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RICHARD STRAUSS

HANDBUCH
Walter Werbeck (Hg.)

METZLER
BÄRENREITER
Richard Strauss
Handbuch
RICHARD STRAUSS
HANDBUCH

Herausgegeben von

Walter Werbeck

Metzler

Bärenreiter
Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-476-02344-5
ISBN 978-3-476-00510-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-00510-6

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© 2014 Springer-Verlag GmbH Deutschland


Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2014

www.metzlerverlag.de
info@metzlerverlag.de
Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
Zeittafel (Walter Werbeck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII

EINLEITUNG

Strauss-Bilder (Walter Werbeck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2


Konservativer Modernist 2 i Der Familienmensch 5 i Freunde und gesellschaftliches Leben 6 i Mu-
siker, Geschäftsmann und Funktionär 8 i Politiker 10

DIRIGENT, STANDESVERTRETER, GESCHÄFTSMANN

1. Kapellmeister und Dirigent (Roswitha Schlötterer-Traimer †) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18


Meiningen 1885–1886 18 i München (I) 1886–1889 19 i Weimar 1889–1894 20 i München (II) 1894–
1898 21 i Berlin 1898–1918 22 i Wien 1919–1924 23 i Konzerte und Konzertreisen 24 i Die großen
Amerika-Tourneen 25 i Dirigierstil 25 i Im Spiegel der Kritik 26

2. Strauss und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (Michael Karbaum) . . . . . . . . . . . 29


Strauss und die Tantiemenbewegung 29 i Die Tantiemenanstalt als Solidargemeinschaft 30 i Sommer,
Rösch, Strauss 31 i Der Vorsitzende 32 i Einigungsverhandlungen GDT-GEMA 33 i Epilog: Die
graue Eminenz 33

3. Strauss und der Allgemeine Deutsche Musikverein (Irina Lucke-Kaminiarz) . . . . . . . . . . 35


Mitarbeit in der Musikalischen Sektion und im Gesamtvorstand des ADMV 35 i Strauss als Vorsit-
zender des ADMV (1901–1909) 36 i Aufführungen der Werke von Richard Strauss bei Tonkünstler-
versammlungen bzw. Tonkünstlerfesten des ADMV 40

4. Strauss und der Ständige Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten . . . . 42
(Petra Garberding)
Gründung und Aufgaben des Ständigen Rats 42 i Der Ständige Rat zwischen Demokratie und Füh-
rerprinzip 44 i Antisemitismus 45 i Der Ständige Rat im ›neuen Europa‹ 45 i Strauss’ Position im
Ständigen Rat 46

5. Präsident der Reichsmusikkammer (Albrecht Riethmüller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48


VI Inhalt

6. Strauss und seine Verleger (Dominik Rahmer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54


Die Hauptakteure: Spitzweg, Fürstner, Roth 54 i Weitere Verlagsbeziehungen: Leuckart, Forberg,
Peters, Bote & Bock 58 i Der Geschäftsmann 60

ÄSTHETISCHE POSITIONEN

7. Strauss und Wagner (Bernd Edelmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66


Frühe Wagner-Eindrücke 66 i Tristan-Studium 68 i Wende zu Wagner 69 i Bayreuth und Cosima
Wagner 71 i Strauss als Wagner-Dirigent 72 i Guntram 73 i Till Eulenspiegel 74 i Feuersnot 76 i
Wagner-Zitate 77 i Wagner-Schriften 79 i Wagner als Leitbild im Hofmannsthal-Briefwechsel 80 i
Strauss-Berlioz’ Instrumentationslehre 82

8. Strauss und Mozart (Thomas Seedorf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84


Zwischen Mozart und Wagner 84 i Prägungen und Erfahrungen 85 i Kontexte 87 i Das Mozart-
Paradigma 88

9. Kulturgeschichte und Oper (Katharina Hottmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96


Lektüre-Horizonte 98 i Umrisse der »kulturgeschichtlichen Idee« 99 i Universalistisches und analogi-
sches Denken 99 i Das Organismusmodell 100 i Kulturgeschichte und die »Leerstelle« Musik 102 i
Oper als Ziel der Musikgeschichte 104 i Konsequenzen für die Opernkomposition 105

KOMPOSITORISCHE ARBEIT

10. Der Kompositionsprozess (Jürgen May) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114


Einführung 114 i Arbeitsstadien 116 i Inhaltliche und musikalische Einzelaspekte 124 i Schluss 128

11. Strauss und seine Librettisten (Reinhold Schlötterer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130


Vorbemerkung 130 i Von Guntram bis Capriccio 131 i Stoff, Gattung, Dramaturgie 134 i Das Wort-
element 138 i Übersetzung 143

OPERN UND BALLETTE

12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra (Susanne Rode-Breymann) . . . . . . . . . . . . . 148


Etikettierungen 148 i Guntram 151 i Feuersnot 155 i Salome 160 i Elektra 170

13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten (Bryan Gilliam) . . . . . . 183
Der Rosenkavalier 183 i Ariadne auf Naxos 194 i Die Frau ohne Schatten 204

14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella (Ulrich Konrad) . . . . . . . . . . . . . . . 214


Intermezzo 214 i Die Ägyptische Helena 223 i Arabella 231

15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne (Rebecca Grotjahn) . . . . . . . . . . . . . . 242


Zur Werkgruppe 242 i Die schweigsame Frau 245 i Friedenstag 255 i Daphne 265
Inhalt VII

16. Die Liebe der Danae – Capriccio. »Schwanengesänge« in Zeiten des Krieges? (Dörte Schmidt) 276
Die Liebe der Danae 279 i Capriccio 292

17. Ballette (Monika Woitas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313


Josephs Legende 314 i Ballettsoirée 317 i Schlagobers 318 i Verklungene Feste 320 i Fazit 322

VOKALMUSIK

18. Klavierlieder (Elisabeth Schmierer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326


Übersicht und Chronologie 326 i Liedtexte 327 i Frühe Lieder 329 i Liedopera der Jahre
1885–1891: Zyklische Einheit 330 i Lieder der Jahre 1894–1906 I: Kontrast von sublimer Fin-de-siècle-
Lyrik und volkstümlicher Einfachheit 332 i Lieder der Jahre 1894–1906 II: Die Dehmel-Vertonungen
335 i Neubeginn nach der Liedpause: Die vier Liedopera des Jahres 1918 340 i Lieder nach 1918: Ge-
sänge des Orients op. 77 und späte Einzellieder 345

19. Orchesterlieder (Christian Thomas Leitmeir) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348


Das Orchesterlied zur Zeit von Strauss 348 i Orchestrierung von Liedern anderer Komponisten 351
i Strauss’ Orchestrierung eigener Lieder 351 i Vom Klavierlied zum Orchesterlied: Strauss’ Bearbei-

tungspraxis 353 i Orchestrierung von Strauss’ Liedern durch andere 355 i Originäre Orchesterlieder
356

20. Chorwerke (Barbara Eichner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362


Chorwerke mit Orchester 363 i Männerchöre a cappella 366 i Werke für gemischten Chor a cappella
368

INSTRUMENTALMUSIK

21. Tondichtungen (Charles Youmans) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374


Macbeth 374 i Don Juan 381 i Tod und Verklärung 389 i Till Eulenspiegels lustige Streiche 396 i Also
sprach Zarathustra 403 i Don Quixote 412 i Ein Heldenleben 418 i Symphonia domestica 425 i Eine
Alpensinfonie 432

22. Symphonische und konzertante Werke (Arnfried Edler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443


Einleitung 443 i Werke 444

23. Das instrumentale Spätwerk (Jens-Peter Schütte). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463


Einleitung 463 i Werke 472

24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke (Walter Werbeck) . . . . . . . . . . . . . . . 499


Frühe Klaviermusik 501 i Erste Fortschritte 503 i Klaviermusik der frühen 1880er Jahre 504 i Kam-
mermusik 506 i Werke für Bläser 508
VIII Inhalt

WIRKUNG

25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit (Jürgen Schaarwächter) . . . . . . . . . . . . . . . 512
Orchestermusik 513 i Oper 518 i Lied 523 i Strauss gewidmete Werke 526

26. Strauss und die Musikwissenschaft (Wolfgang Rathert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

ANHANG

Werkverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
IX

Vorwort

Wenn im Jubiläumsjahr 2014 ein Handbuch zu und seiner Schule zu rehabilitieren, konnte ein
Leben und Werk von Richard Strauss erscheint, Komponist wie Strauss, bekennender Verächter
mag das auf den ersten Blick nicht weiter überra- der atonalen Moderne von Anfang an, schwerlich
schen. Immerhin gehört Strauss zu den bedeu- auf unvoreingenommene Deutungen hoffen. Und
tendsten Komponisten des Fin de Siècle wie der als sich schließlich im Zuge der Aufarbeitung von
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Werke wie Till Musik und Musikwissenschaft während der NS-
Eulenspiegel oder Don Juan sind im Konzertreper- Zeit das Ausmaß der aktiven Verstrickung von
toire ebenso fest verankert wie manche seiner Strauss in das braune System abzeichnete, schien
Klavier- und Orchesterlieder, und mit Opern wie der Stab über ihn gebrochen. Erst mit der wach-
Salome, Elektra, Rosenkavalier, Ariadne auf Naxos senden Distanz zu scheinbar unverrückbaren
oder Arabella vermochte Strauss selbst im 21. Jahr- Wahrheiten über Gestalt und Verlauf der Musik-
hundert zu reüssieren. Bis heute findet er sein geschichte im 20. Jahrhundert bekam Strauss
Publikum, und auch die Film- und Werbemusik seine Chance. Angeregt durch die US-amerikani-
hat ihn, wie die populären Anfangstakte seiner sche Strauss-Forschung ist seit den 1990er Jahren
Tondichtung Also sprach Zarathustra belegen, auch hierzulande eine wachsende wissenschaftli-
längst für sich entdeckt. Freilich schrieb Strauss che Beschäftigung mit Strauss und seiner Musik
nicht nur Opern, orchestrale Programmmusik zu verzeichnen.
und Lieder: Auch Instrumentalkonzerte, Kam- Ohne diese Entwicklung hätte ein Handbuch
mermusik in verschiedensten Besetzungen, Kla- wie das vorliegende nicht entstehen können. Der
vierstücke ebenso wie Ballette sowie begleitete Herausgeber ist allen Autorinnen und Autoren –
wie unbegleitete Chorwerke gehören zu seinem darunter nicht zufällig zwei aus den USA – für
Œuvre. Es ist eines der Anliegen des vorliegen- ihre Bereitschaft zur Mitarbeit zu großem Dank
den Handbuches, alle diese Bereiche und Facetten verpflichtet. Denn ungeachtet jüngster Anstren-
des Komponisten Strauss zu erschließen, Diri- gungen kann von einer wirklich etablierten, auf
genten, Sänger und Spieler zu animieren, Neues allen Feldern von der Biographik bis zur Philo-
von Strauss kennenzulernen, zu musizieren, aufzu- logie, von der kritischen Analyse bis zur (kultur-)
führen. wissenschaftlichen Interpretation gespannten
Gleichwohl ist ein Strauss-Handbuch dieser Strauss-Forschung noch kaum die Rede sein.
Größenordnung alles andere als selbstverständlich. Nicht wenige der hier vorgelegten Beiträge ent-
Denn seine Verfasser sind Vertreter der akademi- standen mithin als Resultate von Grundlagenfor-
schen Musikwissenschaft, die sich mit Richard schung.
Strauss lange Zeit schwer getan hat. Zu sehr lastete Richard Strauss, über dessen rastlose und viel-
die Verdammung eines vermeintlichen Verräters fältige Aktivitäten die viele Seiten umfassende
am musikalischen Fortschritt, dessen Speerspitze Zeittafel im Handbuch eindrucksvoll Auskunft
Strauss, wie man meinte, zuvor einst selbst gebil- gibt, führte mehrere Leben: Er war Komponist,
det hatte. Zumal nach dem Krieg, als man daran Dirigent und Operndirektor, er war ein höchst
ging, die lange missachtete Avantgarde Schönbergs erfolgreicher Manager seiner selbst und er agierte
X Vorwort

als Vertreter der sozialen, kulturellen und finan- letten, den ihnen gebührenden Platz bekommen.
ziellen Interessen seines Standes. Alle diese Felder Kapitel zu kleineren Vokalformen, die Strauss sein
waren im vorliegenden Handbuch darzustellen. ganzes Komponistenleben hindurch pflegte, bil-
Im ersten großen Block dominieren die im weites- den die Brücke zu den Instrumentalwerken, mit
ten Sinne politischen Ämter, die Strauss mehr Schwerpunkten auf den Tondichtungen und dem
oder weniger erfolgreich bekleidete, mit dem Spätwerk, in dem Strauss noch einmal zu instru-
Tiefpunkt seines Amtes als Präsident der Reichs- mentalen Gattungen zurückkehrte. Darstellungen
musikkammer. Als Rahmen fungiert zum einen der weitgehend unbekannten musikalischen wie
ein Kapitel über den Dirigenten, zum anderen der schwierigen wissenschaftlichen Strauss-Rezep-
eines über das Verhältnis zu seinen Verlegern, in tion runden den Band ab. Nicht fehlen dürfen ein
denen die Managerqualitäten des Komponisten Werkverzeichnis sowie ein Personen- und Werk-
profiliert werden. Zwei kleinere, gleichwohl für register.
den Musiker wesentliche Blöcke schließen sich an.
Im ersten, der grundlegende ästhetische Positio- Der Dank des Herausgebers gilt neben den Auto-
nen darstellt, gesellen sich zu den bekannten en- rinnen und Autoren vor allem dem Lektor des
gen Verbindungen von Strauss zu Wagner wie Metzler-Verlags, Dr. Oliver Schütze, für die ver-
Mozart und ihren Implikationen eigene kultur- trauensvolle und immer zielführende Betreuung.
historische Positionen, die sein Komponieren, vor Zu danken ist zudem Frau Anna-Lena Bulgrin
allem in den späten Jahren, nicht minder tiefgrei- MA, die die Register besorgte.
fend beeinflussten. Im zweiten stehen systemati- Eine Autorin wird das Erscheinen dieses Hand-
sche Aspekte Strauss’schen Komponierens im Fo- buchs nicht mehr erleben: Roswitha Schlötterer-
kus: die planvolle Verfertigung seiner Partituren Traimer, die ihren Artikel noch bei bester Gesund-
ebenso wie der Umgang mit den Texten seiner heit abliefern und auch ihre Korrekturen gewis-
Opern und mit den Dichtern, denen Strauss sie senhaft erledigen konnte, ist nach einem erfüllten
verdankte. Leben, in dem Richard Strauss und seine Musik
Heute ist Strauss nur noch als Komponist prä- als Gegenstand ihres wissenschaftlichen Interesses
sent. Deshalb nehmen, natürlich, Besprechungen einen zentralen Platz einnahmen, am 17. Oktober
seiner Werke den größten Raum in diesem Hand- 2013 verstorben. Ihrer sei an dieser Stelle gedacht.
buch ein. Und da Strauss die Opern von Anfang
an und bis zuletzt als seine Hauptwerke betrach- Greifswald, im Februar 2014
tete, haben sie auch hier, zusammen mit den Bal- Walter Werbeck
XI

Siglenverzeichnis

JGSZ Birkin, Kenneth (Hg.): Stephan Zweig – Joseph Gregor. Correspondence 1921–1938.
Dunedin 1991.

RSA Richard-Strauss-Archiv Garmisch

RSCK Brosche, Günter (Hg.): Richard Strauss – Clemens Krauss. Briefwechsel. Gesamtausgabe.
Tutzing 1997.

RSGH Wünsche, Dagmar (Hg.): Gerhart Hauptmann – Richard Strauss. Briefwechsel.


In: Richard Strauss-Blätter N.F. 9 (1983), 3–37.

RSHH Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal. Briefwechsel.
Zürich 51978 (Taschenbuchausgabe München 1990).

RSJG Tenschert, Roland (Hg.): Richard Strauss und Joseph Gregor. Briefwechsel 1934–1949.
Salzburg 1955.

RSQV Richard-Strauss-Quellenverzeichnis. www.rsi-rsqv.de. Bearb. von Claudia Heine


und Adrian Kech. Hg. vom Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen.

RSRH Schlötterer, Roswitha (Hg.): Richard Strauss – Rudolf Hartmann. Ein Briefwechsel.
Mit Aufsätzen und Regiearbeiten von Rudolf Hartmann. Tutzing 1984.

RSSZ Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss – Stefan Zweig, Briefwechsel. Frankfurt a. M. 1957.

RSWS Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss. Briefwechsel mit Willi Schuh. Zürich/Freiburg 1969.

Schuh 1976 Schuh, Willi: Richard Strauss. Jugend und frühe Meisterjahre. Lebenschronik 1864–1898.
Zürich 1976.

Strauss 1981 Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss, Betrachtungen und Erinnerungen. Zürich 31981.

TrChr Trenner, Franz: Richard Strauss. Chronik zu Leben und Werk. Hg. v. Florian Trenner.
Wien 2003.

TrSk Trenner, Franz: Die Skizzenbücher von Richard Strauss aus dem Richard-Strauss-Archiv in
Garmisch. Tutzing 1977.

TrV Trenner, Franz: Richard Strauss. Werkverzeichnis (TrV). 2., überarb. Auflage Wien 1999.

Werke Richard Strauss Edition, Bd. 1–18: Sämtliche Bühnenwerke. Wien 1996; Bd. 19–30:
Orchesterwerke. Wien 1999.
XII

Zeittafel
Zusammengestellt von Walter Werbeck

Unter »Biographisches« sind mit wenigen Ausnahmen nur Ereignisse angegeben, an denen Strauss teilgenommen hat. Nicht
berücksichtigt wurden in der Regel sehr kurze Reisen, außerdem Urlaubs- und Kuraufenthalte.
»Konzerte und Dirigate« sind in Auswahl angegeben und beschränken sich auf Konzerte, später vor allem Opernaufführungen
außerhalb fester Verpflichtungen.
In der Spalte »Werke« bedeutet die Nennung eines Titels ohne weitere Zusätze in der Regel den Abschluss der Reinschrift, bei
größeren Besetzungen also der Partitur.

Abkürzungen:
UA = Uraufführung; EA = Erstaufführung; ADMV = Allgemeiner Deutscher Musikverein; AFMA = Anstalt für musikalisches
Aufführungsrecht; AKM = Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger; GDK = Genossenschaft deutscher
Komponisten; GDT = Genossenschaft deutscher Tonsetzer; GEMA = Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Auffüh-
rungsrechte; IGNM = Internationale Gesellschaft für Neue Musik; RMK = Reichsmusikkammer; STAGMA = Staatlich geneh-
migte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte; SRZK = Ständiger Rat für die internationale Zusammen-
arbeit der Komponisten; »Frankfurt« steht grundsätzlich für Frankfurt a. M.

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1864 i 11. Juni: Richard Georg Strauss wird in

München geboren. Eltern: Franz Strauss,


1. Hornist der Münchner Hofoper,
aus Parkstein (Oberpfalz), und Josepha
(Josephine) Pschorr, Tochter des Münchner
Brauereiunternehmers Georg Pschorr d.Ä.
1867 i 9. Juni: Geburt der Schwester Johanna

1868 i Klavierunterricht (bis 1875)

bei dem Harfenisten Aug. Tombo


1870 i erste Kompositionsversuche i Schneiderpolka TrV 1,
i seit Herbst Schüler der Münchner Weihnachtslied TrV 2
Domschule
1871 i Beginn regelmäßiger Besuche von Opern- i Gesangs- und Klavierstücke
aufführungen (Hofoper) und Konzerten TrV 3-10
(Odeon)
1872 i Violinunterricht (bis 1882) bei dem i Gesangs- und Klavierstücke
Konzertmeister der Münchner Hofoper, TrV 11-14
Benno Walter (Vetter von Franz Strauss)
1873 i Febr.: dirigiert bei einem Kindermaskenfest i Ouvertüre TrV 17,
seine Schneiderpolka 2 Sonatinen und
5 Klavierstücke TrV 18–20,
Stücke für Vl. und Klavier
TrV 21
Zeittafel XIII

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1874 i seit Herbst Schüler des Kgl. Ludwigs- i mindestens 6 Sonatinen

Gymnasiums München. Lebenslange für Klavier TrV 22-28


Bekanntschaft mit dem späteren Strauss-
Biographen Max Steinitzer, dem Schrift-
steller und Dramaturgen Arthur Seidl und
dem Komponisten, Dirigent und Juristen
Friedrich Rösch
1875 i Klavierunterricht bei Carl Niest i Klavierstücke TrV 30,
i Studium (bis 1880) von Musiktheorie, Choralsätze TrV 31–32,
Orchestration und Komposition Concertante für Klavier,
bei dem Münchner Hofkapellmeister 2 Vl. und Vc TrV 33,
Friedrich Wilhelm Meyer Streichquartettsatz TrV 35
1876 i Febr.: 2 Lieder TrV 37

i Sept.: Concertouvertüre

TrV 41
i Festmarsch für Orchester

TrV 43
1877 i Beginn der Freundschaft mit Ludwig i Mai u. Dez.: 4 Sätze einer

Thuille Messe für gemischten Chor


a cappella TrV 54
i Nov.: Klaviersonate TrV 47

i Dez.: Klaviertrio TrV 53,

Serenade für Orchester TrV 52


1878 i 4. April: Thuille widmet Strauss ein i Gesangsstücke TrV 58–67,

Streichquartett, Strauss Thuilles Stiefmutter Klaviervariationen TrV 68,


Klaviervariationen TrV 68 Ouvertüre TrV 69,
i Mai: Wagners Siegfried in München Introduktion, Thema u. Var.
für Horn u. Klavier TrV 70,
Klaviertrio TrV 71
1879 i 10. Aug.: Wagners Götterdämmerung i Frühjahr (?): Gavotte

in München »Aus alter Zeit« TrV 72


i Weihnachten: L. Thuille zu Besuch i April: Lieder TrV 75

i April–Juli:

5 kleine Klavierstücke TrV 82


i 10. Juni: Klaviersonate

TrV 79
i 25. Juni: Romanze für Klari-

nette u. Orchester TrV 80


i 16. Juli: Ouvertüre

für Orchester TrV 83


1880 i 23. Febr.: letzte von 3 kontra-

punktischen Studien TrV 91


i März–Mai: 6 Lieder für

Gesangsquartett oder
gemischten Chor TrV 92
i 17. Okt.: (1.) Symphonie

d-Moll TrV 94
i 14. Nov.: Streichquartett

A-Dur TrV 95
1881 i Jan.: Besuch eines Tanzkurses i 9. Jan.: 1. Fassung der

i erste öffentliche Münchner Aufführungen: Klaviersonate TrV 103;


Lieder (16. März), Streichquartett TrV 95 anschließend Umarbeitung
(14. März), Symphonie TrV 94 i 5. Mai: 1. Fassung der

(30. März, Leitung: Hermann Levi) Cellosonate TrV 115


i Juni: Publikation des Festmarschs TrV 43 i 31. Juli: 5 Klavierstücke

bei Breitkopf & Härtel TrV 105


i erste Publikationen (Streichquartett, i 11. Nov.: Serenade für

5 Klavierstücke) durch Eugen und 13 Blasinstrumente TrV 106


Otto Spitzweg im Verlag Jos. Aibl
XIV Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1882 i Juli: Abitur; Ende Juli Begleitung des Vaters i 5. Dez.: Pianist bei der i 22. März: Violinkonzert

zur UA Parsifal bei den Bayreuther Fest- Wiener UA des Violinkonzerts TrV 110
spielen (Fassung für Vl. und Klavier)
i seit Herbst: Studium (2 Semester) an der mit Benno Walter
Münchner Universität: Ästhetik, Kultur-
geschichte, Philosophie
i seit Okt.: Geiger im vom Vater geleiteten

Liebhaberorchester »Wilde Gung’l« (bis


1885)
i 1.–9.(?) Dez.: erstmals in Wien, dort

Bekanntschaft mit den Musikkritikern


Eduard Hanslick und Max Kalbeck
1883 i bis 1885: Liebesverhältnis mit Dora Wihan, i März: Pianist bei der Münchner
Anfang 1883: 1. Hornkonzert
i

der Frau des Cellisten Hanuš Wihan UA des 1. Hornkonzerts TrV 117
i 26. Nov.: Münchner UA der (Fassung für Horn und Klavier)
i 2. Fassung der Cellosonate

Concertouvertüre durch Hermann Levi TrV 115


i 4. Dez. – Ende März 1884: über Leipzig und i Concertouvertüre

Dresden (Bekanntschaft mit den Dirigenten für Orchester TrV 125


Franz Wüllner und Ernst v. Schuch) nach i seit Juni: Arbeit an der (2.)

Berlin Symphonie f-Moll TrV 126


i 27. Juni: Romanze für Cello

und Orchester oder Klavier


TrV 118
1884 i Febr.: in Berlin Bekanntschaft mit dem i 18. Nov.: erster öffentlicher Auf- i 25. Jan.: (2.) Symphonie

Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow tritt in München als Dirigent bei TrV 126
i Erlernen des Skat-Spiels der UA der Bläsersuite TrV 134 i 4. Febr.: 5 Stimmungsbilder

i Juli: erstes Verlagshonorar für sein durch Mitglieder der Meininger für Klavier TrV 127
Hornkonzert Hofkapelle i 16. Mai: 14 Improvisationen

und Fuge für Klavier TrV 130


i 29. Sept.: Suite für 13 Blas-

instrumente TrV 134


Meiningen 1885–1886
1885 i 10.–13. Jan.: Köln, dort am 13.1. EA der i 18. Okt.: Pianist in Mozarts i Jan.: Klavierquartett TrV 137

Symphonie f-Moll (Franz Wüllner); Klavierkonzert c-Moll KV 491; i 22. Mai (?): Wandrers Sturm-

Bekanntschaft mit dem Komponisten Symphonie f-Moll in Meiningen lied TrV 131
Engelbert Humperdinck (im Beisein von Brahms) i Aug.–Nov.: Acht Lieder

i 14. April: Einweisung der Mutter in eine i 25. Nov.: Münchner EA TrV 141
Nervenheilanstalt Symphonie f-Moll i 13. Nov.: Wer hat’s getan

i 8.–25. Juni: Besuch der Bülowschen i 8. Dez.: Pianist bei der UA TrV 142
Klavierkurse in Frankfurt seines Klavierquartetts TrV 137
i 1. Okt.: Herzoglicher Musikdirektor in in Weimar
Meiningen (bis April 1886) i Meiningen insges.: 11 Konzerte

i 15. Okt.: Franz Liszt auf der Durchreise in

Meiningen; Begegnung mit Strauss ist nicht


gesichert.
i 25. Okt.: UA von Brahms’ 4. Symphonie

in Meiningen
i Ende Nov.: Mutter erneut in Heilanstalt

i Seit 1. Dez.: alleiniger Dirigent in Meinin-

gen
i Bekanntschaft mit dem Komponisten und

Geiger Alexander Ritter


München 1886–1889
1886 i 10. Jan.: Preis des Berliner Tonkünstler- i 29. Jan.: Dirigent und Pianist i 24. Febr.: Burleske TrV 145

vereins für das Klavierquartett im Bülow-Konzert i 31. Okt.: Aus Italien TrV 147

i 2. April: Verleihung des Verdienstkreuzes i 5. u. 26. März: Pianist in i Nov./Dez.: Fünf Lieder

für Kunst u. Wissenschaft durch Kammermusiksoireen TrV 148


Herzog Georg II. i 2. April: letztes Meininger

i 17. April – 25. Mai: Reise nach Italien Orchesterkonzert


Zeittafel XV

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1886 i 1. Aug.: 3. Kapellmeister an der Münchner i 12. Nov.: erstmals Così fan tutte

Oper (bis 31.7.1889) in München


i 4.–9. Aug.: Besuch der Bayreuther Fest- i Spielzeit München 1886/87:

spiele 9 Opern in 20 Vorstellungen


1887 i 5.–19. Jan.: Frankfurt, Hamburg, Leipzig i 7. Jan.: Symphonie f-Moll i seit Juni: Arbeit an Macbeth
i 8.–10. März: Köln, dort 8. 3. UA Wandrers in Frankfurt TrV 163
Sturmlied TrV 131 (Franz Wüllner) i 2. März: UA Aus Italien i Aug.: Arbeit am Entwurf

i seit März: Mitgliedschaft im ADMV in München zum Libretto seiner ersten


i Aug.: Besuch der Bayreuther Festspiele; i 13. Okt.: Symphonie f-Moll Oper Guntram TrV 168
in Feldafing Bekanntschaft mit der Gene- in Leipzig (Gewandhaus) i Dez. 1886/April 1887:

ralstochter Pauline de Ahna, seiner späteren i 8. Dez.: Konzert in Mailand Sechs Lieder TrV 149
Frau (erster Auftritt als Dirigent i 1. Nov.: Violinsonate TrV 151

i 17. Okt.: in Leipzig Bekanntschaft im Ausland)


mit dem Komponisten und Dirigenten i Spielzeit München 1887/88:

Gustav Mahler 8 Opern in 13 Vorstellungen


i 2.–12. Dez.: Mailand

1888 i 10.–29.(?) Jan.: Mannheim, Frankfurt, i 23. u. 25. Jan.: Aus Italien in i 9. Jan.: 1. Fassung Macbeth
Berlin, Hamburg Berlin (erstmals mit den i 8. Febr.: 2. Fassung Macbeth
i 15.–31. Mai: Reise nach Norditalien Philharmonikern) i Jan./Febr.: Sechs Lieder

i 1.–28. Juni: in München Einstudierung i 17. April: erstmals Freischütz TrV 152
von Wagners Oper Die Feen in München i März: 1. Entwurf des

i 6.–10. Aug.: Besuch der Bayreuther i 13. Okt.: Pianist bei der Guntram-Librettos
Festspiele Münchner EA der i März: Mädchenblumen

i 22.–29.(?) Okt.: Dresden Violinsonate TrV 151 TrV 153


i 26.–29. Dez.: Meiningen i 26. Dez.: Aus Italien i April: Arbeit an Don Juan

in Meiningen TrV 156


i Spielzeit München 1888/89: i Sommer: Arbeit an

5 Opern in 9 Vorstellungen Tod und Verklärung TrV 158


i 30. Sept.: Don Juan

Weimar 1889–1893
1889 i 7.–27.(?) Jan.: Köln, Mannheim, Karlsruhe, i 8. Jan.: Aus Italien in Köln i Febr./April: Schlichte Weisen
Frankfurt i 10. Jan.: Symphonie f-Moll TrV 160 (1-4)
i 2.–7. März: Bülow-Konzerte in Berlin, in Mannheim i April: 1. Akt Guntram-Text

mit A. Ritter und L. Thuille i 13. Jan.: Macbeth-Probe i 18. Nov.: Tod und Verklärung

(4.3. Tannhäuser-Ouvertüre, in Mannheim


6.3. Doppelaufführung von Beethovens i 18. Jan.: Aus Italien in Frankfurt

9. Symphonie) i März: Macbeth-Proben

i 19.–29. Juni: mit L. Thuille beim in Meiningen


Tonkünstlerfest des ADMV in Wiesbaden i 27./28. Juni: zwei Konzerte

i 30. Juni – 22. Aug.: in Wiesbaden


Bayreuther Festspiele i 22. Sept.: erstmals Zauberflöte

(musikalischer Assistent) in Weimar


i 1. Aug.: Großherzoglicher Kapellmeister i 6. Okt.: erstmals Lohengrin

in Weimar in Weimar
i Hermann Bischoff Kompositionsschüler i 31. Okt.: erstmals Figaros Hoch-

von Strauss zeit in Weimar


i Bekanntschaft mit dem Komponisten i 11. Nov.: UA Don Juan

Max von Schillings in Weimar


i Spielzeit Weimar 1889/90:

16 Opern in 51 Vorstellungen;
4 Konzerte
1890 i Aufnahme in die »Musikalische Sektion« i 4. Febr.: Don Juan in Berlin i 20. Jan.: Schlichte Weisen
sowie den Gesamtvorstand des ADMV i 9. Febr.: erstmals Don Giovanni TrV 160 (5)
i 8.–11. Jan.: Dresden, in Weimar i Juli: Bearbeitung von Glucks

dort am 10.1. Don Juan (Adolf Hagen) i 28. Febr.: Don Juan in Frankfurt Iphigenie auf Tauris TrV 161
i 27. Jan.–4. Febr.: Berlin, i 17. März: Wandrers Sturmlied i 25. Sept.: 1. Fassung

dort am 30.1. Don Juan (Bülow) in Berlin Guntram-Text


i 16.–20. Febr.: mit Cosima Wagner i 27. März: erstmals Tannhäuser i 26. Okt.: Umarbeitung von

in Weimar in Weimar Macbeth begonnen


i 25.–28. Febr.: Frankfurt i 31. März: Cellosonate in Leipzig
XVI Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1890 i 14.–17. März: Berlin i 8. Juni: UA von Alexander Ritters

i Mai: Ölportrait von Strauss sowie Oper Wem die Krone? in Weimar
Doppelbildnis Strauss – Alexander Ritter i 21. Juni: UA Tod und Verklärung

durch Leopold von Kalkreuth sowie Burleske in Eisenach


i 13. Mai: Angebot an Peters-Verlag: i 13. Okt.: UA 2. Fassung Macbeth

Publikation von Macbeth für 1.500 Mark in Weimar


i 19.–22. Juni: Tonkünstlerfest des ADMV i 17. Nov.: Faust-Symphonie

in Eisenach von Liszt in Weimar


i 23.–28. Juni: Bayreuth i 25. Dez.: EA Rienzi in Weimar

i 1. Juli: Pauline de Ahna tritt ihre Stelle als i Spielzeit Weimar 1890/91:

Sängerin an der Weimarer Hofoper an. 15 Opern in 42 Vorstellungen;


i 8. Nov.: erste Publikation im Fürstner- 4 Konzerte
Verlag (Mädchenblumen TrV 153)
i Besuch von Siegfried Wagner in Weimar

1891 i 29. Jan.: Ruf nach New York als Konzert- 12. Jan.: EA Tod und Verklärung
i i Febr.: Revision des Guntram-
dirigent für zwei Jahre in Weimar Textes begonnen
i 17.–24. Febr.: Mainz, Berlin i 3. Febr.: Don Juan in Köln i 4. März: Umarbeitung

i 11.–15. März: Karlsruhe i 18. Febr.: Aus Italien in Mainz Macbeth


i 29./30. März Bayreuth i 23. Febr.: Tod und Verklärung i 2. Dez.: Zwei Lieder TrV 166

i 6.–11. Mai: Krankenhausaufenthalt in Berliner Bülow-Konzert,


in Weimar wegen Lungenentzündung im Beisein von Cosima Wagner
i 14. März: Aus Italien in Karlsruhe
i Juli/Aug.: Korrepetitor bei den Bayreuther

Festspielen; Bekanntschaft mit dem i 11. Mai: Lohengrin in Weimar

französ. Schriftsteller Romain Rolland i 14. Nov.: Tod und Verklärung

i 12.–14. Nov.: Braunschweig sowie Don Juan in Braunschweig


i 22.–25. Dez.: Bayreuth i Spielzeit Weimar 1891/92:

20 Opern in 47 Vorstellungen;
5 Konzerte
1892 i Gründung des Weimarer Wagner-Vereins i 17. Jan.: Tristan in Weimar i Entwurf neuer Opern-
i 26.–29. Febr.: Berlin i 22. Febr.: Wandrers Sturmlied Szenarien: »Don-Juan«,
i 3.–6.(?) April: Berlin, dort Beethovens in Heidelberg »Das erhabene Leid der
9. Symphonie und 3. Symphonie unter i 29. Febr.: UA 3. Fassung Macbeth Könige«, »Der Reichstag
Bülow; Bekanntschaft mit dem Schrift- in Berliner Bülow-Konzert zu Mainz«
steller John Henry Mackay i 13. März: Liszt-Konzert in Leipzig i 17. März: Guntram-Text

i Juni: Rippenfellentzündung i 16. März: Tod und Verklärung in neuer Fassung;


und schwere Bronchitis in Leipzig Beginn der Komposition
i 30./31. Okt.: Treffen mit Cosima Wagner i 24. März: Tristan in Eisenach i 24. Nov.: Revision des

in Bayreuth i Spielzeit Weimar 1892/93: Guntram-Textes


i seit 5. Nov.: mehrmonatige Reise nach Süd- 2 Opern in 2 Vorstellungen;
europa und Ägypten: Athen (17.–25.11.), 5 Konzerte
Kairo (seit 29.11.)
1893 i 17. Jan. – 16. März: Luxor, i 23. Dez.: UA von Humperdincks i 5. Sept.: Guntram
anschließend erneut Kairo Oper Hänsel und Gretel i seit Nov.: Arbeit an Opern-
i 3./4. Febr.: Rechtfertigung der Umarbeitung in Weimar text »Till Eulenspiegel«
des 3. Guntram-Akts gegenüber Ritter i Spielzeit Weimar 1893/94:

i 3. April – 6. Juni: Sizilien 17 Opern in 49 Vorstellungen


i 7.–25. Juni: Rückfahrt über Italien

nach München
i 28. Nov. – 3.(?) Dez.: Karlsruhe, Frankfurt

(dort am 1.12. Felix Mottl Guntram


vorgespielt)
München 1894–1898
1894 i 14.–29.(?) Jan.: Karlsruhe (F. Mottl erneut i 6. Jan.: »Friedenserzählung« i Mai/Sept.: Vier Lieder
Guntram vorgespielt), Heidelberg, Frank- aus Guntram in Heidelberg TrV 170
furt, Hamburg (20.1. letztes Treffen mit i 22. Jan.: Konzert in Hamburg i Beschäftigung mit Goethes

Hans von Bülow), Berlin i 27. Jan.: erstes Philharmonisches Singspiel Lila
i 7. Febr.: in Berlin Verhandlungen wegen Konzert Berlin
der Übernahme der Philharmonischen i 21. Febr.: Gedächtniskonzert

Konzerte für Bülow in Leipzig


i 12. Febr.: Hans von Bülow stirbt in Kairo.
Zeittafel XVII

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1894 i 21. März: Vertrag als kgl. Kapellmeister i 11. März: erstmals Meistersinger

in München in Weimar
i 30. März: Vertrag als Leiter der Philharmo- i 19. März: Philharmonisches

nischen Konzerte in Berlin für drei Jahre Konzert in Berlin


(nach einem Jahr gekündigt) (Beethoven, 9. Symphonie)
i Mai/Juni: erneute Einlieferung der Mutter i 10. Mai: UA Guntram in Weimar

in eine Nervenheilanstalt (mit Pauline als Freihild)


i 10. Mai: Verlobung mit Pauline de Ahna i 29. Juni: Tristan in München

in Weimar i 2. Sept.: Meistersinger

i 1.–5. Juni: Tonkünstler-Versammlung des in München


ADMV in Weimar i Okt.–Dez.: Philharmonische

i Ende Juni – Mitte Aug.: Dirigent in Bay- Konzerte in Berlin


reuth (Tannhäuser); Bekanntschaft mit dem (15.10., 29.10., 12.11., 26.11., 10.12.)
Wiener Musikschriftsteller Ludwig Karpath i 16. Nov.: 1. Konzert
i 10. Sept.: Hochzeit mit Pauline de Ahna der Musikalischen Akademie
in Marquartstein; anschließend bis 6. Okt. München 1894/95
Hochzeitsreise nach Venedig i Spielzeit München 1894/95:

i 1. Okt.: Kgl. Kapellmeister in München; 17 Opern in 54 Vorstellungen;


zugleich Übernahme der Konzerte der 8 Konzerte
Musikalischen Akademie München sowie
für eine Spielzeit der Philharmonischen
Konzerte in Berlin
i Nov.: Bekanntschaft mit den Schriftstellern

Ferdinand Graf Sporck, Otto Julius


Bierbaum, Frank Wedekind
1895 i 18. Jan.: Übersendung einer Guntram- i Jan. – März: Philharmonische i 6. Mai: Till Eulenspiegel
Partitur an Giuseppe Verdi Konzerte in Berlin TrV 171
i Anfang April: Wien (14.1., 28.1., 18.2., 4.3. und 18.3.) i Mai/Juni: Drei Lieder TrV 172

(mit Berliner Philharmonikern) i 22. März: letztes Konzert i Juni/Sept.: Musik zu 3 Akten

i 1.–5. Dez.: Budapest der Musikalischen Akademie von Goethes Lila


München 1894/95 i Juni/Dez.: Vier Lieder

i 2. April: Debüt in Wien TrV 173 (1–3)


mit Berliner Philharmonikern i Seit Juni: Arbeit an

i 15. Nov.: 1. Konzert Also sprach Zarathustra


der Musikalischen Akademie TrV 176
München 1895/96
i 16. Nov.: Münchner EA Guntram

i 29. Nov.: Münchner EA

Till Eulenspiegel
i Spielzeit München 1895/96:

26 Opern in 88 Vorstellungen;
9 Konzerte
1896 i 11. Jan.: »Trennung von Wahnfried- i 17. Febr.: Konzert in Weimar i 1. Jan.: Vier Lieder TrV 173 (4)
Bayreuth« (Schreibkalender) i 21. Febr.: Konzert in Frankfurt i Jan./März: Fünf Lieder
nach Unterredung mit Siegfried Wagner i 16. März: Konzert in Moskau TrV 174
i 14.–21. Febr.: Leipzig, Weimar, Frankfurt, i 27. April: letztes Konzert i 4. Febr.: Partitur Zarathustra

dort am 21.2. Bekanntschaft mit den Kom- der Musikalischen Akademie begonnen
ponisten Max Reger und Ferruccio Busoni München 1895/96 i 7. Juni: Wir beide wollen

i 10.–17. März: Moskau i 25./26. Mai: zwei Konzerte springen TrV 175
i 22.–26. Mai: Düsseldorf (Don Juan, Wandrers Sturmlied, i 9. Juni: Sechs Lieder

(Niederrheinisches Musikfest) Till Eulenspiegel) in Düsseldorf TrV 187 (5)


i 15.–18. Aug.: Besuch der Bayreuther Fest- i 29. Mai: Neuinszenierung i 24. Aug.: Also sprach

spiele Don Giovanni in München Zarathustra


i Okt.: Kündigung des Vertrags als Leiter der i 2. Nov.: EA Till Eulenspiegel i Juli/Okt.: Vier Gesänge

Konzerte der Musikalischen Akademie in Berlin TrV 180 (1–2)


i 6. Okt.: Neuer Kontrakt als Münchner i Nov./Dez.: je ein Konzert in i Sept.: Beschäftigung mit

Hofkapellmeister (Nachfolge Hermann Leipzig (23.11.), Frankfurt (27.11., Sporcks Die Schildbürger
Levis) mit UA Zarathustra), Köln (1.12.), i 10. Okt.: erste Idee zu

i 3.–26. Okt.: mit Pauline in Italien: Trient, Brüssel (6.12.), Lüttich (13.12.), Don Quixote TrV 184
Florenz, Perugia; in Fiesole Bekanntschaft Düsseldorf (17.12.) i 15. Nov.: Arbeit an Ballett-

mit dem Maler Arnold Böcklin musik zu Goethes Lila


XVIII Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1896 i 27. Okt. – 3. Nov.: Berlin; Bekanntschaft i Spielzeit München 1896/97: i Beschäftigung mit dem

u. a. mit den Schriftstellern 17 Opern in 64 Vorstellungen Sagenstoff »Das erloschene


Arthur Schnitzler und Oskar Bie Feuer von Audenaerde«
i 20. Nov. – 17. Dez.: Leipzig, Frankfurt, (Grundlage des späteren
Köln, Brüssel, Lüttich, Düsseldorf; Feuersnot-Librettos) und mit
Bekanntschaft mit den Literaten und Frank Wedekinds Die Flöhe
Musikern Joseph Dupont, Georges oder der Schmerzenstanz
Khnopff, Vincent d’Indy, Eugène Ysaye,
Silvain Dupuis
1897 i 14.–16. Febr.: Heidelberg i 3. Febr.: Neuinszenierung i Arbeit an Don Quixote und

i 11.–23. April: Tournee mit E. v. Possart: Entführung aus dem Serail Ein Heldenleben TrV 190
Frankfurt, Stuttgart, Würzburg, Nürnberg, in München i Jan.: Vier Gesänge

Augsburg, Köln i 15. Febr.: Konzert in Heidelberg TrV 180 (3–4)


i 12. April: Geburt des einzigen Sohnes i 12. März: UA von Thuilles Oper i 8. Febr.: Sechs Lieder

Franz Alexander Strauss Theuerdank in München TrV 187 (3)


i 14. Aug.: Bekanntschaft in München mit i 24. März: UA Enoch Arden TrV i 26. Febr.: Enoch Arden

dem Ballettimpresario Sergej Diaghilew 181 mit E. v. Possart in München TrV 181
i Sept.: Verbesserung des Münchner i 8. Mai: Münchner EA von Schil- i -März/Mai: Zwei Gesänge

Kontrakts (nach Angebot aus Hamburg); lings’ Oper Ingwelde TrV 182
Englisch-Unterricht; Empfehlung von Max i 25. Juni: Neuinszenierung i 2. Aug.: Partitur Don Quixote

Reger als Liedbearbeiter für den Aibl-Verlag Così fan tutte in München begonnen
i 4.–11. Okt.: Amsterdam: 7.10. erster Auftritt i 7./10. Okt.: 2 Konzerte i Sept.: Vier Lieder

am Pult des Concertgebouw-Orchesters in Amsterdam TrV 186 (1–2)


i 24.–31. Okt.: Zürich, Frankfurt, Düsseldorf, i Nov./Dez.: je 2 Konzerte in i 29. Dez.: Don Quixote

Heidelberg, Wiesbaden Barcelona und Brüssel, je ein


i 2.–5. Nov.: Berlin, Hamburg, Berlin Konzert in Paris und London
i 9. Nov. – 7. Dez.: Barcelona, Brüssel, Paris, i Spielzeit München 1897/98:

London 11 Opern in 67 Vorstellungen


Berlin 1898–1918
1898 i 22. Febr. – 13. März: mit Pauline i 18. März: EA Don Quixote i Febr./April: Sechs Lieder

nach Madrid in Frankfurt TrV 187 (1,2,4,6)


i 17./18. März: Frankfurt i 19. März: Tristan in München i März: Vier Lieder

i 15. April: Kontrakt als Hofkapellmeister i 30. April: Neuinszenierung TrV 186 (3–4)
in Berlin für 10 Jahre Zauberflöte in München i Mai/Juli: Fünf Lieder

i 20. April: Mutter erneut in Heilanstalt i 19. Juni: UA der Oper Zinnober TrV 189
eingeliefert von Siegmund von Hausegger i Mai: Arbeit an Tondichtung

i Mai/Juni: Vorbereitung von Aktionen i 14., 15., 16., 19. Sept.: in München »Im Frühling«
zur Verbesserung des Urheberrechts Entführung, Zauberflöte, Così fan i 2. Aug.: Partitur
i Ablehnung der Wiederwahl in Musikaus- tutte, Don Giovanni Ein Heldenleben begonnen
schuss und Gesamtvorstand des ADMV i Nov.: in Berlin Tristan (5.11.), i 1. Dez.: Ein Heldenleben

i 14. Juli: zusammen mit Friedrich Rösch Carmen (8.11.), Hänsel und Gretel (27.12. neuer Schluss)
Rundschreiben an 160 Komponisten, (11.11.), Die lustigen Weiber von
gegen die Aktivitäten des ADMV zur Windsor (12.11.), Kammermusik-
Reform des Urheberrechts; zweites Rund- konzert (13.11.; abends Die Stumme
schreiben im Sept. von Portici), Fidelio (15.11.), Die
i 30. Sept.: Gründung der GDK in Leipzig Stumme von Portici (20.11.), Rienzi
i 19.–31. Okt.: Leipzig, Chemnitz, Plauen, (21.11.)
Frankfurt, Aachen, Amsterdam i Spielzeit Berlin 1898/99:

i 31. Okt.: Ende der Münchner Stellung 26 Opern in 68 Vorstellungen


i 1. Nov.: 1. Kapellmeister an der Berliner

Hofoper
1899 i 16.–23. Jan.: Paris i 14. Jan.: Berlin: UA Briséïs i Arbeit an Tondichtungen

i 29. Jan. – 8. Febr.: Weimar, Bremen von E. Chabrier »Im Frühling« und
i 20. Febr.: in Leipzig Wahl zum i 22. Jan.: Paris, Lamoureux- »Künstlertragödie«,
Vorsitzenden des geschäftsführenden Konzert, u.a. mit Zarathustra auch am Text einer spani-
Ausschusses der GDK i 3. März: UA Ein Heldenleben schen Diebeskomödie
i 27. Febr. – 3. März: Frankfurt, Heidelberg in Frankfurt Ekke und Schnittlein
i 22. März: Berliner EA i 12. März: Das Schloss am

Ein Heldenleben Meere TrV 191


Zeittafel XIX

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1899 i 23. März: in Pankow erste Begegnung mit i 18. April: Berlin: UA Mudarra i Juni/Aug.: Fünf Lieder

den Schriftstellern Richard Dehmel und von F. Le Borne TrV 195


Hugo von Hofmannsthal i 21.–23. Mai: Konzerte i Juli: Männerchöre TrV 193

i 15. Mai: Beratungen der GDK im Reichs- in Düsseldorf u. TrV 194


justizamt über Modalitäten eines neuen i 19.–24. Juni: erstmals Wagners i Juli/Nov.: Zwei größere

Urheberrechts Ring des Nibelungen in Berlin Gesänge TrV 197


i 19.–28. Mai: Düsseldorf (Niederrhein. i 17./19. Okt.: Konzerte i Aug./Sept.: Drei Gesänge

Musikfest) und Kassel (Sängerwettstreit) in München, u.a. mit EA älterer deutscher Dichter
i 13.–16. Juni: London Don Quixote und Heldenleben TrV 196
i 13.–22. Okt.: München i 4. Dez.: Berlin-Debüt von Pauline i Nov.: Fünf Gedichte

i 23.–30. Okt.: Tournee mit E. v. Possart i Spielzeit Berlin 1899/1900: TrV 199 (2–3)
nach Breslau, Posen, Bromberg, Danzig, 32 Opern in 96 Vorstellungen
Königsberg, Tilsit, Stettin
i 1.–5. Nov.: Brüssel

i 27.–30. Dez.: Dresden; (29.1. EA Helden-

leben unter Ernst v. Schuch)


1900 i 17.–23. Jan.: Köln, Elberfeld, Krefeld, i Jan.: Konzerte in Chemnitz (11.1.), i Beschäftigung mit Paul

Düsseldorf Köln (17. u. 23.1.), Elberfeld (18.1.), Scheerbarts Kometentanz


i 26. Febr. – 12. März: Paris, Treffen Krefeld (20.1.) sowie mit dem Ballett
mit Rolland; Bekanntschaft mit i 4./11. März: 2 Lamoureux- »Kythere«
Gustave Charpentier Konzerte in Paris i Arbeit an Text zu

i 24.–28. Mai: Bremen i 2. April: Konzert Hamburg Ekke und Schnittlein


i 1.–6. Juni: Aachen (Niederrhein. Musikfest) i 8. Juli: Konzert Elberfeld i Feuersnot TrV 203 begonnen

i 26. Juni: Mutter erneut in Heilanstalt i 21. Okt.: in Brüssel u. a. i Jan./Febr.: Fünf Gedichte

eingeliefert Don Quixote und Heldenleben TrV 199 (1, 4, 5)


i 6.–9. Juli: Elberfeld i 14. Nov.: Konzert Breslau i Mai/Juni: Fünf Lieder

i 16.–21. Okt.: Brüssel i Spielzeit Berlin 1900/01: TrV 200


i 12.–16. Nov.: Breslau 28 Opern in 85 Vorstellungen i Sept./Okt.: Fünf Lieder

i 17. Nov.: Hofmannsthal bietet Strauss TrV 202


ein Ballett zur Komposition an.
1901 i Übernahme der »Modernen Konzerte« des i 23. Jan.: Musikverein Wien, i 22. Mai: Feuersnot

Berliner Tonkünstler-Orchesters (bis 1903) u.a. mit EA Heldenleben i Sept.: Acht Lieder TrV 204

i 20.–24. Jan.: mit Pauline in Wien; i 3./6. März: 2 Symphoniekonzerte

am 24.1. Mahler Feuersnot vorgespielt in Barcelona


i 27. Febr. – 7. März: mit Pauline i März: Konzerte in Prag (14.3.),

nach Barcelona Mannheim (20.3.), Frankfurt


i 27.–30. April: Ablehnung einer Verlänge- (22.3.)
rung der Schutzfrist auf 50 Jahre durch den i 9. Okt.: EA Guntram in Prag
Reichstag i 21. Okt.: 1. Konzert mit

i 30. Mai – 3. Juni: Heidelberg, dort am Berliner Tonkünstler-Orchester


3.6. Wahl zum Vorsitzenden des ADMV i 3. Dez.: EA Feuersnot Frankfurt

i Okt.: Ehekrise; Gedanke an Scheidung i Spielzeit Berlin 1901/02:

wieder verworfen 28 Opern in 83 Vorstellungen;


i 6.–10. Okt.: Prag dazu 11 Konzerte mit dem
i 19.–22. Nov.: Dresden, dort am 21.11. Tonkünstler-Orchester
UA Feuersnot (E. v. Schuch)
i 26. Nov. – 7. Dez.: Frankfurt, Gießen,

Stuttgart, Leipzig
i 16. Dez.: Mahler dirigiert seine

4. Symphonie im 3. Konzert
des Tonkünstler-Orchesters
1902 i 1. Jan.: neues Urheberrechtsgesetz i 14. Jan.: Feuersnot in Frankfurt i Weiterarbeit an der

i 2.–15. Jan.: Köln, Düsseldorf, Barmen, i 21. Jan.: 4. Konzert „Künstlertragödie“


Dresden, Leipzig, Frankfurt, Karlsruhe mit Tonkünstler-Orchester i Frühjahr: Erste Beschäfti-

i 25. Jan. – 1. Febr.: mit Pauline nach Wien, i 31. Jan.: Liederabend mit Pauline gung mit Salome
dort am 29.1. EA Feuersnot (Gustav Mahler) in Wien i 25. Mai: Erste Idee zur

i 18.–26. Febr.: Tournee mit Berliner i 30. April: Feuersnot in Bremen Symphonia domestica
Tonkünstler-Orchester nach Posen, Halle, i 21.–26. Juni: drei Konzerte i 11. Dez.: Das Tal TrV 206

Hannover, Bremen, Hannover in Wien


i 18.–25. März: Stettin, Graz, Brünn, Gera i 28. Okt.: Berliner EA Feuersnot
XX Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1902 i 28.–30. April: Bremen i 2. u. 6. Dez.: Konzerte in Köln

i Mai: vermeintliche Affäre mit Mieze Mücke und London (EA Heldenleben)
i 8.–10. Juni: Tonkünstlerfest des ADMV in i Spielzeit Berlin 1902/03:

Krefeld (mit UA von Mahlers 3. Symphonie) 29 Opern in 76 Vorstellungen;


i Herbst: Empfehlung von Arnold Schönberg dazu 38 Konzerte mit dem
an das Sternsche Konservatorium Berlin Tonkünstler-Orchester
i 15. Nov.: Premiere von Oscar Wildes Salome

im Kleinen Theater Berlin (Strauss’ Besuch


ist nicht gesichert)
i 28.–30. Nov.: Tournee mit Berliner

Tonkünstler-Orchester nach Halle,


Hannover, Braunschweig
i 13./14. Dez.: Gründung einer mit privaten

Geldern (u. a. 20.000 Mark von Strauss)


ausgestatteten Tantiemenanstalt durch den
geschäftsführenden Ausschuss der GDK
i 18. Dez.: briefliche Empfehlung Schönbergs

für das Liszt-Stipendium des ADMV


1903 i 10.–12. Jan.: Hamburg i 18. Jan.: UA Anno 1757 i 2. Mai: Taillefer

i 14. Jan.: Wahl zum Präsidenten der neu- (Bernhard Scholz) in Berlin i 31. Juli: Sechs Lieder

gegründeten GDT in Berlin; Einsetzung i 29. Jan. – 1. Febr.: 3 Konzerte TrV 220 (1)
der AFMA; Rösch wird Geschäftsführer der in Amsterdam i 31. Dez.:

GDT und Direktor der AFMA i Febr./März: 25 Konzerte mit Ton- Symphonia domestica
i 28. Jan. – 2. Febr.: Strauss-Festival künstler-Orchester in 24 Tagen
in Amsterdam i 3.–9. Juni: 4 Konzerte in London

i 28. Febr. – 23. März: Europa-Tournee i 26. Okt.: UA Taillefer

mit Berliner Tonkünstler-Orchester in Heidelberg


i 24.–30. März: Reise nach Basel und Paris i 7.–11. Dez.: 5 Konzerte

i 31. Mai – 12. Juni: mit Pauline und Sohn in Edinburgh, Glasgow, London,
beim Strauss-Festival in London mit dem Birmingham
Concertgebouw-Orchester i Spielzeit Berlin 1903/04:

i 8. Aug.: Ehrendoktorwürde 14 Opern in 36 Vorstellungen


der Universität Heidelberg
i 23.–28. Okt.: Mannheim und Heidelberg

i 5.–12. Dez.: mit Pauline in Großbritannien

1904 i Ehrenmitgliedschaft der von Schönberg i Febr.–April: in USA 24 Konzerte i Arbeit an der Revision der

gegründeten »Vereinigung schaffender (darunter 21.3. UA der Symphonia Instrumentationslehre von


Tonkünstler« domestica in New York), Berlioz
i ab 11. Jan.: regelmäßiger Englisch- 11 Liederabende, außerdem einige i Aug.: Zwei Lieder TrV 211
Unterricht Privatkonzerte i 27. Nov.: Partitur Salome

i 10. Febr. – 10. Okt.: Beurlaubung i 1. Juni: EA Symphonia domestica in begonnen


von der Berliner Oper Frankfurt
i 13. Febr. – 28. April: mit Pauline i 5.–9. Okt.: 3 Konzerte

in die USA (New York, Philadelphia, mit Concertgebouw-Orchester


Cleveland, Pittsburgh, Morgantown, in Amsterdam
Boston, Chicago). Zwei Konzerte i 21. Nov.: Konzert in Antwerpen

im Wanamaker-Kaufhaus provozieren i 12. Dez.: Berliner EA

in Deutschland scharfe Proteste. Symphonia domestica


i 22.–25. Mai: Regensburg i 16.–21. Dez.: in England

i 25. Mai – 2. Juni: Tonkünstlerfest 5 Konzerte


des ADMV in Frankfurt i Spielzeit Berlin 1904/05:

i 3.–9. Okt.: mit Pauline in Amsterdam 21 Opern in 60 Vorstellungen


i 18.–21. Nov.: mit Pauline in Antwerpen

i 16.–22. Dez.: Newcastle, Edinburgh,

Birmingham, Manchester
1905 i 24.–30. Jan.: Nürnberg, Teplitz, Heidelberg i 14. April: UA Oper Die Heirat i 20. Juni: Salome

i 28. März – 1. April: Arnheim, Den Haag, wider Willen (E. Humperdinck) i Publikation der revidierten

London in Berlin und ergänzten Instrumen-


i 21. April: Salome Cosima Wagner tationslehre von Berlioz im
vorgespielt Peters-Verlag Leipzig
Zeittafel XXI

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1905 i 19.–21. Mai: 1. Elsässisch-Lothringisches i 21. Mai: Konzert mit Symphonia

Musikfest in Straßburg (Begegnungen mit domestica in Straßburg


Mahler und Rolland) (und Mahlers 5. Symphonie unter
i 31. Mai: Tod des Vaters Leitung des Komponisten)
i 21.–27. Juni: Opernfestspiele in Köln i 23. Juni: Tristan in Köln

i Aug.: neuer Vertrag: zukünftig nur 1.10.–1.5. i 27. Juni: EA Feuersnot in Köln

an Berlin gebunden i 19. Okt.: UA der Endfassung von

i 31. Okt.: Ablehnung von Salome durch die Sibelius’ Violinkonzert in Berlin
Wiener Hofzensur i 23. Dez.: EA Feuersnot

i 4.–9. Dez.: Dresden, dort am 9.12. UA in München


Salome (E. v. Schuch) i Spielzeit Berlin 1905/06:

19 Opern in 54 Vorstellungen
1906 i Felix Draesekes Die Konfusion in der Musik. i 18. März: Berliner EA Pfeifertag i Jan./Febr./Sept.: Sechs Lieder

Ein Mahnruf provoziert Debatten für und von Max Schillings TrV 220 (2–6)
wider Strauss. i 16. Mai: österreichische EA Salome i 18. Febr.: Der Einsame

i 3.–10. Mai: London in Graz (im Beisein von Mahler, TrV 206
i 11.–20. Mai: Graz Zemlinsky, Berg, Schönberg, i 26. April: Bardengesang

i 24.–27. Mai: Tonkünstlerfest des ADMV Kienzl, Puccini, Hitler) TrV 219
Essen (mit UA von Mahlers 6. Symphonie) i 17. Aug.: erstes Konzert i Frühjahr: Beginn der Arbeit

i Sommer/Herbst: Grundstückskauf und in Salzburg mit den Wiener an Elektra TrV 223
Planung einer Villa in Garmisch Philharmonikern
i 15.–17. Aug.: Salzburg i 5. Dez.: Berliner EA Salome

i 1.–5. Sept.: Ostende i Dez.: Salome in Turin: 18.12. (EA),

i 11.–14. Sept.: Mailand 23.12., 26.–30.12.


i 7.–11. Nov.: Frankfurt i Spielzeit Berlin 1906/07:

i 13.–31. Dez.: Wien, Turin 18 Opern in 65 Vorstellungen


1907 i 1.–3. März: Wien i Mai: Salome in Paris: 8.5. (EA), i 7. Okt.: Partitur Elektra

i 4. April: Beginn des Baus der Garmischer 11.5., 14.5., 17.5. 21.5., 24.5. begonnen
Villa i 8. Juni: Konzert Rotterdam

i 1.–25. Mai: mit Pauline in Paris i 30. Aug.: Konzert Ostende

i 25. Mai – 12. Juni: Scheveningen, i Nov.: Salome Den Haag (14.11.),

Rotterdam, Mannheim Amsterdam (16.11.), Utrecht


i 27.–30. Aug.: mit Pauline in Scheveningen (18.11.), Rotterdam (20.11.),
und Ostende Arnheim (21.11.)
i 1.–4. Okt.: Wiesbaden i Spielzeit Berlin 1907/08:

i 11.–21. Nov.: Amsterdam, Utrecht, 13 Opern in 51 Vorstellungen


Rotterdam, Arnheim
i 28. Nov. – 1. Dez.: Wien; dort Treffen u.a.

mit Mahler, Alfred Roller, Gustav Klimt,


Carl Moll
1908 i Anschaffung des ersten PKW i Febr.: Salome in Neapel: 1.2. (EA), i 22. Sept.: Elektra

i 26. Jan. – 11. Febr.: Neapel, Rom 3.2., 5.2., 10.2.


i 26. Febr.: Vorspiel Elektra bei Hofmanns- i 9. Febr.: Konzert in Rom

thal in Berlin i 20. Febr.: Salome in Warschau

i 20.–23. März: Paris i 8. März: Konzert Wiener

i 14. April: Übernahme der Konzerte Philharmoniker


der Berliner Hofkapelle (bis 1920) i April/Mai: 30 Konzerte Berliner

i 23. April – 29. Mai: Tournee mit den Philharmoniker


Berliner Philharmonikern (Deutschland, i Spielzeit Berlin 1908/09:

Frankreich, Spanien, Portugal, Frankreich, 6 Opern in 8 Vorstellungen;


Schweiz) dazu 7 Konzerte mit der
i 30. Mai – 1. Juni: Tonkünstlerfest des Hofkapelle
ADMV in München
i 21. Juli: Bezug der Garmischer Villa

i 26. Aug.: Generalmusikdirektor der

Berliner Hofoper bis 1918; Übernahme


der Symphoniekonzerte der Staatskapelle
u. Beurlaubung vom 1.10.1908–30.9.1909
XXII Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1909 i 18.–28. Jan.: Dresden, dort 25.1. UA Elektra i 13. Okt.: erstmals Leitung von i April: Beginn der Kom-
(E. v. Schuch) Elektra in Berlin position des Rosenkavalier
i 15. Febr.: EA Elektra Berlin (Leo Blech) i Spielzeit Berlin 1909/10: i 7. Okt.: Partitur 1. Akt
i 11. Febr.: erste Information Hofmannsthals 10 Opern in 30 Vorstellungen; Rosenkavalier begonnen
über Rosenkavalier TrV 227 dazu 12 Konzerte mit der
i 1. März: Mitglied der Preußischen Akademie Hofkapelle
der Künste
i 21.–25. März: mit Pauline in Wien;

anschließend bis Mitte April in Italien


i 24. März: Wiener EA Elektra

(Hugo Reichenberger)
i 6. April: Mailänder EA Elektra

(Eduardo Vitale)
i 2.–6. Juni: Tonkünstlerfest des ADMV in

Stuttgart, dort am 4.6. Ablehnung der


Wiederwahl als Vorsitzender des ADMV;
wird Ehrenvorsitzender
i 2. Sept.: briefliche Absage einer Aufführung

von Schönbergs Orchesterstücken op. 16


1910 i 12.–15. März: London i 16. Jan.: Salome in Frankfurt i 29. Sept.: Rosenkavalier
i 16. Mai: Tod der Mutter i 12. Febr.: Elektra in Den Haag
i 11.–19. Juni: Prag, Wien i 12./15. März: Elektra in London
i 23.–28. Juni: Strauss-Woche in München i 29. April: Elektra in Frankfurt
i 23. Sept.: UA Mahlers 8. Symphonie i 12. Juni: Elektra in Prag

in München i 19. Juni: erstmals an der Wiener


i 10. Okt.: Lösung des Berliner Vertrags; Hofoper mit Elektra
Verpflichtung zu Symphoniekonzerten i Juni: in München Feuersnot (23.6.),

der kgl. Kapelle bis 1920 u. Opernabenden Salome (24.6.), Elektra (26.6.),
i 2.–6. Nov.: Budapest außerdem 5 Konzerte
i Spielzeit Berlin 1910/11:

3 Opern in 7 Vorstellungen;
dazu 12 Konzerte mit der
Hofkapelle
1911 i Publikation der ersten großen Strauss- i April: in Wiener Volksoper i Frühjahr: Arbeit an der
Biographie durch den Schulfreund Elektra (6.4.), Salome (9.4.) Alpensinfonie TrV 233
Max Steinitzer i 17./18. Juni: in Köln 2-mal i Mai: erste Arbeit an

i Jan.: 16.–17.1., 21.–27.1. Dresden, dort 26.1. Rosenkavalier Ariadne auf Naxos TrV 228
UA Rosenkavalier (E. v. Schuch) i Nov.: in Den Haag Salome (20.11.), i Dez.: Partitur Ariadne

i 1. Febr.: Münchner EA Rosenkavalier Feuersnot (22.11.), Elektra (25.11.), begonnen


(Felix Mottl) Rosenkavalier (27., 28., 30.11.),
i 23. Febr. – Anfang März: Mailand, dort am außerdem 3 Konzerte
1.3. EA Rosenkavalier (Tullio Serafin) i 5. Dez.: Rosenkavalier in Bremen
i 20. März: erste Informationen i 11. Dez.: Mahlers 3. Symphonie

Hofmannsthals über Ariadne auf Naxos in Berlin


und Die Frau ohne Schatten i Spielzeit Berlin 1911/12:

i 4.–10. April: Wien, Treffen mit Hofmanns- 3 Opern in 5 Vorstellungen;


thal, 8.4. EA Rosenkavalier (F. Schalk) dazu 10 Konzerte mit der
i 12.–18. Juni: Köln Hofkapelle
i 27. Juni: Aufgeben des Rauchens
i 19.–26. Okt.: Frankfurt, Heidelberg
i 14. Nov.: Berliner EA Rosenkavalier

(Karl Muck)
i 16. Nov. – 5. Dez.: Den Haag (Strauss-Fest;

bis 30.11.), Paris, Bremen


1912 i Einstellung der Haushälterin Anna Gloßner i 6. März: Rosenkavalier in Elberfeld i Juni: Erste Arbeit an
(bis 1944) i März: in Wien Elektra (27.3.), Josephs Legende TrV 231
i 16.–25. Febr.: Tournee mit dem Sänger Feuersnot (28.3., Volksoper), i 22. Juli: Ariadne auf Naxos

Franz Steiner: Danzig, Königsberg, Prag, Rosenkavalier (29.3.)


Brünn, Wien, Graz, Budapest i 2. April: Rosenkavalier in Nürnberg
i 8. März: Angebot Hofmannsthal, das Ballett i 9. Juni: Stuttgarter EA Feuersnot

»Orest und die Furien« zu komponieren


Zeittafel XXIII

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1912 i 24.–30. März: Wien i Okt.: in Stuttgart UA Ariadne auf

i April: Erwerb des ersten Mercedes-PKW Naxos (25.10.; weitere Vorstellung


i 8.–24. Mai: Bozen, Padua, Venedig, 27.10.), Salome (28.10.), Elektra
Ravenna, Florenz, Siena, Mantua (30.10.)
i 4.–11. Juni: Erste Orchesterproben Ariadne i 7. Dez.: Ariadne in Dresden

in Stuttgart i 14. Dez.: Ariadne in Braunschweig


i 23. Juni: erste Information Hofmannsthals i 23. Dez.: erste eigene Leitung von

über Josephs Legende TrV 231 Rosenkavalier in Berlin


i 8. Sept.: Hofmannsthal informiert über i Spielzeit Berlin 1912/13:

Fortschritte der Frau ohne Schatten 12 Opern in 28 Vorstellungen;


i 19.–31. Okt.: Stuttgart, dort ab 25.10. dazu 11 Konzerte mit der
Strauss-Festwoche Hofkapelle
i 1.–4. Nov.: Weimar
i 21. Nov.: Begegnung mit Igor Strawinsky in

Berlin bei einem Gastspiel der Ballets Russes


von Sergej Diaghilew
i 14.–17. Dez.: Braunschweig, Antwerpen,

Köln
1913 i 31. Jan. – 8. Febr.: St. Petersburg i 20. Mai: Ariadne in Coburg i 11. Mai: Festliches Präludium
i 27. Febr.: Berliner EA Ariadne auf Naxos i Nov.: Rosenkavalier (9.11.) TrV 229
(L. Blech) u. Ariadne in Karlsruhe (13.11.) i 22. Juni: Deutsche Motette
i 29. März – 20. April: Autoreise durch Italien i 20. Nov.: Konzert mit Wiener TrV 230
mit Hofmannsthal; Besprechung der Frau Tonkünstlerorchester
ohne Schatten i 4. Dez.: Berlin: 5. Brandenburgi-
i 17.–21. Mai: Coburg sches Konzert mit Max Reger
i 3. Juni: erste Textproben für Die Frau ohne am Klavier
Schatten erhalten i Spielzeit Berlin 1913/14:

i 12. Juni: Text zum neuen Vorspiel für 5 Opern in 17 Vorstellungen;


Ariadne erhalten dazu 11 Konzerte mit der
i 8.–24. Nov.: Karlsruhe, Barmen, Frankfurt, Hofkapelle
Wien, Kattowitz
i 28. Dez.: Hälfte des 1. Aktes Frau ohne

Schatten erhalten
1914 i 12.–21. Febr.: Brüssel i Febr.: in Brüssel Elektra (17.2.), i Jan.: Frau ohne Schatten

i 5.–21. Mai: Paris Salome (20.2.) TrV 234 begonnen


i 19.–30. Juni: London i 14. Mai: UA Josephs Legende i 2. Febr.: Josephs Legende
i Juni: Berlin: Verpflichtung zu 25 (später 20) in Paris i 22. Febr.: Cantate für

Opernaufführungen pro Spielzeit i 25./29. Juni: Josephs Legende Männerchor TrV 232
i 24. Juni: Ehrendoktorwürde der in London
Universität Oxford i 17. Nov.: Rosenkavalier in Frankfurt
i 27. Juni: Bekanntschaft mit G.B. Shaw i Spielzeit Berlin 1914/15:

i 3. Aug.: Beschlagnahme des in London 12 Opern in 31 Vorstellungen;


deponierten Vermögens dazu 12 Konzerte mit der
i Sept.: Sohn Franz ins Gymnasium Hofkapelle
des Klosters Ettal
i 11.–18. Nov.: Frankfurt

1915 i 5.–11. Jan.: Dresden, Leipzig, Dresden i Jan.: Fidelio in Dresden (5.1.), i 8. Febr.: Alpensinfonie
i 23. April – 8. Mai: Wien, Prag, Leipzig, Elektra in Leipzig (9.1.) i 20. Aug.: Partitur 1. Akt
Dresden i 28. April: Elektra in Wien Frau ohne Schatten
i Herbst: Mitglied im Präsidium der i Mai: Salome in Leipzig (2.5.);

Deutschen Gesellschaft 1914 Elektra in Leipzig (4.5.), Dresden


i 17. Okt.: Besuch des Pferderennens (8.5.); Rosenkavalier in Dresden
in Hoppegarten (6.5.)
i 19.–27. Okt.: Dresden, Wien, Dresden i 6. Okt.: Elektra in Wien

i 29. Nov. – 1. Dez.: in Salzburg Treffen mit i 15. Okt.: Berliner EA Mona Lisa

Hermann Bahr (M. Schillings)


i 1.–8. Dez.: Wien i 28. Okt.: UA Alpensinfonie Berlin
i 16. Dez.: Gründung der GEMA i 30. Okt.: EA Alpensinfonie Dresden

als Konkurrenz zur GDT/AFMA i Spielzeit Berlin 1915/16: 12 Opern

in 29 Vorstellungen; dazu
11 Konzerte mit der Hofkapelle
XXIV Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1916 i 8.–14. Febr.: Amsterdam, Den Haag i 14. Jan.: Salome in Chemnitz i Frühjahr: Beginn

i 28.–31. März: Strauss-Woche in Stuttgart i 26. März: Salome in Wiesbaden Neufassung von Ariadne
i Sommer: Diskussion mit Hofmannsthal i 28. März: Heldenleben und Salome i 4. Mai: Partitur 2. Akt

über »politisch-satirisch-parodistische in Stuttgart Frau ohne Schatten


Operette« i 29. März: Ariadne in Stuttgart i 19. Juni: Neufassung Ariadne

i 25. Sept. – 8. Okt.: Wien, hier 4.10. UA i 31. März: Rosenkavalier in Stuttgart i Herbst/Winter: erste

2. Fassung Ariadne (F. Schalk) i 7. Okt.: Elektra in Wien Arbeiten am Text zu


i 8.–16. Okt.: Graz, Agram (Zagreb), Wien, i Spielzeit Berlin 1916/17: Intermezzo TrV 246
Prag 13 Opern in 27 Vorstellungen; (noch mit Hermann Bahr)
i Okt./Nov.: Diskussion mit Hermann Bahr dazu 11 Konzerte mit der
über neue Eheoper Hofkapelle
i 1. Nov.: Berliner EA 2. Fassung Ariadne

(L. Blech)
i 2. Dez.: in Berlin erstmals (?)

Grammophonaufnahmen
i 21. Dez.: Ehrenmitgliedschaft der

Gesellschaft der Musikfreunde Wien


1917 i 5. Jan. – 3. Febr.: Amsterdam, Den Haag, i Jan./Febr.: Rosenkavalier in Den i 24. Juni: Frau ohne Schatten
Düsseldorf, Köln, Mannheim, Frankfurt, Haag (9.1.), Amsterdam (10.1.), i Sommer: Arbeit am Text für
Zürich, Basel, Bern Mannheim (18.1.); Elektra in Intermezzo
i 18. Febr. – 5. März: Kopenhagen, Christiania Zürich (21. u. 26.1.), Basel (23.1.), i 11. Okt.: Schauspielmusik

(Oslo, dort Bekanntschaft mit Edvard Bern (25.1.); Ariadne in Zürich Der Bürger als Edelmann
Munch), Stockholm, Uppsala, Göteborg, (28.1.), Bern (31.1.), Basel (1.2.) TrV 228b
Kopenhagen i 4. März: Rosenkavalier
i 29. März: neuer Vertrag über Dirigierabende in Kopenhagen
1917–19 in Berlin i Mai: Don Giovanni in Bern (19.5.),
i 13.–30. Mai: Zürich, Bern, Basel, St. Gallen Basel (21.5.), St. Gallen (23.5.);
i 31. Mai – 5. Juni: Darmstadt Zauberflöte in Zürich (20.5.),
i 12. Juni: UA Palestrina von Hans Pfitzner Basel (25.5.); Elektra in Bern
in München (Bruno Walter) (24.5.), Zürich (26., 28., 29.5.)
i Sommer: Plan eines Opernzyklus »Die i 17. Dez.: 100. Vorstellung

Frau« mit »5 Comödien« Rosenkavalier in Dresden


i 8.–16. Nov.: Den Haag, Amsterdam, i Spielzeit Berlin 1917/18:

Rotterdam 10 Opern in 21 Vorstellungen;


i 29. Nov.: Professor und Leiter einer Meister- dazu 12 Konzerte mit der
klasse für Komposition an der Preußischen Hofkapelle
Akademie der Künste (bis 30.9.1920)
1918 i Frühjahr: Streit mit Bote & Bock über i Febr.: in Zürich 14./19.2. i Sechs Lieder TrV 238
versprochene Lieder Rosenkavalier; 17./21.2. Salome i Febr./Mai: Sechs Lieder
i 22. Jan.: Tee bei Bruno Walter in München, i 9. April: UA Der Bürger als Edel- TrV 235
dort wahrscheinlich einziges Zusammen- mann TrV 228b in Berlin i März/Mai: Krämerspiegel

treffen mit Thomas Mann i April: in Wien 22.4. Elektra, 24.4. TrV 236
i 10.–25. Febr.: Zürcher Strauss-Wochen Rosenkavalier, 27.4. Ariadne i Juni: Fünf kleine Lieder
i 19.–30. April: Wien; Treffen mit i Nov.: in Berlin 5.11. Rosenkavalier, TrV 237
Arthur Schnitzler und Hofmannsthal 7.11. Salome (letzte Vorstellung der
i 28. Mai: Kündigung des Berliner Vertrags Hofoper); 8.11. letztes Konzert der
i Juli: Verhandlungen über Direktion der Hofkapelle
Wiener Hofoper i Spielzeit Berlin 1918/19:
i Sommer: neuerliche Diskussion mit 13 Opern in 31 Vorstellungen;
Hofmannsthal über Operette dazu 11 Konzerte mit der
i 9.–15. Okt.: Wien, dort am 11.10. Vertrags- Hofkapelle
abschluss über künstlerische Oberleitung
der Hofoper für 5 Jahre; am 14.10.
EA Salome in der Hofoper (F. Schalk)
i Nov.: Aufnahme in den Kunstrat des Vereins

»Salzburger Festspielhausgemeinde«
i 11. Nov.: Wahl in den Künstlerrat der

Berliner Oper; zugleich deren


interimistische Leitung (bis März 1919)
i 25. Nov.: Entlassung in Berlin eingereicht
i Dez.: Verpflichtung, 1919 4 Monate

in Berlin zu dirigieren
Zeittafel XXV

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


Wien 1919–1924
1919 i April: öffentliche Kontroversen i Mai: in Wien 18.5.: Fidelio, i Jan./April: Drei Hymnen
in Wien über Strauss als Operndirektor 19.5.: Ariadne, 22.5.: Tristan, TrV 240
(»Strauss-Affäre«) 24.5.: Rosenkavalier, 26.5.: Zauber-
i 1. Mai: Berufung als künstlerischer flöte
Oberleiter der Wiener Oper zusammen i Spielzeit Berlin 1919/20:

mit Franz Schalk als Direktor zum 1.12.19 5 Konzerte mit der Hofkapelle
i 14.–27. Mai: Wien i Spielzeit Wien 1919/20:
i 18. Juli: Endgültiges Ausscheiden aus der 16 Opern in 35 Vorstellungen
Berliner Oper
i 10. Okt.: UA Frau ohne Schatten in Wien

(F. Schalk)
i 1. Dez.:, offizieller Dienstantritt in Wien
i 6. Dez.: Übersiedlung nach Wien

1920 i Febr.: von Hofmannsthal Divertissement i 2. März: letztes Konzert mit der
als Ballett ehemaligen kgl. Hofkapelle Berlin
i April: Mitunterzeichner des »Aufrufs an i 11. März: erster Rosenkavalier als

Deutschlands Musiker und Musikfreunde« künstler. Oberleiter der Wiener


i 18. April: Berliner EA der Frau ohne Schatten Oper
(L. Blech) i 26. Mai: in Wien Così fan tutte in
i 23. April: von Hofmannsthal Danae- eigener Inszenierung (und mit
Entwurf eigener Begleitung der Rezitative)
i 26. Mai. – 2. Juni: Mitwirkung bei den i Auftritte in Südamerika: Rio de

»Meisteraufführungen Wiener Musik« Janeiro: 13 Konzerte; Buenos Aires:


i Juli: Planung einer Musikhochschule in 11 Konzerte
Wien mit Strauss als Direktor i Spielzeit Wien 1920/21:

i Sommer: Diskussion einer Antiken- 18 Opern in 41 Vorstellungen


Operette mit Alfred Kerr
i 4.–12. Aug.: Reise nach Italien, von dort

12.8.–10.12. Südamerika-Tournee mit den


Wiener Philharmonikern (Rio de Janeiro,
Buenos Aires)
1921 i Sommer: Operetten-Textentwurf von Kerr i 4. Febr.: EA Josephs Legende i Sommer: Arbeit am Ballett
i Mitglied im Ehrenausschuss der »Donau- in Berlin Schlagobers TrV 243
eschinger Kammermusik-Aufführungen i Spielzeit Wien 1921/22: i 15. Juli: Partitur 1. Akt

zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst«; 17 Opern in 44 Vorstellungen Intermezzo


auch deren Ehrenprotektor;
30. Juli – 2. Aug. Besuch des 1. Kammer-
musikfestes in Donaueschingen
i 26. Okt. – 3. Jan. 1922: Nordamerika-Tour-

nee mit der Sängerin Elisabeth Schumann


(u. a. New York, Philadelphia, Chicago,
Pittsburgh, Boston, Kansas City, St. Louis,
Detroit)
1922 i Clemens Krauss bis 1924 Dirigent an der i 14.–23. Aug.: Don Giovanni i 16. Sept.: Schlagobers
Staatsoper (4-mal) und Così fan tutte (2-mal)
i Frühjahr: Kontroversen um die Opern Erich als erste Opernaufführungen bei
Wolfgang Korngolds an der Staatsoper; den Salzburger Festspielen
Übernahme der Ehrenpräsidentschaft des i Spielzeit Wien 1922/23:

Komitees zur Gründung der IGNM 17 Opern in 43 Vorstellungen


i Schirmherrschaft der 1. Internationalen

Kammermusikaufführungen in Salzburg;
Ehrenmitgliedschaft der IGNM
i Juni: Krise zwischen Strauss und Schalk
i 11.–23. Aug.: Salzburg (13.8. Ehrenmitglied-

schaft der Salzburger Festspielhausgemeinde;


19.8. Grundsteinlegung für das Festspielhaus)
i Herbst: neuer Operetten-Textentwurf

von Kerr
i 24. Nov.: Wahl zum Präsidenten

der Salzburger Festspielhausgemeinde


XXVI Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1923 i Frühjahr: Planung einer Villa in Wien, i Auftritte in Südamerika: Buenos i 6. Jan.: Tanzsuite nach
Jaquingasse Aires: Salome (5-mal), Elektra Couperin TrV 245
i März: erste Informationen Hofmannsthals (3-mal), 16 Konzerte; i 21. Aug.: Intermezzo

über die Ägyptische Helena Rio de Janeiro: 13 Konzerte; i Okt.: Beginn der Arbeit an

i 15. April – 31. Mai: Reise nach Italien São Paulo: 2 Konzerte, Die Ägyptische Helena
i 28. Mai: Vertrag mit Fürstner über Montevideo: 5 Konzerte TrV 255
Intermezzo sichert Finanzierung der Wiener i Spielzeit Wien 1923/24:

Villa. 22 Opern in 41 Vorstellungen


i 31. Mai – 16. Sept.: Südamerika-Tournee

mit Franz Schalk und den Wiener Philhar-


monikern (Rio de Janeiro, Montevideo,
São Paulo, Buenos Aires)
i 3. Juli: Ehrenmitgliedschaft der Akademie

der Schönen Künste Wien


i 29. Sept.: Treffen mit Hofmannsthal wegen

Ägyptischer Helena
i Winter: Beginn des Baus der Wiener Villa

1924 i Einstellung von Theodor Martin i Jan.: in Amsterdam 3 Konzerte i 8. Jan.: Hochzeitspräludium

als Chauffeur (bis 1944) u. 2-mal Ariadne, 1 Konzert in TrV 247


i 15. Jan.: Hochzeit Franz Strauss – Alice Grab Rotterdam
i 18.–28. Jan.: Amsterdam i Febr.: in Rom 2 Konzerte u. 4-mal

i 31. Jan. – 10. Febr.: Rom, Salome


dort am 6.2. Empfang bei Mussolini i 9. Mai: UA Schlagobers in Wien
i 1. Mai: Vertrag in Wien um 5 Jahre i Juni: in Karlsruhe Ariadne (4.6.)

verlängert und Salome (5.6.)


i 5. Mai: Ehrenbürger Wiens; Empfang im i 20. Sept.: UA Die Ruinen von

Wiener Unterrichtsministerium Athen TrV 249 in Wien


i 3.–6. Juni: Richard-Strauss-Woche i 1. Okt.: Wiener EA Der Bürger als

Karlsruhe, dort am 5.6. Ernennung zum Edelmann (zugleich letzter Auftritt


Ehrenpräsident der Gesellschaft der als Operndirektor)
Musikfreunde Donaueschingen i 5. Okt.: Salome in Bautzen

i 11. Juni: Ehrenbürger Münchens, i 9. Okt.: Dresden: deutsche EA

17.6. auch Salzburgs Schlagobers


i Ende Juni: Rücktritt als Präsident der i 17./18. Okt.: Salome in Bremen und

Salzburger Festspielhausgemeinde Bremerhaven


i 14.–20. Sept.: Mitwirkung beim »Musik-

und Theaterfest der Stadt Wien«


i 2.–20. Okt.: Breslau, Bautzen, Dresden,

Rostock, Hamburger, Bremen, Lübeck


i 20. Okt. – 9. Nov.: Richard-Strauss-Tage

Dresden
i 31. Okt.: Rücktritt vom Wiener Amt

i 4. Nov.: UA Intermezzo in Dresden

(Fritz Busch)
1925 i Jan.: Einverstanden mit Hofmannsthals i 9. März: Konzert in Madrid i 27. Jan.: Parergon zur
Vorschlag für Rosenkavalier-Film i 12., 15., 18., 19 März: Konzerte in Symphonia domestica
i 13. Febr. – 30. März: Reise mit der Familie Barcelona TrV 209a
nach Paris, Madrid, Algeciras, Sevilla, i April: Rosenkavalier in Weimar i 18. Okt.: Begleitmusik zum

Granada, Barcelona, Paris, Berlin (14.4.), in Hamburg (16.4.), Rosenkavalier-Film


i 29. März: Berliner EA Intermezzo in Breslau (24.4.); Ariadne
(Georg Szell) (1. Fassung) in Hamburg (18.4.),
i 13. April – 30. Mai: Reise nach Weimar, Intermezzo in Hamburg (19.4.),
Hamburg, Berlin, Breslau, Leipzig, Essen, Elektra in Breslau (22.4.), Salome in
Düsseldorf, Frankfurt, München, Leipzig (27.4.)
Bad Nauheim i 1. Mai: Rosenkavalier in Düsseldorf

i Frühjahr: Ablehnung der Gagenkonvention

des Deutschen Bühnenvereins; Ende Juni


für Strauss Ausnahmegenehmigung
(und Verdoppelung des Honorarsatzes)
i 14. April: Ehrenbürgerschaft von Weimar

i 11.–14. Juni: Musikfest in Köln

i 10. Okt.: Einzug in die Wiener Villa


Zeittafel XXVII

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1926 i Publikation des Briefwechsels mit i 10. Jan.: UA Rosenkavalier-Film i1. Mai: Partitur 1. Akt
Hofmannsthal in Dresden Helena
i Jan.: 1.–7.1. mit Pauline in Budapest, i 12. April: EA Rosenkavalier-Film

9.–15.1. Dresden, 16.–20.1. Berlin London


i 21. Febr. – 1. März: Berlin i 15./16. Mai: zwei Konzerte in Athen

(u. a. Strauss-Woche) vor insgesamt 100000 Menschen


i 9.–14. April: London i 21. Aug.: Ariadne in Salzburg (erste
i 8.–19. Mai: mit Franz in Griechenland; Strauss-Oper bei den Festspielen)
dort Pläne für Festspielhaus i 12.–31. Okt.: in Berlin 8 Opern-
i 7.-14. Juni: Leipzig, danach bis 5. Juli und 2 Konzertabende
Kur in Karlsbad
i 20./21. Aug.: Salzburger Festspiele

i 25. Sept.: Verpflichtung, ab 1.12.1926

fünf Jahre lang je 20 Vorstellungen an der


Wiener Staatsoper ehrenamtlich zu
dirigieren; dafür Wiener Grundstück
zum Eigentum erhalten
i 12. Okt. – 3. Nov.: Berlin

1927 i Universität Wien lehnt Ehrendoktorat für i 15. Jan.: Wiener EA Intermezzo i 14. Febr.: Panathenäenzug
Strauss ab. i März: in Dresden 5 Opernabende TrV 254
i 13.–26. März: Richard-Strauss-Tage Dresden mit eigenen Werken i 8. Okt.: Die Ägyptische
i 7.–20. Mai: mit Pauline Kur in i 31. März: Rosenkavalier in Helena
Bad Nauheim Königsberg i 19. Dez.: Die Tageszeiten für
i 20. Mai – 5. Juni: Stuttgart, Frankfurt, i Mai/Juni: Ariadne (20.5. Stuttgart, Männerchor und Orchester
Mainz, Darmstadt, Mannheim, Nürnberg 30.5. Darmstadt), Elektra TrV 256
i 16. Juli – 3. Aug.: Kur in Bad Gastein (23.5. Frankfurt, 4.6. Nürnberg), i Dez.: Beginn der Arbeit an
i 20.–29. Aug.: Strauss-Woche in Frankfurt Rosenkavalier (28.5. Mainz), Salome Arabella TrV 263
i 1. Nov.: Geburt des ersten Enkels (1.6. Mannheim)
Richard Strauss i Aug.: in Frankfurt 6 Opernabende

i 10. Nov. – 4. Dez.: Gotha, Mannheim, mit eigenen Werken


Bremen, Dresden i Nov.-Dez.: Ariadne (12.11. Gotha,
i 16. Dez.: Hofmannsthal erzählt Arabella- 24.11. Bremen), Rosenkavalier
Stoff. (16.11. Mannheim, 22.11. Bremen,
27.11. Dresden), Intermezzo
(18.11. Mannheim), Salome
(20.11. Mannheim, 1.12. Dresden),
Elektra (29.11. Dresden),
Frau ohne Schatten (4.12. Dresden)
1928 i 4. März – 1. April: Mailand i März: in Mailand 12 Opernabende, i Aug./Sept.: Gesänge des
i 22.–30. April: Berlin, dort u. a. Diner bei davon 8 mit eigenen Werken Orients TrV 257
Reichsaußenminister Gustav Stresemann i 23. April: Festkonzert zum 25. Ge-

und Frühstück beim preuß. Kultusminister burtstag der GDT in Berlin; außer-
Carl H. Becker dem in Berlin im April 4 Opern-
i 1.–20. Mai: Kur in Karlsbad abende mit eigenen Werken
i 28. Mai – 7. Juni: Dresden, dort am 6.6. UA i 11. Juni: Wiener EA Ägyptische

Ägyptische Helena (Fritz Busch) Helena


i 1.–7. Okt.: Berlin, dort am 6.10. EA i Dez.: in Berlin 8 Opernabende

Ägyptische Helena (L. Blech)


i Dez.: 2.–13.12. Berlin, 13.12. Magdeburg,

15.-21.12. Berlin
1929 i 29. April – 27. Mai: Brioni, Venedig i 11. Jan.: Rosenkavalier in Preßburg i 9. März: Austria für
i 29.–31. Mai: Aachen i 24./26. März: Intermezzo u. Elektra Orchester u. Männerchor
i 1.–13. Juni: Berliner Strauss-Festwochen in Frankfurt TrV 259
i 13. Juni – 5. Juli: Kur in Karlsbad und i 30. Mai: Rosenkavalier in Aachen

Joachimsthal i 1.–13. Juni in Berlin: Rosenkavalier


i 10. Juli: Hofmannsthal übersendet 1. Akt (2-mal), Salome, Intermezzo,
Arabella. Elektra, Frau ohne Schatten,
i 15. Juli: Tod Hofmannsthals Ägyptische Helena
i Sept.: Rücktritt vom Vorsitz der GDT i 22. Okt.: Intermezzo in Nürnberg
i 1.–15. Nov.: Mannheim, Frankfurt, i Nov.: in Wiesbaden Intermezzo

Wiesbaden (12.11.), Rosenkavalier (14.11.)


XXVIII Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1929 i 20. Nov. – 22. Dez.: mit Pauline nach Rom,

Taormina, Florenz
1930 i 26. April: Ehrenbürger der Insel Naxos i 3. Mai: Intermezzo in Kassel i 28. Sept.: Bearbeitung von
i 1.–26. Mai: Kassel, Wiesbaden, Chemnitz, i Mai: in Wiesbaden ein Konzert Mozarts Idomeneo TrV 262
Dresden sowie Salome (8.5.), Intermezzo
i 18. Juni: Ernennung zum Ehrenpräsidenten (10.5.), Rosenkavalier (11.5.)
der GDT nach deren Fusion mit GEMA i Mai: in Dresden Helena (16.5.),

und AKM zum Musikschutzbund Frau ohne Schatten (21.5.), Elektra


i 18.–29. Juni: Strauss-Zyklus in Berlin (23.5.), Intermezzo (25.5.)
i 6. Okt. – 7. Nov.: Dresden, Mannheim, i 18. Mai: Frau ohne Schatten in

Frankfurt, Paris, Brüssel, Paris Chemnitz


i 18.–29. Juni in Berlin: Elektra,

Rosenkavalier, Salome,
Ägyptische Helena, Intermezzo,
Frau ohne Schatten
i 9./11. Okt.: Salome in Dresden
i 29. Okt.: Rosenkavalier in Paris

i 5. Nov.: Salome in Paris

1931 i 29. März – 9. April: mit Pauline in Venedig i 16. April: Wiener EA der

und Triest Idomeneo-Bearbeitung


i 1.–6. Mai: Stuttgart i 29. April: letztes vertragliches

i 19. Mai: Verleihung des Ehrenzeichens der Konzert in Wien (Idomeneo)


Österreichischen Republik i 27. Sept.: Frau ohne Schatten in
i 1.–3. Juni: Richard-Strauss-Fest Innsbruck Karlsruhe
i 20. Juni – 15. Juli: Kur in der Schweiz i 7. Okt.: Elektra in Mannheim
i 24. Sept. – 25. Okt.: Karlsruhe (bis 27.9.),

Mannheim (bis 29.9.), Frankfurt (bis 3.10.),


Mannheim (bis 8.10.), Hamburg (bis 12.10.),
London (bis 22.10.)
i Okt.: Bekanntschaft mit Stefan Zweig
i 20. Nov.: Gespräch mit Zweig in München

1932 i 14.–23. Febr.: Strauss-Woche in München i Febr.: Helena (14.2.), Elektra (16.2.), i 6. März: Partitur 1. Akt
i 27. Febr.: Geburt des zweiten Enkels Intermezzo (20.2.), Ariadne (23.2.) Arabella
Christian Strauss in München i 16. Sept.: Orchestersuite

i 12.–15. März: Turin i Aug.: 2 Konzerte sowie 2-mal Schlagobers TrV 243a
i März/April: Florenz, Genua, Mailand Fidelio in Salzburg i Sept.: Beginn der Arbeit an
i 25.–30. April: Karlsruhe und Nürnberg i Okt.: 1 Konzert sowie Rosen- Die schweigsame Frau
i 1.–5. Mai: Berlin kavalier, Salome und Ägyptische TrV 265
i 17. Juni – 14. Juli: Kur in Baden Helena in Budapest i 12. Okt.: Arabella

i 24. Juni: Begeisterte Reaktion auf Zweigs i 1. Dez.: Frau ohne Schatten

Entwurf Die schweigsame Frau in Zürich


i 20.–31. Aug.: Salzburger Festspiele; i 3. Dez.: Salome in Karlsruhe

Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der i 5. Dez.: Ägyptische Helena

Salzburger Festspielhausgemeinde in Straßburg


i 20. Okt. – 1. Nov.: Budapest i 25./28. Dez.: Konzerte in Rom
i 28. Nov. – 2. Dez.: Zürich
i 21. Dez. – 9. Jan. 1933: Rom, Neapel
i 27. Dez.: Audienz mit Sohn Franz

bei Mussolini
1933 i 1./2. Febr.: Begegnung mit Stefan Zweig i 3., 5., 7. Jan.: Rosenkavalier

i 7.–14. Febr.: Reise nach Dresden in Neapel, San Carlo


i 17. März: Ehrenmitgliedschaft der i 13. Febr.: Tristan in Dresden

Frankfurter Museums-Gesellschaft zu Wagners 50. Todestag


i 16.–25. März: Berlin, dort 22. März Elektra i 19./20. März: 2 Konzerte mit den

(W. Furtwängler) im Beisein von Hitler Berliner Philharmonikern


und Göring (anstelle von Bruno Walter)
i 16./17. April: Mitunterzeichner des i 29. Juli: Fidelio in Salzburg

»Protestes der Richard-Wagner-Stadt i Juli–Aug.: 5-mal Parsifal in

München« gegen Thomas Mann Bayreuth (anstelle von Toscanini)


i 1. Juli: UA Arabella in Dresden (C. Krauss) i 15. Nov.: Festliches Präludium

mit Rundfunkübertragung in Berlin


Zeittafel XXIX

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1933 i 3. Juli: Meldung in der »Wiener Sonn- und i 19. Nov.: Frankfurt EA Arabella i15. Jan.: »Wiener Fassung«
Montagszeitung« über angebliche Scheidung von Helena eingerichtet
von Franz und Alice Strauss
i Juli – Aug.: Bayreuther Festspiele (Parsifal);

am 22.7. Treffen mit Hitler,


am 23.7. mit Goebbels
i 14. Aug.: erste Aufführung der »Wiener

Fassung« der Ägyptischen Helena (C. Krauss)


i Sept.: Gleichschaltung der deutschen

Urheberrechtsgesellschaften durch
Gründung der STAGMA
i 12. Okt.: Berliner EA Arabella

(W. Furtwängler)
i 21. Okt.: Wiener EA Arabella (C. Krauss)
i 15. Nov.: Ernennung zum Präsidenten der

RMK u. Staatsakt in Berlin


i 4.(?) Dez.: längeres Gespräch mit Hitler

in Berlin
1934 i 6.–19. Febr.: Berlin, dort 7. u. 12.2. i Juni: 3 Opernabende (Ariadne, i 19. Jan.: Partitur 1. Akt
Gespräche mit Goebbels; 13.2. Eröffnung Arabella, Intermezzo) Die schweigsame Frau
der 1. Tagung der RMK; abends in Gesell- und 1 Konzertabend in Berlin i 10. Juli: Beendigung der

schaft u. a. mit Hitler; 14.2. Elektra; i 22. Juli, 1. u. 3. Aug.: Parsifal neuen Bearbeitung von
15.2. Empfang bei Göring; 16.2. Arabella in Bayreuth Guntram TrV 168a
i 11.–15. April: Basel und Winterthur i 11. Nov.: Arabella in Magdeburg i 20. Okt.: Die schweigsame
i 21.–23. April: Berlin, dort am 23.4. i 19. Nov.: Arabella in Hamburg Frau (außer Ouvertüre)
Präsidiumssitzung der RMK i 24. Nov.: Frau ohne Schatten i 22. Dez.: Olympische Hymne
i 25. April: Erlass von »Richtlinien für die in Hamburg TrV 266
Aufnahme von Nichtariern in die Fach- i 1. Dez.: Arabella in Amsterdam

verbände der RMK« i 3. Dez. Ariadne in Düsseldorf

i 24. April – 2. Juni: Reise nach Leipzig, i 4. Dez. Arabella in Düsseldorf

Zürich, Bad Kissingen, Weimar, Dresden


i 25. Mai: Verbot der Mitwirkung als Dirigent

bei den Salzburger Festspielen aus politi-


schen Gründen
i 2.–10. Juni: Strauss-Woche in Berlin

i 6. Juni: Präsident des neu gegründeten

SRZK
i 11. Juni: Festakt in Dresden zum 70. Ge-

burtstag, Verleihung der Ehrenbürgerschaft


i zum 70. Geburtstag Verleihung des

»Adlerschilds des Deutschen Reiches«


i Juli/Aug.: Bayreuther Festspiele (Parsifal)

i 17. Aug.: Gespräch mit Zweig in Salzburg

über neues einaktiges Festspiel


i 18. Aug.: Mitunterzeichner des »Aufrufs der

Kulturschaffenden« für die Übertragung des


Reichspräsidentenamts an Hitler
i 21. Aug.: Zweig übersendet Entwurf

Friedenstag.
i 23. Aug.: erste Erwähnung von de Castis

Prima la musica, poi le parole durch Zweig


i 8.–14. Sept.: Internationales Musikfest

in Venedig
i 17.–25. Nov.: Strauss-Woche in Hamburg

i 26. Nov. – 2. Dez.: Reise nach Amsterdam,

dort am 30.11. Verleihung des Großkreuzes


des Oranienordens
i 10. Dez.: Gratuliert Goebbels zur

Kulturrede.
XXX Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1935 i 8. Jan.: Brief an Joseph Gregor über dessen i 15. März: letztes Konzert mit i 17. Jan.: Ouvertüre

Weltgeschichte des Theaters Berliner Staatskapelle Die schweigsame Frau


i 20. Febr.: Absage der Teilnahme am i 2. Sept.: Vichy: Konzert mit i 6. Febr.: Die Göttin im

Hamburger Musikfest des SRZK wegen Eulenspiegel, Don Juan und Dukas’ Putzzimmer TrV 267
Nichtberücksichtigung von Dukas’ Oper Zauberlehrling i Aug./Okt.: Drei Männer-

Ariane et Barbe-Bleue i 5. Nov.: Symphonie f-Moll im chöre TrV 270


i 23. Febr.: Zweig lehnt weitere Arbeit für Rundfunk als erste Richard- i Sept./Okt.: Beginn der

Strauss ab. Strauss-Reichssendung Arbeit an Friedenstag


i April: Goebbels lehnt Aufführung weiterer i 13. Nov.: letztmalig Tristan TrV 271
Opern von Zweig ab. (in München) i Dez.: Beginn der Arbeit an
i 12.–31. März: Berlin, dort am 29.3. bei Hitler Daphne TrV 272
Vorspiel der Olympischen Hymne und
Schenkung des Manuskripts; 30.3. Neu-
inszenierung Helena im Beisein Hitlers und
der Regierungsspitzen
i 26. April: Zweig empfiehlt Gregor als neuen

Mitarbeiter.
i Juni: erster Entwurf für »Prima la musica«

durch Gregor/Zweig
i 2. Juni: letztes Gespräch mit Zweig

in Bregenz
i 9. Juni: keine Einladung nach Bayreuth

auf Wunsch Hitlers


i 17. Juni: Brief an Zweig durch Gestapo

abgefangen
i 24. Juni: UA Die schweigsame Frau

in Dresden (K. Böhm)


i 6. Juli: erzwungener Rücktritt von allen

Ämtern (am 9.7. von Goebbels angenom-


men, am 13.7. verkündet)
i 7. Juli: Gregor präsentiert in Berchtesgaden

Entwürfe zu Friedenstag, Daphne und


Danae.
i 8. Juli: dritte und letzte Aufführung der

Schweigsamen Frau in Dresden


i 13. Juli: Rechtfertigungsbriefe an Hitler u.

Goebbels
i Sommer/Herbst: mit Gregor mühsame

Arbeit am Text von Friedenstag; schwere


Depressionen
i 31. Aug. – 10. Sept.: Musikfest des SRZK

in Vichy
i 15.–30. Sept.: Kur in Bad Kissingen mit

Pauline
1936 i 18. Febr. – 7. April: Reise nach Nervi, i 27. Febr.: EA Arabella in Genua i 16. Juni: Friedenstag
Genua, Monte Carlo, Mailand, Marseille, i 23. März: Salome in Antwerpen
Antwerpen, Paris, Köln i 25. März: Ariadne in Antwerpen
i 26. Febr.: Treffen mit Gerhart Hauptmann i 27. März: Salome in Paris

in Rapallo i 1. April: Rosenkavalier in Paris

i 11. März: EA Schweigsame Frau in Mailand i Juni: in Zürich Ballettabend (3.6.)


i 17. Mai – 1. Juni: Kur in Bad Kissingen sowie 2-mal Arabella (6.6., 8.6.)
mit Pauline i 1. Aug.: Olympische Hymne zur

i 1.–9. Juni: Strauss-Woche in Zürich Eröffnung der Olympischen Spiele


i 23. Juni: Strauss weist Gregor auf in Berlin
Hofmannsthals Danae-Entwurf hin. i Nov.: in London Konzerte (3.11.,

i 10. Juli: Gregor soll auch »Prima la musica« 5.11. 7.11.) sowie Ariadne (6.11.)
ausarbeiten i 10. Dez.: Frau ohne Schatten

i 30. Okt. – 7. Nov.: Reise mit Franz über in Breslau


Düsseldorf nach London, dort am 5.11. i 13. Dez.: Kraft-durch-Freude-Kon-

Verleihung der Goldmedaille der zert in der Berliner Deutschland-


Philharmonic Society halle
Zeittafel XXXI

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1936 i 15.–27. Nov.: mit Pauline in Rom; i

dort 23.11. Empfang bei Mussolini


i 16. Dez.: Gespräch mit Gregor über Danae

in Salzburg
1937 i Auflösung des ADMV i 27. Juli: Der fliegende Holländer i Frühjahr: Beginn der Arbeit
i 10. Febr.: erster Besuch von Willi Schuh in München an Die Liebe der Danae
in Garmisch TrV 278
i Frühjahr: Arbeit mit Gregor am Danae-Text i 24. Dez.: Daphne
i Mai: Gespräche mit Clemens Krauss über

Daphne-Schluss
i 18. Juli: Eröffnung des Hauses der deutschen

Kunst in München (am 17. u. 19.7.


Begegnungen mit Goebbels)
i 2.–21. Aug.: Sanatorium in Partenkirchen
i Sept.: Kuraufenthalt in Bonn

i 2. Okt.: Reise nach Meran, danach über

Rom nach Sizilien (bis 20. Febr. 1938)


i seit Dez.: Clemens Krauss in Danae-

Konzeption involviert
1938 i 20. Febr. – 2. Mai: Reisen: Neapel, Nervi, i 1. März: Feuersnot in Genua
Meran, Rom, Venedig i 27. Mai: Arabella in Düsseldorf
i 25.–31. Mai: Reichsmusiktage in Düsseldorf

mit Eröffnung der Ausstellung »Entartete


Musik«
i 8. Juli: Eröffnung »Tag der Deutschen

Kunst« in München
i 24. Juli: UA Friedenstag in München

(C. Krauss)
i 15. Okt.: UA Daphne in Dresden

(K. Böhm), zusammen mit Dresdner EA


Friedenstag
i Nov.: zeitweiliger Hausarrest für

Alice Strauss
i 17. Dez.: Bitte an Tietjen, sich bei Göring

und Hitler für den Schutz von Alice und


den Enkeln zu verwenden
1939 i Aufgeben des Rauchens i 8. April: letztes Konzert in Weimar i 3. Jan.: Gelegenheitswalzer
i Mai: Gregor beginnt mit der Arbeit i 17. April: Konzert der Philharmo- München TrV 274
an Capriccio. niker in Berlin mit eigenen Werken i 21. März: Die Liebe der

i 7.–21. Mai: Luxemburg, Düsseldorf i 18./20. Mai: Salome in Zürich Danae


(Reichsmusiktage), Zürich i 11. Juni: Philharmonisches Festkon- i Sept.: Beginn der Arbeit an

i 4.–12. Juni: Wien, dort 5.6. Eröffnung einer zert in Wien zum 75. Geburtstag Capriccio TrV 279
Theaterausstellung sowie der Reichstheater- i 13. Juni: Ariadne in Dresden

woche in der Oper; 10.6. Friedenstag i 16. Juni. Arabella in Dresden

(C. Krauss) im Beisein von Hitler und (letzter Auftritt in Dresden)


Goebbels
i 13.–19. Juni: Dresden
i 16. Aug.: Ablehnung von Gregors (viertem)

Entwurf zu Capriccio
i Sept.: Einbindung von Krauss in die Arbeit

an Capriccio
i 26. Okt.: Zusammenarbeit mit Gregor an

Capriccio beendet; Weiterarbeit am Text


allein mit Krauss, auch mit dem Dirigenten
Hans Swarowsky
1940 i 15. März – 20. Mai: Reise nach Meran und i 9. Juni: Arabella in Berlin i 22. April: Japanische Fest-
Venedig i 5. Okt.: Arabella in Nürnberg musik TrV 277
i 7.–13. Juni: Berlin, dort 11.6. Überreichung i Sept./Dez.: Divertimento

der Partitur der Festmusik an den TrV 245b (1-5)


japanischen Botschafter; abends Elektra
(H. von Karajan)
XXXII Zeittafel

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1940 i 3.–6. Okt.: Nürnberg

i 25.–30. Okt.: Weimar, dort 29.10. UA

Neufassung Guntram (P. Sixt)


1941 i 28. Febr.: in Berlin deprimierende Unter- i 3. Juni: Alpensinfonie in München i Arbeit an Symphonischer

redung mit Goebbels über die STAGMA für den gleichnamigen Tonfilm der Dichtung »Die Donau«
i Frühjahr: erfolgreiche Beschwerde gegen Tobis TrV 284 (bis 1942)
den drohenden Entzug der Jagd von Franz i 2. Dez.: Idomeneo-Bearbeitung im i 3. Aug.: Capriccio
Strauss Rahmen der Mozart-Festwoche i Sept.: Divertimento (6–8)
i Aug.: Erhält Benzingutscheine für Reise Wien
nach Meran (18. 10.; Weiterreise nach Wien
am 7./8.11.).
1942 i 10.–14. Febr.: mehrfach Treffen mit i 15. Febr.: Salome in Wien i 28. Nov.: 2. Hornkonzert

G. Hauptmann in Wien (ebenso 5. u. 23. März) TrV 283


i 10.–19. Juni: Berlin, dort 14./15.6. Sitzungen i 16. April: Konzert im Konzerthaus

der SRZK; Wiederwahl als Präsident für Wien


fünf Jahre; Empfang bei Goebbels i 6. Mai: Salome in Wien
i Sommer: Vergebliche Versuche, Alices i 13. Mai: Salome in München

Verwandte vor dem Konzentrationslager i 16. Mai: erstmals Daphne

Theresienstadt zu retten in München


i 6.–10. Aug.: Salzburg, dort am 9.8. Arabella i 7. Aug.: Mozart-Konzert

(C. Krauss) im Mozarteum Salzburg


i 21. Sept. – 19. Okt.: Reise in die Schweiz i 29. Okt.: Daphne in München

nach Baden (Kur) und Zürich (letzter Auftritt im National-


i 19.–30. Okt.: München theater)
i 28. Okt.: UA Capriccio in München

(C. Krauss)
i 16. Dez.: Verleihung des Beethovenpreises

der Stadt Wien


1943 i Überlegungen zur Räumung von Bildern i 9. April: UA Festmusik der Stadt i 14. Jan.: Festmusik der Stadt

und Gobelins aus dem Wiener Haus Wien TrV 286 in Wien Wien TrV 286
i März/April: Lungenentzündung Pauline i 6. Aug.: Mozart-Konzert im i 23. Juli: Sonatine für

i 21. Juni: Übersiedelung nach Garmisch Mozarteum (letztes Dirigat in 16 Bläser »Aus der Werkstatt
i 3.–9. Aug.: Salzburger Festspiele Salzburg) des Invaliden« TrV 288
(keine Teilnahme an der UA des i 25. Aug.: Konzert des Reichs- i 13. Nov.: An den Baum

2. Hornkonzerts am 11.8.) senders München im Odeon Daphne TrV 272a


i 30. Aug.: Besuch einer Kommission zur i 3. Nov.: Wer tritt herein

Regelung von Evakuierung oder Ein- TrV 289 für Hans Frank
quartierung
i 2./3. Okt.: Zerstörung des Münchner

Nationaltheaters
i 8. Okt.: Besuch von Hans Frank

i 30. Okt.: Beschlagnahme von Räumen in

Garmischer Villa
i 3. Nov.: Intervention von Hans Frank:

lediglich Beschlagnahme von zwei Zimmern


der Kinderwohnung außerhalb der Villa
1944 i 14. Jan.: Verbot persönlicher Beziehungen i 11. Juni: zum 80. Geburtstag i 9. Jan./6. März: 2. Sonatine

führender Parteigenossen zu Richard Strauss Till Eulenspiegel und Symphonia »Fröhliche Werkstatt«
i 16. Jan.: Bitte an Hitler, die Villa von domestica in Wien (letztmalig im TrV 291: Finale und Kopf-
Evakuierungen freizuhalten Musikvereinssaal) satz
i 23.–29. Mai: letztmalig bei Strauss-Woche i Sept.: Arbeit an Metamor-

in Dresden phosen TrV 290


i 1.–15. Juni: Konzerte und Opern zum i 15. Nov.: Einleitung und

80. Geburtstag in Wien Walzer aus Rosenkavalier


i 18. Juni: keine Ausreise zur Kur in die TrV 227c
Schweiz
i 11.–28. Juli: Besuch der Schwester Johanna
i 29. Juli: Absage des »Salzburger Theater-

und Musiksommers«
i 1. Aug.: Einstellung des gesamten Kultur-

lebens im Reich
Zeittafel XXXIII

Jahr Biographisches Konzerte und Dirigate Werke


1944 i Aug.: Auftrag (über K. Böhm vermittelt)

von Paul Sacher für ein Streicherstück


i Aug.: Salzburg, dort am 16.8. Generalprobe

Die Liebe der Danae (C. Krauss)


i 1. Sept.: Schließung aller deutschen Theater

1945 i 12. Febr.: Abschriften von drei Ton- i 24. Febr.: Gedächtniswalzer

dichtungen München TrV 274a


i 13. Febr.: Zerstörung der Dresdner Oper i 12. April: Metamorphosen
i 30. April: Einmarsch amerikanischer i 10./22. Juni: 2. Sonatine:

Truppen in Garmisch Andantino und Menuet


i 6. Juli: Besuch des amerikanischen Soldaten i 25. Okt.: Oboenkonzert

John de Lancie in Garmisch; Anregung für TrV 292


Oboenkonzert
i 18. Aug.: 2. Kopie der Eulenspiegel-Partitur
i 10. Okt.: Einreise in die Schweiz

i 11. Okt. – 15. März 1946: mit Pauline

in Baden
i 31. Dez.: Besuch von Ernst Roth als

Vertreter des Verlags Boosey & Hawkes


1946 i 25. Jan.: UA Metamorphosen in Zürich i 24. Jan.: Probe der Metamorphosen i April: Beginn der Arbeit an

(P. Sacher) in Zürich den »Vier letzten Liedern«


i 1. Febr.: Arabella (V. Reinshagen) in Zürich TrV 296
i 6. Febr.: UA Oboenkonzert in Zürich i 30. Mai: Symphonische
i 15. März – 26. Aug.: Ouchy Fantasie aus Die Frau ohne
i 19./20. März: Proben zur 2. Bläsersonatine Schatten TrV 234a
in Winterthur (H. Scherchen) i 16. Okt.: Idee zu einem
i 6. Juli: Anfertigung einer Verkaufsliste von Doppelkonzert für Klari-
Manuskript-Partituren zur Bestreitung des nette u. Fagott
Schweizer Lebensunterhalts
i 14. Aug.: Ein Heldenleben in Zürich

(V. Andreae)
i 17.–23. Sept.: Luzern
i 5. Okt. – 16. März 1947: Baden

1947 i 31. Jan.: Verleihung der österr. Staatsbürger- i 11. Juni: Rundfunkkonzert i Arbeit an der Schuloper
schaft i 19. u. 29. Okt.: je ein Konzert in »Des Esels Schatten«
i 18. März: Salome in Bern (O. Ackermann) London (letzte öffentliche Auftritte TrV 294 (bis 1948)
i 29. März – 13. Juni: Lugano, danach bis als Dirigent) i 4. Febr.: Symphonisches

15. Sept. Pontresina, bis 30. Sept. Zürich, Fragment aus Josephs Legende
bis 4. Okt. Montreux TrV 231a
i 10. Juli: Kompositionsanregung durch i 16. Dez.: Duett-Concertino

Otmar Nussio TrV 293


i 4.–31. Okt.: Richard-Strauss-Festival

London
i 1. Nov. – 31. Jan. 1948: Montreux

1948 i 31. Jan. – Ende März: Lausanne; i Mai–Sept.: »Vier letzte


April – 25. Juni: Montreux; Lieder«
26.–30. Juni: Zürich; i 23. Nov.: Malven TrV 297

1. Juli – 25. Aug.: Pontresina;


26. Aug. – 14. Dez.: Montreux
i 7. Juni: Entlastung durch die Garmischer

Spruchkammer
i 15. Dez. – 1. Febr. 1949: Klinik in Lausanne,

Blasenoperation
1949 i 1. Febr. – 9. Mai: Montreux i 10. Juni: in München Finale 2. Akt
(6.–24.4. Klinik) Rosenkavalier (für den Film
i 9./10. Mai: Rückreise über Zürich Ein Leben für die Musik)
nach Garmisch i 13. Juli: letztes Dirigieren für den
i 8. Juni: Ehrenbürger Bayreuths Film Capriccio
i 11. Juni: Dr. jur. e.h. der Universität

München; Ehrenbürger Garmischs


i 8. Sept.: Tod in Garmisch
EINLEITUNG
2

Strauss-Bilder
Von Walter Werbeck

Richard-Strauss-Bilder gibt es nicht wenige. Man- einflussreichen und von Strauss gefürchteten Paul
che wie das Bild des eher dem schnöden Mammon Bekker standen zahllose andere gegenüber, die
als der hohen Kunst verpflichteten und am liebs- Strauss zum Klassiker erhoben (s. Kap. 26) –, so
ten skatspielenden Bajuwaren sind zum Klischee errang spätestens Theodor W. Adorno 1964 mit
geronnen. Ähnlich stabil hat sich, trotz wachsen- seinem Essay zum 100. Geburtstag des Kompo-
der Skepsis, das Bild des Verräters an der musika- nisten die Hoheit über eine zwischen Faszination
lischen Moderne gehalten, während das Bild des und Verdammung oszillierende Strauss-Deutung,
NS-Musikfunktionärs in den letzten Jahren zu- und Carl Dahlhaus, der bis 1989 einflussreichste
nehmend an Konturen gewonnen hat. Noch wei- Musikologe deutscher Sprache, gab dem Narrativ
tere Bilder gäbe es in dieser Einleitung vorzustel- die definitive Form, als er 1980 schrieb, der Rosen-
len, doch sei der Leser dazu auf die weiteren Texte kavalier sei von einem zeitgleichen Werk wie
des Handbuchs verwiesen. Im Folgenden sollen Schönbergs Pierrot lunaire »durch eine Kluft ge-
nur wenige Strauss-Bilder näher betrachtet wer- schieden, die unüberbrückbar erscheint. Die
den: einige wie der Familienmensch, der Ge- Moderne spaltet sich […] in Neue Musik und
schäftsmann und der Politiker, um sie zu ergänzen, Klassizismus« (Dahlhaus 1980, 282). Daran gab es
andere, wie der Verräter an der Moderne, um sie scheinbar nichts zu zweifeln, lediglich über die
zu korrigieren. Mit letzterem Bild soll der Anfang Frage, ob Strauss sich nicht vielleicht doch erst
gemacht werden. mit der Frau ohne Schatten von der Moderne
verabschiedet hatte, wurde diskutiert (Walter
2000, 243; Danuser 1984, 85). Aber noch 2000
konnte man bei Udo Bermbach lesen, der Rosen-
Konservativer Modernist kavalier habe den »mit Salome und Elektra zuvor
erhobenen avantgardistischen Anspruch« konter-
Lange dominierte das Bild vom Wagnerianer kariert, schon weil Hofmannsthals Libretto mit
Strauss, der, durch Alexander Ritter um 1885 be- seiner »Plattheit und intellektuellen Anspruchslo-
kehrt und mit seinen Tondichtungen schlagartig sigkeit nur als Kapitulation vor dem Unterhal-
an der Spitze des Fortschritts marschierend, in tungsverlangen eines anspruchslosen Publikum
den Einaktern Salome (1905) und Elektra (1909) verstanden werden« könne (Bermbach 2000, 6):
konsequent der Moderne die Bahn geebnet habe, ein Argument, dessen Brüchigkeit sich längst
um sie danach, mit der »klassizistischen« Wen- angedeutet hatte (vgl. Kap. 26). Bei manchen
dung im Rosenkavalier, geradewegs zu verraten Autoren – Thomas Mann wäre zu nennen (Vaget
und mit seinen weiteren Opern das 19. Jahrhun- 2006, 189 f.), in jüngster Zeit der ähnlich argu-
dert überflüssig zu verlängern. War eine derartige mentierende Gerhard Splitt (Splitt 1987) – waren
Sichtweise zu Lebzeiten des Komponisten durch- derartige Werturteile auch biographisch kontami-
aus umstritten – kritischen Autoren wie etwa dem niert. Je mehr man Strauss’ antidemokratische,
Strauss-Bilder 3

nationalistische Neigungen und seine Einlassun- schreibt, hat sich keineswegs eo ipso aus einer
gen mit dem NS-Regime verurteilte, desto leich- Musikgeschichte, deren Telos zweifelhaft gewor-
ter fiel es, auch über seine Werke den Stab zu den ist, verabschiedet. Doch gerade weil die
brechen und selbst in den frühen Tondichtungen Strauss-Verächter über Jahrzehnte auf eine kriti-
aus der Kaiserzeit Vorzeichen des braunen Terrors sche Sichtung seiner Partituren nach dem Rosen-
auszumachen. kavalier verzichteten und ihre Vorurteile pflegten,
Strauss selbst scheint das eingangs skizzierte bleibt der Blick auf die Musik eine unverändert
Bild zu stützen. Am 9. Februar 1889 – er arbeitete aktuelle Aufgabe.
gerade an seiner dritten Tondichtung Tod und Seine Tondichtungen (vgl. Kap. 21), sympho-
Verklärung – bezeichnete er sich als »musikalischen nische Programmmusik in der Nachfolge von
Fortschrittler (äußerste Linke)« (Strauss 1996, 125); Berlioz und vor allem Liszt, komponierte Strauss,
Pfingsten 1907 – Elektra lag auf dem Schreib- um sich auf das Schreiben von Musikdramen im
tisch – proklamierte er den »naturnotwendigen Sinne Wagners vorzubereiten. Hier entwickelte er
Prozeß des Fortschritts« (Strauss 1981, 15). In den seinen persönlichen, rasch als ultramodern gefei-
1920er Jahren hingegen diffamierte er (wenngleich erten wie geschmähten Stil: mit einer Musik,
privat) atonale Komponisten und deren Sympa- deren klangliche Raffinesse wie instrumentale
thisanten als »Bolschewiken« (John 1994, 104) und Virtuosität noch diejenige Wagners übertraf, in
mokierte sich in einem Brief an Alma Mahler über der neben dem Klang auch Parameter wie Tempo
Schönberg, dem »nur mehr der Irrenarzt helfen« und Dynamik zu primären Kategorien der Form
könne (Schäfers 2001, 123). Doch belegen derar- avancierten, ohne freilich die noch immer domi-
tige Äußerungen nur, dass Strauss sich zunächst nierenden Eigenschaften des Tonsatzes, Melodie
einigermaßen sicher war, mit dem von ihm propa- und Harmonie, in ihrer Bedeutung zu beschnei-
gierten Fortschritt einem musikalischen Main- den, und in der zentrale instrumentale Formen
stream anzugehören, während er später Konkur- wie Sonate, Rondo und Variation zu immer
renten sah, die ihm seine Vorherrschaft streitig neuen Lösungen kombiniert wurden. Liszt fol-
machten und mit deren Fortschritt er nichts zu gend erhielt jedes Stück ein eigenes Programm
tun haben wollte. Da Strauss aber dem historisch- und eine eigene Form, und deren Realisierung
ästhetischen Konzept Schönbergs, dessen Sen- hing wesentlich von einer aktiven, synthetischen
dungsbewusstsein ihm ebenso fehlte wie dessen Hörhaltung des Publikums ab. Strauss setzte auf
pädagogischer Eros, kein eigenes öffentlichkeits- eine Psychologisierung der Form, weil er wie
wirksam entgegensetzte, nahm man seine Vorstel- Wagner seinem Publikum mit seiner Musik einen
lungen einer sinnvollen Musik im 20. Jahrhundert Gehalt »mitteilen« wollte. Um das Verständnis
kaum oder gar nicht wahr. Aufklärung erhoffte der Mitteilung zu erleichtern, zielte Strauss neben
Strauss durch seinen Biographen Willi Schuh, der höchster Plastizität, höchster Bestimmtheit des
allerdings in seiner erst 1976 publizierten Darstel- Tonsatzes stets auch auf formale Orientierungs-
lung über die Jahre bis 1899 nicht hinauskam und punkte: klare Themenkontraste, Durchführun-
auf ästhetische Diskussionen verzichtete. gen als Verwicklungen, deutliche Reprisen und
Strauss sprach in seinen Werken. Erst ihre triumphierende wie verlöschende Schlüsse. Es ist
kritische Analyse kann, wenn überhaupt, zu einer wichtig, sich diese Spezifika der Musik ebenso wie
Revision des für Strauss so fatalen Bildes vom die aktive Einbeziehung des Publikums zu ver-
Verräter an der Moderne führen – fatal, weil es gegenwärtigen, weil beide Elemente in den
die wissenschaftliche Beschäftigung mit seiner Opern wiederkehren. Das gilt cum grano salis
Musik ebenso lähmte wie die Bereitschaft von auch für den inhaltlichen Kern der jeweils vermit-
Opernintendanten, seine Werke nach der Frau telten Botschaft: die Auseinandersetzung zwi-
ohne Schatten in ihre Spielpläne aufzunehmen. schen einem Individuum, einem Menschen mit
Zwar wird das Bild einer musikalischen Moderne, Ecken und Kanten (der künstlerische, heroische,
die, Adorno folgend, eindimensional dem jewei- anarchische wie verrückte Züge tragen kann)
ligen Stand des Materials entsprechen müsse, mit einer Gesellschaft von bornierten Philistern,
schon länger nicht mehr akzeptiert; wer tonal die nach verstaubten Gesetzen leben und jegli-
4 Einleitung

che Kreativität, jeglichen Sinn für wahre Kunst, ebenso wie des Einakters, auf den Strauss noch
aber auch für wahre Menschlichkeit verloren ha- mehrfach zurückgreifen sollte, es steht zudem mit
ben. seinen zahlreichen, durchaus parodistisch gemein-
Hinzu kommt ein Weiteres: die Emanzipation ten Zitaten (einschließlich Münchner Lieder) und
von einem christlichen gefärbten Wagnerbild, das seinen Walzersequenzen paradigmatisch für die
Ritter ebenso wie Bayreuth gemalt hatten. Begon- »Stilkunst« (Kristiansen 2000), das raffinierte
nen schon im Schlussakt von Guntram (vgl. Kap. Spiel mit historischen Stilen, das Strauss’ Opern
12), hat sie in den Tondichtungen seit Till Eulen- (und damit, wenn man will, seine spezifische
spiegel vor allem zu einer gesteigerten illustrativen »Moderne«) im Weiteren prägen sollte. Vor die-
wie parodistischen Tonsprache geführt; selbst vor sem Hintergrund erscheinen Salome und Elektra
Geräuschen (Hammelblöken) schreckte Strauss, eher als Ausnahmen, nach denen Strauss sein
ganz im Sinne des zeitgleich auf den Theaterbüh- Konzept mit unverminderter Energie fortsetzte.
nen dominierenden Naturalismus, nicht zurück Doch auch in diesen beiden Opern finden sich
(Werbeck 2001, 43–46). Seit 1895 war Strauss kein Walzer (am Ende von Elektra) ebenso wie parodis-
orthodoxer Wagnerianer mehr: ein Schritt, dessen tische Effekte: In Salome ist das schmachtende
Radikalität angesichts eher konservativer Wagner- As-Dur von Jochanaans »Er ist in einem Nachen«
Anhänger wie Schillings, Pfitzner oder selbst (Zi. 132), das später die Nazarener aufgreifen
Mahler nicht zu unterschätzen ist. Neben Wagner (7 Takte nach Zi. 211) fraglos musikalischer Kitsch,
trat Mozart (vgl. Kap. 8), den Strauss als »Inkarnat mit dem Strauss seiner antichristlichen Überzeu-
des reinen Künstlers« (Kristiansen 2000, 410) und gung Ausdruck gab – und zugleich für die not-
damit als antimetaphysisches Idol schlechthin wendige Entspannung in einer ansonsten eher
verehrte. nervösen Partitur sorgte. Ähnlich funktioniert in
Dennoch blieb Strauss Wagnerianer, weil er bis Elektra die Erkennungsszene zwischen Elektra und
zuletzt an Wagners historisch-ästhetischer Kon- Orest (9 Takte nach Zi. 148a), die, vielleicht nicht
zeption festhielt, der zufolge die Musikgeschichte zufällig, wiederum in As-Dur steht: Ihre musika-
im Musiktheater kulminieren müsse und die lische Schwelgerei über langen Orgelpunkten
Komposition von Instrumentalmusik seit Beetho- dient zugleich als kadenzierende Ruhe nach
ven ihre Berechtigung verloren habe. Musik, die hochgespannt-chromatischen Partien; man
ernst zu nehmen war, konnte sich Strauss nur als könnte auch vom Nacheinander von Dissonanz
Musiktheater vorstellen. Folglich fanden seine und Konsonanz im Großen sprechen. So fragil die
Tondichtungen, wie schon Hanslick prognosti- Tonalität geworden war: Für Strauss bildete sie
zierte, ihre Konsequenz in seinen Opern. Hier unverändert ein zentrales Koordinatensystem –
setzte er auf die dort erprobten musikalischen und zwar als Mittel musikalischer Charakterisie-
Mittel ebenso wie auf die enge Kommunikation rung ebenso wie als struktureller Halt. Wie kein
mit seinem Publikum; wie Schönberg seine Musik Zweiter verstand er es, ihr Fundament, die Ka-
einem exklusiven »Verein für musikalische Privat- denz, noch einmal in großem Stil in Szene zu
aufführungen« vorzubehalten, wäre Strauss nicht setzen und so die Dissonanzen, die seine teils
im Traum eingefallen. Und natürlich bewegte er rücksichtslose Orchesterpolyphonie zeitigte, zu
sich auch in der Oper – nach dem zögerlichen balancieren.
Beginn mit Guntram – konsequent vom Wagner Gewiss, zur Drastik der musikalischen Sprache
des Erlösungsdramas fort, zielte vielmehr, wie in von Salome und Elektra ist Strauss später nicht
den Tondichtungen, auf Individualität und musi- mehr zurückgekehrt. Der Differenzierungsgrad
kalische Vielfalt. Lapidar als »Oper« firmieren nur seiner Musik ist allerdings eher noch gewachsen –
drei seiner Stücke (Die Frau ohne Schatten, Die ohne dass Strauss in seiner Anstrengung nachge-
Ägyptische Helena, Friedenstag), ansonsten ändern lassen hätte, die Musik aus dem Käfig ihrer selbst-
sich die (partiell hybriden) Untertitel von Werk zu referentiellen ästhetischen Nabelschau zu befreien,
Werk. in dem sie sich seiner Überzeugung nach am Ende
Das »Singgedicht« Feuersnot steht nicht nur am des 19. Jahrhunderts gefangen hatte. Unbeirrt
Beginn einer Reihe komödiantischer Stücke schrieb er Musik des 20. Jahrhunderts – für ein
Strauss-Bilder 5

Publikum, das seine Kunst so ernst nahm, wie sie sungen in Heilanstalten notwendig machten,
ihm war. Sie hat es verdient, auch heute ernstge- warfen allerdings einen Schatten auf die frühen
nommen zu werden. Jahre (Schuh 1976, 93 ff.). Auch mit dem Vater,
der zum Jähzorn neigte, war nicht immer leicht
umzugehen. Dennoch: Strauss hat die Bedeutung
der Familie für seine eigene Entwicklung nie
Der Familienmensch vergessen und zumal den Pschorr-Verwandten
durch die Widmung seines wohl populärsten
Richard Strauss zählte seit den frühen 1890er Jah- Werkes, des Rosenkavaliers, ein würdiges Denk-
ren zu den bekanntesten deutschen Komponisten, mal gesetzt.
seit dem Sensationserfolg von Salome (1905), der Mit 30 Jahren gründete Strauss seine eigene
durch den des Rosenkavalier (1911) noch übertrof- Familie. 1894 heiratete er die Sängerin Pauline de
fen wurde, galt er als der berühmteste und neben Ahna, 1897 wurde Sohn Franz geboren. Dieser
Giacomo Puccini erfolgreichste Komponist seiner heiratete 1924 Alice Grab und hatte mir ihr zwei
Zeit. Natürlich war er in der Kultur- und speziell Söhne, Strauss’ Enkel Richard (geb. 1927) und
in der Musikszene eine öffentliche Person, über Christian (geb. 1932). Die Startphase von Richards
deren Musik man – durchaus auch polemisch – eigener Familie verlief allerdings keineswegs rei-
diskutierte, aber gesucht hat er die Öffentlichkeit bungslos. Seine Eltern kamen nur schwer mit der
nicht. Sie bestand für ihn wie für seine Kollegen in neuen Schwiegertochter aus; Strauss schlug ihnen
erster Linie aus dem Publikum, das Konzerte bzw. allen Ernstes vor, Pauline, weil sie »so gar nicht zu
Opernaufführungen besuchte und damit für den Euch zu passen scheint«, aus »dem Familienkalen-
Fortbestand des öffentlichen Musikbetriebs sorgte, der zu streichen« (undatierter Brief, Schuh 1954,
von dem seine Existenz abhing. Außerhalb des 202 f.). So weit kam es nicht, aber ein harmoni-
Musikbetriebs mied Strauss weitgehend jegliche sches Miteinander hat es wohl auch später nicht
Publizität. Stattdessen pflegte er ein intensives immer gegeben.
Privatleben, das um nichts anderes als um ihn Will man Strauss und seine Familie näher cha-
selbst und seine Familie kreiste; es verwundert rakterisieren, muss man bei seiner Frau etwas
wenig, dass die Sängerin Lotte Lehmann Strauss länger verweilen. Tochter eines bayerischen Gene-
einmal als »egocentric in the extreme« beschrieb rals, fühlte sich Pauline ihrem Mann, dem Spross
(Kater 2000, 217). Neben dem Komponieren und einer bürgerlichen Musikerfamilie, durchaus
der Aufführung seiner Werke interessierte Strauss überlegen, auch wenn sie ihm als Schülerin und
nichts so sehr wie das Wohlergehen seiner Familie; später als Ehefrau eine veritable Sängerinnen-
diesen drei Maximen ordnete er in seinem langen Karriere verdankte. Strauss schätzte Paulines große
Leben alles unter. Musikalität, ihre darstellerische Leistung auf der
Welche Bedeutung ein intaktes, kulturell auf- Opernbühne, ihre Einfühlung vor allem in seine
geschlossenes, musikalisch aktives und, nicht zu eigenen Lieder und deren »poetischen« (Strauss
vergessen, ökonomisch abgesichertes Familien- 1981, 248) Vortrag über alles. Vor allem aber: Pau-
leben hatte, durfte Strauss schon als Kind erfah- line inspirierte ihn, sie war seine Muse. Hatte er
ren. Sein Vater Franz, professioneller Hornist und als Jugendlicher Lieder für seine Tante Johanna
Dirigent von Liebhaberorchestern, sowie die Pschorr komponiert, so schrieb er sie später für
Großfamilie Pschorr, der seine Mutter Josephine seine Frau; als sie nach 1904 ihre Karriere been-
entstammte, ermöglichten ihm eine alles in allem dete, ging seine Liedproduktion merklich zurück.
sorglose Jugendzeit und eine intensive Pflege sei- Ihr Sopran dürfte zudem wesentlich mit dafür
nes musikalischen Talents (vgl. Kap. 24) – ein- verantwortlich gewesen sein, dass Strauss in seinen
schließlich früher Besuche von hochrangigen Opern die großen musiktheatralischen Sopran-
Konzert-, Opern- und Kammermusikaufführun- rollen bzw. überhaupt Opernstoffe mit besonde-
gen –, von der andere nur träumen konnten. Die ren Frauentypen bevorzugte (Werbeck 2003). In
Depressionen, an denen Strauss’ Mutter immer Strauss’ Leben als Opernkomponist spielten neben
wieder erkrankte und die mehrfache Einwei- Pauline ausnahmslos Sopranistinnen eine heraus-
6 Einleitung

ragende Rolle, ob sie nun Lotte Lehmann, Elisa- Anhänglichkeit auch als eine Last empfand, lässt
beth Schumann oder, als zentrale Figuren, Maria sich, solange die einschlägigen Dokumente noch
Jeritza und Viorica Ursuleac hießen. nicht ausgewertet sind, nur vermuten. Auch das
Doch Paulines Einfluss auf den Komponisten Kind wurde »komponiert«: in der Symphonia do-
Strauss reichte noch weiter: Wir wissen, dass sie als mestica, in Intermezzo sowie im Parergon zur
Muster wenigstens für »Des Helden Gefährtin« in Symphonia domestica, jenem Klavierkonzert für
der Tondichtung Ein Heldenleben ebenso diente den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, in
wie für die »Frau« in der Symphonia domestica, dessen Musik sich die Angst um den 1924 während
aber auch für die Rolle der Färbersfrau in Die Frau seiner Hochzeitsreise in Ägypten lebensgefährlich
ohne Schatten (zumindest im Frühstadium der an Typhus erkrankten Sohn niedergeschlagen hat.
Arbeit) und schließlich, unübersehbar, für die Weil Franz das einzige Kind blieb, konzentrierte
Rolle der Christine Storch in Intermezzo; weitere sich alle elterliche Fürsorge auf ihn. Während Ri-
Beispiele sind zwar nicht bekannt, aber keineswegs chard Strauss sich früh bereits von seinem Vater
auszuschließen. Hier fungierte Pauline allerdings emanzipierte, ist dies dem Sohn, wie es scheint,
weniger als Sopranistin denn als Frau, deren kom- bis zuletzt nicht gelungen. Mediziner durfte er
plexer Charakter ihren komponierenden Ehe- nach dem Willen des Vaters nicht werden (Wil-
mann zeitweise derart faszinierte, dass er sich helm 1984, 279); so diente er ihm als promovierter
während der ersten Arbeiten am Intermezzo-Text Jurist, zog 1925, nur gut eineinhalb Jahre nach
vorstellen konnte, aus Pauline »10 Stücke« zu seiner Hochzeit, ins neu erbaute Haus des Vaters
machen (Brief an Hermann Bahr vom 12.7.1917, in Wien und auch seine Frau Alice ordnete sich als
Gregor 1947, 104), in denen jeweils ein anderer unentbehrliche Privatsekretärin in eine Familie
Charakterzug dominieren würde. ein, deren Leben ganz auf die Interessen von Ri-
Solchen künstlerisch-poetischen Qualitäten und chard Strauss zugeschnitten war. Er bestimmte
dem Stolz auf ihren berühmten Mann, um dessen jederzeit den Kurs; seinen Arbeiten, seinen Reisen,
Wohlergehen sie sich permanent sorgte, standen seinen Auftritten als Dirigent, seinen Freiräumen
immer wieder kritisierte Eigenschaften Paulines fürs Komponieren hatte sich die Familie anzupas-
gegenüber, die Richard – nach einer anfangs sen und wurde, soweit möglich, in die Organisa-
schwierigen, 1901 fast bis zur Scheidung führenden tion seiner vielfältigen Aktivitäten einbezogen.
Phase (TrChr, 215) – mehr oder weniger gelassen Strauss war und blieb das Oberhaupt. Und als
tolerierte, auch wenn sie die Zeitgenossen damit solches fühlte er sich für die Familie verantwort-
gehörig vor den Kopf stieß: sei es ihr mangelndes lich. Nicht nur viele seiner geschäftlichen, sondern
Taktgefühl, ihre Streit- und Klatschlust (auch unter auch seiner politischen Aktivitäten waren durch
mehr als vier Augen; Harry Graf Kessler sprach die Sorge um die Familie motiviert.
einmal von Paulines »halbhysterischen Unartigkeits
Anfällen«; Tagebucheintrag vom 21.2.1910, Schuster
2005, 190) oder ihre Pedanterie in allen häuslichen
Dingen, zudem ihre antidemokratischen, nationa- Freunde und gesellschaftliches
listischen und wohl auch antisemitischen Überzeu- Leben
gungen, mit denen sie bisweilen recht offen umging
(Hettche 1996, 18). Für ihren Mann – der, wenn Konnte ein Genie wie Strauss, dessen Leben ganz
man das Libretto von Intermezzo wörtlich nehmen dem eigenen Komponieren, den Auftritten als
will, all dies »brauchte« –, bildete Pauline ungeach- Dirigent und dem Wohlergehen der Familie ge-
tet aller unvermeidlichen Streitigkeiten einen uner- widmet war, belastbare Freundschaften schließen?
setzlichen Stabilitätsanker; auf sie konnte er sich Gewiss, der junge, aufstrebende Musiker hatte
jederzeit verlassen. Beide hingen mit größter Zärt- Freunde – etwa die zur »Ritterschen Tafelrunde«
lichkeit am gemeinsamen Sohn wie auch an dessen (gemeint ist Alexander Ritters Tisch in der
Familie. Münchner Weinstube Leibenfrost) zählenden
Wie weit Franz Strauss, von den Eltern be- Ludwig Thuille, Friedrich Rösch und Arthur
zeichnenderweise bis zuletzt »Bubi« genannt, diese Seidl, die Ritter seit 1886 in München zu einer
Strauss-Bilder 7

schlagkräftigen Propagandatruppe für seine an immerhin schätzte Strauss ihn so hoch, dass er mit
Wagner orientierten künstlerischen Ziele zu for- ihm zusammen das Libretto seiner letzten Oper
men suchte. Mit allen war Strauss per Du, und Capriccio verfasste (vgl. Kap. 16).
allen dreien widmete er seine frühen Tondichtun- Mit Freunden hat Strauss in seinen jüngeren
gen, die ihn als Komponisten bekannt machten: Jahren auch einen Teil seiner Freizeit verbracht.
Don Juan wurde Thuille, Tod und Verklärung Man lud sich gegenseitig ein, man reiste zusam-
Rösch, Till Eulenspiegel Seidl dediziert. Später, men, unternahm Ausflüge. Vom jungen Strauss
während der zweiten Münchner Zeit von 1894– weiß man, dass er in Berlin 1883/84 gezielt Be-
1898, freundete sich Strauss auch mit Max Schil- kanntschaften aufnahm und ein Netzwerk
lings an. Doch die Freundschaften waren bald knüpfte, von dem er auch noch profitieren
Belastungen ausgesetzt. Ende 1903 kritisierte Otto konnte, als er 1898 als Hofkapellmeister in die
Julius Bierbaum Strauss’ Taillefer – mit dem Resul- Reichshauptstadt zurückkehrte. Gleiches gilt für
tat, dass der verärgerte Komponist für einige Jahre Verbindungen zu Dirigenten- und Komponisten-
den Kontakt zu seinen Münchner Freunden ab- kollegen: Man traf sich, tauschte sich aus und
brach bzw. auf ein Minimum reduzierte. Schon führte die jeweiligen Werke des oder der anderen
vorher, Ende 1899, hatte die Beziehung zu Seidl auf – jeweils zum allseitigen Nutzen. Wie weit
unter Eifersüchteleien gelitten. Mit Thuille kam es Strauss über beruflich nützliche Kontakte hinaus
immerhin, kurz vor dessen Tod 1907, noch zu ei- allerdings auch gesellschaftliche Beziehungen
ner Aussöhnung, während die zunächst persönlich knüpfte bzw. pflegte, mit anderen Worten: In
gehaltenen Briefe mit Schillings einer eher ge- welchem Umfang er am gesellschaftlichen Leben
schäftsmäßigen Korrespondenz wichen. Auch die der jeweiligen Städte teilnahm, in denen er
Freundschaft mit Rösch wurde mit dessen Tätig- wohnte, lässt sich bislang nicht abschätzen, weil
keit in der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer vor allem die Familienkorrespondenzen noch im-
(GDT) sowie der Anstalt für musikalisches Auf- mer der Auswertung harren. Andererseits: Wäh-
führungsrecht (AFMA) insofern Belastungen aus- rend der Saison fehlte Strauss, solange er noch
gesetzt, als Strauss sich bei seinen Verhandlungen hauptamtlich dirigierte, vermutlich schlicht die
mit Verlegern in eigener Sache keineswegs immer Zeit, die durch Proben, Aufführungen und das
an die Regeln, auf deren Einhaltung Rösch pochte, Schreiben von Partituren bis zum Rand gefüllt
gebunden fühlte. war. Verständlich also, dass Strauss bislang jeden-
Enge Freundschaften, die zum gegenseitigen falls nicht als Gesellschaftslöwe aufgefallen ist;
Du führten, scheint Strauss später kaum noch Harry Graf Kessler bekannte er, anders als seine
geschlossen zu haben. Eine wichtige Rolle als Frau am Verkehr in der »Gesellschaft« nur mäßig
Vertrauensperson spielte seit 1902 der Berliner interessiert zu sein (Eintrag vom 4.8.1912; Schuster
Kaufmann und Kunstmäzen Willy Levin, den 2005, 854). Die Zahl etwa der Salons, die er be-
Strauss zeitweise, etwa bei den Verhandlungen suchte, hielt sich offenbar in Grenzen: Er soll
über die Uraufführung von Ariadne auf Naxos, wie (TrChr enthält dazu keine Angaben) zu den Gäs-
einen persönlichen Manager einsetzte (Hettche ten des Salons des Ehepaars Max und Elsa Bern-
1996) und mit dem er gerne Skat spielte; auch zu stein gehört haben, den mit ihm u. a. Hans Pfitz-
dem Wiener Musiker und Musikkritiker Ludwig ner, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann,
Karpath, seit 1923 in der Bundestheaterverwaltung Rainer Maria Rilke und Gerhart Hauptmann
für musikalische Angelegenheiten tätig und damit frequentierten (Machatzke 1985, 146 f.). Sicher
Strauss, dem künstlerischen Oberleiter der Wiener und häufiger zu Gast war er im Münchner Hause
Staatsoper, vielfältig verbunden, pflegte der Kom- des Verlegers Thomas Knorr – dagegen ist von
ponist ein offenbar recht vertrautes Verhältnis. Als Besuchen im Salon von Elsa und Hugo Bruck-
Karpath 1936 starb, waren alle diese »Freunde« mann nichts bekannt. Gleiches gilt für die be-
dahingegangen, und es scheint, als habe später vor rühmten Wiener Salons von Berta Zuckerkandl
allem Clemens Krauss, Strauss’ »Leibdirigent«, oder Eugenie Schwarzwald; dagegen hat Strauss
noch die Rolle eines Freundes, zumindest jeden- offenbar in frühen Jahren den Salon von Jella
falls eines musikalischen Beraters spielen können; Oppenheimer in Wien aufgesucht (Martynkewicz
8 Einleitung

2011, 23). Außerdem gehörte er zu den Gästen im allem aber Skat. Seine Leidenschaft für das Spiel
Wiener Hause Wittgenstein, wo er mit dem pia- war notorisch; es entspannte ihn, weil er während
nistisch begabten Sohn Paul vierhändig spielte der Partien ausnahmsweise nicht ständig innerlich
(Werbeck 1999, 17). In Berlin zählte Strauss zu den Musik hörte (Wilhelm 1984, 274). Dennoch
Stammgästen im Salon von Willy Levin, auch mit wurde auch diese Passion »komponiert«: In Inter-
der Salonnière Helene Nostitz war er bekannt. mezzo gehört die Skatszene zu den eindrucksvolls-
Über Kontakte zum Berliner Salon von Cornelie ten Abschnitten und mit dem skatspielenden
Richter hingegen, zu dessen Besuchern Hof- Kommerzienrat setzte Strauss seinem Freund
mannsthal und Harry Graf Kessler zählten, wissen Willy Levin ein Denkmal – für den er sogar einen
wir bislang nichts. Während Strauss als Kompo- Skatkanon (TrV 210) geschrieben hat. Natürlich
nist auf die repräsentativste, festlichste aller Gat- besuchte Strauss auch Bälle und gelegentlich
tungen setzte, die große Oper, hielt er sich als Sportveranstaltungen wie etwa das Berliner Trab-
Privatmann von Festivitäten eher fern. rennen in Hoppegarten – zu seinen Favoriten
Kontakte, auch zu politischen Personen, pflegte zählten derartige Vergnügungen allerdings wohl
Strauss außer in Salons in Vereinen oder Gesell- nicht.
schaften. Er gehörte dem 1897 in Berlin gegründe-
ten »Verein zur Förderung der Kunst« als Ehren-
präsident bzw. später, zusammen mit Gerhart
Hauptmann, als Ehrenvorsitzender an (Machatzke Musiker, Geschäftsmann
1987, 503) – ohne dass bislang Näheres darüber und Funktionär
bekannt wäre, wie er sich hier tatsächlich enga-
gierte. Ähnlich ungewiss ist, ob Strauss 1903 der Vom eigenen Vater lernte Strauss, dass und wie
Aufforderung zur Unterzeichnung eines Grün- man als professioneller Musiker leben und sein
dungsaufrufs für den u. a. von Harry Graf Kessler Brot verdienen konnte. Angesichts seiner kompo-
betriebenen »Sezessionsklub« folgte (dabei hätte er sitorischen Begabung lag es allerdings nahe, sich
sich in der Gesellschaft etwa von Richard Dehmel, ein finanzielles Standbein als Dirigent zu suchen.
Alfred Lichtwark und Gerhart Hauptmann befun- Mit dem Engagement des 21-Jährigen an den
den), geschweige denn, ob er Mitglied wurde Meininger Hof (gegen Konkurrenten wie Gustav
(Machatzke 1987, 679). Auf sicherem Boden hin- Mahler, Herman Zumpe, Felix Weingartner und
gegen bewegen wir uns mit Strauss’ Zugehörigkeit Jean Louis Nicodé; Bülow 1907, 359) erfüllte sich
zum Präsidium der »Deutschen Gesellschaft 1914«, dieser Traum schon früh. Sein Mentor und Vorge-
die sich im November 1915 konstituiert hatte und setzter Hans von Bülow dürfte Strauss als vorbild-
als Medium zur Koordinierung der deutschen licher Dirigent und Interpret lebenslang vor Au-
Intelligenz im Hinblick auf die Kriegsführung gen gestanden haben. Aber nicht nur von Bülow,
sowie zur Vermittlung zwischen geistiger und po- auch von Brahms, dem Strauss in Meiningen be-
litischer Elite verstand (Sprengel 1997, 340–342). gegnete, konnte er Einiges lernen – nicht zuletzt,
Am 14. Oktober 1915 etwa verzeichnet die Chronik dass es möglich war, allein von den Einnahmen
einen »1. Clubabend« der Gesellschaft im Hotel aus eigenen Werken zu leben und nur dann als
Esplanade, an dem neben Strauss noch der Präsi- Musiker aufzutreten, wenn es galt, eigene Werke
dent Wilhelm Solf (Staatssekretär im Reichskolo- zu spielen oder zu dirigieren. Dieses Ideal verlor
nialamt), der Publizist Maximilian Harden, der Strauss in der folgenden Zeit nie mehr aus den
Industrielle, Schriftsteller und spätere Reichsau- Augen. So sehr er einerseits sich als Dirigent
ßenminister Walther Rathenau sowie Gerhart künstlerische Ziele setzte – seit Weimar vor allem
Hauptmann teilnahmen. Auch 1916 bis 1918 hielt die Aufführung der Werke der Neudeutschen
sich Strauss mehrfach mit anderen Mitgliedern Schule mit Beethoven, Berlioz, Liszt und Wagner;
der Gesellschaft im »Club« auf. in der zweiten Münchner Zeit kamen die Opern
Zu den für Strauss angenehmsten Dingen ge- Mozarts als Schwerpunkte hinzu –, so war ihm die
sellschaftlichen Zeitvertreibs gehörte das Karten- ökonomische Seite seines Berufs doch alles andere
spiel: Rommé, Piquet, Tarock und Schafkopf, vor als gleichgültig. Auch seine Konzertreisen, die ihn
Strauss-Bilder 9

seit der Mitte der 1890er Jahre in wachsendem der 1903 gegründeten AFMA, für die er sich meh-
Maße durch das Deutsche Reich ebenso wie ins rere Jahre lang zusammen vor allem mit Friedrich
europäische Ausland führten (1904 und 1921/22 Rösch und Hans Sommer (vgl. Kap. 2) stark ge-
kamen Tourneen in die USA, 1920 und 1923 sol- macht hatte. Aber erst mit den auch finanziell
che nach Südamerika hinzu), dienten immer zu- höchst einträglichen Erfolgen der Trias Salome,
gleich der Mehrung des eigenen Vermögens – eine Elektra und Rosenkavalier, mit dem Bau einer re-
Funktion, mit der Strauss, was seine Kritiker be- präsentativen Villa in Garmisch, die Strauss 1908
sonders irritierte, ganz offen umging. Als er in bezog, mit dem Erwerb eines ersten Autos im
New York im April 1904 zwei Konzerte in einer selben Jahr schien das ersehnte Ziel erreicht – fol-
freigeräumten Etage des Wanamaker-Warenhauses gerichtig löste sich Strauss schon in den Jahren vor
dirigierte, brachte ihm das in Deutschland den dem Ersten Weltkrieg sukzessive aus seinem Berli-
Vorwurf ein, sich »an der Würde und dem Anse- ner Kapellmeisteramt. Als jedoch im August 1914,
hen der deutschen Kunst […] schwer versündigt« kurz nach Beginn des Krieges, sein in London
zu haben (Spanuth 1908, 597); Strauss konterte deponiertes Vermögen beschlagnahmt wurde,
mit dem Satz »Wahre Kunst adelt jeden Saal und strebte der 50-Jährige noch einmal eine feste Stel-
anständiger Gelderwerb für Frau und Kind schän- lung an – wobei jetzt mit der Wiener Hofoper al-
det nicht – einmal einen Künstler« (ebd., 594). In lein das prestigeträchtigste Operntheater seiner
den frühen 1920er Jahren, als Deutschland und Zeit in Frage kam. Noch vor dem Ende seiner
Österreich durch eine bislang nie gekannte Infla- Wiener Amtszeit, im Frühjahr 1923, plante und
tion erschüttert wurden, zog es mit zahlreichen begann er mit dem Bau einer zweiten Villa in
anderen europäischen Künstlern auch Strauss Wien; ein Jahr nach seinem Rücktritt, im Herbst
nach Übersee, wo harte Dollars winkten; erst 1925, zog die Familie ein. Später wurde das Bau-
1924/25, nach der allmählichen Stabilisierung der recht für die Villa in dauerndes Eigentumsrecht
wirtschaftlichen Verhältnisse, war es mit solchen umgewandelt; Strauss verpflichtete sich als Gegen-
Reisen vorbei. leistung u. a. dazu, zwischen 1926 und 1931 jährlich
Strauss’ Worte vom Gelderwerb für Frau und zwanzigmal umsonst in der Staatsoper zu dirigie-
Kind unterstreichen, wie wichtig ihm ökonomi- ren – was er auch einhielt. Bei den Verhandlungen
sche Sicherheit von Anfang an war, wie sehr er argumentierte Strauss wiederum mit seiner Fami-
auch hier die Familie mit einschloss und wie we- lie: Er habe, so schrieb er dem Generaldirektor der
nig er sich durch Neider stören ließ. Zielstrebig österreichischen Bundestheater, Franz Schneider-
trachtete er danach, sich und den Seinen ein sor- han, am 16. November 1926, auf seine ursprüngli-
genfreies Leben zu ermöglichen. Nach der Schlie- che Bedingung, zeitweise von der Steuer befreit zu
ßung aller deutschen Theater im September 1944 werden, verzichtet, weil er seinen Kindern nicht
und der Zerstörung aller ihm wichtigen Bühnen das Glück versagen wollte, nach seinem Tode »in
trieb ihn in seinen letzten Jahren lange die Angst ihrem eigenen Hause zu wohnen« (Brosche 2000,
um, sich und seine Nachkommen an den Bettel- 28).
stab gebracht zu haben; eine Sorge, von der ihn Als Manager in eigener Sache agierte Strauss
erst der Vertrag mit dem Verlag Boosey & Hawkes alles in allem höchst erfolgreich – gleich, ob Ein-
sowie die politische Entlastung durch die Garmi- sätze als Dirigent oder Verlagsverträge auf seiner
scher Spruchkammer 1948 entließ. Pauline hat die Agenda standen (vgl. Kap. 6). Mit seinen adminis-
gemeinsame Lebensmaxime schon früh, in einem trativen Verpflichtungen hingegen hatte er wenig
Brief vom 1. September 1897, auf den Punkt ge- Glück. Solange es sich um ehrenamtliche Posten
bracht, als sie ihrem Mann schrieb: »[…] trachten handelte – wie etwa der Vorsitz des Allgemeinen
wir, uns viel zu verdienen, damit Du bald Dir Deutschen Musikvereins (ADMV) oder der
selbst leben kannst« (Grasberger 1967, 107). GDT –, fielen Strauss’ Schwierigkeiten, im Team
Strauss’ notorisch hohe Honorarforderungen ge- zu arbeiten, nicht weiter ins Gewicht, weil ihm
genüber Verlegern wie Konzertveranstaltern hat- alte Freunde wie vor allem Rösch die Arbeit ab-
ten ihr erstes Ziel darin, allein dem Komponieren nahmen. Als Strauss aber in Berlin glaubte, er
leben zu können. Natürlich profitierte er auch von könne als künstlerischer Leiter nach dem Ende des
10 Einleitung

Ersten Weltkriegs den Kurs der neuen Staatsoper Politiker


bestimmen, gelangte er rasch an Grenzen. Zwar
wurde er (der schon erste Verhandlungen mit Strauss bezeichnete sich gerne als unpolitischen
Wien geführt hatte) am 11. November 1918 dank Künstler, im März 1933 behauptete er sogar, sich
seines »großen autoritativen Namens« (Brief an »nie in politische Dinge eingemischt« zu haben
Pauline, 12.11.1918; RSA) in den neu geschaffenen (Brief an Otto Fürstner, RSA). Damit lag er auf
Künstlerrat der Berliner Oper gewählt und über- einer Linie mit seinen deutschen Zeitgenossen, die
nahm mit dem Oberregisseur Georg Droescher Kunst gegen Politik ausspielten. Thomas Mann
auch provisorisch deren Leitung, reichte jedoch hat das Verhältnis zum Gegensatz zwischen
bald darauf seine Entlassung ein, weil das Personal »Deutschtum und Zivilisation« stilisiert und da-
sich gegen ihn als Direktor aussprach. Dennoch mit einer gerade im Ersten Weltkrieg verbreiteten
begann er neue Verhandlungen in Berlin wie auch nationalen Stimmung Ausdruck gegeben (Berm-
in Wien mit dem Ziel, hier wie dort die künstleri- bach 1999, 252). Auch Strauss dachte so. Dennoch
sche Oberleitung wahrzunehmen, während ein darf man ihn als einen über weite Strecken seines
anderer (Droescher in Berlin, Franz Schalk in Lebens recht aktiven politischen Künstler bezeich-
Wien) die Verwaltungsarbeit leisten, für »das nen. Freilich engagierte er sich nicht für eine der
Bureaukratische« (Brief an Max Schillings vom politischen Parteien seiner Zeit, er kandidierte
28.8.1921; Schlötterer 1987, 195) zuständig sein nicht für parlamentarische Ämter und es ist auch
sollte. Dabei spielten auch finanzielle Motive eine nicht bekannt, ob und mit welchen Präferenzen er
gewichtige Rolle – wie Strauss Hofmannsthal in bei Wahlen seine Stimme abgab. Was ihn einzig
einem als »privatissime« deklarierten Brief vom interessierte, war Kulturpolitik, und das hieß
29. Dezember 1918 unmissverständlich auseinan- konkret: Strauss engagierte sich (angeregt vermut-
dersetzte (RSHH 429–433). Doch ging der Plan lich vor allem durch Richard Wagner), um den
nur für Wien auf: Strauss wurde am 1. Mai 1919 als institutionellen Musikbetrieb in der Vielfalt, wie
Künstlerischer Oberleiter neben dem Direktor er ihn seit seiner Jugendzeit im Kaiserreich kannte,
Schalk an die Spitze der Staatsoper berufen. Diese auch während der Republik zu erhalten. Er nahm
wenig tragfähige Konstruktion hielt immerhin Einfluss auf die Besetzung von Dirigentenposten
gute fünf Jahre, bis Strauss aus Protest gegen ebenso wie die Gestaltung von Spielplänen, wenn
Schalks Weiterbeschäftigung am 31. Oktober 1924 es darum ging, dass Werke der Klassiker (ein-
von seinem Amt zurücktrat. Ein letztes Mal ver- schließlich Wagner) ebenso wie die seinen regel-
suchte Strauss, als Präsident der Reichmusikkam- mäßig gespielt wurden. Aber Strauss dachte nicht
mer nach dem vertrauten Muster zu agieren: nur an sich selbst. Er investierte auch einige Ar-
Während er von Garmisch aus die Richtlinien beitskraft in die Gründung eines Musikerverban-
bestimmen wollte, sollte der Geschäftsführer der des wie der GDT mit angeschlossener Anstalt zur
RMK, Heinz Ihlert, in Berlin vor Ort seine Direk- Einziehung und sinnvollen Ausschüttung von
tiven umsetzen. Doch wiederum hatte Strauss sich Tantiemen sowie in die Verlängerung der Schutz-
über- und die Machtverhältnisse in Berlin erheb- frist (s. Kap. 2) – Maßnahmen, die allen Kompo-
lich unterschätzt. Auch deshalb, nicht nur wegen nisten ernster Musik zugutekamen.
seiner Zusammenarbeit mit dem jüdischen Wie viele Künstler seiner Zeit war Strauss zu-
Schriftsteller Stefan Zweig und dem abgefangenen nächst durchaus zufrieden mit der herkömmli-
Brief an ihn vom Juni 1935 (s. Kap. 5), war Strauss’ chen Aufgabenverteilung zwischen Obrigkeit und
Rücktritt nach nur eineinhalb Jahren unvermeid- Kunst: Der jeweilige Souverän garantierte den
lich. Bestand kultureller Organisationen und künstleri-
sche Freiheit, während seine Untertanen sich um
die Spielpläne von Konzerteinrichtungen und
Operntheatern und deren Realisation kümmerten
(Werbeck 2012). Gerne ging Strauss 1898 nach
Berlin, obwohl der Kaiser, sein oberster Dienst-
herr, einen notorisch bornierten Kunstverstand an
Strauss-Bilder 11

den Tag legte. Strauss konnte sicher sein, sich in planpolitik. In Deutschland agierte Strauss wäh-
seiner Kreativität nicht einschränken zu müssen. rend der Jahre der Republik eher im Verborgenen.
Und der überwältigende Erfolg von Salome zeigte Wie viele seiner Zeitgenossen leitete ihn dabei die
ihm, dass er genau den richtigen Kurs einer Ver- Überzeugung, angesichts der politischen wie
bindung von Modernität und Publikumswirksam- ökonomischen Wirren könne nur die Kultur die
keit gefunden hatte. Gesellschaft überhaupt zusammenhalten. Vor al-
Schwierig wurde es allerdings, als Fragen der lem müsse die ernste Musik und hier vorab die
Kunst den Reichstag beschäftigten und damit den Oper als kultureller Orientierungspfad gestärkt
Bedingungen parlamentarischen Handelns unter- werden, sie habe sich mit neuen Spielstätten, ak-
worfen waren. Denn damit schlug, wie Strauss tuellen Werken und neuen Darbietungsformen
argwöhnte, die Stunde der Nicht-Fachleute. Sich auch dem modernen Publikum zu öffnen. Strauss
auf deren Interessen einzulassen war er nicht be- hatte allerdings seine eigenen Vorstellungen von
reit. Angelegenheiten der Kunst hatten für ihn der Machart aktueller Werke. Zu ihnen gehörten
grundsätzlich Vorrang, und im Übrigen, so nicht vor allem seine Stücke, nicht aber solche der
nur seine Überzeugung, waren sie in den Händen Komponisten um Arnold Schönberg, die Strauss
von Fachleuten am besten aufgehoben. Als der in privaten Äußerungen (wie erwähnt) als »ato-
erste Anlauf, die Schutzfrist zu verlängern, im nale Bolschewiken« schmähte. Zu ihnen wahrte
Reichstag scheiterte, notierte Strauss im Schreib- er Distanz, ohne polemisch zu werden. Auch im
kalender empört: »Der Böotier Eugen Richter ADMV, in dem Strauss 1909 zum Ehrenvorsit-
spricht dagegen u. der ganze Reichstag fällt um. zenden bestimmt wurde, legte er »linken« Mit-
Saubande!« (TrChr, 209), und als 1912 der Reichs- gliedern wie Alban Berg, Heinz Tiessen, Her-
tag über die von Cosima Wagner betriebene Ver- mann Scherchen oder Paul Hindemith, die zwi-
längerung des Parsifal-Schutzes diskutierte, schen 1919 und 1932 im Musikausschuss aktiv
machte er auch nach außen aus seiner Einstellung waren (Okrassa 2004, 104), keine Steine in den
keinen Hehl: Das »blöde Allgemeine Wahlrecht«, Weg. Weitaus zielstrebiger agierte Strauss, wenn
so formulierte er in einem öffentlichen Brief, es darum ging, sich hinter den Kulissen in die
dürfe nie dem Willen Wagners übergeordnet Besetzungs- und damit auch Repertoirepolitik
werden; Stimmen seien zu wiegen statt zu zählen, führender deutscher Bühnen einzumischen – na-
denn dann hätte ein Genie wie Wagner das Ge- türlich mit dem Ziel einer Förderung seiner
wicht von 100.000 Stimmen, während 10.000 Werke bzw. ihm gewogener Dirigenten. Vehe-
Hausknechte allenfalls eine einzige Stimme be- ment opponierte er 1925/26 gegen eine drohende
anspruchen könnten (Strauss 1981, 89 f.; Seidl Berufung Paul Bekkers als Nachfolger von Max
1913). Schillings an die Lindenoper in Berlin (das wäre
Anders als beispielsweise Thomas Mann sah »für die Oper eine Katastrophe, für mich direkt
Strauss auch nach dem Zusammenbruch der al- ein Unglück«, schrieb er am 4. Dezember 1925 an
ten Ordnungen am Ende des Ersten Weltkriegs seinen Verleger Fürstner; RSA); tatsächlich wurde
keinen Anlass, seine negative Meinung über die Heinz Tietjen als Generalintendant aller drei
Demokratie als Form politischer Herrschaft zu Berliner Opernhäuser eingesetzt. Strauss hatte in
revidieren, im Gegenteil, seine Abwahl als kom- der Sache nicht nur Mittelsmänner wie Fürstner
missarischer Opernchef in Berlin zementierte sie eingespannt, sondern auch den preußischen Kul-
weiter. Als künstlerischer Oberleiter der Wiener tusminister Carl Heinrich Becker zu beeinflussen
Oper mit größten Vollmachten ausgestattet, versucht. Anfang März 1926 unterhielt er sich mit
nahm er denn auch auf nichts als auf seine Inter- ihm eine Stunde lang über Angelegenheiten der
essen Rücksicht, stellte für seine Werke »die Staatsoper und setzte den Kontakt schriftlich
höchsten Ausstattungsansprüche« (Rode-Brey- fort. Auf einen (bislang nicht vorliegenden) Brief
mann 1994, 241) – die ihm auch erfüllt wurden – von Strauss antwortete Becker am 15. September
und betrieb eine ganz auf seine kulturhistorischen des Jahres in liebenswürdigstem Ton (RSA). Er
Konfessionen (vgl. Kap. 9) abgestimmte, allen dankte Strauss »aufrichtig für das warme Inter-
Novitäten (außer den eigenen) abholde Spiel- esse« für die Staatsoper, hoffte, ihn »recht häufig
12 Einleitung

am Dirigentenpult unserer Opernhäuser begrüs- Zu diesem Kulturdiktator schwang sich Ende


sen zu dürfen«, freute sich, Strauss »in der nächs- 1933 der fast siebzigjährige Richard Strauss auf.
ten Zeit hier in Berlin sprechen zu können«, und Mit großer Befriedigung dürften er und seine Fa-
erwartete »sehr dankbar« dessen »Ratschläge und milie zu Jahresbeginn den Einzug Adolf Hitlers
Winke«. Ähnliche Kontakte, Korrespondenzen und damit eines bekennenden Wagnerianers und
und Audienzen (auch mit Diktatoren wie Mus- »Künstlers« ins Amt des Reichskanzlers registriert
solini 1924 oder Pangalos 1926) bestärkten Strauss haben; endlich würde es mit der »Kulturpest«
in dem Bewusstsein eines von den Inhabern (Splitt 2002, 286), mit dem atonalen »Bockmist«
staatlicher Macht gesuchten Partners, der sich als (Tagebucheintrag von 1947, RSA), mit der Verar-
Künstler außen- wie innenpolitisch einmischte, mung zahlloser Musiker und hoffentlich auch mit
ohne Amt und damit ohne jegliche Legitimation, dem unproduktiven Neben- und Gegeneinander
weil sein Ansehen als erfolgreichster Komponist der diversen musikalischen Standesorganisationen
seiner Zeit eine solche gar nicht erforderlich ein Ende haben, würde die musikalische Vor-
machte. Und aus seiner unerschütterlichen Über- machtstellung Deutschlands wieder die ihre ge-
zeugung von der Bedeutung von Kultur, Kunst bührende politische Anerkennung finden. Zwar
und Musik für die deutsche Nation – deren war Strauss nie Mitglied der NSDAP und ver-
einzigartiger Status als »Land der Musik« auf mochte für das Gebaren von Verbänden wie der
keinen Fall gefährdet werden durfte –, folgerte er SA wenig Sympathie aufzubringen, aber die neuen
ganz selbstverständlich, dass eben nicht Neutöner politischen wie kulturellen Perspektiven begrüßte
à la Schönberg oder überflüssige Novitäten, er ohne jede Einschränkung. Am 16. März 1933
sondern seine eigenen Werke neben den Klassi- reiste Strauss nach Berlin, wohnte, bemerkenswert
kern bevorzugt auf den Spielplänen zu stehen genug, der Eröffnung des neuen Reichstags bei,
hatten. traf am Rande einer Elektra-Aufführung Hitler
Doch selbst ein Strauss, obschon unter den und Göring und brachte nach Garmisch »große
zeitgenössischen Opernkomponisten auch in den Eindrucke […] und gute Hoffnung für die Zu-
1920er Jahren noch immer viel gespielt (Thrun kunft der deutschen Kunst« mit, »wenn sich erst
1995, 564), konnte nichts gegen die Weltwirt- die ersten Revolutionsstürme ausgetobt haben!«
schaftskrise und die mit ihr einhergehende ökono- (Brief an Anton Kippenberg, 29.3.1933; Schuh
mische Bedrohung von Orchestern, Theatern etc. 1959/60, 120). Die »Stürme« hatten es freilich in
ausrichten. Er reagierte, freilich wiederum in sich: Nicht nur war es seit Ende Februar zu ersten
Briefen, mit sarkastischen Äußerungen, die verra- reichsweiten Übergriffen auf jüdische Geschäfte
ten, wie suspekt, ja geradezu verhasst ihm das gekommen (die im Zusammenhang mit den
System inzwischen geworden war. Am 27. No- Reichstagswahlen vom 5. März noch zunahmen),
vember 1930 etwa hieß es: »Gott gebe, daß bald auch Strauss selbst war unmittelbar betroffen: In
bessere Zeiten für die deutschen Theater anbre- Dresden wurden Anfang März der Dirigent Fritz
chen und deren Subventionen nicht mehr für Busch sowie der Generalintendant Alfred Reu-
faulenzende Kommunisten (genannt Arbeitslose) cker, denen er die Uraufführung seiner beiden
verwendet werden müssen. Es ist eine Kultur- gewidmeten Oper Arabella zugesagt hatte, aus
schande!« (Splitt 2002, 287). Eine in dieser Lage ihren Ämtern gejagt. Strauss, der öffentlichen
unter Konservativen verbreitete Hoffnung brachte Protest vermied, brach sein Versprechen: Nicht
der Musikkritiker Paul Schwers auf den Punkt, als Busch, sondern Clemens Krauss hob die Oper am
er im Oktober 1931 in einem Aufsatz mit dem be- 1. Juli aus der Taufe, und nicht Reucker, sondern
zeichnenden Titel »Musiknot und Kulturzerstö- Josef Gielen führte Regie. Zurückgehalten hatte
rung« die Klage formulierte: »Schade, daß von Strauss sich auch, als Anfang März in Leipzig der
Reichs wegen nicht ein Kulturdiktator bestellt Generalmusikdirektor der Oper, Gustav Brecher,
werden kann, der in dieser Notzeit allenthalben entlassen wurde, der zu Strauss’ frühesten und
vernünftigen Ausgleich und damit künstlerisches treusten Parteigängern zählte, sich bei diesem
Niveau zu schaffen hätte. Aber vielleicht kommt freilich durch seine Repertoirepolitik (u. a. mit
es noch dazu« (Okrassa 2004, 195). Kreneks Jonny spielt auf) unbeliebt gemacht hatte
Strauss-Bilder 13

(vgl. den letzten Brief Brechers vom 16.3.1933; Musiklebens zur Verwirklichung eigener Vorstel-
Strauss 1998, 148 f.). Und schließlich hatte Strauss lungen von Kultur und Musik in Deutschland
während der Berliner Tage zwei Konzerte der nutzen zu können. Er verzichtete deshalb auf jeg-
Philharmoniker geleitet – anstelle von Bruno lichen öffentlichen Protest, ließ vielmehr seine
Walter, der der Drohung massiver Störungen ge- Sympathie mit der neuen Kulturpolitik erkennen.
wichen war (Stargard-Wolff 1954, 275–279; Splitt Vielleicht auch aus diesem Grund gehörte er zu
1987, 42–59). Brecher und Walter waren Juden; den Mitunterzeichnern des von Hans Knapperts-
Strauss nahm wissentlich in Kauf, sich zum Hand- busch initiierten und am 16./17. April 1933 er-
langer der antijüdischen Politik des neuen Regi- schienenen öffentlichen »Protestes der Richard-
mes gemacht zu haben. Kaum anders wurde seine Wagner-Stadt München«, der sich gegen Thomas
Bereitschaft interpretiert, im Sommer 1933 in Manns Wagner-Vortrag richtete (und das Exil des
Bayreuth Parsifal zu dirigieren, und zwar für Ar- Schriftstellers zur Folge hatte; Borchmeyer 1983;
turo Toscanini, der seine Teilnahme aufgrund der Vaget 1994). Während der Bayreuther Festspiele
Diskriminierung jüdischer Musiker abgesagt hatte traf sich Strauss erneut mit Hitler sowie erstmals
(Splitt 1987, 59–64). auch mit dem für die Kultur zuständigen Minister
Nicht, dass Strauss in allen Fällen als über- Joseph Goebbels; beiden übergab er ein Papier, in
zeugter Antisemit gehandelt hätte. Ein solcher dem er seine Vorschläge zur Verbesserung der
war er nicht (im Gegensatz zu seiner Frau); dage- Musikkultur in Deutschland zusammengefasst
gen spricht schon seine Wertschätzung der Musik hatte. Bei solchen Kontakten dürfte Strauss mit
beispielsweise von Mendelssohn, mit Einschrän- hoher Wahrscheinlichkeit sich selbst als mögli-
kungen auch von Meyerbeer und Mahler, aber chen Führer der deutschen Musik ins Gespräch
auch seine zeitweise enge Verbundenheit mit den gebracht haben. Im November des Jahres hatte
oben erwähnten Karpath und Levin. Und sein er mit der Berufung als Präsident der neu einge-
Salon-Antisemitismus, den er in seiner Jugendzeit richteten Reichsmusikkammer sein Ziel erreicht
pflegte und mit dem er Leuten wie seinem Vater, (s. Kap. 5).
Bülow oder Cosima Wagner nach dem Munde Strauss’ Hoffnung, im neuen Amt dank seines
redete, hatte sich längst abgeschliffen. Wenn er Renommees Kulturpolitik als »Nebenarbeit« (an
Vorbehalte gegen das Judentum pflegte, dann vor Zweig vom 21.1.1934; RSSZ 54) von Garmisch aus
allem, weil er es mit dem von ihm rigoros abge- betreiben und als Hauptarbeit weiterhin kompo-
lehnten Christentum in enge Verbindung brachte. nieren zu können, erwies sich schon angesichts der
Juden hatten die »christliche, jüdische Meta- alles andere als eindeutigen Zuständigkeiten in-
physik« ersonnen (Tagebucheintrag, RSA), die nerhalb von Partei und Regierung rasch als Illu-
Strauss für eine künstlerische Sackgasse hielt, weil sion (Okrassa 2004, 279). Deshalb trug er sich
sie zur Preisgabe künstlerischer Verantwortung bereits Ende 1934 mit Rücktrittsgedanken, stellte
führe. Unproduktives Räsonieren über ewige sie jedoch zurück – wohl auch, weil er die Premi-
Gesetze einer vorgeblich heiligen Tonkunst lehnte ere seiner neuen Oper Die schweigsame Frau auf
er ab, plädierte vielmehr für die individuelle ein Libretto des jüdischen Schriftstellers Stefan
künstlerische Tat. Strauss’ antisemitische Vorbe- Zweig nicht gefährden wollte. Im Übrigen war
halte waren durch seine Künstlerästhetik moti- Strauss erst im Juni 1934 Präsident des neugegrün-
viert; eine rassisch grundierte und offen bekannte deten Ständigen Rates für die Internationale Zu-
Judenfeindschaft gab es bei ihm nicht. Deshalb sammenarbeit der Komponisten geworden: eine
reagierte er auf die Kritik an seinem Verhalten weitere Aufgabe, die er allerdings nicht besonders
1933 eher trotzig, ließ sich jedenfalls zunächst engagiert betrieb, wie sein Fehlen bei mehreren
nicht von seinem Ziel abbringen, endlich auch Musikfesten des Rates dokumentiert (vgl. Kap. 4).
offiziell der Führer der deutschen Musik zu wer- Über die Umstände von Strauss’ Rücktritt, nach-
den. dem sein Brief an Zweig vom 17. Juni 1935 von der
Von Anfang an sah Strauss die Chance, kultu- Gestapo abgefangen worden war, muss an dieser
relle Interessen der neuen Machthaber und deren Stelle nicht gehandelt werden (s. die Kapitel 5 und
Pläne einer grundlegenden Neuorganisation des 15). Strauss stürzte nicht nur diese Niederlage,
14 Einleitung

sondern mehr noch der Verlust seines Librettisten linge 1. Grades. Dennoch betrieb er seine »Versöh-
Zweig in eine tiefe Krise; hinzu kam im Septem- nung« (TrChr 589) mit den Machthabern, wobei
ber 1935 die Verabschiedung der Nürnberger ihn wiederum seine Lebensmaxime leitete: die
Rassegesetze, die seine Schwiegertochter als Voll- Sorge um seine Familie und um seine Werke. Als
jüdin ebenso ächteten wie seine Enkel als Misch- Politiker aber hatte er ausgespielt.

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stein. Zu den Klavierkonzerten für die linke Hand Strauss. In: Axel Schröter/D. Ortuño-Stühring
»Parergon zur Symphonia domestica« op. 73 und (Hg.): Musik – Politik – Ästhetik. Detlef Altenburg
»Panathenäenzug« op. 74. In: Österreichische Musik- zum 65. Geburtstag. Sinzig 2012, 176–195.
zeitschrift 7–8 (1999), 16–25. Wilhelm, Kurt: Richard Strauss persönlich. München
–: Richard Strauss und die musikalische Moderne. In: 1984.
DIRIGENT,
STANDESVERTRETER,
GESCHÄFTSMANN
18

1.
Kapellmeister und Dirigent
Von Roswitha Schlötterer-Traimer †

Richard Strauss übte lebenslang zwei Berufe ne- neue Suite TrV 132 im Münchner Odeon spielen
beneinander aus, jeden vollgültig und uneinge- sollten, ordnete Bülow überraschend an, dass sie
schränkt: Er war Komponist und Dirigent, Schaf- der Komponist selbst dirigieren sollte. So kam es
fender und Nachschaffender. Das forderte eine zu Strauss’ erstem Dirigieren und durch Bülows
unglaubliche Arbeitsleistung. Dabei hätte er, spä- Empfehlung bald darauf zu seinem ersten Engage-
testens nach dem auch wirtschaftlich so großen ment als Hofmusikdirektor in Meiningen.
Erfolg der Salome, keinen Brotberuf mehr nötig
gehabt. Aber er sah diese beiden Tätigkeiten für
seine Person als etwas natürlich Zusammengehö-
riges an, sie standen in einem unmittelbaren Meiningen 1885–1886
Wechselverhältnis und förderten sich gegenseitig.
Die Welt des Orchesters und des Theaters war Meiningen war berühmt für sein Sprechtheater
ihm schon durch seinen Vater Franz Strauss, den und sein Konzertorchester: kein sehr großes, aber
Ersten Hornisten des Münchner Hoforchesters, ein renommiertes Ensemble, dem gute Solisten
von Kindheit an vertraut. Dieser hatte auch die zur Verfügung standen. Außerdem gab es einen
Musiklehrer für seinen Sohn aus seinem Kollegen- Chor und damit auch größere Chorkonzerte.
kreis ausgewählt: den Harfenisten August Tombo Überhaupt war dieses erste Jahr, das der junge
für das Klavier, Benno Walter für die Violine und Strauss in Meiningen verbrachte, nicht ganz das,
Friedrich Wilhelm Meyer für die theoretischen was man gemeinhin unter einer festen Stellung
Fächer. In seine Dirigententätigkeit wuchs der versteht, eher könnte man es als eine Art Volonta-
junge Richard Strauss, wie es damals üblich war, riat bezeichnen. Strauss hatte an Bülows täglicher
durch die Praxis hinein, und zwar unter der Hand Probenarbeit mit dem Orchester vormittags von 9
keines Geringeren als Hans von Bülow. Obwohl bis 12 Uhr teilzunehmen und, wenn dieser durch
dieser mit Strauss’ Vater in einem sehr gespannten Konzertreisen als Pianist abwesend war, selbst die
Verhältnis stand, besaß er, als er die Begabung von Proben zu leiten. Weiterhin musste er die Kam-
dessen Sohn erkannt hatte, die menschliche Sou- mermusikveranstaltungen organisieren und gege-
veränität, ihn in großzügiger Weise zu fördern. benenfalls dabei mitwirken; außerdem dirigierte
Von ihm ging auch der unmittelbare Anstoß für er den Frauenchor. In den Proben mit Bülow
Strauss’ erstes öffentliches Dirigieren aus. Bülow, konnte er dessen (und damit auch Wagners) Musik-
damals Hofmusikintendant bei Herzog Georg II. auffassung sowie seine Interpretation von Beet-
in Meiningen, hatte nämlich die Bläserserenade hoven kennenlernen. Besonders seine Art, den
TrV 106 des jungen Strauss auf dem Programm poetischen Gehalt der Werke von Beethoven und
der Meininger Hofkapelle und wollte von ihm ein Wagner auszuschöpfen, war für den jungen
weiteres Stück in gleicher Besetzung haben. Als Strauss maßstabsetzend. Nichts geschah aus Will-
die Meininger Bläser am 18. November 1884 diese kür, sondern war immer aus Form und Inhalt
1. Kapellmeister und Dirigent 19

selbst heraus entwickelt. Es war, wie Strauss später für eine Kapellmeistertätigkeit in seiner Heimat-
beschrieb, »eine Lehrzeit, wie sie interessanter, stadt vorlag, zog er München vor.
eindrucksvoller und – amüsanter nicht zu denken
ist« (Strauss 1981, 186).
So musste er beispielsweise gleich in den ersten
Meininger Tagen das Violinkonzert von Tschai- München (I) 1886–1889
kowsky vom Blatt dirigieren, seine eigene, soeben
im Druck erschienene zweite Symphonie in f-Moll Am 1. August 1886 trat Strauss eine Stelle als drit-
TrV 126 einstudieren und als Solist das Klavier- ter Kapellmeister an, neben dem Chef Hermann
konzert c-Moll KV 491 von Mozart unter Bülows Levi und dem zweiten Kapellmeister Franz Fi-
Leitung spielen. Nach Bülows Abschied von Mei- scher. Daneben musste er erneut den Damenge-
ningen am 1. Dezember 1885 leitete Strauss am sangsverein betreuen, der unter dem Protektorat
6. Dezember ein Konzert mit Glucks Ouvertüre von Frau von Perfall stand. In München gab es
zu Iphigenie in Aulis, einer Händel-Arie sowie zwei kein ungebundenes Proben und Musizieren, hier
großen Chorwerken: Brahms’ Schicksalslied und stand ein renommiertes Opernhaus im Zentrum
Mozarts Requiem, was eine gründliche Vorberei- und der laufende Opernalltag stellte seine präzisen
tung voraussetzte. Die Vormittage nutzte Strauss Anforderungen. Das bedeutete einerseits, dass
zu Proben der verschiedenen Werke, bis er an Strauss – meist ohne Proben – in die laufenden
Weihnachten das große Festkonzert zu leiten Produktionen einsteigen musste. Auf der anderen
hatte, in dem er unter anderem Schuberts Unvoll- Seite gab es aber auch Neuinszenierungen, die er
endete, Schumanns Manfred-Ouvertüre und die selbständig vorbereiten und einstudieren konnte.
3. Symphonie von Brahms dirigierte. Als Bülow Im Übrigen musste er, wenn Levi krank war, je-
bald darauf noch einmal nach Meiningen zurück- derzeit kurzfristig einspringen.
kehrte, fand am 29. Januar 1886 ein fast familiär Sein Debüt am Münchner Hoftheater war
wirkendes Konzert mit ihm zusammen statt: Boieldieus Oper Johann von Paris, für die er auch
Strauss dirigierte am Anfang Rheinbergers Ouver- Klavierproben geleitet hatte. Bald folgten Der
türe zu Shakespeares Der Widerspenstigen Zäh- König hat’s gesagt von Delibes (eine Oper, die
mung, Bülow am Ende die Eroica; dazwischen Strauss sehr schätzte) sowie zwei Werke von Au-
spielte Bülow als Solist unter Strauss’ Leitung das ber. Stellvertretend für Levi musste er im Januar
3. Klavierkonzert von Anton Rubinstein und die 1887 Mendelssohns Sommernachtstraum-Ouver-
Fantasie über ungarische Volksmelodien von Liszt. türe dirigieren, ebenso die letzte Vorstellung von
Und wiederum zwischen diesen beiden Werken, Rheinbergers Thürmers Töchterlein und Gold-
also im Zentrum des Konzerts, dirigierte Bülow marks Königin von Saba. Die Neueinstudierung
seine eigene Orchesterfantasie Nirwana (mit von Cherubinis Wasserträger war ihm dagegen
Strauss an den Becken!). Überdies lernte Strauss in ganz übertragen.
Meiningen Brahms persönlich kennen, der damals Solche Aufgaben waren für den jungen Kapell-
häufiger bei Herzog Georg II. zu Gast war. Am meister nicht besonders attraktiv. Aber sie ließen
2. April 1886 veranstalteten beide ein gemeinsames ihn Erfahrung sammeln und eine Routine erwer-
Abschlusskonzert, bei dem Strauss seine Concert- ben, die am Theater unentbehrlich ist, wie er
ouverture c-moll TrV 125 sowie Wagners Tristan- selbst am besten wusste. Später kamen noch zwei
Vorspiel kombiniert mit »Isoldes Liebestod«, Lortzing-Opern dazu, weiterhin Verdis Trouba-
Brahms seine Haydn-Variationen und die 4. Sym- dour und Die lustigen Weiber von Otto Nicolai.
phonie dirigierte. Nun klingen die Operntitel schon vertrauter und
Es war also ein sehr lebendiges und anregendes gehören mit Flotows Alessandro Stradella, Verdis
Musikleben, in das der junge Strauss in Meinin- Maskenball und Webers Freischütz zum allgemei-
gen einbezogen war. Als Bülow die Stelle schließ- nen Repertoire. Bemerkenswert ist, dass Der Bar-
lich ganz verließ, trug ihm der Herzog sogar die bier von Bagdad von Peter Cornelius, den Strauss
Nachfolge an. Da Strauss aber auch ein Angebot ebenfalls von Levi übernahm, damals im viel
des Münchner Intendanten Freiherr von Perfall kleineren Residenztheater gespielt wurde. Zu
20 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

nennen wäre noch die Münchner Uraufführung war Hofkapellmeister Eduard Lassen, der dem
der Oper Faust von Heinrich Zöllner, die Strauss jungen Dirigenten Anerkennung und Wohlwollen
empfohlen hatte, die zunächst aber von Levi diri- entgegenbrachte und sich sogar zu dem Satz hin-
giert wurde. Mit der Uraufführung der frühen reißen ließ: »Strauss ist ein Genie, ich aber nur ein
Wagner-Oper Die Feen kam es dann zum Eklat, Talent« (Schuh 1976, 182).
der den Ausschlag für Strauss’ Weggang von Mün- In Weimar umfasste das Opernrepertoire, das
chen gab. Da Levi wegen Krankheit beurlaubt Strauss zu übernehmen hatte, vor allem den deut-
war, hatte Strauss die gesamte Einstudierung gelei- schen Bereich: Mozarts Zauberflöte (zugleich seine
tet und dabei auch eine Einlage zum zweiten Akt Antrittsvorstellung), Die Entführung aus dem Se-
geschrieben (TrV 154). Die Premiere am 29. Juni rail und Figaros Hochzeit, weiterhin Freischütz und
1888 jedoch wurde kurzerhand Franz Fischer über- Preziosa von Weber und zwei Lortzing-Opern,
geben, da sie, wie der Intendant Perfall meinte, Glucks Iphigenie in Aulis, dann Fidelio, Die Lusti-
nicht unter einem ›dritten‹ Kapellmeister stattfin- gen Weiber von Windsor, Hans Heiling, Die Stumme
den konnte. von Portici, Meyerbeers Prophet und Afrikanerin,
Einen Lichtblick in dieser etwas trüben sowie Norma von Bellini und Flotows Alessandro
Münchner Zeit stellte für Strauss die Neueinstu- Stradella. Es waren zum großen Teil Werke, die
dierung von Mozarts Così fan tutte KV 588 dar, ein Strauss noch nicht dirigiert hatte und für deren
Werk, für das er sich zeitlebens mit besonderer Einstudierung ihm keine Proben zur Verfügung
Liebe einsetzte. Er hatte Proben und Aufführun- standen.
gen zu übernehmen, wobei sein Vater, der als Vor allem aber war es Wagner, für den er sich
Hornist im Orchester saß, wegen seiner eigenen nach seiner unmittelbar vorangegangenen Tätig-
heiklen Solostellen ebenso wie wegen der allzu keit als musikalischer Assistent in Bayreuth mit
raschen Tempi besorgt war, die der Sohn anschla- großem Enthusiasmus einsetzte. Er hatte zunächst
gen könnte (Strauss 1981, 49). Denn Richard stieß die Neueinstudierungen von Lohengrin und von
mit seinen Tempovorstellungen in dem eingefah- Tannhäuser zu leiten. Die Vorbereitungszeit für
renen Münchner Opernbetrieb immer wieder auf Lohengrin am 28. August 1890 mit zwei fünfstün-
Schwierigkeiten, so beispielsweise bei der Ouver- digen Orchesterproben, einer Arrangierprobe und
türe der Lustigen Weiber. Seine Tempi waren, wie vorher einer Reihe von Klavierproben mit Solisten
Strauss in der Rückschau auf diese Münchner und Chor war für Weimarer Verhältnisse außerge-
Jahre sagte, »der geforderten glatten Erledigung wöhnlich großzügig angesetzt; nach eigenem Be-
der Opern oft hinderlich« (Strauss 1981, 212). Er richt hatte Strauss in den Klavierproben mit den
bekannte auch offen, durch seine ungewohnten Sängern so ziemlich alles umgekrempelt, was sich
Tempomodifikationen manche Aufregung im an schlechten Gewohnheiten und Inkorrektheiten
Orchester und einmal sogar einen Schmiss hervor- eingeschlichen hatte. Ähnlich intensiv war die
gerufen zu haben. Strauss hatte eben ›modernere‹ Vorbereitung für Tannhäuser. Hier kümmerte
Vorstellungen, wie sie durch sein Vorbild Bülow Strauss sich, wie schon bei Lohengrin, um die Re-
geprägt waren. giearbeit, war er doch in Bayreuth vom inneren
Zusammenhang von Musik und Bühne überzeugt
worden. Den Höhepunkt seiner Wagner-Aktivitä-
ten bildeten im Januar 1892 Vorbereitung und
Weimar 1889–1894 Aufführung von Tristan und Isolde. Musikalisch
versuchte er, durch eine subtile Nuancierung der
Mit fliegenden Fahnen ging Strauss an das Hof- Instrumente eine intime, kammermusikalische
theater nach Weimar, wohin ihn 1889 Bülows Durchsichtigkeit der Partitur zu erreichen. Als
Freund Hans von Bronsart als Zweiten Kapell- Regisseur stand ihm der Weimarer Oberregisseur
meister engagiert hatte. In Weimar war der Atem Fritz Brandt zur Seite, der später in Bayreuth tätig
Liszts noch zu spüren, die Stadt galt als Hochburg sein sollte.
der Neudeutschen, und Strauss hoffte, dort seine Auf den persönlichen Einsatz von Strauss gin-
Ideen verwirklichen zu können. Sein Vorgesetzter gen die Aufführungen der beiden heiteren Einak-
1. Kapellmeister und Dirigent 21

ter Der faule Hans (Weimarer Erstaufführung) Die offizielle Antrittsvorstellung des neuen
und Wem die Krone? (Uraufführung) seines verehr- Kapellmeisters war im Oktober 1894 Lortzings
ten Freundes Alexander Ritter (am 8. Juni 1890) Waffenschmied, das eigentliche Ereignis aber hatte
sowie die Uraufführung von Humperdincks Hän- kurz zuvor mit seiner Tristan-Aufführung stattge-
sel und Gretel (23. Dezember 1893) zurück, denen funden. Denn damit, so die Münchner Neuesten
am Ende seiner Weimarer Zeit noch die Premiere Nachrichten (»Theater und Musik«) vom 1.7.1894,
seiner eigenen Oper Guntram (10. Mai 1894) fol- habe sich die »mehrfach ventilirte Kapellmeister-
gen sollte. frage« praktisch beantwortet und Strauss sich als
Außer der Oper hatte Strauss in Übereinkunft eine künstlerische Individualität von hervorragen-
mit Lassen einen Teil der Abonnementskonzerte der Befähigung und Bedeutung eingeführt. Er
zu leiten. Auch hier gab er der Programmgestal- wird als derjenige begrüßt, der die verloren gegan-
tung seine persönliche Note. Neben Werken von gene Tradition der großen Wagnerdirigenten wie-
Gluck, Cherubini, Schubert, Weber und Rossini der zurückbringe.
lag der Schwerpunkt einerseits auf Beethoven, Natürlich galt es auch, das Repertoire mit
andererseits auf Wagner, Berlioz und Liszt (mit Opern von Lortzing, Weber (Oberon), Mozart
zehn Symphonischen Dichtungen). Insofern war (Die Zauberflöte), Humperdinck (Hänsel und
es nicht verwunderlich, dass es im Laufe der Zeit Gretel), Beethoven (Fidelio), Verdi (Troubadour),
zu gewissen Spannungen kam. Bronsart, der den Bizet (Carmen), Flotow (Martha) und anderen zu
jungen Strauss in seiner Sturm- und Drangperiode erfüllen; seit Januar 1896 kamen Gluck (Iphigenie
sah, wehrte sich trotz seines väterlichen Verständ- in Aulis), Cornelius (Barbier von Bagdad) und
nisses in einem Brief gegen dessen übertriebenen Adam (Nürnberger Puppe) hinzu. In die Wagner-
Wagner-Liszt-Kult, aber auch gegen seine allzu schen Werke hatte er sich vorerst mit Levi und
subjektiven Beethoven-Interpretationen: »Sie dem ihm gleichrangigen Hofkapellmeister Franz
überwagnern Wagner – von Beethoven gar nicht Fischer zu teilen. Im August gab es die von Levi
zu reden!«, schrieb er seinem jungen Kapellmeister geleiteten »Aufführungen Richard Wagner’scher
am 5. August 1890 (Strauss 1996, 176). Wie sehr Werke«, von denen Strauss 1894 die Meistersinger
man in der Öffentlichkeit die Fähigkeiten des und Tristan und in der nächsten Spielzeit noch
jungen Dirigenten erkannt und seine mitreißen- Tannhäuser übernahm, so dass er 1895 allein in
den Aufführungen geschätzt hatte, verraten die dieser sommerlichen Reihe 13 Wagner-Aufführun-
Abschiedsworte der Weimarischen Zeitung, als gen dirigierte. Die Neueinstudierung von Rienzi
Strauss nach fünf Jahren die Stadt verließ: »Der mit dem Regisseur Fuchs war ihm ganz übertra-
Weggang dieses Kapellmeisters läßt hier schlech- gen, wobei er sich auch hier nicht nur auf die
terdings eine unersetzliche Lücke zurück« (Birkin musikalische Arbeit beschränkte, sondern im
1995a, 29). Bayreuther Sinn stets das Ganze im Auge hatte.
Neben den Werken Wagners gab es noch einen
weiteren Schwerpunkt für Strauss. Der Schau-
spieler und Münchner Generalintendant Ernst
München (II) 1894–1898 von Possart hatte ein großangelegtes Projekt
initiiert, in einem »Versuch der Wiederherstellung
Die zweite Amtszeit von Richard Strauss am der Originalgestalt« Mozarts Opern von den im
Münchner Hoftheater stand wieder unter der 19. Jahrhundert zugewachsenen Veränderungen an
Ägide von Generalmusikdirektor Hermann Levi. Text und Musik zu befreien. Da die Aufführungen
Wegen dessen angegriffener Gesundheit galt der aber grundsätzlich in deutscher Sprache stattfan-
junge Strauss aber von Anfang an als designierter den, war auch eine Revision der Übersetzungen
Nachfolger. Der Übergang fand allerdings nur nötig. Zudem mussten die Sänger ein regelrechtes
allmählich statt, weil sich Levi erst 1896 von der Training absolvieren, um in den Secco-Recitativen
Oper ganz zurückzog. Strauss übernahm dessen das gewünschte leichte Parlando zu erreichen, für
Pflichten als Generalmusikdirektor, der Titel dessen Begleitung Strauss eigens ein spinettartiges
wurde ihm jedoch vorenthalten. Instrument anschaffen ließ. Als Spielort – und
22 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

damit ist der entscheidende Punkt der »Wie- fünf Jahre vorher schon Mahler an der Wiener
derherstellung« angesprochen – war das alte Hofoper erreicht hatte.
Residenztheater ausersehen, in welchem die Strei- Im Laufe der Jahre kamen Neueinstudierungen
cher wieder auf die von Mozart vorgesehene von Mozarts Così fan tutte und Don Giovanni dazu
Anzahl zurückgeführt wurden, um den monu- (hier konnte Strauss musikalisch wie szenisch die
mentalen Klang des großen Opernhauses zu ver- Erfahrungen aus seiner zweiten Münchner Zeit
meiden. verwerten), weiterhin Aubers komische Oper Das
Neben seiner Kapellmeistertätigkeit an der eherne Pferd und Berlioz’ Benvenuto Cellini sowie
Oper hatte Strauss für zwei Spielzeiten die Kon- Verdis Falstaff und Saint-Saëns’ Samson und Da-
zerte der Hofkapelle, die sogenannte Musikalische lila; besonders erfolgreich war die Neuinszenie-
Akademie, zu leiten. Es waren je acht Konzerte, rung von Meyerbeers Robert der Teufel. An zeit-
die er auch hier wieder auf die zwei Grundpfeiler genössischen Werken dirigierte Strauss Rübezahl
Klassik und Moderne stellte. Wurden im ersten von Hans Sommer, Der faule Hans von Alexander
Zyklus neben Symphonien von Haydn und Mo- Ritter und Humperdincks Heirat wider Willen
zart vier Symphonien und zwei Ouverturen von sowie Neueinstudierungen von Der Postillon von
Beethoven aufgeführt, so erklangen im zweiten Lonjumeau (Adam), Johann von Paris (Boieldieu)
Zyklus alle Beethoven-Symphonien in chronolo- und Der Barbier von Bagdad (Cornelius). 1915
gischer Reihenfolge (die 9. Symphonie in einem wurde Max Schillings’ Mona Lisa ein großer Er-
Sonderkonzert, das er von Franz Fischer über- folg. Mit Strauss’ eigenen Opern gab es in Berlin
nommen hatte). Auf Seiten der Moderne waren es Schwierigkeiten. Feuersnot wurde nach der Dresd-
Liszts Faust-Symphonie, Die Ideale und Mazeppa, ner Uraufführung zunächst auch in Berlin unter
weiterhin die Faust-Ouverture von Wagner und seiner Leitung gespielt, musste aufgrund morali-
Berlioz’ Ouverture King Lear sowie Werke von scher Bedenken aber nach zehn Vorstellungen
Smetana und Dvořák. abgesetzt werden. Ähnlich erging es Salome, die
nur durch Veränderungen auf der Bühne gerettet
werden konnte.
Traditionsgemäß vom Orchester gewählt,
Berlin 1898–1918 übernahm Strauss ab Oktober 1908 auch die Sym-
phoniekonzerte der Hofkapelle, deren Leitung er
In Berlin begann Strauss als Erster Preußischer bis 1920 behielt. Sie waren angelegt als je zehn
Kapellmeister der Hofoper, mit den Kapellmeis- Matineen und Abendkonzerte (an zehn Tagen)
tern Carl Muck und Leo Blech zur Seite. 1908 pro Saison. Ihre Programmgestaltung hat Strauss
wurde er als Nachfolger Felix Weingartners zum im Vergleich zur Münchner Zeit erweitert, die
Königlich Preußischen Generalmusikdirektor der Moderne ist nicht mehr auf die Neudeutschen fi-
Berliner Hofoper ernannt und übernahm auch die xiert. So führte er in der Spielzeit 1908/09 die
Symphoniekonzerte. 6. Symphonie und 1911 die 3. Symphonie von Mah-
Wieder führte er sich mit Tristan ein. Dann ler auf, 1914 dessen Lied von der Erde, in den weite-
aber galt es, das laufende Repertoire zu überneh- ren Jahren drei Symphonien von Brahms und die
men mit Werken wie Carmen, Hänsel und Gretel, 4. und 7. Symphonie von Bruckner, aber auch
Fidelio und Rienzi sowie – zum ersten Mal für Pfitzners Ouverture zu Christelflein und ein Vor-
Strauss – dem gesamten Ring des Nibelungen. Als spiel aus Schillings’ Oper Pfeifertag, sowie in weite-
erste Novität musste er Briséïs von Chabrier, als ren Konzerten Drei Nocturnes von Debussy und die
zweite die Uraufführung Mudarra von Ferdinand Symphonische Dichtung Istar von Vincent d’Indy.
Le Borne (eine »elende Schweineoper«, wie Strauss Mit sieben großen symphonischen Werken bildete
im Schreibkalender vermerkte; TrChr 180) einstu- Liszt nach wie vor einen Hauptpfeiler seiner Pro-
dieren. Seine dritte Tat war die Neueinstudierung gramme. Von Tschaikowsky dirigierte Strauss die
der Fledermaus von Johann Strauß am 8. Mai 1899 6. Symphonie (Pathetique), von Berlioz die Sympho-
in der Hofoper, die damit ihre offizielle Anerken- nie fantastique sowie einige Ouverturen. Wagner
nung als Hoftheater-würdiges Werk erfuhr, wie es ist durch so verschiedenartige Stücke wie das
1. Kapellmeister und Dirigent 23

Meistersinger-Vorspiel, »Karfreitagszauber« aus Mahler/Roller zurückgehende Inszenierung von


Parsifal, den Huldigungsmarsch für Ludwig II. und Tristan zu dirigieren. Als er dann im Dezember
das Siegfriedidyll vertreten. offiziell sein Amt mit Fidelio angetreten hatte,
Zu den von Strauss dirigierten Klassikern ge- übernahm er in der ersten Saison Salome, Zauber-
hören natürlich Symphonien von Mozart und flöte, Elektra, Lohengrin, Rheingold, Walküre, Frei-
Haydn, dazu kommen Schuberts Symphonien schütz, Siegfried, Götterdämmerung und Carmen,
Nr. 7 (die Unvollendete) und Nr. 8 (große C-Dur- wobei schon die Aufzählung der Werke einen
Symphonie). Eine Spitzenposition nimmt Beetho- Eindruck von dem an der Wiener Oper herr-
ven ein, nicht nur mit seinen Symphonien, son- schenden Niveau vermittelt. Im Oktober 1919 gab
dern auch mit so extremen Werken wie der Großen es als besonderes Ereignis die Uraufführung der
Fuge B-Dur in Streichorchester-Version oder mit Frau ohne Schatten, aber nicht von Strauss, son-
einer unkonventionellen Kombination der 5. Sym- dern kollegialerweise von seinem Mit-Direktor
phonie mit den Mödlinger Tänzen im selben Kon- Franz Schalk dirigiert, während Strauss die späte-
zert. Von Werken der »Altklassiker« setzte Strauss ren Aufführungen selbst übernahm.
ein Concerto grosso von Händel ebenso auf seine Als Neuinszenierungen kamen im Laufe der
Programme wie Bachs Brandenburgische Konzerte, Jahre hinzu: Mozarts Così fan tutte, bei der Strauss
wobei am 4. Dezember 1913 bei der Aufführung wie schon in München als Dirigent und Regisseur
des 5. Brandenburgischen Konzerts Max Reger am wirkte (auch die Entscheidung, Figaro im kleine-
Klavier saß und anschließend seine Hiller-Variati- ren Redoutensaal zu spielen, ging auf seine
onen dirigierte. Schließlich seien hier noch Strauss’ Münchner Erfahrungen zurück), weiterhin Wag-
eigene Werke zusammengestellt, die er im Laufe ners Fliegender Holländer und Humperdincks
der Jahre mit der Berliner Hofkapelle aufführte: Hänsel und Gretel, Boieldieus Johann von Paris
Don Quixote, Don Juan, Heldenleben, Till Eulen- und Mona Lisa von Schillings. 1923 wurde anläss-
spiegel, Zarathustra, Macbeth und Symphonia do- lich von Wagners 40. Todestag eine Neueinstudie-
mestica. rung von Tannhäuser mit Leo Slezak und Lotte
Lehmann herausgebracht.
Strauss’ Wiener Tätigkeit als Konzertdirigent
könnte man schon beinahe als freie Arbeit be-
zeichnen. Zwischen 1920 und 1924 standen die
Wien 1919–1924 meisten seiner Konzerte in Verbindung mit ande-
ren Wiener Institutionen: beispielsweise im Januar
Eine völlig andere Ausgangssituation als in Berlin 1920 ein sogenanntes Cerclekonzert mit dem
ergab sich für Strauss in Wien, seiner letzten festen Kammerorchester der Philharmoniker zugunsten
Position. Jetzt war er als Komponist und Dirigent des Salzburger Festspielhausfonds, im Februar
der berühmte große Mann, für den Generalinten- 1921 ein Arbeitersymphoniekonzert mit dem ge-
dant Baron von Andrian eine neuartige Konstruk- samten Orchester, 1922 ein »Universitätsabend«
tion geschaffen hatte: eine Doppeldirektion zu- und ein Schubertbundkonzert, dazwischen aber
sammen mit Franz Schalk. Zwar waren ihre jewei- auch eine reguläre Matinee mit Mahlers 4. Sym-
ligen Kompetenzen geklärt und festgelegt, aber in phonie und mit Zarathustra sowie zwei Abonne-
der Praxis führte dies zu Schwierigkeiten; 1924 mentskonzerte mit Mozarts Jupiter-Symphonie
reichte Strauss seine Demission ein. und der eigenen Symphonia domestica. Ein »Au-
Auch die musikalische Situation unterschied ßerordentliches Konzert« mit den Philharmoni-
sich von derjenigen in Berlin. In Wien bildeten kern leitete Strauss im Mai 1922 zugunsten der
Werke wie Beethovens Fidelio, Webers Freischütz, Wohlfahrtseinrichtungen des Orchesters. Als Ku-
vor allem aber Werke von Wagner und Strauss riosum genannt seien zwei ›Monsterkonzerte‹ von
selbst die tragenden Pfeiler. So hatte Strauss gleich 1921 und 1924 im großen Konzerthaussaal. Hier
im Festspielmonat »50 Jahre Wiener Opernbühne« spielten in ein und derselben Veranstaltung die
Ariadne auf Naxos (2. Fassung) und Rosenkavalier, drei großen Wiener Orchester (Philharmoniker,
Mozarts Zauberflöte sowie eine noch auf die Ära Symphoniker und Volksopernorchester) »zuguns-
24 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

ten ihrer Wohlfahrtseinrichtungen«. Beim zweiten festen des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
Konzert stand Strauss neben seinen Kollegen 1904 in Frankfurt am Main und 1905 in Graz,
Schalk und Clemens Krauss am Pult. Die beiden beim Niederrheinischen Musikfest 1896 und beim
Strauss-Konzerte der Wiener Philharmoniker Elsaß-Lothringischen Musikfest 1905, um nur ei-
im Mai 1924 standen in Zusammenhang mit sei- nige zu nennen.
nem 60. Geburtstag, der in Wien von einer brei- Seit den späten 1880er Jahren nahm seine freie
ten Öffentlichkeit mitgefeiert wurde. Gespielt Dirigiertätigkeit in Deutschland und in ganz Eu-
wurden die Tondichtungen Also sprach Zarathus- ropa immer mehr zu. Sie hatte während seiner
tra, Ein Heldenleben, Don Juan und Symphonia zweiten Münchner Zeit schon eine erstaunliche
domestica. Dichte erreicht, was in der Wintersaison 1894/95
zu einem fast grotesken Wechselspiel zwischen
seiner aktuellen und seiner späteren Wirkungs-
stätte führte. Als Strauss gerade seine zweite
Konzerte und Konzertreisen Münchner Stellung begonnen hatte, starb Bülow
und Strauss wurde verpflichtet, dessen Berliner
Dass Richard Strauss zusätzlich zu seinen festen Philharmonische Konzerte zu übernehmen. Folg-
Verpflichtungen noch eine so reiche freie Konzert- lich hatte er zehn Konzerte in Berlin und acht
tätigkeit entfalten sollte, wurde zum großen Teil Münchner Akademiekonzerte nebeneinander zu
durch sein kompositorisches Schaffen ausgelöst. dirigieren, was ein aufreibendes Hin- und Her-
Man wollte seine Werke hören und kennenlernen. pendeln zwischen beiden Städten mit sich brachte.
So begegnen in seiner Anfangszeit oft Konzerte Einige Jahre später sollte sich das in umgekehrter
anderer Dirigenten, in denen Strauss, sozusagen Richtung wiederholen, als Strauss von Berlin aus
als Gast, eine eigene Komposition aufführen zusätzlich das neue Münchner Kaim-Orchester
konnte. Seine Orchesterfantasie Aus Italien diri- betreute.
gierte er beispielsweise in einem Münchner Aka- Besonders zu erwähnen ist eine Einladung nach
demie-Konzert von Hermann Levi im März 1887, Moskau im März 1896 – Strauss’ weiteste Reise
ein Jahr darauf in einem Bülow-Konzert in Berlin nach Osteuropa –, wo er am 16. März Beethovens
und 1889 in einem Gürzenich-Konzert unter 4. Symphonie und zwei eigene Tondichtungen zur
Wüllner in Köln. Auch noch später trat er in Wüll- Aufführung brachte. Eine größere Reise führte im
ners Konzerten mit Zarathustra oder in Bülows Oktober 1898 nach Chemnitz, Plauen, Aachen und
Berliner Konzerten mit Tod und Verklärung auf. Amsterdam. Stetig wuchs die Zahl der Strauss-
Immer bekannter in der internationalen Mu- Tage oder Strauss-Wochen, bei denen seine Teil-
sikwelt, bekam er im Dezember 1887 eine Einla- nahme erwartet wurde. Auch hier mögen einige
dung für zwei Konzerte nach Mailand, wo er u. a. Veranstaltungen beispielhaft für das Ganze stehen:
seine zweite Symphonie und das Meistersinger- je eine Strauss-Woche 1909 in Dresden und 1910 in
Vorspiel dirigierte und das Orchester so begeis- München, ein Strauss-Festival in London 1903 mit
terte, dass es ihm einen silbernen Taktstock ver- dem Concertgebouw-Orchester sowie im selben
ehrte. So kam Strauss rasch in Kontakt mit den Jahr das 1. Strauss-Festival in Amsterdam.
berühmtesten Orchestern seiner Zeit; oft geschil- Im Herbst 1901 übernahm Strauss das Berliner
dert wurden die Ovationen auf der großen Kon- Tonkünstler-Orchester für zwei Spielzeiten und
zertreise von Oktober bis Dezember 1897 in Barce- führte mit ihm in der Kroll-Oper einen Zyklus
lona, Brüssel, Paris und London. von »Sechs modernen Konzerten« durch mit No-
Er war aber auch ein gesuchter Dirigent bei vitäten von Bruckner, Tschaikowsky, Liszt, Masca-
Konzerten, die an bestimmte Institutionen gebun- gni, Elgar, Thuille, aber auch von heute kaum
den waren: etwa den Leipziger Liszt-Verein (Schuh mehr bekannten Namen. Und 1903 begab sich
1976, 258) oder den Witwen- und Waisenverein, Strauss mit dem Tonkünstler-Orchester auf eine
also bei Veranstaltungen, die man um der guten vierwöchige Konzertreise, die von Dresden über
Sache willen oder aus kollegialer Verbundenheit Österreich, Oberitalien, Südfrankreich bis in die
tut. Außerdem wirkte er mit bei den Tonkünstler- Schweiz führte.
1. Kapellmeister und Dirigent 25

Als sich Strauss als Komponist primär der Oper 1920 und 1923 fanden Südamerika-Reisen mit
zugewandt hatte, ergab sich eine weitere Steige- dem Wiener Philharmonischen Orchester statt.
rung seiner dirigentischen Tätigkeit. Einladungen Die erste führte Strauss von September bis No-
kamen von Bühnen des In- und Auslands. Im Mai vember 1920 nach Rio de Janeiro und Buenos
1906 fand die legendäre Grazer Erstaufführung Aires, die zweite, zusammen mit seinem Wiener
der Salome statt, bei der Kollegen wie Mahler, Kollegen Franz Schalk, von Juni bis August 1923
Puccini, Schönberg, Zemlinsky und Kienzl anwe- an dieselben Orte, mit zusätzlichen Konzerten in
send waren. Jetzt erstreckte sich seine freie Diri- Montevideo und São Paulo. Im August 1923 diri-
giertätigkeit auch auf die Opernhäuser, beispiels- gierte Strauss in Buenos Aires beinahe täglich
weise in Prag, Turin und Paris, wo im Dezember Konzerte mit eigenen oder fremden Werken, dar-
1906 alle sechs von Strauss dirigierten Salome- unter außer Mozart/Beethoven und Liszt/Wagner
Aufführungen ausverkauft waren. Und da seine auch Brahms und Mahler. 1920 waren die Kon-
Opern zunächst in relativ schneller Folge erschie- zerte der Tournee schon zu Beginn ausabonniert,
nen (1909 Elektra, 1911 Rosenkavalier), nahm auch während 1923 wegen der Wirtschaftskrise Strauss
die Zahl seiner Engagements an den Opernhäu- teilweise eher schwachen Besuch notierte (TrChr
sern beträchtlich zu, wobei er durchaus nicht nur 445). Zwischen diesen beiden großen Reisen lag
eigene, sondern oft auch fremde Werke dirigierte. seine zweite Nordamerika-Tournee von Ende
1916 brachte die Neubearbeitung von Ariadne auf Oktober 1921 bis Anfang 1922. Hier dirigierte
Naxos deren dauerhafte Einbindung ins Repertoire Strauss u. a. das Philadelphia Orchestra bei Kon-
mit sich und in den folgenden Jahren kamen wei- zerten in New York, Philadelphia, Chicago, Pitts-
tere neue Opern hinzu. Deren Uraufführungen burgh, Boston, Kansas City, St. Louis, Detroit
überließ Strauss anderen Dirigenten wie Ernst von und anderen Städten. »42 Konzerte« notierte er in
Schuch, Franz Schalk, Fritz Busch, Karl Böhm seinem Kalender und »insgesamt 317 Stunden auf
und Clemens Krauss, erst die Folgeaufführungen der Eisenbahn« (ebd., 429).
dirigierte er selbst.
Um die ungeheure Menge von Dirigier-An-
geboten in Oper und Konzert zu bewältigen,
musste Strauss oft größere oder kleinere Reisen auf Dirigierstil
sich nehmen. Da es in diesem Rahmen nicht
möglich ist, sie aufzuzählen, sei auf Franz Trenners Strauss’ Dirigierweise hat sich im Laufe seiner
Chronik zu Leben und Werk (TrChr) hingewie- Karriere sehr verändert. Sie war anfangs hektisch
sen. und sehr ausladend, so dass ihm sein Vater wohl-
meinend in einem Brief vom 26. Oktober 1885
nach Meiningen riet, sich seine »Schlangenbewe-
gungen« abzugewöhnen, die »zum Lachen« reizen
Die großen Amerika-Tourneen könnten (Schuh 1954, 64). Die linke Hand habe
sich ruhig zu verhalten, das Wesentliche liege in
Neben seinen zahlreichen Gastauftritten in fast der Handhabung des Taktstockes und im Auge:
allen musikalisch relevanten europäischen Städten eine Maxime, die der Sohn lebenslang beibehielt
machte Strauss vier große Tourneen nach Nord- (Strauss 1981, 53 ff.). Bis in seine zweite Münchner
und Südamerika. Erstmals nach Nordamerika Zeit hinein machte er allerdings noch oft »weit
reiste er im Frühjahr 1904 zusammen mit seiner ausholende große, und zuweilen sehr lebhafte
Frau Pauline, die als Liedsängerin auftrat. Die Bewegungen; in der Folge wurde dann seine dyna-
Programme umfassten meist Orchesterwerke und mische Zeichengebung immer schlichter und
Orchesterlieder von Strauss, aber auch von Beet- einfacher« (Steinitzer 1911, 162). Viel zitiert ist »die
hoven und Liszt. Zentrum der Reise war New Westentasche«, in die die linke Hand am besten
York, weitere Konzerte gab es u. a. in Philadelphia, gehöre, und ganz besonders der Blick mit dem
Cleveland, Pittsburgh, Morgantown, Boston und Auge, wie er es in seinen Dirigentenerfahrungen
Chicago mit den jeweiligen Orchestern. als wichtigen Rat weitergibt (Strauss 1981, 46,
26 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

49 ff.). Darüber hinaus gab Strauss eine Reihe von gehen mit den Sängern und viele der 4/4-Passagen
praktischen Ratschlägen, wie etwa den, dass man in Halben geschlagen.
nicht mit ›langem Arm‹, sondern kurz und präzis Umgekehrt zeigen Strauss’ Urteile über seine
aus dem Handgelenk schlagen und im Übrigen Kollegen, was ihm gefiel oder was ihn störte. So
»niemals Takte skandieren«, sondern »Perioden schreibt er am 28. Januar 1900 seinem Vater, Ar-
dirigieren« solle (Strauss 1981, 53 f.). Auch betonte thur Nikisch habe von Tod und Verklärung »ei-
er, wie wesentlich das Erfassen des Grundzeitma- gentlich nur die Instrumentation dirigiert« (Schuh
ßes für die richtige Wiedergabe eines Tonstückes 1954, 232). Seinem sehr geschätzten Kollegen
sei, besonders bei langsamen Sätzen mit ihren Willem Mengelberg gab er am 17. Mai 1903 den
weitgespannten Bögen, bei schnellen gegebenen- wohlmeinenden Rat: »[…] achten Sie beim Stu-
falls durch Übergang ins Alla breve. Immer wieder dium meiner Werke darauf, daß Ihr etwas zur
spricht er die Frage des Tempos an (Strauss 1981, Weichlichkeit u. Klangschwellerei neigendes Or-
55). Nach den übertrieben schnellen Tempi seiner chester für meine Sachen etwas schärfere Accente
jüngeren Jahre beachtete er in seiner reiferen Zeit gebe, besonders Ihre ersten Geigen erschienen mir
die Relativität und historische Zeitgebundenheit im Januar etwas zu süß u. kraftlos. Ich liebe etwas
der Angabe »schnell«. Hinter all diesen Hinweisen schneidigere und rauhere Spielart: […] besonders
stand immer die Einsicht in das kompositorische Eulenspiegel verträgt viel mehr Derbheit und
Werk, das er in der Überzeugung des einzig Wah- Rauheit in den Accenten u. der Art der Tonge-
ren und Richtigen reproduzieren wollte. bung« (Strauss/Reger 1998, 13).
Strauss’ Probenarbeit wird als fachmännisch Eine wichtige Aufgabe des Dirigenten sah
und sehr genau beschrieben. Er war am Pult frei Strauss in der Erziehung des Orchesters. Sein
von jeglicher Attitüde. Seine Erscheinung und Biograph und Jugendfreund Max Steinitzer weist
seine Suggestionskraft allein genügten, im Orches- aus eigener Beobachtung nachdrücklich auf seine
ter die höchste Anspannung herauszufordern. Fähigkeit hin, Orchestern von unterschiedlicher
Grundsätzlich bevorzugte er eine eher herbe Ton- Qualität in kurzer Probenzeit seine Auffassung
gebung und deutliche Akzentuierung, zu große eigener oder fremder Werke vermitteln zu kön-
Emotionen und Sentimentalität vermied er. »Er nen, und berichtet, mit welcher Raschheit und
dirigiert mit kleinen, sparsamen Bewegungen. Ein Schärfe es Strauss beispielsweise gelang, mit dem
plötzliches piano wird mit einem kleinen Einkni- Berliner Tonkünstler-Orchester die Intentionen
cken in den Knien und einer kleinen Bewegung in noch ganz unbekannter Werke herauszuarbeiten
der linken Hand angedeutet« (Bloch 1952, 323). (Steinitzer 1911, 174 f.).
Im Übrigen sorgte seine rechte Hand für Takt und
Tempo, die linke hatte nur sekundenschnell Ein-
sätze oder Akzente zu geben. Wesentlich war, wie
schon erwähnt, die gegenseitige Verständigung Im Spiegel der Kritik
durch Blickkontakt. Seine Schlagtechnik war un-
dogmatisch: Es konnte passieren, dass er aus ei- Wie Strauss selbst als Dirigent und Kapellmeister
nem inneren Impuls heraus überraschend in den in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, kann
alla-breve-Schlag überging, was vom Orchester in diesem Rahmen nur durch wenige Hinweise
höchste Geistesgegenwart verlangte. angedeutet werden. So versucht der Rezensent der
Bezeichnend ist eine Begebenheit, die Leo Tristan-Aufführung vom 29. Juni 1894 im Münch-
Wurmser von einer der letzten Proben vor der ner Nationaltheater, das Spezifische an der Auf-
Premiere der Ägyptischen Helena 1928 in Dresden führungsweise des gerade Dreißigjährigen zu er-
berichtet (Wurmser 1964, 10). Strauss, der anwe- fassen. Er stellt die überraschende Klarheit der
send war, bat den Kapellmeister Fritz Busch, den musikalischen Gliederung heraus: »Man hatte
ersten Akt abschließend einmal selbst dirigieren zu auch wieder einmal von seelenvoller Natürlichkeit
dürfen. Und plötzlich sei es wie eine andere Oper geschwellte breite Tempi, von lebensvollem Aus-
gewesen: eine große Linie von Anfang bis Ende, druck erfüllte Adagios und Largos mit außeror-
die richtigen Tempi und Rubati, das Zusammen- dentlich tiefgehender ergreifender Wirkung, an-
1. Kapellmeister und Dirigent 27

derntheils aber auch machtvolle, wie unaufhaltsam fens bildet, zu unmittelbarem Gefühlsverständnis
dahinstürmende Steigerungen, dann wieder Ac- zu bringen« (Münchner Neueste Nachrichten,
cente und Cäsuren, Pianissimos und große Bin- 18.11.1894). Auf den inneren Zusammenhang von
dungen, – lauter Vortragserfordernisse, die das produktivem und reproduktivem Künstler hat
Wesen der Tristan-Partitur ausmachen, ihr aber Paul Bekker hingewiesen. Er stellt heraus, dass
durch die hier bestehende ›Tradition‹ längst verlo- Strauss’ ausübende Tätigkeit nicht so sehr als re-
rengegangen waren« (Münchner Neueste Nach- produktive Kunst im landläufigen Sinne anzuse-
richten, 1.7.1894, »Theater und Musik«). Der hen sei, sondern mehr als eine besondere Provinz
Münchner Musikkritiker Alexander Dillmann seiner schöpferischen Tätigkeit, was allerdings
wiederum spürt beispielsweise subtil nach, wie das auch mit sich bringe, dass seine Dirigentenleis-
innere Wogen im Vorspiel zustande kommt: Die tung unterschiedlich ausfallen konnte (Bekker
Welle »weicht zurück, aber nicht ganz so weit wie 1912). Alfred Einstein wiederum zieht einen klaren
vorher und rollt mit verstärkter, drängender Kraft Trennungsstrich zwischen produktiver und repro-
aufs neue vor. Das starke rubato, das sich auf sol- duktiver Seite von Strauss’ Kunst. So skeptisch er
che Art ergab, glich die elastische Hand von Ri- dem Komponisten Strauss und seiner Alpensinfo-
chard Strauss leicht aus« und ließ das Stück wie nie gegenübersteht – »Bergsteiger- oder Touris-
von selbst an Tempo gewinnen (Dillmann 1911). tensinfonie« nennt er sie verächtlich –, so enthusi-
Bei Beethovens 7. Symphonie war es für den Re- astisch ist seine Bewunderung für den Dirigenten
zensenten schwieriger, ein geschlossenes Bild von Strauss: »Wie schlicht, einfach, sachlich, jugend-
Strauss’ Aufführung vom 16. November 1894 zu frisch dirigiert der jetzt bald Sechzigjährige, wie
vermitteln. Er versucht zunächst zu beschreiben, selbstverständlich ›ungewollt‹ weiß er die großen
was ihm neu und ungewohnt daran erschien. »Er Steigerungen seiner sinfonischen Dichtungen
[Strauss] hat sich sichtlich bis in’s Einzelnste hin- herbeizuführen, welches Fest wird der Wiederein-
ein vertieft und seine zahlreichen Nuancen des tritt des Hauptthemas im ›Heldenleben‹« (Ein-
Vortrages sind durchaus aus dem Charakter der stein 1922). Hinsichtlich der Alpensinfonie stellte
Themen und Motive heraus geschöpft.« Auch der Musikkritiker Anton Würz wiederum fest, wie
habe er es in hohem Grade verstanden, in jedem viel allerorts gegen die Meinungen und Absichten
der einzelnen Sätze durch reiche Modifikation der des Meisters gesündigt werde, »namentlich im
Tempi und scharf charakterisierende dynamische Verstande starker Vergröberungen und rücksichts-
Akzentuierungen die in ihnen vorhandene Ent- loser Effekthascherei. So manche, denen Richard
wicklung zur Erscheinung zu bringen. Dann aber Strauss selbst am Dirigentenpult als Interpret eige-
fügte der Rezensent an: »Zu dieser individualisi- ner Werke begegnet ist, gestanden hinterher, diese
renden Auffassung muß nur noch eine das Totale und jene Dirigenten würden es effektvoller ma-
noch machtvoller herausarbeitende Gestaltung chen. Gewiß, – effektvoller. Aber nicht im Sinne
hinzutreten, um das Erhabene, das bei Beethoven des Meisters, mit dem sich so viel Effekt und
stets den Hinter- und Untergrund seines Schaf- Spektakel machen läßt« (Würz 1925).
28 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Literatur

Bekker, Paul: Meister des Taktstocks. In: Allgemeine Marx, Joseph: Betrachtungen eines romantischen Rea-
Musik-Zeitung 32 (1905), 223 f. listen. Wien 1947.
–: Richard Strauss als Dirigent. In: Allgemeine Musik- Mohr, Ernst: Richard Strauss als Dirigent in der
Zeitung 39 (1912), 1050–1065. Schweiz. In: Schweizerische Musikzeitung 84 (1994),
Birkin, Kenneth: Richard Strauss in Weimar, Part 1: The 236–242.
Concert Hall. In: Richard Strauss-Blätter N.F. 33 Planyavsky, Alfred: Strauss vor dem Orchester. In: Ös-
(1995), 3–34. (1995a) terreichische Musikzeitschrift 19 (1964), 374–379.
–: Richard Strauss in Weimar, Part 2: The Opera House. Schlötterer-Traimer, Roswitha: Richard Strauss als Diri-
In: Richard Strauss-Blätter N.F. 34 (1995), 3–53. (1995b) gent. In: Richard Strauss. Autographen, Porträts,
Bloch, Sidney S.: Richard Strauss als Dirigent. In: Otto Bühnenbilder. Ausstellungskatalog München 1999,
Zoff: Die großen Komponisten, gesehen von ihren 38–68.
Zeitgenossen. Bern 1952, 320–324. Specht, Richard: Dirigenten II, Richard Strauss. In:
Dillmann, Alexander: Die Richard-Wagner-Festspiele Musikblätter des Anbruch 2 (1920), 185–188.
im Prinz-Regenten-Theater. In: Münchner Neueste Steinitzer, Max: Richard Strauss. Berlin/Leipzig 1911.
Nachrichten, 11.8.1911. Strauss, Gabriele (Hg.): Lieber Collega! Richard Strauss
Einstein, Alfred: Münchner Konzerte. In: Münchner im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten
Post, 14./15.10.1922. und Dirigenten. Berlin 1996.
Evans, Edwin: »Also sprach Zarathustra«. In: Musical –/Reger, Monika (Hg.): Ihr aufrichtig Ergebener. Ri-
Quarterly 16 (1930), 207–213. chard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen
Gutmann, Albert: Richard Strauss. Komponist und Komponisten und Dirigenten. Berlin 1998.
Dirigent. In: Der Auftakt 12 (1932), 184. Strauss, Richard: Anmerkungen zur Aufführung von
Hein, Ulrich: Richard Strauss als Interpret eigener und Beethovens Symphonien. Hg. von Franz Trenner. In:
fremder Werke. Die Aufnahmen auf Compact Disc. Neue Zeitschrift für Musik 125 (1964), 250–260.
Diskographie. In: Richard Strauss. Autographen, Wanderer, Richard: Richard Strauss als Dirigent. In:
Porträts, Bühnenbilder. Ausstellungskatalog Mün- Neue Zeitschrift für Musik 72 (1905), 751–752.
chen 1999, 311–314. Würz, Anton: Richard Strauss im Konzertverein. In:
Herzfeld, Friedrich: Magie des Taktstocks. Berlin 1953. Münchner Neueste Nachrichten, 15.1.1925.
Mandl, Richard: Meine Begegnungen mit Strauss. In: Wurmser, Leo: Richard Strauss as an Opera Conductor.
Der Merker 5 (1914), 391–394. In: Music and Letters 45 (1964), 4–15.
Manifarges, Jan C.: Richard Strauss als Dirigent. Ams-
terdam 1907.
29

2.
Strauss und die
Genossenschaft Deutscher Tonsetzer
Von Michael Karbaum

Strauss und die Tantiemen- das Deutsche Reich, ausländischen Autoren Inlän-
bewegung derbehandlung zu gewähren. Damit wurde zwi-
schen Ländern mit und Ländern ohne Tantiemen-
Die Tantiemenbewegung der Komponisten und anstalt die Frage der Gleichbehandlung akut. Als
Musikverleger im Deutschen Reich begann Ende die SACEM und die AKM damit drohten, die
der 1890er Jahre und hatte 1903 mit der Gründung Rechte ihrer Autoren im Deutschen Reich selbst
der ersten Verwertungsgesellschaft ihr wichtigstes wahrzunehmen, war das zugleich eine nationale
Ziel erreicht. Die Genossenschaft Deutscher Tonset- Herausforderung und die dringende Aufforderung
zer (GDT) ist ein Triumph kulturellen und sozia- an die uneinigen Autoren und Verleger, sich auf
len Denkens und Handelns der Musikschaffen- ein gemeinsames Vorgehen in der Tantiemenfrage
den, die kollektive Wahrnehmung von Auffüh- zu verständigen.
rungsrechten für nichtdramatische Werke ein Um die Rechte von Autoren ging es auch der
Meilenstein in der Sozialgeschichte der Musik. von Victor Hugo 1878 ins Leben gerufenen Associ-
Die Tantiemenbewegung in Deutschland kam ation Litteraire et Artistique Internationale (ALAI),
langsamer als in anderen europäischen Ländern deren Kongresse das Interesse von Vertretern der
voran. Reformbedürftig war vor allem das Urhe- Kunstsparten wie auch das von Verwertern, der
berrechtsgesetz von 1870, das für erschienene Rechtswissenschaft und Politik auf sich zogen.
Werke überhaupt kein Aufführungsrecht vorsah, Nachdem 1894 auf dem ALAI-Kongress in Ant-
es sei denn, die Ausgabe war mit einem aufge- werpen erstmals die Forderung nach einer Tantie-
druckten Aufführungsvorbehalt versehen. Selbst menanstalt im Deutschen Reich nach französi-
Autoren wie Richard Strauss haben darauf ver- schem Vorbild erhoben worden war, nahmen auf
zichtet, weil er wie die meisten Verleger diesen dem nächsten Kongress in Dresden 1895 die
Vorbehalt als hinderlich für die Verbreitung eines deutschen Verleger Oskar von Hase (Breitkopf &
Werkes ansah. Härtel, Leipzig) und Hugo Bock (Bote & Bock,
In Frankreich hatte bereits 1851 die für die Auf- Berlin) dazu kontrovers Stellung. Von Hase als
führungsrechte nichtdramatischer musikalischer Vorsteher des Vereins der deutschen Musikalien-
Werke zuständige Société des Auteurs, Compositeurs händler lehnte die Einführung von Konzerttan-
et Éditeurs de Musique (SACEM) ihren Geschäfts- tiemen wegen ungünstiger Folgen für die Musik-
betrieb aufgenommen. Dem französischen Vor- pflege ab, während Bock solche Einnahmen ver-
bild folgten 1883 Italien mit der Società Italiana teidigte und sie auch im Interesse der Autoren für
degli Autori ed Editori (SIAE) und 1897 Österreich gerechtfertigt hielt (Dümling 2003, 37). In seinem
mit der Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Bericht über die Dresdner Debatte in der Allge-
Musikverleger (AKM). Die Berner Übereinkunft meinen Musik-Zeitung brachte Engelbert Hum-
zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst perdinck, über die von Bock skizzierten Ziele hin-
von 1886 verpflichtete die Beitrittsländer, darunter ausgehend, auf den Punkt, worum es den Kompo-
30 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

nisten in letzter Konsequenz ging: Dem Verleger, allen wichtigen Punkten durchsetzen. Strauss
der einem Komponisten sein Werk abkauft, stehen wurde später nachgesagt, eigene Interessen seien
die Einnahmen aus dem Notenverkauf zu, aber im Spiel gewesen. Der Vorwurf ist in diesem Kon-
keine Beteiligung an den Aufführungstantiemen text durchaus unbegründet. Das Prinzip der kol-
(Dümling 2003, 38): eine Maximalforderung, die lektiven Wahrnehmung von Urheberrechten be-
nie ganz durchgesetzt werden konnte, den Kom- ruht vielmehr auf der Solidarität von Individuen
ponisten jedoch ein klares Ziel vorgab, für das sich künstlerisch und sozial ganz unterschiedlicher
zu kämpfen lohnte. Mit der Parole »Verlagsrechte Stellung, und zwar im Außenverhältnis gegenüber
dem Verleger – Urheberrechte dem Urheber« den Verwertern und im Innenverhältnis unter den
konfrontierte Strauss bereits Ende 1898 seinen Berechtigten. Dieser Konsens war die Grundlage
Verleger Eugen Spitzweg (Grasberger 1967, 119). für gemeinsames Vorgehen und gab der Gemein-
Zusammen mit dem geschäftsführenden GDT- schaft ihren inneren Halt.
Vorstand unterschrieb er sie noch einmal 1903, als Strauss hat das Solidarprinzip stets verteidigt,
der gesetzliche Aufführungsvorbehalt schon abge- obgleich es auch Verzicht bedeutete. Musste doch
schafft und die Führungsrolle der Autoren gegen- mancher von privilegierten Positionen auf dem
über den Verlegern, die in der GDT nur den Sta- Markt abrücken und kollektive Inkassotarife ak-
tus der außerordentlichen Mitgliedschaft genos- zeptieren. Solidarität im Innenverhältnis war für
sen, entschieden war. Erfolgreiche wie Strauss mit weiteren Zugeständ-
nissen verbunden. Die administrative Seite der
Wahrnehmung konzertmäßiger Aufführungen ist
überschaubar und mit geringerem Aufwand ver-
Die Tantiemenanstalt bunden als z. B. die von Veranstaltungen der Tanz-
als Solidargemeinschaft und Unterhaltungsmusik. Schließlich alimentiert
der wirtschaftlich profitable Autor mit seinem
Divergierende Vorstellungen über inhaltliche Fra- 10 -Abzug vom Aufkommen kontinuierlich ei-
gen einer Tantiemengesellschaft und das abzuwar- nen Fonds für soziale und kulturelle Zwecke, von
tende Ergebnis der Urheberrechtsreform behinder- dem er selbst nur im unwahrscheinlichen Falle der
ten im Deutschen Reich ein rasches und gemein- Not profitiert.
sames Vorgehen. Für die bereits organisierten und Mit missgünstiger Kritik wegen wirtschaftli-
zum Handeln entschlossenen Verleger stand öko- cher Erfolge hatte es Strauss schon früh zu tun.
nomisches Kalkül im Vordergrund: Sie wollten Zusätzliche Anlässe für Kontroversen ergaben sich
eine Wirtschaftsorganisation nach französischem aus seiner Rolle als Vorkämpfer für die Berufsinter-
Vorbild. Die Komponisten hingegen zielten auf essen und die Verbesserung der sozialen Lage der
eine Organisation der Autoren, zuständig sowohl Komponisten. Die Autorität seines Namens ver-
für wirtschaftliche als auch für berufsständische lieh den Argumenten der Komponisten erhöhte
Fragen, auf die Besetzung von Leitungsfunktionen, Aufmerksamkeit bei den Berufskollegen wie auch
eine Quote von 75  an den Ausschüttungen und bei Musikverlegern und Verwertern, die seit jeher
einen Fonds zur Unterstützung bedürftiger und mit der geistigen Leistung der Autoren Geschäfte
Förderung junger Kollegen. Jeder sollte dafür 10  machten und Handel trieben. Kurzum: Strauss
seiner Einnahmen zur Verfügung stellen: eine bot sich den Gegnern einer Tantiemenbewegung
Selbsthilfe-Regelung, mit der die GDT eine Vor- als Zielscheibe geradezu an.
bildfunktion für spätere Entwicklungen in Die Musikveranstalter machten vor und nach
Deutschland und anderen europäischen Ländern 1903 massiv Front gegen die Erhebung von Tan-
übernahm. Der soziale und kulturelle Gedanke tiemen und drohten mit Boykottmaßnahmen. Sie
lebt bis heute in der GEMA fort und fand 1965 hatten keinen geringen Erfolg mit ihrer Warnung,
sogar Niederschlag in der Ausgestaltung von §§ 7 die Musikpflege könnte Schaden erleiden, und
und 8 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes. hielten mit Angriffen gegen Strauss, Rösch und
Die Komponisten konnten sich bei Gründung andere Befürworter nicht zurück. Die Komponis-
der GDT 1903 mit ihrem Konzept und damit in ten ließen sich nicht beirren und verteidigten ihr
2. Strauss und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer 31

Ziel mit allen Mitteln. Gerichtliche Auseinander- der schlechten sozialen Lage der Komponisten
setzungen gehörten bald zum Alltag und sorgten anmahnte, hatten viele zugestimmt. Obgleich die
in der Öffentlichkeit für entsprechende Resonanz. Gedanken nicht völlig neu waren und die deut-
Das Verständnis für den Schutz geistigen Eigen- schen Musikverleger Pläne zur Gründung einer
tums und das Recht des Urhebers auf angemessene Tantiemengesellschaft nach dem Vorbild in
Vergütung hielten sich damals wie heute in Gren- Frankreich und anderen Ländern schmiedeten,
zen. sprach Sommers Empathie den Komponisten aus
der Seele. Immer wieder nahmen sie in der Tan-
tiemenfrage auf Sommer Bezug. Auch Strauss
fühlte sich von der Forderung einer Abgabe für
Sommer, Rösch, Strauss freie Werke angesprochen und schlug vor, eine
Petition für eine Gesetzesänderung an den Reichs-
In Strauss den Gründungsvater der GDT zu sehen kanzler einzureichen und mit den Unterschriften
ist zwar verbreitet und beruht auf respektvoller der namhaftesten Kollegen zu unterstützen.
Distanz, trifft aber historisch nicht ganz zu. Ob- Sommer und Rösch waren, stets in Abstim-
gleich er an der Spitze der Organisation stand, hat mung mit Strauss, vor allem für die operativen
er diese Ehre für sich nie allein in Anspruch ge- Aufgaben zuständig. Während Sommer mit seiner
nommen und auf die großen Verdienste seiner Gremienerfahrung die Versammlungen der Kom-
Freunde und Mitstreiter Hans Sommer und ponisten sorgfältig vorbereitete und mit Umsicht
Friedrich Rösch, die er lange überlebte und deren leitete, formulierte Rösch die Positionen der
Namen später verblassten, bei vielen Gelegenhei- Komponisten und vertrat sie im Reichsjustizamt,
ten hingewiesen. wo über ein neues Urheber- und Verlagsgesetz
Strauss hatte das Triumvirat zusammengeführt. beraten wurde. Die den Parlamentariern vom
Die Konstellation der drei verschiedenen Tempe- Gesamtvorstand der Genossenschaft Deutscher
ramente war nahezu ideal: Sommer und Rösch, Komponisten (s. u.) 1899 vorgelegte Denkschrift
die umsichtigen Akteure, dazwischen Strauss als zum Entwurf eines Gesetzes betreffend das Urheber-
Primus inter Pares. recht an Werken der Literatur und der Tonkunst
Strauss kannte Rösch seit gemeinsamen Ju- trägt die Handschrift von Rösch und fasst auf
gendjahren. In München hatte Rösch Jura stu- 52 Druckseiten die Argumente und Forderungen
diert, die Juristenlaufbahn aber schon bald mit der der Komponisten zusammen, die Strauss in sei-
eines (gelegentlich auch komponierenden) Diri- nem Rundbrief vom Juli 1898 (GEMA 1953, 14 ff.)
genten vertauscht und sich zudem als Verfasser um Zustimmung gebeten hatte. Einige Passagen
ästhetischer Schriften einen Namen gemacht. der Denkschrift stammen wörtlich aus Sommers
Mehrfach hatte Strauss den philosophischen wie Wertschätzung.
künstlerischen Rat des Freundes gesucht und ihn Entscheidendes in der Tantiemenbewegung
auch als Organisator, der Auseinandersetzungen ereignete sich auf der am 27. Juni 1898 nach Mainz
nicht scheute, schätzen gelernt. Als erster Ge- einberufenen Generalversammlung des Allgemei-
schäftsführer der GDT amtierte Rösch von 1903 nen Deutschen Musikvereins (ADMV), dem Mu-
bis zu seinem Tod 1925. sikfreunde und Vertreter aller Musikberufe,
Strauss und Sommer lernten sich Mitte der Komponisten aber nur in der Minderzahl ange-
1890er Jahre in Weimar kennen. Sommer, im hörten. Von Hase hatte inzwischen seine Meinung
Gegensatz zu Rösch ein feinfühliger Diplomat, geändert und mit Unterstützung des ADMV-
hatte bereits eine Karriere als Mathematiker und Vorstands zur Gründung einer Tantiemenanstalt
Gründungsrektor der Technischen Hochschule in aufgerufen, die bereits am 1. Oktober des gleichen
Braunschweig hinter sich, bevor er sich für das Jahres ihren Geschäftsbetrieb aufnehmen sollte.
Komponieren entschied. Seinem im Frühjahr 1898 Das forsche Vorgehen der Musikverleger hatte
zuerst in der Zeitschrift Der Kunstwart, dann auch unerwartete Folgen. Die Komponisten sahen sich
als Privatdruck erschienenen Aufsatz »Von der überrumpelt und sprachen vor allem mit der
Wertschätzung der Musik«, der Verbesserungen Stimme von Rösch dem ADMV das Recht ab,
32 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Beschlüsse mit derart weitreichenden Folgen zu die Grundordnung der Anstalt für musikalisches
fassen. Dennoch wurde eine Tantiemenanstalt (die Aufführungsrecht (AFMA).
sogenannte Leipziger Anstalt) gegründet, von der Die GDT war im Gegensatz zur Genossenschaft
sich die Komponisten jedoch distanzierten und Deutscher Komponisten ein rechtsfähiger wirt-
die schon nach kurzer Zeit ihren Betrieb einstellen schaftlicher Verein, der mit Komponisten, Textau-
musste. Nunmehr waren die Komponisten ent- toren und Musikverlegern Berechtigungsverträge
schlossen, ihre Sache selbst in die Hand zu neh- schloss und sich von diesen die Wahrnehmung der
men. Noch im gleichen Jahr gründeten sie in Aufführungsrechte für nichtdramatische Werke
Leipzig die Genossenschaft Deutscher Komponis- übertragen ließ. Die praktische Durchsetzung, das
ten – den ersten Komponistenverband, der diesen Inkasso und die Verteilung besorgte die AFMA,
Namen verdient, und die eigentliche Mutterorga- die der GDT organisatorisch untergeordnet war.
nisation der GDT –, um ihre Interessen gegenüber In den Vorstand wurden neben Strauss und Rösch
Verlegern und im Reichsjustizamt künftig mit ei- die Komponisten Humperdinck, Philipp Rüfer
ner Stimme zu vertreten (Schmidt 2005, 58 ff., und Georg Schumann gewählt. Strauss übernahm
89 ff., 186 ff.; Schmidt 2006, 73). Seitdem be- den Vorsitz, blieb aber auch in diesem Gremium
stimmten die Komponisten den weiteren Verlauf Primus inter Pares. Er ließ Rösch als Geschäftsfüh-
der Tantiemenbewegung. rer und Direktor der AFMA weitgehend freie
Das Urheberrechtsgesetz von 1901 enttäuschte Hand. Sommer zog sich zurück und gehörte nur
die Erwartungen, brachte allerdings in einem noch dem Beirat an. Das Erscheinungsbild der
wichtigen Punkt den erhofften Erfolg. Es stellte GDT und ihre Politik wurden maßgeblich von
klar, dass das Aufführungsrecht allein dem Autor Rösch bis zu dessen Tod 1925 geprägt.
des Werkes zustehe und nicht wie bis dahin von Die Komponisten hatten sich mit ihren Vor-
einem Aufführungsvorbehalt abhängig sei. Jedoch stellungen gegen die Verleger zwar durchgesetzt,
gab es weder eine Verlängerung der Schutzfrist diese aber nicht überzeugt; bis zur Spaltung und
von 30 auf 50 Jahre noch die von den Komponis- Gründung von Konkurrenzunternehmen war es
ten geforderte Abgabe für urheberrechtlich freie nur noch eine Frage der Zeit. Bereits 1909 gründe-
Werke, eine sogenannte »domaine public payant«, ten die Verleger die Anstalt für mechanisch-musika-
mit der die zeitgenössische Musik gefördert und lische Rechte (AMMRE), mit der sie auf den Sie-
das Ausweichen der Veranstalter auf tantiemen- geszug der Schallplatte reagierten und praktisch
freie Musik unattraktiv gemacht werden sollte. die wirtschaftliche Kontrolle über die mechani-
schen Vervielfältigungsrechte übernahmen. Nach
der Niederlage der GDT vor dem Reichsgericht in
einer von Bote & Bock eingereichten Klage zur
Der Vorsitzende Kündigung von Berechtigungsverträgen bildeten
1915 40 Verleger (sowie elf Komponisten) die Ge-
Nach Inkrafttreten des neuen Urheberrechtsgeset- nossenschaft zur Verwertung musikalischer Auffüh-
zes am 1. Januar 1902 mit seinen für die Musik rungsrechte (die sogenannte »alte« GEMA, im
und den Musikverlag unbefriedigenden Resulta- Gegensatz zur heutigen GEMA, die sich nach
ten und angesichts von Plänen aus Österreich und dem 2. Weltkrieg neu konstituierte), von nun an
Frankreich, die Aufgabengebiete der SACEM bzw. Dauerkonkurrent der AFMA. Dieses Datum mar-
AKM nach Deutschland auszuweiten, war rasches kiert das Ende einer Erfolgsgeschichte und den
Handeln geboten. Zügig wurden die Entwürfe Anfang vom Ende der GDT. Die Gründung der
für die Statuten der zu gründenden Organisation GEMA, die sich vor allem der populären Musik
zwischen Komponisten und Verlegern abgestimmt. öffnete und die Rechte der Verleger stärkte, rich-
Die Gründungsversammlung am 14. Januar 1903 tete sich gegen den unnachgiebigen Rösch, aber
in Berlin, zu der die Genossenschaft Deutscher Kom- auch gegen Strauss, der seinem Unmut und dem
ponisten eingeladen hatte, um gleich danach in der Streit GDT-GEMA mit dem Krämerspiegel TrV
GDT aufzugehen, beschloss die Annahme von 236 ein klingendes Denkmal setzte. Der Rösch
Satzung und Geschäftsordnung der GDT sowie gewidmete Liederzyklus nach Alfred Kerrs Spott-
2. Strauss und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer 33

gedichten, die erzürnte Reaktion der Verleger und 1929 zunächst im Vorstand, dem nunmehr auch
das juristische Nachspiel sind ein äußerst subtiles Arnold Ebel, Hugo Rasch und Heinz Tiessen an-
Protokoll der kämpferischen Ereignisse (Dümling gehörten, bis das finanzielle Ausmaß des von
2003, 112 ff.; Karbaum 2011, 231 f.). Kopsch verantworteten Missmanagements be-
Die wachsende Bedeutung der populären Spar- kannt wurde, und legte den GDT-Vorsitz im Juni
ten auf dem Musikmarkt und für die Verwer- 1930 nieder. Das Ziel einer einheitlichen Verwer-
tungsgesellschaft hatte die GDT nicht rechtzeitig tungsgesellschaft hatte er nicht erreicht. Sein
erkannt und in den Ruf gebracht, die ernste Musik Nachfolger Max von Schillings setzte die Bemü-
einseitig zu bevorzugen. Zu den Genres der leich- hungen fort.
ten Musik fehlten Strauss und Rösch, die damit
keineswegs allein waren, offenbar jede Beziehung.
Auch meinte man, die Diskussion über Kunst und
Werte gehöre nicht in einen wirtschaftlichen Ver- Epilog: Die graue Eminenz
ein. Aber jeder musste sehen, dass es Unterschiede
gab, die in der Sache selbst liegen. Mehr Kompro- Strauss war ab 1930 Ehrenvorsitzender der GDT,
missbereitschaft bei den Verantwortlichen in der die ab 1933 praktisch nicht mehr existierte. Im
GDT hätte die Spaltung und ihre Folgen vielleicht September 1933 beendete der NS-Staat mit der
verhindern können. Gründung der Staatlich genehmigten Gesellschaft
zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte
(STAGMA) schlagartig die jahrelange Auseinan-
dersetzung zwischen GDT, GEMA und AKM.
Einigungsverhandlungen Autoren und Verleger, die kaum ahnen konn-
GDT-GEMA ten, welche Maßnahmen noch folgen sollten, be-
grüßten mehrheitlich die Klärung der Lage und
Die Vertreter von GDT und GEMA hatten sich sahen in einer einheitlichen reichsdeutschen Ge-
viel vorgenommen, als sie 1924 Verhandlungen sellschaft unter dem Schutz der Regierung die
mit dem Ziel der Überwindung des Schismas Verwirklichung eines lange erhofften Zustands.
aufnahmen. Kriegsfolgen, Revolution und Infla- Auch der rasch und gründlich vollzogenen Aus-
tion waren an beiden Organisationen nicht spur- richtung der STAGMA auf die neue politische
los vorüber gegangen. Hinzu kamen interne Kri- Linie misstrauten nur wenige der Verantwortlichen
sen, die die Verhandlungen unterbrachen. Erst wie z. B. Tiessen und Georg Schumann. Geschei-
1930 war ein Kompromiss gefunden. Die Gesell- tert war Strauss mit seinen restaurativen Vorstel-
schaften existierten weiter und übertrugen im lungen über die Struktur der neuen Verwertungs-
Verbund mit der österreichischen AKM ihre gesellschaft, die dem Muster der GDT entspre-
Rechte dem neu errichteten Musikschutzverband, chen, die Aufsicht über die Wirtschaftsorganisation
der gegenüber den Veranstaltern nunmehr einzi- ausüben und für berufsständische Fragen der
ger Ansprechpartner war und Verträge über die Komponisten zuständig sein sollte. Gegen seinen
Nutzung des Gesamtrepertoires im Deutschen Rat trennten die Machthaber die beiden Bereiche.
Reich abschließen konnte. Leo Ritter wurde Geschäftsführer der STAGMA,
Nach Röschs Tod übernahmen 1925 Eduard Paul Graener als Präsident drei Monate nach seiner
Behm und 1926 Julius Kopsch die Geschäftsfüh- Bestellung abberufen und der aus Komponisten,
rung der GDT. Kopsch, der es offenbar für seine Textdichtern und Verlegern bestehende Vorstand
Pflicht hielt, wie schon Rösch mit allen Mitteln als Gesellschaftsorgan kurzerhand abgeschafft
gegen die GEMA vorzugehen (Bock 1930, 7), war (Dümling 2003, 193 f.). Mit seinem Rücktritt vom
nur drei Jahre im Amt, als ihm Unregelmäßigkei- Präsidentenamt der Reichsmusikkammer im Jahr
ten vorgeworfen wurden und er gemeinsam mit 1935 beendete Strauss zugleich die Leitungsfunk-
dem Vorstand zurücktreten musste. Ihm folgte als tion in der berufsständischen Fachschaft.
geschäftsführendes Vorstandsmitglied in der GDT Etwa die Hälfte seines Lebens, vom Beginn der
Max Butting. Strauss blieb nach den Wahlen von entscheidenden Gründungsphase 1898 bis zur Li-
34 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

quidation im Jahr 1936, war Strauss mit der GDT funktionär des Landes und nolens volens auch zum
verbunden, länger als mit keiner anderen Organi- homo politicus machten wie der Vorsitz im
sation. Auch nach 1933, in der STAGMA, blieb ADMV und die kurze Zeit der Präsidentschaft in
sein Rat gefragt, bei den Machthabern wie bei den der Reichsmusikkammer des NS-Staates. Nir-
Berufskollegen. In dieser Zeit bekleidete er zwar gendwo hat er sein soziales Credo nachhaltiger
keine operativen Ämter mehr, blieb aber die graue verwirklicht und mehr für die Verbesserung der
Eminenz. Lage der Musikschaffenden erreicht als in und mit
Keine seiner vielen Funktionen war für das der GDT. Seine Mitwirkung in der Tantiemenbe-
Musikleben von nachhaltigerer Bedeutung als sein wegung und der Autorengesellschaft ist nicht das
ehrenamtliches Engagement in der GDT, deren ›andere‹ Lebenswerk des Komponisten, sondern
Erfolg und Scheitern er miterlebte – auch nicht die unlösbarer Teil seines Gesamtschaffens (Karbaum
Ämter, die Strauss zeitweise zum ersten Musik- 2011 221 f.) und ein Glücksfall der Musikgeschichte.

Literatur

Bock, Gustav: Die Aufführungsrechtsgesellschaften in Schmidt, Manuela Maria: Die Anfänge der musikali-
Deutschland und ihr Zusammenschluss. In: GEMA- schen Tantiemenbewegung in Deutschland. Eine
Nachrichten 37 (22.8.1930), 4–9. Studie über den langen Weg bis zur Errichtung der
GEMA (Hg.): Musik und Dichtung. 50 Jahre Deutsche GDT im Jahre 1903 und zum Wirken des Komponis-
Urheberrechtsgesellschaft. München 1953. ten Richard Strauss. Berlin 2005.
Dümling, Albrecht: Musik hat ihren Wert. 100 Jahre –: Friedrich Rösch – ein Vorkämpfer für die Rechte der
musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutsch- Komponisten. In: Richard Strauss-Blätter N.F. 55
land. Regensburg 2003. (2006), 71–88.
Grasberger, Franz (Hg.): Der Strom der Töne trug mich –/Riesenhuber, Karl/Mickler, Raik: Geschichte der
fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Tutzing musikalischen Verwertungsgesellschaften in Deutsch-
1967. land. In: Reinhold Kreile u. a. (Hg.): Recht und
Karbaum, Michael: Das andere Lebenswerk? Richard Praxis der GEMA. Handbuch und Kommentar.
Strauss und die Gründung von Autorengesellschaf- Berlin 22008, 5–24.
ten. In: Richard-Strauss-Jahrbuch 2011, 219–232. Strauss, Richard: Briefe (Abschriften) an Julius Kopsch
Mauruschat, Hans-Christoph: »Die Wertschätzung und Leo Ritter. GEMA-Archiv.
der Musik«, Folge 1–7. In: GEMA-Nachrichten
Nr. 160–166. Berlin 1999–2002.
35

3.
Strauss und der
Allgemeine Deutsche Musikverein
Von Irina Lucke-Kaminiarz

Der Allgemeine Deutsche Musikverein (ADMV) den. Letzteres war nicht nur eine künstlerische
wurde 1861 in Weimar während einer Tonkünst- Herausforderung, es bedurfte auch enormer Ma-
lerversammlung gegründet, an der mehr als 700 nagementqualitäten bei der Organisation und
Musiker (unter ihnen Franz Liszt, Richard Wag- Durchführung von Proben wie von Aufführungen
ner, Hans von Bülow, Felix Draeseke, Franz Bren- mit einer Vielzahl von Musikern aus dem In- und
del und Louis Köhler) teilnahmen. Den Vorschlag Ausland. Legendär wurde die Programmände-
dazu hatte Köhler zwei Jahre zuvor in Leipzig ge- rung, die Strauss durchsetzte: Er ersetzte Johannes
macht, unterstützt von Liszt, der wie Brendel Brahms’ Deutsches Requiem (zum Gedächtnis
schon länger die Gründung eines solchen Zusam- Riedels) durch Liszts Heroïde funèbre (Kaminiarz
menschlusses betrieben hatte. Köhler, Liszt und 1995, 36–72). Ein Jahr später, vom 19. bis zum
Brendel, außerdem Carl Friedrich Weitzmann, 22. Juni 1890, fand die 27. Tonkünstlerversamm-
Julius Schäffer und August Wilhelm Ambros bil- lung in Eisenach statt, mit Novitäten wie Strauss’
deten die Kommission, die die Gründung vorbe- Burleske TrV 145 und seiner Tondichtung Tod und
reitete und die Statuten entwarf. Verklärung TrV 158 (vgl. die Liste der bei den Ton-
Ziele des Vereins waren »die Pflege der Ton- künstlerversammlungen aufgeführten Werke von
kunst und die Förderung der Tonkünstler« (Statu- Strauss am Ende dieses Beitrags). Die Resonanz
ten 1869, 7), er entwickelte sich zu einem Netz- auf beide Werke war groß; bei der Tondichtung
werk der Musikerelite Europas und darüber wurde gefordert, Werke dieser Bedeutung gleich
hinaus. Der ADMV ist mit dem künstlerischen zweimal hintereinander zu geben.
und dem »zweiten Lebenswerk« von Richard
Strauss eng verbunden. 1886, in den Akten zur
Tonkünstlerversammlung in Sondershausen (der
letzten, an der Franz Liszt teilnahm), ist der Name Mitarbeit in der Musikalischen
Strauss erstmals zu finden. Den Vorschlag, seine Sektion und im Gesamtvorstand
zweite Symphonie f-Moll TrV 126 aufzuführen, des ADMV
lehnte der Vorsitzende, Carl Riedel, ab, da Strauss
nicht Mitglied sei. Im März 1887 trat Strauss dem Bereits 1890 übernahm Strauss eine maßgebliche
Verein bei, im Juni wurde mit dem Klavierquartett Funktion in der Leitung des ADMV. Neben
c-Moll TrV 137 erstmals eines seiner Werke vom Bronsart (Weimar), Eduard Lassen (Weimar),
ADMV präsentiert. Der Liszt-Schüler und neue Felix Draeseke (Dresden) und Gustav Rebling
ADMV-Vorsitzende, Hans Bronsart von Schellen- (Magdeburg) wurde er Mitglied der Musikali-
dorf, gleichzeitig Generalintendant des Weimarer schen Sektion. Gleichzeitig berief man ihn zum
Hoftheaters, engagierte den 25-jährigen Strauss als Mitglied des Gesamtvorstandes (Kaminiarz 1995,
Kapellmeister und gewann ihn als Festdirigenten 9 f.), dem auch Brahms, Richard Pohl, Felix Mottl,
der 26. Tonkünstlerversammlung 1889 in Wiesba- Heinrich Porges u. a. angehörten. Die Musikali-
36 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

sche Sektion prägte die ästhetische Ausrichtung Hase, Mitglied des Direktoriums und als Chef
des Vereins. Sie wählte jene Werke aus, die auf den von Breitkopf & Härtel zugleich Vorsitzender des
Tonkünstlerversammlungen präsentiert werden Vereins der Musikalienhändler, legte die Satzung
sollten. Die Komponisten hatten die Werke in der einer Anstalt für musikalische Aufführungsrechte
Regel bis zum Dezember einzureichen. Nach einer vor. Das Direktorium hatte deren Annahme für
ersten Sichtung wurden sie dann den Gutachtern den ADMV bereits beschlossen und wünschte die
zugesandt. Diese beurteilten in pragmatisch gehal- Unterstützung durch die Hauptversammlung.
tenen Gutachten die ästhetischen wie musikali- Strauss, der in Mainz verhindert war, begrüßte
schen Qualitäten und entschieden über die Auf- zunächst das Vorgehen (Kaminiarz 1995, 109 f.).
führbarkeit. Viele Voten, insbesondere die von Als sich jedoch zeigte, dass in der Satzung die In-
Strauss, sind recht lakonisch, aber zielorientiert teressen der Musikalienhändler dominierten,
abgefasst. Leider ist nur ein kleiner Teil überliefert stellte sich Strauss (der seine Wiederwahl in den
(Lucke-Kaminiarz 2011, 269 f.). Von Strauss gibt es Musikausschuss ebenso wie in den Gesamtvor-
mehrere Gutachten aus den 1890er Jahren (Kami- stand abgelehnt hatte) zusammen mit seinen
niarz 1995, 34 f.). Geschickt nutzte er hier alle Freunden Friedrich Rösch und Hans Sommer
Möglichkeiten, um die Moderne durchzusetzen. konsequent dagegen (vgl. Kap. 2). In einem vier
Vergleichen lässt sich das in der Geschichte des Wochen nach der Mainzer Versammlung von ih-
ADMV nur noch mit dem Einsatz Liszts für Wag- nen formulierten und von Strauss unterzeichneten
ner, Berlioz, Schumann, Cornelius und andere. Rundschreiben protestierten sie gegen die Be-
Strauss’ Positionen provozierten gelegentlich kriti- schlüsse der Hauptversammlung und riefen ihre
sche Reaktionen. Als er die Aufführung von Mah- Kollegen dazu auf, angesichts der bevorstehenden
lers 1. Symphonie zur Tonkünstlerversammlung Revision des Urheberrechtsgesetzes ihre Interessen
1894 in Weimar empfahl, griff Adolf Stern, Mit- selbständig zum Ausdruck zu bringen (Kaminiarz
glied des Direktoriums, ein. Wie der Schatzmeis- 1995, 112 f.). Unter der Federführung der ADMV-
ter, Oskar von Hase, war er der Meinung, Drae- Mitglieder Strauss, Rösch und Sommer wurde am
sekes Sinfonia Tragica op. 40 sei Mahlers Sympho- 30. September 1898 in Leipzig die Genossenschaft
nie vorzuziehen. Deutscher Komponisten gegründet. Obwohl sich
Das Verhältnis zur Moderne geriet für den die Positionen wechselseitig verschärften, achteten
Verein zum Prüfstein, verschärft durch die zuneh- beide Parteien – der Vorstand wie die Gruppe um
menden Urheberrechtsdebatten. Bereits bei der Strauss – darauf, den Verein nicht zu beschädigen.
Tonkünstlerversammlung 1897 stand die Frage
nach Reform oder Sezession der jüngeren Genera-
tion im Raum. Man entschied sich für Reform,
ohne jedoch Grundsätzliches zu ändern. Bronsart Strauss als Vorsitzender des ADMV
war zurückgetreten, das Direktorium hatte Fritz (1901–1909)
Steinbach als neuen Vorsitzenden gewählt. Er
nahm eine Änderung der Statuten vor und rich- Seit dem Aufbrechen der Konflikte um die Rolle
tete fünf Ausschüsse ein: je einen für Urheber- der musikalischen Moderne bei den Tonkünstler-
recht, Musik, Presse, Herausgabe musikalischer versammlungen wurde Strauss von der jungen
und musikwissenschaftlicher Werke, Finanzen. Generation als neuer Vorsitzender favorisiert.
Vor allem der erstgenannte Ausschuss war eine Während der Hauptversammlung der 38. Ton-
Reaktion auf die unbefriedigende Situation des künstlerversammlung am 3. Juni 1901 in Heidel-
Urheberrechts und die im ADMV zu Spannungen berg, die laut Protokoll die »Ergänzungswahl« des
führenden gegensätzlichen Interessen von Verle- Gesamtvorstandes durchzuführen hatte, kam es zu
gern, Veranstaltern und Komponisten. einem Vorgang, der als »Heidelberger Revolution«
Während der Tonkünstlerversammlung in in die Annalen des Vereins einging: Strauss wurde
Mainz 1898 kulminierten die Differenzen über das wieder zum Mitglied des Gesamtvorstandes ge-
künstlerische Profil des Vereins wie über Fragen wählt, zusammen mit Gustav Rassow, Max Schil-
des Urheberrechts (Schmidt 2005, 106–343). Von lings, Humperdinck, Rösch, Theodor Müller-
3. Strauss und der Allgemeine Deutsche Musikverein 37

Reuter und als ›Ersatzmänner‹ (als Nachrücker) Der Vorsitzende Strauss konzentrierte sich auf
Felix Mottl und Hans Sommer. Am 4. Juni tagte folgende Arbeitsfelder:
der neue Gesamtvorstand. Von Hase und Wein- – neue künstlerische Ausrichtung der Programme
gartner schieden aus dem Geschäftsführenden der Tonkünstlerversammlungen,
Ausschuss aus und wurden per Akklamation – bessere Strukturierung der Verwaltung,
durch Strauss und Rassow ersetzt. In den Musik- – Ausarbeitung neuer Statuten des ADMV und
ausschuss berief man Schillings, Jean Louis Ni- der Liszt-Stiftung,
codé, Humperdinck, Steinbach und Siegfried – Klärung der Zuständigkeiten des ADMV im
Ochs. In den Presseausschuss wurden Otto Less- Kuratorium der Liszt-Stiftung, insbesondere des
mann und Otto Neitzel wiedergewählt, an die weiteren Prozederes der Liszt-Gesamtausgabe,
Stelle des verstorbenen Heinrich Porges trat – die Verwaltung der Liszt-Stiftung sowie der an-
Rösch. Die Wahl des Ausschusses für die Heraus- deren Stiftungen des Vereins zur effizienteren
gabe musikalischer und musikwissenschaftlicher Gestaltung seiner sozialen Aufgaben,
Werke, zu dessen Mitgliedern d’Albert, von Hase, – Sicherstellung der Standesfragen der Musiker.
Bernhard Kellermann und Porges gehört hatten,
wurde ausgesetzt. Stattdessen beauftragte man den Umgehend griff Strauss die Probleme um die
Geschäftsführenden Ausschuss, von Breitkopf & Liszt-Stiftung auf, die laut Satzung unter der
Härtel (d. h. von Hase) schriftlich Auskunft über Oberaufsicht eines siebenköpfigen Kuratoriums
den Stand der Gesamtausgabe der Werke Liszts zu vom ADMV verwaltet wurde. Seit ADMV und
erbitten und die Verlegung der bedeutenden Bi- Kuratorium nicht mehr, wie unter Bronsart, in
bliothek des ADMV aus Leipzig in das Liszt- Personalunion geleitet wurden, gab es Kompe-
Museum nach Weimar zu betreiben. Das gelang tenzprobleme. Der ADMV war für Geschäftsfüh-
allerdings erst 1930 (Lucke-Kaminiarz 2011, 273 f.). rung und Verwaltung sowie die Vertretung der
Zum Umgang mit der Bibliothek gab es gegen- Liszt-Stiftung nach außen zuständig (Kaminiarz
sätzliche Positionen. Müller-Reuter schlug vor, die 1995, 130 f.), wozu auch Vertragsabschlüsse gehör-
Mitglieder laut § 15 der Satzung aufzurufen, ihre ten. Die Auseinandersetzungen entzündeten sich
Werke der Bibliothek zur Verfügung zu stellen. vor allem an dem Vertrag, der mit Breitkopf &
Die Gründerväter des ADMV hatten darin die Härtel zur Herausgabe der Werke Liszts geschlos-
Basis für rasche und kostengünstige Nachauffüh- sen wurde. Der Verlag hatte sich verpflichtet,
rungen gesehen, was bald den Widerspruch der andere Originalverleger zur Mitwirkung an einer
Verleger im Verein nach sich zog, wenn auch ohne kritischen Liszt-Gesamtausgabe zu gewinnen,
größere Konsequenzen. Jetzt, angesichts der De- war jedoch erfolglos geblieben. Gleichzeitig hatte
batten um Urheberrecht und Verwertung, stellte er für das Projekt von 1897 bis 1900 bereits
man Müller-Reuters Antrag zurück: mit gravie- 7500 Mark erhalten, ohne dass eine Gegenleistung
renden Folgen für den Bibliotheksbestand. Von vorlag. Strauss hielt das Projekt erst für die Zeit
Strauss sind z. B. nur einige der bis 1901 aufgeführ- nach 1911 realisierbar, wenn Liszts Werke frei wür-
ten Werke vorhanden (Klavierquartett TrV 137, den.
Wandrers Sturmlied TrV 131, Don Juan TrV 156, Die Auseinandersetzungen um die Satzung der
Zwei größere Gesänge TrV 197; später kam noch Liszt-Stiftung und die Liszt-Gesamtausgabe wur-
Austria TrV 259 hinzu). den vehement geführt. Strauss und Rösch brüs-
Seit Juni 1901 bestand der Geschäftsführende kierten die Stifterin, Fürstin Marie zu Hohenlohe-
Ausschuss aus Strauss als Vorsitzendem und Schillingsfürst, geb. Sayn-Wittgenstein, wie auch
Steinbach als Stellvertreter; Lessmann blieb ältere Kuratoriumsmitglieder durch die Vertrags-
Schriftführer, Ochs dessen Vertreter; Rassow er- aufkündigung gegenüber Breitkopf, die vehe-
setzte von Hase (der gleichzeitig aus dem Gesamt- mente Kritik an der Stiftungssatzung sowie
vorstand ausgeschieden war) als Schatzmeister. Strauss’ Ansicht, die Liszt-Stiftung sei ein Ge-
Den Vorsitz des Musikausschusses übernahm schenk der Stifterin an den ADMV. Involviert in
Schillings. Damit waren entscheidende Positionen die Auseinandersetzungen waren unter anderen
neu besetzt. der Weimarer Generalintendant und Vorsitzende
38 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

des Kuratoriums der Liszt-Stiftung, Hippolyt von günstigt durch ein Publikum, zu dem Kapellmeis-
Vignau, außerdem Bronsart, Mottl, Alois Obrist ter, Interpreten, Konzertveranstalter sowie die
und selbst Cosima Wagner. Schließlich kam es nationale und internationale Presse gehörten,
1907 zu einer Lösung. Strauss und Rösch sorgten zahlreiche Folgeaufführungen.
mit dem Einverständnis der Fürstin und des Ein Jahr später wurden auf der Tonkünstlerver-
ADMV-Protektors Wilhelm Ernst von Sachsen- sammlung in Basel am 13. Juni 1903 die neuen
Weimar-Eisenach für eine neue Satzung der Liszt- Statuten des ADMV angenommen. Nun hießen
Stiftung, die die Aufgaben und Zuständigkeiten die jährlichen Veranstaltungen ›Tonkünstlerfeste‹,
klar regelte und die Subvention der Gesamtaus- Indiz für die herausragende Bedeutung der musi-
gabe der Werke Franz Liszts als eigenständigen kalischen Aufführungen. Im Mittelpunkt der Tä-
Stiftungszweck paraphierte (Kaminiarz 1995, tigkeit des Vereins standen:
130 ff.). Die Stiftungssatzung wurde zum Ton- »1. die Pflege und Förderung des deutschen
künstlerfest in Dresden auch von der Hauptver- Musiklebens im Sinne einer fortschreitenden Ent-
sammlung des ADMV angenommen. Die Groß- wicklung;
herzog Carl Alexander-Ausgabe der musikalischen 2. die Wahrung und Förderung der Standes-
Werke Liszts erschien von 1907 bis 1936 bei und Berufsinteressen der Tonkünstler;
Breitkopf & Härtel in Leipzig. Sie wurde 1937 3. die Unterstützung bedürftiger Tonkünstler
nach 33 Bänden in Folge der Zwangsauflösung des und ihrer Hinterbliebenen« (HSA/ThLMA,
ADMV unvollendet eingestellt. ADMV-B I.II.06, 3).
Strauss nahm sich auch der Nutzung und Ver- Der Gesamtvorstand wurde abgeschafft, die
waltung der anderen ADMV-Stiftungen zur För- Vereinsstruktur vereinfacht und das Arbeitspro-
derung und Unterstützung junger Musiker (Ka- gramm zügig umgesetzt. Die Mitgliederzahl des
miniarz 1995, 149 ff.) an, waren doch die Ausschüt- ADMV, die schon unter Steinbach auf über 700
tungen bisher bescheiden gewesen. Wie seine angestiegen war, erhöhte sich weiter, sie erreichte
umfangreiche Korrespondenz zeigt, war er be- 1909 bereits mehr als 1080 Personen. Neu hinzu-
müht, schnell und mit Augenmaß zu helfen. Be- gekommen waren u. a. Mahler, Schönberg,
kannt geworden ist sein Engagement für Arnold Jaques-Dalcroze, Ermanno Wolf-Ferrari, Heinz
Schönberg. Strauss verhielt sich hier wie über- und Klaus Pringsheim, Siegfried Wagner, Ernest
haupt bei der Förderung des Nachwuchses und Bloch, Bruno Walter, Walter Braunfels, Hermann
der Durchsetzung der Rechte der Komponisten Abendroth, aber auch Verleger und Bankiers.
nicht anders als Franz Liszt mit seinem Credo Deutlich erhöhten sich die Einsendungen von
»Génie oblige« (Liszt 2000, 388). Kompositionen an den Musikausschuss. Zum
Die 39. Tonkünstlerversammlung, die erste der Beispiel wurden im Jahr 1907 417 Werke einge-
Ägide Strauss, fand vom 6. bis 10. Juni 1902 in sandt, 80 kamen in die engere Wahl, 20 davon
Krefeld statt. Bereits im Oktober des Vorjahres konnten in den sechs Konzerten aufgeführt wer-
schickte er Schillings als Vorsitzendem des Musik- den. Hinzu kamen auch einzelne Werke, die der
ausschusses seine Programmskizze (Schlötterer Vorstand aus strategischen Gründen bzw. die die
1987, 66). Sie enthielt u. a. Werke von Schillings, gastgebenden Städte vorschlugen. Obwohl Strauss
Baußnern, Blech, Pfitzner, Sommer, Reger, Juon, von seiner »zu Objektivität vereidigten Vereinsvor-
Thuille, Humperdinck, Jaques-Dalcroze und standsseele« (Schlötterer 1987, 95) sprach, gab es
Strauss. Höhepunkt sollte die Uraufführung von um die Auswahl der Werke intern wie öffentlich
Mahlers 3. Symphonie werden. Als Mahler vier mitunter heftige Auseinandersetzungen.
Wochen vor dem Termin das Werk wegen seiner Auf den Hauptversammlungen standen außer-
Anforderungen an Interpreten und Publikum zu- dem Probleme moderner Programmgestaltung,
rückziehen wollte, stellte Strauss ihm umfangrei- Prinzipien der Musikausbildung ebenso wie ästhe-
che Probenzeiten zur Verfügung. Die Symphonie tische und soziale Fragen im Fokus – beim Ton-
wurde im 4. Konzert, am 9. Juni 1902, unter künstlerfest 1905 in Graz beispielsweise die Situa-
Mahlers Leitung mit großem Erfolg uraufgeführt tion der Orchestermusiker –, aber auch panger-
und erlebte, ganz im Sinne des ADMV und be- manische Tendenzen (Kaminiarz 1999, 383).
3. Strauss und der Allgemeine Deutsche Musikverein 39

Während des Tonkünstlerfestes 1906 in Essen – Strauss’ Ablehnung seiner Wiederwahl stellte Paul
künstlerischer Höhepunkt war die Uraufführung Marsop unter begeistertem Beifall der 200 Ver-
von Mahlers 6. Symphonie unter der Leitung des sammlungsteilnehmer den Antrag, Strauss zum
Komponisten – wurde eine Kommission »Zur Ehrenvorsitzenden zu ernennen, das erfolgte ein-
Prüfung der Lage der Orchestermusiker« gebildet. stimmig (GSA 70/237,3). Damit wurde Strauss’
Außerdem diskutierte man den Vorschlag, Kom- zwanzigjähriges Engagement für den Verein, die
missionen zur »Gründung einer Vermittlungsstelle Effizienz seiner Arbeit als Ausschuss- und Vor-
ausübender Künstler« und zur »Förderung des standsmitglied sowie als ADMV-Vorsitzender,
Unterrichts« ebenso ins Leben zu rufen wie eine seine beeindruckende Förderung der zeitgenössi-
»Richard-Wagner-Stiftung zur Förderung musik- schen Musik, aber auch junger oder bedürftiger
dramatischer Werke«. Strauss gelang es schritt- Musiker zusammen mit seiner überragenden Be-
weise, zwei bis drei zeitgenössische Opern in die deutung als führender Musiker seiner Zeit ange-
Programme aufzunehmen. messen gewürdigt. Seine Nachfolger als Vorsit-
Das Tonkünstlerfest 1908 in München stand zende, Schillings (1909–1919), Rösch (1919–1925)
wegen des Streiks der Münchner Musiker zeitwei- und Hausegger (1926–1935), versuchten, die Ton-
lig in Frage. Strauss nahm auf der Hauptversamm- künstlerfeste in Strauss’ Sinne fortzuführen.
lung zu dieser Form des Arbeitskampfes und den Nach 1909 gibt es nur noch gelegentliche do-
dahinter stehenden grundsätzlichen Problemen kumentierte Kontakte zwischen Strauss und dem
des Verhältnisses zwischen Orchester und Dirigent ADMV. Er behielt die Arbeit des Vereins im Blick,
Stellung. Außerdem berichtete die Kommission ohne sich jedoch in die Entscheidungen eines
zur Prüfung der Lage der Orchestermusiker und Musikausschusses, in dem beispielsweise zwischen
man regte die Bildung eines Schiedsgerichts zur 1919 und 1924 mit Heinz Tiessen, Hermann
Vermittlung von Streitfragen zwischen Orchestern Scherchen und Paul Hindemith Vertreter der
und Dirigenten an. musikalischen Avantgarde die Programme der
Auf der Hauptversammlung des 45. Tonkünst- jährlichen Tonkünstlerfeste bestimmten, einzumi-
lerfestes am 4. Juni 1909 in Stuttgart fand die schen. Seine eigenen Werke spielten bis 1907 eine
Neuwahl des ADMV-Vorstandes statt. Strauss bedeutende Rolle, erklangen danach eher spärlich.
wurde durch Zuruf und ohne Widerspruch wie- 1919, vor allem aber zu Geburtstagen des Ehren-
derum zum ersten Vorsitzenden gewählt. Er er- vorsitzenden 1914, 1924 und 1934 gab es Auffüh-
klärte jedoch, die Wahl wegen Arbeitsüberlastung rungen seiner Kompositionen. 1926, zum Geden-
und mit Rücksicht auf seine schonungsbedürftige ken an Friedrich Rösch, spielte man u. a. die
Gesundheit nicht mehr annehmen zu können. Tondichtung Tod und Verklärung, die Strauss
Tatsächlich war er wohl außerordentlich verärgert Rösch gewidmet hatte.
über die erregte Debatte der Münchner Musikpu- Seit 1933 fand schrittweise die »Gleichschal-
blizisten Edgar Istel (Verfasser der anonymen Sa- tung« des ADMV statt. Dabei spielte der letzte
tire Die 144. Kakaphoniker Versammlung in Bier- Vorsitzende, Peter Raabe (1935–1937), eine ent-
heim [Istel 1909, 225 f.]) und Paul Marsop (das scheidende Rolle. Der von Strauss eingeführte
lächerliche »Reformkasperl«), der sich persönlich Begriff »Tonkünstlerfest« wurde abgeschafft und
und für den ganzen Verein angegriffen fühlte. wieder ersetzt durch »Tonkünstlerversammlung«.
Strauss (in Istels Text »S. M. Richard II.«) äußerte Als erste im ›neuen Reich‹ galt die Tonkünstlerver-
später, die Sache sei gar nicht »so arg gewesen«, sammlung 1934 in Wiesbaden. Auf der Hauptver-
Marsop habe alles übertrieben (GSA 70/113 o. S.). sammlung wurde die Anpassung der Satzung an
Hinzu kam, ebenfalls anonym und von Istel stam- die Richtlinien der Reichsmusikkammer beschlos-
mend, ein Flugblatt als Gegenvorschlag zur Wahl, sen, der der ADMV-Ehrenvorsitzende Strauss als
in dem Mahler, Kienzl, Steinitzer, von Hase u. a. Präsident vorstand. Bekanntgegeben wurde außer-
zur »Befreiung des Vereins« von »bestimmten dem die Gründung eines »Ständigen Rates für die
Kreisen« vorgesehen waren (Istel hatte über meh- internationale Zusammenarbeit der Komponis-
rere Jahre Kompositionen eingereicht, die nicht ten«, dem auch ehemalige ADMV-Mitglieder an-
aufgeführt wurden [GSA 70/112,113 o.S.]). Nach gehörten, wie z. B. Jean Sibelius, Paul Dukas oder
40 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Zoltan Kodály. Präsident war ebenfalls der entgegen, führte aber unter dem Druck des Goeb-
ADMV-Ehrenvorsitzende Richard Strauss (vgl. bels-Ministeriums den traditionsreichen Verein
Kap. 4). Daher gab es 1935 zwei Tonkünstlerver- 1937 in die Selbstauflösung. An die Stelle der
sammlungen, im Juni die 65. in Hamburg, ge- ADMV-Tonkünstlerfeste traten 1938 die »Reichs-
meinsam mit dem »Ständigen Rat«, und im Sep- musiktage«, zu denen die Ausstellung »Entartete
tember die 66. in Berlin für die »zeitgenössischen Musik« der Weimarer NS-Protagonisten Hans
deutschen Tonsetzer«. Inzwischen war Strauss Severus Ziegler und Paul Sixt gezeigt wurde, die
vom Amt des Präsidenten der Reichsmusikkam- den ADMV und seine Mitglieder an den Pranger
mer zurückgetreten (vgl. Kap. 5) und sein Amts- stellte. Die Stiftungen des ADMV wurden als
nachfolger Raabe hatte auch die Leitung des »Vereinigte Stiftungen des ehemaligen ADMV«
ADMV übernommen. 1936, zur Hauptversamm- weitergeführt. 1939, im Briefwechsel mit Heinz
lung in Weimar, wurde Strauss offen kritisiert. Drewes, schaltete sich Strauss noch einmal ein. Er
Der ADMV, so verbreiteten Leipziger Mitglieder schlug vor, die verbliebenen Gelder für das Liszt-
des »Kampfbundes für deutsche Kultur«, sei in Museum und die Fertigstellung der Liszt-Gesamt-
den Händen einer »rot-schwarzen Koalition« ausgabe zu verwenden (RSA). Doch scheiterte
(Strauss, Joseph Haas, Abendroth), er müsse auf- sein Vorstoß an den Satzungen. Die Stiftungen,
gelöst und in die Reichsmusikkammer überführt die Strauss einst mit viel Engagement verwaltet
werden (Kaminiarz 1999, 389). Raabe trat dem hatte, sind nur noch bis 1943 nachweisbar.

Aufführungen der Werke von Richard Strauss


bei Tonkünstlerversammlungen bzw. Tonkünstlerfesten des ADMV

Jahr Ort Werk

1887 Köln Klavierquartett c-Moll op. 13 TrV 137

1889 Wiesbaden Aus Italien op. 16 TrV 147

1890 Eisenach Burleske für Klavier und Orchester TrV 145 (Uraufführung)
Tod und Verklärung op. 24 TrV 158 (Uraufführung)

1893 München Wandrers Sturmlied op. 14 TrV 131

1894 Weimar Guntram op. 25 TrV 168

1896 Leipzig Don Juan op. 20 TrV156

1897 Mannheim Also sprach Zarathustra op. 30 TrV 176


Lieder: Traum durch die Dämmerung TrV 172,1; Sehnsucht TrV 174,2;
Wie sollten wir geheim sie halten TrV 152,4; Geduld TrV141,5

1899 Dortmund Lieder: Ruhe, meine Seele TrV 170,1;


Traum durch die Dämmerung TrV 172,1

1900 Bremen Ein Heldenleben op. 40 TrV 190; Lieder: Ach Lieb, ich muss nun
scheiden TrV 160,3; Befreit TrV 189,4

1901 Heidelberg Guntram TrV 168: Vorspiel und Schlussszene;


Lieder: Freundliche Vision, Winterweihe TrV 202,1 u. 4; Zwei größere
Gesänge für eine tiefere Stimme mit Orchesterbegleitung TrV 197

1902 Krefeld Feuersnot op. 50 TrV 203: Kunrads Monolog und Liebeszene
3. Strauss und der Allgemeine Deutsche Musikverein 41

Jahr Ort Werk

1903 Basel Hymne für 16stimmigen gemischten Chor a cappella TrV 182,2;
Das Tal für eine tiefe Bassstimme mit Orchesterbegleitung TrV 206,1

1904 Frankfurt am Main Symphonia domestica op. 53 TrV 209

1905 Graz/Wien Ein Heldenleben op. 40 TrV 190/Feuersnot op. 50 TrV 203

1907 Dresden Salome op. 54 TrV 215

1914 Essen Festliches Präludium op. 61 TrV 229

1919 Berlin Fünf der Sechs Lieder von Clemens Brentano op. 68 TrV 235,1–5
(Uraufführung)

1924 Frankfurt am Main Eine deutsche Motette op. 62 TrV 230

1926 Chemnitz Intermezzo op. 72 TrV 246;


Tod und Verklärung op. 24 TrV 158

1934 Wiesbaden Die Tageszeiten op. 76 TrV 256; Burleske für Klavier und Orchester
TrV 145; Symphonia domestica op. 53 TrV 209

Literatur

Allgemeiner Deutscher Musikverein (Hg.): Neue Statu- –: Der Allgemeine Deutsche Musikverein. Kosmopoli-
ten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins. Leip- tische und nationalistische Tendenzen vom Ende des
zig 1869. 19. Jahrhunderts bis zu seiner Auflösung 1937. In:
Goethe- und Schiller-Archiv Weimar (GSA): Bestand Hans-Werner Heister (Hg.): »Entartete Musik 1938«.
70/237, 53, 3; GSA 70/113 o. S., GSA 70/112, 113 o. S. Weimar und die Ambivalenz. Saarbrücken 1999,
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Hochschul- 380–391.
archiv/Thüringisches Landesmusikarchiv (HSA/ Liszt, Franz: Frühe Schriften. Hg. von Rainer Kleinertz.
ThLMA): Bestand ADMV Wiesbaden 2000.
Mephistopheles [Edgar Istel]: Die 144. Kakaphonikerver- Schlötterer, Roswitha (Hg.): Richard Strauss – Max von
sammlung in Bierheim. In: Die Musik 8 (1909), 225 f. Schillings. Ein Briefwechsel. Pfaffenhofen 1987.
Kaminiarz, Irina: Richard Strauss. Briefe aus dem Archiv Schmidt, Manuela Maria: Die Anfänge der musikali-
des Allgemeinen Deutschen Musikvereins. Weimar schen Tantiemenbewegung in Deutschland. Berlin
u. a. 1995. 2005.
–: Das Archiv des Allgemeinen Deutschen Musikver- Steinitzer, Max: Richard Strauss. Berlin/Leipzig 1911.
eins. Die Odyssee eines Nachlasses. In: Jahrbuch der
Klassik Stiftung Weimar 2011, 269–286.
42

4.
Strauss und der Ständige Rat für die internationale
Zusammenarbeit der Komponisten
Von Petra Garberding

Gründung und Aufgaben den), Peder Gram und Niels Otto Raastad (Däne-
des Ständigen Rats mark), Dr. Adolf Streuli (Schweiz), Jaroslav Krička
(Tschechoslowakei), Emil Nikolaus von Reznicek
Der »Ständige Rat für die internationale Zusam- (Österreich, aber als deutscher Repräsentant),
menarbeit der Komponisten« (im Folgenden: Hugo Rasch und Hermann Unger (Deutschland).
»Ständiger Rat«) entstand auf Richard Strauss’ Strauss selbst musste absagen, an seiner Stelle lei-
Initiative im Jahr 1934. Schon während der Bay- tete Reznicek die Gründungssitzung.
reuther Festspiele 1933 hatte er Hitler vorgeschla- 1935 traten Norwegen (Sverre Hagerup Bull),
gen, wirksame Gesetze zu schaffen, die »wertvolle Jugoslawien (Boris Papandopulo), Spanien (Jose
Kunstwerke« gegen ihre »Verschandelung« – etwa Forns) und Ungarn (Eugen Huszka) dem Rat bei.
durch Arrangements für Kurkapellen – durch 1936 kam Bulgarien (Pantscho Wladigeraff ) hinzu,
»gewissenslose Bearbeiter und Ausbeuter« schüt- 1938 Griechenland (Petro Petridis). 1939 führte
zen sollten (Splitt 1987, 190). Solche Gesetze soll- man Verhandlungen mit Holland und Lettland.
ten allerdings nicht nur in Deutschland, sondern Einem Artikel der Zeitung Köln zufolge waren
in ganz Europa gelten, um zu vermeiden, so Kurt beim Musikfest in Stuttgart 1938 22 Nationen im
Atterbergs Begründung, dass ein Werk auch au- Rat vertreten (Fellman 1938). Diese Zahl unter-
ßerhalb des Reiches gegen den Willen des Urhe- scheidet sich jedoch von den Angaben im Pro-
bers ungehindert »modernisiert« werden konnte grammheft zum Frankfurter Musikfest im Juni
(Atterberg 1934). Um internationale Gesetze 1939, wo Delegierte aus insgesamt 18 Nationen
schaffen zu können, brauchte man jedoch ein aufgeführt sind. Im Protokoll der Frankfurter Sit-
Gremium, das sie vorbereitete. Mit Unterstützung zungen vom 19. Juni 1939 heißt es, nun seien die
des NS-Regimes konnte Strauss noch im gleichen meisten europäischen Länder Mitglieder, mit
Jahr seinen Wunsch verwirklichen. Nachdem er Ausnahme von Portugal, Rumänien, Estland, Li-
eine Reihe von Kollegen (Frauen waren nicht da- tauen und der Türkei.
bei) aus verschiedenen Ländern persönlich zur Nicht zuletzt fungierte der Rat als Gegenin-
Mitarbeit eingeladen hatte, wurde der Ständige stanz zur Internationalen Gesellschaft für Neue
Rat am 6. Juni 1934 in Wiesbaden, wo zur selben Musik (IGNM), die von konservativen Komponis-
Zeit die Tonkünstlerversammlung des ADMV ten abgelehnt wurde (John 1993, 336 ff.). Gezielt
stattfand, offiziell gegründet. Folgende Repräsen- hatte Strauss Komponisten eingeladen, die wie er
tanten waren bei der Gründung 1934 anwesend: gegen die durch die IGNM repräsentierte Mo-
Dr. Friedrich Bayer (Österreich), Emiel Hulle- derne eintraten und dazu beitragen konnten, sie in
broeck (Belgien), Yrjö Kilpinen (Finnland), Carol- Europa so weit wie möglich zurückzudrängen.
Bérard (Frankreich), Maurice Besly (Großbritan- Deshalb waren einige Länder mit eher zweitran-
nien), Jón Leifs (Island), Adriano Lualdi (Italien), gigen Repräsentanten vertreten, z. B. Friedrich
Ludomir Różycki (Polen), Kurt Atterberg (Schwe- Bayer für Österreich (hier war Ernst Krenek weit-
4. Strauss und der Ständige Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten 43

aus bekannter) oder Carol-Bérard für Frankreich nisław Moniuszko, Viteslav Novák, B. Pérez Ca-
(anstelle von Maurice Ravel) (Splitt 1987, 177; sas, Gabriel Pierné, Hans Pfitzner, Ennio Porrino,
Prieberg 2000, 209). Bei den Sitzungen in Venedig Maurice Ravel, Hilding Rosenberg, Ture Rang-
im September 1934 benannte Strauss Adriano ström, E. N. von Reznicek, Ludomir Różycki, Gus-
Lualdi zu einem seiner drei Stellvertreter; Albert tave Samazeuilh, Georg Schumann, Giulio Son-
Roussel und Jean Sibelius erklärten sich auf seine zogno, Ewald Strasser, Richard Strauss, Kurt
Anfrage hin ebenso bereit, als Vizepräsidenten zu Striegler, Max Trapp, Giuseppe Verdi, Georg Vol-
amtieren. Sibelius engagierte sich aber in den fol- lerthun und Riccardo Zandonai. Die Liste macht
genden Jahren nur wenig (Amtliche Mitteilung deutlich, in welchem Maße neben bekannten
1934; Gleißner 2002, 126). Namen zahlreiche heute als mittelmäßig einge-
Im Gründungsprotokoll (vgl. auch die Anga- stufte Komponisten aufgeführt wurden.
ben bei Splitt 1987, 175) wurden folgende Aufga- Das bisher aufgefundene Quellenmaterial
ben des Ständigen Rates festgehalten: zeigt, dass bei den Sitzungen des Rates in Venedig,
1. Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, um ge- Vichy und Stockholm vor allem das Anwerben
meinsame europäische Grundlagen für den weiterer Mitgliedsländer und das Sammeln von
Schutz von musikalischen Werken vor ihrer Informationen über den Umgang mit den ideellen
Modernisierung ohne Zustimmung des Urhe- Rechten der Komponisten in Europa auf der Ta-
bers zu schaffen. Damit Stärkung der ideellen gesordnung standen. So wurde z. B. nach den
Rechte der Komponisten (»Droit Moral«). Stockholmer Sitzungen 1936 folgende Resolution
2. Beförderung des Musikaustauschs in Europa. angenommen: Jedes Land solle dem Autor eines
Jedes Jahr sollten mindestens zwei Musikfeste in Werkes zusichern, »dass – unabhängig von den
einem der Mitgliedsländer organisiert werden. ökonomischen Rechten, und selbst nach der
3. Errichtung einer internationalen Musikbiblio- Übertragung dieser Rechte [–], dem Autor das
thek in Paris. Recht verbleibe, seinen Namen in Verbindung mit
4. Errichtung eines Musikarchivs in Venedig. dem Werke zu behaupten, sowie das Recht, sich
5. Musikalische Erziehung der Jugend. gegen jede Verunstaltung, Kürzung oder andere
Veränderung, die eine wesentliche Herabsetzung
Den Sitzungsprotokollen zufolge beschäftigten seines Werkes in sich schliessen, zu verbieten«
sich die Mitglieder des Ständigen Rates überwie- (Resolutionen der Stockholmer Sitzungen vom
gend mit den ersten drei Themen. 1934–1939 ver- 24. bis 27.2.1936, Bundesarchiv Berlin, NS 32).
anstaltete man Musikfeste und Konferenzen in Diese Rechte sollten auch nach dem Tod des Au-
folgenden Städten: Venedig 1934 (Sitzung anläss- tors gelten; Ziel war, die fünfzigjährige Schutzfrist
lich der Musikbiennale), Hamburg 1935, Vichy auch auf die ideellen Rechte auszudehnen.
1935, Stockholm 1936, Dresden 1937, Stuttgart In den kommenden Jahren hatten die Dele-
1938, Brüssel 1938 und Frankfurt 1939. Weil vielen gierten die Aufgabe, zum einen Informationen
Mitgliedsländern die Mittel zur Finanzierung von über die in ihrem Land geltenden Urheberrechte
Musikfesten fehlten, fanden die meisten auf deut- dem Rat zukommen zu lassen und zum anderen
schem Boden statt. Vom NS-Regime wurden diese Anträge an ihre Regierungen zur Verbesserung der
Aktivitäten propagandistisch genutzt, um im ideellen Rechte zu stellen. Andere Beschlüsse be-
Ausland ein positives Bild des Deutschen Reichs trafen die Planung und Ausführung der internati-
zu verbreiten (Garberding 2007, 106–113). Bei den onalen Musikfeste und Austauschkonzerte.
Musikfesten erklangen Werke u. a. von Kurt Atter- Wie die Protokolle der letzten Sitzungen des
berg, Béla Bartók, Natanael Berg, Hector Berlioz, Rates vor Kriegsbeginn in Frankfurt 1939 zeigen,
Arthur Bliss, Jan Blockx, Paul Dukas, Edward El- stand man kurz davor, den Plan einer internatio-
gar, Gunnar de Frumerie, Paul Graener, Gustav nalen Musikbibliothek zu realisieren. Den Aus-
Theodor Holst, Désiré-Émile Inghelbrecht, Paul führungen des französischen Delegierten am
Juon, Edwin Kallstenius, Heinrich Kaminski, 21.6.1939 zufolge hatte seine Regierung zuge-
Wilhelm Kienzl, Yrjö Kilpinen, Jón Leifs, Franz stimmt, in Paris diese Bibliothek sowie ein inter-
Liszt, Arthur Meulemans, Darius Milhaud, Sta- nationales Archiv zu errichten.
44 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Bis zum Kriegsbeginn war der Ständige Rat mit Kopsch-Nachlass, Richard-Strauss-Institut). Ver-
Festen und Sitzungen (die in der Regel anlässlich geblich versuchten Strauss und das Regime zu
der Feste abgehalten wurden) aktiv. Weitere für verhindern, dass der Streit den Mitgliedern des
1940 bis 1942 geplante Musikfeste in Helsinki, Ständigen Rates bekannt wurde.
Kopenhagen, London, Neapel, Reykjavik und Vielleicht auch wegen dieser Schwierigkeiten
Wien konnten wegen des Krieges nicht stattfin- hielten die skandinavischen Delegierten die deut-
den. Dennoch gab es 1942 in Berlin letztmalig ein sche Dominanz im Ständigen Rat für ungünstig
Treffen. Danach scheint der Ständige Rat seine und wollten die Leitung auf mehrere Länder ver-
Tätigkeit eingestellt zu haben, vermutlich auf- teilen. Sie schlugen den schwedischen Komponis-
grund zunehmender Kriegshandlungen. Da kein ten Kurt Atterberg als Nachfolger Kopschs zum
Archiv des Ständigen Rates eingerichtet wurde, neuen Generalsekretär vor (Kilpinen an Atterberg,
sind die Protokolle der Sitzungen, die Programme 28.12.1934; Atterbergs Briefesammlung, Musik-
der Musikfeste und die Korrespondenzen der och Teatermuseet, Stockholm). Strauss war jedoch
Mitglieder über ganz Europa verstreut (siehe An- daran gelegen, die »gesamte Oberleitung des Rates
gaben in der Literaturliste). in deutschen Händen zu behalten«; das sei, wie er
in einem Brief an Rasch schrieb, für »unser Pres-
tige wichtig« (Strauss an Hugo Rasch, 9.12.1934;
Splitt 1987, 179). Da Atterberg aber von allen
Der Ständige Rat zwischen Delegierten unterstützt wurde, das NS-Regime
Demokratie und Führerprinzip seine Wahl als die aus »außenpolitischen und rein
sachlichen Gründen […] gegebene Lösung« ansah
In der Forschung ist der Ständige Rat als eine (Rasch an Strauss, 12.12.1934; 975/15–7. Österrei-
Sammlung von Komponisten beschrieben wor- chische Nationalbibliothek, Handschriftenabtei-
den, die großen Respekt vor Strauss hatten und als lung) und überdies der Ständige Rat grundsätzlich
dessen Marionetten agierten (Prieberg 2000; Splitt der Internationalität verpflichtet war, konnte
1987). Das bisher gefundene Quellenmaterial be- Strauss seine Wünsche nicht verwirklichen. Auch
stätigt in gewissem Maße diese These, vermittelt seine und Kopschs ursprüngliche Idee, im Rat das
aber doch auch ein komplexeres Bild. Einflusslos Führerprinzip zu installieren und keine Statuten
waren die Mitglieder anderer Länder nicht, wenn zu formulieren (Kopsch an Goebbels, 24.9.1934;
es auch als selbstverständlich galt, dass Strauss Bundesarchiv Berlin R 55/1180), ließ sich nicht
stets das letzte Wort hatte. vollständig durchsetzen. Atterberg wurde zum
Die Anfangsphase des Ständigen Rates war von Generalsekretär gewählt und in der Folge erhielten
Konflikten zwischen Strauss und dem von ihm die Skandinavier größeren Einfluss auf die Arbeit
ausersehenen Generalsekretär, Julius Kopsch, ge- des Ständigen Rates. Zumindest eine gewisse De-
prägt. Strauss und sein Mitarbeiter Hugo Rasch mokratisierung war die Folge. 1935 wurden in
warfen Kopsch vor, in Angelegenheiten des »Be- Stockholm Statuten gedruckt, die nicht nur die
rufstandes der deutschen Komponisten« (einer Geltung von Mehrheitsbeschlüssen, sondern auch
Unterabteilung der Reichsmusikkammer) die die Anzahl der Delegierten pro Land sowie die
Verhandlungen zwischen Komponisten, Textdich- Repräsentation der verschiedenen Nationen bei
tern und Verlegern ernsthaft behindert zu haben. den Musikfesten festlegten. Auch die Finanzie-
Kopsch weigerte sich zurückzutreten und drohte, rung der Aktivitäten des Ständigen Rates verteilte
den Ständigen Rat im Falle seiner Entlassung vom man auf mehr Mitgliedsländer als bisher, vermut-
Konflikt in Kenntnis zu setzen. Der Streit endete lich um unabhängiger von der deutschen Förde-
damit, dass der Berufsstand zwei Prozesse verlor, rung zu werden. Als Atterberg 1938 vom Posten
hohe Bußgelder zahlen musste und Kopsch von des Generalsekretärs zurücktrat (aus internen
Strauss abgesetzt wurde (Gerichtsprotokoll der schwedischen Gründen), wurde der Belgier Emiel
Prozesse zwischen Kopsch und dem Vorstand des Hullebroeck sein Nachfolger.
Berufstandes, repräsentiert durch Richard Strauss
und Hugo Rasch, vom 28.2. und 27.5.1935;
4. Strauss und der Ständige Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten 45

Antisemitismus des Regimes notfalls auch ignorieren und bei der


Auswahl von Musik stets das letzte Wort behalten
Wie die Quellen zeigen, war kein Delegierter des zu können.
Rates Jude oder stammte aus einer jüdischen Fa-
milie. Kopsch hatte 1934 in seinem Bericht von
der Sitzung des Ständigen Rates in Venedig im
September 1934 an Goebbels prophezeit, der Rat Der Ständige Rat im ›neuen Europa‹
werde durch die Auswahl »guter« Musik für den
allmählichen Rückgang »jüdischer« und »interna- Aufgrund der Kriegshandlungen fielen die für
tionalistischer« Tendenzen sorgen (Splitt 1987, 1940 und 1941 geplanten Musikfeste und Sitzun-
184 ff.). Dennoch wurden bei den Musikfesten gen des Ständigen Rates aus (siehe Protokoll der
auch Werke jüdischer Komponisten gespielt. Sitzung des Ständigen Rates in Berlin am
Strauss’ Einstellung zur Musik von Komponisten 15.6.1942; Anlage zum Protokoll der Vorstandssit-
mit jüdischem Hintergrund, seine Stellung im Rat zung des Vereins der schwedischen Komponisten
und sein Verhältnis zum NS-Regime werden be- Nr. 6 (304) am 19.8.1942, Archiv des Vereins der
sonders deutlich im Streit um das Hamburger schwedischen Komponisten, Riksarkivet, Stock-
Musikfest 1935. Strauss weigerte sich, nach Ham- holm). Für 1940 war ein Musikfest in Wien ge-
burg zu kommen und meldete sich ›krank‹, weil plant, bei dem man u. a. die die Premiere der
die von ihm vorgeschlagene Oper Ariane et Barbe- Neufassung der Oper Donna Diana von Reznicek
Bleue von Paul Dukas von Goebbels’ Ministerium aus Anlass seines achtzigsten Geburtstags geplant
wegen des jüdischen Hintergrundes des Kompo- hatte. Dieses Fest wurde auf 1941 verschoben und
nisten abgelehnt worden war. Strauss hingegen sah wurde aufgrund der veränderten politischen Ver-
in Dukas den ›Präsidenten‹ der französischen hältnisse in Wien schließlich eingestellt, weil die
Musik, dessen Musik selbstverständlich zu berück- Mittel anderweitig verwendet werden sollten
sichtigen sei (Korrespondenz mit Siegmund von (Wittmann 2013).
Hausegger, RSA). Deshalb intervenierte die Toch- Im Jahre 1942 versuchten Repräsentanten des
ter des deutschen Repräsentanten im Ständigen NS-Regimes, den Rat wieder zu neuem Leben zu
Rat, Felicitas von Reznicek, bei Fritz Wiedemann erwecken. Auf Drängen des Propagandaministeri-
im Ministerium, woraufhin das Verbot von Dukas ums lud Strauss Delegierte, die nicht aus Gegner-
zurückgenommen und entschieden wurde, seine staaten Deutschlands wie England oder Frank-
Abstammung solle in Zukunft keine Rolle mehr reich stammten, nach Berlin ein. Die Besprechun-
spielen (Strauss/Reger 1998, 284). (Auf diesen Be- gen zielten darauf, den Ständigen Rat auf die
schluss berief sich Felicitas von Reznicek ein Jahr Nachkriegssituation und damit die zu erwartende
später, als das Thema Dukas erneut aufkam, in ›Neuordnung‹ Europas vorzubereiten.
einem Schreiben an Hans Hinkel vom 9.12.1936, Während an den ersten Beratungen schon äl-
Bundesarchiv Berlin NS 32.) Dennoch eskalierte tere, vor dem Krieg ernannte Delegierte teilnah-
der Streit mit der Konsequenz, dass Dukas seine men, kamen bei späteren Sitzungen neue Mitglie-
Oper zurückzog und Strauss und die französischen der hinzu. Noch vor der eigentlichen Hauptsit-
Mitglieder dem Fest in Hamburg fernblieben zung versuchte Strauss, zusammen mit zwei neuen
(Strauss/Reger 1998, 284). deutschen Mitgliedern (Gerhart von Westerman
Strauss’ Verhalten verrät deutlich, welchen als Generalsekretär sowie ein Herr Schweig als
Rang Fragen der Musik und ihrer Qualität für ihn juristischer Berater), bei einer internen Bespre-
einnahmen. Offenbar rangierten sie höher als chung die älteren Delegierten Atterberg, Kilpinen,
plumpe antisemitische Politik. Komponierte je- Leifs, Gram und Forns zu Änderungen der Statu-
mand gute Musik – wie Strauss sie verstand –, ten zu überreden. Die Mitglieder des Ständigen
spielten Nation oder Religion keine Rolle. Sein Rates sollten in Zukunft von den Regierungen der
Fernbleiben vom Hamburger Musikfest belegt jeweiligen Länder ernannt und der Rat unter die
außerdem, in welch starker Position er sich Vorherrschaft der ›Achsenmächte‹ Deutschland
wähnte. Offenbar glaubte er, die Vorstellungen und Italien gestellt werden. Dies stieß jedoch auf
46 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Widerstand. Politiker, so die Meinung der älteren nalsozialistisch zu vereinnahmen und auf das
Delegierten, sollten nicht über den Rat, seine ›neue Europa‹ nach einem deutschen Sieg vorzu-
Zusammensetzung und seine Aufgaben bestim- bereiten. So waren u. a. Werner Egk, Paul Graener
men (Protokoll der Sitzung mit den alten Dele- und Max Trapp für Deutschland, David Monrad
gierten des Ständigen Rates in Berlin am 14.6.1942; Johansen für Norwegen und Francesco Malipiero
Anlage zum Protokoll der Vorstandssitzung des für Italien dabei (Protokoll der Sitzung des Stän-
Vereins der schwedischen Komponisten Nr. 6 digen Rates in Berlin am 15.6.1942, Riksarkivet
[304] am 19.8.1942, Archiv des Vereins der schwe- Stockholm, s. o.). Reznicek wurde in Berlin als
dischen Komponisten, Riksarkivet, Stockholm). deutscher Delegierter bestätigt, nahm aber aus
Man einigte sich schließlich auf einen Kompro- angeblichen Krankheitsgründen nicht an den
miss. Jedes Land sollte künftig einen Delegierten Sitzungen teil. Offenbar standen er wie seine
eigener Wahl, ohne offizielle politische Autorisa- Tochter Felicitas, die oft als Sekretärin bei Sitzun-
tion, in den Rat entsenden, Deutschland und gen des Rates fungierte, der verstärkten Einmi-
Italien hingegen jeweils drei. Außerdem sollten die schung des Propagandaministeriums in die Arbeit
Franzosen nach dem Krieg wieder an der Arbeit des Ständigen Rates kritisch gegenüber. Felicitas
des Rates teilnehmen. Während der Sitzung mit von Reznicek soll auch versucht haben, die »alten«
den älteren und neuen Delegierten am nächsten Delegierten vor den Berliner Sitzungen schriftlich
Tag wurden diese Ergebnisse bestätigt. Italien, das über die Absichten des Ministeriums zu informie-
neben Deutschland zukünftig eine Hauptrolle im ren (Wittmann 2013).
Rat spielen sollte, verlangte überdies eine Rotation Angesichts zunehmender Kriegshandlungen
der Präsidentschaft. Auch hier verständigte man wurden die Berliner Beschlüsse nie verwirklicht.
sich auf einen Kompromiss. Die Amtszeit des Bald darauf scheint der Ständige Rat seine Tätig-
Präsidenten wurde auf fünf Jahre begrenzt und keit eingestellt zu haben.
Strauss für diesen Zeitraum neu gewählt (Witt-
mann 2013). Geändert wurde in Berlin auch der
Name des Rates. Er hieß nun: »Internationale
Vereinigung der Komponisten – Ständiger Rat für Strauss’ Position im Ständigen Rat
die internationale Zusammenarbeit der Kompo-
nisten« (Protokoll der Sitzung des Ständigen Rates Strauss war zwar nur bei wenigen Sitzungen des
in Berlin am 15.6.1942, Riksarkivet Stockholm, Ständigen Rates, in Venedig und Vichy, anwesend.
s. o.; s. a. Dümling 2003, 238 f., Rosen 1943, 70). Doch behielt er, wie seine Korrespondenzen mit
Den offiziellen Rang der Berliner Sitzungen un- den Delegierten zeigen, stets die Leitung in der
terstrich ein Empfang der Delegierten bei Goeb- Hand und wurde in allen Angelegenheiten und
bels (Wittmann 2013). vor Entscheidungen um Rat gefragt. In den An-
Strauss nahm bei den Besprechungen in Berlin fangsjahren sorgten seine herausgehobenen Positi-
eine eher vorsichtige Position ein. Zwar versuchte onen an der Spitze des Ständigen Rates, der
er, die älteren Delegierten zu einer strafferen Or- Reichsmusikkammer und darin des Berufsstands
ganisation und damit größeren Schlagkraft des deutscher Komponisten für jederzeit reichlich
Ständigen Rates zu überreden, aber er stimmte fließende Geldmittel aus dem Propagandaministe-
gleichwohl den Skandinaviern und Forns darin rium (Splitt 1987, 178). Die finanzielle Ausstattung
zu, Komponisten aus jedem vertretenen Land wurde jedoch nach Strauss’ Rücktritt als Präsident
müssten autonom über ihre Repräsentanten im der Reichsmusikkammer reduziert. Offenbar
Rat entscheiden. Ausdrücklich bedauerte er das nahm das Interesse des NS-Regimes am Ständigen
Fehlen der französischen Delegierten. Rat immer mehr ab. Felicitas von Reznicek sah
Die wachsende Einmischung der Politik, ables- sich gewungen, am 17. März 1937 in einem Brief
bar an der Mitwirkung mehrerer Politiker sowie an Hans Hinkel das Propagandaministerium um
dezidiert nationalsozialistisch eingestellter Kom- Erstattung von Reisekosten für ihren Vater als
ponisten bei den Berliner Sitzungen, zielte un- Delegierten des Ständigen Rates zu bitten (NS 32,
missverständlich darauf, den Rat endgültig natio- Bundesarchiv Berlin). Warum es ausgerechnet
4. Strauss und der Ständige Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten 47

1942 noch einmal zu neuerlichen Besprechungen ihm abhängigen Rat Einfluss auf das europäische
in Berlin kam, an denen sogar der 78-jährige Musikleben nehmen und, im Benehmen mit
Strauss teilnahm, bedarf weiterer Nachforschun- Gleichgesinnten, Musik seines Geschmacks und
gen. Es scheint, als hätten Strauss ebenso wie damit auch seine ästhetischen Überzeugungen
weitere Komponisten und führende NS-Politiker gegen die verhasste Moderne durchsetzen. Und
gehofft, den Ständigen Rat für eine national- natürlich zielte er national wie international auf
sozialistische Musikpolitik im künftigen ›neuen ein Verbot der »Verschandelung« (wie er sich aus-
Europa‹ instrumentalisieren zu können. drückte) von »guter Musik« durch Bearbeitungen.
Die Frage, was Strauss sich vom Ständigen Rat Strauss’ Engagement im Ständigen Rat ver-
erhoffte – zumal nach den Friktionen im Zusam- deutlicht einmal mehr seine schwankende Hal-
menhang mit seinem Rücktritt als Reichsmusik- tung gegenüber dem NS-Regime. Einerseits trug
kammerpräsident –, ist nicht ganz leicht zu beant- er zur Legimitierung der offiziellen Musikpolitik
worten. Möglicherweise hegte er die Hoffnung, bei, andererseits kritisierte er mehrfach deren
der Rat könnte Entwürfe für eine »ideelle« Gesetz- Auswüchse – freilich nicht öffentlich, sondern in
gebung auf dem Gebiet der Tonkunst erarbeiten seiner privaten Korrespondenz. Immerhin war der
und Urheberrechtsgesetze nach deutschem Muster Rat ein Vehikel, das Strauss noch bis in die Kriegs-
auch international durchsetzen. Mit einiger Si- jahre einigen Einfluss auch bei staatlichen Stellen
cherheit wollte er von Anfang an mit dem von verschaffte.

Literatur

Amtliche Mitteilung über die Gründung des Ständigen Korrespondenz Richard Strauss: Richard-Strauss-Archiv
Rats. Gründungsprotokoll vom 6.6.1934 in Wiesba- Garmisch.
den. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kultur- Protokolle der Sitzungen Frankfurt 1939: National-
besitz N. Mus. Depos., GEMA-Archiv. bibliotek und Universitätsbibliotek Reykjavik, Jón
Atterberg, Kurt: Droit moral och internationellt utbyte Leifs arkiv.
av folklig musik. Tyska tonsättares strävan. In: Protokolle der Sitzungen Berlin 1942: Riksarkivet Stock-
Stockholms-Tidningen, 10.3.1934. holm, Archiv des Vereins der schwedischen Kompo-
Fellman, Hans Georg: Internationale Musiktage in nisten.
Stuttgart. 6. Musikfest des Ständigen Rates. In: Köln, Rosen, Waldemar: Deutschland im europäischen Mu-
22.5.1938. sikaustausch. In: Jahrbuch der deutschen Musik 1943.
Dümling, Albrecht: Musik hat ihren Wert. 100 Jahre Hg. von Hellmuth von Hase. Leipzig/Berlin o. J.,
musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutsch- 64–70.
land. Regensburg 2003. Splitt, Gerhard: Richard Strauss 1933–1935. Ästhetik und
Garberding, Petra: Musik och politik i skuggan av nazis- Musikpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen
men. Kurt Atterberg och de svensk-tyska musikrela- Herrschaft. Pfaffenweiler 1987.
tionerna (Musik und Politik im Schatten des Natio- Strauss, Gabriele/Reger, Monika: Ihr aufrichtig Ergebe-
nalsozialismus. Kurt Atterberg und die schwedisch- ner. Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenös-
deutschen Musikbeziehungen). Lund 2007. sischen Komponisten und Dirigenten. 2. Bd. Berlin
Gleißner, Ruth-Maria: Der unpolitische Komponist als 1998.
Politikum. Die Rezeption von Jean Sibelius im NS- Wittmann, Michael: Emil Nikolaus von Reznicek und
Staat. Frankfurt a. M. 2002. der »Ständige Rat für die internationale Zusammen-
Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat. Köln 2000. arbeit der Komponisten«. In: Albrecht Riethmüller
John, Eckhard: Musikbolschewismus. Die Politisierung (Hg.): Die Reichsmusikkammer. Im Zeichen der
der Musik in Deutschland 1918–1938. Stuttgart/ Begrenzung von Kunst, Wissenschaftliche Tagung
Weimar 1994. Berlin 2013 (im Druck).
48

5.
Präsident der Reichsmusikkammer
Von Albrecht Riethmüller

Nach allgemeiner Auffassung war der Musiker – I.


Komponist, Dirigent und Standesvertreter (zu
Letzterem vgl. die Kap. 2–4 in diesem Band) – Winifred Wagner blieb die einsame Ausnahme.
Strauss kein Nationalsozialist. Verwiesen wird da- Aus Ärger darüber, dass ihre Familie seit 1945
für darauf, dass er wie etwa auch Wilhelm Furt- nichts mehr davon wissen wollte, dass sie seit 1923
wängler kein Mitglied der NSDAP gewesen sei. Er Hitler und seine braune Bewegung nachhaltig
war indessen anderthalb Jahre oberster Musik- unterstützt hatte, hielt sie dem vormaligen Führer
funktionär des NS-Staates. Als Präsident der in offiziellen Verlautbarungen die Treue und be-
Reichsmusikkammer von Herbst 1933 bis zum kundete, er sei ihr stets als ein guter Mensch und
Frühsommer 1935 war Strauss direkt dem Präsi- lieber Freund erschienen. Ein guter älterer Freund
denten der Reichskulturkammer, zugleich Minis- von Winifred, Richard Strauss, hielt es mit denen,
ter für Volksaufklärung und Propaganda sowie die es ab 1945 bevorzugten, süffisant über Hitler zu
Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels unterstellt. sprechen. An Schuh schrieb er am 20. Mai 1946
Zusammen mit dem Vize Furtwängler bildete (RSWS 89):
Strauss die präsidiale Erstbesetzung einer Institu- Unser anregendes Gespräch dieses Nachmittags überden-
tion, für die das Regime die berühmtesten musi- kend komme ich zu der Ansicht, daß Ihre [sic!] »Beiträge
kalischen Repräsentanten des Landes vorgesehen zur Weltgeschichte der Musik« jetzt geschrieben werden
muß, solange ich noch am Leben bin und an seinem
hatte. Furtwängler stolperte rasch wegen seines Entstehen noch teilnehmen kann. Wann es erscheinen
Einsatzes für Hindemiths Mathis der Maler, verlor kann, ist eine zweite Frage, da heute immerhin die Gefahr
das Amt, erholte sich jedoch rasch und wurde als besteht, daß sein Autor von allen Culturhistorikern,
Universitätsprofessoren, der jüdischen Presse sowohl wie
Dirigent zum wichtigsten musikalischen Aushän- von allen germanischen Patrioten, die nach einem neuen
geschild des Dritten Reiches. Strauss hielt etwas Krieg zwischen Amerika und Russland die Wiederkehr
länger durch, stolperte dann aber wegen des Fest- der »Deutschen Weltmacht« und die Rückkehr
haltens an Stefan Zweig als seinem Librettisten, Barbarossa’s aus dem Kyffhäuser und Hitlers aus dem
Bunker der Reichskanzlei erhoffen – zerrissen, gevierteilt,
verlor seine Ämter und erholte sich im Regime bis gerädert werde, wenn er den Mut hat zu schreiben, daß
1945 nicht wirklich mehr von diesem Rückschlag. das politische Deutschland zerstört werden mußte, nach-
Die meisten Interpreten betrachten die Rolle von dem es seine Weltmission: die Erschaffung und Vollen-
dung der deutschen Musik erfüllt hatte. Dieses Ihr Buch
Strauss im Dritten Reich unter dem Gesichts- müßte den historischen Untergrund zu meiner Biographie
punkt des Opportunismus, sie unterscheiden sich bilden und der Sturm müßte schon 5 Jahre ausgetobt
aber nicht unwesentlich dadurch, ob sie dieser sein, bevor die Letztere erscheinen kann und müßte die
letzte Fortsetzung von »Oper und Drama« und des 9. und
Rolle eher – wie Michael Kater es tut (Kater 2000, 10. Bandes der Wagnerschen Schriften und ihr »vorläufig«
211 ff.) – mit einem gewissen Wohlwollen oder – (ich will mich vorsichtig ausdrücken) definitiver Ab-
wozu Gerhard Splitt neigt (Splitt 1987) – mit kal- schluß sein.
ter Distanz begegnen. Auch wenn in Haus Wahnfried und der Villa in
Garmisch mancher Opernstoff ausgebrütet wor-
5. Präsident der Reichsmusikkammer 49

den ist, fällt es doch nicht leicht, eine derart ver- staat für Künstler angebrochen. Der »Reichskul-
schwommene Geschichtsauffassung (vgl. Kap. 9) turwalter« Hans Hinkel wiederum – Brückenkopf
mit einem Menschen von Intelligenz und Bildung des Staates zur Kunst und auch den Musikern –
zusammenzubringen – gleichgültig, ob er sich als hatte auf dem Schloss als sozusagen einer Kunst-
die Erfüllung der deutschen Weltmission die ordensburg den Ton angegeben und seinen Appell
Opern von Wagner oder gar seine eigenen dachte. an die Komponisten, um sie auf Linie zu bringen,
Die Hilflosigkeit, mit der Geschichte, zumal der samt dreifachem »Sieg Heil!« konsequent mit der
jüngsten in Gestalt seines vormaligen Chefs Hitler Parole beschlossen, Hitler sei der »größte Künstler
umzugehen, mag nicht zuletzt in dem begründet unserer Nation, und wir können beinahe sagen,
liegen, was Margarete Mitscherlich bis an ihr Le- der ganzen Welt« (Riethmüller 1981, 278). Wer
bensende stets angemahnt hat: Das Problem nach über solche Sprüche rückblickend lächelt oder
dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches für spottet, der übersieht, dass die Volksgenossen,
die Volksgenossen sei weniger gewesen, mit den auch die komponierenden, das Mitte der 1930er
von den Nazis begangenen Verbrechen umzuge- Jahre ernst zu nehmen hatten und ebenso ernst
hen, als vielmehr damit nicht fertig zu werden, genommen haben.
dass sie insbesondere den Führer einmal mit Be-
geisterung bewundert, kurzum geliebt hatten. Es
ist nicht ganz auszuschließen, dass auch Strauss
davon befallen gewesen sein könnte. Er hatte an- II.
fänglich direkten Zugang zu Hitler, durfte ihm
vorspielen, und der siebzigjährige Komponist und Strauss verstand die Präsidentschaft offenbar
Präsident der Reichsmusikkammer schwärmt in hauptsächlich so, dass er Repräsentant der deut-
seinem Brief zu Hitlers 46. Geburtstag vom 18. Ap- schen Musik war, unangefochtener Führer der
ril 1935 von der »kostbaren, wahrhaft begeisternden Komponisten im Land mit weltweit höchstem
Stunde«, die der Führer ihm am Vortag geschenkt Prestige, zudem versehen mit der Autorität des
habe (vollständig wiedergegeben unten im An- Alters. Er residierte in Garmisch-Partenkirchen
hang). Ein gutes Jahrzehnt vor der Befürchtung, und überließ das Tagesgeschäft und die Kontrolle
Hitler könne aus dem Bunker der Reichskanzlei darüber hauptsächlich der Geschäftsleitung in
wieder hervorkriechen, steht die an den Reichs- Berlin. Aber es ist selbstverständlich, dass er in
kanzler gerichtete Hoffnung, »dass Sie lange in eigener Sache unterwegs sein wollte – voran im
ungetrübter Gesundheit dem deutschen Volke und Blick auf Aufführungen seiner Opern, der Durch-
der deutschen Kunst erhalten bleiben möchten«. setzung vor allem deutscher Opern auf deutschen
Die Begeisterung, von der Strauss spricht, Bühnen und seiner Prädilektionen auf den Gebie-
braucht keineswegs bloß als Devotionalie oder gar ten von Standesvertretung und Urheberrecht.
Verstellung gelesen zu werden. Das Gefühl, einem Dazu gehörte insbesondere auch sein schon län-
großen, ebenbürtigen Menschen zu begegnen, ger – etwa im Rahmen der 1933 gegründeten Ver-
hatten viele, auch andere kreative Musiker, man wertungsgesellschaft STAGMA (vgl. Kap. 2) – zu-
fühlte sich unter Gleichen. Professor Dr. h. c. Paul rückreichender Einsatz dafür, dass die Komponis-
Graener, zwar acht Jahre jünger als der Präsident ten von sogenannter Kunstmusik, voran auch von
der Reichsmusikkammer, aber auch schon an der Opern, gegenüber leichterer und unterhaltender
Schwelle zur Pensionierung befindlicher Führer Ware wie Operetten (die er wohl wegen ihres
der Fachschaft Komponisten innerhalb der Kam- kommerziellen Erfolgs ebenso hasste wie die
mer, kabelte gelegentlich eines Treffens des Berufs- Opern seines ausländischen Rivalen Puccini) bes-
standes der deutschen Komponisten auf Schloss ser geschützt würden. An der Oberfläche ging es
Burg an der Wupper 1936 im Namen der versam- dabei um künstlerische Kriterien und Ziele, näher
melten Komponisten nach Berlin ein Ergeben- besehen aber vor allem um Marktanteile, eigenes
heitstelegramm mit der Adressierung an den product placement und Konkurrenzdenken. (Die
Reichskanzler als den »ersten Künstler der Na- Verteilungsprobleme zwischen »E« und »U« sind
tion« – als wäre mit dem neuen Reich der Ideal- heute in der GEMA nach wie vor aktuell.)
50 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Auch in dem Dankesbrief für die Huld, die der nun Gauleiter der »Ostmark«, der ihn um seinen
Führer ihm erwiesen hatte, und zugleich in den 80. Geburtstag herum mit den Wiener Philhar-
Geburtstagsglückwunsch zum 46. mischt der monikern seine symphonische Musik inmitten der
Kammerpräsident seine eigenen Vorlieben unter, Endphase von Krieg und Holocaust hat aufneh-
diesmal in Form dessen, was als »Kulturgroschen« men lassen. Ehe sie sich als das entpuppten, was
die Runde machte – eine Variante zwischen sie waren – Schwerverbrecher –, erschienen sie für
Zwangsabgabe und verdeckter Subventionierung. Komponisten bzw. Musiker umgarnenswert, für
Strauss dachte wohl, er könne Hitler dafür gewin- Strauss anfänglich insbesondere Goebbels und
nen, Personen wie Max Schmeling zur Ader zu Göring. Goebbels hatte ihn nicht nur als Reichs-
lassen, um das, was Strauss später die Erfüllung musikkammerpräsidenten berufen, sondern er
der Weltmission Deutschlands durch Wagner und hielt als Gauleiter von Berlin auch die Hand über
ihn selbst nennen wird, materiell zu verbessern. die Deutsche Oper in der Bismarckstraße, wäh-
Hitler, Wagnerianer nicht weniger als Strauss, zö- rend Konkurrent Göring in seiner Eigenschaft als
gerte (vgl. Anhang), er hatte genug Erfahrung mit Preußischer Ministerpräsident über die Berliner
Standesinteressen und Lobbyisten, die ihm vor Staatsoper Unter den Linden wachte. Als sozusa-
allem in den ersten Jahren seiner Regentschaft gen Opernimpresarios waren beide von enormem
unentwegt etwas ausgesprochen Wertvolles anzu- Interesse für die Platzierung des Œuvres von
dienen trachteten, weil es als besonders deutsch Strauss.
aus ihrer eigenen Sparte kam. Der »Kulturgro-
schen« blieb bloße Idee.
Wie alle Volksgenossen musste der Präsident
der Reichsmusikkammer zur Kenntnis nehmen, III.
dass man dem Führer nichts widmen durfte, auch
keine große Kunst, der Gabentisch wäre aus allen Stefan Zweig verehrte den Komponisten, den
Nähten geplatzt. Die anderen Staatslenker waren Künstler Strauss. Aber die Nähe dieser in seinen
für Widmungen und Gaben, wie Musiker sie ge- Augen großen Figur zu den Mächtigen im Nazi-
wohnt sind, Herrschern und sonst Mächtigen zu Reich und die Ämter, die er dort bekleidete,
machen, weniger zimperlich. So konnte Strauss machten ihm zu schaffen. Zudem musste er be-
dem promovierten Germanisten Goebbels zum fürchten – er war als Schriftsteller international
Dank für seine Ernennung zum Reichsmusikkam- erfolgreicher als Hofmannsthal, der vor ihm für
merpräsidenten ein Lied widmen, das er auf einen Strauss librettistisch agiert hatte –, dass ihm die
angeblich von Goethe stammenden Text verfasste enge Zusammenarbeit mit Strauss im Ausland, wo
(»Das Bächlein«), dem so hochdekorierten wie er nun lebte, insgesamt und vor allem unter seinen
kunstbesitzbesessenen Hermann Göring schenkte jüdischen Kollegen und Freunden Unverständnis
er zur am 12. April 1935 pompös gefeierten Hoch- einbrächte. Strauss seinerseits dachte trotz aller
zeit mit der Schauspielerin Emmy Sonnemann Widrigkeiten, die ihm die Präsidentschaft nicht
»die Handschrift zur Oper ›Arabella‹«, wie es im zuletzt durch den Rausschmiss seines Vizes Furt-
Mitteilungsblatt des Berufsstandes der deutschen wängler einbrachte, nicht im Mindesten daran,
Komponisten Die Einheit im Juni 1935 (Heft 4, dieses Amt aufzugeben. Es war der Schriftsteller
20) berichtet wird. Die Oper war im Juli 1933 in Zweig, der es übernahm, auf eine zu ihm passende
Dresden zum ersten Mal gegeben worden, der leise und gewählte Tour Strauss zur Aufgabe zu
Name des Librettisten Hofmannsthal begann zur bewegen (Riethmüller 2003). Der Komponist
Zeit der Hochzeit allmählich von den Theaterzet- schätzte den Nutzen der Präsidentschaft offenbar
teln und aus den deutschen Opernführern zu höher ein als den Nachteil, den sie für ihn haben
verschwinden. Und später noch widmete Strauss könnte. Und so gab es, um etwas drastischer zu
erneut Lieder einem alten Kämpfer der Bewegung, formulieren, eine Art Tauziehen oder Fingerha-
nämlich dem ihm seit dessen Jugend bekannten keln zwischen Zweig und Strauss, das nach län-
Baldur von Schirach, zunächst ein früher Literat, gerer Inkubation im Juni 1935 vor der Urauffüh-
dann Hitlers jugendlicher Jugendminister und rung der Opernkomödie Die schweigsame Frau am
5. Präsident der Reichsmusikkammer 51

24. Juni in Dresden in die entscheidende Phase das ganze Gewicht seiner Person in die Waag-
trat. Verfolgen lässt sich dieses neben anderem in schale, um durchzusetzen, dass Zweigs Autorschaft
den Briefen, die die beiden einander geschrieben auf dem Theaterzettel der Uraufführung genannt
haben (RSSZ). wird – es waren die Jahre, als in deutschen Opern-
Das nach außen unverhohlen sichtbare Paktie- führern wie dem des Reclam-Verlags bei Werken
ren von Strauss mit dem Regime war Zweig von Strauss der Name Hofmannsthal zu unterdrü-
ebenso ein Dorn im Auge wie der Umstand, dass cken begonnen wurde –, aber um seinen Librettis-
Strauss sich an ihn als Zuarbeiter für Bühnen- ten kreisende jüdische Geschichten mussten ihm
werke über die Schweigsame Frau hinaus hatte höchst ungelegen sein in einem Moment, als er
klammern wollen, solange der Komponist sich noch Hitler und Goebbels als Gäste zur Premiere
seinerseits an die Naziführung klammerte. Heillos erwartete.
war es, dass beide einander gegenseitig zur Belas- Merkwürdigerweise ist Zweigs Antwort vom
tung wurden. Strauss hingegen versuchte lange, 15. Juni 1935 als einziger Brief bis heute unauffind-
Zweigs in feinen Tönen vorgetragene Andeutun- bar, angeblich verloren. Wir können daher nicht
gen zu überhören. Er schien nicht verstehen zu sicher wissen, was alles er Strauss geschrieben hat,
wollen, was Zweig damit meinte, dass er eine aber es liegt nahe zu vermuten, dass er in irgend-
künftige Zusammenarbeit ausschloss, noch seine einer Weise das Gerücht bestätigt hat. Das war nun
Weigerung von Anfang an, zur Premiere der in den Augen von Strauss eine unbotmäßige Pro-
Schweigsamen Frau nach Dresden zu kommen. vokation und barg die Gefahr eines Skandalon. Was
Stattdessen brüstete er sich noch kurz vor der sei es der Reichsmusikkammerpräsident, sei es der
Premiere damit, dass Hitler und Goebbels ange- Komponist Strauss in jenen Tagen am wenigsten
kündigt hatten, anwesend zu sein (was Zweig brauchen konnte, war, dass der Schriftsteller sich
wohl nur als ekelhaft empfinden konnte). Auf- auf seine eigene Würde besann. Die Provokation
schlussreich für den Mangel an Sensibilität des war insofern auch noch doppelt, als der Gedanke
Komponisten ist es auch, dass Strauss, als er an einen Honorarverzicht nicht im Horizont der
Zweigs 1935 bei seinem Wiener Verleger Reichner standespolitischen Tantiemenüberlegungen des
erschienenen Roman Maria Stuart empfing, ge- Komponisten lag. Doch sehr viel schwerer wog es,
genüber Zweig hauptsächlich Bewunderung für dass durch die Spendenbereitschaft von Zweig die
das gleichnamige Theaterstück von Schiller äu- Strategie von Strauss konterkariert wurde, den
ßerte. Librettisten dem Reich dadurch anzudienen, dass
Zweig ließ nicht locker, versuchte sogar, es er Zweigs Judentum zu bagatellisieren versuchte.
Strauss schmackhaft zu machen, Deutschland zu So unmittelbar vor der Uraufführung lagen
verlassen; für seine Memoiren könne er bei Verle- selbst für einen Bühnen-Routinier wie Strauss die
gern in den USA eine enorme Summe heraus- Nerven blank. Zweigs Einlassungen heizten zu-
schlagen. Strauss überhörte alle diese Winke, sätzlich ein, und die ungünstigen kulturpoliti-
während Zweig offenbar gewillt war, auf seine schen Auspizien, unter denen die Produktion der
Weise den Druck zu erhöhen. Strauss wollte sei- Schweigsamen Frau stand, erhöhten noch die
nen Librettisten Anfang Juni 1935 unbedingt per- Spannungen. Strauss antwortete Zweig prompt
sönlich sprechen; es blieb dem Reichsmusikkam- am 17. Juni. Der Brief hat viel Aufmerksamkeit
merpräsidenten nichts anderes übrig, als das Land gefunden und ist häufig, selten jedoch als eine in
zu verlassen. Man traf sich am 2. Juni am Bodensee gewisser Weise von fremder Hand gezündete Ex-
im österreichischen Bregenz. Am Tag nach seinem plosion diskutiert worden. Mit dem notorischen
71. Geburtstag fuhr der Komponist dann am Ausruf »Dieser jüdische Eigensinn!« hat Strauss
12. Juni zur Vorbereitung der Premiere nach Dres- wohl so direkt wie präzise auf Bemerkungen re-
den und ließ schon tags darauf von sich hören, agiert, in denen Zweig Solidarität mit der jüdi-
indem er Zweig in Zürich u. a. wissen ließ, dass in schen Gemeinschaft statt mit ihm und der deut-
Dresden das Gerücht kursiere, Zweig habe »die schen Volksgemeinschaft signalisiert hatte. Der
Tantièmen an das ›jüdische Hilfswerk‹ überwie- Brief wurde abgefangen und am 1. Juli vom für
sen! Ich habe widersprochen!« Zwar warf Strauss Dresden zuständigen Gauleiter Mutschmann mit
52 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Begleitschreiben an Hitler geschickt. Am 3. Juli ziell nicht begrüßt werden darf, so wird er dadurch
landete er auf dem Schreibtisch von Goebbels. in den Augen der ganzen Welt zu einer Art ›Mär-
Der Minister mokierte sich über zweierlei: Erstens tyrer‹ gemacht«.
darüber, dass Strauss schreibe, er »mime« den So spricht man eigentlich nur, wenn man im-
Reichsmusikkammerpräsidenten, und zweitens, mer noch an den Endsieg denkt. Der aber blieb
dass er diese Unverfrorenheit auch noch gegen- aus, und binnen eines guten halben Jahres hatte
über einem Juden an den Tag lege (Goebbels 1987, Furtwängler sich in die Schweiz abgesetzt, wäh-
490, Eintrag vom 5. Juli 1935). Damit war der er- rend Strauss zu Hause in eine Art Hausarrest unter
zwungene Rücktritt von Strauss beschlossene Sa- amerikanischer Aufsicht gestellt wurde. Als junge
che, er erfolgte am 6. Juli in Garmisch. Zweig Besatzungssoldaten waren dafür eingeteilt der
hatte sein Ziel erreicht. Strauss schickte am 13. Juli Oboist John de Lancie, der von Strauss wissen
noch einen Brief an Hitler, in dem er seine Ent- wollte, ob er nicht ein Oboenkonzert schreiben
scheidung für Zweig als Librettisten noch einmal wolle (was dieser dann tat), und der spätere Hän-
zu rechtfertigen versuchte. Auch dort ist von delforscher Alfred Mann, der in Garmisch zu ei-
Amtsmüdigkeit nicht wirklich etwas zu spüren. nem großen Bewunderer des greisen Meisters ge-
Aber er wusste wohl, dass die Schlacht verloren worden ist.
und der Musikpolitiker Strauss im Dritten Reich Im für den früheren Reichsmusikkammerprä-
so gut wie erledigt war. sidenten glimpflich verlaufenen Entnazifizie-
rungsverfahren spielte Zweig noch einmal eine
nun posthume Rolle. In seiner vor dem Suizid in
Brasilien verfassten Autobiografie Die Welt von
IV. Gestern fand er unverändert schöne und bewun-
dernde Worte für den Komponisten, die zur Ent-
Im Frühjahr 1944, als man sich in dem befand, lastung von Strauss herangezogen werden konn-
was der Minister Goebbels den »totalen Krieg« ten. Und selbst der von der Tageszeitung Die Welt
nannte, war es Furtwängler zu Ohren gekommen, am 27. März 1948 veröffentlichte Brief des Reichs-
dass es neuerliche Differenzen zwischen dem Staat musikkammerpräsidenten an Zweig vom 17. Juni
und Strauss gebe. Er wandte sich am 26. April in 1935 (dort erschienen zusammen mit dem Denun-
einem Brief an den ihm inzwischen sehr vertrau- ziationsschreiben von Mutschmann an Hitler so-
ten Propagandaminister (Berlin, Bundesarchiv, A, wie dem Brief von Strauss an Hitler vom 13. Juli
R 55/20574, Bl. 275–276). Der vormalige Vizeprä- 1935) konnte nun als etwas beigezogen werden,
sident der Reichsmusikkammer baut zunächst vor, was er zuvor nicht gewesen war, eine pièce de résis-
sich über den ehemaligen Präsidenten positiv zu tance. Vom 8. Mai 1945 an gingen die Uhren in
äußern, wobei schwer zu sagen ist, ob ihn dabei Deutschland gehörig anders.
Animosität oder Taktik leitete: »Für Richard
Strauss mich einzusetzen, habe ich persönlich ge-
wiss den allerwenigsten Grund« wegen der persön-
lichen Erfahrungen mit Strauss und in zu genauer Anhang
Kenntnis von dessen »egozentrischem Charakter«.
Auch der Kunst von Strauss stehe er, Furtwängler, Brief von Richard Strauss an Adolf Hitler, 18. Ap-
»unterschiedlich und zum Teil sehr distanziert ril 1935
gegenüber«. Doch dann mahnt er den Minister, Quelle: Berlin, Bundesarchiv, Akte R. Strauss
nicht dem »Feindesland« in die Hände zu spielen. (Riethmüller 2006, 44).
Wenn nämlich Strauss »in seinem Heimatland Handschriftlicher Brief auf gefaltetem Blatt, nachträglich
Deutschland, das sich mit Recht das Land der gelocht (dabei Schrift tangiert), beschrieben nur fol. 1
Musik nennt, boykottiert wird, wenn Strauss- recto und verso, fol. 2 vacat; Briefkopf (gedruckt bzw.
Opern von Theatern abgesetzt werden und zu gestempelt): Dr. Richard Strauss / Garmisch; Datum
(hschr.): 18. 4. 35
seinem 80. Geburtstag in Deutschland keine Fei- [dazu Briefumschlag, Vorderseite: Briefmarke 12 Pfen-
ern stattfinden und er bei dieser Gelegenheit offi- nige; entwertet durch Poststempel Garmisch-Partenkir-
5. Präsident der Reichsmusikkammer 53

chen 18. 4. 35; Anschrift (hschr.): Dem Führer und lasse, wie viel eine solche / 5 Pfennigsteuer auf
Reichskanzler / Adolf Hitler / Berlin W 8 / Reichskanzlei jedes Billet zu / Theater, Conzert, Kino, Fußball,
/ Wilhelmstr.; Absender (gestempelt): Der Präsident / der
Reichsmusikkammer; Rückseite: Pferde- / u. Radrennen, Boxkampf u. so w. im
Absender (hschr.): Dr. Richard Strauss; darunter (ge- Jahr einbringen dürfte.
druckt bzw. gestempelt): Garmisch / Zoepperitzstr. 42] Mit dem Ausdruck meiner hohen Verehrung /
bin ich, mein Führer / Ihr / treu ergebener /
Sehr verehrter Herr Reichskanzler! Dr. Richard Strauss

Indem ich Ihnen nochmals meinen wärmsten / Hitler schob den Vorschlag auf. Vgl. Brief von
Dank ausspreche für die kostbare, wahrhaft / be- Hauptmann a.D. Fritz Wiedemann an den
geisternde Stunde, die Sie mir gestern geschenkt / Reichsminister Dr. Joseph Goebbels in das Pro-
haben, erlaube ich mir, zu Ihrem Geburtstage / pagandaministerium vom 5. Juni 1935 (Kopie des
meine und meiner Familie herzlichsten Glück- mschr. Briefes: Berlin, Bundesarchiv): »Sehr ge-
wünsche / zu übersenden u. erneut der Hoffnung ehrter Herr Minister! / Der Führer hat mich be-
Ausdruck / zu geben, daß Sie lange in ungetrübter auftragt, beiliegenden Brief des Generalmusik-
/ Gesundheit dem deutschen Volke und der / direktors Richard Strauß Ihnen zuzuleiten. Wenn
deutschen Kunst erhalten bleiben möchten. / Be- ich mich nicht irre, hat der Führer bemerkt, dass
zugnehmend auf unsre, mir so wertvolle / Unter- die von Strauß vorgeschlagene Abgabe eines Kul-
redung und meinen von Ihnen so günstig /[verso]/ turgroschens vorläufig doch nicht durchzuführen
aufgenommenen Vorschlag des »Kulturgroschens« ist. Vielleicht haben Sie die Liebenswürdigkeit,
/ zur Förderung unserer wertvollsten Kunst- / in- beim nächsten Zusammentreffen mit dem Führer
stitute erlaube ich mir mitzuteilen, daß / ich auch darauf zurückzukommen. / Mit deutschem Gruss!
meinerseits durch die zuständigen / Stellen in der / [Unterschriftskürzel] / Adjutant des Führers.
Reichsmusik[k]ammer Erhebungen / anstellen

Literatur

Goebbels, Joseph: Die Tagebücher 2. Hg. von Elke ber President, Richard Strauss. In: Michael H. Kater/
Fröhlich. München 1987. Ders. (Hg.): Music and Nazism. Art Under Tyranny.
Kater, Michael H.: Composers of the Nazi Era. Eight Laaber 2003, 269 – 291.
Portraits. New York/Oxford 2000. – (Hg.): Deutsche Leitkultur Musik? Stuttgart 2006.
Riethmüller, Albrecht: Komposition im Deutschen Gerhard Splitt, Richard Strauss 1933–1935. Ästhetik und
Reich um 1936. In: Archiv für Musikwissenschaft 38 Musikpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen
(1981), 241–278. Herrschaft. Pfaffenweiler 1987.
–: Stefan Zweig and the Fall of the Reich Music Cham-
54

6.
Strauss und seine Verleger
Von Dominik Rahmer

»Jeder Componist hat den Verleger, den er ver- denen nur einzelne, aber teilweise bedeutende
dient.« Diese in ihrer Nüchternheit typisch Werke erschienen (Tabelle 1).
Strauss’sche Bemerkung in einem Brief an Max Durch Verkauf von Rechten sowie Verlagsauf-
von Schillings (4.2.1904; Schlötterer 1987, 103) lösungen und -übernahmen stellen sich die ur-
resümiert bündig die misstrauische Grundhaltung sprünglichen Verlagszugehörigkeiten der Werke
des Komponisten gegenüber dem Verlagswesen, heutzutage teilweise anders dar. So kaufte die
mit dem ihn eine insgesamt fast siebzigjährige Universal Edition 1904 sämtliche bei Aibl erschie-
Zusammenarbeit verbinden sollte. Strauss ge- nenen Werke, der Verlag Peters erwarb wiederum
langte früh zu der Auffassung, dass er die größt- 1932 von der Universal Edition die Rechte an den
mögliche Kontrolle über seine Werke behalten Tondichtungen, und die von Fürstner vertretenen
müsse, und betrachtete die Musikverleger in die- Werke gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in den
sem Zusammenhang eher als notwendiges Übel – Katalog teils von Boosey & Hawkes, teils von
oder positiver gesprochen: als Dienstleister, auf die Schott über. Zu beachten ist auch die (hier nicht
er zur Verbreitung und Aufführung seines Œuvres weiter diskutierte) Situation, dass bestimmte
zwar angewiesen war, deren eigene Interessen aber Rechte nur für eingeschränkte Territorien gelten
dem Komponistenwillen häufig zuwiderliefen und und damit für unterschiedliche Länder verschie-
daher ständiger Kontrolle bedurften. Verschärft dene Verlagsvertretungen bestehen können.
wurde dieses Konfliktpotential durch die Tatsache,
dass Strauss ab 1898 als Hauptakteur der Genos-
senschaft Deutscher Tonsetzer und somit als pro-
minenter Gegenspieler vieler Verlagshäuser und Die Hauptakteure:
deren Interessen auftrat (Schmidt 2005). Spitzweg, Fürstner, Roth
Wenngleich das Strauss-Werkverzeichnis insge-
samt 31 Originalverlage von Strauss’schen Werken Strauss begann bekanntlich bereits in seiner Kind-
aufführt (TrV, 369–373), ist letztlich nur ein Dut- heit zu komponieren und fand günstige Bedin-
zend Häuser als relevant für Strauss’ Geschäftsbe- gungen für den Anfang einer öffentlichen Karriere
ziehungen zu betrachten. Unter ihnen sind wie- vor, da er über seinen Vaters Franz Strauss im
derum drei hervorzuheben: zu Beginn seiner Münchner Musikleben schon früh Werke zur öf-
Karriere der J. Aibl Verlag (München) mit seinem fentlichen Aufführung bringen konnte. Fast par-
Inhaber Eugen Spitzweg; später der Berliner Ver- allel dazu wurden bereits die ersten Kompositio-
leger Adolph Fürstner und sein Sohn Otto; nen verlegt: der Festmarsch op. 1 konnte 1881
schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg der briti- in dem renommierten Leipziger Haus Breitkopf
sche Verlag Boosey & Hawkes mit dessen aus & Härtel erscheinen, allerdings wohl nur, weil
Österreich stammendem Lektor Ernst Roth. Da- Strauss’ Onkel Georg Pschorr als Widmungsträger
neben sind einige weitere Verlage zu nennen, bei die Veröffentlichung finanzierte, die jedoch kein
6. Strauss und seine Verleger 55

Tabelle 1: Übersicht der wichtigsten Originalverleger von Strauss


(Daten nach TrV)

Verlag Anzahl Zeitraum Verlegte Werke


Werke

A. Fürstner 49 1891–1936 fast alle Werke von op. 45–80,


darunter alle Bühnenwerke von Feuersnot bis
Die schweigsame Frau

Boosey & Hawkes 47 1946–1949 fast alle Werke ab 1943, darunter 2. Hornkonzert,
Metamorphosen, Vier letzte Lieder;
postum: Jugendlieder

J. Aibl 30 1881–1898 fast alle Werke bis op. 37, darunter alle Tondichtun-
gen von Macbeth bis Don Quixote sowie Guntram

Joh. Oertel 7 1938–1944 op. 81–86, darunter Daphne, Liebe der Danae,
Capriccio

F. E. C. Leuckart 6 1899, 1915, Heldenleben, Alpensinfonie, Lieder op. 41 u. 77,


1928/29 Chöre op. 42, 76 u. TrV 270

Bote & Bock 5 1897–1906, Symphonia domestica, Gesänge op. 33,


1919, 1930 Lieder op. 56 u. 67

R. Forberg 3 1898/99 Enoch Arden, Lieder op. 39, Gesänge op. 44

D. Rahter 2 1887/88 Lieder op. 15 u. 17

Breitkopf & Härtel 1 1881 Festmarsch op. 1

Steingräber 1 1894 Burleske TrV 145

C. A. Challier 1 1899 Gesänge op. 43

C. F. Peters 1 1907 2 Militärmärsche op. 57;


Berlioz, Instrumentationslehre

P. Cassirer 1 1921 Krämerspiegel op. 66

weitergehendes Interesse des Verlags an dem jun- wurde. Strauss überließ ihm die ersten Werke
gen Komponisten weckte (Walter 2000, 48 f.). noch ohne ein Honorar zum Druck (Warfield
Parallel dazu knüpfte Strauss den Kontakt zu Eu- 2010, 245). Das änderte sich seit dem Hornkonzert
gen Spitzweg (1840–1914), Inhaber des Münchner op. 11 (1884). Inzwischen war sich Spitzweg über
Musikverlags J. Aibl (und Neffe des Malers Carl die zu erwartende Karriere von Richard Strauss
Spitzweg), der für die folgende Zeit, bis zu Don klar geworden, wie ein Brief an den Komponisten
Quixote (1898), sein Hauptverleger werden sollte vom Juli 1884 mit Anspielung auf zwei große Ver-
(Ott 1968; Petersen 1992, 115–117). Ebenfalls be- lage andeutet: »[…] daß Sie, wenn einmal verlege-
reits 1881 erschienen dort das Streichquartett op. 2 rumworben, sich daran erinnern werden, daß er
und die Fünf Klavierstücke op. 3. Spitzweg, der [d. h. Spitzweg] nicht dick- und breitköpfig und
schon Kompositionen des Vaters Franz Strauss auch nicht bockbeinig war« (RSA, Hervorheb.
veröffentlicht hatte, entschied sich damit für einen D. R.). In der Folge zahlte Spitzweg ständig stei-
lokalen und vielversprechenden Nachwuchskom- gende Honorare, von 200 Mark für Stücke wie das
ponisten, der seit 1884 zudem von Hans von Bü- Klavierquartett op. 13 oder das Chorwerk Wandrers
low, den Spitzweg ebenfalls verlegte, protegiert Sturmlied bis hin zu 3000 Mark für Also sprach
56 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Zarathustra (vgl. Tabelle 2), was unter dem Kon- Nachdem die »Ära Spitzweg« zu Ende gegan-
kurrenzdruck auch geboten schien, denn Strauss gen war, wählte sich Strauss mit Adolph Fürstner
erhielt mit zunehmendem Erfolg Angebote von (1833–1908) einen neuen Hauptverleger, dessen
anderen Verlagen. Spitzweg wurde zu einem väter- Erfahrung und Beziehungen größeren Erfolg für
lichen Freund, der Strauss im Oktober 1889 das seine Opernprojekte versprachen. Fürstner konnte
Du anbot. Dennoch verschlechterten sich die in seinem Katalog bereits zahlreiche erfolgreiche
persönlichen Beziehungen seit 1898, als Strauss für Bühnenwerke vorweisen, darunter Leoncavallos
die Inverlagnahme von Ein Heldenleben ein Hono- Bajazzo oder Glinkas Leben für den Zaren; auch
rar von 10 000 Mark verlangte und, vor allem, drei Werke Wagners (Rienzi, Fliegender Holländer
zum ersten Mal sich das Aufführungsrecht vorbe- und Tannhäuser) hatte er durch den Kauf der
halten wollte (Ott 1968, 472 f.), das er bisher mit Dresdner Firma Meser seinem Programm hinzu-
der einmaligen Honorarzahlung stets vollständig fügen können (Fürstner 1966, 9). Durch seine
an Spitzweg abgetreten hatte (abgesehen von Gun- Ausbildung in Pariser und Londoner Verlagen
tram; Spitzweg an Strauss, 12.6.1894; RSA). Letzt- besaß Fürstner sehr gute internationale Beziehun-
lich kam es zum Bruch mit Spitzweg, der zudem gen, vor allem nach Frankreich. Strauss, der seit
als Mitglied im Vereinsausschuss des Deutschen den 1890er-Jahren mehrfach in Paris mit eigenen
Musikalien-Verlegervereins in direkter urheber- Werken gastiert hatte, musste sich von dieser
rechtspolitischer Konfrontation zu der von Strauss Konstellation besonders angesprochen fühlen.
initiierten Genossenschaft Deutscher Tonsetzer Erste Kontakte zu Fürstner gehen bis ins Jahr
stand. Am 22.3.1900 schickte ihm Strauss gewis- 1885 zurück, als Strauss ihm erfolglos seine zweite
sermaßen die offizielle Kündigung: »Mein neuer Symphonie anbot (siehe Fürstners Absage in Gras-
Verleger, ich vergaß neulich dir’s zu sagen, ist berger 1967, 27). 1890 war es Fürstner, der den
Fürstner« (Ott 1968, 474). Faden wieder aufnahm (vielleicht unter dem
1904 gab Spitzweg den Verlag J. Aibl auf und Eindruck des gerade erfolgreich aufgeführten Don
verkaufte ihn mangels geeigneter Nachfolger an Juan) und Strauss in einem Brief um ein Werk für
die noch junge, 1901 gegründete Universal Edition seinen Verlag bat. So kam es 1891 mit der Lieder-
in Wien. Auch der Berliner Verlag Bote & Bock sammlung Mädchenblumen op. 22 zur ersten Pu-
hatte starkes Interesse bekundet; doch war Hugo blikation (Fürstner 1966, 9). Die Beziehung wurde
Bock der verlangte Preis von 400 000 Mark zu um 1900 intensiviert, als Strauss mit mehreren
hoch. Nach späterer Darstellung von Gustav Verlegern in Verhandlung stand, um für die Zeit
Bock, Sohn des damaligen Verlagsleiters, soll nach Spitzweg für geordnete Verhältnisse zu sor-
Strauss seinen Unmut darüber geäußert haben, gen. Im Februar 1900 bot Fürstner Strauss einen
dass damit seine Werke von einem ausländischen dreijährigen Vertrag an, in dem er ihm eine feste
Verlag betreut wurden: »Ich erinnere mich noch jährliche Zuwendung und hohe Honorarsätze für
des Augenblicks, als Richard Strauß […], nach- die fertiggestellten Werke garantierte, zudem soll-
dem wir gerade seine ›Sinfonia Domestica‹ erwor- ten die Aufführungsrechte bei Strauss verbleiben
ben hatten, die Bemerkung machte: ›Hat sich (Ott 1968, 473). Strauss akzeptierte, verlängerte
denn kein deutscher Musikverlag gefunden, der 1903 den Vertrag allerdings nicht mit der Begrün-
meine Werke aus dem Aibl-Verlag erwerben dung, er könne unter dem Druck einer festen
wollte, so daß ich nun mit diesen Werken an einen Verpflichtung nicht komponieren (Fürstner 1966,
österreichischen Verlag gebunden bin?‹« (Bock 9; Riedel 1968, 19). Ein weiterer Hintergedanke
1949, 35). Auch spätere Äußerungen von Strauss mag gewesen sein, sich nicht mehr dauerhaft an
deuten darauf hin, dass er mit diesem Wechsel einen einzigen Verlag zu binden; in der Tat kam es
alles andere als zufrieden war: »Sie müssen immer in der Folge öfter zu einzelnen Projekten mit
bedenken, dass Ihr Geschäft einmal in andere wechselnden Verlagen. Die einst fast familiäre
Hände übergehen kann u. damit – siehe Aibl- Verbindung zu Spitzweg war im Falle des Fürst-
Universaledition! habe ich schon einmal die ner-Verlags einer eher freundschaftlich-reservier-
schlimmsten Erfahrungen gemacht!« (12.8.1924; ten Geschäftsbeziehung gewichen. (Seit 1923
BSB Fürstner, Nr. 535). wechselt Strauss in der Korrespondenz gelegent-
6. Strauss und seine Verleger 57

lich zum vertrauten »Lieber Otto!«, bleibt aber in (Fetthauer 2004, 113, 345). Bereits ein Jahr zuvor
der Regel bei »Lieber Herr Fürstner!«; per Du wie war es zu einer äußerst gespannten Situation zwi-
mit Spitzweg war Strauss mit keinem anderen schen Oertel und Fürstner gekommen: Mit der
Verleger mehr.) Dennoch blieb Adolph Fürstner – Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich
bzw. nach seinem Tod 1908 sein Sohn Otto im März 1938 fiel auch das vertriebsrechtlich zuvor
(1886–1958), der 1922 die Verlagsleitung über- von Fürstner betreute Territorium in die Zustän-
nahm – sein wichtigster Verleger, bei dem alle digkeit Oertels, was für diesen den Zugewinn eines
seine folgenden Bühnenwerke erschienen. Auf- lukrativen Marktes bedeutete. Strauss ergriff hier-
grund von Differenzen über Strauss’ Honorarfor- bei stark Partei für Oertel und stand dem Vorha-
derungen nach dem Ersten Weltkrieg veröffent- ben Fürstners, juristische Schritte gegen diese
lichte Strauss allerdings seit Arabella seine Opern Quasi-Enteignung einzuleiten, verständnislos ge-
im Eigenverlag, Fürstner fungierte hierbei ledig- genüber: »Ich bedauere lebhaft, dass Sie sich noch
lich als Kommissionsverlag (Roth 1982, 53), der immer nicht auf den Boden vollendeter Tatsachen
sich vor allem um Vertrieb und Werbung küm- stellen können, die Herrn Oertel völlig unbehin-
merte. Strauss blieb somit im Besitz sämtlicher derte Freiheit seiner Geschäftsausübung im frühe-
Rechte, musste allerdings auch alle Herstellungs- ren Österreich gestatten, ohne die Verpflichtung
kosten des Materials übernehmen, wie er den be- irgend einer Entschädigung an Sie. Trotzdem hat
treffenden Opernhäusern nicht mitzuteilen ver- Herr Oertel in Übereinstimmung mit mir in
säumte, etwa dem Dirigenten Hans Knapperts- höchst loyaler Weise zu einer Entschädigung […]
busch: »Lieber Freund! Fürstner schreibt mir, daß sich bereit erklärt und es ist nur zu bedauern, dass
München sich weigere, den für Arabella geforder- Sie in Unkenntnis der bestehenden Verhältnisse
ten, gegen Helena bereits um ein Drittel ermäßig- immer noch glauben Bedingungen stellen zu kön-
ten Kaufpreis von 8000 M. zu bezahlen […] Sie nen, deren Erzwingung völlig aussichtslos ist«
selbst wissen vielleicht gar nicht, daß ich für Ara- (20.8.1938, BSB Fürstner, Nr. 855). Eine derart
bella nicht nur kein Verlegerhonorar erhalte, bürokratische Antwort musste Fürstner hart tref-
sondern die gesamten Druckkosten aus meiner fen und belastete das Verhältnis schwer.
eigenen Tasche bezahle!« (22.5.1933; Reger 2004, Nach dem Krieg nahm Strauss den Kontakt zu
193). Fürstner zwar wieder auf (15.8.1945, BSB Fürstner,
Als Vorstandsmitglied in der Genossenschaft Nr. 866); eine weitere Zusammenarbeit erwies
Deutscher Tonsetzer teilte Fürstner prinzipiell sich jedoch aufgrund des zerrütteten Verhältnisses
Strauss’ Haltung zur Frage des Aufführungsrechts als nicht mehr möglich. Strauss bestand darauf,
und Teilung der Tantiemen. Nicht nur wirtschaft- dass Oertel die Leitung des deutschen Verlagsteils
lich und vertrieblich setzte sich Fürstner für seinen behalten sollte und äußerte sich diesem gegenüber
Komponisten ein, er sorgte auch für künstlerisch in deutlicher Sprache:
herausragende Gestaltungen seiner Strauss-Ausga- Inzwischen habe ich Alles Sie u. OF [Otto Fürstner] be-
ben: Für das Titelblatt des Elektra-Klavierauszugs treffend mit Dr Roth besprochen u. wiederhole, daß ich
wurde Lovis Corinth gewonnen, von dem Büh- jeden geschäftlichen Verkehr mit Fürstner abbreche,
wenn er Sie nicht zum Mindesten in Ihre alte Stellung als
nenbildner und Grafiker Alfred Roller stammen Geschäftsführer, aber am Besten als gleichberechtigten
die Titelgestaltungen zu Ariadne auf Naxos und Teilhaber einsetzt, oder gar das Berliner Geschäft in an-
Rosenkavalier (Fürstner 1966, 9). dere Hände z. B. Schott zu übergeben die unerhörte
Bosheit haben sollte. In diesem Falle entziehe ich ihm das
Die zunehmenden Repressalien seit der Macht- Recht der Verwaltung der Aufführungsrechte von Opern
übernahme Hitlers 1933 gegen sogenannte »nicht- für Deutschland, nehme dieselben selbst in die Hand
arische« Unternehmen und Verlage führten 1935 (resp. mein Sohn) u. übergebe Ihnen die Geschäftsfüh-
rung im Detail, wie Sie es bis jetzt zu meiner vollsten
zur Entscheidung Otto Fürstners, ins Londoner Zufriedenheit gehandhabt haben, was ich von den Ge-
Exil zu gehen, um von dort die internationalen schäftsusancen Ihres früheren (momentan anscheinend
Geschäfte weiterzuführen, und seinem Prokuristen total verrückt gewordenen) Chefs nicht behaupten
Johannes Oertel die Verlagsrechte für Deutschland konnte. Ich habe jetzt noch erfahren, wie er durch uner-
hörte Materialforderungen in Amerika Aufführungen
zu verpachten. 1939 übernahm Oertel jedoch den geradezu sabotiert hat. (28.9.1946, BSB Oertel, Nr. 3;
nunmehr »arisierten« Verlag auch als Inhaber Hervorheb. im Orig.)
58 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

Da Strauss die Bühnenwerke seit Arabella im Ei- Weitere Verlagsbeziehungen:


genverlag belassen und Fürstner nur als Kommis- Leuckart, Forberg, Peters,
sionsverlag eingesetzt hatte, war es ihm möglich, Bote & Bock
diesem die Vergabe der Aufführungsrechte für
Deutschland und Italien zu entziehen, die er zum Der wachsende Erfolg von Strauss in den 1890er
1.1.1948 wieder in Eigenregie verwaltete und hierzu Jahren brachte es mit sich, dass er von zahlreichen
Johannes Oertel als Agenten einsetzte. Fürstner Verlagen umworben wurde. So vollzog sich auch
erlangte erst 1950, also nach Strauss’ Tod, die der Wechsel von Spitzweg zu Fürstner nicht
Rechte an seinem alten deutschen Verlag zurück schlagartig, sondern nach einer gewissen Sondie-
(Riedel 1968, 19). rungsphase; Strauss konnte durch Verhandlungen
Eine entscheidende Änderung im Verhältnis mit verschiedenen Verlegern den Marktwert seiner
Fürstner – Strauss hatte sich während des Krieges Musik taxieren und mit einzelnen Werken die
auch dadurch ergeben, dass Fürstner im Januar Möglichkeit einer dauerhaften Zusammenarbeit
1943 seine internationalen Verlagsrechte (weltweit ausprobieren. Beziehungen ergaben sich so zu
außer den Territorien Deutschland, Italien, Portu- verschiedenen namhaften Verlagen, die teilweise
gal, Danzig und Sowjetunion) an Strauss’ Werken in einmaligen Kooperationen endeten, teilweise
an Boosey & Hawkes verkauft hatte (Fetthauer aber auch jahrzehntelange Kontakte begründeten.
2004, 340–350; Roth 1982, 47–76). Eine entschei- Letztere bestanden zum Verlag F. E. C. Leuckart in
dende Rolle spielte hierbei der Boosey-Lektor Leipzig, der bis 1905 durch Constantin Sander
Ernst Roth (1896–1971), ehemaliger leitender (1826–1905) geführt wurde. Als Gründungsmit-
Mitarbeiter bei der Universal Edition, der 1938 aus glied der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer er-
Österreich emigrieren musste. In London fand er warb sich Sander seit 1898 das Vertrauen von
aufgrund seiner langjähriger Bekanntschaft mit Strauss und erlangte 1899 die Inverlagnahme von
Ralph Hawkes eine verantwortliche Anstellung im Ein Heldenleben op. 40 sowie der folgenden zwei
Verlag Boosey & Hawkes, wo er seine bestehen- Opera (5 Lieder op. 41 und 2 Männerchöre op. 42).
den Kontakte zu Komponisten wie Bartók oder Die sehr guten persönlichen Beziehungen auch zu
Kodály nutzte, um sie als Autoren für Boosey zu Sanders Sohn Martin ließen Strauss zu einem
gewinnen. Roth war auch großer Bewunderer der häufig gesehenen Hausgast bei seinen Besuchen in
Musik von Strauss, den er bereits 1922 kennenge- Leipzig werden (Zentner 1949, 34). Mit der Al-
lernt hatte, und nutzte die günstige Gelegenheit pensinfonie gelangte 1915 ein weiteres gewichtiges
von Fürstners Angebot, um den Katalog des Lon- Werk von Strauss ins Verlagsprogramm, für das
doner Verlages um viele der bedeutendsten Werke Leuckart immerhin 50 000 Mark bezahlte.
von Strauss zu bereichern. Nach Ende des Krieges Wenig ist demgegenüber über Strauss’ Bezie-
suchte Roth den Komponisten mehrfach in der hungen zu Robert Max Forberg (1860–1920) be-
Schweiz auf und erwarb auch die weltweiten kannt, der 1898 das Melodram Enoch Arden op. 38
Rechte an den meisten nach dem Krieg entstande- und die 5 Lieder op. 39 verlegte. Zumindest be-
nen Werken, darunter das zweite Hornkonzert richtet Strauss an Spitzweg etwas entschuldigend
(uraufgeführt bereits 1943), das Oboenkonzert, die über diese einmalige Geschäftsbeziehung, dass
Metamorphosen für Streicher, das Duett-Concer- »Forberg ›Enoch Arden‹, der schon seit 2 Jahren
tino, die beiden Bläsersonatinen sowie die »Vier fertig ist, ohne daß du ihn verlangt hast, und die
letzten Lieder«. Roth kam darüber hinaus eine Lieder außerordentlich gut bezahlt hat« (23.7.1898;
wichtige Rolle bei der Wiederbelebung und -auf- Grasberger 1967, 117).
führung des Strauss’schen Œuvres in England Seitens des Verlagshauses C. F. Peters kam es
nach dem Krieg zu; so war er maßgeblich an der bereits 1889 zu einer Kontaktaufnahme durch den
Organisation eines Strauss-Festivals in London im Verlagsleiter Max Abraham (1831–1900), der über
Oktober 1947 beteiligt, mit fünf Konzerten unter den mit Strauss gut befreundeten Dirigenten Gus-
Mitwirkung von Strauss als Dirigent. tav Kogel ein vorsichtiges Angebot übermitteln
ließ, dessen nächste Tondichtungen (also auf Don
Juan folgend) zu verlegen. Strauss reagierte auf für
6. Strauss und seine Verleger 59

ihn typische Weise mit einem direkten Angebot nach dem Tod ihres Direktors Emil Hertzka in
und bot dem Verlag seine Tondichtung Macbeth finanziellen Schwierigkeiten befindliche Wiener
op. 23 für 1500 Mark an (Brief vom 13.5.1890; Universal Edition verkaufte am 6.10.1932 die sie-
Staatsarchiv Leipzig, Bestand C. F. Peters; Plesske ben zwischen 1886 und 1899 entstandenen Ton-
1978, 89 ff.). Abraham respektierte dann aber dichtungen (jedoch keine weiteren Werke aus dem
Spitzwegs Vorrechte und nahm von einer Inverlag- ursprünglichen Aibl-Bestand) für 225 000 Mark
nahme Abstand. Nach Abrahams Tod erneuerte an Peters (vgl. Bucholtz 2001, 77, 159).
dessen Nachfolger Henri Hinrichsen (1868–1942) Mit dem traditionsreichen Berliner Musikver-
die Beziehung zu Strauss und bot ihm 1902 die lag Bote & Bock verbindet Richard Strauss eine
Edition einer deutschsprachigen erweiterten Neu- besonders spannungsvolle Geschichte, deren be-
ausgabe der Instrumentationslehre von Berlioz an. kanntestes »Produkt« der berühmte Liederzyklus
Strauss akzeptierte, konnte aufgrund anderweiti- Krämerspiegel darstellt. Bereits während seines
ger Verpflichtungen das Manuskript aber erst im längeren Berlin-Aufenthaltes im Februar/März
Dezember 1904 abliefern: »Mein Vertrag mit 1884 traf Strauss mehrere Male mit Hugo Bock
Fürstner zwingt mich auch noch fleißig zu sein, zusammen (TrChr, 34–36), wobei es auch um
ich habe zwei größere Werke unter der Feder. Also Verlagsangelegenheiten ging – seinem Freund
bitte herzlich, sich zu gedulden« (13.8.1902; Plesske Thuille berichtete Strauss am 8.3.1884: »bei Bote &
ebd.). Das Bemühen Hinrichsens um ein großes Bock werde ich wahrscheinlich einige Sachen von
Hauptwerk von Strauss für die Edition Peters war mir verlegen« (Grasberger 1967, 17). Doch erst
dagegen nicht von Erfolg gekrönt. Als erstes schei- 13 Jahre später kam es zu einer Veröffentlichung:
terte sein Angebot über 30 000 Mark für die 1897 erschienen dort die Vier Gesänge für Sing-
Symphonia domestica. Strauss antwortete, er habe stimme und Orchester op. 33. Mit der Symphonia
das Werk »nunmehr an die Firma: Bote u. Bock domestica konnten Bote & Bock 1904 eine der
nach einem Honorarangebot von 35 000 Mark Tondichtungen erwerben, allerdings für die
verkauft« (25.1.1904; Plesske ebd.). enorme Summe von 35 000 Mark, weswegen sich
Die nüchterne Realität bestand in den 2 Mili- Strauss noch zur Lieferung von zwölf Liedern ver-
tärmärschen op. 57, die Strauss 1906 Peters für pflichtete, von denen sich der Verlag großen Absatz
6000 Mark anbot, da Fürstner nur 4000 Mark und kommerziellen Erfolg versprach. Strauss’ Un-
zahlen wollte, und seinem Vorschlag den verhei- lust zur Erfüllung dieser Zusage und juristische
ßungsvollen Passus anfügte: »Vielleicht ließe sich Drohungen des Verlags führten zur berühmten
diesem Anfang dann später Größeres u. Ernsteres »Affäre« um den Krämerspiegel (Hudson 2006):
angliedern« (4.11.1906; Plesske ebd.). Hinrichsen Strauss bestellte 1918 bei dem Kritiker und Schrift-
ging auf den Vorschlag ein, wohl weniger aus steller Alfred Kerr zwölf satirisch-provokante Ge-
echtem Interesse an der Musik als in der Hoffnung dichte und schickte seine Vertonungen an Bote &
auf einen Einstieg in eine längere Geschäftsbezie- Bock, die diese (schlechterdings unpublizierbare)
hung mit Strauss. Das »Größere und Ernstere« Ablieferung nicht mit Humor nahmen und ge-
sollte einige Jahre später zur Diskussion stehen: richtlich eine neue Liedersammlung erzwangen.
Strauss bot Hinrichsen seine Alpensinfonie op. 64 (In seine Eulenspiegelei weihte Strauss übrigens
zur Inverlagnahme an, was aber an seiner immen- seinen Hauptverleger Fürstner ein, der für ihn die
sen Honorarforderung von 100 000 Mark schei- Ausschrift der Kopistenpartitur und die Übersen-
terte (die er allerdings auch nicht vom schließlich dung an Bote & Bock übernahm; Strauss bot ihm
erfolgreichen Verlag Leuckart erhielt). Nach der nach deren Absage sogar die Publikation an; vgl.
Uraufführung drückte Strauss sein Bedauern ge- BSB Fürstner, Nr. 417, 419, 421, 422). Kaum über-
genüber dem Verlag Peters aus: »Ich hatte es gut raschend befinden sich unter den im Krämerspiegel
mit Ihnen gemeint und hätte sie auch gerne in der verspotteten Verlagen und Verlegern – neben Bote
Edition Peters gesehen! Aber wenn der Verleger & Bock noch Breitkopf & Härtel, Drei Masken,
halt nicht will! Schade!« (28.11.1915; Plesske ebd.). R. Lienau, C. F. Kahnt, K. & F. Reinecke sowie
Erst 1932 gelangten doch noch die ersehnten »grö- Schott – keine Geschäftspartner von Strauss (vgl.
ßeren« Werke in den Katalog von C. F. Peters: Die Tabelle 1), sondern seine hauptsächlichen Gegen-
60 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

spieler in der Frage des Verbleibs des Aufführungs- (30.10.1890; BSB Fürstner, Nr. 4). Strauss ließ sich
rechts beim Komponisten. auch nicht auf den für ihn riskanten Gegenvor-
Drei Jahre fand Strauss keinen Verlag für den schlag ein, die zweite Hälfte des Honorars erst
Krämerspiegel (dessen Aufführung laut Kerr auch nach 1000 verkauften Exemplaren ausbezahlt zu
verboten war; Hudson 2006, 324), bevor der Zy- bekommen. Entgegenkommen zeigte er nur auf
klus 1921 im Kunstverlag von Paul Cassirer in einer anderer Ebene, etwa mit dem Angebot von Raten-
limitierten Luxusausgabe erschien. Nachdem zahlungen des Honorars oder von kleinen Zusatz-
diese vergriffen war, bot Strauss, der die Rechte leistungen wie einer Transposition für tiefe
offensichtlich zurückerlangt hatte, Bote & Bock Stimme, so dass er nach einigen Briefwechseln
den Zyklus 1931 erneut zur Veröffentlichung an, sein Honorar ohne Abstriche erhielt. Stolz berich-
im Sinne eines symbolischen Friedensschlusses tete Strauss anschließend Spitzweg, der in den
(Grasberger 1967, 336). Letztlich sollte aber der Vorgang eingeweiht war: »Fürstner Berlin hat auf
Krämerspiegel erst wieder 1959 bei Boosey & die 4 Lieder: Mädchenblumen angebissen u. volle
Hawkes – und zum ersten Mal in einem Musik- 800 M. dafür bezahlt; das ist doch toll. Er wollte
verlag – erscheinen. (Späte Ironie der Geschichte: anfangs handeln; als ich aber fest blieb, hat er sich
Nach der Übernahme von Bote & Bock durch entschlossen; ich hatte aus purem Übermute die
Boosey & Hawkes im Jahr 1996 sind die Sympho- hohe Summe gefordert« (Ott 1968, 470). Solche
nia domestica und der Krämerspiegel nun doch im frühen Erfolge mögen Strauss bestärkt haben,
gleichen Katalog vereint …) auch später ähnlich zu taktieren. Anstatt beispiels-
weise bei der Symphonia domestica die enorm hohe
Honorarforderung von 35 000 Mark zu senken,
sagte er Bote & Bock zwölf Lieder als Dreingabe
Der Geschäftsmann zu (s. o.). Die Höhe einiger von Strauss kassierter
Werkhonorare im Vergleich mit denen anderer
Beim Umgang mit seinen Verlegern war Strauss Komponisten zeigt Tabelle 2.
ein harter Verhandlungspartner, und die Ergeb- Bei aller Unnachgiebigkeit in der Sache und
nisse zeigen, dass er seine Forderungen in der Re- teilweise atemberaubenden Honorarvorstellungen
gel ohne Abstriche durchzusetzen vermochte. war Strauss jedoch ein berechenbarer Geschäfts-
Schrieb ihm anfangs sein erster Verleger Spitzweg partner, der seine Verleger nicht im Unklaren über
noch mehr im Spaß gemeint: »Verlange! Wenn seine Alternativen und Konkurrenzangebote ließ.
ich’s geben kann, so geb ich’s!« (22.11.1890; RSA), Die oben geschilderte erste Kontaktaufnahme des
da er auf die Loyalität seines jungen Freundes Peters-Verlags verschwieg er seinem Hauptverleger
bauen konnte, so bekamen andere Verleger bald Spitzweg keineswegs und beriet sich mit ihm sogar
Strauss’ Geschäftstüchtigkeit zu spüren. Es ist in zu den nächsten Schritten: »Wie weit soll ich nun,
diesem Zusammenhang interessant zu lesen, wie nach Deinen Wünschen, mit ihm mich einlassen,
unbeirrt und selbstbewusst der erst 26-jährige vielleicht nimmt er ›Macbeth‹ und die ›Mädchen-
Komponist 1890 mit Adolph Fürstner über die blumen‹ […]. Meinem Versprechen gemäß mache
Inverlagnahme seines Liederzyklus Mädchenblu- ich Dir davon Mitteilung und bitte ich Dich,
men verhandelte (BSB Fürstner, Nr. 2–7). Vom Dich bald darüber zu äußern!« (7.12.1889; Gras-
einmal genannten Preis von 800 Mark rückte berger 1967, 49). Nicht nur gegenüber dem be-
Strauss nicht mehr ab, auch als Fürstner das Ma- freundeten Spitzweg, auch später gegenüber
nuskript bereits erhalten hatte und nachzuverhan- Fürstner war Strauss grundsätzlich loyal und bot
deln versuchte: »Von meiner für die Mädchenblu- seine neuen Werke zuerst dem Hauptverleger an,
men gestellten Forderung kann ich nicht abgehen etwa bei der Frage der Neuausgabe des Krämer-
[…] Sollten Sie nicht im Stande sein, auf meine spiegel: »Ich habe ihn loyaler Weise Bock angebo-
Ihnen zu hoch erscheinenden Honorarbedingun- ten, der ihn – ›ohne Groll‹ – aber dankend abge-
gen einzugehen, so sehe ich mich zu meinem lehnt hat. Adler wäre bereit, ihn zu drucken. Bevor
Bedauern gezwungen, Sie um freundliche Rück- ich ihm zusage, muß ich aber – ebenfalls loyaler
sendung meines Manuscripts zu ersuchen« Weise doch bei Ihnen anfragen. Wenn Sie das
6. Strauss und seine Verleger 61

Tabelle 2: Strauss’ Werkhonorare im Vergleich

Komponist Werk Honorar Jahr Verlag

Wagner Parsifal 100 000 Mark 1882 Schott

Brahms 2. und 3. Symphonie je 15 000 Mark 1878/84 Simrock

Brahms 2. Klavierkonzert 9000 Mark 1882 Simrock

Brahms Lieder op. 94–97 je Lied 450 Mark 1884–86 Simrock

Dvořák »eine neue Symphonie« 3000 Mark (Angebot) ca. 1880 Simrock

Mahler 5. Symphonie 16 000 Mark 1903 Peters

Mahler 6. Symphonie 24 000 Mark 1905 Kahnt

Strauss Klavierquartett op. 13 200 Mark 1886 Aibl

Strauss Don Juan 800 Mark 1890 Aibl

Strauss Macbeth; Tod und Verklärung je 1600 Mark 1891 Aibl

Strauss Till Eulenspiegel 1000 Mark 1895 Aibl

Strauss Also sprach Zarathustra 3000 Mark 1896 Aibl

Strauss Don Quixote 5000 Mark 1897 Aibl

Strauss Symphonia domestica 35 000 Mark 1904 Bote & Bock

Strauss Elektra 100 000 Mark 1908 Fürstner

Strauss Alpensinfonie 50 000 Mark 1915 Leuckart

Werk haben wollen, haben Sie natürlich, wie im- gent (später auch als Operndirektor in Wien) das
mer, das Vorrecht« (5.12.1931; BSB Fürstner, Musikgeschäft von innen kannte und hinsichtlich
Nr. 707). Bei den Verhandlungen zur Alpensinfo- der Opernhäuser und Konzertveranstalter in der
nie, für die er von Fürstner zunächst 80 000 Mark Regel sehr gut über die jeweiligen örtlichen Ver-
forderte und nach dessen Ablehnung andere An- hältnisse informiert war. So setzt er sich einerseits
gebote einholte, kam er zu dem Entschluss: »San- für kleine Theater ein, um keine Aufführungen zu
der [der Verlagsleiter von Leuckart] bietet mir gefährden: »800 Mark für das kleine armselige
55 000 Mark. Dieses Plus ist so gering, daß ich Schwerin scheint mir zu hoch: das können sie dort
lieber bei meinem alten lieben Verleger Fürstner nicht bezahlen« (29.6.1903; BSB Fürstner Nr. 79).
bleibe u. acceptire daher Ihr Angebot von 50 000« Hingegen reizte er in der Vorbereitung der ameri-
(28.5.1915; BSB Fürstner, Nr. 332). Letztlich kam es kanischen Erstaufführung des Rosenkavalier an der
aber doch nicht zu einer Einigung mit Fürstner Metropolitan Opera (am 9.12.1913) seine Macht-
und die Symphonie ging, wie oben beschrieben, position voll aus und forderte von Fürstner: »Bitte
für 50 000 Mark an Leuckart – also zu einem der Metropolitan Opera New York die aller-
niedrigeren Preis, als von Sander zunächst gebo- schärfsten Bedingungen stellen! Primeur u. 800
ten. Dollar pro Abend für mich Minimum, bei Ein-
Ein wichtiger Aspekt in der Beurteilung von nahmen über 8000 Dollar 10  als Plus« (10.2.1911;
Strauss’ Honorarforderungen ist der Umstand, BSB Fürstner, Nr. 229) Eine Woche später stellte
dass er als Kapellmeister und vielgefragter Diri- er erneut klar, dass seine Forderungen nicht ver-
62 Dirigent, Standesvertreter, Geschäftsmann

handelbar seien: »Bin mit Ihren Bedingungen ihn eines Tages traf, wie er eben ein kleines Stückchen, ich
glaube es war ein Militärmarsch en miniature, einem
New York nicht einverstanden. […] Meine Bedin-
Verleger für einen ganzen Haufen Gold verkauft hatte,
gungen, über die ich keine Diskussion zulasse, sagte ich zu ihm: »Wie kommen Sie sich eigentlich vor,
sind: 1.) 5000 $ Primeur bei Abschluß des Vertra- mein lieber Strauß, wenn Sie Ihre Honorare mit den
ges, 2.) 800 $ pro Vorstellung als Minimum garan- Summen vergleichen, die Ihren seligen Kollegen Mozart,
Schubert, Beethoven gezahlt worden sind?« […] Worauf
tirt, von dem Einnahmebetrag über 8000 $ 10 , er lachend erwiderte: »Das will ich Ihnen gern erklären.
3.) (10 mal garantirt)« (17.2.1911; BSB Fürstner, Ich muß heute Geld verdienen, denn ich halte mich nicht
Nr. 230). Eine aggressive Vermarktungsstrategie so lange als die andern!« (Wolf 2000, 47)
verfolgte Strauss gegenüber einigen Bühnen auch Der Vorwurf, Strauss habe mit dem vehementen
dadurch, dass er sie durch Verträge dazu zwingen Einsatz für die Gründung der Genossenschaft
wollte, zusammen mit Erfolgsstücken wie etwa Deutscher Tonsetzer hauptsächlich die eigene
dem Rosenkavalier auch weniger populäre Werke Profitmaximierung verfolgt, verliert insofern seine
von ihm auf den Spielplan zu setzen. Berechtigung, als Strauss um 1898 als bereits er-
Häufiger Anlass zu Streitigkeiten mit seinen folgreicher und umworbener Komponist ohnehin
Verlegern waren nicht so sehr die an Strauss ein- eine wesentlich machtvollere Verhandlungsposi-
malig gezahlten Honorare für die Verlagsrechte, tion gegenüber den Verlagen besaß als die meisten
sondern die Höhe der Preise, die die Verlage von seiner Kollegen, die von dieser Solidargemein-
den Theatern und Konzertveranstaltern verlang- schaft und seinem Einsatz stärker als er profitier-
ten. Strauss hatte davon nichts, sah aber durch zu ten. Als Vorreiter des Prinzips, das Aufführungs-
hohe Forderungen der Verlage oft Aufführungen recht nicht an den Verlag abzutreten, ging er bei
gefährdet, was sich wiederum negativ auf seine eigenen Werkverträgen mit gutem Beispiel voran
Tantiemen und natürlich auch auf die Verbreitung und äußerte sich zugleich verächtlich über Abtrün-
und Popularisierung seiner Werke auswirken nige, die sich aufgrund ihrer Prominenz bei den
konnte. Ein hierfür typischer Brandbrief von Verlagen Sonderkonditionen verschaffen konnten:
Strauss ging z. B. 1924 an den Prokuristen des Heldenleben ist fertig u. wird vorläufig gar nicht im
Fürstner-Verlags: Druck erscheinen, da ich mit 3 Verlegern, die wirklich
anständiges Honorar geboten haben [nämlich Fürstner,
seien Sie nicht kleinlich und schmeissen Sie mit dem Forberg und Leuckart], mich nicht geeinigt habe, da ich
Material soviel als möglich. Die Hauptsache ist und mir von jetzt ab das Aufführungsrecht selbst vorbehalten
bleibt: möglichst viel Bühnen und möglichst viele Auf- will, um als Anstifter der ganzen Componistenbewegung
führungen, ich wiederhole und wenn Sie das Material auch hierin mit gutem Beispiel voranzugehen. […] Herr
dazu den Bühnen um die Hälfte des Preises oder umsonst Felix Weingartner ist aus unserer Genossenschaft ausge-
geben müssten. […] Sie werden mich bitterböse machen treten, da er einen lebenslänglichen Vertrag mit Breitkopf
wenn Sie mir jetzt in diesem Punkte Schwierigkeiten be- u. H. hat u. ›bis jetzt immer nur die allerbesten Erfahrun-
reiten und dem Erfolge durch zu hohe Forderungen im gen mit den Verlegern gehabt hat.‹ Natürlich ein Mann
Wege stehen. (17.11.1924, BSB Fürstner, Nr. 543; Hervorh. von der Bedeutung! Wie könnte es da anders sein, Col-
im Orig.) lege hat eine solche Berühmtheit nicht. So was steht ein-
zig da in der Welt! Pfui Teufel! (an L. Thuille, 25.12.1898;
Die Strauss schon früh vorgeworfene Geldgier zit. nach Ott 1969, 208)
lässt sich wohl aus einer Sorge um seine bürgerli- 1910 veröffentlichte die Rheinische Musik- und
che Existenz erklären, deren Zukunft in einem Theater-Zeitung in einem groß aufgemachten Ar-
sich ständig wandelnden Musikleben und -markt tikel des Herausgebers Gerhard Tischer eine hef-
sehr ungewiss war und einer langfristigen Vorsorge tige Invektive gegen den »Kaufmann Strauß« (so
für sich und seine Familie bedurfte. Eine Existenz- der Titel). Das Fazit lautete: »Ewigkeitswerke hat
sicherung, die hauptsächlich auf Einnahmen aus Strauß uns bislang noch nicht geschenkt, auch
Werkhonoraren und Aufführungstantiemen be- dürfen wir sie im allgemeinen nur von einem
ruhte, war ungleich unkalkulierbarer als das Ge- Künstler erwarten, der einzig und allein ›aus inne-
halt aus einer festen Anstellung. Der Berliner rer Not‹ schafft« (Nr. 36/37, 581). Diese romanti-
Cellist Heinrich Grünfeld gab hierzu 1923 einen sche Auffassung vom Komponisten als einem
interessanten Einblick: »armen Poeten« blendet aus, dass das Komponie-
Strauß erhält heute wohl die höchsten Honorare, die je- ren nicht nur eine schöpferische Tätigkeit dar-
mals einem Komponisten gezahlt worden sind. Als ich stellt, sondern sich unter den Rahmenbedingun-
6. Strauss und seine Verleger 63

gen des bürgerlichen Musiklebens im ausgehenden ›die Leut‹ durch den Wagner‹ verdient hätten.
19. Jahrhundert auch als Beruf etabliert hatte. Jo- Schon beim bloßen Überschlag ergab sich, daß
hannes Brahms war wohl der Erste, der allein von hunderte von Millionen durch ›den Meister‹ in
den Verlagshonoraren für seine Kompositionen Schuß gekommen waren« (Swarowsky 1971, 7).
gut leben konnte, ohne auf weitere Einnahmen Der Komponist als Wirtschaftssubjekt – eine
durch Lehrtätigkeit, Konzertieren u. ä. oder auf für viele von Strauss’ Zeitgenossen unbequeme
materielle Unterstützung durch Gönner angewie- Vorstellung, aber im gesellschaftlichen Kontext
sen zu sein. In dem Maße, wie Komponieren zum eine unausweichliche Entwicklung. Dies erkannte
Brotberuf wurde, musste der merkantile Aspekt früh der Musikschriftsteller Paul Bekker, der 1909
größere Bedeutung erhalten, und in diesem Sinn eine Apologie der wirtschaftlichen Selbstbestim-
ist Strauss vielleicht der erste moderne Kompo- mung des modernen Komponisten unternahm
nist, der das Komponieren nüchtern gleicherma- (Bekker 1909, 28–30). Und er tat dies just am
ßen als kreative Tätigkeit und wirtschaftlichen Beispiel von Richard Strauss, den er als vollendete
Faktor betrachtete. Die im Grunde selbstverständ- und »einheitlichste Inkarnation des Kunstempfin-
liche Tatsache, dass der Betrieb eines Theaterhau- dens der Gegenwart« ansah, sowohl auf schöpferi-
ses zunächst einmal der Werke zur Aufführung scher als auch auf materieller Ebene:
bedarf und der Dichter bzw. Komponist am Be- In Strauß’ kommerzieller Gewandheit offenbart sich ein
ginn der – betriebswirtschaftlich gesprochen – bedeutender sozialer Grundzug der Gegenwart: der
Wertschöpfungskette steht, veranlasste Strauss zu Künstler hat jetzt volles Bürgerrecht erworben. […] Er
wartet nicht mehr auf pensionspendende Fürsten oder
der These, »ein Künstler, und besonders ein Mäcene. Seine wirtschaftliche Existenz ist fest gegrün-
Opernschreiber«, sei »immer unterbezahlt, weil det – er sorgt jetzt selber für sich. Nur die Menschen ha-
unbezahlbar […]. Abgesehen von dem, was er der ben sich noch nicht daran gewöhnt. […] Seine Kunst
scheint ihnen profan, weil sie sich gern von guten, realen
Menschheit an idealen Gütern gebe, trage sein Dingen nährt. […] Wer wäre berechtigt, Strauß Vorwürfe
Wirken entscheidend bei zu einer Vermögensbil- darüber zu machen, daß er mit sich handeln läßt? Er hat
dung, mit der verglichen der Anteil des Künstlers nur den Mut dazu, so etwas en gros und öffentlich zu be-
verschwindend klein sei.« Hans Swarowsky, dem treiben – das allein unterscheidet ihn von anderen. Er ist
der Großindustrielle, der Musikkönig im amerikanischen
wir diesen Hinweis verdanken, fuhr fort: Strauss Sinne – wir müssen uns begnügen, ihn so zu nehmen, wie
»stellte mir einmal die Aufgabe, zu erforschen, was er ist.

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1982. 2000.
ÄSTHETISCHE POSITIONEN
66

7.
Strauss und Wagner
Von Bernd Edelmann

»Sehen Sie, Richard Wagner, das war ein Genie! starrköpfiger Wagner-Gegner. Doch war sein
Ich bin kein Richard Wagner, ich bin vielleicht ein Pflichtbewusstsein stark genug, dass er die schwe-
Talent; nicht mehr« (26. Februar 1911). Diese ren Hornpartien im Tristan, die er als nicht horn-
Worte von Richard Strauss zu dem Münchner gemäße »Klarinettenstimmen« (Strauss 1981, 195)
Musikkritiker Alexander Dillmann (zit. nach empfand, zur vollen Zufriedenheit des Meisters
Gehring 1934, 49) sind umso erstaunlicher, als sie blies.
drei Wochen nach der sensationellen Dresdner Wie allgegenwärtig das Thema Wagner in
Uraufführung des Rosenkavalier fielen. Strauss Strauss’ Kindheit war, zeigen die frühesten, recht
kannte stets seine Grenzen und bewunderte am kuriosen Belege: Am Faschingssonntag 1871 wirkte
Genie Wagner rückhaltlos das Zusammentreffen der sechsjährige Richard beim Kindermaskenfest
von Musiker, Dichter und Theoretiker. Er selbst im Odeon als »Minnesänger« in der Gruppe mit,
fühlte, als rein musikalisches »Talent«, weder eine die Wagners Tannhäuser vorstellte. Im Jahr darauf
dichterische noch eine schriftstellerische Berufung war er Chorführer in der Gruppe der Friedensbo-
in sich. ten aus Rienzi. Beide Faschingsfeste hatten einen
Bezug zur Münchner Hofoper. Den Tannhäuser
hatte Franz Lachner als erste Oper Wagners (am
12.8.1855) in München aufgeführt, gefolgt von
Frühe Wagner-Eindrücke Lohengrin 1858. Die Münchner Erstaufführung des
Rienzi am 27. Juni 1871, zur Zeit also des Odeons-
Im Juni 1864, zur selben Zeit, als Richard Strauss Festes, muss für Wagner eine besondere Genugtu-
geboren wurde, trat eine dramatische Wende in ung gewesen sein, denn 1845 hatte er die bei der
Wagners Leben ein. Ludwig II. herrschte seit drei Münchner Intendanz eingereichte Partitur unge-
Monaten im Königreich Bayern und hatte Wagner öffnet zurückerhalten (Zehetmair/Schläder 1992,
nach München geholt. Die Uraufführungen seiner 48). Von beiden Kinderfesten sind Fotos erhalten,
Musikdramen Tristan und Isolde (1865), Die Meis- eines zeigt Richard, wie er mit einer Papierrolle
tersinger von Nürnberg (1868), Rheingold (1869) dirigiert (Wilhelm 1984, 19).
und Walküre (1870) rückten München schlagartig Mit Dienstkarten seines Vaters konnte Richard
ins Zentrum der Musikwelt. Wagner war Stadtge- in seiner Schulzeit oft die Oper besuchen. Bereits
spräch. Der skandalöse Ehebruch mit Cosima von als Achtjähriger hörte er den Freischütz (Strauss
Bülow, sein anmaßendes Finanzgebaren und seine 1981, 118) und lernte nach und nach das Hauptre-
eigennützige Freundschaft mit König Ludwig II. pertoire der Zeit – Zauberflöte, Zar und Zimmer-
gaben Anlass genug. Richard Strauss wurde in ein mann, Die Weiße Dame, Die Stumme von Portici
Haus hineingeboren, das die Wagnerfeindschaft etc. – kennen. An Wagners früheren Opern, die
besonders leidenschaftlich pflegte. Sein Vater, der Vater wegen ihrer Melodien noch gelten ließ,
Hornvirtuose in der Münchner Hofoper, war ein fesselten Richard zunächst nur szenische Erfin-
7. Strauss und Wagner 67

dungen: im Tannhäuser »die schlagartige Ver- gewisse Faszination von einer Musik, die seiner an
wandlung des Venusbergs in die Wartburgland- Klassikern und am gängigen Opernrepertoire ge-
schaft«, am Lohengrin fand er »nur die Handlung schulten Erfahrung widerspricht.
schön« (Gehring 1934, 15). Nachdem er eine Neueinstudierung der Wal-
Sein erstes Musikdrama von Wagner, den Sieg- küre (am 20. oder 25. Oktober 1878) gehört hatte,
fried, hat Strauss, gerade 14 Jahre alt geworden, im parodiert er im Brief an den schreibfaulen Thuille
Juni 1878 »in der qualvollen Enge des Stehparter- vom 28. Oktober Wagners stabreimende Verse
res nur unter heftigem Stöhnen durchgestanden« und Leitmotive: »Nach langem und sehnlichem,
(Strauss 1981, 118). Es war dies die Münchner saurem Warten / hielt in Händen ich endlich die
Erstaufführung des Siegfried, geleitet von Her- neidliche Post; / ich wartete weiland auf Walhalls
mann Levi und mit prominenten Wagnersängern Zinnen […]« Am Rand notiert er dazu das Wal-
besetzt: Heinrich Vogl als Siegfried, Max Schlosser hallmotiv und »tragisch«. Im selben Brief spielt er,
als Mime und Theodor Reichmann als Wanderer. für einen Vierzehnjährigen erstaunlich, Wagner
All dies konnte Strauss wenig beeindrucken. In ironisch gegen Mozart aus, auch hier wieder, mit
einem Brief an Ludwig Thuille (Trenner 1980, professioneller Attitüde, anhand von Modulatio-
46 f.) macht er seinem Ärger Luft. Wenn man die nen: »M[ozart] braucht 10 Takte, bis er von Esdur
gewiss erheiternden Schimpftiraden und sein Be- bis Adur hinüberkommt, so daß der Zuhörer gar
streben, dem älteren Freund zu imponieren, bei- nichts merkt; heißt man das Musik? nein; aber
seitelässt, dann war Strauss damals nicht nur Wagner setzt einfach Adur gleich Esdur, auf Cdur
»schon ein leidlich ausgebildeter Musiker« (Strauss = Cisdur; daß es der Zuhörer gleich merkt« (Tren-
1981, 201), sondern besaß ein ungewöhnlich ana- ner 1980, 52 f.). »In dummernster Laune« klingt
lytisches Hörvermögen. Seine beigegebenen No- schon sein lebenslanges Spannungsverhältnis
tenbeispiele sind nicht tongetreu, also wohl aus zwischen den Vorbildern Mozart und Wagner an.
dem Gedächtnis niedergeschrieben (Walter 2000, Obwohl er die Musik nicht mochte, kannte er
40). Im ersten Akt Siegfried hört er das Walhall- sie bereits so gut, dass er sie parodieren konnte.
Motiv (in Des-Dur) und kommentiert: »aus Nach einem Unwetter bei einer Bergtour schrieb
Rheingold«. Wesentliche Ring-Motive kennt er er an Thuille: »Am nächsten Tage habe ich die
bereits. Auch ein Grundprinzip von Wagners ganze Partie auf dem Klavier dargestellt. Natürlich
Kompositionstechnik fällt ihm auf: »Dann kommt riesige Tonmalereien und Schmarrn (nach Wag-
im ersten Akte eine grauenhafte Stelle bestehend ner). Neulich war ich in der Götterdämmerung«
auch [recte: aus] vielen Sequenzen, (überhaupt hat (Trenner 1980, 72). Mit der Götterdämmerung
Wagner die Sequenzen sehr gern) von verminder- vom 10. August 1879 hatte er als Fünfzehnjähriger
ten und übermäßigen 3klängen und Septenaccor- bereits den ganzen Ring gesehen, den die Münch-
den. […] Mir haben die Ohren gesummt von ner Hofoper, als erste nach Bayreuth, vollständig
diesen Mißgestalten von Accorden, wenn man sie geboten hatte. Dies beschäftigte ihn immerhin so
überhaupt’s noch so nennen darf« (Trenner 1980, sehr, dass er die Artikel von Hans Michel Schlet-
47). Bei der Stelle, in der Mime Siegfried »das terer über die Bayreuther Ring-Aufführung 1876
Fürchten« lehren will (»Fühltest du nie im finst’ren las. Schletterer bemängelt das Fehlen von »Melo-
Wald«, 1. Akt, 3. Szene), hört Strauss nicht nur dien« (Schletterer 1876, 7), die »geringe musikali-
genau die Häufung übermäßiger Dreiklänge und sche Inspiration«, die »von Trugschluß zu Trug-
die Sequenzierung (mit dem sogenannten Feuer- schluß taumelnde[n] Modulationen« und den
zaubermotiv), sondern deutet sie intuitiv in dem »unausgesetzte[n] Gebrauch alterierter (d. h.
von Wagner musikdramatisch beabsichtigten Sinn übermäßiger und verminderter) Accorde«, bewun-
als »grauenhaft«. Auch Wagners ›lärmende‹ Instru- dert aber die »effektvolle Instrumentation« (ebd.,
mentation stört ihn, doch notiert er sie fachmän- 125). Sein Fazit: Das »Kunstwerk der Zukunft […]
nisch: »Blech ist so besetzt: 4 Hörner, 4 Trompe- ist, trotz einzelner großartiger und bedeutender
ten, 4 Posaunen, 4 Tuben, 4 Baßtuben«. (Nur bei Züge, ein alles Gesetz und Herkommen mißach-
den zwei gewöhnlichen Bass- bzw. Kontrabass- tendes, formloses, absurdes, schablonenhaft gear-
tuben irrt er.) Diese Details verraten doch eine beitetes, in seinem trostlosen und gesangswidrigen
68 Ästhetische Positionen

Sprechgesange unschönes Zwitterding zwischen Die familiäre Rede vom »Schwindler von Bay-
Oper und Drama« (ebd., 144). Dieselben Kritik- reuth« wirkte in »Enttäuschung und Zweifel«
punkte stehen in Strauss’ Briefen, und altklug noch weiter. Wenn Strauss sich also richtig erin-
schreibt er an Thuille: Schletterer »lobt, was zu nert und »etwa 17jährig«, also noch vor dem Abi-
loben, tadelt aber das zu tadelnde (es ist, mein ich, tur 1882, die Tristan-Partitur zu studieren begann,
ein bischen viel)« (Trenner 1980, 63). – Warum sah dann brauchte er mehrere Jahre, ehe er sich vom
sich Strauss den ganzen Ring überhaupt an? Wollte väterlichen Vorurteil lösen konnte, ehe Tristan
ihn der Vater abschrecken? War es jugendliche zum zentralen Bezugspunkt seines musikdramati-
Neugier auf Werke, die damals Stadtgespräch schen Denkens und die Tristan-Partitur sein »Pa-
waren, oder hat ihn Friedrich Wilhelm Meyer, seit radestück« im Partiturspiel wurde (Strauss 1981,
1869 Königlicher Hofkapellmeister, dazu angeregt, 203). – Da sowohl Briefbelege wie Fremdzeugnisse
der Strauss seit 1875 unterrichtete? sich mit den Daten der Münchner Wagnerauffüh-
rungen zu einem schlüssigen Gesamtbild verbin-
den, braucht man an Strauss’ eigener Darstellung
seines Weges zu Wagner nicht zu zweifeln (Walter
Tristan-Studium 2000, 42 f.). Ob sein Vater sozusagen im Gift-
schrank eine Tristan-Partitur besaß, ist unbekannt,
Die – zögerliche – Wende bahnte sich mit dem doch auch nicht unwahrscheinlich, da er sich als
Tristan an, den Strauss erstmals am 7. November verantwortungsvoller Hornist stets gewissenhaft
1880 hörte, als Wagner selbst im Münchner Hof- auf seine schweren Partien vorbereitete und die
theater anwesend war (Steinitzer 1911, 24). Cosima Funktion des unidiomatisch geführten Horns sich
Wagner notierte im Tagebuch: »Abends Tristan, allein aus der Stimme nicht immer erschließt.
wohl nie so trauervoll angehört; R. sehr ergriffen« Zu Hermann W. von Waltershausen sagte
(Wagner 1977, 530). Strauss selbst, nunmehr sech- Strauss, wohl um 1920, eine Stelle im zweiten Akt,
zehnjährig, nahm das Werk noch »mit größter 3. Szene des Tristan sei »der Ausgangspunkt aller
Verständnislosigkeit« auf (Strauss 1981, 118). In seiner instrumentalen Neuerungen gewesen«
pubertärem Übermut setzte er sich im Hause sei- (Waltershausen 1921, 118). Sie zeigt Wagner als
nes Klassenkameraden Max Steinitzer »nach einer Meister der »Kunst des feinsten allmählichsten
Philippika gegen den Meister an den Flügel und Überganges« (Brief an Mathilde Wesendonck vom
travestierte Isoldens Liebestod im dreiviertel Takt 29.10.1859). Als König Marke ratlos nach einer
als Walzer« (Gehring 1934, 13). Eingehendes Parti- Erklärung für Tristans und Isoldes Treuebruch
turstudium weckte dann das Verständnis für fragt, antwortet Tristan: »was du frägst, das kannst
Wagners Stil. Strauss erinnerte sich genau, wie er du nie erfahren.« Wagner wiederholt hier die be-
etwa 17jährig gleichsam wie im Fieber die Partiturseiten rühmten Anfangstakte des Vorspiels und modu-
des »Tristan« verschlang und in einen Rausch der Begeis- liert auf kürzestem Wege von a-Moll nach As-Dur,
terung geriet, der erst eine Abkühlung erfuhr, als ich von zur Liebesnachtmusik aus dem zweiten Akt
neuem versuchte, in der lebendigen Aufführung die
Eindrücke verstärkt zu sehen, die Auge und geistiges Ohr (»Lausch, Geliebter«). Mit den Worten »Wohin
bei der Lektüre erhalten hatten. Neue Enttäuschung und nun Tristan scheidet« wendet sich Tristan dann zu
Zweifel, neue Zuflucht zur Partitur – bis ich mir endlich Isolde (siehe Notenbeispiel 1): Der Dominantsept-
klar geworden, daß die Diskrepanz zwischen einer mittel-
mäßigen Aufführung und den von mir im Partiturbild
akkord auf E wird in den Bläsern gehalten. Die
rein erschauten Intentionen des großen Meisters es war, chromatische Linie der Oboe fügt sich erst mit
die mir das Werk nicht so erklingen ließ, wie ich es inner- dem Ton gis' in den Akkord ein. Das Englischhorn
lich schon gehört hatte. (Strauss 1981, 202) und die Violinen wiederholen die drei Schlusstöne
Wegen der hohen Anforderungen an Sänger und der Phrase (g''– gis''– h'' ) in der tieferen Oktave. Ihr
Musiker war der Tristan damals noch kein Reper- Einsatz mit dem Ton g' zum liegenden gis' klingt
toirestück und wurde an der Münchner Hofoper nicht dissonant, weil sich das melodische Motiv
selten gegeben. Strauss hatte also wenig Gelegen- vom klanglichen Untergrund abhebt. »Das, was
heit, in Aufführungen die aus der Partitur ersicht- wir in einem polyphonen Gebilde am stärksten
liche Klangvorstellung Wagners zu überprüfen. apperzipieren, empfinden wir stets als Ober-
7. Strauss und Wagner 69

Notenbeispiel 1:
Wagner, Tristan, 2. Akt

stimme. […] Daraus ergibt sich, daß das Orches- dieser konkrete Hinweis genauso verschollen wie
ter ganz andere harmonische Möglichkeiten hat, all das, was Strauss sonst zu Dirigenten oder Kom-
als etwa die Klaviermusik, das Streichquartett, die ponisten gesagt hat.
Orgel oder gar der a capella Gesang« (Walters-
hausen 1921, 119). Was die Gestaltpsychologie
beim Gesichtssinn als »Figur-Grund-Wahrneh-
mung« beschreibt, ist als melodischer Vordergrund Wende zu Wagner
und harmonischer Hintergrund der Ansatzpunkt
für Strauss’ sogenannten »poetischen Kontra- Den Tristan zu dirigieren und die »rein erschauten
punkt«. Sein Orchesterklang wirkt wesentlich Intentionen« Wagners selbst zu realisieren, dieser
deswegen so brillant und suggestiv, weil die klang- Wunsch von Strauss blieb zehn Jahre lang uner-
farblich geprägten Motive und Melodien auf ihrer füllt. Nach dem Abitur war der Achtzehnjährige
Eigengestalt beharren und sich »rücksichtslos« zum ersten Mal in Bayreuth. Zur Uraufführung
dissonant und polyrhythmisch mit anderen Mo- des Parsifal am 26. Juli 1882 hatte Ludwig II. Wag-
tiven verschränken und vernetzen. So heben sie ner das Münchner Hoforchester zur Verfügung
sich von einem oft nur geahnten harmonischen gestellt. Unter der Leitung von Hermann Levi
Grund ab. spielte auch Franz Strauss, dankbar dafür, dass
Nicht nur für Wagners Orchestertechnik, son- Levi im Vorjahr Richards d-Moll-Symphonie
dern auch für seinen musikdramatischen Sinn ist aufgeführt hatte. Richard hörte eine Probe, be-
die Stelle lehrreich. Die Dynamik ist äußerst sub- richtet aber – abgesehen vom letzten Zusammen-
til: Das gis' der Oboe wird genau dann ins più p prall des Vaters mit Wagner – nicht über seine
zurückgenommen, wenn das Englischhorn ein- Eindrücke. Parsifal blieb ihm ohnehin lange ein
setzt, das, als Schmerzensinstrument im Tristan, Rätsel. In der Folgezeit sind nur einzelne Besuche
keine neutrale Lautstärke vorgeschrieben be- von Wagner-Opern belegt: Tannhäuser am 2. De-
kommt, sondern das sprechende morendo. Tristan zember 1882 in Wien und Tristan am 30. Januar
spricht ja vom Sterben, vom »Wunderreich der 1884 in Berlin, wo er »noch den alten, stimmlich
Nacht«. (Entsprechend finden sich auch in schon ziemlich ruinierten Niemann als Tristan«
Strauss’ Partituren Spielanweisungen wie »keck«, hörte (Strauss 1981, 205). Aber als Maßstab war
»eigensinnig«, die Instrumenten eine quasi drama- ihm Wagner präsent: An einer im Winter 1883/84
tische Rolle zuweisen.) Der harmonische Über- in Berlin gehörten Symphonie von Borodin rügt
gang vom Dominantseptakkord E7 nach As-Dur, er »Synkopen, Anklänge an Tristan und Parsival«,
mit der Umdeutung des Tones gis' in as', eröffnet was ein Stück »noch nicht originell« mache (Tren-
einen neuen Horizont, man kann wohl sagen: eine ner 1980, 80).
Utopie. – Strauss hat solche Einblicke in sein Nachdem Strauss 1885 auf Vorschlag von Hans
kompositorisches Denken wohl nur Fachkollegen von Bülow zum Zweiten Kapellmeister in der
gewährt, denen er, anders als den Kritikern, die Meininger Hofkapelle bestimmt worden war, diri-
nötige Kompetenz zutraute. Hätte Waltershausen gierte er erstmals ein Werk von Wagner, und zwar
nicht sein Strauss-Büchlein geschrieben, wäre auf Wunsch des Hofes die Holländer-Ouvertüre,
70 Ästhetische Positionen

deren Partitur er vorher nie gesehen hatte distanzieren und beruft sich auf eine »mündliche
(14.10.1885). Das Husarenstück gelang nur, weil Belehrung« durch Bülow, der Tristan uraufgeführt
das Orchester sicher war (Strauss 1981, 189). In hatte und Wagners Intentionen nun weitergab. An
Meiningen entschied sich seine künftige künstle- der Auffassung des Tristan-Vorspiels als »Ebbe und
rische Entwicklung, da er einerseits Brahms ken- Flut« hielt Strauss lebenslang fest. 1891 schrieb ihm
nenlernte, andererseits den Komponisten und Hermann Levi, er habe es »seit 1871 (unter Wag-
Geiger Alexander Ritter traf. Brahms leitete am ner) nicht mehr so schön gehört« und 50 Jahre
25. Oktober 1885 die Uraufführung seiner 4. Sym- später, im Jahr 1936, beschreibt der Münchner
phonie und hörte auch eine Aufführung von Kritiker Alexander Berrsche die Eigenart von
Strauss’ f-Moll-Symphonie. Er gab Strauss den Strauss’ Interpretation »des Ein- und Ausatmens«:
Rat, auf »thematische Spielereien«, das »Über- Die Schlüsselstelle sei der Beginn des A-Dur-Teiles
einanderschachteln vieler nur rhythmisch kontras- (T. 43), wofür noch Wagners Vorschrift »bele-
tierender Themen« zu verzichten (Strauss 1981, bend« gelte, während alle Dirigenten außer Strauss
190). Diesen Rat deutete Strauss für sich in dem in diesem Takt bereits langsamer würden (Schuh
Sinne um, den er der Tristan-Partitur abgerungen 1976, 237 f.).
hatte: Kontrapunkt sei nur berechtigt, »wenn eine Hat Bülow als Mentor den Dirigenten Strauss
poetische Notwendigkeit zwei oder mehrere nicht entscheidend gefördert, so sorgte Alexander Ritter
nur rhythmisch, sondern gerade harmonisch aufs in Meiningen für das geistige Rüstzeug des jungen
stärkste kontrastierende Themen zu vorüberge- Komponisten. Ritter war Zweiter Konzertmeister
hender Vereinigung zwingt. Das leuchtendste in Meiningen, hatte eine Nichte Wagners geheira-
Beispiel für diese Art poetischen Kontrapunktes tet und war ein fanatischer Parteigänger der Neu-
findet sich im dritten Akt des ›Tristan‹« (Strauss deutschen. Die Bekanntschaft und schließliche
1981, 190). Freundschaft mit Ritter sah Strauss als »Wende-
Seine »Brahms-Schwärmerei« (Strauss 1981, punkt« seines Lebens an (Strauss 1981, 209). Ritter
207) schlug sich in Wandrers Sturmlied und der schwor ihn auf das Grundkonzept der »Musik als
Burleske für Klavier und Orchester nieder, er war Ausdruck« (Friedrich von Hausegger) und damit
begeistert von Brahms’ 4. Symphonie und vom auf die Richtung Berlioz–Liszt–Wagner ein, erläu-
Violinkonzert und hatte nach Bülows Demission terte ihm die Schriften Wagners und die Philoso-
die 3. Symphonie, die Akademische Festouverture phie Schopenhauers, Letztere freilich verfälscht
sowie Chorwerke in Meiningen aufgeführt. Doch durch religiös-mystische Schwärmerei (ausführlich
bezeichnend ist das Programm seines Abschieds- hierzu Schuh 1976, 138 f.; Walter 2000, 69 f.).
konzerts am 2. April 1886. Brahms dirigierte selbst Ritter sah in Strauss den legitimen Erben Wagners
die Haydn-Variationen und seine 4. Symphonie, und dessen »befruchtende[r] Kulturidee. Die
Strauss (erstmals) Tristan-Vorspiel und »Liebes- künftigen Werke des jungen Meisters Strauß wer-
tod«. Ob und wie Brahms auf diese Frechheit den dafür den tatsächlichen Beweis liefern« (Haus-
reagiert hat, ist nicht überliefert, doch Brahms egger, 88). Ausgehend von Wagners Sicht der
besaß nicht nur selbst den Tristan-Klavierauszug, deutschen Musik als höchster Kulturleistung be-
sondern lehnte insgesamt Wagner nicht so rigoros gann Strauss sich selbst als deren Vollender zu
ab wie der Hanslick-Kreis. An Bülow berichtet verstehen, je mehr Erfolg seine Werke hatten; im
Strauss am 7. April 1886: »Die Brahmsschen Varia- Alter sah er bekanntlich die Neue Musik des
tionen […] gingen zwar gut, doch fehlte unter des 20. Jahrhunderts nur noch als Verfall einer großen
Meisters Leitung besonders den Variationen der Tradition. Die Indoktrination durch Alexander
Schwung […]. Auch nimmt Brahms für meinen Ritter wirkte lebenslang nach.
Geschmack seine Andantes zu langsam […]. 1886 wechselten Strauss wie Ritter von Meinin-
›Tristan‹-Vorspiel und Schluß gingen sehr hübsch gen an die Münchner Hofoper. In der Weinstube
und schmeichle ich mir, dieselben, soweit als mög- Leibenfrost (der »Ritterschen Tafelrunde«) wie in
lich natürlich, nach Ihren Intentionen wiedergege- seiner Wohnung schwor Ritter junge Komponis-
ben zu haben« (Strauss 1996, 35 f.). Der noch nicht ten, neben Strauss Friedrich Rösch, Ludwig Thu-
22-jährige Strauss beginnt sich von Brahms zu ille und andere, auf die ›Zukunftsmusik‹ ein. Als
7. Strauss und Wagner 71

Dritter Kapellmeister hatte Strauss überwiegend Für die Weimarer Aufführungen hatte sich
Spielopern (Boieldieu, Lortzing) zu dirigieren, was Strauss regelmäßig Rat von Cosima Wagner geholt
ihn nicht sonderlich interessierte. Daher reizte ihn und zahlreiche szenische Details mit ihr diskutiert.
die Aufgabe, Wagners Jugendoper Die Feen urauf- Cosima hatte rasch erkannt, wie wertvoll der ta-
zuführen, zumal das Werk auch in großer Ausstat- tenhungrige Strauss für die Zukunft der Festspiele
tung mit neuen Bühneneffekten inszeniert werden werden konnte, und hätte ihn gern als Schwieger-
sollte. Dass ihm nach sorgfältiger Probenarbeit sohn gesehen. So ehrfürchtig und bewundernd
Intendant Perfall die Leitung der Premiere am Strauss die »Meisterin« stets als »hochverehrteste
29. Dezember 1888 entzog und den ranghöheren gnädige Frau« anredete, behauptete er doch unbe-
Franz Fischer damit betraute, erzürnte Strauss irrt seinen Standpunkt. Als ihm Cosima für die
derart, dass er von München wegstrebte und zahl- Festspiele 1892 die Leitung des Tristan oder Tann-
reiche Gastdirigate übernahm, die ihm sowohl häuser, also zweier bereits in Weimar aufgeführter
eigene Werke wie Wagner-Ouverturen zu spielen Werke, avisiert hatte, ihn dann aber nur als Pro-
erlaubten. ben-Assistent für die Meistersinger vorsah, die
Hans Richter dirigieren sollte, lehnte dies Strauss
scharf ab: »Ich bin kein ›Vertreter‹, sondern ein
recht eigensinniger Dickkopf, der nur etwas Gutes
Bayreuth und Cosima Wagner zu leisten imstande ist, wenn er seinen eigenen
Weg gehen kann« (Brief vom 28.3.1892; Trenner
Die höheren Weihen als »Wagnerianer« empfing 1978, 123). Durch eine Rippenfellentzündung im
man nur in Bayreuth. Im August 1886 hörte Juni 1892 erledigte sich der Streit um ein Bayreuth-
Strauss dort zusammen mit Ritter Tristan und Dirigat von selbst. Nach seinem Genesungsurlaub
Parsifal und besuchte bis 1896 siebenmal die Fest- in Griechenland und Ägypten dirigierte er erst-
spiele. 1887 war er erstmals zur Soiree im Hause mals 1894 in Bayreuth den Tannhäuser, seine Ver-
Wahnfried eingeladen, 1888 hörte er Meistersinger lobte Pauline de Ahna sang die Elisabeth.
und Parsifal, und traf wohl auch erstmals mit Als Strauss mit seinen Tondichtungen Erfolg
Cosima Wagner zusammen. 1889 war er bereits als hatte und auch einen Stoff wie Also sprach Zara-
musikalischer Assistent engagiert, hörte Proben thustra des in Bayreuth totgeschwiegenen Friedrich
und Aufführungen der großen Musikdramen un- Nietzsche nicht verschmähte, wuchs die gegensei-
ter Hans Richter und Felix Mottl und ließ sich von tige Entfremdung, die in einer Auseinandersetzung
Cosima Wagner in »lehr- und genußreichen Stun- mit Siegfried Wagner gipfelte. Am 11. Januar 1896
den« (Trenner 1978, 5) den Lohengrin erklären. Für notierte Strauss in seinem Schreibkalender: »Denk-
seine Tätigkeit als Hofkapellmeister in Weimar würdige Unterredung mit Siegfried Wagner. Zwar
hatte er sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, trotz der unausgesprochene, aber vollzogene Trennung von
begrenzten Mittel Musteraufführungen im Bay- Wahnfried-Bayreuth. Nur indirect durch meine
reuther Stil gemäß den Wagnerschen Schriften Schuld« (TrChr, 131). Von nun an trennte er strikt
zustandezubringen. Er erarbeitete Neueinstudie- zwischen Wagners Werk und dem Bayreuther
rungen, ohne die üblichen Striche, von Lohengrin Wagner-Kult. Der konkrete Anlass für den Streit
(6.10.1889), Tannhäuser (27.3.1890) und Tristan mit Siegfried Wagner ist unbekannt, doch in dem
(17.1.1892), dessen Partitur er für ein »nicht ver- Aufsatz »Gibt es für die Musik eine Fortschrittspar-
decktes Orchester« sängerfreundlich »nuanciert« tei?« von 1907 schrieb Strauss unmissverständlich
hatte. Zudem warb er mit der Gründung des von »solchen Wagnerianern, die – an dem Geist
Wagner-Vereins in Weimar im Januar 1892 (TrChr, ihres eigenen Meisters sich versündigend – […]
95) für die Bayreuther Sache. Trotz großer Publi- petrefakt geworden sind« (Strauss 1981, 15). Als
kumserfolge mahnte ihn Hofintendant Bronsart Nachfolger von Hermann Levi ausersehen, führte
zu einer »Modifizierung« seiner »ultra-radicalen Strauss sich noch vor dem offiziellen Beginn seiner
Anschauungen« und erkannte – erstaunlich hell- zweiten Münchner Kapellmeisterzeit im Juni bzw.
sichtig – einen »fremdartig in Ihr Wesen hineinge- September 1894 mit Tristan und Meistersingern als
zwängten Wagner-Cultus« (Schuh 1976, 207). Wagner-Dirigent ein.
72 Ästhetische Positionen

Strauss als Wagner-Dirigent Berlin (224)


München (88)
Es war ein Hauptanliegen von Strauss, die sowohl Weimar (51)
für die Sänger wie für die Orchestermusiker Wien (45)
schwierigen Wagner-Opern fest im Repertoire zu
verankern. Mit welchem Nachdruck er dieses Ziel Mehr als die Hälfte der Wagner-Dirigate fällt auf
verfolgte, ist aus der Zahl von 424 Wagner-Diriga- die Berliner Oper, wo Strauss über 20 Jahre lang
ten zu ersehen, die die Trenner-Chronik (TrChr) gewirkt hat (1898–1919). Die Zahl der Aufführun-
nachweist. Nach Werken aufgeschlüsselt ergeben gen in Weimar (1889–1894) belegt, wie energisch
sich folgende Aufführungszahlen, die sich durch Strauss den Bayreuther Stil auch in der Provinz
weitere archivalische Forschung wohl noch ver- durchsetzen wollte. Die Aufführungen an der
mehren lassen, aber jedenfalls in ihrer Tendenz Münchner Hofoper kamen nicht nur in seiner
aussagekräftig sind (für die Zusammenstellung zweiten Amtszeit als Hofkapellmeister (1894–1898)
danke ich Frau Anita Bauer M. A.): zustande, sondern auch in zahlreichen Gastdiriga-
ten. Dass er an der Wiener Staatsoper sogar selte-
Meistersinger (81) ner Wagner dirigiert hat als in Weimar, liegt an
Tristan (75) den Problemen, die die Doppeldirektion mit
Tannhäuser (56) Franz Schalk mit sich brachte.
Lohengrin (51) Zahlreiche Rezensenten beschreiben die Eigen-
Holländer (48) art von Strauss’ Wagnerauffassung. Als Beispiel
Rienzi (21) diene der Beginn der Liebesszene im zweiten Akt
Siegfried (20) des Tristan. Als Strauss den Rosenkavalier kompo-
Walküre (27) nierte, wünschte er für den ersten Akt von Hof-
Götterdämmerung (17) mannsthal Zusatzverse: »noch 3 bis 4 Zeilen Lie-
Rheingold (17) besgestammel mehr – !!!« (Brief vom 22.5.1909;
Parsifal (11) RSHH 63), worauf Hofmannsthal im Tristan-Stil
weiterdichtete: »Denn ich bin Ihr und sie ist
Die sich hier ergebende Rangfolge spiegelt einer- mein!« (Zi. 297). »Liebesgestammel« ist nicht nur
seits die Vorlieben des Publikums wider. Die ein freches, den Dichter gewiss kränkendes Wort,
Meistersinger als nationale Festoper und Künstler- sondern trifft genau, wie Strauss, der auf Textver-
drama liegen an der Spitze, die Romantischen ständlichkeit sonst höchsten Wert legte, die Lie-
Opern von Holländer bis Lohengrin, die noch in besszene im Tristan musikalisch verstand und di-
der Tradition von Weber und Marschner stehen, rigierte. Der Rezensent einer Wiener Aufführung
rangieren deutlich vor den Ring-Dramen. Ande- um 1925 schreibt:
rerseits zeugen die 75 Tristan-Dirigate von Strauss’ Ein Geniestreich war im zweiten Akt das Begrüßungs-
persönlicher Vorliebe für dieses Schlüsselwerk, das duett zwischen Tristan und Isolde. Gewöhnlich wird dies
beim Publikum durchzusetzen er seit Weimar in einem Tempo genommen, in dem noch die einzelnen
Worte verständlich werden sollen. Es ist eine für Sänger
keine Mühe scheute. Dass Strauss den Parsifal nur entsetzlich schwierige Stelle. Richard Strauss nahm sie in
selten dirigierte, liegt an der dreißigjährigen fliegender Eile, so daß gar keine Einzelheiten mehr her-
Schutzfrist, mit der Wagner testamentarisch Auf- vortraten, auch die Worte nicht, die ja an dieser Stelle des
übervollen Begrüßungssturmes gleichgültig sind, es war
führungen außerhalb Bayreuths verbot. Acht der ein jubelndes Aufbrausen der Musik, in dem die Klänge
elf Dirigate fallen in die Jahre 1933 und 1934, als des Orchesters und der Stimme sich völlig vermischten.
Strauss bei den Bayreuther Festspielen einsprang, Der Eindruck war hinreißend. Auch das große Liebes-
duett nahm Strauss verhältnismäßig rasch im Tempo. Es
nachdem Toscanini abgesagt hatte (Walter 2000, ist ein lebensdurstiges, nicht todmüdes Liebespaar, das er,
362 ff.). unbeirrt von den schwermütigen Sehnsuchtsklagen der
Strauss hat sich umso stärker für Wagner einge- Dichtung, aus den musikalischen Stürmen herauskristal-
setzt, je mehr Einfluss er auf die Programmpla- lisiert. (zit. nach Schuh 1981, 73 f.)
nung hatte. Das zeigen die Aufführungszahlen an Für diese Art des »al fresco«-Dirigierens war
seinen Hauptwirkungsstätten: Strauss berühmt. Er behielt den großen Span-
7. Strauss und Wagner 73

nungsbogen stets im Auge und dirigierte alla breve Freihild entsagt, besingt er sein Ideal einer vom
oder ganztaktig, wann immer es sich anbot. Die Volk geliebten Fürstin (»Wenn du einst die Gauen
Orchestermusiker fühlten sich dadurch als Künst- durchschreitest«, III/4). Dass Strauss »dem garsti-
ler anerkannt, denn Strauss teilte ihre Abneigung gen Lied des Politischen zu viel Raum« gab, sah
gegen jeden »Stümper«, der »ihnen Tristan-Alla- Richard Specht als Hauptgrund für den Misser-
breves in vier Vierteln vor der Nase herumfuch- folg von Guntram, da »jede Art von Politik sich
telt« (Strauss 1981, 50). Natürlich war diese groß- dem eigentlichen Wesen der Musik« verwehre
zügige Haltung, die den Musikern vertraut, ihnen (Specht 1921 Bd. 1, 47 f.). Wagner selbst war Op-
Freiraum lässt, nur auf der Grundlage »strengster portunist genug, seine radikalen Ideen (Die Kunst
künstlerischer Disziplin«, wie Bülow sie ihm vor- und die Revolution, 1849) aus der Dresdner Zeit
gelebt hatte, sinnvoll. Strauss’ Tempi waren so si- gegenüber Ludwig II. in ein konservatives Denken
cher, weil ihm das Werkganze geistig präsent war: umzumünzen (Über Staat und Religion, 1864), das
»Man kann die Einleitung zum Tristan nur diri- erst die Vereinnahmung für deutsch-nationale
gieren, wenn man das Tempo des Schlusses der Zwecke erlaubte. Seine Musikdramen blieben im
Oper genau im Ohr hat« (Wilhelm 1984, 289). mythischen Raum, und es bedurfte des Sozialisten
Dieser souveräne Blick aufs Ganze hängt wohl mit George Bernard Shaw, der im Ring marxistische
seiner synästhetischen Begabung zusammen. Zu Kapitalismuskritik aufdeckte (The Perfect Wagne-
Richard Specht sagte er, er »dirigiere nur dann gut, rite, London 1898; dt.: Ein Wagner-Brevier, Berlin
wenn sich ihm mit zwingender Kraft ein Bild 1908).
aufdränge, in das sich ihm die Musik umsetze« Strauss geht es um die irdischen Lebensbedin-
(Specht 1913, 249). gungen. Damit entfällt Wagners Leitidee einer
Strauss hat sich lebenslang als Diener an Wag- transzendenten Erlösung. Wollte Wagner das de-
ners Werk verstanden. Zum 50. Todestag dirigierte generierte Christentum durch die Kunst regene-
er am 13. Februar 1933 Tristan in Dresden und ant- rieren (Religion und Kunst, 1880), so war für den
wortete auf eine Zeitungsumfrage: Wagner »gegen- Freidenker Strauss Guntrams einsame Buße nur
über ziemt nur die Ehrfurcht des Schweigens und eine Konzession an die öffentliche Meinung. Er
die Propaganda der Tat« (Krause 1963, 92). bedauerte gegenüber Thuille, dass in Guntram
»der religiöse Wahnsinn über sein Künstlertum
den Sieg davongetragen hat« (Trenner 1980, 128).
Guntram ist darum weniger ein »Streiter der
Guntram Liebe«, sondern er streitet für »Menschenliebe«,
für Humanität, deren höchster Ausdruck für
Wie konnte ein deutscher Komponist nach Wag- Strauss die Kunst war. Mit Nietzsche sah Strauss
ner für die Bühne komponieren, ohne epigonal zu in einer Kunst, die sich vom christlichen Dogma
werden? Mit seinem Erstling Guntram, entstanden befreit hat, das Mittel, die Menschheit zu bessern
zwischen 1887 und 1893, versuchte sich Strauss als (Youmans 1996, 167 ff.).
Dichterkomponist. Die Nähe des Textbuchs zu Musikalisch ist Guntram nur das »Gesellen-
Wagner ist mit Händen zu greifen. Wie Lohengrin stück des sich zur Selbständigkeit durchhäuten-
erscheint Guntram als Gesandter eines Geheim- den, frisch gebackenen Wagnerianers« (Strauss
bundes, wie Tannhäuser tritt er in einen Sänger- 1981, 178) geworden. Strauss schreibt zwar ans
wettstreit mit hofnahen Minnesängern. Doch Ende des Particells: »Deo gratias! (und dem heili-
Strauss folgt in zwei Hauptpunkten nicht dem gen Wagner!)« (TrV, 140), zwar sind Leitmotive
Modell der Wagnerschen Erlösungsopern. Zwar und Wagners Idee der »symphonischen Einheit«
ist Guntram im Mittelalter angesiedelt, jedoch jeden Aktes die Grundlage der Komposition, doch
nicht als Sagenstoff, sondern als Parabel auf poli- klingt die Musik selten nach Wagner. Der Ver-
tische Zeitfragen, auf Willkürherrschaft, Kriegs- such, den Wagner-Stil nachzuahmen, ohne ihn
treiberei, Verelendung der Massen und soziale epigonal »zu kopieren« (Trenner 1954, 129), be-
Unruhen. Guntrams Friedensgesang im zweiten wirkte eine gewisse Befangenheit. Anfangs glaubte
Akt ist offen sozialkritisch, und als er der geliebten Strauss noch, die Musik werde »riesig einfach, sehr
74 Ästhetische Positionen

melodisch, nur Cantilene für den Sänger« (Schuh gestrichen« (Grasberger 1967, 410); welche Stelle
1976, 280), aber mehr und mehr verfiel er in die Strauss genau meint, ist unklar, vielleicht die lan-
virtuose Orchestertechnik seiner vorangegangenen gen Paukenwirbel nach Ziff. 112. Er möchte epigo-
Tondichtungen Don Juan und Tod und Verklärung, nale Spuren tilgen, und damit beginnt die Vielzahl
freilich ohne dass ihm die Guntram-Motive ähn- der Striche, die Guntram doch nicht für die Bühne
lich prägnant gerieten – von der Knappheit und retten konnten. – So wurde das »Gesellenstück«
gestischen Qualität der Wagnerschen Leitmotive eine Durchgangsstation auf der Suche nach dem
gar nicht zu reden. Da Strauss überdies Wagners eigenen Weg als Musikdramatiker. Dass Guntram
Technik, dem Hörer durch Wiederholung und seine Rechtfertigung vor dem Gericht des (an
Sequenzierung die zentralen Motive einzuhäm- Bayreuth gemahnenden) Bundes verweigert und
mern, nicht kopieren wollte und stattdessen die aus eigenem Entschluss der geliebten Freihild
Motive kontrapunktisch verarbeitete, ist der entsagt, nennt Strauss »Absage an den Collectivis-
dichte Orchestersatz wenig bühnenwirksam. Ge- mus«. Damit verprellte er Alexander Ritter, dem
nau davor hatte ihn sein Vater als alter Theater- er überhaupt die Anregung zu dramatischem
praktiker gewarnt: »vergesse nicht, daß du den Schaffen verdankte; doch das Bekenntnis zur eige-
Schwerpunkt auf die Bühne zu legen hast und nen künstlerischen Freiheit ging ihm sogar über
nicht ins Orchester« (Schuh 1976, 278). Gegen- Ritters Freundschaft.
über dem Orchester haben die Sänger einen Erst mit Salome und Elektra fand Strauss Ton-
schweren Stand. Deren »Hineinkontrapunktieren symbole, die, wie der Tristan-Akkord oder das
in die symphonische Linie des Wagnerschen wortgezeugte Motiv »Nie sollst du mich befragen!«
Sprechgesangs« (Waltershausen 1921, 84) ist weit- in Lohengrin, den Grundkonflikt eines ganzen
hin unsanglich, und selbst die lyrischen Partien Dramas in nuce repräsentieren. Indem Strauss
haben wenig melodischen Reiz, wie schon sein Wagners Stilmittel übersteigert, überführt er sie in
Freund Friedrich Rösch rügte (Schuh 1976, 297). die Moderne. Der hohe Dissonanzgrad des Elek-
So musste Strauss selbst eingestehen, dass er in tra-Akkordes ist Ausdruck einer zerstörten Seele,
Guntram »die von Richard Wagner genau durch- und Lohengrins Frageverbot wirkt geradezu ober-
geführte Scheidung der rein rezitierten und rein lehrerhaft angesichts von Salomes trotzigem
lyrischen Partien fast vollständig vernachlässigt« Wunsch (dessen Perversität die Ganztonleiter
hatte (Strauss 1981, 141). versinnbildlicht): »Ich will den Kopf des Jocha-
Die Schuld dafür, dass der Orchestersatz naan!« So legitimierte sich Strauss als ebenbürtiger
»ziemlich toll und schwer« geraten sei, schob er Nachfolger Wagners gerade in der Überwindung
auf die Tristan-Partitur (Schuh 1976, 297); der des Vorbilds.
dritte Akt erschien ihm ganz »hypertristanisch«
(Schuh, 299). Die Anklänge an das chromatische
»Leidensmotiv« aus Tristan sind in Freihilds Lie-
besgesang »Sieh, du Lieber« (Part., 404 ff.) un- Till Eulenspiegel
überhörbar. Anfangs nur Zierrat im diatonischen
Fis-Dur-Liebesjubel, steigert sich die Chromatik In Sizilien hatte Strauss 1893 die Partitur des zwei-
ähnlich wie in »Isoldes Liebestod« (Youmans 1996, ten Aktes von Guntram fertiggestellt. Auf der
338). Strauss zitiert nur selten wörtlich. Guntrams Heimreise per Schiff fiel ihm ein neuer Opernstoff
»Dir entsagend, die so innig ich liebe« (Part., 514) ein: Till Eulenspiegel. Nach mehreren Ansätzen
benützt einen Takt des »Motivs der Todesklage« gab er das Opernprojekt auf, stattdessen kompo-
aus Tristans Sterbeszene (III/3). In das Liebes- nierte er die Tondichtung Till Eulenspiegels lustige
thema, das erstmals vor Guntrams Friedensgesang Streiche (1894/95). Die einzelnen Episoden ent-
erklingt (Part., 203), fügt Strauss zu den Worten nahm Strauss sowohl aus dem Volksbuch wie auch
»ewig dir fern« (Part., 514) den Tristan-Akkord ein. aus Grimms Märchen. Doch im Volksbuch gibt es
Schon bei der Weimarer Uraufführung hat er »in weder Liebesepisoden noch stirbt Till am Galgen
der Anrede des alten Herzogs« im zweiten Akt (Werbeck 1996, 126). Es ist darum merkwürdig,
»einige Wagnersche Paukenzwischenspiele heraus- dass (enttäuschte) Liebe und Tod in diesem doch
7. Strauss und Wagner 75

eigentlich lustigen Sujet eine bedeutende Rolle Motiv sein Unwesen. Strauss’ musikalische
spielen. Als Franz Wüllner, der Dirigent der Ur- Grundidee scheint es also, motivische und harmo-
aufführung, für das Publikum Programm-Erläute- nische Möglichkeiten zentraler Elemente der
rungen wünschte, hat Strauss nur widerstrebend Tristan-Chromatik auszuprobieren.
die beiden Eulenspiegel-Motive und den »Tod« (als An zwei Stellen der Partitur reflektiert Strauss
fallende große Septe f–Ges) benannt. Denn er über die Tristan-Musik. Das Thema des Fugato
fürchtete: »in Worte gekleidet, was ich mir bei den (ab T. 319), das den Disput vor den Prager Profes-
einzelnen Teilen gedacht habe, würde sich oft soren darstellen soll, ist aus dem »Sehnsuchts-
verflucht komisch ausnehmen und vielen Anstoß motiv« des Tristan entwickelt. Dem kleinen Sext-
erregen« (Strauss 1996, 312). Was hatte Strauss also sprung ist das »Philistermotiv« vorgesetzt, die
zu verbergen? folgenden Halbtonschritte stimmen mit dem
Der Schlüssel zum Verständnis des Till Eulen- Cellomotiv des Tristan-Vorspiels genau überein.
spiegel liegt nicht in den von Strauss nachträglich Die Themeneinsätze schrauben sich ihrerseits im
gelieferten Programmhinweisen, sondern in der Halbtonabstand aufwärts. Dass Strauss gerade ein
Musik. Der Eulenspiegel-Akkord (b/des'/e'/gis' ) ent- Fugato, eine mit Dux und Comes eigentlich
spricht als halbverminderter Septakkord substan- streng diatonische Satzart, für eine derart extreme
tiell dem Tristan-Akkord (Hansen 2003, 108), löst Chromatik benutzt, zeugt von seinem geradezu
sich jedoch als vierfacher Vorhalt höchst trivial in sarkastischen Übermut.
einen F-Dur-Sextakkord auf. Beide Eulenspiegel- Dieser »gelehrten« Chromatik folgt Tills platt
Themen variieren das chromatisch aufsteigende diatonischer »Gassenhauer« (T. 375), wie Strauss
Viertonmotiv (gis–a–ais–h), das »Leidensmotiv« die im Skizzenbuch noch mit »Polka« überschrie-
des Tristan-Vorspiels (Berktold 2005, 107). bene As-Dur-Episode gegenüber Wilhelm Mauke
Strauss’ Skizzen und einige bisher wenig beach- nannte (Werbeck 1996, 130). Sie verklingt leise
tete Stellen in der Partitur weisen noch deutlicher und unvermittelt. Richard Specht spricht von ei-
auf den Tristan. Eine erste, mit »Eulenspiegel« nem plötzlichen »Sichbesinnen«, einem »Augen-
überschriebene Skizze steht isoliert, doch unmit- blicke der Selbsteinkehr« und einem »Schauder
telbar an Skizzen zum dritten Akt von Guntram vor unrühmlichem Tod« (Specht 1921 Bd. 1, 225).
anschließend, in TrSk 2, f. 19v. Strauss sequenziert Eine bislang unbeachtete Notiz im Skizzenbuch 3
darin das Eulenspiegel-Thema der Klarinette zu- stützt diese Deutung: zu T. 396 notierte Strauss:
sammen mit dem Holzbläserakkord zweimal im »tragisch«. Die mit »Schnell und schattenhaft«
Terzabstand (wie im Tristan-Vorspiel); Ziele sind bezeichnete Episode kreist um den Tristan-Ak-
der F-Dur-, As-Dur- und C-Dur-Sextakkord. (Im kord, der nicht nur in der Wagnerschen »Grund-
Tristan-Vorspiel enden die Phrasen halbschlüssig stellung« mit Basston f (T. 389, 393, 397), sondern
mit Dominantseptakkorden auf E, G und H.) In auch in Umkehrung (mit Basston H'', T. 398) und
einem neuen Ansatz harmonisiert Strauss das transponiert auf des (T. 400) eintritt. Diese eigen-
chromatische Viertonmotiv mit parallel verscho- artige Harmonik entwickelt Strauss aus dem
benen Dominantseptakkorden: Eulenspiegel-Thema, das hier als Cantus firmus im
Bass erscheint (Hansen 2003, 114). Zugleich kom-
poniert Strauss Tills Todesahnung: Der übermä-
ßige Dreiklang (T. 399), der f-Moll-Akkord (T.
402) und die aufsteigenden Holzbläserfiguren
weisen auf seinen Tod am Galgen voraus. Bei
»Hinauf auf die Leiter!« (T. 615) steigt der über-
mäßige Dreiklang bis zum Spitzenton b''' an der
Notenbeispiel 2: Obergrenze des Klarinettenambitus auf. Der Eu-
Strauss, TrSk 2, f. 19v (Ausschnitt)
lenspiegel-Akkord sinkt von da in Umkehrungsfor-
men durch zwei Oktaven in die Tiefe. Wie der
Das Wagnersche Leidensmotiv liegt in der Ober- Tristan-Akkord ist der Eulenspiegel-Akkord in sich
stimme, darunter treibt das muntere Eulenspiegel- harmonisch labil, wird jedoch als Tonsymbol sta-
76 Ästhetische Positionen

bilisiert. Erst das tiefe Ges des Todesmotivs in den ber 1865 Wagner des Landes verwiesen, als er ihn
Posaunen, das ihm unterlegt ist, macht ihn unver- politisch nicht mehr halten konnte. Strauss been-
sehens zu einem »sinnvollen« Dominantseptnon- dete zweimal, 1889 und 1898, im Ärger seine Ämter
akkord (ges/b/des/fes/as), der sich freilich nicht nach als Münchner Kapellmeister. Der Textdichter
Ces-Dur löst, sondern halbtönig in einen schlich- Ernst von Wolzogen hat diese lokalhistorische wie
ten F-Dur-Dreiklang geführt wird: eine harmoni- biographische Situation in Kunrads großer An-
sche »Erlösung«, die Strauss sich bis zum Schluss sprache in kalauernde Verse gefasst: »Sein Wagen
aufspart. Man könnte sagen, er diatonisiere am kam allzu gewagt euch vor, / da triebt ihr den
Ende den Tristan-Akkord. Wagner aus dem Tor. / Den bösen Feind, den
Diese Bezüge zur Tristan-Musik lassen sich treibt ihr nit aus, / der stellt sich euch immer auf ’s
zwanglos zu einer Gesamtinterpretation zusam- Neue zum Strauss.« Den Meister Reichhart, den
menfügen. Strauss löst sich von dem kompositori- hehren »Herrscher der Geister«, bedenkt Strauss
schen Übervater Wagner, indem er dessen Chro- mit dem Walhallmotiv, er selbst stellt seinen
matik nicht »langsam und schmachtend«, sondern Kampf gegen den Münchner »Biersumpf« durch
»lustig« und rasch einsetzt. So entsteht – noch vor das rhythmisch markante Kriegsmotiv aus Gunt-
Feuersnot – eine symphonische, heitere Persiflage rams Friedensgesang dar. In beiden Zitaten be-
auf Wagner. Strauss bestätigt damit musikalisch kennt sich Strauss in der Maske des Kunrad nicht
die Binsenwahrheit, dass in jedem guten Witz nur als »Schüler« Wagners, sondern führt auch
Tragisches steckt. sein Lebensthema weiter, den Widerstreit von
Kunst und »Philistern«. Wagner hatte dies sowohl
im Tannhäuser wie in den Meistersingern themati-
siert, Strauss im »Widersacher«-Abschnitt der
Feuersnot Tondichtung Ein Heldenleben, die großenteils in
seinem letzten Münchner Jahr (1898) entstand.
Hatte sich Strauss in Guntram bemüht, nicht ins Bedeutend kunstreicher wird er die Frage nach
Wagner-Epigonentum zu verfallen, so ist das ein- Kunst und Lebenswirklichkeit im Vorspiel zu
aktige »Singgedicht« Feuersnot (entstanden 1896– Ariadne auf Naxos und in Capriccio durchführen.
1901) eine Huldigung an Wagner und zugleich In Feuersnot erweist Strauss durch den großen
eine Parodie der Erlösungsidee. Der Kern der Monolog des Kunrad, um dessentwillen »das
Fabel ist einfach: Der zurückgezogen lebende ganze Nicht-Operchen« entstand (Strauss 1981,
Zauberer Kunrad wirbt um die Münchner Bürger- 182), sowie durch Zitate und Anklänge Wagner
meisterstochter Diemut. Sie erhört ihn zum seine Reverenz. Wie die Meistersinger spielt das
Schein, aber macht ihn zum Gespött der Leute, Stück in der Sonnwendnacht, und die große
indem sie ihn auf halber Höhe unter ihrem Kam- Chorszene nach dem Erlöschen der Feuer erinnert
merfenster im Korb hängen lässt. Kunrad löscht an Wagners »Prügelfuge«. Doch markiert Feuers-
daraufhin alle Feuer in der Stadt, und nur Diemut not zugleich Strauss’ endgültige Abkehr vom
kann den Fluch lösen, indem sie ihm ihre Jung- Wagnerschen Musikdrama und den Durchbruch
fernschaft opfert. zum eigenen Musiktheaterstil. Noch in der »Letz-
Während Wagners Heldinnen Senta, Elisabeth ten Aufzeichnung« vom 19. Juni 1949 beklagte
und Elsa nur durch ihren Tod den Holländer, Strauss, dass am Textbuch zur Feuersnot immer
Tannhäuser sowie den Bruder Gottfried von Bra- noch nicht »ein neuer subjektiver Styl« gewürdigt
bant erlösen können, erlöst Diemut die Münchner werde; »das individuelle Neue« daran sei »bewußt
durch den Liebesakt mit Kunrad aus ihrer »Feu- der Ton des Spottes, der Ironie, der Protest gegen
ersnot«. Ein derartiges erotisches Happy End läuft den landläufigen Operntext« (Strauss 1981, 182).
der Tragik von Wagners Musikdramen grotesk Um das träge Bürgertum zu verspotten, zitiert
zuwider. Strauss Stimmungslieder aus dem Repertoire der
Ort des Geschehens ist das mittelalterliche Münchner Volkssänger: »Solang der alte Peter«
München, gemeint ist aber das München von (Part., 21) sowie das in Münchner Biergärten be-
Wagner und Strauss. Ludwig II. hatte im Dezem- liebte »Guten Morgen, Herr Fischer!« (Part., 93),
7. Strauss und Wagner 77

womit er zugleich den Kapellmeister Fischer dabei von der einfachen Anspielung, die jeder ei-
bloßstellt, den er für talentlos hielt. Derart triviale nigermaßen gebildete Zuhörer spontan versteht,
Unterhaltungsmusik unterschreitet einerseits zu Zitaten, die nur der Fachmann im Partiturstu-
selbst das Niveau der (von Strauss verachteten) dium erkennt, bis hin zu verborgenen Anklängen,
Operette, doch überhöht sie andererseits den die sich nur aus Skizzen oder zufällig überlieferten
Kunstrang der ernsten Partien. Die Stilbrüche mündlichen Bemerkungen erschließen lassen.
sind gewollt. Zwischen den beiden Sphären ver- Dafür vier Beispiele:
mittelt die schlichte Weise der Diemut »Süße
Amarellen« (= Kirschen; Part., 11), die Strauss, als (1) Für jeden Opernfreund erkennbar ist das Lo-
das Feuer wieder aufflammt, mit großem Orches- hengrin-Zitat in Arabella (1. Akt, 2 Takte vor Zi. 25).
ter instrumentiert. Ob er das »Kirschenessen« oder Auf die Frage des unglücklich verliebten Matteo,
»Kirschenbrechen« als alte Metapher für eine wo Arabella gestern abend gewesen sei, antwortet
Entjungferung kannte oder nicht – die symboli- Zdenka: »in der Oper, mit der Mama.« Dazu er-
sche und dramaturgische Bedeutung dieser Weise klingt ein Motiv aus Lohengrin. Der Zuhörer freut
ist ohnehin klar. sich, erfährt er doch durch die Musik, was gespielt
wurde. Diese triviale Information vertieft Strauss
in zwei Richtungen: dramaturgisch und kompo-
sitorisch. Er zitiert die triumphale Musik, als
Wagner-Zitate Lohengrin im Schwanennachen als »gottgesandter
Held« das Ufer erreicht (1. Akt, 3. Szene). Wie
Das kompositorische Denken von Strauss geht Lohengrin Elsa in ihrer höchsten Not rettet, so
von festen, nahezu invarianten Elementen aus. wartet auch die verschuldete gräfliche Familie
Tonarten, Instrumentencharaktere und Klangfar- Waldner auf den »Richtigen«, der die schöne Ara-
ben, Rhythmen usw. assoziiert er regelmäßig mit bella heiratet und so den Bankrott abwendet.
außermusikalischer Bedeutung. Seine Fähigkeit, Mandryka ist zwar kein geheimnisvoller Grals-
Bilder, Gesten intuitiv in musikalische Gestalten ritter, aber auch er kommt aus der Ferne, aus Sla-
umzusetzen – seien es Motive, Harmoniefolgen wonien, und er verabscheut als »halber Bauer« die
oder auch nur »nervöse« Begleitfiguren –, emp- dekadente Gesellschaft der Kaiserstadt Wien. Wie
fand er als »eigene, persönliche Ausdrucksskala« schon die Kartenaufschlägerin den »fremden
und »angeboren« (Hartmann 1975, 88). Das ist Herrn, den Bräutigam« vorhergesagt hatte, so
nicht wörtlich zu nehmen, drückt aber aus, dass kündigt das Lohengrin-Zitat erneut den Retter an.
Strauss alles, was er in seinem ganzen Musiker- Das Lohengrin-Orchestertutti im Fortissimo
leben, angefangen vom Musikunterricht des Kin- reduziert Strauss, als bloße Erinnerung Zdenkas,
des bis zum Partiturstudium des berühmten Diri- auf einen dreistimmigen Satz im Pianissimo. Wag-
genten – auch in der radikalen Ablehnung von ners zweites Hornpaar und die 3. Trompete lässt er
Werken – gelernt hatte, sich als »zweite Natur«, als vom Oboenpaar und dem Englischhorn spielen.
seine »Künstlernatur«, angeeignet hatte. In einem winzigen Moment weicht er von der
In Strauss’ »persönlicher Ausdrucksskala« spie- Vorlage ab: Wagner setzt, um den »reinen« Helden
len Zitate aller Art eine große Rolle. Da Wagners darzustellen, zur Dominante nur einen Dreiklang,
Musik, wie keine vorher, semantisch codiert ist, Strauss fügt im Englischhorn die Septe hinzu, die
bedient sich Strauss gerne im Fundus Wagnerscher in der Quartsextlage des B-Dur-Akkords einen
Motive. In einem engen Sinn kann man ein Zitat schmerzlichen Akzent setzt. Mit dieser Septe geht
definieren als »Fremdes, das im eigenen Werk als Zdenkas neutrale Information unmittelbar in
Fremdes erscheint«. In diesem strengen Sinn, sozu- Matteos eifersüchtige Reaktion über, der zu Recht
sagen in Anführungszeichen, gibt es wohl nicht argwöhnt, Arabella sei mit all ihren drei Verehrern
viele Zitate bei Strauss. Denn er fügt sie bruchlos in der Oper gewesen. Ein Klarinettenseufzer been-
in seinen Kompositionsstil ein und kommentiert det die B-Dur-Kadenz, die diese musikalische
sie eben dadurch, dass er sie in einen neuen Be- Miniatur gegenüber der sonstigen Konversation
deutungszusammenhang stellt. Die Skala reicht abgrenzt.
78 Ästhetische Positionen

Die »Über-Information« der Strauss’schen Zi- Tristan. Christine (alias Pauline) verhöhnt in der
tate (Konrad 2007, 12) gründet darin, dass sie 1. Szene das seelische »Leiden« eines Kapellmeis-
nach ihrem sprachlichen Gehalt, der von der Eti- ters, »der den Vollgefreßnen unten im Parkett den
kettierung als Leitmotiv oder vom ursprünglichen Hampelmann macht und seine brünstigen Ge-
Text herrühren kann, ihrem dramaturgischen fühle im Viervierteltakt preisgibt«. Wieder geht es
Sinn und ihrer musikalischen Gestalt zu deuten um die Kunstbanausen. Zum Tristan-Akkord
sind, in der Strauss sich die jeweilige Vorlage an- singt Storch das chromatische Leidensmotiv (4 T.
verwandelt. Erst aus der Musik erschließt sich nach Zi. 12). Die Instrumentation des Akkords
ganz, wie vielschichtig und beziehungsreich mit Holzbläsern scheint original wagnerisch,
Strauss denkt. doch fehlt das Englischhorn, das Instrument der
»traurigen Weise« des dritten Tristan-Aktes. Das
(2) Den Tristan-Akkord, Musterfall eines musika- ist kein Zufall. Auch im »schönst instrumentier-
lischen Symbols, plakativ zu setzen, vermeidet ten H-Dur-Akkord« Wagners, dem Schluss-
Strauss. Ein Beispiel, wie der Klang im komposi- akkord des »Liebestodes«, fehlt es. Denn – so
torischen Fluss fast untergeht, findet sich am Strauss – der »letzte Tropfen des Sehnsuchts-
Ende von Ariadne auf Naxos (Noé 1985, 75). Die ›Gifts‹ ist versiegt« (Schuh 1981, 81). Ist schon der
drei Nymphen kündigen die Ankunft des Gottes Instrumentalklang eine Spur heiterer als im
Bacchus an, indem sie Ariadne von dem Zauber- Tristan, so überspielt Strauss auch die tragisch
trank erzählen, den Circe Bacchus gereicht hat. stockende Pause des Tristan-Vorspiels mit einer
Bei einem »Zaubertrank« denkt Strauss unabweis- Triolenfigur und kadenziert nach A-Dur. Die
lich an den Liebestrank, den Isolde Tristan reicht. weitergeführte Liebeschromatik in der Flöte geht
Zum Stichwort »Trank« (Zi. 202) setzt Strauss unmittelbar in den spöttischen Tonfall des Kom-
den Tristan-Akkord, und zwar in Gestalt des merzienrats über.
Höhepunktakkordes f/as/ces/es im Tristan-Vorspiel Der nach A-Dur aufgelöste Tristan-Akkord
(dort T. 81–83). Dazu tritt als Oberstimme das spielt virtuos mit verschiedenen Bedeutungs-
chromatische Leidensmotiv in den Violinen, mit ebenen. Dramaturgisch: Wie in Arabella sagt das
»molto crescendo« an die Liebesleidenschaft des musikalische Zitat, welche Musik Erholung nötig
zweiten Tristan-Aktes gemahnend. Doch das macht. Schaffenspsychologisch: Der alternde
rasche Tempo, die Betonung des as-Moll-Drei- Strauss empfand das unaufhörliche innere Klin-
klangs im Gesang und in den Hörnern, der gen in seinem Kopf mehr und mehr als »Belas-
Orgelpunkt auf H und die Achtelfiguration der tung«. »Alles, was ich sehe, die Menschen, die
Streicher verunklaren den Klang. Ob Strauss mit Tiere, die ganze Natur in ihrer Vielfalt, klingt für
dieser Instrumentation andeuten wollte, dass mich, löst musikalische Einfälle aus. […] Zum
Circes Zauberkünste bei dem Halbgott Bacchus Glück gibt es etwas, das nicht klingt – und das
gerade nicht wirkten? In der Emphase des Nym- sind die Spielkarten. Die lösen keine Musik in mir
phengesanges klingt der Tristan-Akkord weniger aus« (Hotter 1996, 134). Die ganze Skatszene lässt
verfremdet als vollkommen in Strauss’ eigenen sich also paradox begreifen als Strauss’ mutwilliger
Stil integriert. Ob eine solche »Bearbeitung« Versuch, selbst aus dem musikfreien Skatspiel
überhaupt noch als Zitat gelten kann, ist mindes- noch Musik zu zaubern. Und schließlich der bio-
tens fraglich. graphische Bezug: Die Auflösung nach A-Dur ist
eine offene Liebeserklärung an die Ehefrau Pau-
(3) Ein drittes Beispiel stammt aus der bürgerli- line, was zu einer weiteren Pointe führt: Zwar
chen Komödie Intermezzo (vgl. Konrad 2007, habe Storch/Strauss seine »Frau sehr gerne, nur
13–19). In der Skatszene zu Beginn des zweiten beim Skat« störe sie. Der Tristan-Akkord tritt
Aktes stößt Kapellmeister Robert Storch (alias ohne das Sehnsuchtsmotiv der Celli ein, das bei
Richard Strauss), nach einer überlangen Probe, Wagner untrennbar damit verbunden ist. Strauss
zur geselligen Runde und sagt: »Ach, so ein Skät- liefert den charakteristischen Sextaufschwung
chen ist ein Genuß, die einzige Erholung nach nach, als der Kommerzienrat die scheinheiligen
Musik!« Der Inbegriff anstrengender Musik ist und störenden Zwischenfragen der Ehefrau paro-
7. Strauss und Wagner 79

diert. Das Sehnsuchtsmotiv ist nicht nur mit der als »Verfemter des Geistes« nicht an dem »Dilet-
großen Sexte nach Dur gewendet, sondern auch tantenunfug« beteiligen wollte, Aufführungen von
diatonisch harmonisiert, wenngleich mit einem Carmen zu verbieten (Panofsky 1965, 284). War es
Vorhaltsseufzer (3. und 4. Takt nach Ziff. 13). Die also bajuwarische Sturheit, dass er, der einzige
Projektion des Tristan-Mythos auf die bürgerliche deutsche Komponist von Weltgeltung, seinen
Ehe, von deren Krise ja Intermezzo handelt, ist Rang in der Musikgeschichte in Liedform prokla-
zweifellos eine Persiflage. Doch sollte es nach- mierte? Oder hatte der Liszt-Vorkämpfer Strauss
denklich stimmen, dass Strauss zugleich zentrale noch eine leise Hoffnung, bei Peter Raabe, der
künstlerische wie menschliche Lebensfragen in 1931 mit einer zweibändigen Liszt-Monographie
Tönen ausdrückt; im launigen Witz steckt ein hervorgetreten war, trotz dessen nationalsozialisti-
ernsthaftes Bekenntnis, sowohl zu Wagner wie zu scher Einstellung Unterstützung zu finden? Doch
Pauline. die Entlassung aus dem Amt war längst beschlos-
sene Sache und Raabe wurde neuer Präsident der
(4) Eine geistreiche Zitatcollage ist das Lied »Zu- Kammer.
gemessne Rhythmen« auf ein Goethe-Gedicht aus
dem Westöstlichen Divan (dazu ausführlich Kon-
rad 2007, 25–31). Aphoristisch zugespitzt, kompo-
niert Strauss darin, wie er seine Stellung in der Wagner-Schriften
Musikgeschichte sah.
»Zugemessne Rhythmen reizen freilich, / Das Strauss besaß die Erstausgabe von Wagners Ge-
Talent erfreut sich wohl darin …«. Der »zuge- sammelten Schriften und Dichtungen, die von 1871
messne Rhythmus« ist ein trivialer C-Dur-Marsch, bis 1883 in Leipzig erschienen waren. Er hat sie bis
wohl ein Seitenhieb auf die »volksnahe« Nazi- an sein Lebensende immer wieder gelesen, wofür
Musik. Das »Talent« illustriert Strauss mit dem zahlreiche und gelegentlich datierbare Anstrei-
Thema des Finales von Brahms’ 1. Symphonie. chungen sowie Briefe zeugen (Grasberger 1967,
Strauss’ zentrales, aus Liszts Tondichtungen abge- 436). Was hat Strauss vornehmlich interessiert?
leitetes Prinzip, dass für einen neuen Inhalt eine Schriften zum Musiktheater, insbesondere Oper
neue Form zu finden sei, fand er im Goethe- und Drama, dazu Schriften über den Theaterbe-
Gedicht bestätigt: der Geist müsse »auf neue Form trieb, dessen Zustände Strauss noch immer bekla-
bedacht, jener toten Form ein Ende« machen. genswert und reformbedürftig fand, Schriften
Dazu zitiert er das Hauptthema aus Tod und Ver- vom griechisch-antiken Theater und von der Ei-
klärung, einem Stück, »das in Cmoll anfängt und genart und Aufgabe der deutschen Musik. Im
in Cdur aufhört« (Schuh 1976, 188). Innerhalb Großen und Ganzen hat Strauss in Wagner einen
dieser »alten Form« gemäß Beethovens Motto »per Geistesverwandten gesehen, dessen Gedanken er
aspera ad astra« ist formal neu, dass dieses Thema vollkommen adaptieren konnte. Nur zwei grund-
erst sehr spät vollständig auftritt (T. 320). Am sätzliche Einwände hatte er: Wagner habe die un-
Ende des Liedes wird Wagner, der radikale Neue- erschöpfliche Ausdrucksfähigkeit der Melodien
rer, mit dem Meistersinger-Vorspiel beschworen. Mozarts wie insgesamt der Wiener Klassiker un-
Strauss selbst sieht sich zwischen Brahms und terschätzt (Strauss 1981, 94), und das moderne
Wagner stehend, jedoch nicht an den Übervater Orchester ersetze nicht nur den kommentierenden
Wagner heranreichend. Chor der attischen Tragödie, sondern »es gibt den
Was hat Strauss veranlasst, dieses tönende Inhalt selbst, enthüllt das Urbild, gibt die innerste
künstlerische Bekenntnis, das unveröffentlicht Wahrheit« (Strauss 1981, 91).
blieb, zu schreiben? Das Lied ist dem Dirigenten Zwei Beispiele mögen belegen, wie ihn ein-
Peter Raabe gewidmet, der sich am 27. Februar zelne Bemerkungen ein Leben lang beschäftigten.
1935 dafür bedankte. Bereits im Oktober 1934 Bereits 1892 zitierte Strauss (nicht ganz wörtlich)
hatte Strauss sich geweigert, an der Sitzung der in seinem Aufsatz »Zum ›Tannhäuser‹ in Bay-
Reichsmusikkammer teilzunehmen, weil seine reuth« (Strauss 1981, 76–88) aus Wagners Schrift
Reformvorschläge unbeachtet blieben und er sich »Über das Dirigieren« (1870), dass sich aus der
80 Ästhetische Positionen

Wahl des richtigen Tempos der richtige Vortrag der Scheidungen und Verbindungen gibt« (ebd.,
von selbst ergebe. In einer Fußnote verweist er auf 241). Dabei kritisiert Wagner, dass Hans von Wol-
Wagners Kritik am »Schleppen und Herunterja- zogen die »von ihm sogenannten ›Leitmotive‹
gen«, und zwar am Beispiel der Mittelsätze von mehr ihrer dramatischen Bedeutsamkeit« gemäß
Beethovens 8. Symphonie. Das »Allegretto scher- betrachtete als nach ihrer »Verwertung für den
zando« werde als »Andante« missverstanden, das musikalischen Satzbau«. Als Konsequenz dieses
»Tempo di Menuetto« als Scherzo zu rasch ge- Gedankens schreibt Strauss mit Verweis auf die
spielt (Wagner GS 8, 325 ff., hier 349 f.). In der Meistersinger-Partitur: »Alexander Ritter hat mir
Schrift »Ein Einblick in das heutige deutsche einmal erklärt, daß jeder Wagnersche Akt ein
Opernwesen« aus derselben Zeit (1872/73) formu- einheitliches symphonisches Zeitmaß aufweist, in
lierte Wagner noch schärfer: »Überjagen und dem gewaltsame Temporückungen nur in seltenen
Verschleppen, hierin besteht die überwiegende (dramatisch bedingten) Ausnahmefällen zulässig
Thätigkeit des Dirigenten« bei einer Opernauf- sind« (Strauss 1981, 63 f.).
führung (Wagner GS 9, 314, hier 315), was Strauss Auch als Strauss den Typus des Wagnerschen
ebenso angestrichen hat wie Wagners Bemerkung Musikdramas überwunden hatte, hielt er noch an
zu den Finali von Mozarts Es-Dur-Symphonie diesem Grundsatz fest. Nachdem Hofmannsthal
KV 543 und Beethovens 7. Symphonie: »hier feiert ihm das Typoskript des ersten Aktes des Rosen-
die rein rhythmische Bewegung gewissermaßen kavaliers geschickt hatte, schrieb Strauss am 4. Mai
ihre Orgien, und daher können auch diese Alle- 1909 zurück: »Schlußszene herrlich, […] hab
gro-Sätze nicht bestimmt und schnell genug heute schon dran rumprobiert, ich wollt, ich wär
genommen werden« (Wagner GS 8, 355). Dem- schon so weit. Da ich aber der symphonischen
gemäß lautet in »Zehn goldene Regeln. Einem Einheit wegen der Reihe nach komponieren muß,
jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrie- heißt es halt Geduld haben« (RSHH 58).
ben« von 1925 die 9. Regel: »Wenn Du glaubst, Strauss setzte Wagners Schriften absolut, was
das äußerste Prestissimo erreicht zu haben, so ihn zu seltsamen Forderungen führte: »Auf jeden
nimm das Tempo noch einmal so schnell« (Strauss Fall ist ›Oper und Drama‹ vielleicht das bedeu-
1981, 46). Zwar hat Strauss rasche Tempi geliebt, tendste wissenschaftliche Buch der Weltge-
aber im Alter doch wohl gefürchtet, dass die Iro- schichte. […] Es ist darin ein bis dahin überhaupt
nie dieser Regel nicht mehr verstanden würde. So kaum behandelter künstlerischer und philosophi-
schrieb er einen Nachtrag: »Möchte ich heute scher Stoff mit einer hellseherischen Klarheit […]
(1948) dahin abändern: so nimm das Tempo halb erschöpfend behandelt und unumstößlich über-
so schnell (An die Mozart-Dirigenten!)«. Das zeugend bis ins letzte Detail definiert. […] ›Oper
Fragezeichen an der entsprechenden Stelle im und Drama‹ müßte auf jeder Universität, in jedem
Band 8 der Wagner-Schriften stammt wohl erst Konservatorium als Jahreskollegium gelesen und
aus dieser Spätzeit. erläutert werden, allerdings von kongenialen In-
Mit der Wahl des richtigen Tempos ist unmit- terpreten! Aber wo sind solche zu finden?« (Strauss
telbar verbunden die Vorstellung, ein Opernakt sei 1981, 95).
als »symphonische Einheit« zu komponieren. In
Wagners später Schrift »Über die Anwendung der
Musik auf das Drama« (1879; GS 10, 227 ff.) heißt
es: »Die neue Form der dramatischen Musik Wagner als Leitbild im
[muss], um wiederum als Musik ein Kunstwerk zu Hofmannsthal-Briefwechsel
bilden, die Einheit des Symphoniesatzes aufweisen
[…]. Diese Einheit gibt sich dann in einem das Schon in jungen Jahren war Hofmannsthal vor
ganze Kunstwerk durchziehenden Gewebe von allem vom französischen Wagnérisme beeinflusst
Grundthemen [kund], welche sich, ähnlich wie (Borchmeyer 1983, 20) und schätzte Wagner als
im Symphoniesatze, gegenüber stehen, ergänzen, genialen Theatermann. Er bewunderte beispiels-
neu gestalten, trennen und verbinden: nur daß weise das tragische Verstummen Brünnhildes, als
hier die […] dramatische Handlung die Gesetze sie sich Wotans Urteilsspruch unterwirft (»Leb
7. Strauss und Wagner 81

wohl, du kühnes, herrliches Kind«, Schluss der alten Reizthema der »Widersacher«. Hofmanns-
Walküre). Als unerreichbares Vorbild empfand er thal solle »das Verhältnis von Publikum, Kritik
den Dichterkomponisten bei der Arbeit an der und Zunft« so boshaft darstellen, dass Ariadne
Frau ohne Schatten und schrieb an Strauss: »das Gegenstück zu den ›Meistersingern‹ [werde],
Vielleicht hat mich […] die aufmerksame Lektüre von 50 Jahre später« (24.7.1911; RSHH 141). Damit
5 Wagnerschen Textbüchern eher geschädigt als gefördert. war das Thema für das Vorspiel der Neufassung
[…] die unnachahmliche Vortrefflichkeit, mit der in der von Ariadne angeschlagen. Vorbild für den Kom-
Ausführung der Musik vorgewaltet ist – die unerreichbare
Qualität: daß, wie die Flußläufe eine Landschaft bestim- ponisten war zwar erklärtermaßen der junge Mo-
men – so hier die poetische Landschaft durch die vom zart, der – als Hosenrolle – im pubertär-erotischen
Dichter schon gewußten Ströme und Bäche der Melodie Cherubino gespiegelt wurde. Zugleich aber
figuriert ist –, das hatte mich wirklich niedergeschlagen.
(Brief vom 24.9.1913; RSHH 240)
formte Hofmannsthal den Komponisten als idea-
listischen, weltfremden Künstler nach Wagner. Zu
Im Briefwechsel dient Wagner als doppelter Be- des Komponisten Satz: »Ich habe nichts mit dieser
zugspunkt. Der Komponist weist den Dichter, der Welt gemein«, exzerpierte er aus Wagners »Eine
keine Noten lesen konnte, auf musikalische Mo- Mitteilung an meine Freunde«: »Was endlich
delle hin, oft aus den Meistersingern; Hofmanns- konnte diese Liebessehnsucht […] anderes sein als
thal, der Wagners Musik weniger mochte als des- das Verlangen nach dem Hinschwinden aus der
sen szenische Erfindungen, kritisiert Strauss mit Gegenwart, nach dem Ersterben in einem Ele-
Argumenten aus Oper und Drama. Für den Rosen- ment unendlicher irdisch unvorhandener Liebe,
kavalier wünscht sich Strauss »ein kontemplatives wie es nur mit dem Tode erreichbar schien?«
Ensemble« und nennt als Beispiele: »2. Akt ›Lo- (Hofmannsthal 1985, 155). Mozartische Sinnlich-
hengrin‹, das große Ensemble, das sogenannte keit ist so zwanglos verquickt mit der vom Ekel an
›dumpfe Brüten‹. Das Meistersingerquintett« der gemeinen Welt genährten Erlösungsidee
(16.5.1909; RSHH 62). Den Text zum Duett von Wagners. Diesen Hintergrund hat Strauss wohl
Oktavian und Sophie findet er »zu zahm, zu ge- nicht geahnt, er reagierte auf Hofmannsthals
ziert und zaghaft und zu lyrisch« (13.8.1909; Dichtung des neuen Ariadne-Vorspiels wie befreit:
RSHH 79). In seiner unnachahmlichen Sprache »Ihr Notschrei gegen das Wagnersche ›Musizieren‹
antwortet Hofmannsthal mit grundsätzlichem ist mir tief zu Herzen gegangen«, so dass er sich
Vorbehalt: »Zu einem eigentlich erotischen à la »ganz ins Gebiet der unwagnerischen Spiel-, Ge-
Wagnerischen Aufeinanderlosschreien möchte ich müts- und Menschenoper zu begeben hoffe. Ich
diese beiden jungen, naiven, gar nicht walküren- sehe den Weg jetzt genau vor mir, ich danke
oder tristanartigen Geschöpfe womöglich nicht Ihnen, daß Sie mir den Star gestochen […].
zwingen« (2.9.1909; RSHH 81). Als Strauss den Ich verspreche Ihnen, daß ich den Wagnerschen
Ochs auf Lerchenau am Ende seines »Heu«-Mo- Musizierpanzer nun definitiv abgestreift habe«
nologs fortissimo brüllen ließ wie in einem Bauern- (etwa 16.8.1916; RSHH 358 f.).
theater, rügte Hofmannsthal: »Wie wundervoll Nach Hofmannsthals Tod bekannte Strauss im
nuanciert Wagner solche Dinge in der Deklama- November 1931 gegenüber Stefan Zweig: »Er wisse
tion. […] Hier muß die Musik die Sänger direkt wohl, daß es mit der Oper als Kunstform eigent-
zwingen, gut und richtig zu spielen, wie dies auch lich vorbei sei. Wagner sei ein so ungeheurer
bei Wagner so schön der Fall ist« (12.6.1909; Gipfel, daß niemand über ihn hinauskommen
RSHH 64). Strauss hielt zwar am Hochton f ' fest, könne. ›Aber […] ich habe mir geholfen, indem
doch nun piano. ich einen Umweg um ihn gemacht habe‹« (Zweig
Bei Ariadne auf Naxos hatte Strauss Bedenken, 1982, 420). Diesen »Umweg« zu griechisch-antiken
Publikum und Kritik würden das Textbuch nicht Stoffen, zu Gesellschaftskomödien und Konversa-
verstehen. Dagegen zitierte Hofmannsthal aus tionsstücken ebnete ihm Hofmannsthal.
Oper und Drama, selbst der einfache und drama-
tisch klare Aufbau von Tannhäuser und Lohengrin
sei anfangs nicht verstanden worden (23.7.1911;
RSHH 138). Strauss reagierte darauf mit seinem
82 Ästhetische Positionen

Strauss-Berlioz’ Den radikalen Fortschritt von Wagners Orches-


Instrumentationslehre terstil gegenüber Berlioz sieht Strauss im Über-
schreiten des individuell Spielbaren. Musterbei-
Anders als Wagner fühlte Strauss keinen großen spiel hierfür sei der »Feuerzauber« aus der Walküre.
Drang, über Musik zu theoretisieren. Doch das Die Geigenfiguration könne kaum ein Virtuose
Thema Orchester und Instrumentation lag ihm so ganz sauber spielen, aber im Ensemble von 32
sehr am Herzen, dass ihm die Neubearbeitung der Geigern entstehe der schlagende Eindruck eines
Berliozs’chen Instrumentationslehre unter der »lodernden, in tausend Mischtönen flimmernden
Hand zu einem Manifest seiner Deutung Wagners, Feuers« (Berlioz/Strauss 1905, 50). Es ist dies eines
des großen Neuerers nach Berlioz, geriet. Im Vor- der vielen Beispiele für Strauss’ synästhetische
wort, dem die folgenden Zitate entstammen, Empfindungen. Seine knappen Kommentare zu
nennt Strauss das Orchester der Wiener Klassik den neu eingefügten Partiturstellen aus Wagners
dem Stil der Kammermusik oder, bei Beethoven, Musikdramen verraten einerseits, wie er dessen
dem »Geist des Klaviers« verpflichtet. Dem stellt Musik verstand, und andererseits, was er daraus für
er einen eigentlich »symphonischen (polyphonen) sein eigenes Komponieren lernte. Wie für Wagner
Stil« gegenüber. »Gleichgültig geführte Mittel- waren auch für ihn Klangfarben musikalische
und Unterstimmen« erzeugten eine gewisse »Härte« Symbole, die er sinnfällig (oder auch konstruktiv)
des Klangs, orchestrale Klangfülle entstehe nur, für musikdramatische Wirkungen einsetzte. Ein
wenn »auch die zweiten Bläser, zweiten Violinen, Beispiel: Bereits Berlioz empfand das »col legno«-
Bratschen, Violoncelli, Bässe sich in der Belebung Spiel der Streicher als »eine Art von Knistern«. In
schön geschwungener melodischer Linien seelisch Feuersnot entfacht Strauss sowohl einen Feuerzau-
beteiligen«. »Dies ist das Geheimnis der unerhör- ber à la Wagner, als das »Subendfeuer« aufflammt
ten Klangpoesie der Tristan- und Meistersinger- (Zi. 97), wie er auch das metaphorisch zu deutende
partitur, wie nicht minder des für ›kleines Orches- Verlöschen des Feuers instrumentiert. Der verliebte
ter‹ geschriebenen Siegfriedidylls.« Dieser »poly- Magier Kunrad fürchtet, dass er die Feuergeister
phone Stil«, den Strauss gern und weniger nicht mehr beherrschen könne: »und falle, selbst
missverständlich als »poetischen Kontrapunkt« in Flammen, wie Reisig flugs zusammen« (vor
bezeichnete, habe zwei Voraussetzungen: erstens Zi. 101). Für diesen Moment der Angst hebt sich
»die Erfindung und Einführung des Ventilhorns« Strauss das »col legno«-Knistern auf. Das gleiche
sowie insgesamt die Mechanisierung der Blas- Material von Brennholz und Bogenholz, also
instrumente im 19. Jahrhundert, und zweitens »die ›Holz‹ (legno), lässt ihn assoziativ diesen besonde-
Übertragung einer bisher nur im Solokonzert ge- ren Klang finden. Wie hier eine spieltechnische
wagten Virtuosentechnik auf alle Instrumente des Anweisung und sprachliche Bedeutung zu einem
Orchesters«. Dass sich die Musiker »seelisch betei- musikdramatisch wirksamen Klangeffekt verdich-
ligen«, wird durch die gewaltig gesteigerten spiel- tet sind, das ist für Strauss’ Kreativität typisch.
technischen Anforderungen geradezu erzwungen. Soweit ich sehe, ist die Neubearbeitung von
Instrumentation könne man nicht aus Lehrbü- Berlioz’ Instrumentationslehre als Schlüssel zum
chern lernen, schreibt Strauss, und empfiehlt das Werk von Richard Strauss bisher unterschätzt.
Studium der Lohengrin-Partitur mit ihren dreifach Seine stupende Partiturkenntnis – gegenüber
besetzten Bläsern als »Musterkompendium«. Doch Mahler nannte sich Strauss einmal einen »Parti-
sei es unabdingbar, sich »durch die verschiedensten turfeinschmecker« (Blaukopf 1980, 57) – schlägt
Instrumentalisten persönlich mit der genauen sich darin nieder, seine Dirigentenerfahrung, seine
Technik, den Registertimbres und den Präludierge- von Tonsymbolen geleitete Erfindungskraft und
heimnissen des Stimmzimmers für jedes einzelne sein musikdramatisches Vorstellungsvermögen.
Instrument vertraut zu machen«. Strauss konnte Soweit ein Außenstehender überhaupt Einblick in
die äußersten Grenzen des Spielbaren ausreizen, kreative Prozesse gewinnen kann, die ja dem
weil er die Einspielübungen im Stimmzimmer, die Schaffenden selbst kaum bewusst sind, sind
eigentlich als spieltechnische Reserve für die nerv- Strauss’ Kommentare ähnlich ergiebig wie seine
liche Anspannung der Aufführung dienen, kannte. reichlich erhaltenen Skizzen.
7. Strauss und Wagner 83

Literatur

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gel« von Richard Strauss. In: Musik in Bayern 69 festspiel. Nachklänge an die Aufführungen des Jahres
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revidiert von Richard Strauss. Leipzig o. J. [1905]. 1981.
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Böhm, Karl: Ich erinnere mich ganz genau. Autobiogra- und sein Weg. Der Instrumentalkomponist. Leipzig
phie [1968]. Wien u. a. 1974. u. a. 1921.
Borchmeyer, Dieter: Der Mythos als Oper – Hofmanns- Steinitzer, Max: Richard Strauss. Berlin/Leipzig 1911.
thal und Richard Wagner. In: Hofmannsthal-For- Strauss, Gabriele (Hg.): Lieber Collega! Richard Strauss
schungen Bd. 7. Freiburg 1983, 19–65. im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten
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Wagner in »Till Eulenspiegel«: Strauss’s Merry Pranks Trenner, Franz: Richard Strauss. Dokumente seines
Reconsidered. In: Intégral. The Journal of Applied Lebens und Schaffens. München 1954.
Musical Thought 21 (2007), 1–39. –: Die Skizzenbücher von Richard Strauss aus dem
Gehring, Egid (Hg.), Richard Strauss und seine Vater- Richard-Strauss-Archiv in Garmisch. Tutzing 1977.
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Grasberger, Franz (Hg.): Der Strom der Töne trug mich – (Hg.): Richard Strauss – Ludwig Thuille. Ein Brief-
fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Tutzing wechsel. Tutzing 1980.
1967. Wagner, Cosima: Die Tagebücher. Bd. II. 1878–1883. Ed.
Hansen, Mathias: Richard Strauss. Die Sinfonischen und komm. von Martin Gregor-Dellin und Dietrich
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Hartmann, Rudolf: Das geliebte Haus. München/Zü- Wagner, Richard: Gesammelte Schriften und Dichtun-
rich 1975. gen. Bd. 1–10. Leipzig 1871–1883.
Hausegger, Siegmund von: Alexander Ritter, ein Bild Walter, Michael: Richard Strauss und seine Zeit. Laaber
seines Charakters und Schaffens. Berlin o. J. 2000.
Hofmannsthal, Hugo von: Sämtliche Werke. Opern- Waltershausen, Hermann W. von: Richard Strauss. Ein
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a. M. 1985. Werbeck, Walter: Die Tondichtungen von Richard
Hotter, Hans: »Der Mai war mir gewogen …«. Erinne- Strauss. Tutzing 1996.
rungen. München 1996. Wilhelm, Kurt: Richard Strauss persönlich. Eine Bild-
Konrad, Ulrich: Anspielen, erinnern, verstehen. Dimen- biographie. München 1984.
sionen musikalischen Zitierens in Richard Strauss’ Youmans, Charles: Richard Strauss’s »Guntram« and the
»Intermezzo« (1924) und Alban Bergs »Wozzeck« Dismantling of Wagnerian Musical Metaphysics.
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Noé, Günther von: Die Musik kommt mir äußerst be- Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen
kannt vor. Wege und Abwege der Entlehnung. Wien/ eines Europäers [1942]. Frankfurt a. M. 1982.
München 1985.
Panofsky, Walter: Richard Strauss. Partitur eines Lebens.
München 1965.
84

8.
Strauss und Mozart
Von Thomas Seedorf

Zwischen Mozart und Wagner vom Wagnerschen Musikdrama unter dem Para-
digma der Musik Mozarts, die auch von den
Dass Komponisten durch die Auseinandersetzung Zeitgenossen verschiedentlich als Leitidee einer
mit der Kunst anderer Komponisten geprägt wer- neuen Entwicklung apostrophiert wurde. In die
den, ist die Regel, die durch Ausnahmeerschei- »Zwischenepoche« fällt die Bearbeitung von Mo-
nungen wie den Grafen Giacinto Scelsi, der den zarts Opera seria Idomeneo, die Strauss gemeinsam
größten Teils seines Œuvres in selbst gewählter mit Lothar Wallerstein dem Musikdrama annä-
Isolation von äußeren Einflüssen schuf, nur bestä- herte. Am Beginn der vierten Epoche steht mit der
tigt wird. Wie viele seiner Kollegen sah auch Schweigsamen Frau eine komische Oper, in der
Richard Strauss sich als Erbe einer komplexen Strauss in bis dahin nicht gekanntem Maße histo-
Tradition, doch berief er sich bis ins hohe Alter rische Modelle aufgreift und aktualisiert; Capriccio
vor allem auf zwei Komponisten, deren Werk schließlich, von Strauss selbst als das letzte seiner
zentrale Referenzpunkte seines eigenen künstleri- Hauptwerke verstanden, ist gleichsam das Resü-
schen Denkens und Schaffens darstellten: Mozart mee lebenslanger Bemühungen um eine Verbin-
und Wagner. dung von durchkomponiertem Musikdrama und
Hermann Fähnrich machte den Vorschlag, Stilelementen, für die der Name Mozarts stand.
Strauss’ lebenslange Bezugnahme auf diese beiden Eine solche Einteilung verzerrt und vereinfacht
Komponisten in vier »Epochen« einzuteilen die historischen Verhältnisse und Strauss’ kompo-
(Fähnrich 1959): In der ersten dieser Epochen sitorische Entwicklung allerdings drastisch. Zum
(1885–1910) habe das »Wagner-Element«, in der einen begann Strauss seine Komponistenlaufbahn
zweiten Epoche (1911–1929) das »Mozart-Element« nicht als Autor von Tondichtungen in der Liszt-
vorgeherrscht, nach einer »Zwischenepoche« Nachfolge, sondern im Kontext einer als roman-
(1929–1931) sei es in der letzten Epoche (1931–1949) tisch-klassizistisch zu charakterisierenden Tradi-
schließlich zu einer Synthese beider Elemente ge- tion, die ihm durch sein Elternhaus vermittelt
kommen. Fähnrichs Epocheneinteilung erscheint wurde. Ein Werk wie das Streichquartett A-Dur
auf den ersten Blick plausibel: In der ersten Epo- TrV 95 (erschienen 1881) sei, so der Strauss-Bio-
che entstehen neben den großen Tondichtungen graph Richard Specht, »18. Jahrhundert, in das
auch die ersten musiktheatralischen Werke, deren hier kein Laut unserer Zeit hineinhallt« (Specht
Reihe mit dem der Auseinandersetzung mit Wag- 1921, 106), eine Referenz an das klassische Streich-
ner in vielerlei Hinsicht verpflichteten Guntram quartett, vor allem an dessen Begründer Haydn
beginnt und 1909 in dem die Wagner-Tradition und seinen Schüler und Nachfolger Beethoven.
aporetisch zuspitzenden Musikdrama Elektra kul- Zum anderen zeigt sich die Affinität zu Idiomen
miniert. Wie viele andere Kommentatoren des des 18. Jahrhunderts, wie sie Strauss von Kindheit
Strauss’schen Werks sieht auch Fähnrich im Rosen- an vor allem durch die Musik Mozarts vermittelt
kavalier (1911) einen Wendepunkt, eine Abkehr worden waren, nicht erst in den Werken seit dem
8. Strauss und Mozart 85

Rosenkavalier, sondern auch schon in Kompositi- Prägungen und Erfahrungen


onen und Werkprojekten, die Fähnrich zur ersten,
vom »Wagner-Element« dominierten Epoche Schon als Knabe lernte Strauss die Musik Mozarts
zählt, in Teilen von Till Eulenspiegel oder der kennen und lieben. Sein Vater Franz, Hornist der
Symphonia domestica etwa oder in den Skizzen zu Münchner Hofkapelle, war ein erbitterter Gegner
dem um die Jahrhundertwende geplanten Ballett Richard Wagners, und in diese Antipathie stimmte
Kythere. auch der junge Strauss zunächst ein. Zu den mu-
Hingegen ist auch die »Komödie für Musik« sikalischen Hausgöttern von Vater Strauss gehörte
Der Rosenkavalier, die den vermeintlichen Wende- die »Trinität Mozart (über allen), Haydn, Beet-
punkt zu der vom »Mozart-Element« dominierten hoven. Ihnen schlossen sich der Liederkomponist
zweiten Epoche markiert, im Wesentlichen nach Schubert, Weber, und in Abständen, Mendelssohn
den von Wagner abgeleiteten Prinzipien des Mu- und Spohr an« (Strauss 1981, 194). Franz Strauss
sikdramas konzipiert. Vor allem das Hauptwerk zählte zu den wenigen privaten Subskribenten der
dieser zweiten Epoche, Die Frau ohne Schatten, ersten kritischen Gesamtausgabe der Werke Mo-
lässt sich nicht mit Fähnrichs Kategorien überein- zarts, die seit 1877 bei Breitkopf & Härtel erschien.
bringen; die Rückkehr zum »Wagnerschen Musi- Durch sie entdeckte der Sohn u. a. die Klavierkon-
zierpanzer« (Strauss an Hofmannsthal, 16.8.1916; zerte Mozarts, die für das damalige Konzertleben
RSHH 359), die beide Autoren eigentlich vermei- so gut wie keine Bedeutung besaßen, von ihm
den wollten, ist hier sogar besonders offenkundig, aber mit Begeisterung studiert wurden. In einem
was auch, wenngleich weniger ausgeprägt, für Die Brief an den Jugendfreund Ludwig Thuille vom
Ägyptische Helena gilt. 27. Juli 1879 gelobte er: »[…] wenn ich einmal
Statt von »Epochen« auszugehen, wie Fähnrich zum erstenmal in einem größeren Conzerte auf-
es tat, erscheint es sinnvoller, in den Paradigmen, trete, wo man gut und fein begleitet werde, spiele
als welche Strauss die Musik Mozarts und Wag- ich ein Mozartsches Conzert« (Trenner 1980, 70).
ners verstand, komplementäre Bezugswelten zu Sechs Jahre später hatte Strauss Gelegenheit, sein
verstehen, die den größten Teil des Strauss’schen Versprechen einzulösen, als er, einer Anordnung
Œuvres mehr oder weniger durchgehend prägen. Hans von Bülows folgend, am 20. Oktober 1885 in
Die vordergründige Dominanz des einen oder des Meiningen mit Mozarts c-Moll-Konzert KV 491
anderen Paradigmas war weniger durch den Kon- debütierte.
text einer Schaffensphase als durch die Eigenheit Der schon früh hervortretende missionarische
einer jeweils zu bewältigenden kompositorischen Einsatz für die Musik Mozarts, von dem Ende des
Aufgabe geprägt. Wie stark Strauss’ Phantasie 19. Jahrhunderts nur vergleichsweise wenige
durch einen Stoff gelenkt wurde oder zu lenken Werke zum allgemein bekannten und oft gespiel-
war, hat wohl niemand klarer erkannt als Hugo ten Repertoire gehörten, erreichte während
von Hofmannsthal, der dem Komponisten nach Strauss’ zweiter Münchner Amtszeit als Kapell-
Abschluss der Erstfassung von Ariadne auf Naxos meister einen ersten Höhepunkt. In der Nachfolge
und mit Blick auf die Arbeit an dem stilistisch Hermann Levis übernahm Strauss die musikali-
bereits auf Die Frau ohne Schatten vorausweisen- sche Leitung eines vom Intendanten Ernst von
den Ballett Josephs Legende am 13. Dezember 1912 Possart inszenierten Zyklus’ von Mozart-Opern,
mitteilte: der Maßstäbe für andere Mozart-Interpretationen
Sie tragen in sich, organisch, manches, das ans XVIII., an der Jahrhundertwende setzte (Holden 2001). In
Mozart anklingt. Aber Sie tragen, als reicher, großer einem ausführlichen Werkstattbericht über seine
Musiker, eben vieles in sich. Es kommt darauf an, was Neuinszenierung des Don Giovanni, die 1896
man aufweckt und was man schlafen läßt. […] Im »Ro-
senkavalier«, noch mehr in der »Ariadne« war es recht Premiere hatte, legt Possart dar, wie und warum er
und fruchtbar, das XVIII. Jahrhundert in Ihnen herauf- und sein musikalischer Mitarbeiter Hermann Levi
zurufen. – Hier wäre es grundfalsch, so falsch wie in der sich durch die Orientierung an Mozarts Partitur-
»Salome«. (RSHH 206 f.)
autograph und die enge Anlehnung an den italie-
nischen Originaltext über die mehr als hundert-
jährige Aufführungstradition des Werks hinweg-
86 Ästhetische Positionen

gesetzt haben (Possart 1886). Doch nicht nur die rungen an anderen Wirkungsstätten anknüpfen,
philologisch bereinigte Textbasis, zu der die Wie- obwohl die Opernhäuser weder in Berlin noch in
dereinsetzung der originalen Seccorezitative an- Wien eine dem Münchner Residenztheater ver-
stelle der lange üblichen gesprochenen Dialoge gleichbare Intimität boten. Der Tendenz zu kam-
gehörte, begründeten den Ausnahmerang dieser mermusikalischer Durchsichtigkeit, wie er sie dort
Inszenierung, sondern auch die Wahl des Auffüh- als Ideal kennengelernt hatte, blieb Strauss aber
rungsorts. Statt im großen Hoftheater wurden auch an großen Theatern verpflichtet. Die Umset-
Don Giovanni und andere Mozart-Opern in dem zung dieses Ideals war für ihn nicht notwendiger-
kleineren historischen Residenztheater, dem heu- weise an ein Kammerorchester gebunden, wie er
tigen Cuvilliés-Theater, gegeben, in einem histo- es in München verwendete. Im Vorfeld der Rosen-
rischen Ambiente also, das Possarts szenischer kavalier-Uraufführung distanzierte er sich sogar
Realisierung in ihrem Bemühen um Intimität ausdrücklich von »der neuesten Mode […], die
ideal entsprach. Die zahlreichen Umbauten, die in dahin zielt, Mozart mit kleinem Orchester aufzu-
Don Giovanni oder Così fan tutte vorgeschrieben führen«, und verwies darauf, dass »ein schwaches
sind, ließen sich mit Hilfe einer von Carl Lauten- Orchester keineswegs« Mozarts Wünschen ent-
schläger konstruierten Drehbühne mit unge- spräche (Trenner 1954, 137). Zu diesem Zeitpunkt
wohnter Leichtigkeit realisieren, so dass die Auf- wusste Strauss allerdings noch nicht, dass er schon
führungen nie an Tempo verloren. Und schließlich bald selbst eine Oper mit einem kammermusika-
war das Orchester – mit Rücksicht auf die Raum- lisch besetzten Orchester schreiben würde. – Die
verhältnisse und als klangliches Pendant der szeni- Erfahrungen, die er in München gemacht hatte,
schen Tendenz zum Kammerspiel – reduziert auf sind unverkennbar in die Partitur von Ariadne auf
eine kleine Besetzung. Naxos eingeflossen. Ariadne blieb aber ein einma-
Mehr noch als Don Giovanni galt die Münch- liges Experiment in seinem Opernschaffen. Strauss
ner Inszenierung von Così fan tutte als eine thea- hielt als Komponist und Dirigent am großen Or-
tralische Pioniertat. Denn während Don Giovanni chesterapparat fest, den er auch bei der Interpreta-
sich seit seiner Uraufführung im Repertoire be- tion Mozartscher Werke mit der für sein Dirigie-
haupten konnte und als eines der größten Werke ren insgesamt charakteristischen Transparenz und
Mozarts überhaupt galt, war die Aufführungsge- Flexibilität beherrschte.
schichte von Così fan tutte durch eine Fülle von Schon der junge Strauss war bekannt für seine
Vor- und Fehlurteilen geprägt, die den Blick auf zügigen Tempi, die vielen Zeitgenossen unge-
die außerordentlichen Qualitäten des Werks ver- wöhnlich schnell erschienen (Schmidt-Neusatz
stellten. Im jugendstilgeprägten München der 2003). Einige Mozart-Aufnahmen mit dem Or-
Jahrhundertwende inszenierte Possart Così fan chester der Staatsoper Berlin aus den späten 1920er
tutte mit großem Erfolg als eine Art »Faschings- Jahren dokumentieren nicht nur, dass Strauss den
schwank«, als heiteres Spiel der Liebesverwirrun- in seinen kapellmeisterlichen Anfängen entwickel-
gen (Weber 1978). Strauss, für den Così fan tutte ten Tempovorstellungen weitgehend treu geblie-
als eine »Perle der gesamten Lustspielliteratur vor ben ist, sondern veranschaulichen auch die für
Richard Wagners ›Meistersingern‹« (Strauss 1981, sein Dirigieren charakteristische Strategie der
103) galt, vertrat die Ansicht, es habe »vielleicht bis Tempomodifikation (Holden 1996). In seinen
jetzt doch mehr am Vortrage und an der szeni- Aufzeichnungen über Dirigentenerfahrungen mit
schen Darstellung gelegen, wenn ›Così fan tutte‹ klassischen Meisterwerken weist Strauss darauf hin,
nicht die von ihren Autoren beabsichtigte Wir- dass in schnellen Mozart-Sätzen »im allgemeinen
kung hatte« (ebd., 104). Bei der Einstudierung das gesangliche Seitenthema etwas ruhiger zu
gerade dieser Partitur ließ er größte Sorgfalt wal- nehmen« sei (Strauss 1981, 57) – eine Idee, mit der
ten, so dass Schönheit und dramatische Kraft der er sich als Erbe der Wagnerschen Vortragslehre
Musik in vollkommen ungewohnter Weise zur erweist. Strauss’ Tempomodifikationen sind aber
Geltung gelangten (Münster 1995). keine interpretatorischen Maßnahmen von ledig-
An die Erfahrungen, die er in München sam- lich lokaler Bedeutung, sondern bezogen auf die
melte, konnte Strauss auch bei Mozart-Auffüh- Gesamtanlage eines mehrsätzigen Werks, dessen
8. Strauss und Mozart 87

Struktur durch ein komplexes Beziehungsgefüge und fand einen vorläufigen Abschluss im Musika-
von »adjustments in tempi« (Holden 1996, 41) lischen Lustspiel Der Arzt als Liebhaber (1913). Der
und ihnen korrespondierenden Maßnahmen auf große Erfolg dieser Werke war eine der Vorausset-
den Ebenen der Dynamik und Artikulation plas- zungen für ein neues Interesse an komischen
tisch hervortritt. Opern, die nun in großer Zahl entstanden, dar-
Es ist für Strauss’ Verhältnis zur Musik Mozarts unter auch ein Schlüsselwerk wie Strauss’ Rosenka-
bezeichnend, dass es hinsichtlich der Vortrags- valier. Dass Wolf-Ferraris Siegeszug ausgerechnet
ästhetik keinen wesentlichen Unterschied zwi- im Münchner Residenztheater, der Aufführungs-
schen seinen Mozart-Einspielungen und den stätte des Possart-Strauss’schen Mozart-Zyklus,
Aufnahmen eigener Werke gibt. »Wenn er Mozart begann, haben schon Kritiker der Jahrhundert-
dirigierte«, so erinnerte sich der Kapellmeister- wende als historische Koinzidenz von symboli-
kollege Otto Klemperer, »war das besonders groß- scher Bedeutung bewertet.
artig, weil auch Strauss darin zum Vorschein kam« Die »Mozart-Renaissance«, die sich nach den
(Heyworth 1974, 68). Münchner Modell-Aufführungen auch auf ande-
ren Bühnen fortsetzte, und die Neuorientierung
von Opernkomponisten an Stoffen, die dem
18. Jahrhundert entstammten, fiel im deutschspra-
Kontexte chigen Raum zusammen mit der kurzen Blüte
einer Stilrichtung, die heute als »Neorokoko« be-
Strauss’ starke Affinität zur Musik Mozarts, die zeichnet wird und sich zunächst vor allem in der
sich in seinem Wirken als Dirigent wie in Ästhetik Literatur etablierte. Dabei war, so der Literatur-
und Stil vieler seiner Werke gleichermaßen zeigt, wissenschaftler Martin Schönemann, »die Ver-
konnte sich im frühen 20. Jahrhundert in einem wendung von Rokokoelementen in der Literatur
überaus günstigen kulturellen Umfeld wirkungs- um 1900 gegen die Geschichtsfixierung des Histo-
mächtig entfalten (vgl. Gruber 1985; Seedorf rismus gerichtet […]. Es handelt sich um einen
1990). historischen Bezug, der bewusst unhistorisch
Schon im Jahr der Uraufführung des Parsifal daherkommt« (Schönemann 2004, 27) – eine
(1882) hatte Eduard Hanslick prognostiziert, dass Beobachtung, die auf Otto Julius Bierbaums Ge-
eine Zeit kommen werde, in der sich die Wir- dichtsammlung Irrgarten der Liebe oder die Roko-
kungskraft der Musik Wagners erschöpfen würde. koelemente der Münchner Zeitschrift Jugend
»Zur selben Zeit erscheint dann wohl für die Oper ebenso zutrifft wie auf Hugo von Hofmannsthals
ein neuer ›reiner Thor‹, d. h. ein naiver Tondichter Prolog zu dem Buch »Anatol« oder sein Textbuch
von genialer Naturkraft, vielleicht eine Art Mo- zum Rosenkavalier.
zart, welcher Meister über den ›Meister‹ wird und Das Rokoko – so unscharf man diesen Begriff
die lange musikdramatisch gemaßregelte Mensch- auch verstand – galt bis zum späten 19. Jahrhun-
heit zur Abwechslung wieder musikalisch be- dert als Epoche, über die man in gebildeten Krei-
herrscht« (Hanslick 1884, 330). Zwar stilisierte sen, wenn überhaupt, mit Ablehnung oder Ge-
Friedrich Nietzsche schon im Parsifal-Jahr den ringschätzung sprach. Für junge Künstler der
von ihm hochgeschätzten Peter Gast in einem Jahrhundertwende aber bot gerade diese konserva-
Brief zum »neuen Mozart«, doch erst nach der tive Haltung der älteren Generation eine Möglich-
Jahrhundertwende verlieh die zeitgenössische keit zur Provokation: »Es werden Assoziationen
Presse dem Deutsch-Italiener Ermanno Wolf- geweckt an Luxus und aristokratische Lebens-
Ferrari den Ehrentitel eines »Mozart redivivus«. kunst, an dekadente Genussfähigkeit und an ero-
Wolf-Ferraris als epochal empfundene Wiederbe- tische Sinnenfreude – Assoziationen, die die bür-
lebung der italienischen Buffa-Tradition nahm gerliche Welt armselig aussehen lassen« (ebd.).
1903 ihren Ausgang mit der Uraufführung seiner In zeitlicher Parallele zum literarischen Neo-
Musikalischen Komödie Die neugierigen Frauen, rokoko und verwandten Tendenzen im Bereich
wurde fortgesetzt mit den Vier Grobianen (1906) der angewandten Kunst, vor allem des Buch-
und dem Einakter Susannens Geheimnis (1909) schmucks, wuchs bei vielen Komponisten der
88 Ästhetische Positionen

Jahrhundertwende, angeregt nicht zuletzt durch Dimensionen gewann. Mit Mozart und seinem
den Erfolg Wolf-Ferraris, das Interesse an einer Werk verband Strauss einen vielschichtigen Kom-
kreativen Auseinandersetzung mit der Musik des plex von Assoziationen und Inhalten, die sich zu
späteren 18. Jahrhunderts, als deren Hauptreprä- einem Mozart-Paradigma zusammenschlossen.
sentant Wolfgang Amadeus Mozart galt. Dessen
150. Geburtstag im Jahr 1906 gab Anlass zu einer
Analogien
lebhaften Diskussion über die Aktualität des
Komponisten, die u. a. durch die Parole »Zurück Der Rosenkavalier war das erste Originalwerk, das
zu Mozart!« ausgelöst wurde. Konservative Kriti- aus der exzeptionellen Zusammenarbeit zwischen
ker wie der Wagnerianer Paul Zschorlich sahen in Strauss und Hugo von Hofmannsthal entstand.
den Mozart-Feiern und dem Kampfruf »Zurück Der gemeinsame Nenner, der die beiden so gegen-
zu Mozart!« eine »geschichtliche Verdrehung« und sätzlichen Künstler zusammenführte, war die
eine »Versündigung an Wagner« obendrein Liebe zu Mozart. Für Hofmannsthal verkörperten
(Zschorlich 1906, 97). Die Befürworter der Parole die Mozartschen Opern das Ideal des Musikthea-
wollten allerdings weder eine Rückkehr zum Mo- ters schlechthin, viel mehr als die Musikdramen
zart-Stil noch eine Leugnung dessen, was sich in Wagners. In ihrem Briefwechsel, in dem beide
der Musik seit Wagner getan hatte. Der Name Männer sich ihrer künstlerischen Positionen ver-
Mozart stand für eine Vision, die Utopie einer gewisserten, erscheinen die Opern Mozarts als
modernen Musik, die sich die ästhetische Qualität Anknüpfungspunkt, der eine rasche Verständi-
der Musik Mozarts, nicht deren Stil oder kompo- gung möglich machte.
sitorische Faktur zum Vorbild nimmt. Um zwi- Hofmannsthal dachte zunächst an die Um-
schen den beiden konträren Positionen zu vermit- gestaltung einer ursprünglich als Sprechdrama
teln, formulierte Felix Weingartner die Parole um: konzipierten Komödie mit dem Titel Cristinas
»Vorwärts zu Mozart!« sollte als Aufforderung Heimreise und er rechnete damit (wie er Strauss
verstanden werden, mit »unseren modernen Aus- am 4. Juli 1908 schrieb), dass der Komponist von
drucksmitteln im Geiste Mozarts zu schaffen« ihm »eine gewisse Transponierung des Ganzen ins
(Weingartner 1912, 112). Vereinfachte und Lyrische verlangen [werde], wie
Strauss war die zeitgenössische Diskussion über sie Da Ponte an dem Lustspieltext von ›Figaros
die Aktualität Mozarts nicht nur vertraut, er hat Hochzeit‹ vorgenommen hat« (RSHH 40). Der
auch selbst zu ihr beigetragen. Im Vorfeld der Ro- ursprüngliche Plan wurde zwar aufgegeben, nicht
senkavalier-Uraufführung gab er in einem Interview aber die spezifische Bezugnahme auf Mozarts
zu Protokoll, bei der Komposition dieses Werks sei Oper. Im Mittelpunkt des Rosenkavalier steht die
»Mozartscher Geist« in ihm aufgestiegen. Von Ten- Titelfigur, der siebzehnjährige Octavian, den die
denzen zur restaurativen Wiederbelebung des Autoren als eine Art »Wiedergänger des Mozart-
18. Jahrhunderts, wie sie in den Werken Wolf-Fer- schen Cherubin« konzipierten (Vogel 2001, 98).
raris zu erkennen sind, wollte er sich aber entschie- Dem selbst geschaffenen Vorbild Octavian und
den distanzieren. Daher ist der Nachsatz zur eben damit indirekt auch dem Pagen im Figaro ver-
zitierten Äußerung bezeichnend: »aber ich bin mir pflichtet ist die Gestalt des Komponisten im Vor-
doch selbst treu geblieben« (Trenner 1954, 137). spiel zur zweiten Fassung von Ariadne auf Naxos.
Neben der androgynen Jugendlichkeit der Figur
war es außerdem die historische Person des jungen
Mozarts selbst – »etwa am Hof von Versailles oder
Das Mozart-Paradigma bei den Banausen des Münchner Hofes, für den
[er] als 16jähriger ›Idomeneo‹ komponiert hat« (an
Der Name Mozarts stand für Strauss, aber auch für Hofmannsthal, 16.4.1916; RSHH 335) –, die
einige seiner bedeutendsten Zeitgenossen wie Fer- Strauss’ Konzeption dieser Partie leitete.
ruccio Busoni oder Max Reger für eine Idee von Von der Frau ohne Schatten meinte Hofmanns-
Musik, die ihren Ursprung zwar im Werk des gro- thal in einem früheren Stadium der Planung, sie
ßen Klassikers hatte, von diesem aus aber abstrakte »verhielte sich, beiläufig gesagt, zur ›Zauberflöte‹
8. Strauss und Mozart 89

so wie sich der ›Rosenkavalier‹ zum ›Figaro‹ ver- und ›Urbilder‹ […], nicht zu erkennen mit dem
hält: das heißt, es bestände hier wie dort keine Auge, nicht zu erfassen mit dem Verstande, als
Nachahmung, aber eine gewisse Analogie« (an Göttlichstes nur von dem Gefühl zu ahnen, dem
Strauss, 20.3.1911; RSHH 113). Diese »gewisse das Ohr sie ›einzuatmen‹ gewährt« (ebd., 107). In
Analogie« ist aber eine abstrakte Kategorie ohne seinem eigenen Komponieren suchte Strauss eine
hörbaren Widerhall an der Oberfläche der Musik, eigene Form des schönen Melos, dessen Leitbild
für deren Konzeption die zitathaften Anspielun- das Ideal, nicht aber die konkreten Gestalten der
gen auf die Musik des 18. Jahrhunderts, wie sie für Mozartschen Melodien war.
den Rosenkavalier und insbesondere Ariadne auf Hofmannsthal hatte Strauss’ eminente Bega-
Naxos so charakteristisch sind, stoffbedingt keine bung für die melodische Ausgestaltung emotional
Bedeutung besaßen. zentraler Momente früh erkannt und sich schon
in der Rosenkavalier-Dichtung darum bemüht,
den handlungstragenden Dialog immer wieder
Ideale
durch Passagen zu unterbrechen, die er selbst als
Schon in den ersten Zeugnissen, die Strauss’ Sicht »arienhaft« bezeichnete. Gegenüber Harry Graf
auf die Musik Mozarts dokumentieren, begegnen Kessler bekannte er:
Formeln, die für ihn zeitlebens mit dem Namen Nun muß aber das Arienhafte sein, denn mache ich dem
des Komponisten verknüpft blieben. Gegenüber Strauss eine arienlose Dialog-oper, so componiert er
Ludwig Thuille schwärmte der Vierzehnjährige, (ohne viel Kritik zu üben) drüber hinweg – und es ent-
steht […] ein in sich completes Stück über das er eine –
die Werke Mozarts seien »so klar und durchsichtig« entbehrliche – Symphonie schüttet wie sauce über den
(Trenner 1980, 42), und 1893, während der Arbeit Braten. Durch die Arien zwinge ich ihn, die Hauptfigu-
an Guntram, notierte Strauss, es werde »eine ren durch die Stimmführung zu charakterisieren (nicht
bloß durch Orchester) – und nur so kann eine organische
schwere Sache« sein, dieses Werk »›durchsichtig Oper entstehen. (30.5.1909; Burger 1968, 234)
und mozartisch‹ zu instrumentieren« (Schuh 1976,
299). ›Durchsichtigkeit‹ im Sinne einer klanglich- Durch den Rückgriff auf Modelle der Oper des
strukturellen Transparenz, die nicht durch einen 18. Jahrhunderts und ihre strikte Trennung zwi-
Mangel an kompositorischer Substanz erkauft schen Rezitativ und Arie gelangen Hofmannsthal
wird, blieb eine zentrale Idee des Strauss’schen und Strauss in Ariadne auf Naxos eine Annäherung
Komponierens, die er bis an sein Lebensende im- ihrer ästhetischen Positionen, die aber bereits in der
mer wieder mit dem Namen Mozarts verknüpfte. Frau ohne Schatten wieder zum Teil aufgegeben
In Ausführungen über seine Arbeitsweise teilte wurden, obwohl »das Arienhafte« auch in diesem
Strauss 1918 dem Kritiker Max Marschalk mit: »Das Werk von großer Bedeutung ist. Während der
Vollkommenste an Melodienbildung finden Sie bei Arbeit an Arabella, dem letzten gemeinsamen Werk,
Mozart; er hat die Leichtigkeit, die eigentlich das war es hingegen Strauss, der einen Mangel an Mög-
Ziel ist« (Trenner 1954, 80). Nach dem Zeugnis lichkeiten zur melodischen Entfaltung beklagte:
Stefan Zweigs bekannte Strauss über sich selbst, »Wäre in ›Arabella‹ etwas mehr Lyrik anzubringen?
ihm fielen »keine langen Melodien ein wie dem Die Arie ist nun einmal die Seele der Oper! Und
Mozart. Ich bringe es immer nur zu kurzen The- derartiges fehlt stark! Geschlossene Nummern, dazwi-
men« (Zweig 1970, 418). Gegenstück zu dieser schen Rezitativ! Das war, ist und bleibt die Oper!«
Aussage über die Grenzen der eigenen Begabung ist (an Hofmannsthal, 9.5.1929; RSHH 689).
die selbstbewusste Fortführung der Selbstauskunft:
»Aber was ich verstehe, ist dann so ein Thema zu
Distanz
wenden, zu paraphrasieren, aus ihm alles heraus-
zuholen, was drinnen steckt, und ich glaube, das Trotz, vielleicht aber auch gerade wegen seiner in-
macht mir heute keiner nach« (ebd., 418 f.). nigen Affinität zu seinem großen Vorbild hat
Im hohen Alter, als er sich besonders intensiv Strauss in seinen Werken auffällig Distanz zu Mo-
mit Mozart befasste, bezeichnete Strauss Mozarts zart gehalten. »Es gibt«, wie Stefan Kunze betont,
Melodie als »Offenbarung der menschlichen »keine Mozart-Variationen, keine Kompositionen
Seele« (Strauss 1981, 108), als »die Platonsche ›Idee‹ ›à la Mozart‹ im ›Rokokostil‹ und (mit einer aller-
90 Ästhetische Positionen

dings bedeutsamen Ausnahme) keine Mozart-Be- übereinander gefügten Zitaten aus unterschied-
arbeitungen. Sogar die Anklänge, schon gar Zitate lichsten Werken beinahe unter. Genau das aber
aus Mozart sind im Werk überaus selten« (Kunze scheint Strauss beabsichtigt zu haben: Die Musik
1992, 12 f.). Auch dort, wo er seine eigene Musik in Mozarts soll nicht wie die Melodien Verdis und
die Nähe Mozartscher Vorlagen rückt, wie in der anderer Komponisten an der sinnlich wahrnehm-
Phrase »Du wirst mich befreien« in Ariadnes gro- baren klanglichen Oberflächliche erscheinen,
ßer Arie, in der das Rondo »Non temer, amato sondern allenfalls durch das dichte Gewebe des
bene« KV 490 aus der Wiener Fassung des Idome- Tonsatzes schimmern.
neo anklingt, oder im Schlussduett des Rosenkava-
lier (»Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein«), hat
Ansatzpunkte
Strauss seiner Musik unverkennbar seinen eigenen
Stempel aufgeprägt. Das Rosenkavalier-Duett spielt Auch wenn Strauss als Komponist Distanz zu
ohnehin nur auf den Anfang des Mozartschen Mozart hielt, so finden sich in seinen Partituren
Vorbilds – »Könnte jeder brave Mann solche durchaus auch strukturelle Spuren seiner Ausein-
Glöckchen finden« aus der Zauberflöte – an und andersetzung mit der Musik seines Idols. Auf einer
das nicht einmal wörtlich; vor allem aber entfaltet sehr allgemeinen Ebene gehört etwa die Wahl von
es durch ein viel langsameres Tempo und eine auf Tonarten in diesen Bereich. Die Festlegung tona-
Klangdichte zielende Artikulation einen völlig an- ler Bereiche war, wie sich anhand zahlreicher
deren Charakter als das muntere Geplauder Pami- Randnotizen in den Librettohandschriften nach-
nas und Papagenos. Bei der »träumerisch« vorzu- weisen lässt, einer der ersten Schritte bei der
tragenden Reprise (ab Zi. 303) setzen die zwischen Komposition von Bühnenwerken. Nach Willi
die Duettzeilen platzierten chromatisierenden Ak- Schuh beruht Strauss’ Tonartenwahl »ganz we-
korde aus der Szene der Rosenüberreichung einen sentlich auf Erinnerung« (Schuh 1971, 175) an
prägnanten klanglichen Kontrapunkt zur schlich- Modelle der Tradition, auf die er sich implizit be-
ten Diatonik der Singstimmen und rücken die zog. So ist beispielsweise die Wahl von Es-Dur für
Mozart-Allusion in eine ästhetische Ferne – die den Schluss des ersten Rosenkavalier-Aktes in die-
Musik Mozarts ist in der von Strauss aufgehoben. sem Sinne auf die in derselben Tonart stehende
Im Gegensatz zum Schlussduett sind andere erste Arie der Gräfin in Le nozze di Figaro zu be-
»Mozartismen« des Rosenkavalier (Tenschert 1944, ziehen, in der sie ihrer Angst um den Verlust ihrer
73 f.) wie die Musik zur Frühstücksszene im ersten Liebe Ausdruck verleiht. Ähnliches gilt für den
Akt, eine für das ganze Werk typische Melange aus Anfang von Ariadnes großer Arie »Ein Schönes
Menuett und Walzer, von einer unspezifischen war«, auch sie eine Reflexion über die Vergäng-
Nähe zur Musik des 18. Jahrhunderts, als dessen lichkeit einer Liebesbeziehung.
Hauptrepräsentant zwar Mozart galt, dessen Werk Greifbarer ist Strauss’ kompositorische Bezug-
hier aber wie an vielen anderen vergleichbaren nahme auf Mozart in der Anlage von Ensemble-
Stellen nicht nur dieses Werks als Referenzpunkt sätzen in den späten Opern. Für sie berief er sich
nicht zwingend erkennbar ist. in einem Brief an Clemens Krauss, geschrieben
Es ist bezeichnend für Strauss’ kreative Bezie- am 26. Januar 1940 während der Arbeit an Capric-
hung zu Mozart, dass er, der in so vielen seiner cio, ausdrücklich auf sein Idol: »Ich komme immer
Werke Musik anderer Komponisten zitiert, auch mehr von der Gleichzeitigkeit ab und wenn schon
in dieser Hinsicht Abstand zu seinem Idol hält, Ensemble, dann ein bereits bekannter Cantus fir-
wenngleich ein so überaus zitatfreudiges Werk wie mus, also bei uns die Fortsetzung des durch die
Die schweigsame Frau ein echtes Mozart-Zitat Comtesse unterbrochenen Duetts und dazu Ge-
enthält. Der Beginn von Papagenos Vogelfänger- genstimmen, deren Text man nicht mehr genau zu
Lied bildet im ersten Akt (Zi. 32) einen ironischen verstehen braucht oder die rythmisch [!] so stark
Kontrapunkt zu Morosus’ Klage über die Lärmbe- contrastieren, wie es Mozart so vollendet gelingt«
lästigung, als welche er Musik empfindet. Mozarts (RSCK 304 f.). Für ein besonderes Ensemble, den
Melodie geht jedoch in dem dichten »Klangspek- Kanon der vier Königinnen in Die Liebe der Da-
takel« (Partsch 1984, 222) von gleich fünf in- und nae, hat Strauss sich sogar explizit auf ein Mozart-
8. Strauss und Mozart 91

sches Modell bezogen, den Kanon im zweiten Fi- der auf dem Dach sitzt‹ die Rede ist [Don Alfonso
nale von Così fan tutte. Dessen strukturelle Beson- in Così fan tutte II/9: »che folle è quel cervello / che
derheit, die Verbindung von drei kanonisch sulla frasca ancor vende l’ucello.«], gerne das Mo-
geführten Stimmen (Fiordiligi, Dorabella, Fer- tiv des Waldvogels aus dem ›Siegfried‹« (Patzak
rando) mit einer deklamatorisch geprägten Ge- 1956, 275). Auch auf der Ebene der Aufführungs-
genstimme (Guglielmo), hat Strauss in höchst praxis verstand Strauss das imaginäre Museum der
individueller Weise adaptiert. Auf dem Particell Musikgeschichte als einen Referenzraum, auf den
dieses Kanons hat er seine Anreger sogar aus- er nach Belieben zugreifen konnte.
drücklich genannt: »Così fan tutte und Clemens Die Dialogstruktur des Ariadne-Vorspiels beruht
Krauss halfen diesmal« (Aringer-Grau 2002, 48). in weiten Teilen auf den Elementen, die Strauss an
Die am deutlichsten auf der Oberfläche er- den Rezitativen in Così fan tutte hervorhob: be-
kennbare kompositorische Bezugnahme auf das ständiges Alternieren von akkordgestützten und
Modell der Mozartschen Oper ist Teil von Strauss’ motivgeprägten Rezitativen und melodisch ausge-
lebenslanger Auseinandersetzung mit dem Pro- formten kleinen Nummern, die noch durch gespro-
blem der Dialoggestaltung. Schon bei ersten chene Prosa ergänzt werden. Die Einflechtung se-
Überlegungen zum Rosenkavalier, im Oktober mantisch besetzter Motive aus der nachfolgenden
1908, erwog Strauss die Hofmannsthal »ungeheuer Oper, die gleichsam auf Stichwort erklingen, ent-
vielversprechend« erscheinende Idee einer »Ab- spricht Strauss’ aufführungspraktischem Umgang
wechslung zwischen geschlossenen Nummern und mit Mozarts Partitur, wie er von Patzak bezeugt ist.
anderen Stellen, welche den alten Secco-Rezitati- Strauss hat dieses Dialogverfahren in Inter-
ven nahekommen werden« (RSHH 50). Doch erst mezzo zwar weiterentwickelt und auf ein abend-
bei der Konzeption des Vorspiels zur zweiten Fas- füllendes Werk übertragen, sich später aber von
sung von Ariadne auf Naxos, einem Werk, das wie der Idee eines modernen Secco-Rezitativs wieder
kein anderes von Strauss auf eine »ästhetische Re- distanziert. Hofmannsthal ließ er am 14. Oktober
konstruktion der Oper« (Kunze 1981) zielt, gewann 1923 im Zusammenhang mit konzeptionellen
diese Idee an Aktualität. Strauss’ Modell für die Überlegungen zur Ägyptischen Helena wissen: »Ich
Konzeption des Vorspiels, über das er nachträglich finde das sog. Mozartsche Seccorezitativ (mit
im Vorwort zu Intermezzo berichtete, waren offen- Klavier) keine sehr glückliche Kunstform und
kundig die Rezitative in Così fan tutte, einem Werk fange an, den [gesprochenen] Dialog zwischen
also, mit dem er engstens vertraut war und das er den immer desto frischer wirkenden Musikstü-
besonders liebte. Strauss hebt als Besonderheit der cken wieder mehr und mehr zu lieben« (RSHH
Rezitativgestaltung in diesem Werk hervor, »daß 498). Gegenüber Stefan Zweig wurde Strauss gut
in Momenten, wo der Dialog mit lyrischen Zügen neun Jahre später noch deutlicher: »Ich fürchte,
durchsetzt ist, das Orchester vorübergehend die Seccorecitativ gelingt mir und liegt mir auch
Begleitung übernimmt« (Strauss 1981, 140). Doch nicht, in seiner diatonischen und harmonischen
auch die nur vom Continuo auszuführenden Par- Mozartschen Einfachheit paßt es auch kaum zum
tien bestehen in Così fan tutte – wie im Übrigen sonstigen Styl meiner Musik« (16.12.1932, RSSZ
auch in vielen anderen Werken nicht nur Mo- 34). Die Erfahrungen, die Strauss mit der Kompo-
zarts – keineswegs nur aus liegenden Akkorden, sition des Ariadne-Vorspiels und von Intermezzo
sondern sind häufig durchsetzt von kleinen Moti- gemacht hatte, wirkten aber gleichwohl bis ins
ven oder gehen vom reinen Rezitativ in ariose Spätwerk nach und bestimmten die Nummern-
Abschnitte über. Bei den von ihm geleiteten Auf- struktur der Schweigsamen Frau ebenso wie den
führungen pflegte Strauss die Secco-Rezitative spezifischen Konversationston von Capriccio.
selbst vom Cembalo aus zu begleiten. Nach dem
Bericht Julius Patzaks »beschränkte er sich nicht
Idomeneo – von Mozart und Strauss
darauf, nur die Akkorde zu spielen, sondern
schmückte gerne die Rezitative durch kleine mu- Einen Sonderfall in Strauss’ Auseinandersetzung
sikalische Zitate und Anspielungen aus. So spielte mit Mozart stellt die Bearbeitung von dessen
er meist in dem Rezitativ, in dem von dem ›Vogel, Opera seria Idomeneo dar, die 1781 in München
92 Ästhetische Positionen

uraufgeführt und 1786 von Mozart für eine Auf- ordneten Musik veränderte. Die Phrase »Grecia,
führung in Wien überarbeitet worden war. Das cagion tu sei« in Ilias erster Arie wird von Waller-
Werk, heute fester Bestandteil des Opernreper- stein zunächst mit »Pflicht sagt: gedenk’ der Fre-
toires, war im frühen 20. Jahrhundert kaum be- vel« übersetzt, in der variierten Reprise heißt es
kannt. Strauss allerdings hatte sich schon früh mit hingegen »Schweigen! Leiden! Ihr seid der Seele
ihm auseinandergesetzt und bekannte, »daß ein- geheime Wächter«.
zelne Stücke wie die Zefirettenarie und das be- Dahinter erkennbar ist schon auf der Ebene der
rühmte Es-Dur Quartett schon Lieblingsstücke Dichtung ein »Streben nach der von Wagner ver-
meiner frühesten, hauptsächlich mit Mozart ver- langten Einheit von Wort, Ton, Gebärde und
lebten Jugend« gewesen seien (Grasberger 1967, Bild« (Wallerstein 1932, 166), das auch in Strauss’
338). Angeregt durch Clemens Krauss schuf Eingriffen in die originale Partitur zu beobachten
Strauss gemeinsam mit dem Regisseur Lothar ist. Im Gegensatz zu Wolf-Ferrari, der sich in sei-
Wallerstein eine »vollständige Neubearbeitung« ner Idomeneo-Bearbeitung darum bemühte, die
des Werks, die am 16. April 1931, 150 Jahre nach eigenen Anteile, insbesondere die selbst kompo-
der Uraufführung des Originals, an der Wiener nierten Secco-Rezitative, dem Stil Mozarts – bes-
Staatsoper ihre erste Aufführung erlebte – zwei ser: dem, was man in dieser Zeit darunter ver-
Monate vor der Uraufführung der Idomeneo-Bear- stand – anzunähern, vertrat Strauss die Ansicht,
beitung von Ermanno Wolf-Ferrari für das Cuvil- dass sich die von ihm kompositorisch verantwor-
liés-Theater in München. teten Teile bewusst vom Mozartschen Original
In einem Brief an Bruno von Niessen, den absetzen sollten. Bezeichnenderweise berief er sich
Oberspielleiter der Städtischen Bühnen in Han- zur Legitimation der Stilbrüche u. a. auf Wagner,
nover, erklärte Strauss im Rückblick, »daß mich der »seinen jugendfrischen ›Tannhäuser‹ mit eini-
immer der Gedanke beschäftigte, wie es möglich gen Tristanklängen aufgeputzt« habe (Grasberger
wäre, die unsterblichen Schönheiten auch dieses 1967, 338). Bei aller hohen Wertschätzung von
Mozartschen Werkes einem ernsten und wirklich Mozarts Werk betonte Strauss dessen Fremdartig-
kunstliebenden Publikum näher zu bringen« keit, die in einem aktuellen Rezeptionskontext
(ebd.). In seiner Bearbeitung beließ es Strauss problematisch geworden sei: »Der Opera seriastyl
nicht bei »einfachen Kürzungen der endlosen Re- des herrlichen Mozart ist für unsere heutigen
citative und normalen Kapellmeisterstrichen in Ohren 2½ Stunden nicht gut erträglich. So schön
den allzu langen Musikstücken« (ebd.), sondern die Arien sind, es sind keine Figaroarien und ich
gestaltete das Werk grundlegend um (Kohler 1981; selbst fühlte bei der Wiener Aufführung, wie wohl
Holden 1996). Wallerstein schuf einen vollkom- die paar Unterbrechungen durch einige ›moderne
men neuen Text, der zwar der originalen Hand- Orchesterklänge‹ taten, ohne die das Gefühl einer
lung im Wesentlichen folgt, aber in vielen ent- allmählichen Monotonie schwer zu bannen ist«
scheidenden Details vom Libretto des Abbate Va- (Brief an von Niessen, 11.4.1932; Brosche/Dachs
resco abweicht. So wurde aus der mykenischen 1979, 368).
Prinzessin Elektra (Elettra), deren Name innerhalb Neben einem großen Schlussensemble expo-
des Strauss’schen Œuvres durch sein eigenes niert vor allem das orchestrale Interludio, das un-
gleichnamiges Musikdrama besetzt war, die fana- mittelbar auf den im Original den zweiten Akt
tische Poseidon-Priesterin Ismene. Die Einteilung beschließenden Chor »Corriamo, fuggiamo quel
des Werks in drei Akte blieb zwar erhalten, doch mostro spietato« (bei Wallerstein: »Aus Tiefen des
haben die Bearbeiter die Szenenfolge verändert: Meeres erhebt sich ein Untier«) folgt, »moderne
Der zweite Akt schließt nicht mehr mit dem Orchesterklänge« und entfernt sich im exzessivem
»Flucht«-Chor, sondern mit Elektras (bzw. Isme- Gebrauch von Alterationsharmonik und klang-
nes) letzter Arie. Wallerstein griff außerdem tief in licher Massierung weit von der Tonsprache Mo-
die dichterische Struktur ein, indem er die Lyrik zarts, auch wenn ein Fragment aus Idomeneos
der originalen Dichtung in Prosa verwandelte letzter – bei Strauss/Wallerstein gestrichener – Arie
oder Arien-Verse, die bei Mozart-Varesco iden- »Torna la pace« im Zentrum dieses Satzes zitiert
tisch sind, bei der Wiederkehr der ihnen zuge- und dann in seinen eigenen Satz integriert wird.
8. Strauss und Mozart 93

In den meisten Fällen aber vermeidet Strauss ging es Strauss nicht um einen Bruch mit der
krasse Stilbrüche. Einige Charakteristika der Ido- Tradition des 19. Jahrhunderts (vgl. Seedorf 1999).
meneo-Partitur wie fließende Übergänge zwischen Die grundlegende Differenz zwischen Strauss’ su-
Arie und Rezitativ, die Verbindung mehrerer jetbedingtem Klassizismus und der »klassizisti-
Nummern zu größeren Szenenkomplexen, der schen Moderne« als einer Erscheinungsweise der
häufige Wechsel von Secco- zu Accompagnato- Neuen Musik verringerte sich aber im Laufe der
Rezitativ und die Vorausnahme und Wiederkehr Jahrzehnte, da Letztere allmählich ihren antitradi-
einzelner Arien-Motive in rezitativischen Partien tionalistischen Stachel einbüßte und selbst zu ei-
entwickelte Strauss weiter, indem er alle Arien, ner etablierten Tradition des Komponierens
Ensembles und Chöre mit motivisch durchstruk- wurde. In diesem Kontext lassen sich einige der
turierten Accompagnato-Rezitativen verband. Instrumentalwerke des alten Strauss als Beiträge
Dabei griff er zum Teil auf Mozarts Original zu- zur Spätphase des musikalischen Neoklassizismus
rück, weite Strecken aber hat er unter Verwendung verstehen, als Werke, die entgegen der Meinung
Mozartscher Motive vollkommen neu kompo- ihres Autors sehr wohl von »musikgeschichtlicher
niert, so dass Mozarts Idomeneo beinahe wie eine Bedeutung« sind, da sie, wenn auch auf sehr indi-
Vorstufe des Musikdramas erscheint. viduelle Weise, teilhaben an allgemeinen kompo-
sitorischen Tendenzen ihrer Entstehungszeit.
Mozart war der Komponist, mit dem sich
»Den Manen des göttlichen Mozart«
Strauss in seinen letzten Jahren besonders intensiv
Den Brand der Münchner Oper bezeichnete auseinandersetzte. In Strauss’ Musikgeschichtsphi-
Strauss in einem Brief an Willi Schuh vom 8. Ok- losophie stand Mozarts Musik am Beginn einer
tober 1943 als »die größte Katastrophe, die je in letzten und höchsten Blütezeit der »Culturge-
mein Leben eingebrochen ist« (RSWS 50). Am schichte« (Strauss 1981, 108), die im eigenen Werk
Ende seines Lebens und im Angesicht der Ver- ihren Ziel- und Endpunkt fand. Einige von Strauss’
nichtungen des Zweiten Weltkriegs betrachtete späten Instrumentalwerken sind letzte Dokumente
Strauss sein Lebenswerk als abgeschlossen. Kom- eines Komponierens »im Geiste Mozarts«. Nicht
poniert und über Musik nachgedacht hat er in den zufällig widmete Strauss die zweite seiner beiden
Jahren, die ihm bis zu seinem Tod 1949 verblieben, groß besetzten Bläsersonatinen in Es-Dur TrV 291
aber dennoch. Auch wenn er die Werke, die nach gleichsam ›inoffiziell‹ – offizieller Widmungsträger
Capriccio entstanden, als »Handgelenksübung« ist der Schweizer Mäzen Werner Reinhart – »Den
ohne »musikgeschichtliche Bedeutung« (ebd., Manen des göttlichen Mozart am Ende eines
50 f.) bezeichnete, so sind sie doch Teil seines Dankerfüllten Lebens«. Zum kurz zuvor ent-
Œuvres, und trotz der Behauptung, er schreibe nur standenen Schwesterwerk, der F-Dur-Sonatine
noch für die Nachlass-Schublade, sind die meisten TrV 288 mit dem Titel »Aus der Werkstatt des In-
dieser Werke noch zu Lebzeiten des Komponisten validen«, hätte diese Dedikation weitaus weniger
aufgeführt worden. Nicht zuletzt hat Strauss auch gepasst, denn es ist im Wesentlichen eine Erinne-
an ihrer Drucklegung aktiv mitgewirkt. rung an die romantische Bläserkammermusik des
Mit seiner Musik zum Bürger als Edelmann 19. Jahrhunderts, deren Tradition der junge Strauss
oder zu Ariadne auf Naxos hatte Strauss am Beginn mit seiner Serenade TrV 106 und der Suite TrV 132
des Jahrhunderts Werke komponiert, die bewusst aufgegriffen hatte. Selbst der mit »Tempo di Me-
historische Modelle des 17. und vor allem 18. Jahr- nuetto« überschriebene Mittelteil des zweiten Sat-
hunderts aufgreifen und aktualisieren. Trotz einer zes des F-Dur-Werks bezieht sich nicht auf durch
gewissen Nähe zu Verfahrensweisen, wie sie Igor Mozart vermittelte Modelle, sondern greift auf
Strawinsky nur wenige Jahre später seinen neo- jene klassizistischen Tonfälle zurück, wie sie in
klassizistischen Werken zugrunde legte, lässt sich einigen Werken von Johannes Brahms (etwa im
Strauss nicht ohne weiteres zu einem Vorbereiter 4. Satz der A-Dur-Serenade op. 16) begegnen.
des Neoklassizismus erklären, denn anders als für Den dritten Satz der Es-Dur-Sonatine hat
Strawinsky und viele andere neoklassizistische Strauss dagegen nicht nur in klassischer Manier als
Komponisten der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Menuett mit zwei Trios angelegt, sondern in der
94 Ästhetische Positionen

Themenprofilierung deutlich an die Serenaden- des Rosenkavalier-Schlussduetts, das seinerseits


musik des 18. Jahrhunderts angelehnt: In dem eine Mozart-Allusion darstellt. Im Oboenkonzert
punktierten auftaktigen Hauptmotiv lässt sich erscheint es gleichsam wie die träumerische Erin-
sogar eine Allusion an das Menuettthema aus nerung an eine selbst schon träumerische Situa-
Mozarts A-Dur-Symphonie KV 201 erkennen – tion. In ihr – und damit im Strauss’schen Melos –
Strauss hatte dieses Werk in einem Konzert mit manifestiert sich, nach Stefan Kunze, »Erinne-
den Wiener Philharmonikern am 7. August 1942 rung, Innewerden eines Vergangenen und der
bei den Salzburger Festspielen noch ein letztes Vergänglichkeit, Bewußtsein dafür, daß der
Mal dirigiert (RSCK 463). Auch die Themen- schöne, glückliche, vollendete Augenblick, für den
bildung und -verarbeitung des zweiten Satzes das melodische Gebilde steht, in seiner Erschei-
folgt klassischen Mustern, die freilich u. a. durch nung bereits ein vergangener und abgeschlossener,
Mittel der metrischen Verunklarung in typisch dem Zeitfluß entzogener ist« (Kunze 1992, 21).
Strauss’scher Weise überformt sind. Auch in seinen letzten Werken, in denen die
Von solchen Annäherungen ist das Oboenkon- Affinität zu Mozart hervortritt, ist Strauss sich
zert TrV 292 frei. Seine Klassizität ist in der drei- selbst »treu geblieben«. Mit dem großen instru-
sätzigen Formanlage, der Transparenz seiner mentalen Abgesang der Metamorphosen TrV 290,
Strukturen und nicht zuletzt in seiner musikanti- die auch eine Auseinandersetzung mit Beethoven
schen Musizierhaltung begründet, die allerdings, sind, und seinem vokalen Pendant, den auf die
wie angedeutet, im Kontext der 1940er Jahre kaum eigenen kompositorischen Anfänge und auf die
mehr allein als Merkmal einer individuellen Aus- Tradition einer in der Romantik wurzelnden Mu-
einandersetzung mit klassischen Modellen gese- sik zurückverweisenden sogenannten »Vier letzten
hen muss. Einen indirekten Mozart-Bezug hat Liedern« TrV 296, zeigte er, dass er, um noch ein-
Strauss aber dezent in die Partitur eingewoben: mal Hofmannsthal zu zitieren, auch im Alter ein
Am Ende des zweiten Satzes (bei Zi. 32) erklingt »großer, reicher Musiker« geblieben ist, der »eben
in den Hörnern eine Reminiszenz an den Anfang vieles in sich« trägt.

Literatur

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8. Strauss und Mozart 95

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1990. Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen
–: Richard Strauss und seine Zeitgenossen 1910–1949. eines Europäers [1942]. Frankfurt a. M. 1970.
In: Direktion der Münchner Philharmoniker (Hg.): Zschorlich, Paul: Mozart-Heuchelei. Ein Beitrag
Richard Strauss und die Moderne. München o. J. zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Leipzig
[1999], 97–117. 1906.
96

9.
Kulturgeschichte und Oper
Von Katharina Hottmann

Am 8. Oktober 1943 schrieb Richard Strauss an eine Konzeption historischer Sinnstiftung, die
seinen designierten Biographen, den Zürcher dem Zeitgeist der 1920er und 1930er Jahre bestens
Musikkritiker Willi Schuh: »Ich kann nur in Mu- entsprach: einem Zeitgeist, der nicht nur durch
sikgeschichte denken und da gibt es nur den einen Experimentierfreudigkeit, Kreativität und Auf-
ganz schroffen Wagnerschen Standpunkt: die bruchsstimmung gekennzeichnet war, sondern
Klassiker von Bach ab bis Beethoven, von da nur gleichermaßen durch Krisenbewusstsein und
die eine Linie: Liszt, Berlioz, Wagner und meine konservative Defensive. Strauss fand hier einen
bescheidene Wenigkeit« (RSWS 49). War Strauss Interpretationsrahmen für die Oper, die für ihn
seit Jugendzeiten ein geschichtsbewusster und seit der Beschäftigung mit Wagner als einzig rele-
-interessierter Mensch, so wurde in den letzten vante ästhetische Gattung zählte. Ins Zentrum
Jahrzehnten seines Lebens »Geschichte« zu einem seines Geschichtsbildes rückte nun aber die Vor-
zentralen Paradigma seines künstlerischen Selbst- stellung, die Gattung Oper bilde nicht nur das
verständnisses und seiner Weltsicht. Unter dem Telos der musikgeschichtlichen Entwicklung,
Schlagwort »Kulturgeschichte« skizzierte er in den sondern der ganzen Menschheitsgeschichte. Diese
1930er und 1940er Jahren in Schreibheften, Brie- ziele auf ein immer tiefergehendes psychologisches
fen und Gesprächen Stichpunkte eines Deutungs- Selbst-Verstehen des Menschen, das in der Musik
musters, mit dem er die Geschichte der Künste seine vollkommenste Realisierung finde. So knapp
und seine eigene Position darin zu fassen suchte. wie apodiktisch formulierte er diese Überzeugung
Das Musikgeschichtsverständnis des jungen in einigen Sätzen, die er in sein Exemplar von
Strauss war seit den mittleren 1880er Jahren von Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit schrieb:
Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und ihren Das Schlußkapitel der Menschen- u. Kulturgeschichte
Ausformulierungen durch Arthur Schopenhauer hat die Musik seit Joh. Seb. Bach geschrieben. Alles Den-
und Richard Wagner geprägt, die ihm Alexander ken des Verstandes, Suchen Gottes, Erforschung der Seele
mündet in die unmittelbare Offenbarung der menschli-
Ritter vermittelt hatte; seit etwa 1893 jedoch lehnte chen Seele, die sich der Mozartschen Melodie u. dem
er – motiviert durch Friedrich Nietzsche, aber Orchester Rich. Wagners der Welt kundgibt. (Friedell
auch Max Stirner – Begriffe wie Erlösung oder 1928, [77], s. Abb. 1)
Verneinung ab (u. a. Youmans 2005). Strauss’ Schon als Strauss 1903 für die von ihm herausge-
Tondichtungen, vor allem seit Till Eulenspiegel gebene Buchreihe Die Musik ein Geleitwort ver-
(1894/95), lassen sich in einen plausiblen Zusam- fasste, bestimmte er die Rolle der Kunst und damit
menhang mit seinem damaligen musikalischen auch der Musik mit dem Wort »Kultur«: »Kunst
Weltbild bringen. Für die Zeit nach der vermeint- ist ein Kulturprodukt. Ihr ›Beruf‹ ist nicht der,
lichen Abkehr von der Moderne hingegen, vor nach willkürlich ersonnenen oder der augenblick-
allem für die Jahre nach der Frau ohne Schatten lichen Not angepaßten, nachträglich als ›ewig‹
(1919), ist der Blick auf Strauss’ Umgang mit der proklamierten ›Gesetzen‹ eine selbstgefällig iso-
»Kulturgeschichte« zu lenken. Hier entwickelte er lierte Existenz zu führen; ihr natürlicher Beruf ist
9. Kulturgeschichte und Oper 97

Abb. 1:
Strauss’ Eintragung zum
»Schlußkapitel der Menschen-
u. Kulturgeschichte« in
seinem Exemplar von Friedells
Kulturgeschichte der Neuzeit

vielmehr: Zeugnis abzulegen von der Kultur der Lebens aktiv verfolgte, indem er in vielfältigen
Zeiten und Völker« (Strauss 1981, 11). Damit Organisationen und Funktionen den Musikbe-
wählte er einen Begriffskontext, der so unbe- trieb zu fördern und in seinem Sinn zu steuern
stimmt wie aktuell war und seit dem 19. Jahrhun- suchte.
dert drei Hauptaspekte verband: Erstens war Dass Strauss über 30 Jahre später denselben
»Kultur« ihrer Definition nach geschichtlich und Text kaum verändert als Vorwort zum Atlantis-
erfuhr demnach eine historische Entwicklung, Buch der Musik wiederabdrucken ließ (Strauss
zweitens war sie eingebettet in je spezifische gesell- 1934), zeigt, dass seine grundlegenden Anschauun-
schaftliche Zusammenhänge, und drittens war sie gen vom Wesen der Musik von der Jahrhundert-
auf Pflege angewiesen. Alle drei Aspekte lassen wende, wo er als prominentester Exponent der
sich nicht nur in Strauss’ Einleitungstext, sondern musikalischen Moderne auftrat, bis in die 1930er
auch in seinem praktizierten Musikverständnis Jahre von einer beachtlichen Kontinuität getragen
wiederfinden. Mit der Zurückweisung vermeint- waren. Und so wenig spezifisch die Darlegungen
lich »ewiger« Gesetze der Kunst bekannte er sich dieses kurzen Textes auch erscheinen, so zeigt ein
zur Idee einer »naturgemäßen« Entwicklung, mit Blick in die Geschichte des Kulturbegriffs, dass
der Ablehnung einer »selbstgefällig isolierten Exis- dessen einzelne Linien sich zu einem Geflecht
tenz« wies er die Auflösung des Zusammenhangs zusammenwirken, das in allen seinen Grundzügen
von Kunst und sozialem Kontext zurück, wie sie in den Selbstäußerungen des Komponisten wie-
von Vertretern moderner L’art pour l’art-Ästheti- derzufinden ist. So ermöglichte der Kulturbegriff
ken propagiert wurde. Schließlich deutet der As- Strauss, seine Vorstellungen in einen übergreifen-
pekt der Pflege als dem eigentlichen Wortsinn von den Diskurs einzubetten, der von seinem Publi-
›cultura‹ auf ein Anliegen, das Strauss Zeit seines kum nachvollzogen werden konnte, ohne im
98 Ästhetische Positionen

Einzelnen expliziert werden zu müssen. Durch die köpfe. Obgleich einer der wenigen Kulturhistori-
dem Begriff »Kultur« als Deutungsmuster eigene ker mit spezifischer Kompetenz im Bereich der
spezifische Flexibilität konnte Strauss in verschie- Musik, gewann er für Strauss’ Denken keine be-
densten Kontexten argumentieren und dennoch stimmende Rolle, was angesichts von Riehls phi-
seine intellektuelle Identität bewahren. Der tief in liströser Haltung, wie sie etwa auch Wagner kriti-
bürgerlichen Denkfiguren wurzelnde Kulturbe- sierte, nicht erstaunt. Burckhardt dagegen, den
griff diente mit seinen soziologischen Implikatio- prominentesten Kulturhistoriker des 19. Jahrhun-
nen und Distinktionen der Selbstdefinition des derts, rezipierte Strauss über einen Zeitraum von
Komponisten, er organisierte seine intellektuell- mehreren Jahrzehnten intensiv. Er las den Cicerone
künstlerische Perspektive und nicht zuletzt war er wie die Weltgeschichtlichen Betrachtungen und wies
in verschiedenen Situationen als Schlagwort zu Hugo von Hofmannsthal bei der Suche nach Su-
gebrauchen, mit dem Strauss seine Interessen für jets auf Passagen in der Kultur der Renaissance in
Musik und Musiker in vielfältigen institutionellen Italien und der Griechischen Kulturgeschichte hin.
Kontexten vertrat. In den Jahren zwischen den Weltkriegen ge-
wannen vor allem zwei kulturgeschichtliche
Werke Popularität: Spenglers Untergang des
Abendlandes (1918) und Friedells eher feuilletonis-
Lektüre-Horizonte tische als wissenschaftliche Kulturgeschichte der
Neuzeit (1927–31). Ob Strauss Spenglers umstrit-
Vor allem Strauss’ Schreibhefte enthalten eine tene Schrift schon bald nach ihrem Erscheinen
Vielzahl verstreuter Notizen, aber auch ausformu- oder erst Jahrzehnte später las, ist ungewiss; Hof-
lierter Gedanken, die Aufschluss darüber geben, mannsthal nahm das Werk mit gemischten Ge-
innerhalb welcher gedanklichen Horizonte sich fühlen, aber auch großer Affinität zur Kenntnis.
der spätere Strauss bewegte. Bevorzugt las er Bü- Er empfahl es im März 1919 dem Publizisten Willy
cher über historische Themen, wobei Werke zur Haas als ein hilfreiches Buch, »das die Dinge sehr
politischen Geschichte (Leopold Ranke, Heinrich ins Große sieht« (Burckhardt 1991, 310). Vermut-
Treitschke, Friedrich von Raumer) neben kultur- lich machte Hofmannsthal auch Strauss auf
historischen (Jacob Burckhardt, Oswald Spengler, Spengler aufmerksam. Zwar begegnet dessen
Egon Friedell) und biographischen Darstellungen Name erst nach 1945 in Strauss’ Notizen. Doch da
standen; speziell musikbezogene Titel interessier- ihn bereits nach dem Ersten Weltkrieg die Wahr-
ten ihn kaum. Neben einem allgemeinen Bil- nehmung eines fundamentalen kulturellen Nie-
dungsinteresse werden in solchen Quellen zwei dergangs bedrängte, könnte er wie Hofmannsthal
Motivationen greifbar: Erstens suchte Strauss nach Spenglers Schrift schon um 1920 zur Kenntnis
Anregungen und Material für Opernprojekte, genommen haben. Friedells Kulturgeschichte der
zweitens beschäftigten ihn die inneren Bedingun- Neuzeit las Strauss bald nach ihrem Erscheinen
gen kultureller Entwicklung, damit verbunden die und urteilte 1928: »ein sehr geistreiches Buch: be-
Deutung historischer Prozesse. sonders amüsant ist das Kapitel über meine lieben,
Das Interesse an Kulturgeschichte schlägt sich verrückten und auch so künstlerischen Griechen«
schon in der Wahl der Studienfächer des jungen (Grasberger 1967, 323). Zahlreiche Anstreichun-
Strauss nieder, der nach väterlichem Wunsch im gen und Eintragungen in den Bänden dokumen-
Wintersemester 1882/83 an der Münchener Uni- tieren Strauss’ Interesse. Sie stammen nicht alle
versität Vorlesungen über die Geschichte der Phi- aus dem ersten Lektüredurchgang, vielmehr zei-
losophie bei Carl Prantl, Ästhetik bei Moritz gen etwa die oben zitierten Sätze über das
Carrière, Shakespeare bei Franz Muncker und »Schlusskapitel der Kulturgeschichte« eher die
Kulturgeschichte bei Wilhelm Heinrich Riehl Schrift des alten Strauss aus den 1940er Jahren,
hörte. Riehl war ein erfolgreicher Vertreter seines was auf wiederholtes Lesen des Werkes hindeutet.
Fachs, der auch musikgeschichtliche Vorlesungen So häufig Strauss von der fortschreitenden
am Münchner Konservatorium hielt; von 1853 bis »Offenbarung der menschlichen Seele« im Prozess
1860 erschienen seine Musikalischen Charakter- der Kulturgeschichte schrieb: In seiner Lektüre
9. Kulturgeschichte und Oper 99

schlug sich sein Fokus auf Psychologie kaum nie- mus, dessen extremste Ausprägung sich in Speng-
der – vielleicht mit Ausnahme der geradezu fana- lers Formel vom »Untergang des Abendlandes«
tischen Rezeption von Friedrich von Hauseggers konzentrierte. Die Kulturgeschichtsschreibung
Anti-Hanslick-Schrift Die Musik als Ausdruck von Burckhardt bis Friedell prägte einen überwie-
(1885) in jungen Jahren. Es gibt keinen Beleg da- gend antirationalen und antimodernen Gestus
für, dass er wie Hofmannsthal etwa Schriften aus. Gleichwohl erbrachte sie mit ihrem kritischen
Sigmund Freuds gelesen hätte. Mehr als die Pu- Potential selbst einen wesentlichen Beitrag zum
blikationen der Psychologen sah er Kunstwerke als Modernisierungsprozess. Dankbar griff das zuneh-
Quellen für psychologische Erkenntnis an. Im mend verunsicherte Bürgertum den Versuch auf,
Aspekt der Selbstbeobachtung – bezogen auf den in einer sich partikularisierenden Welt syntheti-
schöpferischen Prozess – kam auch das Ge- sche Verständnismöglichkeiten zu erschließen,
schichtsbewusstsein wieder mit ins Spiel. 1918 be- insofern die Verknüpfung von Kultur und Ge-
gründete er gegenüber dem Kritiker Max Mar- schichtsschreibung einen zusammenfassenden
schalk die Notwendigkeit einer reflektierten Zugang zur Vielheit der Fakten bot (Bollenbeck
Kompositionstechnik mit der Position in der his- 1994). So konnte die Kulturgeschichtsschreibung
torischen Gesamtentwicklung: »Wir sind nicht nach dem Ersten Weltkrieg die Bedürfnisse eines
mehr frische Gehirne; wir haben schon eine zu kulturkonservativen Bildungsbürgertums bedie-
große Entwicklung hinter uns und müssen daher nen und erlebte als intellektuelle Mode ihre ei-
sehr sorgfältig in der Arbeit sein. […] Eine Melo- gentliche Blütezeit, die den Büchern Spenglers
die, die aus dem Augenblick geboren zu sein und Friedells eine breite Rezeption sicherte (Jäger
scheint, ist fast immer das Ergebnis mühevoller 1994).
Arbeit« (Marschalk 1918). Reflexivität im künstle-
rischen Produktionsprozess wie Reflexivität gegen-
über der Geschichte waren aufeinander bezogen.
Universalistisches
und analogisches Denken

Umrisse der Sich gegen die Spezialisierung historistischer Ge-


»kulturgeschichtlichen Idee« schichtswissenschaft wendend, kultivierte die
Kulturgeschichte einen übergreifenden Stand-
Strauss’ Vorstellung von Geschichtsschreibung punkt: Statt philologisch kleinteiliger Aufarbei-
folgt in vielen Aspekten den Paradigmen der Kul- tung eines Quellenkorpus stand die geistvolle Er-
turhistoriographie. Als Gegenmodell zur akademi- hellung von inneren Beziehungen zwischen ver-
schen Geschichtswissenschaft, die, meist positivis- schiedensten Phänomenen im Vordergrund. Man
tisch, die Staatengeschichte bearbeitete, hatte sich begriff Geschichtsschreibung somit auch als eine
im 19. Jahrhundert die Kulturgeschichte formiert. Form der Kunst – eine Sicht, die Strauss teilte.
Inhaltlich durch einen universellen Anspruch und Auch er sah sich als Künstler, der sich von Spe-
methodisch durch ein vergleichendes Denken in zialistentum abgrenzte, und legte großen Wert
Analogien und das Streben nach synthetischen darauf, nicht als »Nur-Musiker« angesehen zu
Deutungen charakterisiert, beanspruchten ihre werden. So begründete er etwa 1893 seine Beschäf-
Vertreter, jenseits der Beschreibung »äußerer Er- tigung mit Fragen der Landwirtschaft während
eignisse«, die als sekundär angesehen wurden, zur eines Italienaufenthaltes gegenüber Bülow als
Erkenntnis eines wesentlichen »inneren« Verlaufs Versuch der Horizonterweiterung, durch den er
der Geschichte zu kommen: Dieser werde durch sich, unter Berufung auf Goethe, von der be-
den »Geist« der Zeit bestimmt, dessen Äußerun- schränkten Mentalität seiner Zunftgenossen abhe-
gen alle Teilbereiche des menschlichen Denkens ben wollte (Strauss 1996, 100). Die Identifikation
und Handelns durchdrängen und eine Epoche zu mit dem Weimarer Klassiker lässt sich von frühen
einer organischen Einheit machten. Dabei ten- Äußerungen bis in die letzten Lebensjahre verfol-
dierte die Kulturgeschichte zum Kulturpessimis- gen, sie ergab sich für Strauss auch in der Stellung,
100 Ästhetische Positionen

die das Komponieren bzw. Schreiben im Leben Bild von der spezifischen Form dieser Entwick-
einnahm: »[…] quasi als ›Nebensache‹ neben dem lung. Um 1890 war er von enthusiastischem Fort-
eigentlichen Beruf des Dirigenten etc.«, wie er schrittsoptimismus erfüllt, bestärkt durch die un-
1946 an Willi Schuh schrieb (RSWS 106). Den geheure Produktivität dieser Jahre und den trotz
Anspruch, sich mit allem kulturell Belangvollen zu aller Widerstände überwältigenden Erfolg vieler
beschäftigen, behielt Strauss sein ganzes Leben bei. seiner Werke. Seiner Freundin Dora Wihan be-
Die Parallelen, die Strauss auf seiner Mittel- kannte er 1889: »Denke Dir, ich bin jetzt schon
meerreise 1892/93 zwischen italienischer und unter die Lisztianer gegangen, kurz, ein fort-
deutscher Landschaft in ihrer Beziehung zum je- schrittlicherer Standpunkt, als ich ihn jetzt ein-
weiligen Nationalcharakter oder zwischen deut- nehme, ist kaum mehr denkbar« (Strauss 1959/60,
scher Musik und griechischer Plastik zog, bezeu- 55). Er verurteilte ein verfestigtes Epigonentum,
gen seine früh schon ausgeprägte Neigung, im kritisierte aber nicht nur die Gegner der »Fort-
Vergleich verschiedener Phänomene analoge schrittspartei«, sondern auch diejenigen, die die
Strukturen zu erkennen. So erinnerte den Neun- Avantgarde ihrer Zeit festschreiben wollten: etwa
zehnjährigen, wie er 1883 seiner Mutter schrieb, die Wagnerianer, »die – an dem Geist ihres eige-
ein Gemälde »lebhaft an die pp-G-dur-Stelle der nen Meisters sich versündigend – ebenso petrefakt
Einleitung zur ›Weihe des Hauses‹ [von Beetho- geworden sind, wie seinerzeit die Mozartianer um
ven], diese Milde, Weichheit und Versöhnung bei Franz Lachner, die Mendelssohnianer um Carl
aller Großartigkeit des Entwurfes und Gedankens« Reinecke oder die Lisztianer hinter Draeseke«
(Schuh 1954, 25). Und noch über 60 Jahre später (Strauss 1981, 15). Die Konstellation am Weimarer
wies er darauf hin, wie analoge Prozesse nachein- Hoftheater, wo der von juvenilem Fortschritts-
ander verschiedene Kunstgattungen prägten, etwa furor getriebene Kapellmeister vom bedächtigen
die Entwicklung von statischer Form zu bewegtem Intendanten Hans von Bronsart (1830–1913) kaum
Ausdruck: »Der berüchtigte Hanslick hat schon in Schranken gehalten werden konnte, nährte
die Architektur versteinerte Musik oder ich glaube seine polemische Abwehrhaltung gegen vermit-
das Tonspiel flüssig gewordene Baukunst genannt. telnde ästhetische Positionen und eine zu starke
Man müßte an gotischen Domen von Naumburg, Traditionsorientierung. So mahnte er 1890 seinen
Bern, der Kathedrale von Chartres beginnen, in Jugendfreund Ludwig Thuille: »Was macht das
deren Fassaden der Stein zur menschlichen Gestalt Klavierconcert und seine Form, mach’ sie nur
wird, wie sich in Bachs Tonarchitektur aus Choral nicht gar zu altehrwürdig! Doch verzeih’, ich bin
und seelenvollen Adagio’s die Melodie heraus- jetzt in so polemischer Mephistostimmung! Und
schält, die sich in den Klassikern bis zu Wagner als so wütend auf Alles, was nach Vergangenheit
die Flamme entwickelt, wie sie schon Prometheus riecht!« (Trenner 1980, 117). Auch diese Haltung
direkt vom Olymp herabgeholt hat« (RSWS bedingte ein waches Geschichtsbewusstsein, denn
141 f.). Damit unterstellte Strauss der Geschichte wer den Fortschritt propagierte, musste die Ver-
einen sinngerichteten Verlauf, der stufenweise zu gangenheit kennen und ihr mit Respekt begegnen,
einer immer deutlicheren Anschauung des Men- um nicht hinter den historisch erreichten Stand
schen und seiner Psyche führte. zurückzufallen.
Erst als nach 1920 die Probleme des Modells
einer linear fortschreitenden künstlerischen Ent-
wicklung unübersehbar wurden, änderte sich
Das Organismusmodell Strauss’ Verständnis vom Verlauf historischer
Prozesse grundlegend. Obgleich er die Erzeugnisse
1907 sprach Strauss vom »naturnotwendigen Pro- der Avantgarde als »Bockmist« oder »Schund«
zeß des Fortschritts« (Strauss 1981, 15), und die abtat, sah er sich durch sie in eine andere Position
Vorstellung einer steten historischen Weiterent- gedrängt. Allerdings bedeutete die Verabschie-
wicklung der Kunst- und Kulturgeschichte prägte dung vom Platz an der Spitze des Fortschritts für
sein Denken von der Jugend bis an sein Lebens- ihn nicht, den Anspruch auf die historische und
ende. Grundlegend änderte sich allerdings sein ästhetische Relevanz seines Werks aufzugeben. Sie
9. Kulturgeschichte und Oper 101

begründet er nun mit einem anderen Geschichts- Ausgelassen sind in dieser Aufzählung die »Blü-
modell, innerhalb dessen er die Position des ten« der abendländischen Kunst, als welche ihm
Avantgardisten mit der eines Vollenders tauschte. die Malerei von Renaissance und Barock (Raffael,
Sich vom hegelianischen Fortschrittsmodell dis- Michelangelo, Rembrandt), das Theater Shakes-
tanzierend, gelangte Strauss zu einer biologisti- peares und Calderóns, die deutsche Philosophie
schen Geschichtsvorstellung, zur Überzeugung, (Kant, Schopenhauer) und die klassische deutsche
analog zu Phänomenen der Naturgeschichte Dichtung vor allem Goethes und Schillers galt.
durchliefen kulturelle Errungenschaften eine Ent- Dem spezifisch deutschen Kulturbegriff entsprach
wicklungslinie von Keimen, Blüte und Verfall. Strauss im Übrigen auch in seiner Distanz zu
Dieses zyklische Geschichtsmodell, das auch der Naturwissenschaften und Technik.
Kulturgeschichtsschreibung, bei Burckhardt wie Wie kulturelle oder historische Prozesse ihren
bei Spengler, zugrunde liegt, bezog Strauss sowohl Sinn im Zusammenhang eines größeren Ganzen
auf die allgemeine historische und politische Ent- behaupteten, sah Strauss jedem einzelnen Men-
wicklung wie auf den Verlauf der Kunst- und schen eine Aufgabe zugewiesen, die er zu erfüllen
Musikgeschichte. Der Vorstellung eines stetigen habe. Diese Vorstellung einer »Mission« ermög-
Fortschritts stand nun die Idee entgegen, eine lichte es ihm, auch dem »Verfall« einen geschicht-
Entwicklung verlaufe in Phasen, in denen sich lichen Sinn zu unterlegen. Strauss war von der
produktive und unproduktive, aber auch etwa notwendigen Begrenztheit historischer Entwick-
künstlerische und politische Perioden abwechsel- lungen überzeugt und fand diesen Gedanken bei
ten. Schon der junge Strauss kannte die Vorstel- Ranke formuliert, wie er 1911 notierte: »Lectüre
lung organisch wachsender und verfallender deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
Kunstepochen, die in den Ideen der Neudeutschen Leop. Ranke: durch sie wird mir hell bestätigt,
Schule durchaus präsent war. Doch prägte sie sein dass alle dort die Cultur fördernden Elemente seit
Selbstverständnis noch nicht so umfassend wie in Jahrhunderten nicht mehr lebenskräftig, wie alle
späteren Jahren. Je nach Argumentation konnten grossen politischen und religiösen Bewegungen
sich, da Strauss kaum ein konsistentes Geschichts- nur eine Zeitlang wirklich befruchtend wirken
bild vertrat, Organismus- und Fortschrittsmodell können« (Bayreuther 1997, 136).
überlagern. Der deutschen Nation schrieb Strauss eine be-
Im Prozess sich ablösender Blütezeiten auf sondere Rolle für die geistig-kulturelle Entwick-
verschiedenen kulturellen Feldern konnte sich die lung zu. Zwangsläufig damit verbunden sei die
Selbst-Bewusstwerdung des Menschen immer politische Gleichgültigkeit Deutschlands, was zur
weiter entfalten. Über den europäischen Raum Folge habe, dass es als Staatengebilde immer wie-
hinausgreifend, spannte Strauss einen weiten Bo- der zusammenbrechen müsse. Nachdem er Ran-
gen von den östlichen Religionen über antike und kes Geschichte Englands im November 1944 »mit
abendländische Philosophie und Kunst bis zu grossem Interesse« gelesen hatte, hielt er in einem
seinen eigenen musikdramatischen Werken. 1944 seiner Schreibhefte fest,
umriss er diese Vorstellung in Ideen zur Erbauung welche politische Regsamkeit und Begabung in dem
eines internationalen Festspielhauses für Oper und künstlerisch ziemlich zurückgebliebenen Engländer
Conzert in der Schweiz: steckte […]. Der vollste Gegensatz zu den Deutschen, bei
denen politisches Interesse erst seit einigen Jahrzehnten in
Seit dem Beginn menschlicher Kultur hauptsächlich in den untersten Volksschichten künstlich geweckt wurde
China u. Indien, seit den Tempeln Ägyptens u. Griechen- […]. Die Deutschen wenigstens die geistige obere
land [sic] hat sich die Kunst von den Upanischaden, der Schicht, hatte eben von jeher besseres zu tun und gehor-
Bibel u. den Epen Homers in 2000jähriger Steigerung chen willig oder wenigstens nur zähneknirschend jedem,
entwickelt bis zur Erschaffung der großen Musik durch der sie bei ihrem ruhigen ›Schaffen‹ nicht allzu sehr stört.
Joh. S. Bach, der Geburt der Mozartschen, Beethoven- Dafür müssen sie auch immer wieder dreissig oder sie-
schen, Schubertschen Melodie, der Erweckung des mo- benjährige Kriege bis an den Rand des äussersten wirt-
dernen Orchesters durch Jos. Haydn, Weber und Berlioz schaftlichen Niederbruches über sich ergehen lassen.
bis zu ihrem höchsten Gipfel Richard Wagner u. meinen (Hottmann 2005, 82 f.)
Werken (in bescheidenem Abstand seien sie als vorläufig
letzter Ausläufer der sinfonischen Opernkunst genannt). Deutschland, so Strauss’ Sicht, hatte die Rolle ei-
(Hottmann 2005, 72 f.) ner Kulturnation, die als Zentrum eines europäi-
102 Ästhetische Positionen

schen Kulturraumes dienen solle, zu akzeptieren bruch Deutschlands einen historischen Sinn zu
und politische Ambitionen zu unterdrücken. 1945 unterlegen und in ihm insofern ein Positivum zu
notierte er: sehen, als er die Besinnung auf die eigentliche,
Es gibt keinen Zufall in der Weltgeschichte […] wie wäre künstlerische »Mission« der Nation erzwinge.
sonst eine Erscheinung wie Adolf Hitler zu erklären?! Nur Seinem Biographen Schuh machte er 1946 deut-
einem Verbrecher, einem Ignoranten einem ungebildeten lich, dass er diese Sicht auf die Aufgabe der Deut-
Herren von diesem Ausmaß konnte es vorbehalten sein,
dieses anscheinend so mächtige Reich, bewohnt von dem schen als seine historisch-ästhetische Grundüber-
tüchtigsten, gebildetsten Volk, getragen von der stärksten zeugung betrachtete, die zum Fundament der
Militärmacht so gründlich zu zerstören, daß es ein für Darstellung seiner biographischen und künst-
allemal von allen Weltmachtplänen, allen imperialistischen
Plänen (zusammen mit dem gleichgesinnten Italien) ge-
lerischen Entwicklung gemacht werden sollte:
heilt sein müßte u. sich auf den Platz gestellt sieht, den es Schuhs
einzig u. allein in der Welt einnehmen kann u. immer »Beiträge zur Weltgeschichte der Musik« [müssten] jetzt
behaupten wird. Mitteleuropa ist das Kulturzentrum u. geschrieben werden […], solange ich noch am Leben bin
Deutschland das Herz der Welt! (Hottmann 2005, 83) und an seinem Entstehen noch teilnehmen kann. Wann
es erscheinen kann, ist eine zweite Frage, da heute immer-
Schon die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges hin die Gefahr besteht, daß sein Autor von allen Cultur-
hatten den Boden für die Wahrnehmung kulturel- historikern, Universitätsprofessoren, der jüdischen Presse
ler Verfallsprozesse bereitet: eine wesentliche Vor- sowohl wie von allen germanischen Patrioten […] zerris-
sen, gevierteilt, gerädert werde, wenn er den Mut hat zu
aussetzung für die breite Rezeption von Spenglers schreiben, daß das politische Deutschland zerstört wer-
Untergang des Abendlandes. Auch Strauss sah Par- den mußte, nachdem es seine Weltmission: die Erschaf-
allelen zwischen dem Zusammenbruch des alten fung und Vollendung der deutschen Musik erfüllt hatte.
Europa und dem Untergang der antiken griechi- Dieses Ihr Buch müßte den historischen Untergrund zu
meiner Biographie bilden […]. (RSWS 89 f.)
schen Kultur, und zwar nach beiden Weltkriegen.
1919 führte diese Erkenntnis zu Plänen, in einem
operettenartigen Werk »im spätgriechischen Ge-
wande« (RSHH 447) die aktuelle politische Situa- Kulturgeschichte
tion parodistisch zu spiegeln (auch Die Ägyptische und die »Leerstelle« Musik
Helena und Die Liebe der Danae sollten ursprüng-
lich Offenbachsche Gesellschaftskritik bieten). Neben der politischen Relevanz hatte das Organis-
Nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigte sich musmodell auch Konsequenzen für das ästhetische
Strauss die historische Parallele endgültig; im Denken und Komponieren. Aus der Perspektive
Schreibheft resümierte er: analogischen Denkens verglich Strauss die musik-
Wie Griechenland nach der Zeit des Perikles – so hatte geschichtliche Situation seiner Zeit mit dem Zu-
Deutschland mit der Erschaffung der deutschen Musik stand der Malerei in der Spätrenaissance und
[…] seine Weltmission vollbracht u. eine 3000jährige
Culturentwicklung beendigt. Die Parallele mit dem von
stellte mehrmals fest, dass sich Tizian zu Tinto-
Sulla zerstörten Athen ist jedenfalls erschütternd. (Hott- retto wie Wagner zu ihm selbst verhalte (Schuh
mann 2005, 85 f.) 1964, 12 f.), was einmal mehr sein Bewusstsein ei-
Trotz des Glaubens an eine schicksalhafte Ent- gener Spätzeitlichkeit dokumentiert. Aus dem
wicklung der Geschichte hielt Strauss an der Vergleich der unterschiedlichen zeitlichen Aus-
Überzeugung fest, dass einzelne Personen den dehnungen der »Blütezeiten« folgerte Strauss, dass
konkreten Gang der Geschichte vollzogen. Dies die deutsche Musik mit ihm selbst ihr Endstadium
konnte als Vehikel der Verdrängung von Schuld- erreicht hatte, womit er verbreitete Vorstellungen
gefühlen fungieren, denn mit beiden Modellen der Romantiker von der Tonkunst als zuletzt sich
konnte er sich selbst und die anderen Menschen, entwickelndem ästhetischen Gebiet personali-
die keine politische Macht im engeren Sinne ge- sierte. Die angemessene Darstellung einer derart
tragen hatten, von der Verantwortung für die vorgezeichneten musikgeschichtlichen Entwick-
Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes lung erwartete Strauss allerdings nicht von Musik-
entbunden fühlen. Mit der Annahme eines un- wissenschaftlern, sondern von Kulturhistorikern –
abänderbar vorgezeichneten Geschichtsverlaufs freilich vergeblich. Selbst die so geschätzten
suchte Strauss dem katastrophalen Zusammen- Burckhardt und Friedell befriedigten ihn in die-
9. Kulturgeschichte und Oper 103

sem Punkt nicht. In einem Schreibhefteintrag gen, während er mit diversen Musikkritikern
vom 25. Februar 1944 stellte er enttäuscht fest: freundschaftlichen Kontakt pflegte. 1909 versi-
cherte er Hermann Bahr, wie sehr er sich über
Ich habe in den letzten Jahren viel Goethe, Herder, und
Geschichte (Carlyle, Fridell [sic!] etc.) gelesen aber alle dessen Elektra-Artikel gefreut habe, »der so sehr
Forscher und Denker schliessen mit dem Ende des interessant war, da er gottseidank so wenig über
18. Jahrhunderts ab. Nachdem die grössten Geister seit Musik enthielt. Wenn Sie wüßten, wie satt ich die
3000 Jahren über Gott und Natur, über menschlichen
Verstand und Vernunft, über das Wesen der Seele philo- Quintenfuchser habe, würden Sie meine Befriedi-
sophiert haben, finde ich nirgends die Entdeckung und gung über diesen Herzenserguß eines normal ge-
Offenbarung der menschlichen Seele in der Mozartschen bildeten Menschen mir nachfühlen können«
»Melodie«. Am Ende des 18. Jahrhunderts leuchtete diese
Fackel auf, die das Streben und Schaffen 3000jähriger
(Gregor 1947, 71).
Cultur zum Abschluss und zur Erlösung bringt. Die Wie sehr sich hinter Strauss’ Begriff von »Mu-
Musik von Bach bis Richard Wagner und Richard Strauss sikgeschichte« ein ideelles Modell verbarg, wird
ist Höhe und Schlusspunkt göttlichen Menschentums, darin deutlich, dass die konkreten Bedingungen
letzte Erfüllung und Enthüllung des Mythos: bis jetzt nur
von Richard Wagner in seinen Schriften ausgesprochen, einzelner musikhistorischer Ereignisse und Ent-
ohne dass er selbst vielleicht die innerste Bedeutung der wicklungen ihn eher marginal interessierten. So
Klangsymbole seinen eigenen Orchesters voll ›bewusst‹ konnte er Clemens Krauss gegenüber etwa einräu-
war. Die Musikgeschichte ist noch nicht geschrieben
worden! (Hottmann 2005, 88) men, über den genauen Verlauf des Opernstreits
um Gluck und Piccinni – den kulturgeschichtli-
Wie sehr ihn dieses vermeintliche Defizit der Ge- chen Hintergrund von Capriccio – nicht genau
schichtsschreibung bewegte, zeigt die Hartnäckig- Bescheid zu wissen: »Heute Früh […] kam Ihre
keit, mit der er unablässig denselben Gedanken schöne musikgeschichtliche Vorlesung, für die ich
formulierte; so in einem Schreibhefteintrag vom doppelt dankbar bin, da neben Musiktheorie –
4. Juli 1946: Musikgeschichte meine besonders schwache Seite
Es ist immer das Gleiche: nach der letzten Seite jeder ist« (RSCK 274). Und ebenso bekannte er 1947
geistreichsten Culturgeschichte blättere ich immer noch Willi Schuh: »[…] bringen Sie mir bitte die Ska-
weiter, um in einem Schlußkapitel: »die deutsche Musik len der sog. griechischen Tonarten mit. Da ich
von Bach zumindest bis Rich. Wagner« das letzte Wort
über 3000jährige Culturentwicklung der Menschheit zu niemals eine Prüfung in Musikwissenschaft be-
lesen. […] Die Kulturgeschichte mit diesem letzten Ka- standen hätte, bin ich auch in diesem Kapitel ein
pitel muß erst noch geschrieben werden! (Hottmann homo ignotus« (4.3.1947; RSWS 118). Zwar kannte
2005, 88 f.)
Strauss die Partituren des klassisch-romantischen
Und 1946 betonte er gegenüber dem Schweizer Repertoires genau, doch dürften seine musikhisto-
Diplomaten Hans von Zurlinden: »Die ›kulturge- rischen Kenntnisse kaum über das hinausgereicht
schichtliche Idee‹ ist einzig und allein meinem haben, was etwa in Berlioz’, Liszts und Wagners
unphilosophischen Musikantenschädel entspros- Schriften nachzulesen war.
sen. Die Kulturgeschichtler sind noch lange nicht Musikgeschichtliche Details wurden erst für
bei den Partituren der Missa solemnis oder des ihn interessant, als es um die Darstellung seiner
Tristan angelangt« (Zurlinden 1962, 25). eigenen Person ging. Durch intensiven Kontakt
Mit der Kritik an der Isolation der Musik in- mit Willi Schuh, aber auch mit anderen Musik-
nerhalb der intellektuellen und künstlerischen schriftstellern wie etwa Roland Tenschert suchte
Gesamtentwicklung stand Strauss in einer Tradi- Strauss sein Bild in der Öffentlichkeit und die
tion, die schon im 19. Jahrhundert all diejenigen Darstellung seines Schaffens in der Musikge-
Musiker, gerade auch der Neudeutschen Schule, schichte zu beeinflussen. In Schuh glaubte er trotz
bewegte, die für die ästhetische Aufwertung der aller Konflikte um dessen Haltung zur Avantgarde
Musik und ihre Integration in den kulturellen einen Publizisten mit hoher musikalischer Kom-
Diskurs eintraten. Erst recht richtete sich Strauss’ petenz gefunden zu haben, der ihm genügend
Wissenschaftsskepsis gegen die akademische Mu- verbunden war, um der Nachwelt sowohl seine
sikwissenschaft, der er mangelndes Verständnis für Ästhetik als auch sein kompositorisches Schaffen
die kulturelle Bedeutung der Musik unterstellte. adäquat zu vermitteln. Ihn drängte er, den von
Zu ihren Vertretern unterhielt er kaum Beziehun- ihm vertretenen Gang der Musikgeschichte in
104 Ästhetische Positionen

Sprache zu fassen und dabei widerständige Fakten entworfenen historischen Entwicklung lag vor al-
auch zu unterdrücken. lem in der Individualität formalen Gestaltens und
der Gründung von Instrumentalwerken auf poeti-
schen Ideen. In diesem Zusammenhang schätzte
Strauss, wie ein Brief von 1941 verrät, als eines der
Oper als Ziel der Musikgeschichte wenigen genuin musikwissenschaftlichen Werke
Arnold Scherings Beethoven und die Dichtung:
Die Oper markierte für den späteren Strauss das »Wenn es auch ein bischen über’s Ziel schiesst, so
Ziel nicht nur der Musik-, sondern der Mensch- gibt es doch wertvollste Aufschlüsse über den von
heitsgeschichte. Dabei wurde die Entwicklung mir stets behaupteten ›Programmusiker‹ Beet-
nach Strauss’ Überzeugung vor allem durch die hoven und wird auch von den zünftlichen Passa-
Leistungen einzelner genialer Persönlichkeiten caglia- und Variationenkomponisten genügend
getragen, denen er jeweils eine neue komposi- angefeindet« (Berger 1964, 9). Nicht zuletzt sah
tionstechnische Errungenschaft zuordnete, die Strauss Beethovens Instrumentation als wesentli-
später im konzeptionellen Ganzen des Musikdra- chen Baustein für die Entwicklung moderner
mas aufgehen und ihre historische Erfüllung fin- Orchestertechnik an. Sie führe anschließend über
den konnte. Hatten Komponisten aus Strauss’ die Zwischenstufen Berlioz, Liszt und Weber bis
Sicht keinen Anteil an der historischen Gesamt- zu Wagner, in dessen Werken die musikalische
entwicklung zum Musikdrama, so ordnete er sie, Sprache durch die Differenzierung der Orchester-
wie 1944 in einem Brief an Roland Tenschert, behandlung »ihre höchste Ausdrucksfähigkeit er-
bestenfalls der »Nebenlinie« ein (Schubert, Schu- reicht« habe (Strauss 1981, 167).
mann, Chopin, Mendelssohn) oder stempelte sie Das Musiktheater erschien so als letzte Konse-
zu »Epigonen«: Brahms, Bruckner, Tschaikowsky quenz eines Entwicklungsgangs, der über die ver-
(Brosche 1977, 4). schiedenen Epochen in jeweils anderen Künsten
Für Strauss begann die Musikgeschichte mit vorangetrieben worden war. Indem es die verschie-
Johann Sebastian Bach; Musik früherer Jahrhun- denen Künste verband, konnte es als Synthese der
derte interessierte ihn wenig. Neben der Weiter- künstlerischen Gesamtentwicklung verstanden
entwicklung des Kontrapunkts, die Strauss, nicht werden. Übrigens bevorzugte Strauss, von Wag-
originell, als besonderes Kennzeichen der deut- ners Terminologie des Gesamtkunstwerks sich
schen im Gegensatz zur italienischen Musik ansah, absetzend, in seinen wesentlichen Äußerungen
schrieb er Bach einen weiteren Entwicklungs- immer den Begriff der Oper. Diese war a priori
schritt für die Psychologisierung der Tonsprache von den Produktions- und Rezeptionsproblemen
zu, indem er eine neue Qualität vokaler und in- der reinen Instrumentalmusik und damit von den
strumentaler Kantabilität erreicht habe: »Zuerst ästhetischen Konflikten um das Daseinsrecht »ab-
wohl bei Joh. S. Bach vollzieht sich die Loslösung soluter Musik« entbunden, da sie durch die Ver-
der Musikerseele aus mittelalterlicher Gotik von bindung der musikalischen mit der sprachlichen,
der Orgel zur Singstimme u. dem Orchester- gestischen und bildlichen Ebene Träger bestimm-
instrument, vom Choral zum gefühlvollen In- ter und individueller Inhalte werden konnte. Erst
strumental-Adagio« (Hottmann 2005, 109). Die in der Oper war es der Musik möglich, eine denk-
zweite Stufe der musikgeschichtlichen Entwick- bar große Konkretion zu entfalten, ohne ihren
lung sah Strauss durch Joseph Haydn erreicht, der spezifischen Erkenntniswert einzubüßen: In Mo-
»das Orchester reden gelehrt, den Instrumenten zarts »Tonsymbolen« der Melodie und Wagners
die Zunge gelöst« habe (Hottmann 2005, 677), polyphon behandeltem Orchester erwies Musik
was der Tonsprache eine neue Qualität der Deut- nach Strauss’ Überzeugung ihre Fähigkeit zu
lichkeit erschloss. Dass die Instrumente des Or- künstlerischer Transzendierung, da sie Wahrheiten
chesters zu »sprechenden Individuen« (Strauss unmittelbar erfassbar machte, die nur durch das
1981, 174) wurden, setzte die Komponisten in den Medium der Töne vermittelbar seien. Indem
Stand, differenzierte psychologische Inhalte zu Strauss in seinem Œuvre beide Elemente der Psy-
vermitteln. Beethovens Anteil an der von Strauss chologisierung – Melodie und Orchesterpolypho-
9. Kulturgeschichte und Oper 105

nie – zur Synthese zu bringen trachtete, konnte er nen mehr reflektierend als zitierend aufgriff – u. a.
sich als Vollender einer gesamtgeschichtlichen die Opera buffa in Ariadne auf Naxos und Die
Entwicklung verstehen. Im Verhältnis zu seinen schweigsame Frau, die Operette in Arabella oder
Zeitgenossen kultivierte Strauss damit eine wach- die Historische Oper in Friedenstag. Anders als
sende Isolation. Weder in seinen skizzenhaften Wagner war Strauss nicht um die Prägung eines
Bemerkungen über den Gang der Musikgeschichte neuen Gattungstypus bemüht, sondern verfügte
noch in den Musterspielplänen für die Opern- über ein breites Spektrum der Konzeptionen. Sein
theater (s. u.) werden andere Komponisten des Bestreben, sich mit bestimmten Genres auseinan-
20. Jahrhunderts als gleichrangig berücksichtigt. derzusetzen, konvergierte mit den künstlerischen
Intentionen Hofmannsthals, der in seinem thea-
tralischen Werk eine ähnliche Reflexion der jewei-
ligen Gattungsgeschichte anstrebte. Der Dichter
Konsequenzen für die trachtete danach, durch Analogien zu historischen
Opernkomposition Gattungsstadien neue kreative Impulse zu gewin-
nen. Die Frau ohne Schatten etwa stehe zur Zau-
Historismus und Gattungsästhetik berflöte, »wie sich der ›Rosenkavalier‹ zum ›Figaro‹
Ein durch und durch von geschichtlicher Perspek- verhält: das heißt, es bestände hier wie dort keine
tive dominiertes Bewusstsein bestimmte spätes- Nachahmung, aber eine gewisse Analogie«
tens seit den späten 1920er Jahren auch das Kom- (RSHH 113). Die kompositorische Auseinander-
ponieren von Strauss. Er wollte als seine eigentli- setzung mit der Gattungsgeschichte lässt sich bei
che Leistung als Opernkomponist erkannt wissen, Strauss aber auch schon vor der Zusammenarbeit
dass er sein Bühnenwerk auf die wesentlichen mit Hofmannsthal ausmachen, etwa in der zwei-
Entwicklungsstränge der Gattungsgeschichte be- ten Oper Feuersnot, von der er 1900 – natürlich
zogen habe. In einem Brief an Joseph Gregor über nicht ohne Ironie – als »der reine Lortzing« sprach
dessen Weltgeschichte des Theaters formulierte er (Schuh 1954, 238).
1945 seinen Stolz darüber, »daß in der Vielseitig- Über seine Zeitgenossen soll Strauss einmal im
keit meiner dramatischen Stoffe, in der Form ihrer Gespräch mit dem Dirigenten Ottmar Nussio
Behandlung meine Opern in der Weltgeschichte gesagt haben: »Die andern komponieren. Ich
gerade in ihrer Beziehung zu allen früheren mach’ Musikgeschichte!« (Paumgartner 1964, 384).
Schöpfungen des Theaters (Richard Wagner bei Für sein Selbstverständnis bedeutete die Bezie-
Seite lassend) einen ehrenvollen Platz am Ende des hung seiner Opern »zu allen früheren Schöpfun-
›Regenbogens‹ behaupten werden, und wenn gen des Theaters« (s. o.) die Einbindung des eige-
Neuland auf dem Gebiete der Oper noch zu errei- nen Œuvres in einen kulturellen Kontext, der für
chen ist, gute Bausteine auf dieser ›Allee der seine Qualität und Relevanz bürgte. Die Ge-
Sphinxe‹ gesetzt sind« (Strauss 1981, 175 f.). Der schichte, die das Ziel der Entwicklung vorgab, war
reflexive Zugriff auf die Gattungsgeschichte lässt ins Werk selbst eingewirkt. Mit der Dichte der
sich wesentlich mit der kompositionsgeschichtli- historischen Bezüge zwischen seinen Werken und
chen Situation der Oper nach Wagner begründen. der jeweiligen Gattungsgeschichte wollte Strauss
Wagners Schaffen schrieb Strauss überhistorische die Verankerung seiner Opern im Bildungskanon,
Gültigkeit zu. Es stellte für ihn das Telos der ge- damit aber vor allem im Repertoire legitimieren.
schichtlichen Entwicklung dar. Nach diesem Komponisten, denen er vorwarf, an dem von der
Gipfel konnte die Gattung nur noch an ihr Ende geschichtlichen Entwicklung offenbarten Sinn
geführt werden. Genau dazu sah sich Strauss beru- vorbeizukomponieren – und das waren eigentlich
fen, der »genau den Abstand [s]einer Opern […] alle Zeitgenossen –, sprach er ab, zu den Spielplä-
gegenüber Richard Wagners Ewigkeitswerken« nen der Operntheater einen ästhetisch oder mora-
kannte (ebd., 175). lisch »einklagbaren« Zutritt zu haben. Genau das
Strauss’ Geschichtsbewusstsein schlug sich in nahm er aber für sich in Anspruch, indem er sei-
seinem Opernschaffen wesentlich darin nieder, nen Platz am »Ende des Regenbogens« behaup-
dass er verschiedene historische Opernkonzeptio- tete, was zum einen bedeutete, dass seine Werke
106 Ästhetische Positionen

als Konklusion der historischen Entwicklung gel- Eine so konkrete Ineinssetzung kompositionstech-
ten konnten, zum anderen, dass sie gleichzeitig nischer Befunde mit Momenten der inneren
eine wesentliche Voraussetzung für etwa noch zu Handlung lässt sich in seinen Opernpartituren
erreichendes »Neuland« waren. wie auch in verbalen Äußerungen finden: Musika-
lische Struktur und psychologische Bedeutung
sind so eng aufeinander bezogen, dass sie fast
Psychologischer Konflikt
identisch zu sein scheinen.
und kulturhistorisches Milieu
Egal, ob sich ein neues Werk an ein breites
Mit dem als Fokus seiner Ästhetik bestimmten Publikum richtete wie Arabella oder von vornher-
Zusammenhang von geschichtlicher Entwicklung ein an einen eingegrenzten Kreis von »Kennern
und psychologischer Selbsterkenntnis konnte und Liebhabern« adressiert war wie Capriccio:
Strauss das ganze Spektrum seines musikdramati- Strauss wollte mit dem Inhalt seiner Opern auf
schen Schaffens begründen: die in jeder Epoche zwei Ebenen Resonanz beim Publikum hervor-
immer wieder neu zu konkretisierende Psycholo- rufen. Zum einen sollte der Stoff an kollektives
gie des Mythos ebenso wie die alltäglich-realisti- kulturelles Wissen – zumeist in Gestalt von My-
sche Charakterzeichnung des zeitgenössischen thos oder Historie – anknüpfen und durch eine
Individuums, etwa in Intermezzo. Mit Bezug auf neue Interpretation vertrauter Konstellationen ei-
Goethe verteidigte Strauss das autobiographische nen Beitrag zur Deutung überzeitlicher Probleme
Konzept dieser Oper damit, dass jeder Mensch leisten. Formulierungen wie »das Ganze [ein
durch die Einzigartigkeit seiner Persönlichkeit Opernprojekt] in einem schönen kulturhistori-
wert sei, in der »Geschichte der menschlichen schen Milieu« (RSHH 580) umreißen diese Inten-
Seele aufbewahrt zu werden« (Strauss 1981, 135). tion prägnant. Mit ihr war ein ausgewogenes
Ohne an irgendeiner Stelle die Dimension des Verhältnis von Bekanntem und Unbekanntem
»Seelischen« in der Musik präziser zu bestimmen, gewährleistet, was dem Fassungsvermögen der
verweist Strauss mit verschiedensten Vokabeln auf Adressaten Rechnung trug, ihnen aber auch genü-
diesen zentralen Begründungsaspekt seines Kom- gend neue Reize bot. Zum anderen sollte ein
ponierens: Begriffe wie »psychisch«, »psycholo- psychologischer Konflikt der Figuren an allge-
gisch«, »Psychologie«, »Gefühl«, »Ausdruck«, meine menschliche Erfahrungen jedes einzelnen
»Nerven«, »Seele« und »seelisch« verbinden sich Zuschauers und -hörers appellieren und ihn zu
mit ästhetischen oder musiktheoretischen Begrif- identifizierendem Nachvollzug bewegen. Beide
fen wie »Symbol«, »poetisch«, »polyphon« oder Ebenen stehen zueinander in einer dramaturgisch
»Contrapunct«. Dabei verwendet er den Begriff wirksamen Polarität: Das Individuelle – der sub-
der »Offenbarung der Seele« häufig für die melo- jektive Konflikt – profiliert sich erst vor der Folie
dische Qualität der Musik Mozarts, während die eines gesellschaftlichen Ganzen, gefasst im »kul-
sprechende Begriffskombination »psychologischer turhistorischen Milieu«. Dieses Milieu aber sollte
Kontrapunkt« auf Aspekte der Orchestertechnik nicht nur als Kolorit und Kulisse wirken, sondern
in der Traditionslinie Weber, Berlioz und Wagner bestimmend in die Handlungen und Bewusst-
bezogen ist; 1935 verdichtete Strauss diesen Zu- seinsschichten der Figuren hineinstrahlen, zum
sammenhang in der Wortschöpfung »Nervenkon- »eigentliche[n] Träger des Ganzen« werden, wie es
trapunkt« (RSJG 17). Noch kleinste Details dien- Hofmannsthal 1927 in seinem berühmten Meister-
ten ihm als Belege der psychologischen Mittei- singer-Brief ausdrückte (RSHH 578).
lungsfähigkeit der Orchestersprache, wie sich etwa So verschieden und vielfältig die Stoffe der
am Beispiel seiner Interpretation der Instrumen- Opern von Strauss auch sind, so lassen sich die
tierung des letzten Akkordes in Wagners Tristan- meisten von ihnen doch zwei Kategorien zuord-
Partitur verdeutlichen lässt. Schuh erläuterte er: nen: Geschichte und Mythos. Lediglich drei der
»Sehen Sie hier die Pausen in der Englischhorn- 15 Opern stehen außerhalb dieser Ordnung: die
Stimme: der letzte Tropfen des Sehnsucht-›Gifts‹ biblische Salome sowie die ins Märchenhafte spie-
ist endlich versiegt. Im Schlußakkord ist das lenden Opern Feuersnot (Handlung »in fabelhafter
Englischhorn verschwunden« (Schuh 1964, 23). Unzeit«) und Die Frau ohne Schatten.
9. Kulturgeschichte und Oper 107

Historische Sujets im Sinne einer konkreten 1928, 412). So verkörperte »Griechenland« für
Verortung in einem bestimmten raumzeitlichen Strauss ein Ideal umfassender kultureller Bildung
Milieu haben Guntram (Spielzeit: um die Mitte des Menschen, wobei im Einklang von Natur und
des 13. Jahrhunderts), Der Rosenkavalier (Wien, in Kultur die Sphären von Kunst und Wissenschaft
den ersten Jahren der Regierung Maria Theresias), sich produktiv ergänzen konnten. Bis an sein Le-
Arabella (Wien, um 1860), Die schweigsame Frau bensende blieben die Griechen zusammen mit
(1760), Friedenstag (1648) und Capriccio (Paris, Wagner die wesentlichen Stützpfeiler des kultur-
etwa um 1775); das Vorspiel zu Ariadne lässt sich historischen Bogens, verdichtet in der Selbstbe-
auf das Ancien Régime, Intermezzo auf die Gegen- zeichnung als »griechischer Germane« in seiner
wart datieren. In diesen Opern werden Hand- »Letzten Aufzeichnung« von 1949 (Strauss 1981,
lungszeit und -ort auf sehr unterschiedliche Weise 182; Tadday 2005).
mit akustischen Markierungen im Sinne einer Verschiedene Eigenschaften der griechischen
couleur locale hörbar. Historisches Klangmaterial Mythologie machten sie als Sujet für den Opern-
wie das Cembalo in Capriccio, die Zitate aus dem komponisten besonders reizvoll. Mit ihr konnte
Fitzwilliam Virginal Book in Die schweigsame Frau, Strauss einerseits die Nachfolge Wagners antreten,
die Wiener Walzer in Rosenkavalier und Arabella, der der historischen Grand Opéra sein mytholo-
der Luther-Choral »Ein feste Burg« im Friedenstag gisches Musikdrama entgegengesetzt hatte, und
oder auch das Telefonklingeln in Intermezzo ma- andererseits mit einer eigenen Richtung des My-
chen das jeweilige kulturhistorische Milieu zu ei- thologischen die Epigonalität vermeiden, die in
nem integralen Bestandteil auch der Partituren der Adaption germanischer Heldensagen gelegen
und des Klangprofils der Stücke. hätte. Dabei kamen die gattungsgeschichtlichen
Fünf Opern haben mythologische Sujets; nur Traditionen mythologischer Opern Strauss entge-
eine von ihnen, Daphne, entstand ohne Mitwir- gen. Da war einerseits die Barockoper mit ihrem
kung oder Anregung Hofmannsthals. Im Mythos Repräsentations- und Festcharakter, an die die
als einer Sonderform des »kulturhistorischen Mi- Libretti von Ariadne auf Naxos, Die Ägyptische
lieus« schneiden sich wesentliche Linien von Helena und Daphne anknüpften, andererseits die
Strauss’ Ästhetik: Geschichte, Psychologie, Kunst Offenbachsche Tradition der mythologischen
und Kultur. Die Entfaltung einer fortschreitenden Travestie, die in Ariadne, Helena und Die Liebe der
Psychologisierung als Impuls des geschichtlichen Danae hineinspielt. Da Strauss Parallelen zwischen
Prozesses projizierte er schon früh auf die griechi- dem späten Griechenland und der niedergehen-
sche Kunst. 1892 berichtete er Cosima Wagner aus den abendländischen Kultur zu erkennen glaubte,
Athen, wo er wahrgenommen habe, »wie der ließen sich über das Prinzip der Analogie »mo-
Grieche diese starren Formen allmählich belebt, derne« Probleme im mythologischen Gewand
wie der Ausdruck der Köpfe immer charakteristi- thematisieren, wie es Hofmannsthal vor allem in
scher wird, wie aus der Freude des sich entwi- den letztgenannten Sujets intendierte. Nicht zu-
ckelnden technischen Könnens die Übertreibun- letzt sah Strauss im Mythos die Möglichkeit, den
gen im ›Ausdruck‹ entstehen […], um dann all- inneren Bewegungsgang der »Kulturgeschichte«
mählich zur höchsten Schönheit modifiziert zu zu vollenden: »Erlösung u. Erfüllung des Mythos
werden – von der Skulptur bis zur Musik von im modernen Orchester: Psychologie des spre-
hellenischer Lebensfreudigkeit bis zum Christen- chenden Orchesters: seit Weber, Berlioz, R. Wag-
tum, vom äußeren bis zum inneren Menschen, ner u. R. Strauss« (Schreibheft o.D., Hottmann
von Olympia bis Bayreuth« (Trenner 1978, 141). 2005, 533).
Durch die kulturgeschichtliche Lektüre reicherte Der Griff zum Mythos hatte aber auch prakti-
Strauss sein Griechen-Bild weiter an. Zustimmend sche Vorteile. Strauss und seine Librettisten konn-
unterstrich er in Friedells Kulturgeschichte der ten beim Publikum die Kenntnis der mythologi-
Neuzeit folgenden Satz: »Die Lust des Gestaltens schen Gestalten soweit voraussetzen, dass nicht
und Betrachtens, des Singens und Erkennens, die alle komplexen Zusammenhänge der Handlung in
die Griechen besser kannten als irgendein anderes diese selbst integriert werden mussten. Allerdings
Volk, wiegt alle Leiden des Daseins auf« (Friedell bezogen sich die Stoffe außer Elektra und Ariadne
108 Ästhetische Positionen

auf weniger bekannte Mythen, die einer näheren Umstrukturierung der Hoftheater in Staats- bzw.
Erläuterung bedurften, wenn es um die Einzelhei- Stadttheater und die damit verbundene ökonomi-
ten der dramatischen Konstellation ging. Doch sche Veränderung verursacht, andere hielten die
allein Namen wie Helena oder Danae weckten kompositorischen Experimente der Neuen Musik
Assoziationen – die »schönste Frau der Welt« und für Zeichen des Verfalls, und wieder andere kriti-
der »Goldregen« als präsente Motive der bilden- sierten ganz im Gegenteil die Verfestigung des
den Kunst –, die man in Opernhandlungen kon- Repertoires.
kretisieren konnte. Stilistisch legte die Mythologie, Strauss war nach dem Ersten Weltkrieg wie
anders als die historischen Stoffe, keine spezifische wohl kein anderer Opernkomponist seines Ranges
couleur locale fest, daher konnte Strauss ein weites doppelt von der Opernkrise betroffen: Einerseits
Spektrum auskomponieren: vom Dämonischen musste er sich als Komponist neu positionieren,
über das Heroische, Parodistische, Orientalistische andererseits trug er als Direktor der Wiener Staats-
bis zum Bukolischen. oper an exponierter Stelle Verantwortung für die
institutionelle Neuordnung. Die Prioritätenset-
zung auf die Pflege des »klassischen Repertoires«
Die Oper als »Museum«
produzierte heftige Konflikte, die 1924 zu seiner
Indem sich Strauss als Angehöriger einer niederge- Demission beitrugen. Auch danach machte er
henden Kultur verstand, fühlte er sich davon dis- weiter Opernpolitik, teils durch persönliche Ein-
pensiert, zum Wegbereiter eines Neuen zu werden, flussnahme, teils in offiziellen Funktionen. 1933–35
zumal er die Möglichkeiten einer künstlerischen suchte er als Präsident der Reichsmusikkammer
Weiterentwicklung für beschränkt hielt. Fern lag und über Kontakte zur Reichstheaterkammer den
ihm der Glaube an die Notwendigkeit einer Rege- Opernbetrieb umzustrukturieren. Nach der Ent-
neration der Menschheit, wie sie im 19. Jahrhun- lassung aus dem Amt blieb ihm zwar keine insti-
dert etwa vom Bayreuther Kreis im Gefolge kultur- tutionelle Macht mehr, über seine Beziehungen zu
kritischer Diagnosen und lebensreformerischer führenden Vertretern des Musikbetriebs betrieb er
Bestrebungen verfochten wurde. Die Aufgabe, vor jedoch weiter intensiv sein Anliegen, die Oper
die er sich und seine Zeit gestellt sah, bestand vor zum Museum zu machen.
allem anderen darin, die hochentwickelten kultu- Die Funktion der Opernhäuser als Museen,
rellen Leistungen der zu Ende gehenden Epoche zu deren Aufgabe darin bestehe, die großen Meister-
sichern, was die ungeheure Energie verständlich werke der Musikgeschichte einem interessierten
macht, mit der er sich noch als über Achtzigjähri- Publikum zu präsentieren, wurde seit dem Ende
ger um den Wiederaufbau des Opernbetriebs be- der 1920er Jahre zu einer stehenden Formulierung
mühte. Das Fehlen neuer Kunstwerke machte ihm des Komponisten, die in kaum einer Auslassung
wenig zu schaffen, die Zerstörung der Opernhäuser über institutionelle Fragen fehlt:
als »Museen« der musikalischen Hochkultur der Bei all diesen Erwägungen scheint mir der rein museale
vergangenen Jahrhunderte in den letzten Kriegs- Charakter unserer Opernhäuser nicht in Betracht gezo-
jahren stürzte ihn jedoch in tiefste Verzweiflung. gen zu sein! Die obengenannten 50 Meisterwerke der
Opernliteratur gehören zum wertvollsten Teil der gesam-
Das schon vor dem Ersten Weltkrieg im Bil- ten Musik! Wo kann man sie einzig und allein genießen?
dungsbürgertum und damit auch bei Strauss ver- In den Opernhäusern! Wer nicht blind ist, kann ohne
breitete Gefühl eines epochalen Kulturverfalls weiteres einen gotischen Dom, einen griechischen Tem-
pel bewundern, kann sich an den Meisterwerken der
vertiefte sich seit Beginn der Weimarer Republik. Plastik und Malerei aller Jahrhunderte erfreuen, da die
Ein Krisenbewusstsein griff auf alle Gebiete der meisten Menschen heutzutage (ich hätte beinahe gesagt,
Kultur über, auch auf die Oper: Der Begriff leider!) lesen können, sind die Erzeugnisse auch der
Dichtkunst ihnen zumindest durch Lektüre zugänglich.
»Opernkrise« diente in den 1920er Jahren als om- Wer aber, außer ein paar Fachleuten kann eine Partitur
nipräsentes Schlagwort für eine Stimmung der entziffern, ja kann selbst nur eine Klaviersonate, ein
Unsicherheit angesichts weitgreifender Verände- Streichquartett so lesen, daß er die volle Klangvorstellung
rungen. Allerdings hing es von der Perspektive ab, hat? Musik also muß gehört, gespielt werden zur Leben-
digmachung einer Sinfonie gehört ein Konzertsaal nebst
was genau als krisenhaft empfunden wurde: Man- dazu gehörigem Orchester und Dirigenten, zu einer Oper
che sahen die Probleme durch die institutionelle ein Theater mit allem Zubehör und zwar erstklassigem
9. Kulturgeschichte und Oper 109

Zubehör, sollen die Werke nur halbwegs in der vom eine Verengung denn auf eine Erweiterung des
Schöpfer gewünschten Form zur Darstellung gelangen. Spielplanes zielten.
(Grasberger 1969, 126 f.)
Das bekannteste dieser Dokumente ist der als
Mit dieser Argumentation lehnte er die Diagnose »Künstlerisches Vermächtnis« betitelte Brief an
»Opernkrise« ab, soweit damit das Fehlen neuer Karl Böhm vom 27. April 1945 (Strauss 1981, 69–
überzeugender Werke gemeint war, und lenkte 75). Dort legte er dar, dass in großen Städten sich
den Fokus auf die Qualität der Aufführung: zwei Opernhäuser verschiedenen Bereichen der
Opernliteratur widmen und unterschiedlichen
Und gesetzt den Fall, es fände von heute ab wirklich keine
Vermehrung derartig wertvoller Opernliteratur statt, so Publikumsbedürfnissen entgegenkommen sollten.
würden unsere Opernhäuser zum mindesten dasselbe Das große Haus war als das eigentliche Museum
bedeuten, wie etwa die alte Pinakothek zu München! […] für die »bedeutendsten Werke« vorgesehen, das
In diesem Sinne kann also von einer Opernkrise nicht
gesprochen werden. Grundbedingung für weiteres Gedei- kleinere Haus sollte dagegen Raum bieten für
hen dieses Opernweltrepertoires sind allerdings gute »Alles, was der heiteren Muse dient« und »zur
Aufführungen unter gewissenhaften, begabten Leitern Erholung eines gebildeten Publikums gespielt
mit vorzüglichen Sängern, Orchestern und Chören.
(Grasberger 1969, 127)
werden« könne, also alle Werke, die »zur Gattung
der feineren Spieloper« gehören wie Mozarts Ent-
Dieses Konzept leitete Strauss’ institutionelles führung aus dem Serail oder die französischen
Agieren seit dem Ende der 1920er Jahre, als die Spielopern von Daniel François Esprit Auber und
schon länger andauernde Krise der Oper auf François-Adrien Boieldieu sowie »intimere, ganz
finanziellem und organisatorischem Gebiet zu auf Dialog gestellte Stücke« wie Ariadne oder Ca-
einem neuen Höhepunkt gelangt war. Die Mu- priccio. Darüber hinaus sollte das kleinere Haus als
seumsidee lässt sich bis zu den kulturpolitischen Experimentierbühne für Novitäten dienen, die
Reformansätzen der Neudeutschen Schule zu- Strauss strikt aus dem Museum ausschließen
rückverfolgen; schon Franz Brendel und Franz wollte. Die Überlagerung verschiedener Kriterien
Liszt hatten Vergleiche zwischen Konzert und bei der Aufteilung auf die zwei Häuser führt zu
Gemäldegalerie oder Musikfest und Sonderaus- Widersprüchen. Teils argumentierte Strauss mit
stellung formuliert. Strauss stand demnach in ei- der Differenzierung zwischen Bildungs- und Un-
ner Tradition, die weit ins 19. Jahrhundert zurück- terhaltungsfunktion, teils mit dem Unterschied
reichte, wobei er die Intentionen neudeutscher der Operngattungen und Orchesterbesetzungen:
Kulturpolitik nahezu ins Gegenteil verkehrte. Das kleine Haus eigne sich für Spielopern sowie
Während es Brendel und Liszt mit dem Museums- für »ernste Opern mit normaler Orchesterbeset-
gedanken gerade um die Förderung zeitgenössi- zung«, das große für Besetzungen mit je 16 ersten
scher Kunstwerke ging, sollten bei Strauss nur die und zweiten Violinen etc. Dazu tritt die ästheti-
den Lauf der Geschichte überlebenden Meister- sche Wertung: Nur die bedeutendsten Werke ge-
werke in den Rang des Musealen kommen. Mit hören ins »Museum«. Da die Kriterien sich nicht
diesem Ansatz stellte er sich ganz in Opposition zu ausschließen, kann manches in beiden Häusern
Zeitgenossen, die versuchten, die verfestigten gespielt werden (wie Figaros Hochzeit oder Ara-
Strukturen des traditionellen Betriebs durch in- bella), werden als Meisterwerke etwa Die Zauber-
novative Theaterkonzepte aufzubrechen. flöte und Così fan tutte im Museum verortet, in der
Konkret suchte Strauss seine Vorstellungen Spieloper dagegen auch Großbesetztes von Hans
durch die Differenzierung verschiedener Opern- Pfitzner oder Modest Mussorgsky. Analog zum
häuser je nach ihren künstlerischen und gesell- Museum wollte Strauss als Sonderausstellung im
schaftlichen Aufgaben sowie durch die strikte Großen Haus auch Stücke spielen lassen, die aus
Zuweisung bestimmter Repertoires auf die unter- historischem Interesse für das Verständnis der
schiedlichen Institutionen zu realisieren. Die Operngeschichte bedeutsam seien, wie die Grand
Ausformulierung dieses Konzepts sowie das Ent- Opéras von Giacomo Meyerbeer und Jacques
werfen von Repertoire-Listen, sogenannten »Mus- Fromental Halévy.
terspielplänen«, geschah in diversen Texten von Obgleich Strauss als Komponist ein Image als
1936 bis 1945, die über die Jahre hinweg eher auf »Internationaler« pflegte, prägt das Ideologem der
110 Ästhetische Positionen

überlegenen deutschen Musik seine Opernpolitik. Mit der Definition seines Werkes als Ziel der
Ins Repertoire des »Museums« wollte er nur ver- Kulturgeschichte fand Strauss einerseits eine Form
einzelt nicht-deutsche Werke aufgenommen se- der künstlerischen Selbstvergewisserung, anderer-
hen: Georges Bizets Carmen sowie Opern von seits diente sie dazu, als kulturpolitisches Schlag-
Hector Berlioz und ausgewählte Stücke von Giu- wort Rang und Geltung seines Schaffens ideolo-
seppe Verdi. Dagegen fehlt nicht zufällig der er- gisch zu fundieren. Mit der kulturgeschichtlichen
folgreichste italienische Zeitgenosse Giacomo Konstruktion erhob er den Anspruch darauf, dass
Puccini auch in den Repertoirelisten der Spieloper. seine Opern als unverrückbarer Bestandteil des
Im Zentrum des Museumskonzepts stand der kulturellen Kanons zu betrachten und mit einem
prinzipielle Ausschluss aller Novitäten aus dem ihrer historischen und ästhetischen Bedeutung
großen Haus als dem eigentlichen Museum und angemessenen Umfang im Repertoire der Opern-
die Reduktion zeitgenössischer Werke auch im häuser zu verankern seien. Sicher war die intensive
kleineren Haus. Drastisch wird in den Muster- Bemühung, das eigene Werk in das kulturelle Be-
spielplänen Strauss’ Ablehnung aller Zeitgenossen wusstsein des Bildungsbürgertums einzubinden
neben ihm greifbar. Das betrifft nicht nur Avant- und gleichzeitig die Werke seiner Zeitgenossen
gardisten wie Alban Berg, Paul Hindemith, Béla strikt auszugrenzen, nicht ausschließlich propagan-
Bartók, Ernst Krenek, Kurt Weill oder Igor Stra- distisch motiviert, wie es ihm von seinen Gegnern
winsky, sondern auch gemäßigt Moderne wie immer wieder vorgeworfen wurde. Denn daran,
Alexander Zemlinsky, Franz Schreker oder Erich dass Strauss selbst zutiefst von der Gültigkeit seines
Wolfgang Korngold. Aus dem früheren 20. Jahr- ästhetischen Konzepts überzeugt war, kann kaum
hundert sind lediglich Werke von Hans Pfitzner, ein Zweifel bestehen. Die Verknüpfung der Be-
Gustave Charpentier, Leo Blech, Eugen d’Albert, griffe Kultur und Geschichte erwies sich offen-
Hans Sommer und Engelbert Humperdinck ange- sichtlich gerade dadurch als schlagkräftig, dass sie
führt; ab 1920 bleiben nur mehr seine eigenen offen für eine nach innen – auf das eigene Selbst-
Werke übrig, was verdeutlicht, dass Strauss sich als verständnis – und nach außen – auf die Durchset-
einzigem Zeitgenossen einen Platz im »Museum« zung der Autorinteressen wie der kulturpolitischen
einräumte. Ziele – gerichtete Positionierung war.

Literatur

Bayreuther, Rainer: Richard Strauss’ »Alpensinfonie«. –: Richard Strauss und die Wiener Oper. Tutzing 1969.
Entstehung, Analyse und Interpretation. Hildesheim Gregor, Joseph (Hg.): Meister und Meisterbriefe um
u. a. 1997. Hermann Bahr. Wien 1947.
Berger, Anton: Richard Strauss als geistige Macht. Ver- Hottmann, Katharina: »Die andern komponieren. Ich
such eines philosophischen Verständnisses. Gar- mach’ Musikgeschichte!« Historismus und Gattungs-
misch-Partenkirchen o. J. [1964]. bewusstsein bei Richard Strauss: Untersuchungen
Bollenbeck, Georg: Bildung und Kultur. Glanz und zum späteren Opernschaffen. Tutzing 2005.
Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt Jaeger, Friedrich: Bürgerliche Modernisierungskrise und
a. M./Leipzig 1994. historische Sinnbildung. Kulturgeschichte bei Droy-
Brosche, Günter (Hg.): Richard Strauss – Roland Ten- sen, Burckhardt und Max Weber. Göttingen 1994.
schert. Briefwechsel 1943–1949. In: Richard Strauss- Marschalk, Max: Gespräche mit Richard Strauss. In:
Blätter 10 (1977), 1–10. Vossische Zeitung, 15. Oktober 1918.
Burckhardt, Carl J./Mertz-Rychner, Claudia (Hg.): Paumgartner, Bernhard: Richard Strauss in der Schweiz.
Hugo von Hofmannsthal – Carl J. Burckhardt. Brief- Mit einem Anhang von Otmar Nussio. In: Österrei-
wechsel. Neuausgabe. Frankfurt a. M. 1991. chische Musikzeitschrift 19 (1964), 379–385.
Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss: Briefe an die El-
der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis tern. 1882–1906. Zürich/Freiburg i. Br. 1954.
zum Weltkrieg, Bd. II. München 1928. –: Ein paar Erinnerungen an Richard Strauss. Zürich 1964.
Grasberger, Franz (Hg.): Der Strom der Töne trug mich Strauss, Gabriele (Hg.): Lieber Collega! Richard Strauss
fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Tutzing im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten
1967. und Dirigenten. 1. Bd. Berlin 1996.
9. Kulturgeschichte und Oper 111

Strauss, Richard: Musik und Kultur. In: Fred Hamel/ – (Hg.): Richard Strauss – Ludwig Thuille. Ein Brief-
Martin Hürlimann (Hg.): Das Atlantisbuch der wechsel. Tutzing 1980.
Musik. Berlin/Zürich 1934, [5 f.]. Youmans, Charles Dowell: Richard Strauss’s Orchestral
–: Ein Brief an Dora Wihan-Weis. In: Willi Schuh Music and the German Intellectual Tradition. The
(Hg.): Richard-Strauss-Jahrbuch 1959/60, 55–58. Philosophical Roots of Musical Modernism. Bloo-
Tadday, Ulrich (Hg.): Richard Strauss. Der griechische mington/Indianapolis 2005.
Germane. München 2005. Zurlinden, Hans: Erinnerungen an Richard Strauß,
Trenner, Franz (Hg.): Cosima Wagner – Richard Strauss. Carl Spitteler, Albert Schweitzer, Max Huber, Cuno
Ein Briefwechsel. Tutzing 1978. Amiet, Arthur Honegger. St. Gallen 1962, 10–40.
KOMPOSITORISCHE ARBEIT
114

10.
Der Kompositionsprozess
Von Jürgen May

Einführung Auseinandersetzung mit Strauss’ Schaffensprozess


erst spät begonnen hat.
Forschungsstand Eine erste grundlegende Untersuchung liefert
und bisherige Einschätzungen Katzenberger (1993). Beispielhaft beleuchtet er die
Die Vorstellung von Strauss’ Kompositionsweise – Entstehungsprozesse der frühen Tondichtungen
das unterscheidet ihn nicht von anderen promi- sowie, in Auswahl, der in Zusammenarbeit mit
nenten Komponisten – ist von Simplifizierungen Hugo von Hofmannsthal entstandenen Opern.
und Klischees geprägt. Vorherrschend erscheint Anhand von Quellen wie Programmentwürfen,
hier sicherlich das Bild des quasi mühelos Schaf- Skizzen, Textentwürfen und Korrespondenz führt
fenden, dem ohne jeden künstlerischen Leidens- er die vielschichtigen Probleme des komplexen
druck ein Werk nach dem anderen aus der Feder Strauss’schen Kompositionsvorgangs vor Augen.
fließt. Überspitzt und zum Bild banaler quasi- Bestätigt und ergänzt werden Katzenbergers wenn-
industrieller Massenfertigung pervertiert findet gleich nicht umfassende, so doch wegweisende
sich diese Sichtweise im bösen Wort von der Feststellungen durch Schlötterer 1999. Dieser weist
»Komponiermaschine« wieder, mit dem Adorno zusätzlich auf das ausgeprägte musikgeschichtliche
das Schaffen vor allem des alternden Strauss eti- und kulturhistorische Bewusstsein hin, von dem
kettiert (Adorno 1964, 584). Dass sich derlei Zerr- Strauss im Augenblick des Komponierens stets ge-
bilder so hartnäckig halten, ist nicht zuletzt auch leitet werde. Eine Zusammenfassung des bis dahin
einigen markanten, meist ironisch gemeinten gewonnenen Erkenntnisstandes sowie eine detail-
Äußerungen des Komponisten selbst zu verdan- lierte Beschreibung der verschiedenen Stadien des
ken. Zitate wie jenes zur Alpensinfonie, er habe Strauss’schen Schaffensprozesses (s. u.) findet sich
»einmal so komponieren wollen, wie die Kuh die bei Werbeck (2010). Gut erschlossen ist darüber
Milch gibt« (Specht 1921, 332), oder, über Ein hinaus der Entstehungsprozess der Tondichtungen
Heldenleben, er »componire […], um einem drin- (Werbeck 1996). Für die Opern dagegen liegen
genden Bedürfniße abzuhelfen eine größere Ton- bisher lediglich Monographien zu einzelnen Wer-
dichtung«, die, »dank der kräftigen Landluft, in ken vor, die die Kompositionsweise in der Regel im
der Skizze so weit gediehen [ist], daß ich, wenn Hinblick auf das fertige Werk als Endprodukt des
nichts besonderes dazwischen kommt, hoffen jeweiligen Schaffensvorgangs untersuchen (u. a.
darf, die Partitur bis Neujahr zu vollenden« (Wer- Gilliam 1984; Gilliam 1991; Jones 2009; Wolf 2009).
beck 1996, 158), suggerieren eine Naivität des Im Folgenden soll der Versuch unternommen
Strauss’schen Komponierens, die es geradezu in werden, ausgehend von bisherigen Forschungen,
die Nähe landwirtschaftlicher Produktionspro- jedoch erweitert um Erkenntnisse, die aufgrund
zesse rückt. Die Hauptursache für derlei klischee- neuerer Untersuchungen des Quellenmaterials
hafte Vorstellungen ist aber wohl darin zu suchen, gewonnen wurden und noch werden, den
dass eine kritische, wissenschaftlich fundierte Strauss’schen Kompositionsprozess so differenziert
10. Der Kompositionsprozess 115

wie möglich darzustellen. Freilich fehlen für eine Schaffensvorgang findet sich bereits in einem
gültige Bewertung vieler Aspekte bislang die em- anonymen Beitrag »Richard Strauß. Zum 50. Ge-
pirischen Grundlagen; hinsichtlich der Quellen burtstage des Tondichters« im Neuen Wiener Journal
liegen bisher zwar Studien zu einzelnen Werken (1914). Vor dem Komponieren einer Oper, so wird
oder Werkgruppen vor, eine umfassende Untersu- Strauss zitiert, beschäftige er sich zunächst »sechs
chung steht jedoch aus (Werbeck 2010, 25). Daher Monate lang mit dem Text«, bevor er »auch nur
stützt sich ein großer Teil der Aussagen auf den als die geringste vorbereitende Skizze […] anlege«.
exemplarisch angenommenen Einzelfall. Es ist zu Erst dann beginne er, erste Ideen aufzuzeichnen.
hoffen, dass zukünftige Forschungen die hier ge- Daraus mache er Skizzen, die er »später ausar-
troffenen, vorläufigen Einschätzungen bestätigen beite«, und die schließlich »zu der Klavierpartitur
oder aber korrigieren und weiter differenzieren. zusammengefügt werden«. Diese arbeite er »vier-
Die Grundlagen für derartige systematische Stu- mal« durch, bevor er abschließend die Orchester-
dien wurden mit der Erstellung des Richard- partitur erstelle. Allerdings stellt sich die Frage
Strauss-Quellenverzeichnisses (RSQV) geschaffen. nach der Authentizität dieser dem Komponisten
zugeschriebenen Äußerungen. Denn als Willi
Schuh ihm mehr als dreißig Jahre später einen
Grundlagen für die Beschreibung
»Richard Strauss über seine Schaffensweise« über-
der Kompositionsweise: Selbstzeugnisse,
schriebenen Text vorlegte, der passagenweise fast
Fremdzeugnisse, Quellenbefund
wörtlich mit dem zitierten Zeitungsartikel über-
Die Frage nach dem künstlerischen Schaffenspro- einstimmt, kommentierte Strauss das Typoskript
zess geht stets einher mit der Suche nach Äuße- mit Randnotizen wie »Quatsch!« und »Alles un-
rungen des jeweiligen Schaffenden selbst, in denen nötig« und merkte abschließend an: »Bitte davon
er vermeintlich Einblick in die Geheimnisse seiner keinen Gebrauch machen!« (Bayerische Staats-
Künstlerwerkstatt gewährt. Tatsächlich ist eine bibliothek, Ana 333. I. Schuh, Nr. 203). Immerhin
Vielzahl solcher Äußerungen auch von Richard zeichnet sich in dieser Beschreibung, in der sich
Strauss überliefert (z. B. Strauss 1895; Marschalk der Kompositionsprozess als rationaler, nach ei-
1918; Waltershausen 1952; Strauss 1981). Aber so nem festgelegten Plan ausführbarer Vorgang dar-
reizvoll es erscheinen mag, Aufklärung über das stellt, eine Gliederung in vier Stadien – ›vorbe-
Komponistenhandwerk gewissermaßen aus aller- reitende Skizzen‹, ›Skizzen‹, ›Klavierpartitur‹ und
erster Hand zu erhalten, so sehr ist vor einer ›Partitur‹ – ab, wie sie bis in heutige Veröffentli-
Überbewertung derartiger ›Selbstzeugnisse‹ zu chungen über Strauss’ Kompositionsweise Bestand
warnen (May 2011). Oft sind sie einer bestimmten hat (wenngleich unter Verwendung teils abwei-
Situation geschuldet, etwa, um die Neugier von chender Begriffe): Vorskizzen oder ›presketch-stage‹
Presse und Publikum zu bedienen. Gerade bei (Erwin 1981, 349), Skizzen, Particell und Partitur.
Strauss ist häufig Ironie im Spiel; und nicht zuletzt Ob dagegen Zeugnisse Dritter in Bezug auf
spielt das Bedürfnis nach Selbststilisierung eine einen so komplexen Vorgang wie den Komposi-
gewichtige Rolle. Zwar wird man nicht umhin- tionsprozess überhaupt relevant sind, erscheint
kommen, diese Selbstzeugnisse sorgfältig auszu- zweifelhaft, handelt es sich doch in den meisten
werten und sie bis zu einem gewissen Grade ernst Fällen um anekdotische oder kolportagehafte Be-
zu nehmen; innere Widersprüche aber (s. u.) sowie richte; und selbst wenn der Zeuge, der sie über-
eine Tendenz zur Überhöhung des Gedankens der liefert, sich unmittelbar auf Strauss beruft, ist
melodischen ›Eingebung‹ vor allem in Strauss’ Vorsicht am Platze. Besonders die dem Komponis-
späten Schriften (besonders Strauss 1981) lassen ten durch Arthur M. Abell in den Mund gelegten
dessen eigene Ausführungen über seine Komposi- Äußerungen tragen eher zu einer Mystifikation
tionsweise für eine ernsthafte Auseinandersetzung denn zur Erhellung des Sachverhalts bei (Abell
mit der Frage nach seinem Schaffensprozess nur 1962/1955, 23 f.).
bedingt geeignet erscheinen. Den sicherlich tiefsten Einblick in den Kom-
Eine ausgesprochen detaillierte und um Sys- positionsvorgang bieten letztlich die überlieferten
tematisierung bemühte Darstellung von Strauss’ Quellen, jene Dokumente also, in denen sich der
116 Kompositorische Arbeit

Entstehungsprozess schriftlich manifestiert hat. Arbeitsstadien


Wenngleich ein großer Teil der geistigen Arbeit
beim Komponieren niemals sichtbar nach außen Wie erwähnt, wird nach gegenwärtigem Stand der
dringt und daher die Quellen den Entstehungs- Diskussion Strauss’ Kompositionsprozess im We-
vorgang eines Werkes immer nur fragmentarisch sentlichen in vier Arbeitsphasen oder -stadien
abbilden, so bleiben sie doch die einzigen ›geöff- unterteilt, eine Schematisierung, die im Folgen-
neten Fenster‹, die einen Einblick in die Kompo- den anhand der Quellenbefunde zu überprüfen
nistenwerkstatt überhaupt zulassen. Die sorgfäl- und zu modifizieren sein wird. Meine Ausführun-
tige Auswertung und der Vergleich dieser Quellen gen stützen sich zum Teil auf vorliegende Einzel-
müssen daher im Vordergrund stehen, wenn man untersuchen, zum Teil aber auch auf durch eigene
sich einem Verständnis der Kompositionsweise Arbeit mit den Quellen gewonnene Erkenntnisse;
von Richard Strauss annähern will. Dabei bleibt diese können vorläufig nur exemplarischen Cha-
zu bedenken, dass nur ein Teil der Materialien, die rakter haben, da eine systematische, statistische
während der kompositorischen Arbeit entstanden Auswertung des Quellenmaterials noch immer
sind, erhalten bzw. verfügbar ist. Strauss ver- fehlt.
schenkte etwa häufig Skizzenbücher oder heraus- Bei der Definition der einzelnen Arbeitsstadien
getrennte Skizzenblätter; Particelle oder Partituren erfolgte die Unterscheidung bisher nicht primär
wurden z. T. verkauft. Sofern sich derlei Quellen aufgrund inhaltlicher Kriterien, also einer qualita-
heute nicht in öffentlichen Sammlungen befin- tiven Typisierung der Notate selbst, sondern auch
den, ist ihr Verbleib mitunter nur schwer zu ermit- in hohem Maße aufgrund der physischen Beschaf-
teln. Andere von Strauss im Zusammenhang mit fenheit des Materials, auf das Strauss notierte; da-
einer Komposition zu Papier gebrachte Notizen bei wurde offenbar stillschweigend vorausgesetzt,
landeten im Papierkorb. Ein Teil der Dokumente dass das physische Material jeweils mit dem Typus
schließlich fiel den Wirren der Zeitläufte zum der Notate kongruent sei (Schlötterer 1999, 25).
Opfer und ist unwiederbringlich verloren. Konkret gilt daher als Skizze vor allem, was
Strauss in die sogenannten Skizzenbücher notierte:
querformatige, in der Größe etwa einem Oktav-
Ausbildung
format entsprechende Notenhefte. Alles, was er
Strauss erlernte das Handwerk des Komponierens dagegen aufschrieb, bevor er mit der Arbeit in
nicht an einem Konservatorium, sondern in tradi- diesen ›Taschenskizzenbüchern‹ begann, also bei-
tioneller Weise. Neben dem eigenen Vater, der die spielsweise Annotate in Textvorlagen wie Gedich-
frühen Kompositionsversuche, die seit Strauss’ ten oder Opernlibretti, wird im Allgemeinen den
sechstem Lebensjahr nachweisbar sind, korrigie- Vorskizzen (Erwin 1981, 348 f.) zugerechnet. So
rend begleitete, fanden sich Lehrer in dessen un- plausibel diese Unterscheidung auf den ersten
mittelbarem beruflichem Umfeld. Systematischen Blick erscheint, so sehr wird sie doch durch den
und kontinuierlichen Kompositionsunterricht konkreten Quellenbefund in Frage gestellt. Denn
erhielt Strauss zwischen 1875 und 1880 beim wenn Strauss am Rand einer Typoskriptseite, die
Münchner Hofkapellmeister Friedrich Wilhelm beispielsweise einen Operntext enthält, selbst
Meyer, der ihn in Harmonielehre und Kontra- Notenlinien zieht, um ein Motiv, eine kurze Har-
punkt unterwies und ihn auch in die Grundlagen moniefolge oder ähnliches zu notieren, dann be-
der Instrumentation einführte (Schuh 1976, 39 f.). steht kein prinzipieller Unterschied zu vergleich-
Aus der Zeit des Unterrichts sind mehrere Noten- baren Skizzen in einem Skizzenbuch mit vorge-
hefte und -blätter mit satztechnischen Studien druckten Notensystemen. Umgekehrt gibt Strauss
überliefert (RSA; RSQV q00109, q00152, q00166), in den Skizzenbüchern ebensolche verbalen Um-
die bisher noch nicht detailliert analysiert wurden. schreibungen musikalischer Sachverhalte, etwa
Tonartangaben oder Akkordbezeichnungen, wie
sie häufig am Rand von Textvorlagen zu finden
sind. Es kommt sogar vor, dass Strauss in ein Skiz-
zenbuch Passagen aus einer Textvorlage exzerpiert,
10. Der Kompositionsprozess 117

etwa in der Frühphase der Komposition von Ara- vollständig abgeschlossen ist. Solche Überlagerun-
bella (Bayerische Staatsbibliothek, Mus.Ms 20858; gen konnten für Werke unterschiedlichster Gat-
RSQV q00750). tungen festgestellt werden: für Opern wie Salome
Wenngleich die Einträge in den Skizzenbü- (Wolf 2009) ebenso wie für Instrumentalkompo-
chern zum größeren Teil längere musikalische sitionen wie die Metamorphosen (Mosch 2011).
Abschnitte umfassen – von wenigen Takten bis Schwieriger als die Beschreibung dieser anein-
hin zu Passagen, die sich über mehrere Seiten er- ander anknüpfenden und ineinandergreifenden
strecken – als jene in Textvorlagen, so lässt sich ein Entstehungsvorgänge stellt sich indes das Begrei-
qualitatives Unterscheidungskriterium zwischen fen des allerersten Moments einer Komposition,
›Vorskizzen‹ und ›Skizzen‹ kaum definieren. Statt- des Augenblicks der Inspiration oder des ersten
dessen scheint es mir treffender, innerhalb des Impulses dar.
Skizzenstadiums zwischen frühen und graduell
mehr oder weniger fortgeschrittenen Skizzen zu
Kompositionsidee und Inspiration
unterscheiden. Selbst die von Strauss selbst getrof-
fene Differenzierung in ›Rohskizzen‹ und ›Rein- Vor dem Beginn der eigentlichen kompositori-
schriftskizzen‹ (Schlötterer 1999, 25) erscheint vor schen Arbeit steht die einer Komposition zu-
dem Hintergrund der beschriebenen Quellen- grunde liegende Idee. Woher diese erste Idee
situation fragwürdig, zumal der Komponist bei kommt, wodurch sie angeregt oder ausgelöst
der Verwendung dieser Bezeichnungen keineswegs wurde, ist mitunter schwer zu fassen, mitunter
einheitlich und eindeutig verfährt. aber auch aus den überlieferten Quellen klar er-
Für das, was in der Strauss-Literatur allgemein sichtlich. Ähnlich verhält es sich mit den daran
Particell genannt wird, also die erste durchgängige anschließenden Prozessen, die letztlich zu der
Niederschrift des gesamten Werkes in zwei bis drei Entscheidung führen, ob eine solche Werkidee in
Notensystemen, kannte Strauss selbst unterschied- einen konkreten Kompositionsplan umgesetzt
liche Begriffe: Die schon erwähnte ›Klavierparti- oder aber irgendwann verworfen wird. Das Werk-
tur‹ gehört ebenso dazu wie die wenig differenzie- verzeichnis von Erich Müller von Asow (Müller
rende Bezeichnung ›Skizze‹. Wegen dieser Unein- von Asow 1974) verzeichnet eine Fülle letztlich
heitlichkeit der Strauss’schen Terminologie, deren unausgeführter Kompositionsvorhaben, für die
einzelne Begriffe zudem teils missverständlich das Einsetzen des eigentlichen Kompositionspro-
sind, empfiehlt es sich, den korrekten Terminus zesses etwa in Form von Skizzenarbeit nicht nach-
technicus ›Particell‹ beizubehalten, auch wenn er zuweisen ist.
von Strauss so gut wie nie verwendet wurde. Da- Strauss’ eigene Äußerungen zum musikalischen
gegen bedarf der Begriff der Partitur keiner weite- Einfall, zur Inspiration sind – wenigstens teil-
ren Präzisierung. weise – widersprüchlich. Betont er einmal:
Generell ist zu bemerken, dass es sich bei den »Träume spielen für mein ›Erfinden‹ gar keine
einzelnen Kompositionsstadien nicht durchgängig Rolle« (Strauss 1895, 534), so stellt er ein andermal
um scharf voneinander abzugrenzende Arbeits- fest, der musikalische Einfall ereile ihn »besonders
phasen handelt, von denen die folgende erst be- des Morgens unmittelbar nach dem Erwachen
ginnt, wenn die vorhergegangene abgeschlossen oder im Traume« (Strauss 1981, 163). Und die Be-
ist; vielmehr zeigt sich mit zunehmender Erschlie- merkung, seine »künstlerische Phantasie« werde
ßung des Quellenmaterials, wie sehr die einzelnen gerade nicht durch »Anschauung von großen Na-
Kompositionsphasen sich gegenseitig überlagern turschönheiten« angeregt (Strauss 1981, 162), steht
und durchdringen: Wenn etwa Strauss nach einer im Gegensatz zu Äußerungen wie jener in einem
Periode ausgiebiger Skizzenarbeit begonnen hat, Brief an Hans von Bülow über die Entstehung von
das Particell niederzuschreiben, kehrt er zwischen- Aus Italien: »Ich habe nie so recht an eine Anre-
zeitlich immer wieder zu den Skizzen zurück, um gung durch Naturschönheiten geglaubt, in den
einzelne Passagen weiter auszuführen oder umzu- römischen Ruinen bin ich eines Besseren belehrt
arbeiten; und der Beginn der Arbeit an der Parti- worden, da kommen die Gedanken nur so ange-
tur setzt nicht zwingend voraus, dass das Particell flogen« (Strauss 1996, 38).
118 Kompositorische Arbeit

Wenngleich Strauss wiederholt bestreitet, dass Verlauf des Kompositionsprozesses immer weiter
die erste Anregung zu einem Werk durch einen konkretisieren (s. u. S. 119).
äußeren Anstoß erfolgt (Strauss 1895, 536; Strauss Inwieweit allerdings ein äußerer Anstoß – oder
1981, 162), lässt sich doch die Bedeutung außer- gar eine umfassende Werkidee – zwingend notwen-
musikalischer Reize als Schaffensimpulse nicht dig ist, um einen musikalischen Schöpfungsprozess
leugnen: ein inspirierender Text oder ein mytho- in Gang zu setzen, erscheint zweifelhaft. Unter den
logisches Sujet, Natureindrücke oder auch eigenes in den Skizzenbüchern festgehaltenen musikali-
Erleben. Allerdings will Strauss diese Auslöser schen Gedanken finden sich – wenigstens verein-
dann eher im Sinne von ›Katalysatoren‹ verstan- zelt – auch solche, die entweder ohne einen nach-
den wissen, die eine ohnehin unterbewusst vor- weisbaren Anlass niedergeschrieben wurden oder
handene musikalische Vorstellung lediglich an die aber in einem zunächst ganz anderen Kontext ent-
Oberfläche befördern. Im Zusammenhang mit standen und erst nach Jahren Eingang in ein sehr
der Entstehung von Liedern formuliert er das so: viel später konzipiertes Werk fanden. Prominentes-
Offenbar hatte sich da innerlich Musik angesammelt u.
tes Beispiel ist jenes Thema, das Strauss bereits im
zwar Musik ganz bestimmten Inhaltes – treffe ich nun September/Oktober 1902 in ein Skizzenbuch zur
[…] auf ein nur ungefähr im Inhalt correspondierendes Symphonia domestica (TrSk 10; RSQV q13010) no-
Gedicht, so ist das opus im Handumdrehen da, findet tierte, dann aber in der Tondichtung nicht verwen-
sich […] das Gedicht nicht, so wird dem Drang zur
Production wohl auch Genüge gethan u. ein mir über- dete. In der Folgezeit durchlief das Thema eine
haupt componirbar erscheinendes Gedicht in Töne um- ganze Reihe von Metamorphosen, was seine inhalt-
gesetzt – aber es geht langsam, es wird gekünstelt, die liche Konnotation betrifft, bevor es Jahre später als
Melodie fließt zäh […]. (Strauss 1895, 537)
Thema des Octavian zu einem zentralen Bestand-
Als häufigste Inspirationsquelle für Strauss sind teil der Oper Der Rosenkavalier avancierte (Edel-
tatsächlich – im weitesten Sinne – literarisch-poe- mann 1985, 83 f.; Okada 1998, 276–278).
tische Vorlagen auszumachen: die Lektüre eines
Gedichtes oder eines Dramas, also konkrete Ma-
Von den Skizzen zum Particell
nifestationen literarischer und poetischer Stoffe,
aber auch die Stoffe selbst, wie Mythen oder lite- Wenn Strauss, wie oben zitiert, behauptet, er be-
rarische und mythologische Gestalten. Offenkun- schäftige sich zunächst sechs Monate lang mit ei-
dig ist die Vorlage dort, wo ein vorhandener Text nem Text, bevor er überhaupt erste Skizzen nieder-
unverändert oder mehr oder weniger modifiziert schreibe, dann steht dies im Widerspruch zum
vertont wird, also etwa in Lied- oder Chorkompo- Quellenbefund. Wie sehr er stattdessen vom ersten
sitionen. Hier erfolgt, wie beschrieben, der Kom- Moment an, da er sich mit einem zu komponie-
positionsimpuls oft unmittelbar während der renden Stoff auseinandersetzt, in Musik zu denken
Lektüre des entsprechenden Textes. Im Fall der beginnt, ist besonders eindrucksvoll für die Opern
Opern ist der Weg vom ersten Einfall – häufig dokumentiert, da sich vielfältige Spuren der Arbeit
ausgelöst zunächst von der unspezifischen Idee in den Textvorlagen finden. Bestätigung findet das
eines Sujets – bis zur kompositorischen Umset- in zahllosen Briefen, die unzweifelhaft Strauss’
zung weniger direkt: Der Stoff muss sich zunächst unmittelbare kompositorische Reaktion auf soeben
weiter konkretisieren und schließlich in einem erhaltene Textvorlagen belegen (RSHH 56, 58, 61).
Libretto feste Gestalt annehmen. Liegen den frü- Im Falle der Salome ging Strauss – nachdem ein
hen Opern Salome und Elektra noch fertige Thea- Libretto des Wiener Dichters Anton Lindner nicht
terstücke zugrunde, so bildet bei späteren Werken seinen Vorstellungen entsprach – von der deut-
wie Die Ägyptische Helena, Die schweigsame Frau schen Übersetzung des Theaterstücks von Oscar
oder Daphne der zunächst ungestaltete Stoff oder Wilde durch Hedwig Lachmann aus (Wolf 2009,
Mythos den Ausgangspunkt. Ähnlich wie mit den 24 ff.). Den vorliegenden Text richtete Strauss zu-
zuletzt genannten Opern verhält es sich mit lite- nächst operngemäß ein. Schon diese frühe Arbeits-
rarischen oder mythologischen Stoffen, die als phase ist von musikalischem Denken bestimmt:
Grundlage programmatischer Instrumentalwerke Neben zahlreichen Strichen sind Textumstellungen,
dienen. Auch hier muss sich die erste Idee im Auflösung von Nebensätzen sowie die Änderung
10. Der Kompositionsprozess 119

von weiblichen in männliche Endungen am Satz- Beginn entworfene Konzept hat sich während des
ende zu beobachten – durchwegs Eingriffe, die Kompositionsprozesses bemerkenswert wenig ver-
dem musikalischen Fluss und der Singbarkeit des ändert. Dagegen war das ursprüngliche Programm
Textes zugutekommen (Wolf 2009, 120 ff.). der Alpensinfonie, das Strauss in TrSk 9 (RSQV
Bei den meisten seiner Opern konnte Strauss q13009) notiert hatte, während des sich über meh-
allerdings auf Texte zurückgreifen, die eigens für rere Jahre hinziehenden Schaffensvorgangs immer
ihn – und in den meisten Fällen auch unter seiner wieder Modifikationen unterworfen. Dies hing
Mitarbeit – entstanden. Ob es sich nun um ein nicht zuletzt mit dem Wandel der musikalischen
selbst erarbeitetes oder ein für ihn geschriebenes Konzeption zusammen, deren gravierendste Ände-
Libretto handelt: Stets weisen die Textvorlagen rung sicher der Schritt von der ursprünglich vier-
zahlreiche Einträge musikalischer Art von der sätzigen, in der Tradition der Symphonie stehen-
Hand des Komponisten auf. Hier herrschen deut- den Anlage zur einer einsätzigen, eher am Modell
lich Tonartangaben oder Akkordbezeichnungen der Tondichtungen orientierten Form war.
vor (Erwin 1981, 348–350), die im Hinblick auf die Neben solchen vorab formulierten Programm-
Werkentstehung jeweils ganz unterschiedliche entwürfen finden sich in den Skizzenbüchern
Aufgaben erfüllen: Sie können als Chiffren be- auch zwischen den eigentlichen musikalischen
stimmte Personen oder Situationen charakterisie- Skizzen immer wieder konzeptionelle Notizen.
ren oder aber Fixpunkte in der harmonischen Ähnlich wie bei den Annotaten in Textvorlagen
Gesamtkonzeption des Werkes markieren. Dane- spielen hier Tonartenangaben eine prominente
ben findet man Takt- oder Tempoangaben, aber Rolle, wie etwa im TrSk 15 (RSQV q13015) zu Sa-
auch Notenskizzen, teils mit, teils ohne Noten- lome, wo Strauss am unteren Rand der S. 28 no-
linien notiert: Motive und Themenfragmente, die tiert: »bleibt auf Asdur als Dominante / dan[n]
nicht selten auch harmonisiert sind. Cismoll dazwischen furioso Skalen« (Wolf 2009,
Anders als bei textgebundener Musik verhält es 182). Auffällig ist auch die Durchdringung pro-
sich bei den Instrumentalkompositionen. Ist die grammatischer und musikalischer Aspekte, die oft
Entstehung der frühen Instrumentalwerke, deren schon sprachlich untrennbar miteinander ver-
Komposition nicht zuletzt auch dazu diente, sich flochten sind. Auf S. 47 von TrSk 1 (RSQV q13001)
das entsprechende Handwerk anzueignen, ver- etwa findet sich die folgende Notiz zu Don Juan:
gleichsweise schlecht dokumentiert, so stellt sich von da toll u. lustig mit Wonnethema auf Cisdurcanti-
die Situation bei den Tondichtungen bereits an- lene, die mit dem Eintritt der Erschöpfung von dem 1.
ders dar. Dem eigentlichen Kompositionsprozess Don Juanthema unterbrochen wird in den Bratschen,
anfangs diese durchklingt, mit einem Ruck fährt er auf
gehen hier häufig Überlegungen zum Programm mit einem kühnen Sprung des 1. Themas auf die Cdomi-
voran, die sich aber im konkreten Fall als ausge- nante von da in einem leichtfertigen Thema weiter, von
sprochen unterschiedlich erweisen, sowohl was die dem es in immer tolleres Treiben geht, lustig Gejauchze
unterbrochen von Schmerzens u. Wonneseufzern Durch-
Ausführlichkeit betrifft, als auch die Frage, inwie- führung nach immer ffo höchster Steigerung plötzliche
weit sie während des Kompositionsprozesses stabil Ernüchterung englisch Horn öde, die Liebes u. Freu-
bleiben oder Modifikationen unterworfen sind. denthemen klingen planlos durcheinander, unterbrochen
Als erste programmatische Notiz zur Symphonia von neuen Sehnsuchts u. Wonneschauern endlich schließt
sich ein neues Liebesmotiv sehr schwärmerisch u. apart
domestica etwa schrieb Strauss am 25. Mai 1902, an, dann plötzlich neues Auffahren 1. Thema großer[?]
während eines Aufenthaltes auf der Insel Wight, schneidiger Coda stürmischer Schluß. (vgl. auch Werbeck
die »Idee zu einem Familienscherzo mit Doppel- 1996, 115 f.)
fuge zu 3 Themen« nieder und erwähnt im Folgen- Die Skizzen in Musiknotation spiegeln, wenn auch
den nicht nur die drei den Familienmitgliedern nicht lückenlos, am ehesten den komplexen Prozess
zugeordneten Hauptthemen sowie die zugehörigen der Entstehung der Strauss’schen Werke wieder.
Tonarten: F-Dur (Papa), H-Dur (Mama) und D- Strauss’ Arbeitsweise bei der Skizzenarbeit ist aller-
Dur (Bubi, der Sohn); er führt auch eine Abfolge dings erst zu einem kleinen Teil erforscht. Entspre-
von Szenen aus dem Familienleben an, die den chend schwierig ist es, diesen Prozess aus den Skiz-
Verlauf der späteren Komposition im Wesentli- zenbüchern zu rekonstruieren. Die Probleme be-
chen vorzeichnen (Werbeck 1996, 173). Dieses zu ginnen schon mit rein technischen Fragen wie z. B.
120 Kompositorische Arbeit

der Reihenfolge, in der die Seiten der Skizzenbücher Diese stets am musikalischen Ganzen orien-
beschrieben wurden. Zwar kann man davon ausge- tierte Kompositionsweise führt nicht nur dazu,
hen, dass Strauss bei der Verwendung der Skizzen- dass Strauss hin und wieder von seinem Librettis-
hefte nicht völlig chaotisch vorging, sondern sie im ten vorab Textteile aus einem späteren Abschnitt
Großen und Ganzen zunächst von vorn nach hin- der Oper anfordert; mitunter kommt es kurioser-
ten beschrieb, doch sind auch zahlreiche Ausnah- weise auch vor, dass Strauss eine im Gesamtkon-
men bekannt. So kommt es vor, dass er mehrere text wichtige Stelle musikalisch skizziert, ohne
Systeme oder einzelne Seiten frei lässt, in die dann dass er dafür schon einen Text erhalten hätte.
später weiter skizziert wird. Das Skizzenbuch TrSk Dieses Vorgehen lässt sich beispielhaft mehrfach
21 zur Oper Der Rosenkavalier (RSQV q13021) – es während der Arbeit am Rosenkavalier verfolgen, so
handelt sich hier um keinen Einzelfall – hat Strauss beim Terzett zwischen Ochs, Marschallin und
von vorn wie von hinten begonnen zu füllen, so Octavian im ersten Akt (Werke Bd. 5, 89 ff.) oder
dass er sich quasi von beiden Seiten zur Mitte vor- beim Schlussduett des dritten Aktes (Werke Bd. 5,
arbeitet (Kech 2011, 31). Mitunter arbeitete Strauss 511 ff.). In beiden Fällen machte Strauss Hof-
auch in mehreren Skizzenbüchern parallel, etwa, mannsthal präzise Vorgaben für die Gestaltung
wenn er auf älteres Skizzenmaterial zurückgriff; der zugehörigen Textpassagen, um diese nachträg-
oder er nutzte unbeschriebene Seiten oder Systeme lich der bereits komponierten Musik unterlegen
eines älteren Skizzenbuches für Skizzen zu einer zu können (Jones 2009, 94–99).
neuen Komposition. Eine teils derart verschachtelte Auffälligerweise ändert sich die Skizzierungs-
Arbeitsweise macht es nicht immer leicht, die Skiz- weise mit fortschreitender Arbeit an einer Oper.
zen in eine Chronologie zu bringen. Die Skizzen zum ersten Akt bzw. zu den ersten
Wenngleich Strauss die musikalischen Ele- Szenen sind eher kleingliedrig. Kurze Passagen wie
mente einer Komposition nicht streng am geplan- Motive oder Themenentwürfe, Akkordfolgen u. ä.
ten Verlauf von vorn nach hinten ›durchskizziert‹, finden sich vergleichsweise häufig. Im weiteren
so beginnt er doch in der Regel mit jenen musika- Verlauf nehmen Skizzen dieser Art ab zugunsten
lischen Elementen, von denen der weitere Verlauf länger und detaillierter ausgeführter Passagen, die
eines Werkes seinen Ausgangspunkt nimmt. Bei sich häufig, als Particell notiert, über mehrere
Opern hängt die Abfolge natürlich auch mit der Seiten erstrecken. Der Grund dafür liegt auf der
Reihenfolge der an den Komponisten gelieferten Hand. Je weiter die Komposition fortgeschritten
Texte zusammen. Hofmannsthal, aber auch an- ist, umso mehr in seinem Ausdrucksgehalt bereits
dere Textdichter wie Stefan Zweig, scheinen in definiertes, musikalisch ausgereiftes Material steht
dieser Hinsicht tatsächlich im Wesentlichen der Strauss zur Verfügung. Es geht jetzt nicht mehr
Chronologie der dramatischen Handlung gefolgt darum, neue idiomatische Elemente zu kreieren,
zu sein. Strauss erhielt also zunächst den ersten sondern das vorhandene Material entsprechend
Akt oder die ersten Szenen der Oper. Entspre- der Opernhandlung und der psychologischen
chend wurde auch szenen- und aktweise kompo- Entwicklung der Figuren musikalisch weiterzu-
niert. Besonders innerhalb der Akte gibt es aber entwickeln und zu verarbeiten.
immer wieder Ausnahmen: Es sind vor allem die Durch zunehmende Länge und Komplexität
für die musikalische Dramaturgie besonders ge- nähern sich die späten Skizzen häufig dem im
wichtigen Passagen, die Strauss vorzieht; so kann nächsten Arbeitsschritt erstellten Particell im en-
er das essentielle musikalische Material zunächst geren Sinne an. In dieser Phase des Kompositions-
für die Schlüsselszene entwickeln, um dann in der prozesses überlagert sich mitunter die Skizzen-
Komposition der darauf hinführenden Abschnitte arbeit mit der Ausschrift des Particells.
auf diese in der Regel bedeutungs- und ausdrucks-
geladenen musikalischen Setzungen aufbauen zu
Vom Particell zur Partitur
können. Auf diese Weise entsteht ein dichtes Ge-
flecht semantisch konnotierter Elemente, das dem Für die größer besetzten Werke wie Tondichtun-
komponierten Text eine eigene, musikalische Be- gen und Opern mündet die Skizzenarbeit in der
deutungsebene hinzufügt. Niederschrift eines Particells, der ersten Manifes-
10. Der Kompositionsprozess 121

tation einer vollständigen oder annähernd voll- wohl Instrumentengruppen (›Str.‹) als auch ein-
ständigen Werkgestalt. In zwei bis vier Noten- zelne Instrumente (›Clar.‹) betreffen können. Sie
systeme umfassende Akkoladen, gegebenenfalls dienen Strauss offenbar an wichtigen Stellen als
erweitert um zusätzliche Systeme für die Singstim- Gedächtnisstütze, denn es ist bei weitem nicht
men, fügt Strauss nun die in den Skizzen nieder- jedes Detail der Orchestrierung im Particell ange-
geschriebenen Fragmente zusammen. Das Particell merkt. Dennoch scheint Strauss stets ein ziemlich
gibt im Idealfall den vollständigen Werkverlauf klares Bild von der vorgesehenen Instrumentie-
sowie die gesamte musikalische Substanz wieder – rung gehabt zu haben – davon zeugen auch die in
aber eben nur im Idealfall. Besonders für die Or- den Particellen notierten Dispositionslisten, in
chesterwerke nämlich bleiben die particellmäßig denen für bestimmte Partiturseiten die zu notie-
notierten Niederschriften, soweit sie überhaupt renden Instrumente aufgelistet sind, häufig er-
vorliegen, oft unvollständig, was bisher dazu gänzt durch die Angabe der Anzahl der benötigten
führte, dass sie eher den Skizzen denn den Parti- Systeme. Diese Listen sind in den frühen Particel-
cellen zugeordnet wurden. Offensichtlich kann len, wie dem der Oper Guntram (RSA; RSQV
die Vollständigkeit (gemessen an der anschließend q13345), noch sehr zahlreich; sie werden in den
ausgeführten Partitur) nicht das entscheidende Kompositionen späterer Zeit deutlich spärlicher.
Kriterium für die Einschätzung einer Nieder- Möglicherweise ging Strauss dazu über, die Dispo-
schrift als Particell sein (s. u.). sitionslisten auf gesonderte Blätter zu notieren, die
Für die Opern sind zwar fast ausnahmslos bei- er nach Abschluss der Arbeit dann wohl vernichtet
nahe lückenlose Particelle erhalten, die in der hat. Für die Oper Friedenstag jedenfalls ist ein
Regel auch durchgängig textiert sind; dennoch solches Blatt überliefert (Richard-Strauss-Ausstel-
nimmt Strauss teils bereits während der Nieder- lung 1964, 124 u. 126).
schrift des Particells, teils auch nachträglich Kor- Die klare Vorstellung von der Anzahl der für
rekturen und Modifikationen unterschiedlichster jede Partiturakkolade benötigten Systeme ist die
Art vor. Neben den allfälligen Verbesserungen von Voraussetzung für eine präzise Seiten- und Akko-
Schreibfehlern kommt es auch zu substanziellen ladeneinteilung. Auch dafür trifft Strauss im Par-
Änderungen: Strauss fügt Stimmen hinzu, streicht ticell entsprechende Vorkehrungen. Sämtliche
einzelne oder mehrere Takte, ändert Passagen un- Opernparticelle sind mustergültige Beispiele da-
terschiedlicher Länge mittels Rasur oder Tektur. für: Durchgängig hat Strauss die für die Partitur
Mitunter werden selbst längere Abschnitte von vorgesehene Seiten- und Akkoladeneinteilung im
Grund auf revidiert: Im Particell der Oper Daphne Particell an den entsprechenden Stellen eingetra-
(RSA; RSQV q00804) beispielsweise sind größere gen. Beginnend mit ›1‹ über dem ersten Takt ist
Passagen durchgestrichen; auf zusätzlich einge- über jedem weiteren Takt, mit dem eine neue
bundenen Notenblättern findet sich der stattdes- Partiturseite beginnen soll, die entsprechende
sen einzufügende Notentext. Seitenzahl notiert. Häufig beginnt Strauss seine
Nachdem das Particell derartigen Korrekturen Zählung mit römischen Zahlen, die stets früher
und Modifikationen unterzogen wurde, richtet oder später von arabischen Zahlen abgelöst wer-
Strauss es für die Ausschrift der Partitur ein. Und den. Sollen mehrere Akkoladen auf eine Seite ge-
eben die Spuren jener die Partiturausschrift vorbe- schrieben werden, werden den Seitenzahlen jeweils
reitenden Arbeiten sind es, die eine Notenaus- Buchstaben angehängt: ›31a‹ etwa bezeichnet den
schrift als Particell im engeren Sinne qualifizieren. Beginn der ersten, ›31b‹ den der zweiten Akkolade
Bei dieser Einrichtung des Particells geht der auf S. 31 (Daphne-Particell, S. 16). Zusätzlich sind
Komponist äußert akribisch und zielgerichtet vor. die einzelnen Takte jeder vorgesehenen Partitur-
Ist der Notentext in der Regel mit Tinte geschrie- seite oder Akkolade jeweils mit ›1‹ beginnend
ben, so fügt Strauss die Notizen, die der Vorberei- durchnummeriert.
tung der Partitur dienen, meist mit Bleistift ein. Ein stichprobenartiger Vergleich der Particelle
An vielen Stellen des Notentextes, bei Themen, mit den Partiturautographen zeigt, dass diese
Akkorden oder auch in komplexeren Verläufen, sorgfältig vorbereitete Seiteneinteilung in der Re-
finden sich Angaben zur Instrumentation, die so- gel tatsächlich übernommen worden zu sein
122 Kompositorische Arbeit

scheint. Korrekturen der Seiten- und Akkoladen- der Eindruck routinierten Handwerks, wie er hier
disposition sind in den Particellen allerdings erweckt werden soll, nicht vollständig mit den
mehrfach zu finden, mitunter auch ausgelöst Tatsachen. Dennoch scheint Strauss in der Tat mit
durch nachträglich gestrichene oder eingefügte der Beendigung des Particells die eigentliche
Takte. Unklar bleibt indes, wie weit vorausschau- Kompositionsarbeit als abgeschlossen betrachtet
end Strauss bei diesen Einzeichnungen tatsächlich zu haben. So findet sich hier – wie in den Partitu-
arbeitete. Bereitete er im Particell einen größeren ren – in aller Regel am Ende des Notentextes, bei
Abschnitt, also eine Szene oder gar einen ganzen Opern meist auch bei den Aktschlüssen, ein Da-
Akt vor, bevor er mit der Partiturschreibarbeit tierungsvermerk: ein Indiz, dass Strauss in der
begann, oder plante er immer nur einige wenige Vollendung der Niederschrift den Abschluss einer
Seiten im Voraus, um seine im Particell vorge- gültigen Form sah. Bestärkt wird dies durch brief-
nommene Disposition immer wieder am tatsäch- liche Äußerungen, wie etwa im Fall der Alpensin-
lichen Platzbedarf in der Partitur überprüfen und fonie: Das Particell trägt auf S. 17 den Abschluss-
gegebenenfalls frühzeitig korrigieren zu können? vermerk »Garmisch 5. August 1913.« Kurz darauf,
Wie dem auch sei: Die Tatsache, dass die betref- am 10. August, meldet Strauss an Philipp Wolf-
fenden Einzeichnungen in den Particellen oft über rum, das Werk sei »in der Skizze fertig« (Grasber-
viele Seiten keinerlei Korrekturen aufweisen, zeigt, ger 1967, 208).
wie sehr sich Strauss bei der Übertragung des Keinesfalls ist es aber so, dass sich die Ausschrift
Particells in die Partitur auf seine Vorstellungskraft der Partitur allein auf den Vorgang der Instru-
und Erfahrung verlassen konnte. mentierung beschränkt. Auch während dieses
Dieselbe Arbeitsweise lässt sich nicht nur bei Arbeitsstadiums nimmt Strauss Ergänzungen und
den Opern, sondern auch in den überlieferten Änderungen vor. Aufgrund bisheriger Forschun-
Particellen der Tondichtungen nachweisen. Das ist gen lässt sich – mit aller gebotenen Vorsicht –
insofern erstaunlich, als diese noch nicht den Grad tendenziell die Aussage treffen, dass diese Modi-
an Vollständigkeit erreicht haben, wie dies bei den fikationen beim Übergang vom Particell zur Par-
Opern der Fall ist. Deutlich wird dies beispiels- titur die Orchesterwerke qualitativ und quantitativ
weise beim Particell der Alpensinfonie (RSA; RSQV stärker betreffen als die Bühnenwerke. Die Alpen-
q13031), das im Vergleich mit der Partitur deutlich sinfonie, wo die Partitur gegenüber dem Particell
kürzer ausfällt; auf den freigebliebenen Seiten am an vielen Stellen gleich um mehrere Takte um-
Ende des Particells hat Strauss darüber hinaus fassende Abschnitte erweitert ist, steht dafür ebenso
Korrekturen und Ergänzungen eingetragen. Den- beispielhaft wie das Duett-Concertino, dessen
noch finden sich auch hier genau dieselben Spuren Streicher-Einleitung im Particell (Bayerische
der Partiturvorbereitung – Dispositionslisten so- Staatsbibliothek, Mus.ms. 21220; RSQV q00912)
wie Einzeichnungen zur Seiten- bzw. Akkoladen- zunächst nicht vorgesehen war und nachträglich
einteilung – wie in den Opernparticellen. hinzugefügt wurde. Um diese zentrale Phase des
Die Arbeit am Particell, so wird Strauss zitiert, Strauss’schen Kompositionsprozesses besser beur-
sei »der erschöpfendste Teil der Arbeit, was dann teilen zu können, wäre allerdings ein systemati-
folgt, die Orchesterpartitur, die große farbige scher Vergleich aller erhaltenen Particelle mit den
Ausarbeitung, ist für mich Erholung und erfrischt daraus erstellten Partiturausschriften nötig.
mich. An der Partitur arbeite ich ständig und ohne Der weitaus überwiegende Teil der Strauss’schen
Schwierigkeit; dabei bleibe ich zwölf Stunden Partiturautographen lässt kaum Spuren von Kor-
hintereinander in meinem Arbeitszimmer« (Anon. rekturarbeiten erkennen. Sie sind äußerst sauber
1914). Auch diese Äußerung des Komponisten ist, geschrieben und erwecken, sowohl die Noten-
wie der gesamte Zeitungsartikel, aus dem sie schrift selbst als auch die Einteilung betreffend,
stammt, kritisch zu beurteilen. In der inhaltlich den Eindruck von Klarheit und Präzision. Dies ist
übereinstimmenden, seine tägliche Arbeitszeit sicherlich der akribischen Vorbereitung zu verdan-
betreffenden Passage im oben (S. 115) zitierten ken, wie sie sich aus den Particellen ablesen lässt.
Typoskript hat Strauss »zwölf« durchstrichen und In welcher Weise Strauss aber in jenen Fällen
dahinter »7« notiert. Offenkundig deckt sich also vorging, wo er stärker vom Particell abwich, dar-
10. Der Kompositionsprozess 123

Abb.1: 1. Seite des Particells der Alpensinfonie (TrSk 31) mit Takt- und Seitenzählung für die
Partiturausschrift

über gibt die Partitur keine Auskunft. Ob er ge- bene Partiturbögen verwarf und durch neue er-
sonderte Partiturbögen verwendete, um diese setzte, darüber lässt sich vorläufig nur spekulieren.
umzuändernden oder einzufügenden Passagen Für den letzteren Fall gibt es immerhin Anhalts-
vorzubereiten, ob er einzelne, fehlerhafte beschrie- punkte: Es sind vereinzelte Partiturseiten erhalten,
124 Kompositorische Arbeit

beispielsweise ein Blatt zur Oper Die schweigsame tion zu; die musikalischen Ideen würden dadurch
Frau (Richard-Strauss-Institut; RSQV q12482), nicht direkt inspiriert, vielmehr werde damit
wo bereits eine Akkoladen- und Takteinteilung gleichsam etwas aktiviert, was der Komponist
vorbereitet wurde, in die jedoch nur wenige Noten ohnehin schon in sich trage. Es lässt sich allerdings
eingetragen sind. Ob das Ausschreiben der Parti- nicht leugnen, dass – unabhängig, ob als direkte
tur also für Strauss tatsächlich immer die reine Inspirationsquelle oder als Auslöser schon vorhan-
›Erholung‹ war, darf bezweifelt werden. Im Zu- dener Ideen – solche außermusikalischen Vorla-
sammenhang mit der Orchestrierung der Japani- gen, sei es nun ein zu vertonender Text oder ein
schen Festmusik bezeichnet der Komponist diese programmatischer ›Vorwurf‹, für Strauss spätes-
Tätigkeit im Gegenteil sogar als »ekelhafte Tutti- tens von dem Moment an, da er stilistisch seinen
Schreibarbeit« (RSCK 327). eigenen Weg beschritt, stets eine gravierende Rolle
spielten. So wies er schon 1888 als junger Kompo-
nist in einem Brief an Hans von Bülow darauf hin,
dass nur dann »eine Zeit lang eine selbständige
Inhaltliche und musikalische Fortentwicklung unserer Instrumentalmusik noch
Einzelaspekte möglich« sei, sofern die entsprechenden Werke
»infolge der Befruchtung durch eine poetische
Nachdem bisher vor allem auf die technischen Idee, mag dieselbe nun als Programm dem Werke
Aspekte des Kompositionsprozesses eingegangen beigefügt werden oder nicht«, geschaffen seien
wurde, soll im Folgenden der Frage der Rolle in- (Schuh 1976, 151 f.). Bemerkenswert erscheint hier
haltlicher und musikalischer Elemente während die Differenzierung zwischen »poetischer Idee«
des schöpferischen Prozesses nachgegangen wer- und »Programm«: Wenngleich sich in einem dem
den. Dabei werden beispielhaft einige für den Werk beigefügten Programm die poetische Idee
Strauss’schen Schaffensvorgang besonders wichtige manifestieren kann, so ist das Programm selbst
Aspekte herausgegriffen: Textvorlagen und pro- doch nicht die Kompositionsvorlage. Dies deckt
grammatische Vorgaben, Tonarten, Motive und sich mit der Beobachtung, dass programmatische
Themen sowie Instrumentation und Klangfarbe. Vorgaben nicht etwa den Formverlauf einer Kom-
Es versteht sich von selbst, dass diese unterschied- position bestimmen, sondern sich vielmehr durch
lichen Einzelaspekte in höchstem Maße und auf den Kompositionsprozess selbst verändern. Mit
vielerlei Ebenen miteinander verknüpft sind. Die anderen Worten: Das Programm wird entspre-
Interdependenz der unterschiedlichen Ebenen ei- chend den Erfordernissen einer musikalisch
ner Komposition offenzulegen ist freilich nicht schlüssigen Entwicklung modifiziert. Diese Ar-
Gegenstand dieses Beitrags; eine Auseinanderset- beitsweise ist insbesondere für die Tondichtungen
zung mit der Rolle musikalischer Einzelaspekte gut dokumentiert (Werbeck 1996, 289 ff.). Doch
innerhalb des Kompositionsvorgangs kann aber auch in den Opern lässt sich ein vergleichbares
Ansatzpunkte für umfassende analytische Unter- Verfahren – wenngleich naturgemäß nicht im
suchungen von Werken oder Werkgruppen liefern. selben Ausmaß – mitunter beobachten, wenn
Strauss aus musikalischen Gründen Textteile um-
stellt, so geschehen etwa in der Erkennensszene
Textvorlagen und programmatische
der Elektra, wo er innerhalb eines von eigener
Vorgaben
Hand abgeschriebenen Librettoabschnitts mehr-
Den weitaus größten Teil des Strauss’schen Œuvres fach Textpassagen verschiebt (Gilliam 1991, 44 f.).
machen textgebundene Werke oder aber solche Offenkundig galt Strauss die Schlüssigkeit der
Kompositionen aus, denen ein programmatischer musikalischen Dramaturgie jener der Handlung
Inhalt zugrunde liegt. Es ist also zunächst zu als mindestens gleichwertig.
fragen, welche Impulse derlei außermusikalische Greifbar wird die Wirkung einer programma-
Aspekte für den Schaffensvorgang lieferten. tischen Idee auf den Schaffensprozess dort, wo
Strauss selbst wies, wie bereits erwähnt, solch Strauss zu einzelnen Skizzen verbale Annotate
äußeren Anstößen eher eine Art Katalysatorfunk- hinzufügt. Hier werden Motive oder Themen,
10. Der Kompositionsprozess 125

Akkorde oder Kadenzen offenkundig semantisch und Vorstellungen (Edelmann 1985, 68). Bei nähe-
konnotiert. In den Skizzenbüchern findet sich rem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass diese »ei-
eine Fülle solcher programmatischer Etikettierun- gene, persönliche Ausdrucksskala« letztlich doch –
gen, die oft äußerst plastisch und unmittelbar wenigstens unbewusst – größtenteils ein Ergebnis
greifbar erscheinen. Auf den ersten Seiten des musikhistorischer Prägung ist. Denn insbesondere
Elektra-Skizzenbuchs TrSk 17 (RSQV q13017) etwa die Grundtonarten, die den Charakter einer Kom-
sind kurze Musiknotate überschrieben mit Bemer- position oder eines größeren Abschnitts bestim-
kungen wie »Elektra Haß!«, »die Katze« (S. 1), men, rekurrieren auf weitgehend anerkannte (und
»Siegestanz« (S. 2) oder »Ägisth träge und gemein« somit für den musikalisch Gebildeten unmittelbar
(S. 6). Dort erscheint auch erstmals das unmittel- verständliche) Tonartencharaktere. Dazu zählen
bar wortgenerierte – und in der Skizze entspre- die Verwendung von E-Dur als Liebestonart im
chend textierte – »Agamemnon«-Motiv (S. 1). Im Rosenkavalier (Edelmann 1985, 81 f.) und, bereits
Grunde bestätigt sich hier gewissermaßen kom- zwei Jahrzehnte zuvor, in der Tondichtung Don
plementär, was bereits in anderem Zusammen- Juan; die von Strauss selbst ironisch apostrophierte
hang (s. o. S. 118 f.) deutlich wurde: Das Musikali- Verwendung der ›heroischen‹ Tonart Es-Dur in
sche bildet bei Strauss eine untrennbare Einheit Ein Heldenleben (Werbeck 1996, 158); oder, in der
mit seinem konnotierten Inhalt. So, wie der Alpensinfonie, die Kontrastierung von Dunkelheit
Komponist beim Umgang mit Sujets und Texten und Licht durch die entsprechenden Tonarten b-
unmittelbar beginnt, in musikalischen Kategorien Moll und A-Dur, die sich freilich erst während des
zu empfinden, so werden beim Notieren von Mu- Kompositionsprozesses herauskristallisierte: Zu-
sik semantische Konnotationen stets mitgedacht. nächst war für das Sonnenthema B-Dur vorgese-
Die Musik ist daher bei Strauss nicht Ausdrucks- hen gewesen (Werbeck 1996, 190).
mittel außermusikalischer Inhalte; vielmehr sind Die Grundtonarten bilden gewissermaßen den
Musik und außermusikalischer Inhalt, sei er nun Rahmen für die tonale Disposition des gesamten
sprachlich fixiert oder nicht, gleichermaßen Aus- Werkes. Wie bereits im vorigen Abschnitt erläu-
druck ein und derselben Idee. Im Ergebnis deckt tert, mag dieser tonale Rahmen zwar zunächst
sich idealerweise das durch sein musikalisches programmatisch generiert sein, erweist sich aber
Konzept in Form und Aufbau schlüssige Werk in der Regel auch unter rein musikalischen Aspek-
vollständig mit seiner inhaltlich-programmati- ten als in sich konsistent und schlüssig. Diese
schen Konzeption. Einheit programmbezogener und musikalischer
Eigenschaften wird etwa am Beispiel der Tonar-
tenkonstellation in der Symphonia domestica
Tonarten
deutlich. Das Thema des Vaters steht in F-Dur
Der Befund der Skizzen ebenso wie konzeptionel- und repräsentiert somit die pastorale Sphäre im
ler Entwürfe belegt, dass Strauss sich zu einem eigentlichen Wortsinn: Der Vater erscheint als
äußerst frühen Zeitpunkt des Kompositionspro- Familienoberhaupt, das gleich einem Hirten für
zesses mit Fragen der Tonarten und der tonalen das Wohl der ihm anvertrauten Familie sorgt. Die
Disposition eines Stückes befasst. Dabei können Tonart der Mutter, H-Dur, steht dagegen für
die in den Skizzen annotierten Tonarten einerseits Leidenschaft und Exaltiertheit. Die Verbindung
Teile eines größeren harmonischen Konzepts sein, der beiden im Tritionusabstand stehenden, gewis-
andererseits als – häufig begrifflich oder gestisch sermaßen komplementären Tonarten bildet nicht
assoziierte – Einzelklänge auftreten. nur in Bezug auf ihren Ausdrucksgehalt, sondern
Tonarten stellen für Strauss vom Beginn einer auch tonal den größtmöglichen Gegensatz. Folge-
Komposition an ein substanzielles musikalisches richtig ordnet Strauss dem Sohn die ›Synthese-
Gestaltungsmittel dar, das den Ausdrucksgehalt Tonart‹ D-Dur zu, die, jeweils im Kleinterz-
einer Stelle wesentlich mitbestimmt. Dabei spie- abstand, zwischen den beiden ›Eltern-Tonarten‹
len für die Verwendung einer Tonart historische liegt. Gleichzeitig wird mit dem ›königlichen‹ D-
Konventionen ebenso eine Rolle wie – einer eige- Dur das Kind als heimlicher Herrscher der Familie
nen Aussage zufolge – persönliche Assoziationen charakterisiert.
126 Kompositorische Arbeit

Innerhalb dieser Grundtonarten entwickelt das zugehörige tonale Umfeld im Sinn hatte, dar-
Strauss ein Gefüge von ›Nebentonarten‹, in die er über geben die Quellen keine Auskunft.
innerhalb eines längeren Abschnitts ausweicht. Übrigens hat Strauss die Hornquintenstelle
Auch diese Ausweichungen werden gleichermaßen nicht etwa »fallen gelassen« (Edelmann 1985, 74),
von inhaltlichen wie musikalischen Aspekten be- sondern in die Violinen verlagert (Werke Bd. 5,
stimmt. 29, 1 Takt vor Zi. 57). Schon dieses kleine Beispiel
In der Anfangsszene des Rosenkavalier lässt sich zeigt, wie sich Tonartvorstellungen häufig auch
anhand der verschiedenen Entstehungsstadien die mit Motiv- und Themeneinfällen verbinden. Tat-
gestalterische Kraft nachvollziehen, die von diesen sächlich ist es so, dass Strauss, ausgehend von
tonart- und akkordbezogenen Vorstellungen aus- diesen ersten Skizzen, letztlich den – auch in sich
geht (Edelmann 1985, 64–79). Hofmannsthals schlüssigen – musikalischen Aufbau der ganzen
Textentwurf versieht Strauss bereits mit einer Szene, ja, des gesamten Aktes entwickelt. »Das
großen Zahl von Tonartangaben, wobei er die […] Wechselspiel von Tonartvorstellung, die den
Grund-Tonart E-Dur als selbstverständlich vor- Ersteinfall prägt, und von Tonartdramaturgie, die
aussetzt und erst spät explizit nennt, nämlich da, im Komponieren erarbeitet wird, ist außerordent-
wo er nach Ausweichungen in andere Bereiche lich subtil, und Strauss’ kompositorische Meister-
wieder zu ihr zurückkehrt. Nicht alle der in den schaft äußert sich gerade darin, wie er die musika-
Textentwurf eingetragenen Bezeichnungen schei- lischen Partikel zueinander in Beziehung setzt und
nen von vornherein als Bausteine eines größeren daraus eine Formidee im Großen ableitet« (Edel-
tonalen Konzepts zu fungieren; vielmehr muten mann 1985, 96).
sie häufig wie unmittelbar durch eine Textstelle
oder einen bestimmten Begriff ausgelöst an. Die
Motive und Themen
Anweisung »zärtlich« etwa löst bei Strauss die
Assoziation »Asdur« aus, die Vorstellung der Jagd Am häufigsten und ausführlichsten hat sich Ri-
erzeugt »Bdur« sowie eine charakteristische Ton- chard Strauss, wenn es um Fragen des eigenen
folge »b c d«, deren hornquintenmäßige Ausset- Schaffensvorgangs ging, zum Problem der Melo-
zung sich geradezu aufdrängt. Welch unterschied- diebildung geäußert. Immer wieder streicht er
liche Funktionen die für sich genommen un- dabei das Ideal der Mozartschen Melodie heraus,
scheinbaren Tonarten-Annotate in diesem frühen an das nach seinem Urteil selbst andere große
Stadium haben, zeigt sich, wenn man sie mit den Komponisten wie Meyerbeer, Brahms, ja, nicht
entsprechenden Stellen im vollendeten Werk ver- einmal Beethoven heranreichen (Marschalk 1918).
gleicht. So bleibt das As-Dur als Klangfarbe in eine Und nur im Zusammenhang mit der Melodie, in
Umgebung schwankender Tonalität eingebunden: keinem anderen Kontext sonst, gab Strauss jemals
Der Abschnitt ohne Generalvorzeichnung beginnt zu erkennen, vor einem kompositorischen Pro-
in f-Moll, bevor Octavians bange Frage »Lachst du blem zu stehen, das zu lösen ihm Anstrengung
mich aus?« in a-Moll erklingt und die Gräfin in abfordere.
eben jenem As-Dur erwidert: »Lach ich dich aus?« Der erste melodische Einfall, das erste Motiv,
Das nur mehr kurz wieder aufgegriffene f-Moll so Strauss, sei »Sache der Eingebung«; die eigent-
kippt dann unmittelbar nach A-Dur (Werke Bd. 5, liche Schwierigkeit liege in der »Entwicklung zur
18 f.). Dagegen erklingt das mit der Jagd konno- vollkommenen melodischen Gestalt« (Marschalk
tierte B-Dur tonal fest eingebunden innerhalb ei- 1918). Solch eine erste, wenige Takte (Marschalk
nes ausgedehnten F-Dur-Abschnitts, der zwar 1918: zwei, Strauss 1895, 534: vier) umfassende
auch in andere Tonartregionen moduliert, aber »Eingebung« entwickle er »verhältnismäßig rasch«
eben erst, nachdem sich das vorgezeichnete F-Dur zu einer »18taktigen, meinem Ausdruckbedürfniß
als Ausgangsbasis konstituiert hat (Werke Bd. 5, gut u. glücklich erfunden scheinenden Melodie«.
28 f.). Ob allerdings die B-Dur-Assoziation letzt- Diese dann aber zu einer abgeschlossenen, 32 Takte
lich der Auslöser war, den betreffenden Abschnitt umfassenden melodischen Gestalt zu vollenden,
im verwandten F-Dur zu notieren, oder ob dazu bedürfe es eben der mühevollen Arbeit des
Strauss, als er »Bdur« in den Text notierte, bereits Ausprobierens und wieder Verwerfens, oder zu-
10. Der Kompositionsprozess 127

mindest eines mehrtägigen Abstands, um der Offenkundig hat bei der Entwicklung dieser
Phantasie Freiraum für »ein inneres Arbeiten« zu Kompositionsweise Wagners Leitmotivtechnik
geben (Strauss 1895, 534). Sicherlich ist diese Schil- eine Rolle gespielt. Nicht zu unterschätzen ist al-
derung, besonders was die Angaben zu den Takt- lerdings auch der Einfluss Liszts, demzufolge »aus
zahlen betrifft, nicht allzu wörtlich zu nehmen, den unbegrenzten Veränderungen, welche ein
sondern vielmehr im Sinne der Proportionen eines Motiv durch Rhythmus, Modulation, Tempo,
harmonischen Periodenbaus zu verstehen; Strauss Begleitung, Instrumentation, Permutation usf.
erwähnt in dem Zusammenhang, Brahms habe erleiden kann«, die Sprache des Komponisten be-
ihm als jungem Komponisten geraten, sich »dau- stehe, mithilfe derer er »Ideen und gleichsam
ernd in der Erfindung von achttaktigen Melodien dramatische Handlungen« rein durch Musik dar-
zu üben«, ein Rat den er befolgt habe (Marschalk stellen könne (Liebscher 1999, 244). Genau darauf
1918). Dennoch muss seine Darstellung insofern scheint Strauss anzuspielen, wenn er, wie Stefan
ernst genommen werden, als sie sich – wenigstens Zweig überlieferte, betont, seine Stärke sei zwar
in einzelnen bisher untersuchten Fällen, aber dort nicht die Melodieerfindung, doch »dann so ein
in bemerkenswerter Weise – mit dem Quellenbe- Thema zu wenden, zu paraphrasieren, aus ihm
fund deckt. Anhand der überlieferten Skizze zum alles herauszuholen, was drinnen steckt«, das ma-
Lied Wir beide wollen springen TrV 175 (München, che ihm so leicht keiner nach (Zweig 1982, 421).
Stadtbibliothek, Mpr L Y 11; RSQV q00360) vom Liszts Formulierung, wendet man sie auf Strauss’
4. Juni 1896 lässt sich der von Strauss beschriebene Schaffensweise an, ist jedoch keinesfalls dahinge-
Kompositionsprozess geradezu schulmäßig verfol- hend misszuverstehen, dass eine »Idee« oder »dra-
gen: Während die ersten 19 Takte weitgehend mit matische Handlung« nur mehr dergestalt mit
der Endfassung übereinstimmen, sind im weiteren musikalischen Mitteln dargestellt werde, indem
Verlauf deutliche Spuren intensiver Arbeit zu er- die Musik dieser »Handlung« wie einem vorgege-
kennen. Die endgültige Fortsetzung findet sich benen Programm minutiös folge. Es kann nicht
dann erst in der Niederschrift des Liedes (Mün- oft genug betont werden, dass Strauss beim Kom-
chen, Stadtbibliothek, Mpr L Y 11; RSQV q00361) ponieren nicht ein vorgegebenes Programm musi-
vom 7. Juni (Schaper 2010, 154 f.). Was hier für die kalisch nachvollzieht, sondern, ausgehend von ei-
Entstehung eines Liedes offenkundig wird, ner programmatischen Vorstellung, eine spezifisch
dürfte – mit gewissen Einschränkungen – ebenso musikalische Dramaturgie entwickelt, für die ihm
für die Entwicklung von Themen in Opern und ein reicher Schatz an Ausdruckmitteln in Gestalt
Orchesterwerken gelten. semantisch konnotierter Motive und Themen,
Über den Aspekt der Bildung von Formen und Akkorde und Tonarten zur Verfügung steht.
Strukturen hinaus kommt Themen und Motiven
innerhalb der Werke Strauss’ selbstverständlich
Instrumentation und Klangfarbe
vor allem die Rolle als zentraler Träger von poeti-
schem Gehalt und Ausdruck zu. Die Basis dafür Eine nicht zu unterschätzende Erweiterung erfährt
bildet die bereits an verschiedenen Beispielen ge- dieser Fundus an Ausdrucksmitteln durch charak-
zeigte Zuordnung von Themen und Motiven zu teristische Klangfarben. Ähnlich wie Strauss be-
Personen, Dingen, Eigenschaften, Gesten usw. stimmte Ausdrucksgehalte mit Motiven oder Ak-
Ausgehend von derart semantisch aufgeladenen kordklängen verknüpft, so in vielen Fällen auch
Bausteinen entwickelt Strauss nicht nur ausge- unmittelbar mit einer Klangfarbenvorstellung.
dehnte Themenkomplexe; er setzt vielmehr diese Schon in den Skizzen findet man daher – wenn-
thematischen und motivischen Elemente auf un- gleich vereinzelt – an charakteristischen Stellen
terschiedliche Weise in einem komplexen Orches- Instrumentationsangaben. Häufig verbindet
tersatz zueinander in Beziehung. Für das Ergebnis Strauss ein Motiv, ein Thema oder eine harmoni-
dieser kompositorischen Methode verwendet sche Wendung von Anfang an unmittelbar mit
Strauss selbst wiederholt den Begriff der ›Orches- einer bestimmten Klangvorstellung. Dies äußert
terpolyphonie‹, beispielsweise in seinem Vorwort sich beispielsweise in der oben zitierten Konzept-
zu Intermezzo von 1924 (Strauss 1981, 142). notiz zum Don Juan, wo es heißt, das erste Thema
128 Kompositorische Arbeit

werde von den Bratschen unterbrochen, oder wo Schluss


die Ödnis nach der plötzlichen Ernüchterung mit
dem Klang des Englischhorns assoziiert wird. Strauss’ Kompositionsprozess mit all seinen in den
Selbst aus ironischen Bemerkungen des Kompo- Quellen dokumentierten, zielorientierten Arbeits-
nisten, etwa, dass die Hörner nun einmal auf schritten, die nicht zuletzt das immense hand-
Heroismus »geeicht« seien (Werbeck 1996, 158), werkliche Vermögen des Komponisten offenbaren,
lässt sich herauslesen, welch prominente Rolle der stellt sich als ein in seiner Substanz äußerst kom-
Charakter eines Instruments, eine spezifische plexes künstlerisches Verfahren dar. Dabei wird
Klangfarbe in Strauss’ Komponieren spielte. Ent- eine Fülle von letztlich eng miteinander verquick-
sprechend bilden Überlegungen zur Instrumenta- ten Ausdrucksmitteln und -ebenen zu einem gro-
tion einen essentiellen Teil der Arbeit am Particell. ßen musikalischen Ablauf vereint, der am Ende
Hier sind zahlreiche, teils äußert detaillierte Anga- nicht allein aus der Perspektive des vertonten
ben zu finden, die nicht nur dazu dienen, die Textes oder des zugrunde liegenden Sujets, son-
Partiturausschrift als rein handwerklichen Orches- dern auch in musikalischer Hinsicht schlüssig und
trierungsvorgang vorzubereiten; vielmehr ist die nachvollziehbar ist. Die Grundlage für diese
Arbeit mit Klangfarben, die in den Skizzen be- Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit bildet nicht
ginnt und in der fertig orchestrierten Partitur ihre zuletzt die tiefe Verankerung der von Strauss ver-
endgültige Ausprägung findet, ebenso integraler wendeten Ausdrucksmittel in der musikalischen
Bestandteil des Strauss’schen Komponierens wie Tradition, aus der heraus der Komponist seine ei-
jene mit Motiven und Themen oder mit Tonarten. gene, unverwechselbare Musiksprache entwickelte.

Literatur

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10. Der Kompositionsprozess 129

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Fragebogen Friedrich Hauseggers, Manuskript, Pri-
vatbesitz]. In: Werbeck 1996, 534–539.
130

11.
Strauss und seine Librettisten
Von Reinhold Schlötterer

Vorbemerkung Krauss ebenso hohe Ansprüche an sich gestellt


haben und sich ebenso weit wie Hofmannsthal
Kann man die verschiedenen Textautoren der vom handwerklich-praktischen Tun eines Libret-
Strauss’schen Opernwerke so ohne weiteres ›Libret- tisten entfernt fühlten?
tisten‹ nennen? Hatten sie es denn mit dem glei- Es ist freilich längst üblich geworden, ›Libret-
chen Metier zu tun wie etwa, um nur einige be- tist‹ und ›Libretto‹ nicht von vornherein mit
kannte Namen aufzugreifen, Eugène Scribe, Wertungen zu verbinden, vielmehr diese Begriffe
Henri Meilhac/Ludovic Halévy, Francesco Maria nur als neutrale Kürzel zu nehmen, und dabei mag
Piave oder Giuseppe Giacosa/Luigi Illica? Man es auch im Folgenden bleiben, jedoch immer im
denkt auch an die spätere Zusammenarbeit von Bewusstsein, dass dahinter höchst verschiedene
W. H. Auden und Chester Kallmann bei dem Li- Traditionen, Konzeptionen und Qualitäten von
bretto The Rake’s Progress für Igor Strawinsky. Operntext stehen können.
Hugo von Hofmannsthal jedenfalls beruft sich In welchem Maß sich der Komponist Strauss
nur scherzhaft-ironisch, unter Anführungszei- an der dramaturgischen und sprachlichen Ausfor-
chen, auf den Titel eines Librettisten, was uns mung der für ihn entstehenden Libretti beteiligte,
vermittelt, dass er sich eben durchaus nicht mit wird uns durch eine fast vollständige Reihe von
dem Berufsstand eines primär der Bühnenpraxis Briefwechseln mit seinen Textautoren – im Mittel-
verpflichteten Librettisten identifizieren wollte, punkt der Briefwechsel mit Hofmannsthal – in
dass ihm anderes vorschwebt, als lediglich dem faszinierender Weise lebendig. Was dort im Hin
Komponisten ein gut komponierbares und erfolg- und Her der Briefe erörtert ist, verhilft zweifellos
versprechendes Libretto zur Verfügung zu stellen. zu einem intensiveren Verstehen der Texte selbst.
Für Hofmannsthal bedeutete ein Opernstoff Auch Entwürfe und Frühfassungen können mit
»das reiche Geschenk einer glücklichen Stunde« dem dann de facto der Komposition zugrundege-
oder gar »eine große Gnade« (RSHH 115, 576). legten Endstadium verglichen werden, so dass
Entscheidend für ihn war »die tiefste Gabe des man, alles in allem, einen weitreichenden Einblick
dramatischen Schaffens: die Situation aus dem in Genese und Substanz der verschiedenartigen,
Herzen der Figuren heraus zu fühlen«, wie er in für Musik bestimmten und immer irgendwo zwi-
einem Brief an Stefan George andeutet (Boehrin- schen unausweichlicher Bühnenpragmatik und
ger o. J., 157). Deshalb kam so etwas wie »die glatte anspruchsvollem literarisch-poetischem Eigenle-
Anekdote: Tosca, Madame Butterfly etc.« (RSHH ben schwebenden Textgebilde gewinnen kann.
138), auf die er bei den Puccini-Librettisten einen
Operntext beschränkt sah, für ihn nicht in Frage.
Ob Strauss – im Fall seiner eigenen Texte – und
seine weiteren Textbuch-Autoren Ernst von Wol-
zogen, Stefan Zweig, Joseph Gregor und Clemens
11. Strauss und seine Librettisten 131

Von Guntram bis Capriccio Feuersnot: »[…] in der ›Feuersnot‹ ist bewusst der
Ton des Spottes, der Ironie, der Protest gegen den
Noch ganz im Bannkreis Wagners stehend, und in landläufigen Operntext das individuelle Neue«
der geistigen Obhut seines Mentors Alexander (Strauss 1981, 182). Strauss hatte sich wegen der
Ritter, war es für Strauss zunächst vorgezeichnet, Textausarbeitung der ins Auge gefassten nieder-
dass er sich einen Opernstoff selbst zurechtzulegen ländischen Sage mit Ernst von Wolzogen, einer
und den Text selbst zu dichten hatte, wie es bei literarisch-kabarettistischen Persönlichkeit eige-
seinem ersten Opernversuch Guntram denn auch nen Zuschnitts, zusammengetan. In welchem
geschah. Von 1887 an mühte er sich mit einem Maß Strauss selbst an Dramaturgie und Textfor-
Minnesänger-Stoff ab, ausgeführt in wagnerischen mung mitbeteiligt war, ist nicht mehr feststellbar,
Stabreimen; er schrieb mehrere Textentwürfe und das Ergebnis war jedenfalls ein höchst origineller
änderte schließlich sogar – im Widerspruch zu Musiktext: provozierende Handlung mit einer
seinem geschätzten Mentor Ritter – die Quint- erotisch aufgeladenen Sphäre, ironisch-parodis-
essenz des Ganzen. In welchem Maß kamen ihm tisch verwendete Stabreime in einem altertümlich
während seiner Arbeit am Text doch auch Zweifel verfremdeten bayerischen Kunstdialekt, im Zen-
an seinem dramatisch-poetischen Talent? Mit der trum ein langer, übertrieben wirkender Bekennt-
Komposition ging es rascher voran und wenn die nismonolog der Hauptperson mit vielerlei Anspie-
erste Aufführung 1894 in Weimar keinen rechten lungen textlicher und musikalischer Art.
Erfolg hatte – nicht zu reden von der missglückten Mit Feuersnot war der Bann gebrochen, die
Münchner Aufführung 1895 –, lag es wohl eher an Nach-Guntram-Lähmung überwunden und der
Stoff, Dramaturgie und Text als an der Musik. Weg frei für weiteres operngeschichtliches Neu-
Nach Guntram fehlte es dann zwar nicht an land, für einen Versuch mit einem im Sprech-
Ideen und Entwürfen zu weiteren Opern – abge- theater Aufsehen erregenden Bühnentext: Oscar
sehen von Goethes Singspiel Lila dachte Strauss Wildes Drama Salomé in der deutschen Überset-
dabei weiter an eigene Textdichtung –, auch wur- zung von Hedwig Lachmann. Zunächst hatte der
den Strauss von außen Libretti angetragen (z. B. Wiener Lyriker Anton Lindner, von dem Strauss
von Otto Julius Bierbaum), doch konnten ihn alle schon das Gedicht Hochzeitlich Lied vertont hatte,
diese Ideen und Vorschläge letztlich nicht zur sich als Librettist angeboten, aber das unmittel-
Komposition bewegen. bare Erlebnis einer von Max Reinhardt gestalteten
Sicherlich war sich Strauss inzwischen wohl Salome-Aufführung im Berliner Kleinen Theater,
auch bewusst geworden, dass ihn nicht der Geist mit der faszinierenden Gertrud Eysoldt als Prota-
blinder Gefolgschaft – Wagner –, voranbringen gonistin, befestigte in Strauss die Absicht, den
würde, sondern nur der »Geist der Opposition« Text ohne einen zwischengeschalteten Librettisten
(Strauss, Blaue Tagebuchhefte, um 1942; RSA), direkt im Lachmannschen Deutsch zu komponie-
und dass das Alleinheil nicht im eigenen Textdich- ren – natürlich mit den notwendigen Kürzungen
ten zu suchen war, dass vielmehr die Zusammen- und kleineren Textänderungen.
arbeit mit einem anregenden und einfühlsamen Animiert vom sensationellen Erfolg seiner Sa-
Textdichter, die offene Auseinandersetzung mit lome fiel dann Straussens Blick auf die, wiederum
einem gegebenen oder gerade entstehenden Text in Max Reinhardts Kleinem Theater und wie-
in einem höheren Grad die Komposition beflü- derum von der Eysoldt in der Titelrolle gespielte
geln konnten, wie es schon Mozart in einem oft Elektra-Tragödie Hugo von Hofmannsthals. Im
zitierten Brief (13.10.1781) empfunden hatte: »da Kontakt mit dem Dichter ergaben sich zunächst
ist es am besten wenn ein guter komponist der das Bedenken wegen einer zu großen Ähnlichkeit zum
theater versteht, und selbst etwas anzugeben im Salome-Stoff, doch verstand es Hofmannsthal,
stande ist, und ein gescheider Poet, als ein wahrer Strauss von einer wesenhaften Verschiedenheit der
Phönix, zusammen kommen« (Briefe und Auf- beiden Sujets zu überzeugen. Strauss’ Arbeit am
zeichnungen III, 167). Text begann wieder mit Kürzungen, neu war aber,
Ganz vom ›Geist der Opposition‹ getragen ist dass er diesmal vom Autor auch Texterweiterun-
jedenfalls der Text zu der auf Guntram folgenden gen, wie sie die Umformung vom Sprech- zum
132 Kompositorische Arbeit

Musiktheater nahelegte, ›bestellen‹ konnte. Und vier weitere gemeinsame Werke, aber nicht als
gerade bei solchen neu hinzugedichteten Zeilen, Serie von Gleichartigem, sondern jedes Werk ein
wie z. B. für die Titelfigur Elektra in der Erken- ausgeprägtes Genre für sich repräsentierend:
nungsszene, mag Strauss bewusst geworden sein, Ariadne auf Naxos in zwei Fassungen (1912 und
wie sehr Hofmannsthal kraft seiner beeindrucken- 1916), Die Frau ohne Schatten, Die Ägyptische He-
den Sprachkunst dazu prädestiniert war, für ihn lena, Arabella. Der Entstehungsprozess ist immer
Operndichtungen zu verfassen. ähnlich: Hofmannsthal legt einen dichterisch ge-
Nur über das Arbeitsverfahren war man sich fassten, aber in seiner Bühnentauglichkeit und in
anfangs nicht einig. Hofmannsthal beharrte näm- seinen Rollenprofilen noch unausgereiften Text-
lich, entgegen Strauss, für die weitere Zusammen- entwurf vor, bei dem dann Strauss seine Vorstel-
arbeit auf der gleichen Abfolge wie bei Elektra: lungen von dramaturgischer und opernmäßiger
Priorität haben sollte ein in sich stimmiges Stück Stringenz zur Geltung bringt. Hofmannsthal an-
für Sprechtheater, einschließlich öffentlicher, dererseits versucht, Strauss eine geistige Brücke
möglichst erfolgreicher Aufführung, und erst da- zum stoff- und stilgerechten Komponieren zu
nach sollte eine darauf zurückgreifende Opern- bauen, indem er Anregungen zur musikalischen
version ausgearbeitet werden. Diskutiert wurden Gestaltung gibt, oder, z. B. bei Ariadne, einen
unter diesem Aspekt vor allem ein Semiramis- Brief schreibt, der den geistigen und seelischen
Werk (nach Calderón) und eine Casanova-Komö- Gehalt des Werks darlegt (RSHH 132–135). Strauss
die. wiederum erlaubt es sich nicht selten – zum Miss-
Eine völlig überraschende Briefnotiz Hof- vergnügen des Dichters –, ungefragt einzelne
mannsthals vom 11. Februar 1909 aus Weimar, er Textpartikel zu ändern.
»habe hier in drei ruhigen Nachmittagen ein Es ist nun nicht zu übersehen, dass nach der
komplettes, ganz frisches Szenar einer Spieloper Frau ohne Schatten in der bisher so produktiven
gemacht« (RSHH 53), bringt alle Diskussionen Zusammenarbeit von Dichter und Komponist
über die Prozedur für ein künftiges gemeinsames eine gewisse Ermüdung eintritt, so dass Strauss ein
Werk jedoch abrupt und definitiv zum Schweigen. unabhängiges Intermezzo zwischenschaltet. Ein
Fortan, nach dieser ersten Notiz zum entstehen- Intermezzo sozusagen in der Zusammenarbeit mit
den Rosenkavalier – auch Harry Graf Kessler, ein seinem ›Hausdichter‹, und zugleich stofflich ein
Freund Hofmannsthals, ist mit einer Reihe von verwirrendes Intermezzo in einem ansonsten
Vorschlägen beteiligt –, denkt nun selbst Hof- friedlichen, wenn auch turbulenten Eheleben
mannsthal nur noch daran, eine Operndichtung der – autobiographisch gezeichneten – Hauptper-
von Grund auf eigenständig, also ohne eine vorge- sonen seiner »Bürgerlichen Komödie mit sinfoni-
schaltete Schauspielfassung zu erfinden. Dabei schen Zwischenspielen«, deren Text er, nach Vor-
fühlt er sich anfangs noch nicht ganz sicher; er versuchen mit Hermann Bahr als Librettisten (vgl.
möchte von Strauss erfahren, »ob ich nicht in den Beitrag zu Intermezzo, Kap. 14), im Alleingang
meiner Rücksichtslosigkeit gegen das konventionell verfasst.
Opernhafte zu weit gehe und mich, immer be- Für einen neuen Schaffensimpuls mit Hof-
strebt den charakteristischen Ton zu halten, zu mannsthal sorgt dann die von Strauss sehr positiv
wenig dem Singbaren akkomodiere« (16.3.1909; aufgenommene Dichtung der Ägyptischen Helena,
RSHH 54). Aber das ist gerade das Neue, Voraus- und nachfolgend, mit Arabella, die Rückkehr zu
weisende und für Strauss Mitreißende, dass ein einem Stoff im Wiener Milieu.
Dichter vom Rang Hofmannsthals sich eben nicht Der Tod Hofmannsthals am 15. Juli 1929 be-
den Konventionen eines üblichen Opernlibret- deutete für den Opernkomponisten Strauss – und
tos – sei es Stoff, Dramaturgie oder Text – beugt, Strauss sah sich damals fast ausschließlich als
vielmehr seine dichterische Phantasie frei spielen Opernkomponist – einen Fall ins Nichts: eine
lässt. 20 Jahre währende intensive Zusammenarbeit von
Unter diesem Zeichen des Unkonventionellen, Dichter und Komponist war mit einem Schlag zu
jenseits der ausgefahrenen Operntraditionen Lie- Ende gegangen, Strauss war menschlich und
genden, entstehen nach dem Rosenkavalier noch künstlerisch zutiefst erschüttert. Zwar hatte er den
11. Strauss und seine Librettisten 133

als Textdichtung abgeschlossenen ersten Akt Ara- aber mit dem ›Morosus‹, einer in seinem Werk
bella gerade noch von Hofmannsthal erhalten, der bisher fehlenden Opera buffa, wirklich ganz
zweite und dritte Akt befanden sich in einem zwar glücklich fühlte? Er spricht jedenfalls später, auf
nicht endgültigen, aber immerhin komponierba- die Hauptfigur bezogen, von dem »an sich wider-
ren Zustand, doch wie sollte es danach mit dem lichen Morosus« und erwartet sich von Zweig für
Opernschaffen weitergehen? ein künftiges Libretto »Figuren […], die uns
Im Juli und November 1929 legt Hans Bethge, menschlich auch interessieren, nicht bloß erhei-
von dem Strauss 1928 fünf ›Nachdichtungen‹ ver- tern, wie Ihnen das so schön bei dem Morosus
tont hatte (Gesänge des Orients TrV 257), zwei Akte gelungen ist« (RSSZ 136, 100).
einer geplanten chinesischen Oper »Das Lachen Strauss und Zweig diskutieren noch einige
der Kaiserin« vor, doch bleibt es bei dem Plan, Zukunftspläne; umso schwerer wiegt es, dass das
und ein im Januar 1931 bei einem Treffen mit NS-Regime nach der Schweigsamen Frau jegliche
Franz Werfel ausgesprochener Wunsch nach ei- weitere Zusammenarbeit mit Zweig für uner-
nem Libretto bleibt unerfüllt (TrChr, 501, 503, wünscht erklärt (s. Kap. 15) – nach dem Tod
514). Hofmannsthals der zweite gravierende Einschnitt
Durch Vermittlung des Verlegers Anton Kip- in Strauss’ Opernschaffen. In seiner Verzweiflung
penberg kommt es 1931 aber zu einem vielverspre- kommt Strauss sogar auf die absurde Idee eines
chenden Kontakt mit Stefan Zweig, wobei Strauss Libretto-Preisausschreibens, von dem er selbst sich
gleich spontan seine persönlichen Opernwünsche aber eigentlich gar nichts erwartet. Auch eine
vorbringt, auf die Zweig jedoch nicht eingeht, heimliche oder getarnte Weiterarbeit mit Zweig
vielmehr mit zwei eigenen Vorschlägen aufwartet. über dessen Freund Joseph Gregor scheidet aus,
Dabei war für Zweig von Anfang an klar, dass er und so kommt es schließlich zu einem direkten
eine andere Linie einschlagen würde als Hof- Einbeziehen von Gregor, der in den folgenden
mannsthal, dessen letzte Operndichtungen ihm zu Jahren immerhin drei Libretti für Strauss verfasste:
sehr mit schwer verständlicher Symbolik und auf einen Entwurf von Zweig zurückgehend Frie-
Mythologie belastet schienen; bei seiner Kritik denstag; eine eigene Idee realisierend, aber unter
denkt er sicherlich an Die Frau ohne Schatten und dramaturgischer Hilfestellung von Zweig – später
an Die Ägyptische Helena. auch von Clemens Krauss – Daphne; und, ein
In seinem ausführlichen, einem Exposé glei- Szenar Hofmannsthals aufgreifend, aber wesent-
chenden Brief vom 3. November 1931 legt Zweig lich verändernd, Die Liebe der Danae.
dann Strauss bereits zwei Pläne vor: Gemessen an Hofmannsthal und Zweig konnte
Wichtiger und wesentlicher erscheint mir der erste, […] Strauss seinen neuen Librettisten Gregor wohl nur
eine Tanzpantomime allergrößten Stiles, die aber nicht als eine Notlösung ansehen. Die harsche, oft bis
choreografisches Spiel ist, sondern in universalischer und zum Kränkenden gehende Kritik an Gregors dra-
allverständlicher Fassung das Problem der Musik, die
Kunst überhaupt zur Darstellung bringt. […] Der zweite maturgischen Entwürfen und an den ausformu-
Plan ist eine heitere, muntere bewegliche Spieloper, sehr lierten Textworten rief aber zu guter Letzt doch
leicht zu schreiben und ohne jede Beschwerung zu spielen noch ein für Strauss brauchbares und teilweise
[…]. (RSSZ 9 f.)
sogar positiv beurteiltes Ergebnis hervor, wenn-
Es verwundert nicht, dass sich Strauss – wahr- gleich die mit Gregor realisierten Werke unver-
scheinlich zur Enttäuschung von Zweig – für die kennbar unter den Schwächen des Literarisch-
Spieloper, die spätere Schweigsame Frau entschei- Poetischen leiden und bis heute eigentlich nur
det, die zunächst unter dem Arbeitstitel »Moro- Daphne zu einer gewissen Repertoirebedeutung
sus« in Angriff genommen wird. Den von Zweig gefunden hat.
im Juni 1932 übersandten Libretto-Entwurf hält Für die nochmals auf Zweig zurückgehende
Strauss »für Musik geeignet wie weder der Figaro Idee eines Bühnenwerks nach Giambattista Castis
noch der Barbier von Sevilla« (RSSZ 18). Strauss Divertimento musicale Prima la musica e poi le
beginnt auch sofort mit dem Skizzieren, ohne, parole wechselt Strauss, enttäuscht und verärgert
abgesehen von Kürzungen, wesentliche Änderun- über Gregors unbrauchbare Ansätze, auf Clemens
gen am Text ins Auge zu fassen. Ob Strauss sich Krauss als hilfreichen Librettisten über, mit dem
134 Kompositorische Arbeit

zusammen er dann Capriccio als eine musikdrama- Das heißt nun aber keineswegs, dass Strauss in
tische Auseinandersetzung mit dem Wort-Ton- diesen 20 Jahren der Zusammenarbeit nicht auch
Problem konzipiert. Mit Capriccio fanden die eigene Wünsche und Themen vorgebracht hätte.
Mühen und Freuden, die Strauss bei den verschie- Wie der Briefwechsel zeigt, hatte Strauss immer
denen Verfassern seiner Operntexte erlebt hatte, wieder eigene Projekte im Kopf, doch redete sie
eigentlich ihr Ende. ihm der Dichter, als seinem poetischen Credo
Es gibt aber noch ein kurzes Nachspiel: Strauss widersprechend, mit ernsten Argumenten oder
dachte 1947 daran, dem Gymnasium des nicht einfach nur belustigt aus.
weit von Garmisch entfernten berühmten Klosters In welche Richtung Strauss’ eigene Vorstellun-
Ettal, das seine Enkel Richard und Christian zeit- gen zielten, zeigt gleich eine mit einer Anfrage
weise besuchten, eine kleine Schuloper zuzueig- Gabriele d’Annunzios zusammenhängende Stoff-
nen. Als Grundlage wählten Strauss und Gregor umschreibung: »einen ganz modernen Stoff, sehr
»Des Esels Schatten«, eine auf antike Überliefe- intim und von nervösester Psychologie […]«
rung zurückgehende Episode aus Christoph Mar- (15.5.1911; RSHH 115). Auch fünf Jahre später
tin Wielands Abderiten; als versierter Theaterhisto- bringt Strauss diesen latent weiterschwelenden
riker kannte Gregor wahrscheinlich auch die frü- Wunsch wieder zur Sprache: »Bezüglich einer
here Dramatisierung des Stoffs durch August von neuen Oper schweben mir folgende zwei Sachen
Kotzebue. Jedenfalls beginnt Gregor sofort mit vor: entweder eine ganz moderne, absolut realisti-
der Ausarbeitung, doch Strauss ist mit den Ent- sche Charakter- und Nervenkomödie […] oder so
würfen und dem Sprachstil ganz unzufrieden und ein hübsches Liebes- und Intrigenstück […]«
sucht deshalb nach einem neuen Autor, den er (25.5.1916; RSHH 342). Hofmannsthal kann dar-
dann auch, durch Vermittlung von Bernhard über natürlich nur »herzlich lachen« (ebd.),
Paumgartner, in der Person des Wiener Schriftstel- ebenso wie ihm die von Strauss genannten Thea-
lers Hans Adler findet. Dessen durchaus originel- terautoren Scribe (Das Glas Wasser) und Sardou
les Libretto inspiriert Strauss zu Skizzen in einem durchaus kein Vorbild sein können.
für ihn wiederum neuen, couplethaften Stil, doch Für einen derart realistischen Typus eines
lässt er letztendlich »Des Esels Schatten« als Frag- Opernsujets blieb also Strauss auf sich selbst ange-
ment liegen und wendet sich anderen Arbeiten zu. wiesen und setzte tatsächlich mit dem autobiogra-
phisch orientierten Intermezzo wenigstens einmal
das gewünschte Genre mit Text und Musik in die
Tat um. Er hätte wohl gerne in dieser Richtung
Stoff, Gattung, Dramaturgie weitergemacht, erkannte aber doch auch – gleich-
gültig ob zurecht oder nicht – seine unzureichende
Stoffe
Begabung zur Textschöpfung: »ich möchte am
Anfangs war es also Strauss selbst, der die Stoffe liebsten immer mich selber komponieren – kann
seiner Bühnenwerke fand – wie er ja auch die mich aber leider nicht dichten« (12.7.1927; RSHH
poetische Thematik seiner Tondichtungen selbst 579). Freilich darf man Strauss nicht auf diese
gewählt hatte: Dem Stoff zu Guntram begegnete eine, ihm so wichtige Grundlinie festlegen. Er
er in einer Zeitungsnotiz, Feuersnot beruht auf der denkt etwa auch an Wielands Peregrinus Proteus,
von ihm ausfindig gemachten niederländischen worauf allerdings Hofmannsthal zweifelnd rea-
Sage »Das erloschene Feuer von Audenaerde«; giert: »Doch ist immerhin möglich, daß mir das
Salome und Elektra kannte er als sehr erfolgreiche Satirisch-Burleske überhaupt nicht gegeben ist!«
und vieldiskutierte Schauspiele im Berliner (29.11.1924; RSHH 531). Und innerhalb kürzester
Theater Max Reinhardts, beide Male mit der fas- Zeit – Juni bis September 1927 – brachte Strauss
zinierenden Gertrud Eysoldt als Protagonistin. wiederum drei andere, höchst verschiedenartige
Seit jedoch das Arbeitsbündnis mit Hugo von Stoffe ins Spiel: Spontan, unter dem Eindruck ei-
Hofmannsthal beschlossene Sache war, ging die ner Meistersinger-Aufführung, dachte er an ein
Initiative für alle gemeinsamen Projekte, von Werk ähnlicher Haltung (16.6.1927; RSHH 572).
Rosenkavalier bis Arabella, ganz vom Dichter aus. Wenig später entdeckte er dann in Turgenjews
11. Strauss und seine Librettisten 135

Novelle Dunst einen Opernstoff und entwarf so- lischen Prinzessin in biblischem Milieu; die Er-
gar gleich ein Szenar dazu (30. Juni 1927; RSHH neuerung und Psychologisierung einer Sophokles-
575); schließlich erfuhr er von einer Hofmanns- Tragödie; zwei Komödien im Wiener Milieu ver-
thalschen Arbeit aus dem Bereich des Wiener schiedener Jahrhunderte; eine Kombination von
Volkstheaters und glaubte, auch aus diesem Stoff- gesprochenem Molière-Stück und Antikenoper
bereich ließe sich vielleicht ein »Singspiel mit mit Commedia-dell’arte-Einsprengseln bzw. von
Musik (und Kasperltheater)« machen (20.9.1927; realistischem Vorspiel in einer Theatergarderobe –
RSHH 583). Aber aus all diesen mit Hofmanns- im Zentrum eine idealistische Komponisten-Fi-
thal diskutierten Vorschlägen wurde nichts. gur – und nachfolgender Opernaufführung; ein
Gleich in seinem ersten Brief an Stefan Zweig symbolträchtiges Zaubermärchen; eine realistische
wünscht sich Strauss einen Text mit einem in sei- und mit überlegenem Humor portraitierte, auto-
nem Werk bisher noch fehlenden Frauentyp, »die biographisch fundierte Ehekrise; drei griechisch-
Frau als Hochstaplerin oder die Grande dame als mythologische Themen unterschiedlichen Stils;
Spion«. Er verweist auch wieder auf die Namen eine Buffa-Handlung, sehr frei nach einem Stück
Scribe und Sardou (31.10.1931; RSSZ 8), doch geht von Ben Jonson; Dramatisierung einer histori-
Zweig ebenso wenig wie vorher Hofmannsthal auf schen Gegebenheit; ein theoretisierender Dialog
derlei Anregungen ein. Und wenn Strauss später, über das Wort-Ton-Problem, integriert in ein
bei der Diskussion um den Stoff »24. Oktober Bühnengeschehen mit einem Liebeswerben von
1648« (endgültiger Titel der Oper: Friedenstag) die Dichter und Komponist als Rivalen, dabei man-
Handlung durch eine »Liebesaffäre« interessanter cherlei Gelegenheiten zu operngeschichtlichen
zu machen wünscht, findet Zweig, dass »die Bin- Musikeinlagen und -zitaten.
dung des Heroischen mit einer Liebesepisode Gibt es neben Strauss einen weiteren Opern-
doch immer zu sehr opernhaft im schlimmen komponisten, der die Herausforderung einer der-
Sinne« sei (3.10.1934; RSSZ 82 und 84). artigen Spannweite von Stoffen angenommen und
Die längste, schließlich aber doch ergebnislose in lebensfähiges Musiktheater umgesetzt hat?
Geschichte unter den Opernplänen hat der in
Anlehnung an Calderóns Die Tochter der Luft
Gattungsfragen
konzipierte Semiramis-Stoff: Er steht schon am
Anfang von Strauss’ Beratungen mit Hofmanns- Es stellt sich bei einer solchen Verschiedenheit von
thal zur Diskussion, wird offenbar 1931 mit Franz Stoffen natürlich die übergeordnete Frage, ob und
Werfel besprochen, erneut aufgegriffen von Zweig in welchem Grad bei jedem Werk neben seiner
und dabei bereichert um Elemente aus Lord By- Individualität auch noch die traditionellen Gat-
rons Sardanapal – Strauss beginnt sogar schon mit tungstypen der Operngeschichte mit hereinspie-
ersten Skizzen –, dann übernimmt Gregor Zweigs len. Tatsächlich bedienten sich Strauss und seine
Entwürfe, aber Strauss kann mit dessen Ausarbei- Textautoren im brieflichen Austausch ja immer
tungsversuch nichts anfangen, und so wird das wieder hergebrachter Typenbezeichnungen wie
von Autor zu Autor weitergereichte Projekt einer Spieloper, Singspiel, mythologische Oper, roman-
Prunkoper mit einer »heroischen Frau« im Mittel- tische Oper u. ä. Aber inwieweit bedeutet das
punkt endgültig ad acta gelegt. mehr als lediglich ein bequemes Mittel der raschen
Der Blick auf die von Strauss angesprochenen, und überschlägigen Verständigung? Zu fragen ist,
dann aber unrealisiert gebliebenen Stoffideen lässt in welchem Maß bei den Strauss-Librettisten, und
selbstverständlich nicht vergessen, welcher Reich- gewiss nicht weniger bei dem Komponisten
tum von Stoffen und Sujets, ob in eigener Initia- Strauss, die hervorstechende Individualität des
tive gefunden oder von Librettisten ins Spiel ge- Werks – jedes Werk soll sozusagen ›ganz allein für
bracht, im fünfzehnfachen Opernwerk von Strauss sich einstehen‹ und nicht bloß Normen erfüllen –
letztendlich zur Ausführung und Vollendung ge- das allgemein Gattungsmäßige transzendiert und
langt ist. Im Einzelnen: eine Handlung in der man im Blick auf die Werke mögliche Spuren
mittelalterlichen Welt der Minnesänger; eine Sage historischer Bindungen hintanstellen darf. Beson-
›in fabelhafter Unzeit‹; die Tragödie einer orienta- ders häufig ist im Arbeitsgespräch merkwürdiger-
136 Kompositorische Arbeit

weise von Operette die Rede, doch denken die anregte – heutzutage oft durch Übertitel reali-
Briefschreiber dabei je nachdem an außerordent- siert –, mag zwar für das Textverstehen hilfreich
lich Verschiedenes, etwa an die heitere Oper von sein, lenkt aber gewiß auch vom konzentrierten
Auber oder Donizetti (Don Pasquale), an die Of- Blick auf das Bühnengeschehen und vom intensi-
fenbachsche oder Straußsche Operette, oder, meist ven Hören der Musik ab.
mit negativem Vorzeichen, an die zeitgenössische Aus dem Blickwinkel der Dramaturgie bemer-
Operette eines Franz Lehár. Alfred Kerr sollte für kenswert ist der relativ hohe Anteil von Einaktern
Strauss eine ›freche Operette‹ schreiben. Gemein- (drei frühe: Feuersnot, Salome, Elektra; drei späte:
sam ist all diesen Anspielungen auf Operette ei- Friedenstag, Daphne, Capriccio). Auch die Oper
gentlich nur eines: Man meint ein in Text und Ariadne zählt zu den Einaktern, zusammen mit
Musik leichter daherkommendes, unbeschwertes dem Vorspiel der zweiten Fassung ergibt sich
Bühnenwerk, ein Werk das jedenfalls, mit Nietz- gleichsam eine Verbindung von zwei Einaktern,
sche zu reden, ›nicht schwitzt‹. nicht ein zweiaktiges Werk.
Als was ein Werk nach außen – Textbuch, Par- Was das einaktige Singgedicht Feuersnot und
titur bzw. Klavierauszug, Theaterzettel – zu gelten danach Salome und Elektra für den Komponisten
hat, verraten die dem Werknamen beigefügten Strauss so attraktiv machten, war sicher die drama-
Untertitel. Bei Strauss also: Tragödie (Elektra) oder turgisch lapidare Anlage: jeweils ein einziger, leicht
Bukolische Tragödie (Daphne), Drama/Musik- überblickbarer Schauplatz (die Münchner Sentlin-
drama (Salome), Komödie für Musik (Rosenkava- gergasse; Terrasse oder innerer Hof eines Palastes)
lier), Lyrische Komödie (Arabella), Bürgerliche und ein einziger dramatischer Konflikt, nicht ein
Komödie (Intermezzo). Mehrfach steht das neu- durch Verschränkung von Handlungssträngen
trale, in Hinsicht auf den Werkcharakter indiffe- kompliziertes oder von Nebenhandlungen überla-
rente Oper (Ariadne, Frau ohne Schatten, Helena, gertes Geschehen. Eine dergestalt lapidare Anlage
Friedenstag), Komische Oper wohl als deutsches kam einem Grundprinzip Strauss’schen Kompo-
Äquivalent für Opera buffa (Die schweigsame nierens entgegen: ungebrochene Linien, Steigerung
Frau). Ganz aus dem Rahmen des Üblichen fal- zu einem Höhepunkt.
lend: Guntram – zunächst gar keine Angabe, in Dramaturgisch lapidar ist beispielsweise in
der Neubearbeitung dann Handlung wie bei Feuersnot das schlagartige Verlöschen von Feuer
Wagners Tristan; Ein Singgedicht (Feuersnot), und Licht, entsprechend das von der opportunis-
Heitere Mythologie (Danae); Konversationsstück tischen Bürgerschaft ohne Rücksicht auf den gel-
für Musik – ursprünglich »Theoretische Komö- tenden Moralkanon herbeigerufene und gleicher-
die« – (Capriccio). weise schlagartig eintretende Wiederaufflammen
von Sonnwendfeuer und Stadtbeleuchtung; in
Salome führt eine ungebrochene Linie von der
Dramaturgie
erschreckend penetrant – neunfach! – wiederhol-
Für die dramaturgische Ausarbeitung der Stoffe ten Forderung nach dem »Kopf des Jochanaan«
legte Strauss größten Wert auf eine sinnfällige zum Schlussmonolog der Salome und zu dem das
Anlage, die das Bühnengeschehen auch unvorbe- Drama abschließenden, mit Abscheu herausge-
reitet und ohne volles Wortverstehen mitvollzie- schleuderten Befehl des Herodes: »Man töte dieses
hen lassen sollte. Seine immer wieder bei den Weib!«; bei Elektra stehen die, dank der Textkür-
Textautoren angemahnten Forderungen waren zungen durch Strauss lapidar ablaufende Anagno-
deshalb: Aktion, Steigerung, Konflikte, drastische risis und die in antiker Unerbittlichkeit gesche-
Situationen, keine zu stark gebrochenen Linien. hende ›Tat‹ des Doppelmords in einem zwingen-
Er sah nichts Positives darin, wenn der Opernbe- den Spannungsverhältnis von Exposition und
sucher sich noch schnell-schnell vor der Auffüh- Ausführung.
rung im Programmheft über Inhalt und Hand- Von den späten Einaktern zielt nur noch Frie-
lungsverlauf zu orientieren versucht, und das denstag geradewegs auf einen solchen Höhepunkt;
Mitlesen des Textbuchs während der Aufführung, in Daphne hingegen überschneiden sich die Leu-
wie es Hofmannsthal für die Ägyptische Helena kippos- und die Apollohandlung; Capriccio endet
11. Strauss und seine Librettisten 137

dramaturgisch mit einem alles Vorausgehende, das tatsächlich eine deutliche innere Trennlinie zwi-
Menschliche und das Theoretische unentschieden schen dem manchmal als zu sentimental kritisier-
lassenden Fragezeichen. ten Aktschluss am Bett des Kindes und der nach
Bei einem Zweiakter ist die dramaturgisch der Pause einer ganz anderen Welt verpflichteten,
kritischste Stelle der ungefähr in die Mitte fallende recht burschikos dargestellten Skatpartie empfin-
Akteinschnitt: das Publikum wird in eine zerstreu- den, aber angesichts der Bauweise eines filmartig
ende und mit Erfrischungen genossene Pause geschnittenen Bilderreigens ist ein Akteinschnitt
entlassen, und der danach wieder die künstlerische dramaturgisch kaum gerechtfertigt. Mit einer
Aufmerksamkeit beanspruchende Neubeginn hat derartigen ›Dramaturgie der Bilder‹ hat Strauss
es schwer. In der Ägyptischen Helena sind wir im- zweifellos ein neues Konzept von Musiktheater
merhin an einen neuen Schauplatz versetzt – nicht herausgestellt, das allerdings in seinem weiteren
mehr im Palast der Aithra, sondern weit weg in Werk keine Nachfolge fand.
einem Palmenhain vor dem Atlasgebirge – und Dem der Dreiaktigkeit immanenten dramatur-
der zunächst allein im Fokus der Bühne stehenden gischen Grundschema von Ausgangssituation –
Helena kommt es zu, mit ihrem weit ausgreifen- Konflikt – Lösung entsprechen mehr oder minder
den hymnischen Gesang »Zweite Brautnacht! / auch alle sechs dreiaktigen Strauss-Libretti, begin-
Zaubernacht, / überlange!« das Publikum wieder nend mit Guntram, dann dreifach Hofmannsthal
zurückzuerobern, wie es jedenfalls Sängerinnen mit Rosenkavalier, Frau ohne Schatten und Ara-
und Darstellerinnen vom Schlage einer Maria bella, schließlich Zweig mit der Schweigsamen
Jeritza, Elisabeth Rethberg oder Rose Pauly wohl Frau und Gregor mit der Liebe der Danae. Drama-
meist glänzend gelungen ist. Mit dem aus einem turgisch einleuchtend ist ein mit jedem Aktwech-
tiefen Schlaf erwachenden Menelas kommt gleich sel zusamenfallender Wechsel der Schauplätze, so
danach auch die Handlung wieder langsam in Guntram, Rosenkavalier und Arabella, während
Gang: »(schlägt die Augen auf und blickt mit Frau ohne Schatten und Danae die Akte noch
Staunen um sich) ›Wo ist das Haus? Die Zauberin kleinteiliger in Bilder untergliedern und dadurch
wo?‹«. So nimmt sich wohl der dramaturgisch das Bühnengeschehen komplizieren. In der
stimmige Anfang eines zweiten Opernaktes aus, Schweigsamen Frau bringt der dritte Akt eigentlich
wenn auch der Einsatz des Menelas mit Worten keinen neuen Schauplatz »(Gleiches Zimmer, nur
vom Typus »Wo bin ich?« ziemlich abgegriffen ist. in größter Unordnung)« – und beginnt auch mit
Die Ägyptische Helena leidet freilich fraglos – aller- keinem neuen Handlungsmoment –, was die
dings nicht erst im zweiten Akt – an dramatur- Akttrennung eher als einen äußerlichen, nicht von
gisch schwer verständlichen Bestandteilen (die der Dramaturgie getragenen Eingriff erscheinen
›doppelte‹ Helena, Zaubertränke, die auf einem lässt. Trotz Schauplatzwechsel ist auch in Arabella
Dreifuß stehende alleswissende Muschel usw.), so der Einschnitt zwischen zweitem und drittem Akt
dass das Werk zwar nicht in der Wertung von vom Handlungsverlauf her kaum gefordert, wes-
Dichter und Komponist, aber doch in der Gunst halb in der Theaterpraxis oft durchgespielt wird
des Publikums – und auch der Regisseur-Zunft – und nur ein symphonisches Zwischenspiel wäh-
hinter den übrigen Hofmannsthal-Werken zu- rend des Bühnenumbaus die Akte trennt.
rücksteht. Mit dem scharfen Blick des Opernpraktikers –
Äußerlich ebenfalls zweiaktig angelegt ist er hatte umfassende Erfahrungen als Theater-
Strauss’ Intermezzo, es gibt entsprechend auch die kapellmeister – drang Strauss bei seinen Librettis-
übliche Pause, aber es handelt sich doch um etwas ten besonders auf starke und variabel gestaltete
weit Ausgefalleneres, nämlich um eine Reihung innere Aktschlüsse. Er wusste zu genau, wie bei
von unverbunden aufeinanderfolgenden, sogar verschwommenen und faden Schlüssen das Publi-
noch durch symphonische Zwischenspiele sepa- kum gleichgültig in die Pause geht und ebenso
rierten Bildern, um »Kinobilder, in denen die gleichgültig wieder seinen Sitzplatz einnimmt.
Musik Alles sagt« (Gregor 1947, 100). Das Überge- Was aber in einem Opernlibretto, weit mehr als
ordnete der Handlung muss sich der Theaterbesu- in einem Schauspielbuch, berücksichtigt sein
cher eigentlich selbst zurechtlegen. Zwar mag man muss, was mit und neben dem zu singenden Text –
138 Kompositorische Arbeit

oder sogar ohne Text – in erster Linie zählt, ist Besonders ins Gewicht fallen natürlich theater-
freilich das Theatermoment im engeren Sinn. mäßig geglückte Schlussszenen, wie etwa bei Die
Nicht selten sind es im Libretto gerade einzelne, schweigsame Frau mit dem befreit aufatmenden,
primär von einer genuinen Theaterwirklichkeit her »behaglich ein Glas Wein« trinkenden und sich
gesehene Szenen, die dann der Oper ihr einmali- eine Tabakspfeife anzündenden Morosus (»Wie
ges, im Gedächtnis haftendes Gesicht verleihen. schön ist doch die Musik […]«) und bei Daphne
Wo es etwa bei einer Szenenanweisung im mit der sich vor den Augen des Publikums voll-
gedruckten Text von Salome unscheinbar und ziehenden, in wunderbare Musik getauchten Ver-
nüchtern heißt »(Der Prophet kommt aus der wandlung Daphnes in einen Lorbeerbaum. Solche
Cisterne)«, kann der Komponist, weit über die Schlüsse entlassen das Publikum mit dem bleiben-
Möglichkeiten des Sprechtheaters hinaus, den für den Eindruck eines alles Vorausgehende integrie-
sich genommen ganz unspektakulären Vorgang renden und überhöhenden, Musik und Theater
von Jochanaans Emporsteigen aus der Zisterne vereinenden Kunstwerks.
allein mit seinen instrumentalen Mitteln zu einer
spektakulären, gleicherweise als musikalisch-moti-
visches wie als bildhaftes Geschehen erlebbaren
Theaterszene ausbauen. Aus einer beiläufig über Das Wortelement
ein Handlungsmoment orientierenden szenischen
Anmerkung entstand so musikdramatisch Werk- Hofmannsthals Ausdruck »Wortelement«, näm-
haftes. lich »daß den Komponisten weniger die Situation
In diesem Sinn hat Strauss etwa auch bei dem als das eigentliche Wortelement des Textes zwin-
Auftritt des Orest in Hofmannsthals Elektra-Tra- gend anzuregen vermag« (RSHH 356), benennt
gödie, durch Wegstreichen von theatermäßig eine wohl für jeden Komponisten wichtige, für
überflüssigem Text einerseits, durch einen zusätz- den äußerst sprachsensibel reagierenden Strauss
lichen, vom Dichter sprachlich neu zu erfinden- aber wohl sogar primäre Seite der Vertonung. Mit
den Text für einen lyrischen Ruhepunkt anderer- »Wortelement« ist offenbar gemeint, dass den
seits, eine vom Vorher und Nachher abgesetzte, Worten nicht nur eine lexikalische Bedeutung
in sich schlüssige, und doch auf das Kommende zukommt, vielmehr Worte – und Ähnliches gilt
vorausweisende Erkennungsszene herausgearbei- auch für Satzbau und Sprachform im weiteren
tet, die dann in ihrer Komposition und Orchest- Sinn – immer auch, durch Sprachgeschichte und
ration tatsächlich zum Inbegriff des Werks geriet. Sprachgebrauch geprägt, in vielerlei Nuancen
Hofmannsthal mochte bei diesem Beginn sei- ›sprechen‹ und zudem voll von Emotionalität und
ner Zusammenarbeit mit Strauss wohl entdeckt umgeben von einer allgemeinen oder dichteri-
haben, was eine Oper szenisch-dramaturgisch schen Aura sind.
verlangt, um dann beim Rosenkavalier von vorn- Anders als bei der italienischen Operntradition
herein sehr stark auf einzelne prägnante Theater- mit ihrer kodifizierten und von jedem Librettisten
momente hinzuarbeiten, wie z. B. am Anfang des vorausgesetzten Sondersprache (Vokabular, Dik-
zweiten Aufzugs bei der Überreichung der sil- tion, Verse, Reimbindung), einer Sprachform,
bernen Rose: das Herannahen des Octavian – die noch bei Verdi und Puccini dem Librettisten
ineinander verwoben äußere ›Teichoskopie‹ der eine sichere Grundlage bot, musste im deutschen
Duenna Marianne und innere Besinnung (»sam- Bereich jeder Textdichter erst einmal einen für
melt sich mühsam«) der Sophie –, sich steigernd den ins Auge gefassten Stoff geeigneten Sprach-
bis zum silberglänzenden Eintritt des Rosenkava- stil finden. Entsprechend haben wir es im
liers mit Überreichung der Rose, danach lyrischer Strauss’schen Opernschaffen, in dem jedes Werk
Ruhepunkt und Wechsel zur Konversation der ein eigenes Genre verkörpert, auch mit sehr
beiden Hauptfiguren, schließlich ein die ›überirdi- verschiedenen Spielarten des Deutschen zu tun.
sche‹ Stimmung abrupt tilgender und das Gesche- Allein im Rahmen des Hofmannsthalschen Schaf-
hen auf anderer Ebene weitertreibender Einschnitt fens für Strauss treffen wir auf ganz verschiedene
»Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger«. Ausprägungen des Deutschen – sozusagen auf ein
11. Strauss und seine Librettisten 139

verschiedenartiges »Wortelement« –, und sogar Strauss nennt bei seinen Beispielen für »glück-
die beiden gleicherweise in Wien situierten Werke liche Worte«, wie schon angeführt, auch die
Rosenkavalier und Arabella sprechen durchaus Schlussverse der mythologischen Oper Die Ägyp-
unterschiedliche, zeit- und gesellschaftsorientierte tische Helena:
Idiome. Gewogene Lüfte, führt uns zurück
Strauss hatte im Umgang mit seinen Texten – heiliger Sterne segnende Schar!
man denke auch an sein Liedwerk – ein sicheres Hohen Palastes dauerndes Tor
öffne sich tönend dem ewigen Paar!
Gespür dafür gewonnen, welche Art von Sprach-
kunst seinem Komponieren entgegenkommt und (Im Text von Hofmannsthal hieß es ursprünglich
welche nicht. Dabei kam es wohl ebenso auf in Zeile 2 »salbende Schar« und in Zeile 4 »öffne
Inhaltliches und Ausdrucksmäßiges an wie auf dich«.) Hier war es wohl vor allem der hymnische,
das formale Gefüge, die ›Gangart‹ der Worte. Phra- an den späten Goethe gemahnende Gestus der
senhafte, bloß gedachte, trockene oder spröde Verse, den er als ›glücklich‹ für sein Komponieren
Worte ließen ihn kalt und mussten mit Komponis- empfinden konnte.
ten-Handwerk bewältigt werden, »glückliche Allgemein kann man festhalten, dass Strauss –
Worte« dagegen beflügelten seine Phantasie und nach seinem passiv in der Wagner-Tradition ste-
setzten musikalische Erfindungskraft frei. Als Bei- ckengebliebenen Guntram – stets auf ein unkon-
spiele für »glückliche Worte« führt Strauss selbst an: ventionelles und charakteristisches Wortelement
»Terzett Rosenkavalier, Duette Arabella, Schluß- bedacht war. Bezeichnend dafür gleich Feuersnot:
verse der Helena« (RSWS 70). Es ist nun ganz ge- Der Untertitel »Ein Singgedicht« besagt wohl,
wiß nicht von ungefähr, dass Strauss hier, zurück- dass der zu singende und natürlich auch auf der
blickend auf sein gesamtes Opernwerk, als ›glück- Bühne zu realisierende Text durchgehend gedicht-
lich‹ gerade drei Hofmannsthal-Texte nennt, denn artig in gereimten Versen gehalten ist – ein Aus-
in Hofmannsthals Sprachkunst fand er wohl eine nahmefall in der Librettogeschichte. Und der ka-
ideale Unterlage für seine Musik. Wir müssen dabei barettistisch-provokative Ton, den Ernst von
aber auch differenzieren: Nicht alle Texte und Text- Wolzogen hier anschlug, mit seiner Mischung von
stellen des Dichters konnten seine Vorstellungskraft Ironie, Satire und Ernst-Anklägerischem, Kinder-
in der gleichen Weise stimulieren, wie er einmal im reimen und Derb-Erotischem, alles in einem
Briefwechsel gesteht (28.7.1916; RSHH 353 f.): künstlichen Altbairisch, und mit Wagnerschen
Stabreimen durchsetzt – »Minne, die meidet dein
[…] aber glauben Sie mir:
»Schatten zu werfen magdlicher Sinn?« –, war genau das »Wortele-
beide erwählt« etc. ment«, das Strauss von der Konvention wegführen
lässt sich nicht komponieren wie: konnte. Lyrische Strophen boten Gelegenheit zu
»Hab mir’s gelobt
ihn lieb zu haben.« liedhaft geschlossenen Formen, wie gleich das
Auftrittslied der Diemut:
Der Unterschied beider Stellen liegt nicht im
Süße Amarellen
Sprachniveau und nicht im Formalen, sondern in Zuckerl nach der Ellen
der Möglichkeit des unmittelbar menschlichen Schleckbißlein für böse Buben
Mitempfindens, im Unterschied zur Begegnung Bringen wir zur heilig’n Subend.
Imma, Ursel, Lisaweth,
mit einer nur poetisch suggerierten Märchenwelt. Alle Mädeln mögen Meth.
Um noch bei der Frau ohne Schatten zu bleiben;
auch Baraks »Mir anvertraut / daß ich sie (dich) Mit den refrainartig zum Reigen vorgetragenen
hege« (Textbuch 67, 81) lag Strauss zweifellos beiden Schlusszeilen dieser volksliedhaften Stro-
menschlich näher als etwa der Kaiserin »Vater, bist phe endet auch das Bühnenwerk.
du’s? Drohest du mir aus dem Dunkel her?« (Text- Bei Salome entdeckte Strauss die direkte Kom-
buch 83), was freilich nicht ausschließt, dass aus ponierbarkeit der bildhaften Sprechprosa eines
dieser letzteren Textstelle eine wahrhaft große, Oscar Wilde (in der deutschen Übersetzung von
aber eben nicht auf die menschliche Gefühlswelt Hedwig Lachmann), nachdem ihn versifizierte
bezogene Komposition hervorging. Textproben des Lyrikers Anton Lindner nicht
140 Kompositorische Arbeit

überzeugt hatten. »Wie schön ist die Prinzessin Aufführung handelt, dass dabei aber dennoch
Salome heute Nacht!« setzte sich ihm unmittelbar kurze lyrische Episoden, wie das liedhafte »Du,
in Musik um. Nur dass er manchmal des Rhyth- Venus’ Sohn«, das kleine Duett »Ein Augenblick
mus wegen Wortfolgen umstellt: Seine kom- ist wenig«, und der Hymnus an die Musik »Musik
ponierte Fassung »Wie eine Frau, die aufsteigt aus ist (eine) heilige Kunst« zwischendurch den
dem Grab.« ist rhythmisch geprägter als das Lach- Sprechfluß aufhalten, wodurch das Ganze an
mannsche »die aus dem Grab aufsteigt«. musikalischer Abwechslung, Fülle und Eingängig-
Naturgemäß gehört auch zur »Bürgerlichen keit gewinnt und für den ausführenden Sänger
Komödie« Intermezzo ein Sprechen in Prosa, die- sowie das Publikum attraktiver wurde, aber an
ses Mal freilich ein kaum stilisiertes Alltags- konsequenter Modernität des Sprechgestus hinter
deutsch, das uns wohl sogar etwas von der münd- dem späteren Intermezzo zurücksteht, schließlich
lichen Kommunikation im Garmischer Landhaus spielt das Ariadne-Vorspiel ja auch nicht wie Inter-
Strauss verrät. Strauss als Textautor geht in seiner mezzo in einer Jetzt-Zeit.
Niederschrift der Sprechweise geradezu akribisch Die Elektra-Tragödie Hofmannsthals ist in den
vor, indem er z. B. im täglichen Sprachgebrauch seit Lessing im deutschen Sprechdrama zur Norm
verschluckte Endsilben wie bei »Nein, gnä’ Frau, gewordenen, locker skandierenden Blankversen
das find’ ich nicht.« oder ausgesparte Verben wie (Grundmetrum: fünffüßige Jamben) verfasst,
bei »Wann Rendezvous?« auch im zu singenden wenngleich durch Strauss’ Textkürzungen die ein-
Text auslässt. Darüber hinaus sind im Alltagsjar- heitliche Versstruktur leidet und auch im Druck-
gon ganz gewöhnliche, in einem Opernlibretto bild des Textbuchs der Versbau nur noch teilweise
aber eher überraschende fremdsprachliche Aus- augenfällig wird. Ob und in welcher Weise sich
drücke wie »all right« oder »plein pouvoir« und dieses spezifische, von Hofmannsthal auch in den
emotionale Ausbrüche wie »Kreuzelement« ein- nachfolgenden Operndichtungen beibehaltene
bezogen. Das Ganze ähnelt oft einem sich bei Metrum des Blankverses möglicherweise auf den
›pressiertem‹ Sprechen – »Tempo, tempo, sagt mein rhythmischen Duktus Strauss’schen Komponie-
Mann immer, tempo ist alles!« – einstellenden rens auswirkte, ist eine noch offene Frage.
Telegramm- oder Depeschenstil. Auch bei den von Strauss erbetenen Texterwei-
Die Kehrseite eines so radikal porträtierten und terungen für Elektra, z. B. für einen lyrischen
kompromisslos auf Textverständlichkeit ausge- Ruhepunkt in der Erkennungsszene, gebietet Hof-
richteten Sprechgestus ist natürlich, dass dann in mannsthals ausgeprägtes Stil- und Rhythmusemp-
der Partitur den Singstimmen zwar vielerlei ver- finden selbstverständlich eine Angleichung an den
schiedene Möglichkeiten von Sprechgesang zu- bestehenden Versbau, wie der brieflich übermit-
kommen, ihnen jedoch jegliche melodische Ent- telte, genau in Blankverse gegliederte Textentwurf
wicklung, jedes Zur-Geltung-Bringen von Bel- zu erkennen gibt (RSHH 38):
canto abgeschnitten ist. Allerdings kompensiert Seite 77. Elektra: … … »Orest!
Strauss die Einseitigkeit des szenischen Sprechge- (flüsternd) Es rührt sich niemand. (zärtlich)
sangs durch musikalisch besonders aufglänzende O laß deine Augen
Mich sehen! Traumbild, mir geschenktes! schöner
und zu Recht schon im Werktitel mitgenannte Als alle Träume! unbegreifliches,
»sinfonische Zwischenspiele«. In seiner konsequen- entzückendes Gesicht, o bleib bei mir

{
ten Haltung wurde Intermezzo alsbald zum Proto- lös nicht in Luft Dich auf,
typ eines ganz auf realistisches Sprechen gestellten vergeh mir nicht –
ad libitum es sei denn, daß ich jetzt gleich
neuartigen Musiktheaters. – sterben muß
Hofmannsthals für die zweite Fassung von zu kürzen und du dich anzeigst
Ariadne auf Naxos konzipiertes Vorspiel, das an und mich holen kommst
dann sterb ich seliger als ich gelebt!«
sich in seiner Intention eines natürlichen Spre-
chens den Intermezzo-Stil schon vorausgenommen (In Textbuch und Partitur findet sich »erhabenes«
hatte, unterscheidet sich vor allem darin, dass es statt »entzückendes« Gesicht.)
sich hier, in einer Theatergarderobe spielend, zwar Strauss war von diesem nachgedichteten, so
um eine hektische Sprechsituation im Vorfeld der sensibel seinen Musikwünschen entgegenkom-
11. Strauss und seine Librettisten 141

menden »Wortelement« offenbar höchst angetan: sollte aber die unmittelbar vorangehenden Worte
»Ihre Verse bei der Erkennung des Orest durch Mandrykas mitdenken: »[…] und wo ich Herr
Elektra sind wunderschön und bereits kompo- bin, wirst du Herrin sein / und wirst gebieten, wo
niert. Sie sind der geborene Librettist, in meinen ich der Gebieter bin!« und auch beachten, mit
Augen das größte Kompliment, da ich es für viel welchem Argument die sehr selbstbewusste Ara-
schwerer halte, eine gute Operndichtung zu bella im ersten Akt (eine von Strauss nicht kom-
schreiben als ein schönes Theaterstück« (6.7.1908; ponierte Textstelle Hofmannsthals) einen als Per-
RSHH 41). son schwächeren Bewerber von der Art Matteos
Für den Komponisten kann darüberhinaus ablehnt: »Er ist kein ganzer Mann. Ich könnt
schon ein einzelnes Wort, kraft einer ihm inne- mich halt vor ihm nicht fürchten. Wer das nicht
wohnenden Wortsinn- und Wortklangmagie, ein ist, der hat bei mir verspielt!« Arabella sehnt sich
›glückliches Wort‹ bedeuten, so etwa das in der eben nur nach einem ›ganzen‹ Mann, einen Mann
großen Szene der Ariadne imaginierte »Toten- wie Mandryka, zu dem sie auch aufschauen kann.
reich« (Textbuch 44). Strauss reagiert auf die be- Ein extremerer Kontrast als von den tief emp-
sondere ›Wortaura‹ mit einer entsprechenden, den fundenen und im Gedächtnis haftenden Worten
Hörer gleichsam erschauern lassenden ›Klang- Arabellas zu den üblichen platten, abgenützten
aura‹: Zum Oktavsprung der Singstimme hinab und sofort wieder vergessenen Liebesäußerungen
ins tiefe as erklingen tiefe Bläser und Harmonium, in der zeitgenössischen Operette – Arabella wird
besonders charakteristisch der abgrundtief klin- gerne in Operettennähe gerückt – ist jedenfalls
gende Pedalton der Tenorposaune. nicht denkbar. Zur Veranschaulichung zwei Lie-
Nebenbei haben viele Worte Hofmannsthals beserklärungen aus Franz Lehárs Land des Lächelns
die erstaunliche Eigenschaft, sich – überhöht von (Text nach Victor Léon von Ludwig Herzer und
Straussens Musik – so unmittelbar dem Gedächt- Fritz Löhner-Beda): Nr. 8 (Lisa/Sou-Chong, das
nis einzuprägen, dass sie geradewegs Zitatcharak- ›hohe‹ Paar) »Meine Liebe hüllt dich ein, / Du bist
ter gewinnen und von Opernfreunden bei allen mein und ich bin dein!« oder Nr. 10 (Gustl/Mi,
möglichen Gelegenheiten aufgerufen werden. das lustig-einfache Paar) »Meine Liebe, deine
Dazu gehören die von Strauss explizit als »glückli- Liebe / Hat denselben Sinn: / Ich liebe dich und
che Worte« genannten Duette aus Arabella. »Aber du liebst mich / Und da liegt alles drin.«
der Richtige, wenn’s einen gibt […]« lässt sich Bei Stefan Zweigs Libretto Die schweigsame
sogar als Vorspann einer Heiratsannonce in der Frau steht Strauss vor einem für ihn neuartigen
Tageszeitung finden. Und ein so feinfühlig verhal- »Wortelement«: ein Text bestimmt von sprühen-
tenes, an die Sprache der Bibel anklingendes Lie- der Spielfreude, Witz und sprachlicher Virtuosität,
besbekenntnis wie das Arabellas im zweiten Akt abgefasst in Prosa, freien Sprechrhythmen und
der Lyrischen Komödie (Textbuch 50) – Szenen- metrisch gebundenen Strophen, und übersichtlich
anweisung: »(ganz leise, mit ihm)« – vergisst sich gegliedert in die traditionellen Bestandteile von
nicht so schnell: »Und du wirst mein Gebieter sein Opera buffa oder Komischer Oper: gesprochener
und ich dir untertan. / Dein Haus wird mein Dialog, Rezitativ, Arie, Ensemble, Finale. Ein
Haus sein, in deinem Grab will ich mit dir begra- Problem ist eigentlich nur die zu große Text-
ben sein – / so gebe ich mich dir auf Zeit und menge. Strauss kürzt zwar ein wenig, aber es bleibt
Ewigkeit.« Ob hier für Hofmannsthal die alttesta- noch immer ein Zuviel, wo doch im Libretto
mentarischen Worte aus dem Buch Ruth (I, 16/17: selbst die Lehre gegeben ist: »Rechter Spaß bleibt
»Wo du hin gehest da wil ich auch hingehen / Wo dann nur heiter, wenn er nicht zu lange währt«
du bleibst / da bleibe ich auch […] Wo du stirbest (Finale 3. Akt, Textbuch 81).
/ da sterbe ich auch / da wil ich auch begraben Zweig schrieb das Libretto in einem begeister-
werden«) Pate standen? ten Impetus, quasi als Erholung von seiner sonsti-
Am Rande bemerkt: Als ein menschliches Ne- gen Arbeit, und Strauss erinnert sich: »Die Com-
gativum wird manchmal angeführt, dass Arabella position keiner meiner früheren Opern fiel dem
hier ihre liebende Hingebung scheinbar allzu un- Musiker so leicht und hat mir solch unbeschwertes
terwürfig – »Gebieter«, »untertan« – gesteht. Man Vergnügen bereitet« (RSSZ 157).
142 Kompositorische Arbeit

Woran aber liegt es dann, wenn bis heute die heraus. Gregor war ja eigentlich ein durchaus er-
Schweigsame Frau keinen wirklichen Stammplatz fahrener und erfolgreicher Schriftsteller (zwei Ly-
im Opernrepertoire erreicht hat? Hat die Leichtig- rikbände, Neubearbeitung des Jesuitenspiels Ceno-
keit des Entstehens, ein Entstehen anscheinend doxus, Theatergeschichtliches, Monographien),
ohne innere Widerstände, dem Werk eher gescha- dass sich dann seine für Strauss geschriebenen
det? Libretti sprachlich doch eher ungeschickt, hölzern
Im Textbau merkwürdig ist Zweigs fast manie- und gestelzt ausnehmen, ist kaum erklärbar. Viel-
ristischer Spaß an Wortspielen, etwa wenn Moro- leicht war Gregor unbewusst an irgendein – un-
sus den ›Lärm‹ der Musik beanstandet: »Das fie- glückliches – Trugbild von Librettosprache fixiert,
delt und flötet, das pfeift und trompetet, das anstatt seine Texte mit einer schlichten und natür-
brummt und das schrummt […]«, oder wenn er lichen Sprache zu schreiben; möglicherweise war
sich über den Glockenklang beschwert: »[…] die er angesichts seiner berühmten Vorgänger Hof-
großen, die schweren, die donnern und dröhnen, mannsthal und Zweig auch gehemmt. Sein Sprach-
die kleinen, die dünnen, die plärren und stöhnen duktus gelangt selten zu einem freien Strömen,
[…]«; oder wenn Isotta verkündigt, wie sie Moro- begnügt sich vielmehr meist mit kurzatmigen
sus hereinlegen würde: »(tanzhaft) […] hurtig und Satz- und Zeilenelementen, wie etwa: »Sei mir ge-
heiter, würd’ ich ihn necken, picken und packen, grüßt / Und den Meinen all! / Was trieb dich her
zwicken und zwacken […]« (Textbuch 8 f., 24). […] / Mit seltsamen Zeichen?« (Daphne); und
Versucht Zweig hier musikalischen Prozeduren – man stößt sich – quer durch die drei Gregor-
motivische Entsprechungen im Melodiebau – ei- Texte – an den immer wieder gleichen, stereotypen
nen Weg vorzuzeichnen? Und bei den ›Nummern‹ ›Textfüllseln‹, etwa literarisch so heiklen Beiwör-
fällt die einseitige Bevorzugung des meist gereim- tern wie ›herrlich‹ und ›selig‹, oder einer banalen
ten, gefährlich zum ›Leiern‹ neigenden trochäi- Formel wie ›Sei gegrüßt‹. Innerhalb weniger Seiten
schen Vierhebers auf, wie etwa: heißt es im Daphne-Textbuch: »Herrlich Ge-
Ja, das wollen wir probieren, sichte!«, »Herrlich ein Gastmahl wollen wir rüs-
jeder stelle seinen Mann! ten!«, »Die herrliche Gaea!«, »Herrlich ragt die
Mein Herr Oheim soll verspüren, Gestalt!«. In Friedenstag (Kommandant) gar »Krieg,
was Geschick und Laune kann.
Er hat unsere Kunst gescholten, herrlicher Gedanke, Krieg« zugleich mit Maria:
scharf auf scharf jetzt, hart auf hart! »Krieg, furchtbarer Würger Krieg«.
Gleiches sei mit gleich vergolten, Ein paar Fälle von ›selig‹ und ›gegrüßt‹: »O sel-
und wer Narr ist, sei genarrt!
(Beginn Finale 1. Akt, Textbuch 27)
ges Wort«, »Seliges Schwingen«, »Der selige Anruf«,
»O selger Dämon«, »Selige Vögel« (Daphne); »seli-
Ist der Text, und dann auch die Komposition, aufs ger Traum«, »seliger Regen«, »seliges Zelt«; »Unse-
Ganze gesehen, zu glatt und ruhelos geraten? Ei- lige Gabe! / Der herrliche Busen / Kalt« (Danae);
nen menschlich berührenden Ruhepunkt gibt es »Glückselger Friede / sei uns gegrüßt!« (Friedens-
eigentlich erst zum Schluss, mit Morosus’ gern tag); »Goldenes Segel, sei uns gegrüßt!« (Danae).
zitiertem »Wie schön ist doch die Musik, – aber Auch hier wäre zu fragen, wie sich, gemessen
wie schön erst, wenn sie vorbei ist!«, so die Fas- an den vorausgehenden Operntexten, das bei den
sung von Strauss, ursprünglich hieß es, weniger Libretti von Gregor vorliegende »Wortelement« in
schlagkräftig, »[…] aber wie schön erst, wenn es der Musik von Strauss, vor allem im Rhythmi-
dann wieder still wird!« schen widerspiegelt.
Im Gegensatz zu der sofort ›mit Haut und Die in ein spielerisch-menschliches Beziehungs-
Haar‹ komponierbaren Textschöpfung Zweigs geflecht eingebettete operntheoretische Fragestel-
für Die schweigsame Frau schälte sich bei den drei lung des Wort-/Tonproblems wird im Textbuch
Textentwürfen Joseph Gregors (Friedenstag, von Capriccio gleich auf der zweiten Seite als De-
Daphne, Die Liebe der Danae) erst ganz allmählich, vise des Ganzen benannt, sogar, aus dem Kontext
nach herben kritischen Eingriffen und weiterfüh- herausgehoben, gesperrt gedruckt: »Prima le pa-
renden Vorschlägen von Strauss, eine sprachlich role – dopo la musica!«, oder umgekehrt »Prima la
akzeptable und komponierbare Textgrundlage musica – dopo le parole!«. Konsequenterweise
11. Strauss und seine Librettisten 143

schließt im Libretto (Seite 80) mit genau diesen ermöglicht. Wie sehr Strauss ein volles Verstehen
Worten dann auch die Auseinandersetzung zwi- gerade des Capriccio-Textes für nötig hielt, hat er
schen Dichter und Komponist. Auf dem Theater immer wieder hervorgehoben, einmal sogar unter
lässt Strauss dieses auf Giambattista Casti, einen Relativierung seiner eigenen Musik: »[…] da bei
Librettisten der Mozart-Zeit zurückgehende italie- unserm Capriccio das Verstehen jedes Wortes
nische Motto so unüberhörbar, quasi programma- Grundbedingung ist (die Musik ist diesmal zum
tisch rezitieren, dass man von Anfang an wirklich Teil Nebensache) […]« (10.10.1942; RSCK 439).
gespannt sein darf, ob und wie sich mit dieser Steht für Strauss dieses eine Mal also wirklich die
musikästhetischen Antithese ein sinnvoller und Devise ›Prima le parole‹ und nicht ›Prima la mu-
ansprechender Opernabend gestalten lässt. sica‹ obenan?
Naturgemäß zählt bei solchen Vorgaben mehr Bei der Münchner Capriccio-Uraufführung
die inhaltliche Aussage des Textes als die literari- 1942 unter Clemens Krauss – Textautor und mu-
sche Sprachhöhe und Sprachform. Das »Wortele- sikalischer Leiter in einer Person – und mit einem
ment« eines gesellschaftlichen Konversationstons erlesenen Sängerensemble, allen voran Viorica
verliert sich denn auch häufig in ein heftiges Ursuleac als Gräfin, wurde Strauss’ Vorstellung
Theoretisieren, nicht selten mit einem ironischen vom Wortverstehen bei diesem »Konversations-
Anstrich, wie etwa in der Bemerkung der Schau- stück für Musik« wohl in einer Maßstäbe setzen-
spielerin Clairon: »Warum aber sind die Verse den Weise verwirklicht.
immer schlechter als die Musik?« (Textbuch 50)
Die Sprachebene von veritabler Dichtung ist nur
bei dem im Mittelpunkt der Handlung und der
Gespräche stehenden Sonett von Pierre de Ron- Übersetzung
sard (deutsche Übersetzung Hans Swarowsky) er-
reicht, ein italienisch gesungener Arientext von Wo Strauss-Librettisten und -Libretti in Rede
Metastasio dient vor allem dazu, die italienische stehen, darf auch ein Blick auf die Frage der Text-
Operntradition einzubeziehen und zugleich zu übersetzungen nicht fehlen. Es wurde nämlich erst
ironisieren. Oft ergeben sich zwischen der rezitie- nach dem Zweiten Weltkrieg zur Norm, das
renden, zum Teil auch rhythmisierten Prosa Gele- Strauss’sche Bühnenwerk, wie überhaupt das
genheiten zu Versen und Strophen, geeignet für ganze gängige Opernrepertoire, jeweils in der bei
operngemäße Monologe und Ensembles. der Komposition zugrunde gelegten Sprache auf-
Beim Durchlesen des Textbuchs wird einem zuführen, für Strauss also in Deutsch. Bis dahin
auch klar, dass dieser Text nur von operngeschicht- wurden die erfolgreichen Strauss-Opern außer-
lich und -ästhetisch erfahrenen Autoren, wie eben halb des deutschen Sprachraums meist übersetzt
Krauss und Strauss, stammen kann: Da fallen – in die verschiedensten Landessprachen gegeben.
vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Wort- So gab es, um nur ein einziges, ziemlich abgelege-
Ton-Problems – Namen wie Lully, Rameau, nes Beispiel anzuführen, 1910 in Barcelona eine
Gluck und Piccini, Corneille und Voltaire, und da Aufführung der Salome in »Traducció catalana
werden als ›bewährte‹ Opernstoffe etwa Ariadne aplicada a la musica«.
und Daphne zitiert. Ein Gesangsensemble als Was hat sich durch die Übersetzungen an dem
Fuge anzulegen erinnert an Wagner (Prügelfuge ursprünglichen »Wortelement« geändert? Und wie
in den Meistersingern) und Verdi (Schlussfuge in nimmt sich etwa Rosenkavalier oder Capriccio in
Falstaff ). Italienisch aus? Man ist derlei Fragen bisher kaum
Die Wortstellung im Satzbau des rezitierten nachgegangen, obwohl doch die Spiegelung der
Dialogs und auch im melodisch geprägten Gesang Libretti in anderen Sprachen ein bezeichnendes
ist zumeist einfach und natürlich – nicht poetisch Licht auf die Originale zurückwirft.
›verschränkt‹, wie so oft in Operntexten –, was Den eigenartigsten Fall in diesem Zusammen-
heißt, dass der Gedankenfluss auch im Hören hang finden wir bei Salome. Für die anstehende
leicht verfolgt werden kann, vorausgesetzt freilich, französische Übersetzung hatte Strauss die nahelie-
dass auch eine gute Textaussprache der Sänger dies gende Idee, direkt zum französischen Originaltext
144

Wildes zurückzukehren, und die zunächst auf absolut korrekt und treffen das Wesentliche. Was
Deutsch komponierten Gesangsstimmen wieder aber in beiden Fällen, und zwar in gleicher Weise
genau dem ursprünglichen Französisch zu adaptie- differiert, ist das sprachliche Bezugsfeld: Was im
ren, wozu gewiss niemand kompetenter war als der Deutsch Hofmannsthals individuelles Dichterwort
Komponist selbst. Nur dass er die Schwierigkeiten war, wird im Italienisch Schanzers in die überlie-
mit der französischen Singsprache – vor allem die ferte, gewissermaßen bereitstehende italienische
Realisierung des sogenannten stummen e im Ge- Librettosprache übertragen. Die dem heute ge-
sang – bei weitem unterschätzt hatte. Glücklicher- sprochenen Italienisch fremden »Numi« sind dort
weise fand er in seinem Freund Romain Rolland das standardisierte Wort für alle überirdischen
einen geduldigen Helfer, der ihm bei der ›Rück- Wesen und Mächte, und »Érebo« ist dort ebenso
Französisierung‹ mit ›aufopfernder Mühe‹ zur Seite allgemein ein literarisches Schlüsselwort für die
stand. Rolland kritisierte übrigens, »daß Sie Unterwelt – man erinnert sich bei diesem, aus dem
[Strauss] diese schöpferische Kraft für mittelmä- Griechischen stammenden Namen auch wohl
ßige Dichtungen verschwenden. Oscar Wildes gleich an den eindrucksvollen Chor in Glucks
Salome war Ihrer nicht würdig« (14. Mai 1907; ›Orfeo‹: »Chi mai dell’ Érebo / fralle caligini«.
Hülle-Keeding 1994, 116). Im Endergebnis haben Im Rosenkavalier, der durch seinen besonderen,
wir immerhin für die ›unwürdige‹ Salome den au- und eigentlich absolut unübersetzbaren Wiener
ßergewöhnlichen Fall zweier als authentisch anzu- Dialekt Schanzer erhebliche Schwierigkeiten ge-
sehender Originalsprachen. Strauss’ Musik und macht haben muss, stellt man Ähnliches fest: Aus
Orchester ›sprechen‹ freilich mit ihrer eindeutig dem im zweiten Akt gesungenen Duett wird bei
vom Deutschen inspirierten Motiv- und Melodie- Sophies »Er muß mir seinen Schutz vergönnen – /
bildung nach wie vor nur Deutsch, auch wenn die Bleib’ Er nur bei mir!« im italienischen Librettostil
Sänger nun französisch artikulieren. »Protegger tu mi dèi, tesoro, / ma resta, deh, resta
Am interessantesten sind vielleicht die Überset- per sempre con me!«. Überspitzt gesagt handelt
zungen ins Italienische, schließlich ist Italienisch sich also bei allen drei angeführten Beispielen um
die Muttersprache der Oper, mit einer durchge- eine Transposition von deutscher Operndichtung
henden Tradition von den Anfängen im 17. Jahr- in italienisches Opernlibretto.
hundert bis in die Zeit von Verdi und Puccini. Ein etwas anderer Fall ist die Übersetzung von
Als Übersetzer der Hofmannsthal-Texte ins Capriccio. Hier ist das Deutsche mehr Mitteilung –
Italienische fungierte der allseits geschätzte Ottone Konversation – als dichterischer Ausdruck, und
Schanzer, mit dem Strauss auch korrespondierte. diese Sprachebene lässt sich leichter und ohne
Die Schwierigkeiten einer den Ansprüchen der auffällige Anleihen bei der ›erstarrten‹ Libretto-
Autoren, der Sänger und des Publikums gerecht sprache ins Italienische übertragen. Die Schluss-
werdenden »versione ritmica« sind zweifellos worte der Gräfin »Du Spiegelbild der verliebten
enorm, und es muss nicht darum gehen, an Einzel- Madeleine, / kannst du mir raten, kannst du mir
nem herumzukritisieren, vielmehr den spezifischen helfen / den Schluß zu finden für ihre Oper? / Gibt
Sprachstil der Übersetzung generell zu erfassen. es einen der nicht trivial ist? –« sind in der Versione
Aus Hofmannsthals »O Götter […] ihr ewigen ritmica italiana von Fedele D’Amico mit »O im-
Götter?« am Anfang von Klytämnestras beklem- magine dell’invaghita Madeleine, / sai tu consigli-
menden Gespräch mit ihrer Tochter Elektra wird armi, sai suggerirmi lo scioglimento di questa loro
in einer rein literarischen, nur zum Lesen oder opera? / Ce n’è uno che non sia banale?« wohl auch
Sprechen bestimmten italienischen Übersetzung im Sprachstil recht genau getroffen.
»O dei […] immortali dei?« (unsterbliche Götter); In dieser Übersetzung wurde Capriccio 1987 im
bei Schanzer aber, nun der Gesangslinie von Teatro comunale di Bologna erfolgreich aufge-
Strauss adaptiert, »O Numi […] o Numi eterni?« führt. Und es wäre zu überlegen, ob bei Werken
(o ewige Gottheiten). In Ariadne steht für das von dieser Art, bei denen das Verstehen jedes Worts –
Hofmannsthal emphatisch hervorgehobene Wort phonetisch und inhaltlich – wesentlich ist, nicht
»Totenreich« im italienischen Operntext Schanzers doch die Übersetzungspraxis wieder zu ihrem
»l’Érebo!«. Beide Übersetzungen sind sprachlich Recht kommen sollte.
11. Strauss und seine Librettisten 145

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gabe hg. von Ulrich Konrad. Kassel 2005.
OPERN UND BALLETTE
148

12.
Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra
Von Susanne Rode-Breymann

Etikettierungen allen gattungsrelevanten Ebenen«: Strauss kompo-


nierte »fast ebenso viele ernste wie heitere Opern.
Zwischen 1894 und 1942 komponierte Richard Auf stofflicher Ebene stehen sich historische, my-
Strauss 15 Opern und fünf Tanztheaterwerke. Sein thologische, biblische und zeitgenössische Sujets
musikdramatisches Schaffen erstreckte sich mithin gegenüber, stilistisch findet sich Strauss’ eigene
über ein halbes Jahrhundert größter gesellschaftli- Sprache mit vielen verschiedenen Zeit- und Per-
cher und institutioneller Dynamik: Sei es die Ab- sonalstilen verwoben und kontrastiert, und die
lösung des Hofopernsystems durch Staatstheater Spanne der großformalen Dispositionen reicht
oder der tiefgreifende Wandel des Musiktheaterpu- von der durchkomponierten Oper bis zur Num-
blikums im Kontext einer sich rasch ausbreitenden mernoper« (Hottmann 2005, 3). Wäre Strauss
Massenkultur, sei es die Vereinnahmung von Kunst nicht befähigt gewesen, eine solche Bandbreite
und Musik im Nationalsozialismus oder die Kata- auszuprägen, wäre Anachronismus die zwangsläu-
strophe des Zweiten Weltkrieges – Strauss erlebte fige Folge gewesen. Den Nachweis, dass und in-
diese gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen wiefern die »›Vielseitigkeit‹ der Opern« von
mit großer Wachheit: »Wir sind alle Kinder unse- Strauss »in einem direkten Verhältnis« zu seiner
rer Zeit und können niemals über ihren Schatten »historischen Reflexivität« steht (ebd., 4), hat Ka-
springen«, bekundete er 1929 (Hottmann 2005, tharina Hottmann unlängst geführt.
47). Dieses Bekenntnis einer untrennbaren Verbin- Sie hat zugleich darauf hingewiesen, dass die
dung mit der historischen Situation spiegelt sich »Vielfalt der Werkkonzeptionen […] zu äußerst
mehrfach, reflektierend in der Kunstanschauung disparaten Beurteilungen des musiktheatralischen
von Richard Strauss, schaffend und nachschaffend Œuvres von Strauss« geführt hat, »unter denen sich
in seinem künstlerischen Handeln. Strauss war ein mehrere Grundmuster herauskristallisieren lassen.
an der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins Je nach Standpunkt wird die Vielseitigkeit entwe-
höchst interessierter Mensch und Leser zahlreicher der als Ergebnis eines umfassenden Ausdrucksbe-
allgemein- und kulturhistorischer Texte und Bü- dürfnisses, als Experimentieren, aus dem mehr oder
cher. Sein dadurch entwickeltes Geschichtsbe- weniger glückliche Lösungen resultierten, oder als
wusstsein und geschärftes Geschichtsverständnis Zeichen einer Orientierungslosigkeit gewertet«, die
bildeten den Rahmen seines künstlerischen Tuns Strauss »gehindert habe, schlüssige Konzepte zu
als Komponist wie als institutionell außerordent- entwickeln« (Hottmann 2005, 5 f.). Diese Grund-
lich erfahrener und vernetzter Künstler, der als muster haben sich als wirkungsmächtige Etikettie-
Dirigent, Generalmusikdirektor in Berlin und rungen früh in der Literatur über Strauss’ Bühnen-
Operndirektor in Wien in das Funktionieren des schaffen etabliert und erschwerten den differenzier-
Musiktheater-Akteurssystems Einblick hatte. ten Blick, der vonnöten ist, will man die historische
Entsprechend groß ist die Bandbreite seiner und kulturelle Reflexivität seines musikdramati-
musikdramatischen Kompositionen auf »nahezu schen Komponierens ermessen und bewerten.
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 149

Alles dominierend ist die Etikettierung der so wird vielfach argumentiert, sei aufgrund des
Verschiedenheit, die bereits zu Strauss’ Lebzeiten Librettos erfolglos geblieben. Strauss sei es, so Jens
fest etabliert war, nicht zuletzt durch die in den Malte Fischer, »an keiner Stelle des Buches« gelun-
1940er Jahren von Roland Tenschert gehaltenen gen, »irgendein Interesse für diesen quengeligen
Vorträge. Es gehöre, so Tenschert, »zu den hervor- Sängerritter zu wecken. Noch schlimmer: alle an-
stechendsten Merkmalen des Bühnenschaffens deren Gestalten bleiben völlig unentwickelt. So-
von Richard Strauss, daß jedes einzelne Werk sei- wohl Robert, der Tyrann, bleibt ohne Kontur wie
nen besonderen, ganz ausgeprägten Eigenstil be- auch Freihild, seine Frau« (Fischer 2007, 172).
sitzt […]. Da folgt dem ›Guntram‹, der Erstlings- Michael Walter schlägt ebenfalls in diese Kerbe:
oper des Tondichters, die in Richard Wagners »Eine Handlung aber, wie die des im Mittelalter
mittelalterliche Sagenkreise von Minnesängertum, spielenden Strauss’schen Guntram, in der in osten-
in des Bayreuther Meisters Ideenwelt von Mit- tativer Weise die Philosophie des 19. Jahrhunderts
leiden und Erlösungsverzicht verstrickt ist, das umgesetzt wurde, ließ jene Integrität der Hand-
angriffslustige Singgedicht ›Feuersnot‹ aus des lungslogik vermissen, die das Sujet […] für das
›Überbrettl‹-Schöpfers Ernst von Wolzogens aus- Opernpublikum interessant gemacht hätte« (Wal-
gelassen poetischer Werkstatt mit rotbackig mun- ter 2000, 214).
teren Volksweisen und Volkstänzen, die Altmün- Werkästhetik, Produktionsästhetik und Rezep-
chens absichtlich ein wenig schildbürgerhaft ge- tionsästhetik werden in solchen Bewertungen zu
zeichnetes Sonnwend-Treiben aufs Spaßigste in schnell in eins gesetzt, denn wenn man liest, dass
Tönen kennzeichnen. Da steht neben der nerven- Guntram in Bühnenbildern und Kostümen aus
aufpeitschenden Tragödie des fluchbeladenen dem Fundus uraufgeführt wurde, ist die These,
Atridengeschlechts, ›Elektra‹, der walzerbe- dass performative Mängel einen erheblichen An-
schwingte, sonnige Humor des ›Rosenkavaliers‹ teil am Misserfolg hatten, mehr als naheliegend:
(Tenschert 1994, 130). So wie »der Stoffkreis« und Es war ein Opernerstling eines als Opernkompo-
»der stilistische Habitus« von Bühnenwerk zu nist noch ganz und gar Unprominenten – und bei
Bühnenwerk verschieden seien, wandele sich »das solchen Uraufführungen ließ man oft wenig bild-
formale Gewand« (ebd., 40). Gestützt wird diese nerisch-inszenierende Sorgfalt walten. Nicht von
Perspektive von Strauss selbst, der in der Diskus- ungefähr verlangte Strauss späterhin ausgespro-
sion, die er im Vorfeld zu Elektra mit Hugo von chen aufwendige Ausstattungen seiner Opernpre-
Hofmannsthal führte, zweifelte, ob er eine neues mieren, was an der Wiener Staatsoper regelmäßig
Vorhaben mit einem Salome zu ähnlichen Stoff »in zu hohen Kostenüberschreitungen führte. Strauss
voller Frische« bearbeiten könne (RSHH 17). wusste aufgrund seiner institutionellen Erfahrun-
Die Verschiedenheit, die schillernde Buntheit, gen, wie verhängnisvoll eine performativ nicht
hatte eine Bewertungsunsicherheit zur Folge, aus überzeugende Uraufführung für die Bewertung
der einerseits die Konstruktion eines unvermittel- auch der kompositorischen Qualität musikdrama-
ten Moderne-Bruchs zwischen Elektra und Rosen- tischer Werke war. »Sie glauben nicht«, schrieb er
kavalier resultierte. Andererseits hatte die »kon- am 22. Dezember 1907 Hofmannsthal, »wie dumm
zeptionelle Disparatheit der einzelnen Werke […] das Publikum heute immer noch ist und wie es
die auffällige Tendenz zur Monographisierung« mehr als je auf dekorative Kunst hereinfällt. Ein
(Hottmann 2005, 33) in den Arbeiten über Strauss’ ergänzendes Beispiel erleben wir jetzt hier wieder,
Opern zur Folge. Die Etikettierung der Verschie- wo die ›Aïda‹ von Verdi, bloß weil sie neu ausgestat-
denheit wurde von Katharina Hottmann auf er- tet ist, wöchentlich zweimal ausverkauftes Haus
hellende Weise unter dem Begriff Individualität erzielte, alle Wagner etc. schlägt, nur weil eben die
aufgebrochen. Sie legt dar, dass die »ästhetische neue schöne ägyptische Ausstattung da ist. Also
Kategorie des ›Individuellen‹ […] für Strauss’ bitte sparen Sie bezüglich prunkvoller Ausstat-
Gattungskonzept« (ebd., 119) von zentraler Bedeu- tung, reicher dekorativer Gegensätze bei ›Semira-
tung gewesen sei. Von hier aus lässt sich eine mis‹ keine Kosten und Mühen« (RSHH 32).
zweite Etikettierung hinterfragen – die des (Miss-) Strauss wusste auch, wie wichtig das Interesse
Erfolgs aufgrund der Librettoqualität. Guntram, des Publikums für den Stoff war. Seine aus dem
150 Opern und Ballette

Metier erwachsene rezeptionsästhetische Orientie- struktion eines Bruchs zwischen Guntram, dem
rung tritt im Briefwechsel mit Hofmannsthal in epigonalen Werk »im Banne des übermächtigen
den Diskussionen um Elektra oder einen Renais- Einflusses Richard Wagners« (Tenschert 1994, 25),
sancestoff deutlich zutage und koinzidiert etwa und Feuersnot, einer Wagner-Persiflage, durch die
mit den von Kapellmeistern an der Wiener Oper sich Strauss aus der künstlerischen Abhängigkeit
geschriebenen Gutachten über Opern, die von von Wagner befreit habe. Feuersnot, so Anna
Komponisten oder Verlagen für eine Ur- oder Amalie Abert, sei »der erste echte Strauss« (Abert
Erstaufführung vorgeschlagen wurden und in de- 1972, 20). Wolfgang Mende betitelt seine Überle-
nen es stets vor allem um den Stoff, weniger um gungen zu Feuersnot gar mit »Wagnerdämmerung«
das Komponierte geht. Es ist Michael Walter zu- (Mende 2002).
zustimmen: »Den Bezug zu den von ihm eher Zweifellos begann Strauss, unter Wagners Ein-
gefühlten als vermuteten Interessen des Publikums fluss Opern zu komponieren. Wo, wenn nicht bei
stellte Strauss immer in erster Linie über das Sujet Richard Wagner, hätte ein junger Komponist sei-
bzw. das Libretto her« (Walter 2000, 232). Die nerzeit ansetzen sollen? Nach eigenem Bekunden
dichotome gut-schlecht Qualitätsdiskussion der bahnte sich Strauss mit »heillose[m] Respekt vor
Libretti greift mithin zu kurz angesichts eines dem Riesenwerk Richard Wagners« (Strauss 1981,
musiktheatralen Kräftefeldes, in dem Strauss sich 219) den Weg zum Musiktheater. Seinem Mentor
mit der ästhetischen Kategorie des Individuellen Alexander Ritter habe er zu verdanken, seinen
und einer spezifischen historischen Reflexivität »dramatischen Beruf entdeckt zu haben. Ohne
positionierte. Zweifellos reagierte Strauss schon seinen Ansporn und seine Mitarbeit wäre ich […]
mit Feuersnot und Salome »auf manifeste und la- wohl kaum auf die Idee gekommen, eine Oper zu
tente Erfahrungen seines Publikums […], auf schreiben, da Textdichter nicht vorhanden waren
Erfahrungen, die er selbst wahrnahm und die er oder […] mich nicht anregten« (ebd.). Strauss
zweigleisig umsetzte: einerseits provozierte er, an- hatte Ritter als Geiger im Meininger Orchester
dererseits ging diese Provokation nie soweit, dass kennengelernt. Als überzeugter Wagnerianer
er das Publikum abgeschreckt hätte« (ebd.). nahm Ritter »Strauss unter seine Fittiche und
Strauss’ Publikumsbezug ist verknüpft mit der machte ihn vertraut mit Wagners Lehre, mit den
dritten Etikettierung, seinem vielen eher suspek- Schriften des Meisters […], und wies ihn auf das
ten Instinkt für den Erfolg: »Während das Streben hin, was in den Partituren Wagners, die der junge
nach theatraler Wirksamkeit in der älteren Strauss- Strauss zwar flüchtig durchgesehen, aber nicht
Forschung als Positivum gewertet wird, das eine verstanden hatte, Bewunderung und Liebe ver-
legitime Lösung der gattungsgeschichtlichen Pro- diente« (Mann 1967, 4). In den gemeinsamen
blematik darstelle, ist es in der neueren, an ästhe- Münchner Jahren von 1886 bis 1889 setzten Strauss
tischen Kategorien der Avantgarde orientierten und Ritter ihren Gedankenaustausch über Wag-
Literatur als inhaltsleere Anpassung an ›äußere‹ ner, Liszt und Schopenhauer fort, was dazu führte,
Bedingungen des Marktes und als Konzeptionslo- dass Strauss sich als Zukunftsmusiker, als junger
sigkeit gebrandmarkt worden« (Hottmann 2005, musikalischer Fortschrittler verstand. Mit dem
6). Noch im Jahr 2000, so Katharina Hottmann, Wechsel als 2. Kapellmeister nach Weimar 1889
sei »im Einleitungskapitel eines anspruchsvollen folgten Jahre, in denen Strauss eine ganze Reihe
Sammelbandes« die Vielgestaltigkeit darauf zu- von Opern Wagners dirigierte (Birkin 1995), dar-
rückgeführt worden, »dass Strauss, statt übergrei- unter Neuinszenierungen von Lohengrin (6. Okto-
fende Prinzipien eines ›modernen‹ Musiktheaters ber 1889), Tannhäuser (27. März 1890) und Tristan
zu entwickeln, lediglich auf verschiedene Weise und Isolde (17. Januar 1892) sowie Aufführungen
Bühnenwirksamkeit und Publikumserfolg ange- von Rienzi (1890) und den Meistersingern (1894).
strebt habe« (ebd). Er arbeitete in enger Abstimmung mit Cosima
Bezogen auf die hier in Rede stehenden frühen Wagner, die ihm große Wertschätzung entgegen-
Opern von Strauss prägte zudem eine vierte Eti- brachte. Strauss war mithin aufs Engste mit den
kettierung – die Wagner-Nachfolge, ja -Nachah- Opern Wagners vertraut, als er begann, selbst
mung – die Sicht, auch hier tendierend zur Kon- Opern zu komponieren. Die große nachschaf-
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 151

fende Vertrautheit mit Wagners Musikdramen [nach 1899], Nr. 1082; Textbuch: München: Aibl
sollte hellhörig machen und nach den Tiefen- 1894, Nr. 2805; Studienpartitur: Werke Bd. 1; 2.
schärfen dessen fragen lassen, was in Strauss’ Fassung: Klavierauszug: Berlin: Fürstner 1940,
Musik als Wagner-Epigonalität verhandelt wird. Nr. 5815
Etwas sehr gut zu kennen, geht einher mit der
Souveränität zur Transformation. Diese gilt es zu
beschreiben, will man das Etikett ›Wagner-Ein-
fluss‹ differenzieren. Entstehung

Als Strauss seinen Opernerstling komponierte,


war er als Dirigent und Komponist symphoni-
scher Dichtungen bereits erfolgreich und aner-
Guntram kannt: »Strauss ist […] noch keine dreißig Jahre
alt und hat doch schon eine bedeutende, um nicht
In drei Aufzügen op. 25 TrV 168
zu sagen kometenhafte Karriere […] gemacht«
Entstehungszeit: Sommer 1887 bis November 1892 (Fischer 2007, 157). Es drängte ihn nach Neuem,
(Text), 1892–1893 (Musik) nämlich sein »Heil beim Drama« zu versuchen,
Text: Richard Strauss wie er am 19. November 1890 seinem Verleger
Uraufführung: Großherzogliches Hoftheater Wei- Eugen Spitzweg schrieb (Grasberger 1967, 56).
mar, 10. Mai 1894 Noch während seiner Arbeit an der Guntram-
Personen: Der alte Herzog (Bass); Freihild, seine Dichtung – die Revision des dritten Aktes stand
Tochter (Sopran); Herzog Robert, ihr Gemahl noch aus – skizzierte er 1892 verschiedenste
(Bariton); Guntram (Tenor); Friedhold (Bass); der Opernprojekte (»Don Juan«, »Das erhabene Leid
Narr des Herzogs (Tenor); eine alte Frau (Alt); ein der Könige«, »Der Reichstag zu Mainz«), in denen
alter Mann (Tenor); 2 jüngere Männer (2 Bässe); sich sowohl seine autobiographische Reflexion wie
3 Vasallen (Bässe); ein Bote (Bariton); 4 Minne- seine philosophische Orientierung spiegeln (Kris-
sänger (2 Tenöre, 2 Bässe); Chor, Statisterie: Vasal- tiansen 2003, 236).
len des Herzogs, Minnesänger, Mönche, Knechte, Am Libretto von Guntram arbeitete Strauss ab
Reisige Sommer 1887 über mehr als fünf Jahre (Schuh
Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccolo), 3 Oboen 1976, 274–300). Im Frühjahr 1888 lag ein erster
(3. auch Englischhorn), 3 Klarinetten (3. auch Bass- Entwurf vor, im März 1892 war die erste Fassung
klarinette), 3 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, des Textes vollendet. Während einer längeren Ge-
3 Trompeten, Basstrompete, 3 Posaunen, Basstuba, nesungsreise, die Strauss 1892/93 nach schwerer
4 Pauken, Schlagzeug (große Trommel, Rühr- Lungen- und Rippenfellentzündung nach Süd-
trommel, kleines und großes Becken, Triangel, europa und Ägypten führte, erfuhr der dritte Akt
Tamburin), Laute, 2 Harfen, 16 erste Violinen, im November 1892 eine einschneidende Umarbei-
16 zweite Violinen, 12 Violen, 10 Violoncelli, tung. Das Ringen um die endgültige Gestalt dieses
8 Kontrabässe. Bühnenmusik: 4 Hörner, 4 Tenor- Aktes zog sich bis hinein in die Schlussphase der
hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, 4 Militärtrom- Komposition, in der es zwischen Strauss und Rit-
meln ter zu einer heftigen Kontroverse über den Schluss
Spieldauer: ca. 3 Stunden, 15 Minuten der Oper kam: Ritter warf Strauss in einem Brief
Autograph: 1. Fassung: Bayerische Staatsbibliothek vom 17. Januar 1893 vor, sich mit seiner Revision
München (Mus. Mss. 6580); 2. Fassung: Partitur des dritten Aktes auf den »wackligen Boden con-
(Fürstner) mit autographen Kürzungen (Juli 1934): fuser Stirnerei« (Youmans Letters 1996, 12) bege-
ebd. (Mus. Mss. 12734/1) ben zu haben. Strauss verteidigte in Briefen vom
Ausgaben: 1. Fassung: Partitur: München: Aibl 3. und 4. Februar 1893 (Schuh 1976, 289–292) den
[1894], Nr. 2798; Berlin: Fürstner 1894, Nr. 5810; im veränderten Schluss offenkundig werdenden
Klavierauszug: München: Aibl 1894, Nr. 2806, Individualismus, der sich ihm durch seine Lektüre
2821; Berlin: Fürstner/Wien: Universal Edition von Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum
152 Opern und Ballette

(1845) und von Schriften Friedrich Nietzsches ihm einen Wunsch. Guntram bittet um Freilas-
erschlossen hatte. Nachdem er das Textbuch am sung der armen Leute, die aufgegriffen und gefan-
24. November 1892 fertig gestellt hatte, schloss gen genommen wurden.
Strauss die Komposition von Guntram am 24. De-
zember 1892 ab und begann fünf Tage später mit 2. Akt, Festsaal am Hof des alten Herzogs
der Partitur des ersten Aktes; er beendete sie am Herrschaft kritisierend singt der Narr, Herrschaft
27. Februar 1893 in Luxor. Der zweite Akt trägt akklamierend singen die Minnesänger. Das glän-
den Endeintrag »Villa Blandine. Ramacca (Sici- zende Festgetriebe kann nicht überdecken, wie am
lien) 4. Juni 1893«, der dritte Akt schließlich wurde Hof aufrührerische Stimmen laut werden. Gun-
laut Partitur-Eintrag am 5. September 1893 in tram, diese hörend, wird bang ums Herz, ob hier
Marquartstein in Oberbayern abgeschlossen. sein Friedensgesang wird Wirkung zeitigen kön-
nen. Gestärkt durch Freihild, bei deren Anblick
seine Liebe zu ihr erwacht, tritt er vor den ver-
wunderten Zuhörern mit zunehmender Überzeu-
Handlung gungskraft singend für den Frieden ein und führt
Anklage gegen Gewalt und Schrecken des Krieges.
Deutschland, Mitte 13. Jahrhundert Das entfacht einen sich zuspitzenden Disput mit
Herzog Robert, den Guntrams Singen, das sich
1. Akt, Waldlichtung im Frühling, links ein klei- vom erlaubten Ton des Minnesängers immer wei-
nes Gebüsch, rechts hochstämmiger Tannen- und ter entfernt und die Utopie einer in Frieden leben-
Buchenwald, im Hintergrund ein See, heller Mit- den Gesellschaft verkündet, empört. Wütend
tag antwortet er Guntram und will ihn gerade einker-
Guntram, ein Sänger auf dem Weg zum Sänger- kern lassen, als Kriegsgefahr gemeldet wird. Das
fest am Hof des Herzogs, trifft im Wald auf armes lässt die Situation eskalieren: Einige der Vasallen
Volk, das sein Land verlassen will. Die armen Roberts erheben sich gegen den Herzog. Guntram
Leute erzählen ihm von ihrem Elend durch Krieg proklamiert seine Gesellschaftsutopie nun ganz
und Verwüstung und klagen, dass sie durch den offen und ruft dazu auf, das Volk von der Tyrannis
Herzog unterdrückt würden. Freihild, die Tochter des Herzogs zu befreien. Es kommt zum Zwei-
des alten Herzogs, ist ihre einzige Hoffnung: Sie kampf, in dem Guntram Herzog Robert tötet.
wolle fühlenden Herzens das Elend des Volkes Wie gelähmt sieht der alte Herzog, wie in diesem
lindern, werde jedoch von ihrem Gemahl, dem Moment sein Reich untergeht, aber es gelingt
jungen Herzog Robert, daran gehindert. Die Elen- ihm, sich noch einmal in seiner Macht aufzuraf-
den ziehen weiter. Guntram, voll Mitleid und fen. Er lässt Guntram in den Kerker werfen. Dort
Empörung angesichts dieses menschlichen Leids, erwarten ihn Folter und Tod. Freihild bleibt in
wird umso deutlicher des Wunders der unversehr- vollkommener Geistesabwesenheit allein zurück.
ten Natur um ihn her inne. Den Heiland anru- Nur langsam kann sie aus ihrer Bestürzung heraus
fend, gelobt er als Sänger, der dem Bund der finden: Tiefe Liebe zu Guntram bricht aus ihr
Streiter der Liebe angehört, für Eintracht und hervor und sie fasst den Entschluss, Guntram mit
Versöhnung im Land einzutreten. Da stürzt Frei- Hilfe des Narren aus dem Kerker zu befreien.
hild aus dem Wald, um sich im See zu ertränken.
Guntram kann sie daran hindern. Ihr Todesver- 3. Akt, Kerker im Schloss des Herzogs, Nacht
langen jedoch, in dem sie sich auch gegen ihn Guntram ist verzweifelt darüber, dass er Herzog
stellt, bleibt: Der Tod scheint ihr ein milder Engel Robert getötet hat. Freihild kommt, ihn zu be-
angesichts ihres qualvollen Lebens. Der Herzog freien; beide begreifen ihre Liebe zueinander. Als
naht mit seinen Leuten auf der Suche nach seiner Guntram aus dem Kerker fliehen will, tritt ihm
Tochter. Als er ihren Namen ruft, wird Guntram Friedhold entgegen: Er will Guntram vor die
klar, wer die von ihm gerettete Frau ist. Der Her- Richter des Bundes der Streiter der Liebe führen,
zog, glücklich, seine Tochter lebend wiederzufin- die über sein Verbrechen urteilen sollen. Im Ge-
den, lädt Guntram an seinen Hof ein und gewährt spräch mit Friedhold über Ziele und Gesetze des
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 153

Bundes wird Guntram seiner selbst inne: Er kehrt Themen Wagners, sondern auch Schopenhauers,
sich vom Bund ab und übernimmt die volle Ver- und im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Komponis-
antwortung für sein Tun. Um seine Schuld sühnen ten-Zeitgenossen empfing Strauss Schopenhauer
zu können, muss er sich auch von der Liebe zu nicht allein aus der Hand Wagners (bzw. Ritters),
Freihild lösen. Er weiß sie für ein hohes Amt vor- sondern studierte selbst eingehend Die Welt als
bestimmt; tatsächlich bringt der Narr die Kunde, Wille und Vorstellung (1819), was sich in Guntram
der Herzog sei im Krieg gefallen, sein Heer be- niederschlägt. Charles Youmans hat Strauss’ spezi-
siegt. Freihild wird von den Rebellen zur neuen fische Schopenhauer-Rezeption präzise dargelegt
Herrscherin ausgerufen. Guntram erbittet von (Youmans 1996, Kap. 2; auch Youmans 2005,
Freihild die Zustimmung zu seiner Entsagung. Als 68 ff.) und Morten Kristiansen hat, darauf aufbau-
ewig Einsamer geht er davon; sie verharrt, bereit end, die These formuliert, Strauss habe mit Gun-
für ihr Amt, das ihr nicht die Liebe eines Mannes, tram Wagner und dessen Epigonen verworfen, die
wohl aber die Liebe der Untertanen schenken Schopenhauers Vorbehalte gegenüber der Kunst
wird. ignorierten (Kristiansen 2010, 108).
Philosophisch stand noch ein Dritter Pate:
Friedrich Nietzsche (Youmans 1996, Kap. 3; You-
mans 2005, 83 ff.) – auch wenn Strauss seine Aus-
Kommentar einandersetzung mit dessen Schriften Ritter ge-
genüber verschwieg. Am Schluss der Oper wird
Das Musikdrama Wagners, die Opern Verdis wie jedoch das Ausmaß der Distanz deutlich, die
auch die französische Grand Opéra hatten die Strauss durch Nietzsche zu Wagner gewonnen hat:
Gattung Oper im späten 19. Jahrhundert auf ei- Der tragische Held wird nicht durch eigene Ent-
nen Höhenkamm geführt. Das machte es den sagung oder etwa durch den Sühnetod Freihilds
nachfolgenden Komponisten schwer, sich eigene erlöst, auch beugt er sich nicht den Regeln ande-
Wege zum Musiktheater zu bahnen. Zu wirkungs- rer. Vielmehr sagt sich Guntram vom Bund der
mächtig waren vor allem die Idealtypen, die sich Streiter der Liebe los, zerschlägt seine Leier und
in Wagners Musikdramen ausgebildet hatten: ein begreift nur sich selbst als Instanz, die über sein
Reservoire von Figuren(konstellationen), szeni- Handeln zu entscheiden vermag. Guntram hasse
schen Topoi und Szenentypen sowie bestimmte oder verabscheue sich selbst, hält Strauss Ritter im
Stoffbereiche waren allgegenwärtig. Mit großem Brief vom 3. Februar 1893 (s. o.) entgegen; er habe
Variantenreichtum fand all das immer erneut »sich erkannt; natürlich kann er das nur ganz al-
Widerhall im Musiktheater, dessen »musikalischer lein. Das ist doch aber nicht unchristlich oder
Eklektizismus […] so lange nicht zu besiegen war, unmoralisch. Schließlich weiß doch nur jeder al-
wie die Komponisten sich wirkungsästhetisch und lein, was er ist« (Schuh 1976, 291; Fischer 2007,
dramaturgisch« an diesen übernommenen »mu- 162 f.). Offensichtlich zeigt sich Strauss hier durch
siktheatralischen Formen« (Mautner 2000, 60) Nietzsches (und Stirners) Individualismus inspi-
orientierten. riert. Wagner ist mithin keinesfalls die einzige
Guntram, unter Bezug auf Richard Wagner Bezugsgröße des Librettos, Guntram ist nicht
gelesen, erscheint als ein gänzlich epigonaler Ausdruck von Strauss’ unselbständig nachahmen-
Opernerstling. Tatsächlich verweisen die Wagne- der, sondern Synthese bildender Epigonalität.
rismen des Librettos mit aller Deutlichkeit auf das Das gilt auch für die Komposition: Anklänge
Vorbild: Erlösung, Mitleid, Entsagung, Verzicht – und Zitate dokumentieren, wie vertraut Strauss
diese Motive sind aus Wagners Musikdramen nur mit dem Lohengrin-Vorspiel, der Tristan-Harmo-
zu bekannt. Wie bei Wagner geht es in Guntram nik, mit den Meistersingern und Parsifal sowie mit
um den Ritter, der für das geknechtete Volk ein- leitmotivischem Komponieren war. Dennoch sind
tritt und dabei auf die appellierende Kraft der Spezifika in der Partitur erkennbar, die in Salome
Musik baut, um den Sänger, der in sündiger Liebe und Elektra offen zutage treten sollten. Zum einen
entbrennt und schließlich durch Entsagung Erlö- ist es das kompositorische Vermögen, durch
sung findet. Aber diese Themen sind nicht nur Tempo- und Tonartwechsel sowie höchst differen-
154 Opern und Ballette

zierte Instrumentierung prägnante Szenenkon- Heinrich Zeller als Guntram und Pauline de Ahna
traste zu bilden wie im ersten Akt beim ersten als Freihild (beide waren in München Schüler von
Auftreten der todesbereiten Freihild. Beispielhaft Strauss gewesen, beide sangen 1891 in Bayreuth)
wird hier deutlich, wie Strauss es versteht, musika- war kein Erfolg, bestenfalls, folgt man Strauss’
lisch unmittelbar und unmissverständlich Ein- Selbsteinschätzung, ein Achtungserfolg. Bereits ab
blick in die inneren Räume der Protagonisten zu der zweiten von nur fünf Vorstellungen wurde
geben. Es ist dies der Beginn einer für Strauss offenbar mit Strichen gespielt, weil Zeller der äu-
späterhin typischen Prägnanz in der musikalischen ßerst anspruchsvollen Partie nicht vollkommen
Charakterisierung starker Protagonisten, bei der gewachsen war. Strauss, der sonst so Erfolgsver-
dem Orchester die Rolle des Hauptträgers des wöhnte, verlor, wie er später notierte, durch den
dramatischen Geschehens zufällt. Zum anderen mäßigen Erfolg, »für die nächsten sechs Jahre« den
ist es das Entwachsen der Handlung aus monolo- »Mut, fürs Theater zu schreiben« (Strauss 1981,
gischer Reflexion: Im Zentrum jedes Aktes steht 221). Daran änderten auch die Aufführungen im
ein großer Monolog von Guntram: Im ersten Akt Königlichen Hof- & National-Theater München
ist es die weltabgeschiedene Versenkung, in der (1895, eine Vorstellung; Max Mikorey als Gun-
Guntram über den Gegensatz zwischen unver- tram, Pauline de Ahna als Freihild), im Neuen
sehrter Schönheit der Natur und einer von kriege- Deutschen Theater in Prag (1901, drei Vorstellun-
rischem Treiben der Menschen mit Elend erfüllten gen; Wilhelm Elsner als Guntram, Mathilde
Zivilisation nachsinnt. Im zweiten Akt ist es seine Fränkel-Claus als Freihild) und in Frankfurt am
große Friedenserzählung auf dem Sängerfest, aus Main (1910, drei Vorstellungen; Ejnar Forchham-
der sich die Eskalation im Zweikampf mit Herzog mer als Guntram, Paula Doenges als Freihild)
Robert entwickelt. Im dritten Akt ist es die Seelen- nichts.
qual Guntrams über den von ihm begangenen In Hamburg von Gustav Mahler und in Dres-
Mord, die in den beiden großen Dialogen zwi- den von Ernst von Schuch geplante Aufführungen
schen Guntram und Freihild und zwischen Gun- kamen ebenso wie eine 1936 unter der Leitung von
tram und Friedhold fortgesetzt werden. Zum Karl Böhm in Dresden geplante Aufführung nicht
dritten ist es die charakterisierende Lebendigkeit zustande. Auch Strauss tat das Seine, um die
der Ensembles wie am Ende des ersten Akts (Gun- Durchsetzung seines Opernerstlings zu befördern,
tram, Robert, Herzog und der Narr) und zu Be- und platzierte Ausschnitte daraus (die Vorspiele,
ginn des zweiten Akts (mit den Preisliedern von die Friedenserzählung und den Schlussgesang) in
vier Minnesängern, die vom Narren verspottet Konzertprogrammen. Es blieb ein folgenloser
werden), die auf Spezifika und Stärken des musik- Einsatz; erst 1934 anlässlich des 70. Geburtstages
dramatischen Komponierens von Strauss voraus- von Richard Strauss wurde die Oper in einer um
weisen. Das größte Manko der Partitur resultiert fast ein Viertel gekürzten Version konzertant unter
aus dem überbordenden Selbstbewusstsein des Leitung von Hans Rosbaud im Berliner Rundfunk
musikdramatisch noch unerfahrenen Komponis- wieder aufgeführt (Fritz Krauss als Guntram,
ten, das sich in den maßlosen Längen offenbart. Ellen Winter als Freihild). In dieser Fassung wurde
Vor allem sie zeigen, wie weit Strauss’ noch unent- sie 1940 in Weimar unter Leitung von Paul Sixt
wickeltes musikdramatisches Form- und Zeitge- neu inszeniert (Willy Störring als Guntram, Lotte
fühl in seinem Opernerstling von seiner späteren Müksch als Freihild). Strauss war, wie er in seinen
Fähigkeit zur musikalischen Personencharakteri- Betrachtungen und Erinnerungen 1942 schrieb,
sierung entfernt war. nach wie vor davon überzeugt, dass Guntram »all
dem gegenüber, was außer meinen Werken in den
letzten vierzig Jahren an Opern produziert wurde,
noch immer sehr ›lebensfähig‹« sei (Strauss 1981,
Wirkung 222).
In der 1980er Jahren wurde Guntram in der
Die Uraufführung von Guntram in Weimar unter gekürzten Fassung einige Male konzertant aufge-
der musikalischen Leitung des Komponisten mit führt (BBC London 1981, Carnegie Hall New
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 155

York 1983, RAI Milano und Nationaltheater Mün- Pöschel, der Leitgeb (tiefer Bass); Hämerlein, der
chen 1988) und 1984 in dieser Version unter Lei- Fragner (Bariton); Kofel, der Schmied (Bass);
tung von Eve Queler mit dem Hungarian State Kunz Gilgenstock, der Bäck und Bräuer (Bass);
Orchestra eingespielt (Reiner Goldberg als Gunt- Ortlieb Tulbeck, der Schäfflermeister (hoher
ram, Ilona Tokody als Freihild). In den 1990er Tenor); Ursula, seine Frau (Alt); Ruger Aspeck,
Jahren gab es neben der konzertanten Aufführung der Hafner (Tenor); Walpurg, seine Frau (hoher
von Radio France 1997 nur eine Neuinszenierung Sopran); ein großes Mädchen (Kinder-Sopran);
bei den Richard-Strauss-Tagen in Garmisch-Par- eine Mädchen (Kinder-Sopran); Chor: Bürger
tenkirchen 1998 (Musikalische Leitung und Regie: und Bürgerinnen, Kinder, herzogliche Knechte.
Gustav Kuhn, Alan Woodrow als Guntram, Elisa- Statisterie: Trommler, 2 Pfeifer
beth Maria Wachutka als Freihild). Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccolo), 3 Oboen (2.
und 3. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in A,
Klarinette in D (auch Bassklarinette in A), 3 Fa-
gotte (3. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trom-
Diskographischer Hinweis peten, 3 Posaunen, Basstuba, 3 Pauken, Schlagzeug
(Triangel, Tamburin, Kastagnetten, kleine Trom-
(ausschließlich die gekürzte Fassung von 1934) mel, große Trommel, Becken, Tamtam, Glocken-
i Reiner Goldberg (Guntram), Ilona Tokody spiel), 2 Harfen, 12 erste Violinen, 12 zweite Violi-
(Freihild), Sandor Sólyom-Nagy (Der alte Her- nen, 8 Violen, 8 Violoncelli, 6 Kontrabässe. Büh-
zog), Jószef Gregor (Friedhold), Ungarisches nenmusik: Glockenspiel, Harfe, Harmonium,
Staatsorchester, Eve Queler (1985): Hungaroton/ Violine, Violoncello, 2 kleine Trommeln
CBS 12M 39737 Spieldauer: ca. 1 Stunde, 30 Minuten
i Allan Woodrow (Guntram), Elisabeth Wachutka Autograph: Partitur und Particell: Bayerische
(Freihild), Andrea Martin (Der alte Herzog), Staatsbibliothek München (Mpr LY11)
Hans-Peter Schnidegger (Friedhold), Orchestra Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1902, Nr. 5202;
Filarmonica Marchigiana, Gustav Kuhn (1998), Klavierauszug: Berlin: Fürstner, Nr. 5206; Text-
Arte Nova 74321 61339 2 buch: Berlin: Fürstner 1901, Nr. 5307; Studienpar-
titur: Werke Bd. 2

Feuersnot Entstehung
Ein Singgedicht in einem Akt op. 50 TrV 203
Strauss’ Aussage, er habe durch den Misserfolg mit
Entstehungszeit: 1896–1899 (Text, seit 1898 in Ver- Guntram den Mut verloren, für das Theater zu
bindung mit Ernst von Wolzogen), 1900–1901 komponieren, ist eine autobiographische Kon-
(Musik) struktion, denn tatsächlich beschäftigte er sich
Text: Ernst von Wolzogen, nach dem flämischen sehr wohl, schon seit Frühjahr 1892 (s. o.), mit
Märchen »Das erloschene Feuer von Audenaerde« verschiedenen Bühnenstoffen (1894 mit »Till
aus der Sammlung Niederländische Sagen (1843) Eulenspiegel bei den Schildbürgern«, 1896/97 mit
von Johann Wilhelm Wolf »Die Schildbürger« auf der Grundlage des Libret-
Uraufführung: Königliches Opernhaus Dresden, tos von Ferdinand Graf Sporck) und Ideen zu ei-
21. November 1901 ner komischen Oper, stellte diese Überlegungen
Personen: Schweiker von Gundelfingen, der Burg- jedoch immer wieder zugunsten der Komposition
vogt (tiefer Tenor); Ortolf Sentlinger, der Bürger- weiterer Tondichtungen zurück (Werbeck 1996,
meister (tiefer Bass); Diemut, seine Tochter (hoher 65 ff.). Wohl 1896 befasste er sich erstmals mit dem
Sopran); deren Gespielinnen Elsbeth (Mezzo- auf »Das erloschene Feuer von Audenaerde« zu-
sopran), Wigelis (tiefer Alt) und Margret (hoher rückgehenden Stoff zu Feuersnot. Zwei Jahre später
Sopran); Kunrad, der Ebner (hoher Bariton); Jörg kam er gemeinsam mit Ernst von Wolzogen, den
156 Opern und Ballette

er 1892 kennengelernt hatte, auf diesen Stoff zu- zwischen Kunrad und Diemut springt über. Als er
rück. Motiviert durch die sie einende Unzufrie- sie küsst, ist die Empörung der Bürger groß. Die-
denheit mit ihren künstlerischen Möglichkeiten in muts Freundinnen allerdings tragen heimlich
München, beschlossen sie, satirisch Kritik an der Sympathie für den wilden Freier. Diemut, die
Stadt zu üben. Strauss bekannte späterhin, er habe Kunrads Liebe erwidert, sucht nach einem gesell-
Feuersnot als »ein kleines Intermezzo gegen das schaftlich tolerierbaren Weg, ihn trotz seines fre-
Theater« geschrieben, »mit persönlichen Motiven chen Freiens für sich zu gewinnen. Die Bürger
und kleiner Rache an der lieben Vaterstadt« und Bürgersfrauen ziehen zum Tor hinaus. Dort
(Strauss 1981, 223). Initiator des Projekts scheint am Sonnwendfeuer, im Dunkeln, singen sie und
Strauss gewesen zu sein, an der Ausarbeitung der tanzen den Reigen. – Kunrad, entbrannt für Die-
endgültigen Textfassung war er dagegen wohl mut, bedenkt seine grenzenlose Hingabebereit-
nicht beteiligt: Wolzogen schrieb das Libretto im schaft. Diemut, mit gelösten Haaren auf den
Sommer 1900 auf Rügen innerhalb von wenigen Söller hinaus tretend, befindet sich ebenfalls in
Tagen (Kohler 1980). Die Komposition entstand Herzensnot. Als Kunrad unter den Söller tritt,
von September bis zum 30. Dezember 1900; am gibt es kein Halten für ihr gegenseitiges Liebes-
1. Januar 1901 begann Strauss mit dem Schreiben sehnen. Dennoch versagt Diemut Kunrad die
der Partitur, die er am 22. Mai 1901 abschloss. Bitte, ihm ihre Tür zu öffnen, verspricht jedoch,
Unterdessen hatte Wolzogen (im Januar 1901) in ihn mit einem Förderkorb hinaufzuziehen. In
Berlin mit großem Erfolg sein Kabarett »Über- halber Höhe und gut sichtbar für die Bürger lässt
brettl« gegründet. sie ihn hängen. Kunrad ruft die Zaubermacht der
Geister an, dass das Licht verlösche, die Glut
verglühe und ewige Nacht hereinbreche. Die
Bürger sind vor Entsetzen über die Dunkelheit
Handlung gelähmt, stürmen dann drohend auf das Haus des
Bürgermeisters zu. Kunrad, dem es unterdessen
München, Sentlinger Gasse mit Blick auf das Tor, gelungen ist, sich auf den Söller zu schwingen,
ganz frühe mittelalterliche Architektur, womög- hält den Bürgern in einem langen Monolog den
lich ins Groteske übertrieben, ebenso die Kostüme Spiegel vor. Rettung kann nur die Wärme sein,
(Grundcharakter 12. Jahrhundert). In der Häuser- die »vom Weibe« quillt. Aus der Liebe, aus heiß-
reihe vorn rechts das stattliche Haus des Bürger- jungfraulichem Leib, so sein Resümee, entflamme
meisters. Durch das offene Tor im Hintergrund Feuer und Licht. Diemut ergibt sich Kunrad, und
sieht man einen freien Platz mit Bäumen. Abend. die Bürger widersetzen sich nun nicht länger der
Kurz vor Sonnenuntergang am Sonnwendtag Zumutung, die die Verbindung der Tochter des
In buntem Treiben bevölkern Kinder und Bürgermeisters mit einem Fremden für sie eigent-
Bürger aller Altersstufen am Tag der Sonnwend- lich bedeutet. Als das Licht wieder aufflammt,
feier die Gasse. Der Bürgermeister begrüßt die begrüßt es das Volk auf der Gasse mit einem Ju-
Kinder, seine Tochter Diemut verteilt zusammen belschrei. Dazu tönen die Stimmen von Kunrad
mit ihren Freundinnen Met und Zuckerwerk. und Diemut, die sich ihrer Liebe hingeben, durch
Der Wirt disputiert mit den biederen, in Streit das offene Fenster herüber.
geratenden Handwerksleuten über den seltsamen
Gast Kunrad, der sich bei ihm einquartiert hat.
Ihr heftiges Gespräch wird vom Singsang der
Kinder übertönt, die den fremden, vornehm ge- Kommentar
kleideten Mann bestürmen, das Sonnwendfest-
treiben nicht zu verpassen. Kunrad wird sich sei- Dass die Oper nach Wagner sich in einer durchaus
nes Andersseins bewusst, nennt sich einen törich- krisenhaften Situation befand, spiegelt »sich im
ten Grübelgesell und begibt sich – beobachtet Schaffen vieler Komponisten«, welche »nach
von Diemut und ihren Freundinnen – immer neuen Sujets und zukunftsweisenden musikdra-
übermütiger in das Treiben. Der Liebesfunke matischen Ausdrucksformen« suchten, sich von
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 157

»den mythologisch überfrachteten Stoffen Wag- zentrale gattungsästhetische Schritt vollzieht sich
ners« (Liebscher 1991, 227 f.) abwandten und zur jedoch bereits in Feuersnot.
komischen Oper (Hugo Wolfs Corregidor 1896) Gattungsästhetisch dokumentiert das ›Singge-
oder zur Märchenoper (Engelbert Humperdincks dicht‹ in doppelter Hinsicht die Befreiung von der
Hänsel und Gretel 1893) hin wandten. Die Suche Dominanz des Wagnerschen Musikdramas um
nach alternativen Gattungskonzeptionen führte die Jahrhundertwende: als Einakter ebenso wie
zu einer »Auffächerung der Gattung Oper in zahl- als ›komische‹ Oper. Strauss’ Neuorientierung in
reiche Einzelphänomene […]. Erneuerungen, die Bezug auf das Genre wie in Bezug auf die Form
sich auf den Stoff beziehen, stehen neben Experi- ist auch im Kontext nichtmusikalischer ästheti-
menten im Bereich der Dramaturgie, die sich scher Entwicklungen zu sehen: Ernst von Wol-
meist gegen das Illusionstheater des 19. Jahrhun- zogens Libretto spiegelt ähnlich wie die 1896 in
derts richteten […], die verstärkte Integration von München gegründeten Zeitschriften Jugend oder
Tanz und Pantomime ließ die Grenzen zwischen Simplicissimus den zeittypischen satirischen Geist,
den zuvor deutlich getrennten Bereichen Ballett und Strauss’ Hinwendung zum Einakter ist zwei-
und Oper verschmelzen« (Mautner 2000, 80). fellos nicht vom weitverbreiteten literarischen
Unübersichtlichkeit, sowohl produktions- wie Interesse an der Einakter-Form zu trennen. Wie
wirkungsästhetisch, war die Folge. das Sprechtheater vom Innovationspotenzial die-
Eine Möglichkeit, im Heterogenen Orientie- ser Form profitierte, so entfaltete sie auch im
rung zu finden, schien sich im Einakter aufzutun. Musiktheater enorme Schubkraft, wie Strauss’ drei
Forciert wurde diese Entwicklung durch verschie- Einakter Feuersnot, Salome und Elektra exempla-
dene Einakter-Wettbewerbe, beispielsweise 1893 in risch belegen. Auf dem Wege des Transfers der
Coburg. Besondere Impulse gaben die von dem formbildenden Qualitäten seiner Tondichtungen
Verleger Edoardo Sonzogno in Mailand ausge- auf sein musikdramatisches Schaffen gelang es
schriebenen Wettbewerbe, die 1889 zur Entstehung Strauss, den Knoten von übermäßiger Länge und
u. a. von Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana nicht gelingender Zeitgestaltung zu lösen, der
führten, einem Einakter, der »als dramaturgische das zentrale Problem von Guntram gewesen war.
Schablone« fungierte, »mittels derer es kurzfristig Auch hierauf zielt Strauss’ späte Selbsteinschät-
gelang, die Orientierungslosigkeit, in der die Oper zung, Feuersnot sei zwar kein vollkommenes Werk,
in Deutschland zu dieser Zeit steckte, zu überwin- wohl aber »ein Auftakt« und markiere »gerade zu
den« (Döhring/Henze-Döhring 1997, 331). Anfang des Jahrhunderts« einen neuen subjekti-
Strauss hatte die Einakter seines Freundes ven Stil »im Wesen der alten Oper« (Strauss 1981,
Alexander Ritter (Der faule Hans 1885 und Wem 182).
die Krone 1890) studiert und erfolgreich aufge- Um diesen ›neuen subjektiven Stil‹ zu präzisie-
führt, und er hatte umfangreiche Erfahrung mit ren, lenkte Strauss den Blick auf den »Ton des
der Einsätzigkeit seiner Symphonischen Dichtun- Spottes, der Ironie« (ebd.). Folglich galt die Auf-
gen. Seine Experimente mit der Gattung Oper im merksamkeit der Forschung lange dem satirisch-
einflussreichen Umfeld der Modernität des litera- grotesken Charakter des Einakters mit all seinen
rischen Einakters (August Strindberg, Hugo von komisch-bizarren Situationen, die sich zu einem
Hofmannsthal, Frank Wedekind) wurden von Zerrspiegel von Moral und Sittenstrenge im wil-
Anna Amalie Abert als Ablösung einer Programm- helminischen Zeitalter zusammenfügen. Unter
musik ohne Text in den Symphonischen Dichtun- dieser Perspektive gilt Feuersnot zu Recht als ge-
gen durch eine Programmmusik mit Text in den lungener Versuch einer aus der Ästhetik der Mo-
Einaktern beschrieben (Abert 1972, 12). Julia derne heraus neu formulierten komischen Oper.
Liebscher hat späterhin vom Einmünden der In jüngster Zeit erweiterten die Studien von
Tondichtung in den Operneinakter gesprochen Kristiansen und Mende diesen Blick um den As-
(Liebscher 1991, 236). Beide fokussieren dabei Sa- pekt des Stilpluralismus. Das individuell Neue
lome und Elektra, die Werke, in denen, wie sie erkennt Kristiansen in Strauss’ ›Stilkunst« (Kris-
meinten, die Einakter-Modernität klar zutage tiansen 2002), einer souverän verwendeten Vielfalt
trete. Der für Strauss’ weiteres Opernschaffen von Stilen, innerhalb derer sich drei kontrastie-
158 Opern und Ballette

rende Sphären ausmachen lassen (Kristiansen ten, lebhaft illustrierende Orchestereffekte vor
2003, 256 f.): die Sphäre eines leichten, heiteren, allem der virtuos gehandhabten Holzbläser: All
populären Tons (etwa in der Eröffnungsszene und diese Elemente verbindet Strauss zu einer unver-
in den Kinderchören), die Sphäre von Wagner wechselbaren, eigenen, sehr dichten musikdrama-
verpflichteten Texturen und Wagner-Zitaten vor tischen Sprache, die er mit zahlreichen Zitaten
allem in den Szenen von Kunrad, die Kristiansen anreichert: neben Wagnerschen Leitmotiven fin-
(ebd.) als Transfer großer Gesten des Musikdramas den sich drei Münchner Lieder, eine Passage aus
in die Sphäre leichten unterhaltenden Musik- Schuberts Gretchen am Spinnrad sowie ein Selbst-
theaters beschreibt), sowie die Sphäre von Walzer- zitat aus Guntram (Werbeck 1998, 22 f.). Der
Klängen. »Moreover, contrasting styles or moods Reichtum des Librettos an Kontrasten kam Strauss
often last just a few bars each, creating a ›nervous‹ nach eigenem Bekunden sehr entgegen, gab er
feeling. This amounts to a direct reflection of the ihm doch die Gelegenheit zur Komposition scharf
splintering of contemporary culture into multiple voneinander abgehobener Szenen (etwa die von
directions, and the ›nervousness‹ that featured zwei großen Chorszenen umrahmte Strafpredigt
prominently in cultural and artistic debates Kunrads). Und es kam ihm entgegen, dass das
around the turn of the century« (Kristiansen 2010, Libretto Steigerungsverläufe bot, die ihm die Inte-
112 f.). gration des vielfältigen Materials ermöglichten.
Eine solchermaßen Strauss’ Stil differenzie- Die Steigerungen stiften Kontinuität und konsti-
rende Charakterisierung ermöglicht eine Bewer- tuieren damit ein musikdramatisches Ordnungs-
tung etwa seiner Wagnerzitate fernab jeder Etiket- gefüge, innerhalb dessen Strauss unterschiedliche
tierung von Epigonalität: Strauss benutze, so Arten von Zielpunkten entweder im Sinne einer
Mende, die »suggestiven Ausdrucksmöglichkei- Kulmination oder als plötzliches Innehalten kom-
ten« der Wagnerschen Tonsprache »souverän«, ponieren konnte.
betreibe jedoch »dadurch, daß er das kongenial
adaptierte Wagneridiom in ironische und komi-
sche Handlungskontexte« stelle, »hinterhältig
dessen Entmystifizierung« (Mende 2002, 130 f.). Wirkung
Indem das Zitierte gezielt der verfremdenden
Brechung unterzogen wird, offenbart sich Strauss’ Pläne, Feuersnot in Berlin oder Wien herauszu-
innere Distanz »zu seinem fiktionalen Kosmos« bringen, ließen sich zunächst nicht umsetzen: Die
(ebd., 132), in welchem es keine Helden mehr wie Zensurbehörden der Hoftheater monierten an-
in Wagners Musikdramen gibt. Sehr deutlich wird zügliche Textpassagen und beanstandeten die
dies vor allem auch in der radikalen Distanz der Schlussszene. Hinter diesen Fehlschlägen zeich-
Schlusspointe des Werkes zum Wagnerschen Er- nete sich noch ein tiefer liegendes Problem ab: die
lösungsdrama: Die Stadt wird nicht durch ein institutionell zunehmend schwierige (finanzielle)
Sühneopfer (einer Frau) erlöst, sondern durch ei- Situation an den deutschen Hoftheatern, die
nen von allen gewünschten und dann auch voll- deren Moderne-Vorbehalte noch steigerte. Man
zogenen Geschlechtsakt. übernahm lieber Erprobtes (vor allem auch italie-
Stilvielfalt, Formvielfalt – von volkstümlich nische Opern) und scheute das Wagnis von Urauf-
einfachen geschlossenen (Tanz-)Formen über ge- führungen.
schlossene Einlagen wie die Geschichten Tulbecks Schließlich brachte Ernst von Schuch am
und Kofels bis hin zum Orchesterzwischenspiel 21. November 1901 in Dresden die Uraufführung
bei eintretender Dämmerung und Orchesterepi- von Feuersnot heraus (Regie: Maximilian Moris;
log für den im Innern zu ahnenden Geschlechts- Karl Scheidemantel als Kunrad, Annie Krull als
akt zwischen Kunrad und Diemut –, ein weites Diemut). Es war der Beginn einer Serie von neun
Spektrum von Singweisen (von einfachen Liedern Uraufführungen von Strauss-Opern in Dresden.
mit Lokalkolorit bis hin zu Kunrads Strafpredigt, Nur zwei Monate später folgte die Wiener Erst-
vom Kinderchor bis hin zu Ensemble- und Chor- aufführung unter Leitung von Gustav Mahler
szenen), prägnante, gestische musikalische Gestal- (Leopold Demuth als Kunrad, Margarete Micha-
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 159

lek als Diemut). In der Premiere saß u. a. Alexan- gen und Neueinstudierungen von Feuersnot fallen
der von Zemlinsky, der Schönberg gegenüber vor allem in die Jahre bis 1944. Ab 1953 gab es nur
brieflich am 18. Februar 1902 konstatierte, das noch vereinzelte Inszenierungen neben konzertan-
Werk sei auf »der Bühne nicht wirksam« (Weber ten Produktionen (u. a. Bayerischer Rundfunk
1995, 9). Im Herbst 1902, nach einer durch die 1963 und 1983, Österreichischer Rundfunk und
Zensur erschwerten Annahme- und Produktions- Westdeutscher Rundfunk 1964).
phase, kam Feuersnot dann auch in Berlin heraus, Wie bei Guntram trat Richard Strauss als Diri-
dirigiert von Strauss selbst mit Rudolf Berger als gent aktiv für die Etablierung seines Einakters im
Kunrad und Emmy Destinn als Diemut. Die Repertoire ein und dirigierte Feuersnot in Frank-
Münchner Erstaufführung datiert vom 23. De- furt am Main (1901), Berlin und Bremen (1902),
zember 1905. Erst mit einigem Abstand schlossen Hamburg (1904), Köln (1905), München (1905,
sich internationale Erstaufführungen an, die bei 1910, 1917, 1935), Den Haag (1911), Wien (1912 und
Günther Lesnig (Lesnig 2008 und 2010) umfas- 1922), Genua (1938) – insgesamt 45 Mal in szeni-
send dokumentiert sind: 1910 London unter Lei- schen Aufführungen, ergänzt durch Aufführungen
tung von Thomas Beecham (Mark Oster/Frederic der Liebesszene in Konzertprogrammen. Das war
Austin als Kunrad, Maude Fay/Edith Evans als nur eine der Strategien, mit denen Strauss die
Diemut), 1911 Brüssel unter Leitung von Sylvain Wirkungsgeschichte seiner Opern maßgeblich
Dupuis (Leon Ponzio als Kunrad, Lilly Dupré als beförderte. Zwar klagte er immer wieder, seine
Diemut), ebenfalls 1911 Den Haag unter Leitung Opern würden zu selten aufgeführt, letztlich aber
von Richard Strauss (Fritz Feinhals als Kunrad, nahm er, beginnend mit Feuersnot, unter den
Eva von der Osten als Diemut), 1912 Mailand Novitätenkomponisten der ersten Jahrhundert-
unter Leitung von Tullio Serafin (Taurin Parvis als hälfte eine eindrucksvolle Sonderstellung ein.
Kunrad, Linda Cannetti als Diemut), 1913 Buenos Dass eine neue Oper für eine dauerhafte Veranke-
Aires unter Leitung von Antonio Guarnieri rung im Repertoire eines guten Bühnenstarts be-
(Riccardo Stracciari als Kunrad, Solomija Krusce- darf, wusste Strauss genau; jede Novität, so seine
niski als Diemut), 1927 Philadelphia unter Leitung feste Überzeugung, brauche eine protegierende
von Alexander Smallens (Marcel Salzinger als Hand, bis sie ein breites Publikum erreicht habe.
Kunrad, Helen Stanley als Diemut) und 1953 Zweifellos erschließen sich neue Bühnenwerke,
Zürich unter Leitung von Otto Ackermann werden sie selten gespielt, dem Publikum nur
(Matthias Schmidt als Kunrad, Hildegard Hille- schwer, während umgekehrt häufig aufgeführte
brecht als Diemut). Stücke rascher verstanden und dann gegebenen-
Verschiedene Male wurde Feuersnot zusammen falls auch geschätzt werden. Dieses Ziel zu errei-
mit Strauss’ Ballett Josephs Legende TrV 231 aufge- chen war im Kontext der wirtschaftlichen Eng-
führt (Berlin 1931, Breslau 1934, Buenos Aires pässe der Theater in den Zwischenkriegsjahren
1944, Dresden 1939, Hamburg 1923, München gleichwohl ein Kunststück. Viele Novitäten
1921, 1924, 1925, 1930, 1935, 1958, Wien 1922) sowie brachten es zu nicht mehr als drei Vorstellungen.
mit anderen seiner Werke kombiniert (Vorspiel zu Strauss verfolgte verschiedene Strategien, um sei-
Guntram TrV 168, Suite in B-Dur TrV 132, Tanz- nen Opern ihren Start zu erleichtern. Er trug
suite nach Couperin TrV 245, Ein Heldenleben TrV Sorge dafür, dass die Aufführungsverträge zu sei-
190), darunter die Einakter Friedenstag TrV 271 nen Opern nicht nur die üblichen Tantiemenrege-
und Salome TrV 215. Aber auch mit Einaktern lungen festschrieben, sondern auch Mindest-Vor-
anderer Komponisten (Eugen d’Albert, Leo Blech, stellungszahlen innerhalb eines bestimmten Zeit-
Julius Bittner, Georges Bizet, Peter Cornelius, raums zusicherten. Ließen sich diese in der
Wolfgang Amadeus Mozart, Jacques Offenbach, Realität aus irgendeinem Grund dann doch nicht
Giacomo Puccini, Ermanno Wolf-Ferrari) wurde in vollem Umfang realisieren, war Strauss peinlich
Feuersnot zu einem Abend zusammengefügt. In darauf bedacht, dass seine Opern lieber gar nicht
Bremen brachte man das Stück 1902 zusammen als vor halbleeren Häusern gespielt wurden. Eine
mit Hofmannsthals Drama Der Tor und der Tod zweite Strategie betraf Strauss’ Kompromisslosig-
auf die Bühne. Die insgesamt über 50 Inszenierun- keit bezüglich der Ausstattung. »Not«-Ausstattun-
160 Opern und Ballette

gen, die im Kontext knapper finanzieller Mittel in i Julia Varady (Diemut), Bernd Weikl (Kunrad),
den Zwischenkriegsjahren selbst in großen Thea- Hans-Diter Bader (Schweiker von Gundelfinden),
tern unumgänglich waren, akzeptierte er nicht. Helmut Berger-Tuna (Ortolf Sentlinger); Tölzer
Wurden andere Novitäten in den 1920er Jahren Knabenchor, Chor des Bayerischen Rundfunks,
selbst an einem Haus wie der Wiener Staatsoper Münchner Rundfunkorchester, Heinz Fricke
(Rode-Breymann 1994) noch in umgearbeiteten (1984), Acanta 40.23 530
Bühnendekorationen ausgemusterter Inszenierun-
gen anderer Opern gespielt, so forderte Strauss –
in oft sehr langwierigen Verhandlungen und im-
mer verbunden mit Kostenüberschreitungen, bzw.
-explosionen – speziell für seine Opern hergestellte Salome
exquisite Ausstattungen. Die dritte Strategie, die
Musikdrama in einem Aufzuge op. 54 TrV 215
er verfolgte, war die Verpflichtung einer erstklassi-
gen Sängerbesetzung, möglichst mit Doppelbeset- Entstehungszeit: 1902–1905 (Musik)
zungen der Hauptrollen, sowie ausreichende Pro- Text: Oscar Wildes Drama Salomé (1891) in der
benzeit, die über die durchaus übliche Frist von Übersetzung von Hedwig Lachmann (1900). Text-
nur zwei Wochen Arrangierproben und zwei Wo- einrichtung durch Richard Strauss
chen Orchesterproben hinausging. Uraufführung: Königliches Opernhaus Dresden,
Solche Strategien sind das eine, aber sie müssen 9. Dezember 1905; Französische Fassung: Théâtre
auch in den Theatern durchgesetzt werden. Hier de la Monnaie Brüssel, 25. März 1907
kamen Strauss seine institutionellen Erfahrungen Personen: Herodes (Tenor); Herodias (Mezzo-
ebenso zugute wie sein Können als Dirigent. sopran); Salome (Sopran); Jochanaan (Bariton);
Außerdem verfügte er über eine enorme Beharr- Narraboth (Tenor); ein Page der Herodias (Alt);
lichkeit des Verhandelns und des Netzwerkens. Er 5 Juden (4 Tenöre, Bass); 2 Nazarener (Tenor,
bedrängte Dirigenten- und Intendantenkollegen Bass); 2 Soldaten (2 Bässe); ein Kappadozier (Bass);
immer und immer wieder mit dem Ziel, optimale ein Sklave (stumme Rolle)
Aufführungsbedingungen für seine Werke zu er- Orchester: Piccoloflöte, 3 Flöten, 2 Oboen, Eng-
wirken. Begriffe wie Pflege im Repertoire, Um- lischhorn, Heckelphon, kleine Klarinette in Es,
studierung, Neueinstudierung, Wiederherstellung 4 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontra-
und Neubearbeitung, die Strauss in Verbindung fagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Bass-
mit seinen Opern in den diversen Briefwechseln tuba, 4 große Pauken, kleine Pauke, Schlagzeug
verwendet, dokumentieren sein permanentes Be- (große Trommel, Becken, kleine Trommel, Trian-
mühen, seine Opern auf den Bühnen zu halten. gel, Tamtam, Tamburin, Holz- und Stroh-Instru-
Manchen ging das zu weit, was sich in wiederhol- ment [Xylophon], Kastagnetten, Glockenspiel),
ten Bemerkungen über die Egozentrik von Strauss Celesta, 2 Harfen, 16 erste Violinen, 16 zweite
dokumentiert, aber es blieben genügend ergebene Violinen, 10–12 Violen, 10 Violoncelli, 8 Kontra-
Mitstreiter (wie vor allem Karl Böhm oder Cle- bässe, Bühnenmusik: Harmonium, Orgel
mens Krauss), die sich in den Dienst seines hohen Spieldauer: ca. 1 Stunde, 45 Minuten
Anspruchs stellten. Autograph: Partitur Richard-Strauss-Archiv Gar-
misch
Ausgaben: Deutsche Fassung: Partitur: Berlin:
Fürstner 1905, Nr. 5500; Studienpartitur: Berlin:
Diskographischer Hinweis Fürstner 1905 bzw. 1933, Nr. 5500; Nachdruck der
Studienpartitur: Werke Bd. 3; Partitur, italienische
i Maud Cunitz (Diemut), Marcel Cordes (Kun- Übersetzung von Alexander Leawington: Berlin:
rad), Karl Ostertag (Schweiker von Gundelfin- Fürstner 1906; Klavierauszug von Otto Singer:
gen), Max Proebstl (Ortolf Sentlinger), Chor und Berlin: Fürstner 1905, Nr. 5503; Klavierauszug,
Orchester der Bayerischen Staatsoper, Rudolf französisch (nouvelle version): Berlin: Fürstner
Kempe (1958), Orfeo C 423 962 I 1909, Nr. 5534; Textbuch: Berlin: Fürstner 1905,
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 161

Nr. 5504; Textbuch, französische Übersetzung von in den Berliner Buchhandlungen erhältlich war,
Joseph de Marliave: Berlin: Fürstner 1909. – Fran- machte er sich Aufzeichnungen zur textlichen und
zösische Fassung: Klavierauszug mit zusätzlicher musikalischen Gestaltung des Einakters, für den er
italienischer Übersetzung von Alexander Leawing- den Schauspieltext um fast die Hälfte kürzte. Frü-
ton: Berlin: Fürstner 1907, Nr. 5530 heste musikalische Skizzen entstanden möglicher-
weise schon Ende 1902, doch kontinuierlich be-
gann Strauss, wie er im Skizzenbuch notierte, am
27. Juli 1903 mit der Komposition von Salome.
Entstehung Ende September 1904 war sie abgeschlossen. Die
sich anschließende Partiturreinschrift entstand
Bald nach der Feuersnot-Premiere im November zwischen 27. November 1904 und 20. Juni 1905
1901 suchte Strauss nach einem geeigneten Stoff (Wolf 2009, 35–43). Im August 1905 fügte Strauss
für sein nächstes Bühnenwerk. Zunächst sollte die Salomes Tanz in die Partitur ein. Bereits am 5. Juli
Zusammenarbeit mit Wolzogen fortgesetzt wer- 1905 hatte er seinem Verleger eine französische
den: Der Dichter entwarf, nach einer Vorlage von Fassung in Aussicht gestellt, über deren Text er
Strauss, einen neuerlichen Einakter mit dem Ar- zwischen Juli und November 1905 einen intensiven
beitstitel »Coabbradibosimpur oder Die bösen Briefwechsel mit Romain Rolland führte (Hülle-
Buben von Sevilla«: ein Projekt, das noch bis Keeding 1994, 44–112). Strauss änderte sämtliche
Sommer 1903 auf Strauss’ kompositorischer Vokalpartien, um sie an die Diktion der fran-
Agenda stand. Doch konnte es letztlich nicht mit zösischen Erstausgabe von Wildes Schauspiels
einem anderen Einakter-Projekt konkurrieren, das anzugleichen. Diese am 13. September 1905 ab-
sich – als »Pendant zu Feuersnot«, wie Strauss geschlossene französische Fassung wurde am
seinen Eltern schrieb (20. April 1902, Schuh 1954, 25. März 1907 im Théâtre de la Monnaie in Brüssel
257) – als weitaus attraktiver erweisen sollte: Oscar uraufgeführt.
Wildes Salomé (1896 in Paris uraufgeführt). Anton
Lindner, Wiener Lyriker, hatte Strauss das Drama
in der Übersetzung von Hedwig Lachmann ge-
schickt, die im Juni 1900 in der von Lindner redi- Handlung
gierten Wiener Rundschau erschienen war, und
ihm angeboten, daraus ein Libretto zu machen. Auf einer großen Terrasse im Palast des Herodes,
Wie ein Brief Lindners vom März 1902 belegt, war die an den Bankettsaal stößt. Rechts eine Treppe,
Strauss auf diesen Vorschlag zunächst eingegan- links im Hintergrund eine alte Zisterne. Der
gen. Tatsächlich erhielt er von Lindner auch einen Mond scheint sehr hell.
(nicht erhaltenen) Text oder Textentwurf, der ihn Während sich die Soldaten über den Propheten
allerdings nicht überzeugte. Es bedurfte eines Jochanaan unterhalten, klingt dessen Stimme aus
zweiten Anstoßes: Strauss sah eine Aufführung der Zisterne herüber. Inmitten dieser Klänge steht
von Wildes Schauspiel in Berlin in Max Rein- Narraboth, versunken in den Anblick Salomes:
hardts Kleinem Theater mit Gertrud Eysoldt in Von der Terrasse aus beobachtet er, zunehmend
der Titelrolle. Aus Zensurgründen fand die Pre- hingerissen von der Schönheit Salomes, das Fest-
miere am 15. November 1902 vor geladenen Gäs- gelage des Tetrarchen Herodes im Innern des Pa-
ten statt, zu denen auch Strauss zählte. Beein- lastes. Die Warnungen des Pagen, Salome nicht
druckt von Eysoldt sah Strauss die Aufführung anzusehen, weil dadurch Schreckliches geschehen
wohl mehrfach. Bereits nach der Premiere scheint könne, vermögen ihn nicht zu erreichen. – Salome
für ihn festgestanden zu haben, dass Salome seine entflieht dem Treiben des Banketts ins Freie; sie
nächste Oper werden würde. ekelt sich vor den begehrend-lüsternen Blicken
Strauss begann die Arbeit mit der Einrichtung ihres Stiefvaters Herodes. Die seltsame Stimme
des Textes. In der Erstauflage von Hedwig Lach- Jochanaans zieht sie in den Bann. Mit der Aus-
manns Übersetzung, einer Vorzugsausgabe, die im sicht, dass sie ihm ihre Blicke zuwenden werde,
November 1902 erschien und im Dezember 1902 bewegt sie Narraboth dazu, gegen das Verbot des
162 Opern und Ballette

Tetrarchen zu verstoßen und den jungen Prophe- Mondstrahl erleuchtete Szene und gibt den Be-
ten aus der Zisterne zu holen, da sie ihn unbedingt fehl, Salome zu töten.
sehen will. – Im Bann von Jochanaans Erschei-
nung steigert sich Salomes Begehren nach ihm,
der Anklage gegen die Sünden ihrer Mutter Hero-
dias erhebt und Salome brüsk zurückweist. Er Kommentar
verweigert sich ihren Blicken, will sie nicht anhö-
ren und nicht mit ihr sprechen. Sie jedoch begehrt Femme fatale
erst seinen Leib, dann sein Haar, schließlich seinen Sexualität, ein zuvor tabuisiertes Thema, wurde
purpurnen Mund. Die Projektionen ihres Begeh- um 1900 zu einem öffentlich verhandelten, wis-
rens zerbrechen an seinen Zurückweisungen im senschaftlich ergründeten, künstlerisch dargestell-
Namen Gottes und verzerren sich zu Schreckens- ten Thema bzw., mit den Worten Michel Foucaults,
bildern. In dem Maße, in dem Salomes Ekstase »zum Gegenstand des großen Verdachts, zum all-
wächst bis hin zum Wunsch, Jochanaans Mund zu gemeinen und beunruhigenden Sinn, welcher uns
küssen, steigert sich Narraboths Unheilserwar- zum Trotz unser Verhalten und unsere Existenzen
tung. Er versucht vergeblich, Salome Einhalt zu durchkreuzt; zum schwachen Punkt, von dem uns
gebieten, und weiß schließlich keinen andern das Unheil droht; zum Stück Nacht, das jeder von
Ausweg als den Selbstmord. Über seiner Leiche uns in sich trägt« (Foucault 1983, 88). Im wissen-
und verflucht von Jochanaan wiederholt Salome schaftlich-künstlerischen Diskurs formierten sich
ihre Obsession: Sie will den Mund des Jochanaan bestimmte Typen wie die »hysterische Frau, das
küssen. – Trunken und von unheilvollen Vorah- masturbierende Kind, das familienplanende Paar
nungen geplagt tritt Herodes in die Mondnacht und der perverse Erwachsene« (ebd., 127).
hinaus und findet den toten Narraboth. Herodias Die hysterische, gar perverse Frau – der Stoff,
bleibt seinen Todesahnungen gegenüber unge- aus dem um die Jahrhundertwende Opernträume
rührt. Ihn verlangt es umso mehr nach Erheite- waren: Die Frau »in Gestalt der ihren Trieben
rung durch Salome. Doch wieder ist die Stimme hemmungslos nachgebenden, das Böse verkör-
Jochanaans zu vernehmen: Er verkündet die An- pernden« Femme fatale (Severit 1998, 14 f.) erfreute
kunft des Messias, was eine lebhafte Diskussion sich großen Interesses, in der Oper wie auch in
unter den Juden nach sich zieht. Jochanaan pro- Kunst und Literatur. Während dieses Frauenbild
phezeit die Apokalypse. Herodias ist von seinen in den Künsten variantenreiche Ausprägung fand,
Worten zunehmend bedrängt und verlangt mehr- wurde »innerhalb des wissenschaftlichen Diskur-
fach, immer mehr von Hass erfüllt, Herodes solle ses das Wesen der Frau analysiert und therapiert«
Jochanaan zum Schweigen bringen. Herodes aber, (Hilmes 1990, 51). Die »Abwertung des Weibli-
der den Propheten insgeheim fürchtet, ist chen« erlangte in Freuds Vokabular »wissenschaft-
schwach, schreitet nicht ein, sondern sucht Ablen- lichen Rang« (ebd., 45): »Die Begriffe, die der
kung: Salome soll für ihn tanzen. Sie tut dies ge- moderne psychologische Diskurs, die Psychoana-
gen den Willen ihrer Mutter erst, nachdem Hero- lyse eingeschlossen, hervorgebracht hat, sind ex-
des unter Eid verspricht, ihr einen Wunsch zu er- trem stigmatisierend geworden, gegenüber der
füllen. Nach dem Tanz, an dessen Ende sie für einzelnen Patientin und – mehr noch – gegenüber
einen Moment an der Zisterne verweilt, stürzt sie dem weiblichen Geschlecht insgesamt, das als
Herodes zu Füßen und verlangt den Kopf des strukturell hysterisch angesehen wird« (Müller-
Jochanaan. Entsetzt versucht Herodes, Salome zu Funk 2001, 172).
einem anderen Wunsch zu überreden. Aber alle Eine der wirkungsstärksten Imaginationen des
Schätze, die er ihr vorschlägt, können sie nicht Weiblichen, die sich in misogynem Kontext zu
von ihrer Obsession abbringen, so dass Herodes Jahrhundertbeginn konstituierten, war die Femme
schließlich ihrem Verlangen folgt. Salome hält fatale, wie sie etwa Oscar Wilde und Richard
Zwiesprache mit dem abgeschlagenen Kopf des Strauss mit Salome in paradigmatischer Konkre-
Jochanaan und küsst seinen Mund. Angewidert tion auf die Bühne brachten. Die Femme fatale
und voller Furcht sieht Herodes die von einem wird von Carola Hilmes kurz umrissen als »eine
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 163

meist junge Frau von auffallender Sinnlichkeit, dertbeginn bevölkerten, und zwar in heute längst
durch die ein zu ihr in Beziehung geratender vergessenen Opern ebenso wie in einigen Opern
Mann zu Schaden oder zu Tode kommt. Die Ver- mit bis heute höchstem Rang im Repertoire. Zu
führungskünste einer Frau, denen ein Mann zum nennen wären daneben etwa der aufgrund seines
Opfer fällt, stehen in den Geschichten der Femme Andersseins von der Gesellschaft Isolierte, der
fatale im Zentrum« (Hilmes 1990, 10). Sie be- fremd in dieser Gesellschaft Stehende, der Künst-
zeichnet »keinen Realtypus des Weiblichen«, son- ler, die für den Mann sich opfernde Frau, das
dern gehört »ins Reich kollektiver Phantasien« Kindweib ohne jegliche Verantwortung, die
(ebd., XII), ist ein artifizieller Topos oder, um es Fremde. Diese Typen verbanden sich mit be-
mit Niklas Luhmann zu umschreiben, ein Muster, stimmten Szenentypen – so die Femme fatale mit
ein Bild mit Überzeugungskraft: »Das Wagnis Verführungsszenen, die etwa, um ein zeittypisches,
Liebe«, so Luhmann, »ist nur möglich, wenn man heute in Vergessenheit geratenes Beispiel zu nen-
sich dabei auf kulturelle Überlieferungen, literari- nen, in Julius Bittners Die rote Gred (1905 vollen-
sche Vorlagen, überzeugungskräftige Sprachmus- det, 1907 uraufgeführt) gleich mehrfach begegnet
ter und Situationsbilder, kurz: auf eine tradierte und in der Tanzszene von Gred vor Hans ein
Semantik stützen kann« (Luhmann 1982, 47). kleines Seitenstück zum Schleiertanz von Salome
Salome lässt sich als Exempel solcher Muster enthält. In allen diesen Opern wird immer wieder
und Bilder lesen. Die Oper zeigt eine Vielzahl von vorgeführt, wie sich das Bild der Frau unter dem
Geschlechterverhältnissen. Der Page fühlt sich zu männlichen Blick konstituiert, wie ihre Sinnlich-
Narraboth hingezogen, dieser aber hat nur Augen keit von der Disposition des männlichen Gegen-
für Salome. Er betet sie an, aber sie beachtet ihn spielers abhängt, wie »weiblicher Narzissmus und
kaum. Ihr Verlangen richtet sich ausschließlich, männlicher Voyeurismus, […] verliebte Selbstbe-
obwohl völlig unerwidert, auf Jochanaan. Herodes spiegelung und lustvolle Fremdbeobachtung«
schließlich begehrt Salome, seine Stieftochter. (Hilmes 1990, 237) untrennbar miteinander ver-
»Unerreichbarkeit […] scheint […] notwendige woben wurden. Szenen der Augensprache und der
Bedingung der Liebe und zugleich der Grund ih- Schaulust gehören mithin zum musikdramati-
res Scheiterns«, das bis in den Tod führt: »Narra- schen Instrumentarium, dessen man sich zu Jahr-
both wählt den Freitod, als er sieht, daß Salome hundertbeginn reichlich bediente.
Jochanaan begehrt. Salome [fordert den Kopf des Wie eine Studie über den Modifikationsreich-
Jochanaan und] wird auf Herodes Geheiß hin er- tum, der dabei entfaltet wurde, liest sich Strauss’
mordet, nachdem sie versucht hat, ihr Liebesob- Salome, in der alles Verhängnis aus den Blicken
jekt [den abgeschlagenen Kopf ] in Besitz zu neh- resultiert: Herodes ist ein Mann, dessen Eros auf
men« (Hilmes 1990, 115). die Schaulust beschränkt ist, welche in der Tanz-
Es geht in Strauss’ Oper um verschiedene Kon- szene kulminiert. Salomes Macht liegt ganz we-
stellationen eines objektbezogenen, »den Andern sentlich darin, dass sie Blicke gewährt: Sie tanzt
als Individuum negierenden« (ebd., 117) und tod- vor Herodes, imaginiert dabei jedoch Jochanaan.
bringenden Eros, und »von der ersten Szene an« Sie ködert Narraboth damit, dass sie ihm »morgen
schwebt tödliches »Verhängnis über dem Gesche- früh […] unter den Muss’linschleiern […] einen
hen« (ebd., 113). Dass dabei der musikalische Satz Blick zuwerfen« (Libretto, nach Zi. 56) werde.
des Orchesters von höchster Ereignisdichte ist, Allein diese Aussicht macht ihn gefügig, gegen
lässt sich, Niklas Luhmann folgend, auf eine Spra- strenges Verbot Jochanaan aus der Zisterne her-
che der Liebe hin interpretieren: »Setzt man ein- auszulassen, weil Salome ihn sehen will. Als Jocha-
mal den Exzeß als das Maß der Liebe, lassen sich naan herauskommt, verharrt sie, »in seinen An-
eine Reihe von Folgerungen begründen. Vor al- blick versunken« (wie die Anweisung zu Beginn
lem: Liebe totalisiert. Sie macht alles relevant, was der 3. Szene nach Zi. 65 lautet), und ist hingerissen
irgendwie mit der Geliebten zusammenhängt« von seinen Augen, die »wie die schwarzen Höh-
(Luhmann 1982, 85). len« sind, »wo die Drachen hausen«, »wie schwarze
Die Femme fatale war einer der Männer- und Seen, aus denen irres Mondlicht flackert«. Ihre
Frauentypen, die die Opernbühne zu Jahrhun- Schaulust ist damit jedoch keineswegs befriedigt,
164 Opern und Ballette

sondern sie möchte, ja sie muss »ihn näher be- Mauser, wird »durch die räumliche Erfahrung des
sehn«. Narraboths dringliches Flehen, Jochanaan undurchdringlich-weiten Waldes veranschaulicht.
nicht anzusehen, verhallt ungehört. Wie am Faden […] Unbestimmt in [ … seiner] Ausdehnung,
unheilvoller erotischer Blicke spinnt sich der Ein- meist in Dunkel oder Zwielicht gehüllt«, spiegelt
akter fort, und in Salomes großem Schlussmono- der »feindselige Landschaftsraum das Gefühl der
log heißt es: »Deine Augen, die so schrecklich Verlassenheit des Menschen« (Mauser 1982, 31 f.).
waren […], sind jetzt geschlossen. Warum sind sie In beiden Einaktern wird überdies der Liebes-
geschlossen? Öffne doch die Augen […], Jocha- nacht-Szenentyp in Anverwandlungen aufgegrif-
naan! Warum siehst du mich nicht an?« Und etwas fen: Zum Liebesduett wie in Richard Wagners
später: »Hättest du mich gesehn, du hättest mich Tristan und Isolde vereinigen sich jedoch keine der
geliebt!« Protagonisten mehr. Salome spielt in einer hellen
Mondnacht voll süßer Luft, und Salomes Gesang
greift die alte Liebesnacht-Metaphorik (etwa in
Salome und Schönbergs Erwartung
Bildern wie »weiß wie die Lilien auf einem Felde«,
Aufgrund der völlig verschiedenen Wirkungsge- »die Rosen im Garten von Arabiens Königin«, »die
schichten spricht man von Strauss’ Salome und Füße der Dämmerung auf den Blättern«) auf, aber
vergessenen Opern wie etwa Bittners Rote Gred Salome imaginiert die Vereinigung mit dem Ge-
oder Alexander von Zemlinskys erst 1981 wieder- liebten eben nur. Bei Schönberg verweisen einige
entdecktem Wilde-Einakter Der Geburtstag der Passagen auf diesen Szenetyp, aber die Momente
Infantin niemals in einem Atemzug – auch nicht vollkommenen Innehaltens sind flüchtig bis an
über Strauss und Arnold Schönberg, zwischen die Grenze der Wahrnehmbarkeit, und es bleibt
denen ihre spätere stilistische Entwicklung eine offen, ob es diese Momente in der Vergangenheit
kompositionsästhetisch scheinbar unüberwind- tatsächlich gegeben hat oder ob es sich um Sehn-
bare Grenze zieht. Und doch besteht eine ideenge- süchte der Vergangenheit handelt.
schichtliche Nähe zwischen den Musiktheaterwer-
ken all dieser Komponisten. Das gilt insbesondere
Stoffgeschichte
für Salome und Schönbergs Erwartung (vollendet
1909, uraufgeführt 1924). In beiden Einaktern Der Salome-Stoff ist biblischer Herkunft: Im Evan-
über die Unvereinbarkeit der Geschlechter tritt gelium nach Matthäus ist die Geschichte in Kapitel
die Handlung zugunsten von sinnbildlichen Vor- 14, 6–11 folgendermaßen geschildert: »Da aber
gängen in den Hintergrund. Die Sprache hat Herodes seinen Geburtstag beging, da tanzte die
kaum noch handlungsmotivierende Funktion. Tochter der Herodias vor ihnen. Das gefiel Hero-
Desto größere Bedeutung fällt der Suggestions- des wohl. Darum verhieß er ihr mit seinem Eide,
kraft einzelner Worte zu. Unter weitgehender er wollte ihr geben, was sie fordern würde. Und wie
Preisgabe der Diskursivität der Sprache zielt der sie zuvor von ihrer Mutter angestiftet war, sprach
Dialog auf feinste Nuancen. Sowohl Strauss wie sie: Gib mir her auf einer Schüssel das Haupt Jo-
Schönberg evozieren mittels Natursymbolik eine hannes des Täufers! Und der König ward traurig:
bedrohliche Atmosphäre. Nachdem der tote Nar- doch um des Eides willen und derer, die mit ihm
raboth fortgetragen ist, gewahrt Herodes furcht- zu Tisch saßen, befahl er, es ihr zu geben. Und
sam den kalten Wind, wie er von den Schwingen schickte und ließ Johannes im Gefängnis enthaup-
des Totenvogels verbreitet wird. Strauss setzt das ten. Und sein Haupt ward hergetragen auf einer
musikalisch lautmalend sehr wirkungsvoll um und Schüssel und dem Mädchen gegeben: und sie
verdeutlicht zugleich die unüberbrückbare Dis- brachte es ihrer Mutter.« In der Malerei wurde der
tanz zwischen Herodes und Herodias, der solche Stoff durch die Jahrhunderte immer wieder aufge-
Phantastereien vollständig fremd sind. griffen, bevor sich im letzten Drittel des 19. Jahr-
Auch die Frau in Erwartung erschaudert vor hunderts das Interesse an Salome verdichtete. In
dem »Schrei des Nachtvogels«, wie Schönberg in allen Künsten wandte man sich nun dem Stoff zu,
die Partitur einträgt. »Die Unsicherheit und Aus- beginnend mit Gustave Flauberts Erzählung Héro-
geliefertheit der Frau«, so resümiert Siegfried dias 1877 und den eindrucksvollen Gemälden »Sa-
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 165

lome tanzt vor Herodes« und »Die Erscheinung« nischer Machthaber. Auch Herodias hat in Strauss’
(1876) von Gustave Moreau über Jules Massenets Libretto weniger Gewicht als bei Wilde. So ist
Oper Hérodiade 1881, Joris-Karl Huysmans Roman »das dramatische Geschehen gänzlich auf die Kon-
À Rebours 1884 bis hin zu Oscar Wildes Salomé fliktspannung zwischen Salome und Jochanaan
1893, die 1894 in englischer Übersetzung mit Illus- konzentriert« (Schläder 1997, 85). Während
trationen von Aubrey Beardsley erschien. Salomes Strauss Jochanaan kaum verändert, erhält durch
Körper, so schreiben Linda und Michael Hutcheon, seine Texteingriffe die Titelfigur deutlich andere
sei die Obsession der Europäer im späten 19. Jahr- Konturen: »Strauss’ Salome-Figur«, so Wolfgang
hundert gewesen, ganz besonders in der französi- Krebs, sei »nicht mehr diejenige Oscar Wildes«,
schen Kultur (Hutcheon 2000, 206). Dabei wurde sie unterliege zwar »dem Verhängnis, das (im
Salome zeittypisch umgedeutet: In der Darstellung Symbol des Mondes) über ihr schwebt«, doch sie
der Bibel handelt sie allein auf Drängen ihrer Mut- verkörpere auch den Versuch »der Überwindung
ter und verlangt nicht aus sich heraus den Kopf des der Decadence« und sei »Trägerin des Willens zur
Jochanaan. Ihre erotisch-obsessive Seite ist eine Entgrenzung, zum rauschhaft gesteigerten Leben«,
Zuschreibung des späten 19. Jahrhunderts: Salome, sie strebe – »die Musik verrät es – nach Steigerung,
so Joris-Karl Huysmans in Anlehnung an die Ge- nach Triumph« (Krebs 1991a, 268).
mälde Moreaus, sei »die symbolische Gottheit der Dass die Texteinrichtung mit ihrer gezielten
unzerstörbaren Ausschweifung, die Göttin der strukturellen Veränderung nicht als ein abgetrenn-
unsterblichen Hysterie, die verfluchte Schönheit ter, der Komposition nur vorgelagerter Arbeitsgang
[…], das ungeheuerliche, gleichgültige, unverant- zu verstehen ist, hat Frank Heidlberger auf der
wortliche, fühllose Tier« (Huysmans 1992, 84). Grundlage der Auseinandersetzung mit Strauss’
Handexemplar ausgeführt. Strauss, so sein Resü-
mee, habe den Kontext, wie ihn Wilde in Sprache
Strauss’ Anverwandlung von Wildes Salome
dargestellt habe, eliminiert und »durch eine sym-
In Strauss’ Anverwandlung des Stoffes kommt es phonisch durchgearbeitete musikalische Idee«
zu Umakzentuierungen: Er streicht Passagen, die ersetzt; das führe »nicht nur zu einer stärkeren
die Vorgeschichte erläutern, wie auch Passagen, Fokussierung des Geschehens auf den schillernden
die die Atmosphäre schildern, und er eliminiert Charakter der Salome als Bühnenfigur, sondern
alle Nebenaspekte der Handlung. Durch diese die Sentenz [das mehrfach wiederholte »Ich will
Kürzungen erreicht er eine Konzentration des deinen Mund küssen, Jochanaan« bzw. »Laß mich
Handlungsverlaufs mit weitreichenden Folgen: deinen Mund küssen«] und ihre variierte musika-
»Der Vergleich der Übertragung durch Hedwig lische Ausgestaltung verdeutlichen diesen Charak-
Lachman mit dem schließlich von Strauss verton- ter in all seinen Schattierungen. Die Musik ergänzt
ten Text offenbart so große Unterschiede und den Text mithin durch eine emotionale Erlebnis-
Konsequenzen, dass man zu Recht von einer Be- ebene, die dem Drama selbst zwar intentional in-
arbeitung sprechen kann«, bei der Strauss »ein newohnt, aus der Darstellung selbst jedoch nicht
ganzes Bündel unterschiedlicher Gesichtspunkte« hervorgeht« (Heidlberger 2005, 430).
leitete: »Inhaltliche, formale, musikalische, dra- Salome ist ein ambivalenter Charakter (Unseld
maturgische, sprachliche, aber auch bühnenprak- 1998, 306; Hutcheon 2000, 221). Sie verkörpert
tische und geschmackliche Gründe werden, keusche Jungfräulichkeit einerseits, stärkste eroti-
wechselnd oder zusammenwirkend, Strauss zu den sche Anziehungskraft und Machtverlangen ande-
jeweiligen Entscheidungen bewogen haben« (Wolf rerseits. Zu Beginn ist sie jung, schön, naiv und
2005, 113). Vor allem greift Strauss in die für eine keusch. Die Widersprüchlichkeit zwischen dieser
Vertonung erheblich zu langen Monologe ein, mädchenhaften Unschuld und ihrer mörderischen
insbesondere in die Monologe des Herodes: Er Leidenschaft bricht in dem Moment auf, in dem
kürzt die Rede über Herodes’ Juwelen, seinen Jochanaan, Herodias verfluchend, die Sprache der
Smaragd, seine Pfauen, also die Ausprägungen Sexualität ins Spiel bringt: »Wo ist sie, die den
seines morbid-dekadent überfeinerten Lebens, Hauptleuten Assyriens sich gab?«, fragt er: »Wo ist
ebenso die über Herodes’ Grausamkeit als tyran- sie, die sich den jungen Männern der Ägypter ge-
166 Opern und Ballette

geben hat, die in feinem Leinen und Hyazinthge- Vision Christi (»Nach mir wird einer kommen«)
steinen prangen, deren Schilde von Gold sind und in C-Dur und As-Dur exponiert; in der zweiten
die Leiber wie von Riesen? Geht, heißt sie aufstehn Szene wird Salome »in A-Dur dem in es-Moll aus
von dem Bett ihrer Greuel, vom Bett ihrer Blut- der Zisterne hörbaren Propheten gegenüberge-
schande […].« Nun öffnet sich die sexualisierte stellt: der Tritonusabstand suggeriert den schlim-
Sphäre auch in Salomes Sprechen. men Ausgang von beider Begegnung« (Schreiber
Ihre Ambivalenz verdeutlicht Strauss harmo- 2000, 252). In der ersten Szene exponiert Strauss
nisch durch eine personenbezogene Tonartendis- zudem drei Klangsphären: eine unheildrohende
position, innerhalb derer Salome cis-Moll und Sphäre (bis Zi. 4, nach Zi. 6 bis Zi. 11, nach Zi. 19),
Cis-Dur zugeordnet sind, Jochanaan As-Dur und für die »vagierende Akkordik, flutende Tremoli
f-Moll sowie diatonische Harmonik, Herodes eine und extremer Mischklang konstitutiv sind«, eine
um C-Dur und c-Moll kreisende Ganztonharmo- hektisch-dissonante Sphäre (Zi. 4 bis 6), die »auf
nik. Melanie Unseld hat gezeigt, dass das aus zwei einer d-Moll/es-Moll-Bitonalität basiert« und für
Elementen bestehende Motiv in den ersten vier die debattierenden Juden steht, und eine »zu-
Takten – einem aufwärts gerichteten Zweiund- mindest in Ansätzen feierlich-erhabene« Sphäre
dreißigstel-Lauf und einer melodischen Wendung (Jochanaan, nach Zi. 11 bis Zi. 19), in der »Diato-
der Klarinette unter liegendem Trompetenklang – nik und Funktionalität wieder in ihre Rechte
immer dann auftritt, wenn »von einer femme fa- eingesetzt werden und das klanglich-instrumenta-
tale-Eigenschaft Salomes die Rede ist« (Unseld tionstechnische Raffinement der Narraboth-Page-
2001, 180; vgl. dazu auch Kramer 1990, 285): (Salome)-Sektionen einer gewollten Blässe musi-
»Schönheit (Ziff. 8), Blässe (Ziff. 9), Keuschheit/ kalischer Konvention weicht. Salome fühlt sich
Reinheit/Mond (vor Ziff. 30), Tanz (vor Ziff. 3 von der lärmenden Festgesellschaft – musikalisch
und Ziff. 243), Betörung (Ziff. 55 f.), der auf die ausgedrückt durch ›häßliche‹ Kunstmittel wie die
Frau gerichtete, begehrliche Blick (Beginn), das Bitonalität – abgestoßen, ohne andererseits sich
von einer Frau ausgehende Übel (vor Ziff. 97) und Jochanaan nähern zu können. Der Gegensatz
die Angst des Mannes vor diesem Übel (Ziff. 109), zwischen Sinnlichkeit und Askese, Chromatik
der Kuß (Ziff. 105 f., Ziff. 123), Macht (Ziff. 183), und Diatonik, Raffinement und Konvention ist
Grausamkeit/Abartigkeit (nach Ziff. 318, Ziff. 331) unüberbrückbar« (Krebs 1991a, 256).
und letztlich auch Tod (der Tod Narraboths: Zweite und dritte Szene (Auftritt: Jochanaan)
Ziff. 126 und der Tod Jochanaans: Ziff. 314). Es trennt Strauss durch ein Zwischenspiel (Zi. 59 bis
fällt jedoch auf, daß das Motiv nicht zu Salomes 65), ebenso dritte und vierte Szene (Auftritt des
eigenem Tode erscheint: Herodes’ Ausruf ›Man Herodes, Zi. 141 bis 154). In diesen Zwischenspie-
töte dieses Weib!‹ wird allein durch den schlag- len kommt es zu »Verschleifung und Verschrän-
artigen, bitonalen Akkord begleitet, der denkbar kung der Jochanaan- mit den Salome-Motiven«,
abrupt Salomes exaltiertes Schwelgen in der har- die »die unlösbare schicksalhafte Verkettung der
monischen Sphäre von Cis-Dur beendet« (Unseld beiden Charaktere« (Schläder, 86) verdeutlichen.
1998, 308). Die vierte Szene, beinahe doppelt so lang wie die
Wildes Theaterstück weist keine Szenengliede- drei ersten Szenen zusammen, untergliedert
rung auf. Strauss gliedert seinen Einakter musika- Strauss in musikalisch deutlich voneinander abge-
lisch durch Gegensätzlichkeit des Klangs wie durch hobene Abschnitte – das Judenquintett, das er auf
symphonische Zwischenspiele, d. h. er komponiert der Grundlage von Texterweiterungen zu einer
nicht einfach an Wildes Text entlang, sondern »er eigenständigen musikdramatischen Scherzando-
arbeitete die formale Symmetrie der Szenen und Einheit ausbaut, Salomes Tanz der sieben Schleier
ihrer dramaturgischen Unterabschnitte heraus« und Salomes Schlussgesang »Ah! Du wolltest mich
(Heidlberger 2005, 431). Erste Szene (Narraboth, nicht deinen Mund küssen lassen« (Zi. 314 bis
Page, Soldaten) und zweite Szene (Auftritt Salo- 350).
mes) gehen ohne Zwischenspiel ineinander über. Der im Tanz zur Schau gestellten Verführungs-
In der ersten Szene werden zu Beginn Salomes kraft Salomes hatte immer eine besondere Auf-
Motiv und nach Zi. 11 Jochanaans Motiv einer merksamkeit der Künste gegolten: »Exotismus
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 167

oder Orientalismus, die Auseinandersetzung des den, die Strauss den Bau seiner Villa in Garmisch-
männlichen Künstlers mit weiblicher Verführung Partenkirchen ermöglichten.
und Sexualität, die Schönheit, die sich mit Grau- Für die Uraufführung in Dresden unter der
samkeit und Tod verbindet und schließlich die musikalischen Leitung von Ernst von Schuch
Provokation bürgerlicher und religiöser Vorstel- standen zwar immerhin zwei Monate Probenzeit
lungen« (Unseld 2001, 171) – all das spiegelt sich zur Verfügung, doch damit letztlich sehr wenig für
in ihrem Tanz. Strauss bezieht sich auf den Walzer die hohen Anforderungen, die die komplexe Par-
und durchwebt diesen mit orientalisierendem titur an Sänger und Orchester stellte: Für das rie-
Klangkolorit. Wie Mahler, Zemlinsky und Berg sige Orchester musste der Orchestergraben ver-
leistet er damit seinen Beitrag zum Komponieren größert werden. Die Sängerin der Titelpartie,
in einer Kultur des Walzers (vgl. Rode-Breymann Marie Wittich, protestierte gegen die Rolle, die ihr
2009). Die auf den Walzer Bezug nehmende mu- einer anständigen Frau nicht würdig erschien –
sikalische Transformation ermöglicht eine beson- und dies in einer Inszenierung (Willy Wirk, Büh-
dere Verständigung mit dem Publikum, das mit nenbild: Emil Rieck, Kostüme: Leonhard Fanto),
dem Walzer vertraut war; so konnte Strauss mit in der sie ein hochgeschlossenes Reformkleid trug
dem Schleiertanz »einen Weg zwischen lasziver und nicht selbst tanzte, sondern von Sidonie Korb
Sinnlichkeit und bürgerlichem Voyeurismus, zwi- gedoubelt wurde. Nach nur drei Vorstellungen
schen Fremdheit und Identifikation« (Unseld übernahm Annie Krull die Rolle. In den weiteren
2001, 175) gehen. Er ruft zu Beginn des Tanzes Rollen der Uraufführung sangen Irene von Cha-
musikalische Orientalismen – übermäßige Sekun- vanne, später Riza Eibenschütz (Herodias), Karl
den, melodische Arabesken, Chromatik – auf und Perron (Jochanaan), Karl Burrian (Herodes) und
lässt dann »den lasziven orientalisierenden Tanz in Rudolf Jäger (Narraboth).
einen sich langsam steigernden Walzer überglei- 1906, im ersten Jahr nach der Uraufführung,
ten«. Einerseits bietet er damit »dem zuschauen- wurde Salome in 14 deutschsprachigen und zwei
den und -hörenden Publikum eine Vertrautheit«, italienischen Theatern nachgespielt, teils mit redu-
andererseits stellt er mit Salomes Tanz »Erotik und zierten Orchesterbesetzungen: Stadttheater Bres-
moralische Unbedenklichkeit zur Schau, die für lau (musikalische Leitung: Julius Prüwer, Salome:
das Publikum außerhalb des Opernhauses als Fanchette Verhunk, die erste Sängerin, die den
nicht tolerierbar erscheint. So kommt es zum Tanz der sieben Schleier selbst getanzt hat), Neues
Konflikt zwischen erotisiertem Kunstgenuß und Deutsches Theater Prag (musikalische Leitung:
bürgerlich-moralischem Gewissen« (Unseld 2001, Strauss, Salome: Betty Schubert), Stadttheater
176). Graz (musikalische Leitung: Strauss, Salome:
Jenny Korb), Nürnberg, Leipzig, Köln, Mann-
heim, München, Stuttgart, Elberfeld, Berlin,
Stettin, Düsseldorf, Mainz. In Italien konkurrier-
Wirkung ten Turin und Mailand um die italienische Erst-
aufführung. Turin setzte sich durch; Strauss selbst
Nicht weniger als 926 Inszenierungen, Wiederauf- dirigierte am 22. Dezember 1906 (Salome: Gemma
nahmen, Neueinstudierungen und Gastspiele von Bellincioni). Die Mailänder Premiere leitete Ar-
Salome hat Günther Lesnig für den Zeitraum turo Toscanini (mit Solomija Krusceniski als Sa-
zwischen 1905 und 2000 nachgewiesen (Lesnig lome), der den Einakter unbedingt vor Turin her-
2010, 39–225), schwankend zwischen 60 (1941– ausbringen wollte, von Strauss jedoch keine Zu-
1950) und 143 (1921–1930) Inszenierungen pro stimmung erhielt. Kurzerhand setzte Toscanini am
Jahrzehnt: Salome, bis Ende 2000 an über zehn- 21. Dezember 1906 eine öffentliche Generalprobe
tausend Abenden in 43 Ländern gespielt, ist »die an, die von der Kritik sehr beachtet wurde und
erste deutschsprachige Oper mit internationalem deren Presseberichte bereits zur Mailänder Pre-
und sensationellem Erfolg nach Wagners Tod« miere vorlagen.
(Walter 2000, 191). Der Welterfolg war mit ent- 1907 folgten 23 Neuinszenierungen, darunter
sprechend hohen finanziellen Einnahmen verbun- die Erstaufführungen in den USA an der Metro-
168 Opern und Ballette

politan Opera New York unter Leitung von Alfred In New York setzten die Widerstände im Mo-
Hertz mit Olive Fremstad als Salome und in Bel- ment der fertigen Inszenierung (Regie: Anton
gien in französischer Sprache in Brüssel unter Schertel, Bühnenbild: Max Brückner) ein: Hein-
Leitung von Sylvain Dupuis mit Mariette Mazarin rich Conried, der Intendant der Metropolitan
als Salome. Salome trat nun den Weg durch die Opera, hatte eine öffentliche Generalprobe ange-
Theater Europas an, wurde in Zürich, Paris (Petit setzt, die moralische Entrüstung auslöste. Die
Théâtre, dann Théâtre Chatelet), Wien (als Gast- Premiere am 22. Januar 1907 führte zum Eklat
spiel aus Breslau), Amsterdam und Warschau, wo und veranlasste den Hauptaktionär des Opern-
der Einakter in polnischer Sprache gesungen wurde, hauses, den Bankier John Pierpont Morgan, alle
erstaufgeführt, während die englische Erstauf- weiteren Aufführungen untersagen zu lassen. 1909
führung in London unter Leitung von Thomas kam Salome an der Manhattan Opera New York in
Beecham mit Aino Ackté als Salome aufgrund von der Regie von Oscar Hammerstein mit Mary
Schwierigkeiten mit der Zensur erst 1910 realisiert Garden heraus, einer Sängerdarstellerin, die als
werden konnte. eine Idealbesetzung der Rolle galt und höchste
Es waren durchgängig die Hoftheater (wie Anerkennung für ihren Tanz fand. In New York
Berlin und Wien) sowie die führenden Bühnen, sah Gustav Mahler sie in der Rolle und schrieb an
an denen große Widerstände gegen die Oper zu Richard Strauss: »Ihre Salome fand eine recht or-
überwinden waren. In Berlin (musikalische Lei- dinäre Aufführung, ist aber in Folge einer wunder-
tung: Richard Strauss, Salome: Emmy Destinn) vollen Interpretation der Titelrolle durch Mary
verlangte der Kaiser, am Ende des Einakters den Garden von mächtiger Wirkung« (Blaukopf 1980,
Stern von Bethlehem als Vorboten der Heiligen 125). Garden sang die Rolle über 60 Mal, auch bei
Drei Könige zu zeigen, um auf den biblischen Gastspielen in den USA (Philadelphia, Chicago,
Zusammenhang des Stoffs zu verweisen und des- Milwaukee) und an der Pariser Opéra 1910 (musi-
sen Anstößigkeit zu mildern. In Wien dauerte es kalische Leitung: André Massager). Hier sang sie
am längsten, bis Salome im ersten Haus der Stadt die »nouvelle version«, die Rückübersetzung ins
aufgeführt wurde. Gustav Mahler hatte Salome an Französische.
der Wiener Hofoper uraufführen wollen. Das Ebenso gefeierte Sängerdarstellerinnen waren
scheiterte angeblich am Einspruch der Zensurbe- Maria Jeritza und Ljuba Welitsch (von Strauss für
hörde gegen das unsittliche Textbuch, wohl auch diese Rolle empfohlen): Jeritza, die »als ideale
an Intrigen in Hofkreisen. Mahler, Zemlinsky, Verkörperung der Salome« galt (Lesnig 2010, 43),
Schönberg und Berg reisten deswegen nach Graz, sang die Rolle ab 1918 mehr als 50 Mal, Welitsch
um die Oper (Premiere am 16. Mai 1906) in sang und tanzte die Rolle nach ihrem Debüt an
Österreich sehen zu können. Die Vorgänge an der der Wiener Volksoper 1944 fast 100 Mal an der
Hofoper nutzte der Volksoperndirektor Rainer Wiener Staatsoper 1946 (musikalische Leitung:
Simons, um die Wiener Erstaufführung an sein Clemens Krauss), an Covent Garden 1949, in der
Haus zu holen. Hier hatte Salome am 23. Dezem- von Salvador Dalí surrealistisch ausgestatteten
ber 1910 unter Leitung von Alexander von Zem- Inszenierung von Peter Brooks (musikalische Lei-
linsky Premiere. Allerdings handelte es sich nicht tung: Karl Rankl), in einem triumphalen amerika-
um eine Wiener Novität, da die Oper schon 1907 nischen Debüt an der Metropolitan Opera 1949
in einem Gastspiel des Breslauer Opernensembles (musikalische Leitung: Fritz Reiner) sowie 1951 in
in Wien im Volkstheater aufgeführt worden war. Berlin und 1953 an Covent Garden.
Bis zur Premiere an der Wiener Hofoper sollte es Die höchst anspruchsvolle Titelpartie wurde
allerdings noch bis zum 14. Oktober 1918 dauern auch später von einer Vielzahl herausragender
(musikalische Leitung: Franz Schalk, Salome: Sängerinnen übernommen: Anja Silja (erster Auf-
Maria Jeritza). Ihr später Einzug in das Haus rief tritt in der Rolle Stuttgart 1962) über 200 Mal,
immer noch Empörung hervor, obwohl man den Christel Goltz (erster Auftritt in der Rolle Dresden
abgeschlagenen Kopf Jochanaans nicht zeigte, 1941), Maria Kouba (erster Auftritt in der Rolle
sondern in einer zugedeckten Schüssel präsen- Graz 1957) und Gwyneth Jones (erster Auftritt in
tierte. der Rolle Hamburg 1970) über 150 Mal, Johanna-
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 169

Lotte Fecht, Josephine Barstow, Karan Armstrong (musikalische Leitung: Kent Nagano; Montserrat
und Cynthia Makris über 100 Mal, Gemma Bel- Caballé als Salome) oder in Jochen Ulrichs Insze-
lincioni, Aline Sanden, Barbara Kemp, Rose Pauly, nierung in Düsseldorf 1992, in der Jochanaan von
Hildegard Ranczak, Lily Djanel, Inge Borkh, Feli- einem Tänzer dargestellt wurde. Als eine auch die
cia Weathers, Leonie Rysanek, Hildegard Behrens Tanzszene betreffend ideale Regie galt die Insze-
und Eliane Coelho ungefähr 80 Mal. Anja Silja nierung von Wieland Wagner, der sein Konzept
und Leonie Rysanek sangen zunächst die Salome mehrfach sehr ähnlich umsetzte, beginnend in
und wechselten später zur Partie der Herodias. Stuttgart 1962 (musikalische Leitung: Ferdinand
Strauss hatte die Rolle der Salome für einen hoch- Leitner), gefolgt von Brüssel 1963 (musikalische
dramatischen Sopran komponiert, dann für Maria Leitung: André Vandernoot), Paris 1964 (musika-
Rajdl eine reduzierte Orchesterfassung erstellt, die lische Leitung: André Cluytens), Wien 1965 (mu-
ihrer lyrischen Stimme ermöglichte, sich gegen das sikalische Leitung: Zdeněk Košler), Rom 1966
Orchester durchzusetzen. Diese Fassung sang (und (musikalische Leitung: Bruno Bartoletti) sowie
tanzte) u. a. auch Maria Cebotari. der nach seinem Tod von Gertrud Wagner zu Ende
Viele herausragende Dirigenten interpretierten geführten Inszenierung in Genf 1967. Seine Regie
mehrfach in ihrer Karriere die Partitur: Strauss war zugeschnitten auf Anja Silja, die in allen sei-
selbst 196 Mal, beginnend in Graz 1906, endend nen Inszenierungen sang. Besondere Aufmerk-
in München 1942, außerdem Hans Knapperts- samkeit fanden August Everdings Inzenierung an
busch (zwischen 1914 und 1938 in Elberfeld, Mün- Covent Garden 1970 (musikalische Leitung: Ge-
chen, Den Haag, London und Wien), Heinrich org Solti), in der Grace Bumbry debütierte und
Hollreiser (zwischen 1962 und 1980 an der Deut- die 1974 mit Gwyneth Jones wieder aufgenommen
schen Oper Berlin, in München, Wien, Düssel- wurde (Everding inszenierte Salome in Hamburg
dorf und Tokyo), Karl Böhm (zwischen 1927 und 1970, London 1974, München 1987, Tokio 2000),
1970 in Darmstadt, Dresden, Wien, Buenos Aires, sowie die Inszenierung von Joachim Herz an der
Brüssel, New York und Hamburg), Berislav Klo- English National Opera in London 1975 (musika-
bučar (zwischen 1964 und 1992 in Mailand, Stock- lische Leitung: Mark Elder, Salome: Josephine
holm, Wien, Chicago, San Francisco und Oslo), Barstow); Herz inszenierte Salome auch in Leeds
Miklos Lukacs (zwischen 1958 und 1972 in Buda- 1977 und Dresden 1988.
pest), Rudolf Moralt (zwischen 1937 und 1955 in Setzte das Regietheater der 1920er Jahre bezüg-
Graz, Wien und Triest), und Alexander von Zem- lich der Bühnenräume zunächst eher abstrahie-
linsky (zwischen 1910 und 1928 an der Volksoper rend an – wie Lothar Wallersteins Frankfurter
Wien, am Neuen Deutschen Theater in Prag und Inszenierung 1926 (Bühnenbild: Ludwig Sie-
an der Krolloper Berlin). vert) –, siedelten Regisseure neuerer Zeit das Ge-
Seit den 1920er Jahren entzündete sich die schehen umdeutend in vollkommen anderen
Kreativität des Regietheaters immer wieder an Räumen an: Ken Russell verlegte 1993 in Bonn die
Salome: Aus naheliegenden Gründen lag der Handlung in ein Londoner Bordell in der Zeit
Schwerpunkt der Inszenierungen oftmals insbe- von Oscar Wilde, Nikolaus Lehnhoff in Leipzig
sondere auf der Personenregie, wie etwa in Rudolf 1994 in ein heruntergekommenes Betonambiente
Hartmanns Inszenierung für die Staatsoper Mün- der Gegenwart, Herbert Wernicke zeigte das Ge-
chen 1937 mit Hildegarde Ranczak als Salome schehen 1989 in Basel aus Zisternenperspektive.
(Hartmann brachte Salome zwischen 1926 und Bis Ende der 1960er Jahre wurde Salome zu-
1967 in Altenburg, Nürnberg, München, Zürich, meist mit einem Ballett oder einem anderem
Frankfurt, Athen und Mailand heraus) oder in Einakter gekoppelt.
Petr Weigls Inszenierung an der Deutschen Oper
Berlin 1990 mit Catherine Malfitano als Salome. Salome brachte Strauss zum Teil heftige Kritiker-
Teils ging man dabei so weit, die Sänger im Or- und Literatenreaktionen ein: Romain Rolland (mit
chestergraben zu platzieren und stattdessen Tänzer dessen Unterstützung Strauss die französische
oder Mimen auf der Bühne auftreten zu lassen wie Fassung erstellte) schrieb ihm am 14. Mai 1907:
in Robert Wilsons Inszenierung für Mailand 1987 »Oscar Wilde’s Salome war Ihrer nicht würdig. […]
170 Opern und Ballette

Trotz aller künstlichen Geziertheit des Stils enthält


die Dichtung Wilde’s eine unbestrittene dramati-
Elektra
sche Ausdruckskraft, aber die Atmosphäre ist wi- Tragödie in einem Aufzuge op. 58 TrV 223
derlich und schal: sie verbreitet einen Dunst von
Laster und Literatur. Es geht hier nicht um bürger- Entstehungszeit: 1906–1908 (Musik)
liche Moral, sondern um seelische Gesundheit. Text: Hugo von Hofmannsthals Tragödie in ei-
Dieselben Leidenschaften können gesund oder nem Aufzug (1903), frei nach der Tragödie (um
krankhaft erscheinen, das hängt davon ab, wie die 413 v. Chr.) von Sophokles. Texteinrichtung von
Künstler sie empfinden und wie die Bühnengestal- Richard Strauss
ten sie verkörpern. […] Wilde’s Salome und alle, Uraufführung: Königliches Opernhaus Dresden,
die sie umgeben, außer diesem brutalen Jochanaan, 25. Januar 1909
sind ungesund, unrein, hysterisch oder alkohol- Personen: Klytämnestra (Mezzosopran); Elektra
süchtig, sie stinken nach mondäner und parfümier- (Sopran) und Chrysothemis (Sopran), ihre Töchter;
ter Korruption« (Hülle-Keeding 1994, 116 f.). Noch Aegisth (Tenor); der Pfleger des Orest (Bass); die
wesentlich polemischer äußerte sich die Presse, Vertraute (Sopran); die Schleppträgerin (Sopran);
wofür stellvertretend Max Springer stehen mag, ein junger Diener (Tenor); ein alter Diener (Bass);
der Strauss in der Wiener Reichspost vom 15. Okto- die Aufseherin (Sopran); 5 Mägde (2 Soprane,
ber 1918 als »ein Kind des Tages« beschimpfte, das 2 Mezzosoprane, Alt); Chor, Statisterie: Dienerin-
»seine Fähigkeiten auf Sensation« einstimme und nen, 3 Diener, Aufseherinnen; hinter der Szene:
damit rechne, dass der »perverse Unterton der Männer, Frauen
modernen Kunstrichtung […] das ohnehin schon Orchester: Piccoloflöte, 3 Flöten (3. auch 2. Piccolo-
blasierte Empfinden des heutigen Durchschnitts- flöte), 3 Oboen (3. Oboe auch Englischhorn),
großstädters noch mehr vergiftet« habe. Die nega- Heckelphon, kleine Klarinette in Es, 4 Klarinet-
tiven Kritiken überwogen bis in die 1920er Jahre. ten, 2 Bassetthörner, Bassklarinette, 3 Fagotte,
Zu ihnen gehört auch noch Thomas Mann mit Kontrafagott, 4 Hörner, 4 Tuben (2 in B, 2 in F;
seinem Roman Doktor Faustus (1947). Darin legt er auch 5.–8. Horn), 6 Trompeten, Basstrompete,
Adrian Leverkühn als Reaktion auf eine Auffüh- 3 Posaunen, Kontrabassposaune, Kontrabasstuba,
rung der Salome folgende Bewertung von Strauss 6–8 Pauken, Schlagzeug (große Trommel, Becken,
in den Mund: »Was für ein begabter Kegelbruder! kleine Trommel, Triangel, Glockenspiel, Tambu-
Der Revolutionär als Sonntagskind, keck und rin, Rute, Tamtam), Celesta, 2 Harfen, 8 erste
konziliant. Nie waren Avantgardismus und Er- Violinen, 8 zweite Violinen, 8 dritte Violinen,
folgssicherheit vertrauter beisammen. Affronts und 6 erste Violen (auch vierte Violinen), 6 zweite
Dissonanzen genug, – und dann das gutmütige Violen, 6 dritte Violen, 6 erste Violoncelli,
Einlenken, den Spießer versöhnend und ihm be- 6 zweite Violoncelli, 8 Kontrabässe
deutend, daß es so schlimm nicht gemeint war.« Spieldauer: ca. 1 Stunde, 45 Minuten
Autograph: Partitur Richard-Strauss-Archiv Gar-
misch
Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1908, Nr. 5650;
Diskographischer Hinweis Studienpartitur: Berlin: Fürstner 1916 (Boosey &
Hawkes 1943?), Nr. 5650; Nachdruck der Studien-
i Birgit Nilsson (Salome), Eberhard Wächter partitur: Werke Bd. 4; Klavierauszug von Otto
(Jochanaan), Gerhard Stolze (Herodes), Grace Singer: Berlin: Fürstner 1908, Nr. 5654; Klavier-
Hoffman (Herodias), Wiener Philharmoniker, auszug, englische Übersetzung von Carl Besl:
Georg Solti (1962), Decca 6.35090 Berlin: Fürstner o. J., Nr. 5658; Klavierauszug,
i Cheryl Studer (Salome), Bryn Terfel (Jocha- französische Übersetzung von Henry Gauthier-
naan), Horst Hiestermann (Herodes), Leonie Villars und italienische Übersetzung von Ottone
Rysanek (Herodias), Orchester der Deutschen Schanzer: Berlin: Fürstner 1909, Nr. 5662; Text-
Oper Berlin, Giuseppe Sinopoli (1990), Deutsche buch: Berlin: Fürstner 1908, Nr. 5655
Grammophon 431 810–2
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 171

Entstehung mannsthal jedoch sprach sich in seiner Antwort


vom 27. April 1906 mit allem Nachdruck dafür
Elektra war das erste größere Werk, das Hugo von aus, »an der ›Elektra‹ festzuhalten, deren ›Ähnlich-
Hofmannsthal nach seiner »Sprachkrise« schrieb, keiten‹ mit dem Salome-Stoff mir bei näherer
über die er im »Chandos-Brief« (1902) reflektiert: Überlegung doch auf ein Nichts zusammenzu-
Zweifelnd, ob mit dem Wort verlässlich überhaupt schrumpfen scheinen. (Es sind zwei Einakter, jeder
noch etwas gesagt werden könne, baute Hofmanns- hat einen Frauennamen, beide spielen im Altertum
thal auf die Kraft der Gebärde, die ihm in ihrer und beide wurden in Berlin von der Eysoldt kre-
Unmittelbarkeit kommunikativ weitaus verläss- iert: ich glaube, darauf läuft die ganze Ähnlichkeit
licher als das Wort schien. Umsetzbar war dies hinaus.) Denn die Farbenmischung scheint mir in
gleichwohl nur im Zusammenwirken mit kon- beiden Stoffen eine so wesentlich verschiedene zu
genialen Schauspielern wie etwa Gertrud Eysoldt. sein: bei der ›Salome‹ soviel purpur und violett
Inspiriert durch ein Treffen mit ihr und Max gleichsam, in einer schwülen Luft, bei der ›Elektra‹
Reinhardt im Mai 1903 schrieb Hofmannsthal dagegen ein Gemenge aus Nacht und Licht,
seine Tragödie in einem Aufzug frei nach Sophok- schwarz und hell« (RSHH 19). Einen Renaissance-
les für die legendäre Schauspielerin, die ab Herbst stoff schloss Hofmannsthal kategorisch aus, denn
1903 die Titelrolle in Reinhardts Inszenierung in »jeder dichterisch schaffende Mensch unserer Zeit«
dessen Kleinem Theater in Berlin spielte. Richard werde »keine Epoche mit so präziser Unlust, ja mit
Strauss sah die Eysoldt in dieser Rolle erst 1905, sicherem Widerwillen aus seinem Schaffen aus-
nun im Deutschen Theater in Berlin, hatte sie schließen […], wie diese Epoche« (ebd., 20).
aber 1903 bereits als Salome gesehen. Bei der Einrichtung des Librettos ließ Hof-
Strauss und Hofmannsthal waren sich 1899 in mannsthal Strauss freie Hand. Beide standen in
Berlin bei Richard Dehmel erstmals begegnet. Briefkontakt, diskutierten die voranschreitende
Danach schickte Hofmannsthal Strauss sein Bal- Arbeit von Strauss, ohne dass Hofmannsthal je
lett Triumph der Zeit, aber es blieb vorerst bei ei- grundsätzliche Bedenken gegen dessen Vorgehens-
nem Gespräch darüber im März 1900 in Paris. weise vorgebracht hätte. Strauss ließ die Handlung
Erst 1906 fanden beide tatsächlich zu einer Zu- und die Szenenfolge unverändert, kürzte aller-
sammenarbeit, in deren Rahmen bis zum Tod dings die Hälfte des Dialogs. Dadurch habe er, so
Hofmannsthals 1929 sechs Opern entstanden. Von Michael Walter, »den Text Hofmannsthals ›linea-
der künstlerischen Verbindung zu Strauss ver- risiert‹ […], sexuelle Anspielungen entschärft, die
sprach sich Hofmannsthal ein Partizipieren »an psychologische Komplexität der Hauptfiguren
dessen Ruhm und finanziellen Einnahmen« (Lieb- und deren Charaktere, vor allem Chrysothemis,
scher 2005, 18), vor allem aber »eine stärkere vereinfacht«; außerdem »deliterarisierte« er den
Wirkung seines Werks« (Schlötterer 2005, 27), da Text, »kappte ihn um jenen Sinnüberschuss […],
die Musik als begriffslose Sprache ähnlich wie die der gerade seine literarische Qualität ausmachte
Gebärde Ausdrucksmöglichkeiten jenseits des […], um den Text als nacktes Gerüst zu verwen-
Wortes eröffnet. den, aus dem die Oper von Strauss werden
Zunächst musste Hofmannsthal jedoch die konnte« (Walter 2005, 54). Im Zuge seiner im
Zweifel ausräumen, die Strauss angesichts des Frühsommer 1906 begonnenen Arbeit an der
Elektra-Stoffs befielen. Er war keineswegs sicher, Komposition bat Strauss Hofmannsthal aus musi-
ob er »unmittelbar nach ›Salome‹ die Kraft« haben kalischen Erwägungen um einige Texterweiterun-
werde, »einen in Vielem derselben so ähnlichen gen: am 22. Juni 1908 beispielsweise um »ein paar
Stoff in voller Frische zu bearbeiten«, oder ob er schöne Verse« für die Musik der Erkennungsszene
»nicht besser tue, an ›Elektra‹ erst in einigen Jahren Elektra-Orest (RSHH 37 f.). Im selben Monat
heranzutreten, wenn ich dem Salomestil selbst viel kam es zu einer vertraglichen Regelung mit dem
ferner gerückt bin« (RSHH 17). Er bat Hofmanns- S. Fischer Verlag, in dem Hofmannsthals Theater-
thal im gleichen Brief vom 11. März 1906, ihm stück erschienen war. Am 11. September 1908
»einen der ›Salome‹ entfernteren Stoff«, am liebs- schloss Strauss die Komposition ab, am 22. Sep-
ten einen »Renaissancestoff«, zu überlassen. Hof- tember 1908 beendete er die Partiturniederschrift.
172 Opern und Ballette

Handlung Beil ausgräbt, mit dem Agamemnon ermordet


wurde, tritt Orest in den Hof. Er gibt vor, ein
Mykene, innerer Hof, begrenzt von der Rückseite Gefährte des toten Bruders gewesen zu sein. Zu-
des königlichen Palastes und niedrigen Gebäuden nächst erkennen die Geschwister einander nicht.
für die Diener, vorn links ein Ziehbrunnen, Aber die Erschütterung über Elektras erbarmungs-
Abenddämmerung würdigen Zustand treibt Orest dazu, seine Identi-
Aus dem trojanischen Krieg zurückkehrend, tät zu offenbaren. Schmerz und Verstörung, aber
war Agamemnon von seiner Gattin Klytämnestra auch selige Verzückung prägen das Wiedererken-
und ihrem Liebhaber Aegisth ermordet worden. nen. – Daraus wächst Orest die Kraft zu raschem
Seine Töchter Elektra und Chrysothemis werden Handeln zu. In Begleitung seines Pflegers betritt er
seitdem von ihrer Mutter wie Dienerinnen gehal- den Palast und erschlägt Klytemnästra. Die Mägde
ten; ihr Bruder Orest ist geflohen. Die Mägde be- sind in Aufruhr, Elektra in höchster Anspannung.
obachten furchtsam die dämonische Erscheinung Sie empfängt den heimkehrenden Aegisth und
Elektras, ihren Hass, ihr schlafloses, unbändiges geleitet ihn mit gespielter Freundlichkeit ins Haus,
Gemüt: Wie jeden Tag sucht sie um die Stunde, in wo auch er von Orest erschlagen wird. – Chryso-
der ihr Vater erschlagen wurde, die mystische themis ruft Elektra in den Palast zur Freudenfeier
Vereinigung mit ihm. Blutige Rache ist ihr Ziel. – um Orest, aber Elektra kann aus ihrer Introspek-
Nichts erreicht Elektra in ihrer Besessenheit, nicht tion nicht mehr herausfinden; wie eine Mänade
einmal die Warnung ihrer Schwester Chrysothe- tanzt sie sich zu Tode.
mis, sie solle als Mahnerin zum Schweigen ge-
bracht und in einen Turm gesperrt werden. In
unerbittlicher Distanz redet Elektra die Schwester
als Tochter ihrer Mutter an und empfindet keiner- Kommentar
lei Mitleid mit ihr, die aus dem Kerker des Palastes
heraus will, als Frau leben und Kinder gebären will Psychoanalyse
und nicht mehr an eine Rückkehr von Orest Anna Amalie Abert hat Elektra als »moderne psy-
glaubt. – Im Palast wird Aufruhr laut, Opfer wer- choanalytische Studie« (Abert 1972, 31) etikettiert:
den vorbereitet, denn Klytämnestra plagten wie- eine Einordnung von großer Wirkungskraft, ließ
derum Alpträume: Mutter und Tochter, beide sie sich doch problemlos ideengeschichtlich bestä-
psychisch zutiefst gepeinigt, treten einander ge- tigen und auf den Zeitkontext beziehen. Es bietet
genüber. Klytämnestra sucht ein Mittel, ihren sich an, auf eine Nähe zu den Überlegungen von
Träumen zu entkommen. Das rechte Blutopfer, Josef Breuer und Sigmund Freud zu verweisen,
von einem Mann mit einem Beil vollstreckt, werde und es ist Konsens, dass Hofmannsthal Freuds
sie befreien, antwortet ihr Elektra und lenkt das Studien über Hysterie (1895) kannte. Ob er sie aller-
Gespräch auf Orest, dessen Rückkehr sie ersehnt, dings unmittelbar in seine Arbeit an Elektra einbe-
die Mutter hingegen fürchtet. – Es kommt die zog, ja sogar »im Vorfeld seiner Arbeit […] als
Kunde, Orest sei tot. Klytämnestra triumphiert, Quellenmaterial benutzte« (Müller-Funk 2001,
Elektra will es nicht glauben, aber Chrysothemis 173) oder erst 1904, also nachdem er Elektra ge-
weiß Details zu berichten, die keinen Zweifel an schrieben hatte, las, ist nicht abschließend geklärt.
Orests Tod zulassen. Chrysothemis bricht verzwei- Zweifellos wird von Hofmannsthal und Strauss
felt zusammen, nicht jedoch Elektra: Sie sieht es eine Protagonistin in psychischen Extremsituatio-
nun als alleinige Aufgabe der Schwestern, den Tod nen gezeigt, dennoch ist Vorsicht gegenüber einfa-
des Vaters an Klytämnestra und Aegisth zu rächen, chen Pathologisierungen geboten: Wenn Jürgen
appelliert an Chrysothemis’ Kraft, kann sie aber Schläder in Elektra »unverkennbare Züge einer
nicht zum Mittun bewegen. Diese bittet Elektra pathologischen Studie, gar im Sinn der Hysterisie-
vielmehr, ihre Klugheit dafür einzusetzen, dass rung des antiken Mythos« (Schläder 1997, 91)
beide aus dem Palast in die Freiheit entkommen ausmacht, dann evoziert er das »Drama der sexuell
können. Elektra verflucht die Schwester. Sie will unbefriedigten, körperlich wie seelisch gelähmten
selbst Vergeltung üben. – Als sie das verscharrte Frau im überlebensgroßen Schatten des Vaters«,
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 173

das aufzulösen die Psychoanalyse seit Freud sich als Orientierungsmuster dienen können« (Wer-
zur Aufgabe machte und das als »Vorführung der beck 2005, 17). Strauss folgte Hofmannsthals An-
Hysterikerin in Literatur, Kunst und Oper« Raum tikenrezeption, berief sich auf seine Liebe zu
griff (Müller-Funk 2001, 173). Was aber wird in Griechenland und zur Antike und stilisierte sich
Elektra, dieser Geschichte über »eine junge Frau, zum ›griechischen Germanen‹. Salome und Elektra
deren Mutter mit dem Mörder ihres Vaters zusam- waren für ihn in diesem Kontext angesiedelt, wie
menlebt, der sie überdies bedroht« (ebd., 181), er in seinen Erinnerungen darlegt: »Anfangs
verhandelt? Elektra (wie auch Salome) lässt »sich schreckte mich aber der Gedanke, daß beide Stoffe
nicht durch die Dominanz hysterischer Symptome in ihrem psychischen Inhalt viel Ähnlichkeit hat-
charakterisieren«, wie sie Freud und Breuer »ding- ten, so daß ich zweifelte, ob ich ein zweites Mal
fest machen. […] Elektra und Salomé verdrängen die Steigerungskraft hätte, auch diesen Stoff er-
nicht, sie gehen aufs Ganze, weil sie sich erinnern. schöpfend darzustellen. Jedoch der Wunsch, dieses
Ihre Überreaktion, ihr[en] Zorn und ihre Wut dämonische, ekstatische Griechentum des 6. Jahr-
verdanken sie Kränkungen und Verletzungen, die hunderts Winckelmannschen Römerkopien und
stets gewußte sind« (ebd., 175). Die Einhelligkeit Goethescher Humanität entgegenzustellen, ge-
der psychopathologischen Rezeption von Elektra wann das Übergewicht über die Bedenken […]«
in Wissenschaft und Publizistik hat einen Ur- (Strauss 1981, 230). Es ist dieser ideengeschichtli-
sprung in der Selbstauslegung von Strauss. In sei- che Zusammenhang, aus dem heraus Strauss
nen Betrachtungen und Erinnerungen schreibt er, »Konstanten des Mythos« künstlerisch aufgreift:
Elektra verhalte »sich zu ›Salome‹, wie der vollen- »Der ›Kampf der Geschlechter‹, der Konflikt zwi-
detere, stileinheitlichere ›Lohengrin‹ zum genialen schen der vordergründigen, realen, kontingenten
Erstlingswurf des ›Tannhäuser‹. Beide Opern ste- Existenz und dem eigentlichen, von ganzem Ver-
hen in meinem Lebenswerk vereinzelt da: ich bin stehen geprägten Leben, die Präsenz des Fremden,
in ihnen bis an die äußersten Grenzen der Harmo- Ungreifbaren in der eben nicht glatten, eindimen-
nik, psychischer Polyphonie (Klytämnestras sionalen Gegenwart, der Gegensatz zwischen Tod
Traum) und Aufnahmefähigkeit heutiger Ohren und Leben: Das sind Antinomien, die der Künst-
gegangen« (Strauss 1981, 230). Ausdrücklich be- ler in seinen Werken austrägt und auf höherer
zieht sich Strauss auf Klytämnestra. Was ihr galt, Stufe neu verbindet, um dem Zerfall der Welt in
wurde unhinterfragt auf Elektra übertragen. vereinzelte Individuen ihre Einheit entgegenzuset-
zen« (Werbeck 2005, 18).
Auch im Hinblick auf die Formanlage von
Antikenrezeption
Elektra fokussierten Publizistik und Forschung,
Die ideengeschichtliche Nähe zur Psychoanalyse eine Bemerkung von Strauss aufgreifend, das Ex-
überblendete eine andere Verankerung von Elek- altierte: Strauss spricht in seinen Erinnerungen
tra – nämlich die der Antikenrezeption: Hof- von »der Gewalt der Steigerungen« in Elektra und
mannsthal ging es im Einvernehmen mit Max führt aus, er habe in »Hofmannsthals genialer
Reinhardt und Gertrud Eysoldt in seinem Thea- Dichtung […] den glänzenden Operntext (der es
terstück nicht um eine klassische, sondern eine nach meiner Umarbeitung der Orestszene tatsäch-
archaisch-rauschhafte Antike, wie sie durch Fried- lich geworden ist)« ebenso erkannt wie »die gewal-
rich Nietzsches Über die Geburt der Tragödie aus tige musikalische Steigerung bis zum Schluß: in
dem Geiste der Musik (1872) aufgerufen worden ›Elektra‹ nach der nur mit Musik ganz zu erschöp-
war. Hofmannsthals Neudeutung des antiken fenden Erkennungsszene der erlösende Tanz […]«
griechischen Mythos gründete in der Überzeu- (Strauss 1981, 229 f.). Um diese Formverlaufsvor-
gung, der Mythos verbürge »Ordnung im Chaos stellung realisieren zu können, bat er Hofmanns-
der realen Welt (sei es die Vorkriegswelt des Fin de thal um textliche Ergänzungen: Er müsse »Mate-
Siècle mit ihren zerfallenden Ordnungen, sei es rial haben, um beliebig steigern zu können. 8, 16,
die neue Ordnungen suchende Welt nach dem 20 Verse, soviel Sie können, und alles in derselben
Krieg)« – und dies kraft zeitloser »Konstellationen ekstatischen Stimmung, immer sich steigernd«,
menschlichen Lebens, die immer aktuell sind und schreibt er am 22. Juni 1908 (RSHH 37). Abert
174 Opern und Ballette

lenkte dem folgend die Aufmerksamkeit auf die aufgegriffen wird, so dass die Szenen-Symmetrie
nicht mehr überbietbare und ertragbare Steige- motivisch-thematisch bekräftigt wird. Somit ver-
rung (Abert 1972, 32), Derrick Puffett sprach von schränken sich in Elektra verschiedene Formbil-
einer Klimax nach der anderen (Puffet 1989, 36), dungsverfahren miteinander: Die Großform ist
Schlötterer von Atemlosigkeit und einer »von Ergebnis von Symmetriebildung, Kontrastbildung
Anfang bis Ende durchgehaltenen Spannung« von Szenen, thematisch-motivischen Verknüpfun-
(Schlötterer 2005, 26). gen und Steigerungsverläufen. Sie basiert also auf
geschlossenen und offenen Formen. »What we are
dealing with is really a new kind of form, one in
Struktur
which both symmetry and a continuous crescendo
Die Blicke waren so sehr auf die Steigerungsexal- have their place. Such ideas are not incompatible,
tation fokussiert, dass von der klaren strukturellen as superficially they might seem to be, because in
Konzeption von Strauss’ Einakter eher en passant music drama closed and open structures can co-
die Rede ist. Wäre Elektra ein Werk eines Kompo- exist: indeed it is from their coexistence, from the
nisten der zweiten Wiener Schule, lägen vor allem alternation and overlapping of the complete and
Studien zur symmetrischen Formanlage der sieben the incomplete, that the work derives its sense of
Szenen dieses Einakters vor. Mahler, Strauss, ›unpredictable inevitability‹« (Puffett 1989, 38).
Schönberg, Berg, Webern – jeder von ihnen rang Die innovative Kraft von Strauss liegt in der
um kompositorische Lösungen zur Verschränkung Kombinatorik vielfältiger Formbildungsverfahren,
von Ausdrucksunmittelbarkeit und kompositori- nicht im Erfinden neuer Mittel (wie Schönberg es
scher Strukturierung, zur Vermittlung also zwi- mit der Zwölftontechnik tat). Auch für die Form-
schen den beiden Polen, die Ernst Bloch in seinem bildung im Detail greift er traditionelle Modelle
Begriff der ›Expressionslogik‹ verbindet. Aber die auf und übernimmt die Kategorien Rezitativ und
produktionsästhetische Komplexität des Austarie- Arie. Strauss legt »bei dialogischen Abschnitten
rens zwischen den Ebenen von Expression und eine Rezitativ-Haltung zugrunde« und leitet »aus
Konstruktion findet in den rezeptionsästhetischen einem längeren zusammenhängenden Text […]
Fokussierungen – entweder auf die Konstruktion geschlossene Musiknummern« ab (Schlötterer
(am deutlichsten im Fall von Webern) oder auf die 2005, 32), von Schläder als »dialogische Aktion
Expression (wie im Fall von Elektra) – keine Ent- und lyrische Exaltation« (Schläder 1997, 93) be-
sprechung. zeichnet.
Im Zentrum der zweiteiligen, symmetrischen
Großform von Elektra steht die Szene von Elektra
Instrumentale Charakterisierung der Elektra
und Klytämnestra. Mägdeszene, Elektras Mono-
logszene und die erste Dialogszene von Elektra Die innovative musikdramatische Kraft von
und Chrysothemis führen zu diesem Zentrum hin Strauss liegt darüber hinaus vor allem in der Cha-
und finden symmetrische Entsprechung in der rakterisierung von Einzelpersonen: Schon in
zweiten Dialogszene von Elektra und Chrysothe- Guntram erwuchs das dramatische Geschehen aus
mis (in welcher Elektra von ihrer Schwester er- dem Singen der Protagonisten. Dieser für Strauss
fährt, dass Orest tot ist, und sich daraufhin ent- spezifische Ansatz, der in Guntram noch dispro-
scheidet, selbst den Rachemord zu begehen), der portioniert war, ist in Elektra souverän ausgeprägt
Dialogszene von Elektra und Orest und dem Fi- und verdichtet. Im Hinblick auf weitere Opern-
nale. Zwischen Elektras visionärer Reflexion im pläne bat Strauss Hofmannsthal am 22. Dezember
ersten Teil und ihrer Realisation der Tat im zwei- 1907 um ein »Drama mit wenig Massenszenen,
ten Teil, das hat Julia Liebscher (Liebscher 1991, aber zwei bis drei sehr guten, ausgiebigen Rollen«
243 f.) deutlich herausgearbeitet, steht ein als (RSHH 32). Auch bezüglich von Aktschlüssen
Schlusspunkt komponierter Moment des Um- sprach er sich gegen Massenszenen ebenso wie
schwungs, nachdem motivisches Material (Aga- große Ensembles aus und plädierte stattdessen für
memnon-Motiv, Beil-Motiv, Klytämnestra-Motiv, »Soloszenen oder Liebesduette, entweder mit ju-
Aegisth-Motiv) in derselben Reihenfolge wieder belnden Fortissimo- oder ganz poetisch ausklin-
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 175

genden Pianissimo-Schlüssen« (ebd., 31). Strauss Punkten der Handlung nicht singt, sondern das
setzte in einem gleichsam monodramatischen Orchester ihre Charakterisierung übernimmt.
(und durchaus mit Schönbergs Erwartung ver- Strauss hat gerade die Momente des Übergangs, in
gleichbaren) Sinn auf die Charakterisierung seiner denen Elektra ihre wortlosen Isolierung verlässt, in
Bühnenfiguren. In Elektra galt sein Augenmerk den Dialog mit ihrer Schwester oder ihrer Mutter
der ständig auf der Bühne präsenten Elektra sowie eintritt und inne wird, dass Orest vor ihr steht,
den starken Kontrasten zwischen den drei Frauen- musikalisch auf besondere Weise gestaltet: Zu
figuren: »Hofmannsthals Entwurf der Figuren- Beginn ihres ersten großen Monologs, beginnend
konstellation Elektra, Chrysothemis und Kly- mit »Allein! Weh, ganz allein«, markiert der bi-
tämnestra, die je unterschiedliche, radikale und tonale Elektra-Akkord den dramatischen Wende-
zugleich nahe verwandte Gegensätze, ego-alter- punkt: »Der Elektra-Akkord steht am Anfang und
ego-Beziehungen, zueinander konstituieren, for- Ende des Monologs, er wird weder eingeführt,
dert, Strauss sehr entgegenkommend, die Kompo- aufgelöst, noch kommt er ans Ziel. Als Dissonanz
sition von gegensätzlichen musikalischen Welten ist er allein Mimesis der einsamen Seelenverfas-
heraus, die zugleich im Geheimen miteinander sung […]. Sowie sich Elektra aus der Erstarrung in
verbunden sind: […]« (Schnitzler 2005, 34). ihrem Akkord löst, äußert sie sich nicht in Frei-
Elektra hat nahezu jede Beziehung zu den heit, sondern gebunden an das Orchester, dessen
Menschen verloren. Das Band der Sprache ist Klänge die Farben ihrer traumatischen Erinnerun-
durchtrennt. Sie ist zu Beginn und Ende des Ein- gen tragen« (Gerlach 1990, 400). Musikdrama-
akters wortlos und nur noch körperlich unter den tisch noch weiter zugespitzt hat Strauss den Mo-
Menschen. Und selbst ihr Körper erscheint den ment, in dem Elektra mit einem lauten Schrei er-
Mägden in der ersten Szene nicht mehr men- kennt, dass es Orest ist, der vor ihr steht: mit
schenähnlich; einem Tier gleich springt sie vor einem elftönig-dissonanten ff-Klang sämtlicher
den Mägden zurück. Strauss gibt diesem pantomi- Bläser (Zi. 144a). Wieder ist es ein Orchesterzwi-
mischen Auftreten Raum in einer kurzen, aber schenspiel (»Sehr schnell«), mit dem Strauss Ein-
musikalisch äußert plastischen Orchesterpassage blick in das Innere der Protagonistin gibt: Er
(Zi. 1). Später gräbt Elektra »lautlos wie ein Tier« wolle, so schreibt er am 22. Juni 1908 an Hof-
nach dem Beil – auch dies im Orchester in einem mannsthal, an dieser Stelle »ein zärtlich bebendes
prägnanten Abschnitt »äußerst schnell« (Zi. 110a) Orchesterzwischenspiel einfügen, während Elektra
vermittelt. Selbst ihr Bruder erkennt sie anfangs den ihr wiedergeschenkten Orest betrachtet«
aufgrund ihrer furchtbaren, menschenunähnli- (RSHH 36). In diesem Zwischenspiel reduziert
chen Verfassung nicht. Sie ist eine aus dem Leben Strauss den dissonanten Klang und moduliert
bereits fast ganz Verschwundene, die ihre Weib- zum As-Dur des nachfolgenden »sehr ausdrucks-
lichkeit hinter sich gelassen hat. Deshalb verachtet vollen« liedhaften Gesangs von Elektra, in dem sie
sie ihre Schwester Chrysothemis, die an ihrer das ihr geschenkte Traumbild besingt. »Das Lied
Weiblichkeit hängt und (weiter-)leben will. Elek- Traumbild hat eine über Hofmannsthals Sprach-
tras Dasein ist, fixiert auf den ungesühnten Mord form (die schon einfach ist) noch hinausgehende
an ihrem Vater Agamemnon, aus der Zeit gefallen. einfache musikalische Form. In ein variiertes
Sie lebt ohne Bezug zur Gegenwart. Unausweich- Strophenlied, dessen Faktur in den begleitenden
lich ist ihr Ende, an dem sie ihre Sprache end- Instrumenten realisiert ist, ist die Singstimme frei
gültig preisgibt und ihren Körper in tanzender hineinkomponiert« (Gerlach 1990, 410).
Ekstase zu Tode bringt – von Strauss in einer Es ist diese kompositorische Souveränität in
meisterhaft instrumentierten Orchesterpassage der Vermittlung zwischen Orchester und Gesang
(von Zi. 247a an) auskomponiert, welche alle in wie zwischen extremen Ausdrucksgegensätzen, die
der großen Besetzung zu Gebote stehende Farbig- die Partitur von Elektra auszeichnet. So heben sich
keit nutzt. die lichtere Sphäre von Chrysothemis und die von
Es führt ins Innerste des Einakters, dass die Grauen erfüllte Sphäre der von den Qualen schlaf-
Protagonistin, deren Rolle zu den schwierigsten loser Nächte umgetriebenen Klytemnästra musi-
Sopranpartien überhaupt zählt, an wesentlichen kalisch so deutlich voneinander ab, dass es des
176 Opern und Ballette

gesungenen Wortes kaum bedarf, und auch be- Wirkung


züglich Orests sind es Strauss’ kompositorische
Fähigkeiten, die dieser Figur orchestral Profil- Strauss konnte mit Elektra zwar nicht den sensa-
schärfe geben. Seine Worte an die Schwester »Laß tionellen Erfolg der Salome wiederholen, dennoch
den Orest«, gesprochen noch vor der gegenseitigen hat auch diese Oper eine Wirkungsgeschichte, die
Erkenntnis (Zi. 130a), hat Strauss »durch sinfoni- diejenigen anderer zeitgenössischer Gattungsbei-
sche Mittel – besonders eindrucksvoll die lapidar- träge weit hinter sich lässt. Dass Strauss sich mit
konsonanten Akkorde der Wagner-Tuben – in einer Salome als Opernkomponist nicht nur fest eta-
großen musikalischen Einheit zusammengefasst bliert, sondern einen exzeptionellen Rang einge-
und in eine eigene klangliche Aura eingetaucht«. nommen hatte, zeigt sich in der überraschenden
Auch das »an den Anfang gerückte ›Ich muß hier Tatsache, dass Elektra nach der Uraufführung am
warten‹ des Orest [vor Zi. 125a] und die im weite- 25. Januar 1909 in Dresden (Dirigent: Ernst von
ren großflächig ausgearbeitete lamentoartige Me- Schuch, Regie: Georg Toller; Elektra: Annie Krull,
lodik haben […] dem Ganzen eine Monumenta- Klytämnestra: Ernestine Schumann-Heink, Chry-
lität verliehen, wie sie dem Sprechtheater nicht sothemis: Margarethe Siems) bereits bis Juni des-
erreichbar ist« (Schlötterer 2005, 41). selben Jahres an zwölf weiteren Theatern sehr
Anna Amalie Abert hat für das enorme instru- verschiedener Größe Premiere hatte: Frankfurt am
mentale Charakterisierungsvermögen von Strauss Main (Ludwig Rottenberg, Christian Krähmer;
den sehr plastischen Begriff der »visuellen Klang- Paula Doenges, Leonore Sengen, Elsa Schweitzer),
lichkeit« aus Fritz Gysis Strauss-Biographie von München (Felix Mottl, Anton Fuchs; Zdenka
1934 übernommen (Abert 1972, 34). Visuelle Faßbender, Margarete Preuse-Matznauer, Maude
Klanglichkeit meint einerseits die äußerst farbigen Fay), Berlin (Leo Blech, Georg Droescher; Thila
Klangmischungen, die Strauss auf dem Wege dif- Plaichinger, Marie Goetze, Frances Rose), Elber-
ferenziertester Instrumentenkombinationen des feld (Hermann Hans Wetzler, Georg Thoelke;
mehr als 100 Spieler umfassenden Orchesters er- Maria Dossow, Claudia von Radkiewicz, Vally von
zielt, meint andererseits die zahlreichen Orches- der Osten), Barmen (Victor Wolfgang Schwarz,
terpassagen und -zwischenspiele, die gleichwohl Theodor Rittersberg; Maria Gärtner, Mary Melan,
nicht nur einen vordergründig affektiven Sinn Margarete Sommerfeld-Kuthan), Hamburg (Gus-
haben, sondern auch einen dramaturgischen, wie tav Brecher, Siegfried Jelenko; Edyth Walker,
ihn Liebscher herausgearbeitet hat: Elektra, so ihr Ottilie Metzger-Lattermann, Luise Petzl), Breslau
Fazit, ist »einem formalen Diminutionsprinzip (Julius Prüwer, Hugo Kirchner; Franchette Ver-
unterworfen, das die Unaufhaltsamkeit der Ent- hunk, Martha Schereschewsky, Rose Mac-Grew),
wicklung in der Verkleinerung der Handlungsseg- Wien (Hugo Reichenberger, 1910 auch Strauss
mente spiegelt. Die Kurzatmigkeit, die dem Werk selbst, Wilhelm von Wymetal, Alfred Roller; Lu-
pejorativ unterstellt wurde, die gegen Ende zu cille Marcel, später Marie Gutheil-Schoder, Anna
immer stärker werdende innere Spannung Elek- Bahr-Mildenburg, Lucie Weidt), Hannover (Boris
tras, die rastlose Getriebenheit, mit der sie dem Bruck, Mathieu Derichs; Gertrude Kappel, Mar-
kommenden Ereignis entgegenfiebert, zeigt sich tha Hammerstein, Gabriele Müller), Mailand (in
[…] auch in den Abständen der Orchesterzwi- italienischer Übersetzung von Ottone Schanzer:
schenspiele. Während sie in Teil I [Zi. 1–275] als Edoardo Vitale, Vittorio Mingardi; Solomija Kru-
großflächige Ruhepunkte zwischen den einzel- sceniski, Eleonora de Cisneros, Linda Cannetti),
nen Szenenkomplexen und somit als gliedernde Graz (Rudolf Gross, Emmerich Walter; Jenny
Elemente angesiedelt sind, brechen sie in Teil II Korb, Else Bengell, Bertha Runge), Köln (Otto
[Zi. 1a–262a], Elektras steigende Spannung nach- Lohse, Max Martersteig; Zdenka Faßbender, Mar-
zeichnend, eruptiv, und deshalb unregelmäßig garete Preuse-Matzenauer, Margarethe Siems).
hervor« (Liebscher 1991, 245). Im Herbst 1909 folgten Erstaufführungen in
Düsseldorf und Stettin, 1910 an der Manhattan
Opera in New York (Henriquez de la Fuente,
Jacques Coini; Mariette Mazarin, Mignon Dunn,
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 177

Alice Baron), in Leipzig, in Philadelphia als Gast- Erna Schlüter, in Wien 1956 unter Karl Böhm mit
spiel aus New York, in Den Haag (Richard Strauss, Christel Goltz und vor allem Wieland Wagners
Christian Krähmer; Thila Plaichinger, Ottilie Inszenierung in Wien 1965: ebenfalls unter der
Metzger-Lattermann, Luise Petzl), in London musikalischen Leitung von Karl Böhm mit Birgit
(Thomas Beecham, Willi Wirk; Edyth Walker, Nilsson.
Anna Bahr-Mildenburg, Frances Rose), in Buda- Hofmannsthal hat in seinen »Szenische[n]
pest (in ungarischer Übersetzung von Sándor Vorschriften zu ›Elektra‹« (1903) genaue Angaben
Várady: István Kerner, Kálmán Alszeghy; Teréz zu Bühne, Beleuchtung und Kostümen gemacht:
Krammer, Aranka Fodro, Sára Sebeök), in Bremen Das Bühnenbild denkt er sich frei von Säulen und
(Gustav Brecher, Siegfried Jelenko; Edyth Walker, »breiten Treppenstufen«, also all jenen »antikisie-
Ottilie Metzger, Luise Petzl), in Boston ebenfalls renden Banalitäten, welche mehr geeignet sind, zu
als Gastspiel aus New York, am Národni Divadlo ernüchtern als suggestiv zu wirken. Der Charakter
in Prag (in tschechischer Übersetzung von Karel des Bühnenbildes ist Enge, Unentfliehbarkeit,
Kovařovic: Karel Kovařovic; Anna Slavíková, Olga Abgeschlossenheit. Der Maler wird dem Richtigen
Valouškova, Amalie Bobkova) und unmittelbar eher näherkommen – andeutungsweise –, wenn er
danach auch am Neuen Deutschen Theater in sich von der Stimmung, die der bevölkerte Hof
Prag (Ernst von Schuch, Georg Toller; Annie eines Stadthauses an einem Sommerabend bietet,
Krull, Irene von Chavanne, Margarethe Siems), in leiten läßt« (Hofmannsthal 1979, 240). Und auch
Brüssel (Sylvain Dupuis, E. Merle-Forest; Claire die Kostüme sollen »jedes falsche Antikisieren so-
Friché, Claire Croiza, Mary Béral) und in Stutt- wie auch jede ethnographische Tendenz« aus-
gart (Max von Schillings, Emil Gerhäuser; Sofie schließen. »Elektra trägt ein verächtliches elendes
Cordes, Luise Tornauer-Hövelmann, Hedy Ira- Gewand, das zu kurz für sie ist. […] Klytämnestra
cema-Brügelmann). Innerhalb kurzer Zeit hatten trägt ein prachtvolles grellrotes Gewand. Es sieht
also 23 europäische und amerikanische Theater aus, als wäre alles Blut ihres fahlen Gesichtes in
das neue Werk gespielt. dem Gewand. Sie hat den Hals, den Nacken, die
Bis Ende 2000 hat Günther Lesnig 469 Insze- Arme bedeckt mit Schmuck. Sie ist behängt mit
nierungen, Wiederaufnahmen, Neueinstudierun- Talismanen und Edelsteinen« (ebd., 242). Die
gen, Gastspiele sowie 53 konzertante Produktionen Regisseure und Bühnenbildner griffen diese Vor-
mit ungefähr 5.100 Aufführungen in 34 Ländern stellungen »bis in die 60er Jahre hinein« auf sehr
nachgewiesen (Lesnig 2010, 226–323): Die russi- selektive Weise auf, indem sie »Enge, Unentflieh-
sche Erstaufführung brachte Vsevolod Meyerhold barkeit und Abgeschlossenheit« visualisierten: Es
1913 am Mariinsky teatr in Sankt Petersburg finden sich die »mächtige Quaderstruktur eines
heraus, die schweizerische Erstaufführung Hans Bollwerks, die Tempelstruktur mit Säulen und vor
Rogorsch 1916 im Stadttheater in Zürich. Die ar- allem die gliedernde Anlage von Tempelfluchten
gentinische Erstaufführung unter der musikali- […]. Die bedrückende Last und unheilvolle
schen Leitung von Richard Strauss kam 1923 im Wucht einer tragischen Antike bestimmten die
Teatro Colon in Buenos Aires heraus, die franzö- Bühnenbilder und nicht die soziale Komponente
sische Erstaufführung folgte relativ spät 1932 an einer verkommenen Hinterhofatmosphäre. Ent-
der Opéra in Paris unter der musikalischen Lei- sprechend gestaltete man auch die Kostüme seit
tung von Philippe Gaubert. Im gleichen Jahr diri- der Uraufführung in einer zeitlos antikisierenden
gierte Artur Bodanzky die Erstaufführung an der oder gar in detailgetreu griechischer Weise« (Schlä-
Metropolitan Opera New York. Gab es im Jahr- der 1997, 94).
zehnt zwischen 1941 und 1950 nur 23 Neuproduk- Erst in den 1970er Jahren erweiterte sich das
tionen, so ist in den 1950er Jahren eine Zunahme Spektrum der gezeigten Bühnenräume, einerseits
an Inszenierungen zu verzeichnen (bis hin zu in Richtung einer stärkeren Orientierung an Hof-
70 Premieren zwischen 1991 und 2000), darunter mannsthals Vorschriften wie in August Everdings
herausragende Produktionen wie in München legendärer Inszenierung 1973 in Hamburg (Büh-
1952 unter Leitung von Georg Solti mit Inge nenbild: Andrzej Majewski, Dirigent: Karl Böhm;
Borkh, in London 1953 unter Erich Kleiber mit Birgit Nilsson, Astrid Varnay, Leonie Rysanek),
178 Opern und Ballette

die bis in die 1990er Jahre mehrfache Wiederauf- Hardy (Rollendebüt 1986 in Augsburg), Hildegard
nahmen oder Neueinstudierungen erfuhr, ande- Behrens (Rollendebüt 1987 in Paris) und Gabriele
rerseits in stärker experimentierenden Regiethea- Schnaut (Rollendebüt 1992 in Paris). In der Rolle
terlösungen wie Hans-Peter Lehmanns Inszenie- der Klytämnestra wurde vor allem Anna Bahr-
rung 1974 in Nürnberg (Dirigent: Hans Gierster; Mildenburg (Rollendebüt 1909 in Wien) gefeiert,
Brenda Roberts, Dunja Vejzovic, Maria de in der Rolle der Chrysothemis die als ausgespro-
Francesca-Cavazza), die Elektra in einem weiß chene Strauss-Sängerin geltende Viorica Ursuleac
gekacheltem Schlachthaus ansiedelte. (Rollendebüt 1927 in Frankfurt).
Zu den Regisseuren, die sich mehrfach mit der Zu den herausragenden Dirigenten der Elektra
Oper auseinandersetzten, zählen Lothar Waller- zählen Karl Böhm (er dirigierte die Oper 115 Mal
stein (Frankfurt, Wien und Mailand 1932; Salz- zwischen 1932 und 1977), Heinrich Hollreiser
burger Festspiele 1934 und Neuinszenierung 1937), (über 100 Mal), Richard Strauss (100 Mal zwi-
Harry Kupfer (Graz 1973; Rotterdam, Amsterdam schen 1909 und 1939) und Berislav Klobučar (ca.
und Scheveningen 1977; Cardiff mit Gastspielen 80 Mal). Auch Herbert von Karajan (1938 in
in Birmingham, Bristol, Oxford 1978; Berlin, Aachen, 1940 in Berlin und 1964 bei den Salzbur-
Komische Oper 1980; Stuttgart 1989; Wien als ger Festspielen) und Claudio Abbado (1986 in
Co-Produktion mit den Salzburger Festspielen Wien und Salzburg mit Eva Marton, Brigitte
1989) und Ruth Berghaus (Berlin, Deutsche Fassbaender, Cheryl Studer und 1996 in Florenz
Staatsoper 1967; Mannheim 1980; Dresden 1986; mit den Berliner Philharmonikern als Co-Produk-
Berlin, Deutsche Oper 1990; Dresden 1998). Als tion der Salzburger Festspiele mit Deborah Pola-
erste Frau hat Marie Gutheil-Schoder Elektra in- ski, Marjana Lipovšek, Karita Mattila) dirigierten
szeniert: Nach ihrem Rollendebüt als Elektra 1914 Elektra.
in Wien übernahm sie 1927 an der Staatsoper in Unter den Dirigenten war neben Karl Böhm
Dresden erstmals die Regie. 1933 folgte ihre Regie vor allem Clemens Krauss der zentrale Mitstreiter
für die Staatsoper Unter den Linden in Berlin: bei der Durchsetzung der Strauss’schen Opern:
Rose Pauly (Elektra), Margarete Klose (Klytäm- Bereits 1924 bei seiner Berufung als Operninten-
nestra) und Viorica Ursuleac (Chrysothemis) dant in Frankfurt galt er als einer der bedeutends-
sangen hier unter der musikalischen Leitung von ten Strauss-Dirigenten. Von dieser Zeit an setzte
Wilhelm Furtwängler. er sich systematisch für die Opern von Strauss ein,
Die Titelpartie mit ihrer enormen sängerischen wie in Briefen umfänglich dokumentiert ist. Am
und durch den Tanz auch darstellerischen Heraus- 9. Oktober 1926 etwa sicherte Krauss Strauss brief-
forderung ging in den Anforderungen noch über lich einerseits zu, Lothar Wallerstein als Regisseur
die Partie der Salome hinaus – und dies auch und für Intermezzo von Frankfurt nach Wien auszulei-
vor allem durch die nahezu durchgehende Präsenz hen, und umriss andererseits seine Pläne für ein
von Elektra auf der Bühne. Birgit Nilsson, die die Strauss-Festspiel im Frühjahr 1927: »Wir haben
Partie nach ihrem Rollendebüt in Stockholm 1965 hier sofort als eine der ersten Neueinstudierungen
über 120 Mal gegeben hat, sang aus Kräftegründen die Salzburger ›Ariadne‹ herausgebracht, vielfach
nie mehr als 4 Vorstellungen hintereinander. Auch verbessert, und damit einen sehr grossen künstle-
Inge Borkh (Rollendebüt 1950 in Bern), Christel rischen Erfolg gehabt. Wenn nun nach Weihnach-
Goltz (Rollendebüt 1951 in Buenos Aires), Daniza ten noch ›Elektra‹ herauskommt, sind die künstle-
Mastilovic (Rollendebüt 1971 in Frankfurt), Ute rischen Voraussetzungen für ein erstes Strauss-
Vinzing (Rollendebüt 1976 in Hannover), Gwy- Festspiel in Frankfurt a. M. im Frühjahr, glaube
neth Jones (Rollendebüt 1983 in Köln) und De- ich, gegeben. Es könnten in vollständig neuer In-
borah Polaski (Rollendebüt 1984 in Darmstadt) szenierung ›Salome‹, ›Ariadne‹, ›Elektra‹, ›Inter-
sangen die Titelpartie rund 100 Mal, gefolgt von mezzo‹ und ›Rosenkavalier‹ (letzterer mit einer
Astrid Varnay (Rollendebüt 1949 in New York), neuen Saaldekoration für den 2. Akt) aufgeführt
Gladys Kuchta (Rollendebüt 1961 in Berlin), Ur- werden. Wenn ich noch einiges Geld bekomme,
sula Schröder-Feinen (Rollendebüt 1972 in Berlin), würde ich auch ›Frau ohne Schatten‹ teilweise er-
Janis Martin (Rollendebüt 1984 in Zürich), Janet neuern können« (RSCK 38).
12. Guntram – Feuersnot – Salome – Elektra 179

Als Krauss 1929 nach Wien ging, mit Lothar Wal- fehlt auch eine erstklassige Elektra!« (ebd., 169).
lerstein im Gefolge, versicherte er Strauss am Auf der anderen Seite geizte Strauss nicht mit
8. Juni, er werde »der Festigung Ihrer Werke im Anerkennung und formulierte immer wieder sei-
Wiener Repertoire und später der Neugestaltung nen Dank: »Ihre andauernden liebevollen Bemü-
derselben« seine »ganz besondere Liebe entgegen- hungen, meine Werke durch mehr und mehr
bringen« (ebd., 56). Auf allen Stationen seines vollendete Aufführungen zu immer größerem
weiteren Weges nahmen die Aufführungen von Verständnisse bei Publikum und Presse zu brin-
Strauss’ Opern einen zentralen Rang ein, wobei gen«, so schreibt er am 9. März 1935, »erwecken
sich bei der Lektüre des Briefwechsels gelegentlich mir stets ein neues Gefühl aufrichtiger Dankbar-
die Frage stellt, ob Krauss das selbst so wollte, oder keit« (ebd., 185).
ob er von Strauss dazu permanent animiert wurde.
Strauss jedenfalls ließ Krauss einfach nicht aus,
drängte immer wieder auf Aufführungen seiner
Werke und saß dem Dirigenten mit seinem An- Diskographischer Hinweis
spruch stets im Nacken. Wechselte Krauss an eine
andere Bühne, hatte er prompt einen Brief von i Inge Borkh (Elektra), Marianne Schech (Chry-
Strauss auf dem Schreibtisch. Krauss hatte sein am sothemis), Jean Madeira (Klytämnestra), Dietrich
1. Januar 1935 beginnendes Amt als Direktor der Fischer-Dieskau (Orest), Fritz Uhl (Aegisth),
Berliner Staatsoper noch nicht angetreten, da Staatskapelle Dresden, Karl Böhm (1961), Deut-
fragte Strauss ihn am 21. Dezember 1934 bereits, sche Grammophon 445 329
welche seiner Opern Krauss »zunächst in Berlin i Birgit Nilsson (Elektra), Marie Collier (Chry-
selbst vornehmen« wolle: »Salome braucht eine sothemis), Regina Resnik (Klytämnestra), Tom
völlige Neueinstudierung! Feuersnot ist seit langer Krause (Orest), Gerhard Stolze (Aegisth), Wie-
Zeit an der Staatsoper nicht gewesen. […] Elektra ner Philharmoniker, Georg Solti (1967), Decca
liebt Goering nicht, wegen des Muttermordes, 6.35173

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183

13.
Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos –
Die Frau ohne Schatten
Von Bryan Gilliam

Ratsche, große Rührtrommel, kleine Militärtrom-


Der Rosenkavalier mel, Schellen, Kastagnetten), Celesta, 2 Harfen,
Komödie für Musik in drei Aufzügen 16 erste Violinen, 16 zweite Violinen, 12 Violen,
op. 59 TrV 227 10 Violoncelli, 8 Kontrabässe. Bühnenmusik
im 3. Akt: 2 Flöten, 1 Oboe, 3 Klarinetten, 2 Fa-
Entstehungszeit: 1909–1910 gotte, 2 Hörner, 1 Trompete, kleine Trommel,
Text: Hugo von Hofmannsthal Harmonium, Klavier, Streicher
Uraufführung: Königliches Opernhaus Dresden, Spieldauer: ca. 3 Stunden, 15 Minuten
26. Januar 1911 Autograph: Partitur: Österreichische National-
Personen: Feldmarschallin Fürstin Werdenberg bibliothek Wien (Mus. Hs. 2123)
(Sopran); Baron Ochs auf Lerchenau (Bass); Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1910, Nr. 5900;
Octavian, genannt Quinquin, ein junger Herr aus Klavierauszug: Berlin: Fürstner 1910, Nr. 5903;
großem Haus (Mezzosopran); Herr von Faninal, Textbuch: Berlin: Fürstner 1910, Nr. 5905; Stu-
ein reicher Neugeadelter (hoher Bariton); Sophie, dienpartitur: London u. a.: Fürstner/Boosey &
seine Tochter (hoher Sopran); Jungfer Marianne Hawkes o. J.; Nachdruck der Studienpartitur:
Leitmetzerin, die Duenna (hoher Sopran); Val- Werke Bd. 5
zacchi, ein Intrigant (Tenor); Annina, seine Beglei-
terin (Alt); ein Polizeikommissar (Bass); der
Haushofmeister bei der Feldmarschallin (Tenor);
der Haushofmeister bei Faninal (Tenor); ein Notar Entstehung
(Bass); ein Wirt (Tenor); ein Sänger (hoher Tenor);
drei adlige Waisen (Sopran, Mezzosopran, Alt); Bereits vor dem Beginn der Arbeit an Elektra
eine Modistin (Sopran); ein Tierhändler (Tenor); wünschte sich Strauss von seinem neuen Librettis-
vier Lakaien der Marschallin (2 Tenöre, 2 Bässe); ten Hugo von Hofmannsthal eine Komödie. Er
vier Kellner (1 Tenor, 3 Bässe); ein Gelehrter, ein versuchte, die Komposition von Elektra mit dem
Flötist, ein Friseur, dessen Gehilfe, eine adlige Argument aufzuschieben, Salome (1905) habe
Witwe, ein kleiner Neger, Lakaien, Lauffer, Haidu- seine Kräfte im tragischen Modus erschöpft
cken, Küchenpersonal, Gäste, Musikanten, Wäch- (RSHH 17). Zwar konnte ihn der Dichter um-
ter, Kinder, verschiedene verdächtige Gestalten stimmen. Allerdings war Hofmannsthal, ohne dies
Orchester: 3 große Flöten (3. auch Piccoloflöte), Strauss gegenüber zuzugeben, bereits zu diesem
3 Oboen (3. auch Englischhorn), 3 Klarinetten, Zeitpunkt selbst der Tragödie überdrüssig gewor-
Bassethorn (auch Bassklarinette), 3 Fagotte (3. auch den. Kurz zuvor hatte er die Sophokles’sche Ödi-
Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, pus-Trilogie neu zu fassen beschlossen und 1905
Basstuba, Pauken, Schlagzeug (große Trommel, die Arbeit an Ödipus und die Sphinx begonnen.
Becken, Triangel, Tamburin, Glockenspiel, große Doch sollte das Projekt nie fertiggestellt werden.
184 Opern und Ballette

Hofmannsthals Überdruss rührte von zu vielen nen, bunter und fast pantomimisch durchsichtiger
Hindernissen her, die seinem Ziel einer verjüng- Handlung, Gelegenheit für Lyrik, Scherz, Humor
ten, modernen griechischen Tragödie entgegen- und sogar für ein kleines Ballett. […] Zwei große
standen. Vor allem erkannte er in der antiken Rollen für einen Bariton und ein als Mann ver-
griechischen Tragödie primär ein Phänomen der kleidetes graziöses Mädchen à la Farrar oder
Sprache, an deren Darstellungspotential wie an Mary Garden. Zeit: Wien unter Maria Theresia«
seinem eigenen Umgang mit ihr Hofmannsthal (RSHH 53 f.). Hinter diesem Plot standen zahlrei-
um die Jahrhundertwende zu zweifeln begonnen che Muster: Mozarts Figaro und Wagners Meister-
und die er in seinem Chandos-Brief (1902) so über- singer, aber auch Molière (Monsieur de Pourceau-
zeugend kritisiert hatte. Hofmannsthal sollte zwar gnac, Le médecin malgré lui) sowie William Hogarths
später, in Ariadne auf Naxos (1912 bzw. 1916) und Kupferstichzyklus Marriage à la Mode.
Die Ägyptische Helena (1928), zur antiken Mytho- Kessler spielte bei der frühesten Arbeit an die-
logie zurückkehren, jedoch nie wieder zur Tragö- sem Opernszenario eine zentrale Rolle. In intensi-
die. Als Strauss 1908 die letzten Stadien der Elek- ven Besprechungen schufen Hofmannsthal und er
tra-Komposition erreichte, befand sich Hof- am zweiten Februarwochenende 1909 eine erste
mannsthal auf seiner ersten Griechenlandreise, auf Handlungsskizze (die Akte I und II noch in ver-
der sich der Wandel seiner Weltanschauung ab- tauschter Reihenfolge), die nach einem Berliner
schloss. Griechenland war weder wild und dunkel Treffen zwischen Strauss und Hofmannsthal nur
noch fremdartig: »Hier ist keine Grabhöhle«, wenige Tage später, am 14. Februar, weiter ausge-
schrieb er rückblickend, »hier ist so viel Licht« arbeitet wurde. Hofmannsthal, so erinnerte er sich
(Hofmannsthal 2001). 1927, war nach Berlin gekommen »ohne eine
Kein Wunder also, wenn sich Komponist und Notiz als das Personenverzeichnis auf die Rück-
Dichter nach der Beendigung von Elektra in ihrem seite einer Tischkarte gekritzelt, aber mit einer
Wunsch vereint fanden, als nächstes Projekt eine erzählbaren Handlung im Kopf. Die Wirkung
Gesellschaftskomödie zu schreiben. Geplant war dieser Erzählung auf Strauss ist mir erinnerlich, als
ein Werk, dessen Libretto auf Casanovas Memoi- wäre es gestern gewesen. Sein Zuhören war ein
ren beruhen sollte: Cristinas Heimreise. Strauss wahrhaft produktives. Ich fühlte, wie er ungebo-
rechnete damit, den Text im Herbst 1908 zu erhal- rene Musik an die kaum geborenen Gestalten
ten, um ihn während seines Urlaubs von der Ber- verteilte« (Schuh 1971, 223 f.). Dieses Treffen zwi-
liner Hofoper im Winter 1908/09 zu vertonen. Er schen Komponist und Dichter führte zu dem
war sich des Privilegs, mit einem so hochkarätigen vollständigen Szenario, das wir kennen. Anfang
Literaten wie Hofmannsthal zusammenarbeiten März war es vollendet und am 21. März wurde es
zu können, vollkommen bewusst. Aber er musste in allen seinen Details besprochen, als sich Strauss
sehr bald feststellen, dass er es im Gegensatz zu in der österreichischen Hauptstadt aufhielt, um
Ernst von Wolzogen, dem Librettisten von Feuers- die Wiener Premiere von Elektra zu dirigieren.
not, mit einer extrem unabhängigen Künstlerper- Nur wenige Wochen später, am 3. Mai, hielt er
sönlichkeit zu tun hatte, deren oberste Priorität den ersten Akt in seinen Händen.
keineswegs darin bestand, einem eifrigen, ebenso Endlich hatte er doch noch seinen Librettisten
unabhängigen und egoistischen Komponisten zu gefunden, seinen »da Ponte und Scribe in einer
dienen. Cristinas Heimreise wurde als Libretto Person« (RSHH 56), und er hatte einen Text, zu-
niemals fertiggestellt, und der fleißige Strauss sah mindest einen ersten Akt, der sich komponieren
seinen Urlaub ohne größeres Projekt verstreichen. ließ »wie Öl und Butterschmalz« (ebd.). Inspiriert
Erstaunlicherweise änderte sich all dies inner- wie selten, teilte Strauss Hofmannsthal am 16. Mai
halb weniger Monate. Am 11. Februar 1909 befand mit, seine Arbeit fließe so geschwind dahin wie
sich Hofmannsthal bei seinem Freund Harry Graf der Garmischer Alpenfluss Loisach (ebd., 61). Im
Kessler in Weimar und teilte Strauss mit: »Ich habe Besitz des kompletten ersten Aktes wie auch des
hier in drei ruhigen Nachmittagen ein komplettes, vollständigen Opernszenarios – und mit einem
ganz frisches Szenar einer Spieloper gemacht, mit ganzen Sommer vor sich – geriet Strauss geradezu
drastischer Komik in den Gestalten und Situatio- in Ekstase.
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 185

Im Juni jedoch, nach dem Erhalt des zweiten an Ochs’ »Arie« in Akt I (»Macht das einen lah-
Aktes, traf seine kompositorische Loisach auf un- men Esel aus mir?«, nach Zi. 148) geschriebenen
erwartete Stromschnellen. Hofmannsthal zielte Brief vom 30. Mai 1909 an Kessler konzedierte
auf eine unkonventionelle Musikkomödie, näm- Hofmannsthal, er habe in dieser Nummer das
lich eine psychologische Prosakomödie. Dem »Mimische« zugunsten des »Arienhaften« missach-
entsprach der erste Akt perfekt: mit einer farbigen tet. Doch müsse das Arienhafte sein, »denn mache
Exposition der Hauptfiguren, die Strauss das ich dem Strauss eine arienlose Dialog-oper, so
Schreiben der Musik leicht machte. Entzückt von componiert er […] drüber hinweg – und es ent-
dem originellen Werk, schrieb er seinem Dichter steht, wie bei Elektra […] ein in sich completes
begeistert: »Es ist wirklich über alle Maßen rei- Stück über das er eine – entbehrliche – Sympho-
zend: so fein, vielleicht ein bißchen zu fein für den nie schüttet wie sauce über den Braten« (Schuh
großen Haufen, aber das tut nichts« (4.5.1909; 1971, 240). Hofmannsthal war denn auch an die-
RSHH 58). Mit dem Studium des zweiten Aktes sem Zeitpunkt seiner Zusammenarbeit mit Strauss
jedoch änderte sich die Haltung des Komponis- vor allem dann begeistert, wenn dieser ihm mu-
ten. Nun interessierte ihn die Wirkung auf den sikalische Techniken, Formen usw. vorschlug, die
»großen Haufen« durchaus, waren die Feinheiten ihn, wie Hofmannsthal hoffte, vom symphoni-
des Librettos keineswegs mehr belanglos. Strauss schen Drama Wagnerscher Prägung wegführten.
entdeckte dramaturgische Mängel. Es gab schlicht Obwohl Hofmannsthal in seinem Brief an Kessler
keine Handlung, keinen Konflikt, wie er seinem Strauss’ Neigung zur symphonischen Durchkom-
Librettisten ohne Umschweife am 9. Juli 1909 position à la Wagner kritisch gegenüberstand,
klarzumachen versuchte: »Der erste Akt als Expo- wusste er andererseits auf einer tieferen Ebene sehr
sition mit seinem beschaulichen Schluß ist ausge- wohl, dass er bisher noch kein wirklicher Librettist
zeichnet. Der zweite entbehrt des notwendigen geworden war (was ihn später zum Ariadne-Pro-
Gegensatzes und der Steigerung, die unmöglich jekt bewog).
erst der III. Akt bringen kann. Der III. muß die Die Anfangsszene des dritten Aktes ist die
Steigerung des II. noch übertrumpfen, das Publi- längste wortlose Szene im gesamten Werk: eine
kum kann nicht bis dahin warten: mit einem Pantomime, die mehr als 300 Takte Musik um-
flauen Erfolg des II. Aktes ist die Oper verloren. fasst. In der Sorge, Strauss könnte diese filigrane
Auch ein guter dritter kann dann nichts mehr Szene mit dichter Wagnerscher Textur ersticken,
herausreißen« (RSHH 66). schlug Hofmannsthal dem Komponisten schon
Jeder, der den Rosenkavalier kennt, weiß die früh, noch vor der Beendigung des ersten Aktes,
Höhepunkte des zweiten Aktes auch nach der einen leichteren, Wienerischen Tonfall vor: »Las-
grandiosen Überreichung der silbernen Rose zu sen Sie sich für den letzten Akt einen altmodi-
schätzen: das »unstatthafte« Duett zwischen So- schen, teils süßen, teils frechen Wiener Walzer
phie und Octavian (»Mit Ihren Augen voll Trä- einfallen, der den ganzen Akt durchweben muß«
nen«), die Überraschung beider durch die beiden (24. April 1909; RSHH 58). Strauss komponierte
Italiener, Ochs’ Amüsement und Octavians Zorn, in der Tat eine Folge von verschiedensten Walzern
der Kampf zwischen ihnen, Ochs’ Monolog bei (inklusive einiger für Bühnenorchester), die einen
der Erholung von seiner Verletzung auf der Couch großen Teil des Aktes durchziehen: »waltzes and
und der von Annina überbrachte fingierte Brief waltz-tempo segments dominate the texture al-
des Mariandel. Fast alle diese Einfälle gehen auf most from the beginning. [ … They] are longer
Vorschläge zurück, die Strauss in seinem schon than in acts 1 and 2 and have a more continuous
zitierten Brief vom Juli 1909 machte. Für ihn role in supporting the dramatic action and dia-
stand fest: Der zweite Akt kam als pure »Prosa- logue, rather than interrupting it and articulating
komödie« nicht in Frage. it« (Lockwood 1992, 257).
Hofmannsthal verhielt sich, solange die Ände- Hofmannsthal gab detaillierte Anweisungen
rungen weder den Geist der Charaktere noch das für diese Pantomime, und Strauss bewies sein
Konzept der Komödie beeinflussten, erstaunlich Gespür für das Theater durch die Art, in welcher
nachgiebig. Warum? In einem während der Arbeit er seine Walzerfolgen mit den in der Partitur ge-
186 Opern und Ballette

nau angegebenen Gesten synchronisierte. Sie kön- Dramaturgie und Musik, denn in der Tat erweist
nen wie folgt zusammengefasst werden: sich die Polizeikommissar-Szene als zu lang, ein
− Der Ort des »Verbrechens«, ein privates Ess- guter Teil der wortreichen Passage nach dem dra-
zimmer inklusive eines Bettes im Alkoven. matischen Auftritt der Marschallin wirkt wie eine
− Annina erscheint als trauernde Witwe, Octa- Antiklimax. So wurden nicht lange nach der Ur-
vian als Mariandel im Gewand einer Dienst- aufführung weitere Kürzungen vorgenommen
magd. (fünf in der Polizeikommissar-Szene und eine
− Octavian gibt Valzacchi das Geld und dieser nach dem Auftritt der Marschallin), die sich sehr
lässt unmissverständlich die Übertragung sei- bald allgemein durchsetzten (Jefferson 1985, 149).
ner Loyalität von Ochs auf ihn erkennen. Sich seiner Rolle als Librettist noch unsicher,
− Zweifelhafte Gestalten treten auf. schlug Hofmannsthal sogar einen Strich im fina-
− Valzacchi synchronisiert seine Uhr, die Gestal- len Terzett vor, bezeichnenderweise die Anfangs-
ten verschwinden in ihren Verstecken. zeilen des berühmtesten Ensembles der Oper, die
− Valzacchi probt ihr erneutes Erscheinen auf Worte der Marschallin (Zi. 285): »Hab’ mir’s ge-
sein Händeklatschen hin. lobt, ihn lieb zu haben in der richtigen Weis’, daß
− Ochs betritt das Esszimmer. ich selbst sein Lieb’ zu andern noch lieb hab! Hab’
mir freilich nicht gedacht, daß es so bald mir auf-
Der Akt beginnt burlesk und erreicht zum Ende erlegt sollt’ werden!«
hin, mit dem Auftritt der Marschallin, »wiederum Obgleich Strauss diesen Vorschlag zurückwies,
die höhere Region des Rührenden« (Hofmannsthal behielt ihn Hofmannsthal in seiner eigenen Aus-
an Strauss, 20.9.1909; RSHH 83). Was dazwischen gabe des Textes, den er bei S. Fischer als Schauspiel
lag, war ein Problem, das Strauss niemals definitiv veröffentlichte, bei. Dieses Schlussterzett, unge-
löste, denn um die Oper zu einem überzeugenden kürzt mit einiger von Strauss’ bester Musik über-
Ende zu bringen, mussten diverse lose Stränge – haupt versehen, bleibt der Höhepunkt der gesam-
und zwar sowohl komischer als auch psychologi- ten Oper, allerdings weniger des Textes als seiner
scher Natur – miteinander verknüpft werden. musikalischen Qualitäten wegen. Zuletzt trium-
Diese zwei Stränge treten in der Ankunft des Poli- phierte Strauss doch noch mit seinem durchkom-
zeikommissars und dem Auftritt der Marschallin ponierten Wohlklang. Keine bessere ›Sauce für
am deutlichsten zutage. Strauss war mit dem ersten den Braten‹ war je komponiert worden.
Entwurf unzufrieden (an Hofmannsthal,
20.5.1910): Die Szene des Polizeikommissars war
ihm zu lang, sie sollte »rasch erledigt sein« und alles
auf den »Brennpunkt der Handlung und Span- Handlung
nung« zulaufen: den Auftritt der Marschallin und
»die enorme Verlegenheit des Barons, als er sich Wien um 1740, in den ersten Jahren der Regie-
plötzlich den drei starr ihm gegenüberstehenden rung Maria Theresias.
Gesichtern gegenübersieht: Marschallin, Octavian,
Sophie«. Erst »wenn der Baron und der ganze Erster Aufzug
Trubel« fort seien, müsse sich »alles allmählich in Das Schlafzimmer der Feldmarschallin
Lyrik auflösen und in weichen Linien zurückge- Bei geschlossenem Bühnenvorhang gibt das Or-
hen« (RSHH 89 f.). Kurz, was Hofmannsthal chester (»durchaus parodistisch«) eine drastische
Strauss besonders im dritten Akt bot, war weniger erotische Szene wieder – mit einer potenten Stei-
ein Gerüst, auf dem Musik errichtet werden gerung und keuchenden Hörnern im Augenblick
konnte, als ein voll ausgebildetes Theaterstück. eines plötzlichen Höhepunktes. Der Vorhang
Hofmannsthal stimmte zu, gestand allerdings öffnet sich. Die Feldmarschallin befindet sich mit
nach der Revision des Aktes, der Abschnitt zwi- ihrem 17-jährigen entfernten Cousin Graf Rofrano
schen dem Auftritt der Marschallin und dem Ab- im Zustand postkoitaler Glückseligkeit. Der Mar-
gang Ochs’ sei »noch immer zu lang« (10.6.1910; schall weilt auf einem Jagdausflug – zumindest
ebd., 92). Hier divergierten die Bedürfnisse von glauben beide dies, bis sie plötzlichen Lärm an der
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 187

Tür hören. Schnell ergreift Octavian einige Klei- ihre Betrachtungen über Zeit und Veränderlich-
dungsstücke des Stubenmädchens und zieht sie keit nicht verstehen. Nach einer einzigen Nacht
an. Aber es besteht kein Grund zur Sorge, denn der Leidenschaft ist er überzeugt, ihre Liebe habe
der Besucher entpuppt sich als Baron Ochs auf ewig Bestand, und weigert sich, das Gegenteil zu
Lerchenau, ein Cousin vom Lande, der in die akzeptieren. Schließlich entlässt sie ihn, vergisst
Hauptstadt gekommen ist, um seiner Cousine sogar den Abschiedskuss, und beauftragt ihren
mitzuteilen, dass er ein 14-jähriges Mädchen na- schwarzen Pagen Mohammed, dem jungen Ro-
mens Sophie zu heiraten gedenke, Tochter des frano die silberne Rose zu bringen.
neureichen, erst kürzlich geadelten Herrn von
Faninal. Diese Hochzeit ist beiden Männern Zweiter Aufzug
hochwillkommen, da jeder braucht, was der an- Saal bei Herrn von Faninal
dere hat: Ochs, aus altem Adelsgeschlecht, braucht Der gesamte Faninalsche Haushalt ist voll freudi-
Geld, das Faninal ihm nur zu gerne (mit seiner ger Erwartung der Ankunft des hochadeligen
Tochter) zukommen lässt – im Tausch gegen den Bräutigams und seines rosenüberbringenden Bo-
Stammbaum des Barons. Doch bevor Ochs der ten, Graf Rofrano: der erste Besuch des Geburts-
Marschallin seinen Plan darlegen kann, verfällt er adels. Die Ankunft des Kavaliers – weißgekleidet
dem hübschen Gesicht des als Stubenmädchen mit silbernen Borten – ist mehr, als Sophie sich je
verkleideten Octavian, des vermeintlichen »Mari- erträumen konnte. Wenn der bloße Bote schon so
andel«. Nach einigem groben Schäkern und einer bezaubernd ist, wie wird dann erst ihr Bräutigam
langen Suada über seine sexuellen Vorlieben auf sein? Beim Auftritt des Rosenkavaliers erscheint
dem Lande kommt Ochs endlich zur Sache: Er Sophie so von der Magie des Augenblicks bezau-
sucht einen Herold, der, nach adeligem Brauch, bert, so erstarrt wie die zerbrechliche silberne
der Braut eine silberne Rose überbringen und da- Rose, die ihr Octavian überreicht. Beide machen
mit zugleich die Ankunft des Barons im Faninal- eine kurze, überwachte Konversation. Sophie, gut
schen Palais ankündigen soll. Die einfallsreiche vorbereitet, kennt alle Namen des Grafen Rofrano
Marschallin hat die perfekte Idee: warum nicht ihr auswendig, sogar seinen geheimen Kosenamen
Cousin, Graf Rofrano? Ochs nimmt das Angebot Quinquin. Plötzlich und ohne Fanfare tritt der
dankbar an. Allerdings hat er noch eine zweite, prosaische Ochs mit seiner rustikalen Entourage
wichtigere Bitte: Der geizige Ochs möchte, um auf. Er betrachtet Sophie zu deren großem Entset-
eine Morgengabe Faninals auszuhandeln, den zen wie ein Bauer, der dabei ist, ein Kalb zu kau-
Anwalt der Fürstin in Anspruch nehmen; dieser fen. Ochs, Faninal, der Notar und der Rest des
tritt mit einem größeren Gefolge von Dienstboten Gefolges gehen ab, um die Details des Heirats-
und Bittstellern auf, die dem allmorgendlichen kontraktes auszuarbeiten; Octavian und Sophie
Lever beiwohnen wollen. Inmitten eines Friseurs, bleiben alleine zurück. Octavian beschwört So-
eines Tierhändlers, eines italienischen Sängers, ei- phie, gegen diese Hochzeit aufzubegehren. Die
ner Witwe und ihrer drei Waisen sowie einem Paar beiden Intriganten, Valzacchi und Annina, ertap-
intriganter italienischer Schnüffler (Valzacchi und pen sie und informieren Ochs, vergeblich auf fi-
Annina) gerät Ochs in einen handfesten Streit mit nanzielle Entlohnung hoffend. Nach immer hefti-
dem Anwalt. Melancholisch in den Spiegel bli- gerem Disput fordert Octavian den Baron zu ei-
ckend erklärt die Marschallin ihrem Friseur: nem Duell und verpasst Ochs einen Kratzer am
»Heut’ haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht!« Unterarm. Dessen Wunden werden verbunden,
Abrupt beendet sie das Lever und gerät in eine sein Bedürfnis nach Wein wird gestillt, und voller
melancholische Stimmung. Einst war sie wie So- Selbstmitleid klagt er über die seltsamen Sitten der
phie gewesen: frisch aus dem Konvent mit einem österreichischen Hauptstadt. Doch bevor er sich
ungeliebten Mann verheiratet. Auch Sophie wird weiterem Narzissmus hingeben kann, nähert sich
einst eine »alte« Marschallin werden, ein Prozess, ihm die noch unbezahlte Annina, die ihm den
der nicht aufgehalten, sondern nur gelassen akzep- Wunsch einer gewissen »Mariandel« überbringt,
tiert werden kann. Octavian, wieder im eigenen ihn in einem Wirtshaus zum Rendezvous zu tref-
Gewand, kann ihre plötzliche Melancholie und fen. Ochs ist zufrieden.
188 Opern und Ballette

Dritter Aufzug Kommentar


Ein Extrazimmer in einem Gasthaus
Ein munteres Vorspiel bildet den musikalischen Der Rosenkavalier war weder Strauss’ erste Komö-
Hintergrund für eine ausführliche Pantomime. die noch sein erstes Historienstück. Feuersnot
Valzacchi zupft Anninas Verkleidung als Witwe (1901), eine Komödie aus »fabelhafter Unzeit«,
zurecht, dann probt er die Auftritte aller »Geister« von Strauss ins mittelalterliche München verlegt,
und »Gespenster«, die auf sein Signal hin aus war vorausgegangen. Allerdings sind außer Kun-
Falltüren und Fenstern erscheinen werden. Octa- rad alle Personen in dieser frühen einaktigen
vian, als Mariandel verkleidet, inspiziert das Zim- »Nichtoper« (Strauss 1981, 182) im Grunde leblos
mer, in dem die Farce stattfinden soll. und entbehren jeder menschlichen Qualität. Nach
Ochs tritt mit seinem Pagen Leopold und »Ma- den halbherzigen Reaktionen auf seine erste Ko-
riandel« auf. Während der Mahlzeit versucht Ma- mödie war Strauss wie Hofmannsthal darauf er-
riandel auf jede erdenkliche Art ihn abzuweisen: picht, die große deutsche Opernkomödie des
Zuerst weigert sie sich, Wein zu trinken und tut 20. Jahrhunderts zu schreiben, so wie es, jedenfalls
dann so, als tränke sie viel zu viel, betrunken und aus ihrer Sicht, für das 19. Jahrhundert Wagners
weinerlich werdend. Gerade als Ochs sich ent- Meistersinger und für das 18. Mozarts Figaro gewe-
schließt, handgreiflich zu werden, sieht er plötz- sen waren. Während Feuersnot, die antisoziale
lich Geister und Gespenster; leibhaftig platzt die Komödie, ihren urbanen Schauplatz München
»Witwe« Annina herein mit ihrer Schar von Kin- verteufelt hatte, feierte Hofmannsthal mit dem
dern, die alle »Papa!« rufen. Das Gasthauspersonal Rosenkavalier Welt und Zeit des Wiens der Maria
und schließlich sogar die Polizei treten auf. Trotz Theresia der 1740er Jahre: Entstehen ließ er »ein
seiner Proteste wird der Baron (dem seine Perücke halb imaginäres, halb reales Ganzes«, eine ganze
und damit sein Standesattribut fehlt und der sich Stadt »mit ihrem Zeremoniell, ihrer sozialen Stu-
in immer größere Widersprüche verwickelt) als fung, ihrer Sprechweise oder vielmehr ihren nach
schamloser Schürzenjäger verdächtigt. Die An- den Ständen verschiedenen Sprechweisen, mit der
kunft von Faninal und Sophie steigert noch das geahnten Nähe des großen Hofes über dem allen,
Durcheinander. Auf dem Höhepunkt tritt die mit der immer gefühlten Nähe des Volkselemen-
Marschallin auf und bringt alles in Ordnung. tes« (Schuh 1971, 224). Dieser Sinn für das »Volks-
Ochs erkennt Octavian in Mariandel, realisiert, element« erweckte all die Nebenpersonen zum
dass er hereingelegt wurde, und tritt ab, von sei- Leben. Die Witwe und ihre Töchter, der Tenor
nen Gläubigern verfolgt. Marschallin, Octavian und der Flötist, der Tierhändler, der Friseur, die
und Sophie bleiben alleine zurück. Das junge Paar Kellner und Dienstboten – sie alle sind das Pro-
ist peinlich berührt, die Fürstin resigniert. Sophie dukt lebhafter und zugleich Mozartscher Erdig-
und Octavian singen ein ekstatisches Schlussduett keit.
über die ewige Liebe. Faninal kehrt zurück und In einem Brief an Strauss vom 1. Juli 1927 be-
gibt ihnen seinen Segen. Die jungen Leute umar- tonte Hofmannsthal die Verbindung zwischen
men sich erneut und gehen so schnell ab, dass den Meistersingern und dem Rosenkavalier und
Sophie gar nicht bemerkt, dass sie ihr Taschentuch damit zwischen Nürnberg und Wien: »Wie dort
verloren hat. In einer subtilen Geste hebt Moham- das Nürnberg von 1500, ist hier das theresianische
med, der Page der Marschallin, der zwischen den Wien – eine wirkliche, darum glaubhafte ganze
Akten I und II Octavian die silberne Rose über- Stadtwelt mit hundert lebendigen Bezügen in
bracht hatte, Sophies Taschentuch auf und deutet sich: vom Faninal zum Ochs, vom Polizeikommis-
damit an, dass die Fürstin weiter über jene zwei sar und Wirt hinauf zur großen Dame, vom Palast
jungen Liebenden wachen wird. durch die Lakaienwelt zum Bauernhof usf. usf. –
der eigentliche Träger des Ganzen, und durch
dieses Ganze werden die Figuren lebendig«
(RSHH 578).
In dieser »Komödie für Musik« sind die stilisti-
schen Brüche in der Musik unüberhörbar. Doch
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 189

geht Strauss mit ihnen nicht mehr so sehr hausie- Nirgends sind die Schnittpunkte zwischen den
ren wie in Feuersnot, sondern sie werden in Ein- Generationen, sozialen Klassen, moralischen Hal-
klang mit Hofmannsthals Text und Weltsicht sehr tungen und musikalischen Stilen besser zu sehen
differenziert geschichtet. Wie der Text evoziert als im Lever des ersten Aktes, bei welchem tradi-
auch die Musik eine Gesellschaft (Wien unter tionell eine adelige Person nach dem Frühstück im
Maria Theresia) als »alliance of past generations Schlafzimmer Hofgäste empfing. Hier, mitten im
with later ones, and vice versa« (Hamburger 1963, intimsten Bereich der Oper, überschneidet sich
LVIII). So enthält die Partitur des Rosenkavalier, das Öffentliche urplötzlich mit dem Privaten; eine
obwohl die Handlung in den 1740er Jahren spielt, Horde von Figuren tritt auf, einige in Pantomime,
Anspielungen auf den klassischen Stil der 1780er andere in ›makkaronischem‹ Dialog mit Kolli-
Jahre, die spätromantische Klanglichkeit der sionen von Französisch, Italienisch, Latein und
1860er und 1870er Jahre und sogar auf die chro- mannigfachen Manifestationen von Deutsch, vom
matische Diatonik um 1910. Strauss schloss musi- Höfischen zum Bäuerlichen. Dieses »Sprach-
kalische Allianzen mit Mozart, Johann Strauß kostüm«, wie Hofmannsthal es nannte, verdeut-
Sohn, Wagner und mit der italienischen Oper, licht die Ungeeignetheit jeder einzelnen Sprache,
während Hofmannsthal textliche Brücken zu un- der alleinige Träger einer aufrichtigen Bedeutung
ter anderem Molières Komödien (im ersten Ent- zu sein (Jefferson 1985, 12).
wurf hieß Ochs noch »Pourceaugnac«), Beaumar- Im Lever, der Schlüsselszene des ersten Aktes,
chais bzw. da Ponte (im Libretto von Le Nozze di sehen wir einen Mikrokosmos des Wien der
Figaro verweist die erotische Spannung der Gräfin 1740er Jahre im Schlafzimmer der Marschallin
und Cherubino auf die Konstellation Marschal- und beobachten die komplexen Beziehungen –
lin – Oktavian voraus), Wagner (wie Sachs in den gesprochen, ungesprochen und gesungen – zwi-
Meistersingern Eva zugunsten Stolzings entsagt, so schen Figuren, die ihren Status und den der impe-
die Marschallin Oktavian zugunsten Sophies) rialen Präsenz in jener Zeit definieren. Die meisten
und – für das Lever – zur Bildwelt eines Hogarth Figuren sind Nebenfiguren, doch wichtig in ihrer
schlug. Die simultanen Asynchronitäten oder, wie allegorischen Bedeutung: Die Modistin und der
Hofmannsthal sie nannte, die »Harmonie der Friseur – in Pantomime – symbolisieren eine dis-
Kontraste« wurde für Dichter und Komponist ein tinguierte Dame von Schönheit und Geschmack,
zentrales gemeinsames Anliegen. der Flötist und der Tenor repräsentieren ihre
Der Rosenkavalier handelt primär von der Zer- Patronage der Künste, die drei singenden Waisen
brechlichkeit von Allianzen, vom Annehmen und illustrieren ihre Wohltätigkeit, der Notar und der
Loslassen. Mit den Worten der Marschallin Gelehrte dienen als Metaphern von Gerechtigkeit
(1. Akt, nach Zi. 323): »Leicht muß man sein mit und Klugheit. Das Zurückweisen der Intriganten
leichtem Herz und leichten Händen, halten und Valzacchi und seiner Begleiterin Annina durch die
nehmen, halten und lassen … Die nicht so sind, Marschallin offenbart ihre Ferne von Sykophan-
die straft das Leben, und Gott erbarmt sich ihrer tentum wie überhaupt von Menschen zweifelhaf-
nicht.« Es ist die Marschallin, die diese Weltsicht ter Moral (Edelmann 2005).
auf einer persönlichen Ebene verkörpert, und ihre Die Bühne ist kurzfristig sehr voll und ober-
Vornamen Maria Theresia erinnern uns daran, flächlich betrachtet wirkt die Szene erstaunlich
dass dieses Loslassen und Formen neuer Einheiten chaotisch. Selbst Strauss dachte zuerst, sie werde
auch eine soziopolitische Dimension aufweist. Sie nicht leicht in Form zu bringen sein, und fürch-
steht für den Übergang in ein neues Zeitalter tete, womöglich den ganzen Sommer damit zuzu-
(Schorske 2006, 680), und zugleich evoziert bringen. Doch erwies sich das Gegenteil als rich-
Strauss’ Musik auch die Welt eines Österreich an tig: In der ersten Juniwoche 1909 hatte er bereits
der Schwelle zu seiner idiosynkratischen Aufklä- den gesamten Akt skizziert. Die zweiteilige Struk-
rung, das eskapistische Walzeridiom eines Öster- tur des Levers nutzend, baute Strauss die Szene
reich nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867 und um zwei Stücke diegetischer Musik herum: das
die zeitgenössischen Klänge eines Habsburgerrei- Waisenterzett nach Ziffer 217 (in einem an die drei
ches am Rande eines Weltkrieges. Knaben aus Mozarts Zauberflöte erinnernden Stil)
190 Opern und Ballette

und die Tenorarie Ziffer 233 (die die Aura des Außerdem erweitert Hofmannsthal Kesslers Fest-
Belcanto des 19. Jahrhunderts evoziert). Der erste stellung, diese Komödie sei weniger durch die
Teil ist der Marschallin zugeordnet, der an ihrem Handlung definiert als durch die Charaktere:
Toilettentisch Aufwartung gemacht wird, der
Der Mensch ist unendlich, die Puppe ist eng begrenzt;
zweite Teil Ochs, wie er mit dem Notar über die zwischen Menschen fließt vieles herüber, hinüber, Pup-
Details des Ehekontraktes streitet. pen stehen scharf und reinlich gegeneinander. Die dra-
Wenn das Lever eine Aura von Authentizität matische Figur ist immer zwischen beiden. Die Mar-
ausstrahlt, dann verdankt es diese Kessler, der die schallin ist nicht für sich da, und nicht der Ochs. Sie
stehen gegeneinander und gehören doch zueinander, der
Tagebücher von Fürst Johann Josef Khevenhüller- Knabe Octavian ist dazwischen und verbindet sie. So-
Metsch, dem Haushofmeister Maria Theresias, phie steht gegen die Marschallin, das Mädchen gegen
besaß. Sie boten Hofmannsthal konkretes Mate- die Frau, und wieder tritt Octavian dazwischen und
trennt sie und hält sie zusammen. Sophie ist recht inner-
rial für seine Konstruktionen von höfischer Spra- lich bürgerlich, wie ihr Vater, und so steht diese Gruppe
che, Ritual und Protokoll. Kessler und Hofmanns- gegen die Vornehmen, Großen, die sich vieles erlauben
thal waren sich einig über die Wichtigkeit des dürfen. Der Ochs, sei er wie er sei, ist immerhin noch
eine Art von Edelmann; der Faninal und er bilden das
pantomimischen Aspekts ebenso wie über die Komplement zueinander, einer braucht den andern,
Etablierung der Charaktere und die Klarheit der nicht nur auf dieser Welt, sondern sozusagen auch im
emotionalen Zeichnung. Die Handlung stand zu metaphysischen Sinn. Octavian zieht Sophie zu sich
jenem Zeitpunkt noch nicht im Vordergrund ih- herüber – aber zieht er sie wirklich zu sich und auf im-
mer? Das bleibt vielleicht im Zweifel. So stehen Grup-
rer Überlegungen; »the plot grew naturally out of pen gegen Gruppen, die Verbundenen sind getrennt, die
the laws of drama and character […]. Our plots are Getrennten verbunden. Sie gehören alle zueinander,
subsequent to the characters, as dramas are in real und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen: es ist au-
genblicklich und ewig, und hier ist Raum für Musik.
life« – wie Kessler am 21. Februar 1909, nach dem (Schuh 1971, 221)
Abschluss des Szenarios, seiner Schwester schrieb
(Schuh 1971, 227). In einem Brief an Strauss vom So ist die Handlung an sich unkompliziert, trotz
16. März, einige Tage vor ihrem Treffen, betonte ihrer vielfältigen Quellen (von Molière über Beau-
auch Hofmannsthal die fast pantomimischen marchais zu Wagner), doch die Charakterbezie-
Details des Szenarios: »Nur ob ich nicht in mei- hungen sind komplex und sie, wie es zuerst Kessler
ner Rücksichtslosigkeit gegen das konventionell angeregt hatte, treiben die Handlung voran. Die
Opernhafte zu weit gehe und mich, immer be- komischen Konventionen sind erprobt und eta-
strebt den charakteristischen Ton zu halten, zu bliert, doch Hofmannsthal erfüllt sie mit Tiefe
wenig dem Singbaren akkomodiere – das möchte und Komplexität. Der Rosenkavalier bietet an der
ich von Ihnen erfahren und werde dann um so Oberfläche Stoff für eine Historienkomödie: Die
vergnügter weiterarbeiten« (RSHH 54). Marschallin hat eine Affäre mit dem jüngeren
In seinem Ungeschriebenen Nachwort (1911) Octavian, während der Baron Ochs die junge,
zum Rosenkavalier spricht Hofmannsthal seine neureiche Sophie mit dem Segen ihres Vaters
Sicht dieses neuen Operntypus aus, zugleich eine Faninal heiraten soll, der seinerseits am Ende
teilweise Antwort auf Wagners ›hinterhältige‹ Idee Octavian und Sophie seinen Segen gibt. Doch
vom Gesamtkunstwerk, wo die Musik, als die Dichter und Komponist widerstehen der Verlo-
Trumpfkarte, alles in schwerer Orchestration er- ckung. Die Paarungen bzw. Allianzen sind weitaus
tränke: eine (in Hofmannsthals Worten vom vielschichtiger.
6.6.1910 an Strauss) »Wagnerische Liebesbrüllerei Wie Hofmannsthal festhält, finden wir jenseits
ohne Grenzen« (RSHH 91). »Ein Werk ist ein der sozialen Grenzen Allianzen der Generationen,
Ganzes«, mahnt uns Hofmannsthal, »und auch Beziehungen und Geschlechter vor:
zweier Menschen Werk kann ein Ganzes werden. Generation: Marschallin – Ochs
[…] Wer sondert, wird unrecht tun. […] Die Octavian – Sophie
Musik soll nicht vom Text gerissen werden, das Beziehung: Marschallin – Octavian
Wort nicht vom belebten Bild. Für die Bühne ist Ochs – Sophie
dies gemacht, nicht für das Buch oder für den Geschlecht: Marschallin – Sophie
einzelnen an seinem Klavier« (Schuh 1971, 221). Ochs – Octavian
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 191

Es gibt eine einzige nicht-binäre Allianz, nämlich kennt sich selbst als das gleiche unschuldige Mäd-
die Dreiecksbeziehung der Emotionen von Mar- chen, das »frisch aus dem Kloster« in den heiligen
schallin, Octavian und Sophie: ein Trio der Ge- Stand der Ehe mit einem teilnahmslosen Feldmar-
fühle, das Strauss und Hofmannsthal am Ende der schall getrieben wurde. Nach der »kleinen Resi« zu
Oper im berühmtesten Ensemble des Werkes bis suchen wäre genauso vergeblich wie nach dem
zur Neige auskosten. Schnee vom letzten Jahr; es ist dieselbe Resi, deren
Hofmannsthal betonte bereits im Frühstadium zarte Hände eines Tages ebenso schwach und
der Arbeit, die Marschallin und Ochs seien die knorrig sein werden wie die ihres Onkels Greifen-
Hauptpersonen, dem Liebespaar Octavian und klau, den sie nach dem ersten Akt besucht. Man
Sophie vorgeordnet. Diese Hauptpersonen sind könnte fragen, warum Hofmannsthal überhaupt
wirkliche Aristokraten, das Alpha und Omega des dieses scheinbar unbedeutende »Memento mori«
österreichischen Adels. Ochs hat einen ausgepräg- in seine Liebeskomödie einbezog. Man könnte
ten – wenngleich engen – Sinn für Vergangenheit, sogar argumentieren, dass die ständige Beschäfti-
Gegenwart und Zukunft; daraus speisen sich auch gung der Marschallin mit ihrem eigenen Verfall an
seine Bedürfnisse nach Sex, Geld, Essen und Trin- Morbidität grenzt. Doch Hofmannsthal, der
ken. Er ist die einzige Figur, die den frechen Wal- Meister emotionaler Balance, weiß genau um die
zer »Mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang« Bedeutung ihrer allzumenschlichen Sorge. Er er-
singt oder überhaupt nur hört. Die nachdenkliche forschte dieses Rätsel der Vergänglichkeit in der
Marschallin, gerade umgekehrt ein Symbol für die ersten seiner vier Terzinen Über Vergänglichkeit
verlorene Noblesse Wiens, denkt weit jenseits ih- (Hofmannsthal 1952, 17):
rer selbst. Versunken in die Vergangenheit – Fami- Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
lie, Vorfahren, ihre Verpflichtung der Zukunft Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
gegenüber – reflektiert sie auf dieser Grundierung Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
die Phänomene Liebe, Zeit, Treue und die Bedeu- Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
tung inneren Adels. Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.
Auf der Ebene des Geschlechtes wird der Gene-
rationenkonflikt durch Octavian ausgespielt, der Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
potentiell selbst ein Ochs werden könnte. Sich Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Octavians Potentials voll bewusst, ersucht die
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
Marschallin ihn, nicht wie »der Feldmarschall und Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
der Vetter Ochs« (1. Akt, Zi. 292) zu sein – Octa- Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
vian überhört dies natürlich. Ochs, als Parodie der So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
Jugend Octavians und des Alters der Marschallin
angelegt, und Octavian teilen einen libidinösen Im Rosenkavalier liegt, ebenso wie in den beiden
Mangel an Einsicht; sie sind, nach Hofmannsthal, folgenden Opern, das Hauptaugenmerk auf der
hinter ihrer Adelsmaske Satyrn (Schuh 1971, 222). Beziehung zwischen dem Individuum und der
Ochs behauptet, er gleiche als Mann auf der Gesellschaft, auf jenem Phänomen außerhalb von
Pirsch dem Jupiter in seinen vielen Verkleidun- uns selbst, und auf der Wahrnehmung der Zeit
gen – doch das könnte auch Octavian tun: Als (als einem gesellschaftlichen Phänomen) in Bezug
Liebhaber, Graf, Rosenkavalier und selbst als auf das Individuum. Eine Figur erlangt vollstän-
Dienstmagd ist er überzeugend genug, den alten dige Humanität in dem Augenblick, in dem sie
»Jupiter« selbst hereinzulegen. Mit seiner Hosen- einen vollständigen Sinn für Vergangenheit, Ge-
rolle hingegen und seinem Schwanken zwischen genwart und Zukunft (»war«, »bin«, »werde«) ent-
den Geschlechtern auf der Bühne verkörpert er wickelt. Hierin liegt der Ursprung der so außer-
wie keine zweite Figur der Oper die Künstlichkeit ordentlichen Meditationen über Zeit und Verän-
und damit zugleich das Ende einer überlebten derlichkeit in vielen von Hofmannsthals Texten.
Gesellschaft. Als Siebzehnjährigen interessiert den cheru-
Sophies Naivität erscheint in ihrem Gegensatz binohaften Octavian die Zukunft herzlich wenig;
zur Marschallin in einem anderen Licht; diese er- er eröffnet die Oper, indem er zu seiner Geliebten,
192 Opern und Ballette

der Marschallin, spricht: »Wie du warst, wie du Nietzsches dunkler Vision des Dionysischen zu-
bist.« Am Ende des Aufzugs aber wird er schärfer: rück. Strauss hingegen wandte sich, nach einer
»[…] hier und heute das versteh ich / dich hab ich, zeitweisen Nietzsche-Reverenz während der Arbeit
dich seh ich / und Morgen soll sein wie Heute an seiner Alpensinfonie 1911, erst Mitte der 1930er
[…]« (von Strauss nicht vertonte Zeilen; Schuh Jahre, nach Hofmannsthals Tod, erneut Nietzsche
1971, 155). Die Marschallin, verheiratet und bei- zu. Das offensichtlichste Beispiel dafür ist seine
nahe doppelt so alt wie er, kennt alle drei Zeiten einzige weitere griechische Tragödie, der späte
des Verbs »sein« allzu gut, obwohl sie selbst über- Einakter Daphne (1937).
rascht ist, wie schnell ihre Ahnung aus dem ersten Geschmeichelt von Strauss’ Lob, er sei Scribe
Akt im dritten Realität wird: »Hab’ mir’s gelobt, und Da Ponte in einem, hoffte Hofmannsthal, der
ihn lieb zu haben in der richtigen Weis’, daß ich Rosenkavalier werde gut oder sogar »ausgezeichnet
selbst sein Lieb’ zu einer andern noch lieb hab’! […], und daß wir mit der Komödie so viele Zehn-
Hab’ mir freilich nicht gedacht, dass es so bald mir tausende schlagen werden als wir mit der ›Elektra‹
aufgelegt sollt’ werden!« (3. Akt, Zi. 285). Tausende geschlagen haben, wie es in der Bibel
Die unschuldige, unerfahrene Sophie – deren von Saul und David heißt: und hier wie dort ist ja
Vergangenheit sich hinter Klostermauern abspielte von Philistern die Rede!« (an Strauss, 24.4.1909;
und deren Sicht der Zukunft nicht schärfer ist als RSHH 57).
die Octavians – ist ganz in naiven Auffassungen Strauss und Hofmannsthal hatten mit dem
von Ewigkeit und idealisierter Liebe gefangen. Sie Rosenkavalier eine neue Art von Bühnenwerk er-
ist noch nicht fähig, zwischen dem wahrhaftig schaffen, die Sänger mit einzigartigen Schauspiel-
Wertvollen und dem Versilberten zu unterschei- fähigkeiten erforderte, und sie wussten bereits
den, zwischen dem Ewigen und dem zeitlichen vorher, wie schwierig sich die Probenarbeit Anfang
Augenblick: »Das ist ja weit«, sagt sie beim An- Januar 1911 in Dresden gestalten würde. Die Pro-
nehmen der silbernen Rose und des strahlenden bleme begannen damit, dass sie nicht ihre
Cousins, »ist Zeit und Ewigkeit in einem sel’gen Wunschbesetzung für den Ochs, Richard Mayr,
Augenblick, den will ich nie vergessen bis an mei- erhielten und mit dem hölzernen Carl Perron
nen Tod« (2. Akt, nach Zi. 34). vorlieb nehmen mussten. Noch schlimmer war
der Dresdner Opernregisseur Georg Toller, der
schon zur Uraufführung von Elektra einen eher
bescheidenen Beitrag geleistet hatte. Doch Hof-
Wirkung mannsthal fand einen Ausweg. Zunächst setzte er
durch, dass das Bühnenbild von Alfred Roller
In den Jahrzehnten seit ihrer Uraufführung haben entworfen werden sollte, jenem berühmten Aus-
Kommentatoren die Oper als einen Angelpunkt in stattungschef der Wiener Hofoper, der so erfolg-
Strauss’ Werk betrachtet, obwohl diese Ansicht reich mit Mahler zusammengearbeitet hatte. Rol-
meist durch die Linse der, wie es Glenn Gould ler fertigte in enger Zusammenarbeit mit Hof-
einmal nannte, hoch-modernistischen »time-style mannsthal eine äußerst detaillierte Regieskizze an,
equation«, die im 21. Jahrhundert im Großen und die zu diesem Zeitpunkt auf dem Gebiet der Oper
Ganzen irrelevant geworden ist, gewonnen wor- ohne Beispiel war. Außerdem sorgte Hofmanns-
den war. Wir erinnern daran, dass der Komponist thal dafür, dass Max Reinhardt, sein Berliner
in Feuersnot und Salome Extreme des Komischen Freund, als Regisseur beratend zur Verfügung
und des Tragischen ausgelotet und damit sein stand, auch wenn er zunächst die Bühne nicht
Manifest gegen einen trüben metaphysischen betreten durfte, sondern seine Ratschläge aus der
Wagnerianismus verfasst hatte. Elektra gab ihm Kulisse heraus erteilen musste. Sein Name er-
die Gelegenheit, eine musikdramatische Mani- schien auch nicht im Programmheft.
festation von Nietzsches Geburt der Tragödie zu »Es geht scheußlich!« (TrChr 324), notierte
komponieren. Nach Elektra war Nietzsche kaum Strauss in Dresden am 16. Januar 1911, dem Tag
noch eine Inspirationsquelle für den Komponis- der ersten Proben zusammen mit Reinhardt. Hof-
ten; Hofmannsthal kehrte sogar nie mehr zu mannsthal beschrieb jenen schwierigen Tag weit-
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 193

aus detaillierter: »Wie traurig waren wir gestern allem die anachronistischen Walzer verblüfften
vormittag auf den ersten kläglichen Proben, wie Kritiker. Die Reichsbahn setzte von Berlin nach
hilflos und traurig, Strauss tut mir so leid, der Dresden Sonderzüge ein, um der riesigen Nach-
große starke, halb grobe und halb überfeine frage Herr zu werden. Bis zum Jahresende wurde
Mensch, wie er dem Weinen so nah war. Hätten das Werk an mehr als 40 Bühnen im In- und
wir nicht Max Reinhardt hier, es wäre zum ver- Ausland gespielt, mit herausragenden Inszenie-
zweifeln« (Miller-Degenfeld 1974, 61). Eine Wo- rungen u. a. in München (1.2.1911, Leitung: Felix
che unermüdlicher Arbeit seitens Reinhardts und Mottl), Mailand (1.3.1911, Leitung: Tullio Serafin)
Rollers versetzten Hofmannsthal in eine weit und Berlin (14.11.1911, Leitung: Carl Muck). Die
bessere Stimmung, als er »die schönen langen mit Spannung erwartete Wiener Premiere unter
Vormittage, wo wir mit dem Orchester probierten Franz Schalk, mit Richard Mayr als idealer Ver-
und die bunten Gestalten oben standen, nur körperung des Ochs, ging am 8. April 1911 über
Reinhardt leise zwischen ihnen umherging«, ge- die Bühne; am anschließenden Bankett nahmen
nießen konnte. »Es ist etwas merkwürdiges, daß nahezu alle führenden Köpfe des Wiener musika-
einem manchmal, ganz selten, im Leben die Trä- lischen und literarischen Lebens teil. 1913 wurde
nen kommen über das ganz Schöne, das Vollen- das Stück erstmals in London gegeben (Covent
dete, den absoluten Zusammenklang. Ich erinnere Garden; Leitung: Thomas Beecham) und avan-
michs vor den Elgin marbles und einmal im Le- cierte seither in England zur am häufigsten ge-
ben vor einer Landschaft, dem Golf von Ithea in spielten Oper von Strauss überhaupt. Noch lange
Griechenland« (24.1.1911; ebd., 78). Es war tat- dominierten Aufführungskonzepte im Geiste von
sächlich das erste und einzige Mal, dass Hof- Alfred Rollers Kostümen und Dekorationen; her-
mannsthal glaubte, eine vollständige Synthese von vorzuheben wären u. a. die Inszenierungen Rudolf
Dichtung, Musik und Schauspiel sei erreicht Hartmanns (München 1937–1943) sowie Otto
worden. Schenks in Wien (1968–1994) und München
Was im Umkreis der Dresdner Premiere ge- (1972–1989). Aus dieser Tradition hinaus führten
schah, folgte dem Modell von Elektra zwei Jahre u. a. die Regisseure Claus Helmut Drese (Wiesba-
zuvor: vor allem eine massive öffentliche Propa- den 1967), Götz Friedrich (Stuttgart 1981), Ruth
ganda, bei der freilich die Presse auf Distanz gehal- Berghaus (Frankfurt 1992), Herbert Wernicke
ten wurde. Weder durften Journalisten den Proben (Salzburg 1995), Sven-Eric Bechtolf (Zürich 2004)
beiwohnen, noch erhielten sie vorab Klavieraus- und Stephan Herheim (Stuttgart 2009).
züge. Niemand kannte die Machenschaften der Der Rosenkavalier bleibt Strauss’ bekannteste
Kulturindustrie besser als Strauss, der die Presse – und meistgespielte Oper, ein Attraktionspunkt für
auch wenn er sie gelegentlich verabscheute – in die besten Sänger, Orchester und Dirigenten. Die
seinem Sinne zu behandeln wusste. Schon Monate Partie der Marschallin gehörte zu den Paraderollen
vor der Premiere erschienen in den Zeitungen mit von Lotte Lehmann, Viorica Ursuleac, Maria
bemerkenswerter Regelmäßigkeit dem Rosenkava- Reining, Elisabeth Schwarzkopf, Regine Crespin,
lier gewidmete Bulletins. In Dresden, das Strauss Christa Ludwig, Anna Tomowa-Sintow und Re-
zu seinem Bayreuth erhoben hatte und wo zwei nee Fleming: Sängerinnen, von denen jede dieser
Jahre zuvor Elektra-Schuhe, Elektra-Löffel und komplexesten aller Strauss-Rollen eine eigene
Elektra-Bierkrüge verkauft worden waren, bot Deutung abgewann. Den Ochs auf Lerchenau
man jetzt die verschiedensten Rosenkavalier-Sou- interpretierten einige der bedeutendsten deut-
venirs an. schen Sänger: beispielsweise Kurt Böhme, Walter
Die von Ernst von Schuch geleitete Premiere Berry, Kurt Moll, Karl Ridderbusch und Theo
der Oper mit Margarethe Siems (Marschallin), Adam. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich
Karl Perron (Ochs), Eva von der Osten (Octavian) die Wiener Philharmoniker ganz besonders dieser
und Minnie Nast (Sophie) sowie der Ausstattung Oper angenommen; davon zeugen so legendäre
durch Alfred Roller war eine Sensation, bei der Produktionen wie diejenigen mit Erich Kleiber,
allerdings das Publikum mehr Enthusiasmus Carlos Kleiber, Georg Solti, Leonard Bernstein
zeigte als die über die stilistischen Kontraste, vor und Herbert von Karajan.
194 Opern und Ballette

Wie vorausgesagt, schlug der Rosenkavalier Zerbinetta, Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin,


Zehntausende in seinen Bann und tut dies bis Brighella
heute. Hofmannsthal jedoch, sich seiner Schwä- Orchester: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fa-
chen als Opernlibrettist voll bewusst, wollte mehr gotte, 2 Hörner, 1 Trompete, 1 Posaune, Pauken,
als nur Theaterstücke für Musik schreiben. Erst Schlagzeug (kleine Trommel, Becken, Triangel,
Ariadne auf Naxos, eine von Strauss und Hof- Tamburin, Glockenspiel), 2 Harfen, Klavier, Har-
mannsthal selbst so beschriebene experimentelle monium, Celesta, 6 Violinen, 4 Violen, 4 Violon-
Zwischenarbeit, markierte den Übergang vom celli, 2 Kontrabässe
gesungenen Drama zum wahren Opernlibretto. Spieldauer: ca. 2 Stunden, 30 Minuten
Autograph: Partitur 1. Fassung: Richard-Strauss-Ar-
chiv Garmisch; 2. Fassung: Fürstlich Fürstenbergi-
sches Archiv und Hofbibliothek Donaueschingen
Diskographischer Hinweis Ausgaben: 1. Fassung (alle Berlin: Fürstner 1912):
Partitur, Nr. 6300; Klavierauszug (O. Singer),
i Maria Reining (Marschallin), Sena Jurinac (Oc- Nr. 6303; Textbuch, Nr. 6305; Regiebuch (M. Rein-
tavian), Hilde Güden (Sophie), Ludwig Weber hardt), Nr. 6308. 2. Fassung (alle Berlin: Fürstner
(Ochs), Wiener Philharmoniker, Erich Kleiber 1916): Partitur, Nr. 7450; Klavierauszug (O. Sin-
(1954), Decca 25025-D ger), Nr. 7453; Textbuch, Nr. 7454; Studienparti-
i Elisabeth Schwarzkopf (Marschallin), Christa tur, Nr. 7451; Nachdruck der Studienpartitur:
Ludwig (Octavian), Teresa Stich-Randall (Sophie), Werke Bd. 6
Otto Edelmann (Ochs), Philharmonia Orchestra
London, Herbert von Karajan (1956), EMI
7 49354 1
Entstehung

Weder Strauss noch Hofmannsthal hatten im


Entferntesten daran gedacht, dass Ariadne – zu-
Ariadne auf Naxos nächst als kurze »Zwischenarbeit« (Hoppe 1985,
61) gedacht – eine so komplexe, zeitraubende
Entstehungszeit: 1912–1916 Angelegenheit werden würde. Nach dem eher
Text: Hugo von Hofmannsthal heiteren Rosenkavalier wollte Strauss zu einem
Uraufführungen: ernsten Sujet zurückkehren. Doch aus einem
1. Fassung (op. 60 TrV 228) als Oper in einem »Semiramis«-Plan wurde nichts. Stattdessen erwog
Aufzuge. Zu spielen nach dem ›Bürger als Edelmann‹ Hofmannsthal ein Szenario mit einem »schlagen-
des Molière: Hoftheater Stuttgart, Kleines Haus, den Herz und erstarrten Herz als Grundmotiv«
25. Oktober 1912 (8.1.1911; RSHH 110). Die innere Nähe dieses um
2. Fassung (op. 60 (II) TrV 228a) als Oper in ei- den Verlust und die Wiederherstellung der
nem Aufzuge nebst einem Vorspiel: Hofoper Wien, Menschlichkeit kreisenden Themas zu Ariadne auf
4. Oktober 1916 Naxos ebenso wie zur Frau ohne Schatten ist nicht
Personen (2. Fassung): Vorspiel: Der Haushof- zu übersehen (Hoppe 1985, 60).
meister (Sprechrolle); der Musiklehrer (Bariton); Schon zu Beginn des Jahres 1911 waren Strauss
der Komponist (Sopran); Primadonna/Ariadne und Hofmannsthal überein gekommen, Max
(Sopran); der Tenor/Bacchus (Tenor); ein Offizier Reinhardt für dessen Einsatz vor der Rosenkava-
(Tenor); ein Tanzmeister (Tenor); ein Perücken- lier-Premiere zu danken, und zwar mit »einer
macher (hoher Bass); ein Lakai (Bass); Zerbinetta kleinen Oper nur für Kammermusik« (wie der
(hoher Sopran); Harlekin (Bariton); Scaramuccio Dichter seinem Vater am 21.1.1911 schrieb; Hoppe
(Tenor); Truffaldin (Bass); Brighella (hoher Tenor) 1985, 61); zu diesem Zweck beschäftigte sich Hof-
Oper: Ariadne (Sopran); Bacchus (Tenor); Najade mannsthal schon konkret mit dem Theater Mo-
(hoher Sopran); Dryade (Alt); Echo (Sopran); lières, dem er sich seit seiner Arbeit am Rosenkava-
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 195

lier immer entschiedener zuwandte. Vor allem Quintetten, Sextetten ist reichlich Gelegenheit.«
interessierten ihn Molières Komödien mit Tänzen, Zudem wünsche er sich von Strauss Hinweise, wo
eine »aus Prunk und Glanz und barocker Ohren- er genaue oder nur angedeutete Nummern haben
und Augenfreude geborene Sonderform des Höfi- wolle (RSHH 118). Das ließ sich der Komponist
schen Theaters«, die er mit Reinhardt wiederzube- nicht zweimal sagen. Am 22. Mai übermittelte er
leben versuchte (ebd., 60). Dass es der Stoff der dem Dichter neben Vorschlägen für die verschie-
von Theseus verlassenen, am Leben verzweifeln- denen Stimmfächer der Sänger eine Übersicht
den Ariadne auf Naxos sein würde, der dann mit über die vorgesehenen Nummern, darunter Rezi-
Molière zu verbinden war, stand schon im Februar tativ und Arie der Ariadne, Lied des Arlekin, eine
1911 fest; hier hat offenbar das Schicksal der große Koloraturarie der Zerbinetta, Männerquar-
von Hofmannsthal hochverehrten Gräfin Ottonie tett und -terzett sowie ein Finale mit abschließen-
von Degenfeld wesentliche Anregungen gegeben dem Liebesduett und Schlussensemble (ebd., 120).
(ebd., 64). Und kaum wenig später, nach intensi- Hofmannsthal, über das Schwergewicht von Zer-
ver Lektüre von Büchern zur italienischen Stegreif- binetta und ihren Koloraturen überrascht, gab
komödie und zu Märchenstoffen von Carlo Gozzi, sich zufrieden, war jedoch über Strauss’ knappen
war der Entschluss gefasst, der ernsten Ariadne die Kommentar zum eher dünnen dramatischen »Ge-
heitere Welt der Commedia dell’arte gegenüber- rippe« (ebd.) wenig erfreut, und diese Unzufrie-
treten zu lassen. Am 20. März erfuhr Strauss, die denheit steigerte sich noch, als Strauss wenige
»30-Minuten-Oper für kleines Kammerorchester« Tage später bemerkte, ihn interessiere »die Sache
sei in Hofmannsthals Kopf »so gut wie fertig«: Sie auch nicht gerade übermäßig« (ebd., 124). Erst
heiße »Ariadne auf Naxos« und sei »gemischt aus nachdem ihm Hofmannsthal in mehreren länge-
heroisch-mythologischen Figuren im Kostüm des ren Briefen die Handlung der Oper, ihren Zusam-
XVIII. Jahrhunderts in Reifröcken und Straußen- menhang mit dem Molièreschen Rahmen sowie
feder und aus Figuren der Commedia dell’arte, die Überleitungsszene zwischen Rahmen und
Harlekins und Scaramouches, welche ein mit dem Oper erläutert hatte und nach einem Arbeitstref-
heroischen Element fortwährend verwebtes Buffo- fen Anfang August 1911 in Garmisch waren die
Element tragen« (RSHH 112). Im selben Brief wesentlichen Schwierigkeiten überwunden. Bis
umriss Hofmannsthal auch die poetologische zur Lieferung aller Texte an den Komponisten und
Funktion der »Zwischenarbeit«: Mit ihrer Hilfe, der Fertigstellung der Partitur dauerte es freilich
so seine Hoffnung, werde er besser als bisher ler- noch; Strauss schloss die Partitur der Oper sowie
nen, »ein dramatisches Ganzes aufzubauen, in der Bühnenmusiken für den Molière am 22. Juli
welchem die Nummern die größte Bedeutung 1912 ab.
mehr und mehr wiedergewinnen müssen und wie Schwierig gestaltete sich aber nicht nur der
dabei das zwischen den Nummern Liegende stilis- Arbeitsprozess, schwierig erwies sich auch die Su-
tisch richtig zu behandeln ist, ohne daß man auf che nach dem passenden Theater für die Urauf-
das Secco-Rezitativ und die Prosa zurückgreifen führung. Sie begann bereits Ende 1911, und nach-
kann.« Im Mai 1911, in Paris, entschied sich Hof- dem Reinhardts Deutsches Theater in Berlin
mannsthal schließlich für Molières »Comédie- ebenso ausschied wie die Dresdner Hofoper (beide
ballet« Le Bourgeois Gentilhomme als Rahmen- Häuser waren zu groß), in der die letzten drei
handlung für Ariadne auf Naxos. Das Projekt der Strauss-Opern uraufgeführt worden waren, bot
»Zwischenarbeit«, so viel stand nun fest, sollte Strauss im Januar 1912 der Hofoper in Stuttgart,
eine Kombination sein aus gesprochenem Theater die sein Freund Max Schillings als Intendant lei-
mit Bühnenmusik und einer Oper. tete, die Premiere an, freilich mit der Auflage,
Nur vier Tage später erhielt Strauss ein erstes nicht nur Max Reinhardt als Regisseur, sondern
Szenarium (Hoppe 1985, 109–112). Hofmannsthal auch von ihm bzw. Hofmannsthal bestimmtes
suchte Strauss die Figur der Ariadne mit einem Bühnenpersonal sowie von Strauss engagierte
Hinweis auf Ähnlichkeiten zur Feldmarschallin Sänger und Instrumentalisten zu akzeptieren.
im Rosenkavalier schmackhaft zu machen und Unter diesen Bedingungen konnte die Urauffüh-
ergänzte: »Zu Nummern, Duetten, Terzetten, rung am 25. Oktober 1912 im Kleinen Haus des
196 Opern und Ballette

königlichen Hoftheaters in Stuttgart über die Handlung (gemäß der 2. Fassung)


Bühne gehen.
Der weitgehend erfolglosen Premiere folgte Vorspiel
eine tiefgreifende Revision. Frühe Kritiken mach- Nach einem »sehr lebhaften und heiteren« Vor-
ten deutlich, dass ein Teil des Publikums die Be- spiel in C-Dur hebt sich der Vorhang. Wir werden
ziehung zwischen dem gekürzten Molière (die drei zu Voyeuren und blicken hinter die Bühne, wo
Fünftel der gesamten Aufführung in Beschlag eine Theatervorstellung emsig vorbereitet wird.
nahm) und der Oper und ihrem außergewöhnli- Der reichste Mann Wiens (eine Figur, die Mon-
chen Nebeneinander von Tragödie und Komödie sieur Jourdain aus dem Bürger als Edelmann in der
nicht folgen konnte. Strauss resümierte später: ersten Fassung der Oper ersetzt) hat durch seinen
»Das eigentliche Schauspielpublikum kam nicht Haushofmeister wissen lassen, auf die Opera seria
auf seine Kosten, das Opernpublikum wußte »Ariadne auf Naxos« solle unmittelbar ein slap-
nicht viel mit dem Molière anzufangen. Der In- stickartiges Buffo-Spiel »Die ungetreue Zerbi-
tendant hatte an einem Abend Schauspiel- und netta und ihre vier Liebhaber« einer Commedia
Opernpersonal zugleich einzusetzen, und statt dell’arte-Truppe unter der Führung der charman-
zwei guten Einnahmen nur eine, noch dazu nur ten, verführerischen Zerbinetta folgen. Der Mu-
zweifelhafte ›Kasse!‹« (Strauss 1981, 239). siklehrer, der einen jungen Komponisten prote-
Aus diesem Grund entschieden Dichter und giert, ist verzweifelt und bringt es kaum über sich,
Komponist, ihr ursprüngliches Projekt aufzu- dem temperamentvollen jungen Mann die Nach-
spalten und die Teile ihre eigenen Wege gehen zu richt zu überbringen. Der Komponist und viele
lassen. Hofmannsthal brachte 1918 seine aus der der übrigen Theaterleute sind entsetzt.
Oper ausgeschiedene Molière-Bearbeitung als Dann platzt eine weitere Bombe: Der reichste
nunmehr dreiaktiges Theaterstück mit Strauss’ Mann, äußerst besorgt, sein für neun Uhr ange-
Schauspielmusik (von ursprünglich zehn Num- setztes Feuerwerk könnte vom Bühnenspektakel
mern auf siebzehn erweitert) auf die Bühne, doch verzögert werden, lässt dem Musiklehrer durch den
wurde das Werk, das am Deutschen Theater in Haushofmeister mitteilen: »Die Tanzmaskerade
Berlin am 9. April 1918 seine Premiere erlebte, wird weder als Nachspiel noch als Vorspiel aufge-
nach nur 31 Aufführungen wieder abgesetzt (Kon- führt, sondern mit dem Trauerstück Ariadne
rad 2005, 168). Strauss stellte 1919 aus seiner gleichzeitig.« Der Komponist ist außer sich und
Schauspielmusik, um sie wenigstens partiell am droht mit sofortiger Kündigung, kann aber beru-
Leben zu erhalten, eine neunsätzige Orchestersuite higt werden. Man berät, wie durch Kürzungen und
aus der Musik zum »Bürger als Edelmann« des komische Einschübe der Abend gerettet werden
Molière zusammen, die erfolgreich Eingang ins könnte. Der egozentrische Tenor und die nicht
Orchesterrepertoire des 20. Jahrhunderts gefun- weniger eitle Primadonna verlangen drastische
den hat. Einschnitte am Text des jeweils anderen. Derweil
An die Stelle des Molière trat ein neues Vorspiel macht sich die kokette Zerbinetta an den Kompo-
vor der Oper, ein lebhafter Prolog, in dem ein nisten heran, um den Plot des Trauerstücks zu er-
Blick hinter die Opernbühne geworfen wird. fahren. Er spricht in gehobenem Tonfall über
Strauss, der an der ersten Fassung hing, erklärte Liebe, Hingabe und Verklärung; sie hingegen redu-
sich allerdings erst im Januar 1916 bereit, das neue ziert seine erhaben-metaphysischen Ideen auf einen
Vorspiel zu komponieren. Auch über weitere Än- banalen Kern und teilt ihren Partnern mit: »Das
derungen sowie über die Gestaltung des Schlusses Stück geht so: eine Prinzessin ist von ihrem Bräuti-
der Oper wurde noch intensiv diskutiert und ge- gam sitzen gelassen, und ihr nächster Verehrer ist
stritten. Im Juni schließlich 1916 war die neue vorerst noch nicht angekommen. Die Bühne stellt
Fassung fertig. Sie erlebte am 4. Oktober ihre eine wüste Insel dar. Wir sind eine muntere Gesell-
Premiere in Wien und setzte sich in dieser Form schaft, die sich zufällig auf dieser wüsten Insel be-
bald durch. findet. […] Ihr richtet euch nach mir, und sobald
sich eine Gelegenheit bietet, treten wir auf und
mischen uns in die Handlung« (Hoppe 1985, 22).
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 197

Der Komponist, mit dem Zerbinetta flirtet, künden die drei Nymphen von der Landung eines
um ihn zu notwendigen Revisionen zu bewegen, Schiffes. An Bord Bacchus, knapp der bösen Circe
verfällt ihr und glaubt noch immer, Musik als entkommen, die vorgehabt hatte, ihn zu verfüh-
»heilige Kunst« schaffen zu können. Doch ein ren, zu entmannen und in ein Tier zu verwandeln.
greller Pfiff Zerbinettas, der ihren Commedia- Ariadne hält ihn zuerst für Theseus, dann für
dell’arte-Figuren signalisiert, dass sie die Bühne Hermes: Der Todesgott möge sie mit sich neh-
erobern werden, schreckt ihn aus seiner Träumerei men. Bacchus verfällt diesem wunderbaren Ge-
auf. Verzweifelt realisiert er, dass er hereingelegt schöpf völlig, das sich dem Tod so sehr verschrie-
wurde. Der Musiklehrer schüttelt den Kopf, wäh- ben hat (»Hör’ mich, du, die sterben will: Dann
rend der Vorhang fällt. sterben eher die ewigen Sterne, als daß du stürbest
aus meinen Armen!«), und beide machen jenen
Oper gefährlichen Schritt aus sich heraus: Sie riskiert
Es beginnt mit einer melancholischen Streicherou- den Tod, um einen höheren Sinn für das Leben zu
vertüre, die Lamentoklänge des italienischen Ba- erlangen, und er umarmt sie, obwohl er eben erst
rock evozieren soll. Ariadne liegt vor ihrer Höhle, dem tödlichen Griff einer Zauberin entronnen
außer sich vor Trauer, weil ihr geliebter Theseus sie war. So werden beide verwandelt: Ariadne erhält
verlassen hat. Wie in einem barocken Lamento ihren Lebenswillen zurück und Bacchus wird ein
beklagen drei Nymphen ihren untröstlichen Zu- Gott. Auch Zerbinettas spöttische Bemerkung
stand. Plötzlich schreit Ariadne auf und versucht, »Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben
ihre fragmentarische Erinnerung zusammenzuset- sind wir stumm!« wird daran nichts mehr ändern.
zen. Sie erinnert sich an einen glücklicheren Zu-
stand, als sie mit Theseus vereint war (»Ein Schö-
nes war, hieß Theseus-Ariadne, und ging im Licht
und freute sich des Lebens!«). Doch am Ende ihres Kommentar
Monologs fällt sie erneut in ihren der Totenstarre
ähnlichen Zustand und spricht über sich nur in Ariadne auf Naxos wurde zum ersten wirklichen
der dritten Person, wie über eine Tote. Prüfstein für die Beziehung zwischen Dichter und
Die komischen Figuren sind überraschender- Komponist. An ihm rieben sich beide von den
weise vom Lamento Ariadnes stark bewegt. Harle- ersten Stadien im Januar 1911 bis zur Urauffüh-
kin versucht, sie mit einem Lied (»Lieben, Has- rung im Oktober 1912, zur Revision der Oper 1916
sen«) in einem an Mozart angelehnten Stil zu und des Bürger als Edelmann im folgenden Jahr.
trösten. Ariadne jedoch ignoriert ihn mit ihrer Die Probleme hatten verschiedene Ursachen.
umfangreichsten Arie im gesamten Werk (»Es gibt Strauss war ein sorgfältiger Komponist und
ein Reich«). Sie will sich Hermes, dem Gott des arbeitete methodisch. Wie Mahler dirigierte er im
Todes, hingeben, der sie in die Unterwelt geleiten Winter und komponierte im Sommer; das kom-
wird. Nun schlägt die Stunde der Komödianten. positorische Projekt des Sommers wollte er immer
»Die Dame gibt mit trübem Sinn sich allzusehr schon im Frühling festgelegt wissen. Ohne ein
der Trauer hin«, stellen sie fest und folgern, in neues Libretto schrieb er am 17. März 1911 an
weiteren munteren Ensembles: »Es gilt, ob Tanzen Hofmannsthal: »Vergessen Sie nicht, ich habe für
und Singen tauge, von Tränen zu trocknen ein den Sommer noch nichts zu arbeiten. Sympho-
schönes Auge.« Schließlich scheucht Zerbinetta sie nien schreiben freut mich gar nicht mehr« (RSHH
davon und versucht nun selbst ihr Glück. Unbe- 112).
dingt positiv eingestellt, trägt sie in einer langen Hofmannsthal arbeitete anders als Strauss. Und
Koloraturarie Ariadne ihren Standpunkt vor, ge- er war keineswegs immer bereit, sich auf dessen
wissermaßen »von Frau zu Frau«. Wer ist schließ- Wünsche nach einem eher düsteren Sujet einzulas-
lich noch nicht von einem Mann betrogen wor- sen. Seine Gedanken kehrten vielmehr zu Molière
den? Das kurze Vaudeville »Die ungetreue Zerbi- zurück (der schon teilweise das Rosenkavalier-
netta und ihre vier Liebhaber« schließt sich an. Libretto beeinflusst hatte) und zur Möglichkeit,
Kaum hat Harlekin Zerbinettas Gunst gewonnen, ein Hybridwerk zu schreiben, das Theater, Tanz,
198 Opern und Ballette

Gesang und Pantomime verschmelzen sollte. Bei Theater keinen wirklichen Orchestergraben hatte,
aller Zufriedenheit mit dem Rosenkavalier war wurde die Musik für ein Kammerorchester aus
Hofmannsthal der Überzeugung, sein Libretto sei knapp über 30 Musikern inklusive Klavier und
an kritischen Momenten von der Musik zugedeckt Harmonium geschrieben.
worden. Deshalb war er bei seinem nächsten Werk Weil Strauss, wie eingangs schon erwähnt,
für Strauss von Anfang an darauf bedacht, die dieses »bizarre Ganze« nicht verstand, kam es zum
Integrität dieser separaten Elemente dadurch zu ersten Mal zwischen den konträren Persönlichkei-
gewährleisten, dass er sie zu einem integralen Be- ten zum Konflikt: hier der praktische Bayer, dort
standteil des Librettos machte. In eine zweiaktige der sensible Wiener. Obwohl Strauss schon bald
Bearbeitung von Molières fünfaktigem Le Bour- die musikalischen Nummern umrissen hatte, fiel
geois Gentilhomme, einem Theaterstück mit es ihm schwer, für Abstraktionen, für stilisierte
Schauspielmusik, sollte die Oper Ariadne auf Na- Figuren Musik zu schreiben. Hofmannsthal re-
xos nach einer Pause als abschließendes Divertisse- agierte darauf mit einem bemerkenswerten Brief
ment eingefügt werden. Strauss zögerte zuerst, von Mitte Juli 1911, der auf Wunsch von Strauss
nicht verstehend, wie wichtig dieses Projekt für kurz vor der Uraufführung veröffentlicht wurde.
Hofmannsthals künstlerische Entwicklung war. Er schrieb: »Es handelt sich [bei Ariadne auf Na-
Der Dichter schnitt Ariadne ganz konkret auf xos] um ein simples und ungeheueres Lebenspro-
das Berliner Deutsche Theater von Max Reinhardt blem: das der Treue. An dem Verlorenen festhal-
zu, einem Regisseur, dessen Bedeutung für die ten, ewig beharren, bis an den Tod – oder aber
künstlerischen Pläne, die Hofmannsthal um die leben, weiterleben, hinwegkommen, sich verwan-
Jahrhundertwende entwickelt hatte, kaum über- deln, die Einheit der Seele preisgeben, und den-
schätzt werden kann. Jene kritische Periode des noch in der Verwandlung sich bewahren, ein
künstlerischen Pessimismus in Hofmannsthals Mensch bleiben, nicht zum gedächtnislosen Tier
Leben, als er der Lyrik und damit dem Genre den herabsinken« (RSHH 134). Einige Zeilen aus dem
Rücken kehrte, das ihm so frühen Ruhm einge- Vorspiel, vom Komponisten zu Zerbinetta gesun-
bracht hatte, war eine Zeit sowohl innerlicher gen, reflektieren dieses für Hofmannsthal so zen-
Erforschung und Reflexion als auch der Suche trale Thema: »Ariadne […] ist die Frau, die nicht
nach Ausdrucksmöglichkeiten jenseits bloßer vergißt. […] Sie gibt sich dem Tod hin – ist nicht
Worte, denen er als Trägern expressiven oder mehr da – weggewischt – stürzt sich hinein ins
emotionalen Inhalts zu misstrauen begann. Hof- Geheimnis der Verwandlung – wird neu gebo-
mannsthal strebte nach einer unmittelbareren ren – entsteht wieder in seinen Armen! – Daran
Sprache als der gesprochenen oder geschriebenen, wird er zum Gott. Worüber in der Welt könnte
und er fand sie im Theater, in einer Fusion (aber eins zum Gott werden als über diesem Erlebnis?«
nicht einer Synthese) der Künste: Schauspiel, (Hoppe 1985, 22).
Geste, Ritual, Mythos (besonders der griechische), Hofmannsthal hatte damit einen Gedanken
Bühnenbild und, nicht zuletzt, Musik. Dabei formuliert, der auch Strauss ansprach und das
spielte Reinhardt eine wesentliche Rolle, und wie zentrale Thema schon der vorangegangenen
wir von der Rosenkavalier-Uraufführung wissen, Opern gebildet hatte: das der Transformation auf
blieb der Regisseur ein wichtiger Ratgeber. Hof- allen Ebenen. Durch Ariadnes Liebe wird Bacchus
mannsthal unterstrich dies während der Arbeit an verklärt, und Ariadne selbst, die sich, vergeblich
Ariadne, die Reinhardt gewidmet war, unmissver- auf den treulosen Theseus wartend, den Tod
ständlich: »[…] nicht zehn Pferde bringen mich wünscht, wird durch Bacchus’ Umarmung ver-
dazu, die Adaptierung des Molière und die Einlei- wandelt und bereit zu einem neuen Leben. Für
tungsszene auch nur zu machen, wenn es nicht Hofmannsthal war es das Wunder des Lebens,
Reinhardt sein sollte, der es herausbrächte. Dies dass eine alte Liebe (Ariadnes Liebe zu Theseus)
nicht aus sentimentalen Gründen, sondern weil stirbt und aus ihrer Asche eine neue (ihre Liebe zu
dieses bizarre Ganze nur in Reinhardts Atmo- Bacchus) erstehen kann. Gerade in dieser Trans-
sphäre bestehen kann, auf die es berechnet ist« (an formation, die uns zu vergessen zwingt, liegt die
Strauss, 4.11.1911; RSHH 148). Weil Reinhardts Essenz, auf die Hofmannsthal zielte. Wie kommt
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 199

es, dass wir – im selben Körper – einst waren, jetzt denn ohne das Wissen des Publikums um die
sind, und dereinst sein werden? Dieses Geheimnis Tradition kann die Parodie nicht funktionieren.
des Lebens durchzieht die meisten von Hofmanns- Während Strauss im Rosenkavalier auf den Stil
thals Werken. Wir erinnern uns an die ersten anderer Komponisten anspielt, zitiert er in Ariadne
Zeilen im Rosenkavalier, wo Octavian das Verb spezifische Kompositionen: Mozarts A-Dur-Kla-
»sein« transformiert (»Wie du warst, wie du bist. viersonate KV 331 (Harlekins »Lieben, Hassen«)
Das weiß niemand, das ahnt keiner«). Elektra und Schuberts Wiegenlied D 498 (Nymphen:
hingegen ist eine Gefangene der Vergangenheit, »Töne, töne, süße Stimme«). Obgleich Zerbinet-
sie kann nicht vergessen und deshalb bleibt ihr die tas berühmte Koloraturarie ohne direkte Zitate
Verwandlung, zu der Ariadne fähig ist, verwehrt. auskommt, macht Strauss Hofmannsthal von Be-
Deshalb muss Elektra sterben, denn nach Hof- ginn an klar, dass Bellini, Donizetti und andere als
mannsthals Verständnis benötigt das Leben das Stilvorbilder dienten.
Vergessen und den Wandel; Nichtstun hingegen Über Ariadne auf Naxos lediglich als esoteri-
bedeutet Stagnation und Tod. sches oder experimentelles Theaterwerk zu spre-
Die Gegenüberstellung der sublimen Welt der chen hieße, eine der größten deutschen Opern des
Oper mit der alltäglichen Welt des neuen Vor- 20. Jahrhunderts weit zu unterschätzen. Ariadne
spiels generiert ein komplexes Amalgam kontras- wurde bald zu einem von Strauss’ Lieblingswerken
tierender literarischer und musikalischer Stile, die und Hofmannsthal hielt es für seine beste Opern-
auf den ersten Blick die Kohärenz des Werkes zu dichtung neben der Ägyptischen Helena. Das ist
unterminieren scheinen. In den Händen minderer durchaus nicht selbstverständlich und war dem
Künstler hätte sich ein derartiges Konzept als Stück, wie gezeigt, nicht an seiner Wiege gesungen
Ding der Unmöglichkeit erweisen können. Doch worden. Als wesentlicher Impuls für die Entste-
Strauss’ Vorliebe für das Gegenüber von Trivialem hung des Werkes ist Hofmannsthals Wunsch an-
und Erhabenem machte ihn zum idealen Partner zusehen, als Librettist zu reüssieren und damit
für Hofmannsthals Ziel, auf Kontrasten aufzu- mehr noch als bisher das Vertrauen seines Kompo-
bauen und jenseits dieser Kontraste die Harmonie nisten zu gewinnen. Es fiel ihm schwer zu akzep-
des Ganzen zu entdecken. Strauss zelebrierte die tieren, Strauss könne ein Drama erschaffen, das
Juxtapositionen, die Schnittpunkte zwischen nicht – wie Rosenkavalier, Elektra, Salome – zur
Opera seria und Commedia dell’arte, an denen Gänze durch den Text definiert war. Die Lösung
exakt angesteuerte Momente der Erhabenheit von lag in einem Libretto, das Spielraum für all jene
der koketten Zerbinetta, der Lieblingsfigur des psychologischen und dramaturgischen Nuancen
Komponisten, unterlaufen werden. Allerdings ist ließ, die früher in die Prosakomödie eingebaut
wegen all dieser Parodie und des Pasticcios Ariadne waren. Bevor also Hofmannsthal zum nächsten
möglicherweise die am wenigsten verstandene wirklich großen Opernprojekt schreiten konnte,
Oper von Strauss. Nur wenig in diesem Werk ist, musste er zuerst Strauss und sich selbst beweisen,
was es zu sein scheint. Keine Oper seit Mozarts dass ein Libretto auch als Gerüst angelegt werden
Così fan tutte war je gleichzeitig so unbeschwert konnte, um der Musik, die die psychologischen
und so tiefsinnig. Hinter all ihren Koloraturfeuer- Charakterisierungen zu liefern hatte, genügend
werken erweist sich Zerbinetta voll Scharfsinn Raum zu geben. Das Libretto als Rahmen und
und Einsicht, und Ariadne ist viel menschlicher nicht als fertiges Schauspiel: Das war eine noch
als die steife mythologische Figur, als die sie sich bessere Antwort auf die Sprachkrise, wie Hof-
zunächst präsentiert. mannsthal sie in seinem Chandos-Brief schon 1902
Ariadne auf Naxos ist eine weitere Oper in artikuliert hatte.
Strauss’ neuer, stilistisch eklektischer Attitüde, Zum Beleg taugte nur die Praxis. Hofmanns-
doch sind ihre kritischen Stilschichtungen und ihr thal griff auf seine frühesten literarischen Vorbil-
parodistischer Habitus noch schärfer gezeichnet der zurück, auf den französischen Barock, genauer:
als bei dem voraufgegangenen Rosenkavalier. Zu- das Comédie-Ballet, ein Genre, das per definitio-
dem zielt Ariadne auf ein neues Verhältnis zwi- nem nicht nur Gesang und gesprochenes Wort
schen Komponist, Ausführenden und Publikum, kombinierte, sondern auch auf komplexe Weise
200 Opern und Ballette

das Komische und das Ernste. Für den promovier- Versuch ist Molières Stück auf seine Essenz redu-
ten und habilitierten Romanisten Hofmannsthal, ziert: Dialog, Gesang und Tanz.
einen Kenner der französischen Literatur, sollte Strauss war das Milieu des französischen Ba-
ein modernes ›Gesamtkunstwerk‹ weder auf etwas rock nicht fremd. Immerhin hatte er schon 1900,
Deutschem noch überhaupt auf dem 19. Jahrhun- inspiriert durch Watteaus Bild Einschiffung nach
dert aufbauen, sondern auf dem französischen Kythera (1717), ein Ballett über dieses Sujet zu
Barock aus der Zeit Ludwigs XIV. Das Comédie- komponieren begonnen. Aus den Skizzen über-
Ballet mit seinen Elementen von Mythos und nahm er Material für die Schauspielmusik zum
Maskenspiel eröffnete ihm für die Konzeption von Molière, und zwar für das Menuett wie auch für
Ariadne neue Möglichkeiten, und so verstand den Tanz der Schneider, eine Gavotte. Ein Diner
Hofmannsthal das Projekt als »ein neues Genre, bot Gelegenheit zum musikalischen Zitat: augen-
das scheinbar auf ein älteres wieder zurückgreift, zwinkernde Anspielungen an Wagners Rheingold
wie ja alle Entwicklung sich in der Spirale voll- beim Auftischen des »Salmen vom Rhein« sowie
zieht« (RSHH 113). Molière und Lully, die im an Musik aus Strauss’ Tondichtung Don Quixote
17. Jahrhundert so bestechend zusammengearbei- (Hammelblöken) zur »Hammelkeule in italieni-
tet hatten, ließen in ihren Comédie-Ballets die scher Weis’«, und zu »Drosseln und Lerchen auf
verschiedenen Künste nebeneinander bestehen – Salbei und Thymian« Variationen des Vogelge-
woraus Hofmannsthal schlicht den Primat der zwitschers aus dem ersten Akt des Rosenkavaliers.
Musik über alle anderen Elemente folgerte. Nachdem Strauss das Szenario für das Divertis-
Nietzsche merkte einmal an, dass Wagner nicht sement bzw. die Oper erhalten hatte, legte er be-
tanze (Nietzsche 1977, 1043). Hofmannsthal, reits wenige Tage später die wichtigsten Besetzun-
darauf erpicht, Strauss von Wagner und Bayreuth gen fest:
zu entfremden, sah die Möglichkeit dazu in einem – Ariadne: Alt (später dramatischer Sopran),
Divertissement, angehängt an eine freie Adaption – Bacchus: lyrischer Tenor,
von Molières Le Bourgeois Gentilhomme und dort – Najade und Dryade: Soprane,
die finale türkische Zeremonie mit ihren Liedern, – Zerbinetta, eine »Paraderolle«: hoher Kolora-
Pantomimen und Tänzen ersetzend. Vermutlich tursopran,
wird sich Hofmannsthal in seiner Contra-Wagner- – Harlekin: Spiel-Bariton,
Laune über die unbeabsichtigte Ironie von Jour- – die »3 andern« Komödianten: Tenor-Buffo und
dains Worten »Musik und Tanzen, das ist alles, zwei Bässe.
was man wissen muß« gefreut haben. Als Schau- Auch die musikalischen Nummern (Lieder, Arien,
spiel und zugleich als Divertissement konnte Ensembles) hatte er bereits im Kopf. Für die Or-
Hofmannsthal ein ganz anderes Stück als seine chesterbesetzung waren nicht mehr als 20 Spieler
bisherigen Operndichtungen schreiben und vorgesehen: Streichquintett, einfache Holzbläser,
gleichzeitig das Verfertigen eines Librettos, oder ein oder zwei Hörner, Trompete, Cembalo, Harfe,
zumindest einer bestimmten Art des Librettos, Celesta, Harmonium und Schlagzeug (RSHH
üben: all dies zu Ehren seines Freundes Max Rein- 120 f.). Diese Besetzung sollte sich im Laufe der
hardt, des Regisseurs der Uraufführung. Die ur- Komposition fast verdoppeln.
sprünglichen Konturen waren recht einfach: zwei Im ersten Szenarium Hofmannsthals erscheint
gegensätzliche Welten, Commedia und Seria, das Divertissement noch recht unpersönlich. Ari-
beide im Geiste Molières. Der Weg ging vom adne, eine der berühmtesten Figuren barocker
Komischen des Sprechstücks zum Tragischen der Opern, war für Komponisten von Monteverdi bis
Oper, obwohl eigentlich im Divertissement das Händel und darüber hinaus vor allem das Urbild
Tragische von stilisierter Ironie unterlaufen und an rhetorischem Pathos. Erst als der Text sich
von komischen Elementen konterkariert wird. konkretisierte, zeigte sich, dass Hofmannsthal mit
Hofmannsthals folgte dem Geist der Pariser Satire, bislang unerhörtem Selbstvertrauen eine Opern-
der schon den Rosenkavalier so charakteristisch hybride wollte: ein tiefsinniges, voll ausgebildetes
geprägt hatte, und reicherte ihn mit mystischer lyrisches Drama und ein ironisches Zwischenspiel
Verwandlung an. In diesem minimalistischen (Forsyth 1982, 56–61). Als er am 12. Juli 1911 das
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 201

Libretto fertigstellte, war die Oper allerdings auf doch Hofmannsthal hatte die Oper mindestens
mehr als das Doppelte angewachsen. Bacchus tritt ebenso der Gräfin Degenfeld zugeeignet, wie die
erst nach fast zwei Dritteln der Gesamtdauer auf. Korrespondenz zeigt (Miller-Degenfeld 1974, 165).
So bieten nun die Nymphen dem Publikum gleich Harlekins Lied etwa an die trauernde Ariadne,
modernen »Nornen« die nötige erzählerische Vor- »Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen«, wendet sich
bereitung auf seinen Auftritt. Wie es scheint, traf zugleich an die verzweifelte Gräfin:
Romain Rolland ins Schwarze, als er in einem Musst dich aus dem Dunkel heben,
Brief an Strauss vom 10. Juni 1924 treffend be- Wär’ es auch um neue Qual,
merkte, Hofmannsthal habe seine historischen Leben mußt du, liebes Leben,
Leben noch dies eine Mal!
Pasticci immer mit »einem ironischen Gedanken«
begonnen, »den seine bewundernswerte Virtuosi- Harlekins Lied steht in starkem Kontrast zur In-
tät so überzeugend gestaltet, daß er ihn schließlich nerlichkeit der Lyrik des jungen Hofmannsthal
selbst ernst nimmt« (Hülle-Keeding 1994, 137). vor dem Chandos-Brief. Längst hatte er den Weg
von der »Präexistenz« (Traum) zur »Existenz«
(Welt) gefunden, und tatsächlich wurde genau
Vom Divertissement zum Drama
dieser Weg das zentrale Thema von Ariadne auf
Während der Genese des Librettos wurde Hof- Naxos: ein Weg bzw. ein Prozess, der die Form der
mannsthal früh klar, dass seine Hauptfigur Ari- Verwandlung annimmt. Bereits 1904 nahm Hof-
adne nicht durch steifen Historismus geprägt sein mannsthal den notwendigen Weg Ariadnes aus
sollte. In seinem Begleitbrief zum Szenarium der selbst gewählten Finsternis hin zur Teilnahme
(19.5.1911) betonte er, Ariadne solle »zart umrissen« an der Welt der Lebenden in seinem Gespräch über
werden, »aber ganz wirklich, so wirklich wie die Gedichte vorweg: »Wollen wir uns finden, so dür-
Feldmarschallin« (RSHH 118). Und tatsächlich fen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen: drau-
könnte, was Ariadne in ihrer ersten Arie ausruft, ßen sind wir zu finden, draußen« (Hofmannsthal
genauso gut die Marschallin singen: »[…] ja, dies 1987, 106). So verwandelt sich das »Ich« zum
muss ich finden: Das Mädchen, das ich war!« »Über-Ich«, das »werden« zum »sein«.
Wenn Rolland und andere Hofmannsthals Obwohl ohne Zwang, ein »echtes Libretto« zu
Hinwendung zur Psychologie während der Entste- schreiben, begann Hofmannsthal paradoxerweise
hung des Librettos kritisierten, so taten sie dies genau dies zu tun. Es überrascht wenig, dass auch
ohne Wissen um ein autobiographisches Moment: Ideen aus der Frau ohne Schatten (die lediglich
Hofmannsthals Beziehung zur trauernden, zurückgestellt worden war) in den Text einflossen,
sprachlosen Gräfin Ottonie von Degenfeld. Im besonders die Idee des »Allomatischen« (Gilliam
Jahr 1908 hatte sie, im Alter von 28 Jahren, zwei 2010, 309, Fn. 11), der gegenseitigen Verwandlung
Jahre nach ihrer Hochzeit und nur zwei Monate durch Liebe. In Die Frau ohne Schatten wird das
vor der Geburt ihrer Tochter Marie-Therese ihren allomatische Element zwischen Kaiser und Kaise-
Mann verloren. Sie erlitt einen Nervenzusammen- rin sowie auf einer tieferen Ebene zwischen Barak
bruch. Hofmannsthal lernte sie 1909 kennen und und seiner Frau wirksam; in Ariadne auf Naxos
war entschlossen, diese vitale junge Frau, die den hingegen allein zwischen Bacchus und Ariadne.
Künsten so verbunden gewesen war, durch das In der zweiten Fassung sind alle Spuren des
Neuerwecken ihrer Liebe zur Literatur wieder Divertissements getilgt. Die »Zwischenarbeit«
zum Leben zu erwecken. Die veröffentlichte Kor- wird zur Oper in einer Oper, mit einem neuen
respondenz zwischen beiden spiegelt das weite li- Vorspiel, das seit jeher ganz besonders das Inter-
terarische Feld, das sie bis zu Hofmannsthals Tod esse der Kommentatoren geweckt hat. Allerdings
1929 diskutierten. Als der Dichter an Ariadne zu haben sie es unterlassen, mit dem notwendigen
schreiben begann, vertiefte sich seine Beziehung Nachdruck darauf hinzuweisen, dass es sich bei
zu Degenfeld signifikant. Der Tonfall der Briefe dieser Oper in der Oper tatsächlich um die ein-
wurde persönlicher und ging über eine Lehrer- aktige Mythologie handelt, die auf Elektra folgt,
Schüler-Beziehung deutlich hinaus. Ariadne auf mithin um eine direkte Antwort auf Hofmanns-
Naxos mag wohl Max Reinhardt gewidmet sein, thals dunkle sophokleische Tragödie. Zerbinetta
202 Opern und Ballette

mag Ariadnes komödiantisches Gegenteil sein, ihr Reprise des Verwandlungsduettes von Bacchus
tragisches Gegenstück aber ist Elektra. Das Leben, und Ariadne auflöst.
so erinnert Hofmannsthal uns in Ariadne, bedarf Der Plot von Divertissement bzw. Oper ist in
des Vergessens und damit der Veränderung, Nichts- beiden Versionen ähnlich: Ein neureicher Bürger
tun ist Stagnation, führt in letzter Konsequenz veranstaltet eine Maskerade, die nur mit einer Art
zum Tod. Obwohl sie versucht ist, genau dies »höfischen Spektakels« zu bewerkstelligen ist. Für
zu tun, den Tod zu suchen, umarmt Ariadne den ungehobelten bürgerlichen Edelmann ebenso
Bacchus – und (über)lebt, kehrt, verwandelt, ins wie den reichsten Mann von Wien ist ›mehr‹ gleich
Leben zurück. Librettist und Komponist waren ›besser‹. Jeder möchte seinen Kuchen essen und
sich über diese Kulmination in der Schlussszene besitzen – und das kann nur bedeuten, dass Seria
vollkommen einig. und Buffa kombiniert werden müssen, wenn für
Das wichtigste Kennzeichen des Divertisse- das Feuerwerk noch genügend Zeit bleiben soll.
ments, das in der zweiten Version aufgegeben Eine weitere Konsequenz der Umarbeitung
wurde, findet sich am Schluss der Erstfassung. vom halbstündigen Divertissement zur voll ausge-
Dort kamen, nach der Verwandlung von Bacchus prägten Oper war das Zurückdrängen der Figur
und Ariadne, noch einmal erst Zerbinetta, dann des Bacchus. Die vermeintliche zweite Hauptfigur
Jourdain zu Wort. Zerbinetta, von ihrem Gefolge der Oper spielt zuletzt nur eine Nebenrolle neben
umringt, wiederholt mit spöttischem Triumph ihr den Hauptfiguren Ariadne und Zerbinetta, zwei
schon früher vorgetragenes Rondo: »Kommt der großen Sopranistinnen in wörtlichem und im
neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm! übertragenen Sinne »von A bis Z«. Zerbinetta ist
[…] Sind verwandelt um und um! […] So war es trotz ihrer frivolen Redeweise und ihrer zirzensi-
mit Pagliazzo und mit Mezzetin! Dann mit Ca- schen Koloraturen voller Verständnis und Einsicht
vicchio, dann Burattin! Doch niemals Launen, in die conditio humana von Ariadnes Verlust, und
immer ein Müssen, immer ein neues beklomme- Ariadne, wie wir durch Ottonie Degenfeld wissen,
nes Staunen: Daß ein Herz so gar sich selber, gar ist weit menschlicher als die stilisierte Figur, die sie
sich selber nicht versteht!« (Hoppe 1985, 149). zu sein scheint. Gleich der Kaiserin in Die Frau
Alle gehen ab außer Jourdain, der »vor sich hin« ohne Schatten braucht Ariadne ein alltägliches
sinniert: »Alle Leute rücken mir beständig nichts Gegenstück. An die gleichrangige Dualität von
als meinen Verkehr mit großen Herren vor – und Ariadne (das Göttliche) und Zerbinetta (das
ich, ich weiß mir einmal nichts Schöneres als das; Menschliche), wie in der ersten Version intendiert,
es ist doch bei großen Herren ein Anstand, eine sind verschiedene weitere Dualitäten gebunden:
leichte gelassene Höflichkeit ohnegleichen, und Ariadne Zerbinetta
ich wollte, daß es mir ein Paar Finger aus der Hand Treue Promiskuität
gekostet hätte und daß ich dafür ein Graf oder ewig augenblicklich
Marquis von Geburt wäre und dieses gewisse Etwas Transzendenz Illusion
mit bekommen hätte, mit dem sie allem, was sie Negation Akzeptanz
tun, ein solches großes Ansehen zu geben wissen!«
(ebd., 150). Bacchus, die einzige männliche Hauptfigur in ei-
Die Oper endet im banalen C-Dur, wie es ner Oper, erweist sich kaum als die typische hero-
schon die Ouvertüre ganz zu Beginn geprägt ische Figur, die wir mit der Opera seria verbinden.
hatte. Die Illusion ist zweifach gebrochen, zuerst Als Held erscheint er nicht, im Gegenteil: Schon
von der treulosen Zerbinetta und dann vom hirn- die hohe Lage droht seine Rolle zu karikieren, und
losen Jourdain, und wir kehren zur Musik des natürlich bewirkt das auch sein außergewöhnlich
Anfangs zurück. In der zweiten Fassung wird aus später Auftritt: eine eigenartige Antiklimax des
dem Divertissement eine selbständige, ausgewach- Tenorparts, für den Strauss so wenig Sympathien
sene Oper, die nicht mit C-Dur schließt, sondern hegte.
in der in einen Des-Dur-Wohlklang eingehüllten In der Summe verkörpern beide Fassungen von
Verwandlung gipfelt. Von der Ironie bleibt nur Ariadne auf Naxos Transformationen auf verschie-
Zerbinettas kurzer Auftritt übrig, der sich in die denen Ebenen: die allomatische Verwandlung von
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 203

Bacchus und Ariadne auf der narrativen Ebene reagierte positiv und direkt. Zwischen 1911 und
ebenso wie die konzeptuelle Verwandlung des 1916 wuchs Ariadne – in ihren verschiedenen Ma-
halbstündigen Divertissements in den Opernein- nifestationen – in einem langen und wechselseiti-
akter. Hofmannsthal bemerkte später, die Haupt- gen Prozess des Lernens und Revidierens heran,
stärke der Oper läge in der Versammlung jener der in den weiteren Opernprojekten reife Früchte
vermischten Elemente bayerisch-österreichischer trug. Hofmannsthal hatte das Handwerk des Li-
Tradition (heroische Mythologie, französischer brettisten gelernt, und er hatte ein Thema gefun-
Barock, Commedia dell’arte sowie – Ottonie von den, das ihn und Strauss während des nächsten
Degenfeld einbeziehend – die zeitgenössische Jahrzehnts begleiten sollte: nicht Wagnersche Er-
conditio humana), die alle durch Musik zusam- lösung, sondern Verwandlung durch Liebe, die in
mengeschweißt würden (an Strauss, 12.2.1919; ehelichen Beziehungen manifest wird. Die nächs-
RSHH 443). Obwohl sich Dichter und Kompo- ten drei Opern von Strauss – Die Frau ohne Schat-
nist nicht völlig einig über Ariadne waren, schufen ten, Intermezzo, Die Ägyptische Helena – bilden ein
sie trotzdem ihre beste mythologische Oper, ein Triptychon aus Ehestücken: zwei Dichtungen von
Werk, in dem Musik und Text integriert sind wie Hofmannsthal rahmen eine vom Komponisten
in keiner von Strauss’ anderen Opern: ein bemer- selbst geschriebene autobiographische ›Opera do-
kenswertes Amalgam von Stil und Substanz, Tra- mestica‹.
gödie und Komödie, Sparsamkeit und Überfluss,
und alles von einer phantasmagorischen musikali-
schen Oberfläche zusammengehalten, die Strauss
später nicht mehr übertroffen hat. Wirkung
Hofmannsthal erinnerte Strauss einmal daran,
die Oper sei immer schon ein Gesamtkunstwerk Ariadne auf Naxos gehört zu den ersten von vielen
gewesen; Wagner habe ein Konzept aufgegriffen, die Commedia dell’arte einbeziehenden Opern
das so alt war wie die Oper selbst, nämlich »Wie- des 20. Jahrhunderts (weitere stammen von Bu-
dergeburt des antiken Gesamtkunstwerkes zu soni, Weill etc.). Die gegenwärtige Beliebtheit des
sein« (12.2.1919; RSHH 442). Tatsächlich hielt Stückes lässt darauf schließen, dass seine modern
Hofmannsthal Wagners Projekt für eine Deforma- anmutende Vielfalt der Stile sowie die Harmonie
tion des originalen antiken Konzepts, eine Meta- der Kontraste ein neues Publikum in unserer post-
kunst durch Synthese. Die richtige und zugleich modernen Epoche gewonnen hat.
moderne Antwort musste nach seiner Überzeu- Der kontinuierliche Anstieg an wissenschaft-
gung genau das Gegenteil sein: geschlossene lichen Studien bestätigt diese Hypothese: Karl
Nummern statt »unendliche Melodie«, Uneinheit- Dietrich Gräwe (1969), George Buelow und
lichkeit statt Totalität, griechischer Mythos statt Donald Daviau (1975), Charlotte Erwin (1976 und
teutonische Legende – letztlich eine romanische 1981) sowie Karen Forsyth (1982) haben eine be-
Antwort auf den germanischen Impuls. Die von eindruckende Menge an Forschungsarbeit zusam-
Hofmannsthal propagierte Trennung der Künste – mengetragen über eine Oper, deren Bekanntheit
Prosa, Schauspiel, Gesang und Tanz – nahm auch auf außerdeutschen Bühnen kometenhaft
Strawinskys Reaktion auf Wagner (L’Histoire du angestiegen ist. Sie stand zudem im Fokus von
Soldat, 1919) um mehrere Jahre vorweg. Diskussionen über »Strauss als ›Modernist‹ oder
Mit seiner Rückkehr zur Antike, die so weit ›Post-Modernist‹?«, insbesondere bei Leon Bot-
entfernt war von der dunklen Tragödie der Elektra, stein (1992) und, allgemeiner, bei Fredric Jameson
schuf Hofmannsthal sein erstes Opernlibretto, in (1991), der die Dichotomie zwischen modernisti-
das er musikalische Gesten, Ensembles, Singwei- scher »parody« und post-moderner »pastiche«
sen von Anfang an eingebaut hatte. So sicher war diskutiert hat (Jameson 1991, 17).
sich Hofmannsthal über das Verhältnis von Wort Der Stuttgarter Uraufführung der 1. Fassung
und Musik, dass er an den Rändern seines Manu- unter Strauss’ eigener Leitung, mit Maria Jeritza
skripts zahlreiche Anmerkungen zur Musik ver- (Ariadne) und Margarethe Siems (Zerbinetta),
fasste, um Strauss Hilfestellungen zu geben. Dieser folgten im selben Jahr 1912 immerhin noch 14 Erst-
204 Opern und Ballette

aufführungen im In- und Ausland (Zürich, Prag). Diskographischer Hinweis


Auch 1913 sind immerhin 17 Aufführungen zu
verzeichnen, u. a. in Berlin, Basel und London. 1. Fassung (mit Reduktion des Molière auf die
Ein Repertoirestück ist Ariadne allerdings allein in Musiknummern und eine Sprechrolle):
der 2. Fassung geworden; bereits die Wiener Ur- i Margaret Price (Ariadne), Sumi Jo (Zerbinetta),
aufführung unter Franz Schalk setzte mit Maria Gösta Winbergh (Bacchus), Orchester der l’Opéra
Jeritza (Ariadne), Selma Kurz (Zerbinetta) und National de Lyon, Kent Nagano (1997), Virgin
Lotte Lehmann (Komponist) höchste Maßstäbe. classics 7243 45111 2 7
1926 erklang das Stück als erste Strauss-Oper bei
den Salzburger Festspielen. An neueren Inszenie- 2. Fassung:
rungen zu erwähnen wären u. a. diejenigen von i Lisa Della Casa (Ariadne), Irmgard Seefried
Dieter Dorn (Salzburg 1979), Axel Manthey (Komponist), Hilde Güden (Zerbinetta), Rudolf
(Stuttgart 1992), Jossi Wieler und Sergio Morabito Schock (Bacchus), Wiener Philharmoniker, Karl
(Salzburg 2001), Robert Carsen (München 2008), Böhm (1954), Deutsche Grammophon 445 332–2
Christian Stückl (Hamburg 2012). Auch die erste i Deborah Voigt (Ariadne), Anne Sofie von Otter
Fassung ist gelegentlich auf die Bühne zurückge- (Komponist), Natalie Dessay (Zerbinetta), Ben
kehrt, zuletzt 2012 in der Salzburger Inszenierung Heppner (Bacchus), Dresdner Staatskapelle, Giu-
von Sven-Eric Bechtolf. seppe Sinopoli (2000), Deutsche Grammophon
In den Jahrzehnten unmittelbar nach der Pre- 471 323–2
miere inspirierte die Rolle des Komponisten einige
der besten Mezzosopranistinnen der deutschen
Bühne: Lotte Lehmann, Irmgard Seefried, Sena
Jurinac, und später, im stereophonen Nachkriegs-
zeitalter, Tatiana Troyanos, Agnes Baltsa und Susan Die Frau ohne Schatten
Graham, deren Aufnahmen in unserer akustischen
Oper in drei Akten op. 65 TrV 234
Erinnerung leuchten. Eine denkwürdige Reihe
großartiger Strauss-Sopranistinnen erfüllte die Entstehungszeit: 1911–1916 (Text); 1914–1917 (Musik)
Rolle der Ariadne: beispielsweise Maria Jeritza, Text: Hugo von Hofmannsthal
Maria Reining, Lisa della Casa, Leonie Rysanek, Uraufführung: Staatsoper Wien, 10. Oktober 1919
Gundula Janowitz, Deborah Voigt. Bacchus, ein Personen: Der Kaiser (Tenor); die Kaiserin (hoher
hoher Tenor, war kaum das freundlichste Ge- dramatischer Sopran); die Amme (dramatischer
schenk des Komponisten, obwohl Sänger wie Max Mezzosopran); der Geisterbote (hoher Bariton);
Lorenz, Torsten Ralf, James King, Jess Thomas ein Hüter der Schwelle des Tempels (Sopran oder
und Ben Heppner nach Kräften versuchten, der Falsettsänger); Erscheinung eines Jünglings (hoher
Partie gerecht zu werden. Strauss’ Lieblingsrolle Tenor); die Stimme des Falken (Sopran); eine
Zerbinetta war von Anbeginn der Publikumsmag- Stimme von oben (Alt); Barak, der Färber (Bass-
net und wurde zum »Star-Vehikel« für Sängerin- bariton); sein Weib (hoher dramatischer Sopran);
nen wie Selma Kurz, Aldi Noni, Wilma Lipp, Rita des Färbers Brüder (Tenor/hoher Bass/Bass); sechs
Streich, Editha Gruberova, Kathleen Battle und Kinderstimmen (3 Soprane, 3 Alte); die Stimmen
Natalie Dessay. Sogar Elisabeth Schwarzkopf hat der Wächter der Stadt (3 hohe Bässe); kaiserlicher
diese Rolle in den späten 1940er Jahren verkör- Diener; fremde Kinder; dienende Geister; Geister-
pert. In der letzten Zeit füllten Aufnahmen von stimmen
Karajan, Kempe, Leinsdorf, Levine, Masur, Sino- Orchester: 4 Flöten (3. u. 4. auch Piccoloflöte),
poli die Kataloge, und machten so Ariadne einer 3 Oboen (3. auch Englischhorn), 3 Klarinetten,
neuen Generation von Strauss-Liebhabern zu- Bassethorn, Bassklarinette, 4 Fagotte (4. auch
gänglich. Kent Nagano hat sogar die erste Fassung Kontrafagott), 4 Hörner, 4 Tenortuben (auch 5.–8.
von 1912 eingespielt. Horn), 4 Trompeten, 4 Posaunen, Basstuba,
4 Pauken, Schlagzeug (Glockenspiel, Xylophon,
5 chinesische Gongs, Becken, kleine Trommel,
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 205

Rute, Schellen, große Trommel, große Rührtrom- mezzo vorwegnehmen. Trotz all dieser Komplexi-
mel, Triangel, Tamburin, 2 Paar Kastagnetten, tät präsentieren sich die zentralen Themen über
Tamtam), Glasharmonika, 2 Celestas, 2 Harfen, die gesamte Partitur hinweg klar und konsistent.
16 erste Violinen, 16 zweite Violinen, 6 erste Vio- Hofmannsthals hochtrabende Ideen mögen wohl
len, 6 zweite Violen, 6 erste Violoncelli, 6 zweite die Grenzen eines typischen Librettos überschrei-
Violoncelli, 8 Kontrabässe. Bühnenmusik: 2 Flö- ten, doch können sie nicht einfach als abstrus
ten, Oboe, 2 Klarinetten, Fagott, Horn, 6 Trom- abgetan werden, denn sie haben ihre Wurzeln im
peten, 6 Posaunen, Windmaschine, Donnerma- barocken Theater mit all seiner Maschinerie, sei-
schine, Orgel, 4 Tamtams nen Szenenwechseln und großen Gesten. Erstaun-
Spieldauer: ca. 3 Stunden, 30 Minuten licherweise zögerte Hofmannsthal fast zwei Jahre
Autograph: Partitur: Richard-Strauss-Archiv Gar- mit der Niederschrift des Librettos; Strauss’ Un-
misch geduld kennend, hielt er das Projekt beim Kom-
Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1919, Nr. ponisten durch persönliche Treffen und, wichtiger,
7500; Klavierauszug (O. Singer): Berlin: Fürstner durch Briefe am Leben. Die aufschlussreiche
1919, Nr. 7503; Textbuch: Berlin: Fürstner 1919, Korrespondenz zwischen beiden erhellt die Ab-
Nr. 7505; Studienpartitur: London u. a.: Fürstner/ sichten des Dichters.
Boosey & Hawkes o. J. [1959], Nr. 7500; Nach- Eine frühe Quelle für die Oper begegnet schon
druck der Studienpartitur: Werke Bd. 9 im Juni 1910 in einem Brief Hofmannsthals an
Graf Kessler. Es handelt sich um »das steinerne
Herz« (möglicherweise nach Wilhelm Hauffs Mär-
chen Das kalte Herz), ein Sujet zum Thema eines
Entstehung schlagenden und eines gefrorenen Herzens: Ein
armer Mann aus dem Wald tauscht sein Herz ge-
Alle Libretti Hofmannsthals sind durch einen gen ein steinernes, um Reichtum und Macht zu
weitreichenden Eklektizismus geprägt, sowohl gewinnen; zuletzt wünscht er, sein Herz zurückzu-
hinsichtlich ihres Quellenmaterials als auch ihrer bekommen. Dieses Thema von Verlust und Wie-
dramaturgischen Konzeption; doch das reichhal- dererlangung der Menschlichkeit fand schon Ein-
tige Amalgam literarischer Referenzen in der Frau gang in Ariadne auf Naxos und sollte vor allem Die
ohne Schatten ist sogar für Hofmannsthal einzig- Frau ohne Schatten prägen, obwohl der Dichter
artig. Der Weg bis zum Libretto dauerte vier Jahre, Hauffs Märchen nie als direkte Quelle genannt
von ersten Ideen 1911 bis zum Entwurf des dritten hat. Strauss erfuhr am 20. März 1911, Hofmanns-
Aktes 1915. Strauss stellte die Partitur erst im Som- thal habe das »steinerne Herz« zugunsten eines
mer 1917 fertig. anderen Projekts beiseitegelegt: »es ist ein Zauber-
Die Genese der Frau ohne Schatten zog sich aus märchen, worin zwei Männer und zwei Frauen
schaffenspsychologischen, biographischen und einander gegenüberstehen, und zu einer dieser
zeitgeschichtlichen Gründen länger hin als bei je- Frauen könnte man sehr wohl Ihre Gattin mit aller
der anderen Oper von Strauss. Eigentlich hätte das Diskretion Modell stehen lassen […] eine bizarre
Werk dem 1911 uraufgeführten Rosenkavalier fol- Frau mit einer sehr guten Seele im Grund, unbe-
gen sollen, tatsächlich aber hat Strauss zwischen greiflich, launisch, herrisch, und dabei doch sym-
dieser Premiere und der Vollendung der Frau ohne pathisch, sie wäre sogar die Hauptfigur, und das
Schatten nicht weniger als vier Hauptwerke ge- Ganze bunt, Palast und Hütte, Priester, Schiffe,
schrieben bzw. vollendet: Ariadne auf Naxos (1912 Fackeln, Felsengänge, Chöre, Kinder […]. Das
bzw. 1916), die Deutsche Motette (1913), Josephs Ganze […] verhielte sich […] zur ›Zauberflöte‹ so
Legende (1914) und Eine Alpensinfonie (1915). wie sich der ›Rosenkavalier‹ zum ›Figaro‹ verhält:
Dichter wie Komponist waren sich von Anfang das heißt, es bestände hier wie dort keine Nachah-
an darüber klar, dass sie hier ihr ambitioniertestes mung, aber eine gewisse Analogie« (RSHH 112 f.).
Projekt schufen, mit drei Akten, zahlreichen Sze- Mit der Identifikation der Färberin mit Strauss’
nen und symphonischen Zwischenspielen, die die Frau machte Hofmannsthal dessen Hauptinspira-
kinematographischen Orchesterpartien aus Inter- tionsquelle dingfest, eine der kreativen Wurzeln
206 Opern und Ballette

schon von Tondichtungen wie Don Juan, Ein dass er noch keinen Text geschrieben hatte; und
Heldenleben und Symphonia domestica. Strauss war ohne Text konnte ein praktisch orientierter Kom-
begeistert. Ihn, der den Kontrast liebte, konnte die ponist wie Strauss nicht viel mit dem Stoff begin-
grandiose Anlage, konnten die quecksilbrigen nen. Es war seine Frau Pauline, die eine passende
Komplexitäten von Dialog, Bühne und Licht Lösung fand: einen Arbeitsurlaub, genauer, eine
nicht schrecken. Rasch ließ er sich von Hof- gemeinsame Autoreise mit Chauffeur in Italien
mannsthals phantastischem Plan mitreißen und von Verona nach Bologna und dann hinunter
brannte vor Ungeduld. Doch keines der weitge- nach Rom, vom 30. März bis zum 8. April 1913.
spannten Details war im Dichter weit genug ge- Die Landschaft und das sonnige Klima beförder-
reift. Deshalb wandte sich Hofmannsthal Mitte ten Hofmannsthals Kreativität und die erweiterte
Mai 1911 der ›Zwischenarbeit‹ Ariadne auf Naxos künstlerische Kameradschaft erfüllte auch Strauss’
zu, die Strauss während des Sommers zu kompo- Bedürfnisse. Die Reise blieb die einzige Phase in
nieren begann. Er beendete die Partitur im April ihrer Zusammenarbeit, bei der sie mehr als ein
1912 und wusste wohl, dass er seinen Librettisten paar Tage miteinander verbrachten, und sie über-
besser nicht weiter unter Druck setzen sollte, denn traf beider Erwartungen bei weitem, besonders
Hofmannsthal hatte bislang noch kein einziges diejenigen Hofmannsthals, der seinem Vater
Wort des Librettos zur Frau ohne Schatten ge- schrieb, Strauss sei einer der charmantesten Reise-
schrieben. Er war gänzlich in die Welt des nahen begleiter, die er je kennengelernt habe (TrChr
und fernen Ostens eingetaucht und stillte Strauss’ 347). Als Hofmannsthal Strauss am 5. April zum
kreativen Hunger im Juni mit dem Szenario für ersten Mal das Szenario von Anfang bis Ende er-
das Ballett Josephs Legende (Strauss’ Partitur des zählte, schwärmte der Komponist noch am selben
Stückes, speziell die Kombination von Harfe, Tag seiner Frau vom neuen Projekt vor: »unglaub-
Celesta und dreigeteilten ersten Geigen, nimmt lich edel, großartig, reif und interessant, mit
gewisse exotische Momente der Frau ohne Schatten prachtvollen dramatischen, sittlichen Problemen,
vorweg, z. B. bei der Erscheinung des Joseph ähn- herrliche scenische Vorgänge. Wenn mir die Kraft
lichen jungen Mannes vor der Färberin). und Gesundheit bleibt, dieses Werk noch zu voll-
Am 8. September 1912 – Strauss saß an der enden, wird es unsere schönste und erhabenste
Musik des Balletts – schrieb ihm Hofmannsthal, Arbeit werden« (Grasberger 1967, 205).
»seit einer Woche« sei ihm die neue Oper »mit Doch so beeindruckt Strauss auch war – er
Gewalt vor die Seele getreten«, erst jetzt besitze er hatte noch immer kein Libretto, und die für krea-
»diesen Stoff wirklich« (RSHH 197). Vier Monate tive Arbeit reservierten Sommermonate näherten
später, im Januar 1913, meldete er Strauss ent- sich rasch. Hofmannsthal bat um Geduld, wäh-
scheidende Fortschritte. Inspiriert von Goethes rend er fleißig an der ersten Szene arbeitete, doch
Diktum, für eine ideale Oper seien »bedeutende erst Anfang Juni schickte er Strauss einige erste
Situationen in einer künstlichen Folge« zu schaf- Zeilen, lobte zugleich Strauss’ Idee einer klang-
fen, teilte er seinem Komponisten mit: »Es sind elf lichen Differenzierung vom Transparenten zum
bedeutende, fast pantomimisch prägnante Situa- Dunklen und erweiterte sie zu einer poetischen:
tionen – durch ihre Verbindung aber – indem in »Prächtig war Ihr Gedanke […], die obere Welt
ihnen zwei Welten, zwei Menschenpaare, zwei mit dem ›Ariadne‹-Orchester zu begleiten, die
Konflikte einander wechselweise ablösen, einander dichtere, buntere Erdenatmosphäre mit dem gro-
spiegeln, einander steigern, und schließlich einan- ßen Orchester. […] entsprechend ist auch der
der aufheben –, ist ein Ganzes hergestellt, das an poetische Ton – oben wird es immer heroischer
sich, als Schauspiel, schon merkwürdig und rei- Sprechgesang […] – unten ist es wahrhafte Kon-
zend genug wäre, durch die Musik aber […] erst versation, wie nur der Meister des ›Rosenkavaliers‹
seine letzte Vollendung und Weihe erhält« (ebd., sie komponieren kann« (RSHH 232 f.). In den
212 f.). folgenden Monaten – Strauss beendete seine
Hofmannsthals Vertrauen in sein Projekt, seine Deutsche Motette und arbeitete an Josephs Legende
Beteuerungen, er sei endlich eins mit seinem Ma- wie auch an Skizzen für seine Alpensinfonie –
terial, sind erstaunlich angesichts der Tatsache, kämpfte Hofmannsthal mit der ersten Szene, mit
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 207

dem Übergang von grandioser Erzählung zu rea- Handlung


lem Dialog. Ende Dezember sandte er Strauss als
»kleines Neujahrsgeschenk« (ebd., 255) die Eröff- 1. Akt
nungsszene im Reich des Kaisers, aber erst am Szene 1: Des Geisterkönigs Keikobads unsicht-
4. April 1914, fast ein Jahr nach der Erzählung des bare, allwissende Präsenz wird zuallererst im Or-
Plots auf der gemeinsamen Italienreise, konnte chester etabliert. Es ist Tagesanbruch, die Amme
Strauss sich für den »einfach wunderschönen« kauert im Hintergrund, während der Geisterbote
ersten Akt bedanken. Am 20. August schloss er verkündet, zwölf Monde seien vergangen, aber die
dessen Komposition ab. Vier Wochen zuvor hatte Kaiserin – eine proteische, feenhafte Peri – werfe
ihm Hofmannsthal den zweiten Akt zukommen noch immer keinen Schatten (eine visuelle Meta-
lassen, den Strauss am 16. Juli als »wundervoll« pher für andauernde Unfruchtbarkeit). Der Kaiser
lobte; vor allem der Schluss sei »äußerst groß- und sein Falke hatten sie, die Tochter Keikobads,
artig«, und überhaupt habe Hofmannsthal »noch in Gestalt einer Gazelle erjagt, nun ist sie seine
nichts Schöneres und Geschlosseneres« gedichtet Gattin in menschlicher Gestalt, von der sie sich
(ebd., 283). ohne ihren Talisman, den der Falke entführte,
Bis zum 26. Oktober hatte Strauss auch die nicht lösen kann. Allerdings ist sie nicht wirklich
Komposition des zweiten Aktes abgeschlossen. menschlich, denn Licht schimmert durch sie hin-
Weil aber Hofmannsthal als Reserveoffizier der durch wie durch einen Kristall. Falls sie in drei
österreichischen Armee mit dem Beginn des Ers- Tagen noch immer keinen Schatten werfen kann,
ten Weltkriegs eingezogen wurde, konnte er die erstarrt der Kaiser zu Stein. Der Amme, die von
Arbeit am dritten Akt – im Oktober 1914 hatte es hämischer Freude erfüllt ist, ist dies bestenfalls
eine erste skizzenhafte Niederschrift gegeben gleichgültig. Obwohl der Kaiser seine Frau liebt,
(Koch 1998, 590) – erst im Januar des folgenden ist er doch ein Jäger und seine Kaiserin für ihn
Jahres wieder aufnehmen und sie Mitte April 1915 kaum mehr als eine Trophäe; seine Tage sind ihre
abschließen. Strauss, der den Schlussakt am Nächte (und umgekehrt). Die Kaiserin tritt auf,
15. April 1915 als »herrlich« lobte (RSHH 304), noch immer in einem halb traumartigen Zustand,
schickte Hofmannsthal gleichwohl eine detail- und hört den Falken die Warnung des Boten wie-
lierte Liste mit »Ausstellungen und Vorschlägen« derholen. Sie bittet die Amme um Rat; diese, ob-
(ebd., 305–307). Außerdem reklamierte er zusätz- wohl die Menschen verachtend, erklärt sich bereit,
lichen Text für das Duett zwischen Barak und die Kaiserin in die Menschenwelt zu begleiten, um
seiner Frau, die Abgangsarie der Amme, das Duett die Frau eines armen Mannes dazu zu bewegen,
zwischen Kaiser und Kaiserin und das Schluss- ihren Schatten herzugeben.
quartett, um diese wichtigen lyrischen Momente Szene 2: Sie kommen zur Hütte des Färbers
auch musikalisch angemessen gestalten zu kön- Barak. Wir sehen ein Ehepaar in größter Armut,
nen. Im Sommer 1915 arbeitete Strauss intensiv an das sogar Baraks behinderte Brüder ernähren
der Oper. Er skizzierte jeweils morgens den dritten muss, worunter die Färberin besonders leidet.
Akt und instrumentierte nachmittags und abends Barak ist gutherzig, wünscht sich eigene Kinder.
den ersten Akt. Zurück in Berlin, hatte er genug In zweieinhalb Jahren hat seine Frau ihm keine
vom Schlussakt komponiert, um ihn am 11. Okto- Kinder geboren und jeden Gedanken an Mutter-
ber Hofmannsthal vorspielen und -singen zu schaft aus ihrem Sinn verbannt. Der Augenblick
können. Während des Winters orchestrierte er den ist für die listige Amme günstig. Verkleidet tritt sie
zweiten Akt, beendete die Partitur im Mai 1916 mit der Kaiserin in die Kammer und bedauert die
und komponierte im folgenden Sommer den Färberin, ihre Schönheit an so einen armen, nie-
letzten Akt zu Ende. Er orchestrierte ihn im Laufe deren Mann zu verschwenden. Einen Schatten zu
der nächsten Konzertsaison. Am 24. Juni 1917 haben ist in dieser traurigen, schmutzigen Welt
konnte er die Partitur abschließen. eine bloße Bürde, Fruchtbarkeit verlängert nur das
Leiden der Menschheit. Gäbe die Frau ihren
Schatten auf, könnte sie Reichtümer, Sklaven,
Juwelen und schöne junge Männer haben. Die
208 Opern und Ballette

Amme beschwört vor der sprachlosen Färberin im Herd ein Feuer aufflammt, wirft sie tatsächlich
eine Vision mit exotischen Bildern und an Josephs keinen Schatten. Die Kaiserin aber zögert, den
Legende erinnernden Klängen herauf. Als Barak Schatten zu nehmen. Barak, außer sich vor Wut,
heimkehrt, hat seine Frau offensichtlich den greift nach einem Schwert, das die Amme auf
Köder geschluckt. Ihr Ehemann findet weder magische Weise in seine Hand gebracht hat, um
ein Abendessen noch ein bereitetes Ehebett vor. seine Frau zu töten. Im letzten Moment ruft seine
Draußen singen die Nachtwächter eine bewe- Frau aus: »Barak, ich hab es nicht getan! Noch
gende Hymne an Gattenliebe und Kindersegen. nicht getan!« Die Erde verschlingt Barak und seine
Frau, Wasser überflutet die Hütte und trägt Amme
2. Akt und Kaiserin auf einem Zauberkahn davon. Alle
Szene 1: Barak ist am Morgen zum Dorfmarkt erwarten Keikobads Urteil.
aufgebrochen. Die Kaiserin und ihre Amme sind
nun die Dienerinnen der Färberin. Eine weitere 3. Akt
Vision wird von der Amme heraufbeschworen. Der dritte Akt besteht aus einer an die Zauberflöte
Wieder verschwindet alles, sobald Barak vom angelehnten Reihe von Prüfungen für beide Ehe-
Markt zurückkehrt. paare. Der Vorhang öffnet sich, man sieht zwei
Szene 2: Der Falke hat den Kaiser zum Falken- unterirdische Zellen, in denen Barak und seine
haus geführt, wo die Amme und die Kaiserin die Frau sitzen, ohne einander zu sehen. Die Färberin
nächsten drei Tage verbringen wollen. Das Haus ist wird von den Stimmen der ungeborenen Kinder
bei seiner Ankunft leer; vor den Augen des Kaisers verfolgt, sie bittet Barak um Vergebung. Er seiner-
schleichen die beiden hinein. Der Kaiser spricht seits bereut seinen Gewaltausbruch zutiefst. Nach
nicht mit ihnen – er riecht Menschendunst an einem bewegenden Duett werden sie auf verschie-
seiner Frau, bricht in eifersüchtigen Zorn aus und denen Treppen nach oben zu ihren Prüfungen
will die Kaiserin mit seinen eigenen Händen tö- gerufen.
ten. Doch er kann sich nicht zur Tat entschließen Die Amme und die Kaiserin treffen bei genau
und begibt sich, vom Falken geführt, in eine Fels- der Pforte ein, wo die Kaiserin ihren Mann zu
spalte, in der mit seiner Verzweiflung alleine ist. »sehen« geträumt hatte. Gegen den Protest der
Szene 3: Amme tritt sie ein, um mit Keikobad selbst über
a) Die Hütte Baraks: Barak wurde ein Schlaf- das Schicksal ihres Mannes und ihre eigenen Ver-
trunk gegeben; erneut beschwört die Amme für gehen zu sprechen. Inzwischen ist es dunkel ge-
die Färberin die Erscheinung des Jünglings herauf. worden und Barak und seine Frau nähern sich der
Barak erwacht, verwirrt und angeschlagen, und Tempelpforte. Die Amme verwirrt sie in der
glaubt, Räuber hätten seine Hütte heimgesucht. Hoffnung, sie verlören sich ein für allemal. Der
Seine Frau weist ihn für sein Schlafen während des Geisterbote erscheint und verbannt die Amme aus
Tages zurecht und bricht mit der Amme zum Dorf dem oberen Reich.
auf. Die Kaiserin bleibt mit dem Färber zurück – Im aufsteigenden Nebel suchen sich Barak und
ihr Mitgefühl mit diesem problembeladenen seine Frau verzweifelt, und in der Tempelhalle
Mann ist stark angewachsen. sehen wir die Kaiserin, wie ihr das »Wasser des
b) Das Falkenhaus: Die Kaiserin schläft und Lebens« angeboten wird, das den Schatten der
gesteht im Traum, gegen Barak gesündigt sowie Färberin verleiht. Als sie deren verlorene Rufe von
ihren Mann in Gefahr gebracht zu haben. In einer außerhalb des Tempels hört, weigert sie sich zu
schrecklichen Vision sieht sie den Kaiser Keiko- trinken – doch dann erblickt sie ihren Mann, bis
bads Tempelpforte betreten, während der Falke auf die Augen versteinert. Sie bedeckt ihre Augen,
singt: »Die Frau wirft keinen Schatten! Der Kaiser der Hüter der Schwelle sagt ihr nochmals ein-
muss versteinen!« dringlich, dass der Kaiser seinem schrecklichen
c) Die Hütte Baraks: Obwohl Mittag, wird es Schicksal entginge, nähme sie nur den Schatten.
finster. Übermächte sind im Spiel, wie die Amme Doch die Kaiserin ringt sich emphatisch (»Ich –
feststellt. Zu Baraks Abscheu gesteht seine Frau, will – nicht!«) zum Verzicht durch. Die Halle wird
ihren Schatten zum Verkauf geboten zu haben. Als erleuchtet; ein deutlicher Schatten wird zu einer
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 209

Kaskade fallender Figuren in den Violinen sicht- gewaltige Länge, ihr hoher Anspruch und die
bar. Der Kaiser wird nicht versteinert, sondern, durchgehaltene Gefühlstiefe machen die Oper zu
ganz im Gegenteil, vom Stein befreit. Er kommt einem einzigartigen Gebilde in Strauss’ Œuvre. Er
die Treppe herab, staunend über seine nun ver- brauchte menschliche Konflikte und Leidenschaf-
wandelte wunderbare Frau. ten, um komponieren zu können; Abstraktionen
Draußen suchen sich Barak und seine Frau ließen ihn kalt. Nicht leicht konnte er sich für das
noch immer. Sie werden endlich vereint, die Fär- Libretto mit seinem berauschenden Symbolismus
berin erlangt ihren Schatten wieder. Beide Paare und seinen narrativen Komplexitäten, besonders
haben ihre Prüfungen bestanden und sich höherer im dritten Akt, erwärmen. Hofmannsthal musste
Humanität würdig erwiesen. Strauss erst überzeugen, dass die Oper letztlich die
Menschlichkeit thematisiert: ihre Gefährdung
und ihre Festigung.
Dies bringt uns zum zweiten Punkt: Die Frau
Kommentar ohne Schatten als Start einer Trilogie aus Eheopern
(es folgen Intermezzo, 1924 und Die Ägyptische
Die überaus komplexe Frau ohne Schatten ist so- Helena, 1928). Vorstellungen von Ehe und Huma-
wohl Kulmination als auch Anfang: eine Summe nität waren in Strauss’ kreativem Kopf zum Zeit-
in Hofmannsthals Bemühen, ein echtes Libretto punkt der Bekanntschaft mit Hofmannsthal be-
zu schaffen, und zugleich Beginn einer Operntri- reits gut verankert, wie etwa die Symphonia dome-
logie über das Thema der Ehe. Erstmals hatte der stica (1904) belegt. In Die Frau ohne Schatten wird
Dichter ein Libretto geschaffen, das alle wichtigen die Ehe gewissermaßen auf metaphysischer und
musikalischen Momente enthielt. Mit dem Rosen- menschlicher Ebene erforscht. Zudem darf der
kavalier war es Hofmannsthal noch nicht gelun- Fokus auf das Thema ehelicher Treue als Antwort
gen, seine Idee eines Gesamtkunstwerkes des auf einen überlebten Wagnerismus gesehen wer-
20. Jahrhunderts zu verwirklichen; mit Ariadne den. Für Wagner hatte es in einer Welt, in der die
kam er seinem Ziel deutlich näher. Erst nach der metaphysische Liebe alle Grenzen niederreißt,
Erfahrung mit der »Zwischenarbeit« war Hof- keinen Platz für andauernde Ehe gegeben. Adorno
mannsthal zur dreiaktigen Frau ohne Schatten be- wies auf die gegensätzlichen Pole des Sexuellen
reit. Hier sind die Räume für die Musik bereits und des Asketischen bei Wagner hin (Adorno
Bestandteil des Librettos. Strauss konnte riesige 1974, 11), die nur durch den Tod versöhnt werden
und dissonante Kräfte wie in Elektra, aber auch könnten. Parsifal, Tristan, Tannhäuser, Siegmund,
transparente und phantasmagorische wie in Ariadne Siegfried, Lohengrin, der Holländer – keiner kann
einsetzen, da er sich musikalisch zwischen diesen heiraten oder (im Falle Lohengrins) verheiratet
beiden Welten bewegte. bleiben. Und die Verheirateten wie Wotan und
Die Frau ohne Schatten bleibt die extravagan- Fricka, König Marke und Isolde, Siegfried und
teste Oper des Duos Strauss-Hofmannsthal: Die Gutrune leben in einem Zustand der, wie wir es
Bandbreite musikalischer Varietät ist unglaublich, heute nennen würden, ehelichen Dysfunktion.
sie reicht von der reinsten Diatonik (die Panto- Außerhalb des häuslichen Kontraktes bot Wagner
mime zwischen Barak und seiner Frau im ersten einem bürgerlichen Publikum, das unter der Lan-
Akt) zur größten Dissonanz (die Verbannung der geweile mittelständischer Routine litt, das Ver-
Amme durch Keikobad im dritten Akt), von der sprechen höchster Lust in einer alternativen Welt.
größten Schallintensität (Ende zweiter Akt) zur Genau aus diesem Grund schockierte Strauss mit
größten Stille (nachdem die Kaiserin im dritten einer Symphonie über das banale Familienleben,
Akt den Schatten der Färberin ablehnt), von sym- indem er diesem heiligen deutschen Genre seine
phonischen Zwischenspiele des großen Orchesters metaphysische Aura entzog. Hatte er in Wagner
zum Kammerorchester, von extensiven Soli für eine Unfähigkeit erkannt, Leidenschaft und Treue
Violoncello, Violine und Fagott bis zu Arien, in Einklang zu bringen, so wurde die Beschwö-
Melodram, Duetten, Terzetten, Quartetten wie rung eines solchen Einklangs seit Ariadne auf
auch Chören auf und hinter der Bühne. Auch ihre Naxos zum Lebensziel des Komponisten.
210 Opern und Ballette

Die Frau ohne Schatten umfasst mit ihrer narra- der anderen gefallen will, erreicht er Transzendenz
tiven Strukturierung von zwei verschiedenen Ehen nur durch sein eigenes Leiden.
gleich drei Welten: das unsichtbare Geisterreich Immer wieder ermahnte Hofmannsthal Strauss,
Keikobads, das glitzernde halb-sterbliche Reich die Kaiserin als Kern der Handlung nicht zu ver-
des Kaisers und die laute, prosaische Menschen- gessen. Denn den Komponisten berührte die ge-
welt. »Zwischen zwei Welten« steht die Kaiserin, fährdete Ehe von Färber und Färberin tief. Als
»von der einen nicht entlassen, von der anderen Hofmannsthal die Analogie zwischen Pauline und
nicht aufgenommen« (Koch 1998, 83). Ihre un- der Färberin andeutete, war er sich – wenngleich
sterbliche Welt ist eine Welt ständigen Glücks, vage – der Eheprobleme im Hause Strauss zu jener
aber ohne menschliche Leidenschaft. Um Sterb- Zeit (Frühjahr 1911) durchaus bewusst. Es war
lichkeit zu erlangen, um das Feuer menschlicher dieser menschliche Blickwinkel, der Strauss so
Leidenschaft fühlen zu können, muss sie die con- anzog, denn er sah nicht nur Pauline in der Rolle
ditio humana in ihrer Totalität akzeptieren, den der Färberin, er sah auch sich selbst in der Figur
Schatten und damit die Risiken des Lebens an- des Barak.
nehmen: Schmerz, Tod und Opfer. Nur durch Zweifellos ist Hofmannsthals Libretto fast är-
ihren Verzicht auf den Schatten der Färberin be- gerlich voll an Symbolen: magisches Wasser, ver-
weist sie menschliche Größe und erlangt ihren zauberte Fische, ein singender Falke, körperlose
eigenen Schatten. Die Färberin hingegen, die – Kinderstimmen und dergleichen. Aber die Kraft
aus Frustration und Eitelkeit – der Kaiserin ihren dieses reich gefüllten Werkes bewährt sich durch
Schatten zu geben bereit ist, ersehnt sich eine die Art und Weise, mit der Strauss wie so oft gegen
Identität jenseits ihrer Ehe mit Barak, als dessen den Strich des Textes komponierte. Mit Selbstver-
Frau sie, die namenlose, einzig ihre Bestimmung trauen und Kühnheit nahm Strauss die Herausfor-
hat. Erst im Angesicht des Todes vermag sie den derung an, Hofmannsthals kompliziertesten Text,
Wert der Ehe zu erkennen. Auf ihre unterschied- ein grandioses Märchen von beispielloser Komple-
liche Art lernen sowohl Kaiserin als auch Färberin xität, zu vertonen und bühnentauglich zu machen.
etwas, das Elektra nie wissen konnte: Wer Huma- Tatsächlich gestand er Hofmannsthal in einem
nität erlangen will, muss seine Verantwortung ge- Augenblick der Frustration, »Figuren wie Kaiser
genüber der Vergangenheit, der Gegenwart und und die Kaiserin nebst Amme« seien »nicht mit so
der Zukunft der Menschheit anerkennen. roten Blutkörperchen zu füllen wie eine Marschal-
Im Zentrum der Oper stehen die schattenlose lin, ein Octavian, ein Ochs« (28.7.1916; RSHH
Kaiserin und ihre Suche nach Menschlichkeit. 353). Erst durch den Blick auf sein eigenes Herz
Unmittelbar hinter der Kaiserin rangiert die Fär- fand er das Fleisch und Blut, das er brauchte,
berin. In der Tat verraten – falls man die Parallelen vermochte er, Hofmannsthals Metaphysik der
zur Zauberflöte akzeptiert – die erstaunlichen Liebe in einen fühlbaren menschlichen Konflikt
Kontraste zu den Ehemännern der beiden Frauen zu übersetzen. Strauss verankerte ein hochfliegen-
die Absicht des Dichters, denn die Paare passen des Libretto in der Erde, auf der Opernbühne und
wie bei Mozart nicht zueinander. Mozarts Oper ist im Orchestergraben. Mit einer breiten Palette von
auf Tamino und sein komödiantisches Gegenstück Klangfarben, musikalischen Stilen und Formen
Papageno fokussiert, die eine Art Bildungsprozess durchschritt er das Geisterreich Keikobads, die
durchlaufen, während Pamina und Papagena pas- halbsterbliche Welt des Kaisers und die Mensch-
siv bleiben. Bei Hofmannsthal sind umgekehrt die lichkeit Baraks und seiner Frau. »Nur aus der
Frauen stark und die Männer schwach. Geprüft Ferne war es verworren bang«, schließt der Kaiser
werden allein die Kaiserin und die Färberin. Der (und wohl auch der Komponist) im dritten Akt,
Kaiser bleibt trotz seiner maskulinen Jägeraura »hör’ es nur ganz genau, menschlich ist dieser
blass, seine hauptsächliche Tat liegt darin, dass er Klang!« (Koch 1998, 78). Was in den ersten Jahr-
in Stein verwandelt wird und wieder zurück ins zehnten nach der Uraufführung der Frau ohne
Leben kehren darf. Barak erscheint trotz aller Schatten verworren gewirkt haben mag, kann
Güte und Humanität erstaunlich naiv: unge- heute zu Strauss’ populärsten Bühnenwerken ge-
schickt, ahnungslos und leichtgläubig. Als Mann, zählt werden.
13. Der Rosenkavalier – Ariadne auf Naxos – Die Frau ohne Schatten 211

Wirkung führen. Die Frau ohne Schatten ist heute auf inter-
nationalen Bühnen von Tokio über San Francisco
Die Uraufführung unter Franz Schalk, mit Karl und von Chicago und New York über London,
Aagard Østvig (Kaiser), Maria Jeritza (Kaiserin), Berlin, Salzburg, Dresden, Wien, Mailand, Prag
Lucie Weidt (Amme), Richard Mayr (Barak) und und Budapest präsent und erfreut sich weltweiter
Lotte Lehmann (Fäberin), wurde zwar positiv, Anerkennung. Neben wichtigen Inszenierungen
aber nicht kritiklos aufgenommen; man stieß sich an den großen Häusern – so etwa in München
vor allem an der verwickelten Handlung (Mess- 1972 (Sawallisch-Schuh), Köln 1979 (Pritchard-
mer 1989, 178–190). Wohl auch deshalb konnte Ponelle), Amsterdam 1992 (Haenchen-Kupfer),
das Werk trotz aufwendiger Einstudierungen in Dresden 1996 (Sinopoli-Hollmann), New York
Dresden (1919, unter Fritz Reiner), München 2001 (Thielemann-Wernicke), München 2013
(1919, unter Bruno Walter) und Berlin (1920, un- (Petrenko-Warlikowski) – werden gelegentlich
ter Leo Blech) zunächst keinen nennenswerten auch an mittleren Bühnen Produktionen reali-
Erfolg aufweisen, besonders, wie Strauss beklagte, siert, etwa in Bielefeld 1986 (Koch-Dew) oder in
in »mittleren und kleineren Theatern« (Strauss Mannheim 2007 (Kober-Horres). Das Publikum
1981, 245). Aber nach glänzenden Produktionen in konnte (und kann) die größten Dirigenten
Salzburg (Krauss-Wallerstein, 1932) und später in (Böhm, Sawallisch, Leinsdorf, Solti, Sinopoli,
München (Krauss-Hartmann, 1939) war Strauss Thielemann) ebenso erleben wie die allerbesten
überzeugt, dass dem Werk eine rosige Zukunft Sänger (Birgit Nilsson, Christa Ludwig, Walter
bevorstand, umso mehr da »gerade künstlerische Berry, Leonie Rysanek, James King, Plácido Do-
Menschen [es] […] für mein bedeutendstes Werk mingo, Eva Marton, Hildegard Behrens, Jess
halten« (Strauss 1981, 246). Allerdings blieben die Thomas etc.).
Schwierigkeiten, die Oper zu inszenieren und,
insbesondere, zu besetzen, noch lange eine große
Herausforderung. Nicht allen Opernhäusern ge-
lang es, fünf Weltklasse-Sänger des Deutschen Diskographischer Hinweis
Repertoires zu finden: einen Heldentenor, zwei
dramatische Soprane, einen dramatischen Mezzo- i Leonie Rysanek (Kaiserin), James King (Kaiser),
sopran, und einen kraftvoll-dramatischen Bass- Birgit Nilsson (Färberin), Walter Berry (Barak),
Bariton. Die Ensembles erfordern ebenfalls Sänger Ruth Hesse (Amme), Wiener Philharmoniker, Karl
höchsten Niveaus. Der 2002 verstorbene John Böhm (1977), Deutsche Grammophon 415 472 1
Crosby brachte im Rahmen des Santa Fe Opera i Julia Varady (Kaiserin), Plácido Domingo (Kai-
Summer Festival alle bedeutenden Strauss-Opern ser), Hildegard Behrens (Färberin), José van Dam
zur Aufführung, nur nicht die Frau ohne Schatten. (Barak), Reinhild Runkel (Amme), Wiener Phil-
Für ein Festival mittlerer Größe war es unmöglich, harmoniker, Georg Solti (1990), Decca 436 243–2
namhafte Sänger samt Vertretungen einzufliegen. i Anne Schwanewilms (Kaiserin), Stephen Gould
Die Lage hat sich in den letzten Jahren ge- (Kaiser), Evelyn Herlitzius (Färberin), Wolfgang
ändert. Sogar Hofmannsthals überambitionierte, Koch (Barak), Michaela Schuster (Amme), Wie-
quasi cinematische Regieanweisungen sind dank ner Philharmoniker, Christian Thielemann (2011),
digitaler Technologien zunehmend leichter auszu- Opus arte OA BD 7104 D
212 Opern und Ballette

Literatur

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214

14.
Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella
Von Ulrich Konrad

Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1924, Nr. 7800;


Intermezzo Klavierauszug von Otto Singer: ebd. 1924, Nr.
Eine bürgerliche Komödie 7803; Textbuch: ebd. 1924, Nr. 7804; Studien-
mit sinfonischen Zwischenspielen partitur: Werke Bd. 11
in zwei Aufzügen op. 72 TrV 246

Entstehungszeit: 1916–1917 (Text), 1918–1923 (Mu-


sik) Entstehung
Text: Richard Strauss
Uraufführung: Sächsische Staatstheater Dresden, Im Mai 1916 hatte Strauss die Partitur des Zweiten
Schauspielhaus, 4. November 1924 Akts von Die Frau ohne Schatten beendet, gleich
Personen: Christine (Sopran); der kleine Franzl, ihr anschließend das Vorspiel zur Neufassung der
Sohn, achtjährig (Sprechrolle); Hofkapell- Ariadne auf Naxos komponiert und zuletzt im
meister Robert Storch, ihr Mann (Bariton); August die Skizze zum Dritten Akt der Frau ohne
Anna, ihre Kammerjungfer (Sopran); Baron Schatten abgeschlossen. Inmitten dieser schöpferi-
Lummer (Tenor); der Notar (Bariton); seine schen Hochphase dachte er außerdem unablässig
Frau (Sopran); Kapellmeister Stroh (Tenor); über neue Werke nach und bedrängte Hofmanns-
ein Kommerzienrat (Bariton); ein Justizrat thal mit Überlegungen zu möglichen Stoffkreisen;
(Bariton); ein Kammersänger (Bass); Fanny, in deren Zentrum rückte bald die »ganz moderne,
Köchin bei Storch (Sprechrolle); Resi, ein jun- absolut realistische Charakter- und Nervenkomö-
ges Mädchen (Sopran); Marie und Therese, die« (25.5.1916; RSHH 342). Allerdings wehrte der
Hausmädchen bei Storch (Sprechrollen); ein enervierte Dichter diese Pläne sogleich kompro-
Dienstmädchen beim Kommerzienrat (stumme misslos ab. Eine persönliche Aussprache im Juli
Rolle) 1916 brachte in der Sache keinen Fortschritt, so
Orchester: 2 Flöten (2. auch Piccoloflöte), 2 Oboen dass die ohnehin in den zurückliegenden Jahren
(2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in B immer wieder durch Missverständnisse, Gereizt-
(2. auch Bassklarinette in A und B), 2 Fagotte, heiten und Irritationen belastete künstlerische
3 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, 1 Paar Zusammenarbeit vorerst weitgehend zum Erliegen
Pauken, Schlagzeug (große Trommel, kleine kam. Hofmannsthal verwies den Komponisten
Trommel, Triangel, Becken, 1 Paar Schellen), auf den österreichischen Schriftsteller Hermann
Harfe, Klavier, großes Harmonium, 11 erste Bahr, was insofern nahe lag, als dieser schon mit
Violinen, 9 zweite Violinen, 5 Violen, 5 Violon- Beiträgen zum angestrebten Genre hervorgetreten
celli, 3 Kontrabässe war, namentlich mit dem sehr erfolgreichen drei-
Spieldauer: ca. 2 Stunden, 15 Minuten aktigen Lustspiel Das Konzert von 1909, einer
Autograph: Richard-Strauss-Archiv Garmisch Ehekomödie im Musikermilieu (sie wurde Strauss
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 215

gewidmet). Eine erste Begegnung der beiden zweiten Südamerika-Tournee mit den Wiener
Künstler im September 1916 verlief produktiv und Philharmonikern in Buenos Aires den Schluss-
schien die Perspektive zu eröffnen, nach der strich unter das Werk. Für den Druck von Partitur
Strauss suchte. Bahr ließ sich nämlich sofort und Klavierauszug verfasste er wohl im Juni 1924
darauf ein, keinen eigenen Stoff zu entwickeln, noch ein bekenntnishaftes Vorwort (Strauss 1981,
sondern einen Plot des Komponisten auszuarbei- 140–149; eine erste Version wurde, vielleicht auf
ten. Strauss wollte eine autobiographische Bege- Empfehlung von Friedrich Rösch, gründlich über-
benheit auf die Bühne bringen: Im Mai 1902 hatte arbeitet; Strauss 1981, 135–139).
Pauline Strauss den Brief einer gewissen Mieze
Mücke geöffnet, der fälschlicherweise an ihren
Mann adressiert war, und aus der darin ausgespro-
chenen Einladung zu einem Treffen in der Berliner Handlung
Union-Bar auf einen Ehebruch geschlossen. Der
darauf gegen Strauss geführten heftigen Attacke Erster Aufzug
mit Scheidungsdrohung musste dieser sich müh- 1. Szene: Ankleidezimmer Storchs in dessen Haus
sam aus England erwehren, wo er gerade den am Grundlsee: Vor der Abreise des Hofkapellmeis-
Entschluss gefasst hatte, seinem Familienglück in ters nach Wien herrscht frühmorgendliche Auf-
einer Symphonia domestica zu huldigen. bruchstimmung. Storch und seine Frau Christine
Auf der Grundlage dieser Episode sollte Bahr sind eifrig dabei, letzte Vorbereitungen zu treffen.
ein Szenarium entwerfen. Bis zum Juli 1917 dau- Letztere ist gereizt, gibt unentwegt Widerworte
erte der Austausch von Entwürfen und deren Re- und beklagt sich darüber, in ihrer Sorge um Haus-
visionen, ehe der ebenso bereitwillig-geduldige halt und Familie ohne Unterstützung zu bleiben.
wie klarsichtige Dichter erklärte, nur Strauss selbst Auch mokiert sie sich über das Treiben von Musi-
könne diesen ganz aus dem eigenen Leben ge- kern, und erst als ihr Mann mögliche Reisegefähr-
schöpften Stoff zu einem authentischen Bühnen- dungen erwähnt, denen er ausgesetzt sein könnte,
stück formen, sein »Interieur mit dieser Unge- schlägt ihre Stimmung um. Freilich ist die so ge-
niertheit aufs Brettl […] bringen« (21.7.1917; weckte Liebenswürdigkeit von kurzer Dauer, so
Gregor 1947, 105). Trotz großer Bedenken und dass Storch schließlich wütend das Haus ver-
gehörigen Zweifeln an seinen schriftstellerischen lässt. – Im Gespräch mit der Kammerjungfer
Fähigkeiten schrieb Strauss in der Folge anschei- Anna lamentiert Christine erneut über vermeint-
nend rasch das Libretto nieder. Über die Chrono- lich mangelnde Anerkennung. Ihr Gemüt hellt
logie der Textgenese wie der sich ungewöhnlich sich aber schlagartig auf, als sie den unerwarteten
lange hinziehenden kompositorischen Arbeit las- Anruf einer Bekannten entgegennimmt, die zum
sen sich allerdings nach dem aktuellen Stand der Schlittschuhlaufen einlädt.
Forschung keine präzisen Angaben machen. An- 2. Szene: Auf der Rodelbahn: Im munteren
fang Juni 1918 ging ihm die Komposition der Treiben von allerlei Rodlern kommt es zum Zu-
»kleinen Eheoper […] ausgezeichnet von der sammenstoß zwischen Christines Schlitten und
Hand« (an Hofmannsthal, 6.6.1918; RSHH 409), einem Skifahrer, der rasch die Bahn queren will.
am 1. Oktober 1918 beendete er das Particell des Im ersten Schreck empört sich die Frau über den
ersten Aufzugs und am 15.2.1919 meldete Strauss Unfallgegner, doch als dieser sich als Baron Lum-
Franz Schalk: »Mein neues realistisches Spielöper- mer vorstellt und sie in ihm den Sohn von alten
chen ist gestern in erster Skizze fertig geworden« Bekannten erkennt, wächst sogleich ihre Sympa-
(Brosche 1983, 98). Doch der »ersten Skizze« sollte thie für den jungen Mann. Sie lädt ihn zu einem
noch einige Arbeit folgen. Die Partitur des ersten Besuch in ihrem Haus ein.
Aufzugs konnte Strauss erst am 21. Juli 1921 ab- 3. Szene: Ball beim Grundlseewirt: Ausgelassen
schließen, und die Komposition des zweiten tanzt Christine mit dem Baron. Das Gespräch
Aufzugs zog sich bis Ende Oktober 1922 hin. Am während einer Ballpause berührt die angeblich
1. Dezember begann Strauss schließlich mit der schwache Gesundheit Lummers. Mit Christines
Partitur, und am 21. August 1923 zog er auf der Zusage, die Aufsicht über seine Stärkungskur zu
216 Opern und Ballette

übernehmen, stürzen sich beide wieder ins Walzer- seine Frau den Umschlag, überfliegt das Schreiben
getümmel. und stößt einen Schrei des Entsetzens aus: Eine
4. Szene: Möbliertes Zimmer im Hause des offensichtlich zweifelhafte Dame namens Mieze
Notars: Die Kapellmeistersgattin hat begonnen, Meier fordert bei ihrem Mann zwei Karten für die
sich der Belange ihres neuen Schützlings anzuneh- Oper an und verspricht dafür die gewohnte Be-
men. Auf eigene Kosten mietet sie für den Baron gegnung nach der Vorstellung in einer Bar. Für
ein möbliertes Zimmer. Der Hausherrin meint sie Christine bricht eine Welt zusammen. Nachdem
Empfehlungen sowohl für die Sauberkeit der sich die Schockstarre gelöst hat, schreibt sie ein
Wohnung als auch für die Verpflegung des Mie- Telegramm an ihren Mann: Seine Untreue sei er-
ters geben zu sollen. wiesen, sie werde sich scheiden lassen. Der Kam-
5. Szene: Esszimmer im Hause Storchs: Brief- merjungfer gibt sie den Befehl, sofort alle Anstal-
lich berichtet Christine ihrem Mann von den ten für die Abreise zu treffen.
jüngsten häuslichen Ereignissen, vor allem von 8. Szene: Schlafzimmer des Kindes: Tief ver-
ihrer Bekanntschaft mit Lummer. Bei der Köchin zweifelt sitzt Christine am Bett ihres kleinen
erkundigt sie sich nach den Vorbereitungen für Sohnes, ergeht sich in Beschuldigungen und will
das Abendessen, da der Baron zu Besuch komme. dem widersprechenden Knaben einreden, sein
Dieser trifft bald ein, macht sich beim Führen des Vater sei ein schlechter Mensch.
Haushaltsbuchs nützlich und lässt sich schließlich
mit ihr zur gemeinsamen Zeitungslektüre nieder. Zweiter Aufzug
Den unbequemen Fragen der Gastgeberin nach 1. Szene: Wien, Wohnzimmer im Haus des Kom-
seinen beruflichen Plänen begegnet er verlegen merzienrats. In entspannter Skatrunde sitzen Jus-
mit dem Bekenntnis, mangels finanzieller Mittel tizrat, Kommerzienrat, Kammersänger und Ka-
das ersehnte naturwissenschaftliche Studium nicht pellmeister Stroh zusammen. Unterm Spiel plau-
beginnen zu können. Christine bietet schließlich dern sie über die exzentrische Gattin ihres
an, sich bei ihrem einflussreichen Gatten um Pro- Skatbruders Storch. Als dieser schließlich hinzu-
tektion für den Baron zu verwenden. Diesem ist kommt, gehen die Glossen über Christine weiter.
freilich mehr an einer Geldzuwendung gelegen. Storch verteidigt seine Frau unbeirrt und mit
Schließlich verabreden sich beide auf eine mor- Wärme. Zwar sei sie oft unverschämt vorlaut und
gendliche Wanderung nach Aussee. Nach dem recht undiszipliniert, dann nicht selten auch hilf-
Abschied versinkt Christine in Träumerei. los, doch hinter ihrer Kratzbürstigkeit verberge
6. Szene: Zimmer des Barons im Hause des sich eine »ganz zarte, schamhafte Natur«. Sein
Notars: Zigarette rauchend liegt Lummer auf dem Loblied auf die Angetraute wird vom Eintreffen
Sofa. Er ruft nach seinem Koffer, hofft er doch, eines Telegramms unterbrochen. Storch liest die
sich bald aus dem Staub machen zu können, wenn darin übermittelte Anschuldigung seiner Frau
seine Gönnerin ihm den erhofften Geldbetrag samt Scheidungsdrohung. Während seine Spielge-
doch noch ausgehändigt haben würde. Plötzlich nossen den Vorwurf des Ehebruchs augenzwin-
steht seine Freundin Resi in der Tür. Lummer kernd kommentieren, verlässt der Beschuldigte
schickt sie fort, fürchtet er doch um seinen Ruf bei völlig verstört das Haus.
Christine. Endlich fasst er sich ein Herz und 2. Szene: Grundlsee, Büro des Notars: Chris-
schreibt einen Bittbrief an seine Patronin. tine will sich von ihrem Mann trennen. Der No-
7. Szene: Esszimmer im Hause Storchs: Tau- tar, mit Storch bestens bekannt, misstraut dem
send Mark begehre er, empört sich Christine, vorgelegten Brief der Mieze Meier. Er weigert sich,
nachdem sie das Schreiben des Barons gelesen hat. das Scheidungsbegehren zu vertreten, ehe er nicht
Da tritt der Bittsteller auch schon ins Zimmer. selbst mit dem Kapellmeister gesprochen habe.
Mit großer Bestimmtheit weist sie dessen Antrag 3. Szene: Wien, im Prater: Storch irrt bei Ge-
ab, erneuert aber ihre Zusage, den Kapellmeister witter und Sturm im Park umher. Seit Tagen sind
für ihn um Förderung zu bitten. Mitten im Ge- alle Versuche, mit seiner Frau in Verbindung zu
spräch bringt das Hausmädchen einen Brief, der treten, erbarmungslos abgewiesen worden. Da er
an Storch adressiert ist. Gewohnheitsmäßig öffnet sich keines Vergehens schuldig weiß, zermartert er
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 217

sich den Kopf über die möglichen Hintergründe Galan durchaus missverständlich aufgenommen
des Geschehens. Da tritt sein Kollege Stroh auf. werden könnte. Schließlich berichtet sie sogar
Ihm galt eigentlich die Einladung Mieze Meiers. betreten von Lummers Bittbrief. Robert gibt sich
Diese habe sich jedoch seines Namens nicht mehr großzügig. Da der Baron nett zu Christine ge-
richtig erinnert und Stroh mit Storch verwechselt. wesen sei, wolle er ihn in jeder von ihr gewünsch-
Energisch fordert Robert von Stroh, sofort ein ten Form unterstützen. Mit einem überschwäng-
klärendes Telegramm an Christine abzusetzen und lichen Liebesbekenntnis versöhnt sich das Paar.
dann zum Grundlsee aufzubrechen, um dort per- Erlöst stellt Christine zum Schluss die von ihr
sönlich die genauen Umstände des Missverständ- rhetorisch gemeinte Frage: »Gelt, mein lieber
nisses zu erhellen. Robert, das nennt man doch wahrhaftig eine
4. Szene: Grundlsee, Toilettenzimmer der Frau glückliche Ehe?«
im Hause Storch: Christine treibt mit planloser
Betriebsamkeit ihren Auszug aus dem ehelichen
Haus voran. Um sich endgültige Gewissheit über
die Vorkommnisse zu verschaffen, hat sie Baron Kommentar
Lummer nach Wien gesandt, damit dieser bei der
besagten Dame Erkundigungen einziehe. Als er- Die Schlussfrage der Kapellmeistersgattin poin-
neut ein Telegramm Roberts abgegeben wird, will tiert, worum es in dem Werk zentral geht: um die
sie es wie die vorherigen ungeöffnet zurückgehen Ehe. Sie stellt das Thema dar, das Hugo von Hof-
lassen, doch es gelingt Anna, ihre Herrin davon mannsthal in der Oper Die Frau ohne Schatten im
abzuhalten. Erstmals nimmt sie Roberts Rechtfer- Gegenüber der Paare Kaiser/Kaiserin und Barak/
tigung zur Kenntnis, es handele sich um eine Färberin erstmals in der gemeinsamen Arbeit mit
Verwechslung; Kapellmeister Stroh sei unterwegs Strauss prominent exponiert hatte und das später
und werde alles mit Beweisen berichtigen. Kaum in der Ägyptischen Helena in überhöhender Steige-
hat sie die Nachricht vernommen, lässt sich Stroh rung durchgeführt werden sollte. Auch in Arabella
schon melden. bilden die von Hofmannsthal als Mysterium ver-
5. Szene: Esszimmer im Hause Storchs: In standenen Grundlagen der Lebensgemeinschaft
freudiger Erwartung sieht Christine der Ankunft von Mann und Frau die gedankliche Mitte des
ihres Mannes entgegen. Doch kaum ist der Er- Werks. Im Satyrspiel der Schweigsamen Frau
sehnte eingetreten, nimmt sie eine reservierte schwingen sie immer noch mit. Schon im Kontext
Haltung ein. Sie habe unter den Ereignissen der Symphonia domestica hatte Strauss bekundet:
schwer gelitten, sei im Übrigen durchaus nicht »Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben.«
sicher, ob an der unseligen Geschichte nicht doch Das alles markierte keine Einzelposition. Tatsäch-
etwas dran sei. Nicht sie habe ihm etwas zu verge- lich kennt die Moderne nur wenige andere Dis-
ben, sondern umgekehrt. Der Wortwechsel eska- kurse von vergleichbarer Tragweite wie den über
liert, Christine erneuert ihre Scheidungsankündi- die Ehe. Deren in der bürgerlichen Gesellschaft
gung. Wütend rennt Storch aus dem Zimmer. unbestrittene Gültigkeit als Modell aller sozialen
6. Szene: Ebenda; Baron Lummer berichtet, Ordnung einerseits, deren zunehmende Gefähr-
dass Mieze Meier tatsächlich mit dem Hofkapell- dung durch lebensreformerische und emanzipato-
meister bekannt sei. Christine macht sich darauf- rische Tendenzen vor allem in der Zeit nach dem
hin über seine detektivischen Fähigkeiten lustig. Ersten Weltkrieg andererseits spielte als Gegen-
Beim Abgang Lummers begegnen er und Storch stand von Debatten in Gesellschaft wie Kunst der
einander flüchtig. Robert hat sich inzwischen ge- 1920er Jahre eine prominente Rolle. In letztere
fangen und sucht das klärende Gespräch. Der fühlten sich Hofmannsthal und Strauss ganz
Besuch des Barons gibt ihm den willkommenen selbstverständlich einbezogen. Die genannten
Anlass, nun seinerseits ironisch nach der Art des Opern behandeln die Dimensionen der Ehe aus
Verhältnisses seiner Frau zu Lummer zu fragen. der Perspektive von Märchen, Mythos und Ge-
Christine will sich empören, spürt aber, dass ihre schichte. In Hofmannsthals Verständnis trium-
gewiss unschuldige Sympathie für den jungen phiert in ihr das Wunder der Verwandlung, weil
218 Opern und Ballette

sich zwei Personen wechselseitig zur Hingabe des der Entschluss, seine Ideen zuletzt auf eigene Faust
eigenen Selbst bereit finden. Für den Kompo- in einem Werk wie Intermezzo zu verwirklichen.
nisten, so der Tenor vielfacher Äußerungen von Wie es zur Titelformulierung kam und was er
Strauss, bezeichnete die Ehe aber vor allem eine damit intendierte, ließ Strauss im Dunkeln; Äuße-
Lebensrealität, wirkte sie als stabilisierende Zen- rungen von ihm zu dieser Frage gibt es, soweit
tripetalkraft, als Garant dafür, dass auch ein künst- ersichtlich, keine. Das hat Kommentatoren zu
lerisch hochproduktiver Mensch wie er, durch weit gehenden Vermutungen animiert, von denen
vielfältigste Tätigkeit der Gefahr von Zersplitte- die meisten wenig überzeugend sind (weder ent-
rung und Selbstentfremdung ausgesetzt, Lebens- faltet etwa der Rekurs auf das historische Genre
sicherheit dauerhaft erhalten konnte. des Intermezzos als Opernform des 18. Jahrhun-
Von diesem Standpunkt aus wollte er die Ehe derts eine spezifische Aussagekraft noch eignet
einmal nicht als Allegorie oder Utopie, sondern als dem Hinweis auf die Stellung von Intermezzo ge-
Wirklichkeit, als alltägliche Erfahrung künstlerisch nau in der Mitte von Straussens Bühnenœuvre
behandeln. Den Realismus, der ihm dabei lebhaft irgendeine Sinnfälligkeit, dürfte der Komponist
vor Augen stand, empfand Hofmannsthal als platt doch zur Entstehungszeit des Werks kaum gewusst
und zutiefst befremdend. Strauss jedoch witterte haben, wie viele Opern er noch schaffen würde).
eine Spur hin zu einer neuen Opernform. Umge- Nach einem Zeugnis von Ludwig Karpath lief das
kehrt formuliert: Hier schien sich ihm eine expe- Stück 1919 bei Strauss unter dem Titel Das eheliche
rimentelle Möglichkeit zu eröffnen, alte und Glück (»Skizzen zur neuen Oper von Richard
möglicherweise verbrauchte Modi des Musikthea- Strauss. / ›Das eheliche Glück‹ (Intermezzo) / Der
ters abzustoßen. Seine Haltung zur Gattung am Meister brachte mir diese Skizzen in mein Zim-
Ende der 1910er Jahre artikulierte sich in einem mer / in seinem Haus in Garmisch am 5 / VIII
Bündel von pointierten Gegenpositionen: gegen 1919«; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und
die große romantische Oper, gegen hohe, vor Universitätsbibliothek, Dresden, D-Dl; Signatur:
allem tragische Stoffe, gegen Drama und Musik- Mus. 9099–F-26a). Dieses Glück wollte der Kom-
drama Wagnerscher Prägung, gegen Gesangsoper, ponist offensichtlich als im Kern unveränderlichen
gegen literarische Sprache, gegen Heldentypen. Zu Zustand vorführen, zumindest zeigen die Haupt-
ihnen kontrastierten Zielvorstellungen, ebenfalls personen seiner Oper keine Entwicklung, sondern
zugespitzt formuliert: hin zu einem neuen Genre durchleben in der Statik ihrer »glücklichen Ehe«
von Spiel- und Konversationsoper (er plante einen das Intermezzo eines zwar aufregenden, doch am
»Cyclus: Die Frau etwa 5 Comödien, die Frau von Ende folgenlosen Geschehnisses. Hofmannsthal
verschiedenen Seiten gesehen«; Gregor 1947, 104), kritisierte dieses aus seiner Sicht bloße »Charak-
hin zum Realismus der Gegenwart, repräsentiert tergemälde« ohne rechte Handlung; die Zuhörer-
durch die eigene Biographie, hin zur lockeren schaft werde »nicht ins Geschehen hineingerissen«
Struktur von episodischen Szenenfolgen (»fast nur (18.10.1928; RSHH 669). Er traf damit zwar einen
Kinobilder«, an Bahr, 1.1.1917; Gregor 1947, 100) wesentlichen Punkt, missverstand aber (vielleicht
sowie zur Trennung zwischen musikalischem Dia- vorsätzlich) die Strauss dabei leitende Absicht, wie
log und orchestraler Symphonik, hin zu einer dieser sie verfolgt hatte: »Natürlich hat es wenig
präzise abgestuften rezitativischen Deklamatorik, ›Handlung‹, im Gegenteil: die Handlung ist von
hin zur Alltagsprosa, hin zum Charakter und zum vorneherein bagatellisiert […] und ironisiert. Was
Individuum. Für Strauss verdichteten sich diese sind denn aber auch diese sog. dramatischen
einzelnen Elemente, von denen jedes in einem, Handlungen? Seit 2000 Jahren immer das gleiche:
ihm bewussten, weiten ästhetischen und histori- Mord und Totschlag, Intrige des Subalternen ge-
schen Kontext steht, zu einer veritablen Program- gen den Helden, Verlobung mit überwundenen
matik, sofern davon überhaupt im Sinne scharf Hindernissen oder Scheidung – das ist doch alles
gezogener Leitlinien für künftiges künstlerisches nicht interessant und so und so oft dagewesen.
Handeln die Rede sein kann. Von der Ernsthaftig- Neu aber ist – wie schon Goethe sagt, als er jedem
keit seines Aufbruchswillens zeugten die zumin- Menschen empfiehlt, seine Memoiren zu schrei-
dest zeitweilige Abkehr von Hofmannsthal und ben – jede Individualität: nie in dieser Art dagewe-
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 219

sen, nie mehr wiederkommend, und somit finde Die Thematisierung der Individualität konkre-
ich eine so hübsch und konsequent durchgeführte ter Charaktere im Sinne Goethes propagierte
Charakterschilderung wie im ›Intermezzo‹ interes- Strauss durchaus zutreffend als ein neues Element
santer als jede sogenannte Handlung […]« im Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Damit
(1.11.1928; RSHH 670). Schon früher hatte er einher ging die Spiegelung der modernen All-
darüber hinaus betont, dass so »harmlos und un- tagswelt im Libretto, mit Motiven wie etwa
bedeutend die Anlässe zu diesem Stück« auch Wohnungsinterieur, Kofferpacken, Ernährungs-
seien, so seien doch, was »durch sie hervorgerufen« regeln, Telefonieren, Schlittenfahren, Zeitungs-
werde, »schließlich immer noch die schwersten lektüre, Skatspiel, Scheidungsanwalt, Tabakge-
Seelenkonflikte, die in einem Menschenherzen nuss oder Eisenbahnfahrt. Intermezzo deswegen
sich bewegen können« (22.1.1927; RSHH 569). als »Zeitoper« avant la lettre zu bezeichnen (Gil-
Die Oper Intermezzo steht im Kreuzungspunkt liam 1991, Danuser 2001, 54), trifft die Sache
der für Straussens Lebenssicht bedeutsamen Koor- freilich nur an der Außenseite und ohne Rück-
dinaten von Max Stirners (früh rezipierter) »Ich- sicht auf die musikalische Haltung der Neuen
Philosophie« und Goethes (schließlich) klassi- Sachlichkeit, die für die späteren ›Zeitopern‹
schem Entwurf des Individuums vor dem Hinter- beispielsweise Paul Hindemiths substantiell ist.
grund der Allgemeingeschichte. Das gegenüber Denn die Strauss’sche Musik bewegt sich stilis-
Hofmannsthal ins Feld geführte Vorbild Goethes tisch nicht in einem der aus Sicht der 1920er Jahre
und dessen Verständnis von Individuum, Charak- zeitgenössischen Idiome, sondern im Ton des fin
ter und Autobiographie, das Strauss adaptierte, de siècle, in der für den Komponisten typischen
hatte im Übrigen die erste, erst postum veröffent- Tonsprache, freilich immer wieder durchsetzt mit
lichte Version des Vorworts (Strauss 1981, 135–139) überraschenden Neuerungen. Dazu gehört etwa
bestimmt, das der Komponist der Oper beigeben die auf Quarten gegründete Melodik und Har-
wollte. Ist schon die Tatsache einer programmati- monik in der sechsten Szene des ersten Aufzugs,
schen Vorrede als solche bemerkenswert und ruft mit der die Hohlheit des Barons unmittelbar zum
Assoziationen an historische Vorgänger von Rang Ausdruck gebracht wird (drastisch persifliert im
hervor, so verdient die Existenz zweier unter- gepfiffenen und geträllerten Schlager » Theresu-
schiedlicher Fassungen dieses Textes besondere lein, Theresulein, du bist mein süßes Mädulein«
Aufmerksamkeit. Die Genese der Versionen ist [3 T. nach Zi. 270]). Klang, Motivgestalten, mu-
bislang nicht erhellt, doch richtete sich die erste sikalische Gesten und vieles andere mehr, was
vor allem ans Publikum, um eben die Bedeutung sich bislang mit den stets in Geschichte oder
des Autobiographischen zu erläutern, während die Märchen verorteten artifiziellen Welten der
schließlich gedruckte stärker an Interpreten und Strauss’schen Opernstoffe verbunden hatte, fand
Kritiker adressiert war und ausführlich auf das neu sich nun plötzlich auf eine krude Realität im Hier
justierte Verhältnis von Sprache, textlicher Dekla- und Jetzt angewandt – ein Widerspruch, der
mation und symphonischer Musik einging. Die in kaum zu versöhnen ist, und der etwa den Schluss
der Erstfassung apostrophierte Stellung des Indi- von Intermezzo, den der Librettist Strauss unver-
viduums stand für Strauss unverbrüchlich im kennbar ironisch gefärbt, wenn nicht gebrochen
Zentrum seines künstlerischen Selbstverständnis- hat, vom Komponisten Strauss in eine seiner zwar
ses, ausgedrückt noch in seiner letzten Aufzeich- hinreißend musizierten Fis-Dur-Seligkeiten tau-
nung vom 19. Juni 1949: » – warum sieht man chen, damit aber auch hart an den Rand unironi-
nicht das Neue an meinen Werken, wie in ihnen, scher Sentimentalität führen lässt. Transzendie-
wie nur noch bei Beethoven der Mensch sichtbar rende Opernschlüsse verlangen nach einer gewis-
in das Werk spielt […]. Das Bekenntnis in ›Inter- sen dramatischen Fallhöhe – im bürgerlichen
mezzo‹ […] ist doch das, warum sich meine dra- Wohnzimmer dürfte die nicht zu erreichen sein.
matischen Werke von den landläufigen Opern Aber die Janusköpfigkeit gehört zur Individualität
[…] unterscheiden in direkter Beethoven-, Ber- dieser Oper, vorausgesetzt, man lässt die Aussage
lioz-, Lisztnachfolge. Musik des 20. Jahrhunderts des Autors gelten, ›der Mensch spiele sichtbar in
[…]« (Strauss 1981, 182). das Werk‹.
220 Opern und Ballette

Die Partitur bietet darüber hinaus noch in phonischen Zyklus, andererseits der Sonatenform.
weiterer Hinsicht originäre Eigenarten. Die erste Mit welcher gestalterischen Raffinesse Strauss das
betrifft das bereits angedeutete Verhältnis von dra- kompositionstechnisch mit einem höchst versatil
matischem Sprech-Singen und Orchestersympho- behandelten Orchester im Einzelnen bewältigt, ist
nik. Dazu sagt Strauss selbst treffend im gedruck- von der Forschung als »Extremfall« des Bemühens
ten Vorwort: »Im ersten Aufzug der ›Ariadne‹ ist »um die Integration des Symphonischen ins Büh-
bei abwechselnder Anwendung von reiner Prosa, nenwerk« beschrieben worden (Werbeck 2001,
Secco- und pathetischem Rezitativ mit voller Si- 118 f.).
cherheit der Gesangsstil angeschlagen, der nun- Der für das Libretto konstitutive Rückgriff aufs
mehr im ›Intermezzo‹ bis zur äußersten Konse- Autobiographische erstreckt sich über äußere
quenz durchgeführt wurde. In keinem anderen Vorgänge hinaus auch auf mikrologische Details
meiner Werke ist aber auch die Bedeutung, die der Partitur (Konrad 2007). Mit solchen will
dem Dialog zukommt, größer als in dieser, der Strauss dem aufmerksamen Zuhörer beispielsweise
sogenannten Kantilene nur wenig Entwicklungs- Hinweise auf seine künstlerischen Überzeugungen
möglichkeiten bietenden, bürgerlichen Komödie. geben. Mittel für diese eher diskreten Botschaften
Das symphonische Element ist in sorgfältiger, sind Zitate aus der Musikliteratur; auf sie wird
häufiger Durcharbeitung und Ausfeilung oft nur gelegentlich ausdrücklich mit dem Wort »Citat«
mehr auf Andeutungen reduziert und kann selbst hingewiesen, meist aber bleiben sie ungekenn-
bei ungenauer Dynamik kein Hindernis mehr zeichnet. Die bereits erwähnte Skatpartie zu Be-
bieten, daß der ganz natürliche, dem Alltagsleben ginn des zweiten Aufzugs liefert für letztgenanntes
abgelauschte und nachgebildete Gesprächston, im Verfahren einige Belege (Zi. 9–13). Als Robert
Zusammenhang wie im einzelnen Textwort, nicht Storch verspätet zu der Spielrunde stößt, verrät
nur gehört, sondern auch genau verstanden werde; das Orchester in Reaktion auf die spöttelnden
das lyrische Element, die Darstellung der seeli- Auslassungen des Kammersängers über die Ar-
schen Erlebnisse der handelnden Personen gelangt beitswut des Hofkapellmeisters, welches Stück die
hauptsächlich in den längeren Orchesterzwischen- Abkürzung der Probe verhindert hat: Es war Mo-
spielen zu voller Entfaltung« (Strauss 1981, 145 f.). zarts Le nozze di Figaro. Strauss zitiert zunächst auf
Die von Strauss hervorgehobene ›äußerste Konse- das Wort »Anfang« lediglich das Kopfmotiv der
quenz‹ der Sprachbehandlung tritt mit unerreich- Ouvertüre, ehe zur Bemerkung über den »kolossa-
ter Virtuosität in der Skatpartie (II, 1) hervor, ei- len Probeneifer« das gesamte Hauptthema dieses
nem Kabinettstück sehr genau ausgehörter Stücks erklingt. Dieses Zitat hat einen autobiogra-
sprechmelodischer und -rhythmischer Deklama- phischen Hintergrund, war der Figaro doch er-
torik in einer Runde von fünf miteinander musi- klärtermaßen eines von Straussens Lieblings-
kalisch sich unterhaltenden Personen. werken, und unter Musikern war bekannt, mit
Die zweite Eigenart wird in der zitierten Pas- welchem Einsatz er gerade sie probte und diri-
sage schon erwähnt, nämlich der einzigartige An- gierte.
teil rein symphonischer Musik. Diese geht nicht Wenig später übernimmt Strauss, wie übrigens
auf in ihrer rein technischen Funktion als Zwi- mehrfach im Intermezzo, einen Operntext ohne
schenaktmusik, um Zeit für Bühnenumbauten zu die dazugehörige originale Musik. Mit den Wor-
gewinnen, auch nicht in der Aufgabe, tonmale- ten »Hast Du schon zur Nacht gebetet, Desde-
risch Vor- und Rückschau auf szenische Vorgänge mona!« kündigt der Kammersänger den sich ab-
zu halten. Vielmehr stellt sich Strauss mit den in zeichnenden Spielverlust Strohs an. Damit erin-
einzelne Szenen eingebauten ebenso wie mit den nert er an den Beginn der dritten Szene des vierten
systematisch zwischen den Szenen platzierten rein Aktes aus Giuseppe Verdis Otello, an die Peripetie
orchestralen Sätzen dem eigenen Anspruch, par- des Dramas. Das Missverhältnis zwischen dem
allel zur Textstruktur eine selbsttragende »sym- durch Otellos drohende Mordtat nahenden
phonische Einheit« zu schaffen. Über Szenen und Untergang Desdemonas und der für Stroh verlo-
Akte hinweg spannt er die konstitutiven Kon- renen Skatrunde begründet die Komik dieses Zi-
struktionselemente einerseits des viersätzigen sym- tats. Nach dem gleichen, nun allein auf Musik
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 221

bezogenen Verfahren handhabt Strauss nur wenige ganze Milieu nicht, die Öffentlichkeit und was
Takte weiter den Tristan-Akkord. Die Differenz sich so alles an den Künstler herandrängt: diese
der Stillagen erklärt sich von selbst: Roberts be- schamlosen Dichter, die all ihre Erlebnisse auf die
hagliche Sentenz »Ach, so ein Skätchen ist ein Straße tragen, so ein Kapellmeister, der den Voll-
Genuß, die einzige Erholung nach Musik« – auch gefress’nen unten im Parkett den Hampelmann
sie übrigens ein Bekenntnis des Komponisten macht und seine brünstigen Gefühle im Vier-
Strauss – kontrastiert die Wonnen des Karten- vierteltakt preisgibt! Pfui Teufel!« (Textbuch 16).
spiels mit den hehren Bemühungen um die Ton- Den vermeintlichen heißen Gefühlen des Kapell-
kunst, für welche stellvertretend der bedeutungs- meisters gilt das in der Trompete hervortretende
schwere Klang aus der Einleitung zu Wagners Zitat (Zi. 40) aus Charles Gounods 1859 uraufge-
Musikdrama steht. Die Persiflage geht noch wei- führter Oper Faust, hier das erste Thema des zen-
ter: Auf den Tristan-Akkord folgt alles andere als tralen Liebesbekenntnisses zwischen Margarete
sehnendes Begehren – der Commerzienrat glos- und Faust »Il se fait tard, adieu!« vom Ende des
siert spottend: »Besonders, wenn die Frau recht dritten Akts.
weit weg ist!« Als Storch von einem brieflichen Strauss geht es hier um eine ernsthafte Opern-,
Bericht seiner Gattin erzählt, in dem es um eine mehr noch Kulturkritik. Denn Gounods Oper,
Herrenbekanntschaft geht, wird der Bericht im die in Deutschland nur unter dem Titel Margarete
Orchester ungeniert mit einem markanten Horn- lief, verachtete er, wie viele seiner Zeitgenossen, als
motiv kommentiert (5 Takte nach Zi. 16) – spätes- Zeugnis französischer Verballhornung des deut-
tens seit der einschlägigen Episode am Ende von schen Nationalstoffs schlechthin. Während der
Figaros Arie »Aprite un po’ quegl’ occhi« aus dem Arbeit am Intermezzo veröffentlichte Strauss im
vierten Akt von Mozarts Figaro weiß der musik- Neuen Wiener Journal einen Aufsatz unter dem
kundige Hörer, was er sich da zu denken hat. Als Titel »Erwägungen zum Opernspielplan«, in dem
der gegen Storch erhobene Vorwurf der ehelichen unter anderem über Opern gehandelt wurde, die
Untreue im Raum steht, kommentiert der Kam- »ihrer Qualität nach längst dem Orkus verfallen
mersänger die Situation mit Moralsprüchen aus sein müßten, wie etwa ›Margarethe‹, ›Mignon‹,
dem Opernrepertoire: Da muss Wagners Parsifal – ›Martha‹, ›Lucia‹ oder ›Der Trompeter von Säckin-
»Schwach auch er, schwach alle« (Zweiter Aufzug, gen‹« (Strauss 1981, 43). Nicht von ungefähr stehen
3 Takte nach Zi. 36) – ebenso herhalten wie der hier Werke von französischen und italienischen
Eremit aus Carl Maria von Webers Freischütz: sowie von der französischen Oper stark beeinfluss-
»Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung wert?« (Zwei- ten deutschen Komponisten in einer Reihe. Die
ter Aufzug, Zi. 37). Malice der Kapellmeistersgattin Storch erfährt
Ein gekennzeichnetes, wenn auch ohne Her- durch das Zitat der im breiten bürgerlichen Pu-
kunftsangabe gebliebenes Zitat steht in der ersten blikum wohlbekannten Liebesmelodie aus Gou-
Szene des ersten Aufzuges. Im phasenweise un- nods Erfolgsoper in den Augen von Strauss eine
freundlichen Wortwechsel zwischen Storch und musikalisch sprechende Bestätigung, handelt es
seiner Frau charakterisiert Strauss die Protagonis- sich nach deutscher Lesart bei diesem französi-
ten als Stellvertreter zweier Kunst- und Weltan- schen Duett ja nicht um den Ausdruck der tra-
schauungen. Der Kapellmeister bekennt sich zu gisch-verstrickten Liebe zwischen Margarete und
seiner bürgerlich-romantischen Musikerexistenz: Faust, sondern gleichsam um den der schwülen
Ihr sind die Anforderungen des Alltags angesichts Leidenschaft einer Pariser Femme fatale und ihres
der moralischen Verpflichtung zum Schaffen eines Galans.
künstlerischen Œuvres nichtig. Die Gattin hat Ungeachtet aller Einwände gegen Konzept und
mit diesem hochstrebenden Anspruch wenig im Umsetzung dieser bürgerlichen Komödie ist es
Sinn. Hochstrebender Romantizismus auf der ei- ihre in den angedeuteten Merkmalen der Sprach-
nen Seite und erdverbundene Sachlichkeit auf der behandlung, des Symphonischen und des Mikro-
anderen stoßen sich besonders hart bei der Bewer- logischen wurzelnde charakteristische musikali-
tung künstlerischen Ausdrucks im Raum. Für sche Individualität, die Intermezzo zu einer der
Frau Storch ist die Sache eindeutig, ihr »paßt das »ästhetisch interessantesten Schöpfungen im
222 Opern und Ballette

Strauss’schen Musiktheater« macht (Schreiber ren zu können. Diese Aussicht erwies sich jedoch
2000, 296). als trügerisch. Zwar ist das Werk nie aus den
Spielplänen verschwunden, eine dauerhafte Prä-
senz war ihm aber trotz bedeutender Produktio-
nen (1954, 1963 Wien; 1960, 1977, 1988 München;
Wirkung 1974, 1983 Glyndebourne; 1984 Santa Fe; 1986
New York) nicht beschieden. Für den Konzertge-
Die brillante Dresdner Uraufführung unter Lei- brauch stellte Strauss vier der »sinfonischen Zwi-
tung von Fritz Busch mit Lotte Lehmann und Josef schenspiele« zu einer Suite zusammen (TrV 246a).
Correck in den Rollen von Christine und Robert Bei der Anordnung der Teile orientierte er sich an
Storch bildete den Höhepunkt der örtlichen Ri- den Satzcharakteren der klassisch-romantischen
chard-Strauss-Tage und schloss den Reigen ähnli- Symphonie: I Lebhaft (Reisefieber und Walzer-
cher Festveranstaltungen aus Anlass des 60. Ge- szene), II Ruhig schwebend (Träumerei am Ka-
burtstags von Strauss mit einem glanzvollen Erfolg min), III Sehr gemächlich (Am Spieltisch), IV
für den Komponisten ab. Hatte bei den Wiener Sehr lebhaft und fröhlich (Fröhlicher Beschluß).
Jubiläumswochen im Mai 1924 die Uraufführung Bemerkenswert ist die zwar sehr ambivalente,
des Balletts Schlagobers vor dem Hintergrund der gleichwohl lebhafte Auseinandersetzung mit Inter-
katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Ver- mezzo im Umfeld der Wiener Schule. In der öster-
hältnisse der jungen Republik Österreich haupt- reichischen Hauptstadt überschattete das skandali-
sächlich wegen des banalen, in krassem Kontrast sierte Schlagobers-Ballett wie auch Straussens De-
zur Lebensmisere eines Großteils der Bevölkerung mission als Staatsoperndirektor die Rezeption der
stehenden Sujets zum Teil heftige Kritik erfahren, neuen Oper. Namentlich die ätzenden Tiraden von
gewann die neue Oper bei Publikum und Musik- Karl Kraus in der Fackel (26. Jg., Nr. 668–675,
kritik überwiegend Zustimmung. Mit allgemeiner Dezember 1924) und eine Glosse von Theodor W.
Verblüffung wurde der Stoff aufgenommen. In Adorno in den Musikblättern des Anbruch (8. Jg.,
Erinnerung an die Symphonischen Dichtungen Heft 5, Mai 1926) markieren extreme Positionen.
Ein Heldenleben und Symphonia domestica lebte Arnold Schönberg dagegen äußerte in einem Brief
erneut die Diskussion der Frage auf, ob autobio- an Anton Webern vom 3. Mai 1926 zwar gehörige
graphische Erlebnisse und alltägliche Begebenhei- Vorbehalte gegen Text und Musik, bekannte aber
ten aus der Privatsphäre des Komponisten ästhe- auch, in dem Werk »eine glaubwürdige Darstel-
tisch vertretbare Gegenstände diesmal des Musik- lung seiner [Strauss’] Person« zu erkennen, »die
theaters sein können. Die Inszenierung in Dresden mich wirklich sogar ergriffen hat«. Aussagekräfti-
hatte ein Übriges getan, um den Realismus zu ger als diese private Äußerung dürfte die künstleri-
steigern: Als Vorbild für das von Adolf Mahnke sche Tat seines Einakters Von Heute auf Morgen
und Georg Brandt gestaltete Bühnenbild diente (1930) sein, eine Ehekomödie, die bei aller Ver-
das Interieur der Garmischer Familienvilla, und schiedenartigkeit der angewandten künstlerischen
die Maske des männlichen Protagonisten bemühte Mittel ihren Anstoß von Strauss Intermezzo erhal-
sich um physiognomische Ähnlichkeit mit Strauss. ten hat.
Auch wenn diese Äußerlichkeiten zunächst
besonders betont wurden, zeigte sich schon bald
ein tieferes Verständnis für den vom Komponisten
unternommenen Versuch, einen neuzeitlichen Stil Diskographischer Hinweis
der Konversationsoper zu entwickeln. Bis in die
frühen 1930er Jahre hinein ging Intermezzo über i Hanny Steffek (Christine), Hermann Prey
viele größere und kleinere deutsche Bühnen (noch (Storch), Anny Felbermayer (Anna), Ferry Gruber
1924 Erfurt, Breslau, Braunschweig, Hamburg, (Baron Lummer), Alfred Poell (Notar), Ludwig
Kiel, Karlsruhe, 1925 u. a. Prag, Berlin, Graz, Zü- Welter (Kammersänger), Orchester der Wiener
rich, Barcelona, 1926 u. a. Köln, München, 1927 Staatsoper, Joseph Keilberth (aufgenommen 1963):
Wien) und schien sich als Repertoirestück etablie- Orfeo C 765 082 I
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 223

i Lucia Popp (Christine), Dietrich Fischer-Dies- Entstehung


kau (Storch), Gabriele Fuchs (Anna), Adolf Dalla-
pozza (Baron Lummer), Klaus Hirte (Notar), Kurt Spätestens 1917 waren die künstlerischen Differen-
Moll (Kammersänger), Symphonieorchester des zen zwischen Hofmannsthal und Strauss so augen-
Bayerischen Rundfunks, Wolfgang Sawallisch fällig geworden, dass eine unmittelbare Fortset-
(aufgenommen 1980): EMI 165–30 983/85 zung der musikdramatischen Zusammenarbeit
nach der Oper Die Frau ohne Schatten ausge-
schlossen schien. Auch wenn der Dichter seine
grundsätzliche Bereitschaft zu einer künftigen
Kooperation signalisierte, versagte er sich den von
Die Ägyptische Helena Strauss neuerdings bevorzugten Stoffen mangels
jeglicher Sympathie für das »realistische Genre«
Oper in zwei Aufzügen op. 75 TrV 255
(11.8.1917; RSHH 391) und verwies dafür auf Her-
Entstehungszeit: 1923/24 (Text), 1923–1927 (Musik) mann Bahr, eine Empfehlung, der Strauss schließ-
Text: Hugo von Hofmannsthal lich folgte. Auch der mehrfach geäußerte Wunsch
Uraufführung: des Komponisten nach einer satirischen Antiken-
1. Fassung: Sächsische Staatstheater Dresden, oper à la Offenbach oder nach dem Muster von
Opernhaus, 6. Juni 1928 Lukians Peregrinus Proteus (in Wielands Überset-
2. Fassung: Festspielhaus Salzburg, 14. August 1933 zung) blieb unerfüllt. Immerhin versprach Hof-
Personen: Helena (Sopran); Menelas (Tenor); mannsthal im Juli 1916 ein »Singspiel« oder eine
Hermione, beider Kind (Sopran); Aithra, eine »Operette« (Strauss’ Brief vom 18.7.1916; RSHH
ägyptische Königstochter und Zauberin (Sopran); 349), und im Februar 1920 erhielt der Komponist
Altair (Bariton); Da-ud, sein Sohn (Tenor); 1. und einen »leichten dreiaktigen, der Operette ver-
2. Dienerin Aithras (Sopran, Mezzosopran); die wandten und der Welt des Lukian sehr nahen
alles-wissende Muschel (Alt); 3 Elfen (2 Soprane, Entwurf« (RSHH 453), den der Dichter dem
Alt); Chor Komponisten zudem als »frühe mythische Antike,
Orchester: 4 Flöten (3. und 4. auch Piccoloflöte), frech behandelt« nahezubringen suchte (April
2 Oboen, Englischhorn, Klarinette in C, 2 Klari- 1920; RSHH 460). Doch Strauss, dem der Plan
netten in B, Bassklarinette in A und B, 3 Fagotte offenbar nicht zusagte (erst viel später, nach Hof-
(3. auch Kontrafagott), 6 Hörner, 6 Trompeten, mannsthals Tod, sollte daraus die Keimzelle für
3 Posaunen, Basstuba, 4 Pauken, Schlagzeug die Oper Die Liebe der Danae werden), machte
(Glockenspiel, Becken, große Trommel, Tamtam, sich auf die Suche nach anderen Autoren. Im Juni
kleine Trommel), Celesta, Orgel, 2 Harfen, 1920 bat er den Schriftsteller und Theaterkritiker
16 erste Violinen, 14 zweite Violinen, 10 Violen, Alfred Kerr um ein »humorhaftes Opernwerk […]
10 Violoncelli, 8 Kontrabässe. Bühnenmusik: im Gewande des späteren Griechenland« (Kon-
6 Oboen, 6 Klarinetten, 4 Hörner, 2 Trompeten, häuser 1998, 38). Kerr zeigte zwar Interesse an ei-
4 Posaunen, Pauken, 4 Triangel, 2 Tambourine, ner Bearbeitung des erwähnten Peregrinus Proteus,
Windmaschine doch geriet das Projekt bald ins Stocken. Drei
Spieldauer: ca. 2 Stunden, 15 Minuten Jahre später erhielt Strauss dann die überraschende
Autograph: Richard-Strauss-Archiv Garmisch Nachricht, Hofmannsthal sinne neuerlich ȟber
Ausgaben: Partitur: 1. Fassung: Berlin: Fürstner ein spätantikes, graziöses, auch etwa ein wenig
1928, Nr. 7900; Änderungen der 2. Fassung: ebd. freches Lustspiel« nach (27.2.1923; RSHH 488).
1933, Nr. 7914; Klavierauszug: 1. Fassung, von Bei einem Treffen der beiden wohl am 29. Sep-
Otto Singer: ebd. 1928, Nr. 7903; Änderungen der tember 1923 las der Dichter nicht nur wesentliche
2. Fassung: ebd. 1933, Nr. 7916; Textbuch: ebd. Teile des ersten Aufzugs von Die Ägyptische Helena
1928, Nr. 7904; mit Einführung von Roland Ten- vor, sondern übergab dem Komponisten auch das
schert in die 2. Fassung: ebd. 1934, Nr. 7904; fertige Typoskript der ersten Szenen.
Studienpartitur: Werke Bd. 12 Mit Feuereifer ging Strauss an die Arbeit, auch
Hofmannsthal widmete sich unausgesetzt der
224 Opern und Ballette

Fortführung des Opernbuchs. Während Strauss über eine Frau – die Schönste aller Frauen –, um
Mitte August 1924 seine Skizzen bis ans Ende des sie zu töten. Aithra solle einen Sturm entfachen,
ersten Aufzugs brachte (sie beschäftigten ihn noch so die ruchlose Tat verhindern und Helena von
bis Ende Oktober 1925), erreichte Hofmannsthal Troja, dies der Name der Frau, retten. Die Zaube-
im Februar 1924 den Abschluss des zweiten Auf- rin willfahrt der flehenden Bitte der Muschel. Das
zugs. Unter der kompositorischen Arbeit ergaben Unwetter lässt das Schiff kentern; das Paar erreicht
sich mehrmals Wünsche nach zum Teil tiefer ge- schwimmend die Gestade der Insel.
henden Revisionen, so beispielsweise Ende 1923 1. Szene: Helena und ihr Gatte Menelas betreten
nach Änderung der Steigerungsdisposition des das leere Gemach Aithras. Helena erklärt geistesge-
ersten Aufzugs. Dessen Partitur lag zum »Arbeiter- genwärtig die intime Szenerie als für eine gemein-
feiertag« 1926 fertig vor, und am 5. Mai brach same Liebesnacht vorbereitet, die ihnen nach langer
Strauss zu einer Griechenland-Reise auf, um sich, Entbehrung bevorstünde. Doch Menelas bleibt in
wie Hofmannsthal erfuhr, »ein paar schöne Melo- den Banden dunkler Erinnerung und lastender
dien für den II. Akt zu holen« (4.5.1926; RSHH Schuld verstrickt. Nach zehnjährigem Krieg habe er
557). Bis zum 11. Oktober dieses Jahres konnte zwar seine buhlerische Gattin zurückgewonnen, sie,
Strauss das Particell des zweiten Aufzugs fertig- die seinerzeit, von Paris geraubt, zum Auslöser des
stellen. Am 8. Oktober 1927 setzte er den Schluss- langen, blutigen Kampfes geworden war. Nur ihr
vermerk unter die Gesamtpartitur. Tod aber könne nun das Opfer der unzähligen
Noch zu Lebzeiten Hofmannsthals wurde er- Männer sühnen, die im Kampf um sie gefallen
wogen, den zweiten Aufzug zugunsten einer klare- seien. Im Widerstreit von Verführungskunst und
ren Handlungsführung partiell umzuarbeiten. Rachedurst steht das Paar einander gegenüber.
Dazu kam es erst 1932, nachdem Clemens Krauss 2. Szene: Aithra greift lenkend in das Gesche-
dem Komponisten einen Revisionsvorschlag des hen ein. Sie befiehlt einer Schar Elfen, Schlachten-
in Wien tätigen Regisseurs Lothar Wallerstein lärm ertönen zu lassen, so dass Menelas annehme,
unterbreitet hatte. Die nötigen Einrichtungen der Trojanische Krieg begönne aufs Neue. Die le-
und Neukompositionen entstanden im Novem- murischen Halbwesen erzeugen eine vollkom-
ber/Dezember 1932. Abgeschlossen wurde die so- mene Illusion: Der Krieger stürzt sich besinnungs-
genannte Wiener Fassung am 15. Januar 1933. Eine los in den Kampf, zumal er glaubt, in einem der
weitergehende Bearbeitung, die den ersten Aufzug Wesen Paris zu erkennen. Helena sinkt derweil
in zwei Bilder aufteilte, nahm Rudolf Hartmann erschöpft auf den Thron der Zauberin nieder.
für eine Münchner Produktion 1940 vor. Aithra lässt ihre magischen Kräfte an ihr wirken
und stellt Helenas unversehrte Jugendschönheit
wieder her. Außerdem verabreicht sie ihr einen
Vergessenstrank. Die Elfen erhalten Anweisung,
Handlung Helena in ein blaues Gewand zu kleiden und auf
Aithras Lager zu betten. Abgehetzt und verstört
Erster Aufzug kehrt Menelas aus der vermeintlichen Schlacht
Einleitung: Gemach in Aithras Palast auf einer zurück, in der Hand seinen, wie ihm scheint,
Felseninsel: Voller Sehnsucht erwartet die Zaube- blutigen Dolch und davon überzeugt, Paris und
rin Aithra, eine ägyptische Königstochter, ihren Helena getötet zu haben. Aithra empfängt ihn
Geliebten Poseidon. Ungeduldig fragt sie die alles- dagegen mit der Botschaft, seine Frau schlafe im
wissende Muschel, wo der Meeresgott bleibe, Nebengemach. Menelas ist dem Wahnsinn nahe,
doch diese richtet zunächst nur Liebesgrüße von vermag kaum zu glauben, was er aus dem Mund
ihm aus. Erregt will sie mehr über seinen Aufent- der Zauberin vernimmt: Paris habe damals nicht
halt wissen und weist eine Dienerin zurück, die Helena geraubt, sondern ein ihr vollkommen
ihr einen Beruhigungstrank anbietet. Doch statt ähnliches Luftgespenst, während die wirkliche
weitere Kunde über Poseidon zu geben, berichtet Helena, von allen Veränderungen der Zeit ausge-
die Muschel über merkwürdige Vorkommnisse auf nommen, nach Ägypten in den Palast von Aithras
einem Schiff weit draußen: Ein Mann beuge sich Vater entrückt worden sei. Unter der allmählich
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 225

einsetzenden Wirkung eines Tranks, der auch bei rung an die gleiche, zehn Jahre zurückliegende
Menelas jede Erinnerung verblassen lässt, beginnt Situation auf. Auch damals habe er sich auf die
seine entschlossene Haltung zu wanken; fast ist er Jagd begeben und bei seiner Rückkehr das Haus
soweit, die verwirrende Geschichte zu glauben, leer vorgefunden. Helena widerspricht dieser
mithin die echte Helena wiedersehen zu wollen. scheinbaren Wiederkehr der Vergangenheit: Sie
Finale: Helenas Erwachen: Vorhänge geben gehöre auf immer ihm. Aber wie kann sie ihn
den Blick auf das Seitengemach frei, in dem die endgültig von dieser Wahrheit überzeugen?
strahlend schöne Helena ruht. Sie erwacht, 3. Szene: Während die Jagdgesellschaft fortrei-
Menelas ist überwältigt, freilich immer noch nicht tet und Helena vor sich hinsinnt, betritt Aithra
frei von Zweifeln (die das Gekicher der frechen den Platz. Im Austausch mit ihr klärt sich für
Elfen zu bestätigen scheint). Schließlich ergibt er Helena, wie ihr Mann zurückzugewinnen wäre:
sich, hingerissen von Helenas Liebesschwur, und nicht durch Vergessen, sondern durch Erinne-
zeigt sich bereit zu einem erneuerten Ehebündnis. rung; durch völliges Aufdecken des von Trugbil-
Um jeglicher Erinnerung an die Vergangenheit zu dern verstellten Geschehens; durch Offenbarung
entfliehen, wendet sich die Braut an Aithra und der Schuld, angesichts derer Menelas in vollem
bittet darum, sie und Menelas an einen Ort zu Bewusstsein Helena entweder strafen oder ihr
versetzen, wo niemand das Paar kenne und etwas vergeben könne. Da platzt Altair in das Gespräch
vom Trojanischen Krieg wisse. Dann ziehen sich und beginnt ein heftiges Werben um die Angebe-
die Liebenden ins Schlafgemach zurück. Aithra tete. Ein rauschendes Fest will er ausrichten. He-
schwingt ihren Zaubermantel. lena bleibt unbeeindruckt. Die Dienerinnen der
Aithra beobachten indessen das Jagdtreiben und
Zweiter Aufzug berichten von einem Kampf zwischen Da-ud und
1. Szene: Oase mit Palmenhain vor dem Hinter- Menelas; der Jüngling fällt.
grund des Atlasgebirges: Helena schwelgt in der 4. Szene: Sklaven tragen den Leichnam Da-uds
Erinnerung an die zweite Hochzeitsnacht. Den herbei, gefolgt von Menelas mit seinem gezückten
kaum erwachten Menelas hingegen beschleichen Krummschwert. Helena tritt ihm friedlich entge-
Ahnungen, bei der Helena an seiner Seite handele gen, entwindet ihm die Waffe. Doch ihr geistig
es sich um ein von Aithra erzeugtes Trugbild. Die und seelisch nahezu zerrütteter Mann vermag in
Gattin möchte ihn mit einem Becher voll Zauber- ihr nur ein Zaubergebilde zu erkennen. Er will für
trank, den sie einer beim nächtlichen Flug mitge- alles Unglück, das er angerichtet hat, Sühne leis-
führten Truhe entnimmt, beruhigen, aber Menelas ten. Helena indessen weist ihre Dienerinnen an,
verweigert die Gabe. Selbstquälerische Gedanken den Erinnerungstrank zu bereiten. Aithra warnt
übermannen ihn; er will sich in die Wüste zurück- eindringlich vor den drohenden Gefahren; sie ruft
ziehen. Poseidon zur Rettung vor Altair und seinem Ge-
2. Szene: Rasch nähern sich berittene und ket- folge an. Helena kredenzt Menelas einen Becher.
tengepanzerte Wüstenkrieger. Ihr Anführer Altair, In der Meinung, sie reiche ihm einen Todestrank,
ein machtvoller Fürst der Berge, huldigt den Gäs- nimmt er ihn an. Er will sterben, um mit Helena
ten mit kostbaren Geschenken. In seinem Tross (die er ja für tot hält) vereinigt zu sein. Da tut der
reiten Jünglinge mit, darunter sein Sohn Da-ud. Trank seine Wirkung: Menelas’ Bewusstsein kehrt
Beide Männer, geblendet von Helenas Schönheit, schlagartig wieder. Er greift im ersten Moment
verlieben sich auf der Stelle in die herrliche Frau. zum Schwert – doch sein nun unverstellter Blick
In Menelas’ Vorstellung beginnt sich die alte Ge- auf die bezwingend schöne Frau vor ihm lässt ihn
schichte zu wiederholen: Ein neuer Paris steht vor endlich verstehen, dass er mit der wirklichen, der
ihm und will ihm seine Gattin streitig machen. griechischen Helena wiedervereinigt ist. Die her-
Altair bemerkt seine Eifersucht. Um Menelas ab- beigerufenen Truppen Poseidons werfen Altair
zulenken, schlägt er eine Jagd vor; Da-ud soll ihn und sein Gefolge nieder und bringen Hermione
begleiten (während er sich zunächst abseits halten herbei, das Kind von Helena und Menelas. Im
und dann Helena erobern will). Beim Aufbruch höchsten Glück tritt die zusammengeführte Fami-
ruft Menelas gegenüber seiner Frau die Erinne- lie endlich den Heimweg nach Sparta an.
226 Opern und Ballette

Kommentar lung zusammenschießen lassen, deren Inhalt ein


immer schon da gewesener und ununterbrochen
»Oper« lautet der Genretitel des fünften Werks, sich fortschreibender ist.
das Hofmannsthal und Strauss gemeinsam schu- Die Ägyptische Helena zeugt wie kaum ein an-
fen. Hinter dieser betont allgemeinen Bezeich- deres literarisches Werk aus Hofmannsthals später
nung verbirgt sich freilich die Vorstellung einer Schaffensphase vom Bemühen des Autors, zentrale
differenzierten Reihe bühnendramatischer Typen. Elemente seiner Anschauung von Welt, Leben
Andersherum: Das Gattungswort Oper fungiert und Kunst in eine Synthese zu bringen und sich
als Projektionsfläche für sehr verschiedene Formen damit dem Verlust von Werten und Ordnungen
des Musiktheaters. Ausgehend von der Idee einer entgegenzustemmen, den der Erste Weltkrieg be-
Operette in der Nachfolge spezifischer Beiträge wirkt hatte. Die Überzeugung, dass das Leben nur
Jacques Offenbachs wie etwa La Belle Hélène oder durch gültige Bindungen zu leben sei, der Glaube
Orphée aux enfers, verlagerte sich für den Dichter an die erlösende Kraft der Treue und des Opfers,
der parodistische Grundton schon bald ins »höhere das Wunder der Verwandlung, gefasst im Begriff
Lyrische« (an Strauss, ?1924; RSHH 509). »Ma- des »Allomatischen« – diese und andere Themen
chen wir mythologische Opern, es ist die wahrste mehr gehören zur geistigen Mitte Hofmannsthals,
aller Formen« (Hofmannsthal 1991, 227): Am und sie bestimmen das aus vielen literarischen
Ende eines fiktiven Gesprächs mit Strauss anläss- Quellen gespeiste Buch der Ägyptischen Helena.
lich der Uraufführung von Die Ägyptische Helena Zu Letzteren gehören neben dem vierten Gesang
forderte Hofmannsthal den Komponisten auf, an von Homers Odyssee und dem Helena-Drama des
der Begründung eines neuen Operntyps mitzu- Euripides weiter das Helena-Bild aus dem zweiten
wirken (so wie Strauss seinerseits, wenn auch ver- Teil von Goethes Faust, Johann Jakob Bachofens
geblich, nach der Frau ohne Schatten seinen Li- Buch Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die
brettisten hatte animieren wollen, gemeinsam eine Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer rechtlichen
Spiel- und Konversationsoper modernen Stils zu Natur (2. Aufl. 1897) sowie das 1914 publizierte
entwickeln). Mit dem Mythischen im speziellen »drame satyrique« Protée von Paul Claudel. Die
Verständnis des Dichters – es setzt Geschichte Lektüre der Studie Ludwig von Pigenots über
voraus, doch ein mythischer Stoff wendet sich von Hölderlin. Das Wesen und die Schau, 1923 erschie-
der Historie als bloßem Sujet ab – wird eine zeit- nen und von Hofmannsthal intensiv studiert, be-
umspannende Dimension der Gegenwart eröffnet: einflusste die Darstellung des Verhältnisses von
»Denn wenn sie etwas ist, diese Gegenwart, so ist Menelas zu Helena in entscheidendem Maße. Al-
sie mythisch – ich weiß keinen anderen Ausdruck lein schon diese Fracht dichterischer und essayis-
für eine Existenz, die sich mit so ungeheuren Ho- tischer Vorlagen stand der ursprünglichen Absicht
rizonten vollzieht – für dieses Umgebensein mit entgegen, eine »Operette, nimmt man’s nur in ei-
Jahrtausenden, für dies Hereinfluten von Orient nem schönen, ungebräuchlichen, älteren Sinne«
und Okzident in unser Ich, für diese ungeheure zu schaffen (an Strauss, 22.9.1923; RSHH 495).
innere Weite, diese rasenden inneren Spannungen, Die mythologische Oper, changierend zwischen
dieses Hier und Anderswo, das die Signatur unse- märchenhafter Phantastik und beinahe abstrak-
res Lebens ist« (ebd.). Man solle das Geschehen tem Ideen-Pathos, konnte, was immer Hofmanns-
um Helena und Menelas so nehmen, »wie wenn es thal sich anderes erhoffen mochte, nicht auskom-
sich vor zwei oder drei Jahren irgendwo zwischen men ohne die dramatischen, sprachlichen und
Moskau und Neuyork zugetragen hätte.« Freilich musikalischen Mittel der Romantischen wie der
will Hofmannsthal den antiken Stoff keineswegs Großen Oper des 19. Jahrhunderts, sogar nicht
einfach in einen Gegenwartsrealismus transponie- ohne die des Musikdramas Wagnerscher Art.
ren – selbst die gelegentliche Imagination der al- Wie Hofmannsthal es bereits in Die Frau ohne
les-wissenden Muschel als Mittelding zwischen Schatten im Gegenüber der Paare Kaiser/Kaiserin
Zeitung, Telephon und Radio bedeutet nicht und Barak/Färberin durchgeführt hatte, bilden
mehr als eine assoziative Analogie –, sondern Ver- auch in der Ägyptischen Helena – nun abermals
gangenheit und Jetztzeit gleichsam in einer Erzäh- intensiviert – die als Mysterium verstandenen
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 227

Grundlagen der Ehe das gedankliche Zentrum des Menelas’ die widerstrebenden Wesenheiten der
Werks (in diesem Kontext fungiert Intermezzo beiden versöhnt, am Ende durch das Auftreten des
folglich als säkular-kontrastierendes Mittelstück gemeinsamen Kindes Hermione in der Familie
einer Eheopern-Trilogie). Einen starken gedankli- überhöht. Hofmannsthal begreift das Paar darüber
chen Impuls in der erneuten Auseinandersetzung hinaus allegorisch: »Er war mir die Verkörperung
mit dem Thema empfing Hofmannsthal aus der des Abendländischen, in ihr die nie erschöpfte
Lektüre von Bachofens Mutterrecht, besonders von Stärke des Morgenlandes. Er stand ein für die Sat-
dem Satz: »Nicht dazu ist Helena mit allen Reizen zung, die Ehe, die Vaterschaft. Sie schwebte über
Pandoras ausgestattet, damit sie nur einem zu dem allen, unheimlich bezaubernde, nicht zu bin-
ausschließlichem Besitz sich hingebe« (Gespräch; dende Göttin« (Gespräch; Hofmannsthal 1991,
Hofmannsthal 1991, 219). In Bachofens Darstel- 219).
lung dient das Helena-Motiv dazu, die Gegenpole Wie sollte Strauss, der dem Librettisten schon
von »aphroditisch-hetärischem« und »heräisch- früher bekannt hatte, seine »tragische Seite« sei
ehelichem« Prinzip einzuführen. Das ehebrecheri- »ziemlich ausgepumpt« (5.6.1916; RSHH 344), der
sche Handeln Helenas mit Paris hatte den Troja- sich mit dem Vorspiel zu Ariadne auf Naxos und
nischen Krieg ausgelöst, in dem zwei einander mit Intermezzo seit einigen Jahren auf stilistisch
widerstreitende Zivilisationsformen, nämlich neu bereiteten Bahnen bewegte und aus dessen
Okzident und Orient, zusammengestoßen und in Musik auch Hofmannsthal heraushörte, der Kom-
einen für die Weltgeschichte fundamentalen Kul- ponist sei »über den Wagnerstil hinaus«, folglich
turkampf eingetreten seien: »Dem Occident hat müsse er »jetzt hinter ihn zurück« (Aufzeichnung
die Geschichte die Aufgabe zugewiesen, […] das N 53, 1923; Hofmannsthal 2001, 295), wie also
höhere demetrische Lebensprinzip zum dauern- sollte Strauss auf Hofmannsthals ideell weit aus-
den Sieg hindurchzuführen, und dadurch die greifendes, die angekündigte Leichtigkeit eines
Menschheit aus den Fesseln des tiefsten Telluris- spätantiken Lustspiels (s. o.) kaum verwirklichen-
mus, in dem sie die Zauberkraft der orientalischen des Opernbuch kompositorisch eingehen? In der
Natur festhielt, zu befreien« (Bachofen 1897, Anfangsemphase der Skizzenarbeit animierte er
XXIf.). zwar Hofmannsthal, »in dem famosen Stil der
An dieser Konstellation fesselte Hofmannsthal ersten Szenen« (14.10.1923; RSHH 498) fortzufah-
eine psychologische Frage: Wie reagiert der sieg- ren, meinte auch, es komponiere »sich das meiste
reich aus dem Krieg hervorgegangene Menelaos wie von selbst« (23.10.1923; RSHH 501), doch acht
bei der Wiedervereinigung mit seiner Gattin He- Wochen später hieß es bereits: »So fein psycholo-
lena, der schönsten Frau der Welt, einer, die nicht gisch das alles von Ihnen erdacht und motiviert
›zu ausschließlichem Besitz‹ geschaffen war? Muss ist – wenn es nicht reine Prosa sein darf –: es
nicht nach dem Fall Trojas auch Helena fallen, um würde einen Rattenschwanz von langweiliger
die vielen Opfer zu sühnen? »Welche Situation für Musik ergeben« (26.12.1923; RSHH 508). Für den
einen Ehemann! Sie übersteigt die Einbildungs- Konversationsstil der vorangegangenen Opern
kraft –« (Gespräch; Hofmannsthal 1991, 217). fand Strauss in dem neuen Werk keinen ausrei-
Hofmannsthal beschwört an dieser Stelle die Kraft chenden Anhalt, konnte ihn auch nicht finden.
der Verwandlung, glaubt an den »Triumph des Denn Hofmannsthals Einschätzung, der Helena-
Allomatischen« (Hofmannsthal 1980, 603). Das Stoff sei zwar heroischer Natur, aber lustspielhaft
Schuldeingeständnis Helenas und die Verbannung behandelt, das müsse den Stil des Ganzen bestim-
allen verschleiernden Zaubers bilden die Voraus- men, denn ein Hinübergleiten ins Musikdrama
setzung dafür, dass Menelas überhaupt das wahre würde alles verderben (16.10.1923; RSHH 499),
Wesen seiner Frau erkennen kann, und indem gründete nicht in wirklicher Kenntnis der Mittel,
Helena selbst diesen Erkenntnisprozess in Gang die einem Komponisten, oder jedenfalls Strauss,
setzt, bereit ist, ihr Leben zu opfern, wird es mög- zu Gebote standen. Bereits die ersten acht Takte
lich, dass sich einer vom andern verwandeln lässt, der Einleitung enthalten in komprimiertester
dass sie beide zu unbedingt Liebenden werden. Form acht für die gesamte Partitur wichtige leit-
Auf diese Weise werden im Ehebund Helenas und motivische Gebilde, allesamt semantisch konno-
228 Opern und Ballette

tiert mit Personen (Helena, Menelas, Paris) oder Thema gewann Strauss später noch den Trauer-
Situationen (Troja, Krieg). marsch für den gefallenen Da-ud; Zi. 138).
Die von Aithra, Helena, Menelas, Altair und Die Elfen führt Hofmannsthal als »boshafte
Da-ud jeweils repräsentierten Sphären evozieren Geschöpfe« ein, »zudringlich wie die Fliegen, und
beinahe zwanghaft sehr differente Ton-Charaktere, frech […] teuflisch und dabei lustig« (16.10.1923;
ganz abgesehen davon, dass diese Sphären sich in RSHH 499) – sie mögen zwar als lustspielhafte
unterschiedlichem Maße manifestieren. Die ero- Elemente scheinen, doch in Wirklichkeit sind sie
tisch-zauberische Aura der Aithra wird gleich zu die Quälgeister des schlechten Gewissens, Agen-
Beginn mit einer verführerischen, von Holzbläsern ten psychischer Traumata, spielen also auf einer
und Harfen bestimmten Nachtmusik evoziert. Zu ganz anderen, einer psychologischen Ebene. Der
Helena, deren undurchdringliches Wesen Strauss Dichter entfaltet den Stoff insgesamt schrittweise
in einer ganzen Reihe von Motiven und deren aus dem Komödienhaften und den Traumzaube-
Abspaltungen exponiert (z. B. erster Aufzug, Zi. 25, reien hinauf ins Heroische, schließlich zu Apo-
36, 4 T. nach 43), gehören hymnisch-schwelgeri- theose und Hymnus – die Häufung der Oxymora
sche Kantilenen wie in der leidenschaftlich beweg- im ekstatischen Moment der ›Verwandlung‹ des
ten Eröffnungsszene des zweiten Aufzugs (»Zweite Menelas (etwa nach Zi. 178: »Tot Lebendige! Le-
Brautnacht«). Das Changieren zwischen innerer bendig Tote!«, »Oh wie du nahe Unnahbare schei-
und äußerer Handlung in der tragisch-zerrissenen nest«) gemahnt unmittelbar an Wagners Tristan
Figur des Menelas führt zu einer chromatisch und Isolde. Diesem starken Zug der Dichtung ins
durchwirkten, phasenweise tonartlich destabili- ›höhere Lyrische‹ und Dramatische ergab sich
sierten Musik. Bei ihm korrelieren sichtbare Büh- Strauss ohne Gegenwehr, ließ sich von ihm aus der
nenaktion und verborgene Seelenkämpfe, wobei Ariadne- und Intermezzo-Bahn werfen und agierte
Letztere besonders im symphonischen Orchester kompositorisch einerseits wieder mit der vor allem
sinnlich präsent sind (in einem musikdramati- in Frau ohne Schatten bewährten Polyphonie eines
schen Stil, wie Strauss ihn seit Elektra beherrschte). leitmotivisch dicht durchwirkten Tonsatzes, ande-
Herausgefordert fühlte sich Strauss durch die Welt rerseits mit dem Rekurs auf Traditionen der Ro-
der ägyptischen Wüstenkrieger. Er fand es schwer, mantischen und der Großen Oper.
für sie »eine Musik zu finden, die für Ohren von Beide Gestaltungsstrategien treten paradigma-
1925 noch genügend charakteristisch ist, ohne in tisch im zweiten Finale zutage, wenn sich der
den sog. Realismus der ›Salome‹ oder gar in die entscheidende Vorgang der Wandlung vollzieht,
Exzentrics der heutigen Moderne, die ja nur mit harmonisch im Durchgang von B-Dur über
amerikanischen Ohren […] hört, zu verfallen« H-Dur nach C-Dur: Menelas nimmt den Erinne-
(1.6.1925; RSHH 541). Apart ist die Vorstellung, rungstrank zu sich (Zi. 176) – dessen Motiv steigt
Strauss hätte das ungebärdige Reitervolk in die in der genau hier erstmals einsetzenden Orgel auf,
Klangsphäre des Jazz getaucht, wie beispielsweise und dazu drängt mit einem figurativen Motiv, das
1923 Darius Milhaud in seinem ›afrikanischen‹ seit dem zweiten Takt der Oper Helena zugeord-
Ballett La création du monde. Es ist Strauss schließ- net ist, die verschüttete Memoria an seine Gattin
lich nur bedingt gelungen, dem ›sog. Realismus‹ ins Bewusstsein. Sofort greift er zum Schwert –
auszuweichen, trotz der exotischen Besetzung der nur einen Moment davor ist der Impuls zu diesem
Bühnenmusik für Altairs Fest mit je 6 unisono ge- willenlosen Reflex von einem Waffenmotiv in der
führten Oboen und C-Klarinetten, 2 Tambourins, Posaune ausgegangen (4 T. nach Zi. 176). Wäh-
4 Triangeln und Pauken. Altairs männlich-patheti- rend Helena mit einer melodischen Figur, die aus
sche Auftritte (Leitmotiv, 5 T. nach Zi. 45) bleiben dem Menelas-Motiv abgeleitet wird, gefasst ihrem
eher eindimensional. Sein junger Sohn Da-ud vermeintlichen Tod entgegensieht, kündigt Aithra
singt eine schmelzende Des-Dur-Melodie (4 T. in höchster Not an, das gemeinsame Kind nahe.
nach Zi. 61), die dem cherubinohaft-schwärmeri- Die hier völlig unvermittelt erreichte Tonart
schen Wesen der Figur entsprechen mag, wegen D-Dur (1 T. vor 177) verweist visionär auf das
ihrer eingängigen Simplizität dem Charakter des glückliche Ende, doch schlagartig wird klar, dass
Jünglings aber kaum Profil verleiht (aus dem Menelas bis dahin noch einen Klärungsprozess
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 229

durchzumachen hat: Mit ungehemmter Kraft be- fürchte ich, melodiös, wohlklingend, und bietet
mächtigt sich das Geschehen in Troja des sparta- für Ohren, die über das neunzehnte Jahrhundert
nischen Königs mit den im Tritonus-Abstand ste- hinausgewachsen sind, leider keinerlei Probleme.
henden Akkorden c-fis und heftiger Motorik in […] Im übrigen bemüht sich die Musik einer ed-
den Streichern. 39 Takte hindurch wird der Hörer len griechischen Haltung, etwa der Art, wie Goe-
Zeuge von Menelas’ Enttraumatisierung. Die in the die Griechen in seiner ›Iphigenie‹ vorge-
ihm aktive Tötungsenergie wandelt sich in das schwebt sind« (Strauss 1981, 150). Keinerlei Pro-
stetig anwachsende Bewusstsein, Helena zu lieben bleme? Das dürfte schon 1928 zweifelhaft gewesen
und mit ihr ins Leben zurückzukehren. Musika- sein und ist es bis heute geblieben.
lisch sinnfällig wird diese Umkehr sowohl durch
eine zunehmende tonartliche Stabilisierung und
durch die immer klarer sich abzeichnende Kontur
der Helena-Motive, mit denen Menelas’ Musik Wirkung
zuletzt verschmilzt (»Ewig erwählt von diesem
Blick«, Zi. 180). Hier setzt die Steigerung ein, die Fast neun Jahre trennten die Uraufführung des
auf die abschließende Klimax eines Duetts He- Werks von der bis dahin letzten Premiere einer
lena-Menelas zielt, eines D-Dur-Doppelgesangs in Schöpfung der Autoren Hofmannsthal/Strauss,
parallelen Oktaven (Zi. 199), bei dem sich im der Frau ohne Schatten (1919). Der lange Abstand
Orchester am Ende, herauswachsend aus einer und die zwischenzeitlich erfolgte musikdramati-
dichten Textur gleichzeitig ertönender Motive, sche Umorientierung von Strauss, wie sie für die
triumphierend das zentrale Tonsymbol Helenas Öffentlichkeit mit Intermezzo (1924) evident
durchsetzt (Zi. 201). Diese Stretta gehört ihrer schien, weckten hohe Erwartungen an das Ergeb-
ganzen musikalischen Organisation nach der Tra- nis der neuerlichen Kooperation der beiden
dition an, die in der Grand Opéra wurzelt und Künstler. Auch Strauss selbst setzte einige Hoff-
auch im Musikdrama – zu erinnern wäre an das nung auf das neue Werk, mit dem er wider die
Schlussduett in Wagners Siegfried – lebendig ist. ihm verhasste Moderne zu punkten gedachte. Am
Die seismographische Sensibilität, mit der 10. August 1927 schrieb er seinem Verleger Fürst-
Strauss sein Orchester, das nach Ariadne und In- ner, eine zu frühe Uraufführung der Helena schon
termezzo wieder zur großen spätromantischen kommenden Winter sei »inopportun«, auch sei
Besetzung zurückgekehrt ist, als allwissende In- es für das Stück gut, »wenn diesen Winter die
stanz agieren lässt, begründet den Kunstreichtum Atonalen sich gründlich austoben u. sich mög-
der Helena-Partitur. Deren Vielschichtigkeit hö- lichst definitiv erledigen. Wenn Publikum u.
rend zu erfassen und dabei den nie abreißenden Presse den dekadenten Jazz gründlich satt haben
Strom der über die Leitmotive vermittelten Kom- (diesen Winter wird Kreneks Jonny noch das Feld
mentare zu verfolgen, dürfte nur eingeschränkt behaupten, Strawinsky’s Ödipus begraben werden,
möglich sein. Die (Über-)Komplexität der Dich- Korngolds Oper ist noch neu) – ich glaube, bis
tung, die sich am ehesten dem literarhistorischen zum 1. Juli 28 wird es gerade der richtige Zeit-
Studium erschließt, und die nicht minder große punkt sein, daß mit Helena Musik u. Melodie wie
Tiefendimension der Musik, die zu erfassen es der Phönix aus der Asche der Atonalen aufsteigt.
nicht nur eines scharfen Ohrs, sondern auch des […] alle Direktoren, die dann das Werk geben
gründlich analytischen Blicks in die Partitur be- wollen, können für den Herbst noch alle Vorberei-
darf, kennzeichnen das Werk weniger als eines der tungen treffen u. Helena wird, so Gott will, allein
Innovation als der synthetischen Retrospektive – die Saison 28–29 beherrschen!« (RSA). Tatsächlich
oder aber als eines des virtuosen Spiels mit den wurde die Oper schon im Juni 1928 uraufgeführt.
Traditionsbeständen der europäischen Literatur- Das Publikum wurde planmäßig auf eine Doppel-
und Musikgeschichte. Daher war es wohl nicht produktion im Rahmen der Festspiele zum fünf-
nur Camouflage oder Nonchalance, wenn Strauss zigjährigen Jubiläum der (zweiten) Semperoper in
in einem Interview zur Ägyptischen Helena aus- Dresden (6. Juni) und gleich anschließend in
führte: »Über die Musik ist wenig zu sagen; sie ist, Wien (11. Juni) vorbereitet, zum einen über eine
230 Opern und Ballette

von Hofmannsthal selbst verfasste Inhaltsangabe zügen zu verstehen (Arthur Schnitzler notierte
für Textbuch und Programmzettel, zum anderen in seinem Tagebuch: »der Hugosche Text gequält,
über ein fiktives Gespräch zwischen Dichter und praetentiös, wirr, mythisches und märchenhaftes
Komponist, publiziert in mehreren überregiona- willkürlich verwendet«; Hofmannsthal 2001, 537).
len Zeitungen, zuerst in Neue Freie Presse (Wien) Größere Resonanz fand Strauss, dessen schier
und Vossische Zeitung (Berlin; 8.4.1928), und zum uneingeschränkte Verfügungskraft über die kom-
dritten über ein von Strauss lanciertes Interview positorischen Mittel vor allem hinsichtlich der
mit ihm für die Neue Freie Presse (27.5.1928; Hof- Orchesterbehandlung und des Klangfarbenreich-
mannsthal 2001, 530 f.). Dieser ungewöhnliche tums der Partitur allgemeine Bewunderung aus-
Werbeaufwand diente der planvollen Rezeptions- löste. Kritische Töne ließen sich freilich auch ver-
lenkung, waren doch beiden Autoren – trotz nehmen, solche, die nach der Originalität der
Straussens Optimismus – die Herausforderungen Melodiebildung und der Zeitgemäßheit der Ton-
des Stoffs durchaus bewusst (»bombensicher ist sprache dieser Oper fragten und meinten, Strauss’
diese Oper nicht, das weiß ich ganz genau«, so Musik habe den Bezug zur Gegenwart verloren,
Hofmannsthal am 27.10.1927; RSHH 594). nichts mehr mit den Tendenzen moderner Kunst
Sowohl die Uraufführung unter der Leitung gemein: Die Klangwelt der Ägyptischen Helena
von Fritz Busch mit Elisabeth Rethberg als Helena entstamme »den glanzvollen Tagen eines reichen,
(Curt Taucher, Menelas; Maria Rajdl, Aithra; sorglosen Deutschlands. Schillernde Pseudo-
Friedrich Plaschke, Altair) als auch die Wiener Romantik. Ästhetische Freude an harmonischer
Erstaufführung mit dem Komponisten am Pult Schönheit, an Glanz- und Farbenpracht, an
und Maria Jeritza in der Titelpartie bescherten schwelgerischer, überschäumender Dur-Seligkeit«
allen Beteiligten einen uneingeschränkten, rau- (Münchener Zeitung, 9.6.1928; Messmer 1989,
schenden Erfolg. Der hochzufriedene Strauss 240). Strauss glaubte bis zuletzt an die Lebensfä-
meinte gegenüber seiner Frau sogar, der Wiener higkeit des Werks, besuchte noch 1943 unter
Abend sei »der vielleicht größte Triumph« seines schwierigen Umständen dessen letzte Aufführung
Lebens gewesen (13.6.1928; Grasberger 1967, 316). in München vor der Zerstörung des National-
Doch bereits das zwiespältige Pressecho auf diese theaters. Seit den 1950er Jahren wurden immer
begeisterte erste Publikumsreaktion konnte als wieder ambitionierte Inszenierungen vorgestellt
Vorbote der sich in der Folge schmerzlich aufdrän- (etwa München 1956, Wien 1970, München 1981).
genden Tatsache gedeutet werden, dass der Oper Ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem litera-
entgegen Strauss’ Prognosen keine Repertoirezu- rischen Ideengehalt und der musikalischen Pracht
kunft beschieden war: Unter den Bühnenwerken der Ägyptischen Helena in jüngerer Zeit (zuletzt
des Künstlergespanns sollte es sich sogar als das Essen 2003, Salzburg 2003, New York 2007, Berlin
mit Abstand erfolgloseste herausstellen. Nach den 2009) haben zumindest teilweise künstlerische
weiteren Inszenierungen im Uraufführungsjahr Potentiale ahnen lassen, deren volle Entfaltung –
(Berlin, Hamburg, München, New York, Lübeck, gerade unter den Auspizien des postmodernen
Zürich) folgten nur mehr wenige an in- und aus- Theaters – als Herausforderung lohnend bleibt.
ländischen Theatern. Wie schon beim Buch zur
Frau ohne Schatten traf Hofmannsthal der Haupt-
vorwurf, zwar eine hochambitionierte Dichtung
vorgelegt zu haben, ein Sprachkunstwerk freilich, Diskographischer Hinweis
das den Anforderungen eines Librettos nach dra-
matischer Schlagkraft, klarer Handlungsführung 1. Fassung 1928
und hoher Verständlichkeit nicht gerecht werde. i Gwyneth Jones (Helena), Barbara Hendricks
Das motivische Gespinst des Textes sei viel zu (Aithra), Matti Kastu (Menelas), Willard White
dicht, die Komplexität der literarischen Bezüge (Altair), Curtis Rayam (Da-ud), Birgit Finnilä
und symbolischen Aufladungen selbst für einen (alles-wissende Muschel), Kenneth Jewell Chorale,
Leser nur schwer zu erfassen, geschweige denn in Detroit Symphony Orchestra, Antal Dórati (auf-
Verbindung mit Musik auch nur in den Grund- genommen 1979): PolyGram Classics 430 381–2
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 231

i Deborah Voigt (Helena), Celena Shafer (Aithra), Autograph: Richard-Strauss-Archiv Garmisch


Carl Tanner (Menelas), Christopher Robertson Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1933, Nr. 8250;
(Altair), Eric Cutler (Da-ud), Jill Grove (alles- Klavierauszug von Felix Wolfes: ebd. 1933, Nr.
wissende Muschel), American Symphony Orches- 8253; Textbuch: ebd. 1933, Nr. 8255; Studienparti-
ter, Leon Botstein (aufgenommen 2003): Telarc tur: Werke Bd. 13
80605–25

2. Fassung 1933
i Leonie Rysanek (Helena), Annelies Kupper Entstehung
(Aithra), Bernd Aldenhoff (Menelas), Hermann
Uhde (Altair), Richard Holm (Da-ud), Ira Mala- Auf der Heimreise von der zweiten Südamerika-
niuk (alles-wissende Muschel), Chor und Orches- Tournee mit den Wiener Philharmonikern und in
ter der Bayerischen Staatsoper, Joseph Keilberth der Erwartung, in Garmisch das Opernbuch der
(aufgenommen 1956): Orfeo C 424 962 1 Ägyptischen Helena vorzufinden, bemerkte Strauss
wie nebenbei gegenüber Hofmannsthal, er würde
am »liebsten einen zweiten ›Rosenkavalier‹ ohne
dessen Fehler und Längen« komponieren (8.9.1923;
RSHH 492). Dem Dichter erschien dieser Ge-
Arabella danke an »etwas Heimliches, Gutmütiges, dazu
Lustiges« (so an den Komponisten am 22. Septem-
Lyrische Komödie in drei Aufzügen
ber 1923, wobei ihm sein alter Entwurf zu einer
op. 79 TrV 263
Komödie Lucidor in den Sinn gekommen sein
Entstehungszeit: 1927–1929 (Text), 1928–1932 (Mu- könnte) durchaus nicht widerständig, denn auch
sik) er hegte den Wunsch, »es möge uns noch einmal
Text: Hugo von Hofmannsthal etwas dem ›Rosenkavalier‹ Ähnliches – aber keine
Uraufführung: Sächsische Staatstheater Dresden, Kopie dieses! – gelingen« (8.11.1924; RSHH 527).
Opernhaus, 1. Juli 1933 Aber erst als Strauss ihm Jahre später den bevorste-
Personen: Graf Waldner, Rittmeister a. D. (Bass); henden Abschluss der Helena-Partitur mitteilte
Adelaide, seine Frau (Mezzosopran); Arabella, und, zunächst eher unlustig, an die früheren Ab-
Zdenka, beider Töchter, letztere bis zur Mitte des sichten erinnerte – »Es darf sogar ein ›zweiter
dritten Aufzugs als Hosenrolle (Zdenko) angelegt Rosenkavalier‹ sein, wenn Ihnen nichts Besseres
(Sopran); Mandryka (Bariton); Matteo, Jägeroffi- einfällt« (20.9.1927; RSHH 584) –, konkretisierte
zier (Tenor); Graf Elemer (Tenor), Graf Dominik Hofmannsthal seine Überlegungen und erwähnte
(Bariton), Graf Lamoral (Bass), Arabellas Verehrer; erstmals ein älteres Szenar zu einem Lustspiel Der
die Fiakermilli (Koloratursopran); eine Kartenauf- Fiaker als Graf. Bei einem Gespräch am 16. De-
schlägerin (Sopran); Welko, Leibhusar des Man- zember 1927 gewann der Plan eines Arabella-
dryka (Tenor); Djura und Jankel, Diener des Man- Opernbuchs deutliche Konturen. Am 2. Mai 1928
dryka (Sprechrollen); ein Zimmerkellner (Tenor); ging der Text des ersten Aufzugs an den Kompo-
Begleiterin der Arabella; drei Spieler (Bässe); ein nisten; er wurde von diesem »als im ganzen famos«
Arzt; Groom; Chor (3. Mai; RSHH 625) begrüßt, allerdings vor allem
Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen, hinsichtlich der Schlussgestaltung kritisiert. Hof-
Englischhorn, 1 Klarinette in C, 2 Klarinetten in mannsthal trug den in der Folge noch verstärkten
B und A, Bassklarinette in B, 3 Fagotte (3. auch Einwänden von Strauss, auch gegen die schwache
Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, charakterliche Profilierung Arabellas, größtenteils
Basstuba, Pauken, Schlagzeug (Becken, große Rechnung, und ließ sich, sehr zum Vorteil der
Trommel, Schelle, Tambourin, Schlittenglöck- Handlungsentwicklung und Personenführung,
chen), Harfe, 16 erste Violinen, 14 zweite Violinen, mehrfach zu gründlichen Revisionen motivieren.
10 Violen, 10 Violoncelli, 8 Kontrabässe Nach einer dicht geführten Korrespondenz mel-
Spieldauer: ca. 2 Stunden, 45 Minuten dete Strauss am 12. August 1928 dem Dichter seine
232 Opern und Ballette

(vorläufige) Zufriedenheit mit dem ersten Aufzug; den zweiten Aufzug unter Weglassung des letzten
am 7. September nahm er die Arbeit an dem Werk Gesangs der Fiakermilli sowie des Chorschlusses
auf. Bei der Gestaltung des zweiten Aufzugs orien- (ab Zi. 148) direkt an den dritten anzuschließen;
tierte sich Hofmannsthal an einer szenischen das Vorspiel zu letzterem mutiert dadurch zur
Disposition, die Strauss entwickelt hatte, kam Zwischenaktmusik.
damit gut voran und beendete den Text bereits
gegen Ende Oktober. Währenddessen verdichtete
sich beim Komponisten die Einsicht in offensicht-
lich weiterhin bestehende dramaturgische Mängel Handlung
des ersten Aufzugs und der Titelfigur, so dass
Hofmannsthal sich Mitte November, als der dritte Erster Aufzug
Aufzug weit gediehen war, zum wiederholten Salon in einem Wiener Stadthotel der 1860er
Male mit harscher, aber erkennbar berechtigter Jahre: Die finanzielle Lage der Familie Graf Wald-
Kritik konfrontiert sah. Am 29. Dezember 1928 las ners ist desaströs, Folge der unstillbaren Spiellei-
er Strauss den Mittel- und Schlussaufzug vor, denschaft des Rittmeisters a.D. Als einziger Aus-
beide zu dessen vorläufiger Genugtuung. Der weg bietet sich die vorteilhafte Verheiratung der
Dichter beschäftigte sich gleich anschließend mit ältesten Tochter Arabella an einen ihrer wohlha-
einer durchgreifenden Revision des ersten Auf- benden Freier an. Gräfin Adelaide sitzt mit einer
zugs. Sie zog sich hin, und Hofmannsthal musste Kartenaufschlägerin zusammen, um sich von ihr
im Mai 1929 zusätzliche Bedenken des Komponis- die Zukunft enthüllen zu lassen. Im Zimmer be-
ten gegenüber Einzelheiten der Folgeaufzüge zur findet sich auch Zdenka, die zweite Tochter der
Kenntnis nehmen. Am 10. Juli schickte er die Waldners; sie wird in der Öffentlichkeit als Sohn
Endfassung des ersten Teils an Strauss, worauf Zdenko ausgegeben, da der Familie eine standes-
dieser am 14. Juli begeistert reagierte. Das Glück- gemäße Vermählung gleich zweier Töchter uner-
wunschtelegramm hat Hofmannsthal nicht mehr reichbar scheint. Die Wahrsagerin prophezeit die
geöffnet – er starb am 15. Juli 1929. lukrative Verbindung Arabellas mit einem reichen
Nach dem Tod seines bei aller Wesensverschie- Offizier. Er komme aus der Fremde, herbeigerufen
denheit und allen wechselseitigen Verständigungs- durch einen Brief. Zdenka vermutet darin Matteo,
problemen letztlich unentbehrlichen künstleri- den sie schwärmerisch verehrt, der sich aber sei-
schen Mitstreiters beschäftigte Strauss die Kom- nerseits nach Arabella verzehrt; Adelaide jedoch
position der Lyrischen Komödie drei Jahre meint in Graf Elemer den Erwählten zu erkennen.
hindurch. Die Skizze des ersten Aufzugs entstand Allerdings sieht die Kartenaufschlägerin Verwick-
vom 22. Juli bis 22. September 1929; das dazuge- lungen voraus, verursacht von einer zweiten Toch-
hörige Particell konnte Strauss am 30. Juli 1930 ter und dem glücklichen Ausgang der Bewerbung
beenden. Die im November dieses Jahres aufge- ernstlich im Wege stehend. Dieser Vision schenkt
nommene Arbeit am zweiten Aufzug kam am die Gräfin keinen Glauben, da Zdenka ihre
8. Juni 1931 zum Abschluss. Ohne Unterbrechung Schwester viel zu sehr liebe, und fordert die Wahr-
wandte sich Strauss dem dritten Aufzug zu; am sagerin auf, im Nebenzimmer die Karten erneut
18. Oktober lag dieser in der Skizze, am 26. No- zu befragen. In Zdenka keimt Besorgnis auf:
vember im Particell vor. Vom 8. Dezember 1931 bis Wenn die Geldnöte die Familie zum Rückzug aus
zum 12. Oktober 1932 dauerte die Arbeit an der Wien zwingen, dann wird sie Matteo nicht mehr
Partitur. – Auf Wunsch des Dirigenten Clemens sehen können.
Krauss erweiterte Strauss im Juli 1942 für eine Matteo tritt mit einem Rosenstrauß ein, um
Neuinszenierung bei den Salzburger Festspielen sich nach Arabella zu erkundigen. Längst spürt er,
das Lied der Fiakermilli im zweiten Aufzug (Zi. 41) dass seine Angebetete ihn nicht erhören wird, lei-
um eine achtzeilige Strophe, zu der Rudolf Hart- det an deren kühler Haltung, trägt sich gar mit
mann den Text lieferte (dieser Zusatz fehlt in allen Selbstmordgedanken. Sein Freund Zdenko beru-
Ausgaben). Weiterhin hatte Krauss bereits 1939 higt ihn mit der Versicherung, der Schein trüge,
vorgeschlagen und Strauss davon wohl überzeugt, Arabella liebe ihn, wie ihre Briefe bewiesen (die
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 233

freilich Zdenka unter dem Namen ihrer Schwester mals durch Tanzbewerber unterbrochen wird. Der
geschrieben hat). Nur ihre Schamhaftigkeit ver- Fremde erzählt von seiner in jungen Jahren ver-
hindere, dass sie sich ihm offenbare. Noch an storbenen Frau, schildert weiterhin sein Leben als
diesem Tag werde er einen neuen schriftlichen Großgrundbesitzer auf dem Land. Arabella er-
Beweis ihrer Zuneigung erhalten. kennt in Mandryka instinktiv den »Richtigen«. In
Arabella kehrt von einem Stadtgang zurück. seiner Heimat sei es nun Brauch, dass die Braut
Achtlos geht sie an den Geschenken vorbei, die dem Bräutigam aus dem Brunnen hinter dem
ihre Verehrer für sie abgegeben haben. Zdenka väterlichen Haus ein Glas Wasser schöpfen und es
macht ihr vor allem wegen Matteo Vorhaltungen, diesem zum Zeichen der Verlobung bringen
wirft ihr Stolz, Koketterie und Kälte vor. Unver- würde. Sie unterwerfe sich ihm, erwidert Arabella,
stellt entgegnet Arabella, sie könne nichts für ihre auf Zeit und Ewigkeit. Nach beiderseitigem Ehe-
scheinbare Flatterhaftigkeit. Wenn es einen »Rich- versprechen bittet Arabella darum, eine letzte
tigen« für sie gäbe, dann würde sie ihn schlagartig Stunde des Ballabends ohne Mandryka verbringen
erkennen, und in der Begegnung der Blicke ent- zu dürfen, um von ihrer Mädchenzeit Abschied zu
schiede sich die Wahl. Graf Elemer fährt mit sei- nehmen.
nem Schlitten vor, Arabella abzuholen und am Die ausgelassene Feier treibt dem Höhepunkt
Abend auf den Fiakerball zum Ausklang des Fa- zu. Arabella wurde zur Ballkönigin erkoren, die
schings zu begleiten. Diese sinnt in dem Moment Fiakermilli preist sie mit einem übermütigen Jod-
einem Fremden nach, den sie am Morgen vor dem ler. Unterdessen bewirtet Mandryka seine künftige
Fenster des Hauses beobachtet und der es ihr an- Schwiegermutter, während Waldner meint, eine
getan hat. sichere Glückssträhne ausnützen zu müssen. Die
Graf Waldner, glücklos vom Spieltisch heimge- Braut verabschiedet sich nacheinander von Domi-
kehrt, berät mit seiner Frau die Situation. Keiner nik, Elemer und Lamoral. Matteo, der sich abseits
der ehemaligen Regimentskameraden hat auf nach Arabella verzehrt und in immer tiefere Ver-
seine Bittbriefe reagiert, auch nicht der steinreiche zweiflung gerät, erhält vom heimlich anwesenden
Mandryka, dem er sogar ein Bild Arabellas in der Zdenko den avisierten Brief, mehr noch, den
Hoffnung beigelegt hat, dieser würde das Mäd- Schlüssel zu Arabellas Zimmer – sie erwarte ihn
chen heiraten wollen. Doch plötzlich meldet sich zur Nacht. Zufällig wird Mandryka, der gerade
ein Mandryka an, freilich nicht der alte Freund, eine Meldung seines Dieners entgegennimmt,
sondern dessen stattlicher Neffe. Er hat den Brief Augen- und Ohrenzeuge dieser diskreten Szene.
anstelle des verstorbenen Onkels geöffnet und sich Für eine kurze Weile vermag er die in ihm mächtig
sogleich in das Bildnis der schönen Frau verliebt. aufsteigende Wut noch zu zähmen, doch als er
Waldner und sein Gast verständigen sich rasch: durch ein Abschiedsbillet Arabellas zur Gewissheit
Mandryka bittet bei ihm um Arabellas Hand; der kommt, dass die Braut den Ball verlassen habe,
Rittmeister erhält freien Zugriff auf die reichli- verliert er seine Haltung. Mit zweideutigen Ges-
chen Barmittel des kroatischen Magnaten. Sie ten und frivolen Reden reizt er die Gesellschaft zu
verabreden sich für den abendlichen Fiakerball, einem Bacchanal auf. Empört tritt der ahnungs-
auf dem das junge Paar einander vorgestellt wer- lose Waldner für die Ehre seiner Tochter wie seiner
den soll. Matteo erinnert Zdenko an den verspro- Familie ein. Auf der Stelle will er nach Hause
chenen Brief. Arabella ist bereit zum Aufbruch, fahren, um eine Erklärung für Arabellas frühe
innerlich bewegt von ihren widerstreitenden Heimkehr zu suchen; zudem fordert er Mandryka
Empfindungen für Matteo, Elemer und den ein- auf, ihn für eine Aussprache über dessen skanda-
drucksvollen fremden Mann von der Straße. löses Verhalten zu begleiten.

Zweiter Aufzug Dritter Aufzug


Vorraum zu einem öffentlichen Ballsaal: Arabella Offener Raum mit Stiegenhaus im Hotel: Beseligt
und Mandryka beginnen am Rande des Ballge- von den Ereignissen des Abends kehrt Arabella
schehens eine erste Konversation und kommen heim. Unvermutet begegnet sie Matteo. Das kurze
sich rasch näher, auch wenn das Gespräch mehr- Gespräch zwischen ihnen nimmt groteske Züge
234 Opern und Ballette

an, meint Matteo doch, gerade mit der Angebete- Wasserglas die Treppe hinab. Er trinkt es aus und
ten eine intime Begegnung erlebt zu haben, wäh- zerschlägt es dann. Beide besiegeln mit einem
rend Arabella auf die vertraulichen Andeutungen Treueschwur ihren Lebensbund.
Matteos völlig arglos regiert, was dieser nur als
komödienhaft-kaltes Spiel zu deuten vermag. In
den schließlich schärfer werdenden Wortwechsel
platzen die Waldners und Mandryka hinein. Für Kommentar
Letzteren stellt sich der Fall unerwünscht klar dar,
hat er doch seine Braut vermeintlich in flagranti Die von Strauss als »Lyrische Komödie« titulierte
ertappt. In aller Unbefangenheit erklärt Arabella Arabella – zu Lebzeiten Hofmannsthals war die
das Geschehen, wie sie es erlebt hat, doch Man- Frage des passenden Gattungsnamens nicht ange-
dryka glaubt nur an das, was ihm zu Ohren und sprochen worden – zeichnet zum einen ihre ent-
Augen gekommen ist. Auf seine entsprechenden fernte stoffliche Verwandtschaft mit dem Rosenka-
Andeutungen hin stellt sich Matteo für eine Ge- valier, zum anderen eine gewisse Nähe zur Sphäre
nugtuung zur Verfügung, und als Arabella von der Operette aus. Ob beide rezeptionsgeschichtlich
ihm eine Ehrenerklärung wünscht, gibt er diese unterschiedlich stark wahrgenommenen Merk-
nur zögerlich ab. Mandryka spricht daraufhin den male tatsächlich entscheidend für die Idee des
Vorwurf offen aus: Arabella habe Matteo Liebes- Werks sind, oder ob sie Selbstverständlichkeiten
gunst gewährt. Sofort fordert Waldner ihn auf ein darstellen, die gewiss nicht bedeutungslos, aber
Pistolenduell. Mandryka dagegen dringt in Ara- auch nicht zentral für das Verständnis der Oper
bella, wenigstens ihm gegenüber das offen zutage sind: Diese Fragen werden eher selten erörtert.
liegende Vergehen zu gestehen, sei er doch Zeuge Nicht die Ansiedelung der Handlung in Wien,
der ominösen Einladung und Schlüsselübergabe wohl aber die zeitliche Verortung des Rosenkava-
gewesen. Die Beschuldigte beharrt darauf, nichts liers in der Ära Kaiserin Maria Theresias, der
als die Wahrheit zu sagen. Grimmig gibt Man- Arabella hingegen in die frühere Regierungszeit
dryka die nötigen Anweisungen für ein Duell mit Kaiser Franz Josephs markiert einen wesentlichen
Matteo. Unterschied: dort ein raffiniert arrangierter, spät-
Zdenka, im Negligé und mit offenem Haar barock-feudaler Kunstraum voller Anachronis-
nun unverkennbar ein Mädchen, stürzt herein men, hier ein realistisch angeschautes, vom Nie-
und wirft sich vor Waldner auf die Knie. Sie will dergang betroffenes aristokratisches Ambiente,
ihrem Leben ein Ende bereiten, hat sie doch dort eine Welt, die 1911 im (verrotteten) Kern zu-
Schuld auf sich geladen – aus Angst um ihre Liebe mindest ideell noch existierte, hier eine, die in den
zu Matteo. Auf einen Schlag wird alles offenbar: 1920er Jahren unwiederbringlich verloren gegan-
Matteo begreift, in wessen Armen er gelegen hat; gen war. Mochte die frühere Komödie bei aller
Mandryka erkennt in Zdenka den Groom, der das resignativen Grundstimmung noch Hoffnung auf
verhängnisvolle Arrangement getroffen hat. Tief eine Zukunft suggerieren, stand die aktuelle im
beschämt will er sich zurückziehen, doch Arabella, Schatten der Erfahrung eines totalen Verlusts: Die
die zu großmütiger Verzeihung bereit ist, hält ihn Arabella-Gesellschaft der 1860er Jahre ist nicht
zurück. Mandryka tritt vor Waldner und bittet bloß im Spiel vom inneren und äußeren Verfall
ihn für Matteo um die Hand Zdenkas. Der Vater gezeichnet, sie war zum Zeitpunkt ihres Eintritts
stimmt ohne Zögern zu, froh darüber, endlich die in die Theaterwirklichkeit längst untergegangen.
beim Ball unterbrochene Kartenpartie fortsetzen Das bedeutete für Hugo Laurenz August Hof-
zu können. Ehe sich alle zurückziehen, bittet Ara- mann, Edlen von Hofmannsthal mehr als ein
bella ihren Bräutigam, ihr ein Glas frisches Wasser Faktum der jüngeren Geschichte, nämlich ein
aus dem Brunnen hinterm Haus bringen zu las- autobiographisch präsentes Geschehen. Der Vater
sen. Mandryka gibt die entsprechende Anweisung, hatte kurz vor der Geburt des Sohnes im soge-
bleibt aber im Ungewissen über die Haltung seiner nannten Gründerkrach von 1873, während einer
Braut, hat sie ihm doch den Nachtgruß verwehrt. die internationalen Finanzmärkte tief erschüttern-
Da schreitet Arabella feierlich mit dem gefüllten den Börsenkrise, sein Vermögen verloren, war also
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 235

herausgerissen worden aus den nur scheinbaren nicht Librettist der ›Fledermaus‹, sondern der des
Sicherheiten der Ringstraßenpracht. Der famili- ›Rosenkavalier‹ – das heißt: jenes gewisse Halb-
enhistorische Hintergrund ebenso wie die Ereig- Naive, Lumpige, das in dem französisch-ange-
nisse im November 1918, der Thronverzicht Kaiser hauchten Wienertum der ›Fledermaus‹ das Ele-
Karls und die Ausrufung der österreichischen ment des Ganzen ist – kann bei mir immer nur
Republik, beherrschten Hofmannsthals Lebensge- Folie sein« (26.7.1928; RSHH 648 f.), und sogar
fühl während der Entstehungszeit der Arabella in der angeblich weniger sprachbewusste Strauss
tiefer, emotional aufwühlender Weise. Die dichte- kritisierte an den ersten Entwürfen zur Arabella,
rische Entfaltung gerade dieses Stoffs diente ihm sie seien »in einigen stark prosaischen Redensarten
auch dazu, sich unter den Trümmern der äußeren nicht ganz auf der Höhe Hofmannsthalscher Dik-
Welt derjenigen geistig-moralischen Konstanten tion« (13.5.1928; RSHH 630).
zu versichern, an die er stets geglaubt hatte und Den Komponisten hingegen focht die Musik-
für deren Fortbestand er konservativ mit seiner sprache der auf Massenwirkung angelegten mo-
Dichtkunst eintreten wollte. Hofmannsthals dernen Operette – personifiziert in Franz Léhar
Denken zentrierte sich mehr und mehr im Glau- (1870–1948), dessen Stücke er geringschätzte – in
ben an die erlösende Kraft der Treue, die Gültig- den 1920er Jahren geradezu an, was nicht zwangs-
keit gesellschaftlicher und personaler Bindungen, läufig bedeuten musste, dass er deren Wirkungs-
hier besonders der Ehe: In ihr triumphiere das mechanismen einfach ignorierte (dass seine Opern
Wunder der Verwandlung, ausgelöst durch die immer auch Stellen für »Dienstmädchen« enthal-
wechselseitige Bereitschaft zur Hingabe des eige- ten sollten, fand er nicht ehrenrührig). Operetten-
nen Selbst. Arabella erweist sich in diesem Kon- hafte Musik in der Art damals höchst erfolgreicher
text als eine Dichtung sui generis – von einem Werke wie Gräfin Mariza (Kálmán), Im Weißen
zweiten Rosenkavalier kann da, ohne die Parallelen Rössl (Benatzky), Frasquita, Land des Lächelns oder
im Detail zu übersehen, streng genommen nur Zarewitsch (Léhar) zu komponieren, lag für ihn
wegen des gemeinsamen Handlungsorts und der außerhalb jeder Vorstellung: »So wie der schreiben
dazugehörigen musikalischen Requisite des Wal- kann ich nicht, denn in ein paar Takten von mir
zers die Rede sein (wobei Letzterer im Rosenkava- liegt eben mehr Musik als in einer ganzen Léhar-
lier zeitfremd, in der Arabella aber zeitgemäß schen Operette« (26.7.1928; RSHH 650). Auch
eingesetzt ist). Hofmannsthal empfand einen »unüberbrück-
Seitdem Strauss aus der Arbeit am Ariadne- bare[n] Abgrund zwischen Ihrer Musik, auch
Vorspiel heraus gegenüber Hofmannsthal von wenn Sie noch so leichte Musik machen, und der
seinem »große[n] Talent zur Operette« und seiner landläufigen Operette« (1.4.1923; RSHH 490). Im
Berufung »zum Offenbach des 20. Jahrhunderts« Umgang miteinander verwendete Strauss das
(5.6.1916; RSHH 344) gesprochen hatte, stand das Wort Operette als Metapher, um dem Dichter
Genre der leichten Muse als immer wieder um- seinen Wunsch nach stofflicher Leichtigkeit,
kreistes, dabei mit ambivalenten Gefühlen durch- sprachlicher Transparenz und parodistisch-gegen-
aus misstrauisch betrachtetes Modell für ein ge- wartsbezogener Grundhaltung anzuzeigen. Das
meinsames Bühnenwerk im Raum. Allerdings entsprach Hofmannsthals Verständnis, weshalb er
lässt sich aus den wechselnden Zusammenhängen, die erste Erwähnung seiner Überlegungen zu Ara-
in denen Begriff und Sache zwischen Dichter und bella mit der Andeutung verband, es handele sich
Komponist über Jahre hin immer wieder themati- um das »Szenarium einer dreiaktigen Spieloper, ja
siert wurden, keine Klarheit über die praktische fast Operette (ich würde auch den ›Rosenkavalier‹
und ästhetische Bedeutung der Operette für eine [gemeint ist dessen Text, U.K.] eine Operette
von beiden zu schaffende Oper gewinnen. Denn, nennen!)« (13.11.1927; RSHH 601). Aber während
das lässt sich mit Gewissheit sagen, nur um letz- der ganzen Entstehungszeit der Dichtung bestand
tere ging es. Hofmannsthal wäre weder willens nie der geringste Zweifel an Gattungszugehörig-
noch in der Lage gewesen, die Stoffkreise und das keit und Stilhöhe des neuen Opernbuchs. Unge-
prosaische Sprachformat der zeitgenössischen achtet aller strukturellen und motivischen Anre-
Operettentexte treffend zu bedienen: »[…] ich bin gungen, die Hofmannsthal ganz allgemein, aber
236 Opern und Ballette

auch konkret aus der Operette empfangen hat gegriffen (Nr. 34, Ljubomorna). Die wie aus wei-
(namentlich für den zweiten Aufzug aus der Fle- ter Ferne in die Partitur hereingeholte, in klarer
dermaus), geht es zu weit, die Reflexion der Gat- F-Dur-Diatonik gestaltete Melodie verbreitet
tung Wiener Operette als zentrale Werkidee anzu- nicht allein die Atmosphäre des Volksliedhaft-
sehen (Hottmann 2005), von der Arabella gar als Natürlichen, sondern auch die des Religiösen. Die
»Operette über die Operette« (Kohler 1983/84, 14) säkulare Heilserwartung und die Emphase des
zu sprechen. Aufs Ganze gesehen ergeben sich für ›Richtigen‹ – ihm gegenüber gibt es keine Zweifel
eine solche pointierte Engführung aus der dichten und Fragen, sein Kommen bringt Seligkeit, und
Dokumentation der vielschichtigen Werkgenese, kindliche Gehorsamkeit ist die einzige Antwort
aber auch aus Libretto und Partitur keine hinrei- auf sein Erscheinen – fallen mit der seraphischen
chend zwingenden Argumente. Musik in eins. Gleiches gilt für die zweite be-
In der Figurenkonstellation repräsentieren Graf kenntnishafte Offenbarung, das E-Dur-Duett
Waldner und Adelaide die maroden Wiener Ge- Arabella/Mandryka (zweiter Aufzug, 5 T. nach
sellschaftsverhältnisse und die bedenkliche Unter- Zi. 34–37). Der ›Richtige‹ ist erkannt, ihm sich
minierung moralischer Werte. Von diesem Hin- »auf Zeit und Ewigkeit« zu geben gelobt Arabella,
tergrund heben sich die eigentlichen Hauptperso- und wieder geschieht das mit einer aus der Volks-
nen ab, zum einen Arabella und Mandryka, zum musik entlehnten Weise (Ono je moja djevojka,
andern Zdenka und Matteo. An ihnen führt Nr. 19 aus Kuhačs Sammlung). Strauss gestaltet
Hofmannsthal das Thema der Bestimmung fürei- diese lyrischen Inseln als tönende Gegenwelten:
nander und deren Gefährdung durch. Beim jün- Die Einfachheit ihrer musikalischen Struktur soll
geren Paar entsteht der Konflikt aus mehreren die von Hofmannsthal als fundamentale Wahrhei-
Motiven heraus: Das Mädchen Zdenka muss sich ten über die Beziehung von Mann und Frau ge-
in der Öffentlichkeit als Junge geben, liebt aber dachten Aussagen in einer Welt voller Unordnung
heimlich Matteo; der wiederum ist in Arabella und falschem Schein verbürgen.
verliebt, die ihn abweist, ahnt deswegen, aber auch Noch in weiteren Situationen integriert Strauss
wegen der Verkleidung Zdenkas, nichts von deren liedhafte Elemente in die Partitur, hier überwie-
Gefühlen und sieht in ihr nur den vermeintlich gend den Vorgaben Hofmannsthals folgend, der
männlichen Freund. Beide sind fremdbestimmt- seinerseits aus Paul Eisners Sammelwerk Volkslie-
zerrissene Persönlichkeiten (musikalisch verdeut- der der Slawen (Leipzig 1926) wichtige Anregun-
licht unter anderem durch die weniger gefestigte gen empfangen hatte. Als Mandryka bei Waldner
Zentrierung auf die Bezugstonarten der beiden um Arabellas Hand anhält, berichtet er von sei-
Partien B-Dur, G-Dur und e-Moll), und es gehört nem gutsherrlichen Leben und fällt dabei in einen
zur Ironie ihres Schicksals, dass in der heimlichen naiv-balladesken Erzählton (erster Aufzug, 8 T.
Liebesvereinigung der beiden – das »stürmisch nach Zi. 129). In dieses liedhafte Gebilde über-
bewegte« E-Dur-Vorspiel zum dritten Aufzug lie- nimmt Strauss bei Zi. 131 erneut eine Weise, die er
fert die entsprechende symphonische Schilde- in Kuhačs Sammlung gefunden hat, dieses Mal im
rung – Zdenka ihre Identität verleugnet und dritten Band (Zagreb 1880; Nr. 1001, Vanjkušac).
Matteo getäuscht wird. Immerhin könnte sie den Nachdem Mandryka im zweiten Aufzug der an-
Mann ihres Lebens gefunden haben, dürfte sie geblichen Untreue Arabellas gewahr geworden ist
sein, wer sie ist. und das Ballgeschehen in orgiastisches Treiben
Dagegen hofft die zu Hochmut und Koketterie überzugehen beginnt, trägt er »zwischen Selbstver-
neigende Arabella in unergründlicher Haltung auf spottung und zornigen Tränen« (Zi. 121) eine
den ihr vom Schicksal bestimmten »Richtigen«. kroatische Ballade vor (Eisner 1926, 329), mit Re-
Strauss hat für den musikalischen Ausdruck dieser miniszenzen an seine früher gesungene Weise. In
Epiphanie-Erwartung, die im Duett Arabella/ Erinnerung an die gerade vollzogene Verlobung
Zdenka (erster Aufzug, Zi. 54–61) artikuliert wird, sinnt Arabella zu Beginn des dritten Aufzugs (6 T.
auf eine südslawische Weise aus dem ersten Band nach Zi. 21) dem Gespräch mit Mandryka nach –
der Sammlung Južno-slovjenske narodne popievke »vor sich hindenkend« reiht sie einfache Lied-
(Zagreb 1878) von Franjo Ksaver Kuhač zurück- phrasen.
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 237

Allen diesen Abschnitten eignet ein starker Zug risch-melodiösen Grundzug des Werks phasen-
zur Introversion; die singenden Personen sind mit weise überdeckt) bemühte sich der Komponist,
ihren Gefühlen und Gedanken ganz bei sich. mit hoher Variabilität zwischen allen Stufen rezi-
Musikalische Zeichen der Extravertiertheit setzt tativisch-deklamatorischen Sprechsingens – sogar
Strauss dagegen mit der Ballmusik im zweiten reinen Sprechens wie bei den dramatischen Ver-
Aufzug. Von strukturell konstitutiver Bedeutung dichtungen im zweiten (Zi. 112) und dritten Auf-
ist hier der Walzer. In der ersten Phase der Hand- zug (Zi. 91) – und strömender Kantabilität zu
lung, dem ›Verlobungsgespräch‹ zwischen Arabella changieren. Darüber hinaus zielte Strauss auf eine
und Mandryka, kennzeichnet die mehrmals aus dem gegenwartsnahen, unmythischen Stoff ge-
dem Hintergrund in das vertrauliche Geschehen schuldete höhere Fasslichkeit der musikalischen
einbrechende Tanzmusik den Kontrast zwischen Gestaltung. Diese Absicht kommt unmittelbar
der intimen Gefühlswelt und dem öffentlichen beim Finale zum Tragen, das anders als bei der
Festtrubel, zwischen Individuen und Kollektiv. Im kumulativen Apotheose der Ägyptischen Helena
Mittelteil des Aufzugs – Arabellas Abschied von auf eine beinahe ›linear‹ zu nennende Weise das
der Mädchenzeit – triumphiert der Walzer als schlichte Ritual des Verlobungstranks musikalisch
Musik für die Ballkönigin, eine Rolle, in der Ara- erzählt und dann einen gemessenen hymnischen
bella sich zum letzten Mal als Teil ihrer Herkunfts- Aufschwung nimmt, aus dem der Hörer mit einer
gesellschaft wahrnimmt (ein Nachklang in Form kurzen brillanten Stretta entlassen wird. Neben
eines langsamen Walzers lässt sich am Beginn des den ›lyrischen Inseln‹ und der funktional stringent
dritten Aufzugs hören, Zi. 17). Mit dieser Musik disponierten Tanzmusik dürften es vor allem die
konkurriert die Schnellpolka. Sie gehört zum gegenüber Intermezzo dominierende Gesanghaf-
Milieu der Fiakermilli, einer als derbe Volkssänge- tigkeit und die im Vergleich mit der Ägyptischen
rin historisch verbürgten Figur, von deren ur- Helena transparentere Textur des Tonsatzes sein,
sprünglicher Kontur aber auch deswegen kaum die zur dauerhaften Popularität dieser Komödie
etwas zu erkennen ist, weil Strauss darüber zur aus dem Geist der Spieloper entscheidend beige-
Entstehungszeit nicht informiert war (so an Cle- tragen haben.
mens Krauss, 25.3.1942; RSCK 461). Der Kompo-
nist hat die Partie einem Koloratursopran zuge-
wiesen und damit deren Verständnis als einer
Verwandten der Zerbinetta aus dem Ariadne- Wirkung
Vorspiel Vorschub geleistet (die Frage, ob Strauss
auch an die Adele in der Fledermaus gedacht hat, Die Uraufführung von Arabella fand kaum ein
lässt sich nicht beantworten). Dass die Fiakermilli halbes Jahr nach der nationalsozialistischen
als Gegenpart zu Arabella in einem ähnlichen Machtergreifung statt. In Dresden hatte der Gene-
Verhältnis steht wie Zerbinetta zu Ariadne, trifft ralmusikdirektor und von Strauss als Premieren-
nur äußerlich zu, denn weder ist Arabella eine dirigent vorgesehene Fritz Busch wegen der Um-
tragische noch die Fiakermilli eine raffinierte Ko- triebe der neuen Machthaber sein Amt aufgege-
mödienfigur. Wie auch immer: Sie fungiert als die ben, auch der Intendant der Oper, Alfred Reucker,
öffentliche Stimme schlechthin, ist Sprachrohr der das Haus bereits verlassen: Beide sind Widmungs-
vox populi und verkörpert in ihrem exaltierten, träger der Oper. Unter Clemens Krauss als aus
dem Jodeln nachempfundenen Ziergesang die Wien verpflichtetem Gastdirigenten bildeten Vio-
zunehmende Enthemmung der Ballgesellschaft. rica Ursuleac und Alfred Jerger das Protagonisten-
Wie in den vorangegangenen Opern investierte paar; auch das übrige Ensemble war höchst leis-
Strauss ein hohes Maß an schöpferischer Energie tungsfähig besetzt (Friedrich Plaschke, Waldner;
in die differenzierte Sprachbehandlung, durchaus Camilla Kallab, Adelaide; Margit Bokor, Zdenka;
bis zu jener ›äußersten Konsequenz‹, von der im Martin Kremer, Matteo; Karl Albrecht Streib,
Vorwort zu Intermezzo die Rede war (s. o. S. 220). Elemer; Kurt Böhme, Dominik; Arno Schellen-
Gegenüber der Ägyptischen Helena und deren berg, Lamoral; Eliza Illiard, Fiakermilli). Regie
symphonisch stark verdichtetem Stil (der den ly- führte Josef Gielen. Wie bei den vorangegangenen
238 Opern und Ballette

Dresdner Uraufführungen endete der Premieren- lichen Werten in einer für das 21. Jahrhundert
abend in hellem Jubel, in einem Erfolg, den die überzeugenden Form auf die Bühne zu bringen,
Nationalsozialisten als positiven Ausweis ihrer neu diese Frage steht über allen aktuellen Bemühun-
errungenen Kulturhoheit auch für sich reklamier- gen, diese Oper als theatrales Ereignis ins Werk zu
ten. Diese Vereinnahmung hat der unmittelbar setzen (und es dabei nicht beim schönen Schein
einsetzenden und dauerhaften Beliebtheit des der Bilder und dem Wohlklang der Musik zu be-
Werks keinen Abbruch getan. Schon die ersten lassen).
Kritiken nahmen die Lyrische Komödie als ein
dichterisch und musikalisch kongruentes Bühnen-
werk wahr, ja, erstmals erfuhr auch Hofmanns-
thal – vier Jahre nach seinem Tod – spontane Diskographischer Hinweis
Anerkennung für sein, wie es rundum hieß, aus-
gezeichnetes Opernbuch. i Viorica Ursuleac (Arabella), Hans Reinmar
Schon nach wenigen Jahren hatte sich Arabella (Mandryka), Trude Eipperle (Zdenka), Luise Wil-
national und international durchgesetzt, ging ler (Adelaide), Theo Herrmann (Waldner), Horst
noch 1933 in Berlin, Frankfurt, Wien, Düsseldorf, Taubmann (Matteo), Else Böttcher (Fiakermilli),
München, Kassel, Hamburg, Bern und Stockholm Franz Klarwein (Elemer), Odo Ruepp (Dominik),
über die Bühne, im Folgejahr unter anderem in Alfred Poell (Lamoral), Chor und Orchester der
Zürich, Basel, Monte Carlo, Leipzig, London, Wiener Staatsoper, Clemens Krauss (aufgenom-
Buenos Aires, Amsterdam und Budapest. Bis in men 1942): Myto 921.54
die Gegenwart gehört die Oper zu den festen Re- i Lisa Della Casa (Arabella), George London
pertoiregrößen, die einzige aus dem späteren (Mandryka), Hilde Güden (Zdenka), Ira Mala-
Bühnenschaffen von Strauss, die diesen Status er- niuk (Adelaide), Otto Edelmann (Waldner), An-
reicht hat. Ähnlich wie beim Rosenkavalier ist die ton Dermota (Matteo), Mimi Coertse (Fiakermilli),
Inszenierungsgeschichte von einer gewissen Waldemar Kmentt (Elemer), Eberhard Wächter
Gleichförmigkeit bestimmt, Folge der eindeutigen (Dominik), Harald Pröglhof (Lamoral), Wiener
Situierung des Stoffs im gesellschaftlich und kul- Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker, Georg
turell korrumpierten Wien der frühen Ringstra- Solti (aufgenommen 1957): Decca 6.35104 EK
ßenzeit, des von den Autoren vorgeführten groß- i Lisa Della Casa (Arabella), Dietrich Fischer-
bürgerlichen Lebensambientes und des zentralen Dieskau (Mandryka), Anneliese Rothenberger
Motivs des Faschingsballs (mit der häufig unbe- (Zdenka), Ira Malaniuk (Adelaide), Karl Christian
friedigend dargestellten Partie der Fiakermilli). Kohn (Waldner), Georg Paskuda (Matteo), Eva
Diese klare Rahmung des Werks hat es stets in die Maria Rogner (Fiakermilli), Fritz Uhl (Elemer),
Nähe der opulent ausgestatteten Operette gerückt, Carl Hoppe (Dominik), Horst Günter (Lamoral),
einem Genre freilich, mit dem es, wie erwähnt, Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper,
allenfalls äußerliche Gemeinsamkeiten aufweist. Joseph Keilberth (aufgenommen 1963): Deutsche
Dazu kommt als weitere Konstante die jeweils Grammophon 437 700-2
über längere Zeit herrschende starke Dominanz i Julia Varady (Arabella), Dietrich Fischer-Dies-
einzelner rollenprägender Persönlichkeiten, hier kau (Mandryka), Helen Donath (Zdenka), Helga
vor allem bei der Partie der Arabella etwa mit Schmidt (Adelaide), Walter Berry (Waldner),
Viorica Ursuleac, Lisa della Casa, Gundula Jano- Adolf Dallapozza (Matteo), Elfriede Höbarth
witz, Julia Varady oder Kiri Te Kanawa. (Fiakermilli), Hermann Winkler (Elemer), Klaus-
Ob und inwieweit es in der Auseinanderset- Jürgen Küper (Dominik), Hermann Becht (Lamo-
zung mit Buch und Partitur sowie mit den ihnen ral), Chor und Orchester der Bayerischen Staats-
beiden eingeschriebenen Dimensionen eines zeit- oper, Wolfgang Sawallisch (aufgenommen 1981):
gebunden-charakteristischen, konservativen Men- Orfeo C 169 882 H
schen- und Gesellschaftsbildes der 1920er Jahre i Kiri Te Kanawa (Arabella), Franz Grundheber
gelingen kann, Arabella als gültige Parabel über (Mandryka), Gabriele Fontana (Zdenka), Helga
die Bedeutung von sozialen Ordnungen und sitt- Dernesch (Adelaide), Ernst Gutstein (Waldner),
14. Intermezzo – Die Ägyptische Helena – Arabella 239

Peter Seiffert (Matteo), Gwendolyn Bradley (Fia- Kallisch (Adelaide), Günther Messenhardt (Wald-
kermilli), Alexandru Ionitza (Elemer), Gilles ner), Hugh Smith (Matteo), Olga Trifonova (Fia-
Cachemaille (Dominik), Kurt Rydl (Lamoral), kermilli), Endrik Wottrich (Elemer), Jochen
Chor und Orchester des Royal Opera House Co- Schmeckenbecher (Dominik), Nicolas Courjal
vent Garden, Jeffrey Tate (aufgenommen 1986): (Lamoral), Chor des Théâtre du Châtelet, Philhar-
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242

15.
Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne
Von Rebecca Grotjahn

Zur Werkgruppe weitere Arbeit als Opernkomponist betrachtete,


sah dieser in der Erstellung von Libretti eher
Die schweigsame Frau, Friedenstag und Daphne eine – wenn auch durchaus ehrenvolle – Neben-
hängen in ihrer Entstehung eng miteinander zu- sache. Je mehr sich der Komponist in der Musik-
sammen – sowohl über die Arbeitsbeziehungen des politik des NS-Regimes engagierte, desto stärker
Komponisten mit den Textdichtern Stefan Zweig ging Zweig denn auch auf Distanz und verweigerte
und Joseph Gregor als auch über die politischen sich schließlich der weiteren Zusammenarbeit.
Bedingungen in den ersten Jahren des NS-Regi-
mes. Der Text der Schweigsamen Frau stammt
Strauss, Zweig
vollständig von Zweig. Friedenstag wurde von ihm
und die nationalsozialistische Politik
zwar weitgehend konzipiert, aber von Gregor aus-
gearbeitet. Daphne erarbeitete Gregor zwar nach Dass die Kooperation zwischen Zweig und Strauss
einer eigenen Idee als Schwesterwerk zu Friedens- nicht mehr Früchte trug, ist vor allem in der poli-
tag, doch war Zweig auch jetzt noch für Gregor wie tischen Situation begründet, in der die beiden
für Strauss Gesprächspartner und Ratgeber. (Auch Künstler auf verschiedenen Seiten standen. Der in
die Vorstufen zu Capriccio entstanden im Dialog Salzburg lebende Zweig erkannte früh die Gefah-
zwischen Strauss, Zweig und Gregor; s. S. 276 ff.) ren des NS-Regimes und befürchtete zu Recht,
Zwei Jahre nach dem Tod Hugo von Hof- Österreich werde hiervon nicht unbeeinträchtigt
mannsthals hatte Strauss 1931 in Stefan Zweig bleiben. In seinen Briefen an Strauss hat es den
wieder einen Librettisten gefunden, den er als Anschein, als habe er vor allem Schwierigkeiten
künstlerisch gleichwertigen Partner betrachtete. auf den künstlerisch nach wie vor bewunderten
Bereits in der Endphase der Arbeit an der Schweig- Komponisten zukommen sehen, wenn dieser
samen Frau, seit Frühjahr 1933, stellten die beiden weiterhin mit einem jüdischen Dichter zusam-
Künstler erste Überlegungen zu weiteren gemein- menarbeiten würde. Liest man jedoch Zweigs
samen Opernprojekten an, unter ihnen einige, die autobiografische Schrift Die Welt von Gestern oder
Strauss bereits mit Hofmannsthal erwogen hatte. Briefe an ihm näher stehende Personen, wird
Manche Ideen wurden schnell wieder verworfen – deutlich, dass er vor allem um sein eigenes Anse-
etwa ein »Culturbild in der Art der Meistersinger« hen im Ausland und insbesondere in Kreisen
über Minnesänger (RSSZ 45) oder ein Zweiakter emigrierter Künstler fürchtete. Diese nahmen
Der Rattenfänger von Hameln, den Zweig als Strauss als Vertreter des Regimes wahr – und zwar
»deutsche Volksoper par excellence« ins Gespräch nicht nur, weil er im November 1933 das Amt des
brachte (RSSZ 47) –, andere hingegen ausführlich Präsidenten der frisch gegründeten Reichsmusik-
diskutiert, insbesondere eine Semiramis-Oper kammer übernommen hatte. Kritisch registriert
nach Calderón. Während Strauss die Kooperation worden war bereits, das Strauss im März 1933 ein
mit Zweig als essentielle Voraussetzung für seine Konzert der Berliner Philharmoniker dirigierte,
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 243

nachdem der ursprünglich dafür vorgesehene nach der »Machtergreifung« emigriert war, wurde
Bruno Walter aufgrund seiner jüdischen Herkunft mehrfach von NS-Funktionären mit Stefan Zweig
bedroht worden war. Auch dass Strauss für Arturo verwechselt) komponiere, verneint und sich über-
Toscanini einsprang, der aus politischen Gründen dies bei Goebbels versichert, dass gegen Stefan
seine Mitwirkung bei den Bayreuther Festspielen Zweig politisch nichts vorliege (RSSZ 63 f.). Da-
1933 abgesagt hatte, wurde als Demonstration der mit war das Problem für Strauss erledigt.
Nähe zum NS-Regime interpretiert. Der Eindruck Rosenberg jedoch erneuerte drei Monate später
verstärkte sich durch weitere Aktivitäten des Kom- seinen Verbotsantrag und verband ihn mit der
ponisten, die keinen direkten Bezug zu seiner indirekten Forderung, Goebbels möge Strauss als
künstlerischen Arbeit aufwiesen. So zählte er zu Präsidenten der Reichsmusikkammer absetzen: Es
den Mitunterzeichnern des »Protests der Richard- sei »eine vollkommene Unmöglichkeit […], daß
Wagner-Stadt München« gegen Thomas Mann im ein Präsident einer nationalsozialistisch geführten
April 1933, ebenso gab er seinen Namen für den Reichsmusikkammer sich seinen Operntext von
am 18. August 1934 im Völkischen Beobachter er- einem Juden schreiben läßt« (Drewniak 1983,
schienenen »Aufruf der Kulturschaffenden« zur 292). Goebbels reagierte mit einer in scharfem Ton
farcenhaften Volksabstimmung über das »Gesetz vorgebrachten Verteidigung von Strauss. Zweig sei
über das Staatsoberhaupt« her, das als Schritt in lediglich »Überarbeiter« – nicht Autor – des Textes
die Führerdiktatur gilt. und habe sich »politisch bisher absolut zurückge-
Um die Vorgänge um Zweig und Strauss rich- halten«, so wie »auch der Text der Oper vollkom-
tig einordnen zu können, ist zu bedenken, dass die men unpolitisch und harmlos« sei (Drewniak
nationalsozialistische Kulturpolitik keineswegs 1993, 293). Indessen setzte die eng mit dem Amt
einer einheitlichen Linie folgte. Sie war vielmehr Rosenberg verbundene NS-Kulturgemeinde ihre
entscheidend durch die Rivalität zwischen Propa- Bemühungen fort, die Premiere der Schweigsamen
gandaminister Goebbels und Alfred Rosenberg Frau zu verhindern, und drohte mit massiven
geprägt, dem »Beauftragten des Führers für die Störungen der Aufführung – ein vielfach erprobtes
Überwachung der gesamten geistigen und weltan- Mittel, das im Fall der Schweigsamen Frau jedoch
schaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. durch die Geschäftsführung der Reichskulturkam-
Beide vertraten nicht nur oft unterschiedliche mer abgewendet wurde (Haken 2007, 68 f.)
Standpunkte (etwa gegenüber zeitgenössischer
Kunst), sondern konkurrierten auch um den ent-
Zweigs Rückzug aus der Zusammenarbeit
scheidenden Einfluss auf die Kulturpolitik. Viele
kulturelle Ereignisse, vor allem zwischen 1934 und Nachdem Zweig im Sommer 1934 während eines
1936, lassen sich als Folgen des Streits zwischen Englandaufenthalts bespitzelt worden war, for-
Goebbels und Rosenberg verstehen – auch das cierte er seinen Rückzug aus der Zusammenarbeit
Ende der Zusammenarbeit zwischen Zweig und mit Strauss und schlug ihm diverse Dichter vor,
Strauss. die die zuletzt erörterten Operntexte (»1648«, die
Spätestens zu Beginn des Jahres 1934 war die Keimzelle für Friedenstag; »Prima la musica, poi le
bevorstehende Fertigstellung der Schweigsamen parole«, woraus später Capriccio wurde, eine spa-
Frau in der Öffentlichkeit bekannt; sogar Reichs- nische Tragikomödie Celestina sowie Calderóns
minister Hermann Göring bemühte sich um Ex- Semiramis) ausarbeiten könnten. Strauss beharrte
klusivaufführungen der neuen Oper für die Reichs- jedoch auf Zweig: »Ich gebe Sie auch nicht auf,
hauptstadt (Strauss an Pauline Strauss, 10.2.1934; auch nicht, weil wir jetzt gerade eine antisemiti-
Grasberger 1967, 351). Rosenberg hingegen for- sche Regierung haben. Ich bin sicher, dieselbe
derte von Goebbels ein Verbot der Uraufführung. würde auch einer neuen Zweigschen Oper keine
Dies dürfte der Hintergrund für einen Vorfall Schwierigkeiten bereiten und wenn ich offen mit
sein, von dem Strauss Zweig am 24. Mai 1934 be- dem mir sehr freundlich gesinnten Dr. Goebbels
richtet: Er habe die Anfrage des Propagandaminis- darüber rede, auch keinen Affront darin erbli-
teriums, ob er einen Operntext von Arnold [!] cken!« (26.2.1935; RSSZ 97). Allerdings musste
Zweig (der sozialistische Schriftsteller, der kurz er wenige Wochen später feststellen, dass er seinen
244 Opern und Ballette

Einfluss überschätzt hatte. Anfang April 1935 größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künst-
schrieb er Zweig (RSSZ 99), Goebbels und dessen lerischem Pflichtbewußtsein« (ebd.). In Anbe-
Staatssekretär hätten »bedauernd« die Aufführung tracht dessen, dass die Reichsmusikkammer nicht
einer weiteren Oper von Zweig abgelehnt. Er, zuletzt ein Instrument zur Durchsetzung des Be-
Strauss, habe betont, sofern er keine anderen ge- rufsverbots für jüdische Musiker war, dürfte diese
eigneten Textdichter fände, werde er »eben doch Aussage bei Zweig nicht eben Vertrauen in Strauss’
weiterhin Zweig componieren […], aber heimlich, Verantwortungsbewusstsein geweckt haben.
daß Niemand mehr davon erfährt«. Unterschied- Dieser Brief erreichte seinen Adressaten nie,
licher konnten die Perspektiven der beiden Künst- sondern gelangte, von der Gestapo abgefangen,
ler kaum sein: Strauss, der sich in der Nähe der direkt zu Hitler. In den Augen der NS-Führung
Machthaber bewegte, fürchtete lediglich um die musste Strauss nun als Opportunist ohne Weltan-
Fortsetzung seiner kompositorischen Arbeit, wäh- schauung und echte Überzeugungen erscheinen.
rend Zweig nicht nur als Künstler, sondern auch Der am 6. Juli übermittelten Forderung des Pro-
als Mensch durch die NS-Politik bedroht war. pagandaministeriums, als Präsident der Reichs-
Ende April 1935 brachte Zweig den Dichter musikkammer zurückzutreten, folgte er unverzüg-
und Theaterwissenschaftler Joseph Gregor als Li- lich (s. Kap. 5). In einem Memorandum, das er
brettisten ins Gespräch, mit dem ihn seit Jahren wenige Tage später verfasste, äußerte er sich
eine Freundschaft verband. Auch zwischen Strauss überaus empört darüber, dass er, immerhin Präsi-
und Gregor bestanden bereits Kontakte, seit Gre- dent der Reichsmusikkammer und Autor von »80
gor dem Komponisten zu dessen 70. Geburtstag großen ›in der Welt anerkannten‹ Werken«, über-
am 11. Juni 1934 den zweiten Band seiner Gedichte wacht werde. Überdies stilisierte er sich selbst zum
gewidmet hatte. Einige Monate später korrespon- Opfer und beklagte, dass die ausländische Presse,
dierten beide ausführlich über Gregors Weltge- insbesondere die Wiener »jüdischen Zeitungen«,
schichte des Theaters (Zürich 1933). So war Zweig ihn als Antisemiten verdächtigten, obwohl er doch
optimistisch, Strauss werde Gregor als Librettisten immer gegen die »Streicher-Goebbels’sche Juden-
akzeptieren. hetze« gewesen sei und viele jüdische Freunde
habe (RSSZ 172 f.). Keineswegs jedoch nutzte er
den Anlass, um sich vom NS-Regime zu distanzie-
Der Eklat im Juli 1935
ren; im Gegenteil wandte er sich mit einem devo-
Während Gregor sich hoch motiviert mit den von ten Brief am 13. Juli 1935 an Hitler und warb um
Zweig begonnen Projekten Semiramis und Frie- Verständnis für die »improvisierten Sätz[e]« des
denstag zu beschäftigen begann, hatte Strauss von »rasch hingeworfen[en]« Briefes, die man so ausle-
vornherein geringe Erwartungen an Gregors Ar- gen könne, »als ob ich wenig Verständnis für den
beit. Wenn er ihn gegenüber Zweig zuweilen po- Antisemitismus sowie für den Begriff der Volksge-
lemisch abwertete, sollte dies wohl vor allem sug- meinschaft und die Bedeutung meiner Stellung als
gerieren, dass es zu ihm keine annähernd gleich- Präsident der Reichsmusikkammer hätte« (Wulf
wertige Alternative gebe. Als Zweig darauf nicht 1983, 198).
eingeht, schlägt Strauss im Sommer 1935 einen Der Vorfall führte indessen dazu, dass Strauss
neuen Tonfall an und greift zu hemdsärmeligen Gregor als Librettisten akzeptierte – wenn auch
Formulierungen, ja sogar zu – mehr oder weniger zunächst nur als Notlösung für den mit Zweig
ironisch gebrochenen – nationalsozialistischen begonnenen Friedenstag. Weitere Vorschläge Gre-
Topoi. Dies gipfelt in dem vielzitierten Brief vom gors zu gemeinsamen Projekten wurden in der
17. Juni 1935, in dem es heißt: »Dieser jüdische Regel bald wieder verworfen, mit Ausnahme von
Eigensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! Daphne und der – noch auf Hofmannsthal zu-
Dieser Rassestolz, dieses Solidaritätsgefühl – da rückgehenden – Liebe der Danae.
fühle sogar ich einen Unterschied!« (RSSZ 141).
Gleichzeitig versucht er, sein Amt als Reichsmu-
sikkammerpräsident als unpolitisch abzutun: Er
»mime« den Posten nur, um »Gutes zu tun und
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 245

Literatur spiel, Xylophon, kleine Glocken, große Glocken,


Adamy, Bernhard: Im Schatten des Terrors. Einige Texte
kleine Trommel, große Trommel, Becken, Tam-
von Stefan Zweig über Richard Strauss. In: Richard tam, Triangel, Tamburin, Ratsche, Kastagnetten),
Strauss-Blätter N.F. 22 (1989), 3–41. Celesta, Harfe, 14 erste Violinen, 12 zweite Violi-
Drewniak, Boguslaw: Das Theater im NS-Staat. Szena- nen, 8 Violen, 8 Violoncelli, 5–6 Kontrabässe.
rium deutscher Zeitgeschichte 1933–1945. Düsseldorf Bühnenmusik: Trompeten, Orgel, Cembalo, Du-
1983.
Grasberger, Franz (Hg.): Der Strom der Töne trug mich delsäcke, Trommeln
fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Tutzing Spieldauer: ca. 3 Stunden
1967. Autograph: Partitur, Textbuch (masch. mit auto-
Haken, Boris von: Der »Reichsdramaturg«. Rainer graphen Eintragungen): Richard-Strauss-Archiv
Schlösser und die Musiktheater-Politik in der NS-
Zeit. Hamburg 2007. Garmisch
Riethmüller, Albrecht: Stefan Zweig and the Fall of the Ausgaben: Partitur: Berlin: Fürstner 1935, Nr. 8300;
Reich Music Chamber President, Richard Strauss. In: Klavierauszug von Felix Wolfes: ebd., Nr. 8303;
Michael Kater/Ders. (Hg.): Music and Nazism. Art Klavierauszug des Potpourri-Vorspiels: ebd.,
under Tyranny, 1933–1945. Laaber 2003, 269–291.
Splitt, Gerhard: Richard Strauss 1933–1935. Ästhetik und Nr. 8308; Textbuch: ebd., Nr. 8305; Studienparti-
Musikpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen tur: Werke Bd. 14
Herrschaft. Pfaffenweiler 1987.
Wulf, Joseph: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumen-
tation [1966]. Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1983.
Entstehung

Die Bekanntschaft mit Stefan Zweig muss Richard


Strauss als schlagartige Lösung der Probleme er-
Die schweigsame Frau schienen sein, in die er sich durch den Tod Hugo
Komische Oper in drei Aufzügen op. 80 TrV 265 von Hofmannsthals gestürzt sah. Sein eigener
Bericht über die »Geschichte der ›Schweigsamen
Entstehungszeit: September 1932 bis Januar 1933 Frau‹« (RSSZ 155–159) belegt, welche Bedeutung
(Text); 1. Oktober 1932 bis 20. Oktober 1934 (Mu- er der Zusammenarbeit mit Zweig beimaß. Den
sik); Potpourri-Ouvertüre vollendet am 17. Januar Kontakt zwischen den beiden Künstlern hatte der
1935 Leiter des Insel-Verlags, Anton Kippenberg, ver-
Text: Stefan Zweig frei nach Ben Jonson, Epicœne, mittelt. Zweig übersandte Strauss Ende Oktober
or, The Silent woman. A Comedy (1609) in der 1931 den Privatdruck einer von ihm besorgten
Übersetzung durch Ludwig Tieck: Epicoene oder Edition eines Mozart-Briefes an Maria Anna The-
Das stille Frauenzimmer. Ein Lustspiel in fünf kla Mozart (das »Bäsle«), verbunden mit der Bitte,
Akten (1800/1829) den von ihm verehrten Komponisten besuchen
Uraufführung: Sächsische Staatstheater Dresden, und ihm einen »musikalischen Plan« vortragen zu
Opernhaus, 24. Juni 1935 dürfen (RSSZ 7). Umgehend lud Strauss den
Personen: Sir Morosus (Bass); seine Haushälterin Dichter zu sich nach Hause ein, nicht ohne ihm
(Alt); der Barbier (hoher Bariton); die Komödian- bereits eigene Ideen für einen neuen Operntext
ten Henry Morosus (hoher Tenor), Aminta, seine mitzuteilen: Ihm schwebe ein »geistvolles Intri-
Frau (Koloratursopran), Isotta (Koloratursopran), genstück« vor, in dem ein bisher bei ihm noch
Carlotta (Mezzosopran), Morbio (Bariton), Va- nicht vorkommender Frauentypus eine Rolle
nuzzi (tiefer Bass), Farfallo (tiefer Bass); Chor der spielen solle: »die Frau als Hochstaplerin oder die
Komödianten und Nachbarn Grande dame als Spion« (31.10.1931; RSSZ 8).
Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen, Zweig hatte andere Vorstellungen: Zum einen
Englischhorn, Klarinette in C, 2 Klarinetten in A dachte er an eine Tanzpantomime, die »in univer-
(auch in B), Bassklarinette, 3 Fagotte (3. auch salischer und allverständlicher Fassung das Pro-
Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, blem der Musik, die Kunst überhaupt zur Darstel-
Tuba, Pauken, Schlagzeug (3–4 Spieler: Glocken- lung bringt […], ein Werk, das alle Contraste der
246 Opern und Ballette

Kunst, vom Tragischen bis zum Heitern, vom die Potpourri-Ouvertüre. Bis Mitte 1934 firmierte
Apollinischen bis zum Dionysischen umfaßt […]« das Opernprojekt in der Korrespondenz Strauss/
(3.11.1931; RSSZ 9). Sein zweiter Vorschlag war Zweig unter dem Titel »Sir Morosus« oder einfach
»eine heitere, muntere, bewegliche Spieloper, sehr »Morosus«. In einem Brief vom 26. Juli 1934
leicht zu schreiben und ohne jede Beschwerung zu spricht Zweig erstmals von der »Schweigsamen
spielen mit den beinahe classischen Figuren – im Frau«, und von diesem Zeitpunkt an verwendet
Mittelpunkt eine Frau voll Charme, Witz und auch Strauss diesen Titel. Ob dabei der gleichna-
Übermut, ein Dutzend Figuren um sie herum, ein mige Schauspieltext von Robert Blum (siehe
amüsantes Milieu« (ebd.). Üblicherweise wird Kommentar) Pate stand, ist unbekannt.
dieser zweite Vorschlag als erster Hinweis auf die Die nach der Machtübernahme der NSDAP
Schweigsame Frau gedeutet (RSSZ 161 f. enthält an Ende Januar 1933 veränderte politische Situation
dieser Stelle in einer Fußnote die kompletten In- machte nicht nur der noch jungen Zusammen-
formationen zu der späteren Oper). Es spricht je- arbeit zwischen Strauss und Zweig bald ein Ende,
doch einiges dafür, in der Schweigsamen Frau eine sie wirkte sich auch auf die Umstände der Ur-
Verbindung beider Ideen Zweigs zu sehen: des aufführung der Schweigsamen Frau aus (s. o.). Am
leichten Operntypus und des Problems der Musik 21. September 1934 teilte Strauss Zweig mit, dass
als Kunst (siehe Kommentar). Goebbels die Uraufführung genehmigt habe.
Bei einem ersten persönlichen Treffen im Win- Dessen ungeachtet befürchtete Zweig Schwierig-
ter 1931/32 brachte Zweig die Komödie Epicœne, or keiten – für den Komponisten wie auch für die
The Silent woman von Ben Jonson (ca. 1572–1637) Uraufführung – und erteilte Strauss den Rat, in
als Opernstoff ins Gespräch, den Strauss sofort den Notenausgaben den Beginn der Arbeit zu
aufgriff. Der Briefwechsel der folgenden Jahre vermerken, damit für die Öffentlichkeit ersicht-
dokumentiert eindrucksvoll die intensive künstle- lich würde, dass die Oper »längst begonnen war,
rische Zusammenarbeit und belegt, in welchem ehe sich die politischen Änderungen ereigneten«
Maße Zweig stets die musikalisch-dramatischen (16.4.1935; RSSZ 108 f.). Wie berechtigt seine Be-
Strukturen mit bedachte und sich sogar über die fürchtungen waren, zeigt sich nicht nur an der
konkrete musikalische Gestaltung äußerte; so kam Affäre um den von der Gestapo abgefangenen
es beispielsweise im Dezember 1932 zu einer Dis- Brief von Strauss an Zweig. Schon am 17. Juni
kussion über den Rezitativstil. Einen Dissens gab 1935 – dem Tag, an dem Strauss den inkriminier-
es lediglich in einer Nebensache: Zweig hatte der ten Brief schrieb – teilte Zweig seinem Freund
Wiener Neuen Freien Presse einen Auszug aus dem Joseph Gregor mit, »daß bisher irgend ein
Libretto für deren Weihnachtsnummer zur Verfü- Schweigeverbot über die bevorstehende Auffüh-
gung gestellt, was Strauss nicht duldete (RSSZ rung erlassen sein muß, denn keine deutsche
32 f.). Zeitung hat sie bisher angekündigt« (JGSZ 225 f.),
Der erste Akt des Librettos war Mitte Oktober und am Tag der Uraufführung eine Woche später
1932 fertiggestellt, der zweite Mitte Dezember des berichtete er, es habe zwar »[n]ach außen Befehl«
gleichen Jahres und der dritte Mitte Januar 1933. gegeben, dass die Aufführung in keiner deutschen
Ende Januar verhandelten Strauss und Zweig über Zeitung angekündigt werde, gleichzeitig jedoch
einen Verwertungsvertrag. Zweig, dem Strauss die gebe es »heute Abend in Dresden Beflaggung der
Particelle aller drei Akte schenkte, spendete seine ganzen Stadt, Beleuchtung der öffentlichen Ge-
Einkünfte, »25  der Theatertantièmen [und] bäude, Bankett, Minister, Bonzen« (ebd., 228). Als
20  am Textbuch« (RSSZ 43), übrigens an eine Strauss zwei Tage vor der Uraufführung erfuhr,
jüdische Hilfsorganisation. dass der Dresdner Generalintendant Zweigs Na-
Mit der Komposition begann Strauss bereits men auf dem Theaterzettel getilgt hatte, drohte
vor der Fertigstellung des Librettos. Eine erste er damit, die Uraufführung zu boykottieren, wo-
Skizze für den ersten Aufzug lag im Februar 1933 raufhin der Name des Librettisten wieder einge-
vor; er beendete diesen am 19. Januar 1934, den fügt wurde.
zweiten am 24. September 1934 und den dritten
am 20. Oktober 1934. Am 17. Januar 1935 folgte
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 247

Handlung dozierende gelehrte Dame. Hingegen gefällt Mo-


rosus die von Aminta als übertrieben schüchternes
Zimmer von Sir Morosus in einem Vorort Lon- Mädchen gespielte Timidia. Als er sie um ihre
dons. Zeit: etwa 1780 Hand bittet, ist an ihrer Körpersprache erkennbar,
dass sie einen Augenblick lang von Morosus’ Zu-
1. Aufzug neigung gerührt ist.
Morosus’ Haushälterin, die dabei ist, aufzuräu- In die fingierte Hochzeit hinein platzen einige
men, gerät in einen lauten Streit mit dem Barbier Sänger, die sich als frühere Seemannskameraden
Schneidebart. Wütend stürzt Morosus aus seinem von Morosus ausgeben, großen Lärm veranstalten
Schlafzimmer hervor, beschimpft die Haushälte- und dafür sorgen, dass die ganze Nachbarschaft
rin und jagt sie hinaus. Beim Rasieren rät ihm der zum Gratulieren ins Haus kommt. Der Barbier
Barbier, die geschwätzige Haushälterin zu entlas- schickt alle zum Weiterfeiern ins Wirtshaus und
sen und sich eine »nette, adrette, schweigsame lässt das Paar allein. Aus Mitleid mit Morosus zö-
Frau« zu nehmen, aber Morosus meint, für einen gert Aminta einen Augenblick, ihre Rolle als Timi-
Mann seines Alters würde sich doch niemand dia weiterzuspielen. Plötzlich jedoch bricht sie,
mehr interessieren – und ohnehin würde ja jede wie mit dem Barbier abgesprochen, in eine laute
Frau ständig Lärm machen. In dem Augenblick und aggressive Tirade aus. Sie fordert Kleider,
klopft es heftig. Der vermeintliche Ruhestörer Schmuck und Luxus; im Hause müsse es lustig
entpuppt sich als der lange entbehrte geliebte zugehen, vor allem soll ständig Musik gemacht
Neffe Henry. Morosus bietet ihm an, in seinem werden. Sie beginnt damit, die Einrichtung zu
Haus zu wohnen. Als Henry ihm gesteht, eine verändern, zerschlägt Morosus’ Erinnerungsstücke
ganze »Truppe« dabei zu haben, lädt Morosus die an seine Seefahrerzeit und droht dem Protestieren-
vermeintlichen Soldaten in sein Haus. Herein den Prügel an. Scheinbar zufällig betritt in dem
kommen jedoch zu seinem Entsetzen die Mitglie- Moment Henry das Haus. Er verspricht dem kla-
der einer italienischen Operntruppe; auch Henry genden Onkel, sich für eine rasche Scheidung von
ist Sänger und überdies mit einer Sängerin, der unerträglich gewordenen Ehefrau zu verwen-
Aminta, verheiratet. Morosus bricht in wütende den. Aus Dankbarkeit entschuldigt sich dieser bei
Tiraden gegen das »neumodisch[e] Ohrenge- seinem Neffen für sein Benehmen am Vortag.
schinde, das man Operas nennt«, aus und teilt Henry sagt zu‚ Timidia während der Nachtruhe
Henry mit, dass er ihn enterben werde. Der Bar- des Onkels zu bewachen. Kaum ist dieser in sei-
bier soll ihm am nächsten Tag eine Braut brin- nem Schlafzimmer verschwunden, ruft er Aminta
gen – »nur still muss sie sein«. leise zu sich. Beide umarmen einander, Aminta
Den empörten Musikern erklärt der Barbier, gesteht, dass ihr der von ihr gepeinigte Morosus
dass Morosus keinerlei Lärm ertragen könne, leid tue.
nachdem ihm bei einer Explosion die Trommel-
felle geplatzt seien. Er rät Henry, das reiche Erbe 3. Aufzug
seines Onkels nicht aufzugeben, und entwickelt Gleiches Zimmer, aber in größter Unordnung, am
die Idee, Morosus mit Hilfe der Theatertruppe nächsten Morgen. Noch immer in der Rolle der
auszutricksen. Weil sie Morosus von seiner opern- Timidia lässt Aminta geräuschvoll das Haus neu
feindlichen Haltung »kurieren« möchten, beteili- möblieren. Ein Clavecin wird herangeschafft,
gen sich die Sängerinnen und Sänger gern an den Timidia erhält eine Gesangsstunde bei dem als
Plänen des Barbiers. Gesangslehrer verkleideten Henry – all dies zum
wachsenden Entsetzen von Morosus. Der Barbier
2. Aufzug tritt zusammen mit drei verkleideten Sängern ein,
Nachmittag des nächsten Tages. Der Barbier führt die als ›Chief-Justice‹ und Notare den Scheidungs-
Morosus die drei verkleideten Sängerinnen der prozess durchführen sollen. Timidia verweigert
Operntruppe als mögliche Bräute vor. Carlotta als jedoch ihre Einwilligung. In gestelzter, mit fal-
Bauernmädchen mit bayerischem Dialekt wird schen lateinischen Brocken durchsetzter Sprache
sofort abgewiesen, ebenso Isotta als unentwegt erörtern die vermeintlichen Juristen mögliche
248 Opern und Ballette

Scheidungsgründe. Zu diesen zähle der »error tion der bis dahin in Strauss’ Œuvre noch fehlen-
qualitatis«, wenn der Bräutigam angenommen den Opera buffa ein, sondern sie handelt darüber
habe, die Braut sei Jungfrau, sie dann aber »cor- hinaus das Thema Musik bzw. Oper auf allgemei-
ruptam« fand. Der Barbier führt einen Zeugen ner Ebene ab. Hierfür war die Zusammenarbeit
herbei, der mit Timidia geschlafen habe: den – mit Stefan Zweig von besonderer Bedeutung –
unkenntlich verkleideten – Henry. Timidia/ und das nicht nur, weil dieser in der Lage war,
Aminta beteuert, immer nur ihrem eigenen Ehe- Operntexte zu schreiben, die den Vorstellungen
mann angehört zu haben, gibt aber schließlich des Komponisten weitgehend entsprachen. Viel-
intime Beziehungen mit dem eingetretenen Mann mehr brachte Zweig selbst ein ausgeprägtes Be-
zu (was ja beides stimmt). Morosus hält sich schon wusstsein für die historische Relevanz von Strauss’
für erlöst, man gratuliert ihm zur Scheidung – da Schaffen mit, und nicht nur die Wahl von Ben
wendet der ›Chief-Justice‹ ein, die Jungfräulich- Jonsons Epicœne als Opernstoff, sondern auch die
keit der Braut sei bei der Eheschließung gar keine Idee, ein gemeinsames Werk zum Thema Musik
Bedingung gewesen. In höchster Verzweiflung zu schreiben, lässt sich auf ihn zurückführen.
droht Morosus mit Selbstmord, alle Anwesenden
reden durcheinander. Plötzlich wird es still, die
Stoffgeschichte und Textgrundlagen
Schauspieler legen ihre Verkleidungen ab und ge-
ben sich zu erkennen. Morosus ist zunächst fas- Ben Jonsons Komödie Epicœne, or The Silent Wo-
sungslos und gerät in Wut. Auf einmal fängt er man wurde Ende 1609 oder Anfang 1610 durch die
heftig an zu lachen. Er lobt die Komödie, in die er Blackfriars Children, eine Truppe jugendlicher
verwickelt war – dass er ihr selbst auf den Leim Schauspieler, in London uraufgeführt und 1616
gegangen sei, sei der beste Beweis für ihre Quali- erstmals gedruckt. Die Komödie, die entschei-
tät. Fortan werde er die Kunst der Truppe respek- dende Motive insbesondere aus den Schriften des
tieren und sogar in die »Operas« gehen. Alle feiern antiken Rhetorikers Libanios bezieht, war nach
gemeinsam, die Schauspieler dürfen Musik ma- anfänglichem Misserfolg ein überaus beliebtes
chen und rühren Morosus mit ihrem Gesang. Stück, das bis in das 18. Jahrhundert hinein nicht
Dann verlassen alle nacheinander den Raum, in nur in England häufig gespielt wurde. In Deutsch-
dem Morosus, Aminta und Henry allein zurück- land kam es allerdings seit den letzten Jahrzehnten
bleiben. Beglückt spricht Morosus seine Schluss- des 18. Jahrhunderts kaum mehr auf die Bühne,
worte: »Wie schön ist doch die Musik – aber wie obwohl sich gerade in dieser Zeit das Interesse an
schön erst, wenn sie vorbei ist! […] Wie wunder- der englischen Theaterdichtung der Shakespeare-
bar ist doch eine junge, schweigsame Frau, – aber Epoche zu intensivieren begann. Wenn Ludwig
wie wunderbar erst, wenn sie die Frau eines an- Tieck Epicœne 1800 übersetzte, dann vor allem,
dern bleibt! […].« um »den Freunden Shakspears […] die ganz ver-
schiedene Absicht der dramatischen Poesie nahe
zu bringen, und dadurch ein helleres Licht auf
Shakspear zu werfen« (Tieck 1829, XXVII f.).
Kommentar Tiecks Jonson-Übersetzungen sind nicht unum-
stritten, weil sie teilweise die politisch-satirischen
Die Schweigsame Frau gehört zu den späten Spitzen abschwächen. Allerdings bleibt gerade
Opern, die in der Strauss-Rezeption lange ein seine Epicœne-Übersetzung sehr nahe am Origi-
wenig im Hintergrund standen, jedoch für das nal. Lediglich der Prolog entfällt, außerdem wer-
Selbstverständnis des Opernkomponisten beson- den Anmerkungen zum Verständnis hinzugefügt
ders aufschlussreich sind. Seit den 1920er Jahren und explizite Szenengliederungen vorgenommen,
bezog sich Strauss auf unterschiedliche historische wo bei Jonson teilweise nur Auftritte vermerkt
Gattungsmodelle, die er im Sinne seines psycholo- sind. Hingegen bleiben Jonsons Anspielungen auf
gisch-symphonischen Konzepts von Oper neu in- Sexualität in den unterschiedlichsten Spielarten
terpretierte und in moderne Konzepte überführte. bei Tieck in all ihrer Derbheit erhalten. Dem Li-
Die Schweigsame Frau nimmt nicht nur die Posi- bretto Zweigs liegt Tiecks Übersetzung in der 1829
15. Die Schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 249

publizierten Fassung zugrunde: Epicoene oder Das ten zugrunde. 1926 verwendete der österreichische
stille Frauenzimmer, ein nur wenig veränderter Bühnenschriftsteller und Theaterdirektor Robert
Nachdruck der ersten Ausgabe, die 1800 in der Blum (1881–1952) für seine deutsche Einrichtung
kurzlebigen Zeitschrift Poetisches Journal unter der Achard-Adaption bereits den Titel, für den sich
dem Titel Epicoene oder das stumme Mädchen er- später auch Zweig und Strauss entscheiden sollten:
schienen war. Die Zweig-Forschung geht davon Die schweigsame Frau. Ob diese Übereinstimmung
aus, dass Zweig neben Tiecks Übersetzungen auch Zufall war oder eine bewusste Übernahme, ist
den Jonsonschen Originaltext kannte. unklar. Strauss und Zweig erwähnen Blums Werk
Der Stoff wird in einer Reihe von Dramen bzw. in ihrem Briefwechsel an keiner Stelle, genauso
Opern verwendet, die sich teilweise direkt oder wenig wie die kurz vor Beginn der Zusammenar-
indirekt auf Jonsons Komödie zurückführen las- beit ebenfalls in Dresden uraufgeführte Oper von
sen. Oft ist allerdings nur die Grundstruktur er- Mark Lothar: Lord Spleen: Die Geschichte vom
kennbar: Ein alter Mann will, um seinem Neffen lärmscheuen Mann op. 17 (1930) auf einen Text von
dessen Erbe vorzuenthalten, eine junge Frau hei- Hugo F. Koenigsgarten, »frei nach der Komödie
raten; man schiebt ihm die verkleidete Geliebte ›The Silent Woman‹ von Ben Jonson«.
bzw. Frau des Neffen unter, die nach der Hochzeit
zum Haustyrannen wird, so dass der Alte am Ende
Zweigs Umarbeitung der Epicoene
froh ist, sie an seinen Neffen abtreten zu können.
Schon in Friedrich Wilhelm Gotters seinerzeit Im Hinblick auf Konzeption und Idee der Schweig-
beliebtem Lustspiel Die Erbschleicher (Leipzig samen Frau ist der Vergleich des Zweigschen Libret-
1789) werden zwei französische Komödien mitei- tos mit der Textvorlage überaus aufschlussreich.
nander verschmolzen, denen, wie bereits Tieck Denn Zweig verwandelt nicht einfach ein Schau-
festgestellt hat, Jonsons Komödien Epicœne und spiel in einen Operntext. Vielmehr gestaltet er eine
Volpone zugrunde liegen. Ebenso findet sich der eigenständige Opernhandlung mit einer spezifi-
Stoff in Stefano Pavesis zweiaktigem Dramma schen Aussage zu einer Thematik, die für Zweig wie
giocoso Ser Marcantonio (1808) auf ein Libretto Strauss von besonderer Wichtigkeit war: die Oper
von Angelo Anelli. Dies erklärt auch die Ver- als Kunstform. Zweig entfernt nicht nur Nebenfi-
wandtschaft der Schweigsamen Frau mit Gaetano guren und an verschiedenen Orten spielende Ne-
Donizettis Don Pasquale (1843): Dessen Libretto benhandlungen, sondern verzichtet auch auf eine
ist eine Bearbeitung des Texts von Anelli durch Reihe von Personen, die bei Jonson/Tieck dafür
Giovanni Domenico Ruffini. Direkt auf Jonson sorgen, dass die Intrige mehrfach in sich selbst ver-
bezieht sich das von Antonio Salieri vertonte Li- strickt wird. Auch ist die Handlung anders aufge-
bretto von Carlo Prospero Defranceschi, L’Angio- baut und motiviert. Bei Jonson/Tieck wird Moro-
lina ossia Il matrimonio per sussuro (Angiolina oder sus durchweg als lächerlicher geiziger Greis gezeigt,
Die Ehe im Flüsterton, UA Wien 1800), das – an- der von vornherein die Absicht hat zu heiraten, um
ders als Ser Marcantonio und Don Pasquale – das den Neffen um sein Erbe zu bringen. Der Neffe
Motiv des geräuschempfindlichen Alten aufgreift. und seine Freunde sorgen dafür, dass die junge
Zweigs Text steht im Kontext einer kleinen Gattin Morosus das Leben zur Hölle macht, damit
Jonson-Renaissance seit Mitte der 1920er Jahre, zu der Neffe ihn retten kann und der Onkel ihm aus
der er 1926 selbst mit seiner freien Übersetzung der Dankbarkeit sein Vermögen überschreibt. Bei Jon-
Komödie Volpone beigetragen hatte. Am Pariser son/Tieck ist die Braut weder Ehefrau noch Ge-
Théâtre de l’Atelier wurde 1925 Marcel Achards liebte des Neffen, sondern sie erscheint als Hure,
Jonson-Adaption La femme silencieuse aufgeführt, die mit dem Neffen, aber auch diversen anderen
mit einer Bühnenmusik von Georges Auric. Diese Personen sexuellen Kontakt hatte, am Ende jedoch
liegt wiederum den Cinq bagatelles pour piano à als Knabe enttarnt wird. Weitere Heiratskandida-
quatre mains: extraites des partitions de »La femme tinnen für Morosus gibt es bei Jonson/Tieck nicht.
silencieuse«, comédie de Ben Jenson [!], adaptée par Einige Szenen übernimmt Zweig aus der Vor-
Marcel Achard et du »Dompteur«, comédie d’Alfred lage, insbesondere die plötzliche Verwandlung der
Savoir (Paris: Heugel 1926) desselben Komponis- schweigsamen Braut in eine Furie sowie die Ge-
250 Opern und Ballette

richtsszene; beide werden allerdings erheblich nern und Frauen aufs Korn: unkonventionelle
verkürzt. Großen Einfallsreichtum beweist der Kommunikationsformen und sexuelle Praktiken,
Librettist dabei, einzelne Motive oder Dialogteile aber auch weibliche Gelehrsamkeit. Dies ist gleich
aus der Vorlage in einen neuen Kontext zu stellen zu Beginn des ersten Akts erkennbar: Ein Knabe
und dadurch ihren dramatischen Sinn zu verän- erzählt von zweifelhaften Spielchen, die die Da-
dern. So wird aus einem ganzen Damenkolleg die men mit ihm treiben, danach wird ein von Damen
Figur der sich als gelehrte Frau ausgebenden »mit rechter Mannsartiger, oder vielmehr Herma-
Isotta, und die zahlreichen über die Komödie phroditischer Autorität« (Tieck, 161) geleitetes
verstreuen misogynen Reden verdichten sich bei Kolleg vorgestellt. Die Pointe besteht darin, dass
Zweig zu einer einzelnen Äußerung, die Henry der Figur der Epicœne am Schluss die Perücke
innerhalb des Spiels im Spiel – also als ›falsche‹ abgenommen wird und sie sich als verkleideter
Aussage – von sich gibt: »Eine Frau, die ihren junger Mann entpuppt. Dadurch sind die männ-
Mann nicht ehrt, gehört zerdroschen wie Häcksel; lichen Figuren blamiert, die sich vorher mit sexu-
ich scheu’ diese Arbeit nicht« (2. Aufzug, Szene 10). ellen Beziehungen zu Epicoene gebrüstet hatten.
Auf der anderen Seite finden sich in Zweigs Text Mit dieser unerwarteten Schlusswendung fällt die
Stellen, die im Vergleich zur Vorlage komplizierter Handlung auf eine andere Ebene der Theatralität.
zu sein scheinen oder dort gar nicht auftauchen. Denn die Überraschung besteht nicht darin, dass
So fehlen bei Jonson/Tieck Liebesszenen zwischen die Figur der Epicœne durch einen Mann darge-
Neffe und Braut – sie würden auch nicht in eine stellt wurde – wie alle Frauenrollen im englischen
Komödie passen, in der die Ehe durchweg negativ Theater dieser Zeit; vielmehr wird durch das Ab-
gewertet wird. Weiterhin gibt Zweig der Braut die legen der Perücke das durch die Theaterpraxis
Gelegenheit, ihre Raserei wesentlich breiter auszu- bedingte reale Geschlecht des männlichen Schau-
spielen. Er belässt es nicht bei dem abrupten (und spielers in die dramatische Fiktion hineingeholt.
von Strauss überaus effektvoll vertonten) Aus- Indem Zweig die Handlung von vornherein in
bruch der Aminta direkt nach der Hochzeit im das Milieu des Theaters versetzt und eine Komödie
zweiten Akt, sondern lässt diese zu Beginn des innerhalb der Komödie einbaut, greift er den As-
dritten Aktes ausgiebig weiter wüten. Diese pekt des Übergangs von Fiktion und Realität auf
scheinbare Verdopplung ist dem Operntext gele- und überführt ihn ins Zentrum der Handlung.
gentlich als dramaturgische Schwäche angekreidet Anders als etwa in Ariadne auf Naxos handelt es
worden, ebenso wie die Szene, in der sich die sich jedoch nicht um ein innerhalb der fiktiven
vermeintlichen Juristen kurz vor Prozessbeginn Handlung gespieltes ›Theater im Theater‹. Der
ihrer Kostüme entledigen und ein Tänzchen ein- ›Zuschauer‹ Morosus merkt gar nicht, dass ihm
schieben. Ihren Sinn entfalten diese Szenen, wenn ›Komödie vorgespielt‹ wird. Er ist vielmehr selbst
man sich den eigentlichen Konflikt der Handlung unfreiwilliger Mitspieler, der freilich als einziger
vergegenwärtigt, in der es nicht um Erbe oder Ehe seine Rolle nicht ablegen kann. Erst als er erkennt,
geht, sondern um die Oper. was passiert ist, versteht er, dass Theater mehr ist
Die Versetzung der Handlung in das Milieu als nur, einem Zuschauer eine Handlung vorzufüh-
der Oper ist die wichtigste Veränderung der Vor- ren: Theater ergreift den ›Adressaten‹ voll und ganz
lage. Jonson zielte in seiner Komödie auf das und verändert ihn. Für diese blitzartige Einsicht
Thema Geschlecht und Geschlechterrollen, wor- steht der Augenblick, in dem der eben noch wut-
auf in aller Eindeutigkeit bereits der Name seiner entbrannte Morosus plötzlich »furchtbar zu lachen
Titelfigur hinweist. Das englische Adjektiv »epi- anfängt«. Er ist nicht mehr in der Lage, seine Ab-
coene« bedeutet ›uneindeutig im Hinblick auf das neigung gegen die Komödianten aufrechtzuerhal-
Geschlecht‹, im biologischen wie im sozialen ten, denn er hat die bildende und verändernde
Sinne; in der Linguistik bezeichnet der Terminus Macht des Theaters am eigenen Leibe erfahren.
»Epizönum« eine Wortklasse, die Lebewesen un- Diese Darlegung des Sinns von Theater wird
abhängig von ihrem Geschlecht bezeichnet. In nun auf das musikalische Theater hin weiterge-
seinem gesellschaftskritischen Drama nimmt führt. Auch dies ist in gewisser Weise bereits in
Jonson normabweichendes Verhalten von Män- Jonsons Vorlage angelegt. Dort allerdings ist die
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 251

Musik, mit der Morosus provoziert wird, einfach hatte, am Morgen erneut zu lärmen anfängt, un-
eine zusätzliche, wenn auch besonders wirkungs- terstützt durch herumpolternde Arbeiter und ei-
volle Lärmquelle. Wenn Zweig nun aus den nen Gesangslehrer (samt Korrepetitor), der Timi-
Komödianten Opernsänger macht, so ermöglicht dia/Aminta eine lange Gesangsstunde erteilt.
dies eine Zuspitzung der Handlung: Der Konflikt Hinzu kommen die erfolglosen Interventionen
in der Schweigsamen Frau ist nicht mehr der kon- der Haushälterin, die den Krach nur noch verstär-
ventionelle Interessenskonflikt um das Erbe, den ken, sowie ein Papagei, der regelmäßig eine Art
man im Theater schon Hunderte von Malen gese- gekrächzten Refrain beisteuert. Es geht jedoch
hen hat, sondern er resultiert aus den Vorausset- nicht allein darum, ein Höllenspektakel zu insze-
zungen, die die Personen mitbringen: diejenigen, nieren und dem Komponisten die Gelegenheit zu
die sich mit Musik und Theater ausdrücken, und geben, Arienbearbeitungen nach Monteverdi und
derjenige, der dafür keinen Sinn hat. Darüber Legrenzi einzubauen. Vielmehr wird misslingende
hinaus jedoch liefert die Transposition ins Opern- Kommunikation dargestellt: Das Durcheinander
milieu dem Komponisten die Vorlage dafür, Sinn kommt einzig dadurch zustande, dass die Perso-
und Potential der Oper zu demonstrieren. nen einander nicht zuhören. Dies wird von Strauss
meisterhaft umgesetzt: Weder inhaltlich noch im
Hinblick auf musikalische Strukturen reagiert ir-
Die Oper als Thema
gendjemand auf das, was die anderen von sich
Der eigentliche dramatische Konflikt der Schweig- geben – und da verhalten sich die Menschen nicht
samen Frau besteht in der gegensätzlichen Sicht anders als der Papagei. Auf die Spitze getrieben
der Protagonisten auf die Oper. Morosus’ Gehör- wird dies dadurch, dass Aminta und Henry mitten
leiden ist nicht einfach eine physiologische Schwä- in diesem Chaos altitalienische Opernduette sin-
che, sondern Symbol: Morosus steht für den gen. Jedes ist ein hinreißendes Beispiel innermusi-
Menschen, der ›kein Ohr‹, keinen Sinn für Musik, kalischer Kommunikation, die sich jedoch allein
Theater und Oper hat und nur »seine Ruhe« will. auf die Singenden beschränkt und ohne jede
Bei seiner ersten Begegnung mit der Operntruppe Wirkung auf die Umgebung bleibt. So versinn-
spricht er sämtliche gängigen Vorurteile gegen- bildlicht die Szene eine Form von Oper, die trotz
über Theater und Oper aus; selbst die immerhin der schönen Musik und der aufgebotenen virtuo-
am renommierten Haymarket Theatre engagier- sen Gesangskunst das Publikum nicht erreicht:
ten Sänger sind für ihn nichts als Komödianten, Niemand hört den Künstlern zu, weil diese sich
Gaukler, Halunken und Dirnen. Es ist diese Ein- ihrerseits nicht für ihr Publikum interessieren.
stellung, aufgrund der er die Oper ablehnt – und Erst mit dieser Szene zu Beginn des dritten
eben dies ist es, was die Operntruppe so sehr Aktes ist der Konflikt auf dem Höhepunkt an-
empört. Den Sängern geht es an keiner Stelle gelangt. Dass sich Morosus bereits am Ende des
um Geld, sondern darum, den »Banausen« Moro- zweiten Aktes mit seinem hilfreich einschreitenden
sus von seiner Opernfeindseligkeit zu »kurieren« Neffen versöhnt hat, ist für die Frage nach dem
(1. Aufzug, letzte Szene). Die Idee dafür, mit wel- Sinn von Oper ohne Bedeutung. Ebenso kann der
chem Mittel dies geschehen kann, kommt aller- Scheidungsprozess wenig bewirken: Ein überzeu-
dings ausgerechnet der einzigen Figur, die sich gender Scheidungsgrund hätte Morosus zwar von
überhaupt nicht für die Oper, sondern nur für das der unerträglichen Gattin befreit, aber er wäre der
Geld interessiert: dem Barbier. Nur er erkennt Alte geblieben, der nicht ›hören‹ kann. Aus diesem
intuitiv das wahre Potenzial von Theater: den Grund muss der vermeintliche Chief-Justice noch
Menschen wirklich zu verändern – auch wenn dies einmal opponieren. Zur Auflösung des Konflikts
für sein Handeln nicht das Motiv abgibt. führt erst die Erkenntnis des Morosus, dass er selbst
Aus dem Grundkonflikt heraus erklären sich zum ›Opfer‹ des Theaters geworden ist, Theater
nicht zuletzt die Szenen, die den Fortgang der also mehr ist als bloßes Spektakel. Die Bedingung
Handlung zu retardieren scheinen. Dies ist zum für diese Erkenntnis ist, dass Theater als solches
einen der Beginn des dritten Akts, in dem die erkennbar wird, indem sich die Komödianten auf
junge Gattin, die in der Nacht bereits geschwiegen offener Bühne ihrer Kostüme entledigen.
252 Opern und Ballette

Flankiert wird der zentrale Konflikt von Refle- Die schweigsame Frau
xionen zum Thema Bühnenfiktion und Wirklich- und die Geschichte der Oper
keit, die die Oper durchziehen. Dies beginnt im Nicht zufällig erinnern diese Übergänge von typen-
ersten Akt, als der Barbier meint, Aminta brauche haften Komödienfiguren in Menschen mit Gefüh-
nicht zu spielen, sondern nur sie selbst zu sein, len an Opern Mozarts, die für Strauss’ Selbstver-
und setzt sich fort in Amintas Zweifeln, ob es ständnis als Opernkomponist von besonderer Be-
richtig ist, mit der Komödie den alten Mann zu deutung waren. Wenn etwa die Spielsituation in
quälen, sowie in Henrys Trostworten für den ver- eine nicht geplante Zuneigung zwischen Aminta
zweifelten Morosus am Ende des zweiten Aktes. und Morosus umschlägt, ist man an Così fan tutte
Dass sich die als Juristen verkleideten Sänger vorm erinnert, ein Werk, das Strauss schon 1910 als Para-
Gerichtsprozess noch einmal kurz aus- und wieder digma für die Verwandlung der Opera buffa in eine
anziehen, verweist wiederum auf das Spiel mit psychologische Kunst lobte (Hottmann 2005, 255).
Fiktion und Realität. Auch beim Scheidungspro- Und wie in Le Nozze di Figaro steht auch in der
zess ist es das Changieren zwischen ›echter‹ Person Schweigsamen Frau eine humanisierende Frauenfi-
und Rolle, das die Pointe bewirkt: Nicht Aminta gur im Mittelpunkt. Strauss selbst zog Figaro zum
lügt, wenn sie beteuert, sie habe immer nur ihrem Vergleich heran, als er sich bei Zweig für den ersten
Mann angehört, sondern nur die von ihr darge- Librettoentwurf mit den Worten bedankte, er sei
stellte Timidia. »entzückend – die geborne komische Oper – eine
Bedingt durch ihre Fähigkeit zu Mitleid und Lustspielidee, den besten ihrer Art an die Seite zu
Liebe fallen Aminta und Henry immer wieder aus stellen – für Musik geeignet wie weder der Figaro
der Rolle. Dies wird primär durch die Musik noch der Barbier von Sevilla« (RSSZ 18).
vermittelt. Vor allem der in den Mitleids- und Dank Zweig konnte Strauss mit der Schweigsa-
Liebesszenen verwendete lyrische Tonfall verweist men Frau eine Oper zum Thema Oper schreiben,
auf die ›echten‹ Menschen, etwa im Dialog die in einer Reihe mit weiteren Projekten zur
zwischen Timidia/Aminta und Morosus in den Realisierung seiner auf die Fortsetzung und Voll-
ersten Momenten nach der Heirat, oder wenn endung der Operngeschichte gerichteten Anliegen
Henry seinen Onkel rettet oder als falscher Zeuge steht. Hier nimmt die Schweigsame Frau den
innerhalb des Gerichtsprozesses eine Liebesarie wichtigen Platz der Komischen Oper ein – ein
für Aminta singt. Solche Humanisierung durch Begriff, den Strauss synonym mit »Buffa« ge-
Musik betrifft insbesondere Morosus, die einzige braucht und der »Strauss als stilistischer Orientie-
Figur, die sich wirklich grundlegend verändert – rungspol beim Versuch, einen Weg ›um Wagner
und zwar nicht nur in seiner Einstellung zur herum‹ zu gehen«, diente (Hottmann 2005, 307).
Oper, sondern auch in seiner Art, sich musika- Die Schweigsame Frau ist als Beitrag zu einer Fort-
lisch auszudrücken. Wird dies schon am Ende des setzung der Geschichte der Komischen Oper
zweiten Akts erkennbar, so zeigt er sich in der konzipiert, wozu sowohl Textdichter als auch
letzten Szene wirklich »kuriert«. Aus dem ver- Komponist beitragen. Zweig formte eine Reihe
stockten Alten, der nichts hört, nichts wahr- von Handlungselementen aus Jonsons Komödie
nimmt außer dem Lärm, den er selber macht zu typischen Buffa-Elementen um: das Motiv des
(1. Aufzug, letzte Szene), ist ein Mensch mit Ge- alten Mannes, der es auf eine junge Frau abgese-
fühlen geworden, der sogar Glück empfinden hen hat und von ihr hinters Licht geführt wird;
kann – und das Wort »glücklich« in einem (für die Verkleidungsszenen, die Gesangstunde und die
seine Verhältnisse) expressiven Melisma aus- Gerichtsszene mit fehlerhaftem Latein. Solche
drückt. Seine Worte am Schluss, »Wie schön ist Szenen können zugleich als Anspielungen auf die
doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie Hauptwerke der Gattung verstanden werden –
vorbei ist!«, bedeuten keineswegs, dass er der Alte neben Figaro und Così fan tutte Pergolesis La Serva
geblieben ist, der Musik nicht hören kann. Sie Padrona, Rossinis Il barbiere di Siviglia, Donizettis
verweisen vielmehr auf die Wirkung der Musik: Don Pasquale und auch Strauss’ Rosenkavalier.
Nach dem Ende der Oper bleibt er als veränderter Aber auch die Musik arbeitet an der histori-
Mensch zurück. schen Verortung. Die Schweigsame Frau ist durch-
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 253

setzt von Zitaten aus Opern, die aufzuzählen denen Morosus eine Vorstellung von zufriedenem
einem Kompendium der Gattungsgeschichte Leben formuliert: in der 2. Szene des ersten Akts,
gleichkäme (Partsch 1983, 202–243; Wolf 2009). in dem er sich das Zusammensein mit einer Le-
In der Gesangsstunde zu Beginn des dritten bensgefährtin vorstellt, im zweiten Akt, als er nach
Akts erklingt ein stark bearbeitetes Duett aus der Hochzeit mit Timidia/Aminta allein ist, bevor
L’incoronazione di Poppea von Claudio Monte- diese sich in eine Furie verwandelt, sowie in der
verdi, dessen Werke in Strauss’ theatergeschichtli- letzten Szene des dritten Akts als Begleitung zum
cher Konzeption den Anfang der Kunstform Oper Ausspruch »Wie schön ist doch die Musik […]«.
markieren (Hottmann 2005, 252). Hier jedoch
steht Monteverdis Musik – zusammen mit dem
Zeit und Ort
folgenden Duett aus Giovanni Legrenzis Eteocle e
Polinice – vor allem für eine sich selbst genügende Ein Bezug zur Geschichte der Oper wird weiter-
Kunstform, die beim Zuhörer nicht ankommt. hin durch Zeit und Ort hergestellt. Zweig verlegt
Meistens jedoch zitiert Strauss lediglich markante Jonsons Komödie ins 18. Jahrhundert und schafft
Motive, die die Handlung oft humoristisch kom- dadurch erst die Möglichkeit, den Stoff ins Milieu
mentieren, etwa die Rheingold-Fanfare zum Text der Oper zu transponieren. Während auf dem
»Aber so lange das Volk Geld in der Tasche hat, Theaterzettel der Uraufführung »um 1780« steht,
will es saufen« (1. Akt, 2. Szene, Zi. 33), ebenso die erschienen Textbuch, Klavierauszug und Partitur
Fragmente aus Verdis Rigoletto und Strauss’ Frau zunächst mit der Angabe »um 1760«, die in noch
ohne Schatten in der dritten Szene des zweiten nicht ausgelieferten Exemplaren mit »etwa 1780«
Akts zur Vorstellung der Sänger der Operntruppe. überklebt wurde – ein Aufwand, den man sich
Besonders aufschlussreich für das operngeschicht- hätte sparen können, wäre die genaue Zeitangabe
liche Konzept des Werks ist die zweite Szene des nicht wichtig gewesen. Womöglich wurde die
ersten Akts, in der sich Morosus über den stän- Handlung bewusst in die Zeit um 1780 verlegt, in
digen Lärm in der Welt beklagt. Hier montiert der die bedeutenden Beiträge Mozarts für die
Strauss eine Reihe von Zitaten aus diversen Opera buffa entstanden. Die Stücke aus dem
Opern – u. a. aus Webers Freischütz, Gounods Fitzwilliam Virginal Book hingegen – eine Anfang
Faust, Mozarts Zauberflöte, Wagners Tannhäuser des 17. Jahrhunderts zusammengestellte Tasten-
und Nesslers Trompeter von Säckingen – an- und musik-Anthologie, die lange unter dem Titel
übereinander. Damit lässt er das Opernpublikum »Queen Elizabeth’s Virginal Book« bekannt war
die Oper mit den Ohren des Morosus hören: als und 1899 neu ediert wurde – stellen eine Verbin-
sinnlosen Lärm, beim dem es keinen Unterschied dung zu der Zeit von Ben Jonson her.
macht, ob es sich um Werke Mozarts und Wag- London als Ort (bzw. bei Zweig/Strauss ein
ners oder um den von Strauss verachteten Trompe- Vorort von London) ist nicht lediglich ein Relikt
ter von Säckingen handelt. aus Jonsons Vorlage, sondern wurde bewusst
Mit Zitaten, die nicht aus Opern stammen, beibehalten. So informierte der Kostümbildner
nämlich Stücken aus dem Fitzwilliam Virginal der Uraufführung, Leonhard Fanto, Strauss im
Book, wird der Auftritt von Vanuzzi und Morbio Juli 1934 über Anweisungen Zweigs, die auf die
als Priester und Notar in der Hochzeitsszene Atmosphäre Englands im späten 18. Jahrhunderts
(2. Akt, 6. Szene) begleitet. Auch die Gesänge von zielten: »Ihm schwebt das England der Handels-
Carlotta und Isotta am Ende des ersten Aufzugs zeit, d. i. die Regierungszeit Georg III. vor
(»Ich würde lachen von früh bis spät« bzw. »Ich [1760–1820, R.G.]. […] Rowlandson’s ›Vauxhall
würde singen von früh bis spät«) lassen sich auf Gardens‹ gibt Ihnen ein anschauliches Bild der
ein Stück aus dieser Quelle zurückführen, Sel- Kostüme dieser Epoche, die auf dem Theater fast
linger’s Round von William Byrd. Eine besondere noch nie gesehen wurden« (RSSZ 177). Strauss
Rolle spielt außerdem der Anfang des damals wie und Zweig erhofften sich sicher nicht nur beson-
heute populären Liedes »Freut euch des Lebens« dere Erfolge für das geplante Gastspiel der Dresd-
von Hans Georg Nägeli, das in diversen Verarbei- ner Oper in London. Vielmehr gab es auch in-
tungsformen leitmotivisch die Stellen markiert, an haltliche Gründe, an London festzuhalten. Denn
254 Opern und Ballette

als Heimatort des Musikfeindes Morosus eignet teln war auch der Grund dafür, dass Goebbels, der
sich die Hauptstadt eines Landes, das in Strauss’ seine Teilnahme bereits zugesagt hatte, und Hitler,
und Zweigs Epoche als musikalisch rückständig der dies zumindest in Aussicht gestellt hatte, der
galt, bestens. In aller Munde war die Formulie- Uraufführung fernblieben.
rung von England als dem »Land ohne Musik« – Am 26. Juni wurde die Aufführung wiederholt,
so der Titel eines 1904 erschienenen Buches von die dritte und letzte Aufführung fand am 8. Juli
dem seinerzeit viel gelesenen Schriftsteller Oscar statt. Ursprünglich sollte sie deutschlandweit im
A. H. Schmitz, der damit ein bereits zuvor in Rundfunk übertragen werden; Zweig zufolge war
Deutschland verbreitetes Klischee auf den Punkt sie jedoch nur über den Sender Leipzig zu hören,
brachte: »Die Engländer sind das einzige Kultur- wobei die Senderleistung besonders schwach gehal-
volk ohne eigene Musik (Gassenhauer ausgenom- ten worden sei (JGSZ 235, Fn. 76). Dies erklärt
men). Das heißt nicht bloß, daß sie weniger feine sich womöglich dadurch, dass soeben Strauss’
Ohren haben, sondern daß ihr ganzes Leben är- Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer
mer ist« (Schmitz 1914, 30). Diese Sätze könnten bekannt geworden war. Im Anschluss wurde die
geradezu als Charakterisierung des Morosus nie- Oper vom Dresdner Spielplan abgesetzt; vor 1945
dergeschrieben worden sein, dem die »feinen fanden keine weiteren Aufführungen in Deutsch-
Ohren« ebenso fehlen wie die Fähigkeit, Wohl- land statt (bei der oft angegebenen Anzahl von vier
klang zu ertragen. Aufführungen wird anscheinend die öffentliche
Generalprobe mitgezählt). Auch das für November
1934 geplante Londoner Gastspiel des Dresdner
Ensembles, für das Goebbels bereits einen Reichs-
Wirkung zuschuss zugesagt hatte, kam nicht zustande.
1936 folgten Erstaufführungen in Österreich
Die Dresdner Uraufführung der Schweigsamen (Graz; Leitung: Karl Rankl), Italien (Mailand, in
Frau am 24. Juni 1935 leitete Karl Böhm, Regie italienischer Sprache; Leitung: Gino Marinuzzi)
führte Josef Gielen, als Sänger wirkten u. a. Fried- und der Schweiz (Zürich; Leitung: Robert Denz-
rich Plaschke (Sir Morosus), Martin Kremer ler). 1937 folgten Prag (Leitung: Georg Szell), 1938
(Henry Morosus), Maria Cebotari (Aminta), Troppau (Tschechoslowakei) und Rom, 1942 er-
Mathieu Ahlersmeyer (Barbier), Helene Jung neut Zürich. Um eine Aufführung in Wien be-
(Haushälterin) mit. Zweig zufolge fiel der Erfolg mühte sich Zweig 1935 vergeblich; es wurden
nicht ganz so glänzend aus wie erhofft: »Mein lediglich am 15. Dezember 1935 innerhalb eines
hiesiger Gewährsmann findet die Arbeit sehr von der Wiener Richard-Strauss-Gemeinde veran-
schön, fand nur, daß sie unter der afrikanischen stalteten Einführungsabends Auszüge vorgetragen.
Hitze sehr litt. Nach jedem Akt liefen die Leute Auch eine für Herbst 1937 geplante (oder zumin-
schweißüberströmt heraus um etwas zu trinken dest von Strauss gewünschte) Wiener Inszenierung
statt zu applaudieren. Auch hat die Halsstarrig- kam nicht zustande. Hierfür waren womöglich
keit von S[trauss] geschadet, der sich bisher wei- politische Gründe maßgeblich; Strauss wurde in
gerte, irgendwelche Kürzungen vorzunehmen, Österreich vielfach als Repräsentant des national-
(die Partitur ist dicker als die der Meistersinger)« sozialistischen Deutschland betrachtet (JGSZ 291
(JGSZ 230 f.). und 298 f.). Die Wiener Erstaufführung ging erst
Die Presse urteilte überaus positiv, der Anteil 1968 unter Silvio Varviso und der Inszenierung
Zweigs jedoch wurde auffällig marginalisiert: In von Hans Hotter über die Bühne.
den Tageszeitungen fehlt sein Name entweder Die erste Inszenierung in Deutschland nach
ganz oder er wird lediglich als »Bearbeiter« des Kriegsende war am 23. November 1946 in Dres-
Jonson-Textes behandelt. Zugleich wird oft die den im Kleinen Haus zu sehen, 1947 und 1948
Qualität des Librettos in Zweifel gezogen und für folgten Bielefeld, München, Wiesbaden und
dramatische Schwächen der Oper verantwortlich Köln, 1954 die Komische Oper Berlin mit einer
gemacht. Die schwelende Kontroverse um die Inszenierung von Walter Felsenstein. Seit dieser
Erwähnung des Librettisten auf den Theaterzet- Zeit fand die Oper internationale Beachtung,
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 255

allerdings überwiegend im deutschsprachigen


Ausland, vor allem in Wien und Salzburg (Fest-
Friedenstag
spiele 1959 unter Karl Böhm/Günther Rennert). Oper in einem Aufzug op. 81 TrV 271
In Prag wurde die Oper 1956, in New York (City
Opera) 1958, in Buenos Aires (Teatro Colon, Entstehungszeit: Frühjahr/Sommer 1935 (Text);
Leitung: Heinz Wallberg) und London 1961 Sommer 1935 bis Juni 1936 (Musik)
(Covent Garden, Leitung: Rudolf Kempe) erst- Text: Joseph Gregor (unter Mitarbeit von Stefan
mals aufgeführt, während die französische Erst- Zweig)
aufführung erst 1976 in Paris (konzertant), die Uraufführung: Nationaltheater München, 24. Juli
ungarische 1977 in Budapest, 1999 die japanische 1938
in Tokio (konzertant) und die dänische 2000 in Personen: Kommandant der belagerten Stadt (Ba-
Århus über die Bühne ging. Bis heute zählt das riton); Maria, sein Weib (Sopran); Besatzung:
ambitionierte Werk zu den vergleichsweise selten Wachtmeister (Bass), Schütze (Tenor), Konstabel
inszenierten Werken von Strauss. Zu prominen- (Bariton), Musketier (Bass), Hornist (Bass), Offi-
ten Sängern der Titelpartie zählen u. a. Hans zier (Bariton), Frontoffizier (Bariton); ein Piemon-
Hotter, Oskar Czerwenka, Theo Adam, Kurt teser (Tenor); der Holsteiner, Kommandant der
Böhme und Kurt Moll. Belagerungsarmee (Bass); aus der belagerten Stadt:
Der südafrikanische Autor Ronald Harwood Bürgermeister (Tenor), Prälat (Bariton), Frau aus
(bekannt durch das Drehbuch zu The Pianist, dem Volke (Sopran); Soldaten des Kommandan-
2002) verarbeitet in seinem Theaterstück Collabo- ten der belagerten Stadt und des Holsteiners,
ration die Geschichte um die Zusammenarbeit Stadtobere und Frauen aus der Deputation an den
von Strauss und Zweig und die Umstände der Kommandanten, Volk
Uraufführung der Schweigsamen Frau. Das Stück Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen,
wurde 2008 in Chichester uraufgeführt, die deut- Englischhorn, Klarinette in C, 2 Klarinetten in B,
sche Erstaufführung in der Übersetzung durch Bassklarinette in B, 3 Fagotte, Kontrafagott,
Max Faber folgte am 16. April 2009 im Ernst- 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba,
Deutsch-Theater Hamburg. Pauken, Schlagzeug (Große Trommel, Kleine
Militärtrommel, große Rührtrommel, Tamtam),
16 erste Violinen, 16 zweite Violinen, 12 Violen,
10 Violoncelli, 8 Kontrabässe. Bühnenmusik:
Diskographischer Hinweis Orgel, Signaltrompeten, Glocken
Spieldauer: ca. 1 Stunde, 20 Minuten
i Hans Hotter (Sir Morosus), Fritz Wunderlich Autograph: Richard-Strauss-Archiv Garmisch
(Henry Morosus), Hilde Güden (Aminta), Her- Ausgaben: Partitur, Berlin o. J. [1938]: Johannes
mann Prey (Barbier), Georgine von Milinkovic Oertel, seit 1961 Mainz: Schott, Nr. 8360; Text-
(Haushälterin), Chor der Wiener Staatsoper, buch: ebd., Nr. 8365; Klavierauszug von Ernst
Wiener Philharmoniker, Karl Böhm (1954), Deut- Gernot Klussmann: ebd., Neudruck 1983 u. 1990;
sche Grammophon DG 445 335–2 Studienpartitur: Werke Bd. 15
i Theo Adam (Sir Morosus), Eberhard Büchner
(Henry Morosus), Jeanette Scovotti (Aminta),
Wolfgang Schöne (Barbier), Annelies Burmeister
(Haushälterin), Chor der Staatsoper Dresden, Entstehung
Staatskapelle Dresden, Marek Janowski (1977),
EMI 7243 5 66033 2 5 Die Vorarbeiten zu Friedenstag fallen in die Zeit,
in der sich Zweig aus der Zusammenarbeit mit
Strauss zurückzog und Joseph Gregor als Librettis-
ten installierte. Letzterer führte die Dichtung aus,
während die konzeptionellen Überlegungen von
den beiden Dichtern sowie dem Komponisten
256 Opern und Ballette

gemeinsam entwickelt wurden. Hier kam Zweig vereinbarte er mit Zweig, seine Libretto-Arbeiten
ein erheblicher Anteil zu. künftig grundsätzlich mit ihm abzustimmen:
Seit Anfang 1933 war die gemeinsame Arbeit an »[…] ich sehe mich in der ganzen Sache nur als
der Schweigsamen Frau durch die politische Situa- Vollstrecker Deines Willens an« (JGSZ 219 f.).
tion überschattet. War Strauss unbedingt gewillt, Strauss indessen forderte immer wieder von
die Zusammenarbeit fortzusetzen, begann Zweig Zweig, die Arbeit alleine durchzuführen: »Je mehr
zu Beginn des folgenden Jahres, sich von Strauss ich über 1648 nachdenke, desto schöner erscheint
zu distanzieren. Dennoch beteiligte er sich zunächst mir der Stoff und ich bitte Sie dringend, mir den-
an Überlegungen zu weiteren Opernstoffen, unter selben baldigst (aber ohne Gregor und unter eige-
denen eine mit einem ernsthaften ›heroischen‹ nem Namen und eigener Verantwortung) aus-
Stoff sein sollte. Strauss’ erste Idee war ein Fest- zuarbeiten« (29.6.1935; RSSZ 146 f.). Nachdem
spiel zum Thema Konstanzer Frieden. Zweig Zweig einen Entwurf mit der Überschrift »Letzter
schlug im Juni 1934 vor, die Jüdin von Toledo von Tag des dreißigjährigen Krieges« an Gregor ge-
Franz Grillparzer (nach Lope de Vega, 1851/72) in sandt hatte (JGSZ 231–234), kam es am 7. Juli 1935
ein anderes Milieu zu transponieren (RSSZ 65). in Berchtesgaden zu einer Aussprache zwischen
Zwei Monate später legte er ein Konzept zum Strauss und Gregor »über all die künstlerischen
Stoff des Westfälischen Friedens 1648 vor, das die und persönlichen Fragen, die zwischen uns
äußere Handlung bereits weitgehend so skizziert, ›dreien‹ geklärt werden müssen« (29.6.1935; RSJG
wie sie später in Friedenstag ausgeführt wurde. 29). Dass Strauss sich zu der Entscheidung durch-
Strauss’ Bitte, den »Festspielentwurf« auszuarbei- ringen konnte, Gregor die Arbeit am Libretto
ten (RSSZ 78), beantwortete Zweig allerdings mit anzuvertrauen, dürfte mit einer Veränderung der
Vorschlägen zu anderen Librettisten und Stoffen. politischen Situation zu tun haben: Am Tag zuvor
So legte er Strauss im September 1934 nahe, ge- hatte er seinen Rücktritt als Präsident der Reichs-
meinsam mit dem Schweizer Dichter Robert Faesi musikkammer einreichen müssen, weshalb die
eine Oper nach dessen Drama Opferspiel (1925) zu Kooperation mit Zweig endgültig unmöglich ge-
schreiben, ein »dramatisches Spiel festlichen Cha- worden war.
rakters« (RSSZ 80 f.) zum Stoff »Die Bürger von In »strenger Gemeinsamkeit mit dem Meister,
Calais« (der übrigens fünf Jahre später von Caspar in einem schönen Turmzimmer seines Landhauses
Neher und Rudolf Wagner-Régeny zu einer Oper in Garmisch« arbeitete Gregor im Sommer und
ausgearbeitet werden sollte). Einige Monate da- Herbst 1935 am Text von Friedenstag (Gregor 1939,
nach empfahl er Alexander Lernet-Holenia, der 247), während Strauss mit der Komposition be-
besonders »für eine Dichtung hohen Stiles« in gann, die er am 16. Juni 1936 als beendet meldete.
Frage komme (RSSZ 105); am 26. April 1935 In seiner Strauss-Monographie berichtet Gregor
brachte er schließlich den mit ihm befreundeten detailliert über die Arbeit, etwa an der Form des
Theaterwissenschaftler und Dichter Joseph Gre- Maria-Monologs und an sprachlichen Details, die
gor ins Gespräch, der die in dieser Zeit unter dem durch Strauss’ musikalische Vorstellungen bedingt
Arbeitstitel »1648« firmierende Oper (und weitere waren (Gregor 1939, 248 ff.). Während hier die
Libretti) ausarbeiten könne. Auf diesen Vorschlag Zusammenarbeit als sehr glücklich geschildert
ließ Strauss sich ein, bestand allerdings weiterhin wird, geht aus der Korrespondenz hervor, wie
auf der Mitarbeit Zweigs. unzufrieden Strauss immer wieder über Gregors
Gregor begann Anfang Mai 1935 hoch moti- Text war. Auf Bitten Gregors beteiligte sich Zweig
viert mit Textentwürfen, um jedoch bald festzu- an der Erstellung des Librettos, insbesondere an
stellen, dass der Komponist nur ein mäßiges der Szene, in der sich die beiden Kommandanten
Interesse an seiner Mitarbeit hatte und sich auf begegnen. Die für die Dramaturgie wichtige Idee,
seine Vorschläge kaum einzulassen bereit war. den Piemonteser ein italienisches Lied singen zu
Bitter beklagte Gregor sich am 27. Mai 1935 bei lassen, geht indessen auf Gregor zurück; Zweig
Zweig darüber, dass Strauss an seinem Entwurf zu lobte die »Szene mit dem piemontesischen Solda-
einer Semiramis-Oper genau das kritisiere, was er ten« als »durchaus musikalisch gemacht« (JGSZ
zuvor selbst vorgeschlagen hatte. Als Konsequenz 239).
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 257

Für die Konzeption von Friedenstag nicht ohne Von draußen hört man eine sich nähernde
Bedeutung ist die Tatsache, dass das Werk ur- Volksmenge rufen: »Hunger! Brot!« Der Wacht-
sprünglich gemeinsam mit dem Einakter Daphne meister berichtet, dass zwei- bis dreitausend Leute
für einen Opernabend gedacht war, wobei Frie- das Festungstor stürmen. In Begleitung eines Offi-
denstag auf Daphne folgen sollte. Die Hinter- ziers betritt eine Deputation aus der Stadt – Bür-
gründe für den Entschluss, Friedenstag bereits germeister, Prälat, Stadtobere und einige Frauen,
im Rahmen der Münchner Opernfestspiele am allesamt halb verhungert – den Saal und verlangt
24. Juli 1938 aufzuführen, sind nicht vollständig die Kapitulation der belagerten Stadt. Ein verwun-
geklärt; deutlich ist jedoch, dass die separate Auf- deter Frontoffizier bittet den Kommandanten, der
führung eine Ausnahme bleiben sollte, »durch die kampfunfähigen Armee die unter der Zitadelle
eigentümlichsten Umstände bedingt« (RSJG 88). gelagerten Munitionsvorräte zur Verfügung zu
Die Münchner Premiere änderte nichts an der stellen. Der Kommandant lehnt all dies scharf ab:
ursprünglichen Planung, beide Werke nacheinan- Die Übergabe wäre Ausdruck von Feigheit und der
der am 15. Oktober 1938 in Dresden (ur-)aufzu- Kaiser verlange, die Stadt um jeden Preis zu halten.
führen. Weil einige andere Theater gleichwohl Seine Ehre gebiete, das Gebot des Kaisers zu befol-
beide Opern getrennt aufführen wollten, dachte gen. Er verspricht den verzweifelten Stadtbewoh-
Strauss mit Gregor über andere Stücke nach, vor- nern, scheinbar einlenkend, bis zum Mittag ein
zugsweise Ballette, die Friedenstag und Daphne Zeichen zu senden; dann könnten die Tore geöff-
jeweils zu einem vollen Abend ergänzen würden. net werden. Die Stadtbewohner danken dem
Gregor bot einen Entwurf auf der Basis von Goe- Kommandanten dafür, dass er ihnen – wie sie
thes Nausikaa-Fragment an und versprach weitere meinen – Hoffnung auf Frieden macht. Nach ih-
Entwürfe, »einen calderonischen, und ev. einen rem Abgang stellt der Kommandant klar, dass er
dritten nordischen« (JGSZ 137). Zur Ausführung mitnichten an eine Übergabe denkt, denn ein sol-
kam es jedoch nicht. cher Frieden wäre mit Schande erkauft. Er sehe im
Gewidmet ist die Oper Viorica Ursuleac, die in Überleben nicht den höchsten Wert und werde die
der Uraufführung die Rolle der Maria sang, sowie Zitadelle in die Luft sprengen. Den Mitgliedern
ihrem Mann und Strauss’ Freund Clemens Krauss, seiner Truppe stellt er frei, die Festung zu verlassen;
dem Dirigenten der Uraufführung. fast alle versprechen jedoch, ihn in den Tod zu
begleiten. Um die Sprengung vorzubereiten, ver-
lassen sie mit dem Kommandanten den Saal.
Maria betritt den leeren Raum. In einem lan-
Handlung gen Monolog denkt sie über ihre eigene Rolle im
Krieg nach: Sie habe die Soldaten wie die Stadt-
Ort: In der Zitadelle einer belagerten Stadt. bewohner zum Lächeln gebracht, niemals jedoch
Zeit: 24. Oktober 1648 ihren geliebten Mann, den Kommandanten – seit
der Hochzeit, als sie ihn auf Knien gebeten habe,
Im Halbdunkel der ersten Morgendämmerung im Krieg bei ihm bleiben zu dürfen. In dem mitt-
sieht man die Mitglieder der Wache in einem Saal lerweile über der Stadt und den Schlachtfeldern
sitzen, dazwischen einen jungen Mann aus Pie- liegenden Sonnenschein erblickt sie ein Zeichen
mont, der im Halbschlaf ein italienisches Lied der Hoffnung auf Frieden. Der Kommandant
singt. Ein Schütze erklärt, der Piemonteser sei in kommt hinzu und fordert sie auf, die Zitadelle zu
der Nacht mit einem Brief des Kaisers angekom- verlassen. Sie jedoch ruft die Sonne an, die ihr
men, nachdem er sich durch die Belagerungsar- Kraft geben werde, ihrem Mann in den Tod zu
mee des Holsteiners geschlichen habe. Die Wach- folgen. Er erinnert an sein Versprechen, dem Kai-
leute wundern sich über den Inhalt des Liedes, das ser unter allen Umständen treu zu bleiben; es zu
von Dingen handelt, die sie nach dreißig Jahren halten, sei eine Frage der Ehre. Diese sei für ihn
Krieg nicht mehr kennen: Gärten, Wein, Liebe, das höchste, für sie hingegen ein furchtbares Ge-
Frieden. Sie putzen ihre Waffen und singen ein bot; sie verabscheut den Krieg als furchtbaren
Kriegslied. Würger, er preist ihn als herrlichen Gedanken.
258 Opern und Ballette

Beide vereinigen sich in den Worten: »Geliebte(r), gendeiner Form verbunden ist« (RSSZ 58). Das
ich komme, mit dir zu sterben.« Thema Frieden wurde anhand verschiedener Stoffe
Die Soldaten sind in den Saal zurückgekehrt. durchgespielt. Zunächst erwog Strauss ein Fest-
Schritt für Schritt geht der Wachtmeister mit der spiel zur Konstanzer Reichsversammlung 1043 und
brennenden Lunte die Treppe in den Munitions- den Friedensmahnungen Heinrichs III. (RSSZ 59).
keller hinab. Eine Zeitlang herrscht tiefe Stille. Ob auch der Konstanzer Friedensschluss zwischen
Plötzlich ist von ferne ein Kanonenschuss zu hö- Friedrich I. Barbarossa und dem lombardischen
ren. In der Annahme, dies sei das ersehnte Zeichen Städtebund 1183 erwogen wurde, wie Gregor an-
zum Kampf, tritt der Kommandant aufgeregt gibt, ist unklar. Möglicherweise hat er den Stoff
die Lunte aus und befiehlt die Soldaten auf ihre aus der Erinnerung falsch zugeordnet, weil Strauss
Posten. Durch die Scharten ist jedoch kein Anzei- selbst für die Reichsversammlung 1043 den übli-
chen eines Angriffs zu sehen. Es wird wieder still. cherweise für das Ereignis von 1183 verwendeten
Da hört man von ferne eine Glocke läuten. Maria Begriff »Constanzer Frieden« gebrauchte. Interes-
reagiert als erste, sie deutet das Glockengeläut als sant ist Gregors Kommentar zu Strauss’ Entschei-
Zeichen des Friedens. Weitere Glocken fallen ein. dung für den Westfälischen Frieden – »weniger aus
Der Schütze sieht Truppen mit geschmückten dem Grunde, weil man sich hier wieder in der
Standarten und weißen Fahnen herankommen, er Barocke [!] befand, sondern aus der Tatsache eines
berichtet, dass die Soldaten des eigenen Heers und deutschen Friedens« (Gregor 1939, 240). Das ist
die des Feindes einander umarmen. Stadtbewoh- sicherlich nicht als politisches Statement im Sinne
ner treten auf und preisen das Wunder des Frie- der NS-Ideologie zu lesen, sondern dürfte wie
dens, die Soldaten schließen sich an. Nur der Zweigs oben zitierte Aussage pragmatisch moti-
Kommandant stimmt nicht mit ein, er hält die viert gewesen sein: Um den Erfolg des Werkes zu
Friedenszeichen für eine List des Feindes. Sein sichern und Strauss’ durch die Zusammenarbeit
Gegner, der Holsteiner, naht mit seinen Truppen mit Zweig beschädigtes Ansehen aufzupolieren,
und berichtet vom Münsteraner Friedensschluss. kam man den Erwartungen des Regimes bzw. der
Noch immer kann der Kommandant nicht an den allgemeinen Stimmungslage entgegen.
Frieden glauben, er beschimpft den Holsteiner, Der Westfälische Frieden spielte im NS-Ge-
fast kommt es zum Schwertduell. Maria geht da- schichtsbild eine wichtige Rolle. Gerne wurde er
zwischen und versucht ihren Mann dazu zu brin- mit dem im nationalen Jargon so genannten »Ver-
gen, an den Frieden zu glauben. Der Komman- sailler Schandfrieden« gleichgesetzt, bei dem wie
dant kämpft mit sich. Plötzlich wirft er das damals das Deutsche Reich eines großen Teils
Schwert davon, er und der Holsteiner sinken ein- seines ›Volksbodens‹ beraubt worden sei. Galt das
ander in die Arme. Ein ausgedehnter Schlusschor eine Ereignis als Ende des »Ersten«, so das andere
besingt Frieden, Vertrauen und Liebe. als Ende des »Zweiten« Deutschen Reiches (Leh-
mann 2004, 11 f.). Von einer solchen Deutung des
Stoffes findet sich freilich im Libretto der Oper
keine Spur. Hier liegt der Akzent weder auf dem
Kommentar politischen Konflikt noch auf den Auswirkungen
des Friedensvertrags, sondern es geht um die
Die Stoffwahl und das Thema Frieden Frage, ob und in welcher Situation Frieden und
Für die Wahl von Friedenstag waren zwei Überle- Krieg möglich und gerechtfertigt sind.
gungen maßgeblich: Der Stoff sollte einen natio- Nachweislich von großer Bedeutung für die
nalen Akzent besitzen und sich auf ein historisches Konzeption der Oper war das Gemälde Las lanzas
Ereignis zum Thema Frieden beziehen. Ausgerech- o La rendición de Breda von Diego Velázquez, das
net Stefan Zweig, erklärter Gegner und Opfer des Strauss wahrscheinlich von einem Besuch im Prado
Nationalsozialismus, war es, der Strauss Anfang in Madrid 1898 her kannte. Welche Rolle darüber
1934 zu einem national konnotierten Stück riet: hinaus das Drama La redención de Breda von Pedro
»[…] auch glaube ich, daß man gerade jetzt von Calderón de la Barca spielte, ist schwer zu sagen.
Ihnen etwas erwartet, was dem Deutschen in ir- Gregor befasst sich in seiner Weltgeschichte des
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 259

Theaters (Gregor 1933) – die sowohl Strauss als zwei deutsche Kommandanten gegenüber, eine
auch Zweig intensiv gelesen hatten – mit dem Akzentverschiebung in Richtung auf eine inter-
Drama und erwähnt in diesem Zusammenhang nationale Konfliktsituation wird nicht riskiert.
das Gemälde. Zwischen dem Drama und der Oper Zweifellos unbeabsichtigt begeben sich die Text-
gibt es jedoch keine Bezüge, die sich nicht über die dichter damit jedoch auch in die Nähe national-
Tatsache erklären ließen, dass Velazquez durch sozialistischer Geschichtswerke, in denen dem
Calderóns zehn Jahre älteres Drama angeregt schwedischen König Gustav Adolf gerne eine
wurde. Das 1635 entstandene Gemälde schildert deutsche Abstammung angedichtet wird.
eine Situation aus dem siebzigjährigen Krieg: Nach Der auf Mentalität zielende Begriff von Frie-
fast einem Jahr Belagerung der Stadt Breda über- den, der die endgültige Konzeption der Oper
reicht der Kommandant der niederländischen Ar- prägt, schälte sich jedoch erst im Verlauf der
mee im Juni 1625 dem spanischen Kommandanten Arbeit heraus. Zu Beginn richteten sich Zweigs
Spinola demütig die Stadtschlüssel; Spinola jedoch Vorstellungen eher auf den dem Frieden folgenden
kommt dem Niederländer freundschaftlich entge- Wiederaufbau und die dazu notwendige Gemein-
gen und richtet ihn auf. Der Deutungstradition schaft der Bevölkerung (Zweig an Strauss,
des Velazquez-Bildes zufolge drückt hier der Sieger 21.8.1934; RSSZ 76). Dabei setzt er sich auch mit
seinen Respekt vor dem Durchhaltewillen und der der möglichen Etikettierung dieses Gedankens als
Tapferkeit des unterlegenen Kommandanten aus. pazifistisch auseinander: »Nun kann man die Idee
Dieses Motiv des gegenseitigen Respekts wird von des Völkerfriedens, wenn man will, verächtlich
Zweig und Gregor bei ihrer Übertragung auf das pacifistisch nennen, aber hier scheint sie mir doch
Ende des Dreißigjährigen Krieges zugespitzt: In ganz an das heroische [!] gebunden« (ebd.). Hier
Friedenstag gibt es – übrigens entgegen den ersten wird ein deutlich negativ konnotierter Begriff des
Konzepten – weder Sieger noch Besiegte. War nach Pazifismus vorausgesetzt, von dem der des »Völ-
der Belagerung von Breda der Besiegte bereits kerfriedens« zu unterscheiden ist. Dies entspricht
entwaffnet, so dass Großzügigkeit dem Sieger dem Sprachgebrauch der Zeit. Pazifismus steht
wohlfeil war, so ist in Friedenstag die Bereitschaft, generell für einen politischen Begriff, der von der
auf Gewalt zu verzichten, zu einer Entscheidung Friedensbewegung um Bertha von Suttner im
geworden, die ausschließlich aus der inneren Ein- Vorfeld des Ersten Weltkriegs geprägt wurde. Der
stellung heraus erfolgt und von den letzten Resten politischen Linken zugerechnet, wurde der Pazifis-
äußerer Einflüsse befreit ist. mus in der Weimarer Republik von konservativen
Mit Katharina Hottmann lässt sich der hier wie national gesonnenen Kreisen für die Nieder-
geltende Friedensbegriff auf die Interpretation des lage Deutschlands mitverantwortlich gemacht,
Westfälischen Friedens durch den Philosophen und in der NS-Zeit wurden seine Anhänger scharf
Leopold Ziegler (1881–1958) zurückführen. Zieg- verfolgt. Das bedeutet allerdings nicht, dass Frie-
lers Thema ist nicht das friedliche Zusammen- den kein Ideal dargestellt hätte; im Gegenteil war
leben gleichberechtigter und selbstbestimmter Friedenspropaganda ein wichtiges Instrument
Völker, sondern die Einheit des Heiligen Römi- nationalsozialistischer Politik (vgl. etwa die soge-
schen Reiches Deutscher Nation. Diese kann nannte Friedensrede Hitlers vom 21. Mai 1935).
nicht durch Gewalt und Befehl hergestellt werden; Eine positive Darstellung des Friedens ist per se
sie bedarf vielmehr einer friedlichen Grundein- weder pazifistisch im Sinne der politischen Frie-
stellung, die vom Herrscher vorgelebt werden densbewegung, noch bedeutet sie Kritik an natio-
muss. Ein solchermaßen von innen geeintes Reich nalsozialistischen Positionen.
legitimiert die Führungsrolle der Deutschen in Vielleicht eher als Fußnote zu vermerken ist,
Europa (Hottmann 2005, 588). Um diesen Frie- dass Strauss während der Vorüberlegungen zu
densbegriff in der Oper darzustellen, war es sinn- Friedenstag noch einen anderen Stoff ins Gespräch
voll, die Handlung komplett ›einzudeutschen‹. So brachte, den er in Gregors Weltgeschichte des Thea-
ist der gegnerische Kommandant im Friedenstag ters gefunden hatte: eine dem Kardinal Richelieu
kein Schwede, sondern (historisch unplausibel) zugeschriebene »Comédie héroïque« Europe (die
ein »Holsteiner«. In der Oper stehen sich damit wahrscheinlich von einem Vertrauten Richelieus,
260 Opern und Ballette

Jean Desmarets de Saint-Sorlin, stammt). Strauss Nebenfigur, die ein »lyrisches Element« (RSSZ 75)
bemerkte, »es wäre doch ein weltgeschichtlicher hineinbringt, indem sie sich entscheidet, gemein-
Witz, dieses Stück jetzt im Berliner Staatstheater sam mit ihrem Mann zu sterben. Den Gang der
aufführen zu lassen« (Brief an Zweig, 21.12.1934; Handlung beeinflusst sie nicht. Die abschließende
RSSZ 89, Hervorh. im Orig.). In der Tat wäre dies Chorszene bringt einen Aspekt ins Spiel, der in
politisch brisant gewesen, denn die Komödie en- der Endfassung entfallen wird: Nach dem Frie-
det mit einer Annäherung von Deutschland und densschluss muss alles wieder aufgebaut werden,
Frankreich, als dessen Führer Richelieu galt, was was durch den Krieg zerstört wurde; besungen
sich mit dem nationalsozialistischen Geschichts- wird die Gemeinschaft, durch die dies möglich
bild kaum hätte vereinbaren lassen, in dem die wird. In der Endfassung wird zwar der Aspekt
Rolle Frankreichs als feindliche Nation stark Gemeinschaft nicht bedeutungslos sein, aber sie
überzeichnet wurde (Lehmann 2004, 83). Indes- wird dort eher gezeigt (indem alle Personen ge-
sen zeigt Strauss’ Bemerkung – selbst wenn sie meinsam als Chor auftreten) denn explizit besun-
scherzhaft gemeint war –, wie sehr sich die Betei- gen, und der Text ruft nicht zum Handeln auf,
ligten der politischen Dimensionen ihres künstle- sondern zur Veränderung von Einstellungen:
rischen Handelns bewusst waren. Dies wird auch »Wagt es zu denken, wagt zu vertrauen.«
an einer Bemerkung Gregors sichtbar, als er am Das nächste Stadium des Werks geht auf
26. Juni 1936 Strauss zur Vollendung der musika- Strauss selbst zurück und verfällt quasi ins Gegen-
lischen Arbeit mit den Worten gratuliert: »Wenn teil, indem der politisch-weltanschauliche Stoff
man Europa ansieht, wird das Stück immer sym- auf ein privates Liebesdrama reduziert wird.
bolischer […]« (RSJG 68). Strauss stellt sich eine »Liebesaffäre« zwischen der
Frau des Kommandanten und einem Leutnant
vor. Die beiden haben einander ihre Liebe noch
Zur Herausbildung des
nicht erklärt, die Frau wird sich ihrer gerade erst
musikalisch-dramatischen Konzepts
bewusst. Als die Festung gesprengt werden soll,
Aufschlussreich im Hinblick auf Konzept und beschwört sie den Leutnant zu fliehen, entsagt
Aussage der Oper ist ihre Entwicklung von den aber selbst seiner und steht treu zu ihrem Mann,
Frühstadien bis zur Endversion. Rein äußerlich der seinerseits längst ahnt, dass seine Frau den
betrachtet entspricht der Verlauf der Handlung Leutnant liebt. Dass sie dennoch mit ihm in der
bereits im ersten Entwurf Zweigs (weitgehend) Zitadelle sterben will, rührt ihn so sehr, dass er
dem der endgültigen Fassung. Die Rolle der Per- sich – nachdem der Friede eingetreten ist – selbst
sonen und die Bedeutung, die ihrem Handeln für erschießt und so »das Opfer, das er zuerst als Offi-
den dramatischen Verlauf zukommt, sind jedoch zier seiner Ehre bringen wollte, nun als menschli-
starken Veränderungen unterworfen, die mit chen Verzicht auf die geliebte und verehrte Gattin«
grundsätzlichen Änderungen des Konzepts einher- übt (Strauss an Zweig, 21.9.34; RSSZ 83). Hier
gehen. Dies betrifft vor allem das Verhältnis der sind Krieg, Belagerung und Friedenseintritt bloße
beiden Kommandanten und die Rolle der Maria. Kulisse einer Dreiecks-Liebesgeschichte, bei der
In Zweigs erstem Entwurf vom 21. August 1934 der ältere Mann entsagt – wie in den Meistersin-
stehen zwei gleich starke Kommandanten ein- gern, aber auch in vielen Operetten, Filmen und
ander gegenüber, die Schwierigkeiten haben, ihre Romanen der 1930er Jahre.
gegenseitige Feindschaft aufzugeben: Der eine hat Zweig, dem diese Lösung als zu »opernhaft im
geschworen, die Festung zu halten, der andere, schlimmen Sinne« erscheint (RSSZ 84 f.), versucht
»kein Pardon zu üben« (RSSZ 74). Sie begegnen eine Synthese beider bisheriger Ansätze herzustel-
sich, nachdem (ohne ihre Mitwirkung) der Frie- len, indem er den dramatischen Schwerpunkt auf
den eingetreten ist. »Sie sehen sich finster an. Sie das allmähliche Verstehen der Friedensbotschaft
haben beide geschworen sich zu vernichten. All- legt. Dies konzipiert er als großen Steigerungspro-
mähliche Entspannung. Sie treten näher. Sie rei- zess, indem »aus der äußersten Tiefe der Todge-
chen sich die Hand. Sie umarmen sich« (RSSZ weihtheit plötzlich in die Stille die erste Glocke
76). Maria hat in dieser Version die Funktion einer ganz von ferne zu schwingen anfängt, dann die
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 261

zweite, die dritte, ohne dass die Belagerten erst und dem Holsteiner entschied, in dem das Um-
diese Botschaft des abgeschlossenen Friedens ver- schlagen der Feindseligkeit in Versöhnung stärker
stehen – von dieser Minute an bis sie, ganz ins herausgearbeitet worden wäre. Ein solcher starker
Brausen der Glocken eingehüllt, das Geschehnis Dialog hätte nicht nur die Wirkung des Chorfina-
begreifen […]« (RSSZ 85, Hervorh. im Orig.). les beeinträchtigt, sondern vor allem die Bedeu-
Zweig erfüllt Strauss den Wunsch nach einer star- tung Marias als Friedensstifterin geschwächt. Da-
ken Frauenfigur, löst diese jedoch von dem Aspekt durch hätte aber auch der Prozess der seelischen
des Erotischen ab. Sie soll vielmehr an der Beseiti- Entwicklung seine Logik verloren: Wenn schon
gung des gegenseitigen Hasses der Kommandan- die Darlegung der höchsten Not des Volkes den
ten mitwirken. Kommandanten nicht bewegen konnte – warum
Als Gregor Zweig als Textdichter ablöst, bleibt sollte der fremde Holsteiner jetzt so viel Einfluss
dieses Konzept zunächst im Prinzip erhalten. Erst haben? Auch die Begegnung des Ehepaares wäre
in der Endversion, die Gregor und Strauss in en- bloß ein retardierendes Moment, wenn die Wen-
gem Kontakt miteinander erstellen, kommt es zur dung durch die Argumente des Holsteiners be-
entscheidenden Änderung mit ihrem Fokus auf wirkt würde. Dies ist in Gregors Endfassung
dem Einstellungswandel des Kommandanten. plausibler: Hier ergibt sich der Schluss folgerichtig
Dafür reduziert Gregor gegenüber den Zweig- aus dem Duett des Paares, in dem Maria den
schen Entwürfen die Dialoganteile des Holsteiners Keim zu Liebe und Hoffnung in die Seele des
ganz erheblich. Gezeigt wird nicht mehr das Ge- Kommandanten setzt. Entscheidend ist, dass die
genüber von zwei Männern, denen es schwer fällt, entscheidende Wendung des Dramas im Innern
im bisherigen Feind plötzlich den Freund zu se- des Kommandanten passiert und nicht in der äu-
hen, sondern im Mittelpunkt steht allein der ßeren Handlung (Gregor 1939, 253).
Kommandant: Er ist es, der nicht glauben kann Es ist somit durchaus das Verdienst Gregors,
und damit den Frieden gefährdet. Voraus geht ein der Handlung zu ihrer dramatischen Plausibilität
Streit zwischen ihm und dem Holsteiner, bei dem verholfen zu haben. Damit schuf er zugleich den
um ein Haar die Gewalt wieder ausbricht. An Raum für die von Strauss stets eingeforderte Ver-
dieser Stelle entfaltet die Figur der Maria ihre legung der seelischen Handlung in das musikali-
Bedeutung. Sie verhindert den Kampf, indem sie sche Geschehen. An die Stelle der Argumentation
sich zwischen die Männer wirft, welche ihre des Holsteiners tritt in der Endversion ein instru-
Schwerter schon gezogen haben, und appelliert so mentales Zwischenspiel (ab Zi. 185), in dem sich
intensiv an ihren Mann, dass dieser endlich an das der innere Kampf des Kommandanten mitteilt. Es
Friedenswunder glauben kann. lässt sich beschreiben als Dialog zwischen einem
Durch die Verschiebung der Handlung auf die von Maria im vorausgehenden Arioso (bei »sieh
innere Einstellung des Kommandanten fügen sich mir ins Auge«) entwickelten Motiv und einem
die anderen Hauptelemente des Dramas zu einem ›Gegenmotiv‹ (aufwärtsgerichtete Dreiklänge im
stimmigen Prozess. In den Verhandlungen mit der Triolenrhythmus), das die Zweifel des Komman-
Stadtbevölkerung wird zunächst seine seelische danten symbolisiert. Stehen die beiden Motive
Verhärtung gezeigt, die sich in der Begegnung mit sich zunächst kontrastierend gegenüber, so verän-
Maria der weiblichen Emotionalität gegenüber dert sich das Gegenmotiv allmählich, verliert seine
sieht, bevor sich der Konflikt in der Seele des schroffe Artikulation und verbindet sich (als Be-
Kommandanten zuspitzt und unter dem weibli- gleitung in der Gegenbewegung) mit dem Arioso-
chen Einfluss sein Ende findet – das ist stringenter Motiv. Anders als im Duett des Ehepaares kurz
als das vorherige Konzept, bei dem der entschei- vor der geplanten Sprengung verbleiben hier
dende Konflikt zwischen zwei Männern ausgetra- die – musikalischen wie inhaltlichen – Gegensätze
gen wurde, von denen einer erst kurz zuvor erst- nicht in der simultanen Gegenüberstellung, son-
mals aufgetreten ist. dern das männliche Motiv des Zweifels und der
Es wird so auch plausibel, warum Strauss sich Härte geht in der weiblichen, das Wunder gläubig
nicht für einen noch im Herbst 1935 von Zweig annehmenden Position auf. Das Zwischenspiel
gelieferten Dialog zwischen dem Kommandanten kann somit als musikalisch-dramatische Schlüssel-
262 Opern und Ballette

stelle der Oper bezeichnet werden, an der sich unglaubliches, aus einer extremen – auch musika-
Strauss als Gestalter eines inneren seelischen Pro- lisch ausgedrückten – Spannung erlösendes Wun-
zesses entfalten kann – entsprechend seiner in der. Was die Oper feiert, ist nicht der Friede,
dieser Zeit zunehmenden Orientierung an deut- sondern die Bereitschaft, an das Wunder des
scher romantischer ›Innerlichkeit‹ (Gilliam 2004). Friedens zu glauben. Im Hinblick auf den Frieden
als mentale Größe ist die Entscheidung des Kom-
mandanten, in scheinbar aussichtsloser Situation
Vom äußeren Konflikt zum inneren Prozess
an seinem Ideal unbedingter Treue festzuhalten,
Was ist der dramatische Konflikt in Friedenstag? somit die einzig mögliche. Entsprechend wird die
Selbstverständlich nicht der zwischen den Kriegs- Treue dramaturgisch und musikalisch besonders
parteien, den Kaiserlichen und den Protestanten – hervorgehoben, nämlich durch den liedhaften
der wird nicht gezeigt. Aber es geht auch nicht um Rückblick des Kommandanten auf den Eid, dem
den Gegensatz von Krieg und Frieden bzw. zwi- er dem Kaiser geschworen hat.
schen Gegnern und Verfechtern des Völkerfrie- Für das Ideal der Treue allerdings werden Opfer
dens. Der Diskussion zwischen dem Komman- gebracht – nicht nur die materiellen, von denen
danten und Maria steht die Verherrlichung und die Stadtbewohner zeugen, sondern auch seeli-
Verdammung des Krieges gegenüber; das Duett sche. Zu Beginn der Oper wissen die Soldaten gar
zeigt in seiner dualistischen Struktur, die an keiner nicht mehr, was Natur, Liebe, Frieden ist, sie sind
Stelle aufgebrochen wird, die Berechtigung beider emotionale Krüppel, die einzig durch das Lied des
Sichtweisen. Ein Konflikt, der sich dramatisch Piemontesers eine vage Ahnung davon bekom-
auswirkt und die Handlung beeinflusst, findet men, was ihren Seelen fehlt. Das größte Opfer
vielmehr erst am Ende statt, zwischen dem Kom- jedoch bringt der Kommandant selbst. Unter der
mandanten und den übrigen Personen. Er entzün- Last seiner Aufgaben ist er seelisch so sehr verhär-
det sich an der Frage, ob man an den Frieden tet, dass er an den Frieden gar nicht mehr glauben
glauben kann und darf. Der einzige, der das ver- kann. Seine Menschlichkeit gewinnt er durch die
neint, ist der Kommandant, der auch die einzige humanisierende Kraft des Weiblichen zurück. Die
Figur ist, die sich wirklich verändert, und zwar Dramaturgie des Werks ist entscheidend geprägt
nicht nur im Hinblick auf seine innere Einstel- durch das Konzept der polaren Geschlechts-
lung, sondern auch auf seine Position in der charaktere. Der Frau ist das emotionale Moment
Personenkonstellation: Steht er zunächst alleine zugeordnet, sie geht in der Liebe auf. Damit ist sie
gegen die anderen Personen, wird er am Schluss in in der Zitadelle eigentlich ein Fremdkörper. Man
die Gemeinschaft der an den Frieden Glaubenden mag ihre Anwesenheit als völlig unrealistisch kri-
hineingenommen. tisieren; ohne sie hätte die Handlung mit ihrem
Dementsprechend ist auch das Ergebnis des Fokus auf der inneren Wandlung jedoch nicht
dramatischen Prozesses nicht der Friede, sondern funktioniert. Der Mann hingegen verfolgt seine
vielmehr der Glaube an den Frieden. Dies ist je- politische Mission, und seine Härte ist für deren
doch nicht in dem Sinne zu verstehen, dass der Zustandekommen unerlässlich. Genau wie die
Frieden generell die bessere Option wäre und man materiellen Entbehrungen der Stadtbewohner ist
den Krieg von vornherein hätte vermeiden sollen. sie ein notwendiges, unvermeidbares Opfer. Es
Die Weigerung des Kommandanten, die Stadt zu spricht für sich, dass Maria die einzige Figur in der
übergeben, wird keineswegs als falsche Entschei- Oper ist, die einen Namen hat und so ein Gesicht
dung mit schlimmen Auswirkungen dargestellt. als individueller Mensch. Sie macht jedoch auch
Im Gegenteil hätten die Ereignisse nicht so eintre- aus ihrem Mann einen ganzen Menschen, denn
ten können, wie sie eingetreten sind: Hätte der ihre Liebe löst seine Verhärtungen und lässt ihn
Kommandant seinen Schwur und dem Kaiser die glauben. Allerdings stellt sie niemals sein Pflicht-
Treue gebrochen, hätte er seine Ehre verloren. Der bewusstsein in Frage – im Gegenteil schließt sie
Feind hätte die Stadt eingenommen, Friede wäre sich ihm auf dem Gang in den vermeintlich siche-
durch den Sieg der anderen Seite eingetreten, aber ren Tod an. Diese traditionelle geschlechterpolare
nicht als Ereignis von außen, als unfassbares und Struktur gehört zum Grundbestand vieler Werke
15. Die Schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 263

der Operngeschichte – man denke z. B. an die allerersten Morgendämmerung bis zum hellen
Zauberflöte oder Fidelio, auf den Strauss womög- Vormittagslicht aufsteigt: So wie die Sonne ihre
lich bewusst anspielt: Schon Ernst Krause wies Bahn zieht, läuft die Handlung ab. Die politischen
darauf hin, dass Strauss den Tonartenplan des Ereignisse sind, so scheint es, ebenso wenig beein-
Fidelio-Finales fast vollständig übernimmt. flussbar wie der Lauf der Sonne am Himmel.
Die Verschiebung der Handlung vom Konflikt Dieser statische Charakter in Verbindung mit
zwischen den Parteien auf den inneren Prozess ist der geringen Individualität der Figuren und dem
in einen ebenfalls auf seelische Zustände bezoge- oratorienhaften Finale hat Fragen nach der Gat-
nen Rahmen eingebettet. Auch dieser ist erst in tungszuordnung der Oper aufgeworfen. Friedens-
der Endversion vollständig entwickelt. Erst hier tag verweist auf der einen Seite auf das Festspiel
beginnt die Oper damit, dass die Soldaten als (vgl. Werbeck 2009), ein Begriff, den Strauss
körperlich wie seelisch zerrüttete Gestalten ge- mehrfach im Zusammenhang mit ersten Überle-
zeichnet werden, bei denen man nicht erkennen gungen zu dem Werk verwendete. Noch im Ent-
kann, »ob sie schlafen oder nur erstarrt sind«. Dass wurf des Theaterzettels, den Strauss Gregor am
irgendwo ein Hof brennt, wird mit Gleichmut zur 24. Juni 1936 zur Korrektur sandte, werden außer-
Kenntnis genommen; dass es ein anderes Leben dem die Bezeichnungen »Oper oder Bühnenweih-
geben könnte als Krieg, ein Leben mit Gärten, spiel (?)« vorgeschlagen (RSJG 67). Die tragende
Wein, Liebe, Musik, ist nur noch als ganz schwa- Rolle des Chors und mehrere Lieder (z. B. Pie-
che Erinnerung präsent. Der Piemonteser bringt monteserlied, Reiterlieder) sind Merkmale von
mit seinem Lied gleich zu Beginn einen Kontrast Festspielen, ebenso der klare ›nummernartige‹
zur maskulinen militärischen Stimmung: die »see- Gesamtaufbau. So erarbeitete sich Strauss mit
lische Differenz zu so heftigen kriegerischen Vor- Friedenstag einen Gattungsbereich, der in seinem
gängen« (Gregor 1939, 240), an der Strauss beson- Œuvre bis dahin nicht berücksichtigt war und
ders lag. Auf Wunsch des Komponisten wurde das sich in der NS-Zeit besonderer Beliebtheit er-
Lied immer weiter verlängert (ebd., 241). Bezeich- freute. Dies mag dadurch motiviert sein, dass
nenderweise ist der Kommandant in der Anfangs- Strauss sich als Präsident der Reichsmusikkammer
szene nicht dabei und nimmt somit nicht an der und damit oberster Repräsentant der Musik im
schemenhaften Erinnerung an ein anderes Leben Deutschen Reich verpflichtet sah, dem Volk ein
teil – um so plausibler, dass er am Ende als der- repräsentatives Werk zu bringen; vielleicht ging es
jenige übrig bleibt, dem das Akzeptieren der auch darum, seine aufgrund des Eklats um Stefan
neuen Situation nicht gelingt. Die am Beginn Zweig in Frage gestellte Loyalität zu beweisen.
angedeutete Erinnerung an Friedenszeiten wird Dies vorausgesetzt, wäre hier »Kunst bei Strauss
später wieder aufgegriffen, wenn die Glocken tatsächlich zu einem Mittel der Politik« geworden
läuten, die seit Kriegsbeginn geschwiegen hatten. (Werbeck 2009, 116). Der historisch-politische
Wie das Piemonteserlied ist auch das Geläut ein Stoff, die Tableauszenen und die Funktion des
akustisches Zeichen der Utopie, der fast ver- Chors als ›Handlungsträger‹ sind jedoch auch
schwundenen Hoffnung auf Frieden, das seit Merkmale der Grand Opéra, ebenso der groß an-
Vorkriegszeiten nicht mehr gehört wurde und von gelegte Aufbau: In mehreren Anläufen werden das
den Soldaten jetzt mühsam und fast ungläubig Gesamt-Tableau sowie der volle Tuttiklang auf-
wiedererkannt wird. gebaut. Weitere Stilmittel der Grand Opéra sind
die couleur locale (Anspielungen auf den Luther-
Choral »Ein feste Burg ist unser Gott« bei »Der
Handlungslose Oper und Gattungsfrage
Hinz schwört auf die Bibel« und bei der Aus-
Ein besonderes Merkmal von Friedenstag ist, dass einandersetzung zwischen dem Holsteiner und
die entscheidenden Ereignisse außerhalb der Kommandanten) sowie akustische Signale wie der
Opernhandlung stattfinden und von den Perso- Kanonenschuss und das Glockengeläut, die ent-
nen in keiner Weise beeinflusst werden. Dem scheidende Wendungen der äußeren Handlung
entspricht auf visueller Ebene die Sonne, die laut akustisch repräsentieren.
den Regieanweisungen im Laufe der Oper von der
264 Opern und Ballette

Wirkung Zeit nimmt das Stück immerhin den neunten


Platz ein.
Bei der Premiere von Friedenstag unter Clemens In der Sekundärliteratur finden sich wider-
Krauss (Regie: Rudolf Hartmann) sangen Viorica sprüchliche Aussagen über die Wirkung – der
Ursuleac (Maria), Hans Hotter (Kommandant), Erfolg wird behauptet oder geleugnet, und beides
Georg Hann (Wachtmeister), Julius Patzak wird als Beleg entweder für eine NS-inkompatible
(Schütze), Peter Anders (Piemonteser) und Lud- pazifistische Botschaft oder gerade für das Gegen-
wig Weber (Hosteiner). Nach der Uraufführung teil verwendet. In der gleichgeschalteten Presse
war, so Strauss an Gregor, auch die zweite Münch- der NS-Zeit findet man allerdings keine Spuren
ner Aufführung eine Woche später »vor ausver- davon, dass die Oper als politisch problematisch
kauftem Hause […] ein großer Triumph« (RSJG empfunden wurde. Im Gegenteil wird gerade der
119). Wenige Monate später, am 15. Oktober 1938, ›heroische‹ Gehalt immer wieder hervorgehoben
erklang die Oper erstmalig zusammen mit der als und mit einschlägig besetzten Formulierungen
ihr Pendant konzipierten Daphne in Dresden; gewürdigt. So lobt Wilhelm Zentner in der Neuen
diesmal dirigierte Strauss’ zweiter ›Leibdirigent‹ Zeitschrift für Musik, Strauss lasse »den erhabenen
Karl Böhm. Einer Wiederholung dieses Opern- Gedanken der Versöhnung keineswegs aus den
abends wohnte Gregor am 5. November 1938 bei lahmen Gefühlsduseleien pazifistischer Schlapp-
und berichtete stolz: »Ein herrlicher Abend. Alles schwänzerei hervortreiben, er stellt ihn im Gegen-
ausverkauft, Begeisterungsstürme« (ebd., 140). teil dar als Krone eines Ringens, in dem Männer
Nach den beiden Uraufführungen gab es 1938 ihre Kräfte bis zur letzten, verzweifeltsten Ent-
und 1939 noch an 14 weiteren Theatern jeweils scheidung, bis zum Weißbluten gemessen« (Mess-
Doppelaufführungen beider Werke, und zwar in mer 1989, 277). Herbert Gerigk ist sogar der An-
Graz, Berlin, Kassel, Magdeburg, Oldenburg, sicht, der »heroische« Geist des Librettos habe mit
Essen, Weimar, Hannover, Halle, Berlin, Mann- der ›Rasse‹ des Textdichters Gregor zu tun (von
heim, Wiesbaden, Chemnitz und Breslau. Es Zweigs Mitarbeit war offensichtlich in der Öf-
zeigte sich jedoch, dass viele Theater die beiden fentlichkeit nichts bekannt geworden): »Die bis-
Opern einzeln geben wollten. Strauss und Gregor herigen Librettisten – der Halbjude Hugo von
dachten daher über Werke nach, die diese jeweils Hofmannsthal und der Jude Stefan Zweig – ha-
zu einem vollen Abend ergänzen würden. Zu be- ben eben die Eigentümlichkeiten ihrer Rasse we-
friedigenden Lösungen, die sich etablierten, kam der verleugnen gekonnt oder gewollt. Schon die
es allerdings nicht. erste Arbeit mit einem arischen Textdichter bringt
Separate Aufführungen von Friedenstag gab es eine künstlerische Sensation […]« (Messmer
im Anschluss an die Münchner Uraufführung 1989, 279). Auch die Hinwendung zu einem Stoff
bereits 1938 (Karlsruhe und Königsberg) und aus der deutschen Geschichte wurde als politi-
1939, darunter die Erstaufführung in der Wiener sches Signal gewürdigt. Ed. Ebel deutet in der
Staatsoper am 10. Juni 1939, dem Vorabend von Zeitschrift Deutsche Musikkultur das Werk im
Strauss’ 75. Geburtstag, unter der musikalischen Sinne der NS-Geschichtskonstruktion: »Unmit-
Leitung von Clemens Krauss (Inszenierung: Ru- telbare Gegenwart ist dieser ›Friedenstag‹. Denn
dolf Hartmann, mit Ursuleac sowie Hotter in den wie eine vom Feinde belagerte Stadt, aller Mühsal
Titelpartien) und in überraschender Anwesenheit und Entbehrungen zum Trotz, immer noch hält;
Hitlers, der besonders das Bühnenbild Ulrich […] das ist nicht nur 1648, sondern das ist auch
Rollers lobte (Drewniak 1983, 296). Ebenfalls 1939 1918. – Wie aber der Kommandant lieber seine
wurde Friedenstag in Aachen, Augsburg und Zitadelle in die Luft sprengen als die Tore dem
Nürnberg inszeniert, es folgten 1940 Rostock und Feind eröffnen will, wie er in engster Kamerad-
Venedig (Vittorio Gui/Corrado Pavolini; in An- schaft den Soldaten verbunden […], das ist heu-
wesenheit Joseph Gregors). Damit endet die tiges und vergangenes Fühlen zugleich, 1918 und
Reihe der Friedenstag-Premieren vor dem Ende 1938; das ist heldische Gesinnung, die stahlhart
des Zweiten Weltkrieges. Im Hinblick auf die kein Nachgeben kennt und ihre Ehre in der Be-
Aufführungszahlen aller neuen Opern in der NS- hauptung des übergebenen Postens, in der Erfül-
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 265

lung der übertragenen Aufgabe sieht« (Lehmann Dritter Schäfer (Bass); Vierter Schäfer (Bass);
2004, 62 f.). In der Musikwissenschaft wird die Erste Magd (Sopran); Zweite Magd (Sopran);
Beziehung des Werkes zur NS-Ideologie kontro- Schäfer, Maskierte des bacchischen Aufzugs, Mägde
vers diskutiert. Bryan Gilliam ist sicher zuzustim- Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen,
men, wenn er betont, dass Friedenstag kein »wil- Englischhorn, Klarinette in C, 2 Klarinetten in A,
lentliches Werk der Nazipropaganda« war (Gil- Bassethorn, Bassklarinette in A, 3 Fagotte, Kontra-
liam 1999, 347). Die Rezeption des Werks in der fagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba,
NS-Zeit macht jedoch deutlich, dass die Oper Pauken, Schlagzeug (große Trommel, Becken,
Anschlussmöglichkeiten hierfür bietet, die auch Triangel, Tamburin, Tamtam), 2 Harfen, 16 erste
genutzt wurden. Violinen, 16 zweite Violinen, 12 Violen, 10 Violon-
Die Zahl der Neueinstudierungen nach dem celli, 8 Kontrabässe. Bühnenmusik: Orgel, Alphorn
Zweiten Weltkrieg ist überschaubar; zu nennen Spieldauer: ca. 1 Stunde, 40 Minuten
wären Inszenierungen in München 1961 (Keil- Autograph: Richard-Strauss-Archiv Garmisch
berth-Hartmann), Santa Fe 1988 (John Crosby/ Ausgaben: Partitur: Berlin: Johannes Oertel 1938,
Göran Järvefeldt) und Dresden 1995 (Stefan Sol- seit 1961 Mainz: Schott, Nr. 8380; Textbuch: ebd.,
tesz/Peter Konwitschny). Nr. 8385; Klavierauszug von Ernst Gernot Kluss-
mann: ebd., Nr. 8383; Studienpartitur: Werke
Bd. 16

Diskographischer Hinweis

i Albert Dohmen (Kommandant), Deborah Voigt Entstehung


(Maria), Alfred Reiter (Wachtmeister), Tom Mar-
tinsen (Schütze), Attila Jun (Holsteiner), Johan Bevor im Frühjahr 1935 die künstlerische Zusam-
Botha (Piemonteser), Staatsopernchor Dresden, menarbeit von Strauss und dem Schriftsteller,
Staatskapelle Dresden, Giuseppe Sinopoli (1999), Theater- und Musikwissenschaftler Joseph Gregor
Deutsche Grammophon 463 494 2 begann, bestanden seit fast einem Jahr persönliche
i Bernd Weikl (Kommandant), Sabine Hass (Ma- Kontakte. Gregor gratulierte dem Komponisten
ria), Jaakko Ryhänen (Wachtmeister), Jan Vacik zum 70. Geburtstag am 11. Juni 1934 (RSJG 13)
(Schütze), Kurt Moll (Holsteiner), Eduardo Villa und schickte am 27. Juni den zweiten Band seiner
(Piemonteser), Chor der Bayerischen Staatsoper, Gedichte hinterher, der Strauss gewidmet, aber
Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks, nicht ganz pünktlich zum Geburtstag erschienen
Wolfgang Sawallisch (1999), EMI 7243 5 56850 2 5 war. Ein halbes Jahr später, am 8. Januar 1935,
wandte sich Strauss in einem langen Brief an Gre-
gor, um sich zu Thesen aus dessen Weltgeschichte
des Theaters (Zürich 1933) zu äußern und die Auf-
merksamkeit des Theaterhistorikers stärker auf die
Daphne Musik bzw. das Musikdrama zu lenken. Indessen
stammt die Idee für die künstlerische Zusammen-
Bukolische Tragödie in einem Aufzug
arbeit von Stefan Zweig, und sie ist – insbesondere
op. 82 TrV 272
zu Beginn – überschattet von der politischen
Entstehungszeit: Sommer 1935 bis Frühjahr 1937 Situation (siehe die ausführliche Darstellung in
(Text); 1937 (Musik) der Einleitung zur Werkgruppe). Seit Anfang 1934
Text: Joseph Gregor begann sich Zweig von der Kooperation mit
Uraufführung: Sächsische Staatstheater Dresden, Strauss zurückzuziehen, der ihn – gerade nach der
Opernhaus, 15. Oktober 1938 überaus glücklichen Zusammenarbeit an der
Personen: Peneios (Bass); Gaea (Alt); Daphne Schweigsamen Frau – unbedingt als Textdichter
(Sopran); Leukippos (Tenor); Apollo (Tenor); halten wollte. Zweig beteiligte sich an Vorüberle-
Erster Schäfer (Bariton); Zweiter Schäfer (Tenor); gungen zu weiteren gemeinsamen Opern, brachte
266 Opern und Ballette

jedoch andere Dichter als mögliche Librettisten auch, Daphne gefalle ihm »recht gut«. Zehn Tage
ins Gespräch. Nachdem Strauss Robert Faesi und später jedoch war er (»entgegen der Meinung
Alexander Lernet-Holenia abgelehnt hatte, schlug unsres Freundes«; RSJG 33) wieder weniger zufrie-
Zweig am 26. April 1935 den mit ihm befreunde- den, forderte die Schürzung eines dramatischen
ten Joseph Gregor vor, den er unterdessen bereits Knotens ein, rügte die »schulmeisterlichen Welt-
mit den in Frage kommenden Stoffen bekanntge- anschauungsbanalitäten des völlig überflüssigen
macht hatte. Ohne zu wissen, dass Strauss nach Jupiter« (34) und kränkte den Dichter damit tief.
wie vor um Zweig warb, begann Gregor Anfang Der ins Vertrauen gezogene Zweig riet diesem
Mai 1935 mit Skizzen für Opernprojekte, um bald daraufhin, das Opernprojekt mit einem anderen
festzustellen, dass der Komponist ein allenfalls Komponisten auszuführen: »Es ist wirklich trau-
halbherziges Interesse an seiner Mitarbeit hatte rig, was Dir der Mann [Strauss] schreibt und man
und sich auf seine Vorschläge kaum einzulassen muß ernstlich fürchten, daß ein gewisses Nachlas-
bereit war. Dass Strauss sich endlich doch dazu sen der geistigen Kräfte vorliegt, denn was er sagt,
durchringen konnte, Gregor als Librettisten zu ist so einfältig, daß Du Recht hast, nicht darauf zu
akzeptieren, dürfte mit den Ereignissen des Som- reagieren, sondern lieber die prachtvolle Sache für
mers 1935 zu tun haben: Nachdem Strauss infolge jemand anderen bereitzuhalten« (JGSZ 255). Als
eines von der Gestapo abgefangenen Briefes an Gregor Strauss tatsächlich vorschlug, den Daphne-
Stefan Zweig seinen Rücktritt als Präsident der Plan aufgeben, wurde die Arbeitsatmosphäre
Reichsmusikkammer hatte einreichen müssen, fruchtbarer, obwohl der Komponist nur im Ton-
war die Kooperation mit Zweig vorerst unmöglich fall einlenkte und nicht in der Sache. Ab Novem-
geworden. Am 7. Juli fand ein persönliches Treffen ber 1935 arbeitete Gregor das Libretto zügig aus,
in Berchtesgaden statt, bei dem Gregor Strauss und am 13. Januar 1936 meldete Strauss, dass ein
nicht nur Entwürfe zu Friedenstag, sondern auch erster Teil der Musik »in der Rohskizze fertig« sei
zu Daphne präsentierte. In einem Brief vom (45). Er wünscht Detailkorrekturen an der Spra-
16. Juli 1935 forderte Strauss Gregor auf: »Schicken che und lobt: »Inhaltlich und im dramatischen
Sie mir möglichst bald einige Scenen von 1648 Aufbau ist Alles [!] vortrefflich!« (RSJG 45, ähnlich
und vielleicht auch Daphne!« (RSJG 30). Noch im am 21.1.1936 zum zweiten Teil).
gleichen Sommer entwarf Gregor eine »Bukoli- Dennoch stellte Strauss während der weiteren
sche Tragödie mit Tänzen und Chören«, die erste Arbeit immer wieder grundsätzliche konzeptio-
Fassung des Librettos. nelle Überlegungen an, in die er weitere Künstler
In der Strauss-Literatur wird der Entstehungs- einbezog, etwa den seinerzeit an der Wiener
prozess zuweilen als überaus konfliktreich geschil- Staatsoper tätigen Regisseur Lothar Wallerstein.
dert und der Eindruck formuliert, dass Strauss mit Die Idee für die Gestaltung des Schlusses – bei
Gregors Arbeit generell unzufrieden war. Doch ist dem die sich verwandelnde Daphne allein auf der
zu bedenken, dass sich Strauss nach wie vor darum Bühne ist und ihr Gesang in eine Vokalise über-
bemühte, Zweig als Librettisten zurückzugewin- geht – entstand erst im Mai 1937 in Gesprächen
nen, weshalb er Gregors Qualitäten als Textdichter zwischen Strauss und Clemens Krauss. Gregor
umso stärker herunterspielen zu müssen meinte. zeigte sich zwar verstimmt über die Zumutung,
Während Strauss vor allem zu Beginn der Arbeit aufgrund von Vorschlägen Dritter Änderungen in
an Daphne Gregors Entwürfe teilweise heftig kri- seinem Text vornehmen zu sollen, setzte diese je-
tisierte, ließ sich dieser selbst von Zweig den Rü- doch ohne nennenswerten Widerspruch um.
cken stärken. So schrieb er am 3. September 1935 Strauss beendete die Arbeit an der Partitur am
an Strauss, er habe inzwischen »die Daphne ge- 24. Dezember 1937 (vgl. RSJG 89) und widmete
schrieben« und Zweig vorgelegt, der vom Text die Oper dem Dirigenten der Uraufführung, Karl
»geradezu begeistert« gewesen sei – zum Beleg Böhm.
legte er ein Schreiben von Zweig bei, in dem die-
ser den Entwurf zu Daphne enthusiastisch lobt
und als »absoluten Glücksfall« bezeichnet
(3.9.1935; JGSZ 249). Strauss antwortete denn
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 267

Handlung jedoch nur ein Rinderhirt. Er behauptet, er habe


einen brünstigen Stier aus seiner Herde einfangen
Ort: Bei der Hütte des Peneios am Fluss desselben müssen, und möchte nun das Fest bei Peneios mit
Namens feiern. Dass es sich um Apollo handelt, weiß keine
der Bühnenfiguren.
Während Hirten in der Abenddämmerung ihre Auf Geheiß ihres Vaters kümmert sich Daphne
Schafe versorgen, ertönt auf der Bühne ein Alp- um den Fremden, der in ihr seine Schwester Arte-
hornsignal, mit dem Peneios zum nächtlichen mis zu erkennen meint. Sie labt ihn mit Wasser,
Dionysosfest einlädt. In das Abendlied der Hirten nimmt ihm die Waffen ab und legt ihm einen
hinein betritt Daphne die Bühne. Sie singt ein blauen Mantel um. Dabei staunt sie über seine
Klagelied auf das Ende des Tages: Nur durch das gewaltige Gestalt. Sie fragt ihn, von welcher Fahrt
Licht der Sonne kann sie mit der Natur verbun- er zurückkehre, da sie ihn nicht kenne. Er antwor-
den leben – mit ihren Brüdern, den Bäumen, mit tet mit Anspielungen auf seine Göttlichkeit und
Blumen, Schmetterlingen und der Quelle als ih- auf den Sonnenwagen, die für Daphne rätselhaft
rem Zwilling. Bei einem Baum sucht sie Schutz bleiben. Trotzdem nennt sie ihn Bruder, und als er
vor dem Fest, denn das rauschhafte Feiern der ihr abendliches Klagelied aus der Anfangsszene
Menschen ist ihr fremd. Plötzlich springt Leukip- zitiert, ist sie zwar verwundert darüber, dass der
pos hinter dem Baum hervor, ein Kindheitsfreund Fremde sie zu kennen scheint, fühlt sich ihm je-
Daphnes. Es wird klar, dass er Daphne als Frau doch nahe und vertraut. Er bittet sie, ihm zu fol-
begehrt, ihr jedoch sinnliches Verlangen fremd ist: gen, dann werde sie nichts mehr von der Natur
Nie habe sie ihn selbst, sondern nur sein Flöten- trennen, und umarmt sie. Daphne versinkt zu-
spiel geliebt. War dieses für sie ein klingendes nächst im Blau des Mantels, reißt sich aber plötz-
Abbild der Natur (den singenden Wind, das Spiel lich los: Die Art der Umarmung und der Kuss
der Quelle), so war es für Leukippos stets ein machen ihr Angst. Der Fremde beteuert seine
Ausdruck seines Begehrens nach Daphne, das er Liebe zu Daphne, sie flieht zu ihrer Mutter.
nun endlich erfüllt sehen will. Er zerbricht seine Auf dem Fest befindet sich in einer Schar leicht
Flöte, umfasst Daphne und erklärt ihr seine Liebe. bekleideter Tänzerinnen auch der verkleidete Leu-
Sie macht sich los und beklagt, dass ihr der Freund kippos. Ohne ihn zu erkennen, nimmt Daphne
fremd geworden sei. das von ihm angebotene Getränk an und folgt
Daphnes Mutter Gaea hat die Szene beobach- ihm zum dionysischen Tanz. Eifersüchtig entlarvt
tet und macht sich Sorgen um Daphne. Diese der nach wie vor unerkannte Apollo Leukippos.
lehnt es ab, sich für das bevorstehende Fest zu Als die Schäfer Apollo bedrohen, schwingt dieser
schmücken – zur Verwunderung zweier Mägde, seinen Bogen durch die Luft und löst ein Gewitter
die ihr Kleider und Schmuck präsentieren. Als sie aus. Um die flüchtenden Schafherden zu retten,
Leukippos’ Klage über seinen misslungenen Annä- verlassen die Schäfer die Szene, Apollo, Leukippos
herungsversuch hören, raten sie ihm, die von und Daphne bleiben alleine zurück. Apollo be-
Daphne verschmähten Kleider anzulegen, denn in zichtigt Leukippos des Betrugs, dieser wirft das
Frauengestalt könnte er ihre Scheu leichter über- Frauengewand ab und fordert von Daphne, sich
winden. von Apollo abzuwenden, da sie mit ihm vom
Im Kreise der Hirten betreten Peneios und Dionysosblut getrunken habe. Seinerseits fordert
Gaea die Szene. Mit Blick auf den vom letzten er den Fremden. Daphne verlangt im Namen des
Abendrot erhellten Olymp spricht Peneios die Lichts die Wahrheit zu erfahren. Jetzt offenbart
Vision aus, dass Apollo zu ihm – dem verlassenen Apollo sich als Sonnengott. Daphne fühlt sich
Bruder, der auch einst ein Gott war – zurückkeh- dem durch ihn repräsentierten Licht verbunden,
ren wird. Da hört man eine lärmende Herde vom möchte jedoch seinem Begehren nicht nachgeben.
Olymp heranstürmen. Peneios bricht in unheim- Leukippos verflucht Apollo, der einen Pfeil auf
liches Gelächter aus, rote Lichter zucken aus dem ihn schießt. Daphne erstarrt, wirft sich über den
Ölbaumwald heraus und in höchster Furcht sterbenden Leukippos und versteht jetzt, was er
drängen sich die Schäfer um Gaea. Es erscheint um sie gelitten hat. Sie bekennt, dreifach schuldig
268 Opern und Ballette

geworden zu sein: erst, weil sie Leukippos nicht den mythologischen Opern immer auch um den
erhört habe, dann, weil sie Apollo nicht angefleht Künstler und die ihm allein mögliche metaphysi-
habe, in seinen Götterhimmel zurückzukehren, sche Erkenntnis. Eben dieser künstlerische Er-
und schließlich, weil sie Leukippos nicht gerettet kenntnisvorgang lässt sich an der Oper Daphne
habe, indem sie sich Apollo hingegeben und da- beispielhaft studieren. Komponist und Textdichter
mit sich selbst geopfert hätte. gingen nicht etwa von einer bestimmten Sicht-
Apollo erkennt, dass er selbst einen Irrweg weise aus, sondern erarbeiteten sich erst im Laufe
eingeschlagen hat: Weil er Daphne sinnlich, »als des Schaffensprozesses ihre – keineswegs überein-
Mensch«, begehrte, hat er ihm nicht zukommende stimmenden – Deutungen des Mythos.
dionysische Züge angenommen. So sieht er sich
selbst schuldig – nicht nur am Tod des Leukippos,
Der Stoff
sondern auch daran, dass Daphne ihre Reinheit
verloren habe. Um Daphnes Wunsch zu erfüllen, Die Oper beruht nicht auf einer konkreten Version
ein Teil der Natur zu werden, bittet er Zeus da- der mythologischen Erzählung, sondern bezieht
rum, sie in einen Lorbeerbaum zu verwandeln. Als sich auf die Gesamtheit des Daphne-Mythos. Gre-
solcher soll sie dem Gott priesterlich dienen und gor verwendete als Grundlage Wilhelm Heinrich
die besten Männer berühren, jedoch nur an der Roschers Ausführliches Lexikon der griechischen und
Stirn. Daphne verwandelt sich in einen Baum, aus römischen Mythologie (Bd. 1, Leipzig 1886, Sp.
dessen Wipfel ihre Stimme als Vokalise erklingt. 954 f.). Strauss besaß Wilhelm Vollmers Vollständi-
ges Wörterbuch der Mythologie aller Völker (2. und
letzte Auflage 1859). Während Vollmer den Mythos
knapp in Form einer zusammenhängenden Ge-
Kommentar schichte nacherzählt, differenziert Roscher mit
philologischer Genauigkeit die verschiedenen Ver-
Daphne ist zu den »mythologischen Opern« von sionen auf der Basis sämtlicher damals bekannter
Strauss zu zählen – ein Begriff, den Hugo von Quellen, die er akribisch nachweist. Dessen unge-
Hofmannsthal im Zusammenhang mit der Ägypti- achtet vermengt Gregor Motive aus unterschiedli-
schen Helena geprägt hatte. Der Mythos fungiert chen Kontexten: Daphnes Mutter Gaea stammt aus
hier, ähnlich wie in der Psychologie C. G. Jungs, als der einen, ihr Vater Peneios aus einer zweiten
Träger psychologischer Wahrheit, die sich in der Quelle, die Figur des Leukippos aus einer dritten.
mythischen Erzählung verdichtet, indem Figuren Das Motiv des Dionysosfests scheint Gregor selbst
und Handlungen symbolisch werden (vgl. Hott- in die Handlung eingefügt zu haben, zumindest
mann 2005, 526–532). Mit seinen ›Griechenopern‹ taucht es weder bei Roscher noch bei Vollmer auf.
(zu denen außerdem Elektra, Ariadne auf Naxos, Mindestens ebenso maßgeblich wie diese Nach-
Die Ägyptische Helena und Die Liebe der Danae schlagewerke waren Werke der bildenden Kunst.
gehören) schrieb sich Strauss zugleich in reiche Gregor selbst berichtet, dass ihn ein Bild auf die
Deutungstraditionen von Literatur und Theater, Idee gebracht habe, den Daphne-Stoff vorzuschla-
Malerei und Bildhauerei ein. Darüber hinaus er- gen: In der Phase der schwierigen Diskussionen
möglichten ihm die antiken Stoffe, Wagners Kon- um die Konzeption von Friedenstag sei sein Blick
zept des mythologischen Musikdramas weiterzu- zufällig auf eine Lithographie nach Théodore
entwickeln und neue Lösungen anzubieten, die Chassériaus (1819–1856) Gemälde Apollon et
erst mit der Musik seiner Zeit möglich geworden Daphne gefallen. Von noch größerer Bedeutung
waren. Für die »Erlösung u. Erfüllung des Mythos dürfte ein anderes Werk gewesen sein: die be-
im modernen Orchester« (zit. nach Hottmann kannte Skulptur Apollo e Dafne von Gian Lorenzo
2005, 533) nennt Strauss als Beispiel unter anderem Bernini (1598–1680) in der Villa Borghese in Rom,
den Kuss Apollos in Daphne: In instrumentalen die Strauss »außerordentlich liebt[e]« (Gregor
Szenen wie diesen habe er »den Menschen Ton- 1939, 244 f.) und die später auf Strauss’ Vorschlag
symbole geschaffen, die als letzte Erfüllung griechi- hin auf den Umschlägen von Klavierauszug, Parti-
scher Sehnsucht gelten dürfen« (ebd.). Es geht in tur und Textbuch abgebildet wurde (RSJG 97–100;
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 269

ist, treten Männer und Frauen auf, singen den


Baum an und bitten ihn, ihre Liebe zu schützen.
Ab Herbst 1935 richtete Strauss seine Aufmerk-
samkeit vor allem auf die Figur der Daphne, deren
Position zwischen Apollo und Leukippos, zwi-
schen Gott und Mensch, zwischen Begehren und
Keuschheit er sich facettenreicher und weniger
eindeutig wünscht. Ihre Figur benötige »Claire
obscure«, ein angemessenes »Zwielicht […], um
ihr schicksalhaftes Verbundensein mit der Natur
und ihr Versagen den Menschen und dem in
menschlicher Gestalt und mit menschlichen Ge-
fühlen entgegentretenden Gotte gegenüber an-
schaulich zu machen« (26.1.1936; RSJG 48, Her-
vorh. im Orig.).
In einem weiteren Stadium, ab dem Frühjahr
1936, kommt der Kuss Apollos ins Spiel und wird
zur zentralen Ursache für die Wirkung des Gottes
auf Daphne. Er dürfe jedoch keinen Hass auslösen,
sondern die Einsicht Daphnes bewirken, »daß sie
des Gottes unwürdig und als sein Naturgeschöpf
s. Abb.). Weitere Anregungen für die Figur der nicht zu ihm erhoben werden kann« (Strauss an
Daphne gingen von Sandro Botticellis (1445–1510) Gregor, 6.3.36; RSJG 53). Gleichzeitig wird deut-
Primavera aus, die Strauss auch als Vorbild für das lich, dass es Strauss mittlerweile um das Thema des
Daphne-Kostüm vorschlug (RSJG 105 und 107). Künstlers geht: Er betont, der Kuss dürfe nicht zu
Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der viel Bedeutung bekommen. »Hauptmotiv« der
Wiener Erstaufführung brachte Strauss noch ein Oper sei vielmehr, »daß das Göttliche, wo es sich
weiteres Bild ins Gespräch: Apollon et Daphné von den Menschen nähern will, immer nur schwache
Nicolas Poussin (1594–1665) (ebd., 218). Wesen findet, die es nicht ertragen – es sei denn im
Genie des Künstlers, wovon wir etwas in Peneios
legen könnten, der am Schluß nicht ein alter kran-
Schaffensprozess als Erkenntnisprozess
ker Mann sein darf, sondern in dem Symbol der
Die Entstehung von Daphne lässt sich als Prozess Verwandlung Daphnes in den schönen vollkom-
künstlerischer Erkenntnis beschreiben, als eine menen Baum erst die wahre Erfüllung seines
›Arbeit am Mythos‹, bei der durch Neuzusam- Künstlertraumes sieht« (ebd., 54).
mensetzung und -interpretation der Elemente des Nur wenige Tage später dokumentiert ein wei-
Stoffes immer wieder andere Sichtweisen zutage terer Brief von Strauss ein neues Stadium der Ar-
traten. Dies wird insbesondere an dem sich wan- beit am Mythos: »Ließe sich Daphne nicht dahin
delnden Verhältnis der drei Hauptfiguren zuein- deuten, daß sie die menschliche Verkörperung der
ander deutlich. Natur selbst darstellt, die von den beiden Gotthei-
So fehlen in der ersten Librettoskizze vom ten Apollo und Dionysos, den Elementen des
Sommer 1935 (Birkin 1989, 172 ff.) die Umarmung Künstlerischen, berührt wird, die sie ahnt, aber
und der Kuss zwischen Apollo und Daphne. nicht begreift und [die] erst durch den Tod zum
Apollo tötet Leukippos aus Eifersucht, Daphne Symbol des ewigen Kunstwerks: dem vollkomme-
klagt ihn daraufhin des Mordes an und erteilt ihm nen Lorbeer wiederauferstehen kann (8.3.36;
an der Leiche des Leukippos die Absage. Die Er- RSJG 55). Jetzt werden Kunst und Natur einander
lösung Daphnes geschieht auf Initiative des gegenüber gestellt: Apollo und Leukippos reprä-
Peneios, der die Götter bittet, Daphne in einen sentieren die beiden Seiten der Kunst (das Apolli-
Baum zu verwandeln. Als dieser emporgewachsen nische und das Dionysische im Sinne von Nietz-
270 Opern und Ballette

sches Kunsttheorie), Daphne steht für die Natur ersten Entwürfen war Peneios eine solche Rolle
bzw. ihre menschliche Verkörperung. Zugleich zugedacht). Hier wird deutlich, dass nicht nur die
wird die Natur zum Kunstwerk – aber nur, indem Arbeit an der Oper ein Erkenntnisprozess ist,
sie als Natur stirbt: Das Sterben der Natur im sondern dass ein solcher in der Oper selbst darge-
Menschen ist dessen Verwandlung zum vollkom- stellt wird. Daphne erkennt das Göttliche, indem
menen Baum. Dieser ist nicht nur Natur, sondern sie sich in ein vollkommenes, nicht mehr mensch-
göttliches Werk und Symbol des vollkommenen liches Wesen verwandelt.
Kunstwerks. In diesem steckt jedoch der Mensch: Die konzeptionellen Überlegungen führen auch
die verwandelte Daphne. dazu, dass Apollo und Leukippos in mehrfacher
Kurz darauf ist Strauss schon wieder einen Hinsicht parallel gestaltet sind. Apollo, ursprüng-
Schritt weiter. Angeregt durch Gespräche mit lich als Bariton gedacht, ist eine der seltenen Hel-
Lothar Wallerstein, eröffnet er weitere Facetten dentenorpartien von Strauss, Leukippos lyrischer
des Stoffes, indem er die Figur des Apollo psycho- Tenor. Beide nutzen Verkleidungen, beide versu-
logisiert: »Apollo vergeht sich gegen seine Gott- chen, sich Daphne anzunähern. Dies wird zu einer
heit, indem er mit dionysischen Gefühlen sich klaren Dreiecks-Personenkonstellation mit strin-
Daphne naht […]. Apollo muß also nach diesem gentem Handlungsverlauf ausgebaut: Erst wirbt
Abenteuer […] auch in sich eine Läuterung voll- Leukippos offen um Daphne, die die erotische
ziehen, die darin ihren dramatischen Gipfel hat, Beziehung ablehnt. Weniger offen ist die Werbung
daß er in Leukippos das dionysische Element in Apollos in der Gestalt des Rinderhirten, wenn er
sich selbst tötet« (an Gregor, 9.3.1936; RSJG 55, Daphne einen vermeintlich geschwisterlichen Kuss
Hervorh. im Orig.). Diese Läuterung findet ihr gibt, der sich jedoch in einen des Begehrens wan-
Symbol im vollkommenen Kunstwerk, dem Lor- delt. Anschließend ist auch Leukippos verkleidet –
beerbaum, der zugleich Daphnes Erlösung dar- er setzt eine List ein, um Daphne dazu zu bringen,
stellt. Indem Daphne von den Aspekten des den Dionysostrank zu trinken. Nachdem dies von
Dionysischen, dem Begehren, erlöst wird, bleibt Apollo aufgedeckt wird, fühlt Daphne sich doppelt
›reine‹ Natur zurück – die zugleich reine Kunst ist. getäuscht, vom Gespielen wie von dem Mann, der
Dies findet sein Symbol in dem Baum, der in der als Bruder auftrat. Nun werben Leukippos und
Erde wurzelt und zum Licht strebt. Seine neue Apollo gleichzeitig in offener Konkurrenz um
Interpretation ist Strauss so wichtig, dass er Gre- Daphne, beide im Namen des Göttlichen – Apollo
gor bittet, sich mit Wallerstein in Verbindung zu als erkannter Gott, Leukippos unter Berufung auf
setzen (RSJG 58). Kurz darauf entwirft er einen den Dionysostrank, den er Daphne verabreicht
Text des ersten Daphne-Gesangs, der in der End- hat. Das führt zum Kollabieren des Dreiecks:
fassung des Librettos mit nur geringen Änderun- Apollo erschlägt Leukippos. Dies löst Schuldge-
gen übernommen wurde (RSJG 58 ff.). fühle in Daphne aus, denn nur weil sie gegen ihre
Ein weiteres Thema der konzeptionellen Über- Natur verstoßen hat, hat sie den Hass Apollos auf
legungen ist der Aspekt der Verkleidung, der die Leukippos gelenkt. Daraus wiederum folgt Apollos
beiden männlichen Hauptfiguren miteinander Einsicht, dass eigentlich er an der Situation schuld
verbindet. Strauss lag besonders daran, dass die ist: Indem er seiner Göttlichkeit untreu geworden
Handlung auf keinen Fall buffonesk erscheint. und Eigenschaften des Dionysos angenommen
»Die ganze innere Handlung« müsse »so geführt habe, hat er das innere Wesen Daphnes, ihre »lich-
werden, daß sie [Daphne] von Ahnung des Gottes teste Reinheit« zerstört. Aus dieser Lage gibt es
bis zur vollen Erkenntnis geführt [wird], die nur keinerlei Rettung außer der Erlösung durch das
tragisch enden kann oder wie hier durch Ver- Eingreifen höherer Mächte. Dies einzusehen, ist
wandlung!« (RSJG 53). Daphne erkennt das Gött- das einzige, was Apollo noch tun kann.
liche, indem sie sich in ein vollkommenes, nicht
mehr menschliches Wesen verwandelt. Die volle
Das Wunder der Verwandlung
Erkenntnis des Göttlichen geschieht also im
Kunstwerk – und nicht etwa durch den Künstler, Dass es Apollo ist, der die Verwandlung bewirkt,
der in der Oper gar nicht auftritt (lediglich in bedeutet eine Änderung der ursprünglichen Kon-
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 271

zeption. In Gregors Entwurf vom September 1935 nimmt und ihnen so Menschenstimme und Text
(darauf wurde oben schon hingewiesen) vollzieht hinzufügt. Als Daphne unsichtbar wird und sich
sich die Verwandlung noch auf Bitten des Peneios an ihrer Stelle der Baum erhebt, ist ihre Stimme
durch »die Götter«, und der fertig dastehende zunächst weiterhin in die chromatische Linie der
Baum wird vom Chor der Hirten und Mägde be- Violinen und Flöten integriert, hebt sich jedoch
sungen. Strauss akzeptierte diesen Schluss zu- immer deutlicher vom Orchestersatz ab, indem sie
nächst, schlug jedoch vor, Daphne müsse, »da sie längere Notenwerte verwendet und durch selektive
den Gott erkannt hat, eine Art ›Liebestod‹ sterben, Auswahl der Tonhöhen die chromatischen Linien
bevor sie verwandelt wird« (Gregor 1939, 261). Die in dreiklangsbetonte Melodik umwandelt. Zu-
Idee für die endgültige Gestaltung der Schlussszene gleich wird der Text mehr und mehr fragmentiert
stammt von Strauss. Er entwickelt sie jedoch erst, und geht in Gestammel über: »Nimm … mein …
als die Komposition schon weit vorangeschritten Gezweige … Wind …«. Diese Entwicklung findet
war, in Gesprächen mit Clemens Krauss im Mai ihren Höhepunkt und Abschluss in dem über fünf
1937. Mit ihm sei er übereingekommen, »daß nach Takte ausgedehnten Dreiklangsmotiv auf den Text
Apollos Abgesang außer Daphne kein menschli- »unsterbliche Liebe«, bei dem der vollendete Baum
ches Wesen mehr auf der Bühne stehen darf, kein im vollen Mondlicht zu sehen ist. Das Orchester
Peneios, keine Solostimmen – kein Chor – kurz übernimmt dann die dreiklangsbetonte Motivik,
kein Oratorium: alles wäre eine Abschwächung. mittels derer eine große Fis-Dur-Klangfläche ge-
Bei den letzten Gesängen Apollos erhebt sich staltet wird. In deren Verklingen hinein wiederho-
Daphne, ihn staunend anblickend, langsam von len Oboe und Stimme der Daphne im Wechsel das
Leukippos Leiche und als Apollo abgegangen ist, Dreiklangsmotiv. Dass die Stimme der Daphne
will sie ihm folgen, bleibt aber nach wenigen keine Worte mehr hat und auf derselben Ebene
Schritten plötzlich wie angewurzelt stehen und agiert wie das ›Naturinstrument‹ Oboe, macht sie
nun vollzieht sich – im Mondlicht, aber vollkom- einerseits zum »Naturlaut«; andererseits wird sie
men sichtbar, an ihr langsam das Wunder der zum ›Musikinstrument‹, zum Instrument der ›rei-
Verwandlung: nur mit Orchester allein! […] Allen- nen‹ Musik. Diese Idee der Verwandlung trägt in
falls ganz am Schluß: wenn der Baum vollendet der Endgestalt die ganze Oper – die Wandlung
steht, daß sie ohne Worte – nur Naturlaut noch 8 Daphnes in den Baum ist musikalisches wie visu-
Takte das Lorbeermotiv singt!« (RSJG 83 f.). elles Symbol für das gesamte Geschehen.
Dass Strauss die Idee zur Verwandlung erst In der als absolute Musik gestalteten zentralen
kam, als der Kompositionsprozess schon weit vor- Szene liegt eine Parallele zu Friedenstag, der Oper,
angeschritten war, ist bezeichnend; denn es ist eine die als Schwesterwerk zu Daphne für einen Opern-
durch und durch musikalische Idee, die hier zum abend geplant war. Wenn Gregor betont, dass
Schlüssel für das Werk wird und dessen Höhe- »[b]eide Werke […] diesen Übergang zur Musik«
punkt angibt: Die Verwandlung der Daphne in besitzen (Gregor 1939, 270), bezieht er sich auf das
einen Baum geht einher mit einem Übergang in Versinken des Turmes in Friedenstag; eine stärkere
absolute Musik. Strauss gestaltet hier eine ausge- Parallele liegt jedoch in dem musikalischen Zwi-
dehnte ›Metamorphose‹, die im Anschluss an den schenspiel, in dem der Kommandant sich nach
Abschlussgesang des Apollo mit einem Fortissimo- innerem Kampf dazu durchringt, an den Frieden
Schlag der Schlaginstrumente sowie der tiefen zu glauben – und somit ebenfalls eine Verwand-
Holz- und Blechbläser beginnt: Daphne, die auf lung durchmacht.
dem Weg in den Bühnenhintergrund ist, bleibt
plötzlich »wie festgebannt« stehen. Aus dem uni-
Oper als Erkenntnis: Deutungsperspektiven
sono gespielten tiefen Cis wühlt sich eine aus chro-
matischen Schritten bestehende Linie hervor, die Überhaupt liegt der Akzent von Gregors Deutung
langsam immer weiter aufsteigt und dabei imitativ des Werks auf anderen Aspekten als der von
durch die Holzbläser nach oben gereicht wird. In Strauss. Die Strauss so wichtige Kunst-Thematik,
diese chromatisch aufsteigende Bewegung klinkt die Daphne in den Kontext seines langjährigen
sich Daphne ein, die einzelne Tonfolgen über- Nachdenkens über seine eigene Rolle als Künstler
272 Opern und Ballette

stellt, spielt für Gregor keine zentrale Rolle. Er ten Vorstellung der Musik als einer dionysischen
interpretiert Daphne als Friedensoper und stellt so Kunst fest, aus der er eine neue Sicht der Oper
die Verbindung zu Friedenstag her: »Drückt der entwickelt. Dabei reformiert er gleichsam Wag-
›Friedenstag‹ die höchste menschliche Idee aus, so ners Vorstellung von der Ausdrucksfähigkeit der
besingt die ›Daphne‹ den Frieden in der Natur« Musik, indem er sie auf das moderne Konzept der
(RSJG 50). Es wäre jedoch verfehlt, Gregor feh- Psychologie bezieht. Wenn Strauss in der Oper die
lendes Verständnis für Strauss’ Intentionen vorzu- ranghöchste unter den Künsten sieht, dann, weil
werfen (zumal sich die Frage stellen würde, warum hier »die Musik in Verbindung mit einer sie be-
der Autorschaft des Komponisten von vornherein stimmenden dramatischen Handlung zu einer
ein höherer Rang zuzusprechen wäre als der des Darstellung psychischer Vorgänge fähig war, deren
Textdichters). Vielmehr zählt es zu den Merkma- Wahrheit und Konkretion nirgends sonst erreicht
len der mythologischen Oper, dass unterschied- werden konnte« (Hottmann 2005, 93). Dieses
liche Perspektiven auf den Mythos möglich sind Potential der Musik wird in Daphne exemplarisch
und sich sinnvoll verbinden lassen. Hierzu gehört vorgeführt, etwa in der Szene der Umarmung von
auch der Themenkreis Liebe, Begehren und Apollo und Daphne, in der eine ganze Palette
Schuld: Daphne bot dem Komponisten die Gele- wechselnder Gefühlszustände zwischen Gebor-
genheit, »einmal mehr dem ›Geheimnis der Ver- genheit, Entrücktheit und verheimlichtem wie
wandlung‹ Ausdruck zu geben« und zu zeigen, wie verdrängtem sexuellem Begehren hörbar wird.
»Daphne, die keusche Nymphe, zur bereuenden Damit ist erneut das Thema der Erkenntnis ange-
Frau wird und wie Apoll, der sich ihr als ›falscher sprochen, dessen Bedeutung für Daphne bereits
Bruder‹ im Hirtengewand naht und eifersüchtig betont wurde: Die der Musik innewohnenden
den Gespielen der Geliebten tötet […], schließlich Erkenntnismöglichkeiten sind nicht apollinisch,
eine Schuld erkennt und sühnt, wie aus einem Licht, Helligkeit, Erhellung bringend, sondern sie
Begehrenden ein Geläuterter und Verzichtender beziehen sich auf das Unbewusste, Dionysische.
wird, der – eine entscheidende Umdeutung der
Sage – selber die Verwandlung der Daphne von
Zeus erfleht […]« (Schuh 1981, 119). In diesem
Zusammenhang sind auch Gender-Aspekte von Wirkung
Bedeutung. Wenn etwa Daphne dem Begehren
des Leukippos nur nachgeben mag, als dieser ihr Bei der Uraufführung von Daphne folgte der
in Mädchenkleidern gegenübertritt, so finden sich Oper, wie von Anfang an geplant, ihr Pendant, der
hier Reflexe auf den Diskurs über lesbische Liebe, einaktige Friedenstag. Beide Aufführungen leitete
der in den 1920er Jahren lebhaft geführt wurde Karl Böhm, Regie führte Max Hofmüller, Darstel-
und 1933 keineswegs beendet war. Jedoch wäre es ler waren Margarete Teschemacher (Daphne),
falsch, die Figur der Daphne auf die Aspekte Martin Kremer (Leukippos), Torsten Ralf (Apollo),
Keuschheit, Angst des heranwachsenden Mäd- Sven Nilsson (Peneios) und Helene Jung (Gaea).
chens vor dem Mann oder gar Frigidität zu redu- Vor allem Margarethe Teschemacher erhielt in der
zieren. Zweifellos wird der Mythos entsprechend Rolle der Daphne höchstes Lob. Joseph Gregor,
zeitgenössischen Vorstellungen von weiblicher der verhindert war, wohnte der Wiederholung
Sexualität psychologisiert und so mit dem Hori- beider Werke am 5. November 1938 bei, berichtete
zont des Publikums verschmolzen, aber Keusch- von »Begeisterungsstürmen« und gestand, die
heit und Eros stehen zugleich für Aspekte von Schlussszene »nur mit den reinsten, verklärtesten
Kunst im Sinne von Nietzsches Gegenüberstel- Visionen Mozarts vergleichen« zu können (RSJG
lung des apollinischen und dionysischen Prinzips. 140). Noch im Jahre 1938 folgten Inszenierungen
Damit schlägt sich in Daphne auch Strauss’ in Graz (25. Oktober), Breslau (30. Oktober),
Nietzsche-Rezeption nieder. Strauss folgt Nietz- Kassel (24. November), Magdeburg (26. Novem-
sche bei seiner Abwendung von Wagners Musik- ber) und Oldenburg (2. Dezember). Am 2. No-
drama nicht, sondern hält an dessen in der Geburt vember 1938 wurde die gesamte Oper nach Schall-
der Tragödie aus dem Geiste der Musik niedergeleg- platten im Wiener Rundfunk gesendet. Im Jahr
15. Die schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 273

darauf kam Daphne am 8. März an der Berli- listisch gefärbten Ideals einer Volksoper. Die Mu-
ner Staatsoper unter der Leitung von Clemens sik wurde allgemein wegen ihres Farbenreichtums,
Krauss – an einem Abend mit Friedenstag – zur ihrer Sanglichkeit und ihrer psychologischen
Aufführung (Regie: Wolf Völker; Bühnenbild: Aussagekraft gelobt. Strauss selbst bemühte sich
Emil Preetorius; Maria Cebotari in der Haupt- darum, Einfluss auf Inszenierungen zu nehmen.
rolle), außerdem in 15 weiteren Theatern in Ihm lag vor allem an der Sichtbarkeit der Ver-
Deutschland sowie in Antwerpen (in flämischer wandlung Daphnes, worüber er sich mit Rudolf
Sprache). 1940 folgten Erstaufführungen in Wien Hartmann, dem Regisseur der Münchner Erstauf-
(Leitung: Rudolf Moralt, Regie: Erich von Wyme- führung 1940, ebenso austauschte wie mit Cle-
tal; Maria Reining als Daphne) und Budapest mens Krauss, dem Dirigenten der Wiener Insze-
(in ungarischer Sprache). Bis Kriegsende wurde nierung im selben Jahr, den er bat, entsprechend
Daphne an sieben weiteren deutschsprachigen auf den Regisseur Ulrich Roller einzuwirken.
Theatern inszeniert, außerdem in Zürich (1941) Aus Daphne gingen noch zwei weitere Werke
und an der Mailänder Scala (1942 in italienischer hervor: 1943 der »Epilog« An den Baum Daphne,
Sprache). Die erste Aufführung außerhalb Euro- für neunstimmigen gemischten Chor a cappella
pas fand 1948 in Buenos Aires statt. In den USA (TrV 272a) und 1945 Daphne-Etüde (G-Dur). An-
war Daphne bis Mitte der 1960er Jahre nur kon- dante nach einem Motiv aus »Daphne« für Violine
zertant zu erleben (1960 in New York, 1962 in solo TrV 272b. Den Schluss der Oper scheint
Denver); 1964 wurde sie in Sante Fe inszeniert. Bis Strauss besonders gemocht zu haben; er gehörte zu
heute kommt Daphne zwar regelmäßig auf die den Passagen, die er noch im hohen Alter (zuletzt
Bühne, aber weitaus seltener als die früheren in dem 1949 gedrehten Dokumentarfilm »Ein
Opern Strauss’. Als herausragende Inszenierungen Leben für die Musik«) gerne auf dem Flügel
gelten diejenigen an der Staatsoper Berlin 1969 spielte.
(Otmar Suitner/Erich Witte), außerdem Mün-
chen 1977 (Sawallisch/Filippo Sanjust), Santa Fe
1981 (John Crosby/Colin Graham), München
1986 (Sawallisch/John Cox) und Leeds 1987 (Da- Diskographischer Hinweis
vid Lloyd-Jones/Philip Prowse).
Die Rezensenten der Uraufführung befassen i Lucia Popp (Daphne), Peter Schreier (Leukip-
sich ausführlich mit dem Libretto, das oft gelobt, pos), Reiner Goldberg (Apollo), Kurt Moll
manchmal jedoch auch als zu elitär getadelt (Paneios), Ortrun Wenkel (Gaea), Symphonieor-
wurde. Wenn etwa Herbert Gerigk, hauptberuf- chester des Bayerischen Rundfunks, Bernard Hai-
lich Mitarbeiter im Einsatzstab des Reichsleiters tink (1982), EMI CDS 7 49309–2
Rosenberg, moniert, der Stoff könne »lediglich als i Renée Fleming (Daphne), Michael Schade (Leu-
humanistischer Bildungsrest auf Verständnis rech- kippos), Johan Botha (Apollo), Kwangchul Youn
nen«, aber »niemals eine Angelegenheit des deut- (Paneios), Anna Larsson (Gaea), WDR Sym-
schen Volkes werden« (Messmer 1989, 288), so phonieorchester, Semyon Bychkov (2004), Decca
urteilt er vor dem Hintergrund des nationalsozia- 475 6926
274 Opern und Ballette

Literatur

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15. Die Schweigsame Frau – Friedenstag – Daphne 275

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276

16.
Die Liebe der Danae – Capriccio
»Schwanengesänge« in Zeiten des Krieges?
Von Dörte Schmidt

Strauss’ letzte Bühnenwerke Die Liebe der Danae halböffentliche Generalprobe mit geladenen Gäs-
und Capriccio entstanden im Wesentlichen in den ten. Der noch im selben Jahr publizierte Klavier-
Jahren 1938 bis 1942. Capriccio wurde, obwohl auszug trägt eine Widmung an den Generalinten-
zuletzt komponiert, zuerst uraufgeführt, und zwar danten der Preußischen Staatstheater, Heinz
am 28. Oktober 1942 am Münchner Nationalthea- Tietjen. Die offizielle Uraufführung wurde erst
ter unter der Schirmherrschaft von Joseph Goeb- postum während der Festspiele 1952 nachgeholt.
bels. Gewidmet ist die Oper dem Dirigenten der Damit ist das Fadenkreuz klar, das den Blick auf
Uraufführung, Clemens Krauss, der eng am Li- diese letzten Opern ausrichtet, und es deutet sich
bretto mitgearbeitet hatte. Entstanden war das auch bereits an, dass es aufschlussreich ist, sie ge-
Stück unter dem Eindruck der Entwicklungen des meinsam zu behandeln – nicht nur weil ihre Ent-
Zweiten Weltkrieges – weniger als ein Jahr vor der stehungszeiten sich überlagern und die zuerst ent-
Premiere waren die USA in den Krieg eingetreten. standene als letzte aufgeführt wurde. Wie hat sich,
Die Uraufführung der 1935 begonnenen und so ist für beide Opern zu fragen, der Komponist,
während der Arbeit am Capriccio-Libretto beende- der zum NS-Regime ein so kompliziertes Verhältnis
ten »heiteren Mythologie« Die Liebe der Danae pflegte und sich als künstlerisches Aushängeschild
wurde von den Kriegsentwicklungen geradezu benutzen ließ, in seinem achten Lebensjahrzehnt in
überrollt: Strauss hatte die Premiere zwar ur- Zeiten der politischen wie militärischen Eskalation
sprünglich Krauss zugesagt, dann jedoch be- künstlerisch verortet – und welche Folgen hatte dies
stimmt, das Werk dürfe, da in Besetzung und für die Strauss-Rezeption? Der engen Verbindun-
Ausstattung zu anspruchsvoll, »nicht früher als gen beider Werke wegen wird im folgenden von
2 Jahre nach Friedensschluß herauskommen« dem üblichen Zweischritt Entstehungsgeschichte –
(Strauss an Gregor, 20.5.1941; RSJG 230). Auch Werkkommentar abgewichen, im Abschnitt über
Krauss vermochte ihn nicht umzustimmen (Kor- die Zusammenarbeit mit dem Librettisten Joseph
respondenz mit Strauss, 19./20.9.1941; RSCK Gregor an der Danae auch bereits der Schritt zu
429 ff.). Dass die Uraufführung 1944 doch noch Capriccio als ästhetische Standortänderung und die
vorbereitet wurde, geht offenbar auf einen Anstoß Trennung von Gregor mitbedacht und nach zwei
des Reichspropagandaministers Goebbels zurück, Abschnitten, die die beiden Stücke selbst in ihrer
wie wir einem Schreiben von Krauss an den Kom- spezifischen Unterschiedlichkeit diskutieren, noch
ponisten von Ende Januar 1944 entnehmen kön- einmal spezifischer auf die Kontexte der Entste-
nen (RSCK 511; Steiger 1999, 217). Zur Feier von hung und Uraufführung von Capriccio eingegan-
Strauss’ 80. Geburtstag 1944 für die Salzburger gen. Die Aufführungsgeschichte wird ebenfalls für
Festspiele geplant, konnte sie wegen der kriegsbe- beide Werke zusammen besprochen.
dingten Schließung aller Theater seit September Dass Strauss’ Verhältnis zum NS-Regime wie
des Jahres jedoch nicht mehr stattfinden. Das umgekehrt dessen Verhältnis zu ihm in den 1940er
Stück erlebte Mitte August zunächst nur eine Jahren nicht mehr ungetrübt war, ist immer wie-
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 277

der bemerkt worden. Gleichwohl hielt das Regime Ganz offensichtlich blieb das Verhältnis sowohl zu
allen Friktionen zum Trotz der Außenwirkung Schirach wie zu Strauss gespannt, denn im Januar
wegen an Strauss fest, der sich wiederum trotz 1944 notierte Goebbels, Reichsdramaturg Rainer
seiner Ablehnung antisemitischer Gewalt und Schlösser habe ihm über »die augenblickliche
seiner Verachtung für die mangelnde Kultiviert- kulturelle Lage in Wien« berichtet:
heit weiter Teile der NS-Nomenklatur nicht Schirach hat sich hier mit einem Geschmeiß umgeben,
grundsätzlich verweigerte – zum einen wohl aus das alles andere als nationalsozialistisch ist. Schirach hat
privaten Gründen, um seine Familie (vor allem die auch bei dieser Gelegenheit bewiesen, daß er ein wasch-
echter Opportunist ist, bei dem ein Gesinnungswechsel
jüdische Schwiegertochter und die Enkel) zu genau so schnell vor sich geht wie ein Wäschewechsel.
schützen, zum anderen auch um der Aufführungs- Auch hat er wohl nicht die nötige Übersicht, um die
möglichkeiten und der Stellung willen, die ihm Kreise, mit denen er sich in Wien umgibt, zu durch-
schauen. Die Gerhard [sic] Hauptmann, Richard Strauss
das »Reich« noch bis weit in die Kriegszeiten hin- und Hans Pfitzner sind jetzt seine engste kulturelle Um-
ein gewährte. Aufschlussreich ist der Blick in die gebung. Am Burgtheater wirkt als Dramaturg Herbert
Tagebücher von Goebbels (Potter 1992, 110). Die Ihering, einer der typischsten Vertreter der Systemkultur-
politik, über die wir heute überhaupt noch verfügen. Ich
Eintragungen berühren nicht nur das wechselsei- werde demnächst einmal in Wien regulierend eingreifen,
tige Verhältnis im Umfeld der Aufführungen, Schirach ist sonst in der Lage, aus dieser Stadt ein richti-
sondern auch die Produktionen selbst. Im Dezem- ges Dorado des Widerstands gegen den Nationalsozialis-
mus zu machen. (13.1.1944; Goebbels II, Bd. 11, 82 f.)
ber 1941, kurz vor Strauss’ Übersiedlung nach
Wien, notiert Goebbels über ein Treffen: Auch in einer Bemerkung über Strauss’ Weige-
Abends sitze ich noch eine zeitlang mit Richard Strauß rung, Einquartierungen von Ausgebombten in
zusammen. Er hat meine damalige Auseinandersetzung seiner Villa in Garmisch hinzunehmen, zieht
mit ihm gänzlich überwunden und geht jetzt wieder Goebbels die Verbindung zu Schirach (vgl.
Richtung. Man muß schon versuchen, mit diesem alten
Herrn ein erträgliches Verhältnis zu behalten; wer weiß, 16.1.1944, ebd., 102, hierzu nochmals 25.1.1944,
wie lange er noch lebt; und schließlich ist er doch unser ebd., 169), und im Juni 1944 bemerkt er unmittel-
größter und wertvollster repräsentativster Musiker. bar aufeinanderfolgend über beide:
(5.12.1941; Goebbels II, Bd. 2, 436)
Der Führer beklagt sich über Baldur von Schirach der
Gleichwohl kühlte die Beziehung zu dem Kompo- weiterhin in Defaitismus macht, und vor allem in Kunst-
nisten merklich ab, wohl auch durch dessen mani- fragen einen ganz unnationalsozialistischen Standpunkt
vertritt. […] Auch beklagt der Führer sich über Richard
fester werdende Beziehung zu Baldur von Schirach, Strauß, der ein ganz windiger Charakter ist und der des-
den Goebbels offenbar als Konkurrenten wahr- halb von ihm in keiner Weise respektiert wird. (22.6.1944;
nahm. Regelmäßig verbinden sich in den Tage- ebd., 527)
bucheinträgen Verdikte gegen Strauss mit solchen In der Regel beziehen sich die Verdikte auf Strauss’
gegen Schirach; Goebbels hat auch versucht, dieses charakterliche Zuverlässigkeit, betont wird stets
Verhältnis durch Intrige zu stören. So etwa wäh- und bis zuletzt die künstlerische Bedeutung: »Er
rend eines Wien-Aufenthaltes im März 1942: ist zwar ein guter Musikant, aber ein schlechter
Ich habe dann im Hotel noch eine lange Unterredung mit Charakter« (5.5.1944; Goebbels II, Bd. 12, 238).
Furtwängler. […] Über Strauß, der neuerdings seinen Doch auch hier ist aufschlussreich, wie dies ge-
Wohnsitz nach Wien verlegt hat, fällt er ein verheerendes schieht und welcher Entwicklung Goebbels’ Ein-
charakterliches Urteil. Er hat damit sicherlich vollkom-
men recht. Schirach wird mit Strauß nicht allzuviel schätzungen unterliegen. Augenscheinlich hat er
Freude erleben. Aber er muß das wohl auch einmal einen gewissen Wert darauf gelegt, hier seine
durchmachen, um ihn richtig kennenzulernen. (14.3.1942; Kunst-Kennerschaft zu zeigen. Er übertrug das
Goebbels II, Bd. 3, 469)
Beurteilungsmuster auch auf seine Wertung der
Am folgenden Tag notiert Goebbels über ein Tref- Werke und projizierte die Verdikte dann auf die
fen mit Schirach: Texte. Im August 1942 besuchte Goebbels die
Auch die kulturpolitischen Fragen werden mit Schirach Salzburger Festspiele. Im Tagebuch lobt er Krauss
eingehend durchgesprochen. Ich warne ihn eindringlichst dafür, dass er diese auf »eine nicht dagewesene
vor Richard Strauß […]. Die Vorgänge um seine Person Höhe« gebracht habe, und bemerkt:
bezüglich der Reichsmusikkammer waren ihm unbe-
kannt, und er ist ziemlich verblüfft, als ich ihm dieses Abends wohne ich einer Festaufführung von ›Arabella‹ im
eröffne. (15.3.1942; ebd., 474) Festspielhaus bei. […] Ich höre seit langer Zeit zum ers-
278 Opern und Ballette

ten Male ›Arabella‹. Es ist doch ein Werk von hohem Reichsdramaturg und Präsident der Reichstheater-
musikalischem Wert, wenngleich der Text, wie bei allen
kammer entwickelten Direktiven zur Spielplange-
Strauss-Opern, leicht dekadent und wurmstichig ist.
(29.8.1942; Goebbels II, Bd. 5, 420 f.) staltung. In diesem »Deutschen Opernspielplan«
spielten die Werke von Strauss eine wichtige Rolle
Im Oktober, kurz vor der Uraufführung von (Haken 2007, 139–150). Offensichtlich hatte aber
Capriccio, besucht Goebbels eine Wiederauffüh- Capriccio die mit Daphne verbundenen Hoffnun-
rung der ersten in Zusammenarbeit mit Joseph gen nicht mehr eingelöst.
Gregor entstandenen Oper von Strauss: der buko- Nachdem Strauss Anfang des Jahres 1944 beim
lischen Tragödie Daphne. Hier fand offensichtlich Regime nachhaltig in Ungnade gefallen war, be-
nicht nur die Musik, sondern auch das Libretto gegnete man von dieser Seite Plänen für die Feiern
seine Zustimmung: zum 80. Geburtstag des Komponisten reservierter.
Ich bin erstaunt über die musikalische Freiheit der Zwar notiert Goebbels im März 1944: »Der Führer
›Daphne‹, eines Alterswerkes von Richard Strauß. Ich will nicht, daß Richard Strauß Unbill angetan
hätte ihm solche Töne nicht mehr zugetraut. Auch die wird. Er hat sich nurmehr über ihn geärgert, daß
Handlung ist sehr sympathisch und eingängig. Die musi-
kalische Melodieführung übertrifft viele andere Jugend- er sich in der Frage der Aufnahme von Evakuier-
werke oder Werke mittleren Alters von Richard Strauß. ten so schofel benommen hat. Trotzdem sollen
Es scheint, daß er mit seinen fast achtzig Jahren noch eine seine Werke ungehindert aufgeführt werden«
neue Schaffensperiode erlebt. Vieles an der Melodik die-
ses Werkes erinnert zwar an vorangegangene Werke; er
(4.3.1944; Goebbels II, Bd. 11, 407). Die auffal-
richtet eine Art Ragout an; aber immerhin gibt es unter lende Abwesenheit aller Politiker bei den schließ-
den Nachfahren nicht einen einzigen, der einen derarti- lich stattfindenden Veranstaltungen zu Strauss’
gen Glanz der Orchestrierung und der Stimmenführung Ehren spricht dafür, dass man persönlich Distanz
wie er erreicht. (19.10.1942; Goebbels II, Bd. 6, 150)
hielt. Goebbels selbst verstand Strauss nun explizit
Dass Goebbels nach diesem doch eher positiven, als »Dekadenzerscheinung« (so wie im gleichen
versöhnlichen Echo bei der Uraufführung von Zusammenhang Bach als »Vorläufererscheinung«)
Capriccio in München nicht anwesend war, ist je- der »deutschen Musik«: »Trotzdem aber gehören
denfalls bemerkenswert. Möglicherweise richtete alle diese Musiker zum Kulturgut des deutschen
sich dies eher gegen Krauss, der ihn verärgert Volkes, und wir müssen sie pflegen, wo immer wir
hatte, weil er sich Freiheiten erlaubte, die Goeb- das können« (14.3.1944; Goebbels II, Bd. 11, 473).
bels ihm nicht zubilligte (im Tagebuch erbost er Diese Haltung und weniger ein persönlicher Ein-
sich direkt nach den Bemerkungen zur Münchner satz für Strauss führte wohl dazu, dass entgegen
Uraufführung, Krauss habe sich ohne Abstim- Goebbels’ ursprünglichem Wunsch für Danae
mung mit ihm direkt an Hitler gewandt). Die doch eine Uraufführung in Salzburg mit Krauss
einzige Bemerkung, die sich in den Tagebüchern und in Rudolf Hartmanns Regie vorbereitet
zur Aufführung von Capriccio findet, stammt vom wurde. Am 29. Juli verkündete Goebbels die Ab-
1. November und lautet: sage des Salzburger Musiksommers mit Ausnahme
Schlösser schickt mir einen ausführlichen Bericht über der Danae-Uraufführung und eines Konzerts der
die neue Oper von Richard Strauß »Capriccio«. Sie erhält Wiener Philharmoniker unter Furtwängler (Stei-
von Schlösser kein besonders gutes Urteil. Die Handlung ger 1999, 218). Dass der Salzburger Gauleiter
ist sehr arm und dürftig, das Textbuch, das Clemens
Krauß geschrieben hat, ist eine rein literarische Ware Gustav Adolf Scheel (wie Michael Walter vermu-
ohne eigentliche Handlungssubstanz. Strauß versteht es tet, auf Drängen von Krauss) diese Produktion,
zwar immer noch als fast Achtzigjähriger, dem Textbuch noch nachdem Goebbels alle Festwochen im
eine musikalische Illustrierung erster Klasse zu geben;
aber im großen und ganzen wiederholt er sich doch im-
Reich untersagt hatte, zumindest bis zu einer in-
mer, und seine Hauptstärke der Orchestrierung beginnt offiziellen Generalprobe kommen ließ (Walter
doch allmählich zu verblassen. Jedenfalls wird behauptet, 2000, 394), hatte sicher auch mit Strauss’ interna-
daß »Capriccio« keine wertvolle Bereicherung unseres tionaler Prominenz zu tun und kann als nicht nur
Opernspielplans darstellt. (1.11.1942; Goebbels II, Bd. 6,
216 f.) nach innen, sondern auch an die internationale
Öffentlichkeit gerichteter Teil jenes bemerkens-
Damit verweist Goebbels wohl auf die bereits werten Aufrechterhaltens »öffentlicher Ordnung«
1935 von Schlösser in dessen Doppelfunktion als und damit einer formalen Normalität des Lebens
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 279

gelesen werden, die Ian Kershaw unter der Frage


nach dem Durchhaltewillen der Deutschen noch
»Griechische Götter-
im Untergang unlängst bis in die letzten Monate dämmerung«:
des Regimes verfolgte (Kershaw 2011. Kershaw
weist u. a. darauf hin, dass das letzte Konzert der
Die Liebe der Danae
Berliner Philharmoniker 1945 nur vier Tage vor Heitere Mythologie in drei Akten,
Beginn des sowjetischen Angriffs auf die Reichs- op. 83, TrV 278
hauptstadt stattfand, ebd., 23, s. a. Haken 2007,
212–214). Einen Tag nach der Generalprobe der Entstehungszeit: 1936–1939 (Text), 1937–1940 (Mu-
Danae, am 17. August, unterbreitete Goebbels sik)
dem Führerhauptquartier Vorschläge, denen zu- Text: Joseph Gregor »mit Benutzung eines Ent-
folge er diesen Plan einer begrenzten Fortführung wurfs von Hugo von Hofmannsthal«
aufgegeben hatte und für eine vollständige Schlie- Halböffentliche Generalprobe: Festspielhaus Salz-
ßung plädierte. Am 1. September wurde diese burg, 16. August 1944
Verfügung erlassen (ebd., 213 f.). Uraufführung: Festspielhaus Salzburg, 14. August
Das Problematische des Verhältnisses zwischen 1952
dem Regime und Strauss, das sich in Goebbels’ Personen: Jupiter (Bariton); Merkur (Tenor); Pol-
Tagebucheintragungen spiegelt, war auch einer lux, König von Eos (Tenor); Danae, dessen Toch-
breiteren Öffentlichkeit so offenbar, dass sich ter (Sopran); Xanthe, Danaes Dienerin (Sopran);
Hans Joachim Moser in seiner Würdigung zum Midas (Tenor); vier Könige, Neffen des Pollux (je
80. Geburtstag des Komponisten zu einer Bemer- zwei Tenöre und Bässe); vier Königinnen: Semele
kung genötigt sah, die das auch bei Goebbels zu (Sopran), Europa (Sopran), Alkmene (Mezzo-
findende Argument des Anachronismus aufgreift: sopran), Leda (Alt); vier Wächter (vier Bässe);
Strauss stehe »als Künstler vor uns; naturgemäß Chor der Gläubiger (Tenöre und Bässe); Gefolge
von generationswegen nicht gerade in allem der und Diener des Pollux, Gefolge und Dienerinnen
Künstlertypus, wie ihn der Nationalsozialismus der Danae, Volk.
erst noch als Zukunftsaufgabe zu modeln und zu Orchester: Piccoloflöte, 3 Flöten (2. und 3. auch
erziehen wünscht, aber trotzdem in einem weite- Piccoloflöte), 2 Oboen, Englisch Horn, Klarinette
ren Sinne als moderner deutscher Künstler von in Es (auch in D und C), 2 Klarinetten in B, Bas-
wahrhaft hervorragendem Format« (Moser 1944, setthorn, Bassklarinette in B, 3 Fagotte, Kontra-
19). Angesichts dieser Zeugnisse stellt sich aber fagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba,
unübersehbar an die rezeptionsgeschichtliche Pauken, Schlagwerk (Glockenspiel, Tamburin,
Forschung auch die Frage, inwieweit spätere Ur- große Trommel, kleine Trommel, Triangel, Becken,
teile über Strauss als Mensch wie als Künstler Ar- Tamtam), 2 Harfen, Celesta, Klavier, 16 erste Vio-
gumentationsmuster aufgreifen, die schon im linen, 16 zweite Violinen, 12 Violen, 10 Violon-
Nationalsozialismus präsent waren. celli, 8 Kontrabässe.
Spieldauer: ca. 3 Stunden
Autograph: Partitur: Richard-Strauss-Archiv Gar-
misch
Ausgaben: Partitur: Berlin: Johannes Oertel 1944?
(R. St. 99); Klavierauszug (Ernst Gernot Kluss-
mann): Berlin 1944 (Nr. 8403); Textbuch: ebd.
1944 (Nr. 8405); Studienpartitur: Werke Bd. 17;
das Material für »alle übrigen Länder« bei Boosey
& Hawkes, London.
280 Opern und Ballette

Handlung Statue. Zornig fordert Jupiter sie auf, sich zwi-


schen ihm und Midas zu entscheiden, der sich
Die ersten beiden Akte verbinden den Danae- ohne Jupiters Zauber wieder in einen einfachen
mit dem Midas-Mythos zu einer Verkleidungs- Eselstreiber zurückverwandeln und zu einem ärm-
komödie, während der dritte Akt in einer Art lichen Erdendasein verdammt sein wird – Danae
überdimensionalem Epilog rückblickend deren bekennt sich zu ihrer Liebe zu Midas.
Konsequenzen reflektiert.
3. Akt
1. Akt Aus tiefem Schlaf erwachend finden sich Danae
Jupiter versucht im Gewand des Midas, die schöne und Midas auf einer Landstraße im Orient wieder.
und goldsüchtige Danae für sich zu gewinnen. Ihr Midas offenbart Danae seinen Pakt mit Jupiter:
Vater Pollux, König von Eos, erhofft sich von Dieser hatte ihm die Fähigkeit, alles in Gold zu
einer Hochzeit seiner Tochter, dass sie auch seinen verwandeln, verliehen und dafür bedingungslose
finanziellen Bankrott abwendet. Jupiter erscheint Gefolgschaft sowie die Möglichkeit gefordert, sich
Danae zuerst im Traum, in einem Goldregen, jederzeit seiner Gestalt bedienen zu dürfen. Die
durchaus mit erotischen Verheißungen, wie sie Szene wechselt in eine mythische südliche Berg-
ihrer Zofe berichtet. Die als Heiratsvermittler landschaft. Merkur reizt den melancholischen Ju-
ausgesandten vier Neffen des Pollux und ihre piter, indem er ihm berichtet, wie sich die Götter
Gattinnen Leda, Europa, Semele und Alkmene im Olymp über sein verunglücktes Liebesaben-
treffen mit der Nachricht ein, ein solventer Freier teuer amüsieren. Noch einmal treten die Figuren
sei gefunden: der phrygische König Midas, dessen auf, mit denen das Unglück seinen Anfang nahm:
Eintreffen mit Spannung erwartet wird. Midas, Zunächst umschmeicheln ihn Leda, Europa, Se-
der nicht um seines Goldes willen geheiratet wer- mele und Alkmene, dann beschimpft ihn Pollux
den und Danae erst einmal unerkannt in Augen- mit seinen Gläubigern so lange, bis er sich mit
schein nehmen und prüfen will, tritt im Gewande einem erneuten Goldregen entzieht. Merkur
eines Schneiders (Chrysopher) auf, der Danae für schließlich versucht, ihn zu einer Fortsetzung des
den Auftritt des reichen Freiers mit einem Danae-Abenteuers zu überreden. Jupiter aber
goldenen Ehrenkleid einkleiden soll und in den entscheidet sich, Danae ein letztes Mal allein in
sie sich sofort verliebt. An Midas’ Statt und in ihrer bescheidenen Hütte zu besuchen – in eben
dessen Gestalt tritt nun Jupiter auf, den Danae als der Gestalt eines alten, in einen Burnus gehüllten
ihr Traumbild erkennt. Die Ahnung von dem sich Mannes, in der Midas ihn bei ihrer ersten Begeg-
zwischen ihrer Liebe und den erotischen wie öko- nung gesehen und Danae beschrieben hatte. An-
nomischen Verheißungen des Traums auftuenden gesichts der wahren Liebe Danaes zu Midas er-
Zwiespalt, der sich als einer zwischen Menschen- kennt Jupiter die Grenzen seiner göttlichen
und Götterschicksal erweisen wird, raubt Danae Macht, segnet sie, nimmt Abschied und geht.
die Sinne. Danae sieht ihm lange nach – während der letzten
Takte jedoch scheint sie den heimkehrenden Mi-
2. Akt das zu erblicken und ruft freudig seinen Namen.
Im Hochzeitsgemach bereiten die Gattinnen von
Pollux’ Neffen dem Paar das Lager – sie durch-
schauen Jupiters Incognito, haben sie doch alle als
ehemalige Geliebte des Göttervaters seine Maskie- Joseph Gregor
rungskünste kennengelernt. Eifersucht flammt und die Libretto-Probleme
auf. Jupiter befürchtet, diesmal dem seinerseits
maskierten Midas im Wettstreit um Danaes Liebe Die Liebe der Danae war bereits die dritte Oper,
zu unterliegen. Er wandelt Midas’ Gabe, alles in für die Strauss mit dem Librettisten Joseph Gregor
Gold verwandeln zu können, in einen Fluch – zusammenarbeitete, der ihm von dem ins Exil
und so wird Danae in dem Moment, in dem sie gedrängten Stefan Zweig gleichsam als Nachfolger
wirklich in Midas’ Arme sinkt, zu einer goldenen ans Herz gelegt worden war. Immer wieder hat die
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 281

Strauss-Forschung auf die schwierige Beziehung gors Version, die man vorher eher als Versuch ei-
der beiden hingewiesen, die die langwierige, von ner Ehrenrettung für den eigenen Anteil an dem
Schroffheiten und Kränkungen durch Strauss be- Projekt gesehen hatte, Evidenz durch das Auffin-
gleitete Arbeit am Danae-Libretto besonders den seines frühen Entwurfs (den er Strauss wohl
deutlich prägte und im Laufe der Debatten über tatsächlich bei seinem Besuch am 7. Juli 1935 in
das Libretto zu Capriccio schließlich zur Trennung Berchtesgaden übergeben hatte), der sich heute im
führte (Steiger 1999; Wilhelm 1988). Das Scheitern Archiv der Wiener Philharmoniker befindet. Die
dieser Arbeitsbeziehung wurde meist mit der man- von Kenneth Birkin ausgewerteten Korresponden-
gelnden literarischen Begabung Gregors begrün- zen zwischen Strauss, Zweig und Gregor sind für
det – vor allem im Vergleich zu Zweig und Hof- diesen Zusammenhang mehr als erhellend (Birkin
mannsthal. Das mag ein Faktor gewesen sein, 1983, 5). Warum aber erinnert sich Strauss nicht an
möglicherweise aber spielt hier doch eine komple- Gregors Entwurf, als Schuh ihm Hofmannsthals
xere und für das Verständnis der beiden letzten Exposé im Jahr darauf in Erinnerung bringt?
Opern aufschlussreiche Problemlage eine Rolle. Hofmannsthal war für Strauss offensichtlich
Nach Friedenstag, Strauss’ Projekt einer histori- eine wichtige inhaltliche Anschlussstelle – immer-
schen Oper, waren die beiden mit Daphne bei ei- hin gehen bis auf Daphne alle seine mythologi-
nem Stoff der griechischen Antike angekommen – schen Opern (Elektra, Ariadne auf Naxos, Die
ein Richtungswechsel, der Strauss nicht nur er- Ägyptische Helena und Die Liebe der Danae) auf
laubte, an Früheres anzuknüpfen, sondern die Zusammenarbeit mit ihm zurück, zwei ent-
überdies in mehrfacher Hinsicht dem Zeitgeist standen direkt als Libretto-Dichtungen für Strauss
entsprach. Goebbels’ Zustimmung wurde bereits (Ariadne und Die Ägyptische Helena; Elektra war
erwähnt und hat sicher auch damit zu tun, dass als Schauspiel-Tragödie entstanden). Strauss’ Per-
mythologische Stoffe spätestens seit Kriegsbeginn spektive auf die griechische Antike hatte bis zu
im Sommer 1939 den Vorteil hatten, jene »Milieu- seinem Lebensende etwas Sehnsuchtsvolles. Einen
Hindernisse« zu umgehen, die sich durch Schau- »griechische[n] Germane[n]« nannte er sich, viel
plätze ergaben, die verfeindete Länder auf die zitiert, noch in seiner »Letzten Aufzeichnung« am
Bühne brachten (Haken 2007, 166–182). Doch 19. Juni 1949 (Strauss 1981, 182). Von der griechi-
scheint der Resonanzraum für die Antike weitaus schen Mythologie spannte sich für Strauss der
komplexer, wie sich anhand der Frage zeigen wird, historischen Bogen der Kulturgeschichte bis zu
warum Strauss und Gregor zunächst in diesem seinem eigenen Schaffen (Hottmann 2005, 523–
Stoffkreis bleiben und warum sie sich schließlich 538; vgl. Kap. 9). Vor diesem Hintergrund muss
trennen (der noch bis 1939 diskutierte Plan einer man wohl auch seine Bemerkungen zu Gregors
Semiramis-Oper wurde schließlich nicht mehr Theatergeschichte lesen:
weiterverfolgt). 18. u. 19. Jahrhunderts letzte Vollendung alles kulturellen
Wie es zur Entscheidung für den Danae-Stoff Strebens seit 2000 Jahren: Germanischer u. christlicher
kam, wird von Gregor und Strauss verschieden Mythos im Orchester des Tristan, Nibelungenrings, Par-
sifal, Lohengrin, des griechischen Mythos in meiner
berichtet. Während Gregor darauf beharrt, er habe Elektra, Helena, Daphne, Danae. (Hottmann 2005, 533)
Strauss bereits bei einem ersten Treffen im Juli
1935 eine Skizze zu einer Danae-Oper mitgebracht, Hier verschränkt sich der kulturhistorische Bogen,
verweist Strauss auf ein (1933 in der Zeitschrift und das ist entscheidend, mit der eigenen Bil-
Corona erschienenes) Szenarium Hofmannsthals, dungsbiographie.
das ihm Willi Schuh im Sommer 1936 zugänglich Strauss’ Weg war von einer soliden humanisti-
gemacht habe (Birkin 1983, 3). Lange Zeit folgte schen Bildung grundiert, zu der die für ihn wich-
die Strauss-Forschung dieser Darstellung, wohl tige Verbindung der Antike zur Weimarer Klassik
auch weil sie so gut in das Bild passte, das man gehörte. Anders Gregor. Für ihn, der sein Abitur
sich von dem Verhältnis zu Gregor machte – als auf einer Oberrealschule machte und eigentlich
eine Art aussichtslose Konkurrenz mit Zweig, vor diesem eher technisch ausgerichteten Pfad folgen
allem aber mit Hofmannsthal (Gruber/Franke sollte, war die aus eigenem Antrieb gesuchte hu-
1997, 130). Erst in den 1980er Jahren erhielt Gre- manistische Bildung – Griechisch und Latein
282 Opern und Ballette

lernte er in Privatstunden (Dusek 1999, 16) – das Gregors 1933 erschienener Weltgeschichte des Thea-
Vehikel seiner Emanzipation von den familiären ters macht und ihm ausführlich in dieser Sache
Erwartungen, gleichsam die Eintrittskarte zur je- schreibt. Katharina Hottmann hat Strauss’ Inter-
ner künstlerisch-intellektuellen Sehnsuchtswelt, esse an Gregors theatergeschichtlichen Arbeiten
die er in seiner Strauss-Monographie so wirkungs- ausführlich kommentiert und sie in den Zusam-
voll auf den Komponisten projiziert: menhang der Strauss‘schen kulturhistorischen
[…] ich stand im beneidenswerten Alter von siebzehn Perspektiven auf die Operngeschichte gestellt, die
Jahren und bekam den Klavierauszug der ›Salome‹ gerade auch für sein eigenes Komponieren von grundle-
zum gelungenen Abiturium. Als ich ihn mit glühenden gender Bedeutung waren (Hottmann 2005). Noch
Wangen und vielen falschen Tönen spielte, faßte ich den
Entschluß, einen Operntext für Richard Strauß zu schrei- 1945 artikuliert Strauss vor diesem Hintergrund
ben. Dies hat dann noch dreißig Jahre auf seine Verwirk- seine Griechensehnsucht und fügt sein eigenes
lichung gewartet, ist mir aber immerhin ein Beweis, daß Werk in diese Gedankenfigur ein:
Blütenträume reifen. (Gregor 1939, 76)
Nach der Lektüre des asiatischen (besonders indischen
Gregors Danae-Entwurf weist so wenige Verbin- Theaters) und des Jahrhunderts der griechischen Tragödie
dungen zu Hofmannsthals Szenarium auf, dass über den schönen Regenbogen nachdenkend, der sich
(von der Bibel und Homer) speziell von Äschylos, Sopho-
man (obwohl beide einander persönlich kannten) kles und Euripides bis zu Goethes und Gerhart Haupt-
fast vermuten möchte, er habe es gar nicht zu manns Iphigenien, die trotz ihrer Bedeutung – ohne
Gesicht bekommen – jedenfalls sind seine Ansatz- Musik aber die Erlösung des Mythos nicht bringen
konnten, bis zu Glucks Iphigenien, meiner Salome,
punkte andere. Wie aber kam Gregor seinerseits Elektra, Helena, Frau ohne Schatten, Daphne-Apollo,
auf den Danae-Stoff? Soweit man es der Korre- Ariadne-Bacchus, Danae-Jupiter spannt, komme ich im-
spondenz entnehmen kann, geht die Beschäfti- mer wieder auf meinen alten Gedanken zurück, daß mit
gung nicht auf Anregungen Zweigs zurück. In der Geburt der Mozartschen Melodie der Ring geschlos-
sen werden konnte, der die gesamte europäische Kultur
enger Verbindung zu Zweig bzw. zu seinen Ent- in sich schließt (Strauss, Betrachtungen zu Joseph Gre-
würfen entstanden vielmehr Friedenstag und – gors »Weltgeschichte des Theaters« [1945]; Strauss 1981,
noch während der Arbeit an Danae begonnen – 173).
die ersten Vorschläge zu einem auf Giovanni Bat- Der dritte Akt der Danae wird ausdrücklich zum
tista Castis Prima la musica, poi le parole Fluchtpunkt dieser Utopie erklärt: Seine griechi-
basierenden Stück, dem späteren Capriccio (Birkin schen Opern hätten, so schreibt Strauss an Gregor,
1983). Für die mythologischen Opern muss bei »in Jupiters Abschied von der Welt den Menschen
Gregor ein anderer, möglicherweise stärker dem Tonsymbole geschaffen, die als letzte Erfüllung
aktuellen Zeitgeist verbundener Hintergrund an- griechischer Sehnsucht gelten dürfen« (4.2.1945;
genommen werden. Dass er sich mit Strauss in RSJG 269, 271). Unmittelbar bevor Gregor dem
diesen Sujets trifft, ist eher als Koinzidenz zweier Bewunderten 1939 seine während der Arbeit an
auf unterschiedlichen Voraussetzungen wie Zielen Danae geschriebene Strauss-Monographie wid-
beruhender Perspektiven auf diesen Stoff denn als mete, hatte er sich seinerseits ausführlich mit dem
eigentlich inhaltliches Einvernehmen verstehbar – antiken Griechenland befasst: 1938 war Perikles.
die verschiedenen Erinnerungen wären hierfür ein Griechenlands Größe und Tragik erschienen, 1940
Symptom. folgte eine Monographie über Alexander den
Einige Vorstellungen von der Bedeutung des Großen. Geschrieben, als das Verhältnis zwischen
antiken Mythos für eine Kulturgeschichte des ihm und Strauss über der Arbeit an Capriccio zu-
Theaters teilte Gregor offensichtlich mit Strauss. nehmend schwieriger geworden war, brachte
Gemeinsam – wenn auch aus deutlich unter- Gregor 1941, nachdem Strauss die Zusammenar-
scheidbaren Interessen heraus – war beiden zu beit beendet hatte, die Kulturgeschichte der Oper
Beginn der Arbeit wohl die Faszination einer heraus, die den von Strauss projektierten kulturge-
Utopie: Mit dem griechischen Mythos sollte die schichtlichen Bogen von der Antike bis zu ihm
Oper die kulturgeschichtliche Entwicklung des schlägt.
»Abendlands« vollenden. Strauss’ Lektüre der Als Komponist wollte oder konnte Strauss
Gregorschen Schriften reicht bis in das Jahr 1935 diesen Weg offensichtlich nicht weitergehen: Ei-
zurück, in dem er sich umfangreiche Notizen zu ner der sofort ins Auge springenden Unterschiede
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 283

zwischen Danae und Capriccio betrifft die kon- 1939 (kurz vor Abschluss der Komposition des
krete zeitliche und räumliche Verortung der zweiten Aktes der Danae) direkt voraus (Wilhelm
Handlung. Sie steht in auffälligem Kontrast zur 1988, 77–94). Bemerkenswerterweise spitzte sich
Typisierung und Verallgemeinerung der Figuren die Diskussion über die Verortung erst zu, nach-
in Danae. Die Verbindung von Vergegenwärti- dem die formale Disposition der Oper für Strauss
gung und Idealisierung, die an den Stoffen aus der schon weitgehend klar war – also seit Ende Sep-
Mythologie so attraktiv war, ist in Capriccio aufge- tember 1939. Und in eben diesem Zusammenhang
geben. Für Strauss und Krauss führte der Weg aus wurde der von Gregor als ideengeschichtlicher
solcher klassizistischer Idealisierung heraus. Damit Kontext aufgerufene Weimarer Klassizismus zum
hatten die beiden – nach mühsamen Debatten – Drehpunkt der Positionierungen: Gluck und
noch während der kompositorischen Arbeit an Goethe ließen sich über ihre Iphigenien zusam-
Danae für das nun folgende Projekt eine Konsens- mendenken und dies spielte eine entscheidende
ebene mit Gregor aufgegeben, die dort noch Be- Rolle für die im Sommer 1939 aufkommende Idee,
stand hatte. Und möglicherweise ist die für die Oper in »dem merkwürdigen Milieu« anzusie-
Strauss’ musikdramatischen Instinkt eher untypi- deln,
sche und (später immer wieder hervorgehobene) in das der junge Goethe in Weimar eintrat, und den
musikdramaturgische Unwucht der drei Danae- Liebhaberaufführungen. […] Ich gestehe gern, daß mich
Akte (die fast wirkt, als habe Strauss dieses Stück das empfindsame Milieu reizen würde, auch die ganze
Zartheit des Rokoko. Um diese Zeit ist die taurische
nicht ganz zu Ende gedacht) auch ein Symptom Iphigenie Glucks schon da, und Goethe arbeitet gerade
dieses Kurswechsels. Gregors Kulturgeschichte der an der seinen (Prosafassung). (Gregor an Strauss, 9.7.1939;
Oper liefert Hinweise auf die Gründe für die Tren- RSJG 185)
nung. Selbstverständlich setzt Gregor mit der Zwar wehrte sich Strauss vehement und wieder-
Antike ein, situiert Gluck vor einen humanistisch holt gegen solch explizite Anspielungen an Goethe
perspektivierten, klassizistischen Horizont, der (wie auch an andere bekannte Figuren der Zeit)
von Winckelmann über Rousseau führt (Gregor und bekam dafür auch Beistand von Krauss. Den-
1941, 178) und kaum überraschend bis zu Strauss’ noch rief er ihn Anfang Oktober 1939 als Maßstab
mythologischen Opern reicht (genannt werden auf, allerdings den späten Goethe der 1830er und
Salome, Elektra, Ariadne und Daphne), denen eben nicht, wie Gregor vorschlug, den der 1780er
Gregor die Transzendierung des Experiments Jahre:
»zum Ewigkeitswert« zuschreibt (ebd., 411). Unser ›de Casti‹ muß für 1932 (nach Mozart, Wagner,
Wie sehr die Frage nach der Möglichkeit klas- Puccini, Lehar) werden, was Göthes ›Vorspiel auf dem
sizistischer Idealisierung, die Beschwörung solcher Theater‹ für 1832 (nach Shakespeare, Lessing, Schiller,
Kotzebue, Iffland) war. (Strauss an Gregor, 7.10.1939;
Ewigkeitswerte in dieser Zeit für Strauss (anders RSJG 200)
als für Gregor) noch während der Komposition
der Danae zum Problem wurde und wie ambiva- Der Verweis auf Faust als Referenzpunkt mag
lent seine Haltung in diesem Punkt zunächst noch Gregor noch suggeriert haben, man denke in eine
war, zeigt der Blick auf die gleichzeitigen Überle- ähnliche Richtung. Es lag nun eine relativ genaue
gungen zur Verortung der Capriccio-Handlung, Disposition vor, die die Handlung 1832 ansiedelte.
die nach der Vorlage eigentlich nach Wien und in Dann aber kam es – knapp zwei Wochen vor
das Jahr 1786 verwies: Castis Libretto Prima la Strauss’ Verzicht auf Gregors weitere Mitarbeit –
musica, poi le parole, mit dem der Hofkapellmeis- zu einem Umschwung und Capriccio verlagerte
ter Antonio Salieri sich im Schönbrunner Schloss- sich endgültig nach Frankreich und in die Zeit vor
theater einen Wettstreit mit Mozart lieferte, war der Revolution. Strauss berichtete Gregor von ei-
bereits 1934 von Zweig vorgeschlagen und später nem ausführlichen Gespräch mit Krauss und dem
von Gregor aufgegriffen worden. Die Debatte Regisseur Rudolf Hartmann, das die entschei-
über den Ort der Handlung, in deren Folge der dende Entwicklung offenbar befördert hatte:
Schauplatz nach Frankreich rückte und Krauss […] das Stück, wie ich es mir denke, kann nur in Frank-
sich konkret in die Arbeit am Libretto einschal- reich, auf einem Schloß in der Nähe von Paris (Zeit
tete, ging der Trennung von Gregor im Oktober Diderot’s und Rousseau’s 1770–89) spielen. Die Comtesse
284 Opern und Ballette

kein blasses deutsches Mädchen, sondern eine aufgeklärte Fahne des Klassizismus – als Sammelbecken für
27jährige Französin mit den entsprechend freien Ansich- konservative Schichten des Bildungsbürgertums,
ten in Liebesdingen, und ernstern schöngeistigen Wün-
schen als ihr Bruder, der philosophische Theaterfreund Teile der kulturellen Führungsschicht des Regi-
und Dilettant. (Strauss an Gregor, 13.10.1939; RSJG mes, aber eben auch solche, die Distanz zum Re-
205 f.) gime wahren wollten, indem sie die Bewahrung
Gregor versuchte noch in einem letzten Anlauf am eines humanistischen Ideals hochhielten. Die
23. Oktober (Wilhelm 89 f.) darauf zu reagieren, Winckelmann-Gesellschaft bot gerade im Krieg,
in seinem mittlerweile siebenten Entwurf heißt es wie der bemerkenswerte Anstieg ihrer Mitglieder-
schließlich: »Man erblickt eine Terrasse mit Aus- zahlen zeigt (ebd., 353), eine Projektionsfläche für
sicht auf einen französischen Garten im Stile von sehr unterschiedliche Hoffnungen. Mit der dezi-
1780« (Wilhelm 1988, 89). Gleichwohl beendete dierten Verortung von Capriccio in Frankreich
Strauss die Zusammenarbeit nun definitiv (Strauss wird die Oper zu einem Gegenmodell hierzu (s. a.
an Gregor, 28.10.1939; RSJG 210). unten S. 293 ff.) – und auch die Aufschiebung der
Was hat es mit jener Verbindung von Verge- Uraufführung der Danae auf die Zeit nach dem
genwärtigung und Idealisierung bzw. Universali- Krieg mag man als Zeichen dafür lesen, dass
sierung auf sich, die Danae offenbar noch trug Strauss eine antike Transzendierung in diesen
(und auch Angelpunkt für Hofmannsthals My- Kriegszeiten und vielleicht auch in solcher intel-
thos-Verständnis gewesen war; Banoun 2005) und lektueller Gemengelage nicht auf die Bühne
von der nun Strauss und Krauss im Zuge der Ar- bringen wollte. Der Aufführung von Danae in
beit an Capriccio abrückten? Als Rekurs auf huma- Salzburg 1944 stimmte er erst zu, als im Grunde
nistische Denktraditionen bildete das klassizisti- bereits klar war, dass dieser Krieg und damit letzt-
sche Denken wie der dadurch geprägte Zugriff auf lich auch das NS-Regime verloren war und nicht
die griechische Mythologie einen ästhetischen mehr die Gefahr bestand, dass dieses das Stück für
Fluchtpunkt für nicht wenige Vertreter der soge- sich vereinnahmen würde.
nannten Inneren Emigration, aber eben auch ein Dass Gregor gerade diesen Strauss so ambiva-
ästhetisches Angebot an die NS-nahen Bildungs- lent erscheinenden Weg in die klassische Antike,
eliten. Dies lässt sich von der Architektur (1937 der sowohl in eine regimeskeptische Idealisierung
wurde mit Paul Ludwig Troosts »Haus der deut- humanistischer Werte wie in die nationalsozialis-
schen Kunst« in München der erste monumental- tische Bildungselite führen konnte, weitergehen
klassizistische Repräsentationsbau des Regimes wollte, zeigt seine Nähe zu Strauss’ prominentem
eingeweiht; Reichel 1992) bis in den Habitus der Generationsgenossen Gerhart Hauptmann, die
»gehobenen« NS-Presse verfolgen. »Nationalsozia- sich nach Gregors Ausscheiden aus dem Capriccio-
lismus im Frack« nannte dies rückblickend Carl Projekt offenbar intensivierte. 1942 gestaltete
Linfert, ehemals Redakteur der Zeitschrift Das Gregor eine Hauptmann-Ausstellung im Burg-
Reich (Frei/Schmitz 1999, 119). Mit dieser Zeit- theater und publizierte im Umfeld einige journa-
schrift schuf das Regime 1940, also nach Beginn listische Arbeiten über den Dichter, darunter
des Krieges, gezielt einen Raum, in dem die Gerhart Hauptmann und die Antike für Joseph
Grenze zwischen »Widerstand zwischen den Zei- Weinhebers Zeitschrift Der Augarten (Mühlegger-
len« und Regimetreue verschwamm (Plank 2007). Henhapel 2006, 128 und 146). Hauptmann siedelte
Nicht von ungefähr verwendete man für diese sich aus Gregors Sicht bei aller durchaus auch
Zeitschrift eine Antiqua-Schrift, die nicht wie die konstatierbaren Reflexion genau in jenem ästheti-
Fraktur nationale Charakterisierung, sondern schen Raum an, in dem sich das regimetreue wie
Universalität signalisierte (Rück 1993). Ein weite- das regimekritische Bildungsbürgertum zusam-
rer Raum, in dem sich diese Grenzen verwischten, menfinden konnte – nicht von ungefähr wurde er
war die ebenfalls 1940 gegründete Winckelmann- auch Mitglied der Winckelmann-Gesellschaft
Gesellschaft, zu deren Aufgaben zuerst die »Auf- (Sprengel 2009, 264–267; Sünderhauf 2004, 354 u.
rechterhaltung ziviler und kultureller Aktivitäten Anm. 274). Und wie der Blick auf seine 1940/41
während des Krieges« gehörte (Sünderhauf 2004, entstandenen Iphigenien zeigt, hat der Dichter die
364). Auch diese Gesellschaft fungierte – unter der Perspektive der klassizistischen Utopie in seinen
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 285

Werken auch nicht aufgegeben (Sprengel 2009, an Hauptmann zu schicken, den er darauf neugie-
287 ff.). rig gemacht habe (20.2.1942 und 24.2.1942; RSCK
Strauss selbst stand in durchaus freundschaft- 446 f.). Im März berichtete Strauss dem Dichter
lich-respektvollem Kontakt mit dem noch be- vom anhaltenden Wiener Erfolg der Hauptmann-
rühmteren Hauptmann (Sprengel 2009, 241). Das schen Iphigenie (23.3.1942; RSGH 30). Haupt-
dokumentiert die Korrespondenz zwischen bei- mann antwortete darauf mit dem Bericht von ei-
den, die man ungeachtet ihrer vordergründigen ner Lesung und Diskussion des Capriccio-Librettos
Belanglosigkeit als »Dokumente menschlicher, »unter Klausur« mit Peter Suhrkamp und Carl
hoher gegenseitiger Wertschätzung« ernstnehmen Friedrich Wilhelm Behl (19.4.1942; RSGH 32),
sollte (RSGH 4 f.). Die zwischen 1934 und 1944 einem von den Nazis beruflich kaltgestellten Juris-
gewechselten Schreiben enthüllen, wie bewusst ten und Schriftsteller, während Suhrkamp nach
sich beide gerade in diesen Jahren ihrer Genera- der Emigration von Gottfried Bermann Fischer
tionsgenossenschaft und historischen Bedeutung, mit dessen Billigung die in Deutschland verblie-
aber auch ihrer unterschiedlichen Ausrichtung benen Verlagsteile führte (und so als Verleger
waren. So sendete Hauptmann im Sommer 1934 auch Hauptmann vertrat). Zur Uraufführung von
»Dem lieben und göttlichen Musikanten, dem Capriccio kamen weder Hauptmann noch Gregor
unvergänglichen Meister, der […] das ernste Ge- (der übrigens auch bei der Generalprobe der Da-
genwartsschicksal des deutschen Volkes teilt und nae 1944 nicht zugegen war; Steiger 1999, 97 f.),
mit dem Licht hoher Kunst überglänzt, warme jedoch schickten sie – und zwar bezeichnender-
Geburtstagsgrüße seines stets herzlich verbunde- weise gemeinsam – ein Glückwunschtelegramm
nen Zeitgenossen« (10.6.1934; RSGH 18) und (28.10.1942; RSGH 34).
Strauss antwortete wenig später: »die alte Garde
stirbt nicht, sie ergibt sich auch nicht« (15.7.1934;
ebd.). Nachdem er dem geschätzten Dichter, mit
dem er sich so lange auf einer Linie wissen wollte, Sinnliche Evidenz
noch im November 1939 berichtet hatte, er voll- und formale Unbestimmtheit.
ende seinen »Griechenzyklus mit einer Huldigung Griechische Komödie
an den Göttervater in seinem Abenteuer mit Da- zwischen Offenbach und Wagner
nae« (14.11.1939; RSGH 25), deutete Strauss im
Sommer 1941 seine Distanzierung von der antiken Die beiden letzten Opern sind von Strauss selbst,
Themenwelt an: aber auch von der Nachwelt, immer wieder auf
[…] der Kopf ist noch so weit beisammen, daß ich mich unterschiedliche Weise als Vermächtnisse des
zuletzt unter die ›Concurrenz‹ begeben habe und mir als Komponisten verstanden worden. Die Liebe der
Abschluß (mit Clemens Krauss zusammen) einen kleinen Danae gilt, einer Formulierung des Komponisten
Einakter selbst ›gedichtet‹ habe, der angeregt von dem
Titel einer alten Oper des de Casti: ›prima le parole – folgend, als »Schwanengesang« (Strauss an Schuh,
doppo la musica‹ das Verhältnis von Wort und Ton und 8.3.1945; RSWS 78), als Abschiedsszenario, als
so manche andere Theater und Oper berührende Theore- Rückzug des Künstlers vom Leben (Satragni 2005,
tika in Form einer im Jahre 1775 in Paris spielenden Ko-
mödie (das Jahr der ersten Aufführung von Glucks Iphi- 607–609). Dieses auch durch Berichte von Strauss’
genie in Aulis!) wie ich glaube, nicht ohne Grazie behan- Reaktionen auf die Generalprobe 1944 beförderte
delt! (1.7.1941; RSGH 27) Bild prägt die Rezeption entscheidend und spielt
Durch die Erwähnung der Uraufführung der auch für die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug
Gluckschen Iphigenie als Horizont der Handlung dieses mythologischen Stoffes eine wichtige Rolle,
konnte Strauss sein Unternehmen gleichsam über der bei dem als Quelle immer wieder aufgerufe-
Bande auch ins Verhältnis setzen zu dem Haupt- nen Hofmannsthal (dessen Bezugsgattung die
manns, der in dieser Zeit, was Strauss wohl wusste, zeitkritische Operette Offenbachschen Zuschnitts
an seiner Iphigenie in Delphi arbeitete. Im darauf- gewesen war) offenbar anders und konkreter poli-
folgenden Februar, kurz nach deren Wiener Erst- tisch zu denken war als nun bei Strauss (Satragni
aufführung am 13. Februar, bat Strauss Clemens 2005; Banoun 2005). Martina Steiger nutzt ihre
Krauss wiederholt, das fertige Capriccio-Libretto letztlich hermeneutische Perspektive auf den mu-
286 Opern und Ballette

sikalischen Satz nicht nur, um über die Komplexi- nahm, erlaubte Strauss schließlich zweierlei: Er
tät des Geflechts aus Tonartensymbolik und Mo- konnte Jupiter zum einen in der quasi-identifika-
tivsystematik die Ebenbürtigkeit der Komposition torischen Überblendung Offenbach-Wagner-
mit den unbestrittenen Hauptwerken zu erweisen, Strauss zum Brennspiegel seiner musikdramati-
sondern auch, um ihn semantisch zu entschlüsseln schen Reflexion machen, zum zweiten aber auch
bis hin zu jener in der Partitur aufgesuchten Iden- zur Konkretisierung des Verweises auf Offenbach
tifikation des Komponisten mit der Jupiterfigur, nutzen und seine schon nach dem Ersten Welt-
die die Denkfigur des »Schwanengesangs« trägt krieg von Hofmannsthal gewünschte Operette à la
(Steiger 1999). Giangiorgio Satragni projiziert gar Offenbach in eine explizite Anspielung überfüh-
den Stil der »Vier letzten Lieder« vor allem auf ren (Hofmannsthal 1998, 745, 448 f.). Ob Gregor
den dritten Akt und sieht dort einen Vorschein mit seinem Vorschlag schließlich Hofmannsthals
der spätesten Entwicklungen nach dem Krieg Idee einbezieht, ist schwer zu sagen, Offenbach
(Satragni 2005). Katharina Hottmann dagegen jedoch hatten beide Autoren augenscheinlich im
liest das Werk dezidiert vor dem Hintergrund des Sinn: Erst im Verweis auf Offenbachs berühmte
Strauss‘schen Historismus und kann damit die Jupiter-Figur aus Orphée aux Enfers erklärt sich,
Strategien des Komponisten jenseits solcher warum der Göttervater bei Gregor und Strauss
Transzendierungen (vor allem auch auf formaler den römischen Namen trägt und im dritten Akt
Ebene) sichtbar machen (Hottmann 2005, 444– auch noch den Götterboten Merkur zur Seite be-
460). kommt (beide überdies in den gleichen Stimm-
Verschiedene Ebenen überlagern sich offen- lagen wie bei Offenbach), während Hofmannsthal
sichtlich in der Liebe der Danae und dies spiegelt mit seinem Entwurf ganz in der griechischen
sich in der Genese wie der formalen Anlage des Mythologie geblieben war.
Stückes. Entstanden die ersten beiden Akte vor Die Konkretion dieser Anspielung hat Konse-
allem im Austausch zwischen Gregor und Strauss, quenzen auf der Ebene der Großform, die zumin-
der dessen Entwürfe immer wieder modifizierte, dest auffällig sind. Was an der formalen Konzep-
gab es zum dritten Akt, bevor noch eine erste Li- tion des Werkes zuerst in den Blick kommt, sind
bretto-Version Gregors vorlag, bereits genaue die seltsamen Proportionen der Akte: Während
Vorstellungen von Krauss und Strauss selbst, der erster und zweiter Akt jeweils knapp eine dreivier-
konkrete Ideen zum musikalischen Ablauf einzel- tel Stunde dauern, nimmt der dritte mit über
ner Passagen entwickelte (Steiger 1999, 122 f., 70 Minuten (im Livemitschnitt des Österreichi-
130 ff.). Dass der Vorschlag, Jupiter leibhaftig auf- schen Rundfunks von der Salzburger Urauffüh-
treten zu lassen, von Gregor stammte, ist (wohl rung 1952 unter Krauss) deutlich mehr Raum ein.
um dessen Arbeit gegenüber Hofmannsthals Ent- Nur er besitzt ein in der Partitur auch so über-
wurf wenigstens an manchen Stellen als originell schriebenes »Vorspiel«. Seine Binnengliederung
zu würdigen) immer wieder hervorgehoben wor- nimmt diejenige des ersten Aktes wieder auf (drei
den (bei Hofmannsthal sollte der Göttervater nur durch Zwischenspiele und -vorhänge getrennte
musikalisch auftreten; Hofmannsthal 1998, 113; Bilder), während der zweite Akt die Einheit des
RSJG 112). Ausgerechnet im dritten Akt, in dem Ortes wahrt. Allerdings wird der Schauplatz im
sich die Bedeutung dieser Idee am deutlichsten dritten Akt zunächst in eine verallgemeinerte
entfaltet, war Gregors Einfluss auf die Entwick- mythische Gegend versetzt, die wenig mit den
lung des Librettos am geringsten. Gleichwohl er- konkreten Orten (Gemächer des Königs-Palastes,
weist sich die Präsenz Jupiters als Bühnen-Figur der Hafen) der ersten beiden Akte gemeinsam hat,
für diesen Akt als zentral – wenngleich in ihren sondern greift die in der Ägyptischen Helena bereits
Konsequenzen möglicherweise nicht immer im prominent aufgerufene »geläuterte orientalische
Sinne Gregors. Ihm widerstrebte die operetten- Antike« (Lütteken 2013, 82–89) als Gegenbild zu
hafte Behandlung des Stoffes, trotz aller Interven- den Wagnerschen Landschaften wieder auf: eine
tionen von Seiten des Komponisten schlug er no- Landstraße im Orient, auf der Midas und Danae
torisch einen hohen Ton an. Gregors Vorschlag, sich wiederfinden, nachdem sich die Pracht des
den der Komponist zunächst sehr skeptisch auf- Palastes als falscher Zauber entlarvt hatte; eine
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 287

südliche Waldlandschaft in den Bergen, in der Schon in der zweiaktigen Fassung im Januar
Jupiter nicht nur von Merkur, sondern auch von 1938 dachte sich Strauss den Schluss der Oper ex-
allen Protagonisten der ihm entglittenen Hand- plizit als eine ironische Alternative zur Götter-
lung der ersten beiden Akte eingeholt wird – und dämmerung:
sich ihnen durch einen neuerlichen Goldregen Ab 12. März wieder Meran! Könnte ich bis dahin den
entzieht. Der Akt schließt allerdings intim mit II. Akt bekommen? Für den Schluß brauche ich eine
schöne lange Abschiedsrede des Jupiters, ähnlich wie
einer letzten Szene zwischen Jupiter und Danae, Hans Sachs am Ende der Meistersinger!
in der Midas’ Hütte dem Palast des Pollux entge- Inhalt: heitere Resignation, Abschied von den altern-
gengestellt wird. den Liebchen auf Nimmerwiedersehn. Nahende Götter-
Das dreiteilig angelegte, formal und harmo- dämmerung. Nachdem das Abenteuer mit Danae miß-
glückt, Zweifel an der Allmacht der Götter. Die heiteren,
nisch eigenständige Vorspiel zum dritten Akt, das schönen Götter weichen finsteren Geistern. Eine neue,
überdies motivisch-thematische Beziehungen zur ihnen unverständliche Liebe tritt in die Welt – kurz:
gesamten Handlung aufbaut, ruft unübersehbar hübsche, lächelnde Philosophie. (30.1.1938; RSJG 90)
die »Funktion einer Ouvertüre« auf (Aringer-Grau Solche »lächelnde Philosophie« sollte also jene
2005, 623–630). Was aber hat es für die Gesamtan- »griechische Götterdämmerung« prägen, die
lage zu bedeuten, wenn Strauss nicht nur eine so Strauss am Ende der Oper vor sich sah (RSJG 115).
deutliche Zäsur im dramatischen Ablauf setzt, Im Juni schrieb Krauss, nachdem Gregor ihm
sondern mit der Referenz an die Ouvertüre noch seinen Entwurf geschickt hatte:
einmal neu beginnt und damit den letzten Akt auf Ich bin sehr froh darüber, daß Sie 3 Akte haben wollen. Das
doppelte Weise gleichsam alleinstellt? Ganze muß sich im Stil dem spanischen Theater nähern,
Gregor hatte in seinem ersten Entwurf von 1935 damit keine Götter-Parodie daraus wird! (RSCK 231 f.).
eine zweiaktige Anlage vorgesehen: mit dem Gold- Die Anspielung an Offenbach war kaum zu über-
regen als Vorspiel und der Rück-Verwandlung des hören. Gleichwohl schlug Krauss vor, in diesem
Palastes in die Hütte des Midas etwa in der Mitte Akt den heiteren Charakter des Werkes nicht zu
des zweiten Aktes (Steiger 1999, 112–115). Hof- verlassen und vielleicht sogar noch eine komische
mannsthal dagegen hatte drei Akte entworfen. Der Figur einzuführen – tatsächlich bekam Jupiter
dritte begann im Schlafgemach von Midas’ Palast, nun, der Offenbach-Anspielung folgend, Merkur
zeigte die Aufhebung des Zaubers und endete im an seine Seite. Gleichzeitig verfestigten sich auch
Grunde dort, wo bei Gregor und Strauss schließ- die Anspielungen auf Wagners Ring, die vorher,
lich der formal so deutlich markierte dritte Akt erst etwa in dem Goldmotiv und den vielen Frauen-
beginnt. An diese Form haben sich die beiden über ensembles, eher latent blieben: Es häufen sich die
mehrere Stufen herangearbeitet: Gregors zweiter Erzählungen der Vorgeschichte (Midas erzählt von
Entwurf vom April 1937 hatte bereits drei Akte, seinem Pakt mit Jupiter, Merkur berichtet von den
der Goldregen blieb als Vorspiel, die Verwandlung Vorgängen im Olymp, die Königinnen von ihren
in der Mitte des zweiten Aktes, der dritte aber Liebesgeschichten mit dem verkleideten Gott).
folgte noch dem traditionellen Dramenschema Wie Wotan im Gewand des Wanderers im Ring
und war als Lösung des Konfliktes konzipiert. tritt Jupiter als »Alter Mann im Burnus« in Midas’
Auch ein dritter Anlauf im Juni desselben Jahres Hütte zu Danae ein. Danaes Funktion für Jupiter
hielt daran fest, auch wenn am Ende nun eine stellte sich Strauss analog zu jener Siegfrieds für
Bankettszene mit Jupiter und seinen Liebchen Wotan vor: Sie ignoriert wie dieser die Macht des
stand (Steiger 1999, 121–124). Erst danach änderte Gottes und folgt ihrer Liebe um jeden Preis
sich die Konzeption des dritten Aktes: Die Ver- (Strauss an Gregor, 12.1.1939; RSJG 155; Hottmann
wandlung rückte in die Pause zwischen zweitem 2005, 449 ff.). Man mag bei dieser Szene unwei-
und drittem Akt und machte so den Weg frei für gerlich an Wotans Abschied von Brünnhilde am
die beschriebene Alleinstellung und Ausweitung Ende der Walküre denken. Dass Strauss neben
des Schluss-Aktes – nicht zur Freude Gregors, der Siegfried Hans Sachs als Vorbild für Jupiters Ab-
dieses Konzept auch noch nach der Generalprobe schied anführte (im oben zitierten Brief vom
1944 gegenüber einem befreundeten Regisseur 30.1.1939), mag vor allem dazu dienen, die Stillage
ausdrücklich beargwöhnte (Steiger 1999, 99). des Textes zu sichern. Offensichtlich wollte der
288 Opern und Ballette

Komponist insgesamt verhindern, dass der Wag- tritte, im Parlando Merkurs etc.). Die Sprach-
nersche Ton das Libretto bestimmte: ebene, und hier lag wohl einer der Dissens-Punkte
Ich empfehle also nochmals […] mit den Wörtern: ›ewig, mit Gregor, sollte offensichtlich formal wie stilis-
endlos, göttlich‹ äußerst sparsam zu verfahren und vor tisch diese distanzierte Heiterkeit als Haltung
allem den guten, lieben Jupiter möglichst zu entwotani- präsent machen. Immer wieder verhandelte
sieren! Ihn jovialer, gemütlicher, humorvoller – kurz
griechischer sprechen zu lassen! (9.2.1939; RSJG 164)
Strauss mit Gregor über seine Wünsche nach ge-
schlossenen Formen und vor allem über jene
Denkt man die Offenbach-Anspielung weiter, so »pretiöse Ironie«, die ihm von Anfang an so wich-
könnte man das seltsame Formspiel auch als Über- tig war (z. B. Strauss an Gregor 23.6.1936; RSJG
lagerung, als Changieren einer zweiaktigen und 66). Wenn Strauss etwa zur Danae-Szene be-
einer dreiaktigen Anlage lesen: Das mit Jupiter merkte: »Die Form, viel zu breite Sätze, wieder zu
und Merkur aufgerufene Offenbachsche Referenz- viel Nebensätze! Das Ganze müßte im Coupletstyl
stück ist – in seiner ursprünglichen Fassung – eine gehalten sein. Kurze, scharf pointierte Gstan-
zweiaktige Opéra bouffon. Strauss selbst hatte zerln – womöglich gereimt« (24.2.1937; RSJG 80),
bereits zweimal auf eine zweiaktige Form zurück- wenn er »geschlossene Nummern, Coupletform«
gegriffen: 1924 in der »bürgerlichen Komödie« oder »Jupiters Anklage mit wiederkehrendem
Intermezzo (auf ein eigenes Libretto) als Alterna- Refrain: Gold, Gold, Gold« forderte (28.8.1937;
tive zum dreiaktigen Drama Wagnerscher Prove- RSJG 85), dann suchte Strauss im Text vor allem
nienz und 1928 in der – ebenfalls auf Offenbach nach Anlässen für prägnante melodische Gestal-
verweisenden – »zweiaktigen Oper« Die Ägyptische ten. Um so erstaunlicher, dass er die formalen
Helena (auf ein Libretto von Hofmannsthal): auch Angebote des Librettos eher selten auskomponiert
hier der Seitenblick zu Offenbach bereits in der hat. So hätte etwa die Verabschiedung der vier
Sujetwahl, in der es auf dem Spielfeld einer orien- Königinnen im Mittelbild des dritten Aktes, wo
talischen Antike um die Verbindung des Heroi- jede in völlig paralleler Weise ihren Abschiedsvers
schen mit dem Lustspielhaften ging. erhält, Anlass zu einer couplethaften Anlage gege-
Auf dem Weg hin zu dem von Hofmannsthal ben. Strauss jedoch individualisiert gerade diese
wie Strauss verfolgten Ziel der »›Gattungs‹- Couplets zu jeweils spezifischen Binnen-Episoden,
Bestimmung einer neuen mythologischen Oper« so dass die Großform der Szene unübersichtlich
(Lenz 1972, 151; Hottmann 2005, 532 f.; Hervorh. wird. Diese Strategie lässt sich mit Hottmanns
im Orig.) ging Strauss mit Danae einen weiteren Beobachtung verbinden, die Besonderheit des
Schritt, indem er seine griechische Komödie dezi- Danae-Stils liege »im Kontrast zwischen Melodie-
diert zwischen Offenbach und Wagner ansiedelte bildung und Form: Die Melodien sind äußerst
und den dritten Akt für die Entfaltung dieser geschlossen und prägnant formuliert, während der
Gegenperspektive nutzte. Gewissermaßen richtet formale Kontext in seinen weiträumigen Dimen-
der dritte Akt der Oper, anders als in Hofmanns- sionen wenig fasslich ist« (Hottmann 2005, 456).
thals Entwurf, einen die Wagnersche Erfahrung Diese Spannung zwischen sinnlicher Evidenz
einbeziehenden, reflektierenden Blick auf die und formaler Unbestimmtheit prägt das Stück
beiden ersten Akte. Vor diesem Hintergrund kann von Beginn an und bringt ein komplexes Spiel
man die Funktion der Ouvertüre mit ihrem Re- nicht nur auf der musikalischen, sondern auch auf
kurs auf die zentralen musikalischen Motive so- der szenischen Ebene in Gang, in dem es um das
wohl der vorhergehenden wie der noch folgenden Erscheinen, Erkennen und Verorten von musika-
Bilder auch als Gelenkstück lesen. lischen wie szenischen Gestalten geht (hier zeigt
Die Distanz der heiteren Ironie allerdings sollte sich auch der Unterschied zwischen Strauss’ moti-
nicht verlassen, sondern eher transformiert wer- vischer Arbeit und Wagnerschem Leitmotivden-
den. Dies wollte Strauss erreichen, indem er ken, das eher dramatisch als theatralisch motiviert
mehrere Prinzipien miteinander konfrontierte – ist, d. h. eher einer hinter der sinnlichen Konkre-
weshalb er sich dazu entschloss, musikalisch nur tion stehenden dramatischen bzw. psychologi-
wenig direkt Operettenhaftes hören zu lassen schen Logik folgt als den jeweiligen Bedingungen
(etwa im parodistischen Ton der Gläubigerauf- ihres klanglichen »In-Erscheinung-Tretens« selbst,
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 289

an denen Strauss so offensichtlich interessiert ist; ausgesandten Neffen und ihre Gattinnen sollen
Vogel/Wild 2014). Strauss stellt den traditionellen Midas dazu bringen, Pollux’ Tochter Danae zu
Konventionen der Inszenierung theatralen Auftre- heiraten. Man wartet also zuerst auf ihre Rück-
tens, etwa der architektonischen oder deiktischen kunft und im Falle ihres Erfolges auf die Ankunft
Rahmung, offensiv die musikalischen Möglichkei- des Midas, d. h. mindestens weitere zwei königli-
ten zur Seite. Und bereits ganz zu Beginn der che Auftrittsszenarien stehen bevor.
Oper zeigt sich, wie aufschlussreich es ist, das Wie aber soll Danae selbst, als namensgebende,
musik-theatrale Gefüge aus der Perspektive des also zentrale Figur, in diesen Ablauf eintreten, ge-
»In-Erscheinung-Tretens« zu betrachten. So wie hört sie doch zunächst nur zur Lösung des Pro-
der letzte Akt, immer wieder bemerkt, ein einziges blems? Und wo ist Jupiter? Der Schlüssel liegt in
Abschiednehmen ist, liegt dem ersten ein raffi- einer Idee, die unmittelbar mit dem Spiel der
niertes, durch Traum und Verkleidung mehr- Auftritts-Protokolle verbunden ist. Hier greift die
schichtiges Spiel mit Auftritts-Konventionen vor, Überlagerung des Danae- mit dem Midas-Mythos.
das musik-theatralisch eine »Krisenform« des Sie setzt eine Verkleidungsintrige zwischen Midas
Auftritts, das Ringen um das Gelingen des Er- und Jupiter in Gang, die Strauss selbst lange als zu
scheinens musikalisch wie szenisch ausformuliert kompliziert und deshalb theatralisch unwirksam
(Vogel 2014, 7). beargwöhnt hatte. Während Gregor jenen »Gold-
Danae beginnt – wie oft bei Strauss – ohne regen«, mit dem Jupiter Danae erstmals erscheint
veritables Vorspiel. Lediglich ein klar konturierter, und sie verzaubert, in seinen Entwürfen als Vor-
motivisch prägnanter achttaktiger Vordersatz kün- spiel vorsah und damit gleichsam als Motto
digt wie eine Behauptung das Öffnen des Vor- über das ganze Stück stellen wollte, positionierte
hangs an, den gesamten Tonraum des Orchesters Strauss ihn nach einem Zwischenvorhang vor das
umfassend, und zeigt zugleich, dass er mit dem zweite Bild, den Auftritt der Danae. Wer den in
nun zu erwarteten Nachsatz direkt zusammenge- der ersten Jahrhunderthälfte sehr populären Da-
hört, also bereits die Szene im Palast des Königs nae-Mythos kennt, weiß sofort, dass hier musika-
Pollux eröffnet. Ein solcher Beginn suggeriert eine lisch auch Zeus bzw. Jupiter bereits auftritt – er ist
überschaubare Auftrittssituation: Der musikali- es, der Danae im Traum jenen »Kuss des Goldes«
sche Raum ist sofort vollständig entfaltet und gibt, von dem sie ihrer Dienerin Xanthe berichtet.
metrisch vermessen – die Figuren müssen nur Diese Szene bekam nun mit der symphonischen
noch eintreten. Dies wird bestärkt durch den nun Goldregenepisode ein langes Vorspiel – fast als
auf der Szene sichtbaren Chor. Doch schon die würde erst hier die Oper eigentlich beginnen. Das
Situation stört den selbstbewussten Auftritt des Werk erhielt so eine doppelte Rahmung. Doch
Herrschers: Hier erwartet nicht das Volk seinen auch dieser zweite Anlauf hat es in sich: Hier muss
Souverän, sondern Gläubiger suchen ihren der Klang-Raum erst erobert werden. Der »Gold-
Schuldner und werden die durch Schulden unter- regen« beginnt (10 Takte nach Zi. 18) allein mit
höhlte königliche Würde des Palastes sofort in Celesta und Glockenspiel, der Verweis auf den
Frage stellen – nicht von ungefähr dünnt sich der Rosenkavalier ist unüberhörbar. Wichtiger aber ist,
Orchestersatz aus, erodiert mit der Würde und der wie der Klangraum – fast komplementär zum
Pracht des Herrscherauftritts auch der musikali- ersten Bild – sukzessive von oben und sicher nicht
sche Raum. Unter solchen Bedingungen kann von ungefähr zunächst über Holzbläser, Harfen
Pollux kaum über jene »Fähigkeit zur Raumnahme und Klavier erschlossen wird, gleichsam seinen
und Zeitbeherrschung« verfügen, die für den Auf- Boden finden, das Terrain vermessen werden muss
tritt eines Königs nötig wäre (Vogel 2014, 27). (ganz anders wird das in dem Goldregen sein, den
Nicht von ungefähr tritt er denn auch eher beiläu- Jupiter im dritten Akt zur Vertreibung der Gläu-
fig aus einem Vorhang. Die derart konturiert er- biger inszeniert: Hier tritt er nicht auf, sondern ist
öffnete Szene gerät aus dem Gleichgewicht – Pol- bereits da und wirft das Gold unters Volk – folge-
lux kann sich ihrer auch formal nicht bemächti- richtig ist das ganze Orchester von Beginn an be-
gen, sondern nur die Erwartung auf einen weiteren teiligt). Wie implizit Jupiter, so soll in diesem
Auftritt wecken, der den Konflikt lösen soll: Die Szenarium explizit auch Danae allmählich sichtbar
290 Opern und Ballette

werden – und es wird sich zeigen, dass auch hier unter dem Aspekt des Auftritts als eines Vorgangs
die musikalisch-theatralische Situation nicht ohne der »Raumnahme und Zeitbeherrschung« immer
Unklarheiten bleiben kann. wieder in den Blick: Nicht nur der Umgang mit
Folgt man Juliane Vogels Vergleich der Gold- dem Orchester spiegelt dies subtil. Wie sich be-
Metapher in Wagners Rheingold und Hofmanns- reits an den ersten beiden Bildern zeigt, liefert die
thals Danae, so unterliegt das Spiel mit sinnlicher Art der räumlichen wie zeitlichen (also klangli-
Evidenz und formaler Unbestimmtheit im Grunde chen, formalen wie metrischen) Vermessung des
bereits der Spezifik jenes verflüssigten (und eben Auftrittsraums ein Indiz für die Gefährdungen der
nicht mehr im Wagnerschen Sinne als Tauschwert Figuren. Nicht von ungefähr deutet sich auch de-
selbst greifbaren, materialen) Goldes, das Jupiter ren Ringen um theatrale Orientierung im ersten
bei Hofmannsthal über Danae regnen lässt und in Bild des zweiten Aktes in der Konstruktion des
das Midas – in der Rolle des Schneiders – sie ein- wiederum mit 22 Takten eher kurzen Vorspiels an:
hüllt, womit er »das Eigenmaterial von Personen Der ohrenfällig kombinatorisch gebaute Satz be-
und Gegenständen durch Vergolden« überwindet ginnt im Piano mit einer solistischen Violine.
(Vogel 2005, 238). Eben dies spiegelt sich auch im Strauss entfaltet sukzessive daraus einen Streich-
kompositorischen Umgang mit dem Verhältnis quartettsatz, in dem am Ende zunächst nur die
von Gestaltbildung und Form. Katharina Hott- Klarinetten Achtelakzente auf die Taktschwer-
mann spezifiziert das in einem Vergleich des Du- punkte setzen und damit die metrische Regelmä-
etts Danae-Xanthe im zweiten Bild des ersten ßigkeit betonen. Das übrige Orchester setzt erst
Aktes (Zi. 36) mit dem Duett der beiden Schwes- mit dem Öffnen des Vorhangs ein. Auch hier wird
tern Arabella und Zdenka im ersten Akt von das Terrain vermessen, nun allerdings als eines, das
Arabella, das ebenfalls einem dreiteiligen Form- nicht nur in seiner Gestaltsetzung (wie in dem
aufbau folgt. Während die Melodik in Arabella Achttakter zu Beginn des ersten Aktes), sondern
dem vorgeprägten Taktgruppenschema von vorn- auch in seiner formalen Konstruktion bekannt
herein »entrückt« wird (Hottmann 2005, 454) und und durchschaubar scheint – auch wenn letztlich
dadurch einer relativ regelmäßigen Form etwas nicht die im Aufbau der Vierstimmigkeit betonte
Fließendes gibt, erhält die melodische Gestalt in Konstruktivität, sondern der sich zu einer regel-
Danae eine kompakte Prägnanz, die dann aber im mäßigen Periodik entwickelnde tänzerische Cha-
binnenformalen Kontext nicht eingelöst wird. Die rakter zum Motor der Szene werden wird, in der
ungleichen Proportionen der Formteile gestalten Jupiter sich mit seinen verflossenen Liebschaften
die Gesamtanlage des Duetts wenig übersichtlich. konfrontiert sieht. Nicht von ungefähr wird er die
Auch dieser zweite Ansatz zur Eröffnung der neu aufkeimenden Hoffnungen seiner ehemaligen
Handlung mit dem durch ein regelrechtes Vor- Geliebten schließlich mit einem Kanon in eine
spiel eingeleiteten Auftritt Danaes führt also for- überschaubare Form zu bringen versuchen – in
mal nicht auf sicheres Terrain. Das kann auch ein seiner Zitathaftigkeit aber erweist sich dieser Ka-
folgender Zwischenvorhang mit einem kurzen non als Theaterkunstgriff und damit letztlich für
Orchesterzwischenspiel nicht ändern, das die die Verfügung über die Großform und damit die
Szene aus der Intimität von Danaes Schlafgemach Bändigung der Damen als nicht wirkungsmäch-
wieder zurück in die Öffentlichkeit des Palastes tig. Wieder erscheint die Durchschaubarkeit als
und in die im ersten Bild erzeugte »Höchste Er- Behauptung, die sich in der großformalen Ab-
wartung« zurückversetzt, in die Danae »unbe- wicklung nicht einlöst (Hottmann 2005, 456–459;
merkt« eintritt. Und auch der so dringend erwar- Aringer-Grau 2002).
tete und von den Neffen und ihren Gattinnen Wie fragil der Klangraum ist, zeigt sich auch in
auch ausdrücklich angekündigte Midas kommt der Konstitution der Singstimmen: Dem für
überraschend und verkleidet, also unerkannt. Erst Strauss typischen Übergewicht der hohen Stimm-
ganz am Schluss des Aktes glückt der souveräne lagen (drei der Männerrollen sind Tenöre) steht
Auftritt – nun aber als Täuschung: In der Maske allein Jupiters Bariton als Grundierung gegen-
des Midas steckt Jupiter. über– allerdings mit einer sehr weit in die Höhe
Die Frage des musikalischen Raumes rückt greifenden Tessitura (die für Hans Hotter teilweise
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 291

tiefer gesetzt werden musste, s. u. S. 308). Das sierten Verwerfungen der Klassizismus-Debatten
Gesangsensemble muss seine harmonische Grun- der Zeit (s. o. S. 284). Das steht am Ende hinter
dierung meistens im Orchester suchen, schwebt jener Haltung, die Strauss selbst als »lächelnde
ohne dieses letztlich harmonisch »in der Luft«. Philosophie« bezeichnet hatte und mit der er of-
Auch in dieser Hinsicht erweist sich der Beginn fenbar eine Position jenseits der in dieser Zeit so
des allerersten Bildes als trügerisch, in dem der populären ideologischen Entgegenstellung des
Chor der Gläubiger (2 Bässe, 2 Tenöre) und Griechischen und des Deutschen beziehen wollte.
Wächter (4 Bässe) solche Grundierung in den Strauss’ so deutlich auf ein Formspiel abzielender
tiefen Lagen anbietet – eher als Forderung an den musiktheatralischer Ansatz zeigt, dass es im Re-
König denn als tatsächliche Eigenschaft des könig- kurs auf den Mythos in dieser »griechischen Göt-
lichen Raumes. terdämmerung« um mehr geht als um ein seman-
Strauss’ Interesse an formaler Fragilität lässt tisch entschlüsselbares Bekenntnis zu den kultu-
sich bis in die Debatten über den Schluss der rellen Werten des Humanismus (Satragni 2005,
Oper verfolgen. Ausdrücklich spricht er sich ge- 612). Die Chance einer Verbindung von Idealisie-
gen eine Liebesszene aus, wie sie noch Gregors rung und Aktualisierung führt in Die Liebe der
zweiter Entwurf vorgesehen hatte. Schließlich Danae weniger zu der Frage, ob die konkreten
endet der dritte Akt offen – die von Gregor noch politischen Bezüge aus Hofmannsthals Entwürfen
auf die Szene gebrachte Erfüllung des Liebesglücks noch für die Oper gelten (Birkin 1985, 14; Steiger
von Danae und Midas liegt nach diesem Ende: 1999, 72 f.). Das Realitätsverhältnis wird vielmehr
Auf Jupiters lange und innige, fast kammermu- gesetzt durch das ständige formale Unterlaufen
sikalisch komponierte Abschiedsrede folgt Danaes eines in sich geschlossenen Als-Ob, das dem Zu-
Erkennens-Ausruf von der Ankunft des zurück- schauer unreflektierte Unmittelbarkeit nicht er-
kehrenden Midas – der allerdings selbst gar nicht laubt, sondern ihn dazu zwingt, die sinnliche
mehr auftritt. Das erwartbare Duett bleibt ein Evidenz zu hinterfragen, die Bühnenhandlung als
Versprechen: eine Idee, die offenbar auch aus dem solche ständig ins Verhältnis zu ihrer Realität zu
Formenspiel um das Gelingen des Erscheinens in setzen. Das jedoch reichte offenbar nicht. Das
dieser Oper, vor allem im ersten Akt erwuchs. Je- »Französische« sollte sich konkretisieren, als Ver-
denfalls beharrte Strauss darauf, dass Midas zuletzt ortung sichtbar werden. Der Schritt zu Capriccio
nicht mehr auftritt – bemerkenswert ist das Adjek- führt gleichsam »backstage«, hinter die Kulissen
tiv, mit dem er diese Schlussidee Gregor gegen- der Aufführungen von mythologischen Stücken,
über verbunden hat: und rückt von den unbestimmten südlichen oder
Jupiter geht ab, Danae sieht unter einem schönen Nach- orientalischen Landschaften schließlich nach
spiel ihm lange nach: dann erhebt sie sich, geht langsam Frankreich. Nun kann es nicht mehr darum ge-
zum Herde, als ob sie das Abendmahl bereiten wolle. In hen, den Mythos zu spielen, sondern es rücken
diesem Moment kündigt das Orchester […] das Kom-
men des Midas an. Danae mit dem freudigem Ausruf: diejenigen in den Blick, die ihn auf die Bühne
›Midas‹ ihm entgegeneilend zur Türe, in diesem Augen- bringen – eben hiermit antwortet Strauss nach
blick fällt schon rasch der Vorhang! Dieser Schluß ist viel Danae auf Hauptmanns Iphigenie.
feiner, französischer […]. (9.2.1939; RSJG 163)

Wenig später qualifiziert er seine Idee noch einmal


als »französischer und origineller« (an Gregor,
28.2.1939; RSJG 167). Das ist nicht einfach nur ein
weiterer Rekurs auf die Verbindung zu Offenbach,
sondern richtet sich letztlich gegen die kulturpoli-
tisch immer wieder in Anschlag gebrachte Gegen-
überstellung des Griechischen und des Deut-
schen – in der das mehr als beargwöhnte »Franzö-
sische« gleichsam den Übergang zu ermöglichen
scheint. Damit rückt das Stück auch auf der for-
malen Ebene unmittelbar in die vielfach ideologi-
292 Opern und Ballette

Eine Antwort auf Handlung


»Iphigenie« im Ort und Zeit der Handlung gibt das Libretto rela-
tiv präzise an: »Ein Schloß in der Nähe von Paris
französischen Salon: zur Zeit, als Gluck dort sein Reformwerk der
Capriccio Oper begann. Etwa um 1775.« Alles spielt sich im
»Gartensaal eines Rokokoschlosses« ab und die
Ein Konversationsstück für Musik
Handlung erstreckt sich vom frühen Nachmittag
in einem Aufzug, op. 85 TrV 279
bis in den Abend desselben Tages. Der Schauplatz
Entstehungszeit: 1935–1941 (Text), 1939–1941 (Mu- wechselt nicht und die Zeit springt nicht. Was
sik) sich in diesem konsistenten Zeitraum zuträgt,
Text: Joseph Gregor, Richard Strauss und Clemens entspricht eher einer Abfolge sich verändernder
Krauss unter Mitarbeit von Hans Swarowsky auf Konstellationen als einer prozessualen Handlung.
der Grundlage eines auf Giovanni Battista Castis Beteiligt sind neben der Hausherrin, einer Gräfin,
Libretto Prima la musica, poi le parole (Wien 1786, und deren Bruder zahlreiche Theaterleute, eher
Musik von Antonio Salieri) beruhenden Szena- Typen als Charaktere, denen in der Typisierung
riums von Stefan Zweig (Gregor, Swarowsky und allerdings das Idealisierte der mythischen Figuren
Zweig werden in der Druckfassung von 1942 nicht aus Danae vollkommen fehlt: ein Musiker, ein
mehr genannt) Dichter, ein Theaterdirektor, eine Schauspielerin,
Uraufführung: Nationaltheater München, 28. Ok- ein Souffleur, zwei italienische Sänger und eine
tober 1942, unter der Schirmherrschaft von Joseph Tänzerin, dazu der Haushofmeister und mehrere
Goebbels Diener. Zum Geburtstag der Gräfin sollen die
Personen: Die Gräfin (Sopran); der Graf, ihr Bruder Künste in einen Wettstreit treten, um ihr zu hul-
(Bariton); Flamand, ein Musiker (Tenor); Olivier, digen (und gleichzeitig buhlen – wie zu erwar-
ein Dichter (Bariton); La Roche, der Theaterdirek- ten – Komponist und Dichter um ihre Gunst,
tor (Bass); die Schauspielerin Clairon (Alt); Mon- während der Graf sich um die Schauspielerin be-
sieur Taupe (Tenor); eine italienische Sängerin (So- müht). Nun geht es darum, die Beiträge der An-
pran); ein italienischer Tenor (Tenor); eine junge wesenden zu sichten und das Programm zusam-
Tänzerin (stumme Rolle); der Haushofmeister menzustellen. Zunächst hört man von draußen
(Bass); acht Diener (je vier Tenöre und Bässe); drei ein eigens für die Gräfin komponiertes Streichsex-
Musiker (1 Violinist, 1 Cellist, 1 Cembalospieler). tett, das man im angrenzenden Theatersaal für sie
Orchester: 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen, musiziert. Nach Ende dieser Vorführung füllt sich
Englisch Horn, Klarinette in C, 2 Klarinetten der Schauplatz nach und nach mit den Beteilig-
in B, Bassetthorn, Bassklarinette in B, 3 Fagotte ten. Es entspinnt sich eine von künstlerischen
(3. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 2 Trompeten, Darbietungen durchbrochene Konversation über
3 Posaunen, Pauken, Schlagwerk (Becken, große die Vorzüge der Künste, vor allem der Musik und
Trommel), 2 Harfen, Cembalo, 16 erste Violinen, der Dichtung – im Zentrum ein Sonett des Dich-
16 zweite Violinen, 10 Violen, 10 Violoncelli, ters Olivier und seine Vertonung durch Flamand.
6 Kontrabässe. Bühnenmusik: Streichsextett, Vio- Schließlich macht der Graf den Vorschlag, genau
line, Violoncello, Cembalo. die an diesem Tag geführten Debatten zum Ge-
Spieldauer: ca. 2 Stunden, 15 Minuten genstand eines Stückes zu machen – Capriccio
Autograph: Partitur: Richard-Strauss-Archiv Gar- führt gleichsam seine eigene Entstehung vor, die
misch Aufführung selbst allerdings bleibt aus: Am Abend
Ausgaben: Partitur: Berlin: Johannes Oertel 1942 sind alle wieder weg, zurück in Paris, in den Thea-
(Nr. 8450); Klavierauszug (Ernst Gernot Kluss- tern. Nur die Gräfin bleibt, in großer Abendrobe,
mann): Berlin 1942 (Nr. 8453); Textbuch: ebd. gekleidet für einen prunkvollen gesellschaftlichen
1942 (Nr. 8455); Studienpartitur: Werke Bd. 18; Auftritt, allein mit der Frage, wie das geplante
das Material für »alle übrigen Länder« bei Boosey Werk enden soll – wem sie ihre Gunst zuwenden
& Hawkes, London. soll, bis der Haushofmeister sie zum Essen ruft.
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 293

Sinnzuweisungsangebote. Man könnte den Schritt in den Rokoko-Salon


Dramaturgie und Komposition von Capriccio als summierende Rückprojektion,
als vom Komponisten selbst ausformulierte Sehn-
Kompositorisch wird Capriccio, wie auch Danae, sucht nach den ästhetischen Interieurs des Rosen-
nicht selten als Summe des Strauss’schen kompo- kavalier lesen. Das passt gut in ein Strauss-Bild,
sitorischen Schaffens beschrieben – auch hier von das der kongenialen Verbindung des Komponisten
ihm selbst befördert durch die Formulierung, es zu Hofmannsthal nachtrauert, von hier aus vor
handle sich um eine Art »Testament« (Strauss an allem Joseph Gregor als Librettisten abqualifiziert
Krauss, 28.7.1941; RSCK 407). Klar war früh bei und Strauss am Ende nur die Rückbesinnung
der kompositorischen Arbeit an Capriccio – par- lässt. Die Selbstreflexion setzt scheinbar erneut an
allel zur Entstehung des Textes –, dass der Stoff, jener Oper an, in der Strauss und Hofmannsthal
eher zur Konstellation als zur Entwicklung nei- Wagner mit dem Regelwerk des 18. Jahrhunderts
gend, auch kompositorisch ein Kaleidoskop an entgegentraten. Begreift man dies allerdings eindi-
Stilen und formalen Möglichkeiten mit sich mensional als sentimentalen Rückzug in die Äs-
brachte, an denen Strauss seine kompositorisch- thetisierung, als Flucht vor der Wirklichkeit, geht
handwerkliche wie ästhetisch-spielerische Souve- man fehl. Keineswegs wird hier musikalisch-
ränität würde schärfen können. Es musste Gele- ästhetische Immanenz erzeugt. Vielmehr wird
genheiten zu absoluter wie zu funktionaler Musik umgekehrt permanent die Gelegenheit zu Allu-
geben, Deklamation, Gesang – bei dem die sion, Zitat und Stilkopie genutzt, um eben solche
Dichtkunst (im Sonett) wie die Sängerkunst (im Geschlossenheit aufzubrechen. Strauss geht in
Duett) im Wettstreit in den Vordergrund treten Capriccio den Weg weiter, den er in der Schweigsa-
können –, Tanz und schließlich Debatte, die sich men Frau bereits eingeschlagen hatte, und öffnet
von Monologen über verschiedene Ensembles bis die formal wie semantisch motivierten Bezüge
zum Oktett steigern lässt. Beziehungen zu frühe- über die unmittelbar im Text angelegten Fährten
ren Werken sind augen- wie ohrenfällig: Stefan (wenn in der ersten Szene über Gluck und Ra-
Kunze verfolgt die Spuren der einaktigen Form meau debattiert wird und Glucks Ouvertüre zu
zurück bis zu den Tondichtungen der 1880er und Iphigenie in Aulis erklingt, die Gräfin Couperin
1890er Jahre und kehrt dadurch ihre musikalische lobt und in der achten Szene eine galante Tanz-
Eigenständigkeit hervor (Kunze 1991, 286). Die suite zu hören ist etc.) hinaus zur Oper des
Betonung der »Konversation« und der Sprachfor- 19. Jahrhunderts – die Fuge ruft Verdis Falstaff auf,
men in der Oper verbindet Capriccio mit Inter- das Streitensemble Wagners Meistersinger, im Lie-
mezzo (1924), das Strauss selbst als »Pendant« besduett klingt Tristan an, Donizetti steht Pate für
auffasste (Hottmann 2005, 355–421). Das Personal das Dienerensemble etc. – und zum eigenen Werk:
ruft jenes des Molièreschen Bourgeois Gentil- Strauss zitiert natürlich Ariadne, aber auch die
homme wieder auf die Bühne, nun aber im adeli- jüngsten Kompositionen wie Daphne und die
gen Umfeld. Die hierüber sich abzeichnende noch nicht aufgeführte Danae, woran man sehen
Verbindung zu Ariadne auf Naxos (1912) führt in mag, dass dies auch ein Produktionsprinzip ist
die musikalische Welt des französischen Rokoko, und sich nicht in jedem Fall an einen Hörer rich-
die sich in Strauss’ Werk bereits mit der Tanzsuite tet.
aus Klavierstücken von François Couperin (1923) Es entsteht ein Geflecht, bei dem jeder ständig
für eine Ballett-Soirée im Redoutensaal der Wie- das Gefühl hat, etwas zu hören, das er bereits
ner Hofburg niedergeschlagen hatte. Auch für die kennt – die Grenzen zwischen Zitat (auch Selbst-
Auseinandersetzung mit dem italienischen Bel zitat), Allusion, Stilkopie oder -parodie werden
Canto, ausgestellt durch die Vertonung eines flüssig. Gestalten wie auf geschlossene Nummern-
Metastasianischen Duetts (»Addio mio vita« aus konzeptionen rekurrierende Formteile werden
Adriano in Siria, 1732), kann Strauss an frühere eingewoben in ein durchkomponiertes Konti-
Arbeiten wie den Rosenkavalier (1911) und die nuum, getragen von einem Netz aus Motiven, das
Schweigsame Frau (1935) anknüpfen (Schlötterer formale wie semantische Strategien entwickelt.
1992). Nun darf man Strauss’ vielzitierte Bemerkung, es
294 Opern und Ballette

handle sich hier um »Leckerbissen für culturelle musikdramatische Formen gleichsam wie Bau-
Feinschmecker« (12.10.1941; RSCK 440) nicht in steine, d. h. auch wie Formzitate, eingepasst wer-
dem Sinne missverstehen, als ginge es hier mit den konnten, und die den Vorteil hatte, vor allem
bürgerlichem Bildungsanspruch darum, all diese Beginn und Schluss von ihren regulären dramati-
Anspielungen zu entschlüsseln. Vielmehr geht es schen Funktionen der Exposition bzw. der Kata-
darum, das »Als-ob« des musikalischen Kosmos so strophe oder Peripetie zu entlasten, gewissermaßen
zu übersteigern, dass die Grenzen der musikali- offenzuhalten. Eine nähere Betrachtung des Be-
schen Immanenz auch bei Wahrung kompositori- ginns der Oper schärft dafür den Blick und zeigt
scher Konsistenz aufbrechen. Hier setzt sich auch, warum man Szene und Komposition kaum
mutwillig bis in die Komposition fort, was Peter noch trennen kann. Gemeinsam mit dem Sonett
Szondi für das »Konversationsstück« beobachtet, (Schick 2012) steht die Konzeption des Sextetts
das schließlich vollkommen treffend als Gattungs- (Fritz 2004) am Beginn der textlichen wie der
bezeichnung im Untertitel zu Capriccio steht: kompositorischen Arbeit: zwei in sich geschlos-
Themen und Figurenbildung folgen keiner im sene Formen, eine mit und eine ohne Text, die
Stück durchgeführten, immanenten Eigengesetz- dann in ein Geflecht des Stücks eingepasst wur-
lichkeit, sondern sind als zitierte »gegen die den. Im Unterschied zum italienischen Duett und
Absolutheitsforderung der dramatischen Form zu den Tänzen, die Stilparodien sind, ist hier
gerichtet« (Szondi 1989, 82) (dass in dem von Strauss zu hören in den Kompositionen seines al-
Krauss gefundenen Begriff des Konversations- ter ego Flamand. Relativ früh im Arbeitsprozess,
stücks neben der Abgrenzung zum Bel Canto auch noch während der Mitarbeit von Gregor, hatte
ein Verweis auf die Hofmannsthalsche Dramatik Strauss nicht nur für das Schlussbild mit der Grä-
steckte, dürfte beiden Autoren gefallen haben). fin allein, sondern auch für die Eröffnung der
Die Komplementarität der Anlage zur Konstel- Oper bereits einen musikdramaturgischen Plan:
lation von Ariadne, die ursprünglich als »Nach- Ich denke mir z. B. die erste Scene so: nach der Quartett-
spiel« zu Max Reinhardts zweiaktiger Bearbeitung einleitung und während der letzten 16 Takte eines emp-
des Molièreschen Bourgeois Gentilhomme gedacht findsamen Andante’s hebt sich der Vorhang. Man sieht 4
bis 5 Musiker auf einer Estrade halb verdeckt markieren,
war, ist sicher nicht zufällig – zumal es zunächst was im Orchester gespielt wird.
den Plan gab, Capriccio als Vorspiel (zu Daphne) In der Mitte träumerisch zuhörend die Comtesse,
zu konzipieren. Ganz offensichtlich aber entwi- rechts von ihr Componist, Dichter und Direktor, links
der Graf mit der sich langweilenden Schauspielerin, an
ckelte die Komposition eine so große Eigendyna- der Musik ebenfalls wenig interessiert während der letzten
mik, dass sie nicht nur vom Umfang, sondern 20 Takte des Quartetts leise mit der Schauspielerin flir-
auch von ihrer Substanz her einen eigenen Abend tend. (Strauss an Gregor, 7.10.1939; RSJG 200)
forderte. Auch dies deutet darauf hin, dass Strauss Offenbar sollten zunächst alle Hauptfiguren von
an idealisierender Transzendierung im Sinne einer Beginn an auf der Bühne sein (auch der Graf und
mythologischen Oper nicht mehr interessiert war. vor allem die Gräfin). Das musikalische Interesse
Das Aufbrechen der (auch den kompositorischen des Komponisten richtete sich zunächst vor allem
Fortschritt begründenden) musikalischen Imma- auf das Timing. In der endgültigen Fassung aber
nenz, ein Vorwurf, der die Oper ohnehin regel- hat sich die Funktion der Musik und damit auch
mäßig, Strauss seit dem Rosenkavalier aber im die gesamte Auftrittsdramaturgie völlig verändert.
Besonderen traf, wurde hier auf bemerkenswert Strauss sieht eine »Einleitung« vor, mit dem absi-
raffinierte Weise ins Extrem getrieben. Theodor chernden Zusatz »Sextett im Orchester«. Bemer-
W. Adorno stieß sich in seiner kritischen Würdi- kenswert ist daran schon, dass es überhaupt eine
gung zu des Komponisten 100. Geburtstag nicht Einleitung gibt, beginnen doch bei Strauss die
umsonst gerade an Capriccio (Adorno 1964/1978). meisten Bühnenwerke nahezu unmittelbar auf der
Die Betonung der Konstellation als Alternative Szene – offenbar ist es damit diesmal nicht so
zur dramatischen Entwicklung bereitete den Bo- einfach wie sonst. Hier geht es von Anfang an um
den für eine eigenständige formale Architektur. Verortung. Strauss setzt in einer Oper, für die er
Strauss und Krauss entwarfen für Capriccio eine das große spätromantische Orchester fordert (ein-
spiegelsymmetrische Anlage, in die klassische schließlich zweier Harfen), zunächst einen kam-
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 295

mermusikalischen Raum: Die Musik beginnt wie Wenn der Vorhang sich hebt, passiert etwas
ein Streichquartett, zu dem dann aber – gut ver- Bemerkenswertes: Indem der Ort des Streichsex-
folgbar, gleichsam zum Mitzählen – in Takt zwei tetts vom Graben hinter die Szene (Zi. 8) wechselt,
eine zweite Bratsche, in Takt fünf ein zweites Cello setzt das akustische und nicht so sehr das visuelle
hinzutreten, so dass für die Hörer an der Sextett- In-Erscheinung-Treten ein komplexes Auftritts-
Besetzung kein Zweifel bleiben kann. Damit setzt protokoll in Gang. Jetzt wird das Sextett, auch
Strauss eben nicht an den Anfang die Anspielung wenn die Musiker nicht sichtbar sind, zur Büh-
auf Mozart, wie man aus Bemerkungen wie: »Ein nenmusik. Die Musik erweitert über die akusti-
Mozartsches Streichquintett sagt alles Tiefe ge- sche Evidenz den Bühnenraum über den sichtba-
fühlsmäßig schöner als jedes Wort« entnehmen ren Gartensaal hinaus, und das sind keine imagi-
könnte (Strauss an Gregor 12.5.1939; RSJG 181). nären, sondern ganz real zu denkende Räume.
Gerade die so hörbar ausgestellte Sextett-Beset- Nicht von ungefähr führt der Uraufführungsregis-
zung weist vielmehr auf Brahms (auch wenn die seur Rudolf Hartmann in seiner Bühnenskizze die
harmonischen Verhältnisse deutlich weniger kom- Nebenräume, zu denen auch der Musiksalon ge-
plex gestaltet sind, stützt doch das Verhältnis von hört, auch konkret aus (Abb. 1, S. 296). Versteht
Melodiebildung und harmonischer Syntax den in man das Sextett nach dem Ortswechsel als Inzi-
der Besetzung angelegten Verweis auch im Satz- denzmusik, wird es potentiell auch mit einer der
bild). Damit kann Strauss auf die – zur Auffüh- Bühnenfiguren als Autor verbindbar: Hier verbin-
rungszeit aktuelle – bürgerliche Kammermusik- det sich Strauss mit der Bühnenfigur des Kom-
szene anspielen, vielleicht sogar auf jene bürgerli- ponisten. Flamand ist folgerichtig der Erste, der
che Sphäre, mit der der zweite Akt von Intermezzo spricht, aber sein erster Satz bleibt vieldeutig:
beginnt, ebenfalls mit einer Sextett-Eröffnung, Wenn er leise sagt »Bezaubernd ist sie heute wie-
und die Strauss durch die Inszenierung einer Skat- der!«, kann sich dies auf die Musik beziehen, aber
runde im »komfortablen Wohnzimmer« des Wie- auch auf die Gräfin, die er ansieht. Das weiß man
ner Kapellmeisters Storch mit einem explizit auto- erst, wenn er hinzufügt: »Mit geschlossenen Au-
biographischen Witz versehen hatte. Stilistisch gen hört sie ergriffen«, und man ergänzen könnte,
nämlich verweist die Brahms-Allusion auch auf dass er es bevorzugt, mit weit offenen Augen zu
seine eigenen Anfänge als Komponist von Kam- hören – möglicherweise eine Anspielung an Stra-
mermusik vor der Jahrhundertwende (s. Kap. 24). winskys (ebenfalls gegen die Imagination gerichte-
Und: Strauss exponiert neben der Besetzung auch tes) Diktum, er habe es immer verabscheut, Musik
ein spezifisches instrumentalmusikalisches Ideal mit geschlossenen Augen zu hören. Das berge die
einer Satztechnik, Form- und Themenbildung. Gefahr, »eingewiegt von den Tönen, in Träume zu
Indem er mit Kammermusik im emphatischen versinken, und das lieben sie mehr als die Musik
Sinne beginnt, setzt Strauss programmatisch ein selbst« (Strawinsky 1958, 68 f.).
besonderes kommunikatives Verhältnis zwischen Das Sextett tritt nicht nur an die Stelle der
Musik und Hörern, das Kennerschaft fordert und Ouvertüre, sondern – formal mit dieser verbun-
auf das schließlich auch der – sehr spät, erst im den, durch den räumlichen Schritt markiert –
Dezember 1940, von Krauss für das bereits weit auch an die Stelle des ersten Auftritts. Allerdings:
fortgeschrittene Stück vorgeschlagene – Titel des Dies ist die einzige Stelle des Stückes, an der das
Werks verweist: Ein »Capriccio« setzt, jedenfalls Publikum die Klangerzeuger nicht sehen kann.
im Blick auf die Kunst der Renaissance, ein Die Musik tritt zwar als Erste auf, aber man hört
Kunstverständnis voraus, das gleichermaßen auf sie von nebenan. Auf der Bühne zu sehen sind der
die Spielräume subjektiver Entscheidung setzt, Dichter, der Musiker (die sich dann auch gleich
wie es »in Theorie und Praxis auf die Dialektik äußern werden) und der schlafende Theaterdirek-
von Regel und Verstoß, Norm und Abweichung tor. Etwas unklar ist zunächst, wie es sich mit der
gründet« (Hofmann 1996, 23; zur Titelfindung zentralen Figur des Stückes, der Gräfin, verhält.
s. Wilhelm 1988, 269 f., Schick 2012) – subjektiver Dichter und Musiker stehen offenbar in ihrer
Umgang mit einem durchaus akademisch abgesi- Nähe und blicken auf sie. Ihr wird das Sextett
cherten Normengeflecht. vorgespielt, das im Salon erklingt, zu dem die Türe
296 Opern und Ballette

Abb. 1:
Rudolf Hartmann, Regie-
angaben nach den Erfahrun-
gen der Uraufführung,
reproduziert nach RSRH 136.

sichtbar offen steht – sie ist als Hörende verdeckt Musik steht: Auch sie setzt ein Realitätsverhältnis,
anwesend und bestärkt die Zuschauer in dem hat eine gesellschaftliche Funktion und man kann
Eindruck, die eigentliche Handlung spiele hinter sie szenisch verstehen, sich dazu etwas vorstellen.
jener Tür. Die Anweisung zur zweiten Szene je- Aber: Die Sinnzuweisungsangebote, die Strauss
denfalls lautet »Graf und Gräfin kommen aus dem hier einkomponiert, haben einen doppelten Bo-
Salon«. Sie waren also schon dort gewesen, wohin den. Musikalisch konfrontiert Strauss, sobald sich
alle am Anfang sichtbaren Bühnenfiguren – so sie der Vorhang hebt, die bürgerliche Kammermusik-
wach waren – ihre Aufmerksamkeit gerichtet hat- Idee mit einer höfischen Rokoko-Szene. Bürgerli-
ten. che Intimität trifft auf aristokratische Exklusivität
Was also setzt der auf den ersten Blick so einfa- und verweist so auf das spannungsvolle Verhältnis
che Beginn? Der sichtbare Handlungsraum, der von gesellschaftlicher Funktion und ästhetischem
das Stück über nicht wechseln wird, wird musik- Anspruch.
dramaturgisch als ein »Nebenraum« qualifiziert. Genau in solcher Spannung steht dieser Beginn
Das eigentliche »Drama« findet woanders statt – auch zu den Konventionen einer dramatischen
und zwar auch nur vermittelt. Wo genau in diesem Exposition. Das musikalische Formideal, auf das
Gefüge innen und außen ist, und wer hier wem das Sextett verweist, der Sonatensatz, wird nicht
auf wie vielen Ebenen zusieht, wird nicht einfach von ungefähr häufig mit dem Drama verglichen:
zu beantworten sein. Das Gattungsideal, das die- eine Prozessform mit klaren Regeln und imma-
ser Beginn setzt, ist das der Kammermusik des nenter Logik (verbunden mit dem Satzideal der
19. Jahrhunderts: absolute Instrumentalmusik, motivisch-thematischen Arbeit). Gesetzt sind im
Intimität der Kommunikation. Musik, die sich an Vorspiel Exposition und Durchführung. Mit dem
Individuen, nicht an Gruppen wendet. Dieser Heben des Vorhangs erscheint die Musik zwar
Beginn gibt programmatisch erste Hinweise dar- räumlich versetzt (aus dem Graben auf die
auf, wie Strauss zur Immanenz der absoluten Bühne), formal aber verbunden, kann man doch
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 297

den Beginn der ersten Szene als nun von Beginn im angrenzenden Salon. Auch in Salome wird der
an vollstimmige »Reprise« des Sextett-Satzes hö- mehrschichtige szenische Raum durch Musik
ren. Genau die Ergänzung zur Vollstimmigkeit hinter der Szene akustisch erweitert. Genau zu
›überbrückt‹ satztechnisch den Raumsprung jenen Worten Narraboths, auf die in Capriccio
durch weitergeführte Liegetöne in der zweiten angespielt wird, erklingt ein Harmonium aus der
Violine, der zweiten Bratsche und im zweiten Richtung, aus der die Prinzessin auftreten wird.
Cello. Als ›role model‹ für die Gräfin wird also zu Beginn
Schon der kurze Blick auf die ersten Worte der Oper mitnichten die Marschallin, sondern
zeigt, wie die Figuren diese Eröffnung auf einer vielmehr die tragische Heldin Salome aufgerufen.
dem Drama so verwandten musikalischen Folie Aus formaler Perspektive (wenn man den Sona-
(die sich allerdings ihrerseits nicht als formal trag- tensatz des Sextetts als auf der Szene fortgesetzten
fähig erweisen wird) geradezu in ein Gegenmodell Formabschnitt versteht) könnte man denken, dass
zur dramatischen Exposition wenden. Erwartet die Handlung entweder sofort mit dem ersten Ton
man im Drama einen Dialog, der die Vorausset- beginnt und die Musik selbst an der Handlung teil
zungen der Handlung einführt und damit ihre hat (gleichsam als ausgebreitete Musik »von drau-
innere Logik sichert, so haben wir es hier mit der ßen«), oder erst nach dem Ende des insgesamt als
Schrumpfform eines Dialogs zu tun. Flüsternd »Vorspiel« zu deutenden Sextetts, mit dem Erwa-
und offensichtlich neben einer anderen, mögli- chen des die ganze Zeit bereits sichtbaren, im
cherweise der eigentlichen Handlung herlaufend Armlehnstuhl schlafenden Theaterdirektors La
unterhalten sich Musiker und Dichter in knap- Roche. Genau in dem Moment nämlich, als er
pen, andeutungshaften Bemerkungen – man gerät sich (eventuell gar in ironischer Anspielung an
ganz augenscheinlich in eine bereits laufende Wotans Erwachen im Rheingold) regt, markiert
Szene. Konversation wird hier zum Gegenent- das Ende des Sextett-Satzes innerhalb der ersten
wurf: zum dramatischen Dialog, der »in jeder Szene einen klaren formalen Einschnitt. So sehr
seiner Repliken unwiderruflich, folgenträchtig« zu sich La Roche aber selbst um Präsenz bemüht und
sein fordert. Die hier stattfindende bruchstück- seine Fähigkeiten als Regisseur herausstellt – dies
hafte Unterhaltung dagegen verweigert die logi- kann kein veritabler Auftritt sein. Er spricht auch
sche Konsequenz, »führt nicht weiter, geht in selbst aus, dass er den Anfang verpasst hat: »Bei
keine Tat über« (Szondi 1989, 81). sanfter Musik schläft sich’s am besten.« Mit dem
Die Wortwahl gleich des ersten Satzes enthält Erwachen des Theaterdirektors tritt nun auch das
nicht von ungefähr eine selbstreferentielle Anspie- Orchester im Graben direkt in den szenischen
lung des Autors Strauss an den ersten Satz aus Zusammenhang und begleitet seine Rede als Or-
Salome: »Wie schön ist die Prinzessin Salome chesterrezitativ. Der Klangraum entfaltet sich
heute nacht!« (und, vielleicht noch ausgeklügelter, sukzessive von den unteren und mittleren Lagen,
an eine Salome-Paraphrase aus Hindemiths Zeit- ordnet sich aber durch interpunktierende Ein-
oper Neues vom Tage: »Wie schön ist unser Herr würfe ganz dem Text unter (zunächst weiter ge-
Hermann heute abend« – das bricht die Stelle teilte Celli und Bratschen mit Klarinetten und
gleich mehrfach, zeigt aber auch die Bekanntheit Fagotten, erst nach zehn Takten auch Violinen
des Zitats). In Capriccio ergreift die Anspielung und Flöte, d. h. jeweils die Pendants im Bläsersatz
auch das szenische Setting: Es spricht ein Bewun- zu den Streichern gekoppelt, also eher unmerkli-
derer, der die weibliche Hauptfigur gleichsam che Transformation als Spaltklang). Dass dies ei-
»von draußen« beobachtet. Spielt die erste Szene nen eher graduellen als qualitativen Schritt aus
der Salome auf der Terrasse des Palastes, durch dem kammermusikalischen Satz darstellt, mag
dessen Fenster der in Salome verliebte Narraboth man nicht nur im Blick auf die von Strauss im
die Prinzessin im angrenzenden Bankettsaal beob- Geleitwort – durchaus mit ironischem Unterton –
achtet, so befinden sich Dichter und Musiker – eingeflochtene Anekdote konstatieren, nach der
beide für die Gräfin schwärmend – im Gartensaal Felix Mottl ihm angesichts seiner gescheiterten
eines Rokoko-Schlosses, dessen Fenstertüren auf Bemühungen, die 1. Violinen in Karlsruhe auf
die Terrasse führen, und sie beobachten die Gräfin zwölf zu erweitern, einmal gesagt habe »Bis zu
298 Opern und Ballette

10 ersten Geigen ist halt Kammermusik!« (Strauss seinerseits (mit der enharmonischen Verwechs-
1981, 159). Auch satztechnisch wird durch die ge- lung von Des zu Cis) auch wieder auf Salome
teilten tiefen Streicher der Sextettsatz noch präsent verweist und dort das Verhältnis von Jochanaan
gehalten, bis ein – durch den Text insinuiertes – und Salome charakterisiert. Noch weiß man nicht,
Zitat aus der Ouvertüre von Glucks Iphigenie in dass Des-Dur die Tonart ist, in der die Oper en-
Aulis endgültig der Konzertsituation die (höfische) den wird, und wähnt sich formal in einem durch-
Theaterbühne entgegenstellt. führungsartigen Teil des Sextetts. Die Konstella-
Dadurch, dass hier (man möchte ergänzen: tion im Orchester weist allerdings auf eine Verän-
erst) eine veritable Opern-Ouvertüre anklingt, derung: Strauss stellt eine Solo-Violine und ein
wird die Frage des Beginnens erneut aufgewor- Solo-Cello den »begleitenden« Streichern gegen-
fen – allerdings wieder nicht eindeutig. Mit Wag- über. Die »Erinnerung« an den motivisch-thema-
ners Konzertschluss (den dieser 1854 unabhängig tischen Satz wird ergriffen von solistischen Kanti-
von der Bearbeitung der Oper selbst schrieb) war lenen – die Einsätze der nun auftretenden Graf
Glucks Ouvertüre auch 1942 im Konzertrepertoire und Gräfin vorwegnehmend in einer virtuos sich
wohl präsenter als auf der Opernbühne. Strauss’ fortspinnenden Kantilene der Violine, in die die
alte Verbindung zu Wagner über seinen Mentor Gräfin sich – gleichsam bildlich vom »Strom der
Hans von Bülow führt noch auf eine weitere Spur: Töne« fortgetragen – einflicht (und prompt von
Bülow hatte von Wagners Bearbeitung der Ouver- ihrem Bruder dafür kritisiert wird). Die Setzweise
türe einen vierhändigen Klavierauszug angefertigt, ist hier nicht mehr »motivisch-thematisch« durch-
der das Werk auch in der privaten bürgerlichen gearbeitet, sondern Strauss schält die thematischen
Musikpflege verortet. Offenbar zählte für Strauss Gestalten aus dem nun in Melodie und Begleitung
die Bekanntheit des Stücks wie der Umstand, dass geteilten Satz heraus. Dadurch werden sie auch
es seinen Hörern auf so vielfältigen Wegen begeg- für kombinatorische Verfahren frei. Kurz darauf
net sein konnte, weshalb er eben nicht die Ouver- (10 Takte nach Zi. 31) wird das Sextett noch ein-
türe der Tauridischen Iphigenie wählte, die er mal explizit als Form aufgegriffen, szenisch moti-
selbst 1890 für Weimar bearbeitet hatte (TrV 161), viert durch die Erinnerung der Gräfin an die
und auch nicht die der Alceste, von der Krauss sich Musik – dadurch aber nun eben keine erneute
von Strauss 1941 vergeblich eine neue Bühnenfas- Reprise mehr, sondern Zitat einer früheren Situa-
sung gewünscht hatte. Möglicherweise spielte all tion. Markiert ist diese Wiederaufnahme durch
dies im Hintergrund auch eine Rolle bei den einen mit Tempo- und Metrenwechsel verbunde-
Überlegungen zur zeitlichen Situierung der Hand- nen deutlichen formalen Einschnitt, nun wieder
lung im Jahr der Pariser Uraufführung der Auli- in F-Dur. Die Streicher-Stimmgruppen im Or-
dischen Iphigenie (Krauss an Strauss, 24.11.1939; chester sind geteilt und als Sextett gesetzt (ohne
RSCK 279). die Stimmgruppe der 2. Violine). Das charakteris-
Letztlich kommt in der ersten Szene die Hand- tische Motiv im Cello, in Liegestimmen eingebet-
lung noch nicht wirklich in Gang: Man wartet tet, wird wie eine Begleitfigur wiederholt, als solle
weiter auf die Gräfin. Deren »Auftritt« zu Beginn man es sich einprägen, um es dann im Orchester-
der zweiten Szene bereitet Strauss am Ende der satz verfolgen zu können (wo es fortan als Erinne-
ersten mit einer Kantilene in den Bratschen und rungsmotiv wirken wird). In diesem Neuansatz
Celli vor, die aber nach sechs Takten ins Nichts versteckt sich noch einmal der Schluss des Vor-
läuft. Den Schlusston der ersten Szene setzt nicht spiels, d. h. eben jene Stelle, an der das Sextett in
das Orchester, sondern die Rede des Theaterdirek- die Reprise überleitete – überspitzt wird hier mu-
tors, während das Orchester nach einer kurzen sikalisch die Frage aufgeworfen, ob jetzt ein neuer
Atempause auftaktig mit einer Variation des Sex- Versuch dieser Reprise ansetzen könnte? So ver-
tetts antwortet und so auf den ersten Blick alles bindet Strauss über das Sextett auch in der zweiten
wieder auf den Ausgangspunkt zurücksetzt. Har- Szene die Frage des Anfangens mit den Schwierig-
monisch befinden wir uns offensichtlich nicht keiten des Schließens.
mehr in der Tonika F-Dur, sondern eine Terz tiefer Man könnte so weit gehen, das Kopfmotiv im
in Des-Dur – ein harmonisches Verhältnis, das Folgenden als eine Art »Quasi-Zitat« anzusehen
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 299

(Fritz 2004, 218), das sich (wie auch das Sonett) im treten »wirklich« auf: die Sänger und die Tänzerin
Verlauf des Stückes in das Geflecht der Allusionen in Ausübung ihrer Kunst – nicht einmal das
einbindet (Partsch 1985; Fritz 2004). In der Ver- Sonett bringt einen solchen Auftritt zustande,
bindung von Zitat- und Leitmotivtechnik setzt dafür ist es gewissermaßen die falsche Form. Und
sich das vertrackte Verhältnis der Realitätsebenen Capriccio verweigert letztlich die Katastrophe, die
fort. Die Zitathaftigkeit in Themen und Figuren- in Salome die Schluss-Szene auszeichnete. Gleich-
bildung, die Peter Szondi als konstitutiv für das wohl, oder vielmehr: Gerade deshalb nimmt
Konversationsstück ansieht, ergreift hier substan- Strauss die Anspielung, die zu Beginn im szeni-
tiell auch die Musik – sogar dort, wo Strauss sie schen Setting und im Text verankert war, am
selbst erdacht hat. Für sie gilt nämlich auch: »Das Schluss wieder auf, und zwar genau an der Stelle,
Kulissenhafte einer [ergänzt werden könnte: mu- an der nun endlich ein »echter«, ein markierter
sikalischen] Dramatik, das zur thematischen »Auftritt« der Gräfin ein letztes Mal denkbar wäre:
Nichtigkeit hinzukommt, rechtfertigt erst ganz Sie erscheint in Abendrobe (ruft also die szenische
die Einordnung des Konversationsstücks in die Situation der Festgesellschaft aus Salome als Erin-
Gruppe jener Rettungsversuche, die der Krise des nerung noch einmal auf ), aber nun ist außer dem
Dramas nicht ins Auge zu schauen wagen« (Szondi Theaterpublikum vor der Bühne keiner mehr da.
1989, 82). Strauss formuliert mit seinem Anfang Auf der Szene ist sie allein. Wie in Salome beleuch-
genau dies aus, und dass sich die eingangs über tet auch im Schlussbild von Capriccio der Mond
einen angedeuteten Sonatensatz eingeführten die Szenerie. Wie dort wird mit dem Auftritt der
musikalischen Gestalten am Ende nicht als moti- Gräfin das ganze große Orchester einschließlich
visch-thematisch durchgeführte Themen, sondern der Harfen ausgefaltet. Und sicher nicht zufällig
als Erinnerungs- bzw. Leitmotive erweisen, mag moduliert die Szene schließlich, wenn die Gräfin
man als eine Konsequenz hieraus verstehen. sich (wieder in den großen Orchesterraum ge-
Einakter wie Konversationsstück beschreibt stellt) im Spiegel betrachtet, wieder nach Des-Dur,
Szondi als Krisenphänomene, ja als »Rettungsver- jener Tonart, die enharmonisch zu Cis-Dur ver-
suche« (ebd., 77 und 82). In Capriccio macht wechselt auch Salome charakterisiert hatte. In
Strauss aber nicht nur Merkmale des Konversa- dieser Tonart summt sie bei ihrem Abgang noch
tionsstücks – dass dieser Begriff erst sehr spät auch einmal die Melodie des Sonetts.
die Gattungsbezeichnung liefern wird, mag dafür Vor solchem Horizont konstitutiert sich in
nicht entscheidend sein –, sondern auch solche Capriccio eine Alternative des Ausgangs: War in
des Einakters produktiv. Auch Einakter rechnet Salome am Ende noch gehandelt (und sogar getö-
Szondi zu diesen Rettungsversuchen: Sie sind tet) worden, hatte die Protagonistin am Schluss
nicht etwa konzentrierte Dramen, sondern höhlen einen letzten Dialog mit dem Sinnbild der
das Modell des Dramas aus, indem hier ein Teil Katastrophe, dem Kopf Jochanaans, versucht, ist
zum Ganzen erklärt und nicht Handlung zum Capriccio gleichsam die stillgestellte Spannung der
Motor von Entwicklung wird, sondern »die Planung und Erwartung eines veritablen, aber
Situation […] hier alles zu geben [hat]. Deshalb eben am Ende doch ausbleibenden Auftritts: Ma-
wählt sie der Einakter, wenn er auf Spannung deleine spricht mit ihrem Spiegelbild. Beide Kom-
nicht ganz verzichtet, immer als Grenzsituation« munikationen gelingen nicht – aber der Unter-
(Szondi 1989, 85). An diesem Punkt greift erneut schied des Gegenübers in diesem Nichtgelingen
die Anspielung auf den Einakter Salome, die sich ist das Entscheidende: Anders als der tote Kopf
in der Eingangsszene versteckt. Capriccio spitzt die des Jochanaan, der nicht mehr zurückblicken
formale Situation in Szondis Sinne zu, speist seine kann, kann der Spiegel den Blick öffnen.
Energie tatsächlich ganz aus der Konstellation und Wie wichtig die Spiegel in dieser Szene waren,
ist anders als Salome auf eine Peripetie oder poten- zeigt sich daran, dass die Fragen der Ausstattung
tielle Katastrophe gerichtet, die eben nicht mehr wie auch der Platzierung und Anzahl der Spiegel
Teil des Stückes ist. Es ist im Grunde ein Stück mehrfach ausführlich Thema in der Korrespon-
ohne Handlung und auch ohne veritable, hand- denz mit Krauss sind: So schickt Strauss am
lungstreibende Auftritte. Nur wenige Personen 29. August 1941 sogar eine Zeichnung an Krauss
300 Opern und Ballette

(RSCK 411 f.). Darin sind zwei Spiegel schräg zum Rose. Vielmehr markiert sich Strauss hier selbst
Bühnenrand platziert, so dass sowohl die Gräfin als »den Komponisten des Rosenkavalier« – er
potentiell Teile des Publikums im Blick hat wie setzt damit durchaus keinen sentimental-eskapis-
auch dieses – zumindest von manchen Plätzen tischen Verweis, sondern positioniert sich viel-
aus – im Spiegel nicht nur die Gräfin, sondern mehr, wie auch schon mit dem Sextett, als Ange-
auch sich selbst gesehen haben konnte (Abb. 2). höriger einer Generation, die ihre Prägung und
Auch wenn Hartmann, wie seine Regiezeichnun- ihre Stellung vor dem Nationalsozialismus erlangt
gen zeigen (s. Abb. 1, S. 296), nur noch einen hatte. Und man liest das Interieur möglicherweise
Spiegel vorsah und ihn – wohl aus pragmatischen als Verweis auf den Regisseur der Uraufführung
Gründen, um die Sängerin nicht mit dem Rücken des Rosenkavalier, Max Reinhardt, der der Figur
zum Publikum zu stellen – senkrecht zum Büh- des La Roche einige Charakteristika lieh (dieser
nenrand situierte (RSRH 136), hält doch der Figur hatte man verschiedene Alter Egos in der
Bühnenbildner Rochus Gliese, wie man auch an Realität zugesprochen: Zwischen Strauss und
der im Libretto veröffentlichten Bühnenskizze Krauss wurde eine Zeitlang Fritz Fischer, der In-
sehen kann, die ursprüngliche Idee präsent. Er tendant des Gärtnertortheaters, als Vorlage ge-
sieht gleichsam als Synthese auf Strauss’ und Hart- handelt, aber auch Strauss selbst; Joseph Gregor
manns Ideen insgesamt drei Spiegel vor, von de- brachte Max Reinhardt ins Spiel, s. u. S. 305).
nen zwei schräg stehen und nicht nur die Bühne Überdies hört man eine charakteristische Horn-
reflektieren, sondern den Blick auch auf die Rea- Kantilene, als deren Ursprung Kenner des
lität vor der Bühne lenken (Abb. 3). Strauss’schen Œuvres den Liederzyklus Krämer-
Folgt man diesem Hinweis und hört die Musik spiegel identifizieren konnten, den Strauss 1921
als Spiegel einer Wirklichkeit, so hört man die auf Texte des nun exilierten Publizisten Alfred
filmähnlichen Schnitte in die Rosenkavalier-Mu- Kerr komponiert hatte – und den mancher viel-
sik in dieser Schluss-Szene (unüberhörbar etwa leicht noch in der im Verlag von Paul Cassirer
der Einsatz der Celesta) nicht allein als semanti- erschienenen bibliophilen Ausgabe besaß, die mit
sche Verweise auf dessen Handlung und den Radierungen des jüdischen Malers und Graphi-
magischen Moment der Übergabe der silbernen kers Michael Fingesten versehen war.

Abb. 2:
Richard Strauss, eigenhändige
Bühnenskizze zu Capriccio,
reproduziert nach RSRH 133.
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 301

Abb. 3:
Rochus Gliese, Grundriss
des Szenenbildes bei der
Uraufführung, reproduziert
nach: Librettodruck, Berlin
1942, 7.

Das subversiv wie affirmativ nutzbare Kaleido- chel 1992, 33). Geradezu paradigmatisch gepflegt
skop, das Strauss’ Spiegelungen in dieser Schluss- wurde solche »Gefühlskultur« mit regimenahen
Szene erzeugen, führt direkt auf die von Adorno Künstlern wie Elly Ney und anderen im Rahmen
beklagte »Scheinhaftigkeit der Formen« auf seinen der Kammermusikfeste auf dem nahe Garmisch
Vorwurf, es gebe bei Strauss Brechungen in der gelegenen Schloss Elmau (Pasdzierny 2013). Das
musikalischen Struktur, die nicht innermusika- konnte Strauss durchaus präsent sein, hatte er
lisch begründet werden können: »Straussens bezeichnenderweise doch dort Anfang der 1930er
Oberflächlichkeit ist Formgesinnung«, schreibt Jahre sein Intermezzo geprobt und wohl auch
Adorno: »Sie schlägt der Innerlichkeit ein aufgeführt (Heyworth 1983, 389). Die von Adorno
Schnippchen« (Adorno 1964/1978, 567). Diese konstatierten Brüche führen bei Strauss nicht
weitsichtige Feststellung wird brisant, wenn man zwangsläufig zu einer verdinglichten Musik, deren
sie potentiell auch gegen jene spezifische »Ge- Kunstcharakter der fehlenden Immanenz wegen
fühlskultur« des NS gerichtet versteht, als deren anzuzweifeln wäre, sondern in ein Spiegelkabinett
bevorzugtes Medium die Musik gelten kann (Rei- von Sinnzuweisungsmöglichkeiten, das sich dem
302 Opern und Ballette

Vorwurf des regressiven Rückzugs ins Ästhetisie- Seht hin auf die niederen Possen,
an denen unsre Hauptstadt sich ergötzt.
ren schon deshalb verweigert, weil die Spiegel
Die Grimasse ist ihr Wahrzeichen –
auch musikalisch schräg auf der Bühne stehen und die Parodie ihr Element –
so das Publikum immer auch teilweise sich selbst ihr Inhalt sittenlose Frechheit!
sieht. Und man könnte vielleicht so weit gehen, Tölpisch und rüde sind ihre Späße!
Die Masken zwar sind gefallen,
gerade hier eine Form der Reflexivität zu erken- doch Fratzen seht ihr statt Menschenantlitze!
nen, die man mit Szondi dann unter den »Ret- Auch ihr, ich weiß es, verachtet dies Treiben,
tungsversuchen« in Krisenzeiten, zu denen er und doch, ihr duldet es!
Einakter wie Konversationsstück rechnet, interes-
sant finden könnte, weil sie den Blick, wenn auch
über viele Spiegelungsvorgänge vermittelt, eben
doch nach außen richtet. Ortsbestimmungen.
Strauss und Krauss stellen in Capriccio Fragen Frankreich auf NS-Bühnen
in genau diesem Zusammenhang. Sollen wir im- und die zeitgenössischen Refugien
manent hören und was hieße das? Augen geschlos- der aristokratischen Salonkultur
sen oder Augen auf, d. h. eingebunden in einen
aktuellen Kontext: Gehört die Musik in die Reali- Was aber kann, so bleibt zu fragen, ein Publikum
tätsebene der Zuschauer oder ist sie Teil eines in in den Spiegeln dieses musikdramatischen Salons
sich geschlossenen Repräsentationsgefüges auf der sehen? Wenn man die Stichworte der so dezidier-
Bühne? Oder besser: Wo endet die Bühne und wo ten Verortung ernst nimmt, die den Schritt von
beginnt die »Realität«? Strauss stellt die grund- Danae zu Capriccio so deutlich charakterisiert,
legende Frage nach dem Innen und Außen der und in die zeithistorischen Kontexte von 1941/42
Repräsentationsfunktion von Musik. Und: Wel- zurückspielt, eröffnet sich ein eminent politischer
che Möglichkeiten hat der Zuschauer, über diese Horizont: Ein Rokokosaal in einem Schloss in der
Frage zu entscheiden? Eine Handlung, die in der Nähe von Paris, um 1775. Topographie wie Aus-
Tradition der Theaterprobe Theater auf dem stattung des Raumes sind als Manifestierung die-
Theater vorführt, erlaubt es mit diesem »Innen ser Verortung so wichtig, dass sie im Librettodruck
und Außen« zu spielen. Immer wieder kann so das durch Rochus Glieses Grundriss nicht nur sach-
Verhältnis von Theater und Publikum explizit lich, sondern auch stilistisch repräsentiert sind
besprochen werden und das Publikum vor der (s. Abb. 3, S. 301). Und der Bühnenbildner zeich-
Bühne Angebote erhalten, sich mit dem Gesche- net überdies verantwortlich für die ebenfalls stilis-
hen auf der Bühne zu identifizieren, wie etwa zu tisch in diese Linie gestellte Umschlaggestaltung
Beginn der neunten Szene, in der es sich zuspitzt: des Druckes von Partitur- und Klavierauszug.
LA ROCHE Nun war Frankreich in Deutschland bereits seit
Wir kehren zurück in die Welt des Salons – dem Ende des Ersten Weltkrieges ein heikles
OLIVIER Thema. Das Französische stand für eine vielfach
Die Probe ist aus.
LA ROCHE beargwöhnte Idee von Zivilisation, die man der
Wir wechseln das Zeitalter – (deutschen) Kultur entgegenstellte. Vor diesem
CLAIRON Hintergrund wurde das Französische vor allem in
… verwandeln uns aus sagenhaften Gestalten in Men-
schen, die nach den Gesetzen des Salons ihre Rollen
kulturkonservativen, großbürgerlichen Kreisen
spielen. geradezu bekämpft – etwa in dem Salon des
GRAF (zu Clairon) Münchner Verlegers Bruckmann, in dem auch
Nicht immer dankbare Rollen! Hofmannsthal und Strauss verkehrt haben sollen
CLAIRON
Hängt das nicht sehr von den Stichworten ab? (Martynkewicz 2009, 23 f., 344) –, während es in
anderen gepflegt wurde. Nicht ohne Grund ver-
Etwas später in dieser Szene wird der Theater- wendet Wolfgang Martynkewicz viel Sorgfalt auf
direktor in einen emphatischen Monolog ausbre- die Beschreibung der Interieurs und ihrer politi-
chen, der die Perspektive auf die aktuelle Situation schen Dimensionen und Verweisebenen: Das
noch schärft: kulturkonservative Bürgertum der 1930er und
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 303

frühen 1940er Jahre wohnte neoklassizistisch oder empfundenen Antike, die man der französischen
im Renaissance-Stil. Das Rokoko dagegen wurde bewußt entgegenstellt« (Kurt Berger, »Zur Anti-
in diesen Kreisen weitgehend als ästhetisch-kultu- kenauffassung in der Kunsttheorie und Dichtung
relles wie moralisches Verfallsphänomen und vor des frühen 18. Jahrhunderts« [1943]; Sünderhauf
allem als antibürgerlich verstanden – wie man 2004, 339).
beispielsweise im zweiten Band von Egon Friedells Dies ist der Hintergrund, vor dem sich Strauss
Kulturgeschichte der Neuzeit nachlesen kann, die während der Arbeit am Libretto weit mehr für die
auch Strauss gut kannte. Die Kontroverse über gesellschaftliche Situation, die Epoche und die
Kultur versus Zivilisation, klassischer Norm und aktuell damit verbundenen ideologischen Zu-
Liberalismus, der »große geistige Kampf zwischen schreibungen interessierte als für die musikhisto-
Romanitas und Graecitas, zwischen Paris und rischen wie -theoretischen Details der Debatten
Athen« (so Walther Rehm 1940 in einem Vortrag um Glucks Pariser Opern (Brief an Krauss,
zum 100. Winckelmannfest der Archäologischen 23.11.1939; RSCK 274). Im März 1940 empfahl er
Gesellschaft zu Berlin; Sünderhauf 2004, 339) Krauss Edmond und Jules Goncourts Buch über
kann als einer der Fluchtpunkte im Verhältnis der die »Frau im 18. Jahrhundert« und bekräftigte im
konservativen Intellektuellen und großbürgerli- Folgebrief am Tag darauf, die Lektüre überzeuge
chen Kreise zu den Nationalisten und später der ihn mehr und mehr davon, »wie gut wir 1775 Paris
NS-Ideologie gesehen werden. Allerdings gab es gewählt haben. Damals wurde fast in jedem grö-
bereits in den 1920er Jahren einige Intellektuelle, ßeren adligen Palais Theater gespielt […] und so-
die ein anderes Bild dieses Kontextes zeichneten gar Opern gespielt« (14.3.1940; RSCK 323). Wenn
und dies zu einer Kritik am nationalistischen Strauss und Krauss uns also in den aristokratischen
Zeitgeist nutzen. Etwa Franz Blei mit seinem 1923 Rokoko-Salon als eine positiv konnotierte Bühne
erschienenen Buch Die Sitten des Rokoko, in des- versetzen, führen sie uns nicht einfach zurück in
sen Einleitung er bemerkt: eine historische Vergangenheit, die ein in sich ge-
Man vermeint jene Zeit oberflächlich und äußerlich, weil schlossenes ästhetisches Als-Ob bildet, sondern
man sich selber tief und intensiv vorkommt: daß diese gleichzeitig in zeitgenössische Salons einer spezifi-
Tiefe und Intensität sich noch keinerlei Form geschaffen, schen gesellschaftlichen Szene von Intellektuellen,
es zu keinen kulturellen Werten gebracht haben, das läßt
die Menschen dieser Zeit nicht etwa an dem Vorhanden- Kennern und Kunstsammlern. Solche Rokoko-
sein dieser Qualitäten zweifeln, sondern soll sogar ihr Interieurs fanden sich beispielsweise im Musik-
ganz außerordentlich starkes Vorhandensein bestätigen. zimmer des Generaldirektors der Preußischen
(Blei 1923, Vf.)
Museen in Berlin, Wilhelm von Bode, oder im
Frankreich und der Rokoko sind zentrale Symbole Salon des Kunstsammlers Willy von Dirksen u. a.
in dieser Diskussion wie das Weibliche, das Eroti- (Kaufhold 1999, 11 f., 25, 37 und 57 f.). Diese bil-
sche etc. dungsbürgerliche Szene hatte sich den an der »arts
Alle diese Topoi treten in Capriccio in Erschei- and crafts«-Bewegung geschulten Reformprojek-
nung und konstituieren eine Ambiguität der Be- ten nicht verschrieben, die die Ästhetik der NS-
deutungen in einer Zeit, in der doppelte Perspek- Eliten vorbereitete (Martynkewicz 2009, 15 und
tiven selten sind. Das Sujet der Oper steht in den 21–67), sondern suchte bzw. bewahrte eine intel-
späten 1930er und frühen 1940er Jahren ähnlich lektuelle und ästhetische Alternative zur Schwere
gegen den Zeitgeist wie etwa Eta Harich-Schnei- und zum Pomp der Renaissance, des »Alt-Deut-
ders 1939 in Berlin bei Bote & Bock erscheinendes schen«, aber auch zu Paul Ludwig Troosts regime-
Buch Zärtliche Welt. François Couperin in seiner konformer Monumentalversion des Neoklassizis-
Zeit (Harich-Schneider zieht sich 1940 nach Japan mus. Die kulturellen (und politischen) Kontrover-
zurück). Und es konnte schwerlich der Identifika- sen der Zeit wurden auch zu einer »Frage des Stils«
tion mit dem beargwöhnten Konzept der Zivilisa- (ebd., 498–514). Hier hatte wohl auch die Sorgfalt
tion entgehen vor dem Hintergrund der zeitge- ihre Wurzeln, mit der Strauss und Krauss Veror-
nössischen ideologischen »Schlachten gegen die tungs- und Ausstattungsfragen in ihrem Opern-
französische Kulturhegemonie«, die geschlagen projekt behandelten. Das führt auf zwei teilweise
wurden »im Namen einer wahren, d. h. deutsch verbundene Themenstränge: zum einen die Frage
304 Opern und Ballette

nach Frankreich auf den Bühnen des National- Wiener Vorlage (eben Castis für Schönbrunn ge-
sozialismus, zum zweiten die Frage danach, welche schriebene Komödie) nach komplizierten Debat-
zeitgenössischen Salons angesichts dieser Veror- ten am Ende in ein »französisches Schloss um
tung in den Blick rücken. 1775« verlegt wurde – und es mag nicht zu weit
Um 1940 Frankreich auf die Musikbühne zu greifen, wenn man dies durchaus auch als ideolo-
bringen, gewann über diesen mindestens bis in die giekritischen Verortungsvorgang in dieser Zeit
1920er Jahre zurückgreifenden ideengeschichtli- ernst nimmt.
chen Kontext hinaus mit dem Ausbruch des Neben der Arbeit an Capriccio brachten Krauss
Zweiten Weltkrieges Anfang September 1939 an und Strauss mit dem Ballett Verklungene Feste
Brisanz, weil das Land nun infolge des Beistands- (TrV 245a) Frankreich szenisch wie musikalisch
paktes mit Polen mit Deutschland im Krieg stand. bereits im April 1941 auf die Bühne des Münchner
Dies wirkte sich sofort auf die Bühnen aus. Nicht Nationaltheaters, obwohl das Aufführungsverbot
nur wurden Werke von Autoren aus verfeindeten für französische Musik wie Opern offiziell noch
Ländern vom Spielplan genommen. Aktenver- bestand. Ursprünglich sollte, so die Idee von
merke und Runderlasse befassten sich bereits ab Krauss, die Couperin-Suite nach »Original-Tanz-
September 1939 mit der Frage, wie mit Bühnen- schritten aus der Zeit« choreographiert werden
werken umgegangen werden solle, deren Hand- und als Ergänzung für einen Ballett-Abend mit
lungsort die Kriegsgegner auf deutschen Bühnen Josephs Legende dienen. Der Choreograph Pino
präsent halten würden. Der Umgang mit solchen Mlakar machte einen weitergehenden Vorschlag
»Milieu-Hindernissen« wurde ein wichtiges und entwarf gemeinsam mit seiner Frau Choreo-
Thema für die Theaterabteilung des Reichspropa- graphie und Rahmenhandlung für »Tanzvisionen
gandaministeriums (Haken 2007, 166–182). aus zwei Jahrhunderten«, die wie eine Art Vor-
Reichdramaturg Schlösser thematisierte dies be- schein oder erster Testlauf auf Capriccio gelesen
reits auf einer Pressekonferenz im Oktober 1939, werden können. Die Musik wurde um ein paar
als er bemerkte: »[e]ine Operette wie den ›Opern- Nummern erweitert und sollte eine Bühne liefern
ball‹ [Ort der Handlung ist Paris während des für Tänze aus der Zeit des Barock bis zum Über-
Karnevals, D. S.] könne man ebensogut in Wien gang zum Empire. Den szenischen Rahmen bildet
wie in Paris spielen lassen« (ebd., 169). Géza von ein Kabinett in einem Pariser Adelspalais um 1830,
Bolvárys Verfilmung dieser Operette 1939 nach in dem ein Herzog sich den aktuellen Spitzentanz
einem Drehbuch von Ernst Marischka führt ge- vorführen lässt und die Primaballerina wie den
nau das vor. Und in dem 1942 herausgekommenen Tänzer bittet, die Tänze der alten Hoffeste wieder
Mozart-Film Wen die Götter lieben wird die Paris- aufleben zu lassen (zum Szenarium s. die Urauf-
Reise Mozarts mit einem Rolltext abgehandelt, die führungskritiken bei Messmer 1989, 295–198). Für
Handlung springt dann gleich nach Wien (und das aufwendige Bühnenbild und die – besonders
dort nicht mehr in höfische Salons). Zwar kam es für diese Zeit – auffällig kostbaren Kostüme war
bereits 1940 zum Waffenstillstand mit Frankreich, der Berliner Regisseur und Bühnenbildner Rochus
aber erst zu Beginn der Saison 1942/43 wurde das Gliese zuständig, der auch Capriccio ausstatten
Aufführungsverbot für französische Opern zumin- sollte (Kostümfotos bei Hartmann 1980, 150 f.).
dest teilweise wieder gelockert (ebd., 208 f.). Län- Gliese nun steht in keiner Weise im Verdacht
ger verboten blieb französische Musik in Konzert restaurativer ästhetischer Haltungen, sondern war
und Rundfunk, hier erfolgte eine Lockerung, als eher für seine Verbindungen zum expressionisti-
man im Mai 1943 Werke »der alten französischem schen Film und seine Zusammenarbeit mit Fried-
Meister der Barockmusik wie Lully, Couperin, rich Wilhelm Murnau bekannt – man kann davon
Rameau u. a.« wieder zuließ (ebd., 209). Erst im ausgehen, dass er nicht einfach Konventionen er-
November des Jahres wurde die Sperre für franzö- füllt, sondern diese Ausstattungen bewusst gestal-
sische Musik ganz aufgehoben. tet hat.
In genau dieser Zeit nun dachten Strauss und Bleibt also die Frage, auf welche Räume denn
Krauss über ein Salonstück nach, das aus einer diese so sorgfältig ausgestatteten Anspielungen
ideologisch eigentlich perfekt platzierten, nämlich auf die höfische Aristokratie in Frankreich aktuell
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 305

zielen konnten. Aus der Korrespondenz zwischen Nach dem Souper machten wir einen Rundgang. Unter-
dessen verschwanden die Tische; die Diener stellten vier
Strauss und Krauss weiß man, dass Strauss immer
altväterliche Pulte in die Mitte des Saales, rückten Kana-
wollte, dass Capriccio in Salzburg gespielt würde. pees und Fauteuils für die Damen zurecht. Dann verfins-
Das mag tatsächlich – wie von ihm mehrfach terte sich der Raum, an den Pulten angebrachte Kerzen
angeführt – mit dem intimeren Theaterraum zu- flackerten im Halbdunkel. Das Rosé-Quartett spielte
unnachahmlich Mozart. So leitete Reinhardt eine acht-
sammenhängen. Stellt man aber potentiell auch zehn Jahre währende Tradition seiner einzigartigen Fest-
hier einmal den Spiegel schräg und fängt das spiele ein. (Zuckerkandl 1981, 140; Hofinger 2005, 43)
Umfeld ein, so kommt in Salzburg ein Kontext in
den Blick, der ebenfalls eine Rolle spielen könnte. Die Diffamierungen, die Reinhardt und seine
Dagmar Wünsches ausführliche Überlegungen zu Gestaltung des Schlosses durch die ortansässigen
den Parallelen zwischen der Figur des La Roche Parteigänger in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre
und Max Reinhardt (Wünsche-Savall 2002), die erfuhren, geben einen Eindruck von der ideologi-
auch in den Erinnerungen Joseph Gregors eine sierten Schärfe, die ästhetische Debatten um Inte-
Rolle spielen, lassen sich in bemerkenswerter rieurs in dieser Zeit erreichen konnten, und von
Weise auf die Räume erweitern und richten die der populistischen Beurteilung solcher aristokrati-
Perspektive auf Schloss Leopoldskron, das in schen Salon-Kontexte (ebd., 59–70). Beispielhaft
Theaterkreisen wohl bekannteste Rokoko- sei die denkmalschützerische Einschätzung Joseph
Schlösschen der Stadt. Dieses Gebäude, das Mühlmanns zitiert:
Reinhardt gehört hatte, war im Frühjahr 1939 als Es ist ein wahlloses Durcheinander von Stilen, Ländern
Gästehaus des Reichsgaus Salzburg annektiert und Zeiten, ohne jeden Gesichtspunkt gesammelt, so
worden (Hofinger 2005). Krauss, seit Juni 1939 dass man in keiner Weise von einer Kunstsammlung
sprechen könnte, die etwa das Recht für sich in Anspruch
Direktor des Mozarteums und ab März 1942 Ge- nehmen könnte, erhalten zu bleiben. (Hofinger 2005, 80)
neralmusikdirektor der Salzburger Festspiele,
wurde nun ausgerechnet dort Mieter. Vermutlich 1938 versuchte Joseph Gregor, der in den 1910er
kannten sowohl Strauss als auch er (und wohl Jahren bei Reinhardt als Regieassistent gearbeitet
auch Gregor) das Schloss von früher, vielleicht hatte, nach der Beschlagnahmung des Schlosses
hatte einer von ihnen sogar der legendären Auf- die Bibliothek Reinhardts an die Wiener Theater-
führung von Molières Der eingebildete Kranke sammlung zu holen – und man kann unter diesen
dort unter Max Reinhardt im August 1923 beige- Bedingungen überlegen, ob es nicht darum ging,
wohnt, an der u. a. auch Egon Friedell beteiligt sie überhaupt zusammenzuhalten (ebd., 82). Nach
gewesen war (Viel 2013, 211 f. mit Aufführungs- längeren Auseinandersetzungen verblieb die Bi-
foto). Reinhardt hatte das Schloss (und damit bliothek am Ende in Leopoldskron, »da man
auch sein privates Umfeld) zu seiner Bühne ge- Gäste nicht in einer leeren Bibliothek empfangen
macht und die Inneneinrichtung wie die auch ein kann« (Schreiben Hauptmann Wiedermann an
Theater umfassende Gartenanlage (nicht von Gauleiter Rainer 23.7.1938, Bundesarchiv Koblenz;
ungefähr unter Mitwirkung eines Bühnenbild- zit nach Hofinger 2005, 84). Gegen die Diffamie-
ners) minutiös inszeniert (Hofinger 2005, 31 f.). rungsversuche setzte sich im Landeskonservatorat
Besonders prächtig geriet die Bibliothek nach schließlich doch die Idee durch, mit der Erhaltung
dem Vorbild der Stiftsbibliothek St. Gallen (mit bzw. Wiederherstellung der neobarocken Inszenie-
Emporen; Foto bei Hofinger 31), die als Arbeits- rung des Schlosses könne man dessen besonderen
raum, aber auch für Gespräche mit ausgewählten Reiz für die Gäste erhalten. Es wurde schließlich
Gästen nach Empfängen im Schloss diente (eine sogar ein Kunsthändler nach Paris geschickt, um
Bibliothek spielt notabene auch in der 7. Szene die Ausstattung zu komplettieren. Die Reinszenie-
des Librettos als Ort eine wichtige Rolle, s. Text- rung solcher Szenerie auf einer Salzburger Bühne
buch, 36). Natürlich gab es in Leopoldskron nicht zu Beginn der 1940er Jahre wäre vor dem skizzier-
nur Theater-, sondern auch Kammermusikauf- ten Hintergrund mehr als pikant gewesen, war
führungen. Und so liest sich die Erinnerung von aber auch in München sicher in vielen Dimensio-
Bertha Zuckerkandl an einen Abend dort fast wie nen lesbar.
ein Programm zur Capriccio-Szenerie:
306 Opern und Ballette

Testamentsvollstrecker? Rezeption Kongress-Saal des Deutschen Museums, wo selbst


und Aufführungsgeschichten unter diesen schwierigen Bedingungen noch eine
Schallplatteneinspielung bewerkstelligt wurde
Opern aufzuführen, die von ihrem Autor als Ver- (Cullmann 1998, 38 f.). Diese Oper war so bereits
mächtnisse qualifiziert wurden, birgt schon ohne vor Kriegsende mit einer veritablen und weitge-
die zeitgeschichtlichen Kontexte der hier in Rede hend von Hartmann geprägten Rezeptionsge-
stehenden Werke Schwierigkeiten besonderer Art. schichte ausgestattet, während die Uraufführung
Strauss’ »Schwanengesänge« in Zeiten des Krieges von Die Liebe der Danae zum Kriegsopfer wurde
erfuhren in der Nachkriegszeit nicht nur ästheti- und damit wie ein Versprechen an den Komponis-
sche, sondern in hohem Maße auch vergangen- ten in die frühe Nachkriegszeit ragte. Vor allem
heitspolitische Aufladungen. Wie keine andere diese unmittelbar mit der Kriegssituation verbun-
Kunst stand die Musik für die Hoffnung, dass die dene frühe Aufführungsgeschichte beider Opern
europäisch geprägte Kultur den Zivilisationsbruch prädestinierte sie für Mythisierungen. So überlie-
des Nationalsozialismus überleben und eine fert Hartmann aus der Erinnerung an Strauss’
Grundlage für Verständigung bieten könnte Teilnahme an jener Danae-Probe, in der die Ab-
(Schmidt 2008; Pasdzierny 2014, 22–64). Nicht sage der Uraufführung bekannt geworden war,
zufällig meldete sich der politisch unverdächtige eine Szene, welche die Selbstidentifikation Strauss’
Schweizer Strauss-Vertraute Willi Schuh im De- mit Jupiter in dieser Situation zur Transzendie-
zember 1945 in der englischen Zeitschrift Tempo rung des Künstlers nutzt:
mit dem Versuch zu Wort, Strauss »during the Gegen Ende des zweiten Bildes stand Richard Strauss auf
War Years« zu thematisieren und gerade vor die- und begab sich in die vorderste Parkettreihe. Einsam hob
sem Hintergrund die letzten beiden Opern zu sich die Silhouette des markanten Kopfes von dem hell-
erleuchteten Orchesterraum ab. Mit unübertrefflicher
diskutieren (Schuh 1945). Er griff die Figur der Klangschönheit spielten die Wiener Philharmoniker die
Trennung von Zivilisationsbruch und Kultur ex- wunderbare Zwischenmusik vor dem letzten Bild – »Ju-
plizit auf, schloss sich Strauss’ Selbstbeschreibung piters Verzicht« nannte sie Richard Strauss einmal –, un-
beweglich, ganz in sich versunken lauschte er selbst dem
als einer der letzten Vertreter der großen deutschen Erklingen seines herrlichen Werkes. […] Zutiefst berührt
Musikkultur an (die für die weiterhin gültige In- und im Innersten aufgewühlt, glaubte man die Gegen-
tegrität dieser Kultur stünden) und mündete wart unserer Gottheit »Kunst« beinahe körperlich zu
letztlich in die Grundformel des Nachkriegsnarra- fühlen […]. Augenblicke tiefsten Schweigens vergingen
nach dem Verklingen der letzten Töne. Dann, sichtlich
tivs: unter dem bewegenden Eindruck des soeben Erlebten,
He [Strauss] lives in the world of music; and the affairs of umriß Clemens Krauss in einigen Sätzen die Bedeutung
the world of today concern him just as little as those of dieser letzten Salzburger Tage. Richard Strauss aber trat
the epoch which came to its end on May 8 1945. They do an die Orchesterbrüstung, hob dankend die Hand und
not enter into the spiritual domain to which as a creative grüßte die Philharmoniker mit tränenerstickter Stimme:
artist he belongs. (Schuh 1945, 10) »Vielleicht sehen wir uns in einer besseren Welt wieder!
(Hartmann an Schuh, 22.1.1945; RSRH 124 f.)
Die Rezeptionsgeschichte der letzten beiden Hartmann, Regisseur der Uraufführungen sowohl
Opern spiegelt in besonderer Weise das hier be- von Capriccio als auch der Liebe der Danae, hat die
reits sichtbare Ringen um das Strauss-Bild der Sicht auf die Aufführungsgeschichte nicht nur,
Nachkriegszeit vor dem Horizont der vergangen- aber vor allem dieser Opern durch seine durchaus
heitspolitischen Bedeutung der Musik überhaupt. mit auktorialem Gestus auftretenden Publikatio-
Capriccio war noch während der NS-Zeit nach nen entscheidend geprägt (RSRH; Schuh 1954;
der Münchner Uraufführung 1943 mit Aufführun- Hartmann 1980), ihre frühe Aufführungsge-
gen u. a. in Hannover und Darmstadt, 1944 unter schichte stark aufgeladen, in den vergangenheits-
Hartmanns Regie in Dresden, Wien und – als politischen Diskurs der Nachkriegszeit einge-
Gastspiel der Wiener Staatsoper – immerhin in schrieben und sich selbst auch mit unhintergehba-
Zürich nachgespielt worden, erlebte außerdem rer Deutungsmacht ausgestattet. Diese Autorität
noch nach der Zerstörung des Münchner Natio- stützte auch die Eingliederung so mancher Hart-
naltheaters im Oktober 1943 weitere Aufführun- mannscher Eingriffe in die Partitur, die sich auf-
gen in München in dem als Notquartier genutzten grund der praktischen Bühnenerfahrung mit den
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 307

Werken ergaben (und sich auch auf Strauss’ Thea- zunächst durch die erfolgreiche praktische Erpro-
terpraxis berufen konnten, s. z. B. das Nachwort bung, was er mit Formulierungen wie »auch in
1953 in RSRH 125). Zürich und in London gezeigt« oder »lagen im
Für die 1952 endlich stattfindende »offizielle« Wesentlichen die früheren Erfahrungen zugrunde«
Salzburger Uraufführung der Danae, die dann und »hinsichtlich der bühnentechnischen Lösun-
auch an die Wiener Staatsoper übernommen gen verbessert« herausstellt (Hartmann 1953,
wurde, nahm Hartmann die Inszenierung von RSRH 125; s. a. die Rekonstruktion des Regie-
1944 (nun allerdings mit einem neuen Sänger- buchs, die auch alle Striche dokumentiert, ebd.,
ensemble) wieder auf und flankierte sie program- 173–192). Hartmann bezeichnet das Stück vor al-
matisch durch die Publikation seiner oben zitier- lem wegen des Ungleichgewichts, das der dritte,
ten Erinnerungen an die Generalprobe, die er 1945 »wagnerische« Akt erzeugt, als im dramaturgi-
für Willi Schuh aufgezeichnet hatte, in der schen Aufbau missglückt und plädiert immer
Schweizerischen Musikzeitung und im Strauss- wieder gleichsam für einen Rückbau hin zu der
Jahrbuch (RSRH 117–125; zur Vorgeschichte dieser »ursprünglich gedachte[n] überlegene[n] Heiter-
Aufführung s. a. den Briefanhang in Steiger 1999, keit des Hofmannsthalschen Entwurfs« (Hart-
v. a. 238–249). Wahrgenommen wird diese Urauf- mann 1980, 239). Bis zuletzt suchte er in dieser
führung denn auch vor allem als Regie- und En- Frage offenbar auch Kontakt zum Sohn des Kom-
sembleleistung, wobei auch die mit Krauss, ponisten, Franz Strauss, mit dem er über eine
Hartmann und Emil Preetorius gesicherte Konti- grundlegende Neufassung nachdenken wollte:
nuität im Produktionsteam immer wieder eigens Gedanken für eine grundlegende Neufassung – zum Teil
hervorgehoben wird. Das Stück selbst, so kann auf die ersten Entwürfe zurückgreifend – gab es viele, und
man beispielhaft in der Kritik der Wochenzeitung noch am 2. Januar 1980 sprach ich in Garmisch mit dem
Sohn des Komponisten, Dr. Franz Strauss […], über die
Die Zeit nachlesen, wird vor allem als eine Art erfolgversprechende veränderte Umformung des Stückes,
»Nachtrag«, als Reverenz an den Komponisten die nach meinem Vorschlag vom Hause Strauss selbst
gesehen: vorgenommen und autorisiert werden müßte. (Hart-
mann 1980, 239)
Es wäre nicht einmal zu wünschen, daß die Fähigkeit, ein
Stück wie dieses zu bewältigen, zum Maßstab für den Die Familie wird also als autorisierende Instanz
Wiederaufbau unserer Opernbühnen erhoben würde.
Denn das Werk sowohl wie seine Technik fördern die
aufgerufen. Bereits 1958 hatte Franz Strauss in ei-
ohnedies überhand nehmenden Tendenzen zur Restaura- nem Brief an Joseph Gregor berichtet, Hartmann
tion. Es ist ein Nachläufer – posthum in einem tieferen habe sich wegen einer Umarbeitung an ihn ge-
Sinne, als ihn die äußere Werkgeschichte bedingte. Be- wandt, er aber habe ihn an Gregor als Mitautor
merkenswert ist die ›Danae‹ lediglich als ein neues Stein-
chen im Schaffensmosaik einer historischen Persönlich- weiterverwiesen (Steiger 1999, 229). Gregor spielte
keit, die Geschichte gemacht hat mit anderen, wesentli- bemerkenswerterweise in der Aufführungsge-
cheren Schöpfungen. (Jacobi 1952) schichte nach dem Krieg keine Rolle mehr. Schon
Hartmann stellt rückblickend die nun folgenden bei der Uraufführung, bei der er ›sein‹ Stück erst-
Inszenierungen als schrittweise Vervollkommnung mals sah, war er nicht einmal mehr auf die Bühne
der Uraufführung dar und propagiert szenische gerufen worden (Steiger 1999, 100 ff.). Vielmehr
Eingriffe (v. a. die Verlegung der Danae-Midas- suchte man von Anfang an die Authentifizierung
Szene im ersten Akt direkt ans Ende der Gold- eher auf der Bühne, und auch hier wirkte die Fa-
regen-Szene, erstmals zu sehen in München 1952). milie mit, so beispielsweise bei der Berliner Erst-
Anders als die Entscheidung, Jupiter im dritten aufführung der Danae 1952, in welcher der Enkel
Akt entgegen der Regieanweisung der Partitur des Komponisten die Regie verantwortete (unter
nicht mit Altersmaske auftreten zu lassen, die der musikalischen Leitung von Leopold Ludwig
Strauss gebilligt hatte, aber (wohl um die Wande- und in einem Bühnenbild von Joseph Fenneker;
rer-Allusion nicht zu verlieren) nicht im Textbuch Szenenfotos in Hartmann 1980, 242). Richard
dokumentieren wollte (Strauss an Hartmann, Strauss jun. inszenierte das Stück im gleichen Jahr
1.4.1945; RSRH 44), sind die meisten dieser Ein- auch noch in Bremen.
griffe nicht von Strauss autorisiert worden. Auto- Wie sehr die Aufführungsgeschichte die Idee
risiert sieht Hartmann sein Vorgehen vielmehr der Testamentsvollstreckung in ihren verschiede-
308 Opern und Ballette

nen Facetten noch heute prägt, mag man daran dingten Gründen als Einakter« konzipiert (Hart-
sehen, dass die Salzburger Produktion von 2002 mann 1980, 261).
(2005 nach Dresden übernommen) ausdrücklich Dies ist ein bemerkenswerter Kunstgriff, denn
darauf abhebt, hier sei nun endlich und erstmals indem er die Zeitbezogenheit so ausschließlich
mit Franz Grundheber die originale, d. h. untrans- direkt und pragmatisch auf die dramatische Groß-
ponierte Jupiter-Partie zu hören gewesen (die form bezieht (die Strauss immerhin ausdrücklich
Kieler Oper hat daraufhin Grundheber im folgen- in den Werktitel eingeschrieben hatte: »Konversa-
den Jahr für eine konzertante Aufführung gewon- tionsstück mit Musik in einem Aufzug« [Hervor-
nen, die diese ›Ur-Fassung‹ dann auch als CD- hebung D. S.]) und sie nun mit dieser historisie-
Aufnahme dokumentiert hat; vgl. hierzu auch die renden Geste überwindet, macht Hartmann auch
detaillierte Dokumentation der Transpositionen den Weg frei für eine den Narrativen der Nach-
und der 1952 vorgenommenen Striche in Krauss’ kriegszeit konforme Deutung: die vollkommene
Dirigierpartitur bei Steiger 1999, 219 [zu 1944] Trennung der unpolitischen, rein ästhetischen
und 228 f. [zu 1952]). Der Abschiedsmythos wirkt Sphären der Kunst von den tagespolitischen Zu-
ebenfalls latent noch nach, wenn etwa Kirsten mutungen. Und genau diese Fährte legt Hart-
Harms sich mit einer Inszenierung der Danae 2011 mann denn auch selbst direkt im Anschluss:
von der Deutschen Oper Berlin verabschiedet – Trotz eigenen Miterlebens ist es schwierig für mich, die
nicht ohne im Programmheft die frühe Auffüh- Stimmung des abendlichen 28. Oktobers 1942 überzeu-
rungsgeschichte in Berlin durch eine Pressedoku- gend zurückzurufen. Denn wer von den Jüngeren kann
sich überhaupt vorstellen, daß eine Großstadt wie Mün-
mentation präsent halten zu lassen (Richard chen völlig ohne Beleuchtung war, daß durch das Dunkel
Strauss 2011, 68–71). die Theaterbesucher mit Hilfe kleiner Taschenlampen,
Auch auf die Rezeption von Capriccio nahm die nur durch einen schmalen Schlitz abgedunkeltes
blaues Licht freigaben, ihren Weg zum Nationaltheater
Hartmann nach dem Krieg mit seinen Eingriffen suchten, um die Uraufführung des Capriccio miterleben
grundlegend Einfluss. Hier schlugen sich seine zu können. Sie riskierten, in einen schweren Luftangriff
Umdeutungen vor allem in der Einführung einer hineinzugeraten, aber die Sehnsucht nach Musik im in-
Pause nach der 7. Szene nieder, die der Regisseur nen erleuchteten Opernhaus, nach festlicher Umgebung
und nach einer geistigen Welt des Schönen fern von allen
in der Hamburger Produktion von 1957 (unter der Gefahren des Krieges, ließ sie alles überwinden. (Hart-
musikalischen Leitung von Joseph Keilberth) mann 1980, 261)
erstmals eingefügt hatte (die Szene wurde dafür Möglicherweise legt diese Lesart den Grund dafür,
am Schluss um 10 Takte ergänzt, s. TrV, 327). Dies dass es unter den späten Strauss-Opern vor allem
verschiebt nicht nur die dramaturgischen Verhält- Capriccio gelang, sich in den universalen Kunst-
nisse in diesem eigentlich spiegelsymmetrisch an- kanon der Nachkriegszeit einzufügen. Bemerkens-
gelegten und damit die Spiegelmetapher auch wert ist der internationale Erfolg, den Capriccio
formal umsetzenden, auf die moderne Form-Tra- (auch im Vergleich zu Danae) sofort nach dem
dition von Einakter und Konversationsstück re- Krieg hatte (zur Aufführungsgeschichte Lesnig
kurrierenden Stück entscheidend (und gibt auch 1992 und 2002). Zwar kam Danae bereits 1952 auf
der so wichtigen Schluss-Szene ein völlig anderes die Bühne der Scala in Mailand, wurde 1953 aber
Gewicht). Hartmann verknüpft diese Entschei- nur für ein paar Gastaufführungen der Wiener
dung in seiner Begründung überdies in aufschluss- Staatsoper nach Paris und der Bayerischen Staats-
reicher Weise mit der zeitgeschichtlichen Veror- oper nach Zürich übernommen; bis in die 1980er
tung der Uraufführung: Jahre folgten nur sehr wenige internationale Auf-
Die Festsetzung des Uraufführungstermins, nach einer führungen. Capriccio dagegen war bereits bis 1968
verhältnismäßig kurzen Entstehungszeit, rückte näher sogar in zahlreiche Sprachen (Italienisch, Franzö-
und damit auch neue Sorgen. Die allabendlichen Luftan-
griffe störten mehr und mehr den Vorstellungsablauf und sisch, Englisch und Holländisch) übersetzt auf
trieben das Publikum oft genug in den Keller. (Hartmann internationalen Bühnen zu sehen gewesen und
1980, 259) hatte acht Produktionen allein in den USA erlebt.
Krauss habe schließlich entschieden, so berichtet Ein kurzer Blick auf die Inszenierungen nach dem
Hartmann weiter, man solle wegen der Luftan- Krieg zeigt auch den Erfolg des Stückes in akade-
griffe ohne Pause spielen. Capriccio sei »aus zeitbe- mischen Kontexten: Capriccio war an nicht weni-
16. Die Liebe der Danae – Capriccio 309

ger als drei amerikanische Colleges aufgeführt von Götz die vermeintlich getrennten Ebenen fast
worden (bereits 1954 an der Juilliard School in mutwillig – und in der Presse heftig diskutiert –
New York, 1958 in Bloomington und 1960 – im aufeinanderprallen: Bereits auf den Vorhang wird
Jahr des 100. Geburtstags – an der University of ein bekanntes Foto vom Einmarsch der deutschen
Southern California in Los Angeles, wo man vier Truppen auf den Champs Elysées projiziert. Fla-
Jahre später auch Danae herausbrachte). Akademi- mand und Olivier treten zunächst in Gestapo-
sche Institutionen waren zu dieser Zeit die wich- Uniformen auf etc. Robert Carsen geht in seiner
tigsten Arbeits- und Lebensorte für exilierte Mu- Inszenierung für die Pariser Oper 2004 subtiler
siker und Wissenschaftler, die deutschen Commu- vor: Er versetzt die Protagonisten über die Klei-
nities waren teilweise prägend für das kulturelle dung in die Entstehungszeit der frühen 1940er
Leben an diesen Universitäten. Die Frage, unter Jahre und spitzt das Spiel mit dem Spiegel zu, in-
welchen Bedingungen hier der Strauss der Kriegs- dem er diesen an der Bühnenrückwand platziert,
jahre – und gerade Capriccio – eine solche Rolle so dass sich darin der Zuschauerraum als Ganzes
spielen konnte, stellt sich vor dem Hintergrund spiegelt und er optisch zur Fortsetzung des Thea-
des hier Entfalteten neu und führt m. E. zurück terraumes wird (ein für das Stück zentraler Effekt,
auf das avancierte Spiel mit den Spiegeln in die- der in der DVD-Produktion verloren geht).
sem Stück. Unter den Bedingungen des Krieges Das auch in der musikwissenschaftlichen Lite-
versucht Capriccio mit seiner so deutlichen Veror- ratur verbreitete Argument des Ästhetizismus lie-
tung, Musiktheater dezidiert als ein Medium zivi- fert die Diagnose einer ebenso strikten wie poli-
lisierter Kultur zu präsentieren – auch wenn es sich tisch ignoranten Trennung zwischen Kunst und
dem Regime nicht offen entgegenstellte, eröffnete Realität im Denken des späten Strauss (aus der
es doch für den, der es sehen wollte, auch den Perspektive der Ideengeschichte in jüngerer Zeit
Blick auf die Grimassen hinter den kulturellen zu verfolgen von den Argumentationen Stephan
Masken des Regimes. Kohlers, Kenneth Birkins oder Raymond Monelle
Und diese Konfrontation prägt die Inszenie- bis hin zu den mehr als polemischen Bemerkun-
rungen des Stückes bis heute: Das Bühnenbild der gen des amerikanischen Kritikers Alex Ross, der
1993 in Berlin an der Staatsoper herausgebrachten die Münchner Uraufführung von Capriccio direkt
Inszenierung von Strauss’ letztem Bühnenwerk überblendet mit dem Holocaust; Ross 2009, 370;
zeigte in gewisser Weise die zerstörte Version der zur wissenschaftlichen Rezeption von Strauss aus
Capriccio-Bühne an der Berliner Städtischen Oper dieser Perspektive s. a. Potter 1992). Capriccio
von 1956 (s. die Abbildungen in Richard Strauss scheint dies, wenn man die Zeitkontexte nicht
1993). Diese war – wie bei den frühen Aufführun- mehr kennt, in perfekter Weise zu inszenieren –
gen des Stückes häufig – eine Paraphrase des deshalb wohl fühlen Regisseure heute die Not-
Bühnenbildes der Uraufführung gewesen. 1993 wendigkeit, die politische Dimension durch die
allerdings sah man hinter den großen Fenstern des Inszenierung wieder einzuführen. Das ist in gewis-
Salons nicht in den Garten, sondern in das zer- ser Weise richtig und falsch zugleich: richtig in
störte Berlin, und aus Lautsprechern, die unter dem Sinne, dass uns heute die möglichen Verbin-
den Zuschauersitzen angebracht waren, hörte man dungen zwischen Theater und Realität in der Zeit
Fliegerangriffe. Die Spannung zwischen dem aus der Entstehung und Uraufführung der Werke
der Nachkriegsperspektive propagierten ästheti- nicht mehr unmittelbar präsent sind. Gleichzeitig
schen Eskapismus, den man mit dem Rokoko- aber scheint es zu kurz zu greifen, diese Kontexte
Interieur verband, das Rochus Gliese 1942 für die allein als historische Referenzen auf der Bildebene
Uraufführung geschaffen hatte, zu den außerhalb wieder hinzuzufügen.
des Theaters unübersehbaren Realitäten des Krie-
ges wird – nicht nur in Berlin – von den aktuellen
Inszenierungen dieses Werkes immer wieder in
irgendeiner Weise aufgegriffen. In der Kölner
Produktion von 2007 (in Kooperation mit Edin-
burgh entstanden) lässt der Regisseur Christian
310 Opern und Ballette

Diskographischer Hinweis Capriccio


i Gundula Janowitz (Gräfin), Dietrich Fischer-
Die Liebe der Danae Dieskau (Graf ), Peter Schreier (Flamand), Her-
i Paul Schöffler (Jupiter), Josef Traxel (Merkur), mann Prey (Olivier), Karl Ridderbusch (La Ro-
Josef Gostic (Midas), László Szemere (Pollux), che), Sinfonieorchester des Bayerischen Rund-
Annelies Kupper (Danae), Anny Felbermayer funks, Karl Böhm (1971), DGG 419 023–2
(Xanthe), Wiener Philhamoniker, Chor der Wie- i Felicity Lott (Gräfin), Thomas Allen (Graf ),
ner Staatsoper, Clemens Krauss (1952; gekürzter Gregory Kunde (Flamand), Stephan Genz (Oli-
Mitschnitt der Uraufführung) Orfeo C 292 923 D vier), Günter von Kannen (La Roche), SWR Ra-
i Franz Grundheber (Jupiter), Hans-Jürgen dio-Sinfonieorchester Stuttgart, Georges Prêtre
Schöpflin (Merkur), Robert Chafin (Midas), Paul (1999), Forlane UCD 268052
McNamara (Pollux), Manuela Uhl (Danae), Cor- i Renée Fleming (Gräfin), Dietrich Henschel
nelia Zach (Xanthe), Kieler Philharmoniker, Kie- (Graf ), Rainer Trost (Flamand), Gerald Finley
ler Opernchor, Ulrich Windfuhr (2003), cpo 999 (Olivier), Franz Hawlata (La Roche), Orchestre de
967–2 l’Opéra national de Paris, Ulf Schirmer, Regie:
Robert Carsen (Livemitschnitt Paris 2004), DVD
Arthaus Musik 107327

Literatur

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312 Opern und Ballette

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313

17.
Ballette
Von Monika Woitas

»Ich wollte mit ›Josephslegende‹ den Tanz erneu- »Strauss fehlt der Sinn für diese Art Kunst.
ern. […] Den Tanz als Ausdruck des Dramati- Seine Musik […] beschreibt nur die Bühnenvor-
schen – aber nicht ausschließlich.« Sein »Joseph« gänge. Sie läuft nebenher und wird dabei nicht
enthalte daher beides: »Tanz als Drama und Tanz selten als lästig und gar zu redselig empfunden«,
als – Tanz« (Strauss 1981, 117). Tatsächlich stand die konstatierte Paul Bekker nach der Premiere von
Suche nach Ausdruck für viele Tanzreformer zu Josephs Legende (Bekker 1921, 103). Es scheint, als
Beginn des 20. Jahrhunderts im Zentrum ihrer hätten Strauss seine Vorstellungen vom Ballett im
Überlegungen und hatte die Entstehungszeit von Wege gestanden, mit dem er den »reinen Besitz
Josephs Legende (1914) geprägt. Allerdings wurden des Nurgraziösen« und die »Linie des absolut
diese Ansätze durch Ballette wie Petruschka (1911), Lieblichen« assoziierte (Strauss 1981, 134). Denn
L’Après-Midi d’un Faune (1912) und Le Sacre du sobald er nicht explizit Ballettmusik schreibt,
Printemps (1913) bereits wieder in Frage gestellt. entfalten sich jene Qualitäten ›wahrer‹ Tanzmusik,
Und als Strauss im Jahr 1941 schließlich seine »Er- die Bekker beim jungen Strawinsky erkennt, in
neuerung« des Tanzes explizit verkündete, waren Josephs Legende hingegen vermisst. Wie die Tanz-
derartige Überlegungen zumindest in der interna- szenen in Strauss’ Opern vermitteln viele der
tionalen Ballettszene endgültig passé. Seit 1928 Symphonischen Dichtungen ein tänzerisches
hatte vor allem George Balanchine in der Zusam- Empfinden, das zahlreiche Choreographen zu
menarbeit mit Igor Strawinsky konsequent an einer Adaptionen inspiriert hat. Bereits 1916 brachte
neoklassisch fundierten, puristischen Ästhetik des Vaclav Nijinsky Till Eulenspiegel auf die Bühne
Tanzes gearbeitet, die alles eliminierte, was dem (ihm folgten u. a. Jean Babilée 1949, George Ba-
Zusammenspiel von Tanz und Musik im Wege lanchine 1951 und Heinz Spoerli 1980). Ähnlich
stehen konnte: dramatische Inhalte ebenso wie beliebt war Don Juan, choreographiert u. a. von
opulente Bühnenbilder. Strauss’ Beiträge zum Bal- Tatjana Gsovsky (1946), Frederick Ashton (1948),
lett hingegen favorisierten farbenprächtige Sujets, Marcel Luipart (1957) und Serge Lifar (L’Eternel
die dem Komponisten Gelegenheit boten, alle Re- Amour 1957). In den 1960er und 1970er Jahren
gister seiner Instrumentationskunst zu ziehen und erfuhren auch jene Kompositionen eine choreo-
den Hörer in fremde Welten zu entführen – in das graphische Deutung, die dazu weniger offensicht-
Reich Potiphars, ins Zeitalter Ludwigs XV. oder liche Anknüpfungspunkte boten: Metamorphosen
auch in eine zum Leben erwachende Wiener Kon- (Yvonne Georgi 1962; Serge Lifar 1966), »Vier
ditorei. Während sich Salomes »Tanz der sieben letzte Lieder« (Brian Macdonald 1966; Maurice
Schleier« oder Elektras finale Tanzekstase tatsäch- Béjart 1970; Rudi van Dantzig 1977); Tod und
lich aus den Bühnenkonventionen ihrer Zeit lösten, Verklärung (Rudi van Dantzig 1975); Burleske für
blieben die eigentlichen Ballettkompositionen allen Klavier und Orchester (Antony Tudor 1943; Eliot
programmatischen Beteuerungen zum Trotz einer Feld 1971); Der Bürger als Edelmann (Tudor 1968).
im Untergehen begriffenen Tradition verhaftet. Die Liste ließe sich verlängern und wächst stetig.
314 Opern und Ballette

Es gibt ihn also, den Ballettkomponisten Strauss, einer wohlkalkulierten Mischung aus Tradition
auch wenn von einer »lebenslangen Beschäftigung« und Innovation begeisterten sie Großbürgertum
(Heisler 2009, 2) mit dem Tanz nur bei einigem und Künstleravantgarde gleichermaßen und wur-
Wohlwollen die Rede sein kann – es sei denn, man den so zum Brennpunkt der Moderne. Auch
definiert Tanzkunst in jenem metaphorischen Hugo von Hofmannsthal und Harry Graf Kessler
Sinn, der im Anschluss an Nietzsche gerade in bewunderten Diaghilews Ensemble und trugen
Intellektuellenkreisen des Fin de siècle zunehmend sich bereits 1909 mit dem Gedanken an eine Zu-
in Mode kam. Hier gab es Projekte wie Die Flöhe sammenarbeit. Doch erst Ende Juni 1911 lässt
oder der Schmerzenstanz (1898) von Frank Wede- Diaghilew über den Mittelsmann Kessler Hof-
kind, die »Astrale Pantomime« Kometentanz (1903) mannsthal ›offiziell‹ um ein Ballett für Nijinsky
von Paul Scheerbart oder Hofmannsthals Der bitten. Strauss, für die Musik vorgesehen, erhält
Triumph der Zeit (1900), zu denen Strauss die am 3. März 1912 ein Szenario mit dem Titel »Orest
Musik schreiben sollte. Allerdings wurden sie und die Furien«, begleitet von einem Brief Hof-
nicht realisiert (Heisler 2009, Kap. 1); vermutlich mannsthals, dem eine »finstere, grandiose Musik«
waren die experimentellen Höhenflüge der Dich- vorschwebt, eine »Synthese […] aus Ihren Sym-
ter mit der aktuellen Tanzpraxis inkompatibel. phonien und Ihren beiden tragischen Opern«
Auch Strauss’ eigenes Ballett Kythere nach Gemäl- (RSHH 171). Strauss lehnt ab, ihm erscheint das
den von Watteau, Boucher und Fragonard (1900) Sujet zu eng mit Elektra verwandt. Auf Drängen
kam über das Skizzenstadium nicht hinaus. Die Diaghilews, der auf die prominenten Namen
tatsächlich umgesetzten Ballette hingegen stellen Hofmannsthal und Strauss mit Blick auf das
zwar interessante, aber letztlich marginale Beiträge deutschsprachige Publikum nicht verzichten will,
zum Tanztheater des 20. Jahrhunderts dar. entsteht in kurzer Zeit und in Kooperation mit
Kessler ein neuer Entwurf: »›Joseph in Ägypten‹,
die Episode mit der Frau des Potiphar, den kna-
benhaften Joseph natürlich für Nijinsky, den au-
ßerordentlichsten Menschen, den die heutige
Josephs Legende Bühne besitzt« (Hofmannsthal an Strauss, 23. Juni
1912; RSHH 187). Diesmal findet das Sujet Gnade
Handlung in einem Aufzuge op. 63 TrV 231
vor den Augen des Komponisten. Damit sollten
Entstehungszeit: Juli 1912 bis Februar 1914 die Probleme jedoch erst beginnen (Woitas 1997).
Libretto: Harry Graf Kessler und Hugo von Hof-
mannsthal Das Autorenteam um Hofmannsthal und Kessler,
Uraufführung: Opéra de Paris, Ballets Russes de dem neben Diaghilew und Nijinsky auch die
Diaghilew, 14. Mai 1914 Maler Leon Bakst und Alexandre Benois angehö-
Choreographie: Michel Fokine ren, entwirft ein Sujet, in dem der biblische Träu-
Bühnenbild: José Maria Sert mer Joseph zum Tänzer wird – ein Ur-Zarathustra,
Kostüme: Leon Bakst der im Tanz die Grenzen der wahrnehmbaren
Personen: Joseph; Potiphars Weib; Erzengel; Poti- Welt überschreitet und mit dem Göttlichen kom-
phar; Sulamith; Sklavinnen, Boxer, Händler muniziert (Heisler 2009, 62). In der Figur des Jo-
seph soll die transzendente Qualität des Tanzes,
Während an Orten wie Hellerau oder Monte Ve- wie sie bei Nietzsche vorformuliert erscheint, Ge-
rità die Keimzellen einer neuen Tanzkunst gelegt stalt annehmen. In scharfem Kontrast zur meta-
wurden und Tänzerinnen wie Loie Fuller, Isadora physischen Welt des Hirtenknaben steht der
Duncan oder Grete Wiesenthal zeigten, wie mit- opulent im Stil des Paolo Veronese ausgestattete
reißend ein von Konventionen und Normen be- Hof des Potiphar, dessen Angehörige vor allem
freiter Tanz sein konnte, sorgte seit 1909 ein En- pantomimisch agieren sollen. Josephs Legende wird
semble international für Aufsehen, das das Ballett als »Musikdrama ohne Worte« (Kohler 1980) kon-
nicht abschaffen, sondern neu beleben und refor- zipiert – und hält damit an einer spätestens seit Le
mieren wollte: Serge Diaghilews Ballets Russes. In Sacre du Printemps (1913) überholten dramaturgi-
17. Ballette 315

schen Disposition fest. Tanz und Musik werden vierteiliges Solo, in dem sein natürliches Wesen
letztlich jene Freiräume jenseits sprachlicher Aus- ebenso zum Ausdruck kommt wie seine Suche
drucksmöglichkeiten genommen, die beide zur nach Gott. Potiphars Weib, die bis dahin reglos
vollen Entfaltung ihrer Potentiale brauchen. Bek- und gelangweilt dem Treiben um sie gefolgt war,
ker kritisiert denn auch treffend die »Ästheten- wird von der fremdartigen Schönheit des Hirten-
retorte« und »metaphysische Gebrauchsanweisung« knaben magisch angezogen. Nachdem alle Gäste
vor allem in den Vorreden Hofmannsthals und gegangen sind, fällt Joseph, von Potiphar als
Kesslers, die Strauss zwar zugunsten »sinnlich Sklave erworben, in einen tiefen Schlaf. Im Traum
faßbarer Bühnenvorgänge« wie Hundegebell oder erscheint ihm ein Erzengel. Mitten in der Nacht
das Rieseln von Goldstaub ignoriert habe. Doch schleicht Potiphars Weib zu Joseph und versucht
fehle seiner Musik die »lebendige Gebärde«. Sie ihn zu verführen. Als dieser jedoch standhaft
beschreibe lediglich »die Bühnenvorgänge«, laufe bleibt, beschuldigt sie ihn der versuchten Verge-
»nebenher« und werde »dabei nicht selten als lästig waltigung und lässt ihn von ihren Dienern gefan-
und gar zu redselig empfunden« (Bekker 1921, 100, gen nehmen. Potiphar verurteilt Joseph zum Tode,
102 f.). Ein weiteres Problem: Strauss kam mit doch bevor das Urteil vollstreckt werden kann,
der Figur des Joseph nicht zurecht. »Der keusche erscheint erneut der Erzengel und entführt Joseph
Joseph selbst liegt mir nicht recht, und was mich in ein himmlisches Jenseits, während sich Poti-
mopst, dazu finde ich schwer Musik« (an Hof- phars Weib voller Verzweiflung und Selbsthass mit
mannsthal, 11. September 1912; RSHH 198). Strauss ihrer Perlenkette erdrosselt.
assoziiert mit Joseph offenkundig weniger einen
Ur-Zarathustra als einen Hirtenknaben in der
Tradition der Schäferballette des 18. Jahrhunderts,
denn er greift für Josephs Tanz auf Skizzen zu sei- Kommentar
nem Kythere-Ballett zurück: Watteau statt Archaik
à la Elektra (Heisler 2009, 72 ff.; Woitas 1997, Hofmannsthals und Kesslers Szenario lebt aus der
155 f.). Schließlich kam es auch noch zum Bruch Konfrontation der beiden Welten und Protagonis-
zwischen Diaghilew und Nijinsky, so dass quasi ten, variiert also die fatale Faszination Salomes für
über Nacht jener Künstler entfiel, auf den von Jochanaan. Doch anders als der Prophet ist sich
Beginn an alles zugeschnitten war. Michel Fokine der Knabe Joseph seiner Berufung (noch) nicht
sprang als Choreograph ein, während der erst bewusst. Für ihn ist die Gegenwelt des Göttlichen,
19-jährige, tänzerisch noch unausgereifte Leonide personifiziert in der strahlenden Erscheinung des
Massine für den Part des Joseph engagiert wurde. Engels, selbstverständliche Realität, deren tran-
Auch die als Potiphars Weib vorgesehene charis- szendentes Wesen sich nicht in Worte fassen lässt.
matische Ida Rubinstein musste durch die Sänge- Zugleich repräsentiert Joseph in seiner Natürlich-
rin Maria Kusnetsowa ersetzt werden. Was blieb, keit das Gegenbild zur dekadenten Opulenz des
waren die pompöse Ausstattung von José-Maria ägyptischen Hofes. Beides, Naturwesen und Tran-
Sert und die prunkvollen Kostüme von Leon szendenz, finden in Tanz und Musik ihren adäqua-
Bakst, die das Venedig Veroneses evozierten. ten Ausdruck. So der Plan der beiden Librettisten,
dessen konkrete Umsetzung deutlich hinter diesen
Vorstellungen zurückblieb. Fokines Choreographie
war kaum mehr als ein Pasticcio gängiger Szenen
Inhalt aus erfolgreichen Repertoirestücken der Ballets
Russes wie Polowetzer Tänze (1909) oder Schéhéra-
Am Hof des Potiphar wird ein rauschendes Fest zade (1910). Massine ließ zwar eine charismatische
gefeiert. Drei in Sänften hereingetragene Sklavin- Bühnenpräsenz erahnen, konnte tänzerisch aller-
nen führen einen Schleiertanz auf, der im Solo der dings nicht an Nijinsky heranreichen. Gleiches
Sulamith kulminiert, gefolgt von einem Schau- galt für die Kusnetsowa. Immerhin wurde sie in
kampf der Boxer; Händler bieten verschiedene späteren Aufführungen durch Tamara Karsawina
Waren feil, darunter auch Joseph. Er tanzt ein ersetzt, die die rein mimisch angelegte Partie aller-
316 Opern und Ballette

dings deutlich unterforderte. Strauss’ orchestraler auch des Publikums war Josephs Legende jedoch ein
Farbenreichtum verdeckte kaum einen gewissen voller Erfolg. »Es war das erste Mal«, erinnert sich
Mangel an Substanz und enttäuschte selbst treue Kessler 1928 mit hörbarem Stolz, »daß seit dem
Apologeten wie Richard Specht: »Diese Legende Kriege 1870 ein deutsches Werk in der Pariser
wirkt nur wie eine gute Strauß-Kopie; und das ist Oper seine Premiere erlebte; die letzte glänzendste
zu wenig, wenn sie von ihm selber herrührt« – als Parade des Vorkriegs-Europa in seinem glänzends-
habe Strauss quasi mit der linken Hand kompo- ten Rahmen, während die Katastrophe schon her-
niert, ohne Herz, Seele und Geist (Specht 1921, einbrach« (Kohler 1980, 23). Auch Karl Krauss,
324). Dieser Befund scheint der eingangs zitierten den Tonfall einer Hofberichterstattung persiflie-
Programmatik nur bei flüchtiger Lektüre zu wi- rend, entlarvte mit feinem Gespür die ganze Ver-
dersprechen. Neben den klischeebelasteten Vor- anstaltung als Selbstinszenierung einer unterge-
stellungen von Ballettmusik, die Strauss in seiner henden Welt (Die Fackel 16, 10.7.1914, 71 f.): eine
Inspiration blockierten, waren es wohl auch die Ahnung, die durch den Ausbruch des Ersten
philosophischen Höhenflüge seiner Librettisten, Weltkriegs nur allzu bald bestätigt werden sollte.
die der musikalischen Entfaltung wenig Raum Der Krieg und seine Folgen machten die Hoff-
ließen; zudem dürften Diaghilews Wünsche nach nungen auf einen internationalen Erfolg von Josephs
»dramatischer Gebärde« und psychologischer Legende vorerst zunichte. Das »Musikdrama ohne
Vertiefung (Kessler an Strauss, 11. August 1912; Worte« wurde erst 1921 an der Berliner Linden-
Kohler 1980, 23) den Komponisten in die Irre ge- Oper sowie 1922 in München und an der Wiener
führt haben. Das Resultat war eine klangmaleri- Staatsoper erneut aufgeführt, stets in der ›Regie‹
sche Verdopplung des Bühnengeschehens – was von Heinrich Kröller. »Kröllers Regieleistung sehr
letztlich entweder die Musik oder die szenische fühlbar und bedeutend, das eigentlich Ballettmä-
Darstellung überflüssig macht. Hofmannsthal ßige ja weit unter der russischen Aufführung, aber
formulierte bereits im Dezember 1912 seine Be- das Ganze weit über dieser […]!«, berichtet Hof-
denken gegenüber einer Musik, die so gar nicht mannsthal euphorisch nach der Wiener Premiere
den Erwartungen der Beteiligten entsprach: »Ich im März 1922 an Strauss (RSHH 472). Von Aus-
fürchte, es ist der Gedanke an Ballett, an die Not- druckstanz und Ballets Russes gleichermaßen fas-
wendigkeit akzentuierter Rhythmen, der Sie ver- ziniert, strebte Kröller als einer der ersten deut-
führt und verwirrt hat. So muß ich mich noch schen Choreographen die Synthese von Freiem
zum Dolmetscher von Nijinsky machen, der Sie Tanz und Ballett an. »Moderne Choreographie«
anfleht, ihm für dieses Springen vor Gott, welches sollte weiter an ein Handlungskonzept gebunden
ein Ringen um Gott ist –, die gelösteste, untanz- bleiben, in der Bewegungssprache jedoch die An-
mäßigste, die Nur-Straussische Musik von der regungen der Tanzreformer aufgreifen und eine
Welt hinzusetzen« (RSHH 207). Doch der Träu- sinnvolle Integration von Tanz und Pantomime
mer und Tänzer Joseph blieb Strauss bis zuletzt anstreben (Kröller 1921, 17–19). Strauss’ eingangs
fremd, und auch in der Interpretation Nijinskys zitierte Programmatik in Sachen Ballett referiert
wäre die Figur wohl blass geblieben. gewissermaßen Kröller, den der Komponist 1922
als Hauschoreographen nach Wien holt.
Nach Kröllers Erfolgen schien der Bann für
Josephs Legende zunächst gebrochen, auch wenn
Wirkung weitere Neuversionen sich vor allem im deutsch-
sprachigen Raum finden, ausgenommen die Fas-
Bekker stand mit seiner Kritik keineswegs allein sungen von George Balanchine (1931) und Antony
da. Allerdings kreideten vor allem deutsche Kriti- Tudor (1958). Größere Beachtung fanden Neudeu-
ker die Schwächen der Partitur gerne der Gattung tungen von John Neumeier 1977 und 2008, in
Ballett an, deren Verlangen nach »deskriptiver denen die symphonischen Prinzipien der Musik
Musik« der »ernsthafte, absolute Musiker« Strauss für die Choreographie bestimmend werden und
nicht adäquat erfüllen könne (Neue Zeitschrift für die vordergründige Dramatik der Originalfassung
Musik 1914, 311 ff.). Aus Sicht der Veranstalter wie nahezu vergessen lassen.
17. Ballette 317

Neuversionen (Auswahl) Inhalt


Heinrich Kröller (erstmals 1921), Max Semmler Da nur für die Tanzsuite nach Klavierstücken von
(1922, danach zahlreiche Aufführungen in deut- François Couperin zusammengestellt und für kleines
schen Stadttheatern), Max Terpis (1923), George Orchester bearbeitet (so der vollständige Titel)
Balanchine (1931), Aurel von Milloss (1933), Pino TrV 245 eine kompositorische Beteiligung von
Mlakar (1934), Max Froman (1943), Erika Hanka Strauss nachweisbar ist, wird im Folgenden allein
(1949), Victor Gsovsky (1953), Antony Tudor (1958), dieser 1. Teil der Ballettsoirée vorgestellt. Den Be-
Heinz Rosen (1958), Erich Walter (1975), John ginn macht eine Pavane für 14 Paare, die in einer
Neumeier (1977), Heinz Spoerli (1992), John Neu- feierlichen Prozession über eine zentrale Treppe
meier (Neufassung 2008). die Bühne betreten. Es folgt eine Courante für
zwei Paare und ein Carillon für fünf als Cupidos
kostümierte Tänzerinnen. Eine Sarabande für vier
Paare geht in eine Gavotte (zwei weitere Paare)
über, in der Danse noble und Grotesktanz mit-
Ballettsoirée einander verwoben werden. Es folgt ein Wirbel-
tanz, in dem die Tänzerinnen im romantischen
Entstehungszeit: Oktober (?) 1922 bis Februar 1923 Stil auf Spitze tanzen – allerdings weiterhin zur
Szenario: Heinrich Kröller und Richard Strauss Musik von Couperin-Strauss. Nachdem die
Uraufführung: Redoutensaal der Wiener Hofburg, Cupidos und Ballerinen die Bühne verlassen ha-
17.2.1923 ben, wird mit einer Allemande erneut die Zeit
Choreographie: Heinrich Kröller Ludwigs XV. beschworen, bevor die Paare zum
Personen: Solisten und Ballett der Wiener Staats- Klang eines Marsches die Szene über jene Treppe
oper verlassen, über die sie zu Beginn hereingekommen
waren.
Als erstes Ergebnis der Zusammenarbeit mit Kröl-
ler entstand eine Ballettsoirée, in der am 17. Feb-
ruar 1923 höchst unterschiedliche Werke im Re-
doutensaal der Wiener Hofburg zur Aufführung Kommentar und Wirkung
gelangten: Für den 1. Teil arrangierte Strauss Stü-
cke aus François Couperins Pièces de clavecin. Es Strauss’ Auseinandersetzung mit der französischen
folgte Maurice Ravels Märchenballett Ma Mère Klassik hatte bereits um 1900 mit dem Ballett-
L’Oye in einer Neuchoreographie Kröllers. Den Projekt Kythere begonnen und in den Tänzen für
3. Teil bildete eine Auswahl von Kompositionen Molières Bürger als Edelmann (Berlin 1918) eine
Jean-Philippe Rameaus, die zu einem Ballett »im Fortsetzung gefunden. In den Couperin-Arrange-
Stile Ludwigs XIV.« mit dem Titel Die Freier der ments, 1923 als Tanzsuite nach Klavierstücken von
Tänzerin zusammengefügt wurden (Heisler 2009, François Couperin veröffentlicht, greift Strauss eine
115 f.); den fulminanten Abschluss bildete der im Ballett seit langem etablierte Praxis der Aneig-
Accellerationen-Walzer op. 234 von Johann Strauß nung ›tanzfremder‹ Kompositionen auf. Bereits
Sohn. Für diese Soirée schlüpfte Strauss in die zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte Salvatore
Doppelrolle des Arrangeurs wie des Impresarios à Viganò Teile aus Haydns Schöpfung oder aus di-
la Diaghilew. Mit Kröller zielte er darauf, das versen Mozart-Symphonien für seine Choreo-
Image des Wiener Balletts aufzuwerten sowie das dramen genutzt; Isadora Duncan tanzte zu Beet-
seit dem Zusammenbruch der Monarchie rampo- hoven ebenso wie zur Marseillaise und Michel
nierte Selbstbewusstsein Österreichs als »Kultur- Fokine deutete Klavierstücke von Schumann oder
nation« zu reanimieren (Heisler 2009, 107). Chopin zu Ballettmusik um. Allerdings hatte sich
diese Praxis mit Strawinskys Pergolesi-Adaption
Pulcinella 1920 grundlegend geändert, und auch
bei den von Strauss und Kröller in Szene gesetzten
318 Opern und Ballette

»Gesellschafts- und Theatertänzen im Stile Lud-


wigs XV.« (so der Programmzettel) handelte es
Schlagobers
sich weder um musikalische noch choreographi- Heiteres Wiener Ballett in zwei Aufzügen
sche Rekonstruktionsversuche, sondern um eine op. 70 TrV 243
Integration der Vergangenheit in gegenwärtige
Konzepte. Couperin klingt unüberhörbar nach Entstehungszeit: Juni 1921 bis September 1922
Strauss, während Kröller von der altbekannten Szenario: Richard Strauss
Idee der »Peinture animée« ausgeht: Seine Tänzer Uraufführung: Operntheater Wien, 9.5.1924
wirken wie lebende Gemälde eines Watteau oder Choreographie: Heinrich Kröller
Fragonard (wie in Strauss’ Kythere-Szenario), de- Bühnenbild: Robert Kautsky
ren Bewegungen sich allein nach der Musik rich- Kostüme: Ada Nigrin
ten – und nicht nach konkreten historischen Personen: Prinzessin Pralinee; Fürst Nicolo, ihr
Quellen. Diesen Ansatz werden rund 20 Jahre Hofmarschall; Prinzessin Teeblüte; Prinz Kaffee;
später Pia und Pino Mlakar in der ›Neuauflage‹ Prinz Kakao; Don Zuckero; Mademoiselle Mari-
der Couperin-Tänze wählen (s. u.). Anders als in anne Chartreuse; Ladislaw Slivowitz; Boris Wutki;
Strawinskys Neoklassik zeigt die historische Remi- Firmlinge mit ihren Paten; Arzt; Hofstaat der
niszenz bei Strauss keine ironischen Brechungen; Prinzessin Pralinee: Knallbonbons, kleine Prali-
die Distanz zur Gegenwart wird nicht als Verfrem- nees (Negerkinder), Quittenwürstchen, 4 Herolde
dungseffekt eingesetzt, sondern nimmt eher Züge mit Trompeten, Chor der Marzipane, Lebkuchen
einer von Publikum und Kritik nur allzu gerne und Zwetschgenmänner; Orientalische Magier,
goutierten nostalgischen Rückschau an: »Man ist Gugelhupfe, Weihnachtsstollen, Schillerlocken,
für Augenblicke in die ferne Zeit höfischen Schmalznudeln, Kaffeestriezel; Schlagobers
Prunks, fürstlicher Festesfreude versetzt, aus dem
Weltenbrand auf eine verzauberte Insel entführt Nach dem Erfolg der Ballettsoirée und der neu
[…]« (Neue Freie Presse 18.2.1923, 11). Die Bal- inszenierten Josephs Legende nahm das Team Kröl-
lettsoirée wurde trotz des positiven Echos aller- ler-Strauss für 1924 ein weiteres Projekt in Angriff.
dings nur noch ein weiteres Mal (am 25. Juli 1925) Erste Skizzen zu dem »heiteren Wiener Ballett«
aufgeführt, wobei Mozarts einziges Ballett Les Pe- Schlagobers datieren bereits aus dem Jahr 1921. Vor-
tits Riens in Kröllers Inszenierung den Strauß- ausgegangen war ein Vorschlag Hofmannsthals für
Walzer ersetzte. Eine geplante internationale ein »Divertissement«, das die Phantasiewelt eines
Tournee kam nicht zustande. Die Couperin-Suite (lesenden) Jungen real werden lässt (Heisler 2009,
hingegen wurde nach ihrer deutschen Urauffüh- 135). Weitere Anregungen dürften von Nummern-
rung in Darmstadt (4. März 1924) schnell populär balletten wie der in Wien populären Puppenfee von
und erlebte in den folgenden Jahren vor allem an Josef Hassreiter oder Tschaikowskys (zu diesem
deutschen Stadttheatern sowie in Wien zahlreiche Zeitpunkt im Westen kaum bekannten) Nusskna-
Aufführungen. Nach 1930 kamen auch einige cker ausgegangen sein (Heisler 2009, 129 f.). Zudem
choreographische Neudeutungen hinzu. standen bei der thematischen wie dramaturgischen
Konzeption wohl auch die in den 1920er Jahren
beliebten Revuetheater mit ihren aufwändigen
Produktionen Pate. Während die internationale
Neuversionen Tanzszene spätestens seit 1913 mimetische Darstel-
lung nahezu einhellig ablehnte und avantgardisti-
Pia und Pino Mlakar (1936), Erika Hanka (1944), sche Konzepte aus bildender Kunst und Musik
Victor Gsovsky (1951), Aurel Milloss (Hommage à (wie Konstruktivismus oder Neoklassik) adaptierte,
Couperin, 1970), Mark Morris (A Garden, 2001). hielt man in Deutschland an der Vermittlung dra-
matischer Handlungen oder persönlicher Bekennt-
nisse unbeirrt fest, auch wenn seit dem Essener
Tänzerkongress 1928 die Verteufelung des Balletts
als virtuose »Anti-Kunst« zurückging. Neben Kurt
17. Ballette 319

Jooss repräsentierte vor allem Kröller ein modernes Kommentar


Tanztheater deutscher Prägung. Wie Jooss erteilte
er der strikten Opposition von Ballett und Aus- »Man erwartet von mir immerfort neue Einfälle,
druckstanz eine Absage und zielte auf eine Integra- großartige Leistungen. Ich habe doch wohl das
tion aller Tanzstile. Folgt man den erhaltenen Recht, die Musik zu schreiben, die mir paßt. Ich
Skizzen und Szenenphotos zu Schlagobers, domi- halte diese zeitgenössische Tragik nicht aus. Ich
nierte allerdings eindeutig der klassische Tanz; kein will Freude bereiten, ich brauche sie«, rechtfertigte
Wunder angesichts eines Sujets mit unübersehba- sich Strauss gegenüber Romain Rolland 1924
ren Anleihen beim Ballettdivertissement. (Krause 1980, 155). Schlagobers als übermütiger
Spaß, den der Komponist sich erlaubt habe – das
sollte allerdings nicht dazu verleiten, Strauss man-
gelnde Motivation und dem Werk selbst musika-
Inhalt lische Minderwertigkeit vorzuwerfen. Angesichts
der politischen Zwischentöne wäre überhaupt zu
Zur Feier des Tages gehen Firmlinge mit ihren fragen, ob Strauss’ Rechtfertigung nicht eher als
Paten in eine Wiener Konditorei, um dort nach trotzige Reaktion auf die mehrheitlich negative
Herzenslust zu schlemmen. Einer der Jungen isst Kritik zu werten ist. Vor allem die Rebellionsszene
jedoch zu viel Sahne (Schlagobers) und muss sich wurde früh als Ausdruck einer gegen die sozialen
übergeben. Im Krankenbett beginnt er zu halluzi- Unruhen der Nachkriegsjahre gerichteten reak-
nieren, wobei verschiedene Patisserien zum Leben tionären Sichtweise gedeutet, die mit den »Orien-
erwachen: Marzipan, Ingwerbrot und Zwetsch- talischen Magiern« (ursprünglich »jüdische Maz-
genmandl führen militärische Exerzitien durch, zes«) obendrein antisemitische Tendenzen erken-
während Tee, Kaffee, Kakao und Zucker exotische nen lässt. Auch die Dreieckskonstellation der
Tänze wie den »Tanz der Teeblüte« darbieten. Der Liköre zeigte im ersten Entwurf mit der Zusam-
erste Akt kulminiert im »Schlagobers-Walzer«, zu menführung von Marianne Chartreuse (Frank-
dem ein riesiger automatischer Chefkoch im Büh- reich) und Michel Nordhäuser (Deutschland)
nenhintergrund unermüdlich Sahne schlägt. politische Untertöne. In der Aufführung wurde
Der zweite Akt beginnt im Krankenzimmer des der deutsche Michel durch den weniger verfängli-
Jungen, bald jedoch verwandelt sich die Bühne chen Ladislav Slivowitz ersetzt.
und der Fiebernde findet sich im Reich der Prin- Das eigentliche Problem von Schlagobers ist
zessin Pralinee wieder, die ein ausgedehntes Solo jedoch in seiner künstlerischen Konzeption zu
tanzt. Es folgen diverse Nationaltänze des Hof- suchen, die unentschieden zwischen ›Hochkultur‹
staates, zu dem auch kleine Pralinees (»Neger- und Unterhaltung, Anspruch und Kitsch, Ironie
kinder«) und Knallbonbons gehören. Nach einer und Unbeschwertheit pendelt – und damit einen
kurzen Rückkehr ins Krankenzimmer (Intermezzo Großteil des Publikums wie auch der Kritiker
bei verdunkelter Bühne) treten drei Liköre auf: irritierte. Ada Nigrin entwarf nicht weniger als
Marianne Chartreuse, umworben von Ladislav 287 Kostüme, während Robert Kautsky opulente
Slivowitz und Boris Wutki (Wodka), tanzt ein Bühnenbilder beisteuerte: Konditorei und Kran-
Menuett. Im folgenden »Chaos« rebellieren ›pro- kenzimmer, einen Glaspalast der Prinzessin Prali-
letarische‹ Mehlspeisen (Gugelhupfe, Baum- nee, eine Vorstadtstraße mit rauchenden Fabrik-
kuchen, Stollen, Hefenbretzeln, Schmalznudeln), schloten als Hintergrund der Revolte, den überdi-
dirigiert durch »Orientalische Magier« (Matzen), mensionalen, mechanischen Chefkoch, aus dessen
gegen den Hof der Prinzessin Pralinee. Mit Frei- Topf schier endlose Mengen von Tänzerinnen in
bier wird der Aufstand jedoch erfolgreich nieder- ›Sahnetutus‹ hervorquellen. Derartige Bühnen-
geschlagen (»Vollbierreigen der Besänftigten«). effekte erinnern ebenso wie Themenwahl und Sze-
Das Ballett endet mit einer Tarantella und einem nenfolge an die in den 1920er Jahren populären
langsamen Walzer, zu dessen Klängen sich der Ausstattungsrevuen im Berliner Wintergarten oder
Glaspalast der Prinzessin Pralinee und das gesamte im Wiener Ronacher. Zu diesem Genre wollte
Ensemble in eine gigantische Torte verwandeln. Strauss’ symphonische Tonsprache nicht recht pas-
320 Opern und Ballette

sen, konterkarierte sie doch den Unterhaltungscha-


rakter einer an aktuellen Tanzmoden und Schlagern
Verklungene Feste
orientierten Revue. Gleichzeitig fehlte dieser Musik Tanzvisionen aus zwei Jahrhunderten.
trotz ihrer historischen Anspielungen (etwa an Musik nach François Couperin TrV 245a
Bach, Mozart, Wagner oder Debussy) und Über-
treibungen jener Witz, mit dem Strawinskys neo- Entstehungszeit: September 1940 bis Januar 1941
klassische Werke zeitgleich für Furore sorgten. Das Szenario: Richard Strauss und Pino Mlakar
»Notturno« des ersten Aktes wirkt zwar romanti- Uraufführung: Bayerische Staatsoper München,
scher als jedes romantische Ballett und der Schlag- 5.4.1941
obers-Walzer übertrifft alle Walzerträume der Wie- Choreographie: Pia und Pino Mlakar
ner um ein Vielfaches, doch bei aller kunstvollen Kostüme: Rochus Gliese
›Deformation‹ der Modelle fehlt es an jener Distanz Personen: Herzog; Tänzerin; Ballettmeister; Sara-
zum Vorbild, ohne die Ironie nicht funktioniert. bandenpaar; Flora und Zephyr; Ensemble

Ende der 1930er Jahre plante der Direktor der


Münchner Oper, Clemens Krauss, ein Strauss-
Wirkung Programm mit den wichtigsten Opern und eini-
gen Balletten. Neben Josephs Legende schlug er
Die Kritiker stuften Schlagobers mit wenigen Aus- eine Neuauflage der Couperin-Suite vor, die als
nahmen als zweitrangiges Werk ein, auf das der einziger Programmpunkt der Ballettsoirée von
Meister »nicht allzuviel Mühe« verwendet habe. 1923 einen nachhaltigen Erfolg verbuchen konnte
Strauss’ Anhänger lasteten diesen Mangel wie schon (s. o.). Die Münchner Ballettmeister, Pia und Pino
bei Josephs Legende der Gattung Ballett an: »es ist ja Mlakar, hatten bereits 1936 in Zürich eine Neu-
ein Ballett und will nicht mehr sein« (Hürlimann version der Suite vorgelegt. Die nun geplante
1924) lautete die lapidare Erklärung, die Strauss Fassung sollte sich deutlich von Kröllers Original
bereitwillig aufgriff. Andere Rezensenten sahen in unterscheiden, da die Mlakars »Original-Choreo-
Schlagobers ein weiteres Beispiel für den Niedergang graphien aus der Zeit des Couperin« verwenden
eines Genies, der bereits mit dem Rosenkavalier wollten, wie Krauss im August 1940 dem Kompo-
begonnen habe und der die Sichtweise auf Strauss nisten mitteilt. Er bittet Strauss zugleich um eine
in den 1920er Jahren vor dem Hintergrund der Erweiterung der Suite (RSCK 357). Die Choreo-
Debatte um die Neue Musik zunehmend prägte graphien aus Raoul Auger Feuillets berühmtem
(Woitas 2005). »Strauß […] braucht Romantik. Traktat Chorégraphie ou l’Art d’écrire la Danse
Also Vergangenheit, Ferne, große Gestalten und (Paris 1700) wurden in einer Art ›kreativer Re-
Ereignisse; in dieser Gegenwart lebt er, er formt sie konstruktion‹ von den Mlakars zu einem Tanz-
nicht«, lautete etwa 1928 Paul Stefans Fazit in der Pasticcio zusammengefügt (Heisler 2009, 185 f.).
Neuen Zürcher Zeitung (Messmer 1989, 250), dem Strauss, der am Szenario mitwirkte, verwendete in
viele seiner Kollegen zustimmten. Was Strauss groß seiner Neufassung, deren Ergänzungen schließlich
gemacht hatte, seine Beherrschung des Orchester- als Divertimento op. 86 ins Werkverzeichnis ein-
apparates, wurde ihm nun von einem Kritiker wie gingen, eine ähnliche Herangehensweise wie die
Theodor W. Adorno als »Kunstgewerbe« (Marsoner Mlakars. Die auf 17 Nummern erweiterte Tanz-
2004) vorgeworfen. Gerade in Schlagobers erschien folge wurde mit einer im Jahr 1830 angesiedelten
das virtuos eingesetzte Orchester als ȟberpropor- Rahmenhandlung versehen, die vergangene (ba-
tioniert« und nur auf Effekte ausgerichtet. Julius rocke) und zukünftige (romantische) Tanzkunst
Korngold brachte das Unbehagen vieler Zeitgenos- (der Beginn des Romantischen Balletts wird durch
sen angesichts dieser Mesalliance auf den Punkt: Filippo Taglionis La Sylphide 1832 markiert) als
»[…] diese Partitur ist viel zu kunstreich, zu massig Wunschdenken bzw. Visionen eines Herzogs in
und wuchtig geführt, auch zu wenig tänzerisch Szene setzt. Doch das eigentliche Thema von
[…]. Das leichte Schlagobers wird in einer schwe- Verklungene Feste ist die Vergänglichkeit des Tan-
ren Prunkschüssel gequirlt« (Korngold 1924, 3). zes, der wie die Musik nur im Moment der Auf-
17. Ballette 321

führung wirklich gegenwärtig ist. Beides – das Flora und Zephyr: Während Flora (festgebannt
Interesse an der Vergangenheit wie auch die Frage auf dem Wagen) ein ergreifendes Lamento nur
nach der Fixierbarkeit von Tanz – war bereits um mit Oberkörper und Armen ›tanzt‹, äffen sie zwei
1920 en vogue: Notationen wurden neu entwi- Harlekine nach. Zephyr befreit Flora aus ihren
ckelt (Laban) und alte Quellen eifrig studiert, barocken Fesseln. Sie entsteigt dem Wagen wie
während man sich Kompositionen der entfernte- Venus der Muschel, nun gekleidet in das typische
ren Vergangenheit durch Bearbeitungen oder Musselingewand des Romantischen Balletts, und
Adaptionen aneignete, wobei die Spannbreite von präsentiert ein Solo ›sur pointe‹. Es folgen ein Pas
Leopold Stokowskis monumentalen Bach-Arran- de quatre von vier Sylphiden und ein Ballet blanc
gements bis zu Strawinskys Neoklassik reichte. mit integriertem Pas de deux.
Die Reise der Mlakars durch die Tanzgeschichte Zwischenspiel: Der begeisterte Herzog über-
hatte schon ein Jahr später ein Berliner Pendant: reicht Ballerina und Ballettmeister einen Lorbeer-
Friderica Derra de Moroda führte mit ihrem Bal- kranz, bevor er seine Gäste verabschiedet. Allein
lett Ende 1942 eine Tanzsuite aus vergangenen zurückgeblieben und mit einer Rose in der Hand
Jahrhunderten auf, in der die Choreographin und hat er eine Vision: Im Mondlicht wird ein Menu-
Tanzhistorikerin auf das reiche Quellenmaterial ett getanzt, bei dem die Paare wie Schatten hinter
ihrer Sammlung zurückgreifen konnte (Dahms schwarzer Gaze erscheinen. Barocker Tanz und
1997, 101 f.). romantisches Ambiente verschmelzen zur Einheit.
Eine Gruppe Lakeien entzündet die Lichter für
einen zeremoniellen Abgang: Eine verschleierte
Dame wird von einem Höfling zum wartenden
Inhalt Triumphwagen begleitet, der in die Lüfte ent-
schwebt, während die Dame mit ihrem Taschen-
Prolog: Die Zuschauer werden Zeugen einer lau- tuch dem Herzog zuwinkt.
fenden Probe: Eine Ballerina übt die Schritte einer Finale: Der Herzog erwacht wie aus einem
Sarabande, angeleitet durch den Ballettmeister, Traum und erkennt, dass alles nur eine Vision war
der ein Buch mit der Aufschrift »Feuillet« in Hän- und die »Verklungenen Feste« unwiederbringlich
den hält. Der Herzog, der mit seinem Minister die vorbei sind.
Probe interessiert verfolgt, hat ein Ballett mit den
Tänzen seiner Vorfahren aus der Zeit Ludwigs XV.
in Auftrag gegeben, doch die Ballerina möchte
gerne auch im »modernen« Stil auf Spitze tanzen. Kommentar
Das Fest: Der Herzog geht zu einer Bühne auf
der Bühne und öffnet deren Vorhang, hinter dem Der bereits der Ballettsoirée von 1923 eigene nos-
ein Bild mit Tanzenden in einem Barockgarten talgische Grundton wird in Verklungene Feste durch
sichtbar wird. Währenddessen nehmen seine Gäste die Rahmenhandlung überdeutlich. Der Herzog,
Platz vor der kleinen Bühne, auf der nun eine Angehöriger einer untergehenden Welt, träumt
Tanzsuite im barocken Stil aufgeführt wird. Sie sich zurück in eine (scheinbar) heile Vergangen-
besteht aus einer Courante für zwölf Paare, einem heit oder entflieht aus einer schrecklichen Gegen-
Carillon für drei Schäferinnen und zwei Schäfer, wart in eine visionäre Zukunft. Die Parallelen zum
einer Sarabande für einen Kardinal und eine Hof- Jahr 1941 (wie auch zum Lebensgefühl des späten
dame und schließlich einer Gavotte für acht Paare. Strauss) sind unübersehbar. Von Kröllers Konzept
Den Applaus seiner Gäste unterbricht der Herzog, übernehmen die Mlakars die Überblendung von
indem er einen Finger auf den Mund legt und auf Barocktanz und Romantischem Ballett, verwen-
die bezaubernden Klänge der »alten Musik« (»Les den für ihre Choreographie allerdings Original-
Ombres errantes«) verweist, die aus dem Orches- materialien sowie zahlreiche Anspielungen auf
tergraben erklingt. Ballette der Romantik wie Pas de quatre (1845)
Zwischenspiel: Auf einem Triumphwagen fährt oder Giselle (1841). Was im Titel bereits anklingt,
Flora in barocker Pracht herein. wird vor allem durch den Epilog weiter herausge-
322 Opern und Ballette

arbeitet: Tanz und Musik existieren allein im Au- geradezu euphorische Rezensionen aus (Mlakar/
genblick und »verklingen« mit dem letzten Ton, Mlakar 1996 Bd. 2, 146 f.; Messmer 1989, 295–297).
um nur noch in der Erinnerung weiter zu leben. Verklungene Feste, kurz nach dem Krieg in Paris
Im Falle der Münchner Produktion sollte dieser aufgeführt (1947), wurde in den 1950er Jahren, als
ephemere Charakter gleich im doppelten Sinn zur die Mlakars erneut Ballettmeister der Bayerischen
Realität werden. Das Aufführungsmaterial wurde Staatsoper waren, gleich mehrfach präsentiert: in
nicht publiziert und die spektakulären Dekoratio- Bayreuth (1953), im Münchner Prinzregenten-
nen von Rochus Gliese gingen im Bombenangriff theater (1954) und während einer Tournee in Du-
auf München 1943 verloren. Einzig eine Reihe brovnik (1956). Schließlich kam es im Rahmen
von Photographien (Theatermuseum München), einer Retrospektive anlässlich des Todes von Pino
die Aufführungspartitur (Richard-Strauss-Institut Mlakar zur Neueinstudierung ausgewählter Teile
Garmisch-Partenkirchen) und die in Labannota- (Bygone celebrations, Novo Mesto 2006 und 2007).
tion fixierte Choreogaphie (Privatbesitz der Fami- Als Ergänzung seiner Choreographie von Josephs
lie Mlakar) haben die Zeit überdauert. Legende hat John Neumeier 2008 eine neue Deu-
Die Auseinandersetzung mit der Vergangen- tung der Verklungenen Feste vorgelegt.
heit, vor allem mit den Epochen jenseits der Ro-
mantik, hatte seit längerem Konjunktur. Seit 1917
allerdings wurde die Hommage an eine Epoche
oder einen Komponisten, in Stücken wie Ravels
Tombeau de Couperin oder Busonis Bach-Adap- Fazit
tionen gleichermaßen fühlbar, zunehmend hinter-
fragt. Massine verwendete in seinem Goldoni- »Wie hoch steht der Strauß, der den Tanz des
Ballett Le Donne di Buon Umore zu Klaviersonaten Zarathustra geschrieben hat, über dem Schöpfer
von Domenico Scarlatti (arr. Tommasini) zwar wie der Josephslegende! Dort wurde der Ton zum
die Mlakars originales Schrittmaterial von Feuil- Ausdruck einer Idee und dadurch gewann er Kraft
let, kombinierte es jedoch mit gebrochenen Arm- und innere Gewalt, hier will er Sichtbares in
und Rumpfbewegungen und ließ alle Aktionen in Klanggebilde auffangen« (Bekker 1921, 104). Die
extrem erhöhtem Tempo ausführen. In Pulcinella Rezeption des Ballettkomponisten Strauss hat
(1920) ergriff dann die Dekonstruktion als Mittel Bekkers Worte bestätigt. Es waren (und sind) in
kompositorischer Gestaltung auch die Binnen- erster Linie die Symphonischen Dichtungen, die
struktur der musikalischen Komposition, in der zur Transformation in Bewegung animiert haben,
Melodielinien vielfach verfremdet wurden. Ver- selten die genuinen Ballettpartituren. Diese dien-
gleichbares sucht man sowohl in der Choreogra- ten bereits kurz nach ihrer Entstehung ganz ande-
phie der Mlakars wie auch in Strauss’ Partitur ren Zwecken: Wahlweise für großes Orchester,
vergebens. Auch wenn zusätzliche Stimmen Cou- Salon- oder Kammermusikbesetzung eingerichtet,
perins Originalsatz polyphon verdichten oder be- finden sich Motiv-Arrangements aus Josephs Le-
reits 1923 neu komponierte Codas effektvoll die gende und Schlagobers unter vielsagenden Titeln
Nummern beschließen, an eine gezielte Dekon- wie Einsamkeit – Mondnacht – Meeresstille oder
struktion à la Strawinsky dachte niemand. Coupe- Befreiung – Aufschwung – Jubel in Fürstners Film-
rin bleibt der wichtigste Fixpunkt in der Grauzone Musik-Serie. Das von Kessler und Hofmannsthal
von Arrangement, Nachkomposition und Neu- intendierte neue Genre, angesiedelt irgendwo
komposition (Heisler 2009, 187–203). zwischen Symphonie und Drama, Pantomime
und Tanz, existierte bereits! Während sich das
Tanztheater unter dem Einfluss avantgardistischer
Konzepte vom Ballast mimetischer Darstellung
Wirkung befreite, trat der Film dieses Erbe ohne Zögern an.
Helden, Märchen und Abenteuer fanden auf der
Die Aufführung am 5. April 1941, zusammen mit Leinwand eine neue Heimat. Kino lebte und lebt
Josephs Legende, war ein voller Erfolg und löste von jener umfassenden Versinnlichung, die auf
17. Ballette 323

eine klangliche Illustration tatsächlich nicht (oder in denen der Komponist nach Orientierung
kaum) verzichten kann. Eine Musik, die das Rie- suchte oder den künstlerischen Diskussionen sei-
seln von Goldstaub, das Bellen von Hunden oder ner Zeit und nicht zuletzt dem (politischen) Alltag
das Entfalten eines Teppichs hörbar machte, bot zu entfliehen versuchte (Heisler 2009, 211 ff.). Wie
sich für diese neue Kunst in besonderer Weise an – für viele seiner Zeitgenossen zu Beginn des
und wird bis heute von vielen Filmkomponisten 20. Jahrhunderts wurde auch für Strauss der Tanz
eifrig rezipiert. offenbar zu einer Projektionsfläche eigener Ideen
Strauss’ Interesse am Tanz fand seinen Nieder- und Träume. Vielleicht war es gerade diese ›visio-
schlag in zahlreichen nicht realisierten Ballett- näre‹ Sicht, die den Blick für die konkreten Be-
projekten, die sich um 1900 (s. o.) und in den dürfnisse des Tanzes als Bühnenkunst verstellte
späten 1930er und 1940er Jahren (im Dialog mit und dem Ballettkomponisten Strauss immer wie-
Stefan Zweig und Joseph Gregor) häufen: Zeiten, der in die Quere kam.

Literatur

Bekker, Paul: Josephslegende. Uraufführung in der Pa- rungen der Bühnenwerke von Richard Strauss. Pfaf-
riser Großen Oper am 14. Mai 1914. In: Ders.: Kriti- fenhofen 1989.
sche Zeitbilder. Berlin 1921, 98–106. Mlakar, Pia und Pino: Unsterblicher Theatertanz. 300
Dahms, Sibylle: Der Tanz – ein Leben. Friderica Derra Jahre Ballettgeschichte der Oper in München. 2 Bde.
de Moroda 1897–1978. In: Dies./Stephanie Schroed- Wilhelmshaven 1992/1996.
ter (Hg.): Der Tanz – ein Leben. In Memoriam Fri- Rode, Susanne: »Schlagobers« an der Wiener Staatsoper.
derica Derra de Moroda. Salzburg 1997, 9–117. Über die Komposition in der Uraufführungs-Cho-
Heisler, Wayne Jr.: The Ballet Collaborations of Richard reographie von Heinrich Kröller. In: Richard Strauss-
Strauss. Rochester/NY 2009. Blätter N.F. 28 (1992), 84–94.
Hürlimann, Martin: »Schlagobers«. In: Schweizerische Specht, Richard: Richard Strauss und sein Werk. Bd. 2:
Musikzeitung und Sängerblatt 64 (1924), 187–189. Der Vokalkomponist. Der Dramatiker. Leipzig u. a.
Kohler, Stephan: »Musikdrama ohne Worte«. Zur Ent- 1921.
stehungsgeschichte der Josephs Legende. In: Pro- Krause, Ernst (Hg.): Richard Strauss. Dokumente.
grammheft der Bayerischen Staatsoper 18.5.1980, Leipzig 1980.
12–28. Werbeck, Walter: Einführung. In: Richard Strauss Edi-
Korngold, Julius: Schlagobers. Heiteres Wiener Ballett tion 25. Frankfurt/M. 1999, VII–XI.
von Richard Strauss. In: Neue Freie Presse 10.5.1924, Woitas, Monika: Josephs Legende oder Wie man erfolg-
1–3. reich aneinander vorbei redet. In: Musicologica
Kröller, Heinrich: Moderne Choreographie. In: Blätter Austriaca 1997, 135–161.
der Staatsoper 2 (1921), 17–19. –: Strauss und das Tanztheater seiner Zeit. In: Birgit
Marsoner, Karin: »Musikalisches Kunstgewerbe«. Eine Lodes/Reinhold Schlötterer/Bernd Edelmann (Hg.),
Kategorie der Abwertung in Adornos Strauss-Kriti- Richard Strauss und die Moderne. Berlin 2001, 411–
ken. In: Andreas Dorschel (Hg.), Gemurmel unter- 421.
halb des Rausches. Theodor W. Adorno und Richard –: Zur Strauss-Rezeption in der Kritik um 1920. In: Julia
Strauss. Wien u. a. 2004, 38–59. Liebscher (Hg.), Richard Strauss und das Musikthe-
Messmer, Franzpeter (Hg.): Kritiken zu den Urauffüh- ater. Berlin 2005, 393–401.
VOKALMUSIK
326

18.
Klavierlieder
Von Elisabeth Schmierer

Übersicht und Chronologie mentierfelder für sein zukünftiges erfolgreiches


Opernschaffen waren. Ist die Liedpause einerseits
Strauss komponierte über 200 Lieder, die – unter- durch das Ende der Karriere seiner Frau zu erklä-
brochen durch eine Pause zwischen 1906 und ren, so andererseits durch die Ablösung sowohl
1918 – alle Schaffensphasen einbegreifen: Sein des Liedes als auch der Symphonischen Dichtung
erstes Lied (Weihnachtslied) schrieb er 1870 im durch die Oper (1903 entstand seine vorletzte
Alter von sechs Jahren, seine letzten Lieder (»Vier Symphonische Dichtung, die Symphonia domestica
letzte Lieder« und Malven) entstanden in seinem op. 53 TrV 209): Die Jahre zwischen 1906 und 1918
vorletzten Lebensjahr 1948. Das Liedschaffen steht sind fast vollständig dem Musiktheater gewidmet
trotz des Umfangs zwar nicht im Vordergrund und durch eine intensive Zusammenarbeit mit
seiner primär durch das Musiktheater und die seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal ge-
Instrumentalwerke bestimmten Kompositions- prägt, aus der die Opern Elektra, Der Rosenkava-
tätigkeit, nimmt jedoch einen nicht zu vernachläs- lier, die verschiedenen Fassungen von Ariadne auf
sigenden Rang ein. Zwar kann man Strauss nicht, Naxos, Die Frau ohne Schatten sowie das Ballett
wie etwa Hugo Wolf oder Gustav Mahler, und erst Josephs Legende hervorgingen. Während nach
recht nicht wie den Komponisten der Wiener 1915, dem Jahr der Uraufführung der Alpensinfonie
Schule, den Platz eines Schöpfers genuin neuer op. 64 TrV 233, keine den früheren Werken in
Liedkonzeptionen zusprechen; seine Lieder sind Umfang und Konzeption ähnliche Symphonische
allerdings keineswegs nur traditionell – wie die Dichtung mehr vollendet wurde, setzte die Lied-
tonal geprägten »Vier letzten Lieder« vermuten komposition 1918 mit beträchtlichem Umfang
lassen –, vielmehr partizipieren einige seiner Lied- wieder ein, und Strauss komponierte – wenn auch
opera auch an fortschrittlichen Strömungen so- nicht in der gleichen Intensität wie zwischen 1894
wohl im Verhältnis von Text und Musik als auch und 1906 – bis zu seinem Lebensende immer
in der Tonsprache. Die weite Spannbreite und wieder Lieder.
Diversität sind das eigentlich Interessante und Zwischen 1870 und 1884, also bis zu seinem
unterscheiden sein Liedschaffen von demjenigen 20. Lebensjahr, verzichtete Strauss – abgesehen
seiner Zeitgenossen. von den Drei Liedern nach Emanuel Geibel TrV 75
Die überwiegende Anzahl, ungefähr drei Vier- von 1879 – auf die Zusammenfassung mehrerer
tel von Strauss’ Liedern, entstand zwischen 1894 Lieder zu einem Opus. Seine erste Liedersamm-
und 1901, in der Zeit, in der seine Frau Pauline de lung op. 10 TrV 141 mit acht Liedern nach Her-
Ahna als Sängerin auftrat; die meisten Lieder sind mann von Gilm entstand im Sommer und Herbst
für sie komponiert. Gleichzeitig hat sich Strauss 1885. Anschließend folgten, bis auf wenige Einzel-
intensiv mit der Symphonischen Dichtung aus- lieder, nur noch Liedopera mit mehreren Liedern:
einandergesetzt, so dass es scheint, als ob die überwiegend fünf und sechs, aber auch zwei, drei,
instrumentale und die vokale Gattung Experi- vier und acht. Die nahe beieinander liegenden
18. Klavierlieder 327

Opuszahlen zeigen die Dichte von Strauss’ Lied- Vorwurf mangelnder Textqualität: Die angeblich
schaffen: op. 15, 17, 19, 21, 22, 26, 27, 29, 31, 32 (33: weniger qualitätvolle Lyrik wurde auch von ande-
Orchesterlieder), 36, 37, 39, 41, 43, 44, 46, 47, 48, ren berühmten Liedkomponisten vertont (Getz
49, 51, 56. 2003, 337).
Nach der Liedpause sind Sammlungen, wieder Strauss war bei der Auswahl seiner Gedichte
in rascher Folge – op. 66 bis 69 –, auf das Jahr 1918 keineswegs unkritischer als bei seinen Libretti
konzentriert. Danach entstandenen mit Aus- (seine Ansprüche sind bis ins Detail durch den
nahme der fünf Gesänge des Orients op. 77 TrV 257 Briefwechsel mit Hofmannsthal belegt). Die unter
(1928) nur einzelne Klavierlieder über weite Zeit- einer Opuszahl vereinigten Gedichte sind nicht
räume verstreut. Die Zusammenfassung von Ein- beliebige Zusammenstellungen, sondern haben
zelliedern unter op. 87 (TrV 244, 258, 260, 268, wohldurchdachte Anlagen, wie im Weiteren ge-
komponiert 1922, 1929, 1935) und op. 88 (TrV 264, zeigt werden wird. Und fast durchweg lässt sich
280, 281, komponiert 1933, 1942) in der Gesamt- verfolgen, dass die Wahl von Liedtexten auf die
ausgabe der Lieder stammt vom Verleger. jeweilige Lebens- und Schaffenssituation bezogen
ist (Schlötterer 1988, 19–25). Für seine im Kindes-
alter komponierten Lieder suchte wohl bis spätes-
tens 1877/78 seine Familie die Texte aus. Es war im
Liedtexte Wesentlichen die in der Zeit beliebte und hoch-
wertige Lyrik, so dass der junge Strauss bereits
Die Texte von Strauss’ Liedern beruhen auf Ge- früh mit qualitätvoller Dichtung konfrontiert
dichten von über 50 Dichtern und umfassen eine wurde: von Johann Wolfgang von Goethe (TrV 48
Zeitspanne vom 16. bis in die erste Hälfte des und 51) und Friedrich Schiller (TrV 13) über
20. Jahrhunderts. Diese Vielzahl führte zu dem Christian Friedrich Daniel Schubart (sein erstes
Vorwurf, seine Textwahl sei wenig durchdacht Lied TrV 2), Adelbert von Chamisso (TrV 50),
und beliebig – eine Kritik, der im 19. Jahrhundert Ludwig Uhland (TrV 3, 4, 6, 49), Theodor Körner
bereits Franz Schubert ausgesetzt gewesen war, der (TrV 58), August Heinrich Hoffmann von Fallers-
laut Robert Schumann nicht auf die Qualität sei- leben (TrV 16, 42, 59, 60, 63, 66, 67), Nicolaus
ner Vorlagen geachtet und »nach und nach wohl Lenau (TrV 65), Emanuel Geibel (TrV 8, 10, 62)
die ganze deutsche Literatur in Musik gesetzt« und Justinus Kerner (TrV 64) bis zu heute weniger
(Schumann 1854, 234) hätte. Dass Strauss bei sei- bekannten Dichtern wie Johann Nepomuk Vogl
ner Textwahl zumindest seit seinem 15. Lebensjahr (TrV 5) und Oskar Pletzsch (TrV 7).
sehr bedachtsam vorging, bezeugen Briefaussagen Im Jahr seiner ersten bezeugten selbständigen
(Trenner 1979, 70) sowie die Erinnerungen seiner Textwahl 1879 hat sich Strauss vor allem auf Dich-
Schwester Johanna, die seine mit zunehmendem ter konzentriert, an deren Texten er sich bereits in
Alter kritischere Einstellung und auch die Ab- seinen frühesten Liedern versucht hatte: Geibel
lehnung mancher Gedichte betonte (Schlötterer (zwei Liedskizzen TrV 8 und 10 von 1871 und ein
1988, 20). Die Tatsache jedenfalls, dass Strauss’ Lied Im Walde TrV 62 von 1878) und Uhland (drei
Liedœuvre keine konzeptionelle Geschlossenheit Lieder TrV 3, 4, 6 von 1871 und ein weiteres Lied
wie etwa das auf wenige Dichter beschränkte TrV 49 von 1877). Im April und Mai 1879 vertonte
Liedschaffen Gustav Mahlers, die jeweils auf nur er sechs Gedichte von Geibel (TrV 74, 75, 77 und
einem Dichter beruhenden Liedersammlungen 78) – vor allem Naturlyrik –, die jedoch bis auf das
Hugo Wolfs oder die durch die großen Zyklen des erste der Drei Lieder TrV 75 verschollen sind. Ver-
Jahres 1840 geprägten Lieder Schumanns aufweist, mutlich drei weitere Lieder entstanden auf Uh-
darf nicht als negatives Kriterium, hervorgerufen land-Gedichte (TrV 87); sie sind ebenfalls nicht
durch eine sorglose Auswahl seiner Vorlagen, ge- erhalten. Als neuer Dichter taucht Heinrich Heine
wertet werden. Der Vorwurf der Uneinheitlichkeit auf (»In Vaters Garten heimlich steht ein Blüm-
würde zudem nicht nur Strauss, sondern die lein« TrV 88). Strauss hatte jedoch sicherlich be-
Mehrzahl der Liedkomponisten des 19. Jahrhun- reits vor seinem 15. Lebensjahr begonnen, Texte
derts treffen. Ebenso verhält es sich mit dem selbst auszusuchen, denn das Jahr 1878 zeigt mit
328 Vokalmusik

fünf Liedern eine Konzentration auf Hoffmann Strauss’ Tante Johanna Pschorr, einer Amateur-
von Fallersleben (TrV 59, 60, 63, 66, 67), die nur sängerin, gewidmet) die Dignität eines publika-
auf Strauss selbst zurückgehen kann, zumal er tionswürdigen Werkes.
auch hier an einen Textdichter früherer Lieder Die zwei Lieder nach Lenau 1891 stehen für
anknüpfte (TrV 16, 42). sich. Danach rücken ab Mitte der 1890er Jahre
Anders als zuvor wandte sich Strauss zwischen zeitgenössische moderne Dichter in den Mittel-
1880 und 1885, also bis zu seinem ersten Liedopus punkt (u. a. aus dem Münchner Dichterkreis der
10 TrV 141, überwiegend weniger bekannten Text- Jugendstilbewegung, mit dem Strauss in Kontakt
dichtern zu: Dies beginnt mit zwei Liedern von stand; siehe Walter 2000, 162): Karl Henckell,
Friedrich von Sallet TrV 89, 90 zu Beginn des John Henry Mackay, Heinrich Hart, Otto Julius
Jahres 1880, wird fortgesetzt im Dezember 1880 Bierbaum, Carl Busse, Emanuel von Bodman,
mit Liedern nach Hermann Lingg, Otto Friedrich Gustav Falke, Oskar Panizza, Anton Lindner,
Gruppe, Felicia von Hemans und Robert Burns Detlev von Liliencron, Christian Morgenstern
(TrV 97, 98, 100, 101, die letzteren in Übersetzung und insbesondere Richard Dehmel (Getz 2003,
von Ferdinand Freiligrath); 1881–1884 folgen ein 338). Wenn dann ab op. 32 TrV 174 (1896) auch
bis zwei Lieder pro Jahr nach Texten von Gustav Gedichte aus Des Knaben Wunderhorn und in
Fischer, Karl Stieler, August Becker, Lord Byron, op. 36 TrV 186 von Friedrich Rückert hinzukom-
Friedrich Bodenstedt. Einige dieser Dichter waren men, scheint – wie im Œuvre Gustav Mahlers –
politisch engagiert (Sallet verfasste religionskriti- die Verbindung zu Prinzipien romantischer
sche Gedichte; Lingg verfiel in Depressionen, als Dichtung hergestellt (Zychowitz 2004, 268, wies
er sich gegen seine Überzeugung an der Nieder- darauf hin, dass Strauss vor Mahler zu Rückert-
schlagung revolutionärer Aufstände beteiligen Texten griff ). Diese Tendenz setzte sich um und
musste; Stieler war national-liberal tätig), einige nach 1900 fort mit dem ausschließlich Rückert
wie Bodenstedt, Lingg und Stieler gehörten zum gewidmeten op. 46 TrV 199 (1899/1900), den
Münchner Dichterkreis um Geibel. Strauss ver- Uhland-Liedern op. 47 TrV 200 (1900), den Wun-
tonte zumeist deren Liebeslyrik. derhorn- und Volksliedern aus op. 49 TrV 204
Hatte er bis 1885 in seinen über 40 Liedern auf (1900/1901) und dem Heine-Lied op. 51 TrV 206
eine große Anzahl, immerhin 26 verschiedene (1906). Die Rückkehr zu noch früherer Dichtung
Dichter, zurückgegriffen – eine Konzentration auf kündigt sich mit der Aufnahme von Friedrich
mehrere Texte eines Dichters zeichnet sich nur Gottlieb Klopstocks Das Rosenband in op. 36 TrV
zweimal mit Geibel und Hoffmann von Fallersle- 186 (1897) an, findet ihre Fortsetzung in op. 43
ben ab –, so widmete er sich zwischen 1885 und TrV 196 (1899) mit Klopstock und Gottfried Au-
1888 im wesentlichen nur drei Dichtern (mit gust Bürger sowie mit einem Goethe-Gedicht in
Ausnahme von Michelangelo Buonarotti in op. 15): op. 56 TrV 220 (1903).
dem Österreicher Hermann von Gilm (1812–1864, Nach der Liedpause hat Strauss 1918 gleich vier
11 Lieder), sodann Adolf Friedrich von Schack Liedopera – op. 66, 67, 68, 69 (TrV 236, 238, 235,
(1815–1894, 16 Lieder), der dem Münchner Dich- 237)– in enger zeitlicher Nachbarschaft kompo-
terkreis angehörte, und Felix Dahn (1834–1912, niert (dazwischen liegen lediglich Orchester-
Verfasser populärer historischer Romane, 9 Lie- fassungen früherer Klavierlieder). Im Februar 1918
der), dessen Gedichte vielfach vertont wurden entstanden Sechs Lieder op. 68 nach Clemens
(Walter 2000, 85). Damit einher geht nicht nur Brentano, ein merkwürdiges, fast weltabgewand-
eine Konzentration auf die Gattung Lied – die tes Wiederaufgreifen romantischer Texte kurz vor
Gedichte Gilms wurden während des Sommers dem Ende des Ersten Weltkriegs. Dass Strauss
und Herbstes 1885 in wenigen Tagen komponiert diese Lieder schätzte, ist daraus ersichtlich, dass er
–, sondern auch auf die Zusammenfassung meh- sie später orchestrierte. Wie ein Vorgreifen auf die
rerer Lieder in Opera, die publiziert wurden: op. Musikgeschichte der 1920er Jahre mutet der von
10, 15, 17, 19, 21, 22 (TrV 141, 148, 149, 152, 160, März bis Mai 1918 komponierte Krämerspiegel
153). Erstmals erhielt das Lied über die Gelegen- op. 66 an, »eine künstlerische Satire zum Verlags-
heitskomposition hinaus (viele frühe Lieder sind recht« (Schlötterer 1988, 25). Es folgten im Juni
18. Klavierlieder 329

Fünf kleine Lieder op. 69 mit Gedichten Achim Prinzipien durch abwechslungsreiche Melodik
von Arnims und Heinrich Heines, wiederum zum und durch eine Tonika-Dominant-Harmonik mit
Teil mit ironischem Inhalt. Die Sechs Lieder op. 67 vereinzelten auflockernden Akzidentien, durch
wurden mit ziemlicher Sicherheit nach dem Krä- ausgewogene metrische Gestaltung und durch
merspiegel komponiert (s. u.). Strauss kombiniert Einbezug von Tonartencharakteristik wie bei-
hier drei Lieder der Ophelia aus Shakespeares spielsweise die Verwendung von c-Moll in der
Hamlet mit drei Goethe-Liedern Aus den Büchern Winterreise TrV 4, den Wechsel zwischen d-Moll
des Unmuts der Rendsch Nameh. Zählt man noch und D-Dur in Der müde Wanderer TrV 16 oder die
das 1919 entstandene Einzellied Sinnspruch nach Komposition bereits des ersten Liedes TrV 2 in
Goethe TrV 239 sowie die Orchesterlieder Drei E-Dur (eine für Kinder nicht gerade selbstver-
Hymnen op. 71 TrV 240 nach Hölderlin (1921) und ständliche Tonart), die wohl auf den »Himmels-
vielleicht das Walzerlied TrV 241 (1921) hinzu, so knaben« anspielt (E-Dur steht bei Strauss, der
ergibt sich eine deutliche Konzentration auf die Tradition des 19. Jahrhunderts folgend, besonders
Liedgattung in dieser Zeit. in seinen Liedern oft in Verbindung mit Himm-
Alle späteren Lieder ab 1925 sind mit Ausnahme lischem, Traum, Entrücktem, wohingegen die
der 5 Gesänge des Orients nach Hans Bethge op. 77 Tonart insbesondere in den Opern häufig mit ei-
TrV 257 von 1928 und der »Vier letzten Lieder« ner erotischen Sphäre verbunden wird). Die Ton-
TrV 296 von 1948 Einzellieder, zum Teil mit und artensymbolik, die im gesamten Œuvre von
zum Teil ohne Opuszahl. Unter ihnen finden sich Strauss eine große Rolle spielt (Getz 2003, 343–348,
sechs Gedichte von Goethe, überwiegend aus dem auch mit älterer Literatur), wurde ihm also bereits
West-östlichen Divan (TrV 239, 244, 251, 261, 269, in früher Kindheit und Jugend vermittelt. Der
282), drei von Rückert (TrV 258, 260, 268) und müde Wanderer, 1873 datiert, zeigt schon deutlich
zwei von dem zeitgenössischen Dichter Josef den Einfluss von Schuberts Wanderer-Liedern,
Weinheber (TrV 280, 281), der Strauss ein Gedicht etwa aus der Winterreise, insbesondere des Linden-
zur Vertonung schickte, das »sich mit der mensch- baum: Wie dort wird herbe Realität, die in den
lichen Seele als Musik befaßt« (Grasberger 1967, Moll-Abschnitten auskomponiert ist, kontrastiert
416). Sein letztes Lied – gleichzeitig seine letzte, mit der Hoffnung verheißenden Dur-Sphäre, die
am 23.11.1948 vollendete Komposition – schrieb sich als Trug erweist; entsprechend tonmalerisch
Strauss auf einen Text der zeitgenössischen Dich- ist die Begleitstruktur in den einzelnen Teilen ge-
terin Betty Knobel. halten.
Einen deutlichen qualitativen Sprung zeigt das
1877 im Alter von 13 Jahren komponierte Lied Der
Fischer TrV 48 nach Goethe: Bei rhythmischer
Frühe Lieder Anlehnung der Singstimme an Schuberts be-
kannte Vertonung schreibt Strauss kein Strophen-
Die frühen Kinder- und Jugendlieder zeigen eine lied, sondern komponiert den Text durch – nach
schon erstaunliche Reife. Die ersten Lieder tragen Balladenart – mit Tempowechseln nach jeder
die Merkmale einer Liedkomposition, die sich Strophe, mit einer Wiederholung von jeweils der
zum einen an dem gegen Ende des 19. Jahrhun- zweiten Hälfte der ersten und letzten Strophe so-
derts immer noch gültigen liedästhetischen Ideal wie einer Ausweitung der dritten Strophe, in der
der Goethezeit – Einfachheit, akkordische Beglei- die Nixe den Fischer zu sich lockt: »Labt sich die
tung, Strophenform, sangbare Melodik – orientie- liebe Sonne nicht« und »Lockt dich der tiefe Him-
ren (Schmierer 1991, 2–27), und zeigen mit zuneh- mel nicht« sind nicht nur von Textwiederholun-
mendem Alter eine steigende Differenzierung, in gen geprägt, sondern haben auch ein längeres
der die Vorbilder Franz Schubert und Robert Nachspiel im Allegro furioso, ein intensives Aus-
Schumann erkennbar werden. Bei möglicherweise komponieren der verführerischen Macht des
helfendem oder korrigierendem Eingreifen des »feuchten Weibes«. Das auf ähnlicher Thematik
Vaters oder Lehrers dokumentieren die ganz frü- beruhende Lied Spielmann und Zither TrV 58 (der
hen Lieder ein Aneignen liedkompositorischer Spielmann stürzt sich am Schluss ins Meer, weil er
330 Vokalmusik

dort seine Geliebte zu sehen glaubt) hat einen mischem Modell melodisch variiert –, eine bis
analogen musikalischen Aufbau und beginnt mit zum Höhepunkt der letzten Strophe gleichblei-
einer das Meer tonmalerisch wiedergebenden ers- bende Begleitstruktur und eine für die damalige
ten Strophe. Ansonsten sind die Lieder der Jahre Zeit relativ einfache Harmonik, die aber durch
1877 und 1878 sehr kurz, weisen aber eine Vielzahl zwischendominantisch vermittelte Ausweichun-
an Charaktertypenzeichnung und Onomatopoetik gen auf verschiedenen Stufen der C-Dur-Tonleiter
in der Tradition des 19. Jahrhunderts auf: Die abwechslungsreich gestaltet ist (prägend ist gleich
Drossel TrV 49 nach Uhland hat eine »Introduc- der Beginn mit dem Wechsel zwischen e-Moll und
tion ad lib.«, die den Vogelgesang nachahmt; Lass C-Dur). Die Orientierung an der herkömmlichen
ruhn die Toten TrV 50 nach Chamisso basiert auf Ästhetik, wie sie auch die vorangehenden Lieder
einer choralartigen Begleitung; Lust und Qual bestimmte, ist deutlich, und wahrscheinlich hat
TrV 51 nach Goethe ist ein leichtes Strophenlied sich Strauss auch an den Liedern von Johannes
mit entsprechenden harmonischen Wendungen Brahms orientiert, unter dessen Einfluss er Mitte
für die ›Qual‹; das Wiegenlied TrV 59 ist im übli- der 1880er Jahre während seiner Meininger Zeit
chen wiegenden 6/8-Takt gehalten; Nebel TrV 65 stand (Strauss 1981, 207). Bezeichnenderweise
nach Lenau in es-Moll (der Todestonart) zeichnet werden gerade diejenigen Lieder aus op. 10, die
die trübe Stimmung durch Adagio-Tempo und diesem Liedideal folgen – Die Nacht und Allersee-
komplexe Harmonik nach; das Soldatenlied len – vorzugsweise gesungen und eingespielt.
TrV 66 nach Hoffmann von Fallersleben hat Hinzu kommt noch das zweite Lied Nichts, das in
Marschrhythmik; Ein Röslein zog ich mir im Gar- seinem heiteren und humoristischen Charakter an
ten TrV 67 nach demselben Dichter prägt den Rätsel aus Robert Schumanns Myrthen erinnert: Es
Tonartengegensatz von Dur und Moll aus (das im ist geprägt durch ein ständig wiederkehrendes
Garten gezogene »Röslein« wurde von einem an- Motiv, das auch bei kontrastierender Singstim-
deren »abgepflückt«) und hat die typische durch- menmelodie der Begleitung zugrunde liegt; sein
laufende Sechzehntel-Begleitstruktur des roman- fragender Charakter – das Lied thematisiert die
tischen Liedes. Strauss hat vor seinem ersten Unerklärbarkeit der künstlerischen Inspiration –
›großen‹ Liedopus vielfältige Möglichkeiten der wird bis zum letzten Wort »Nichts« aufrechterhal-
Liedkomposition des 19. Jahrhunderts erprobt. ten und harmonisch durch den Quartsextakkord
am Schluss bestätigt (auch wenn der Grundton
durch das Pedal nachklingt). Die sowohl textlich
als auch musikalisch partiell komplexeren Lieder
Die Liedopera der Jahre 1885–1891: Die Georgine, Geduld, Die Verschwiegenen und Die
Zyklische Einheit Zeitlose stehen zwar seltener im Repertoire, neh-
men jedoch, indem sie den Schmerz der Liebe
Die Behauptung, erst in op. 10 TrV 141, den ersten thematisieren und somit ebenfalls auf romantische
publizierten Liedern, zeige sich »die Person des Liedtradition rekurrieren, eine wichtige Position
Liedkomponisten Strauss, wie wir sie kennen« in op. 10 ein, das insgesamt im Sinne des beliebten
(Schlötterer 1988, 20), ist sicherlich auf das Eröff- romantischen Topos der Klage um die vergebliche
nungslied Zueignung zurückzuführen, das neben Liebe gedeutet werden kann: Das letzte Lied Aller-
den »Vier letzten Liedern« zu den bekanntesten seelen singt vom Wunsch, die Liebe »wie einst im
Liedern von Strauss gehört. Es ist aber weder be- Mai« wiederaufleben zu lassen, und gleichzeitig
sonders typisch für Strauss’ Liedœuvre, noch ist von den »Toten«: So endet es denn auch harmo-
darin ein qualitativer Sprung zu den vorangehen- nisch ambivalent, den subdominantischen Be-
den Liedern erkennbar: Zueignung hat eine einfa- reich, nach Moll gewendet, betonend.
che variierte strophische Form – die Strophen be- Der Unterschied der mit op. 10 einsetzenden
ginnen jeweils mit gleicher Melodik der ersten Liedopera zu den vorangehenden Einzelliedern
beiden Zeilen (bis auf die rhythmische Nuance am besteht vor allem in der Konzentration auf nur
Beginn der zweiten Zeile der dritten Strophe) und wenige Dichter und der Zusammenfassung von
werden anschließend bei gleichbleibendem rhyth- Opera auf Texte nur eines Dichters: in op. 10
18. Klavierlieder 331

Hermann von Gilm (zum biographischen Hin- Die Wahl der Gedichte Graf von Schacks ge-
tergrund, der Beziehung zwischen Strauss und hen deutlich mit einer Abkehr von romantischer
Dora Wihan, vgl. Allroggen 2002). Strauss folgt Sichtweise einher. Nicht mehr wird, wie noch in
hier einer Tradition des 19. Jahrhunderts, die in op. 10, das Verhältnis von Traum und Realität ge-
den großen Sammlungen von Hugo Wolf nach geneinandergesetzt, sondern Leid und Leiden
Mörike, Eichendorff und Goethe gipfelt. Nach werden als positive Lebenskräfte dargestellt. Op. 15
den Gilm-Liedern hat Strauss gleich drei Opera scheint paradigmatisch für diese Idee zu stehen.
(op. 15 TrV 148, 17 TrV 149, 19 TrV 152) auf Ge- Der einzige nicht von Schack stammende Text, ein
dichte von Adolf Friedrich Graf von Schack Madrigal Michelangelos aus dem 16. Jahrhundert,
(1815–1894) komponiert, zwei (op. 21 TrV 160, 22 setzt bereits zu Beginn den Akzent: Die »Qual«
TrV 153) nach Felix Dahn und eines (op. 26 der Liebe wird als positive Lebenskraft gesehen.
TrV 166) nach Nicolaus Lenau. Hinzu kommt, Dies findet seine Fortsetzung in Lob des Leidens
dass die Gedichte in den einzelnen Opera sehr und Aus den Liedern der Trauer (Nr. 3 und 4). Der
bewusst angeordnet sind: Hinter jedem Opus Text von Winternacht (Nr. 2) hingegen setzt den
steht eine Art zyklischer Konzeption. Was sich in romantischer Lyrik typisch negativen Topos
schon bei Franz Schubert in den Liedopera jen- (berühmtestes Beispiel ist Schuberts Winterreise)
seits seiner großen Liederzyklen (Budde 1988, ins Positive: Dem lyrischen Ich blüht gerade im
240), Felix Mendelssohn Bartholdy (Schmierer, Winter der »Frühling der Liebe«. Eine Ambivalenz
Mendelssohnlieder, im Druck) und anderen zeigt sich zwar noch in den Tonartenkonstella-
Komponisten der ersten Jahrhunderthälfte verfol- tionen: Die »Leiden«-Lieder Nr. 3 und 4 stehen
gen lässt, kann man auch bei Strauss erkennen: in Moll und das letzte Lied Heimkehr in der
Die Zusammenstellung von Liedern nach einer ›Traum‹tonart E-Dur; das erste Lied jedoch setzt
bestimmten Idee. Op. 10, das sich am stärksten an mit dem heroischen Es-Dur einen positiven Ak-
romantischer Liedtradition orientiert, themati- zent, und die Wendung von g-Moll nach G-Dur
siert die vergebliche Liebe, die nur jenseits der in der zweiten Hälfte der Winternacht kehrt das in
Realität ihre Erfüllung findet (ob die Thematik der Romantik so häufig thematisierte Verhältnis
wirklich autobiographisch bedingt oder eine Re- von herber Realität und Traum um: Das lyrische
flexion romantischer Tradition ist, sei dahinge- Ich findet seine Liebe in der Realität und nicht
stellt). Auch op. 15 und 17 beruhen auf zyklischen nur im Traum.
Konzeptionen (s. u.), und die weiteren Opera In op. 17 nach Schack-Texten fallen insbeson-
implizieren schon durch ihre Benennung einen dere die Tonarten auf, die abwechselnd in höchste
zyklischen Gedanken: Sechs Lieder aus »Lotosblät- und tiefste Regionen des Quintenzirkels führen:
ter« – also Gedichte aus einer Gedichtsammlung eine Vorliebe, der Strauss von da an häufig nach-
Schacks –, Schlichte Weisen – das vereinigende ging. Da die Tonarten auf die Texte abgestimmt
Moment als Rekurs auf das ehemalige Liedideal sind, ist kaum anzunehmen, dass sie aus pragma-
(der Titel taucht auch in Liedopera anderer Kom- tischen Gründen – für die Stimmlagen von Sänge-
ponisten auf ) –, Mädchenblumen mit den Liedti- rinnen oder Sängern – gewählt sind. Seitdem dein
teln Kornblumen, Mohnblumen, Epheu, Wasserrose Aug’ in meines schaute steht in Des-Dur (Erfüllung
(aus der entsprechenden Sammlung von Dahn). des Augenblicks), Ständchen in Fis-Dur (die Ton-
Wenn Strauss hingegen in Liederabenden nie ein art wird später im Rosenkavalier die Präsentation
ganzes Opus, sondern immer Lieder aus verschie- der Rose illustrieren), Das Geheimnis in As-Dur
denen Opera bot, widerspricht dies nicht der Zy- (Tonart des Traumes und noch Unerfüllten), Aus
klizität eines Opus, sondern folgt – neben der den Liedern der Trauer in es-Moll (der Todeston-
Tatsache, dass er eine »Vielseitigkeit des musikali- art), Nur Mut als Gegenstück zum vorangehenden
schen und poetischen Stils, der Stimmung und in Es-Dur (der Tonart der Stärke), Barcarole in
des Inhalts« anstrebte (Petersen 1986, 196) – der Ges-Dur (verklärte Nacht auf dem Kahn).
Aufführungspraxis der Zeit. Auch Schuberts Die Barkcarole ist ein ›Stimmungslied‹, wie es
große Liederzyklen wurden im 19. Jahrhundert Strauss in seinen folgenden Opera bevorzugte, in
selten als Ganzes dargeboten. denen die Stimmung eines Augenblicks des lyri-
332 Vokalmusik

schen Ich oder der Natur tonmalerisch und mit intensivsten in seinem Leben mit der Gattung
subtiler Harmonik eingefangen wird. Naturschil- beschäftigte. Lieder bilden die Mehrzahl seiner
derung und deren Übertragung auf den Zustand Werke dieser Jahre, komponiert überwiegend für
des lyrischen Ich sind jedoch äußerst ambivalent die Konzerttätigkeit seiner Frau. Am Beginn 1894
auskomponiert. Das lyrische Ich gleitet im Kahn stehen die Vier Lieder op. 27 TrV 170, ein Hoch-
auf dem Wasser, das Naturerlebnis – der »schim- zeitsgeschenk für Pauline de Ahna, womit sich
mernde Glanz« des Wassers und der Wellen – ver- Strauss in bester Tradition eines der renommier-
bindet sich mit dem Sehnen nach der Geliebten. testen Liederkomponisten des 19. Jahrhunderts
Als sie näher rückt – durch die Platanen wird das befand: Robert Schumann, der Clara seinen mit
Dach ihres Hauses sichtbar (3. Strophe) –, modu- 26 Liedern allerdings sehr viel umfangreicheren
liert Strauss in den Bereich der Kreuztonarten, Liederzyklus Myrthen zur hart erkämpften Hoch-
nach D-Dur; ein D-Dur allerdings, das im Unter- zeit schenkte. Im Unterschied zu Schumann, der
schied zum anfangs deutlich exponierten Ges-Dur in seinem Zyklus auch die Schattenseiten thema-
gar nicht in Erscheinung tritt. Am Anfang der tisierte (die fast sein gesamtes eigentlich glück-
Strophe (auf »Schon«) geht der Bass trugschlüssig liches ›Liederjahr‹ durchziehen), schrieb Strauss
nach vorhergehenden Dominantakkorden nach H nach dem ersten, noch ambivalenten Lied nur
statt zum Grundton d und wird im Folgenden glückverheißende Stücke. Oft von Pauline darge-
chromatisch fast über eine ganze Oktave aufwärts boten (Ruhe meine Seele!, Cäcilie und Morgen! seit
geführt (bis zum ais am Beginn der dritten Zeile 1897 auch in einer orchestrierten Fassung), gehö-
der Strophe): gesteigerter Ausdruck des Sehnens, ren sie zu seinen bekanntesten und bis heute viel
verstärkt um die ebenfalls chromatischen Mittel- gesungenen Liedern. Sie haben zusammen mit
stimmen (von d’’ bis a’’ in der rechten Hand und den »Vier letzten Liedern« eine bestimmte Vorstel-
eine Oktave tiefer versetzt in den Spitzentönen der lung des Liedschaffens von Strauss geprägt, die
linken Hand). Auch die ersten beiden Strophen aber nur auf einen kleineren Teil seines Œuvres
verbleiben nicht die Ges-Dur; jeweils in den zwei- zutrifft (zu einer psychologischen Deutung vgl.
ten Zeilen auf den Text »zittert und leuchtet« Heinemann 2009, zu einer Analyse von Ruhe
wechselt die Harmonik in die Parallele es-Moll, meine Seele! vgl. Youens 2010, 155). Im Unterschied
die Todestonart, die auch das vierte, vom Tod zu den 1885 bis 1891 komponierten Opera wählte
handelnde Lied bestimmte, und als dessen Remi- Strauss die Gedichte mehrerer Dichter aus, um sie
niszenz sie erscheint: Ambivalent deutet Strauss zu einem kleinen Zyklus zusammenzustellen.
den positiven Text – der »schimmernde Glanz« Komponiert er im ersten Lied den ›Durch Nacht
des Wassers und das »wie die Flut« zitternde und zum Licht‹-Topos aus, verweilt er anschließend
leuchtende »Herz« – durch die unterlegte Tonart. gänzlich im positiven Bereich und zielt im letzten
Die Verkettung von Liebe und Tod prägt als typi- Lied auf die glückliche Vereinigung (»und auf uns
sche Thematik des Fin de siècle auch andere seiner sinkt des Glückes stummes Schweigen«). Das
Lieder (Schmierer, 2007, 171–177). erste, harmonisch sehr progressive Lied lässt noch
im Klaviernachspiel die »Stürme« nachklingen,
die »Seele« ruht erst auf dem letzten C-Dur-Ak-
kord. Die drei folgenden Lieder beschreiben den
Lieder der Jahre 1894–1906 I: Weg ins Positive: Cäcilie in E-Dur, den Traum
Kontrast von sublimer beschwörend (»Wenn du es wüßtest, was träumen
Fin-de-siècle-Lyrik und heißt«), erinnert in der zweiten Strophe noch an
volkstümlicher Einfachheit die »Stürme« des ersten Liedes, an die Ungewiss-
heit des Erhört-Werdens durch die Geliebte
Die nächste Phase des Liedschaffens nach fast (»Wenn du es wüßtest, was bangen heißt! […]
dreijähriger Pause ist mit 17 Liedopera (op. 27, 29, umschauert vom Sturm«) und endet im Schwel-
31, 32, 33, 36, 37, 39, 41, 43, 44, 46, 47, 48, 49, 51, gen in E-Dur (das gemeinsame Leben ist noch ein
56)– mit den wenigen Einzelliedern sind es insge- Traum). Das dritte Lied, Heimliche Aufforderung,
samt 80 Lieder – eine Zeit, in der sich Strauss am das die Vereinigung bereits thematisiert, ist eine
18. Klavierlieder 333

wichtige Station innerhalb des Zyklus, weil es den Struktur des Beginns aufnimmt (»Lebhaft und
Schluss schon andeutet; es wird jedoch (vielleicht heiter«), auf eine Erfüllung in naiv-volkstümlicher
weil Strauss es nicht orchestriert hat) selten gesun- Gestimmtheit. Auch im ersten Lied Traum durch
gen (möglicherweise war die hier dargestellte die Dämmerung geht der Protagonist durch »Wie-
›nicht legitimierte‹ Vereinigung zu ›anrüchig‹; die sen« zur »schönsten Frau«, er eilt jedoch nicht,
Textvorlage gehört zu den typischen Fin-de-siècle- sondern wird durch das »Dämmergrau« in der
Gedichten Mackays). Das letzte Lied Morgen ist »Liebe Land« gezogen, »in ein mildes, blaues
hingegen eine der bekanntesten Vertonungen von Licht«: Die Erfüllung in der Liebe verbindet sich
Strauss, die den Zyklus im Sinne eines ›glückli- mit Nachtstimmung und träumerischer Sehn-
chen Endes‹ abschließt. sucht, die Wiederholung der immer gleichen Be-
In diesen Jahren wandte sich Strauss dezidiert gleitfigur assoziiert einen tranceartigen Zustand,
zeitgenössischen Dichtern wie Henckell, Hart, alles verbleibt im Zustand des Traums. Diese
Mackay, Bierbaum, Busse, Dehmel, Liliencron, Stimmung wird vom dritten Lied Nachtgang auf-
Falke, Bodman, Lindner, Morgenstern, Greif, gegriffen und fortgeführt; im Traum (As-Dur) ist
Remer, Panizza zu (Lienenlüke 1976, Lodato nun der Protagonist mit seiner Geliebten vereint
1999). Nur eine Minderzahl von Dichtern sind (»Wir gingen durch die stille, milde Nacht«).
keine Zeitgenossen, und der Titel von op. 43 Naiv-Heiteres wird in op. 29 mit träumerisch-
TrV 196 Drei Gesänge älterer deutscher Dichter mit sehnsuchtsvoller Stimmung kontrastiert.
Texten von Klopstock, Bürger und Uhland hebt Auch die ersten drei Lieder von op. 31 TrV 173
die ältere Zeit eigens hervor, als ob Strauss sie nach Busse zeigen ähnlichen Inhalt: Das mittlere
verteidigen müsse. Zuvor hatte er allerdings schon kündet von »junger, jauchzender Liebe«, jedoch
op. 36 TrV 186 nach Klopstock, Des Knaben Wun- nicht in der ›heroischen‹ Tonart Es-Dur, in der
derhorn und Rückert komponiert. Und nach das Lied beginnt, sondern in der Traum-Tonart
op. 43 folgten wieder einige Opera, die gänzlich E-Dur: Der Konjunktiv des Textes (»Und wärst du
nach älteren Dichtern komponiert sind: op. 46 mein Weib«), im Titel Wenn … angedeutet, wird
TrV 199 (Rückert) und op. 47 TrV 200 (Uhland) durch die Tonartenkonstellation unterstrichen (im
sowie die Orchesterlieder op. 51 TrV 206 nach zweiten Lied von op. 29 war die Traumebene nur
Uhland und Heine. Im letzten Opus dieser Jahre, kurz angedeutet). Die Rahmenlieder spielen be-
den Sechs Liedern op. 56 TrV 220, wandte er sich reits im Titel auf Farben an – Blauer Sommer und
neben Henckell Goethe, Meyer und nochmals Weißer Jasmin – und verweisen auf das um 1900
Heine zu. verbreitete Phänomen der Synästhesie. Wurde
Interessant ist, wie Strauss die typische Fin-de- blau in der Romantik in Gestalt der ›blauen
siècle-Thematik – Traum, Rausch und Ekstase, Blume‹ mit der Sehnsucht in Verbindung gesetzt,
Nachtstimmung, Farbensymbolik – mit einem so steht blau nun in verschiedenen Kombinatio-
gegensätzlichen Aspekt kontrastiert: der ›Volks- nen (hier mit »Sommer« und »Stirne«, in op. 29,1
tümlichkeit‹. In op. 29 (1895) umschließen die mit »Nacht«) für die Liebe – neben rot, das als
Rahmenlieder in der Nacht-Tonart Fis-Dur und Kontrast zum blau den Schluss prägt (der Wechsel
der Traum-Tonart As-Dur ein G-Dur-Lied mit von B-Dur und H-Dur lässt auch die roten Rosen
naiv-volksliedartigem Text, dessen Gedicht Schla- ambivalent erscheinen). Und das dritte Lied Wei-
gende Herzen hier allerdings vom selben Textdich- ßer Jasmin steht wie das dritte von op. 29 in der
ter Bierbaum stammt. Ein »Knabe« eilt fröhlich Traumtonart E-Dur. Diese drei Lieder aus op. 31
im Frühling durch die »Wiesen und Felder«, sein wurden ursprünglich als Zyklus publiziert (1896),
Herz schlägt »Kling klang«, ein »Mädel« wartet bilden somit eine Einheit. Das vierte Lied, das
auf ihn, deren Herz ebenfalls »Kling klang« Strauss den Busse-Vertonungen anhängte (s. u.),
schlägt. Wenn auch das »Mädel« durch die kom- ist seine erste Dehmel-Vertonung, Stiller Gang.
positorische Faktur – E-Dur, Tremoli – zunächst Nochmals zu erleben ist der Kontrast von Nai-
nur als Traum erscheinen mag und damit der ro- vem und artifizieller Fin-de-siècle-Lyrik in op. 32
mantische Topos der nicht erfüllten Liebe ange- TrV 174. Hier werden textlich differenzierte mitt-
deutet wird, so deutet das Ende des Liedes, das die lere Lieder von volkstümlichen umrahmt. Wäh-
334 Vokalmusik

rend das letzte Lied Himmelsboten aus Des Knaben scher Dichter op. 43 TrV 196. Bürgers Muttertände-
Wunderhorn stammt, also zu den Texten gehört, lei in der Mitte ahmt Volksdichtung nach und
die als Volkslieder galten, ist Ich trage meine Minne könnte auch aus der Wunderhorn-Sammlung
nach Karl Henckell in volkstümlich einfachem stammen: »Seht mir doch mein schönes Kind, mit
Stil gehalten, schon durch das Wort Minne, das den gold’nen Zottellöckchen, blauen Augen, ro-
mittelalterliche Lyrik assoziiert. Allerdings wird ten Bäckchen! Leutchen, habt ihr auch so eins?
auch in diesem Lied in Ges-Dur die überwiegend Leutchen, nein, ihr habt keins!« Die in dieser ers-
einfache Klavierbegleitung im Mittelteil durch ten Strophe relativ einfache Faktur im 3/8-Rhyth-
harmonische Ausweitung in den helleren Bereich mus hat eine ländlerartige Motivik, wie sie in
der Kreuztonarten durchbrochen, und die Tonart ähnlicher Weise auch in Mahlers Wunderhorn-
E-Dur, hier mit der Assoziation des Erotischen, Liedern vorkommt, und wie bei Mahler über-
erscheint gegen Ende des allerdings differenzierte- nimmt sie Strauss als eine Art Koloratur in der
ren, in F-Dur stehenden letzten Liedes auf die Singstimme, womit er die einfache Faktur ver-
Zeile »küsst ihr für mich den roten Mund« (auf fremdet. Ebenfalls wie bei Mahler sind die weite-
»Mund« dann eine Rückung nach Des-Dur): ren Strophen in komplexerer Harmonik gehalten,
Strauss verbleibt selbst innerhalb der naiven Lie- jedoch nicht wie dort im Sinne einer ›gefährdeten
der nie in der einfachen Faktur. Idylle‹, sondern zur Karikatur des Textes (»fetter
Strauss’ Verwendung von Texten aus Des Kna- als ein fettes Schneckchen, süßer als ein Zucker-
ben Wunderhorn ist insofern interessant, weil weckchen«). Das Lied kontrastiert nicht nur mit
Gustav Mahler in derselben Zeit, den 1890er Jah- den umgebenden Rahmenliedern, sondern auch
ren, fast ausschließlich Wunderhorn-Texte ver- mit den beiden weiteren ›Mutterliedern‹ von
tonte. Während Mahler aber das Gegeneinander Strauss, Meinem Kinde op. 37/3 nach Falke und
von Traum und Wirklichkeit durch verschiedene Wiegenlied op. 41/1 nach Dehmel, deren Thematik
Stilebenen und Verfremdungen ins Extreme stei- biographisch bedingt ist: Strauss’ Sohn Franz
gert (Schmierer 1991), überträgt Strauss dieses wurde 1897 geboren. Pauline Strauss sang die drei
Gegeneinander nicht auf verschiedene Stil-Ebe- Lieder des öfteren in einem Konzert. Muttertände-
nen, sondern vor allem auf entsprechende Tonar- lei bildet jedoch auch einen besonders starken
ten. Ein Kontrast von hohem und niedrigem Stil, Gegensatz zum dritten Lied aus op. 43, Uhlands
wie Mahler ihn innerhalb eines Liedes realisiert, Die Ulme zu Hirsau. Hier wird nicht nur das ro-
wird bei Strauss nur im Verhältnis der Lieder zu- mantische Bild der in einer Klosterruine wachsen-
einander wirksam. Dies zeigt sich besonders deut- den Ulme beschworen, sondern in den beiden
lich in op. 36: Zur üblichen schwärmerischen letzten Strophen das Gedankengut der Reforma-
Liebesthematik in den beiden Rahmenliedern – tion (»Zu Wittenberg im Kloster […] O Strahl des
am Beginn das insbesondere durch Schuberts Lichts«) assoziiert. Der Klaviersatz tendiert insbe-
Vertonung bekannte Rosenband von Klopstock sondere in den beiden letzten Strophen zum Or-
und am Ende Rückerts Anbetung – stehen die chestralen (Harfenarpeggien), und es mutet fast
beiden Wunderhorn-Lieder in noch größerem paradox an, dass Strauss gerade nicht dieses Lied,
Kontrast als in den vorangehenden Opera, weil sondern das sehr viel klavieristischere Muttertän-
Strauss fast banale ›Alltagsthemen‹ wählt: Im ers- delei orchestriert hat.
ten Lied will sich der Schreiber »für funfzehn Man kann das beschriebene Kontrastprinzip
Pfennige« sein Mädchen erkaufen, das sich jedoch von Strauss’ Liedschaffen auch noch an weiteren
»schnippisch« wehrt; im zweiten Lied weigert sich Opera verfolgen: bedingt an op. 39 TrV 189 mit
die Tochter, für nur ein einziges »Gaggelei« das Jung Hexenlied und Der Arbeitsmann; überaus
Kindlein zu wiegen, für nur ein einziges Vöglein deutlich an op. 41 TrV 195, in dem Bruder Lieder-
die Mägdlein zu verraten, will jedoch gerne dafür lich nach Liliencron einen überaus großen Gegen-
nur drei Küsslein empfangen, weil es sowieso satz zu den übrigen überwiegend verhaltenen
nicht dabei bleibe. Liedern bildet. In op. 47 TrV 200 nach Uhland
Auch weitere Opera mit ähnlicher Struktur fällt das letzte Lied Von den sieben Zechbrüdern
lassen sich nennen, z. B. Drei Gesänge älterer deut- nicht nur durch die gegensätzliche Thematik,
18. Klavierlieder 335

sondern auch schon durch die Länge aus dem – op. 31 TrV 173, Nr. 4 Stiller Gang (30.12.1895;
Rahmen, da es sich um eine vielstrophige Ballade auch in einer Bearbeitung mit Begleitung von
handelt. Op. 49 TrV 204 wird mit zwei Elsässischen Viola oder Violine), separat publiziert, s. o.,
Volksliedern beschlossen, zuvor steht ein Arbeits- – op. 37 TrV 187, Nr. 4 Mein Auge (16.4.1898,
lied, Henckells Lied des Steinklopfers, und in op. 56 1933 instrumentiert),
TrV 220 bringt das letzte Lied, Heines Die heiligen – op. 39 TrV 189, Nr. 1 Leises Lied (2.7.1898),
drei Könige, eine ironisierende Brechung der bibli- Nr. 3 Der Arbeitsmann (12.6.1898, 1918 instrumen-
schen Geschichte in volkstümlichem Ton. tiert), Nr. 4 Befreit (2.6.1898, 1933 instrumentiert),
Die Mehrzahl der Opera dieser Jahre sind Nr. 5 Lied an meinen Sohn (8.7.1898),
durch die Interpolation naiver oder volkstümli- – op. 41 TrV 195, Nr. 1 Wiegenlied (22.8.1899,
cher Kontrastebenen bestimmt – Ausnahmen sind 1900 instrumentiert), Nr. 3 Am Ufer (15.8.1899),
lediglich op. 46 TrV 199 nach Rückert, op. 48 – op. 44 TrV 197, Nr. 1 Notturno (11.7.1899,
TrV 202 nach Bierbaum und Henckell sowie die Orchesterlied),
originären Orchesterlieder op. 33 TrV 180, 44 – op. 49 TrV 204, Nr. 1 Waldseligkeit (21.9.
TrV 197 und 51 TrV 206. In diesem Aspekt treffen 1901, 1918 instrumentiert), Nr. 3 Wiegenliedchen
sich nicht nur die kompositorisch völlig verschie- (20.9.1901).
denen Werke von Strauss und Mahler. Strauss hat Der seit der zweiten Hälfte der 1890er Jahre bis
auch eine Thematik gewählt, die später in seinem zu seinem Tod hochgeschätzte Richard Dehmel
Opernschaffen, insbesondere in Ariadne auf Na- (1863–1920) ist heute außer durch Strauss’ Lieder
xos, bestimmend werden sollte: Die Vereinigung insbesondere durch die Vertonungen Arnold
und Kontrastierung des seriösen Genres mit dem Schönbergs und Anton Weberns bekannt; auch
buffonesken. Geht die Konzeption von Ariadne Alexander Zemlinsky, Max Reger, Hans Pfitzner,
möglicherweise auf Hofmannsthals Rezeption von Jean Sibelius, Othmar Schoeck und viele weitere
Victor Hugos Préface de Cromwell zurück, in dem weniger bekannte Komponisten, darunter insbe-
das Zusammengehen der beiden kontrastierenden sondere Conrad Ansorge (Schmierer 1999), haben
Genres thematisiert wird (Gier 2005), so greift seine Texte vertont (dazu die Auflistung bei
Mahler mit seiner Rezeption von Jean Paul, der Sichardt 1990, 379–383, und deren Verweis auf das
niedere und hohe Ebene kontrastiert (Schmierer ausführlichere Verzeichnis der Dehmel-Vertonun-
2014), ein ähnliches Phänomen auf. Bei aller stilis- gen in der Staats-und Universitätsbibliothek Ham-
tischen Verschiedenheit ist Strauss’ Liedœuvre in burg von Sabine Kieser). Dehmel, im Verband der
konzeptioneller Hinsicht nicht so weit von Mah- Privaten Deutschen Versicherungsgesellschaften in
lers Musik entfernt. Berlin tätig (der Sohn eines Försters wurde mit ei-
nem Thema zur Versicherungswirtschaft promo-
viert), publizierte seit den frühen 1890er Jahren
seine berühmten Gedichtsammlungen, aus denen
Lieder der Jahre 1894–1906 II: Strauss seine Liedtexte wählte: Erlösungen (1891),
Die Dehmel-Vertonungen Lebensblätter (1895), Weib und Welt (1896); hinzu
kommt Aber die Liebe (1893). Seit 1895 widmete
In derselben Phase gewinnt bei Strauss ein Dichter sich Dehmel allein der Dichtkunst. Er galt seinen
an Bedeutung, der in der Moderne sowohl in Zeitgenossen als Überwinder des Naturalismus,
Literatenkreisen als auch bei Komponisten um von dem seine Dichtung zunächst den Ausgang
1900 äußerst beliebt war: Richard Dehmel. Seine nahm, und als Schöpfer einer modernen Lyrik.
Gedichte hat Strauss zwischen 1895 bzw. 1898 Sein Einfluss war auch auf diejenigen Dichter von
und 1901 in elf Liedern (und später in keinem außerordentlicher Bedeutung, deren Werke Strauss
mehr) vertont. Allerdings veröffentlichte er kein ebenfalls vertont hat: Hugo von Hofmannsthal
einziges Opus nur auf Dehmel-Texte; auch das (Strauss’ späterer Librettist) und Gustav Falke.
weitgehend Dehmel gewidmete op. 39 enthält Ob Dehmel die besondere Rolle, die er in der
noch ein Lied nach einem anderen Dichter (Bier- kompositorischen Entwicklung von Schönberg
baum): und Webern spielte, auch bei Strauss einnimmt,
336 Vokalmusik

ist umstritten (Sichardt 1990, 371). Fest steht, dass »Verfallensein an das Zufällige« (Dehmel 1906–
Dehmel von den Vertonungen seiner Texte durch 1909, Bd. 8, 57 ff.; Dehmel 1923, 48). Wahre Kunst
Strauss nicht sonderlich begeistert war. Dies bezog manifestiere sich hingegen in der Umbildung der
sich zum einen auf die Textwahl. Strauss hatte ihm Wirklichkeit: Die Elemente der Wirklichkeit seien
wohl unmittelbar nach Fertigstellung die Kompo- nur »Rüstzeug für den mystischen Akt der Trans-
sition von Mein Auge mitgeteilt, und Dehmel, der formation« (Dehmel 1906–1909, 76), deren We-
mit Strauss über eine Vertonung seines Tanzspiels senheiten »zwischen den Reizen der Worte, der
Lucifer korrespondierte, reagierte entsetzt, da er Farben, der Töne, der Flächen schweben, nur
nicht mehr hinter den »gräßlichen Satzverrenkun- reine Verhältniswerte sein [können], die sich nir-
gen« dieses seines Jugendgedichtes stünde. Er gends unmittelbar ausmessen lassen, sondern nur
sandte Strauss seine neue Auflage der Erlösungen, mittelbar abschätzen« (Dehmel 1906–1909, 57 ff.;
aus denen das Gedicht stammte, und bat ihn um Dehmel 1923, 48; zur Kunstauffassung Dehmels
das Manuskript des Liedes, um den Text zu korri- vgl. Fritz 1969, 24). Dass Ansorges esoterische
gieren (22.4.1898; Grasberger 1967, 116 f.); der Lieder Dehmels Kunstauffassung sehr viel mehr
Bitte kam Strauss jedoch nicht nach (der Text entsprachen als Strauss’ Vertonungen, ist evident
entspricht demjenigen der Erstausgabe, vgl. (Schmierer 1999). Dennoch gehen die Dehmel-
Schlötterer 1988, 191). Zum anderen kritisierte Vertonungen von Strauss nicht nur in äußerlicher
Dehmel die Musik des im Sommer desselben Naturbeschreibung auf.
Jahres vertonten Gedichts Befreit als »zu weich« Das Gedicht Waldseligkeit stammt wie das von
(Schlötterer 1988, 192). Und eher distanziert klingt Dehmel kritisierte Mein Auge aus Erlösungen.
Dehmels Bemerkung, »von Straussens Composi- Strauss entnahm den Text jedoch aufgrund von
tionen« zu seinen Texten gefielen ihm am besten Dehmels Bitte der zweiten Ausgabe (wie auch
»das ›Lied an meinen Sohn‹ und ›Notturno‹« Leises Lied, Wiegenlied und Notturno), in der das
(Schlötterer 1988, 195). Der einzige Komponist, Lied gegenüber der ersten Ausgabe jedoch nicht
dem Dehmel die Fähigkeit zusprach, seine Lyrik verändert ist – seine romantischen Züge blieben
angemessen zu vertonen, war Conrad Ansorge, in somit erhalten. Die Naturschilderung, mit der die
dem er »den modernen Zeitgeist« verwirklicht sah ersten beiden Zeilen ansetzen, wird von einer
und den er Richard Strauss bei weitem vorzog. subjektiven Schicht überlagert, die das Eigentliche
Ansorge sei der einzige, der »vollkommen ur- bildet. Wie in vielen Gedichten Dehmels sind die
sprünglich das ausdrückt, was an neuen, nur durch beiden Strophen insofern aufeinander bezogen, als
musikalische Mittel ausdrückbaren Empfindungen das Naturbild der ersten in der zweiten zum Aus-
in uns lebt; die Andern sind mehr oder weniger druck seelischer Stimmung wird, zu einer gestei-
Eklektiker, und der Eine, der es außer Ansorge gerten, im Subjekt des Künstlers befindlichen
nicht ist [Richard Strauss] erscheint mir im Sphäre. Bereits im Naturbild der ersten Strophe
Grunde als ein verkappter literarischer Naturalist sind die ›inneren‹ Zustände angedeutet, im wirk-
mit romantischen Anwandlungen« (Brief an Willy lichkeitsübergreifenden Bild der »selig lauschen-
Seibert vom 11.12.1900; Dehmel 1923 Bd. 1, 359). den« und »sich sacht berührenden Bäume«. In der
Eine Zuordnung von Strauss zum Naturalis- zweiten Strophe dient die Naturszenerie nur noch
mus – und damit gerade nicht zu der Strömung, als Rahmen für die intendierte Aussage des Ge-
die Dehmel um 1900 vertrat – nahmen auch an- dichts: das Aufgehen des Ich im Du, zentrales
dere Zeitgenossen vor. Arthur Seidl beispielsweise Moment der Lebensanschauung Dehmels (Fritz
(zur ästhetischen Diskussion siehe Schmierer 1969, 59). Diese Aussage wird jedoch erst in der
1999) schrieb, Strauss sei ein typischer Vertreter allerletzten Zeile als plötzlicher Übergang vom
des Naturalismus, was sich in der Darstellung der Realen zum Visionären manifest. Bis dahin ist die
»äußeren Natur«, der »realistischen Illustration«, Szenerie als scheinbar wirkliche denkbar, als locus
im Nachzeichnen »eines beliebigen Naturaus- amoenus, in dem sich ein einsamer, die Natur ge-
schnitts als frische, kecke ›Impression‹« zeige nießender Mensch aufhält; erst die letzte Zeile
(Seidl 1900, 157 f.). Dehmel hingegen kritisierte offenbart den von Dehmel beabsichtigten Sinnge-
eine die Natur abbildende Wiedergabe als ein halt, akzentuiert durch die einzige Abweichung
18. Klavierlieder 337

von der ansonsten liedhaft einfachen Versform, Strauss hier auf den Widerspruch verweisen
dem verkürzten »ganz nur Dein« anstatt einer die wollte, der vordergründig den beiden letzten Zei-
Silbenzahl erfüllenden Zeile »da bin ich ganz nur len inhärent ist, gleichzeitig ganz sich selbst und
Dein«. dem anderen zu gehören. Gerade dieser scheinbare
Im Unterschied zu Ansorges karger, ganz die Widerspruch unterscheidet Dehmels Gedicht von
innere Idee verwirklichender Vertonung (Schmie- romantischen Vorbildern und rückt es in den Be-
rer 1999) scheint Strauss tatsächlich eine idyllische reich symbolistischer Lyrik: Der Sinn sollte sich
Waldstimmung auskomponiert zu haben. Ein nicht beim ersten Lesen offenbaren. Die Rätsel-
vollstimmig »rauschender«, sonorer Begleitsatz – haftigkeit und mystische Grundstimmung, die in
in der Orchesterfassung des Liedes von 1918 noch Ansorges Lied erhalten bleibt, ist bei Strauss mit
deutlicher – wird kombiniert mit einer sehr sang- der emphatischen Vertonung der letzten Zeile
lichen, weit geschwungenen Singstimmenmelo- aufgelöst. Das Ich scheint überwunden, die Verei-
die, die in der letzten Zeile in einer ausschweifen- nigung mit dem Du vollzogen: Der lange Ton auf
den Kantilene kulminiert, wo sich Ansorge mit der höchsten Note ges’’, der aufstrebende Drei-
einer schlichten Dreiklangsbrechung begnügt: klang im Sinne einer exclamatio sowie die bereits
Strauss gleicht hier die Zeilen nicht nur durch erwähnte Textwiederholung sprechen dafür. Auch
gleiche Taktanzahl, sondern auch durch die Text- Strauss geht auf den inneren Gehalt des Gedichtes
wiederholung von »ganz nur« einander an und ein, interpretiert es aber durch die satte Klanglich-
zerstört damit die besondere Dehmelsche Vers- keit, die schwelgende Melodik und die spezifi-
struktur der letzten Zeile. Auch die klangliche schen harmonischen Gestaltungen als Ausdruck
Gestaltung beider Lieder ist vollkommen verschie- weniger einer mystischen Innerlichkeit als einer
den: Während bei Ansorge in der mit »träume- äußerlichen Sinnlichkeit, wie sie auch weitere
risch« überschriebenen zweiten Strophe eine Auf- Lieder der Zeit prägen und wie sie in Salome ihre
einanderfolge mediantischer Klänge vorherrscht, vollkommene Verwirklichung finden sollte (Hei-
die als Merkmale einer ›Traumlogik‹ angesehen nemann 2009).
werden können (Stenzl 1991, 65), bewegt sich bei In ähnlicher Weise hatte Strauss schon sein
Strauss die Harmonik weitgehend im Rahmen erstes Dehmel-Lied Stiller Gang op. 31/4 vertont,
funktionaler Logik. Das Lied steht in Ges-Dur dessen knapper, fast fragmentarischer und rätsel-
(Strauss hatte, wie bereits erwähnt, seit op. 17 eine voll symbolistischer Text in seinem Liedschaffen
Vorliebe für Tonarten mit vielen Vorzeichen), ein Novum bildete. Strauss entspricht diesem Text
die Ausweichungen nach entfernteren Tonarten aber nicht mit einer ebenso fragmentarischen
(g-Moll auf »berühren« oder a-Moll auf »mein ei- Faktur (wie beispielsweise Conrad Ansorges
gen«) sind dominantisch vermittelt. Strauss’ Inter- gleichnamige Vertonung). Vielmehr hat er das
pretation geht jedoch gerade durch die harmoni- Lied in seiner Bearbeitung für begleitende Brat-
sche Gestaltung nicht allein im Tonmalerischen sche oder Violine mit einer kontinuierlichen trio-
auf. Mit der so deutlichen Hervorhebung des lischen Instrumentalfaktur ausgestattet, die ton-
Wortes »berühren« sowohl durch die Tonart als malerisch das Knistern des Feuers, den Gang,
auch durch den sehr langen, über zwei Takte ge- vielleicht auch das Surren des Käfers veranschauli-
haltenen Ton d betont Strauss den übergeordne- chen mag. Sicherlich hat Strauss diese (nicht sehr
ten Gehalt: Die sich berührenden Bäume sind klaviergemäße) Begleitung auch auf dem Klavier
Metapher der Annäherung von Ich und Du und mitgespielt, da er generell dazu tendierte, den
bleiben nicht nur Naturbild. Und in der zweiten Klaviersatz ›aufzufüllen‹ (zu Strauss’ Liedbeglei-
Strophe setzt Strauss die Worte »ganz mein eigen« tung siehe Petersen, 1986, 208 und 210). Zwar hat
quasi in Parenthese: Sie werden durch die einzigen das Lied an vielen Stellen eine fortgeschrittene
harmonischen Rückungen um jeweils einen Halb- Klanglichkeit – beispielsweise die parallelen Quar-
ton erreicht (von einem Dominantseptakkord auf ten zur dritten Liedzeile Ȇber den Stoppeln geht
Es zu einem auf E, der dann zum a-Moll führt) der Rauch entzwei«, die chromatischen Färbungen
und auch wieder verlassen (von F-Dur mit Sexte der Begleitstimmen oder die Harmonik zu »ich
nach Ges-Dur). Man könnte fast behaupten, dass muss mich trennen« –, mündet aber immer wie-
338 Vokalmusik

der in einfache Dreiklangsmelodik. Dem Frag- hervor. Der Grundtonart Fis-Dur für Verzaube-
mentarischen entspricht Strauss durch die Verein- rung und Nacht (Strauss’ Lieblingstonart) werden
zelung der Liedzeilen, die jeweils durch Pausen verschiedene andere Tonarten entgegengesetzt,
getrennt sind, sowie durch die deklamatorische zum Beispiel das helle D-Dur auf die Zeile »in
Vertonung, die jeglicher regelmäßiger Melodiege- seinen hellen Abgrund sinkt«, wobei das Subjekt,
staltung entbehrt. »der ferne Tag«, in die Moll-Sphäre, nach a-Moll
Eine ›esoterische‹ Begleitung, wie sie Strauss gerückt wird. Nach der Rückkehr zur Grundton-
sonst nur noch (wenn auch nicht durchgehend) in art Fis-Dur erklingt »Land« in E-Dur (als Domi-
Ruhe meine Seele op. 27/1 verwirklicht hat, prägt nantquartsextakkord, funktional vermittelt durch
das Lied Am Ufer op. 41/3. Mit Ausnahme von den vorangehenden, enharmonisch umgedeuteten
zwei Stellen komponiert Strauss in einem sehr verkürzten Doppeldominantseptakkord mit tief-
»langsamen« und »feierlichen« Tempo Akkorde, alterierter Quint): Das »höchste Land« wird mit
die jeweils über einen ganzen Takt gehalten wer- Himmel und Traum assoziiert.
den: Sie erinnern an einen Choral, der jedoch Neben den symbolistischen Gedichten hat
durch die Länge der Akkorde ins Extreme gerückt Strauss auch Texte anderen Gehalts von Dehmel
wird. Dehmels Gedicht thematisiert vordergrün- vertont. Hierzu gehören beispielsweise Der Ar-
dig eine Abendstimmung am Meer mit unge- beitsmann oder auch die beiden Wiegenlieder, die
wöhnlichen Bildern der untergehenden Sonne in Zusammenhang mit der Geburt von Strauss’
(»in seinen hellen Abgrund sinkt der ferne Tag, er Sohn stehen. Das erste Lied aus op. 41 in D-Dur
schaudert nicht; die Glut umschlingt das höchste ist sehr schlicht gehalten, mit überwiegend einfa-
Land«), und der auf dem Meer bereits angebro- cher Harmonik, fließender Zweiunddreißigstel-
chenen Dunkelheit (»im Meere ringt die ferne Begleitstruktur in Akkordbrechungen, eingängiger
Nacht, sie zaudert nicht«). Dass mehr gemeint ist Melodik und klarer Periodik (vgl. hierzu Heller
als die äußerliche Naturstimmung des Sonnenun- 1994, 50 f.). Im Vergleich zu anderen Liedern
tergangs, deuten die auf das Du bezogenen Sätze weicht Strauss in dem doch relativ langen Lied nur
an: Gleich der rätselhafte zweite Halbsatz »dein selten in andere Tonarten aus, am auffälligsten in
Blut erklingt«, nachdem »die Welt verstummt« ist, der letzten Strophe – wenn nun wirklich auf dem
mag auf die Gegenwart der Geliebten verweisen – Wort »Himmel« zugleich mit dem höchsten Ton
Blut und Erklingen gleichermaßen als Metaphern gis’’ E-Dur erreicht wird. Wiegenliedchen op. 49/3,
für das Leben, in ihrer Kombination den Gehalt von der Struktur her vordergründig einfach, volks-
gegenseitig verstärkend; das »Erklingen« deutet liedhaft, entspricht dem ebenso volksliedhaft ge-
zugleich auf die prägnante Stellung der Musik in haltenen Text. Tonart und Harmonik aber kon-
der symbolistischen Lyrik, das Blut strömt nicht trastieren zu der Einfachheit: Zwar klingt der Be-
nur in den Adern, es »erklingt«. Im Zusammen- ginn durch den Wechsel zwischen der Grundton-
hang mit dem letzten Satz, »deine Seele trinkt das art Fis-Dur und dem einen Ganzton darunterlie-
ewige Licht«, gewinnt das Musikalische hervorge- genden e-Moll an modale Wendungen an und
hobene Bedeutung: Das »Trinken« des »ewigen kongruiert so mit der Volksliedhaftigkeit; im Fol-
Lichts«, womit die christliche Unsterblichkeits- genden herrschen jedoch vielfach leittönige Har-
hoffnung angesprochen wird, deutet auf den Tod monik und übermäßige Dreiklangsbildungen vor,
der Geliebten, die Erinnerung an sie beim Eintre- die vordergründige Einfachheit erscheint gebro-
ten der Abenddämmerung geht mit Musik einher. chen. Dehmels Gedicht Der Arbeitsmann gilt als
Zudem gemahnt – und dies wird in der Musik Beleg für sein dichterisches soziales Bewusstsein
von Strauss deutlich gemacht – das der Flut ent- (Heller 1994, 59); Strauss’ Vertonung (op. 39/3)
springende »Sternchen« an die Geliebte: Die wird unter die intellektuellen Lieder gezählt (Jef-
Stellen sind durch aufstrebende Sextolen verbun- ferson 1971, 53).
den, die auf das Modell der exclamatio zurückge- Das fast ausschließlich Dehmel gewidmete
hen und als Hoffnung auf das Leben deutbar sind. op. 39 zeigt ein breites Spektrum verschiedenarti-
Die Metaphorik der Tonartenwahl tritt in diesem ger Texte wie auch verschiedener Kompositions-
akkordisch geprägten Lied besonders deutlich weisen. Leises Lied (op. 39/1) aus der zweiten Aus-
18. Klavierlieder 339

gabe der Erlösungen beschwört mit dem Brunnen Geliebte bleibt fern, die Sehnsucht nach ihr beste-
im stillen Garten vordergründig ein romantisches hen. Die Vertonung gehört zu Strauss avantgardis-
Bild, das jedoch mit symbolistischen Anspielun- tischsten Liedern (zu einer anderen Interpretation
gen befrachtet ist: Brunnen wurden in symbolisti- der Dehmel-Lieder, insbesondere Leises Lied und
scher Lyrik sehr oft als Orte gegenseitiger Annähe- Am Ufer, siehe Youens 2010, 156–165).
rung herangezogen (z. B. begegnen sich in Debus- Der schon erwähnte Arbeitsmann (op. 39/3),
sys symbolistischer Oper Pelléas et Mélisande am mit seiner sozialen Komponente in deutlichem
Brunnen sowohl Mélisande und Golaud als auch Gegensatz zu Leises Lied, gemahnt mit seinem
Mélisande und Pelléas). Im Wasser des Brunnens Rhythmus und durch das zugrunde liegende f-Moll
spiegelt sich, was an die Geliebte erinnert; der an einen Trauermarsch. Obgleich überwiegend im
Brunnen hat jedoch auch etwas Bedrohliches Piano gehalten, ist der Gestus doch nach außen
(»Schacht« und »Schlund«), und wie in Waldselig- gerichtet, insbesondere durch tonmalerische Stel-
keit wird das Naturbild in der letzten Strophe auf len (z. B. Sechzehnteltriolen auf »Gewitterwind«).
die Beziehung zwischen Ich und Du übertragen Befreit (op. 39/4) berührt wieder die Bezie-
(erste Strophe: »In einem stillen Garten«; letzte hungsproblematik, jedoch auf eine in romanti-
Strophe: »in deinem stillen Garten«). Die für die scher Dichtung undenkbare Weise. Thematisiert
Zeit typische Esoterik ist schon im Titel Leises wird eine Trennung. Ob es eine glückliche Tren-
Lied angedeutet. – Strauss vertont das Lied in nung ist, mit der der liebende Partner den anderen
quasi schwebender Harmonik. Es endet auf einem von der Bindung »befreit«, oder ob es eine Tren-
B-Dur-Quartsextakkord, zudem ohne vorange- nung durch den Tod ist, bleibt offen: Auf letztere
hende Dominante, also quasi offen. Der Beginn Möglichkeit deutet die erste Zeile der dritten
bietet ein Beispiel sehr fortgeschrittener Klang- Strophe (»Es wird sehr bald sein, wir wissen’s
lichkeit. Die Folge d'-fis' in der Klavierunter- Beide«), auf erstere die dritte Zeile (»so geb’ ich
stimme deutet eher auf g-Moll als B-Dur, doch dich der Welt zurück«). In jedem Fall bleibt die als
entsteht keinerlei funktionale Assoziation, da sich glücklich empfundene Erinnerung, das Erschei-
die Harmonien überlagern: Im Vertikalen steht nen des Geliebten im »Traum«. Den »Traum« hat
auf »stillen« ein übermäßiger Dreiklang (fis'/b'/d'' ) Strauss in E-Dur komponiert, der Tonart, die die
und im Horizontalen ist ein Tritonusintervall letzten Takte (das Lied beginnt in e-Moll) be-
(d'/gis' ) bestimmend. Wenn sich die Harmonik stimmt; die abschließende nicht funktionale
dann am Ende der Strophe verfestigt, erklingt Tonartenfolge Cis-Dur, C-Dur, E-Dur verweist
nicht B-Dur, sondern b-Moll, passend auf die ebenfalls auf die Konnotation des Traumes. In
»lange graue Nacht«. Die Klanglichkeit des Be- Strauss’ Lied deutet nichts auf die zweite Interpre-
ginns prägt auch weitere Stellen des Liedes, so die tation hin: »Es wird sehr bald sein« ist zwar verhal-
zweite Zeile der zweiten Strophe (»um des Brun- ten vertont, jedoch keineswegs in Tonarten, die im
nens Schlund«) und die erste Zeile der dritten Zusammenhang mit dem Tod stehen. Und »so
Strophe (»Und wie in den Brunnen schimmern«). gab’ ich Dich der Welt zurück« führt nach D-Dur,
Zu solchen Stellen, die auch mit dem »Brunnen« der Tonart, die meist mit Licht verbunden wird.
an das Bedrohliche erinnern, kontrastieren helle Dehmels Kritik, Strauss’ Musik sei »etwas zu
Dur-Dreiklänge jeweils am Schluss der zweiten weich« für den Text (Schlötterer 1988, 192), könnte
und dritten Strophe: E-Dur in seiner bereits her- möglicherweise durch dem Text unterschwellig
vorgehobenen Bedeutung des Traums und des inhärente Intentionen motiviert sein, die in einer
Himmlischen für den sich im Brunnen badenden nur auf die emotionale Komponente ausgerichte-
»Mond«, D-Dur (Tonart des Lichtes) für den ten ›romantischen‹ Vertonung zu kurz kommen:
»Schein« der Augen der Geliebten. Diese positive Die romantische Idylle, in der das Einssein von
Ebene wird jedoch in der vierten Strophe wieder Ich und Du angestrebt ist, wird abgelöst durch
negiert, denn der Tritonus bestimmt in allen vier eine realistische Einstellung, die Einsicht nämlich,
Zeilen die Melodik (zuerst in absteigender, dann dem anderen die Freiheit wiederzugeben. Der
in aufsteigender Form) sowie das Nachspiel, das Traum zielt nicht auf eine Verwirklichung, deren
den Beginn des Liedes wieder aufnimmt: Die Erfüllung fraglich bleibt, wie in romantischer Ly-
340 Vokalmusik

rik, sondern bleibt Traum – oder auch Erinne- Kompositionen hervor, die nicht alle unter den
rung, die zur Erreichung von »Glück« genügt Begriff des ›Fortschrittlichen‹ fallen: Dies aber
(Getz 2003, 357 f.). entspricht einer Vielfältigkeit, wie sie Strauss auch
Im Lied an meinen Sohn (op. 39/5) ist es Deh- im Musiktheater anstrebte.
mel, wie er selbst betonte, gelungen, den »Sturm«
hörbar werden zu lassen: »[…] da war ich bei
meinen Eltern im Forsthaus – o war das herrlich,
dieser furchtbare Sturm!! Und nun hab ich’s aufge- Neubeginn nach der Liedpause:
schrieben; ist es nicht der Sturm?! […] Nicht wahr, Die vier Liedopera des Jahres 1918
man hört ihn und sieht ihn – und den Menschen,
im kleinen Haus, im Bett […]« (Schlötterer 1988, Dass Strauss sich nach einer längeren Pause der
195). Dass Dehmel unter Strauss’ Vertonungen Gattung Lied im Jahr 1918 gleich mit vier Opera
seiner Gedichte gerade dieses Lied (zusammen mit wieder zuwandte, ist weniger durch eine Rückkehr
Notturno, siehe ebd.) am meisten schätzte, beruht ins Private bedingt (Petersen 1986, 161), sondern
sicherlich auf der gelungenen tonmalerischen hängt mit zwei vollkommen unterschiedlichen
Komposition des Sturms, der sich im Gedicht als Aspekten zusammen. Zum einen lernte er 1917 die
Sinnbild des starken, seinen eigenen Weg gehen- Sängerin Elisabeth Schumann kennen, in der er
den Sohnes herausstellt. Der Sohn soll ganz er eine ideale Liedinterpretin zu finden hoffte; er
selbst sein (»hör’ zu! Er hat sich nie vor Furcht schrieb für sie nicht nur die Lieder auf Texte
gebeugt, horch, wie er durch die Kronen keucht: Clemens Brentanos op. 68, welche sie 1922 in
sei du! sei du!«), er soll seinem Vater nicht gehor- Salzburg aufführte, sondern orchestrierte für sie
chen, wenn dieser von »Sohnespflicht« redet. Für im Sommer 1918 noch fünf seiner früheren Lieder
Strauss mag das Gedicht besondere biographische (Petersen 1986, 162–164). Die Lieder op. 68 ent-
Bedeutung gehabt haben, da es in die Zeit der standen überwiegend im Februar 1918 (das letzte
Loslösung von seinen Eltern fiel, die mit seiner im Mai) und sind somit die ersten Liedkompo-
Heirat nicht einverstanden waren. Die wie auch sitionen nach der Pause. Zum anderen musste
im vierten Lied des Zyklus auskomponierte ›Durch Strauss noch einer Pflicht nachkommen, was zu
Nacht zum Licht‹-Konzeption wird dem Schluss zwei weiteren Liedopera führte (Preissinger 1993,
des Gedichts gerecht: Der Sturm erweist sich 53; Petersen 1986, 164–167). Strauss hatte mit dem
nicht – wie man zunächst vermutet – als Herbst- Musikverlag Bote & Bock 1903 einen Vertrag über
sturm, sondern als Frühlingsföhn, der positive die Lieferung von Liedern abgeschlossen, die –
Gefühle und Aufbruchsstimmung weckt. Strauss da sich Strauss intensiv der Opernkomposition
vertont diesen Gehalt zusätzlich zur Wendung widmete – 1918 immer noch nicht vollständig
nach C-Dur in aufwärtssteigenden Skalenbewe- vorlagen (seine Verpflichtung war durch den
gungen, exclamatio-Motiven, die sich in den letz- Druck der sechs Lieder op. 56 1906 nur zur Hälfte
ten Takten des Liedes immer mehr beschleunigen. erfüllt). Da der Verlag auf Strauss’ Bitte, die
Wenn auch Dehmel für Strauss nicht die Be- Forderungen zu annullieren, nicht einging, ver-
deutung hatte wie für Schönberg und Webern, so tonte er im März und Mai 1918 den Liederzyklus
bleibt doch festzuhalten, dass Strauss in seinen Der Krämerspiegel op. 66 TrV 236 auf Texte des
Liedern auf Dehmels Gedichte gerade harmonisch Theaterkritikers Alfred Kerr (1867–1948), in de-
sehr fortschrittlich komponierte. Allerdings be- nen die wichtigsten Verlage der damaligen Zeit
stimmte diese Eigenschaft Strauss’ Kompositions- aufs Korn genommen wurden. Bote & Bock je-
weise gegen Ende des 19. und in der ersten Dekade doch, keineswegs bereit, dieses auch ihren Verlag
des 20. Jahrhunderts generell, sie gipfelte in Sa- stark karikierende Opus statt der geforderten
lome wie Elektra. So mögen Dehmels in vielfältiger ›wirklichen‹ Lieder zu drucken, erzwang auf dem
Hinsicht moderne Gedichte zu einer Differenzie- Klageweg die Lieferung sechs weiterer Lieder.
rung der Strauss’schen Tonsprache beigetragen So kam es zur Entstehung der in zwei Heften
haben; das breite Spektrum der Texte, die Strauss publizierten Sechs Lieder op. 67 TrV 238 nach
auswählte, rief jedoch ein breites Spektrum an Texten von Shakespeare und Goethe (genaue Ent-
18. Klavierlieder 341

stehungsdaten sind nicht überliefert). Dass Strauss sich allenfalls ein Reflex im letzten Lied von
dem Verlag nicht einfach die bereits fertiggestell- op. 68, dem Lied der Frauen, dessen Titelzusatz bei
ten Brentano-Lieder schickte, hängt sicherlich mit Brentano (wenn die Männer im Kriege sind) von
seiner Protesthaltung zusammen, die sich, wie Strauss gerade weggelassen wurde. Dieses Lied
unten gezeigt wird, nicht nur im Krämerspiegel, erscheint jedoch eher als Anhang denn als Be-
sondern auch in op. 67 niedergeschlagen hat. standteil der vorangegangenen ›Liebeslieder‹, die
Schließlich komponierte Strauss zwischen dem am 30. Mai 1919 im Rahmen des erstmals nach
21. und 26. Juni 1918 noch die Fünf kleinen Lieder dem Krieg wieder stattfindenden Tonkünstlerfes-
op. 69 TrV 237 nach Gedichten von Achim von tes (Walter 2000, 312) in der Berliner Singakade-
Arnim und Heinrich Heine. mie uraufgeführt wurden. Das Lied der Frauen
Der Gegensatz zwischen den 1918 entstandenen hingegen erklang (möglicherweise mit Rücksicht
Liedopera könnte kaum größer sein: romantische auf manches Kriegsschicksal) erst am 29. Septem-
Lyrik in op. 68 und 69 einerseits – Strauss hatte ber 1920 in Dresden. Für die Beliebtheit der Lie-
erstmals Gedichte von Brentano und Arnim für der spricht, dass sie nach dem Erstdruck bei
sich entdeckt (zuvor waren es lediglich die Texte Fürstner 1919 ebendort 1920 in einer bibliophilen
aus dem von Arnim und Brentano herausgegebe- illustrierten Ausgabe erschienen.
nen Des Knaben Wunderhorn) –, somit nach der Die Liebeslieder beginnen mit einer Betonung
überwiegend zeitgenössischen Dichtung um des Sinnlichen – was auf die von Strauss hervorge-
1900 wieder ein dezidierter Rückgriff auf die erste hobene Modernität Brentanos verweisen mag –
Hälfte des 19. Jahrhunderts; andererseits mit und enden mit Amors Macht. Musikalisch unter-
op. 66 satirische, das Alltägliche betonende Ge- scheiden sich die Lieder von denen vor der Lied-
dichte, die auf Kunstrichtungen der 1920er Jahre pause: Die großen Opern von Salome bis zu
vorausweisen. Hinzu kommt die merkwürdige Ariadne haben ihre Spuren hinterlassen. So ist die
Auswahl aus Gedichten Goethes und Shakespeares Harmonik noch differenzierter gestaltet als in den
(s. u.). Die Gegensätzlichkeit lässt sich jedoch avantgardistischen Dehmel-Liedern. Sie weist
nicht auf das Nebeneinander von ›eigentlichen‹ mehr unerwartete und ungewöhnliche Übergänge
Liedern (mit romantischen Texten) und pragma- auf, zum Teil mit Rückungen und Folgen von
tisch ausgerichteten Liedern (Krämerspiegel ) redu- Medianten, zum Teil rückführbar auf funktionale,
zieren, sondern ist im musikästhetischen Denken jedoch verfremdete Modelle. Insgesamt neigt
von Strauss verwurzelt. Strauss zur Ausschöpfung der chromatischen To-
Zunächst sei auf die Brentano-Lieder eingegan- tale, also der Berührung möglichst vieler Tonarten,
gen (Petersen 1986, 161–187). Wie aus dem Brief- wie das erste Brentano-Lied An die Nacht zeigt
wechsel mit Hugo von Hofmannsthal hervorgeht, (Haselböck 2000, 183). Die Melodik tendiert zum
beschäftigte sich Strauss Ende 1917 und Anfang Deklamatorischen, Unregelmäßigen, Prosaischen.
1918 mit Brentano, dessen Roman Godwi er als Der Klavierpart nimmt, wie in den Orchesterlie-
»überaus modern« empfand, während Hofmanns- dern, motivisch-thematische Gestaltungsweisen
thal ihm Arnims Gräfin Dolores »wegen der einge- der Symphonischen Dichtung auf. Hinzu kommt
streuten Gedichte« zur Lektüre empfahl (RSHH ein in den Brentano-Liedern sehr auffälliges und
403 f.). Strauss diskutierte also mit seinem Libret- neues Merkmal, nämlich die stark melismatische
tisten über romantische Dichtung, in der Absicht, Prägung der Singstimme. Einzelne Worte werden
neue Lieder zu schreiben. Die Gedichte Brenta- verziert, daraus entstehen Motive, die sowohl in
nos, die Strauss vertonte, entstammen fast alle der Singstimme als auch im Begleitpart fortge-
Dramen, Lustspielen oder Märchen, waren also in führt werden. Dies könnte man darauf zurückfüh-
größere Werke integriert, wenn Strauss sie wohl ren, dass Strauss die Lieder für Elisabeth Schu-
auch der Gesamtausgabe der Gedichte Brentanos mann besonders virtuos gestalten wollte. Offen-
entnommen hat (Schlötterer 1988, 76–83). Die sichtlicher erscheint jedoch eine absichtliche
Hinwendung zur Romantik mutet insofern merk- ›Künstlichkeit‹.
würdig an, als sie in politisch brisanter Zeit er- Ich wollt ein Sträußlein binden op. 68/2 behan-
folgte, dem letzten Jahr des Krieges. An ihn findet delt ein beliebtes dichterisches Motiv: Eine Blume
342 Vokalmusik

bittet, sie nicht zu brechen, weil sie sonst vorzeitig Sechzehntelfigur (zuerst in der Begleitung T. 5,
sterben müsse. Wie in Goethes bekanntem Ge- dann auf »klarem« in T. 8, schließlich um zwei
dicht (»Ich ging im Walde so für mich hin«) lässt Sechzehntel erweitert auf »-schafe« in T. 12), zwei-
sich das lyrische Ich erweichen. Es gräbt die aus tens die Zweiunddreißigstel-Triole (T. 5 und 8
seinen Tränen erwachsene Blume aber nicht, wie zusammen mit der ersten Verzierung, dann bei der
bei Goethe, aus, sondern lässt sie stehen und ver- Wiederholung von »Säusle, liebe Myrthe«), die
zichtet auf das »Sträusslein« für den »Schatz«, der auch tonmalerisch das Girren der Turteltaube und
daraufhin »ausbleibt«. Das wesentliche Wort das Rauschen der Brunnen begleitet, und drittens
»Sträusslein« wird im zweiten Takt in der Sing- das sehr auffällige und ungewöhnliche Motiv auf
stimme melismatisch durch Triolierung aus einem »Schlaf« (T. 15), das die Begleitung der Schlaf-
deklamatorischen Kontext herausgehoben. Im bzw. Traumstrophe »Selig, wen die Wolken wie-
Zwischenspiel zur zweiten Strophe sowie in dieser gen« dominiert. Der Einsatz dieser Motive erin-
selbst bestimmt dieses ›Motiv‹ die Begleitstimme nert an die motivische Struktur der Sympho-
ebenso wie das Wort »Wangen«. Während das nischen Dichtungen oder auch der daran
Motiv in den Strophen 3 bis 5, die das Mitleid mit orientierten Orchesterlieder (Schmierer 1991).
der Blume thematisieren, fehlt, wird es im Zwi- Als mir dein Lied erklang op. 68/4 wirkt hinge-
schenspiel nach der letzten Zeile der fünften gen fast wie eine Rückwende durch die gleichmä-
Strophe »Nun aber darf ’s nicht sein« im Begleit- ßig durchlaufende Begleitstruktur; die Singstimme
part auf die Worte »ausgeblieben« und »allein« ist zwar durch einige Melismen und der Klavier-
wieder aufgenommen und verknüpft so das satz durch eine differenzierte Harmonik geprägt,
›Nicht-Brechen‹ der Blume mit dem eigenen Leid. jedoch findet sich nicht die Künstlichkeit der
Zwar passt das Motiv – eine jugendstilhafte florale vorangehenden Lieder. Hingegen steigert Strauss
Dreiklangsauszierung aus Moll- und Durdrei- die Koloraturen der Singstimme des nachfolgen-
klang – auf das Wort »Sträusslein«, zu dem es das den Liedes Amor ins Extreme: eine Annäherung
erste Mal erscheint. Aber trotz seiner Mollfärbung an die Opernarie allgemein und eine konkrete
kongruiert es keineswegs mit dem Text der letzten Erinnerung an Ariadne mit der koloraturenreichen
Strophe, wirkt dort vielmehr künstlich und aufge- Arie der Zerbinetta, die den buffonesken, flat-
setzt: Der romantische Text erscheint in Anfüh- terhaften Frauencharakter verkörpert, auf den in
rungszeichen. In einer Art Widerspruch steht auch Amor angespielt wird. Die Assoziation an Ariadne
die leicht-lockere Verzierung zu den fast übertrie- mit ihrer Konfrontation von Buffonesk-Heite-
benen Tonmalereien, z. B. gleich in der zweiten rem und Seriös-Ernstem (Gier 2005 und Schmie-
Zeile der ersten Strophe auf »dunkle Nacht«, die rer 2014) ist durch das Gegeneinander von leich-
nicht nur durch die Wendung zur Variante f-Moll, tem Ornamentalen und ernstem Ausdruckshaften
sondern auch durch eine Rückung von a-Moll auch den Brentano-Liedern inhärent. Die ästhe-
nach as-Moll hervorgehoben wird. Am Beginn der tischen Grundlagen, die die Konzeption von
zweiten Strophe (»Da flossen von den Wangen«) Ariadne bestimmten, hat Strauss nicht nur in sei-
wird das ornamentale Motiv mit der Tonart nen weiteren Opernkompositionen, sondern auch
es-Moll (der Todestonart) kombiniert, zu der es in seinen Liedern insbesondere des Jahres 1918
eigentlich nicht passt, und es folgt eine übertrie- verfolgt.
bene Seufzermotivik auf die »in den Klee« fallen- Den eigentlichen Kontrast zum ›Ernsten‹ bil-
den »Tränen« durch mit Pausen unterbrochene det dann freilich der Krämerspiegel nach Texten
überwiegend chromatisch abfallende Zweiton- von Alfred Kerr, der zudem ein Libretto für
motive, die in fis-Moll enden (die Modulation Strauss nach Wielands Peregrinus Proteus (Kon-
von es-Moll erfolgt über den übermäßigen Quint- häuser 1998), plante, das jedoch nicht zustande
sextakkord zum Dominantquartsextakkord nach kam. Die zwölf Lieder sind textliche und musika-
fis-Moll). lische Satiren auf die bekanntesten Musikverlage
Im nächsten Lied Säusle, liebe Myrthe op. 68/3 der Zeit, wobei nur Fürstner, der Hauptverleger
hat Strauss das Ornamentale durch gleich drei von Strauss, verschont blieb. Den Anlass für die
Verzierungen gesteigert: erstens die aufsteigende Entstehung bildete sicherlich nicht nur Strauss’
18. Klavierlieder 343

Ärger über Bote & Bock und damit die Querelen drang«; Nr. 10 nimmt Bezug auf den Rosenkavalier
mit den Verlegern um die Neufassung der musika- (»Ochs von Lerchenau« wird mit den Verlegern
lischen Urheber- und Aufführungsrechte (Litera- gleichgesetzt); Nr. 11 bringt Zitate aus Ein Helden-
turangaben bei Federhofer 1968, 260; s. Kap. 6), leben, wobei mit dem in Anführungszeichen und
sondern auch die Diskussion um die Künstlerpro- Majuskeln gesetzten Helden natürlich der Künst-
blematik, die sich im Briefwechsel zwischen Hof- ler gemeint ist: »Die Händler sind […] des
mannsthal und Strauss auch noch nach Ariadne ›HELDEN‹ Widersacher«; Nr. 12 nennt abschlie-
verfolgen lässt (Schmierer 2014). Die Gedichte ßend den fiktiven Schöpfer der Lieder, Till Eulen-
wurden von Strauss mit Hilfe von Zitaten und spiegel, mit dem passenden Zitat aus der gleichna-
Idiomen anspielungsreich vertont (Federhofer migen Symphonischen Dichtung. Neben direkten
1968). Das Opus lässt sich in zwei Teile gliedern: Zitaten nutzt Strauss zahlreiche Idiome zur Text-
Die Lieder 1–7 beziehen sich auf konkrete Verlage, ausdeutung. In Nr. 2 erinnert der Walzer an den
deren Namen verballhornt werden, die Lieder Rosenkavalier; eine Polka »entlarvt« »Herrn Fried-
8–15 behandeln das Verhältnis zwischen Kompo- mann« in Nr. 4 (das sehr ernst mit einer
nist und Verlag generell bzw. die Künstlerproble- Fugenexposition in b-Moll zur Charakterisierung
matik in übergreifender Weise. Nr. 1 thematisiert der »Drei Masken« beginnt); Nr. 12 setzt mit ei-
allerdings nicht einen Verlag, sondern den Kom- nem »Langsamen Ländler« in C-Dur an, bevor
merzienrat Hugo Bock, der im Streit mit den sich der »wahre Autor« Till Eulenspiegel im medi-
Komponisten die Seite der Musikverleger vertrat antisch erreichten Des-Dur offenbart. Das Vor-
(»Es war einmal ein Bock, der fraß an einem Blu- spiel aus Nr. 8 und das Nachspiel zum letzten Lied
menstock«; wobei die Blumen mit der Musik hat Strauss 23 Jahre später in der Mondlicht-Musik
gleichgesetzt werden). Nr. 2 richtet sich an den seiner Oper Capriccio wiederverwendet (Zycho-
Verlag Bote & Bock (»Einst kam der Bock als Bote witz 2004, 269). Der Krämerspiegel nimmt keines-
zum Rosenkavalier an’s Haus«), Nr. 3 an Breitkopf wegs eine Nebenrolle in Strauss’ Liedœuvre ein,
& Härtel sowie deren Teilhaber Oskar von Hase sondern steht durch die Doppelbödigkeit der
(»Es liebte einst ein Hase […] sein Breitkopf hart Gestaltung zentral für sein Schaffen seit den 1910er
und härter war«), Nr. 4 an den Drei-Masken- Jahren: Idiome und Zitate werden uneigentlich
Verlag (»Drei Masken sah ich am Himmel stehn«), verwendet, Strauss mokiert sich selbst über seine
Nr. 5 an den Verlag der Gebrüder Reinecke (»Hast eigenen ›ernsten‹ Kompositionen der vorangegan-
du ein Tongedicht vollbracht, nimm vor den genen Zeit.
Füchsen dich in Acht, denn solche Brüder Reine- Die Künstlerproblematik beschäftigte Strauss
cke, die fressen dir das Deinige!«), Nr. 6 an die 1918 nicht nur in Bezug auf das Verhältnis zwi-
Verlage Kahnt und Robert Lienau (»Wer in gewis- schen Komponist und Verleger, sondern weiterhin
sen Kähnen kahnt, dem steigt das Wasser bis zum auch zwischen Komponist und Publikum. Bei
Hals. […] lustwandle auf der Lienau nicht, weil Goethe fand er, dass es mit der Kunst in früheren
dort der lange Robert spukt«), Nr. 7 an Schott Zeiten auch nicht besser war. Goethes Satz, den
und dessen Inhaber Ludwig Strecker (»Unser Hofmannsthal Strauss vorzitierte, lautete: »Man
Feind ist, großer Gott, wie der Brite so der Schott. darf nicht ins deutsche Publikum hineinhorchen,
[…] täglich wird er kecker. O du Strecker!«). wenn man die Lust zum Arbeiten behalten will«
Die Lieder 8–12 sind außer durch die satiri- (8.7.1918; RSHH 410). Die Texte, die Strauss von
schen Texte vor allem von ironischen Anspielun- Goethe für seine vom Verlag geforderten Lieder in
gen an Strauss’ Tondichtungen und Opern ge- op. 67 wählte (Nr. 4, 5, 6), sind von diesem Satz
prägt: Beispielsweise erklingt in Nr. 8 ein Zitat aus geprägt und berühren sich inhaltlich mit denen
Tod und Verklärung auf den Text über die Händler des Krämerspiegels – die vom Verlag geforderten
»Sie bringen der Musik den Tod, sich selber die ›richtigen‹ Lieder sind von den abgelehnten ›un-
Verklärung«; in Nr. 9 (das sogenannte ›Wanzen- richtigen‹ thematisch also nicht grundsätzlich
lied‹, dessen Harmonik sehr dissonanzenreich ist) verschieden. Da es sich jedoch um Texte von
erscheinen Motive aus Don Juan und Tod und Goethe handelte, konnte sich Strauss sicher sein,
Verklärung auf »ein Lobgesang zum Himmel dass der Verlag sie nicht ablehnen würde. Die
344 Vokalmusik

Texte »aus den Büchern des Unmuts des Rendsch darauf verweisen wollte, dass die Forderung nur
Nameh« aus Goethes West-östlichem Divan stehen Wunsch bleiben kann, mag der Interpretation des
in deutlichem Bezug zur Künstlerproblematik. Hörers überlassen bleiben.
Das erste Lied Wer wird von der Welt verlangen ist Die Musik des dritten Lieds, Wanderers Ge-
eine Kritik an der Welt, die nur »nach dem schnel- mütsruhe, ist ein Kontrapunkt zur Thematik des
len Leben« ausgerichtet ist und dabei den »Tag des Gedichts, dem Ertragen des »Niederträchtigen«:
Tags versäumt«, den gerade für die Kunst so wich- Nicht nur die aufwühlende Triolenbewegung in
tigen Augenblick missachtet. Das Vorspiel expo- chromatisch geprägter Harmonik, sondern insbe-
niert grundlegende Züge der Harmonik: Die sondere der Schluss wirkt als Protest: Hier werden
›Haupttonart‹ F-Dur, die für die Welt steht, wird es und e in der Aufeinanderfolge und im Dreiklang
erst am Ende der zweiten Zeile (T. 10) erreicht; gegeneinandergesetzt – der Klang erscheint ver-
die rezitativische erste Zeile bringt die Töne des fremdet.
F-Dur-Dreiklangs, doch stehen sie auf dem Die Texte der drei ersten Lieder von op. 67
Sekundakkord zu B-Dur (es / f /a /c' ). In den ersten stammen von dem großen Dichter, der von Hof-
drei Takten prägt Strauss die Harmonik durch mannsthal zusammen mit Goethe in einem Atem-
Tritonusbezüge, Medianten und Rückungen, so- zug genannt wurde: William Shakespeare. Bei den
mit überwiegend durch nicht-funktionale Ak- Gedichten – den ersten und einzigen, die Strauss
kordfolgen (fis-Moll, C-Dur, D-Dur, b-Moll, von ihm vertonte – handelt es sich um Drei Lieder
f -Moll). Erst im vierten Takt lässt sich, wenn auch der Ophelia aus der sogenannten ›Wahnsinnsszene‹
durch dissonante Töne verschleiert, eine Kadenz des Hamlet (vierter Akt, fünfte Szene) in der Über-
mit Doppeldominante, Dominante und Moll- setzung von Karl Simrock, die wohl zu gleicher
tonika als Gerüst verfolgen. Das Vorspiel wird, bis Zeit wie die berühmtere von Schlegel und Tieck
auf den Schlussakkord, zu den Liedzeilen wieder- entstanden ist. »Ophelia (im Wahnsinn)« ist der
holt und somit textlich bezogen: Der Tritonus – erste Einsatz der Gesangsstimme erklärend über-
die Distanz betonend – steht für »was sie selbst schrieben – eine Reminiszenz an Elektra, die
vermißt«, die Mediantfolge D-Dur – b-Moll für Strauss durch eine dazu passende, die Grenzen der
»und träumet« (Mediantfolgen wurden oft als Tonalität streifende Harmonik auskomponiert hat.
Symbol des Traums gedeutet, siehe Stenzl 1991). Damit provozierte er den Verlag, der sich sicher
Die Rückung von fis-Moll nach f-Moll bestimmt etwas anderes vorgestellt hatte. Das Erste Lied der
auch den Schluss des Liedes. Am Ende steht Ophelia gehört zu den harmonisch progressivsten
a-Moll im Pianissimo, eine Mediante zu f-Moll, Liedern von Strauss – einer der zahlreichen Belege
ebenfalls als Tonartfolge des Traums zu deuten. dafür, dass Strauss nach dem Rosenkavalier keines-
Noch deutlicher nimmt das zweite Lied Hab wegs ›rückschrittlich‹ komponiert hat: Eine
ich euch denn je geraten auf die Künstlerproblema- Grundtonart ist nicht auszumachen, das ohne
tik – das mangelnde Verständnis zwischen Künst- Vorzeichen notierte Lied beginnt und endet mit
ler und Publikum – Bezug: Das lyrische Ich, der dem Akkord c'/d'/a' (in der linken Hand). Zu-
Künstler, fragt die Menschen, ob er ihnen »je grunde zu liegen scheint zwar d-Moll, das jedoch
geraten« habe, wie sie Kriege führen sollen, die nicht nur durch die siebte Stufe c, sondern auch
Fischer ihre Netze werfen, die Tischler ihr Winkel- durch chromatische Nebennoten gestört wird. Die
maß benutzen sollen; die Menschen – respektive linke Hand besteht aus fast durchgehend repetier-
das Konzert- oder Opernpublikum, die Verlage – ten dreistimmigen, überwiegend dissonanten Ak-
aber wollten besser wissen, was er zu tun habe. korden in synkopischem Rhythmus (den Wahn-
Stattdessen solle das Publikum lernen, die Werke sinn versinnbildlichend), in der rechten Hand
des Künstlers zu akzeptieren: »Seht ihr aber meine durchzieht ein chromatisch geschärftes Motiv
Werke, lernet erst: so, so wollt er’s machen« lautet quasi als ›Wahnsinnsmotiv‹ (T. 2–4) im Wechsel
die letzte Zeile. Ob der die einfache Es-Dur-Ka- mit einem Tritonus (T. 9/10) das ganze Lied. Die
denz ›verfremdende‹ Mediantklang Ges-Dur eine seltenen reinen Dreiklänge sind aufschlussreich:
Demonstration künstlerischer Freiheit ist, die das C-Dur erscheint in T. 15 auf die banalen Worte
Publikum zu akzeptieren habe, oder ob Strauss »und den Sandalschuhn«, denen auch melodisch
18. Klavierlieder 345

ein C-Dur-Dreiklang zugrunde liegt. Das d-Moll Lieder nach 1918:


auf »ihm zu Häupten grünes Gras« verweist auf Gesänge des Orients op. 77
den Tod, genauso wie das H-Dur von »Auf seinem und späte Einzellieder
Bahrtuch«. Die Tonart des Traums, der Verklärung,
des Himmlischen, der Liebe, E-Dur, erklingt zwar So ertragreich Strauss’ Liedschaffen des Jahres 1918
zweieinhalb Takte und somit die längste Zeit auf war, so wenige Lieder entstanden in den Jahren
das Schlusswort »Liebesschauern«, wird jedoch von danach. Zwar hat Strauss Klavierlieder instrumen-
cis-Moll und dem hereintönenden Wahnsinnsmo- tiert und mit den drei Hölderlin-Hymnen op. 71
tiv abgelöst, das auch das Nachspiel bestreitet. TrV 240 von 1921 ebenso wie mit den sogenannten
Wie in vielen Liedopera um die Jahrhundert- »Vier letzten Liedern« TrV 296 von 1948 noch zwei
wende (s. o.) hat Strauss das zweite Ophelia-Lied große Orchesterliedopera geschaffen. Als Klavier-
»Guten Morgen ’s ist Sankt Valentinstag« gegen- lieder entstanden in den nahezu 30 Jahren nach
sätzlich – »Lebhaft« – gestaltet; die Dreiklangshar- 1918 jedoch nur noch die Gesänge des Orients op. 77
monik lebt jedoch von ständigen Mediantfolgen TrV 257 und ca. 13 Einzellieder (die Zusammenfas-
oder raschen Rückungen (am Beginn e-Moll – sung mehrerer Lieder als op. 87 und 88 nahm erst
c-Moll – a-Moll – H-Dur – G-Dur usw.), der der Verleger in der Gesamtausgabe von 1964 vor;
vordergründig leichte Charakter wird verzerrt und s. o.). Zu den späteren, nicht in Zyklen vereinigten
persifliert. Das letzte Lied übertrifft die negative Kompositionen gehören auch zwei kurze Goethe-
Charakteristik des ersten. Die Todestonart es-Moll Lieder, die bedeutenden Personen gewidmet sind:
ist in der ersten Begleittriole ausgeprägt; Hoff- Romain Rolland 1925/26 (Durch allen Schall und
nung erweckt ein E-Dur-Akkord nach »und Klang TrV 251) und Gerhart Hauptmann 1942
kommt er nimmermehr?«, doch setzt nach »Er ist (Xenion TrV 282). Dass das Lied für Strauss an
tot, o weh!« eine Triolierung in as-Moll ein (Preis- Bedeutung verlor, mag einerseits damit zusam-
singer 1993; Youens 2010, 170–177). menhängen, dass die Liedkomposition in den
Den Abschluss der Liedkompositionen des 1920er Jahren generell rückgängig war: Ein Rekurs
Jahres 1918 bilden die Fünf kleinen Lieder op. 69, auf frühere Jahrhunderte im Sinne des Neoklassi-
deren erste drei (Archim von Arnim) weniger zismus sowie die geforderte Neue Sachlichkeit lie-
komplex gehalten sind und sicherlich aus diesem ßen sich nicht in Einklang bringen mit einer Gat-
Grund den ›bescheidenen‹ Titel tragen. Mit den tung, deren Tradition insbesondere dem 19. Jahr-
beiden sehr ambivalenten Heine-Gedichten – das hundert verhaftet war. Andererseits widmete sich
erste, Waldesfahrt (»Mein Wagen rollet langsam«), Strauss wieder verstärkt der Oper, und sein Enga-
hatte Schumann einst für die Dichterliebe kompo- gement in Wien ließ die Liedkomposition bis 1924
niert und vor der Drucklegung aus dem Zyklus vollständig in den Hintergrund treten.
entfernt – kehrte Strauss jedoch zum anspruchs- Insgesamt wandte sich Strauss in den Klavier-
vollen Stil der vorherigen Opera zurück. liedern verstärkt östlicher Lyrik zu: Hans Bethge
Insgesamt verstärken die Liedopera des Jahres in op. 77 und dem West-östlichen Divan von Goe-
1918 die in den Liedern um die Jahrhundertwende the. Hierzu gehören auch die drei Rückert-Ge-
angelegten Tendenzen: die Gegensätzlichkeit von dichte Und dann nicht mehr, Vom künftigen Alter
Ernstem und Heiterem als künstlerisches Prinzip, und Im Sonnenschein, die auf die persische Ghasel-
in Ariadne erprobt; die Differenzierung der nach Strophe zurückgehen (Petersen 1986, 100 f.). Für
Elektra keineswegs einfacheren Harmonik, die die Gesänge des Orients op. 77 – Nr. 1–4 entstan-
Strauss zur Charakterisierung bestimmter The- den am 14. und 15. August, Nr. 5 am 24. Septem-
menbereiche immer noch bis an die Grenze der ber 1928 – war wohl wieder Elisabeth Schumann
Tonalität führt; die Übernahme motivischer Tech- die Inspirationsquelle, ihr und ihrem Mann Karl
niken der Symphonischen Dichtungen. Hinzu Alwin sind die Lieder auch gewidmet. Strauss
kommt, insbesondere im Krämerspiegel und den schuf jedoch kaum orientalisierende Idiome, son-
Goethe-Liedern, eine verstärkte Auseinanderset- dern führte seine Tonsprache weiter, allerdings
zung mit der die Opern von Ariadne bis Capriccio harmonisch weniger komplex als in den meisten
prägenden Künstlerproblematik. Liedern von 1918. Das Lied, vor allem das Klavier-
346 Vokalmusik

lied, hatte als Gattung in Strauss’ Œuvre seine Klavierlied, Malven TrV 297 nach Betty Knobel,
Bedeutung und seine Brisanz verloren, der Höhe- weitaus progressiver komponiert: mit unerwarte-
punkt war mit den Liedopera des Jahres 1918 ten harmonischen Wendungen und Härten sowie
überschritten. einem klanglich spärlichen Satz. Strauss hatte das
Es scheint fast paradox, dass gerade seine be- Lied in der Weltwoche bei einer Besprechung des
kanntesten Lieder, die »Vier letzten Lieder«, in Bandes Neue Gedichte von Knobel gefunden, am
seine liedarme Spätzeit fallen. Als ›Schwanenge- 23.11.1948 in Montreux komponiert und im März
sang‹ nehmen sie jedoch eine besondere Stellung 1949 Maria Jeritza (»Der geliebten Maria diese
ein und werden als Fortführung seiner radikalsten letzte Rose!«) geschickt, der Interpretin von Octa-
Tendenzen durch eine Verfeinerung der Harmo- vian, Ariadne, Helena. Sie gab das Lied zu ihren
nik anstatt einer Rückkehr zu konventionellen Lebzeiten nicht frei (Kissler 1993; Youens 2010, 311,
Prinzipien interpretiert (Kaplan 1994). Allerdings Anm. 4). Erst nach ihrem Tod 1983 wurde es in
ist im Vergleich mit diesen auch in der Klavierfas- ihrem Nachlass gefunden und 1985 in New York
sung sehr klangsatten Liedern Strauss’ letztes von Kiri Te Kanawa uraufgeführt.

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348

19.
Orchesterlieder
Von Christian Thomas Leitmeir

Das Orchesterlied ben dieses Lied seiner Intimität, Innerlichkeit und


zur Zeit von Strauss Lyrizität. Siegmund von Hausegger fürchtete,
dem Gesang trete »eine geradezu erdrückende
»Die neuen ›Gesänge‹ sind schwer zu klassifizieren: Fülle von real-melodischen Instrumenten zur
weder Lied noch Arie, noch dramatische Scene, Seite, die durch ihre individuellen Klangfarben die
haben sie von alledem etwas« (Hanslick 1900, 76). Individualität des Sänger zu ersticken drohen«
Was der 75-jährige Musikkritiker Eduard Hanslick (Hausegger 1902/1921, 211), während sich das Kla-
anlässlich einer Wiener Aufführung von Mahlers vier durch seinen Mangel an lyrischer Melodizität
Liedern eines fahrenden Gesellen und dreier Wun- dem Gesang automatisch als Begleitinstrument
derhorn-Lieder zum Ausdruck brachte, trifft den unterordne (ebd., 209). Folgt man dieser Auffas-
Kern des gattungstechnischen Problems. Die Be- sung, dann wäre das Orchesterlied schlechthin
zeichnung »Orchesterlied« ist nämlich auf vielerlei kein Lied im Verständnis des 19. Jahrhunderts
Ebenen von Unbestimmbarkeit charakterisiert, mehr (weshalb Hausegger und in seiner Nachfolge
welche die Geläufigkeit des Begriffs fundamental auch Danuser 1977 den Begriff »Orchestergesang«
konterkariert. Bereits wenn man das Kürzel als bevorzugen).
›Lied für Solostimme und Orchester‹ ausbuchsta- Dem steht das evolutionistische Argument
biert, ergeben sich weitreichende, letztlich in die entgegen, dass sich zwar die Art der Liedbeglei-
Aporie weisende Fragen danach, ob es sich bei tung, aber nicht das Lied im Lauf der Zeiten ge-
derartigen »Liedern« um eine Gattung handelt wandelt hat: Anfangs vom Sänger selbst (auf der
und wie diese gegebenenfalls mit anderen Gattun- Laute oder Gitarre) ausgeführt, wurde die Beglei-
gen verwandt ist. Erstere Frage lässt sich auf den tung im 19. Jahrhundert zunächst einem Pianisten
ersten Blick leicht beantworten: Die Vielzahl der (klavierbegleitetes Kunstlied), dann dem Orches-
zwischen 1890 und 1930 entstandenen Werke für ter übertragen (Orchesterlied). Die Formel ›Fort-
Solostimme und Orchester, die man im weiteren schritt = Vergrößerung des Apparats‹ wurde im
Sinne der musikalischen »Moderne« zuordnen musikphilosophischen Schrifttum, etwa der Musik-
kann (Danuser 1977, 425 f.), lassen neben einer ästhetik Grunskys (Grunsky 1907, 133), ebenso
strukturellen Ähnlichkeit auch eine Gattungszu- vertreten wie in den weniger systematisch ausgear-
sammenhörigkeit vermuten. Terminologisch wä- beiteten Künstler-Ästhetiken, die sich in Äuße-
ren sie folglich unter die übergeordnete Gattung rungen von Komponisten greifen lassen. Mahler,
des Lieds zu subsumieren – eine Unterordnung, der selbst zu einem Wegbereiter des modernen
die bereits um 1900 im ästhetischen Schrifttum Orchesterlieds avancierte (und dieses wiederum in
problematisiert wurde (Bracht 1993, 13–74): So- sein symphonisches Schaffen inkorporierte), ver-
wohl der Aufführungsrahmen des großen Kon- teidigte den Hang zur opulenten Besetzung drei-
zertsaals als auch die (im Vergleich zum Klavier) fach: mit größerer Klarheit der Werkaussage (und
vielstimmige Besetzung des Begleitapparats berau- damit dem Schutz »vor falscher Auslegung«), mit
19. Orchesterlieder 349

der Ausdifferenzierung des Farbenspektrums und zertwesen ist das Orchesterlied der Opernszene
mit der akustischen Notwendigkeit, riesige Kon- oder Konzertarie verwandt, die (alternativ zum
zertsäle zu füllen, um ein großes Publikum zu Solokonzert) einen festen Bestandteil im Sympho-
erreichen (Brief an Gisela Tolnay-Witt, 7.2.1893; niekonzert bildete, das seit dem 19. Jahrhundert
Mahler 1982, 106–109). von der typischen Abfolge: Ouvertüre – Werk für
Die evolutionistische Auffassung von der ste- Solo und Orchester – Pause – Symphonie geprägt
tigen Erweiterung des Orchesterapparats findet war (allerdings im 20. Jahrhundert von der zeitge-
direkte Bestätigung in den Orchestrierungen von nössischen Musikkritik durchaus negativ beurteilt
Kunstliedern, die sich im 19. Jahrhundert und bis wurde, vgl. etwa Bie 1926, 222). In gewisser Weise
ins 20. Jahrhundert wachsender Beliebtheit erfreu- rückte das Orchesterlied also an die Stelle der
ten. Demgemäß wäre das Orchesterlied als abge- Konzertarie bzw. dramatischen Szene, als deren
leitete Gattung des Lieds für Solostimme und Beliebtheit allmählich schwand. Über die Hinter-
Begleitinstrument zu sehen – eine Praxis freilich, treppe leistete sogar das Kunstlied Anteil an dieser
die leicht in den Verdacht geraten konnte, den Entwicklung: Während es im Zuge der Vereinheit-
eigentümlich lyrischen Charakter der Gattung lichung aus den gemischten Konzertprogrammen
soweit zu veräußerlichen, dass vom Lied im enge- verschwand, erfuhr es eine institutionelle Aufwer-
ren Sinne nicht mehr die Rede sein kann (Haus- tung durch Liederabende, wodurch es (nach er-
egger 1902/1921; Louis 1909, 236) oder ein komi- folgter Orchestrierung) wiederum für würdig be-
sches Missverhältnis zwischen Singstimme und funden wurde, ins Symphoniekonzert aufgenom-
riesenhaft aufgeblähter Begleitung entstehen zu men zu werden (Danuser 1977, 428 f.). In gewisser
lassen (man denke nur an Wagners Bonmot vom Weise rückt das Orchesterlied dadurch in die
Orchester als »monströse Gitarre zum Akkompa- Nähe des Opernhaften. Felix Mottls Orchestrie-
gnement«, Wagner 1860/1983, 93). Darauf antwor- rung von Wagners Wesendonck-Liedern, um nur
teten Komponisten über die Grenzen der deut- ein besonders symptomatisches Beispiel zu nen-
schen und französischen Musiktradition hinweg nen, transformierte das Original in eine nach
(für letztere etwa Koechlins Aufsatz über die Mé- Maßstäben des Musikdramas zu rezipierende Art
lodie française; Fauser 1994, 77 f.) mit dem dialek- ›Tristan in Liedform‹.
tischen Argument, dass die Besetzungsstärke dank Das Vorbild Wagners war auch insofern bedeu-
ihres Differenzierungs- und Nuancierungspoten- tend, als sich etliche Komponisten von Orchester-
tials nicht etwa die Intimität des Lieds untermi- liedern (etwa Chausson, Poème de l’Amour et de la
niere, sondern sogar erst im gesteigerten Sinne Mer op. 18, 1882–1892) nicht nur bewusst auf seine
hervorbringe (wodurch in letzter Konsequenz das Musiksprache beriefen, sondern zugleich auf die
klavierbegleitete Sololied als defizitär anzusehen erfolgreiche Auskopplung berühmter Szenen aus
wäre). seinen Musikdramen rekurrierten, etwa die Grals-
Ungeachtet der Frage, ob sich hinter der spitz- erzählung aus Lohengrin, »Wotans Abschied« aus
findigen Verteidigung ein wahrer Kern verbirgt, der Walküre oder »Isoldes Liebestod« (oft mit dem
artikuliert sich in diesem Konflikt eine ästhetische Vorspiel zum ersten Tristan-Aufzug kombiniert).
Herausforderung: den lyrisch-intimen Charakter Dass in solchen Fällen die Opernszene entweder
des Liedes zu retten, während die Begleitung vom rein symphonisch oder mit Gesangssolisten darge-
(sich im Idealfall selbst begleitenden) Dichter- boten werden konnte, mochte einen zusätzlichen
Sänger abgetrennt und dem Orchesterensemble Anreiz bieten, um die Bindung des Orchesterlieds
anvertraut wird. Denn mit diesem Kriterium steht vom traditionellen Lied zu lösen (empfohlen etwa
und fällt die Definition des Orchesterlieds als von bekennenden Wagnerianer Hausegger 1926).
Lied. Glaubt man dem Musikschriftsteller Rudolf
Sieht man einmal von der (schon etymolo- Louis, so fungierte Wagner als Vorbild für die
gisch) naheliegenden Ableitung aus einer überge- quantitativ erhebliche Produktion von Orchester-
ordneten Gattung ›Lied‹ ab, offenbaren sich Fami- liedern innerhalb der sogenannten Münchner
lienähnlichkeiten auf einem ganz anderen Gebiet. Schule (darunter Max Schillings, Siegmund von
Gemäß seiner Besetzung und Funktion im Kon- Hausegger, Walter Courvoisier, Ernst Boehe, zeit-
350 Vokalmusik

weilig auch Strauss), die Louis (unter Missachtung verwandter, ausdrucksfähiger Instrumente (zu
der französischen Tradition) zum Zentrum der denen eben das Klavier nicht zählt) zum vollende-
neuen Gattung erklärte (Louis 1909, 238). ten Ausdruck (Bracht 1993, 53–74). Auf pragmati-
Wie nahe sich Opernszene und Orchesterlied scher Ebene ergeben sich von der Tondichtung her
stehen, tritt buchstäblich in der Vermarktung von reizvolle Synergien, die ein weniger am Klavierlied
Strauss’ Werken zutage. Der Verleger Fürstner ausgerichtetes Komponieren möglich machen.
brachte einige seiner Lieder mit einem Titelblatt Insofern nämlich nach dem Vorbild symphoni-
heraus, das beide Gattungen partnerschaftlich scher Faktur die musikalische Substanz (wenigs-
Seite an Seite auflistet. Die Ausgabe der Freund- tens partiell) in den Orchestersatz verlegt wird,
lichen Vision (TrV 202, Nr. 1; gedruckt Fürstner muss die Gesangsstimme nicht mehr Hauptträger
1918, Plattennummer A.7392 F.) bewirbt unter der von Text und Melodie sein, sondern kann frei und
Generalbezeichnung »Richard Strauss: Lieder und unabhängig über das Orchester gelegt werden –
Gesänge mit Orchester« in der linken Spalte die ein Zugewinn an kompositorischer Freiheit, aus
orchestrierten Klavierlieder TrV 200, Nr. 2 (Des dem Strauss insbesondere in seinen originären
Dichters Abendgang), TrV 202, Nr. 1 (Freundliche Orchesterliedern Kapital schlug.
Vision), 4 (Winterweihe) und 5 (Winterliebe), Wie bereits diese knappen Vorüberlegungen
TrV 204, Nr. 1 (Waldseligkeit) sowie die originär nahelegen, lässt sich die Gattung des Orchester-
als Orchesterlieder konzipierten Zwei Gesänge lieds (falls es nicht ohnehin besser wäre, von einer
für eine tiefe Baßstimme mit Orchesterbegleitung Werkgruppe zu sprechen) nicht sinnvoll auf einen
TrV 206, während in der rechten Spalte Opern- Nenner bringen. Vielleicht auch aus diesem
szenen aufgeführt sind, die sich entweder durch Grunde hat die Strauss-Forschung diesen Bestand
ihre Beliebtheit für die konzertante Auskopplung noch nicht systematisch untersucht (mit Aus-
eigneten (die Monologe aus Salome und Elektra nahme von Messmer 1999). Während die »Vier
oder die Zerbinetta-Szene aus der zweiten Fassung letzten Lieder« TrV 296 mehrfach und aus vielerlei
von Ariadne) oder die Strauss für den Konzert- Perspektiven ins Visier genommen wurden (Stri-
gebrauch retten wollte, weil das zugehörige Büh- ckert 1975; Jackson 1988 und 1992; Garlington Jr.
nenwerk geringen Anklang gefunden hatte (etwa 1989; Kaplan 1994; Eppelsheim 1999; Kühn 2002),
die Friedenserzählung aus Guntram, ferner zwei führen die übrigen originären Orchesterlieder, die
Soloszenen Kunrads sowie das Liebesduett aus sich ohnehin auf erstaunlich wenige Opera be-
dem »Singgedicht« Feuersnot). schränken (op. 33 TrV 180, op. 44 TrV 197, op. 51
Neben orchestriertem Klavierlied und konzer- TrV 206, op. 71 TrV 240), sowohl in der Forschung
tanter Opernszene steht ferner die Symphonische als auch auf den Konzertpodien ein Schattenda-
Dichtung bzw. – um den von Strauss bevorzugten sein, während für viele Werke von Strauss’ Zeitge-
Ausdruck zu verwenden – Tondichtung Pate für nossen bereits Gesamtdarstellungen vorliegen (so
das Orchesterlied. Vorweggenommen wurde diese etwa für Mahler: Schmierer 1991). Um der Band-
Verbindung vor allem durch die verbreitete Praxis, breite dessen, was als Orchesterlied firmieren
einzelne Szenen aus Wagners Opern (wie »Walkü- konnte, gerecht zu werden, seien im Folgenden
ren-Ritt«, »Wotans Abschied« oder »Isoldes Lie- vor den originären Stücken zunächst Strauss’ Or-
bestod«) nicht nur konzertant, sondern auch ohne chestrierungen von Liedern anderer Komponis-
Beteiligung der Singstimmen, die im Orchester ten, sodann Orchestrierungen seiner Lieder durch
repräsentiert sind, aufzuführen. Das auf den ersten Dritte und durch den Komponisten selbst vorge-
Blick eher unwahrscheinlich anmutende Ver- stellt. Seit Friedrich Haiders verdienstvoller Ge-
wandtschaftsverhältnis erklärt sich in ästhetischer samteinspielung ist ein Großteil dieser Werke
Hinsicht durch die von Nietzsche (unter Berufung einschließlich mancher (wenn auch nicht aller)
auf Wagner) entwickelte Kategorie des »seelen- Fremdorchestrierungen auch dem Hörer zugäng-
vollsten Gesamtklang[s] des Orchesters«: Die To- lich (Haider 2000).
talität der Lyrik in ihrer apollinischen wie diony-
sischen Dimension kommt dabei durch die Ver-
bindung von Singstimme sowie der Singstimme
19. Orchesterlieder 351

Orchestrierung von Liedern dienst für seine Frau – auch als Initialzündung für
anderer Komponisten die im selben Jahr entstandenen, abermals für
Pauline instrumentierten Bearbeitungen von vier
Die im 19. Jahrhundert florierende Praxis der Be- eigenen Liedern (s. u.) sowie die Orchestrierungen
arbeitung machte die Grenzen zwischen Kammer- der Beethoven-Lieder Ich liebe Dich und Wonne
musik, symphonischer Musik und Oper durchläs- der Wehmut TrV 185 (beide Januar 1898).
sig. Kammermusikalische Werke konnten durch Dass Schubert den Beginn von Strauss’ Or-
Orchestrierung in den größeren Rahmen des chesterliedern markiert, ist nicht nur dem Renom-
Konzertsaals transferiert werden, während groß- mee seines Vorbilds zu verdanken. Siegmund von
besetzte Werke bis hin zum Klavierauszug Hausegger, einer der prominentesten Apologeten
reduzierbar waren. Wenn an Konservatorien des Orchesterlieds und wie Strauss zeitweilig der
Orchestrierung überhaupt gelehrt wurde, dann Münchner Schule zugerechnet, sah in einigen
üblicherweise vermittels der Bearbeitung von Schubert-Liedern (z. B. Prometheus D 674), die
Klaviersonaten Beethovens oder anderer kammer- sich »nicht mehr des strengen Klavierstyles, son-
musikalischer Werke der sogenannten Wiener dern einer direkten Nachahmung und Übertra-
Klassik. Gerade die Lieder Schuberts, des gefeier- gung orchestraler Wirkungen« bedienten, bereits
ten Begründers des Kunstlieds, inspirierten un- den Keim zur neuen Gattung (Hausegger 1902/
zählige Bearbeitungen für Orchester, die von 1921, 210). Demnach hätten sich keine Lieder eher
amateurhaften Versuchen über routinierte In- für den Schritt vom Lied zum Orchesterlied ange-
strumentierungen bis hin zu den Orchesterfassun- boten als diejenigen Schuberts.
gen renommierter Komponisten wie Hector Ber-
lioz (Erlkönig D 328), Jacques Offenbach (Ständ-
chen aus D 957, publiziert als La Sérénade de
Schubert), Franz Liszt (Die junge Nonne D 828) Orchestrierung eigener Lieder
und, mit nicht weniger als fünf Liedern, Johannes
Brahms (D 369, 541, 719, 778, 383). Mag Brahms Im Laufe seines Lebens arrangierte Richard Strauss
seine auf Wunsch des Baritons Julius Stockhausen 24 seiner Klavierlieder für Orchester, etwa ein
erstellten Orchesterfassungen nicht besonders ge- Achtel seines gesamten Liedœuvres, wobei er sich
schätzt haben (Kravitt 1976, 209), so wirkte die erst 1897 diesem Verfahren zuwandte. Die vier
Bearbeitungspraxis bis zu Strauss’ Zeitgenossen ersten (wie auch die späteren) Orchesterlied-Bear-
Max Reger (D 118, 328, 547, 674, 799, 827) und beitungen resultierten aus einem konkreten und
Anton Webern (ausgewählte Lieder aus Die persönlichen Anlass (und dienten, wenn über-
schöne Müllerin, Winterreise und Schwanengesang) haupt, nur in zweiter Linie der Selbstvermark-
weiter. tung). Für eine Tournee im November/Dezember
So wundert es nicht, dass Strauss ebenfalls ein 1897, zu der Strauss seine Frau mitnahm, wollte er
Lied Schuberts instrumentierte. Seine 1897 er- ein Repertoire schaffen, um Pauline in Sympho-
stellte Orchesterfassung von Ganymed TrV 179 ist niekonzerten mit eigenen Werken, als deren her-
angesichts ihres Entstehungsdatums kein Jugend- ausragende Interpretin sie geschätzt wurde (Schuh
werk, da ihr immerhin die Tondichtungen bis Also 1976, 468 f.), zu präsentieren. Vor Tourneebeginn
sprach Zarathustra TrV 176 (1896) und die Erst- kündigte er an, er werde die vier Lieder TrV 170,
lingsoper Guntram TrV 168 (1892–93) vorangin- Nr. 2 und 4, TrV 186, Nr. 1 und TrV 170, Nr. 3
gen. Es handelte sich aber gleichwohl um Strauss’ »eigens für Brüssel instrumentieren« (Brief an Jo-
ersten Gehversuch auf dem Gebiet des Orchester- seph Dupont, 20.9.1897; zit. nach TrV, 145). Die
lieds. Seine Bearbeitung entstand für ein Münch- Folgeaufführung im Pariser Théâtre Châtelet am
ner Gedenkkonzert zum 100. Geburtstag Schu- 28. November war, wie Strauss seinem Vater stolz
berts, bei dem Strauss dessen »Unvollendete« diri- vermeldete, ein »kolossaler, für Paris sensationeller
gierte und Pauline als Gesangssolistin auftrat Erfolg. Pauline hat sehr gefallen und mußte ›Mor-
(Schuh 1976, 467). Möglicherweise wirkte diese gen‹ [TrV 170, Nr. 4] auf stürmisches Verlangen
Erfahrung – halb Gelegenheitsarbeit, halb Liebes- unter der Reihe wiederholen! Nach den zwei Lie-
352 Vokalmusik

dern dreimaliger Hervorruf […]« (Schuh 1954, Die private Note von Strauss’ Orchestrierun-
208). Noch in dem Gedenkblatt, das Strauss seiner gen für Ursuleac manifestierte sich auch darin,
Frau in hohem Alter widmete (22.5.1947; Schuh dass er ihr in vielen Fällen das Autograph übereig-
1976, 468 f.) erinnerte er sich, dass Pauline auch in nete und von einer Drucklegung absah, wenn er
Barcelona, Madrid, Amsterdam, Berlin, Frank- ihr nicht ohnehin das alleinige Aufführungsrecht
furt, Köln und anderen europäischen Städten eingeräumt hatte (Ursuleac/Schlötterer 1986).
mit den eigens für sie instrumentierten Liedern Nach den ersten Orchesterfassungen, noch ohne
reüssierte, einschließlich der drei 1900 erstellten ausdrückliche Widmung für Konzerte mit Ur-
Bearbeitungen von TrV 187, Nr. 3, TrV 195, Nr. 1 suleac am 3. und 10. Oktober 1933 erstellt und 1934
und TrV 196, Nr. 2. Dennoch verzichtete Strauss als 3 Lieder für hohe Stimme mit Orchester erschie-
lange Zeit darauf, aus diesem Erfolg größeres Ka- nen (TrV 187, Nr. 4; TrV 189, Nr. 4; TrV 220,
pital zu schlagen, behielt die Orchesterfassungen Nr. 5), publizierte er nur noch seine Bearbeitung
vielmehr exklusiv seiner Frau vor und veröffent- der Brentano-Vertonungen op. 68 TrV 235. Wie
lichte sie erst 1911, als Pauline ihre Gesangskarriere Strauss Ursuleacs Ehemann Clemens Krauss in
lange abgeschlossen hatte. Hinter dem öffentli- einem Brief vom 29. Juni 1940 offenbarte, nutzte
chen Charakter des Orchesterlieds zeigt sich eine er in diesem Falle ausnahmsweise (und bezeich-
private Dimension auch darin, dass neben dem nenderweise erfolglos) die Orchestrierung in eige-
Liebeshymnus TrV 174, Nr. 3 das gesamte Op. 27 ner Sache, um den zu Unrecht vernachlässigten
(TrV 170) Pauline zur Hochzeit zugeeignet war. Liedern zu größerer Popularität zu verhelfen:
Mit Meinem Kinde TrV 187, Nr. 3 gedachte Strauss »Zufällig habe ich jetzt meine Brentanolieder
der Geburt seines Sohnes und seine noch im Ent- op. 68 wieder durchgespielt und finde, daß die-
stehungsjahr 1906 instrumentierte und publizierte selben wirklich sehr gut und dankbar sind. Ich
Heine-Vertonung Die heiligen drei Könige aus wundere mich, daß dieselben so wenig gesun-
Morgenland TrV 220, Nr. 6 widmete er seiner gen werden und will sie jetzt instrumentieren«
»lieben Mutter«. (RSCK 345). Dieses Opus widerspricht der allge-
Auch die ab 1933 entstandenen Orchesterfas- meinen Tendenz auch darin, dass eines der sechs
sungen sind als Freundschafts- und Dankesgaben Lieder nicht Ursuleac, sondern der Koloratur-
an eine Sängerin zu sehen, deren intelligente sopranistin Adele Kern zugeeignet ist. An der Ur-
Musikalität und Charakterisierungsstärke Strauss aufführung waren allerdings weder die beiden
besonders schätzen gelernt hatte: Viorica Ursuleac. Künstlerinnen noch der Komponist beteiligt. Im
Ihr widmete Strauss, abgesehen von der Brentano- Rahmen eines Symphoniekonzerts in Düsseldorf
Vertonung Amor TrV 235, Nr. 5 von 1940, sämtli- am 9. Februar 1941 sang Erna Schlüter, das Or-
che 14 Arrangements. Konkreter Anlass waren vor chester dirigierte Hugo Balzer.
allem erfolgreiche Aufführungen seiner Bühnen- Zwischen den beiden Orchestrierungsphasen
werke, an denen Ursuleac gewichtigen Anteil 1897–1906, in denen Strauss seiner Gemahlin
hatte. Nach ihrer überzeugenden Gestaltung der Pauline (sowie seiner Mutter) gedachte, und
Helena in Berlin im Jahre 1935 etwa orchestrierte 1933–1948 (für Ursuleac) liegen nur die sechs Or-
Strauss für sie Das Bächlein TrV 264, dessen Kla- chesterarrangements des Jahres 1918. Während
vierfassung er zunächst Joseph Goebbels anlässlich noch der Erste Weltkrieg tobte, bearbeitete Strauss
der Gründung der Reichsmusikkammer 1933 ge- fünf seiner um die Jahrhundertwende komponier-
widmet hatte. Nach der Münchner Helena-Auf- ten Lieder (op. 47 TrV 200, Nr. 2; op. 49 TrV 204,
führung von 1940 dankte Strauss Ursuleac mit der Nr. 1; op. 48 TrV 202, Nr. 1, 4 und 5) zur Publika-
Orchesterfassung des 55 Jahre alten Jugendwerks tion als Fünf Lieder mit Orchesterbegleitung (1918).
Zueignung TrV 141, Nr. 1. Als Ursuleac diese Fas- Da weder Widmungsträger noch ein äußerer An-
sung am 4. Juli des Jahres in der Maxentius-Basi- lass ersichtlich sind, dürfte Strauss hier tatsächlich
lika in Rom aus der Taufe hob, erklang aus ihrer einmal aus pekuniären Gründen gehandelt haben.
Kehle das Lob des Komponisten, der am Ende die Nach dem Waffenstillstand trug Strauss, wie es
persönlichen Worte »Du wunderbare Helena« den Anschein hat, erstaunlich schnell (und einma-
hinzugefügt hatte. lig) den neuen politischen Umständen Rechnung,
19. Orchesterlieder 353

indem er auch seinen auf einem sozialkritischen 1977, 438). Mutatis mutandis trifft die Tatsache,
Dehmel-Gedicht basierenden Arbeitsmann von dass die Orchestrierung nicht nur einen klangli-
1898 (TrV 189, Nr. 3) orchestrierte. Im Dezember chen Mehrwert, sondern zugleich eine eigenstän-
war die außergewöhnlich groß und geradezu be- dige Geltung verschafft, ebenso auf die Orchester-
drohlich besetzte Fassung des Lieds, die unter an- lieder Mahlers zu oder auf die Instrumentierun-
derem mit nicht weniger als einer Es-, zwei B- gen, die Hugo Wolf von seinen Mörike-Liedern
Klarinetten, zwei Bassetthörnern, einer Bassklari- vornahm (darunter vereinzelt auch Bearbeitungen
nette sowie zwei Basstuben aufwarten konnte, für Chor und Orchester, so etwa der Feuerreiter,
fertiggestellt. Anfang 1919 sandte er die Partitur als der sich als Ballade ohnehin eher für ein Chorwerk
persönliches Geschenk an Leo Kestenberg, der als anbot).
Künstler in der Arbeiterbewegung engagiert war. Wenn es auch schwer ist, die 24 Orchesterfas-
Die zwischenzeitlich verschollene und deshalb sungen eigener Lieder, die Strauss über ein halbes
nicht in Trenners Gesamtausgabe vorliegende Jahrhundert hinweg und unter höchst verschiede-
Partitur befindet sich seit der Versteigerung bei nen zeit- und kulturgeschichtlichen Bedingungen
Sotheby’s im Jahre 1986 in Privatbesitz. Es gilt erstellte, über einen Kamm zu scheren, so lässt sich
noch zu klären, ob der sonst nicht gerade für Ar- doch festhalten, dass es sich keineswegs um bloße
beiterbelange eintretende Strauss seine Orchestrie- Routinearbeiten handelte, die einzig dem Zweck
rung als persönliche Hommage an den Künstler dienten, durch multiple Verwertung jeweils des-
Leo Kestenberg, der sozial engagierte Lyrik selben Produkts mehr Tantiemen zu scheffeln.
schätzte, verstand oder, was für Strauss ebenso wie Obgleich der blendende Instrumentator Strauss
für seine Orchesterbearbeitungen singulär wäre, Orchestrierungen aus dem Handgelenk schütteln
ob sie als Anbiederung an einen Politiker diente, konnte, suchte er bewusst die erneute Auseinan-
der das Musik- und Kulturleben der Weimarer dersetzung mit eigenen Werken, um seine schöpfe-
Republik maßgeblich prägen sollte. rische Phantasie anzuregen. Nach dem für Strauss
traumatischen Zusammenbruch des Kulturlebens
in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs diente
ihm die Beschäftigung mit »ziemlich unnützer
Vom Klavierlied zum Orchesterlied: Handwerksarbeit« (Strauss an Willi Schuh, 8.3.1945;
Strauss’ Bearbeitungspraxis RSWS 77) außerdem dazu, die Lethargie zu über-
winden und den Fluss des Musik-Schreibens nicht
Grundsätzlich ist es, wie die Bearbeitungspraxis ganz zum Versiegen kommen zu lassen. Dieser
des 19. Jahrhunderts lehrt, nichts Außergewöhnli- Trauerarbeit entspringen neben den sogenannten
ches, Lieder aus der privaten Sphäre des häusli- »Vier letzten Liedern« auch die Orchesterfassun-
chen Musizierens oder (bei technisch anspruchs- gen von Ich liebe Dich TrV 187, Nr. 2 von 1940
vollerem Repertoire) des Liederabends für die (dem Strauss zwei Takte hinzufügte) und Ruhe,
Aufführung innerhalb von Symphoniekonzerten meine Seele TrV 170, Nr. 1 (9. Juni 1948), die zu-
zu arrangieren. Spätestens seit den Nuits d’été sammen mit den »Vier letzten Liedern« entstand.
(1838–1841) von Hector Berlioz, deren Orchestrie- Ein retrospektiver Zug zeigt sich auch darin, dass
rung 1856 abgeschlossen wurde, war ferner klar, mit dieser Bearbeitung sowie Robert Hegers Or-
dass diese Transformation nicht mit einem Quali- chestrierung der Heimlichen Aufforderung TrV 170,
tätsverlust eingehen musste, dass also das Resultat Nr. 3 das gesamte Opus 27 (TrV 170) – seinem
nicht nur eine abgeleitete, sekundäre Größe dar- Schüler Hermann Bischoff nach zu urteilen, die
stellte, sondern ein Kunstwerk sui generis. Die »wichtigste Tat, die Strauß als Liederkomponist
orchestrierten Nuits d’été etwa sind weitaus über- vollbracht hat« (Bischoff 1906, 94) – komplett
zeugendere »Orchesterlieder« als viele so bezeich- auch in Form von Orchesterliedern vorlag.
nete Werke, denen man noch ansieht, dass sie Wie fern Strauss bei der Orchestrierung eigener
eigentlich vom Klavier aus komponiert waren. Lieder jegliches schematische Vorgehen lag, lässt
Infolgedessen werden sie oft und zu Recht an den sich bereits an der Tatsache ablesen, dass jedes
Beginn der neuen ›Gattung‹ gestellt (Danuser seiner 24 Lieder eine andere Besetzung aufweist.
354 Vokalmusik

Dem Orchester wird nicht nur die Begleitfunk- nieren, die in der Klavierbegleitung nicht unterzu-
tion des Klavierparts übertragen. Vielmehr schafft bringen waren. Mag auch nicht jede textausdeu-
es, in verschiedener Zusammensetzung und Ge- tende Instrumentalpassage gleichermaßen ge-
wichtung, dreierlei (wie unten weiter ausgeführt glückt sein, so ist Strauss doch insgesamt vom nur
wird): erstens eine atmosphärische Verdichtung allzu oft erhobenen Vorwurf des rein illustrativen
(etwa Winterliebe TrV 202, Nr. 5 und Waldseligkeit Komponierens freizusprechen. Gemeinhin ver-
TrV 204, Nr. 1), zweitens eine (Aus-)Differenzie- äußerlicht er eben nicht die Aussage des Textes bis
rung des Charakters (zugleich mit dem atmosphä- hin zur Platitüde, sondern schafft eine ironische,
rischen Moment besonders überzeugend in Ruhe manchmal auch nur milde augenzwinkernde Bre-
meine Seele TrV 170, Nr. 1) und drittens, wenn sich chung. Muttertändelei TrV 196, Nr. 2 (1899, or-
die Gelegenheit bietet, eine ernste oder halb-ernste chestriert 1900), mit einer vor Stolz schier zerplat-
illustrative Ausdeutung (etwa das naturalistische zenden jungen Mutter, kokettiert ohnehin mit der
Nachzeichnen von Turteltaube, Brunnenrauschen, autobiographischen Verbindung zu Pauline, deren
Grille in Säusle, liebe Myrthe TrV 235, Nr. 3, oder, Sohn Franz nur zwei Jahre vorher geboren wurde,
mit Berufung auf Schubert, in Bächlein TrV 264). und dem »Familienglück« der Widmungsträgerin,
Dass Strauss die Orchesterfassung über das Kla- Ernestine Schumann-Heink, die kurz nach der
vierlied hinaushebt, wird selbst in einer schlichten Geburt ihres Sohnes geschieden wurde, um wei-
Bearbeitung deutlich, wie sie in der Dehmel-Ver- terhin ihr Engagement an der Semperoper wahr-
tonung Befreit op. 39 TrV 189, Nr. 4 (1887, orches- zunehmen. Die Orchesterfassung ahmt nicht nur
triert 1933) vorliegt: Die gehaltenen Akkorde (in den altväterlich-biederen, gelegentlich auch in Till
weiter Lage) der linken Hand werden den Strei- Eulenspiegel angeschlagenen Ton nach, sondern
chern übertragen, die den Klang allerdings durch deutet die Textworte bis hin zur Karikatur (»ein
Teilung auffächern. Das unterstützende Harmo- fettes Schneckchen« mit Klarinetten und Fagotten
nium gibt der Musik den Charakter weihevoll- oder »hunderttausend blanke Taler« mit der Trian-
sakralen Ernstes. Zur zarten Emphase tritt die gel). In der seiner eigenen Mutter gewidmeten
Harfe an strategischen Punkten hinzu, bisweilen Heine-Vertonung Die heiligen drei Könige aus
ein Scharnier zwischen Begleitakkorden und dem Morgenland sieht man Strauss geradezu schmun-
Begleitmotiv der triolischen Dreiklangsbrechung zeln, als ob ihm das allzu plastische Nachzeichnen
bildend (Zi. 2). Letzteres Motiv, in der Klavierfas- vom Schreien des Ochsen (und des nicht genann-
sung zunächst der rechten Hand anvertraut, into- ten Esels!) und des Kindes erst recht Freude berei-
nieren in der Bearbeitung zwei sich ablösende A- tet hätte.
Klarinetten, so dass der Klangwechsel jeweils zart Dieses Lied ist zugleich ein gutes Beispiel dafür,
artikuliert wird, aber doch eine unendliche Melo- welch starker osmotischer Druck um die Jahrhun-
die entsteht. Ausdeutend wirkt, inspiriert von der dertwende vom Klavierlied hin zum Orchesterlied
Textzeile »ich habe sie dir zur Welt geweitet« bestand. Bereits der ohnehin schon vollgriffig ge-
(Zi. 2), die plötzliche Weitung des Klangraums in dachte Klaviersatz ist auf der letzten Seite um ein
der Vertikalen (von den hohen Flöten, deren Ein- drittes System erweitert, das die Instrumentenbe-
satz bis zu diesem Moment aufgespart ist, bis zum zeichnung »Trompete« trägt. Offensichtlich hatte
Pedalton Fis im 4. Horn) und der Intensität, weil Strauss bereits bei der Komposition der Klavierfas-
hier erstmals alle Instrumente erklingen – außer sung nicht nur eine konkrete Vorstellung davon,
der nur punktuell eingesetzten Tuba: Sie ver- dass, sondern auch wie er das Lied instrumentie-
deutlicht zunächst das »Leide« (3 Takte vor Zi. 6), ren wollte.
bevor sie das am Ende beschworene »Glück«, das Diese Haltung entsprach auch Strauss’ Tätig-
der über die verlorene Geliebte Trauernde im keit als Klavierbegleiter. Selbst bei seinen eigenen
Traum empfindet, in ein nostalgisch-schweres Werken hielt er sich nicht sklavisch an den Noten-
Licht hüllt (»Dann wirst du […] mit mir weinen; text, sondern verwendete, wie Alfred Orel in Erin-
o Glück!«). nerung an einen Liederabend mit Elisabeth
Natürlich ließ es sich Strauss nicht nehmen, Schumann beschrieb, die Noten der Klavier-
Einzelheiten des Textes musikalisch auszukompo- stimme als »Gedächtnisstützen für den Kompo-
19. Orchesterlieder 355

nisten, gleichsam Klavierauszüge, nach denen die wurde seit 1912, augenscheinlich mit Billigung des
Sängerin mit ihrem Korrepetitor arbeiten konnte. Komponisten, zusammen mit seiner Originalfas-
Ohne ausgesprochen ›orchestral‹ zu werden, ging sung vom Leipziger Verleger Rahter vermarktet.
er weit über die gedruckte Begleitung hinaus und Mottl überführt die Klavierfaktur kompetent in
nutzte die Möglichkeiten des Klaviers in geradezu einen farbigen Orchestersatz, der das Flirren des
unnachahmlicher Weise aus. […] Bei der ›Cäcilie‹ Klaviers in drei Flöten und hohe, mit Dämpfern
meinte man allerdings, ein ganzes Orchester auf- versehene Streicher übersetzt und der sanften
rauschen zu hören« (Orel 1952, 12 f.). Leidenschaftlichkeit der von Hörnen gestützten
Eine gewisse orchestrale Qualität lag aber »singenden Geigen« kontrastiert, die die Gesangs-
manchmal bereits in den Klavierbegleitungen. Bei stimme unisono über zwei Oktaven verdoppeln.
einem Lied wie Heines Frühlingsfeier TrV 220, Mottls Vorgehen, das den Charakter des Lieds
Nr. 5 (1906, Orchesterfassung 1933), dessen Par- durchaus trifft, ist dem eines Übersetzers zu ver-
titurbild schon wie ein Klavierauszug wirkt, liegt gleichen, der das Original getreulich in eine neue
es nahe, nicht von einer Orchestrierung, sondern »Sprache« übersetzt und sich aller Zusätze und
geradezu von einer »Rück«-Orchestrierung zu Eingriffe enthält. Strauss hingegen konnte sich
sprechen – wie auch Clemens Krauss am 8. Sep- solche Eigenmächtigkeiten nicht nur erlauben, bei
tember 1933 dem Komponisten versicherte, der ihm werden sie, als differenzierende Ausdeutun-
Orchesterklang werde »der ›Frühlingsfeier‹ erst gen, sogar konstitutiv und bildeten ein wesentli-
den richtigen hymnischen Ausdruck geben, den ches Motiv dafür, sich selbst die Finger mit einer
das Klavier ja nur unvollkommen geben kann« solch handwerklichen Tätigkeit schmutzig zu
(RSCK 144). Es ist in dieser Hinsicht bezeich- machen.
nend, dass der Strauss-Biograph Richard Specht, Es ist bemerkenswert, dass Strauss die Qualitä-
von seinem Hang zu blumiger Sprache getrieben, ten der von anderen hergestellten, eher kapell-
bereits 1921 einige der Lieder so bespricht, als meistermäßigen Orchesterfassungen seiner Lie-
wären sie bereits instrumentiert. So charakteri- der durchaus anerkannte und manche in seinen
sierte Specht etwa Befreit TrV 189, Nr. 4 als einen eigenen Konzerten immer wieder dirigierte.
»wie von milden Hörnern und Posaunen erklin- Neben Mottls Ständchen trugen zur Verbreitung
genden […] Klaviermonolog« (Specht 1921, 27). Strauss’scher Lieder in konzertsaaltauglicher Form
Wie genau Strauss dieses Lied orchestral gedacht vor allem die Bearbeitung der Heimkehr op. 15
hatte, hätte Specht immerhin aus einem knappen TrV 148, Nr. 5 des am Leipziger Konservatorium
Zitat (T. 21 f.) des Liedes innerhalb der »Friedens- lehrenden Leopold Wenninger bei (sonst bekannt
werke« (T. 747 f.) aus Ein Heldenleben TrV 190 vor allem für seine Kammermusik-Bearbeitungen
(Del Mar 1956, 177; Youens 2010, 223) ersehen von Werken der leichteren Muse des 19. Jahrhun-
können. derts und seine Arrangements von Liedern der SA
und der Hitler-Hymne), außerdem ein Set von
fünf Orchesterliedern, die der Dirigent Robert
Heger 1929 für die Universal Edition erstellte
Orchestrierung von Strauss’ Liedern (gedruckt 1935): Zueignung und Allerseelen (beide,
durch andere wie Mottls Bearbeitungen, aus dem ersten Erfolgs-
opus 10 TrV 141); Heimliche Aufforderung op. 27
Da Strauss nicht als Einziger das Potential seiner TrV 170, Nr. 3; Traum durch die Dämmerung
Lieder zur Orchestertauglichkeit erkannte, such- op. 29 TrV 172, Nr. 1; Ich trage meine Minne op. 32
ten auch andere Bearbeiter dieses Feld zu be- TrV 174, Nr. 1.
ackern, angeführt von keinem Geringeren als Felix Strauss vermied es in der Regel (es gibt nur eine
Mottl. Der Schöpfer der berühmten Orchester- Ausnahme), Orchesterfassungen vorzulegen,
fassung von Wagners Wesendonck-Liedern, die wenn diese bereits auf dem Markt waren: eine
selbst ein Anknüpfungspunkt und Vorbild für Haltung, die eine nicht unbedingt höchste Wert-
Strauss wurde, arrangierte bereits 1895 das Ständ- schätzung seiner eigenen Bearbeitungen verrät.
chen op. 17 TrV 149, Nr. 2. Dieses Orchesterlied Schon auf pragmatischer Ebene ergab sich keine
356 Vokalmusik

Notwendigkeit, selbst ein Lied zu orchestrieren, Da Strauss keine philologische Liebe zu seinen
wenn es in dieser Form schon vorlag. Im besten Werken hegte, sobald diese abgeschlossen waren,
Fall beförderte es, noch dazu ohne eigenes Zutun, konnte er leicht Bearbeitungen durch andere dul-
die Verbreitung seiner Werke. Selbst wenn die den. Diese Toleranz galt auch für Modifikationen
Bearbeitung von zweifelhafter Qualität sein sollte, seiner eigenen Orchesterbearbeitungen. Im Falle
konnte der Komponist immerhin noch an den der Brentano-Vertonung Lied der Frauen op. 68
Tantiemen partizipieren. (Aus der Perspektive des TrV 235, Nr. 6 (1918, orchestriert 1933) forderte er
vorausschauenden Kaufmanns mag es Strauss sogar Clemens Krauss ausdrücklich dazu auf: »Ich
sogar ertragen haben, dass einige seiner Lieder in […] sehe an meinem Manuscript, daß das Lied
eher zweifelhaften Bearbeitungen für Salonorches- der Frauen viel zu dick orchestriert ist. Seien Sie so
ter zirkulierten.) freundlich, mir Ihre Partitur zu schicken und Alles
Wenn er im Falle der Zueignung op. 10 TrV 141, einzuklammern, was Sie an Holz und Blech ent-
Nr. 1 sich ein einziges Mal ein bereits von zweiter behrlich finden! Merkwürdig, wie revisionsbe-
Hand orchestriertes Lied selbst zur Bearbeitung dürftig man nach ein paar Jahren schon seine ei-
wählte, so nahm er damit keineswegs einen Fehde- genen Erzeugnisse erfindet!« (Brief vom 29.7.1940;
handschuh auf. Seine Fassung konnte schon des- RSCK 348). Die Revisionen des (allerdings immer
halb nicht mit derjenigen Hegers in Konkurrenz noch die Gesangssolistin erdrückenden) Orches-
treten, weil sie als persönliche Hommage auf tersatzes übernahm Strauss in die Druckausgabe.
Viorica Ursuleac zugedacht war, ihr allein zur
Aufführung vorbehalten und folglich ungedruckt
blieb. Obgleich also Strauss Heger weder in seine
Schranken verweisen musste noch mochte, erzielt Originäre Orchesterlieder
seine eigene Fassung einen höheren ästhetischen
Mehrwert dadurch, dass sich der Komponist Sieht man einmal vom Jugendwerk Der Spielmann
größere Freiheiten in der Gestaltung nehmen und sein Kind TrV 63 von 1878 ab, das ohnehin
konnte – bis hin zur schon erwähnten Textierung eher eine Arie als ein Klavierlied repräsentiert,
einer Instrumentalmelodie mit der persönlichen schuf Strauss insgesamt fünf Opera von originären
Anrede an Ursuleac »Du wunderbare Helena«. Orchesterliedern. Diese über ein halbes Jahrhun-
Anstatt wie Heger einfach die Klavierbegleitung in dert verstreuten Werke sind grundsätzlich mit den
den Streichersatz zu verlegen und Bläser zur Har- Orchestrierungen eigener Lieder insoweit verbun-
monie sowie zur Hervorhebung einzelner Stim- den, als deren jeweilige Klavierfassung bereits die
men zu verwenden, benutzt Strauss seinen Kla- Möglichkeiten des Orchesters oder symphoni-
vierpart als Rohmaterial: Durch Weglassen der schen Komponierens erkennen lassen (bereits
Takteins im Bass (der übrigens bereits bei Heger Ruhe, meine Seele TrV 170, Nr. 1, das aber erst 1948
ansprechend durch Harfe und Bassklarinette ge- zeitgleich mit und gewissermaßen als Parergon zu
färbt wird) verleiht er dem regelmäßigen Pendeln den »Vier letzten Liedern« orchestriert wurde). Da
eine sanft vorwärtstreibende Energie. Die in sich die einzelnen Sammlungen jeweils einen anderen
kreisenden triolischen Begleitfiguren werden nicht Typus von Orchesterlied repräsentieren, seien sie
nur durch Verteilung auf mehrere Instrumente im Folgenden individuell vorgestellt.
aufgefächert, sondern anders als bei Heger nach
oben weitergeführt (bis zum Spitzenton der ersten
Vier Gesänge für eine Singstimme mit
Textphrase). In T. 25–27 schafft Strauss durch
Begleitung des Orchesters op. 33 TrV 180
Weitung der Notenwerte und Wechsel vom 4/4-
(1896/97)
zum 3/2-Takt ein auskomponiertes Ritardando,
womit er seine eigene Interpretation, die in zwei Die Vier Gesänge, publiziert 1897, sind keine ein-
Einspielungen mit ihm am Flügel für den österrei- heitliche Werkgruppe. Während das erste Lieder-
chischen Reichssender dokumentiert ist (Kennedy paar für hohe Stimme (Sommer und Herbst 1896)
1999, 408), der musikalischen Substanz der Or- Strauss’ in dieser Liedphase typische Vorliebe für
chesterpartitur einverleibt. zeitgenössische Dichter zeigt (Mackay und Bod-
19. Orchesterlieder 357

man), wendet sich das zweite für Bariton (Jahres- neue musikalische Richtung: weg vom sonnigen
wende 1896/97) bereits den Klassikern Schiller Hellas Apolls hin zum »grausigen« – um ein von
(wenigstens nach damaliger Zuschreibung) und Strauss selbst verwendetes Attribut zu wählen
Goethe zu. Verführung (Mackay) lässt im Farben- (Brief an den Vater, 26.11.1900; Schuh 1954, 238) –
spiel von melodischen Alterierungen und klang- Dunkel des Okzidents. Mit dem ungleichen, aber
lichen Wechseln die Erotik der Gedichtvorlage einander doch verbundenen Liederpaar dieses
sinnlich vor dem inneren Auge erstehen. Während Opus suchte Strauss nicht nur den Anschluss an
der Satz in seiner aufwallenden, nach oben schie- die Moderne zu gewinnen, er setzte sich in gewis-
ßenden Melodik und der farbenreichen Instrumen- ser Weise an deren Spitze. Zeitgleich mit Schön-
tation bisweilen an Don Juan TrV 156 (1888) erin- bergs rein instrumentalem Reflex auf Dehmels
nert, behält Strauss einen kühlen Kopf und schildert Verklärte Nacht (op. 4, 1899) legt Strauss seine
das erotische Schwelgen, ohne sich (was viele andere Lesart von Dehmels Notturno in Form eines, wie
Komponisten des Fin de siècle getan hätten) darin bereits der Titel der Publikation verrät, groß di-
zu verlieren. Die Erhabenheit, die gerade dem Ge- mensionierten Orchesterlieds vor (op. 44 TrV 197,
sangsspart innewohnt, weist auf die ekstatische Nr. 1). Darin schildert er die Phantasmagorie eines
Feierlichkeit des Bacchus aus Ariadne TrV 228 lyrischen Ich, das den geliebten toten Freund im
voraus. Noch erhabener erscheint der (nun mit Traum schaut und von seiner Erscheinung und
ausdrücklichem Antikenbezug versehene) Gesang dem »flehenden Lied« seiner Geige betört wird,
der Apollopriesterin (Bodman). Wie bereits die bis der Alp plötzlich ein Ende hat. Um die schau-
einleitende Weihefanfare Apolls in den Trompeten rige Vision zum Ausdruck zu bringen, zog Strauss
deutlich macht, zeichnet dieses Lied, jenseits alle Register seines Könnens: Eine expressionisti-
der düsteren Welt der Elektra, ein sonniges Bild sche, die Empfindungen des lyrischen Ichs seis-
Griechenlands, wo »in Nacktheit Mann und Frau« mographisch nachzeichnende Tonsprache verbin-
selig-keusch wandeln. Stärker als in Strauss’ Klavier- det sich mit der strengen motivischen Konstruk-
liedern konstituiert sich der Satz aus leitmotivischen tion, die aus seinen Tondichtungen bekannt und
musikalischen (vielfach bereits mit bestimmten bereits in dem Vorgängeropus von 1896/97 im
Klangfarben assoziierten) Gedanken und der indi- Genre des Orchesterlieds erprobt worden war.
vidualisierenden Verwendung von Solisten inner- Zudem weist das Notturno bereits ahnungsvoll auf
halb des Orchesters, vor allem bei Momenten der den Klytämnestra-Monolog der zehn Jahre später
Reflexion oder für einen imaginären Dialog. Der vollendeten Oper Elektra TrV 223 voraus. Gerade
damals unter Schillers Namen zirkulierende Hym- die Nähe zur Tondichtung wurde von den Zeitge-
nus stellt einen Dichter-Sänger vor, der sich ganz nossen sofort und zu Recht erkannt, denn für die
apollinisch auf der Harfe begleitet. Während Strauss motivische wie formale Konzeption stand Also
hier am Text entlangkomponiert (bis hin zum sprach Zarathustra TrV 176 Pate (Lodes 2001,
plötzlichen Einbruch der Todesahnung am Ende), 272–276). Der Musikkritiker Oskar von Riese-
greift Pilgers Morgenlied – An Lila (Goethe) wie- mann ließ sich von dieser gattungsübergreifenden
derum auf die Prinzipien motivischer Formgestal- Ähnlichkeit gar zu dem generalisierenden Verdikt
tung zurück, einschließlich der für Strauss charak- hinreißen, Strauss’ Orchesterlieder seien generell
teristischen aufschwunghaften und aufgewühlten »nichts anderes als symphonische Nachdichtun-
Motive. Der nicht mehr hellenischen, sondern gen der betreffenden Verse mit recht entbehrlicher
orientalischen Ausrichtung des Textes trägt Strauss Gesangsbegleitung« (Signale für die musikalische
mit vermehrter Verwendung der Oboen Rechnung. Welt 68, 1910, 1088). Während das Notturno noch
immer von Publikum und Wissenschaft (Lodes
2001) ob seiner modernistischen Züge geschätzt
Zwei größere Gesänge für eine
wird – nur Dehmel kritisierte heftig Strauss’ Ent-
tiefere Stimme mit Orchesterbegleitung
scheidung, die Rahmenhandlung des Traumes zu
op. 44 TrV 197 (1899)
streichen (Brief an Seibert, 26.5.1906; Schlötterer
Die nur zweieinhalb Jahre später entstandenen 1988, 204) –, wird die mit ihm gepaarte Rückert-
Zwei größeren Gesänge weisen den Weg in eine Vertonung Nächtlicher Gesang damals wie heute
358 Vokalmusik

stiefmütterlich behandelt. Sie zeigt uns einen im


Drei Hymnen (Friedrich Hölderlin)
Schaffen des Komponisten höchst ungewöhnli-
für hohe Singstimme und großes Orchester
chen Ausflug in die Welt der Schauer- und Geis-
op. 71 TrV 240 (1921)
terromantik, die Strauss in hoher Ereignisdichte
und mit Gusto für instrumentatorische Raffinesse Nachdem Strauss um die Jahrhundertwende der
umsetzte. Das zweite Lied im ungleichen Paar ist Gattung Orchestergesang in drei verschiedenen
dem ersten durch das Thema unerfüllter, von Sammlungen höchst unterschiedliche Facetten
dunklen Mächten überschatteter Liebe verbun- abgewonnen hatte, stand sie in den folgenden
den. Zugleich wirkt es wie ein Negativ zu Pilgers Jahrzehnten im Schatten der Opernprojekte von
Morgenlied aus dem vorangegangenen Opus (TrV Salome TrV 215 (1905) bis Die Frau ohne Schatten
TrV 234 (1914–17). Schon im Umfeld des letzteren
180, Nr. 4), bei dem das lyrische Ich noch sieges-
Werks, das Strauss als sein Sorgenkind erachtete,
bewusst den Unbilden des Wetters trotzen kann.
wandte er sich emphatisch wieder der Liedkompo-
sition zu. Nach ambitionierten Klavierliedern
Zwei Gesänge für eine tiefe Baßstimme (Shakespeare, Goethe) op. 67 TrV 238 (1918) erkor
mit Orchesterbegleitung op. 51 TrV 206 er sich Dichtungen Hölderlins für die der Sopra-
(1902/1906) nistin Minnie Untermyr zugeeigneten Drei Hym-
nen. Gerade die hymnischen, sich einer glatten
In die Welt der deutschen Romantik zurück füh- Vertonung widersetzenden Verse Hölderlins stell-
ren auch die dem Bassist Paul Knüpfer gewidme- ten eine reizvolle Herausforderung dar, wie Strauss
ten Zwei Gesänge, die allerdings erst nachträglich sich bis zuletzt ja auch in seinen Opern gerne an
zu einem Opus zusammengefasst wurden. Bereits der Sprache Hofmannsthals und auch Gregors
aus Ludwig Uhlands Das Thal tönt ungetrübte rieb. Greift dieses Opus deshalb schon den späte-
Naturlyrik: ren mythologischen Opern voraus, so rekurriert es
Natur, wohl braucht es solcher Stunden, ebenso auf das letzte große symphonische Werk:
So innig und so liebevoll, Die Alpensinfonie TrV 233 (1913–15) ist nicht nur
[Strauss strich für die Vertonung das »und«] im Motto der »Anbetung der ewigen, herrlichen
Wenn dieses arme Herz gesunden, Natur« präsent (May 2004, 375), verbunden mit
Das welkende genesen soll.
einer idealistischen Verehrung Griechenlands,
Entsprechend fand Strauss eine versöhnlich-innige sondern wird musikalisch evoziert, in der eröffnen-
Tonsprache, die alle existentialistische Düsternis den Hymne an die Liebe sogar durch freie Zitate des
hinwegfegt und in ihrem weihevoll-volkstümli- Gebirgsmotivs (erstmals gleich zu Beginn in den
chen Charakter an die späten mythologischen Hörnern). Zugleich stellt Strauss die Hymnen in
Opern erinnert (vor allem die Eröffnungsmusik den Dienst der Sanglichkeit und hält sich in sei-
von Daphne TrV 272). Als nicht minder romanti- nem Hang zu weitschwingenden Koloraturen und
melodischen Schnörkeln zurück. Rückkehr in die
sches Gegenstück ist diesem Gesang eine Verto-
Heimat (Nr. 2) kann durch einen delikaten, wie
nung von Heines Gedicht Der Einsame beigege-
hingetupft wirkenden Orchestersatz für sich ein-
ben, das von Liebesenttäuschung und Todessehn-
nehmen, während das die Trias abschließende
sucht handelt. Der Satz ist auf ein Gewebe vielfach Liebe bisweilen zu artifiziell wirkt, um den nötigen
geteilter Streicher reduziert. Allein das Kontra- visionären Geist zu entfalten. Dafür ist die Partitur
fagott folgt dem Sänger ab dem Schlüsselwort mit Zitaten von Mozart bis Wagner durchsetzt.
»Abgrund«, um eine Oktave nach unten versetzt.
Der übrige, in seinem Ausmaß nicht gerade klein
dimensionierte Bläserapparat (3 Flöten, 2 Klari- »Vier letzte Lieder« TrV 296 (1948)
netten, 2 Bassethörner, 1 Bassklarinette, 2 Fagotte, Streng genommen sind die sogenannten »Vier
4 Hörner, 3 Posaunen, Basstuba) schweigt bis kurz letzten Lieder« weder eine Vierergruppe noch
vor dem Schlussakkord, um die »uralte Nacht« in ›letzte Lieder‹: Erstens handelt es sich um eine 1948
ein mildes Licht zu tauchen. entstandene Sammlung mit einer Eichendorff-
19. Orchesterlieder 359

Vertonung und drei Kompositionen von Texten zer Freunden. Im September wurde der Sopranistin
Hermann Hesses (wenn man die zwischen Im Maria Jeritza dediziert, seiner ersten Ariadne (in der
Abendrot und Frühling vorgenommene Orchestrie- Fassung von 1916) und Kaiserin (in der Frau ohne
rung von Ruhe meine Seele, TrV 170, Nr. 1 einbe- Schatten, 1919), anlässlich ihrer Heirat mit dem
rechnet, wären es sogar insgesamt fünf Lieder), amerikanischen Geschäftsmann Irving Seery. Ein
und zweitens folgt ihnen im selben Jahr noch das persönliches Moment tut sich auch darin kund,
Klavierlied Malven TrV 297. Und wenn man Da- dass Strauss durch die Begegnung mit dem eben-
nusers Ablehnung des Begriffs Orchesterlied teilt falls in der Schweiz weilenden Hermann Hesse,
(Danuser 1977, 425), dann wären die »Vier letzten dem 1946 der Nobelpreis für Literatur verliehen
Lieder« nicht einmal Lieder, sondern »Orchester- wurde, erstmals wieder zur Vertonung zeitgenössi-
gesänge«. Hinzu kommt, dass sowohl die Gruppie- scher Dichtung angeregt wurde (eine vierte, für
rung als auch die Anordnung der »Letzten Lieder« Chor und Orchester vorgesehene Vertonung von
nicht auf Strauss zurückgeht, sondern erst posthum Hesses Besinnung: »Göttlich und ewig ist der Geist«
von Ernst Roth, dem Leiter des Musikverlages konnte Strauss nicht mehr ausführen). Allerdings
Boosey & Hawkes, festgelegt wurde. Elisabeth halten sich die ausgewählten Gedichte in ihrer
Schwarzkopfs maßstabsetzende Aufführungen ko- suggestiven Naturlyrik von politischer oder ästheti-
difizierten diese Anordnung bis heute im allgemei- scher Aktualität fern. Insofern passt sich ihr retro-
nen Bewusstsein, während andere frühe Interpre- spektiver Zug bruchlos an die noch von den Zeit-
tinnen – darunter Kirsten Flagstad, die die Lieder läuften des 20. Jahrhunderts unberührte Romantik
in der Londoner Royal Albert Hall am 22. Mai Eichendorffs an, auf die sie letztlich rekurrieren.
1950 aus der Taufe hob, oder Lisa della Casa, die Musikalisch werden die »Vier letzten Lieder«
das Werk 1953 für Decca einspielte – eine abwei- vor allem in der anglophonen Literatur gerne mit
chende Abfolge bevorzugten: Beim Schlafengehen dem poetischen Attribut des »Indian Summer«
(nach der gängigen Reihung Nr. 3) – September belegt (der mit dem deutschen Äquivalent des
(Nr. 2) – Frühling (Nr. 1) – Im Abendrot (Nr. 4). »Altweibersommers« nur unzureichend übersetzt
Trenner führt in der von ihm herausgegebenen werden kann). Obwohl die Stücke Werke des
Gesamtausgabe die Lieder in chronologischer Rei- Rückblicks sind, in denen der greise Strauss zu
henfolge auf, ohne jeden Anspruch zyklischer Ge- den Wurzeln seines Liedschaffens zurückkehrt, so
schlossenheit: Im Abendrot (Nr. 4; 6.5.1948) – kann man in ihnen andererseits auch eine Sum-
Frühling (Nr. 1; 18.7.1948) – Beim Schlafengehen mation seines bisherigen Schaffens sehen. Erst-
(Nr. 3; 4.8.1948) – September (Nr. 2; 20.9.1948). mals gelingt Strauss die Vereinigung von kompo-
Es wäre ebenso pedantisch wie fruchtlos, gegen sitorischem Anspruch und Erfolg beim Publikum,
die faktische Macht einer über ein halbes Jahrhun- der den früheren Orchesterliedern (mit Ausnahme
dert andauernden Aufführungspraxis angehen zu des Notturno op. 44 TrV 197, Nr. 1) verwehrt ge-
wollen. Immerhin wirkt Roths zyklische Gestal- blieben war. Außerdem verbinden sie in zuvor
tung auf mehreren Ebenen überzeugend: Drama- nicht gekannter Synthese jene Qualitäten, die
turgisch folgt sie dem Lebens- und Jahreskreis, der sonst in seinen Liedern getrennt auftreten: präg-
vom jugendlich-erotischen Frühling zum spätsom- nanten Textausdruck, volksliedhafte Schlichtheit
merlichen September und sodann vom altersmat- und überschwänglich kolorierte Melodik. Die
ten Abendlied (Beim Schlafengehen) zum loslassen- Eichendorff-Vertonung Im Abendrot, deren textli-
den pantheistischen Sterbensgesang (Im Abendrot) cher Paarbezug (»Wir sind durch Not und Freude
führt. Außerdem werden die drei Hesse-Verto- / Gegangen Hand in Hand«) auch als Hommage
nungen nicht aus ihrem Verbund gerissen. an seine lebenslange Weggefährtin Pauline zu
Alle vier Vertonungen sind den orchestrierten verstehen ist, führt die vom Text inspirierte natu-
Klavierliedern durch ihren privaten Charakter der ralistische Nachahmung von Vogelstimmen von
Zueignung verwandt: Im Abendrot widmete Strauss einer äußerlichen Pointe zur stimmungsvollen
Ernst Roth, Frühling seinem Biographen und Innerlichkeit, wenn die beiden Lerchen im Or-
Freund Willi Schuh nebst Ehefrau, Beim Schlafen- chesternachspiel als Künder ewigen Lebens in der
gehen Herrn und Frau Dr. Adolf Jöhr, alten Schwei- Natur und Verheißung für das im Text besungene
360 Vokalmusik

Menschenpaar wieder zu singen anheben. Zudem ausdrücklich die öffentliche Aufführung des Kla-
überschreitet Strauss aber- und letztmals die Gren- vierauszugs seines Orchesterlieds Die Muse op. 4
zen zu Symphonik und Oper: Auf die Frage des untersagte (Danuser 1977, 439), erkannte Strauss
lyrischen Ichs »Ist dies etwa der Tod?« antwortet die Notwendigkeit dieser Bearbeitung und unter-
das Orchester mit dem Verklärungsmotiv aus Tod nahm keine Schritte, um Aufführungen in derart
und Verklärung TrV 158 (1889), welches am Schei- reduzierter Form zu unterbinden. Im Falle des
telpunkt die klangliche Welt des Tristan evoziert. Notturno wurde eine solche sogar dadurch beför-
Insofern behält die eingangs zitierte Verwirrung dert, dass zusätzlich zum Klavierauszug auch eine
Hanslicks bis zuletzt ihre Geltung. Fassung für Gesang, Klavier und Violine erschien.
Während Strauss wenigstens die Orchestrierung
Abschließend sei noch erwähnt, dass natürlich eigener Klavierlieder als reizvolle Aufgabe oder
auch originäre Orchesterlieder das Potential zur nützliche Handgelenksübung empfand, überließ
Bearbeitung boten. Im Regelfall erschien zeit- er das lästige Geschäft des umgekehrten Verfah-
gleich mit der Orchesterpartitur auch ein Klavier- rens (mit Ausnahme von TrV 206, Nr. 2) durch-
auszug. Im Gegensatz zu Walter Courvoisier, der wegs subalternen Geistern.

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362

20.
Chorwerke
Von Barbara Eichner

Verglichen mit Richard Strauss’ Symphonischen ren a-cappella-Kompositionen nicht ediert wer-
Dichtungen und Bühnenwerken führen seine den sollen.
Chorwerke ein Schattendasein. Trotz einer keines- Hauptproblem bei der Annäherung an Strauss’
wegs geringen Anzahl von immerhin 51 Komposi- Chorschaffen ist, wie bei den späten Opern, ihre
tionen, die sein ganzes kreatives Leben von ju- Abwesenheit im Musikleben. Zu Lebzeiten des
gendlichen Übungen bis zu Altersfragmenten Komponisten war das kaum anders; schon Specht
umspannen, würde man Strauss kaum, wie Johan- konnte nicht »von lebendigen Eindrücken« schrei-
nes Brahms oder Max Reger, als »Chorkomponis- ben, da er nur zwei Chorstücke und diese auch
ten« apostrophieren. Denn in dieser Zahl sind, nur »in minderwertigen Aufführungen erlebt«
wie Heiner Wajemann in der bisher einzigen hatte (Specht 1921, 34). Das liegt einerseits an den
umfangreichen Studie zum Chorschaffen betont, unbestreitbaren technischen Schwierigkeiten, ob-
auch zahlreiche Kleinformate und Gelegenheits- wohl, wie Judith Blezzard energisch argumentiert
stücke enthalten (Wajemann 1986, 43), wie etwa hat, »[t]he pieces might be difficult to sing but
der Strauss’ Skatbruder Willy Levin gewidmete they are not difficult to listen to« (Blezzard 1991,
»Skatkanon« TrV 210 oder die Hymne »Licht, 21). Andererseits sind gerade die groß besetzten
du ewiglich Eines« TrV 183 zur Eröffnung der Werke am stärksten einer Musikkultur mit am-
Münchner Kunstausstellung »Sezession« 1897, die bitionierten Männerchören und Chorfestivals
man bei einem profilierteren Chorkomponisten verhaftet, die es in dieser Form zumindest in
kaum zum Werkbestand zählen würde. Deutschland nicht mehr gibt. In Strauss’ Werkbe-
Die Unsicherheit darüber, wie die Chorwerke stand haben seine Chorwerke daher eine interes-
im Gesamtschaffen zu gewichten sind, zeigt sich sante Zwischenstellung inne: Die Stücke mit Or-
auch in der Strauss-Literatur: Zwischen einem chester und die Männerchöre fügen sich, bis auf
Artikel von Emil Thilo von 1913 und Wajemanns wenige Ausnahmen, zwanglos in die Musikkultur
Dissertation von 1986 wurden die Chorwerke des späten Kaiserreichs und der 1920er und 1930er
fast nur von Biographen wie Richard Specht oder Jahre ein, während die großformatigen gemisch-
Norman Del Mar besprochen, die wirklich jedes ten a-cappella-Chöre experimentell angelegt sind:
Werk berücksichtigen wollten. Ein jüngeres Strauss probiert aus, was man mit einer großen
Einführungswerk bietet immerhin ein lesenswer- Ansammlung menschlicher Stimmen – und ihn
tes Überblickskapitel zur Chormusik, in dem interessieren wirklich Massen von Sängerinnen
Suzanne M. Lodato sich an der »Herausforde- und Sängern – musikalisch und technisch errei-
rung« dieser randständigen Werkgruppe abarbei- chen kann.
tet. Die im Entstehen begriffene Münchner Kri- Da jede Werkgruppe ihre spezifischen kompo-
tische Ausgabe wird an der unbefriedigenden sitorischen und kontextuellen Fragen aufwirft,
Situation kaum etwas ändern, weil ausgerechnet sollen zunächst die Chorwerke mit Orchester,
die schwer zugänglichen Frühwerke und kleine- dann die Männerchöre a cappella und zuletzt die
20. Chorwerke 363

gemischten Chöre besprochen werden. Dass dabei ter noch ist die von Brahms inspirierte komplexe
das Hauptaugenmerk auf den bekannteren und Behandlung des Rhythmus: Strauss stapelt nicht
schon öfter besprochenen Werken liegt, während nur polyphone Chorstimmen im 3/4- und 4/4-
Jugendkompositionen, Fragmente und Bühnen- Takt übereinander, er verschleiert auch den vor-
chöre ausgespart bleiben müssen, lässt sich bei der herrschenden Dreiertakt durch Synkopen, He-
Kürze der Übersicht nicht vermeiden. miolen und verschobene Akzente. Auch in den
späteren Chorwerken kehrte Strauss immer wieder
zu den hochgestimmten, ethisch-philosophischen
Gedichten der Weimarer Klassik und der Roman-
Chorwerke mit Orchester tik zurück. Er fühlte sich außerdem zeitlebens be-
sonders von Gedichten angezogen, in denen wie-
Aus Sicht des heutigen Konzertlebens, in dem derkehrende Elemente – wie hier die Eröffnungs-
aus der reichen Oratorien- und Chorballadentra- zeile »Wen du nicht verlässest, Genius« – zur
dition des 19. Jahrhunderts praktisch nur geistli- Bildung von musikalischen Refrains anregen.
che Werke überlebt haben, erscheinen Strauss’ Auf ihre Weise haben sowohl Taillefer op. 52
weltliche, groß besetzte Werke ungewöhnlich und TrV 207 als auch Bardengesang op. 54 TrV 219 ei-
sperrig. Gerade sie sind aber Kinder ihrer Zeit. Für nen zweifelhaften Ruhm erworben: Taillefer als
einen jungen Komponisten, der sich breitere Zu- Vertreter eines spätwilhelminischen »Maximalis-
hörerkreise erschließen wollte, war die Entschei- mus« mit vierfach besetzten Holzbläsern, 20 Blech-
dung für ein orchesterbegleitetes Chorwerk strate- bläsern und 12 Schlaginstrumenten, die einen
gisch motiviert, da sich viele ambitionierte Laien- entsprechend großen Streicher- und gemischten
chöre ein möglichst emphatisches und, wenn Sängerchor verlangen; Bardengesang wegen seines
nicht religiöses, so doch moralisch erbauliches germanisch-deutschtümelnden, über weite Stre-
Werk als krönenden Höhepunkt ihrer Festkon- cken in seinem rhapsodischen Überschwang fast
zerte wünschten. unverständlichen Klopstock-Textes. Weder große
Wandrers Sturmlied op. 14 TrV 131 für sechs- Besetzung noch historistisches Sujet sind aller-
stimmigen gemischten Chor und Orchester auf dings ungewöhnlich für die Jahrhundertwende.
einen Text des jungen Goethe erfüllte diesen Der Tübinger Universitätsmusikdirektor Fritz Vol-
Zweck genau und wurde bis zur Wende zum bach etwa betonte in der Einführung zu seiner
20. Jahrhundert immer wieder im In- und Ausland »deutschen Heldenmär« König Laurins Rosengar-
musiziert. Vollendet im Mai 1885 und am 8. März ten op. 38 für Bariton, Männerchor und Orchester
1887 im Kölner Gürzenich durch Franz Wüllner die »freie, selbständige Behandlung des Orches-
uraufgeführt, fällt die Komposition in die Zeit, als ters«, das nicht vom Chor erdrückt werden dürfe
Strauss sich unter dem Einfluss von Hans von (Volbach 1913, o. S.). Noch weiter geht sein Kölner
Bülow für Johannes Brahms begeisterte. Er hörte Zeitgenosse August von Othegraven in Bauernauf-
dessen Gesang der Parzen, ebenfalls sechsstimmig stand op. 37, dessen orchestrale Ausmalung des
und auf einen Goethe-Text komponiert, mehrmals Kampfgetümmels zeitgenössische Kritiker zu –
in den Jahren 1883 und 1884 und gab unumwun- nicht unbedingt schmeichelhaft gemeinten – Ver-
den die Anregung durch »Brahms’ großartige gleichen mit Strauss’ Symphonischen Dichtungen
Chorschöpfungen« zu (Kämper 1963, 6). In der inspirierte.
düster-dramatischen Einleitung in d-Moll, die Bei Taillefer, laut Partitur ausdrücklich für
eher Regen und Sturm als das Walten des Genius große Ereignisse und Musikermassen gedacht,
charakterisiert, hörte der Kritiker Eduard Hanslick hatte Strauss von Anfang an »so ein richtiges Mu-
Echos des Gesangs der Parzen; zudem lehnen sich sikfeststück« im Sinn (Werbeck 1999, VIII) und
ein chromatisch fallendes Tetrachord – traditionell ärgerte sich regelmäßig, wenn Kritiker nach Auf-
ein Klagegestus – sowie die Aufhellung nach D- führungen in zu kleinen Sälen die übermäßige
Dur in der a-cappella-Passage »nach der Wärme Besetzung monierten. Taillefer wurde zwar nicht
ziehn die Musen, nach der Wärme Charitinnen« zur Feier von Strauss’ Heidelberger Ehrenpromo-
an Brahms’ Nänie an (Todd 1992, 15 f.). Interessan- tion komponiert, aber am 26. Oktober 1903 in der
364 Vokalmusik

neuen Heidelberger Stadthalle unter Universitäts- Helden in Walhalla, der in einem ausführlichen
musikdirektor Philipp Wolfrum uraufgeführt und Orchesternachspiel anklingt. Überhaupt steuert
der Philosophischen Fakultät der Universität ge- das Orchester – diesmal nur mit doppelten Holz-,
widmet. Die zugrunde liegende Ballade von Lud- aber reichlich Blechbläsern und vier Harfen be-
wig Uhland beschreibt im Wechselgespräch von setzt – den musikalischen Verlauf, während der
Normannenherzog Wilhelm, Herzogin, Helden- Männerchor trotz des triumphalen hohen c’’ im
sänger Taillefer und Chor die Schlacht bei Has- Schlussakkord oft recht überschaubar im Unisono
tings. Zwar hatten Uhlands Dichtungen seit der oder in zweistimmigen Gruppen geführt ist. Die
Erfindung der Gattung Chorballade durch Robert Aufteilung in drei Chöre ist weniger kontrapunk-
Schumann zahlreiche Komponisten inspiriert, tisch als tonmalerisch motiviert, um die heranzie-
doch Strauss war bis Taillefer sowohl dem Dichter henden Kriegergruppen darzustellen; dazu kommt
wie auch der erzählenden Form aus dem Weg ge- ein Fernorchester mit je vier Hörnern, Trompeten
gangen. Kurze narrative Einschübe wie »Der und Posaunen, das während des orchestralen
Herzog sprach« etc. lässt er in seiner Vertonung Nachspiels zum Bühnenorchester aufschließt.
aus, um eine dramatischere Gestaltung zu erzielen. Dieser Fernchor spielt das neunzigmal wiederkeh-
Der Chor, oft unisono oder vierstimmig-homo- rende Quart-Rufmotiv, mit dem auch der Chor
phon geführt, übernimmt die längeren erzählen- einsetzt (Wajemann 1986, 152). Trotz seines patrio-
den Partien, verdoppelt aber auch die Schluss- tischen Überschwangs fanden bereits Strauss’
ansprache des Herzogs um der eindrucksvolleren Zeitgenossen den Text eher komisch, besonders
musikalischen Wirkung willen. Den Löwenanteil die Aufzählung der germanischen Stämme: »Ihr
der musikalischen Arbeit hat das Orchester zu Bructerer! Ihr Warner! Ihr Gothonen! Ihr Naris-
leisten, vor allem in der 86 Takte messenden ken! Ihr Lewoner!« Strauss interessierte eher die
Schlachtenszene, die Zeitgenossen regelmäßig zu regelmäßig in die Aufzählung eingeschobene Zeile
Vergleichen mit Ein Heldenleben herausforderte. »Ihr festlichen Namen des Kriegsgesangs«, bei der
Geschickt lässt Strauss Taillefers Rolandslied, das Chor und Orchester in bewegte Tanzrhythmen
das Schlachtenglück wendet, nicht vom Tenor- ausbrechen. Auch vor der abschließenden Wal-
solisten vortragen, sondern vertraut die geradezu halla-Vision steigert sich der Chor zu einem freu-
volksliedhafte Melodie dem Orchester an, so dass digen Reigen der Ahnen, der an den wenig später
sie immer wieder im Kampfgetümmel aufblitzen entstandenen Todestanz Elektras erinnert (Del
kann. Trotz der festen Verankerung in D-Dur und Mar 1969, 368). Trotz aller »teutonisierende[n]
schwungvoller Melodik monierte ein englischer Kraftmeierei dieses schwarzrotgoldenen Germa-
Kritiker nach einer Aufführung beim Leeds Music nentums« (Specht 1921, 37) fand Strauss, der »grie-
Festival 1913, die Musik käme »from the brain and chische Germane« (Strauss 1981, 182), den Zugang
not from the heart« (Leeds 1913, 745). zur deutschen Vorzeit eher in den antikisierenden
Auch Strauss’ nächstes großbesetztes Chor- Dithyramben Klopstocks als in der patriotischen
werk, der 1905 begonnene und am 21. November Dutzendware zeitgenössischer Dichter.
1906 in Dortmund – nicht, wie stets zu lesen, 1907 Zwei Jahrzehnte später löste der Bardengesang
in Dresden (Eichner 2012, 225) – uraufgeführte ein ganz anders geartetes Werk für Männerchor
Bardengesang op. 55 kreist um die Themen Kampf und Orchester aus: Strauss’ einzigen Chorzyklus
und Sieg, diesmal basierend auf einem frühen Die Tageszeiten op. 76 TrV 256. Nach einer Bar-
Beispiel deutsch-romantischer Germanenbegeiste- dengesang-Aufführung durch den Wiener Schu-
rung, einem Hymnus aus Klopstocks Drama bertbund im Dezember 1922 wurde Strauss die
Hermanns Schlacht (1769). Mit dem Szenario Ehrenmitgliedschaft des Vereins verliehen. Einein-
konnten sich zeitgenössische Männerchöre, die halb Jahre später, im Anschluss an ein Ständchen
ihren Gesang als Beitrag zur nationalen Sache zum 60. Geburtstag des Wiener Staatsoperndirek-
ansahen, leicht identifizieren: Während im Or- tors, erbat sich Dirigent Viktor Keldorfer ein
chester die Schlacht tobt, feuern drei Bardenchöre Opus. Strauss ging auf diesen Vorschlag mit Vor-
die Kämpfer an, beschreiben den Untergang der behalten ein: Zum einen bedauerte er (wohl mit
Römer und preisen schließlich den Lobgesang der ironischem Unterton): »Ach, wenn ich nur die
20. Chorwerke 365

Technik des Männerchorsatzes besser los hätte« Bartholdys berühmte Eichendorff-Vertonungen


(Keldorfer 1956, 129 f.), zum anderen irritierte ihn, für Männerchor erinnert, dessen Einfluss bei
dass Keldorfer Gedichte von Joseph Eichendorff Strauss ansonsten praktisch nicht erkennbar ist.
vorschlug, den Hans Pfitzner erst einige Jahre zu- Vielleicht zum ersten Mal in Strauss’ Chorwerk
vor in seiner Kantate Von deutscher Seele vertont sind hier Chor und Orchester in eine perfekte
hatte. Trotz Strauss’ Bedenken war Ende 1927 der Balance gebracht; der Chor ist nicht nur Stich-
Zyklus Die Tageszeiten (mit den Chören »Der wortgeber für das auf eigene Rechnung agierende
Morgen«, »Mittagsruh«, »Der Abend«, »Die Orchester, sondern beide Partner teilen sich die
Nacht«) fertiggestellt; am 2. Juli 1928 folgte die Beschwörung der idyllischen wie der dunklen
Uraufführung durch den Schubertbund im Beipro- Seiten romantischer Natur.
gramm des Deutschen Sängerbundesfests in Wien. In den beiden letzten Chorwerken mit Orches-
Keldorfer nahm für sich in Anspruch, die a- ter – wenn man vom Fragment gebliebenen »Die
cappella-Einleitung des Zyklus und die unbeglei- Donau« absieht – spielt der Chor wieder nur die
tete Passage zu Beginn der Schlussstrophe von untergeordnete Rolle des Textträgers. Während
»Die Nacht« angeregt zu haben. Ähnlich war Strauss im »österreichischen Lied« Austria op. 78
Strauss allerdings schon in Wandrers Sturmlied TrV 259 den Männerchor strikt im Unisono führt,
verfahren, um die Schlusssteigerung effektvoll lockern sich die D-Dur-Fanfaren der Olympischen
hinauszuzögern. Die a-cappella-Strophe zum Ein- Hymne TrV 266 zumindest gelegentlich zu vier-
gang schlägt mit ihrer Tonart F-Dur den Bogen stimmigen Akkorden auf. Beide Werke rechnen auf
zum F-Dur-Schlussakkord der »Nacht«, bevor das die Mitwirkung singender Volksmassen, obwohl
Orchester mit einem ungestümen Aufschwung in der Umfang der Melodielinien wie auch die Rhyth-
G-Dur einsetzt. Der Zyklus ist geprägt durch den mik keineswegs volkstümlich sind. Abgesehen von
Wechsel von Überschwang (»Der Morgen«, »Der ihrem beschränkten sängerischen Anspruch spricht
Abend«) und einer in sich gekehrten, versonnenen auch die Zeitgebundenheit von Text und Entste-
Haltung (»Mittagsruh«, »Nacht«). Während die hung gegen jegliche Wiederbelebungsversuche.
Rückertschen Gedichte, die Strauss für einige sei- Austria wurde von Anton Wildgans, Direktor des
ner größeren a-cappella-Chöre wählte, durch ihre Wiener Burgtheaters, verfasst, und zwar im Kon-
hochartifizielle Sprache den Komponisten eben- text der Diskussionen um die Schaffung einer
falls zu ausgefallenen und virtuos-verspielten neuen österreichischen Nationalhymne. Wildgans
Schöpfungen anregten, kommt seine Musikspra- wollte mit seinem Text, den er am 19. Februar 1929
che in den schlichten Naturbildern Eichendorffs, an Strauss schickte, ein positives Österreich-Bild
die das Seelenleben des Menschen spiegeln, zum propagieren; er hoffte, Strauss’ Komposition werde
ersten Mal zur Ruhe. Ein Menuett-Rhythmus in sich als »eine eigenartige künstlerische National-
getragenem Tempo durchzieht die Einleitung von hymne der Österreicher« halten (Wajemann 2001,
»Mittagsruh«, und die Grundtonart E-Dur wird 73). Doch einerseits überschätzte er die Attraktivi-
nur zweimal verlassen: hinauf zum noch helleren tät seines Poems, das mit Wendungen wie »Wo in
Fis-Dur bei »schillert, Strahlen«, und hinab in der Berge Herz / Dämmert das Eisenerz« oder
Richtung B- und sogar Es-Dur zur Darstellung »Wurzelheil, Kraft im Mark« Landschaft und Volk
heimlicher Gedanken aus den Tiefen des Unbe- Österreichs preist, und andererseits unterschätzte
wussten. In »Die Nacht« hört man im einleiten- er das Beharrungsvermögen seiner Landsleute, die
den Hornsolo und später im lautmalerischen Vo- wieder zur angestammten Haydn-Melodie (mit
gelzwitschern von C- und B-Klarinette sowie neuem Text) zurückkehrten. Auch Strauss zitiert in
Flöte ‒ ausgelöst vom Stichwort »Nachtigall« – Austria Haydn an einigen Stellen, wobei es unklar
schon Strauss’ berühmteste Eichendorff-Verto- ist, ob er nur österreichisches Lokalkolorit be-
nung voraus: »Im Abendrot« aus den »Vier letzten schwören oder ein politisches Statement über die
Liedern«. In der letzten Strophe der »Nacht« redu- gute alte Kaiserzeit abgeben wollte.
ziert Strauss den bis dahin ruhig bewegten Chor- Umso eindeutiger sind die politischen Assozia-
satz auf diatonische Dreiklangsfolgen in gleichmä- tionen der Olympischen Hymne, die zwar bereits
ßigen halben Noten, was an Felix Mendelssohn Ende 1932 vom Vorsitzenden des Internationalen
366 Vokalmusik

Olympischen Komitees in Auftrag gegeben wor- einiger ganz großer Vereine […] doch minimal
den war, aber erst im Rahmen der Berliner Som- ist« (Berlioz/Strauss 1955, 395). Auch die Leis-
merspiele 1936 erklang, bei denen das national- tungsschau beim ersten »Kaiserpreissingen« 1899
sozialistische Regime einen seiner größten Propa- in Kassel, bei dem Strauss als Juror fungierte,
gandaerfolge verbuchen konnte. Strauss ließ sich konnte ihn nicht überzeugen: Während des »hun-
auf die Komposition wohl ein, weil es ihm delangweiligen Concertes« schrieb er an seine
schmeichelte, als Hauptvertreter der Kulturnation Frau: »nachmittags Fortsetzung des Gebrülles
Deutschland die für alle zukünftigen Spiele gül- […]. Es ist ein unglaublicher Mumpitz« (Waje-
tige Olympiahymne zu schreiben, obwohl er seine mann 1986, 266 f.). Dass sich Strauss überhaupt zu
Verachtung für unkultivierte Sport-»Proleten« in diesem Amt herabließ, lag sicher an den Wün-
Briefen nicht verhehlte (Wajemann 2001, 76). schen seines obersten Berliner Dienstherren, Kai-
Nach einem Preisausschreiben mit Tausenden von ser Wilhelm II., der mit solchen Wettbewerben
Einsendungen und einer Vorauswahl von vier das künstlerisch-musikalische Niveau der Män-
Gedichten entschied Strauss sich für den Text des nerchorbewegung heben wollte. Strauss machte,
unbekannten Robert Lubahn, dessen völkerver- wo immer es ging, um die Aktivitäten des
bindende Botschaft noch in der Tradition Cou- Deutschen Sängerbundes einen weiten Bogen.
bertins steht. Dem Komponisten gefiel vielleicht Nie versuchte er, etwa durch die Teilnahme an
die regelmäßige Wiederkehr des Wortes »Olym- Kompositionswettbewerben, nachhaltig in dieser
pia« in drei der sechs Strophen, mit dessen dreisil- Szene Fuß zu fassen; die frühe Schwäbische Erb-
bigem Motiv er das Stück ungezwungen gliedern schaft TrV 134 von 1884 bildet eine Ausnahme.
konnte. Die Aufführung der bereits Ende 1934 Daher kann man nicht einfach annehmen,
beendeten Hymne während der Eröffnungsfeier Strauss’ Männerchöre op. 42 TrV 194 (1899) und
der Spiele leitete Strauss selbst, wohl auch, um den op. 45 TrV 193 seien durch den Kasseler Wettbe-
negativen Eindruck zu verwischen, den sein von werb angeregt worden; auch für einen kaiserlichen
der Gestapo abgefangener Brief an Stefan Zweig Befehl gibt es keinen Beleg. Strauss fühlte sich
vom Juni 1935 und der dadurch erzwungene Rück- vielleicht versucht, einen Gegenentwurf zu den
tritt als Präsident der Reichsmusikkammer bei den hochvirtuosen, auf maximale Wirksamkeit ange-
Machthabern hinterlassen hatte. Da die Spiele legten, aber kompositorisch oft stereotypen und
1940 und 1944 ausfielen und die Londoner Spiele wenig innovativen Wettbewerbschören zu schaf-
1948 ohne deutsche Beteiligung stattfanden, stellte fen. Wie andere Zeitgenossen verlangte er techni-
sich die Frage nicht mehr, ob Strauss’ Olympische sche Höchstschwierigkeiten – wie etwa die enhar-
Hymne auf Dauer überlebensfähig gewesen wäre. monischen Verwechslungen im Schlachtgesang
op. 45/1 oder die extremen Lagen von erstem
Tenor und zweitem Bass im Lied der Freundschaft
op. 45/2 –, aber Strauss wählt ein gänzlich anderes
Männerchöre a cappella Format: nicht die dramatisch-tonmalerische Chor-
ballade nach dem Muster des Schweizers Friedrich
Während die Chorwerke mit Orchester deutlich Hegar, die um die Jahrhundertwende die Konzert-
auf ein großes Publikum, die Hymnen sogar auf programme dominierte, sondern introvertierte
die breite Masse zielen, verweigerte sich Strauss Miniaturen. Zwar empfindet Wajemann »Gesellig-
ausgerechnet beim unbegleiteten Männerchorlied, keit und Patriotismus« der Texte als typisch wil-
der populärsten Gattung des Kaiserreichs, den helminisch (Wajemann 1986, 211), und das Alt-
Vorstellungen der Sänger. Vereinsmäßiger Gesel- deutsche Schlachtlied op. 42/2 beschwört »deut-
ligkeit konnte Strauss nichts abgewinnen, und den sche[s] Blut […] mit frischem Mut«, »Freiheit« und
großen Einfluss der Amateure hielt er für nachge- »Vaterland« tatsächlich mit einem gerüttelt Maß
rade kunstschädlich. »Die Tätigkeit der deutschen an Tonmalerei. Doch fehlt Strauss’ Männerchören
Männergesangvereine«, so seine Einschätzung die für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert so
1905, »kommt kaum in Betracht, da deren künst- typische Sentimentalität, die Richard Specht als
lerische Ausbeute mit den wenigen Ausnahmen »Liedertafelei und Gesangvereinsbanalität« gei-
20. Chorwerke 367

ßelte (Specht 1921, 35). Auch bezog Strauss die Kommissionen schließlich 610 aus, wobei in vie-
Texte für op. 42 und 45 nicht von Modedichtern len Fällen alte Volksliedmelodien – das Projekt
wie Emanuel Geibel oder Felix Dahn; vielleicht stellte auch einen Meilenstein der Volksliedfor-
wurde aus diesem Grund das auch von Zeitge- schung dar – von zeitgenössischen Komponisten
nossen gerne vertonte Soldatenlied TrV 192 von wie Max Bruch, Friedrich Gernsheim oder Lud-
August Kopisch wieder aus der Sammlung op. 45 wig Thuille neu mehrstimmig bearbeitet wurden.
ausgeschieden. Stattdessen wählte er Gedichte aus Auch Strauss wurde eingeladen, sich mit einigen
Johann Gottfried Herders Sammlung Stimmen der Sätzen am neuen Liederbuch zu beteiligen. Wie-
Völker in Liedern (1807), die für dieses Genre noch der entschied er sich für einen bewusst archaisie-
unverbraucht waren und zentrale Lebensfragen renden Ansatz, nicht nur durch den Fokus auf
wie Tod, Freundschaft und Liebe in einem objek- Texte und Melodien des 16. Jahrhunderts, sondern
tiv-nüchternen Ton präsentieren. Besonders deut- auch durch die Wahl eines strengen Idioms, das
lich wird der sentenzenhafte Ton im Lied der zwar gelegentlich typisch straussische harmoni-
Freundschaft op. 45/2 nach einem lehrhaft-morali- sche Ausweichungen erlaubt, aber die Textdekla-
schen Gedicht des Barockdichters Simon Dach, mation in den Vordergrund stellt und bewusst
während in Liebe op. 42/1 nicht das sentimentale modale Wendungen sucht. Die Mißlungene Lie-
Schmachten unter der Liebsten Fensterlein, son- besjagd weist etwa bei den Worten »Halt dich in
dern treu-beharrliche Zuneigung beschworen Hut, mein Tierlein gut« berühmt gewordene
werden. Beide Stücke zeigen auch, wie Strauss’ Quintparallelen auf, die laut einem Zeitgenossen
Behandlung der Gedichte sich von derjenigen »einem Hucbaldschen Organum nicht unähnlich
seiner Zeitgenossen unterscheidet: Zum einen sehen« (Liebscher 1907, 343). ›Volkstümlich‹ im
wählt er gerne Texte mit etwas unregelmäßiger Sinne von Silcher oder Mendelssohn sind die Be-
Struktur, zum anderen vermeidet er auch bei regu- arbeitungen allerdings nicht; Strauss mokierte sich
lären vierhebigen Zeilen die stereotypen Rhyth- über Aufgabe und Auftraggeber gegenüber Wüll-
men vieler Männerchöre. Im schwungvollen ner: »Übrigens habe ich hier selbst 6 Männerchöre
Brauttanz op. 45/3 wechselt er beispielsweise wie- geschrieben, von denen ich nicht recht überzeugt
derholt vom ländlerartigen Dreiertakt in den 4/8- bin, ob sie nach dem Volksgeschmack seiner Ma-
Takt und belebt die Deklamation durch Synko- jestät sein dürften« (Kämper 1963, 50). Dass das
pen, Wechsel von auf- und abtaktigen Phrasen kaiserliche Volksliederbuch bei der Zielgruppe, den
und verschieden positionierte Punktierungen. deutschen Männerchören, nicht besonders gut
Im Gegensatz zu den durch Opusnummern ankam, lag allerdings weniger an den Beiträgen
›geadelten‹ op. 42 und 45 stellen die Sechs Volks- der ›Modernisten‹, sondern daran, dass sich selbst
liedbearbeitungen TrV 216 (1905) wohl wirklich der patriotische Deutsche Sängerbund die Einmi-
Gefälligkeitsarbeiten dar. Nachdem Wilhelm II. schung des kaiserlichen Dilettanten, ob durch
den hochvirtuosen Männergesang durch Wettbe- Wettbewerbe oder Editionsprojekte, verbat.
werbe befördert hatte, zeigte er sich nach dem Die späten Drei Männerchöre TrV 270 nach
Frankfurter »Kaiserpreissingen« von 1903 besorgt Gedichten von Friedrich Rückert – der für die
wegen der Vernachlässigung des sangbaren, melo- gemischten Chöre noch eine wichtige Rolle spie-
diösen Volkslieds zugunsten moderner technischer len wird – widmete Strauss zwar seinem Skatbru-
Höchstleistungen. Um dem abzuhelfen, wurden der Eugen Papst und dessen Kölner Männer-Ge-
zwei Kommissionen eingesetzt, die in einem dezi- sangverein, doch handelt sich nicht um Auftrags-
diert populären Liederbuch »eine Auswahl des stücke. Anlass war vielmehr die innere Verfassung
Besten aus dem reichen Schatz an Volksliedern des Komponisten. Im Sommer 1935, als Strauss bei
und volkstümlichen Gesängen, […] die jedem Goebbels und Hitler in Ungnade gefallen war und
Deutschen ans Herz gewachsen sind [und] in um die Sicherheit seiner Familie fürchtete, machte
ewiger Jugendschönheit und Jugendfrische den er, wie Bryan Gilliam überzeugend dargelegt hat,
zerstörenden Wirkungen der Zeit Trotz geboten eine persönliche und kreative Krise durch. Ledig-
haben«, zugänglich machen sollten (Liliencron lich »die Lektüre von Goethe und Rückert konnte
1906, VI). Aus über 8000 Liedern wählten die ihm seinen Seelenfrieden wiedergeben« (Gilliam
368 Vokalmusik

2001, 101) und schlug sich in der Komposition unter Hugo Rüdel oder später den Wiener Staats-
einiger Texte Rückerts als Männerchöre nieder. opernchor unter Clemens Krauss, der sich 1927 als
Besonders die ersten zwei Stücke, Vor den Türen Konzertvereinigung konstituierte. ›Kleine‹ Elite
und Traumlicht, schlagen einen resignierten Ton- bezieht sich natürlich nur auf die Zahl der in
fall an: Dem lyrischen Ich des ersten Gedichts Frage kommenden Chöre, nicht der Ausführen-
bleibt, nach vergeblichem Anklopfen bei Reich- den: In seinen Anmerkungen zu Berlioz’ Instru-
tum, Liebe, Ehre, Arbeit und Zufriedenheit, nur mentationslehre schlägt Strauss vor, die 100 So-
das Grab. Das lyrische Ich im fünfstimmigen prane eines großen Chors zur Wiedergabe einer
Traumlicht träumt dagegen in Strauss’ ›Liebeston- langen Phrase am zweckmäßigsten in Gruppen zu
art‹ E-Dur von einem Stern, der ihm »gern die je 25 zu teilen, die dann an verschiedenen Stellen
Augen« schließen würde. Das Thema Resignation Atem holen dürfen (Berlioz/Strauss 1955, 379). Vor
beherrscht auch zwei weitere, Fragment geblie- diesem Hintergrund müssen auch die erheblichen
bene Männerchöre nach Rückert-Texten, »Friede technischen Schwierigkeiten seiner Chöre gesehen
im Innern« und »Sühnung«. Erst im dritten voll- werden: nicht nur die Verwendung extremer La-
endeten Chorsatz Fröhlich im Maien hat Strauss, gen, sondern vor allem die autonome Führung
wie man zumindest aus der tanzhaft-bukolischen der Einzelstimmen und die weit schweifenden
Stimmung schließen kann, seine Depression über- Modulationen, deren tonale Zentren trotz chro-
wunden. Allerdings sollte man nicht übersehen, matischer Linien und enharmonischer Verwechs-
dass der Tanz der jungen Paare in fröhlichen lungen über lange Zeiträume immer wieder ange-
9/8-Rhythmen aus der Perspektive eines am Rand steuert werden. Clemens Krauss berichtete Strauss
stehenden Alten geschildert wird, womit Strauss am 18. November 1939 nach einer Aufführung der
sein Gefühl der Marginalisierung ausdrücken Deutschen Motette stolz, der Chor habe »herrlich
könnte. Bezeichnenderweise wählte er – falls Gil- gesungen« und sei am Schluss wie geplant in der
liams Theorie zutrifft – für den Ausdruck seiner Ausgangstonart, »im reinsten C-Dur« gelandet
inneren Verfasstheit nicht das Sololied, sondern (RSCK 261).
die geselligste Gattung überhaupt, den Männer- Stimmenvielzahl und kontrapunktische Kom-
chor. Dieser Zwiespalt von persönlichem Be- plexität der 16-stimmigen Chöre op. 34 TrV 182
kenntnis – soweit dieser Begriff bei Strauss über- und der 20-stimmigen Deutschen Motette op. 62
haupt statthaft ist ‒ und objektivierendem Musi- TrV 230 haben immer wieder Assoziationen mit
zierkollektiv prägt auch einige seiner gemischten Renaissance- und Barockkomponisten von den
Chöre. ›Niederländern‹ bis Schütz und Bach herausgefor-
dert. Doch der Vergleich hinkt – er funktionierte
ohnehin nur in einer Zeit, als Alte Musik noch
von großen Ensembles statt schlanken Solisten-
Werke für gemischten Chor gruppen aufgeführt wurde. Auch Strauss-Kenner
a cappella zeigen nicht selten ein etwas naives Erstaunen
darüber, dass der Komponist 16 Stimmen nicht
Während die Chorwerke mit Orchester und die nach dem Muster venezianischer Mehrchörigkeit
Männerchöre im Musikleben des späten 19. und in vier vierstimmige Chöre gliedert, sondern flexi-
frühen 20. Jahrhunderts institutionell fest veran- bel in freien Kombinationen einsetzt, was sich
kert waren – gleichgültig, ob die Gesangvereine schon im Notenbild von op. 34 zeigt, wo die vier
mit Strauss’ Werken besonders glücklich wurden Soprane, Alte, Tenöre und Bässe jeweils als Gruppe
oder nicht –, schrieb er seine großen gemischten notiert sind. Obwohl offensichtlich nicht an his-
Chöre a cappella für ein Ensemble, das damals erst torische Vorbilder angelehnt, steht Strauss’ Chor-
im Entstehen begriffen war, nämlich den stark satz nicht abseits der Tradition: Die freie Kombi-
besetzten, professionellen Konzert- und später nierbarkeit von Stimmen und Stimmgruppen
Rundfunkchor. Strauss wandte sich also von An- findet sich beispielsweise in Robert Schumanns
fang an an eine kleine Elite, etwa Franz Wüllners Doppelchören op. 141 (1849), in den Chorgesängen
Konservatoriumschor, den Berliner Hofopernchor op. 11 (1871) des Münchner Wagnerianers Peter
20. Chorwerke 369

Cornelius, die auf Gedichten von Rückert basie- eine kirchliche Bindung verlange, sei dahingestellt
ren, und in den Unaccompanied Part-Songs […] for (Stephan 1991, 300). Ulrich Konrad konnte nach-
SATB with divisions des direkten Zeitgenossen weisen, dass Strauss in den Skizzen zunächst den
Edward Elgar (op. 53 [1908], op. 71 [1914], op. 73 Arbeitstitel »Hymne« im Sinn hatte und sich spä-
[1914]), auf deren unkonventionelle Stimmenauf- ter für »Motette« entschied, um Verwechslungen
teilung bereits der Titel verweist. mit dem früheren Stück vorzubeugen (Konrad
Mit der Naturstimmung von Der Abend 2001, 306). Die antikisierende Hymne stand
op. 34/1 (1897) auf einen Text von Schiller kehrt Strauss allemal näher als die Motette mit ihren
Strauss zur klassischen Welt von Wandrers Sturm- Assoziationen von reiner Tonkunst und Kirchen-
lied zurück und entwirft mit breiten Pinselstrichen musik. Auch ein Einfluss von Schumanns Motette
eine idyllische Landschaft, die in seinen späten op. 93 (1849, orchestriert 1852) auf den Rückert-
Antikenopern wiederkehren wird. In seiner star- Text »Verzweifle nicht im Schmerzenstal« ist
ken Klangsinnlichkeit ist Der Abend unter den denkbar. Überhaupt war der Dichter, Philologe
großen Chorwerken am leichtesten zugänglich: und Orientalist Rückert eine beliebte Wahl für
Am Anfang schweben die Klänge um ein 20 Takte Komponisten, die einen erhabenen, eben »hymni-
lang ausgehaltenes g’’ herum; am Ende, als der schen« Ton mit deutlichem Transzendenzbezug
Sonnengott Phoebus im Arm der Meeresgöttin suchten, ohne sich jedoch kirchlich oder religiös
Thetis ruht, wandelt sich das anfängliche G-Dur festlegen zu wollen. Mit der vagen Mischung aus
in ein leuchtendes E-Dur. Liebevolle Tonmalerei Naturanbetung und Verehrung des wie auch im-
lässt das Bild der Sonnenrosse, die abends müde mer definierten »Göttlichen« konnte sich auch
die Köpfe hängen lassen, oder das »Lächeln« der Strauss anfreunden. Die Hymne ist durchzogen
plätschernden Meereswellen in Triolen plastisch von biblischen Anspielungen, doch die Rückkehr
vor den Augen der Zuhörer erstehen. Nach den von Jakobs verlorenem Sohn wird mit der Rück-
irisierenden Klangflächen des Anfangs wird die kehr des Frühlings gleichgesetzt und damit aus der
Begegnung von Gott und Göttin durch Zusam- biblischen Welt ins Pantheistisch-Unverbindliche
menfassung der Stimmen in Blöcke – wenn auch entrückt. Dem zwölfstimmigen Hauptchor ist ein
nicht direkt in ›Chöre‹ – deutlich deklamiert; hier vierstimmiges Ensemble entgegengesetzt, das dem
kam es Strauss offensichtlich auf die Verständ- lyrischen Ich in regelmäßigen Abständen mit »O
lichkeit des Textes an. Der Mittelteil ab »Siehe, gräme dich nicht«, »Verzage nicht« etc. Trost zu-
wer aus des Meer’s krystallner Woge« kontras- spricht, wodurch Strauss das ausgedehnte Werk
tiert mit der Tonart B-Dur und fugierten Einsät- mit textlichen wie musikalischen Refrains gliedert.
zen: ein Wechsel von Klang und Satztechnik, der Im Mittelteil »Zwar bedenklich ist unser Gang«
in der Deutschen Motette noch ausgeprägter wie- wird die Beschwerlichkeit des irdischen Wegs
derkehrt. durch eine ausgedehnte Fuge symbolisiert, deren
Trotz ihrer weit auseinanderliegenden Entste- Thema sich in drei Phrasen mühsam eine Oktave
hungsdaten zeigen die Hymne op. 34/2 (1897) und emporarbeitet. Hier ähnelt die Musik deutlich
die Deutsche Motette op. 62 (veröffentlicht 1913) derjenigen von Schumanns Doppelchor Talismane
mehrere Gemeinsamkeiten: Beide setzen ein klei- op. 141/4: Auch Schumann schiebt in seine auf
neres Ensemble – Chor oder Solistenquartett – Goethes West-östlichem Divan basierende Be-
von den übrigen Stimmen ab, beide basieren auf schwörung des Göttlichen in Orient und Okzi-
Texten von Rückert, und beide stellen schon dent eine Fuge ein, die die Irrungen und Wirrun-
durch ihre Bezeichnung die Frage nach einem gen des menschlichen Lebens in ein stark chroma-
möglichen geistlichen Gehalt der Musik – bemer- tisches und harmonisch »irreführendes« Thema
kenswert angesichts der Tatsache, dass (christlich übersetzt, bevor – wie in Strauss’ Hymne – die
angehauchte) Spiritualität bei Strauss sonst eine Gegenwart des Göttlichen die widerstrebenden
völlig untergeordnete Rolle spielt. Ob man nun musikalischen Elemente in Harmonie auflöst.
bei der Deutschen Motette wegen des geistlichen Die Deutsche Motette lässt sich als eine umfas-
Titels mit Rudolf Stephan gleich ein »Gattungs- sende Steigerung der Hymne in jedem komposito-
problem« konstatieren muss, weil eine Motette rischen Parameter verstehen. Dem 16-stimmigen
370 Vokalmusik

Chor gesellt sich noch ein Solistenquartett hinzu; angeregt hat (Brief an Hofmannsthal vom
die Refrainstruktur wird durch die dichterische 27.5.1911; RSHH 124). Im ersten Teil wird das
Vorlage des Ghasel, in dem am Ende jeder zweiten Wirrwarr an Krimskrams in rascher, fast an die
Zeile der Ruf »O wach in mir« ertönt, formalisiert, italienische Oper (oder an die Ensembles der
und im ausgedehnten Mittelteil herrscht eine Schweigsamen Frau) erinnernder Deklamation
»melodisch aufgeschichtete Polyphonie« (Konrad geschildert, bis dann mit dem Eintritt der »Göt-
2001, 299), die in der Kombination unabhängiger tin« plötzlich Ordnung ins Chaos und Homo-
Linien über ein herkömmliches Fugato weit hin- phonie ins Durcheinander der Stimmen kommt.
ausgeht. Auch hier ist die tonmalerische Absicht Verschiedentlich wurde geäußert, der Chor
deutlich: In seiner Auffassung des Texts »O zeig könnte – wie die Symphonia domestica – als Hom-
mir, mich zu erquicken, im Traum das Werk voll- mage ans häusliche Leben der Familie Strauss und
endet« steht für Strauss weder die Erquickung besonders an die Frau des Komponisten gedacht
noch der Traum, sondern das »Werk« im Vorder- sein, doch scheinen die Interpreten eher an das
grund, das durch harte kontrapunktische Arbeit charmante ›feminine‹ Durcheinander zu denken,
realisiert wird, bis alle Stimmen in einer triumpha- das der peinlich genauen Pauline Strauss sicher ein
len Des-Dur-Fläche zusammenfinden. Ulrich Dorn im Auge gewesen wäre, und nicht an die
Konrad hat auf die Verwandtschaft der Deutschen ordnende Göttin. Sie übersehen dabei, dass Rü-
Motette mit der etwa gleichzeitig vollendeten Al- ckerts Gedicht eine durchaus ernsthafte Schluss-
pensinfonie hingewiesen, in deren Skizzen Strauss pointe hat, in der die ordnende Göttin als licht-
anmerkte: »Befreiung durch die Arbeit: das künst- spendende Muse und schöpferische Liebe besun-
lerische Schaffen. Fuge« (Konrad 2001, 309). Der gen wird – eine an Walther von Stoltzings Preislied
Ausbruch aus den Mühsalen der »Welt« geschieht erinnernde Wendung, die dem Strauss’schen
auch hier nicht durch das Eingreifen einer wie Kunstideal sicher entsprach.
auch immer gearteten metaphysischen Instanz, Wie Die Göttin im Putzzimmer blieb Strauss’
sondern aus dem Inneren des schaffenden Künst- letztes großes a-cappella-Chorwerk An den Baum
lers heraus. Daphne TrV 272a (1943) zunächst ungedruckt und
Wegen ihres monumentalen technischen und unaufgeführt, obwohl der Komponist bereits
inhaltlichen Anspruchs ist die Deutsche Motette 1943/44 mit Clemens Krauss über die Urauffüh-
unbestreitbar als ein Hauptwerk in Strauss’ Schaf- rung verhandelte, zu der es aber erst nach seinem
fen – nicht nur innerhalb der Gattung der Chor- Tod 1952 kam. Das Stück steht in engem Zusam-
werke – anzusehen. An der Frage, ob sie auch menhang mit Strauss’ 1937 vollendeter Oper
musikalisch in jeder Hinsicht überzeugt, schieden Daphne, deren vom Librettisten Joseph Gregor
sich allerdings bereits zur Entstehungszeit die vorgeschlagenen oratorienhaften Schlusschor
Geister. Emil Thilo schätzte sie vorsichtig »mehr Strauss ablehnte und sich für eine orchestrale
als ein Experiment« ein (Thilo 1913, 309), während Verwandlungsszene mit Vokalisen der Protagonis-
Richard Specht anmerkte, die »Unersättlichkeit tin entschied. Auf Anregung der Konzertvereini-
des formenden Musikers« könnte in der Auffüh- gung Wiener Staatsopernchor nahm er einige
rung das Gefühl einer gewissen Länge vermitteln Jahre später den ursprünglichen Libretto-Text
(Specht 1921, 39). wieder vor und schrieb einen mit acht Stimmen
In dem achtstimmigen Chor Die Göttin im und einer unisono-Knabenstimme besetzten Chor,
Putzzimmer TrV 267, der anscheinend ohne äuße- den er in Briefen an Willi Schuh als »Zeitvertreib«
ren Anlass im Umkreis der vergrübelten Rückert- abtat (Wajemann 1986, 141), der jedoch in Sub-
Männerchöre von 1935 entstand, zeigt sich eine stanz und Ausdehnung fast die Dimensionen der
ganz andere, heiter-verspielte Seite des Gespanns Deutschen Motette erreicht. Einzigartig in Strauss’
Strauss-Rückert. Wenn Strauss’ Wort von den Chorschaffen ist nicht nur die Verwendung eines
»Rückertschen Schnörkeln« jemals seine Berechti- einstimmigen Knabenchors, sondern auch der
gung hatte, dann hier, wo die Beschreibung des Einsatz ausgedehnter Vokalisen, die über die me-
Tands und Flitters im Zimmer einer Frau den lismatischen Bögen früherer Werke weit hinausge-
Komponisten tatsächlich zu »formalen Orgien« hen. Insgesamt fünfmal alterniert der Textvortrag
20. Chorwerke 371

des großen Chors mit Vokalisen, die zunächst den dicht gearbeiteten, hoch kontrapunktischen
noch als Grundierung für den Knabenchor die- Passagen ist die gleichförmige Klangfarbe profes-
nen, der an diesen Stellen die eigentliche Erzäh- sioneller Choristen, deren Stimmen auf optimale
lung von Daphnes Flucht und Verwandlung Verschmelzung trainiert sind, ein Nachteil; selbst
übernimmt. Im Schlussteil verzichtet auch der 16 unabhängig geführte Singstimmen erreichen
Knabenchor auf Worte, so dass nun ohne textliche nicht die klangliche Vielfalt des spätromantischen
Vermittlung direkt das wortlose »Lied der Liebe, Orchesters. Dies kann auch für Verständnispro-
der Ewigkeit« erklingt, das die zum Lorbeer ver- bleme nicht nur des Textes, sondern auch des
wandelte Daphne singt, wenn die Sonne – wieder musikalischen Vorgangs sorgen. Während in ei-
der Sonnengott Phoebus – sie morgens wachküsst. nem 120-köpfigen Orchester in aller Regel eine
In An den Baum Daphne geht Strauss also den exponierte Englischhorn-Kantilene ohne Pro-
umgekehrten Weg wie Wagner im Rheingold: Statt bleme durchscheint, ist dies für eine zweite Alt-
von der Natur zu den vorsprachlichen Lauten der oder dritte Tenorstimme nicht ohne weiteres ge-
Naturwesen und endlich zur Sprache fortzuschrei- währleistet. Strauss war sich dieser Problematik
ten, bewegt sich der Chorsatz von der Sprache der durchaus bewusst und entsprechend dankbar,
Gruppe zur einzelnen kommentierenden Stimme wenn er – wie nach der Aufführung der Chöre
(im Knabenchor) und zur wortlosen Vokalise. op. 34 durch den Chor der Berliner Philharmoni-
An dieser Stelle muss die unter anderem von ker – lobte: »Durch die Aufführung bin ich nun
Wajemann vorgeschlagene These diskutiert wer- überrascht, wie vollkommen klar das ganze Ge-
den, Strauss habe die menschliche Stimme quasi webe der Stimmführung herausgebracht werden
instrumental behandelt bzw. mit dem Chor or- konnte« (Konrad 2001, 306).
chestrale Wirkungen erzielen wollen (Wajemann
1986, 331). Der Komponist hat dieser Deutung Wenn auch die vorangehenden Überlegungen
selbst Vorschub geleistet. So bemerkte er anlässlich nicht mehr als eine grobe Orientierungshilfe für
einer Aufführung von op. 34: »Bei der Komposi- Strauss’ Chorwerke bieten konnten, dürfte doch
tion dieser beiden Chöre beschäftigte mich das klar geworden sein, dass sich die Beschäftigung
Problem, inwieweit man mit vokalen Mitteln eine mit dieser oft ignorierten Werkgruppe durchaus
gewissermaßen instrumentale Polyphonie erzielen lohnt. Zum einen lassen sich unvermutete musi-
kann« (Konrad 2001, 306). Der These einer ›In- kalische Funde machen. Dazu gehören die ernst-
strumentalisierung‹ der menschlichen Stimme ist haften a-cappella-Männerchöre, aber auch Stücke
aber nur bedingt zuzustimmen: Zwar verlangt wie Der Abend, Die Tageszeiten und Die Göttin im
Strauss den Sängerinnen und Sängern eine Agili- Putzzimmer, die zu den klangschönsten und ein-
tät, Ausdauer und Intonationssicherheit ab, die gängigsten Werken zählen, die Strauss geschrieben
professionelle Orchester selbstverständlicher be- hat; sie verdienen gerade wegen ihrer technischen
herrschen als Laienchöre, an denen die Schwierig- Schwierigkeiten häufigere Aufführungen. Zum
keitsskala für Chorwerke nach wie vor ausgerichtet anderen bieten die Chorwerke einen alternativen
ist. Andererseits geht es ihm nur manchmal um Zugang zu Fragen, die sich bei der Beschäftigung
dichte, quasi orchestrale Klangwolken. Vielmehr mit Strauss’ Musik auch in seinen Bühnenwerken
behandelt er seine Sänger, sowohl individuell wie und Tondichtungen regelmäßig stellen: Wie steht
auch in flexiblen Gruppen, als seien sie ein Ver- es um das Verhältnis von Stimme und Instrument?
bund potentieller Solisten, die sich jederzeit aus Welchen Einfluss hatten dichterische Vorlagen auf
dem Gesamtklang lösen können, wie er es auch die musikalische Vorstellungskraft des Komponis-
von seinen Orchestern verlangt (Blezzard 1991, ten? Und schließlich: Wie sehen die Lösungen aus,
22). Allerdings sind einem solchen Einsatz der die die Stücke bieten im Spannungsfeld von Zeit-
menschlichen Stimme Grenzen weniger techni- gebundenheit und freier künstlerischer Entwick-
scher als klanglicher Natur gesetzt, die auch lung, von individuellem Ausdruck und kollektiver
Strauss nicht immer berücksichtigt hat: Gerade in Ausführung?
372 Vokalmusik

Literatur

Berlioz, Hector: Instrumentationslehre. Ergänzt und Liliencron, Rochus Freiherr von: Zur Einführung. In:
revidiert von Richard Strauss. Leipzig 1955. Volksliederbuch für Männerchor. Hg. auf Veranlas-
Blezzard, Judith: Richard Strauss A Cappella. In: Tempo. sung seiner Majestät des Deutschen Kaisers Wilhelm
New Series 176 (1991), 21–28. II. Leipzig 1906, Bd. 1, V–XV.
Brosche, Günter (Hg.): Richard Strauss – Clemens Lodato, Suzanne M.: The Challenge of the Choral
Krauss. Briefwechsel. Gesamtausgabe. Tutzing 1997. Works. In: Mark-Daniel Schmid (Hg.): The Richard
Butz, Alexander: Das Sinfonische Chorstück im Strauss Companion. Westport, CT/London 2003,
19. Jahrhundert. Diss. phil. Kiel 2014. 383–410.
Del Mar, Norman. Richard Strauss: A Critical Com- Specht, Richard: Richard Strauss und sein Werk. Bd. 2:
mentary on his Life and Works. Bd. 2. London 1969. Der Vokalkomponist. Der Dramatiker. Leipzig u. a.
Eichner, Barbara: History in Mighty Sounds. Musical 1921.
Constructions of German National Identity, 1848– Thilo, Emil: Richard Strauss als Chorkomponist. In:
1914. Woodbridge 2012. Die Musik. Halbmonatsschrift. Jg. 13, Heft 17
Gilliam, Bryan: »Friede im Innern«: Außenwelt und (1913/1914), 304–311.
Innenwelt von Richard Strauss um 1935. In: Bernd Edel- Todd, R. Larry: Strauss before Liszt and Wagner: Some
mann/Birgit Lodes/Reinhold Schlötterer (Hg.): Ri- Observations. In: Bryan Gilliam (Hg.): Richard
chard Strauss und die Moderne. Berlin 2001, 93–111. Strauss. New Perspectives on the Composer and His
Kämper, Dietrich (Hg.): Richard Strauss und Franz World. Durham/London 1992, 3–40.
Wüllner im Briefwechsel. Köln 1963. Volbach, Fritz: König Laurins Rosengarten. Eine deut-
Keldorfer, Viktor: »Die Tageszeiten« von Richard sche Heldenmär für Männerchor, Bariton-Solo und
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(1956), 129–132. Op. 38. Leipzig/Zürich 1913.
Konrad, Ulrich: Die »Deutsche Motette« op. 62 von Wajemann, Heiner: Zur Sozialgeschichte der Chor-
Richard Strauss. Entstehung, Form, Gehalt. In: werke von Richard Strauss in den 20er und 30er
Bernd Edelmann/Birgit Lodes/Reinhold Schlötterer Jahren. In: Richard Strauss-Blätter N.F. 45 (2001),
(Hg.): Richard Strauss und die Moderne. Berlin 69–81.
2001, 283–310. –: Die Chorkompositionen von Richard Strauss. Tut-
Leeds Triennial Festival. In: The Musical Times 54/849 zing 1986.
(1. November 1913), 735–736, 744–745. Werbeck, Walter: Einleitung. In: Werke Bd. 30. Wien
Liebscher, Arthur: Das kaiserliche »Volksliederbuch für 1999.
Männerchor«. In: Neue Musikzeitung 28/16 (16. Mai
1907), 341–344.
INSTRUMENTALMUSIK
374

21.
Tondichtungen
Von Charles Youmans

Humor, Ironie und einer spezifischen Form von


Macbeth abgeklärter Resignation. Sogar die offensichtli-
op. 23 TrV 163 chen Ausnahmen bestätigen die Regel: Tod und
Verklärung (1889) sollte mit einer überschwängli-
chen Apotheose enden, die weit von der düsteren
Entstehung Atmosphäre entfernt ist, die zuvor in der Tondich-
Dass sich Strauss in seiner ersten Tondichtung – tung vorherrscht. Die Alpensinfonie (1915), ob-
dem Werk, das »einen ganz neuen Weg« in seinem gleich aus einer auf dem Leben des Malers und
Schaffen ankündigte, wie er im Januar 1888 gegen- Bildhauers Karl Stauffer beruhenden »Künstler-
über seinem Onkel Carl Hörburger bemerkte – tragödie« hervorgegangen, entwickelte sich im
mit einem Shakespeare-Stoff auseinandersetzte, Verlauf ihrer langen Entstehungsgeschichte zu ei-
war kaum überraschend (Schuh 1976, 148). Ham- nem Lobpreis der physischen und ideellen Schön-
let (1861) entstand als vorletzte der Symphonischen heit der Natur.
Dichtungen Liszts, und Berlioz’ erstes nach seiner In Macbeth sollte Strauss einen dichterischen
Symphonie fantastique (1830) geschriebenes Werk Stoff programmatisch umsetzen, der zwar perfekt
war seine »Grande Ouverture« über Le roi Lear zur reinen Lehre der neudeutschen Schule passte,
(1831). Zudem entsprach die Auswahl des literari- von seinen eigenen künstlerischen Neigungen je-
schen Stoffes aus dem Werk eines Giganten der doch um einiges entfernt war. Deshalb erkannte er
Weltliteratur und mit einem tragischen, zum gleich zu Beginn seiner Arbeit die Notwendigkeit,
Untergang verdammten Protagonisten der Emp- seine eigene künstlerische Integrität zu betonen
fehlung Wagners, die dieser in seinem Schlüssel- und nicht einfach nur die Tradition Wagners und
text »Über Franz Liszt’s Symphonische Dichtun- Liszts fortzusetzen. In einem Brief an Hörburger
gen« (1857) formuliert hatte. Laut Wagner sollte beeilte er sich, Macbeth als »nicht nach Liszt« zu
Programmmusik der höchsten Qualität (also aus charakterisieren (Schuh 1976, 215). Die Bezeich-
der Feder Liszts) ein Thema größter menschlicher nung »Tondichtung« auf der Titelseite – Macbeth
Bedeutung behandeln, das sich ohne weiteres zu (nach Shakespeare’s Drama). Tondichtung für großes
»durchaus konkreter idealer Form« destillieren Orchester –, eine demonstrative Abkehr von Liszts
ließ. Das Schauspiel Macbeth musste daher einem »Symphonischer Dichtung«, sollte in Werken bis
Komponisten, der sich als legitimer Erbe der neu- zu Ein Heldenleben (1898) ein äußeres Merkmal
deutschen Tradition darstellen wollte, als attrak- dieser Unterscheidung bleiben. Wir werden sehen,
tive Wahl erscheinen. dass im Stil, in der Form und Behandlung des
Allerdings sollte Strauss das Tragische in reiner Programms bereits dieser erste Versuch Strauss’
Form keineswegs zur charakteristischen Aus- fundamentale Eigenständigkeit illustriert.
drucksweise seiner Tondichtungen machen. Lang- Die langwierige und komplizierte Entstehungs-
fristig identifizierte sich der Komponist eher mit geschichte von Macbeth war durch diese konzep-
21. Tondichtungen: Macbeth 375

tionellen Spannungen, aber auch durch Strauss’ Strauss von Bülows präziser Beobachtung und der
fehlende Erfahrung als Komponist von Pro- schonungslosen Offenheit, mit der er sich äußerte,
grammmusik für Orchester bedingt. Das Werk überzeugen. Allerdings führte die Zeit, die für die
existiert in nicht weniger als drei Fassungen, von Revision des Schlusses und die Neuorchestrierung
denen nur zwei vollständig überliefert sind. (Ab- benötigt wurde, dazu, dass die dritte Fassung erst
gesehen von Ein Heldenleben, dessen Schluss nach der Premiere von Don Juan und Tod und
Strauss revidierte, ist keine seiner übrigen Ton- Verklärung publiziert und aufgeführt werden
dichtungen in verschiedenen Fassungen überlie- konnte. Vielen Zuhörern galt Macbeth deshalb
fert.) Die erste Fassung, bereits im Frühjahr 1887 nicht als Strauss’ erste, sondern dritte Tondichtung.
begonnen und am 9. Januar 1888 vollendet, wurde Offenbar gab es zu diesem Werk niemals ein
niemals veröffentlicht und erlebte keine öffent- schriftlich formuliertes Programm, abgesehen
liche Aufführung. (Lediglich einige Partiturseiten vom Titel und zwei Angaben in der Partitur:
dieser Fassung mit dem triumphalen Schluss ha- »Macbeth« notiert über Takt 6 und »Lady Mac-
ben sich erhalten.) In der zweiten Fassung, vollen- beth« bei Takt 64, gefolgt von einigen von dieser
det nur einen Monat später, am 8. Februar 1888, Figur in Akt I, Szene 5 gesprochenen Zeilen in
veränderte Strauss den Schluss radikal, indem er deutscher Übersetzung:
die musikalische Apotheose von Macduffs Sieg Lady Macbeth: O, eile! Eile her! damit ich meinen Geist
durch ein dunkleres Ende ersetzte. In dieser deut- in deinen gieße, durch meine tapfere Zunge diese Zweifel
lich tragischeren Version erlebte das Werk am und Furchtgespenster aus dem Felde schlage, die dich
wegschrecken von dem goldnen Reif, womit das Glück
13. Oktober 1890 in Weimar seine Uraufführung. dich gern bekrönen möchte.
Strauss’ Eindruck (er hörte sein Stück vom Po-
dium aus) überzeugte ihn von der Notwendigkeit Ein wichtiges Ergebnis dieser Tondichtung ist
einer grundsätzlichen Neuinstrumentierung. Er Strauss’ Entdeckung der Femme fatale, eines Cha-
könnte auch von seinem Vater überzeugt worden raktertyps, der zu seinem Ruhm und umstrittenen
sein, der ihm ganz unverblümt den Rat gab, »den Ruf als Opernkomponist während der Jahrhun-
übermäßigen Wulst von Instrumentenfett« (Schuh dertwende beitragen sollte. Die Länge dieses Zitats
1954, 134) zu beseitigen. So kam es zur dritten und seine Rolle als einzige verbale Angabe weist
Fassung mit neuer Instrumentierung, die aber in auf die Bedeutung Lady Macbeths bei der For-
ihren musikalischen und programmatischen Kern- mung des dramatischen Spannungsbogens hin; sie
elementen von der zweiten Version kaum zu un- wird bestätigt durch die zentrale Rolle der Lady
terscheiden ist. Die Partitur wurde am 4. März Macbeth zugeordneten Themen für die musikali-
1891 vollendet und noch im selben Jahr von Aibl schen Prozesse. Der einzige weitere programmati-
veröffentlicht. Die Premiere des Werks war am sche Hinweis ist der Untertitel, »nach Shakespeare’s
29. Februar 1892 in Berlin in einem von Strauss Drama«, der auf subtile Weise signalisiert, dass die
selbst dirigierten Philharmonischen Konzert. Musik sich frei an der literarischen Quelle orien-
Strauss führte die Änderung des ursprüng- tiert, anstatt sie sklavisch zu reproduzieren. (Strauss
lichen Schlusses auf Hans von Bülow zurück, der machte später die Freiheit seiner Programmatik
(wie sich der Komponist in den späten 1930er im Untertitel von Also sprach Zarathustra, »frei
Jahren erinnerte) »bei dem ersten Schluß (D-dur- nach Friedrich Nietzsche«, noch deutlicher.)
Triumph)marsch des Macduff sehr richtig [be- Nur wenige Skizzen für Macbeth sind überlie-
merkte] […], das sei Unsinn! Eine Egmont-Ou- fert und auch nur solche zur ersten Fassung.
vertüre könne wohl mit einem Triumphmarsch Während Entwürfe für die anderen Tondichtun-
des Egmont schließen, eine sinfonische Dichtung gen häufig Anmerkungen programmatischen In-
›Macbeth‹ aber nicht mit dem Triumph des Mac- halts enthalten, existieren im Fall von Macbeth
duff« (Strauss 1981, 211). Diese Einsicht war offen- keine programmatischen Hinweise, die über die-
bar dem Widmungsempfänger des Werks, Alexan- jenigen in der publizierten Partitur hinausgehen.
der Ritter, entgangen, der mit Sicherheit in Details Doch hat Walter Werbeck bei seiner Untersu-
der ersten Fassung eingeweiht war, aber keine chung der erhaltenen Manuskriptseiten mit dem
Änderung verlangt hatte. Jedenfalls ließ sich verworfenen Schluss neues Licht auf das Pro-
376 Instrumentalmusik

gramm der ersten Fassung werfen können. Dazu poetische Idee« verkündete, »mag dieselbe nun als
gehört etwa, dass sie vermutlich eine anschauliche Programm dem Werke beigefügt werden oder
Darstellung der Konfrontation zwischen Macbeth nicht«, vertrat er die Überzeugung, dass die pro-
and Macduff am Ende des Werkes enthielt (die grammatisch angeregte Inspiration zur Erschaf-
Seiten 76 f., 86–90 der vollständigen handschrift- fung neuer musikalischer Formen führte: »Ich
lichen Partitur sind bei Werbeck 1996, 546–552, als halte es nun doch für ein rein künstlerisches Ver-
Faksimile wiedergegeben). In dieser ersten Version fahren, sich bei jedem neuen Vorwurfe auch
des Schlusses geht der Moment, der gewöhnlich eine dementsprechende Form zu schaffen […]«
als Tod Macbeths bezeichnet wird (die General- (Strauss 1996, 82 f.)
pause in T. 515, die auf irreguläre akkordische Ein durchschnittlicher Zuhörer im Jahr 1890
Einwürfe in T. 509–514 folgt) allem Anschein nach musste nicht erst darauf aufmerksam gemacht
einer Reprise des Materials aus Macbeths erstem werden, dass diese Tondichtung das in Frage
Thema (der Akkorde in T. 10 ff.) voraus. Dies legt stellte, was Strauss abschätzig »[die] uns von den
nahe, dass Macbeth in einem darauf folgenden Klassikern überkommene Form des dreiteiligen
musikalischen Ereignis seinen Untergang finden Sonatensatzes« nannte (Strauss 1996, 82). Doch
musste, damit das Werk im Triumph Macduffs dürfte ein erfahrener Hörer durchaus die Bedeu-
seinen Höhepunkt finden konnte (Werbeck 1996, tung der Sonatenform als älteres Bezugsmodell
111–113). Die Veränderungen im Programm mach- erkannt haben, obgleich die Verbindungslinien
ten daher weit mehr notwendig als einen bloßen zwischen dem Modell und seiner »Deformation«
Ersatz des triumphierenden Schlusses durch einen (um eine Formulierung Hepokoskis zu gebrau-
tragischen. Ohne weitere Quellen lässt sich hierzu chen) von älteren Kritikern wie Heinrich Rei-
jedoch kaum Konkreteres sagen. mann, Arthur Seidl, Ernst Otto Nodnagel, Herr-
mann Teibler und Max Steinitzer mehr oder
minder ignoriert wurden. (Erstaunlicherweise hat
sich erstmals Richard Specht 1921 ausführlicher
Musikalische Struktur unter dem Aspekt der Sonatenform mit Macbeth
befasst.) Die Verbindung des Werks zur Sonaten-
Obwohl Strauss nur wenige Informationen zur exposition wird in den ersten 122 Takten deutlich,
Programmatik hinterlassen hat, erscheint James die aus einem einleitenden Motto in d-Moll
Hepokoskis These plausibel, dass Werke wie Mac- (T. 1–5), einer mächtigen, stereotyp maskuli-
beth die Zuhörer zu einem interpretativen »Spiel« nen ersten Themengruppe in derselben Tonart
herausfordern: Das bloße Vorhandensein des Ti- (T. 6–63) und einer kontrastierenden, deutlich
tels macht es notwendig, dass wir uns mit dem femininen und in F-Dur endenden Themen-
Inhalt des Stücks vertraut machen. Wir müssen gruppe (T. 64–121) bestehen. Das Fehlen einer
akzeptieren, dass dieses Material in gewisser Weise Überleitung überlagert keineswegs den konven-
den musikalischen Gehalt bestimmt, und werden tionellen Charakter dieser Abschnitte als Haupt-
zur Reflexion darüber angeregt, in welchem Ver- und Seitensatz, auch verunklart das Verweilen des
hältnis das Schauspiel und spezifische Erscheinun- zweiten Abschnitts in fis-Moll und sein anschlie-
gen der Musik zueinander stehen (Hepokoski ßendes Absinken nach F-Dur im letzten Moment
1992a, 136). Dennoch blieb die Eigenständigkeit nicht das zugrundeliegende Tonartenverhältnis
der musikalischen Struktur für Strauss von größter Tonika – Tonikaparallele.
Bedeutung. Ungeachtet der offensichtlichen Im- Die Erwartung allerdings, die durch dieses de-
plikationen, die mit dem Titel einhergingen, monstrative Herausstellen einer Sonatenexposi-
stellte der Komponist in seinem vieldiskutierten, tion geweckt wird – dass nämlich eine Durchfüh-
an Hans von Bülow gerichteten Brief vom 24. Au- rung und eine Reprise folgen – hat Strauss im
gust 1888 klar, die Hauptaufgabe des Programms weiteren Verlauf des Werks massiv gestört. Er
bestehe darin, die musikalische Struktur von den sorgt zwar für ein klares Reprisensignal (T. 324),
Fesseln der Tradition zu befreien. Indem Strauss doch beginnt tatsächlich keine veränderte Wieder-
seinen Glauben an die »Befruchtung durch eine aufnahme der Exposition, sondern ein umfangrei-
21. Tondichtungen: Macbeth 377

cher Durchführungsabschnitt, der sich auf drei Dieser vorausgegangene Abschnitt mit einer lang
Höhepunkte konzentriert: T. 369 (Dominante zu andauernden und emphatischen Steigerung kul-
d-Moll), T. 433 (Dominante zu c-Moll) und T. 514 miniert in einer Reihe von Orchesterschlägen im
(Dominante zu a-Moll). Jeder dieser Höhepunkte Fortissimo, angefangen bei dem verminderten
ist auf unterschiedlichen Themenkombinationen Septakkord in T. 242, gefolgt von rasenden, als
aufgebaut: der erste auf Macbeths Themen (T. 6 »wild« markierten Sechzehntelketten in den Strei-
und T. 20) und dem Motto, der zweite auf einer chern in T. 252–259. Neues thematisches Material
Verbindung der Themen Macbeths und Lady spielt auch hier eine Rolle, diesmal am Anfang
Macbeths (T. 67 und T. 83) mit einer feierlichen (T. 123), mit einer punktierten Figur und dem
und zugleich epilogischen Achtelfigur, die zuerst Aufwärtssprung einer Sexte, die ihren Ursprung
in T. 308 erklingt, und der dritte auf einer eher vermutlich in Macbeths zweitem Thema (T. 22)
additiven Vorgehensweise, die von einer Konzen- hat. Aber schon diese Musik führt genauso wie die
tration auf die Epilog-Figur in T. 435–468 zu ei- langen Durchführungsabschnitte der Reprise von
nem dichten polyphonen Satz aus Themen Mac- relativer Ruhe zu einer dynamischen, rhythmi-
beths und Lady Macbeths und dem Motto führt schen und harmonischen Steigerung und schließ-
(beginnend in T. 469) und schließlich in einer lich zu einem Höhepunkt.
Neubearbeitung der kadenziellen Steigerung der Gemeinsam verdeutlichen alle diese Beispiele,
Macbeth-Themengruppe (man vergleiche T. 44 wie Werbeck festgestellt hat, dass Strauss die
mit T. 504) kulminiert. Wie Werbeck als Erster Funktionen spezifischer Abschnitte der Sonaten-
festgestellt hat, ist die Reprise in Macbeth zugleich form aus ihren ursprünglichen Kontexten heraus-
eine Durchführung (Werbeck 1996, 391) und da- gelöst und neu über das Stück verteilt hat (Wer-
mit eine formale Hybride, d. h. eine radikale Ab- beck 1996, 392 ff.). Weder sind Durchführungs-
kehr von der standardisierten Reprisenform, die techniken allein auf die Durchführung selbst
sich schon durch den spezifischen Reprisenbeginn beschränkt noch die harmonische und formale
mit seinem fahlen Pianissimo, dem durchsichtigen Stabilität, die mit der Präsentation von neuem
Satz, der leichten Artikulation und dem völligen thematischen Material assoziiert wird, auf Exposi-
Verzicht auf die dynamische Kraft der Exposition tion und Reprise. Diese Trennung zwischen ge-
angekündigt hatte. wohnten Funktionen und realer formaler Struktur
Die Einbeziehung von Verfahrensweisen der wird den Zuhörern unmittelbar bewusst geworden
Durchführung in die Reprise ist durch die Einfü- sein, waren ihnen doch, wie Strauss sehr wohl
gung eines »Mittelsatzes« (T. 260–323), wie man wusste, die klassischen Merkmale von Exposition,
ihn nennen könnte, in den eigentlichen Durch- Durchführung und Reprise zutiefst vertraut. Auf
führungsabschnitt bedingt, der, abgesehen von paradoxe Weise koexistieren hier Tradition und
seinen thematischen Verbindungen zum Motto Innovation: »Die Form des Werkes entsteht aus
und zum Seitensatz, wenig mit einer typischen ihrer Zerstörung«, wie Mathias Hansen feststellt
Durchführung gemeinsam hat. Tatsächlich über- (Hansen 2003, 54). Sogar in der Exposition von
nimmt dieser Abschnitt in T. 308 sogar die Auf- Macbeth, in der traditionelle Hörerwartungen
gabe der Exposition eines neuen Themas, des bestätigt werden, lassen sich subtile Beispiele für
schon erwähnten Epilog-Themas. (Dessen Ablei- Strauss’ musikalischen Ikonoklasmus finden. Bei-
tung aus früherem Material – unauffälligen Frag- spielsweise macht der erwartungsgemäß ruhige
menten etwa in T. 152, T. 186, T. 252, vielleicht Charakter des zweiten Themas mit seinem wei-
bereits in T. 53 – schließt nicht aus, dass es bei chen lyrischen Bläserkolorit im 3/4-Takt (T. 67)
seinem ersten vollständigen Erklingen als ›neu‹ einem unruhigen mittleren Abschnitt Platz
wahrgenommen wird.) Jedenfalls dominiert in (T. 83), der eine kleinräumige Steigerung initiiert.
T. 260–323 ein hoher Grad an Stabilität, ja Statik, Nur durch die Rückkehr des Ausgangsmaterials
die man nicht im Vorfeld einer Reprise erwarten (T. 102) bewegt sich die Musik in Richtung der
würde, auch wenn andererseits eine Phase der erwarteten zweiten Tonart. Solche Passagen, ob-
Ruhe nach den höchst emotionalen Ereignissen in gleich vermutlich eher für das geschulte Ohr be-
T. 123–259 durchaus angemessen erscheinen mag. stimmt, bestätigen Strauss’ Absicht, die Praxis
378 Instrumentalmusik

seiner musikalischen Vorfahren gleichzeitig her- von Macbeth als Umsetzung des Plots auf einer
aufzubeschwören und in Frage zu stellen. tieferen Ebene als derjenigen bloßer Erzählung
ablaufen. Strauss hatte keineswegs die Absicht, in
seinem Werk lediglich die Hauptereignisse musi-
kalisch zu repräsentieren. Wollte er sich auch von
Musik und Programm der Praxis Liszts abgrenzen, so verdichtete er das
Drama nichtsdestoweniger auf seinen Kern und
Wie bereits dieser kurze Überblick über die forma- nutzte dafür ein Verfahren, das stark an die Sym-
len Eigenarten Macbeths deutlich macht, ermutigt phonischen Dichtungen des Älteren erinnert.
Strauss seine Zuhörer ausdrücklich, auf der musi- Strauss’ Musik antwortet in ihrem Ton wie ihrer
kalischen Ebene Verbindungen zwischen Musik Struktur auf die Hauptthemen seines literarischen
und Programm herzustellen. Es ist naheliegend, Gegenstandes, nicht die Hauptereignisse: die Ge-
dass gerade das musikalisch Auffällige nach einer schichte eines durch Krieg verhärteten Heroismus,
programmatischen Deutung verlangt. Auf der der sich durch die Überzeugungskünste einer
einfachsten Ebene sind hier Beispiele musikali- weiblichen Figur zu selbstzerstörerischem Ehrgeiz
scher Illustration zu nennen – oder auch von wandelt, mit den vorhersehbaren Folgen von
»Tonmalerei«, um eine traditionelle und gewöhn- Mord, psychischem Zusammenbruch und der
lich pejorativ gebrauchte Bezeichnung zu verwen- Vernichtung des Helden durch einen tatsächlich
den. Im Vergleich zu späteren Tondichtungen fin- heroischen Nachfolger.
den sich in Macbeth relativ wenige Beispiele dieser In diesem freien Lisztschen Sinne sind die
Art, und selbst wenn ein spezifisches musikalisches musikprogrammatischen Umrisse des Werks leicht
Ereignis ganz offensichtlich und mit Absicht illus- zu erkennen. Es ist offensichtlich, dass die Sona-
trativ erscheint, lässt sich die Frage nach seiner tenform nicht zu einem Programm passen würde,
präzisen Bedeutung oft nur schwer beantworten. das so grundsätzlich um die Idee des Absturzes
Die allgemeine Auffassung, dass bestimmte Passa- kreist. Strauss hatte offenbar genau diese Beden-
gen bestimmte Bedeutungen repräsentieren, hat ken, als er gegenüber Bülow eine Form kritisierte,
lebhafte Debatten ausgelöst. Die aufgewühlte die er als fundamental dreigliedrig wahrnahm.
Stelle in T. 242 beispielsweise galt Teibler und den Obwohl also eine lehrbuchartige Reprise nicht
meisten frühen Kommentatoren (etwa Otto Klau- zum Werk passte, erschien eine typische Exposi-
well, Richard Specht und Reinhold Muschler) als tion sehr wohl geeignet, weil Strauss durch die
derjenige Moment, in dem Macbeth seinen Ent- Zuordnung von Themengruppen zu den beiden
schluss fasst, den König zu töten. Demgegenüber Hauptpersonen die psychologischen Komplexitä-
identifizierten Heinrich Reimann (der Verfasser ten ausloten konnte, die das Stück vorantreiben.
des Programmtextes für die Premiere der dritten (David Larkin sieht hier Parallelen zu den Verfah-
Fassung), Ernst Otto Nodnagel und in der jünge- ren, die Liszt in den beiden ersten Sätzen seiner
ren Vergangenheit James Hepokoski diese Stelle als Faust-Symphonie angewendet hatte [Larkin 2006,
Ermordung Duncans (Walden 1908, 68; Reimann 145].) Wir hören im Themenmaterial Macbeths
1892, 13; Nodnagel 1902, 75; Hepokoski 1992b, 70). etwa die beiden Seiten seines Charakters. Da gibt
Ähnlich kontrovers diskutiert wurden die eigen- es diejenige des entschlossenen, mutigen Soldaten
willige Prozession in T. 260 (Macbeths Krönung? (T. 6–19), der in d-Moll mit der unerbittlichen
Duncans Ankunft?), der gewalttätige Ausbruch in Kraft von Fortissimo-Vierteln der Hörner und
T. 427 (Duncans Ermordung? auf Macbeths Krö- Basstrompete herannaht (T. 6; Teibler zufolge
nung folgende Verbrechen?), die unheimliche Macbeths »finsteres Heldentum« [Walden 1908,
Stille in T. 433, nur unterbrochen vom spannungs- 63]), der plötzlich zuschlägt mit nach oben gerich-
reichen »Klopfen« des Horns und dem morbiden teten skalaren Hieben (T. 18) wie mit auftaktigen
Zitat der Figur aus T. 308 (Banquos Geist?) und Sprüngen abwärts (T. 6 f., 8 f., 13–17) und schließ-
weitere ähnliche Fälle. lich durch eine machtvolle akkordische Kadenzfi-
Weitaus größere Bedeutung kommt der Art gur Kontrolle über den gesamten Orchestersatz
und Weise zu, in der die musikalischen Prozesse gewinnt (T. 10 f., 12 f., 17 f.). Daneben gibt es das
21. Tondichtungen: Macbeth 379

dunkle Innere in den gleitenden Synkopen der Teibler charakterisierte diese Melodie als ein
tiefen Streicher (ab T. 20), die plötzlich ein Ziel Liebesthema und interpretierte die folgende Stei-
anstreben, das zu hoch erscheint (T. 22), und dann gerung (bis hin zum Höhepunkt in T. 242) als
wieder in die Finsternis zurückfallen. Aus der eskalierenden Konflikt zwischen der gesunden
Perspektive dieses dunklen Charakters erscheint und der kranken Seite der Beziehung, bei dem die
die königliche Fanfare aus T. 1–5, die in T. 28 dazu letztere schließlich die Oberhand gewinnen und
kommt, als eine Art idée fixe, und wenn in T. 38 zum fatalen »Entschluß« (Walden 1908, 66) führt.
die Akkordfigur des ersten Macbeth-Themas in Nach der derzeit überwiegend akzeptierten Lesart,
den Dialog der Themen einbricht, lässt sich ah- der zufolge T. 242 die Ermordung Duncans mar-
nen, dass die bessere Seite von Macbeths Charak- kiert (ihr scheint sich etwa Werbeck anzuschlie-
ter in den Dienst einer bösen Macht getreten ist. ßen), bezeichnet der Abschnitt T. 123 ff. etwas
Bekräftigt hat Strauss dies in der Erweiterung der weitaus Spezifischeres – den physischen Ort, an
Kadenz ab T. 56 um die kraftvoll-männlichen dem Duncan in Erscheinung tritt und wo ihn
Schritte aus T. 6. bald sein verhängnisvolles Schicksal ereilen wird,
Wie bereits beschrieben, hat das Themenmate- sowie das rasche Schmieden des Plans für den
rial für Lady Macbeth eine kleinräumige, dreitei- Königsmord (Werbeck 1996, 112). Die neue Melo-
lige Form. Typische feminine Gesten im ersten die, aus Macbeths zweitem Thema abgeleitet
Abschnitt – freilich im »falschen« fis-Moll (T. 22; die oberste Note ist in beiden Fällen f, ob-
(T. 64) – machen bald einer beharrlicheren Figur wohl die Tonarten verschieden sind), stellt seinen
Platz. Hier alterniert eine synkopierte (in der Art Ehrgeiz nun im vornehmen Gewand dar. Unter
von Macbeths zweitem Thema) Repetitions-Figur dem Einfluss von Lady Macbeths sanfter, aber
(T. 83), belebt durch chromatische kurze Vor- wirkungsvoller Überredungskunst (sie begegnet
schläge, mit einem wilden Motiv aus auseinander- zuerst in T. 127) trübt sich die Stimmung ein
gerissenen Sechzehnteln (T. 84) und aus dem ers- (a-Moll, T. 145). Macbeths geheimer Plan wird
ten Abschnitt stammenden Terzen (T. 85 f.). Auch nun wieder offenbar und ein feierliches B-Dur
Lady Macbeth besitzt offensichtlich eine gespal- (T. 149 ff.) macht einer langen Reihe von Modula-
tene Persönlichkeit. Jedoch stehen die unter- tionen Platz, die andeuten, dass das Paar auf dem
schiedlichen Themen und Motive weniger für ei- besten Wege ist, sein schreckliches Ziel zu errei-
nen inneren Konflikt als für Variationen ihrer chen. Unter den verschiedenen Stationen auf dem
Selbstdarstellung: zuerst als Verführerin, dann ge- Weg dorthin ist zunächst H-Dur (T. 161) zu nen-
radezu aufreizend, schließlich wieder sanfter (in nen, deren utopische Qualität durch einen typisch
T. 102). In Wahrheit ist sie jedoch mit Hilfe ihrer Strauss’schen Quartsextakkord angedeutet wird
unwiderstehlichen Überredungskunst in der Lage, (gleichzeitig erklingt appassionato Lady Macbeths
ihr Opfer zu infizieren. Kaum zufällig deutet das Thema). Nach dem Kollaps dieser Vision folgen
von Strauss gewählte Shakespeare-Zitat darauf weitere Höhepunkte in b-Moll (T. 190, besonders
hin, dass sie in Macbeth eindringt (»damit ich T. 226), die die Verwandlung von Macbeths höfi-
meinen Geist in deinen gieße«). Gerade die Mo- schen Verhaltensformen ins Bedrohliche bekräfti-
tive in T. 83 und 84 sollen offensichtlich auf die gen. Die harmonische Intensivierung geht Hand
Synkopierung und ausladenden Sechzehntelfigu- in Hand mit einem sich beschleunigenden Wech-
ren in Macbeth-Themen anspielen. Der über- sel dreier thematischer Hauptideen und führt
raschend konventionelle Schluss der Exposition, direkt zur ersten großen Krise des Dramas: zum
wenn die musikalische Spannung in das erwartete Mord.
F-Dur geleitet wird, scheint zugleich bloße Im Moderato maestoso T. 260 ff. kombiniert
musikalische Fassade (wie bereits Hepokoski fest- Strauss B-Dur, die höfische Tonart, mit dem kö-
gestellt hat). Der Eindruck eines die Realität niglichen Motto, das in gemessener, freilich etwas
übertünchenden Trugbildes setzt sich ins neue merkwürdiger thematischer Transformation (3/4-
Thema hinein fort, das den Beginn des Durch- Takt) wie eine trügerische Prozession erscheint:
führungsteils einleitet (T. 123, vgl. Hepokoski Der unnatürliche, unselige Plan einer Krönung ist
1992b, 77). an die Öffentlichkeit gedrungen. Zu diesem Zeit-
380 Instrumentalmusik

punkt ist B-Dur programmatisch hinreichend später Komponisten wie Bartók und noch Mes-
etabliert, um die subtilen Andeutungen zu Beginn siaen faszinieren sollte.
des Werkes – die grauenerregende Dissonanz in Ohne Hilfestellungen von Strauss muss der
T. 7, die überraschende, irreführende Auflösung in Hörer anschließend eigene Wege finden, um mu-
T. 18 usw. – im Rückblick als dunkle Vorausdeu- sikalische und programmatische Details in Bezie-
tungen erscheinen zu lassen, vielleicht sogar als hung zu setzen. Wir wissen lediglich, dass Mac-
»tragischen Makel« (Hepokoski 1992b, 73 f.). Die beth (T. 324) und seine Frau (T. 373) ihre Kontrolle
frühe Einführung eines musikalischen Details, das verlieren. (Larkins Vergleich dieser Passage mit
erst später zu seiner vollen Entfaltung kommen Wagners Venusberg-Musik in Tannhäuser macht
sollte, ist selbstverständlich eine Verbeugung vor die Verbindung zwischen Exzess und Zusammen-
Beethoven (der selbst diese Technik von Haydn bruch in beiden Werken deutlich [Larkin 2006,
gelernt hatte); man muss sich nur an den ersten 155].) Der Halbschluss in T. 433 suggeriert einen
Satz der Eroica erinnern, mit ihrem ungewöhn- Augenblick der Erkenntnis (die Ankunft des Wal-
lichen cis zu Beginn, dem später, besonders in des von Birnam als Erfüllung der Prophezeiung
Reprise und Coda, größere strukturelle Bedeutung der Hexen?); der Ton nostalgischer Klarheit deutet
zuwächst. hier mehr auf Strauss denn auf Shakespeare hin.
Der gesamte Abschnitt hier (T. 260–323) wird In den leidenschaftlichen Transformationen der
durch die Tonart B-Dur kontrolliert, allerdings Krönungsthemen (T. 410, 415 usw.) verkehrt sich
können weder die tonale Homogenität noch der der Triumph in die Tragödie, die ab T. 509 zur
dominierende Charakter eines »ruhigen Mittel- qualvollen Vernichtung des Protagonisten führt.
satzes« (Werbeck) eine Steigerung verhindern. Sie Die Musik erinnert an diejenige, die eingangs in
spannt sich vom unheimlich anmutenden kon- T. 49 mündete. Während sie jedoch dort, in der
trollierten Beginn bis zur triumphierenden Rück- Exposition, im machtvoll erneuerten, Ehrgeiz
kehr des Mottos (T. 300): fortissimo, über einem signalisierenden Synkopenthema kulminierte,
Orgelpunkt in der Dominante, und treulich be- endet sie hier mit dem Tod. Es überrascht kaum,
gleitet von Lady Macbeths erstem Thema. Über- dass Lady Macbeth in diesem letzten Haupt-
trumpft wird das noch von einem jubilierenden abschnitt nur eine sehr begrenzte Rolle spielt. Ihre
neuen Thema in T. 308, das offenbar Macbeths aufstachelnden Viertel und ihre hysterischen
Krönung feiert. Sechzehntelfiguren erscheinen eher als schuld-
Doch der Triumph schmeckt schal. Man ist bewusste Erinnerung denn als treibende Kraft.
nicht überrascht, wenn der »wirkliche« Macbeth In der von a-Moll nach d-Moll zurückleiten-
in der verkürzten Reprise in T. 324 als von Angst den Coda (T. 516 ff.) blickt Strauss zum letzten
zerrissene Karikatur seiner selbst erscheint. Diese Mal auf die verschiedenen Komponenten von
Passage gehört zu den interessantesten der gesam- Macbeths Persönlichkeit, und zwar in umgekehr-
ten Partitur, nicht nur, weil die traditionellen ter Reihenfolge (Triumph in T. 516, doppeldeutige
Gesten der Reprise (Rückkehr des Hauptthemas Synkopen in T. 519, heroisches Thema in T. 520)
in der Tonika) eine neue Durchführung einleiten, und passend zum tragischen Schluss. Die Synko-
sondern weil die musikalischen Prozesse dieses pen haben bei unserem Helden das letzte Wort, sie
Abschnittes auf die späteren Tondichtungen vor- erklingen viermal hintereinander in schneller
ausweisen, sogar auf eine so entfernte wie Also Folge (T. 526–529), bevor wir noch einen Blick auf
sprach Zarathustra (1896). Die allzu dichten und Lady Macbeth werfen (T. 530), die im Drama zu
repetitiven Eigenschaften, die Strauss’ Vater so diesem Zeitpunkt längst gestorben ist, aber deren
sehr störten, sind nicht zu leugnen, jedoch be- Musik fortklingt, um uns daran zu erinnern, dass
kommt man in Momenten wie dem verrückten ohne ihr Einwirken Macbeth ein anderes Schick-
Durcheinander von T. 369–377, wo Details der sal gehabt haben könnte. Dieses hypothetische
Satzstruktur, Orchestrierung, Registrierung und andere Ende wird mit D-Dur angedeutet, das zu-
chromatischen Figuration die »schwerelose« Mu- sammen mit Macduffs Fanfare in T. 538 erklingt,
sik des Zarathustra präfigurieren, einen Vorge- zwei Takte nach der Kadenz in d-Moll. Aber diese
schmack jener eigentümlichen Originalität, die flüchtige Vision fällt schnell zurück in das Moll-
21. Tondichtungen: Don Juan 381

geschlecht, dem Macbeth nicht entkommen Kritiker der Signale für die musikalische Welt
konnte. Über eine letzte unheimliche Dissonanz musste zugeben, dass es Zuhörer gab, »die anders
(eine phrygisch getönte Subdominante in T. 548) dachten, dem Stück sogar eine beifällige Auf-
und morbide Transformationen des Liebesthemas nahme bereiteten« (Schmid 1997, 152 f.). Die hohe
(tiefe Streicher, T. 551, 553, 555) wird die abschlie- Meinung, die Musiker schon bald von Macbeth
ßende Kadenz erreicht. hatten, lässt sich daran ablesen, dass das Stück bis
zum Mai 1892 in Boston unter Arthur Nikisch, in
der New Yorker Carnegie Hall unter Walter Dam-
rosch und in Amsterdam vom Concertgebouw
Wirkung Orchester unter Willem Kes aufgeführt wurde.
Wenn es dennoch bald nahezu völlig aus dem
Die bemerkenswerte Veränderung von Bülows Repertoire verschwand – für die Jahre 1893–1895 ist
Einschätzung des Werks unterstreicht die Berech- nur eine Aufführung dokumentiert –, so lässt sich
tigung von Strauss’ wiederholter Behauptung, ein dies kaum als grundsätzliche Ablehnung erklären,
angemessenes Verständnis von Musik und Pro- sondern mit der wachsenden Popularität von Don
gramm sei maßgeblich für die Rezeption seiner Juan und Tod und Verklärung. Nach der Premiere
Tondichtungen. Zunächst nicht nur vom Mac- von Till Eulenspiegel im November 1895 war Mac-
duff-Schluss, sondern vom Klang des Stücks gene- beth endgültig in der Versenkung verschwunden.
rell abgestoßen – einer Erinnerung Strauss’ zufolge Gleichwohl hat Strauss auch später das Werk auf-
knirschte Bülow mit seinen Zähnen, als er ihm das geführt. Und es stand, dirigiert von Thomas
Stück zum ersten Mal auf dem Klavier vorspielte – Beecham, während des letzten London-Besuchs
war Strauss’ ehemaliger Mentor schließlich völlig von Strauss im Jahr 1947 auf dem Programm.
überzeugt und nannte Macbeth in einem Brief an
seine Frau »toll und betäubend, aber genial in
summo gradu« (Werbeck 1993, 239–40; Steinitzer
1911, 66; Hervorh. im Orig.). Diese revidierte
Einschätzung, besonders bemerkenswert ange- Don Juan
sichts der gewöhnlich kritischen Haltung Bülows,
ist ebenso sehr der neuen Orchestrierung wie auch
op. 20 TrV 156
der Tatsache geschuldet, dass Strauss das Werk
selbst dirigierte – wie wir sehen werden, reagierte Entstehung
die Kritik stets positiver, wenn die Tondichtungen
unter Leitung des Komponisten aufgeführt wur- Den Anstoß für diese Tondichtung gab offenbar
den. Dies war sogar bei der einzigen Aufführung weder die unvollendete Dichtung Lenaus – ein
der zweiten Fassung am 13. Oktober 1890 unter Auszug findet sich auf der Titelseite von Strauss’
Strauss’ Leitung in Weimar der Fall, die ihn zu Partitur – noch Mozarts und da Pontes Oper Don
einer neuen Orchestrierung motivierte. Ein ano- Giovanni, die Strauss erstmals am 9. Februar 1890
nymer Kritiker der Allgemeinen Musik-Zeitung leitete, sondern Paul Heyses Drama Don Juans
berichtete von »lebhaftem Beifall«: eine Reaktion, Ende, das der junge Komponist gemeinsam mit
die der Kritiker der Weimarischen Zeitung bestätigt Hans von Bülow am 13. Juni 1885 gesehen hatte.
(Schmid 1997, 151). Es ist nicht die überwältigende Klangfülle des
Rezensionen der Berliner Premiere der dritten Werkes, die als Hauptmerkmal von Strauss’ Zu-
Fassung zeigen, dass Macbeth gemischte Reaktio- griff hervortritt, es ist vielmehr sein beunruhigend
nen hervorrief, wie sie bei einem gezielt modern verhaltenes Ende: eine offensichtliche Parallele
konzipierten Werk zu erwarten waren. Zumindest zwischen Heyse und Lenau (»plötzlich ward die
ein Teil des Publikums reagierte sehr positiv. Der Welt mir wüst, umnachtet«). Diese Auflösung,
Kritiker der Allgemeinen Musik-Zeitung berichtete, präsentiert als unvermeidliche Konsequenz einer
dass Strauss »mehrere Male hervorgerufen« wurde, überbordenden, technisch spektakulären Vitalität,
und sogar der offensichtlich negativ eingestellte ist der eigentliche Angelpunkt für die neuartige
382 Instrumentalmusik

musikalische Umsetzung der Geschichte. Seidl den auf die Entwürfe von T. 1–40 folgenden Pro-
bestimmte daher zu Recht den programmatischen saabschnitt in voller Länge wiederzugeben:
»Kern« des Werks als »Ekel am Leben« (Seidl 1896, NB! Von da toll u. lustig mit Wonnethema auf Cis-
21). Der scharfe Kontrast zwischen den wechselsei- durcantilene, die mit dem Eintritt der Erschöpfung von
tig voneinander abhängigen Komponenten – »Le- dem 1. Don Juanthema unterbrochen wird in den Brat-
schen, anfangs diese durchklingt, mit einem Ruck fährt
ben« und »Überdruss an der Welt« – sollte sich zu er auf mit einem kühnen Sprung des 1. Themas auf die
einem prominenten Thema für die beginnende Cdominante von da in einem leichtfertigen Thema wei-
Moderne in der frühen Phase postwagnerischer ter, von dem es in immer tolleres Treiben geht, lustig
Gejauchze unterbrochen von Schmerzens u. Wonneseuf-
Musik entwickeln. zern Durchführung nach immer ffo höchster Steigerung
Die Entstehungsgeschichte von Don Juan zeigt plötzliche Ernüchterung englisch Horn öde, die Liebes-
keine Spuren von den Unsicherheiten bei Mac- und Freudenthemen klingen planlos durcheinander,
unterbrochen von neuen Sehnsuchts u. Wonneschauern
beth. Im Frühjahr 1888 begann Strauss die Arbeit, endlich schließt sich ein neues Liebesmotiv sehr
die er während einer Italienreise im Mai fortsetzte. schwärmerisch u. zart an, dann plötzlich neues Auffahren
Nur gut vier Monate später gab er dem Werk sei- 1. Thema, großer [?] schneidiger Coda stürmischer
Schluß. (Werbeck 1996, 115)
nen letzten Schliff. Wie bei Aus Italien (1886) – bei
einer früheren Italienreise skizziert – verliefen die In mancherlei Hinsicht entspricht dieses proviso-
ersten Proben und die Premiere am 11. November rische Konzept dem abgeschlossenen Werk. Die
1889 in Weimar für Strauss sehr erfreulich. Gerade machtvolle Wiederholung von Don Juans Haupt-
über die gewagtesten Stellen freute er sich beson- thema in C-Dur (allerdings nicht über einem
ders. In einem Brief, den er drei Tage vor der Ur- Dominantpedal) ist als bedeutender Moment
aufführung an seinen Vater schrieb, schwärmte er: beibehalten worden (T. 169 ff., das Thema er-
»Besonders schön klang die Oboenstelle in G-dur scheint erstmals in E-Dur in T. 9 ff.). Es folgt einer
mit den vierfach geteilten Kontrabässen, die ge- amourösen Begegnung, von der Don Juan »mit
teilten Celli und Bratschen alles mit Sordinen, einem Ruck auffährt« (T. 153 ff. bzw. 160 ff.). Und
auch die Hörner alle mit Sordinen, das klingt ganz die »plötzliche Ernüchterung« (die »Katerstelle«,
magisch, ebenso die Katerstelle mit dem Harfen- von der Strauss seinem Vater geschrieben hatte)
bispiglando und den Bratschenponticellis« (Schuh folgt »höchster Steigerung« zweifellos in T. 424–
1954, 119). Nach der Fertigstellung der Partitur am 457, mit einer scheinbar planlosen Folge von
30. September 1888 sah Strauss offenbar keine Themen aus früheren Liebesepisoden. Auch Er-
Veranlassung zu irgendeiner Revision, ungeachtet eignisse wie das »neue Liebesmotiv« (wahrschein-
des zeitlichen Abstands von fast vierzehn Monaten lich T. 236 ff.) wurden realisiert, aber an anderer
bis zur ersten Aufführung. Stelle als ursprünglich vorgesehen.
Allerdings änderte sich die musikalische und Andererseits ergaben sich im Verlauf der kom-
programmatische Konzeption im Verlauf des positorischen Arbeit substantielle Änderungen an
Kompositionsprozesses. Diese parallele Entwick- diesem ersten Konzept, und zwar im Hinblick auf
lung stellt die weit verbreitete Annahme in Frage, die Beschaffenheit der musikalischen und pro-
Strauss habe seine Musik auf Grundlage eines grammatischen Ereignisse wie auch auf ihre Rei-
mehr oder minder feststehenden Programms ge- henfolge. Der »stürmische Schluss« war zweifellos
schrieben. Obwohl nicht das gesamte Material auf das dramatische Duell mit Don Pedro am
erhalten ist, lässt sich doch anhand der im Ri- Ende von Lenaus Fragment bezogen. Dadurch,
chard-Strauss-Archiv befindlichen und ausführ- dass Strauss diese Szene auf den entscheidenden
lich von Werbeck untersuchten Quellen erkennen, Stoß (der Trompeten in T. 587) und auf eine stille
dass Strauss zunächst mit der Komposition der Meditation der letzten beiden Zeilen bei Lenau
ersten vierzig Takte begann und sich anschließend reduzierte (»Mein Todfeind ist in meine Faust ge-
Notizen über den weiteren Verlauf von Musik und geben; / Doch dieß auch langweilt, wie das ganze
Programm machte. Es gab also, mit anderen Wor- Leben« [Lenau 2004, 321]; Strauss hat diese Zeilen
ten, zwar einen Stoff, aber kein detailliertes Pro- nicht in seinen Textauszug zu Beginn der Partitur
gramm, als Strauss die erste Themengruppe kon- aufgenommen), hob er die grundsätzliche Ten-
zipierte (Werbeck 1996, 113–118). Es lohnt sich, denz des Textes hervor, ohne auf seine narrativen
21. Tondichtungen: Don Juan 383

Details einzugehen. (Das Gedicht war alles andere licksches Musizieren ist dabei allerdings nicht
als ein »gegebenes Pensum«, wie Mahler in einem mehr möglich«), zeigt Don Juan selbst deutliche
Brief an Arthur Seidl im Februar 1897 schrieb, um Zeichen von Strauss’ Ringen um ihre Neukonzep-
Strauss’ musikalische Programmatik zu charakte- tion (Strauss 1996, 83). Zwar lässt sich zeigen, dass
risieren [Mahler 1924, 209]). Der Komponist ver- Strauss spezifische Formelemente verwirft, indem
warf auch die Idee des »Wonnethemas« als »Cis- er sie entweder unterhöhlt oder auslässt, jedoch
durcantilene« und entschied sich stattdessen für evoziert er das Formmodell ebenso deutlich durch
die konventionellere Wahl von H-Dur, nachdem das Festhalten an unverwechselbaren, geradezu
er zwei Versuche unternommen hatte, einen Über- orthodox zu nennenden Gesten. Es ist dieser im-
gang vom eröffnenden E-Dur nach Cis-Dur zu plizite Dialog mit der Sonatenform, der die struk-
schaffen. Diese Entscheidung zeitigte weiter ge- turelle Grundlage der Tondichtung ausmacht, und
hende musikalische Folgen: Gleich nach der Skiz- nicht so sehr eine Ad-hoc-Lösung oder eine ober-
zierung des Beginns des neuen H-Dur-Abschnitts flächliche Auseinandersetzung mit der Rondo-
(T. 71) konzipierte Strauss das neue g-Moll-Thema form. (Die Ad-hoc-Lösung wurde zuerst von
(T. 197) und entwarf daraufhin die Musik von Rösch favorisiert, der eine auf dem Programm
T. 108–169, einschließlich der Steigerung des beruhende Form aus sechs Teilen beschrieb, ohne
H-Dur-Themas bis zur Freisetzung der aufgestau- dabei Bezug auf die Sonatenform oder irgendeine
ten Energie im e-Moll-Fortissimo in T. 149. Am andere musikalische Form zu nehmen [Rösch
Ende dieses Abschnitts notierte er »von da auf das 1896, 304 f.]). Nodnagel brachte bereits 1902 die
Gmollthema« (Werbeck 1996, 117). Die g-Moll/ Rondoform ins Gespräch, indem er die Liebesepi-
G-Dur-Episode (T. 197–309), in der fertigen Fas- soden als »Seitensätze einer Art modifizierter
sung immerhin Don Juans zentrale Begegnung Rondoform« bezeichnete. Specht versuchte, diese
mit dem Weiblichen, aber in Strauss’ programma- These zu untermauern, indem er sich auf die
tischer Skizze nur vage (wenn überhaupt) ange- deutlichen Rondo-Konnotationen des Programms
deutet, ergab sich folglich erst aus dem Komposi- bezog (Nodnagel 1902, 76; Specht 1921, 183–193.)
tionsprozess. Gleich, ob die Gründe dafür in erster Die traditionelle Seite der Tondichtung zeigt
Linie musikalische waren, wie Werbeck argumen- sich darin, dass Strauss verschiedene Merkmale
tiert, oder musikalisch-programmatische (beides der Sonatenform nutzt, wie sie für Kopfsätze von
als untrennbare Einheit aufgefasst): Strauss’ Kom- großangelegten symphonischen Werken typisch
positionsmethode machte es möglich, dass das sind. Das Werk beginnt mit einer energischen
Programm während des Schaffensprozesses radikal (Allegro molto con brio) Themengruppe, in der die
geändert werden konnte (Werbeck 1996, 117). Tonika E-Dur mit Nachdruck etabliert wird
(T. 40): Strauss exponiert unverwechselbares the-
matisches Material (T. 1–4, 9–16 [Hauptthema],
31 f.) als Grundlage für eine Durchführung. Ein
Musikalische Struktur thematischer und tonal instabiler Abschnitt
(T. 44 ff.) mit auffällig veränderter Satzstruktur
Wie die zeitliche Abfolge der Ereignisse nahelegt, moduliert über eine durch großen Nonenakkord,
war die Arbeit an Don Juan der direkte Anlass für Harfe und antizipierende Themenfragmente in
den oben erwähnten Brief an Bülow (S. 374), in der Sologeige (T. 71–89) dramatisch herausgeho-
dem Strauss seine Schwierigkeiten darlegte, einen bene Dominante in die neue Tonart H-Dur. Nun
programmatischen Inhalt mit der aus der klassi- erklingt ein neues Thema (T. 90) mit einem um-
schen Tradition übernommenen Sonatenform in werfenden Lyrizismus, deutlich weicherem Tim-
Einklang zu bringen. Die Orchestrierung der bre und einer gedämpften Dynamik. Formal ist
Tondichtung begann Mitte Juni 1888; demnach das überraschend konventionell: Es handelt sich
war die Komposition zu dem Zeitpunkt, als um eine typische Sonatenexposition, trotz der
Strauss an Bülow schrieb (24. August) weitgehend flüchtigen Rückkehr zum ersten Don Juan-Motiv
abgeschlossen. Während die Sonatenform im Brief in T. 50 und T. 62. Damit erscheint Hepokoskis
generell abgelehnt wird (»ein rein formales, Hans- These zweifelhaft, das Werk beginne als Rondo
384 Instrumentalmusik

und gehe erst dann zur Sonatenform über (Hepo- einer Ritornellform, da die Tonart gewechselt hat)
koski 1992a, 152). angesehen werden, auch nicht als Beginn der
Auch der Einfluss der klassischen Reprise auf Durchführung (wie klassische Vorbilder nahele-
die formale Anlage ist nicht zu übersehen. Die gen würden), sondern als erneuter Versuch, die
tonartliche Reprise stimmt sogar mit der themati- Exposition zum Erfolg zu führen. (Hepokoski hat
schen überein (das Hauptthema kehrt in T. 476 in diese Lesart einer »Doppel-Exposition« diskutiert
E-Dur wieder) und die Hauptthemengruppe wird und mit dem Argument verworfen, sie sei »em-
im weiteren Verlauf in verkürzter Form neu bear- phatically not part of the generic tradition of the
beitet: eine Verfahrensweise, die auf Strauss’ Ver- symphonic poem« [Hepokoski 1992a, 147]).
trautheit mit Haydn hinweist. Strauss bereitet die C-Dur erscheint bereits in T. 1 als potentielle To-
Reprise auf konventionelle Weise vor (durch ein nika (vor dem Wechsel vom Sextakkord über e
Dominantpedal, T. 457–473) und lässt ihr eine zum Grundakkord, der in T. 3 nach E-Dur ge-
weitere Reprise eines wichtigen Themas in der langt) und kündigt damit C-G als zweite tonale
Tonika folgen (T. 510), das zuvor in einer ganz Achse an: eine Alternative zur Achse E-H, die ab
anderen Tonart präsentiert worden war. Für die T. 3 Kontrolle über die Exposition gewinnt. So-
Idee, in der Reprise nicht die lyrische zweite The- bald C-Dur (nach T. 169) sich, wie erwartet, zur
mengruppe (T. 90) zu wiederholen, sondern ein Dominante bewegt, erklingt ein neues, leiden-
Thema, das erstmals im Durchführungsabschnitt schaftliches Thema in g-Moll (T. 197), das in
erklingt (T. 315), gab es durchaus Vorläufer: beson- T. 232 G-Dur weicht: einem Idyll voller stereotyp-
ders Wagners Siegfried-Idyll sowie, in freierer Ge- femininer Seitensatz-Gesten (sanfte Lyrik in der
staltung, der Kopfsatz der Eroica mit dem e-Moll- Oboe, homophoner Satz, rhythmische und
Thema erstmals in T. 284. Strauss’ freie Auffassung harmonische Statik usw.), sich erfüllend in einer
der Durchführung kann die Wahrnehmung des exquisit vorbereiteten Kadenz in T. 296. Auf diese
Hörers, dass es sich bei Don Juan grundsätzlich umständliche Weise etabliert Strauss, ganz im
um eine Sonatenform handelt, nicht beirren, üblichen Sinne, eine kontrastierende Tonart.
folgte doch der Ersatz gebräuchlicher Durchfüh- Dieser komplizierte Weg zu einer ›strukturellen
rungstechik durch tonartlich stabile Episoden Dissonanz‹ in der Exposition entspricht einem
Vorbildern wie Liszts Symphonischen Dichtungen anderen, mit der Sonatenform zusammenhängen-
und Beethovens Pastorale. den Problem, nämlich der tonikalen Wiederho-
Wirken diese Merkmale in einem bahnbre- lung von nicht-tonikalem Material in der Reprise.
chenden Werk der späten 1880er Jahre seltsam Die erfolgreiche Etablierung von G-Dur am Ende
konventionell, muss jedoch auch daran erinnert der C-G-Exposition führt, wie sich zeigt, nicht zur
werden, dass sie primär einem ganz bestimmten Etablierung von C-Dur als Tonika des Stückes.
Ziel dienen. Tatsächlich verbirgt die scheinbare Stattdessen beginnt die Reprise (in T. 474) mit
Normalität Subversion. Darauf deutet schon das derselben tonalen Geste wie die Exposition, und
zweite Thema, das nach dem sorgfältig vorbereite- das Werk endet insgesamt in E (allerdings in Moll,
ten H-Dur eben nicht zu einer Kadenz in dieser nicht in Dur). Die C-G-Exposition stellt sich da-
Tonart führt, sondern nach e-Moll zurückfällt – mit als Sackgasse heraus – auch deshalb, weil das
als Resultat einer dichten, von Chromatik getrie- G-Dur-Idyll in der Reprise fehlt. Aber auch die
benen Steigerung, die in T. 149 kulminiert. Bei E-Dur-Reprise (T. 510) des neuen Themas von
einem Komponisten wie Strauss, der Mozarts und T. 315, mit der Strauss dem Erfordernis eines So-
Haydns Praxis, die zweite Tonart mit Hilfe einer natenschlusses zu folgen scheint, vermag sich auf
perfekten Kadenz zu etablieren, genau kannte, struktureller Ebene nicht zu behaupten. Dieses
lässt sich das Fehlen eines Hauptmerkmals der Thema präsentiert sich stets als Synthese von
Sonatenform nur als gezielter ›Fehlschlag‹ der Heroismus – ›maskuline‹ Orchestrierung (Hör-
Exposition deuten. Vor diesem Hintergrund kann ner), marcato, kraftvolle Dynamik – und einem
die Wiederholung des Hauptthemas in C-Dur femininen Ideal, wie Merkmale des Oboen-The-
(T. 169) nicht als Rückkehr des A-Abschnittes ei- mas (T. 236) verraten: Oktavsprung zu Beginn,
ner Rondoform (oder, angemessener formuliert, aufgehellter Satz, eine übergebundene ganze Note,
21. Tondichtungen: Don Juan 385

die rhythmische Aktivität auslöst usw. (Hepokoski sind unter anderem der Trugschluss nach e-Moll
1992b, 151). Das Thema entfaltet sich jedoch jedes (T. 149), das Auftreten des Hornthemas (T. 315,
Mal (T. 315 u. 510) über einem Dominantpedal, T. 510), die Rückführung zur Reprise (T. 474) so-
ein entscheidendes Detail, das die musikalische wie die Coda (T. 586). Diese geradezu manischen
Expressivität als Chimäre entlarvt. Die Quartsext- Eskalationen, häufig in Form von schnellen und
Version in der Durchführung bleibt in der Reprise unnatürlich langen aufsteigenden Melodielinien,
in demselben Akkord gefangen, und es überrascht spielen eine wichtigere Rolle für die Entwicklung
nicht, dass dem Thema eine perfekte Kadenz der musikalischen Handlung als die Rondo-Form
fehlt. Demnach hätte Don Juan im Sinne eines mit ihrer Begrenztheit. Insgesamt sorgen Rondo-
»essential sonata closure« gemäß der Theorie von Elemente lediglich für kleine Einschübe von Ma-
Hepokoski und Darcy keine Reprise. Welche äu- terial aus der Hauptthemengruppe in der Überlei-
ßeren Merkmale der Sonatenform es hier auch tung und in den Beginn der Durchführung
immer geben mag: Ihre strukturellen Anforderun- (T. 169): Ereignisse, die durchaus auch in einem
gen werden auf geradezu emphatische Art und typischen Sonatensatz ihren Platz haben.
Weise nicht erfüllt (Hepokoski/Darcy 2006, 232 f.)
Die strukturelle Erfordernis einer Tonika-Reprise
von nicht-tonikalem Material wurde bereits in
den 1890er Jahren erkannt; Klauwell fasste sie Musik und Programm
1897 als entscheidend für »die Schlichtung ihres
früheren tonartlichen Gegensatzes« auf (Klauwell Alles in allem werfen die drei Ausschnitte aus
1906, 50). Lenaus Don Juan-Dichtung, die Strauss seiner
Vor dem Hintergrund dieser formalen Mehr- Partitur beifügte, mehr Fragen auf, als sie Antwor-
deutigkeit erhalten weitere stilistische Besonder- ten liefern. Das mag durchaus seine Absicht gewe-
heiten von Don Juan den Charakter wichtiger sen sein, denn es finden sich nur wenige Beispiele
Details. Der finale Zusammenbruch in e-Moll – für eine direkte Entsprechung zwischen Dichtung
das die sexuell konnotierte Entladung in T. 149 und Musik: Die Coda in e-Moll korrespondiert
wiederholt, nun aber den Tod bedeutet – erfüllt den Zeilen »plötzlich ward die Welt mir wüst,
die Implikationen des Stimmenverlaufs in T. 2 f. umnachtet« sowie »der Brennstoff ist verzehrt, /
(g-fis-e im Bass, e-fis-gis im Sopran): frühes Indiz Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd«. Die
einer dunklen Innenseite von E-Dur. Im Gegen- erste kurze amouröse Begegnung (T. 44–52) ge-
zug entfaltet das Dur-Tongeschlecht geradezu währt uns Einblick in Don Juans typischen Mo-
utopische Assoziationen, etwa in Don Juans The- dus operandi (»Und, wär’s auch nur für Augenbli-
men in E- und C-Dur, oder dort, wo der Über- cke, siegen«) und die Rückkehr des Hauptthemas
gang von g-Moll nach G-Dur dem Werk einen in C-Dur springt »Hinaus und fort nach immer
neuen Weg weist. Diese kompositorischen Ent- neuen Siegen.« Die meisten von Lenaus Zeilen
scheidungen zielten auf den Durchschnittshörer haben jedoch keine Entsprechungen zur Musik,
ab, über den sich Strauss wiederholt und aus- loten vielmehr das psychologische Innenleben des
drücklich Gedanken machte. Obwohl die har- Protagonisten aus. Jedenfalls umreißen diese Aus-
monische Komplexität am Ende des 19. Jahrhun- schnitte keinen Handlungsstrang, an dem sich die
derts die Unterscheidung zwischen Dur und Moll Musik sklavisch in chronologischer Reihenfolge
nahezu obsolet werden lässt, lud Strauss modale orientieren könnte.
Identität dennoch dramatisch auf, um die Ver- Komplizierter wird die Sache, weil Strauss’
ständlichkeit seiner Musik sicherzustellen. Musik andere, nicht in den Ausschnitten wieder-
Auch die häufigen Steigerungen spiegeln in gegebene Episoden aus Lenaus Dichtung zu evo-
ihrer kühnen Demonstration musikalischer Kraft zieren scheint. Wilhelm Mauke identifizierte in
einen historischen Impuls wider (Werbeck 1996, seiner Erläuterung von 1896, offenbar nach Rück-
331 ff.). Rhythmische, dynamische und satztechni- sprache mit dem Komponisten, T. 351 als Beginn
sche Intensivierungen fallen besonders in formal eines »Maskenballs« oder einer »Karnevals«-Szene
bedeutsamen Momenten ins Auge: Zu nennen und hörte Don Juans Tod durch die Hände Don
386 Instrumentalmusik

Pedros im dissonanten f der Trompete in T. 587 Bereitstellung narrativer Details weitaus koopera-
(Walden 1908, 57 f.). Ähnliche Entsprechungen tiver. Bei Tod und Verklärung beauftragte er Ale-
könnten bei den drei lyrischen und besonders il- xander Ritter damit, ein deskriptives programma-
lustrativen Episoden vorliegen, obwohl die Aus- tisches Gedicht zu verfassen (als die Musik bereits
schnitte aus der Dichtung keine spezifische Frau fertig war). Seit Till Eulenspiegel beschränkte
erwähnen. Innerhalb der ersten sieben Minuten Strauss die programmatischen Informationen in
des Stückes wohnen wir einer verwirrend schnel- der Partitur zwar drastisch, ließ jedoch sorgfältig
len Verführung bei (T. 44–52; vielleicht das na- ausgewählte Details im Rahmen einer jeweils von
menlose Opfer, dessen Tod Don Juan beim Mas- ihm offiziell abgesegneten Erläuterungsschrift
kenball verkündet wird?). Darauf folgt das beharr- veröffentlichen. Trotz dieser sich allmählich ent-
lichere, intensive Werben um eine zweite Geliebte wickelnden Informationspolitik beharrte er
(T. 90–159, Lenaus Gräfin Maria, »wunder- darauf, wie er gegenüber Cosima Wagner erläu-
schönste aller Frauen«, die Don Juan verführt und terte (vgl. S. 393), dass ein Werk zwar auf explizite
dann verstößt?) und schließlich die gesteigerte, Weise illustrativ sein könne, aber über eine tiefere
lebensverändernde Vereinigung mit der zentralen Schicht von nicht narrativem programmatischem
weiblichen Rolle des Dramas, deren leidenschaft- Gehalt verfüge: eine Position, wie sie von Wagner
liches Verhältnis mit Don Juan (T. 197–231) sich in und Liszt vertreten wurde.
der einzigen längeren musikalischen Passage wi- Um Don Juan so zu lesen, wie sein Komponist
derspiegelt, die ausschließlich eine Frau ins Zen- es wünschte, darf man das Programm nicht als
trum rückt (T. 232–306). Dieser Abschnitt bezieht bloße Folge von Ereignissen auffassen, sondern als
sich wahrscheinlich auf Lenaus Anna, der wir in Anregung für das oben erläuterte musikalische
der Dichtung nicht persönlich begegnen, auch Geschehen: Gesten der Sonatenform, die keinen
wenn Don Juan sich danach sehnt, »mit ihr in Abschluss erreichen, einen »Machtkampf« zwi-
Eins zusammenzusterben« (Lenau 2004, 300). schen den Tonarten E- und C-Dur, einen uner-
Woher auch immer die Inspiration für diese müdlichen Antrieb, der schließlich ins Leere läuft
Szenen stammte – Brecher sah sie als Repräsenta- und das Stück in eisiger Trostlosigkeit enden lässt.
tionen von drei spezifischen Frauentypen: »das Anders gesagt: Man muss die Details des schon
junge, unschuldige Mädchen, das liebeglühende von Brecher beschriebenen Verfahrens einer Ver-
Weib und die geistes- und willensstarke Frau« –, quickung der »gebräuchlichen symphonischen
sie lassen sich nicht ohne Probleme mit den von Form, des rein musikalischen Aufbaus mit einer
Strauss wiedergegebenen Lenau-Passagen in Bezie- logischen, lückenlosen, poetischen Darstellung
hung setzen (Brecher 1900, 21). Als Strauss Franz des Stoffes« aufsuchen (Brecher 1900, 21). Pro-
Wüllner vor einer von ihm selbst geleiteten Auf- gramm und Musik von Don Juan sind als wechsel-
führung in Köln am 3. Februar 1891 mitteilte, die seitig voneinander abhängige Komponenten auf-
drei Ausschnitte aus der Dichtung seien »für das einander bezogen und nicht als unterschiedliche
Verständniß meines Stückes von entscheidender Ausdrucksformen desselben Gehalts zu verstehen.
Wichtigkeit«, kann er damit kaum gemeint ha- Hepokoski hat als Erster (wenngleich auf anderer
ben, dass diese Texte einen musikalisch illustrier- argumentativer Grundlage) gemeint, Strauss’ Ton-
ten Handlungsstrang umreißen (Werbeck 1996, dichtung stelle die Frage, ob eine Frau gefunden
241, Anm. 594). Ihre Funktion bestand eher darin, werden kann, die imstande ist, Don Juan zu än-
den zugrundeliegenden dramatischen Gehalt an- dern – oder, zugespitzt formuliert, ihn zu erlösen,
zugeben – die »ewigen Motive«, über die ihn Co- indem sie den ewigen Kreislauf von Verlangen,
sima Wagner herablassend belehrt hatte –, den die Befriedigung, Ermattung und erneutem Verlan-
Musik auf ihre eigene Weise auslotete (Trenner gen zum Stillstand bringt. (Kaum zufällig stellt die
1978, 32). Details dieses narrativen Gehalts, ein- Erlösung aus diesem Kreislauf einen Schlüsselge-
schließlich seiner Beziehung zu Lenau und den danken von Schopenhauers Philosophie dar, deren
verschiedenen anderen Don-Juan-Legenden, hat- Probleme Strauss zu dieser Zeit angeregt mit Ale-
ten die Hörer selbst zu rekonstruieren. Strauss xander Ritter und weiteren Freunden debattierte.)
zeigte sich in späteren Tondichtungen bei seiner Die Ausschnitte aus der Dichtung beantworten
21. Tondichtungen: Don Juan 387

diese Frage negativ, indem sie sich ausschließlich und neuen Charakterseiten nach, die durch Don
auf Don Juans unersättliches Verlangen und sei- Juans beide Hauptthemen repräsentiert werden.
nen unvermeidlichen Untergang beschränken, Nach einer Phase schizophrener Störung zu Be-
den er bereits in der vierten Zeile (»Am Mund der ginn (T. 337) überspielt der Held sein Problem mit
letzten sterben eines Kusses«) akzeptiert. Die Mu- oberflächlicher Feierlaune (T. 351 ff.), bevor sein
sik jedoch weist einen Weg aus dem ewigen Kreis- innerer Konflikt offen zutage tritt (T. 386), der
lauf heraus, mit Hilfe einer neuen (auf C-Dur schließlich zum vollständigen seelischen Zusam-
basierenden) Identität, die durch das Handeln ei- menbruch führt (T. 422). Ein desillusionierter
ner einzigartigen Frau ermöglicht wird. Rückblick auf sein Leben, auf vergangene Liebes-
Der Beginn des Hornthemas in C-Dur in T. 315 affären (T. 431, 438, 448) und seine gegenwärtige
markiert das Hervortreten eines neuen heroischen Obsession (T. 444), mündet in die Entscheidung
Selbst, das durch das Dominantpedal sogleich als (T. 457), zu seinem alten Lebenswandel zurückzu-
Illusion entlarvt wird (Nodnagel 1902, 76, be- kehren (Reprise, T. 474).
zeichnete dieses Thema als das »eigentliche Seiten- Nun ist sein manisches Selbstbewusstsein sogar
thema«). Dieser schöne Traum geht aus einer noch extremer als zuvor, wie die groteske Vereini-
Reihe von Implikationen hervor, die sich bereits gung des neuen Heroismus mit den E-Dur-basier-
zu Beginn des Stückes bemerkbar machen. Dort ten erotischen Exzessen verrät (T. 510). Doch der
enthüllt ein erster Blick auf Don Juan (in der großangelegte Versuch, die heroische Vision in der
Modulation von C-Dur nach E-Dur, T. 1–4) realen Welt zu verwirklichen, scheitert: Das be-
schlaglichtartig ein alternatives Potential der harrliche Dominantpedal lässt sich nicht beseiti-
Hauptfigur – eine von der Dichtung selbst nicht gen. Die eilige Rückkehr nach C (T. 543) offenbart
angedeutete Möglichkeit. In seiner unbefriedigen- lediglich, dass die neue thematische Identität da-
den Begegnung mit E- und H-Dur erkennt Don bei ist, sich selbst zu liquidieren. So fällt die Musik
Juan den ausweglosen Charakter seiner Neigung: bald in die modifizierte Subdominante zurück
Die Musik erreicht wider Erwarten keine Kadenz (T. 556) – mittlerweile ein vertrautes Verfahren, um
in H-Dur und fällt auf sich selbst (auf E-Dur) Scheitern zu signalisieren – und schließlich in die
zurück, ebenso wie die Linien seines Hauptthemas Tonika E. Das sicherste Anzeichen, dass Don Juan
(T. 1–4, 9–16, 21–23, 27–33, 37–40) schneller ab- seine C-Dur-Phantasien aufgegeben hat, folgt im
stürzen, als sie aufsteigen. Er reagiert darauf, in- letzten Auftreten seines ersten Motivs (T. 564), das
dem er latente, unbekannte Dimensionen seiner nun völlig frei ist von jeder Nähe zu C-Dur.
Persönlichkeit erkundet (T. 169, mit dem Haupt- Zuletzt finden wir Don Juan als gebrochenen
thema in C-Dur über einem E im Bass), zunächst Charakter ohne Ausweg. Der vage, aber optimis-
durch einen Durchführungsabschnitt mit suchen- tische Traum eines höheren Lebenssinns hat sich
dem Charakter (T. 181–196), dann in einer neuen verflüchtigt, zugleich erscheint die Aussicht auf
Liebesepisode in Form eines kräftigen g-Moll- eine ewige Wiederkehr des Gleichen unerträglich.
Themas für Bratschen und Celli, das sich mit fle- Oder um es mit der postwagnerischen Begrifflich-
bile-Seufzern seines Liebesobjekts abwechselt, keit Maukes zu sagen: Die »Sehnsucht nach Erlö-
schließlich mit einer statischen Fixierung auf ein sung, Erlösung durch ein Weib« scheitert und
ideales Frauenbild, dessen singuläre Kraft durch provoziert »die durch die Unmöglichkeit dieses
eine perfekte authentische Kadenz in ihrer Tonart Wunsches bedingte pessimistische Lebensvernei-
G-Dur (Dominante zu C-Dur) in T. 296 unter- nung« (Walden 1908, 48): ein aufschlussreiches
strichen wird. frühes Beispiel dafür, wie Strauss Schopenhauer
Von hier an bis zum Schluss bleibt die Frage gegen Wagner ausspielte. David Larkin hat un-
virulent, ob sich die neue heroische Identität, längst die These vertreten, der demonstrative
musikalisch repräsentiert durch das von G-Dur Wagnerismus des Werkes, bereits 1890 von Otto
inspirierte C-Dur, als Don Juans neue Realität Lessmann pointiert, werde bei genauerer Betrach-
behaupten kann. Die Antwort lautet eindeutig tung durch seinen nihilistischen Schluss untermi-
nein. Vom Beginn des Hornthemas bis zur Reprise niert (Larkin 2006, 163 f.). In jedem Fall bietet der
spürt die Musik einem Konflikt zwischen alten Tod den einzigen Ausweg in einer Coda, die frei
388 Instrumentalmusik

ist von thematischem Material. Das Stück findet Brief an seine Eltern hob er den Zusammenhang
keinen eigentlichen Abschluss, es verschwindet zwischen Interpretation, Verständnis und Rezep-
bzw. hört auf zu existieren. Sein e-Moll legt die tion hervor: »Ich hatte […] die große Freunde, das
Verwandtschaft zwischen sexueller Erfüllung vortreffliche Philharmonische Orchester genau
(T. 149) und der abstoßenden Auszehrung des ohne Probe auf meine Tempi, Modifikation, über-
Helden offen. Zugleich trägt dieses e-Moll-Va- haupt auf alle meine Intention eingehen zu sehen,
kuum mit seiner Nähe zu C-Dur noch eine Spur daß die Aufführung kolossales Furore machte,
der verlorenen Hoffnung in sich. Aus dieser Per- und Leßmann, Eichberg und viele Leute ihrem
spektive erscheint der Handlungskern bereits in Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß sie nun
der Basslinie in T. 2 (g-fis-e) angelegt, die die opti- erst den ›Don Juan‹ verstanden haben, daß es ein
mistische Melodie unterwandert und sich im ganz modernes Werk wäre etc. etc.« (Schuh 1954,
Rückblick als dunkle, zwischen C und E vermit- 129; Hervorh. im Orig.).
telnde Wahrheit herausstellt. Trotz des beträchtlichen Erfolgs schon vorheri-
ger Werke wie der f-Moll-Symphonie und Aus
Italien etablierte erst Don Juan Strauss auf natio-
naler und internationaler Ebene als modernen
Wirkung Komponisten der ersten Reihe. Noch vor Ablauf
des Jahres 1892 erlebte die Tondichtung 26 Auf-
Der Erfolg seiner Tondichtungen hing, so war führungen in Zentren wie Wien, Paris, Amster-
Strauss nach den ersten Aufführungen von Don dam, Brüssel, New York und Boston. Kritiker be-
Juan überzeugt, entscheidend davon ab, ob der mängelten (das sollte bei späteren Strauss-Premie-
Dirigent den programmatischen Gehalt präzise ren zur Regel werden) die technischen Ansprüche;
verstanden hatte – wie aus seinem Briefwechsel das Werk stelle »nicht nur an das Orchester,
mit Johann Leopold Bella unmittelbar hervorgeht sondern auch an die Fassungskraft der Hörer ganz
(Zagiba 1955, 64 f.). Nach der Premiere unter Lei- ungewöhnliche Anforderungen« (so der anonyme
tung des Komponisten, die Bülow als einen »ganz Kritiker im Musikalischen Wochenblatt vom
unerhörte(n) Erfolg« bezeichnete, rief das Werk 21. November 1889 [Warfield 1995, 428]). Dem
unter Adolph Hagen in Dresden am 10. Januar Publikum jedoch gefiel das Stück. Die Konzertbe-
1890 lediglich verhaltene Reaktionen hervor. Und sucher in Weimar verlangten ein Da capo, und aus
Bülows Berliner Aufführung mit den Philharmo- den Kritiken von Strauss’ eigenen Aufführungen
nikern (am 31. Januar 1890) wurde für Strauss zu geht hervor, dass er viele Male vor den Vorhang
einer ganz besonderen Enttäuschung. In einem gerufen wurde (Schmid 1997, 99–104). Einige
Brief an seinen Vater beklagte er sich darüber, sein wenige Gegner disqualifizierten den Erfolg als
früherer Mentor habe »dem Publikum ein sehr Ergebnis oberflächlicher Effekte, etwa der ano-
interessantes Musikstück, aber nicht meinen ›Don nyme Kritiker der Signale für die musikalische Welt,
Juan‹ vorgeführt«. »Bülow hat wirklich kein Ver- der nach den Berliner Aufführungen 1890 rheto-
ständnis mehr für poetische Musik, er hat den risch fragte, was »von diesem absonderlichen und
Faden verloren!« (Schuh 1954, 128). Strauss trug Neues gewaltsam erzwingen wollenden Musik-
allerdings selbst einige Verantwortung für dieses stück übrig [bliebe], wenn man plötzlich seinen
Ergebnis. Zwar vermittelte er Bülow die von die- blendenden orchestralen Flitterstaat abzöge«
sem gewünschten präzisen Tempoangaben, aber, (Warfield 1995, 433). Völlige Verrisse waren jedoch
wohl aus Respekt, mit der Relativierung: »Wo die- selten und kamen vorwiegend von eingefleischten
selbe mit Ihrer Auffassung nicht übereinstimmt, Reaktionären wie Hanslick, der den Komponisten
bitte ich sie dringend, dieselbe einfach umzusto- heftig angriff, dabei jedoch dem Werk eine »Vir-
ßen« (Strauss 1996, 90). Einen solchen Fehler tuosität in Klangeffekten« zugestand (Hanslick
sollte er nicht noch einmal machen, besonders als 1896, 179).
er erkannte, welche Wirkung seine eigene Direk- Durch Don Juan entdeckte Strauss das Ver-
tion des Stückes wenige Tage später (4. Februar marktungspotential der neuen Avantgarde. Arthur
1890) mit demselben Orchester hatte. In einem Seidl beobachtete 1896 – bei aller Loyalität gegen-
21. Tondichtungen: Tod und Verklärung 389

über dem langjährigen Freund –, wie genau dessen bevor Macbeth oder Don Juan eine Aussicht darauf
auf Technik und Expressivität gegründeter Mo- hatten, aufgeführt zu werden (Schuh 1976, 172).
dernismus kalkuliert war, um den Erfolg beim An der Partitur arbeitete Strauss spätestens seit
Publikum sicherzustellen. In Seidls Sicht wirkte Oktober, nachdem er von München nach Weimar
die »kühne Kolumbus-Fahrt« Don Juans, trotz des gezogen war, um seine neue Kapellmeisterstelle
skandalösen Inhalts, unwiderstehlich auf Dirigen- anzutreten. Am 13. November spielte er das fertige
ten, die die Virtuosität ihrer Orchester zur Schau Werk in Weimar Hans von Bülow sowie seinem
stellen wollten (Seidl 1896, 21 f.). Musiker und Verleger Eugen Spitzweg vor.
Konsumenten schlossen sich dieser Ansicht an Der junge Komponist zeigte ein bemerkens-
und ließen den Kritikern die Wahl, zu folgen oder wertes Vertrauen in sein neues Projekt, weit bevor
vor der Tür zu bleiben. Sogar ein so konservativer ihm der Erfolg Recht geben sollte. Bestärkt durch
Beobachter wie Ernst Otto Nodnagel stellte stau- Bülows positive Reaktion und das Interesse des
nend fest, dass die expressive Kraft dieser neuen Verlegers setzte er Tod und Verklärung bei seinen
Musik »selbst den Orgiasmus der Tannhäuser- Verhandlungen mit Spitzweg als Druckmittel ein
Ouvertüre noch weit hinter sich lässt« (Nodnagel und hielt das Stück so lange zurück, bis dieser in
1902, 76). Im Guten wie im Schlechten hatte die Publikation auch von Macbeth einwilligte
Strauss eine Kraft entfesselt, die nicht mehr zu (Schuh 1976, 148). Vor allem aber teilte er seinem
ignorieren war. Verleger Mitte November 1890 mit, Tod und Ver-
klärung sei seine letzte Tondichtung. Er wolle sich
»von der absoluten Musik ganz abwenden« und
sein »Heil beim Drama […] versuchen« (Schuh
1976, 242). Ermutigt durch die erfolgreiche Pre-
Tod und Verklärung miere von Tod und Verklärung in Eisenach am
21. Juni 1890 und positive Reaktionen von Bülow,
op. 24 TrV 158 Ritter, Humperdinck und Weingartner, war Strauss
entschlossen, seine kreative Energie ganz auf seine
Entstehung erste Oper Guntram (1893 vollendet) zu richten.
Mit Macbeth, Don Juan und Tod und Verklärung
Bei seiner Arbeit an Tod und Verklärung sah sich hatte er sich, wie er meinte, erfolgreich auf seine
Strauss herausgefordert, seinem neu erworbenen neue Karriere als Opernkomponist vorbereitet.
Ruf als berühmt-berüchtigter Modernist gerecht Auch Arthur Seidl berichtet, Strauss habe nach
zu werden. Vor der Premiere von Don Juan im einer Aufführung von Tod und Verklärung in Leip-
November 1889 war er ein 25-jähriger Provinz- zig am 13. März 1892 auf die Frage nach seinen
kapellmeister gewesen, der lediglich einige be- weiteren Plänen geantwortet: »Jetzt gebrauchen
scheidene Erfolge vorweisen konnte (Aus Italien, wir das Wort!« (Seidl 1896, 30).
die f-Moll-Symphonie), aber auch den Mut zu Fraglos bot die Geschichte eines sterbenden
einem kühnen Experiment gehabt hatte. Nur Künstlers Strauss die Gelegenheit, für die Kompo-
wenige Monate später, im Februar 1890, war er sition von Opern wichtige Fertigkeiten zu üben,
dank der aufsehenerregenden, kontrovers beurteil- darunter besonders die musikalische Darstellung
ten Aufführungen von Don Juan in Berlin, Dres- eines komplexen Handlungsstrangs. Die Tendenz
den und Frankfurt ein Avantgarde-Phänomen. zu illustrativer Klarheit (im Vergleich zu den vori-
Die hohen Erwartungen, die man seither an ihn gen Tondichtungen) fiel auch Hanslick auf; dieser
stellte, trafen Strauss nicht unvorbereitet: Mit Tod bemerkte nach der ersten Aufführung von Tod
und Verklärung hatte er ein Nachfolgewerk schon und Verklärung in Wien (am 15. Januar 1895 unter
in der Tasche. Bereits am 18. November 1889, le- Hans Richter): »Die Art seines Talents weist den
diglich eine Woche nach der Premiere von Don Komponisten eigentlich auf den Weg zum Musik-
Juan, schloss er seine Arbeit an der Partitur ab. drama […]« (Hanslick 1896, 221). Wie Strauss in
Einem Brief an Dora Wihan zufolge war das Werk einem für Friedrich von Hausegger bestimmten
in der Skizze bereits im April 1889 fertig, lange Schreiben (wahrscheinlich von 1895) erklärte, ging
390 Instrumentalmusik

die Programmatik des Stückes weder auf eine äu- vor Augen stehenden »Ideals« sollte in zunehmend
ßere Anregung noch auf eine persönliche Erfah- längeren Versionen und in verschiedenen Ton-
rung zurück (Hausegger 1903, 399 f.; Werbeck arten präsentiert und ein als »Jugenderinnerung«
1996, 534–539; erst im Mai 1891, als Tod und Ver- markierter Abschnitt »immer krampfhafter« wer-
klärung längst vorlag, erkrankte Strauss schwer). den, parallel zu immer heftigeren Krankheitsschü-
Allerdings ist Nodnagels Behauptung, »der Plan« ben. Und am Schluss, so der Plan, erklang das
der Tondichtung sei »rein musikalisch erfunden«, »Emporschweben der Seele in himmlisches Cdur«
deutlich übertrieben (Nodnagel 1902, 78). Wie in (Werbeck 1996, 120 f.).
keinem anderen Werk zuvor verband Strauss seine Obwohl der tonale c-Moll/C-Dur-Rahmen
Musik mit gleichsam chronologisch verlaufenden und die Hauptereignisse von Anfang an zur Ge-
dramatischen Ereignissen (spasmische Anfälle, samtkonzeption gehörten, sollte sich die Reihen-
Ruhephasen, Erinnerungsmomente, das Eintreten folge dieser Ereignisse deutlich ändern, und dies
des Todes, eine Apotheose), die er seinen struktu- mit wichtigen Auswirkungen auf die musikalische
rellen Vorstellungen gemäß anordnete. Die Details Konzeption. Die ursprünglich geplante Tonarten-
der Handlung werden durch ein der gedruckten folge des Ideal-Themas lässt sich in der fertigen
Partitur vorangestelltes Gedicht Alexander Ritters, Version nicht finden. Die Jugenderinnerung, die
verfasst im Blick auf die abgeschlossene Komposi- ursprünglich den unvollständigen Versionen des
tion, mit übergroßer Deutlichkeit dargestellt. Ideals folgen sollte, wurde an eine Stelle vorver-
Vorausgegangen war eine kürzere Version, die sich legt, die unmittelbar auf den ersten Kampf mit der
im Partiturautograph findet (Strauss 1924, 1; auch Krankheit (in c-Moll) folgt (T. 186). Diese Revi-
Schuh 1976, 187) und bei den ersten beiden Auf- sion erlaubte Strauss, die Tonarten der Ideal-
führungen verteilt wurde. Wenn schon die Spra- Fragmente von Es, E und G nach As, A und Des
che dieses kurzen Poems einiges zu wünschen (T. 320, 334 und 355) zu ändern. Der ursprüngliche
übrig lässt, muss die beschreibende Präzision des tonale Plan war offenbar dazu gedacht, das erste
zweiten Gedichts besonders unangenehm berüh- Auftreten des Ideals in Es-Dur (T. 163) mit
ren (gleichwohl lobte Seidl seine »klare Diktion dem G-Dur der Jugenderinnerung zu verbinden
und anspruchslose Schlichtheit«; Seidl 1896, 24). (T. 186). Dieser weitgespannte tonale Plan diente
Wie bei Don Juan enthalten die überlieferten musikalischen Zwecken (im Rahmen der Sonaten-
Skizzen für Tod und Verklärung eine erste Version form), folgte aber auch programmatischen Zielen
des Beginns (T. 1–66, von Strauss selbst »Einlei- (der Darstellung der Unüberbrückbarkeit zwi-
tung« genannt) sowie einen schriftlich formulier- schen dem Protagonisten und seinem Ideal).
ten Plan der folgenden musikalischen und pro- Ebenso unterstrich die späte Entscheidung, eine
grammatischen Ereignisse (Werbeck 1996, 120). Reprise (T. 378) zu ergänzen, nicht nur die Gültig-
Und wie beim älteren Werk blieben bestimmte keit der Sonatenform, sie schuf auch Raum für
Aspekte des Plans während des Kompositions- eine fesselnde musikalische Episode, den letzten
prozesses bestehen. Strauss beabsichtigte von An- Anfall vor dem Tod des Protagonisten (Werbeck
fang an eine tonale Entwicklung von c-Moll nach 1996, 123 f.). Die Reprise kommt in den Skizzen
C-Dur; er folgte darin Modellen wie Beethovens nirgends vor, was angesichts der Tatsache überra-
5. Symphonie, Brahms’ 1. Symphonie und offen- schen muss, dass Strauss tatsächlich einen Über-
bar ganz besonders Liszts Tasso, lamento e trionfo gang zwischen dem Ideal in Des-Dur und seiner
(Larkin 2006, 168). Strauss selbst bemerkte 1931 finalen Version in C-Dur komponiert hatte. Wie
gegenüber Wilhelm Bopp, der Ursprung der Ton- bereits in Don Juan wurde das endgültige Pro-
dichtung sei »wahrscheinlich letzten Endes das gramm im Prozess kompositorischen Schaffens
musikalische Bedürfnis« gewesen, »ein Stück zu geformt. Die Details der in Ritters Gedicht wie-
schreiben, das in Cmoll anfängt und in Cdur dergegebenen Handlung standen vor Beginn der
aufhört!« (Schuh 1976, 188). Nach der langsamen Komposition keineswegs fest.
Eröffnung sollte sich das folgende Allegro in
einem ersten Abschnitt auf ein Tutti-Thema in
c-Moll hinbewegen. Das Thema des dem Künstler
21. Tondichtungen: Tod und Verklärung 391

Musikalische Struktur kulminierenden C-Dur in T. 430. Damit sind die


wichtigsten Anforderungen der Sonatenform er-
Der »furchtbar realistische« Charakter der musika- füllt. Die episodische Durchführung ist kaum als
lischen Illustration (Walden 1908, 77) und die ungewöhnlich zu bezeichnen. Sie erinnert deut-
deutlichen Parallelen zwischen der Musik und den lich an die von Don Juan und Macbeth bekannte
im Gedicht beschriebenen Ereignissen ließen Praxis, vor allem mit dem Auftreten eines schein-
Kritiker die musikalische »Formlosigkeit« von Tod bar neuen Themas, das sich als zentral für die
und Verklärung bemängeln. So monierte etwa musikalisch-programmatische Konzeption des
Hanslick die veritable »Emanzipation von der Werks herausstellt. Diese Aspekte der Sonaten-
musikalischen Logik« (Hanslick 1896, 221). Wie form werden durch die Präsenz einer langsamen
sich jedoch bei näherer Betrachtung zeigt, ist das Einleitung (T. 1–66) keineswegs entkräftet, trotz
Werk keineswegs formlos, sondern umgekehrt deren unverhältnismäßiger Länge und der Exposi-
geradezu übermäßig determiniert, da hier gleich- tion zentralen motivischen Materials.
zeitig nicht weniger als drei verschiedene Struktur- Schwierig zu dieser Sonaten-Interpretation
prinzipien walten: die Sonatenform, die Viersät- passt der Eindruck eines alternativen Seitenthemas
zigkeit des Sonatenzyklus und die neue formale noch vor dem erwähnten G-Dur-Abschnitt. Auf-
Idee, das Hauptthema von der Mitte des Stückes merksame Hörer werden in T. 163 ff. eine keim-
an in immer längeren Ausschnitten und erst am hafte Version des Ideal-Themas in einem auf der
Ende vollständig zu präsentieren. Gerade dieses Dominante von Es-Dur zentrierten harmonischen
Formprinzip war dem Komponisten offenbar be- Kontext bemerken – als ob das Ideal-Thema hier
sonders wichtig. Allerdings spielt jede dieser drei als Seitenthema eingeführt wird, dann aber so-
formalen Strategien ihre eigene Rolle, so dass sich gleich wieder von der Bildfläche verschwindet.
geradezu von einer »Polyphonie« der Formen Als neues Thema in der parallelen Durtonart er-
sprechen ließe, die sich in ihrem Dienst an der füllt es durchaus die Erwartungen innerhalb einer
musikalischen Integration wechselseitig verstär- Sonatenform. Doch gleichzeitig signalisiert es das
ken. Diese formale Konzeption sollte selbst einen Scheitern der erwarteten harmonischen und the-
Kritiker wie Klauwell dazu bewegen, Tod und matischen Ziele und entspricht keineswegs den
Verklärung als eine »Rückbiegung des Weges« von Proportionen des vorangegangenen Hauptsatzes.
Strauss’ Programmmusik zu bezeichnen. Durch die Neuinterpretation des D7 von Es-Dur
Oberflächlich betrachtet lassen sich Standard- als übermäßiger Quintsextakkord, der zur Domi-
merkmale der Sonatenform leicht erkennen. Die nante von G-Dur aufgelöst wird (T. 178 f.), bewegt
Idee in c-Moll in T. 96 (wiederholt in T. 147) sich das Werk in eine verheißungsvollere Richtung
signalisiert zunächst das typische Hauptthema ei- und zugleich in eine, die wiederum den Hör-
nes Kopfsatzes (mit schnellem Tempo, Tuttisatz erwartungen an die Sonatenform entspricht. Im
und leicht erinnerbarem motivischem Profil), ob- Hinblick auf den Seitensatz präsentiert Strauss
wohl es sich bald recht abrupt in durchführungs- also zwei Alternativen und fordert den Hörer auf,
artigen Strukturen verliert, statt sich zu einem das Verhältnis des Werks zur Sonatenform zu
abgerundeten Thema zu verdichten. Ebenso be- prüfen und in musikalischer wie programmati-
gegnet ein Seitensatz in T. 186, mit typischen scher Hinsicht zu deuten.
Merkmalen wie kontrastierender Tonart, transpa- Carl Dahlhaus arbeitete in einer kurzen Analyse
rentem Satz, langsamem harmonischem Rhyth- die im Werk angelegte Vielsätzigkeit heraus. Er
mus, sanftem Holzbläser-Timbre und der Sugges- beschrieb die Coda (T. 395) als Finale, das
tion emotionaler Entspannung. Der Moment der G-Dur-Thema (T. 186) als zweites Thema bzw. als
Reprise (T. 378) könnte nicht deutlicher ausfallen, langsamen Satz, der ein Scherzo einschließt
trotz der harmonischen Verkomplizierung auf (T. 206), und den Hauptsatz als Kopfsatz in mi-
dem A-Pedal. Das neuerlich gebrachte Haupt- niaturhafter Sonatenform (T. 96 ff., mit einer Art
thema führt bald zu einer weiteren Reprise des Reprise in T. 147) und mit eigener Einleitung
Seitensatzthemas (T. 410 ff.), formgerecht in der (T. 67–95) (Dahlhaus 1980, 305). Dem ließe sich
Tonika, sowie schließlich zum Ideal-Thema im hinzufügen, dass die dem Kopfsatz vorangestellte
392 Instrumentalmusik

Einleitung durch ihren Umfang und ihre Eigen- Tod und Verklärung zuletzt durch die Kombina-
ständigkeit, ungewöhnlich sogar für ein Werk mit tion verschiedenster Formelemente (Seitensatzre-
diesen ausgedehnten Dimensionen, als unabhängi- prise, Coda, vierter Satz, Kulmination des Haupt-
ger Satz erscheint. In quantitativer Hinsicht macht themas) einen geradezu überdeterminierten Ges-
sie mehr als ein Fünftel des Stückes aus, zudem tus des Schließens.
enthält sie eine große Menge an thematisch bedeu- Die originelle Behandlung des Ideal-Themas
tendem Material, das entweder direkt (T. 17, T. 31) stellt keineswegs die einzige Innovation in diesem
oder in Andeutungen präsentiert wird, wie etwa Stück dar. Ebenso bedeutend für die Kohärenz des
die Seufzer in T. 8, die später Teil des Ideal-Themas Stückes ist Strauss’ neue Fähigkeit, subtile Verbin-
werden (Nodnagel 1902, 78). Außerdem erkundet dungen zwischen einer Vielzahl verschiedener und
die Einleitung entfernte harmonische Regionen meist kurzer melodischer Motive zu knüpfen. Wie
(Des-Dur T. 17 und as-Moll T. 29), statt lediglich bereits erwähnt, kehren die in T. 8 zu hörenden
die Dominante vorzubereiten. In struktureller akkordischen Seufzer, die zunächst lediglich als
Hinsicht korrespondiert sie mit dem Finale, und raffinierte Klangmalerei erscheinen, in der ersten
zwar durch ihre Länge wie die Systematik, mit der Hälfte des Ideal-Themas wieder, hervorgehoben
sie sich von der Tonika entfernt und wieder zu ihr durch die unaufgelöste Doppeldominante. Der
zurückkehrt. Strauss’ Verwendung der »double- Oktavsprung aufwärts, der zu dieser auffälligen
function form« (Verbindung von Sonatenanlage Fortschreitung führt, stammt aus dem Kindheits-
und Mehrsätzigkeit) verrät sein Interesse an expe- Thema (T. 30 f.), wo ihm ebenfalls eine schritt-
rimentellen Satzanlagen, kaum überraschend ange- weise absteigende Linie folgt. Die punktierte Fi-
sichts seiner Begeisterung für die späten Streich- gur, die das Kindheits-Thema einleitet, kehrt an
quartette Beethovens. Später sollte die Idee eines prominenter Stelle des c-Moll-Hauptthemas wie-
langsamen Finales für Mahler von Interesse sein; er der (im letzten Viertel von T. 97), wo sie wiederum
übernahm sie in seine 3. und 4. Symphonie. als Anakrusis dient und einen Sprung aufwärts
Das dritte Gestaltungsprinzip, demzufolge das einleitet. Die vorwärts stürmende Triole des
Werk durch die Evolution eines Themas geformt Hauptthemas, rhythmisches Hauptmerkmal im
wird, scheint von der Leitmotiv-Technik Wagners Kontrast zu akzentuierten Vierteln (T. 96), erin-
angeregt zu sein, insbesondere von Wagners Vor- nert an ähnlich auffällige Triolen im Flötenthema
liebe für Themen, die zunächst in unentwickelter in T. 17 und (trotz der Überbindungen) an den
Form erscheinen, um dann sukzessive ihre endgül- stockenden Rhythmus in T. 1. Dieses Triolen-
tige Gestalt anzunehmen (das allmähliche Hervor- Motiv wird während der Fieberepisoden beträcht-
treten des Walhall-Themas ließe sich als Beispiel lich intensiviert, aber auch in das »Männerkampf«-
anführen). Allerdings deutete Dahlhaus Strauss’ Thema in H-Dur (T. 256 ff.) integriert und führt
Procedere als »thematische Begründung des Prin- zu mehreren Höhepunkten, bei denen die sto-
zips der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit« (Dahl- ckende Version von T. 1 die voranstürmende wie-
haus 1980, 305). Das Verschmelzen der einzelnen derholt unterbricht (zuerst in T. 270).
Sätze zu einer übergreifenden Form erhält durch Das komplexe Netzwerk motivisch-thematischer
die »Geschichte« (so Dahlhaus’ Formulierung) des Beziehungen markiert einen deutlichen Fortschritt
Ideal-Themas bis zu seiner Kulmination in der im Vergleich zu früheren Tondichtungen; in Don
Coda seinen spezifischen Sinn. Wenn das Thema Juan finden wir lediglich eine weniger ausgefeilte
am Ende erstmals vollständig erscheint, verstärkt Beziehung zwischen dem zentralen femininen
das die Wahrnehmung der Coda als selbständiger Thema und dem neuen Hornthema. In Tod und
Satz ebenso wie als Reprise des Sonaten-Seitenthe- Verklärung erhalten, ganz wie in Musikdramen
mas. Denn die beiden Kandidaten, die Strauss in Wagners, die thematischen Beziehungen größeres
der Exposition als Seitenthema anbietet – das Gewicht und größere Dichte. Kein Wunder, wenn
fragmentarische Ideal-Thema in Es-Dur und das frühe Kritiker wie etwa Wilhelm Mauke die au-
»Kindheits«-Thema (Walden 1908, 83) in G-Dur –, ßerordentliche Kohärenz des Werkes lobten, weil
bringt er zuletzt in umgekehrter Reihenfolge und hier »die größte organische Einheit« unter den
Ausführlichkeit in der Tonika C-Dur. So erreicht Tondichtungen herrsche (Walden 1908, 91).
21. Tondichtungen: Tod und Verklärung 393

Musik und Programm zwischen Achtelnoten und Triolen, verkompliziert


durch Bindebögen und Pausen, antizipiert das
Strauss nutzt ein dichtes Netz motivischer Bezie- rhythmische Profil von T. 17 und signalisiert da-
hungen, um Zusammenhang zu schaffen, und auf durch, dass ein Aspekt der Physis in die Gedan-
melodischer Ebene setzt er über eindeutige Ton- kenwelt des Protagonisten eindringt. Das Män-
malerei hinaus vielfältig differenzierte Formen nerkampf-Thema in H-Dur (T. 256) stammt
musikalischer Programmatik ein. Die themati- ebenfalls aus T. 1: Ein ›physischer‹ Klang wird zum
schen Ideen von Tod und Verklärung zu analysie- Ausdruck eines psychischen Zustandes sublimiert.
ren, schließt eine Bewertung des Ausmaßes ein, in Die Differenz zwischen Physis und Metaphysis
dem diese Ideen außermusikalische Inhalte ver- kann allerdings auch Konfrontation signalisieren,
körpern. Von Beginn an begegnen wir zwei The- wie etwa in der Durchführung, wenn das Männer-
mentypen: solchen, die offensichtlich ein spezifi- kampf-Thema in Konflikt mit seiner ursprüng-
sches physisches Phänomen repräsentieren, und lichen Quelle tritt. Die aufrüttelnden Passagen
solchen, die eine nicht-physische programmati- (T. 270, 278, 282, 287 usw.) kehren den Prozess
sche Bedeutung haben, wobei es in erster Linie der musikalischer Sublimierung gleichsam um, weil
Phantasie des Hörers überlassen wird, diese Be- sie die Unvereinbarkeit der physischen Welt mit
deutung zu realisieren. So sind die stockenden der spirituellen Vorstellung des Protagonisten
Terzen in T. 1 auf konkrete Weise illustrativ (ob- drastisch vor Augen stellen. Allein im Ideal-Thema
wohl sie auf unterschiedliche Weise als Herz- wird der Übergang vom Physischen zum Geisti-
schläge, Atemzüge, »Totenuhr«, usw. gedeutet gen erfolgreich vollzogen. Und sein melodisches
wurden), und auch die Seufzerakkorde in T. 8 Komplement in der Coda, das Kindheits-Thema,
zählen zu dieser Kategorie. Andererseits bleiben ist das einzige musikalische Motiv des Werkes,
die in T. 17 und T. 31 eingeführten Motive bzw. dessen Ursprung in »reiner« Musik und nicht in
Themen auf produktive Weise abstrakt, trotz ihrer Tonmalerei liegt (T. 31). Offenbar wollte Strauss,
Deutung in Ritters Gedicht als Träume »von der gleichsam mit einem »romantischen« Akt, die
Kindheit gold’ner Zeit?« (mit einem von Ritter enge Beziehung zwischen ›absoluter‹ Musik, un-
selbst eingefügten suggestiven Fragezeichen). schuldiger Kindheit und dem Bereich des Idealen
Strauss bleibt keineswegs bei einer strikten unterstreichen.
Trennung zwischen diesen beiden Formen musi- Nun konnte Strauss Cosima Wagner versi-
kalischer Programmatik, sondern experimentiert chern, in Tod und Verklärung »einen bedeutenden
mit Übergängen vom Konkreten ins Abstrakte. Fortschritt« über Don Juan hinaus gemacht zu
Ein besonders prominentes Beispiel ist das am haben (Trenner 1978, 36). Sie hatte an dieser Ton-
Ende kulminierende Ideal- bzw. Verklärungs- dichtung kritisiert, in ihr herrsche wegen seines
Thema. Es ist kein Zufall, dass die zentrale außer- Talents für die Darstellung programmatischer
musikalische Idee in Tod und Verklärung, der Details die »Intelligenz« über das »Gefühl« (ebd.,
Aufschwung der Seele von brutaler physischer 31). Besser gewesen wäre eine größere Konzentra-
Realität hinauf in die metaphysische Sphäre eines tion auf »ewige Motive«, die der Hörer »durch alle
idealen Jenseits, musikalisch mit der Transforma- Täuschungen der Erscheinungen hindurch« (ebd.,
tion des Ideal-Themas von einer Darstellung tiefer 32) vernehmen könne. Strauss reagierte, auf den
Atemzüge eines Sterbenden (T. 8) zu einer ›rein ersten Blick unverständlich, mit der Darstellung
musikalischen‹ Verkörperung ewigen Glücks jen- eines Todeskampfes: einer extrem realistischen
seits physischer Realität korrespondiert (T. 431). Illustration, die sich zuletzt in etwas »Höheres«
Weitere Beispiele dieser Art machen deutlich, dass verwandelt. Damit, so meinte er, seien Intelligenz
es Strauss ganz besonders darum ging, Wechselbe- und Gefühl miteinander versöhnt.
ziehungen zwischen Körper und Geist, zwischen Tatsächlich bedeutete dieser Schritt eine Wi-
dem Physischen und dem Metaphysischen auszu- derlegung der Berlioz-Kritik Wagners in seinem
loten. Gelegentlich erlauben diese Beziehungen einflussreichen Essay »Über Franz Liszt’s Sympho-
einen graduellen Übergang zwischen den Polen. nische Dichtungen« (1857) und damit ein Plädoyer
Was auch immer T. 1 repräsentiert: Sein Wechsel für eine neue modernistische Ästhetik. Wagner
394 Instrumentalmusik

hatte Berlioz’ detaillierte musikalische Erzählun- sein physisches Leiden als den wachsenden Wider-
gen abgelehnt und argumentiert, eine wirkungs- stand erkennt, dem er sich im Leben stellte und
volle musikalische Programmatik mache, wie bei den er überwinden konnte (T. 282, 287, 296 etc.).
Liszt, eine Verdichtung des Programms zu einem Gestärkt durch die Erinnerung an sein jugendli-
dramatischen Kern erforderlich, der allein durch ches Selbst (T. 310), sammelt er alle Kräfte, um
Musik kommuniziert werden könne (Wagner sich an drei Lebenssituationen zu erinnern, in
1857, 193 f.). Strauss schlug als Alternative eine denen er sein Ideal zu verwirklichen versuchte
Kombination beider Ansätze vor, weil er davon (T. 320, 334, 355). Jede dieser Situationen war
überzeugt war, narrative Details einerseits und die länger als die vorige, und in der letzten wurde das
musikalische Darstellung eines dramatischen Ideal fast erreicht. Doch diese Anstrengung raubt
Kerns andererseits schlössen sich nicht aus, wenn ihm seine letzten Kraftreserven. Die Rückkehr des
der Komponist sich diesen Kern zuvor sinnvoll Fiebers (T. 378) führt zu einer finalen Geste des
zurechtgelegt habe. (Mauke, vermutlich durch Widerstands (T. 379), gefolgt von einem Auf-
Strauss informiert, erklärte, in Tod und Verklärung bäumen (T. 381), das rasch abbricht. Das Tamtam
werde der Hörer dazu bewegt, »im Besondern nur markiert unverkennbar den Moment seines Todes
eine Erscheinungsform des Allgemeinen zu sehen« (T. 395).
[Walden 1908, 77]). Der Eintritt einer nicht-refe- Sobald die Seele zum Himmel aufsteigt, ver-
rentiellen, rein musikalisch konzipierten »Verklä- schwindet die Möglichkeit illustrativer Program-
rung« als Klimax einer abwechslungsreich illus- matik. Die Erzählung wendet sich zu einer höhe-
trierten Handlung ließe sich damit auch als Ver- ren Form musikalischer Repräsentation, wie sie
such auffassen, die moderne Form einer hoch sich bei Wagner beschrieben findet. Vieles spricht
differenzierten musikalischen Programmatik dar- dafür, dass es gerade dieser Wechsel war, der
zustellen, die sich aus der seit Jahrhunderten in Strauss von der Stärke der Thematik seines Werkes
der europäischen Musik gebräuchlichen Tonmale- überzeugte: Der Held befreit sich von der physi-
rei entwickelt hatte. schen Welt wie die Musik sich von physischer
Gleichwohl macht illustratives musikalisches Repräsentation. Zuerst hören wir Abschnitte des
Erzählen den größten Anteil des Werkes aus. Die bedeutungsvollen Kindheits-Themas, das die neu
Details der Handlung sind ohne größere Schwie- angekommene Seele endlich zu ihrem Ideal führt
rigkeit zu erkennen, ein Hinzuziehen von Ritters (T. 430). Die himmlischen Regionen werden
Gedicht ist nicht notwendig. Der Patient (Ritter musikalisch charakterisiert, besonders mit harmo-
identifiziert ihn als männlich) befindet sich in ei- nischen Mitteln (D-Dur T. 455, E-Dur T. 459,
nem dunklen, stillen Raum. Er ist in halbwachem anschließend in kürzeren Versionen in Es-Dur,
Zustand und sieht flüchtige Traumbilder seiner B-Dur und As-Dur); wobei Strauss zuletzt Liszts
Jugend kommen und gehen (T. 1–66). Ein Vorliebe für in Ganztonschritten absteigende
Krampfanfall erschüttert seinen Körper (T. 67); Grunddreiklänge aufgreift (Larkin 2006, 191 f.).
sein Kampf steigert sich zu einem rhythmisch Ein Dominantorgelpunkt (T. 469) und eine Ka-
prägnanten Thema, das seinen Willen zu leben denz nach C-Dur (T. 479) bereiten die Klimax
symbolisiert (T. 96). Der Kampf zwischen Leben vor, und die drei endgültigen, »verklärten« Versio-
und Tod entfaltet sich in erschreckender Bildlich- nen des Ideal-Themas (zunächst in T. 483 nach
keit, bis der Leidende schließlich all seine Kräfte As-Dur gewendet, dann ins schon nähere a-Moll
sammelt, um das Ideal zu beschwören, nach dem in T. 487 und schließlich in T. 493 ins reine C-Dur
er in seinem Leben immer strebte (T. 163). Ein mündend) geben einen letzten musikalischen
physischer Zusammenbruch beendet diese Vision Eindruck einer unvorstellbaren metaphysischen
und initiiert einen traumartigen Zustand, in dem Realität.
sein Leben an ihm vorbeizieht: Kindheit (T. 186), Indem Strauss sein Werk mit einem so sorgfäl-
Jugend (T. 235) und der Beginn seines Erwachsen- tig formulierten ›ewigen‹ Thema abschloss, be-
seins (T. 256). In diesem Moment bricht die kannte er seinen Glauben an die expressive Kraft
Krankheit in den Traum herein (T. 270), gefolgt der Musik, die Wagner so sehr an den Symphoni-
von einem Kampf, in dem der delirierende Held schen Dichtungen Liszts faszinierte. Von Anfang
21. Tondichtungen: Tod und Verklärung 395

an registrierten Kritiker bei Strauss eine ›Wagneri- das der Partitur vorangestellte Gedicht in einer
sierung‹ Lisztscher Praxis, als habe er versucht, anderen Beziehung zur Musik als Lenaus Zeilen
beide Vorbilder miteinander zu versöhnen, bevor bei Don Juan. Ritters Dichtung, als Beschreibung
er zu seinem reifen Stil fand. Seidl bezeichnete das von Ereignissen wie Ideen, ist als eine Erläuterung
Werk explizit als eine Synthese: Strauss habe die der Tondichtung und weniger als eine eigenstän-
»polyphon-imitatorisch-malerische Weise Wa g - dige künstlerische Version der durch die Musik
n e r s mit der mehr homophon-modulatorisch- ausgedrückten Ideen zu verstehen. Hätte Ritter
plastischen Art eines L i s z t « ebenso verbunden Cosimas Vorbehalte geteilt, hätte er das Gedicht
wie »die feine L i s z t ’s c h e Enharmonik […] mit vermutlich nicht geschrieben.
der sensiblen und reichen Wa g n e r ’schen Chro-
matik« (Seidl 1913, 28 f., Hervorh. im Orig.). Bre-
cher, ein weniger differenzierter Analytiker, regis-
trierte in Tod und Verklärung ebenfalls ein Amal- Wirkung
gam von Liszt und Wagner, besonders einen »echt
Liszt-Wagnerschen chromatischen Stil«, den der Entstehung und Merkmale von Ritters Gedicht
Autor sowohl altmodisch wie abstoßend fand: Die kamen Strauss’ Vorstellung entgegen, wie eine
»bis auf die äußerste Spitze getriebene, sogar den neue Tondichtung der Öffentlichkeit zu präsentie-
›Tristan‹ noch überbietende Chromatik wirkt auf ren sei. Nach den Erfahrungen mit den ersten
die Dauer geradezu zersetzend« (Brecher 1900, 22 f.). Aufführungen von Don Juan, die unter der Lei-
Für Strauss schloss die Verbeugung vor der tung anderer Dirigenten nicht den erwünschten
Musik der Vergangenheit keineswegs das Verfol- Effekt erzielt hatten, entschied er sich dafür, die
gen persönlicher Interessen aus. Die Auseinander- ersten Aufführungen der neuen Tondichtung
setzung mit seinen Vorgängern stellte seine Nei- selbst zu leiten, zumindest bis sie im Repertoire
gung zu musikalischer Bildlichkeit in einen größe- etabliert war. Nur ein Dirigent mit einem umfas-
ren Zusammenhang und legitimierte sie auf eine senden Verständnis des Programms, so Strauss’
Art, die auch den wachsamen Ritter zufriedenstel- Überzeugung, konnte die Musiker zu einer über-
len musste. Tod und Verklärung repräsentiert ohne zeugenden Aufführung anleiten. Aber auch die
Frage den Gipfel Ritterschen Einflusses. Das von Musikkritik und das Publikum sollten über das
ihm verfasste programmatische Gedicht könnte Programm möglichst ausführlich informiert wer-
man durchaus autobiographisch deuten – etwa die den. Deswegen kam es zur Revision von Ritters
unerschütterliche Hingabe des Helden an ein erstem kurzen Gedicht, das für die Premiere am
Ideal und, noch spezifischer, an seine verheißungs- 21. Juni 1890 (in Eisenach unter der Schirmherr-
volle Jugend, weiterhin seine Versuche, Fehl- schaft des Allgemeinen Deutschen Musikvereins)
schläge als Lernerfahrungen zu deuten (»Mach die und für die zweite Aufführung in Weimar am
Schranke dir zur Staffel! Immer höher nur hinan!«), 12. Januar 1891 genutzt worden war. Erst nachdem
und sein Kampf mit nicht nachlassenden Heraus- die längere Version zusammen mit der Partitur im
forderungen durch ein gnadenloses Schicksal. Druck vorlag, erlaubte Strauss Aufführungen
(Eine ähnliche Deutung des Lebens eines sterben- durch andere Dirigenten.
den Helden lässt sich in Ritters eigener Tondich- Weil Strauss auf umfassender Information be-
tung Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe finden, die er harrte, konnten Missverständnisse vermieden wer-
1895 schrieb, kurz nach dem Tod seiner Frau den, wie sie etwa bei der Rezeption von Mahlers
Franziska [Hausegger 1907, 121].) 1. Symphonie auftraten. Der Erfolg gab Strauss
Zweifellos fielen Ritter in Tod und Verklärung Recht. Enthusiastische frühe Rezensenten lobten
die Parallelen zu seinem eigenen Leben auf, ob- die Verständlichkeit des Werks und führten zu
wohl es keinen Beleg dafür gibt, dass er sie jemals der allgemeinen Überzeugung, dass man es hier
mit Strauss oder jemand anderem diskutierte. Klar mit einem Meisterwerk zu tun hatte. Ein Kritiker
ist jedenfalls, dass Strauss seinem Mentor einen des Musikalischen Wochenblattes schrieb über die
genauen Umriss der programmatischen Details Eisenacher Aufführung, Strauss spreche »eine je-
seines Werkes zur Verfügung stellte. Deshalb steht dem ernsthaft Zuhörenden verständliche Spra-
396 Instrumentalmusik

che«, was den »großartigen Eindruck« erkläre, den


das Werk auf das Publikum mache (Warfield 1995,
Till Eulenspiegels
436). Der Rezensent der Neuen Zeitschrift für Mu- lustige Streiche
sik vertrat die Ansicht, die Tondichtung sei »nicht
allein die bisher bedeutendste Schöpfung des op. 28 TrV 171
jungen Weimarischen Hofcapellmeisters, sie bil-
det auch das Hervorragendste, was die neueste Entstehung
Zeit überhaupt aufzuweisen hat« (ebd., 437). Und
der Kritiker der Allgemeinen Musik-Zeitung kam Till Eulenspiegels lustige Streiche, das beliebteste
zu dem Schluss, in diesem Werk habe Strauss sich und charakteristischste Orchesterwerk von Strauss,
»zu vollständiger Selbständigkeit durchgerungen, entstand gewissermaßen als Nebenprodukt seines
und zwar noch mehr, als in seinem ›Don Juan‹« ersten kompositorischen Misserfolgs. Wäre Gunt-
(ebd., 433). Der allgemeinen Ansicht, Tod und ram (1893) so erfolgreich gewesen wie Don Juan
Verklärung sei Strauss’ erste wirklich eigenständige und Tod und Verklärung, hätte Strauss wohl an
Komposition, steht allerdings die Meinung einiger seinem ursprünglichen Vorhaben festgehalten, das
Kritiker entgegen, die immer noch einen (positi- Komponieren von Orchesterwerken zugunsten
ven) Einfluss Liszts und Wagners feststellten. So von Opern aufzugeben. Jedoch lehrten ihn die
las man in der Deutschen Musiker-Zeitung zwar, lauwarme Aufnahme, die die Oper in Weimar
Strauss sei »hier […] vielleicht zum ersten Mal er fand (sie wurde dort nur viermal im Mai und Juni
selbst«, aber der Verfasser vergaß nicht den Hin- 1894 gegeben), und das ausbleibende Interesse
weis, zugleich sei der Komponist »denjenigen anderer Theater (nur in München wurde Guntram
Prinzipien« treu geblieben, »die Wagner festge- am 16. November 1895 ein einziges Mal aufge-
stellt hat und die noch auf lange Jahre hinaus die führt), dass seine Entscheidung verfrüht war.
Grundlage alles musikalischen Schaffens bilden Vielleicht hätte sich die Entwicklung vorhersehen
werden« (ebd., 435). lassen, lagen doch die Anfänge des zutiefst humor-
Nach der erfolgreichen Eisenacher Premiere im losen und allzu deutlich dem Vorbild Wagners
Juni 1890 hielt Strauss das Werk ganze sieben folgenden Guntram bereits im Jahr 1887, also, ab-
Monate zurück, bevor er eine weitere Aufführung gesehen von Macbeth, vor allen Tondichtungen.
leitete (kaum überraschend an seinem eigenen Jedenfalls sollte es Strauss vergönnt sein, zuletzt
Weimarer Hof ). Während Don Juan Gelegenheit doch noch zu lachen. Im selben Monat, in dem er
erhielt, bekannt zu werden, Macbeth (in der zwei- sein Münchner Debakel mit Guntram erlebte,
ten Version) seine Erstaufführung am 13. Oktober konnte er mit den Premieren von Till Eulenspiegel
1890 in Weimar erlebte, fieberte das Publikum in vier deutschen Städten triumphale Erfolge fei-
dem neuen Werk entgegen. Tod und Verklärung ern: in Köln am 5. November 1895 unter der Lei-
ebenso wie Don Juan erlebten 1891 eine beeindru- tung Franz Wüllners, am 12. November in Mann-
ckende Anzahl an Aufführungen (zwölf bzw. elf ). heim unter Hugo Röhr, am 15. November in Ber-
Danach war der Erfolg beider Tondichtungen ge- lin unter Felix Weingartner und am 29. November
sichert. Strauss konnte sie mit gutem Gewissen in München unter seiner eigenen Leitung.
anderen Dirigenten übergeben und sich der Oper War seine Rückkehr zur Gattung der Tondich-
zuwenden. tung auch eine Antwort auf die Bedingungen des
zeitgenössischen Musikmarktes, muss die Wahl
des Eulenspiegel-Themas in einem anderen Zu-
sammenhang gesehen werden. Strauss hatte bereits
im Sommer 1893, noch vor der Fertigstellung von
Guntram und auf der Suche nach neuen Opern-
stoffen, ein Werk mit diesem Sujet geplant – aller-
dings als Oper und nicht als Tondichtung. Das
Projekt mit dem vorläufigen Titel »Till Eulenspie-
gel bei den Schildbürgern« unterschied sich erheb-
21. Tondichtungen: Till Eulenspiegel 397

lich von anderen seiner Opernpläne jener Zeit, Zum Schaffensprozess und seiner Chronologie
besonders im Hinblick auf seinen komischen ist bei Till Eulenspiegel nur wenig bekannt. Eine
Charakter und seine Kritik an einem spießbürger- Kompositionsskizze, in der Strauss die Takte 6–45
lichen Establishment, mit dem sich Strauss an in einem einzigen Arbeitsgang niederschrieb –
verschiedenen Stationen seiner Karriere immer eine bemerkenswerte Leistung – enthält einen
wieder auseinandersetzen musste. Bereits zu die- schriftlichen Austausch mit seiner Frau Pauline, ist
sem frühen Zeitpunkt plante Strauss, wie es demnach wohl erst nach seiner Hochzeit am
scheint, eine grundsätzliche Neuausrichtung: fort 10. September 1894 begonnen worden. Strauss
von der Tragik seiner ersten Oper hin zu einer schrieb neben die Marginalie Paulines (»entsetz-
komisch-ironischen Konzeption. Allerdings über- liches Componiren«) den neckischen Kommentar
decken die differenten Sujets eine Gemeinsamkeit »Anmerkungen der Frau Gemahlin« (Werbeck
beider Stoffe: Strauss’ Interesse an Till, den er in 1996, 127). Die vollständige Partitur wurde am
Anspielung an Nietzsche einen »lachenden Philo- 6. Mai 1895 fertig gestellt. Der gesamte Komposi-
sophen« nannte, wurzelte keineswegs allein in der tionsprozess dauerte lediglich acht Monate: ein
Darstellung vordergründiger Komik, sondern in rasantes Tempo angesichts der Herausforderun-
seiner Absicht, Humor für eine kritische Aus- gen, vor die sich der Münchner Hofkapellmeister
einandersetzung mit Wagner zu nutzen – eine während seiner ersten Saison gestellt sah.
Kritik, die sich auch bei Guntram feststellen lässt Die erhaltenen Skizzenblätter illustrieren wie-
(Schuh 1976, 411). Was aus Till Eulenspiegel als derum die gleichzeitige Entwicklung von Musik
Oper geworden wäre, lässt sich über das provisori- und Programm im Kompositionsprozess (Wer-
sche, von Kurt Wilhelm mitgeteilte Szenario hinaus beck 1996, 125–132). Soweit bislang bekannt,
nicht mehr feststellen (Wilhelm 1954, 102–109). schrieb Strauss zu Beginn seiner Arbeit keinen
Die Tondichtung jedenfalls zeigt (man muss dazu provisorischen Plan für den Verlauf des Pro-
nicht tief unter ihre hörerfreundliche Oberfläche gramms nieder. Drei Elemente waren jedoch von
vordringen) Strauss’ bis dahin scharfsinnigste Anfang an Teil seines Konzepts: Till und sein
Kritik an Wagners musikalischer Metaphysik. Charakter, seine Antagonisten (die »Philister«)
Inhaltlich verhält sich das neue Werk zu den sowie ein Ausgang mit Gerichtsverfahren und
Tondichtungen des ersten Zyklus ambivalent. Till Todesurteil. Strauss arbeitete pro Skizzenseite
ist gleichermaßen weit entfernt von den sublimen jeweils ein inhaltliches Element aus. Das schon
Ergüssen von Tod und Verklärung, der tödlichen erwähnte Blatt mit T. 6–45 enthält also keine
Tragödie von Macbeth und dem kläglichen Nach- Fortsetzung der Till-Themen, sondern Ideen für
spiel in Don Juan. Im Vergleich mit diesen Werken Material, das sich den Philistern zuordnen lässt.
markiert die wachsende Präzision von Strauss’ pro- Besonders frei entworfen wurden die verschiede-
grammmusikalischer Kompositionstechnik in Till nen Abenteuer oder »Streiche«. Eine ganze Seite
Eulenspiegel einen deutlichen Fortschritt, auch wenn enthält kompositorische Versuche mit der für
sich Sujets und Tonarten (d-Moll, E-Dur/e-Moll, viele dieser Streiche typischen rhythmischen An-
c-Moll/C-Dur, F-Dur) aller vier Tondichtungen fangsgeste im 2/4-Takt e| rtty| q. einschließlich
voneinander unterscheiden. Konsequent geht Strauss verschiedener Ideen, die Strauss nicht weiter
den Weg zu immer reichhaltigeren programmati- nutzte: ein Fugato, ein Rezitativ und ein Trauer-
schen Details und einem immer klareren program- marsch (Werbeck 1996, 130). Wenngleich dieses
matischen Fokus. Paradoxerweise reiht er sich da- Quellenmaterial auch Fragen offen lässt, macht es
mit in die Tradition früherer Programmmusik ein, doch erneut deutlich, dass Strauss nicht von ei-
besonders diejenige Berlioz’ und Beethovens, nicht nem detaillierten, vorgefertigten Programm aus-
zuletzt motiviert durch seine zwischenzeitliche ging, sondern seinen musikalischen und program-
Distanzierung von Ritter. Auf das Vorbild Beetho- matischen Ideen die Freiheit zur Expansion,
ven hat Strauss später mit seiner Beschreibung von zum Wandel und zum wechselseitigen Austausch
Till als einer »Erweiterung der Rondoform durch ließ. Die modulartige Konstruktion des Werks
poetischen Inhalt, im Finale von Beehovens VIII. mit seinen verschiedenen Episoden ohne festge-
vorgebildet« (Schuh 1976, 409) hingewiesen. legte Reihenfolge (Strauss knüpfte ganz bewusst
398 Instrumentalmusik

nur lose an das Volksbuch an) spiegelt diese Frei- Dominante führe sie zu einem »Nachlassen,
heit. Sichzurückziehen« (Klauwell 1906, 49). Strauss,
dem zweifellos Beispiele aus dem 18. Jahrhundert
geläufig waren, in denen der Subdominante in-
nerhalb der Reprise die Funktion der Tonika zu-
Musikalische Struktur kommt, dürfte ähnlich gedacht haben.
Ohne die harmonische Dynamik einer kon-
Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass Strauss im trastierenden Tonart verlieren auch die übrigen
wortreichen Titel (Till Eulenspiegels lustige Streiche. Formelemente ihre Funktion innerhalb des orga-
Nach alter Schelmenweise – in Rondeauform – für nischen Formganzen und werden zu Resten einer
großes Orchester gesetzt) den Begriff »Tondichtung« zunehmend obsoleten Tradition. Zwar zeigt der
vermeidet. Das ändert zwar nichts an der gat- Seitensatz mit seiner zwanglosen Stimmung, dem
tungsmäßigen Klassifizierung des Werks. In den liedhaften Charakter, tonartlicher Stabilität, der
1890er Jahren galt ein großangelegtes programma- Klarheit seines Satzes usw. seine formtypischen
tisches Orchesterwerk als Tondichtung oder Sym- Merkmale. Dennoch hat er seine grundsätzliche
phonische Dichtung, ganz unabhängig davon, ob Aufgabe innerhalb der Sonatenform verloren. Aus
der Komponist es explizit so bezeichnete oder diesem Grund führt die Reprise, trotz ihrer Rück-
nicht. Allerdings verrät der Titel ein neues Gat- kehr zum Hauptthema in der Tonika und ihrer
tungsverständnis. Strauss beabsichtigte, die über- Wiederholung zuvor erklungenen thematischen
steigerten Erwartungen zu entschärfen, die im Materials (Hepokoski 2006, 35) keine Auflösung
späten 19. Jahrhundert an ein Orchesterwerk im im harmonisch-strukturellen Sinn herbei. Wäh-
›hohen Stil‹ gestellt wurden. Till Eulenspiegel be- rend die ersten drei Tondichtungen an der Sona-
stätigt diese Absicht auf allen Ebenen, derjenigen tenform festhalten, aber diese in neue Richtungen
der philosophischen und programmatischen Kon- lenken, bricht Till Eulenspiegel mit der Tradition,
zeption, der technischen Ausführung und vor al- weil Strauss die thematischen Hauptereignisse le-
lem der musikalischen Struktur. diglich als Kulissen behält.
Vor allem mit seiner Herausforderung der Was lässt sich zur Form dieses Werks überhaupt
Sonatenform als grundlegendes formales Prinzip feststellen? Wenn Till Eulenspiegel eine »Form«
einer Tondichtung beschritt Strauss neue Wege. hat, wie sie gewöhnlich mit Werken von sympho-
Zwar finden sich noch äußerliche Merkmale, nischen Dimensionen assoziiert wird – also eine
beispielsweise ein Hauptsatz (ab T. 6), ein Seiten- musikalisch organisierte organische Struktur –,
satz (T. 179) und eine Reprise (T. 429), jedoch sind dann hat diese Struktur in diesem Werk jedenfalls
dies bloße Gesten, die ihre ursprüngliche, die eine andere Grundlage als in den Werken zuvor.
Form prägende Funktion verloren haben. In jeder Es gibt eine offensichtliche Nähe zum Scherzo,
der früheren drei Tondichtungen hatte Strauss mit allem, was dieser Gattung im Hinblick auf
eine im Hinblick auf ihre Funktion traditionelle ihren musikalischen Charakter (Leichtigkeit, die
Exposition konzipiert, mit kontrastierenden The- Ernsthaftigkeit keineswegs ausschließt) und ihre
men und Tonarten, gefolgt von Abschnitten, die Form (episodischer Charakter mit prononcierter
weniger durchführungshaft als episodisch waren Wiederkehr des zentralen musikalischen Materi-
und neues thematisches Material brachten. In Till als) eignet. Die Idee eines Scherzos erscheint für
Eulenspiegel unterhöhlte er jedoch zum ersten Mal Till Eulenspiegel deutlich angemessener als die des
die musikalische Architektur der Sonatenexposi- klassischen Rondos (Werbeck 1996, 126); dies
tion. Die Wahl der Subdominante B-Dur für den könnte der Grund für Strauss’ archaische Schrei-
Seitensatz hebt den für die Form zentralen Ton- bung »Rondeau« gewesen sein. (Bereits 1910 ver-
artenkontrast auf, beseitigt die strukturelle Disso- warf Klauwell das Rondo als grundlegendes
nanz, die die Form vorantreibt. Strauss’ Zeitge- Formprinzip des Stückes, nannte es vielmehr »eine
nosse Otto Klauwell beschrieb die Impotenz der kaleidoskopische Aneinanderreihung einzelner
Subdominante als Kontrasttonart in der Sonaten- Szenen«, durch die beiden Hauptthemen verbun-
form: Im Gegensatz zum »Vorwärtsstreben« der den [Klauwell 1910, 241]). Die Gattung freilich,
21. Tondichtungen: Till Eulenspiegel 399

die im Hinblick auf die abschnitthaft-episodische Und so setzt sich das Werk bis zu seinem Ende
Struktur am passendsten erscheint, ist diejenige fort, mit wechselnden Abschnitten, deren Rei-
der Variation, in der der Komponist nicht nur die hung ebenso vor Augen liegt wie die Notwendig-
Hauptthemen verändert, sondern auch deren keit ihrer programmatischen Deutung: eine bi-
jeweiligen Kontext. Till Eulenspiegel, kurz gesagt, zarre, abgemessene kakophone Passage, von tiefen
enthält eine Serie von Episoden, die von den va- Holzbläsern eingeleitet und zu wiederholten fortis-
riierten Themen des Protagonisten bevölkert simo-Ausbrüchen von T1 führend (T. 293–374);
werden. eine vulgär anmutende Melodie in As-Dur, die
Strauss wendet dieses Schema durchgehend an. sich plötzlich in ein bedrohliches f-Moll wandelt,
Es gibt deutlich voneinander getrennte Ab- dann aber in einer thematischen Rückführung zur
schnitte, aber kaum Anzeichen hierarchisch struk- Ruhe kommt (T. 375–429); eine komprimierte
turierter Beziehungen, die für großangelegte For- Reprise, die sporadisch bestimmte Ereignisse aus
men charakteristisch sind. Ein Prolog aus fünf T. 6–111 anklingen lässt (T. 429–573), aber de-
Takten, in dem das erste Till-Thema eingeführt monstrativ den Seitensatz nicht in der Tonika,
wird (T1), macht einer längeren Exposition mit sondern in D-Dur präsentiert (T. 567); ein er-
dem zweiten Hauptthema des Protagonisten Platz schreckender Moment, in dem T1 von massiven,
(T2, T. 6). Diese entwickelt sich durch massive dröhnenden Blechbläser-Akkorden (T. 573–631)
Dominantklänge hindurch (T. 45) zu einer uner- geradezu vernichtet wird; schließlich der heitere
wartet frechen Antiklimax mit einer Transforma- »Epilog« (T. 632–658), der sich auf der Grundlage
tion von T1 (T. 46) und mit einer Parodie des nostalgischer Streicherklänge zu einem letzten
Tristan-Akkords (T. 47). Ein plötzlicher Wechsel eruptiven Moment aufbaut.
von Satzstruktur und Tonart (nach A-Dur, T. 50) Dieses Konzept stand quer zu den Positionen,
leitet bald zurück nach F-Dur (T. 73) und zu einer die damals in der Debatte um Programmmusik
energischeren Version von T2 (T. 76). Nach einem und absolute Musik vertreten wurden. Strauss
weiteren abrupten Ende des Tuttisatzes geraten zerstörte nicht nur die Basis des Brahms’schen
wir in eine neue Episode (T. 81). An ihrem Ende Formalismus (die Sonatenform), er widersprach
steht die erste prononcierte authentische Kadenz auch der von Wagner und Liszt vertretenen Kon-
des Werkes (T. 111, immer noch in F-Dur); sie zeption der Programmmusik, indem er sich be-
bricht ab mit einem rasanten Lauf der Bassklari- wusst dem Vorwurf aussetzte, die strukturbildende
nette und mit Tremoli, die die berüchtigte Markt- Bedeutung der Musik zugunsten des Programms
weiber-Szene durchziehen. Sobald sich diese plötz- abzuschwächen. Dennoch zeigt die Tondichtung
lich verflüchtigt (T. 153, gefolgt von einer General- eine innermusikalisch gesteuerte Organisation
pause), wird der Klangraum kurz von einem ihres thematischen Materials. Der Schwerpunkt,
pointillistischen Zwischenspiel mit Fragmenten der in einer selbst für Strauss ungewöhnlichen
aus T1 ausgefüllt, bevor das stabile und tonartlich Radikalität auf musikalische Bildlichkeit und in-
abgeschlossene Gemächlich-Thema eine kurze strumentale Farbigkeit gelegt wird, erhält sein Ge-
(nur scheinbare) Stabilität bringt (mit einer au- gengewicht durch ein gleichermaßen konsequent
thentischen Kadenz in T. 194). Selbstverständlich konstruiertes Themennetz, das den Vergleich mit
wird auch diese Ruhephase unterbrochen, und Werken aus der reifen Schaffensperiode Wagners
zwar durch eine auffällige krebsförmige Version nicht zu scheuen braucht. Es gibt kaum einen
der ansteigenden Chromatik aus T2, gespielt von Takt, in dem nicht direkt oder in einer gewissen
sordinierten Trompeten, Hörnern und Violinen Abwandlung T1 oder T2 zu hören ist. Wie bereits
(T. 196). Verdrängt wird dieses störende Ereignis dargelegt, nutzte Strauss eine ganze Seite seiner
bald von der wachsenden Intensität einer unver- Skizzenblätter, um thematische Gestalten im ein-
kennbaren Liebesszene (T. 209–288), zunächst in gangs exponierten 2/4-Rhythmus zu entwerfen.
der von Strauss für erotische Szenen bevorzugten Von den meisten dieser Gestalten machte Strauss
Tonart E-Dur (T. 222), die nach g-Moll/G-Dur Gebrauch, etwa in T. 179, T. 375, T. 486, T. 567,
und schließlich wieder g-Moll wechselt, um ein wobei er das Material je nach dem programmati-
unerfreuliches Ende anzudeuten. schen Gehalt spezifisch abwandelte (in T. 486 ff.
400 Instrumentalmusik

ist der Rhythmus von T1 mit der melodischen Motive« mitzuteilen (Werbeck 1996, 248). Strauss
Phrase von T2 verbunden). Die Anzahl aller Vari- schickte ihm eine Partitur mit detaillierten An-
anten von T1 und T2 lässt sich kaum feststellen, merkungen. Eine weitere Quelle mit verschiede-
aber immer bleiben die Hauptthemen mit ihrer nen Varianten dieser programmatischen Stich-
jeweiligen intervallischen Struktur erkennbar. Der worte findet sich heute im Richard-Strauss-Archiv
Hörer kann jederzeit das Grundmaterial wahrneh- (Werbeck 1996, 540 f.). Die Menge der von Strauss
men, aus dem jeder einzelne musikalische Moment bereitgestellten Informationen ist bemerkenswert.
geformt ist. Dennoch gibt es bestimmte programmatische
Resultat dieser thematischen Abwandlungen ist Stellen in der Tondichtung, denen keine Anmer-
eine »symphonische« Integration im Sinne Wag- kung beigegeben wurde: beispielsweise T. 50, der
ners, ein Netzwerk aus thematisch signifikantem nach dem Auftritt des »argen Kobold[s]« (T. 46)
Material. Die Themen stellen tatsächlich Leit- einen plötzlichen Szenenwechsel markiert, T. 486,
motive dar, nicht bloß als musikalische Ideen mit in dem Posaunen und Hörner eine offenbar he-
außermusikalischen Assoziationen, sondern im roische Version von T2 vortragen, und die ver-
Sinne von Wagners Darlegungen in Oper und schiedenen Unterabschnitte der massiven Steige-
Drama. Die gesteigerte formale Bedeutung der rung, die sich zu Beginn der Gerichtsverhandlung
thematischen Dimension – eine umfassende the- ereignet (T. 501–573). Jedes Detail wollte Strauss
matische Integration, die Liszts Modelle weit offenbar doch nicht preisgeben.
hinter sich lässt – dürfte Strauss die Ablösung von Auch vor der Uraufführung am 5. November
der Sonatenform erleichtert haben. Es war nun 1895 in Köln erhielt der Dirigent Franz Wüllner
möglich, ein Orchesterwerk zu schaffen, das sich nur wenige Hinweise: eine kurze Beschreibung der
von gängigen Gattungstraditionen abhob. Hinzu- beiden Till-Themen, des Todesmotivs (T. 613 f.)
weisen ist auch auf die strukturelle Bedeutung von und eine Skizze der Philisterepisode (Kämper
strategisch wirkungsvoll platzierten und mit Ru- 1963, 29 f.); wohl nicht zufällig genau diejenigen
hephasen abwechselnden Steigerungen (Werbeck Passagen mit den Hauptlinien des Programms, die
1996, 347–357, 411). Diese Energiewellen, in drei Strauss zuerst skizziert hatte. Strauss empfahl
Paaren arrangiert (T. 6–80, 229–370, 449–573) Wüllner mit kokettem Ton: »[…] lassen Sie dies-
schaffen eine programmatisch, aber auch musika- mal die lustigen Kölner raten, was ihnen ein
lisch schlüssige Form. Solche Steigerungen stellen Schalk für musikalischen Schabernak angetan
eine musikalische Kraft dar, die Strauss umso hat.« Allerdings publizierte Wilhelm Klatte nur
mehr zupass kam, als er sich unverändert in Rich- drei Tage nach der Premiere einen kurzen Essay in
tung Oper orientierte. Mit Till Eulenspiegel befand der Allgemeinen Musik-Zeitung, in dem, mit offen-
er sich gleichsam in einem Zwischenraum zwi- sichtlicher Hilfe des Komponisten, die Hauptsta-
schen Tondichtung und Oper. tionen des Programms erklärt werden, einschließ-
lich Marktweiberszene, Verkleidung als Priester,
Umwerben der jungen Frauen (mit der Rache »an
dem ganzen Menschengeschlecht«), Verurteilung
Musik und Programm und Hinrichtung sowie weiteren Details (Klatte
1895, 578–580). Wohl schon vor der Premiere war
Bei Till Eulenspiegel entschied sich Strauss zum Strauss der Ansicht, die Veröffentlichung von
ersten Mal seit Macbeth dafür, auf einen program- spezifischen Details könne für ihn von Vorteil
matischen Text als Beigabe zur Partitur zu verzich- sein – ein naheliegender Schluss angesichts des
ten. Gleichwohl ließ er mehr Informationen als Erfolgs, mit dem er seine programmatischen Ab-
bislang veröffentlichen, und zwar vor allem mit sichten in Tod und Verklärung kommuniziert
Hilfe einer von Wilhelm Mauke verfassten Erläu- hatte. Ritter freilich hätte unter keinen Umstän-
terung. Mauke hatte nach den ersten vier Auffüh- den ein Gedicht für Till geschrieben.
rungen von Till Eulenspiegel Strauss in einem Brief Die meisten Anmerkungen für Mauke gelten
vom 30. November 1895 gebeten, ihm für einen dem Inhalt der Hauptepisoden (Werbeck 540 f.):
solchen Führer »die authentische Benennung der Die Einleitung (»›Es war einmal‹ ein Schalksnarr«
21. Tondichtungen: Till Eulenspiegel 401

[T. 1]), »Namens ›Till Eulenspiegel‹« [T. 6], »Das etwa an Tills gewaltsamem Tod ersehen lässt, eine
war ein arger ›Kobold‹« [T. 46], »Auf zu neuen von Strauss frei erfundene Episode.
Streichen« [T. 75], die Marktweiberszene (»Hop! Anhänger und Freunde des Komponisten, die
zu Pferde mitten durch die Marktweiber!« von seinen philosophischen Interessen während
[T. 135]), Tills Verkleidung als Pastor (»Als Pastor der 1880er und 1890er Jahren wussten (darunter
verkleidet trieft er von Salbung und Moral« der Widmungsempfänger des Werks, Arthur
[T. 179], »Doch aus der großen Zehe guckt der Seidl), dürften die Tondichtung als ein modernis-
Schelm hervor!« [T. 191]), die Liebesszene (»Till als tisches, gegen Wagner gerichtetes Manifest im
Kavalier zarte Höflichkeiten mit schönen Mäd- Geiste Nietzsches verstanden haben. In seiner
chen tauschend« [T. 209], »Sie hats ihm wirklich biographischen Skizze zu Strauss (1896) unter-
angethan« [T. 222], »Er wirbt um sie« [T. 229], schied Seidl explizit zwischen der » e s o t e r i -
»Ein feiner Korb ist auch ein Korb!« [T. 244]), s c h e n « und » e x o t e r i s c h e n « Seite des Wer-
seine Begegnung mit den Philistern (»Philistermo- kes. Letztere sei bereits hinreichend in Klattes Er-
tiv« [T. 293], »Nachdem er den Philistern ein paar läuterung dargestellt worden, erstere befinde sich
ungeheuerliche Thesen aufgestellt, überlässt er die auf einer gänzlich anderen, verborgenen semanti-
Verblüfften ihrem Schicksal« [T. 315] – in der im schen Ebene. Bei aller »tonmalerische[r] Illustrie-
Richard-Strauss-Institut befindlichen Partitur: rung« habe die Musik noch eine allgemeinere,
»halt! denen wollen wir einmal einige Nüsse zu grundsätzlichere Bedeutungsdimension: In der
knacken geben!« [T. 299], »u. ihnen auf den Köp- Geschichte Tills »lebte und wirkte etwas, das i m -
fen herum [tanzen]« [T. 308]), und die Gerichts- m e r d a r wieder kehrt auf dieser Erden«, nämlich
szene (»Das Gericht« [T. 577], »Er pfeift noch die für die Philosophie Nietzsches zentrale Forde-
gleichgiltig vor sich hin« [T. 582], »Hinauf die rung »›Epater le bourgeois!‹ – Krieg gegen alle
Leiter! da baumelt er, die Luft geht ihm aus, eine Mäßigkeits-Apostel« (Seidl 1913, 57 f., Hervorh. im
letzte Zuckung. Till’s Sterbliches hat geendet.« Orig.). Musikalisches Mittel in diesem ›Krieg‹ war
[T. 615]). »das A u s d r u c k s g e b i e t m u s i k a l i s c h e r
Obwohl ein aufmerksamer Zuhörer die meis- I r o n i e « (Seidl 1913, 53), das Strauss nach seiner
ten dieser Episoden hätte erraten können, wollte allzu großen ästhetischen Annäherung an Wagner
Strauss die weniger phantasiebegabten nicht allein in Guntram nunmehr zur Verfügung stand.
lassen. Die Anmerkungen beschränken sich je- Die satirische Behandlung des Tristan-Akkor-
doch nicht nur auf Details der Handlung. Sie des (er erscheint zuerst transponiert in T. 47, und
enthalten auch Hinweise auf metaphysische Angst dann in T. 389 und 393 mit denselben Tönen wie
und damit auf eine programmatische Ebene, die bei Wagner) bestätigt, wofür die illustrativen Ten-
Strauss nicht explizit machen wollte. Im Nachspiel denzen des Werks grundsätzlich stehen: Till zele-
der Pastoren-Episode erlebt Till einen Moment briert die Welt des Physischen und stellt zugleich
existentieller Angst, als ihn »ob des Spottes mit der Metaphysik, noch spezifischer die Metaphysik
Religion doch ein heimliches Grauen vor dem Wagners in Frage. (Es überrascht nicht, dass
Ende [anfasst]« (T. 196). Angst wandelt sich später Strauss nach seinem Debüt als Dirigent in Bay-
zu Aggression, als sein Liebeswerben zurückgewie- reuth 1894 erst wieder 1933, nach dem Tod von
sen wird, er »schwört Rache zu nehmen an der Cosima und Siegfried, dorthin engagiert wurde.)
ganzen Menschheit« (T. 263). Till setzt sich mit Zugleich löste sich Strauss mit seiner Ablehnung
etwas auseinander, das größer ist als er selbst. Mit der Gattungskonventionen großer Orchester-
dem sich hier abzeichnenden Konflikt zwischen werke nicht nur von der Konzeption ›absoluter
Subjektivität und Objektivität wandte sich Strauss Musik‹, wie sie von Brahms und Hanslick vertre-
einem Thema zu, das er in seiner »letzten Auf- ten wurde, sondern auch von deren Standpunkt
zeichnung« als neuartigen Kern seines Schaffens des philosophischen Idealismus. Mit der philoso-
bezeichnete, die künstlerische Darstellung eines phischen Dimension seiner Kritik folgte er jenen
»Ton[s] des Spottes, der Ironie« (Strauss 1981, 182). Passagen der Volkssage, in denen Till philosophi-
Die komischen Elemente bleiben, obzwar promi- sche Positionen durch konsequentes Weiterden-
nent, letztlich nur an der Oberfläche, wie sich ken als absurd entlarvt, etwa dadurch, dass er alle
402 Instrumentalmusik

Tage seit Beginn der Welt zählt usw. Tills radikale empfindet, sollten sich später in den Auseinander-
Kritik war diejenige von Strauss, der sich in dieser setzungen wiederholen, die Strauss während der
Situation seiner Laufbahn von allen aktuellen Komposition der übrigen Tondichtungen zu schaf-
musikphilosophischen Positionen distanzierte. fen machten.
Diese Übereinstimmung zeigt sich im Werk be-
sonders deutlich in den verschiedenen Ebenen
anti-heroischer Rhetorik. Strauss demontiert nicht
nur Tristan, er verspottet auch Guntram, und zwar Wirkung
durch einen augenfälligen Parallelismus: Beide
Protagonisten, Guntram wie Till Eulenspiegel, Von Salome abgesehen erfuhr kein anderes Werk
reisen alleine durch ein mittelalterliches Europa von Strauss von Anfang an eine enthusiastischere
auf der Suche nach neuen Abenteuern (in beiden Aufnahme als Till Eulenspiegel. Besucher der Köl-
Fällen durch dieselbe Tonart F-Dur markiert). ner Premiere nannten die Tondichtung »das Beste
Während Guntram danach strebt, seinen Mit- […], was Strauß bis jetzt geschrieben [hat]«, ein
menschen zu helfen, bringt Till auf jede vorstell- Meisterwerk »eines absoluten Herrschers von
bare Weise seine Verachtung zum Ausdruck. Auch Apollos Gnaden im Reiche der musikalischen
Ähnlichkeiten mit einem weiteren Anti-Helden, Machtmittel« (Schmid 1997, 232). Eine Woche
Don Juan, sind deutlich, besonders in der ober- später wurde das Werk in Mannheim »mit vielem
flächlichen Verbindung von Sonaten- und Rondo- Beifall« aufgenommen, und nach Weingartners
form und in der Präsenz einer Liebesszene in g- Leitung in Berlin drei Tage später lobte der Kriti-
Moll/G-Dur. Don Juan jedoch wird ausgelöscht, ker Rudolf Fliege das Stück als ein »ganz vortreff-
während Till, der zuletzt lachen kann, unsterblich liches und eigenartiges Werk« (Schmid 1997, 233).
ist. Dieser freche Schluss folgt einer sorgfältig In Chicago schrieb am 16. November 1895 ein
konzipierten Anspielung auf das Siegfried-Idyll Kritiker, selbst Berlioz habe die Klangmöglichkei-
(T. 633–645), die sowohl das Ring-Drama als auch ten seines Orchester nicht so vollständig auszu-
dessen eher weltliche Aneignung durch Wagner schöpfen gewusst wie Richard Strauss, und fügte
evoziert und dabei einen geradezu zärtlichen, hinzu, dessen Hinwendung von Liszt zum älteren
nostalgischen Klang einsetzt, um auf den Unter- Modell sei von Anfang an deutlich gewesen. Selbst
schied zwischen solchen Legenden und den wah- in München, wo das Werk seine Erstaufführung
ren ›Heroen‹ hinzuweisen, die die Welt bevölkern. am 29. November, nur knapp zwei Wochen nach
Außerhalb dieser Nostalgie, selbst ein Echo des dem Fiasko der Guntram-Aufführung erlebt hatte,
›Es war einmal‹-Beginns, steht jedoch der Kobold, nahm, wie Mauke schrieb, »das Publikum […] das
der das letzte Wort hat und dadurch dem begrenz- Werk mit enthusiastischem Beifall auf«; Mauke
ten Rahmen des Werks entkommt (Hepokoski selbst hielt es für »Strauß’ beste, reifste, abgeklär-
2006, 42). teste, trotz aller gehäuften Partiturschwierigkeit
Die harmlose Oberfläche der Musik in ihrem einfachste symphonische Dichtung« (Schmid
lockeren Scherzo-Charakter, wohl der Haupt- 1997, 234 f.). Am Ende des Jahres 1896 war die
grund für die große Popularität von Till Eulenspie- Tondichtung 45 Mal aufgeführt worden, außer in
gel, verbirgt auf allen Bedeutungsebenen – der Deutschland auch in St. Petersburg, Moskau,
musikalischen, der programmatischen und der Brüssel, London, New York, Chicago, Boston und
autobiographischen – etwas Substanzielles: eine Philadelphia.
Ablehnung der traditionellen Mittel musikalischer Sogar diejenigen Kritiker, die wie Hanslick das
Form. Zugleich untergräbt Strauss’ detaillierte Stück offen ablehnten, bezeichneten es einhellig
Programmatik die Botschaft eines zutiefst mensch- als Strauss’ bis dahin persönlichste künstlerische
lichen »ewigen Motivs« – es sei denn, wir verste- Stellungnahme. Abgesehen von seinem Talent für
hen die Kritik selbst als dieses Motiv. Tills Mo- die Opernkomposition, wie Hanslick bemerkt
mente der Schwäche, in denen er die Folgen seiner hatte, zeigt die Tondichtung auf bemerkenswerte
Handlungen fürchtet und Zweifel an einer sinn- Weise diejenigen Begabungen, die Strauss so ein-
vollen Verbindung mit den anderen Menschen zigartig machten: musikalische Illustration, auf-
21. Tondichtungen: Also sprach Zarathustra 403

regende Orchestrierung (die eine beispiellose Vir-


tuosität verlangte), Humor, Ironie und eine
Also sprach Zarathustra
scharfe Kritik an zuviel Ernst in der Musik – an op. 30 TrV 176
dem, was Nietzsche den »hohen Stil« genannt
hatte. In dieser Hinsicht bestätigt Till die Einsicht Entstehung
des Komponisten, er sei bei seiner Arbeit an
Guntram zu sehr von seiner musikalischen Vergan- Es lässt sich nicht genau feststellen, wann Strauss
genheit behindert gewesen. Strauss’ Entscheidung, zum ersten Mal den Schriften Friedrich Nietzsches
die außerordentlich komplexe und detaillierte begegnete, des berühmt-berüchtigten Philoso-
Programmatik des Werks zu veröffentlichen, kam phen, den Adorno später als den »Mentor« des
einer expliziten Distanzierung vom musikalischen Komponisten bezeichnen sollte (Adorno 1978,
Idealismus Wagners und Liszts gleich. Georg 575). Möglicherweise las der frisch bekehrte Wag-
Göhler wies auf diese Strategie eines ›Modernis- nerianer schon während seines Aufenthalts in
mus durch Rückschritt‹ hin, indem er Till »Pro- Meiningen in den Jahren 1885/86 Nietzsche. Hans
gramm-Musik alten Stils« nannte, »kein Hinaus- von Bülow bewunderte die Geburt der Tragödie,
gehen über Liszt, sondern Rückschritt zu Berlioz, eine einflussreiche Schrift, die in philosophischer
kein völliges Auflösen des zu Grunde liegenden Substanz und rhetorischer Kraft vergleichbare
Vorwurfes ins Rein-Musikalische, sondern Erzäh- Texte Ritters (und auch Wagners selbst) weit über-
len eines begrifflich gebundenen Programmes« traf. Genau datieren lässt sich Strauss’ Nietzsche-
(Schmid 1997, 273). Rezeption erst, als sich der Komponist 1893 für
Solche künstlerischen Entscheidungen wurzel- Werke des Philosophen interessierte, die nach
ten, wie Arthur Seidl klar erkannte, in einer per- dessen Bruch mit Wagner entstanden waren.
sönlichen philosophischen Krise. Indem Strauss Strauss berichtete Cosima Wagner in einem be-
Spott und Ironie zu ästhetischen Leitlinien seiner merkenswert selbstbewussten Brief vom 10. April
Tondichtung machte, distanzierte er sich von der seine Eindrücke von Jenseits von Gut und Böse; er
hohen Ernsthaftigkeit, die von Ritter verfochten hatte das Buch während seiner Erholungsreise
und künstlerisch von Wagner und Liszt vertreten nach Ägypten und Griechenland bei sich (Trenner
wurde. Zudem übernahm er die philosophische 1978, 155). Ungefähr zur selben Zeit tauschte er
Perspektive des späten Nietzsche, dessen Begeiste- sich brieflich mit seinem Freund Friedrich Rösch
rung für ›leichte‹, ›südliche‹ Musik ihn offensicht- über Nietzsche aus und diskutierte im Herbst 1893
lich künstlerisch inspirierte, und dessen magnum mit Arthur Seidl das gesamte Spektrum von
opus Also sprach Zarathustra vor Ende des Jahres Nietzsches »Hauptwerken« (Rösch an Strauss,
1896 zum Gegenstand einer neuen Tondichtung 9.4.1893; Seidl 1896, 33). Seidl war es auch, der am
werden sollte. Eine Reihe musikalischer Verbin- Ende seiner biographischen Skizze von 1896 be-
dungen zwischen beiden Werken lässt an dieser richtete, der Komponist arbeite an einem neuen
geistigen Verwandtschaft keinen Zweifel. Es Orchesterwerk, ȟber dessen Ideen nur erst zu
brauchte drei weitere Tondichtungen, bevor sich verraten ist, daß es ›Menschliches, Allzumenschli-
Strauss selbst dieser Implikationen völlig bewusst ches‹ zum Gegenstande haben will, und daß es
war und erneut an die Komposition einer Oper den Namen ›Also sprach Zarathustra‹ erhalten
ging: Feuersnot, ein Märchen, in dem die Atmo- soll« (Seid 1896, 62). Dieser Bericht, der wohl
sphäre Tills auf die Heimatstadt des Komponisten, direkt auf Strauss zurückgeht, legt dessen positive
München, übertragen wurde. Haltung gegenüber Nietzsches Wagner-Kritik
nahe, da dieser in Menschliches, Allzumenschliches
den Bruch mit seinem einstigen Idol vollzogen
hatte.
In öffentlichen Stellungnahmen zu seiner Ton-
dichtung distanzierte sich Strauss jedoch von der
Wagner-Polemik Nietzsches, indem er das Werk
mit dem Untertitel »frei nach Friedrich Nietzsche«
404 Instrumentalmusik

versah und betonte, seine Musik sei nur lose mit der Komposition feststanden, und auch in den
der Quelle des Programms verbunden: frühen Entwürfen wird Nietzsche nicht explizit
erwähnt. Strauss entwickelte sein Programm zu-
I did not intend to write philosophical music or portray
Nietzsche’s great work musically. I meant rather to convey nächst in Form einer losen Stichwortsammlung,
in music an idea of the evolution of the human race from ähnlich wie schon bei Don Juan und Tod und
its origin, through the various phases of development, Verklärung: »anbeten – zweifeln«, »Zweifel erken-
religious as well as scientific, up to Nietzsche’s idea of the
Übermensch. The whole symphonic poem is intended as nen – verzweifeln«, »Wiederaufleben in der
my homage to the genius of Nietzsche, which found its Morgenröthe« usw. Diese Stichworte markierten
greatest exemplification in his book Also sprach Zarathus- offenbar vorläufige Ideen für musikalische Ab-
tra. (Del Mar 1962, 134; das deutsche Original dieses Zi-
tats von 1897 ist bislang nicht ermittelt worden.)
schnitte (Werbeck 1996, 137). Keines von ihnen
enthält einen expliziten Hinweis auf Nietzsche,
Als allgemeine Charakterisierung der öffentlichen jedoch sind Anklänge an dessen Ideen und Spra-
Ziele, die Strauss mit seinem Werk verfolgte, trifft che unverkennbar. Zudem bezieht sich der kurze
diese Stellungnahme durchaus zu. Jedoch verraten Text, der dem Beginn des Particells vorangestellt
andere Quellen recht differenzierte Verbindungen ist (»Die Sonne geht auf. Das Individuum tritt in
zwischen Musik und Philosophie, wie man sie die Welt oder die Welt ins Individuum« [Werbeck
angesichts von Guntram und Till Eulenspiegel 1996, 141 f.]), eindeutig auf den Prolog. Angesichts
kaum erwarten konnte. In einem vermutlich 1895 von Strauss’ großer Vertrautheit mit Nietzsches
verfassten Text für den Philosophen und Ästheti- Philosophie erscheint es unwahrscheinlich, dass er
ker Friedrich von Hausegger beschreibt Strauss, sie erst im Nachhinein zur leitenden Idee des
wie etwa die Nietzsche-Lektüre und die intellek- Programms machte. Vermutlich sah er keinen
tuelle Beschäftigung, »Nietzsches Paradoxe klein- Grund, die Quellen für seine philosophischen
zuschlagen«, ihn zur Komposition stimulieren Gedankengänge explizit aufzulisten.
konnten (Hausegger 1903, 397). Offenbar suchte Der Kompositionsprozess folgte dem bereits
er auch bei Also sprach Zarathustra nach musikali- bekannten Verfahren. Auf den ersten Skizzen-
schen Mitteln, durch die sich die Ideen des Phi- seiten notierte Strauss eine Gruppe musikalischer
losophen effizienter kommunizieren ließen. Sein Motive und versah sie mit spezifischen Bezeich-
Handexemplar von Nietzsches Schrift (Leipzig: nungen: ein Walzer-Motiv, dass mit den Noten
C. G. Naumann 1893) enthält insgesamt elf Ver- c'-g'-c'' beginnt und mit »Freiheit« betitelt ist, ein
weise auf Seitenzahlen der autographen Partitur Magnificat-Psalmton, eine Credo-Intonation, ein
(Youmans 2005, 102–106). Diese Quellen bezeu- als »Sehnsucht« bezeichnetes Motiv, ein unbe-
gen, dass Strauss zwischen öffentlicher und priva- zeichnetes Motiv in As-Dur, sowie eine weitere
ter Deutung der Tondichtung unterschied: eine Version des mit c'-g'-c'' beginnenden Motivs, nun
Strategie, die angesichts der Erwartungen, die an mit »Universum« überschrieben (Werbeck 1996,
ihn als selbsternannten Wagner-Nachfolger ge- 137). (Die Verwendung gregorianischer Melodien
stellt wurden, durchaus verständlich erscheint. könnte von Ritter angeregt worden sein, der zu
Welchen Einfluss Nietzsches Werk auf die Beginn seiner »symphonischen Trauermusik«
frühe Entstehungsgeschichte der Tondichtung Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe ein Libera me ver-
hatte, muss offen bleiben. Die acht Kapitelüber- wendete). Zudem traf Strauss erste Entscheidun-
schriften (»Von den Hinterweltlern« [T. 23], »Von gen für die tonale Struktur des Werkes. So sah er
der großen Sehnsucht« [T. 75], »Von den Freuden- C-Dur für den Schluss vor, As-Dur für »Anbe-
und Leidenschaften« [T. 115], »Das Grablied« tung«, Es-Dur für »Morgenröthe« und h-Moll für
[T. 164], »Von der Wissenschaft« [T. 201], »Der das Sehnsuchts-Motiv. Nach diesem Schritt skiz-
Genesende« [T. 287], »Das Tanzlied« [T. 409], zierte er eine umfassendere formale Übersicht
»Das Nachtwandlerlied« [T. 876]), die sich in der (rekonstruiert von Werbeck, mit Zitaten aus
Partitur finden, sowie der der Partitur vorange- Strauss’ Skizzen, vgl. Werbeck 1996, 138 f.):
stellte Prolog aus Zarathustra sind verhältnismäßig – Schauen
späte Zusätze. Es gibt keinen Beleg dafür, dass – Anbeten: Thema in As sowie gregorianische
diese Überschriften bereits vor der Fertigstellung Motive, langsam
21. Tondichtungen: Also sprach Zarathustra 405

– Sehnsucht: Motiv in h Um für diese ungewöhnliche Komposition die


– Zweifeln: harmonisch changierendes Motiv, geeigneten Maßstäbe zu finden, ist es zunächst
das in die Anbetung »eintritt« hilfreich, zwischen »Formlosigkeit« und »Formkri-
– Erleben (»Leidenschaftsthema«): Thema in c, tik« zu unterscheiden. Formkritik zeigt sich bei
schnell Strauss zunächst in einer graduellen Ablösung von
– Zweifeln der Sonatenform, wie sich anhand der ersten vier
– »großes Diminuendo.« Tondichtungen illustrieren lässt. In seiner fünften
– Erkennen: Fuge mit abschließender Steigerung Tondichtung ist diese Ablösung weit fortgeschrit-
und Kombination aller »Lebensthemen« (die ten. Das in Till Eulenspiegel erprobte Modell er-
bisher exponierten Themen mit Ausnahme des weiternd, reduziert Strauss die gattungskonstituti-
»Universums«). ven Formelemente der Sonatenform auf einige
– Verzweiflung: d-Moll wenige Anspielungen und Gesten: Hauptsatz,
– Sehnsucht: h-Moll/H-Dur Seitensatz, Reprise. Während sich jedoch bei Till
– Steigerung die kritische Zielsetzung in der Aushöhlung der
– Freiheit: Tanzhymnus in C-Dur, 3/4-Takt formbestimmenden Polarität zwischen den Tonar-
ten zeigt, ordnet Strauss die Elemente in Also
Diesem Plan fügte Strauss nach und nach weitere sprach Zarathustra neu an, auf eine Weise, die ge-
Details hinzu. Für den Schluss entschloss er sich zu radezu einer Verstümmelung des Sonatenschemas
drei Unterabschnitten (Tanzhymnus in C-Dur, gleichkommt. So liegt beispielsweise mit dem
Leidenschaftsthema in As-Dur und Sehnsucht c-Moll-Thema der »Freuden- und Leidenschaf-
in H-/C-Dur). Zudem experimentierte er mit ten« (T. 115) ein mehr oder weniger typisches
einem als »niedrige Leidenschaften« bezeichneten Hauptthema vor, dessen Verwandtschaft mit dem
e-Moll-Thema und mit verschiedenen Varianten Hauptthema in Tod und Verklärung kaum zu
eines Zweifel-Motivs als Übergangselement (Wer- übersehen ist. Jedoch erklingt diese orthodoxe
beck 1996, 139–147). Die Komplexität dieses Kom- Geste nicht vor, sondern nach einem gleicherma-
positionsprozesses verdeutlicht, dass Strauss keines- ßen konventionellen Seitensatz, dem »Hinterwelt-
wegs von einem fertigen programmatischen Plan ler«-Thema (T. 35), mit seinem weichen, von der
ausging. Musik und Programm entwickelten sich Tonika (angenommen wird hier C-Dur) weit
gemeinsam, wobei Strauss auf beiden Seiten Revi- entfernten As-Dur, seiner lyrischen Melodik, sei-
sionen vornahm, wenn ihm dies notwendig schien. nem transparenten homophonen Satz, warmen
Timbre und seiner sorgfältigen Kadenz (T. 66).
Eine noch kühnere formale Neuerung besteht in
der auffälligen Umkehrung der Reprisen-Praxis:
Musikalische Struktur Das Hauptthema erklingt – variiert, aber den-
noch erkennbar – in der Tonart des Seitensatzes
Bei kaum einem anderen seiner Werke äußerte (As-Dur, T. 629). Schließlich kehrt das Eröff-
sich Strauss so enthusiastisch über seinen Hörein- nungsmotiv, seinem Charakter nach eher der Be-
druck wie bei Also sprach Zarathustra nach den ginn einer langsamen Einleitung als ein typisches
ersten Frankfurter Proben Ende November 1896. Hauptthema, in T. 329 nach einer dramatischen
Am Abend des 26. November schrieb er voller Steigerung wie eine typische Sonatenreprise wie-
Begeisterung an Pauline: »Zarathustra ist herr- der – als ob es durch seine Beharrlichkeit die Rolle
lich – weitaus das Bedeutendste, Formvollen- des Hauptthemas an sich gerissen hätte. In drasti-
detste, Inhaltsreichste, Eigentümlichste meiner scher Weise stellt Strauss die formalen Grundlagen
Stücke« (Schuh 1976, 432). Allerdings blieb er mit der Sonatenform auf den Kopf – oder, mit Nietz-
dieser Einschätzung allein; Hörer haben das Werk sche zu sprechen, er unternimmt eine »Umwer-
häufig als die anspruchsvollste seiner Tondichtun- tung aller Werte«.
gen bezeichnet, und sogar seine ausgesprochenen Elemente der Sonatenform spielen ansonsten
Befürworter halten es für anfällig gegenüber dem nur eine geringe Rolle in der formalen Anlage
Vorwurf der »Formlosigkeit«. dieser dreißig Minuten und 987 Takte langen
406 Instrumentalmusik

Tondichtung. Andere strukturelle Prozesse prägen über f-Moll nach b-Moll). Danach steigert sich die
das Werk wesentlich deutlicher. Was die Disposi- formal geschlossene Hymne in As-Dur (T. 35,
tion der Tonarten betrifft, so ersetzt Strauss die für Mäßig langsam, mit Andacht) zu einer visionären
die Sonatenform charakteristische Entfernung Kadenz in T. 66. Dieser Ereignisverlauf wird, aller-
und spätere Rückkehr zur Tonika durch einen dings mit radikalen Änderungen, in T. 75–114
progressiven Aufbau. Zum ersten Mal endet ein wiederholt. Elemente, die offensichtlich miteinan-
Stück nicht mehr in der Ausgangstonart. (Diese der korrespondieren (vgl. z. B. T. 75–78 mit
Neuerung vollzieht Strauss relativ spät, jedenfalls T. 30–32, T. 88–90 mit T. 33–36, T. 99–103 mit
im Vergleich mit Mahler, der bereits in seiner T. 51–55), existieren nun in einer ausgesprochen
1. Symphonie in D-Dur mit dieser Möglichkeit labilen Atmosphäre, die eine Kritik des jeweils
spielt, indem er das Finale in f-Moll beginnen vorigen Abschnitts impliziert, ausgelöst durch
lässt. Seine 2. Symphonie beginnt in c-Moll und die verstörende Rückkehr des »Natur«-Motivs in
endet in Es-Dur.) Der Weg vom C-Dur-Beginn C-Dur in einem um H-Dur zentrierten harmoni-
zum H-Dur-Schluss verläuft jedoch keineswegs schen Kontext (T. 82) und das Auftreten eines
direkt, auch fehlt es nicht an Herausforderungen schnellen, unaufhaltsam ansteigenden Motivs im
für die Schlusstonart. Nach der sublimen Einlei- Bass (T. 95).
tung in C-Dur und dem anschließenden Absturz Zwei weitere Male wird eine in sich abgeschlos-
ins tonale Chaos (T. 23, mit Anklängen an As-Dur, sene musikalische Exposition mit dem Ziel ihrer
f-Moll, Des-Dur und b-Moll) ringt die Musik in Dekonstruktion wiederholt. Der »Freuden- und
kleinen Schritten um die Rückkehr nach C-Dur: Leidenschaften«-Abschnitt (T. 115–163) suggeriert
zunächst über das als Surrogat genutzte As-Dur eine Sonatenform im Kleinen, mit Modulation
(T. 35, mit einem melodisch prominenten Ton c' ), nach der Durparallele Es (T. 138, 146) und einer
dann über c-Moll (T. 115) und das terzfreie, auf C deutlich markierten Rückkehr nach c-Moll
basierende Fugenthema in »Von der Wissenschaft« (T. 157). Doch diese affirmative Geste ist vergeb-
(T. 201). C-Dur wird schließlich im »Tanzlied« lich, wie ein schroffes neues Motiv in T. 150 zeigt,
(T. 409) erreicht, erweist sich jedoch im »Nacht- das aus einem abwärts gerichteten Tritonus-
wandlerlied« (T. 876) als nicht tragfähig. Wie ein Sprung und einer wieder aufwärts führenden
Nachspiel zur gescheiterten Rückkehr nach C-Dur chromatischen Linie besteht. Die folgende Neu-
kommt es zum berühmt-berüchtigten ›bitonalen‹ fassung des Abschnitts im »Grablied«, das mit
Schluss, der sich deutlich in Richtung H-Dur be- dem Hauptthema (T. 164, Oboe) wie eine Varia-
wegt, wobei C in den Bässen wiederholt als fernes tion in h-Moll beginnt, erweist sich als eine Stei-
Echo einer Tonart des »grauen Konservatismus« gerung, die nach C-Dur führt, markiert durch das
erklingt, die sich nicht mehr wiederherstellen ließ »Natur«-Motiv in der Trompete in T. 178. Die
(Seidl 1900, 92). Abschnitte des nächsten Paars, »Von der Wissen-
Als weitaus verwirrender dürften auf die an schaft« und »Der Genesende«, beginnen jeweils
strukturelle Voraussetzungen der Sonatenform fugiert mit dem notorischen »Zwölftonthema«
gewöhnten Hörer die paarweise Anordnung von (T. 201 mit C, T. 287 mit e). Später dringt das
Abschnitten oder »Rotationen« gewirkt haben »Natur«-Motiv in beide Abschnitte ein (T. 263,
(Hepokoski 2010, 96–101). Die spektakuläre Er- T. 329), im ersten Fall als Antwort auf eine helle
öffnung in C-Dur, die die Erschaffung der grund- H-Dur-Passage, die den düsteren Fugendunst
legenden musikalischen Elemente in Szene setzt vertrieben hatte, im zweiten Fall als furchterre-
(Harmonik, Melodie, Tongeschlecht, Klangfarbe, gender Zusammenbruch, ausgelöst durch die ge-
Register und Dynamik), steht außerhalb dieser scheiterte Synthese des Fugen-Themas mit einer
Form, obwohl ihr zentrales »Natur«-Motiv eine diminuierten Form des Tritonus-Motivs. Diese
bedeutende Rolle in der zweiten Hälfte jedes Paa- letzte Wiederkehr des »Natur«-Themas scheint
res spielt. Im ersten Paar, bestehend aus »Von den darauf angelegt, das Werk als Ganzes neu begin-
Hinterweltlern« und »Von der großen Sehnsucht«, nen zu lassen – gewissermaßen als zweites Paar auf
beginnt der erste Teil mit einem diffusen grollen- großformaler Ebene. Doch leitet ein Trompeten-
den Klang und Motivfragmenten (von As-Dur »Weckruf« (er erklingt zuerst in T. 364) eine län-
21. Tondichtungen: Also sprach Zarathustra 407

gere Übergangsepisode ein, die über das wieder- Musik und Programm
kehrende glitzernde H-Dur (T. 386) zum letzten,
mit dem »Tanzlied« beginnenden Paar hinführt. Jede Diskussion des Programms von Also sprach
Dieses letzte Paar, das als Höhepunkt markierte Zarathustra muss mit der Erläuterung Arthur
»Tanzlied« und das wie ein Epilog folgende »Nacht- Hahns beginnen, die, einem Brief von Strauss an
wandlerlied«, sind weniger durch thematische Josef Sittard vom 13. Januar 1898 zufolge (Sieden-
Bezüge als durch spiegelbildliche tonale Verhält- topf 1979, 78), »genau nach meinen Angaben«
nisse verbunden: Das zunächst solide C-Dur des gemacht wurde. Hahn lieferte auf der Basis von
Strauss’ Idee der »Evolution« eine leserfreundliche
»Tanzlieds« vermag sich nicht fest zu etablieren
Landkarte der wichtigsten programmatischen Er-
(daher der Ausbruch in D-Dur in T. 848), wäh-
eignisse (Walden 1908, 109–127): Zuerst nennt er
rend sich das Durcheinander zu Beginn des
das Natur-Thema (»die gewaltige und einfache
»Nachtwandlerlieds« (T. 876) schließlich zu einem
Grösse von Natur und Weltall«), dann die beiden
festen H-Dur ordnet, einer Tonart, die auch durch Antworten der Menschheit: »andachtsvoller
das wiederholte Eindringen von C-Dur letztlich Schauer« (T. 23) und »Sehnsucht nach Wissen und
nicht in Frage gestellt wird. Das Paar wird somit Erkenntnis« (T. 30), und schließlich eine Folge
von stabilen Tonarten (C-Dur und H-Dur) ein- von »Entwickelungsstadien«. Dazu gehören die
gerahmt. In thematischer Hinsicht enthalten »Religion« (T. 35), »das Stürmen, Drängen, Has-
beide Abschnitte weitreichende Überarbeitungen ten und wilde Aufjauchzen der Leidenschaften«
von exponiertem Material, allerdings mit unter- (T. 115), »menschliche Verstandesarbeit« (T. 201),
schiedlichen Zielen. Der Walzer (T. 429), eine und schließlich der Tanz, zu dem sich »Zarathus-
Synthese von »Natur« und »Sehnsucht« (T. 435, tra, der Freigewordene« (T. 409), aufschwingt.
Oboe), führt zu einer tänzerischen C-Dur-Version Hahn liefert auch einleuchtende Gründe dafür,
des hellen H-Dur-Themas (T. 529), dann zu einer warum die ersten drei Stufen dieser Evolution
gezähmten Fassung des Tritonus-Motivs (T. 601) scheiterten: Zunächst lehnt sich ein »kräftiger
vor der Rückkehr des »Freuden- und Leidenschaf- Lebens- und Schaffenstrieb […] auf gegen die
ten«-Themas in As-Dur in T. 629. Das wirbelnde weltflüchtigen Gedanken und asketischen An-
Durcheinander verschiedener Reminiszenzen, wandlungen« (T. 95), dann vertreibt das »Grab-
auch das unklare Hin und Her zwischen C- und lied« die Leidenschaften (T. 164), »nach einem
nochmaligen letzten Aufflammen« erscheint die
H-Dur (T. 569, T. 693) münden in eine Konfu-
mächtige Rückkehr des Natur-Themas »Der Ge-
sion, die erst von mächtigen Schlägen der Glocke
nesende« (T. 329) als eine »erschütternde musika-
beendet wird (T. 876–945). Was bleibt, ist eine
lische Manifestation des ewig unerschlossenen
statische Erinnerung an thematische Ideen in Weltengeheimnisses«. Schließlich deutet Hahn
H-Dur, vor allem an das »Sehnsuchts«-Thema, das Programm des Epilogs als Zarathustras letzten
das sich in seiner langen Entwicklungsgeschichte Wunsch: »Wiederkehr und ewige Dauer«.
als musikalischer Protagonist des Stückes erweist. Strauss und/oder Hahn betonen die freie An-
Mit der wagnerischen, an Tristan erinnernden lehnung des Werkes an Nietzsche: Es handle sich
harmonischen Wendung (V-IV) in T. 965 deutet keineswegs um eine »reine musikalische Nach-
Strauss die Möglichkeit einer Erlösung an. Aber empfindung Nietzsche’scher Ideen«, sondern um
die unerwartete Rückkehr des »Natur«-Themas – »den künstlerischen Niederschlag aus den subjek-
zuletzt reduziert auf eine einzige Note C –, erzählt tiven Betrachtungen und Gedanken des Kompo-
uns, dass das ganze Werk nichts anderes ist als das nisten über Nietzsche und sein Werk« (Walden
einzelne Durchlaufen eines Zyklus, dazu be- 1908, 111). Hahn zieht (ebd., 109) einen Vergleich
stimmt, sich ewig zu wiederholen. mit Goethes »gleichfalls dichterische und philoso-
phische Gedanken in sich vereinigenden« Faust.
Der poetische Geist und der philosophische Ge-
halt im Werk Nietzsches und Goethes hätten als
gleichermaßen mächtige Inspirationsquellen für
408 Instrumentalmusik

einen modernen Komponisten zu gelten. (Zwei- zwischen der Welt der Phänomene und der
fellos erwähnt Hahn Faust auf Anregung des Gedanken als »Menschen-Werk und -Wahnsinn,
Komponisten, der dort, wo das alles zermalmende gleich allen Göttern!« Stattdessen wandte er sich
Natur-Thema in das musikalische Geschehen zu- dem Physischen zu, der »Stimme des gesunden
rückkehrt, den berühmten Ausruf des Erdgeistes Leibes«, und verband metaphysische Hoffnung
aus Faust I ins Particell geschrieben hatte: »Du mit den »Gräber[n] meiner Jugend«. Bald jedoch
gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!« stellte er fest, dass es nicht so einfach war, den
[Werbeck 1996, 142]). Man muss sich jedoch Gedanken eines Lebens nach dem Tode abzule-
daran erinnern, dass Hahns Text für eine günstige gen. »Ekel« überkam ihn, er »stürtzte […] nieder
Aufnahme des Werks beim Publikum sorgen gleich einem Todten«. Gezwungen, nach einer
sollte. Indem er die Aufmerksamkeit von philoso- neuen und differenzierteren Lösung zu suchen,
phischen Fragestellungen auf die »poetische« Seite fand er sie in einer neuen Art Musik, geboren aus
Nietzsches lenkte, versuchte er, einem durch- »Chaos« und gerichtet gegen »purpurne Schwer-
schnittlichen Publikum das Verständnis der Musik muth«. Jedoch führt auch diese neue Musik zur
zu erleichtern. Im Übrigen könne »der Nietzsche- Erkenntnis einer unmöglichen Befreiung von
Kenner« den »engeren oder loseren Zusammen- Metaphysik. Das Höchste, auf das ein Mensch
hang« zwischen Musik und philosophischer hoffen kann, ist die Sehnsucht nach Freiheit von
Quelle »ja leicht herausfühlen«. Im Kontext einer Metaphysik, in immer wiederkehrenden Kreisläu-
Erläuterungschrift sei eine Diskussion dieser Zu- fen von Befreiung und Ekel.
sammenhänge jedoch wenig hilfreich. Es gibt also, Indem Strauss den »Genesenden« zum Mittel-
wie schon bei Till Eulenspiegel, eine private, in das punkt seiner Tondichtung machte (er markiert
Werk »hineingeheimnißte« (Werbeck 1996, 257) mit Hans Merian [Merian 1899, 45] die »große
Ebene der Bedeutungszuschreibung, die Strauss Wandlung« zwischen zwei ähnlich strukturierten
nur dann offenbarte, wenn es ihm ins Konzept Hälften), hob er denjenigen Teil von Nietzsches
passte. Buch heraus, der für ihn als Post-Wagnerianer und
Die Grundzüge dieser privaten Bedeutungs- Post-Schopenhauerianer eine unmittelbare per-
ebene lassen sich mittels Strauss’ Handexemplar sönliche Relevanz hatte: die Notwendigkeit
von Nietzsches Text rekonstruieren. Dort notierte nämlich, sich selbst und seine Musik von einer
Strauss auf die autographe Partitur verweisende überkommenen Metaphysik abzugrenzen. Bei Za-
Seitenzahlen und verband so musikalische Passa- rathustra handelt es sich keineswegs um den Ȇber-
gen mit spezifischen Textabschnitten. Bringt man menschen«, sondern um ein zutiefst menschliches
Letztere in eine sinnvolle Reihenfolge, eröffnen sie Wesen, geplagt von nagendem Selbstzweifel, der
einen unerwartet klaren programmatischen Zu- in »Der Genesende« schließlich eine Krise erreicht,
sammenhang, der auf der tragischen Erkenntnis die Strauss’ eigener Krise in den frühen 1890er
beruht, dass metaphysisches Verlangen – der Ma- Jahren ähnelt. Wie Strauss einen Nervenzusam-
kel, der den Menschen vom Übermenschen trennt menbruch erlebte, als er sich von Schopenhauer
und den Zarathustra zu bezwingen sucht – nie- löste – und dabei die Unterstützung Cosima
mals endgültig überwunden werden kann, son- Wagners, Friedrich Röschs und Ludwig Thuil-
dern immer neu in ewig wiederkehrenden Zyklen les suchte (Trenner 1978, 148; Rösch an Strauss,
bewältigt werden muss. Zarathustra bewundert im 15. März 1893, RSA; Trenner 1980, 128) –, so rang
Prolog die Sonne wegen ihrer strahlenden Gleich- Zarathustra mit seiner wieder aufgeflammten
gültigkeit gegenüber der metaphysischen Sehn- Sehnsucht nach der »Hinterwelt«, was angesichts
sucht der Menschheit. Er will daher »wieder seiner Erkenntnis, »ewig zu diesem gleichen und
Mensch werden«, um den Prozess der Transzen- selbigen Leben« (»Der Genesende«, Abschnitt 2)
denz erneut zu durchleben. Aus den ersten Ab- zurückkehren zu müssen, »Ekel« auslöste. (Nahe
schnitten des Haupttextes erfahren wir, dass ihm liegt der Vergleich mit Faust, nicht nur, weil
in seiner Jugend die Welt ein »Traum schien […] Goethe selbst den Begriff »Übermensch« geprägt
und Dichtung eines Gottes«. Er lehnte diesen hatte. Fausts intellektuelle Erschöpfung, seine
Gott jedoch ab und mit ihm die Unterscheidung Bereitschaft, von jedem Mittel Gebrauch zu ma-
21. Tondichtungen: Also sprach Zarathustra 409

Passagen aus Strauss’ Handexemplar von Nietzsches


Also sprach Zarathustra
von Strauss am Rand mit Seitenzahlen (und einmal auch einer Tonart-Angabe) aus der Partitur versehen

Partiturseite Nietzsche
(Taktzahl)

»Zarathustras Prolog«

1 (1 ff.) Strauss markierte den der Partitur vorangestellten Text.

»Von den Hinterweltlern«

3 (23 ff.) Abschnitte 1–2:


»Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinter-
weltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk schien mir da die Welt.
Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den
Augen eines göttlich Unzufriednen.«

4 etc. (35 ff.) Abschnitte 5–6:


»Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und
unvollkommnes Abbild – eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen Schöpfer: – also
dünkte mich einst die Welt.
Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterwelt-
lern. Jenseits des Menschen in Wahrheit?«

9 (82 ff.) Abschnitte 7–9:


»Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und -Wahnsinn,
gleich allen Göttern!
Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen Asche und
Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von Jenseits!
Was geschah, meine Brüder? Ich überwand mich, den Leidenden, ich trug meine eigne
Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und siehe! Da wich das Gespenst
von mir!«

10–12 (98 ff.) vorletzter Abschnitt:


»Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine redlichere
und reinere Stimme ist dies.«

»Das Grablied«

22 (164 ff.) Abschnitte 1–4:


»Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber meiner Jugend.
Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.
Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer. –
Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der Liebe alle,
ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke eurer heute wie
meiner Todten.
Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein herz- und
thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz dem einsam Schiffenden.«

»Der Genesende«

36 bis 44 Die letzten beiden Absätze des ersten Abschnitts:


(263–320) »Heil mir! Du kommst – ich höre dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe
ich an’s Licht gestülpt!
Heil mir! Heran! Gieb die Hand – – ha! lass! Haha! – – Ekel, Ekel, Ekel – – – wehe mir!«
410 Instrumentalmusik

Partiturseite Nietzsche
(Taktzahl)

45 (321 ff.) Die ersten fünf Zeilen des zweiten Abschnitts:


»Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürtzte er nieder gleich
einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war
er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.«

»Zarathustras Prolog«

47 ff. (338 ff.) Abschnitt 5, Absatz 10:


»Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebä-
ren zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.«

»Das Nachtlied«

78 Asdur Absatz 2:
(561 ff.) »Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist
das Lied eines Liebenden.«

»Von der großen Sehnsucht«

87 (669 ff.) Abschnitt 24 und 25:


»Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so wirst
du singen müssen, oh meine Seele! – Siehe, ich lächle selber, der ich dir solches vorher-
sage:
– singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie deiner Sehn-
sucht zuhorchen, –«

chen, um Erkenntnis zu erlangen, und sein Ab- folge findet Strauss’ Negation der Metaphysik ihre
sturz von allzu großer Gewissheit zu verzweifelter Parallele in derjenigen Zarathustras (und letztlich
Hoffnungslosigkeit kehren alle in Zarathustra derjenigen Nietzsches), da es auf beiden Seiten
wieder.) Es waren diese Kreisläufe aus Gewissheit dieselben Lösungskonzepte und persönlichen
und Zweifel, die Strauss’ erste programmatische Auseinandersetzungen gebe.
Notizen zum Werk veranlassten (»anbeten – zwei- Im Kontext dieser philosophischen Zusam-
feln«, »erkennen – verzweifeln«) und zur formalen menhänge erklären sich nicht nur die Kapitelüber-
Konzeption als eine Reihe von musikalischen schriften, die Strauss nach Abschluss des Particells
Gegensatzpaaren führten, die in einer Hinnahme in die Partitur eintrug, sondern auch die verschie-
des Unvermeidlichen kulminieren: C und H ste- denen musikalischen Besonderheiten des Werkes.
hen unversöhnt gegenüber. Durch die Konnotation des Sehnsuchts-Themas
Die autobiographische Bedeutung von »Der mit dem Mensch-Sein, oder, anders formuliert,
Genesende« bestätigt Seidls Essay »Also sang Za- mit der menschlichen Vorliebe für Metaphysik –
rathustra« (1900), ein in seiner Bedeutung für das ein Element, das sich im Laufe der Musik ändert
Verständnis aller nach Guntram geschriebener und dennoch seine Identität wahrt – wird die
Orchestermusik von Strauss immer noch unter- langwierige Geschichte dieses Themas verständ-
schätzter Text. »Ich verrate euch ein Geheimnis: lich. Es geht in Also sprach Zarathustra nicht allein
auch Strauß begrüßte die aufgehende Sonne als um eine allmähliche Ausdifferenzierung des
›einsamer Mensch‹« schrieb Seidl in bewusster menschlichen Geistes oder gar der Musikge-
Anspielung auf Nietzsches Prolog und hob hervor, schichte (Unger 1992, 238), sondern vor allem um
Strauss’ Wechsel von »den alten Göttern: Wagner die Erkenntnis einer menschlichen Schwäche, die
und Schopenhauer, zum neuen Propheten – sich nicht überwinden lässt. Die Entscheidung,
Nietzsche« (Seidl 1900, 108 f.) habe eine eigene zur Enttäuschung vieler Kritiker ausgerechnet ei-
Genesung erfordert, die er schließlich mit Hilfe nen Walzer zum Kulminationspunkt des Werkes
seiner Tondichtungen gefunden habe. Seidl zu- zu machen, entspricht nicht nur Nietzsches Ästhe-
21. Tondichtungen: Also sprach Zarathustra 411

tik der Leichtigkeit, sondern verrät Strauss’ radi- übersetzte Philosophie« erwarte, so hieß es, werde
kale Ablehnung des hohen Stils von Wagners stattdessen »ein nach rein musikalisch logischen
Musikdrama und der absoluten Tradition absolu- Gesetzen aufgebautes Musikstück, noch dazu in
ter symphonischer Musik, verkörpert durch C-dur« erleben, »das den aus allen klassischen
Brahms und verfochten von Hanslick. (Denkbar Sinfonien uns wohl vertrauten Dualismus eines
wäre auch eine Hommage an Ritter, dessen Sym- männlichen und weiblichen Hauptthemas beinahe
phonische Dichtung Olafs Hochzeitsreigen [1891] in der alten Viersätzigkeit entwickelt« (Werbeck
in einem Walzer und im Läuten einer Mitter- 1996, 257). Nach diesem scheinbaren Bekenntnis
nachtsglocke gipfelt [Hausegger 1907, 119].) In zum Konservatismus verriet Strauss augenzwin-
den Episoden in Also sprach Zarathustra, die wie kernd denen, die einen Skandal erwarteten, »ei-
Parallelen zu Till Eulenspiegel erscheinen – Paro- nige Beziehungen […] zu Nietzsches Werk« in
dien von Religion, menschlichen Leidenschaften seine Musik »hineingeheimnißt« zu haben.
und Gelehrsamkeit, gefolgt von Anklängen an Kritiker der ersten Aufführungen konzentrier-
Unterhaltungsmusik (Tills Gassenhauer, Zara- ten sich vor allem auf die Frage, ob das Werk als
thustras Walzer) –, kommt es immer wieder zur eine Form musikalischen Philosophierens zu gel-
Konfrontation zwischen sorgenfreiem Optimis- ten habe. Die Verteidiger wiederholten Hahns
mus und Zusammenbruch, die in beiden Werken Behauptung, dass sich Strauss auf Nietzsche als
keine Lösung erfährt. Dichter bezogen habe. Andere Kritiker wie etwa
Max Marschalk widersprachen: Der Gegenstand
sei philosophisch und nicht poetisch, ganz unab-
hängig davon, ob die Tondichtung nun »die Ent-
Wirkung wickelung des höheren Menschen zum Ueber-
menschen« oder »des Komponisten subjektive
Der Grad der Kontroverse, die die Tondichtung Betrachtungen und Gedanken über Nietzsche und
auslöste, lässt sich bereits daran ermessen, dass sein Werk« verkörpere (Liebscher 1994, 103). Sogar
bereits lange vor der Premiere, ja sogar schon vor ein weniger voreingenommener Hörer wie Otto
dem Abschluss der Komposition Gerüchte über Klauwell nannte das Werk eine »Grenzüberschrei-
das Stück und sein Programm im Umlauf waren. tung«, weil die Musik eine philosophische Idee
Im Januar 1896, noch vor Beginn der Orchestrie- entwickele (Klauwell 1910, 249). Worauf es tat-
rung am 4. Februar, erschien eine anonyme Notiz sächlich ankam, hat Hans Merian deutlich ge-
in der Neuen Musik-Zeitung: »Richard Strauß macht: »Mehrdeutigkeit« sei das Hauptmerkmal
komponiert als op. 30 eine symphonische Dich- für die ästhetische Qualität von Programmmusik
tung: ›Zarathustra‹. Der Uebermensch in Tönen; (Merian 1899, 15). Bei Also sprach Zarathustra
das Nietzschesche System in Musik gesetzt! Ein müsse eine anspruchsvolle und differenzierte In-
ungeheures Wagnis, denn die Gefahr, philosophi- terpretation über den Rahmen, den Strauss offizi-
sche Verstandesmusik zu schreiben, der nur mit ell verlautbart habe, hinaus gehen und auf die
Hilfe dozierender Programme beizukommen ist, philosophischen Fragestellungen zurückgreifen,
liegt bei diesem Vorwurf zu nahe« (Werbeck 1996, über die sich der Künstler nicht öffentlich äußerte.
253). Die Informationsquelle war zweifelsohne der Klauwell vertrat eine ähnliche Position: Zum
Komponist selbst; Strauss wusste, welche Neugier Verständnis der Struktur des Werkes reiche eine
eine solche Nachricht auslösen würde. Die De- Erläuterung nicht aus, sie müsse vielmehr durch
batte um das Werk erreichte im Herbst 1896 eine ein Studium der Werke Nietzsches ergänzt werden
neue Ebene, als das Berliner Tageblatt am 18. No- (Klauwell 1910, 257 f.).
vember den Auszug eines Briefes von Strauss ver- Strauss selbst war naturgemäß mehr an einer
öffentlichte, offenbar als Versuch, den vor der erfolgreichen Aufnahme des Werks beim Publi-
Berliner Erstaufführung erwarteten Sturm der kum gelegen als an einem nuancierten Verständnis
Entrüstung im Vorhinein abzumildern. Doch im Sinne Merians. Seine bewusst vereinfachende
heizten Strauss’ ironische Formulierungen die Herangehensweise gerade bei Also sprach Zara-
Spannung noch an: Wer im Werk »direkt in Töne thustra, weit mehr als bei jeder anderen Tondich-
412 Instrumentalmusik

tung, erwies sich allerdings letztlich als kontrapro- ken; Don Quixote sollte demzufolge vor Ein Hel-
duktiv. Obwohl das Stück in den ersten Jahren denleben aufgeführt werden (Strauss 1981, 160).
großes Aufsehen erregte – nach sechs Aufführun- Vom ästhetischen Standpunkt aus scheint die
gen 1896 folgten 1897 18 in Berlin, Hamburg, Verbindung zu Ein Heldenleben weniger offenkun-
Dresden, Wien, London, New York und Boston –, dig als diejenige zu Till Eulenspiegel. Erneut be-
ging das Interesse in den folgenden Jahren be- nutzte Strauss – mit allen Vor- und Nachteilen –
trächtlich zurück. Seither steht das Werk in seiner die Mittel drastischer musikalischer Illustration,
Popularität deutlich hinter Till Eulenspiegel und die in Eulenspiegel bereits eine bis dahin beispiel-
verschiedenen anderen Tondichtungen zurück. lose Detailgenauigkeit erreicht hatte. Die Zeitge-
Auch die seit Stanley Kubricks 2001: A Space Odys- nossen erkannten in Don Quixote, noch über Eu-
sey (1968) berühmten Anfangstakte, die später im lenspiegel hinausgehend, die »rücksichtslose Aus-
Werbefernsehen eine veritable Karriere machten, bildung eines bis dahin in der Musik nicht
haben daran nichts geändert. gekannten realistischen Stils« (Brecher 1900, 13).
Auch Strauss’ Skizzen enthalten ausführliche und
präzise Anmerkungen zum programmatischen
Gehalt, wie beispielsweise zu einer Auseinander-
setzung zwischen Don Quixote und Sancho
Don Quixote Panza: »Don Q. bewahrt immer noch seine über-
zeugende Ruhe, Sancho unwillig, will ihn verlas-
op. 35 TrV 184 sen, da entrollt ihm Don Q. das Friedenstraum-
bild, als nachher S. nochmal seinen Zweifel
Entstehung kundgibt, wird Don Q. wütend, worauf Sancho
sich drückt, zu Bett geht; dann Cello allein,
Obwohl Don Quixote Strauss’ bis dahin längste Nachtwache, Klage« (Schuh 1976, 476).
Tondichtung wurde, war das Werk ursprünglich Weder in Also sprach Zarathustra noch in den
als leichtes Gegenstück zu Ein Heldenleben ge- ersten drei Tondichtungen finden sich derart ge-
plant. Am 10. Oktober 1896 notierte Strauss in naue Entsprechungen zwischen Musik und Hand-
seinem Schreibkalender als »erste Idee zu einem lungsereignissen. In Till Eulenspiegel und Don
Orchesterstück«: »Don Quichote. Verrückte, freie Quixote sind sie jedoch die Norm. Das führt, an-
Variationen über ein ritterliches Thema«. Ein gesichts des wiederholten Auftretens der Haupt-
Eintrag vom 16. April 1897 macht deutlich, dass charaktere vor jeweils unterschiedlichem Hinter-
das neue Stück zusammen mit Ein Heldenleben ein grund und in verschiedenen Kontexten, in beiden
Werkpaar bilden sollte: »sinfonische Dichtung Tondichtungen zum Gebrauch des Variations-
Held u. Welt beginnt Gestalt zu bekommen; dazu prinzips. Trotz differierender Untertitel (»Varia-
als Satyrspiel – Don Quixote« (Schuh 1976, 434; tionen« im Gegensatz zu »Rondeau«) verbindet
Werbeck 1996, 158). Nachdem Strauss bis zum beide Werke ein ähnliches Formkonzept (bezeich-
August 1897 an beiden Stücken gleichzeitig gear- nenderweise verzichtete Strauss in beiden Fällen
beitet hatte, legte er das heroische Werk zunächst auf die Bezeichnung »Tondichtung«). Auch die
zur Seite, um sich auf dessen »humoristisches Rahmungstechnik, in Till Eulenspiegel mit einer
Gegenstück« (Werbeck 1996, ebd.) zu konzentrie- märchenhaften Erzählhaltung (»Es war einmal«)
ren. An der inneren Verwandtschaft der neuen verbunden, begegnet in Don Quixote, erhält hier
Werke änderte das jedoch nichts. Vor der Premiere allerdings eine größere Bedeutung.
Ende 1898 von Ein Heldenleben bat Strauss Gustav Parallelen zeigen sich schließlich in der kriti-
Kogel darum, beide Tondichtungen nacheinander schen Distanz zur musikalischen Metaphysik, für
aufzuführen. Sie seien »so sehr als directe Pendants die Strauss in Till Eulenspiegel eine beispiellose
gedacht, daß besonders Don Q. erst neben Hel- musikalische Illustrationstechnik herangezogen
denleben voll und ganz verständlich ist« (ebd.). hatte. Bei Cervantes’ Protagonisten handelt es sich
Noch 1941 nannte Strauss das Werkpaar in einer um einen gealterten Idealisten, der durch seine
Liste mit Konzertprogrammen aus eigenen Wer- Lektüre in den Wahnsinn getrieben wurde – um
21. Tondichtungen: Don Quixote 413

einen sympathischen Verrückten also, dessen wie auf dessen »musikalische Prosa« (Newman
Schicksal an Alexander Ritter erinnert. Don Qui- 1905, 287; vgl. Larkin 2006, 253).
xote, die erste Tondichtung, die Strauss nach dem Dem ersten Handlungsrahmen – einer »ver-
Tod Ritters am 12. April 1896 komponierte, er- wirrten Lektüre« als H-Dur-Abschnitt, Dulcinea
weist sich in mancher Hinsicht als Hommage an mit einem G-Dur-Thema und einem um Don
den modernen ›Ritter‹, dessen Ideen Strauss zwar Quixotes Tod zentrierten Finale (Werbeck 1996,
ablehnte, dessen Bedeutung für seine eigene krea- 149) – fügte Strauss Schritt für Schritt Szenen
tive Entwicklung er jedoch niemals bestritt. Oskar hinzu, wobei er sich frei bei der literarischen Vor-
Bie hatte zwar Recht mit seiner Bemerkung, lage bediente und dabei mehrfach die Reihenfolge
Strauss stehe Eulenspiegel »am nächsten«, Don der Ereignisse änderte. Ein »Puppentheater« und
Quixote hingegen »am fernsten« (Bie 1907, 48). eine »edle Dame« wurden letztlich aufgegeben,
Aber die parodistische Haltung der früheren Ton- während eine »Prügelszene« und eine »Büßerpro-
dichtung macht im späteren Werk einem Ton der cession« ihren Platz im fertigen Werk fanden
Sympathie und Wärme Platz, ohne die antimeta- (ebd., 151 f.). Auch diesmal hatte Strauss keines-
physische Stoßrichtung aufzugeben. Sie nimmt wegs ein fertiges Programm erarbeitet, bevor er
hier, ungeachtet aller illustrativen Drastik, im be- mit dem Komponieren begann. Um die Umgrup-
rührenden Versuch Gestalt an, die Schönheit im pierung der Variationen zu erleichtern, numme-
unerreichbaren Traum des Freundes einzufangen. rierte Strauss seine Skizzen; in einzelnen Fällen
Dass Strauss sich schmerzhaft an seine Abkehr von beschrieb er in einer Anmerkung den Inhalt einer
Ritters Weltanschauung erinnerte, wird im Übri- Szene, die er hinzufügen wollte, aber noch nicht
gen auch in der »Weltflucht« deutlich, mit der er komponiert hatte – wobei er interessanterweise
Ein Heldenleben beschließt und in der ein Unbe- Szenen bei Cervantes mit Gesang, Tanz oder an-
hagen unterschwellig fortschwingt. deren Formen der Musik gerade nicht berücksich-
Diese biographische Deutungsebene kann bei tigte. Sein Ziel war es, musikalisch eine »ad absur-
der Antwort auf die Frage helfen, warum Strauss dum geführte und tragikomisch persiflierte Varia-
von Anfang an eine »Verherrlichungsszene« für tionsform« zu schaffen (Strauss 1981, 167). Strauss
Don Quixote als eines von vier kontinuierlich war davon überzeugt, nach der Vollendung der
festgehaltenen programmatischen Elementen der musikalischen Entwicklung der Variationsform in
Tondichtung geplant hatte, obwohl diese Szene Beethovens Streichquartett op. 127 und nach ihrer
im Roman eine vergleichsweise bescheidene Rolle »landschaftlich bedeutungsvolle[n] und drama-
spielt (Buch 2, Kapitel 31). In den verschiedenen tisch wichtige[n] Verwendung« in Wagners Rhein-
Entstehungsphasen entwickelte sich die »Verherr- gold-Vorspiel und in Siegfrieds Schmiedeliedern
lichung« zu einem »Fisdurtraumbild«: zunächst sei Ironie der einzige noch gangbare Weg, sich der
Teil des Finales, dann Variation 5 und schließlich Variation zu bedienen (Werbeck 1996, 454).
Variation 3, wo es zum musikalischen und pro-
grammatischen Zentrum der Tondichtung avan-
cierte, einer Hommage an die idealistische Vision
des Helden. Offenbar erkannte Strauss das inno- Musikalische Struktur
vatorische Potential von Cervantes’ Werk, der
ersten Polemik in Form literarischer Fiktion. Wie Mit Don Quixote vollzog Strauss erstmals einen
Cervantes den fiktiven Charakter seines Werks Bruch mit der Sonatenform. Damit endete ein
immer wieder pointiert, indem er den Leser bittet, Entwicklungsprozess, der mit Macbeth begonnen
sich an die Wahrheit zu erinnern, so entwickelt hatte. Dort sind die traditionellen Elemente der
Strauss in seinem Traumbild die Idee einer fikti- Form noch weitgehend vorhanden, jedoch ange-
ven Musik, die sich durch die Qualität ihrer reichert mit stabilen Episoden innerhalb der
Schönheit als falsche Verheißung entlarvt. Als Er- Durchführung und durchführungshaften Elemen-
nest Newman Don Quixote als den ersten musika- ten innerhalb der Reprise. Don Juan beginnt mit
lischen Roman bezeichnete, reagierte er auf die einer Exposition, doch fällt das scheinbare Seiten-
demonstrative Konstruiertheit des Werkes ebenso thema in seine Moll-Version zurück und seine
414 Instrumentalmusik

Position innerhalb der Reprise nimmt ein Thema Themen erscheinen (Klauwell 1910, 259); die Par-
ein, das erstmals in der Durchführung begegnete. allele zum Gebrauch des Rondo in Till Eulenspie-
In Tod und Verklärung wird der letztendlich be- gel ist kaum zu übersehen. Das Hauptmotiv (T. 1)
deutendste Gedanke als fragmentarisches Seiten- erklingt in seiner ursprünglichen Form immer
thema eingeführt, kehrt in zunehmend erweiter- wieder zu Beginn von Abschnitten (T. 18, 122, 161,
ten Versionen während der Durchführung wieder 214), allenfalls mit wechselnden Fortsetzungen.
und begegnet vollständig erst in der Reprise. Till Auch im klangsatten Fis-Dur-Abschnitt in Varia-
Eulenspiegel entfernt sich noch weiter von der tion 3 lässt Strauss das Motiv nicht weniger als
konventionellen Exposition: Strauss ersetzt die siebenmal unverändert nacheinander spielen
traditionelle Polarität zwischen Tonika und Domi- (T. 333 ff.). Deutliche Veränderungen sind selten
nante durch die Relation Tonika-Subdominante und eher programmatisch als musikalisch moti-
und beraubt die Reprise in harmonischer Hinsicht viert, etwa wenn der durchnässte Quixote sich
ihrer strukturellen Funktion. In Also sprach Zara- schüttelt, bevor er ein Dankgebet spricht (T. 571 ff.).
thustra schließlich bleiben angesichts des Durch- Auch Sanchos erstes Motiv (T. 140) mit seinem
einanders von erstem und zweitem Thema, rhythmisch-melodischen Profil bleibt noch im
Durchführungsprozessen und Reprisen nur noch komplexesten polyphonen Satz erkennbar. Und
Trümmer der Sonatenform übrig. obwohl Dulcineas Thema (T. 25) eine Verfrem-
Dieser Prozess findet in Don Quixote seinen dung Berlioz’schen Ausmaßes erlebt (T. 472) –
logischen Abschluss. Die Sonatenform wird durch man fühlt sich an die idée fixe im fünften Satz der
eine episodische, allein auf der Tonika basierende Symphonie fantastique erinnert –, ist diese »Varia-
Struktur ersetzt. Von vierzehn Abschnitten – drei- tion« kaum als progressive Weiterentwicklung des
teilige Einleitung, zehn Variationen, Finale – be- Ausgangsmaterials zu verstehen, sondern symbol-
ginnen fast alle in D-Dur oder d-Moll, und die haft als ein Abdriften von der Wirklichkeit in das
meisten enden in D-Dur oder auf der Dominante Reich der Phantasie. Letztendlich erweist sich die
A-Dur. Abweichungen von D/d haben kaum Be- Form von Don Quixote in thematischer wie auch
deutung für den tonalen Gesamtplan, da sie pro- in struktureller Hinsicht als statisch: eine Varia-
grammatisch motiviert sind und sich nicht we- tionsform, die auch im technischen Sinne »ad
sentlich von der Haupttonart entfernen: Sanchos absurdum« geführt« wird.
erste Szene am Ende des dritten Teils der Einlei- Strauss betont die Beziehungen zwischen den
tung steht in F-Dur (T. 139–160), der Tonart auch einzelnen Abschnitten und das Fehlen einer pro-
des Beginns von Variation 8 (T. 526), und das gressiven Entwicklung in Don Quixote durch seine
Bauernmädchen zu Beginn von Variation 6 tritt in Behandlung von Kadenzen. Mehrfach hinterlässt
G-Dur auf. Strauss’ Gattungsbezeichnung (»fan- das Ende einer Variation einen Eindruck von Fi-
tastische Variationen«) ist weit mehr als ein werbe- nalität, wie man ihn so stark innerhalb eines ein-
wirksamer Hinweis auf das programmatische sätzigen symphonischen Werkes kaum erwarten
Spektakel, das den Hörer erwartet. Sie steht für würde. Einige Beispiele: die strahlende Majestät
eine demonstrative Ablehnung zentraler Merk- von T. 380 (Orchestertutti, Fermate, akzentuiert
male großangelegter Orchesterkomposition – Ent- durch die Harfe), das launische Augenzwinkern
fernung und Rückkehr zur Grundtonart. Denn von Bratsche und Piccolo am Ende der Sancho-
tatsächlich handelt es sich lediglich um eine Serie Szene (T. 161), der robuste Streicher-Epilog in
von deutlich unterscheidbaren, thematisch wie T. 248, dessen distanzierte Haltung durch Sancho
tonal verknüpften Abschnitten. destruiert wird (wie später in T. 381), die zärtli-
Charakteristisch ist auch die Art und Weise, chen, sphärischen Obertöne, die die Nachtwache
wie Strauss die Themen behandelt: Organische abrunden (T. 470 f.), wiederum mit einer Fermate,
oder zielgerichtete Veränderungen, die man von um ein Gefühl von Zeitlosigkeit zu evozieren,
einem klassischen Variationssatz erwarten könnte, schließlich die spielerische, scherzoartige Verflüch-
fehlen. Das Prinzip »Variation« verbindet sich tigung der musikalischen Struktur in T. 501. In
nicht mit zunehmender Komplexität, sondern mit allen Fällen geht der Gestus des Abschließens über
wechselnden Umgebungen, innerhalb derer die die normalen Modi binnensymphonischer Zäsur-
21. Tondichtungen: Don Quixote 415

bildung deutlich hinaus – offenkundig mit dem tion der Hauptthemen und für die Gesamtstruktur
Ziel, jegliche strukturelle Einheit zu untergraben. wichtigen Tonarten konfrontiert Strauss die Hörer
Strauss’ Praxis erinnert eher an das Ballett oder die mit einem Absturz in den Wahnsinn (T. 16–121).
Nummernoper, wo ebenfalls mit deutlichen Zäsu- Immer wieder erklingen neue Motive und ver-
ren gearbeitet wird. Indem er die traditionelle schwinden in einer beispiellosen polyphonen
Struktur symphonischer Werke aufkündigte, übte Satzdichte, die den Eindruck von Durcheinander
er sich zugleich in der Komposition von Opern. und Unsinn erwecken soll. Auch die »Waffenwa-
Kompositorische Strategien dieses Ausmaßes che« (T. 432) bringt absolute Musik als Wahnsinn:
können bei einem Komponisten, der wie Strauss Don Quixotes seltsam großartige, »sentimentale«
durch die Schule des klassischen Repertoires ge- Rede verflüchtigt sich in einer sanften tonmaleri-
gangen war, kaum anders denn als Ablehnung der schen Brise. Nicht die (gewiss merkwürdigen) Ta-
Idee musikalischer Autonomie angesehen werden. ten des Helden stehen im Vordergrund, sondern
Es überrascht daher nicht, dass diejenigen Teile dessen verrückter Geist, eine subjektive Realität,
des Werks, die nicht mit expliziter Tonmalerei die Strauss in den Episoden mit absoluter Musik
befasst sind, einen deutlich ironischen Ton ausprä- offenlegt und uns so dazu zwingt, aus der kriti-
gen, der die autonome Musik und den mit ihr schen Position des Hörers die negativen Folgen von
konnotierten philosophischen Idealismus als musikalischem Idealismus zu registrieren.
fehlgeleitet, hochtrabend und sogar psychologisch Nur am Ende des Werkes, wie eine die Regel
instabil kritisiert (Brecher 1900, 38). Die kritische bestätigende Ausnahme, vermeidet Strauss sowohl
Distanz zeigt sich besonders in der Fis-Dur-Vision eine episodenhafte musikalische Illustration wie
des Paradieses (T. 332–380), einer leidenschaftli- Selbstkarikatur. Auf anrührende wie zurückhal-
chen, ekstatischen Träumerei, die zumindest für tende Weise dient die Schlussszene (T. 690 ff.) als
einen Augenblick die narrative Obsession des eine lyrische Hommage an den Protagonisten und
Werks vergessen lässt. Sancho unterbricht die indirekt auch an dessen Vorbild im wirklichen
Utopie (T. 369), um sie nach dem letzten Akkord Leben: Alexander Ritter, den lange leidenden Vi-
mit einem einfältigen Kommentar in die Realität sionär. Strauss scheint hier für eine Weltanschau-
zurückzuholen (T. 381). Letztlich ist es aber Qui- ung zu plädieren, die er selbst seit langem aufge-
xotes eigene Exaltiertheit, die seine Vision unter- geben hatte. Die schiere Schönheit dieser Passage
gräbt, mit einer aufgeblähten Instrumentierung, steht in starkem Gegensatz zur bitteren Niederlage
der theatralischen Schwere der Basslinie, der sie- bei der Heimkehr des Helden (T. 640), wo eine
benmaligen Wiederholung einer sich über zwei Reminiszenz an den Beginn von Brahms’ 1. Sym-
Takte erstreckenden Idee (T. 333–346) und schließ- phonie (regelmäßige Paukenschläge) die Erinne-
lich mit grotesken Tonwiederholungen (ais'' ) der rung an Ritters Erzfeind wachruft. Eine letzte
Melodie vor der kulminierenden Kadenz (T. 358– Tonmalerei, des Helden Tod (T. 747), lenkt unsere
362). Gnadenlos karikiert Strauss die schönste Aufmerksamkeit auf den ungewöhnlichen Tief-
Musik als mitleidheischenden Wahn. sinn dieses Höhepunktes musikalischer Abstrak-
Max Marschalk kritisierte 1899, Don Quixote tion und macht zugleich deutlich, dass die Zeit
attackiere das Wesen der Musik, vor allem die tech- solcher Musik vorüber ist. Beinahe erscheint abso-
nischen Normen der Kunst und die darin verkör- lute Musik noch einmal authentisch. Ritter hatte
perten philosophischen, durch Schopenhauer be- an ein Ideal geglaubt, das schön gewesen wäre,
gründeten Wahrheiten (Marschalk 1899, 412–415). wäre es Wirklichkeit geworden.
Gründe für diese und andere alarmierte Reaktio-
nen lassen sich schnell finden. In den ersten zwölf
Takten von Don Quixote untergraben Kadenzen in
D- (T. 4), As- (T. 8) und D-Dur (T. 12) unbeküm- Musik und Programm
mert das klassische harmonische Fundament (die
Etablierung der Tonika durch die Dominante). Don Quixote und Till Eulenspiegel teilen auch das
Diese destruktive Tendenz setzt sich in kühnen Fehlen programmatischer Erläuterungen in den
Satzfehlern (T. 13–16) fort. Anstelle einer Exposi- Partituren. Abgesehen von der Titelseite gibt es in
416 Instrumentalmusik

Don Quixote lediglich die Anmerkungen »Don gen in der autographen Partitur (RSA), die von
Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt« Otto Singer in den vierhändigen, 1898 von Aibl
(T. 122) und »Sancho Panza« (T. 139). »Introduc- veröffentlichten Klavierauszug übernommen wur-
tion« (T. 1) und »Finale« (T. 691) verraten nichts den, zweitens zusätzliche Anmerkungen in einer
über das Programm. Strauss’ Zurückhaltung Partitur aus dem Besitz von Clemens Krauss,
diente zwar Anhängern seiner Musik wie Steinit- drittens programmatische Stichworte, die 1910 in
zer als Argument für die These, das Werk sei »auch der Strauss-Festschrift München abgedruckt wur-
als absolute Musik […] verständlich und wirksam« den, und viertens eine unbekannte Quelle, die
(Steinitzer 1911, 237). Aber sie verwirrte die Hörer Müller von Asow veröffentlichte (Werbeck 1996,
angesichts zahlloser illustrativer Details, die sich 542–544). Krauss’ Partitur enthält die detailliertes-
auch einem »inneren Auge« keineswegs erschlos- ten Erläuterungen, besonders zur dritten und
sen (Louis 1909, 171). Einige programmatische vierten Variation, die in keinem anderen Doku-
Momente sind leicht zu verstehen – das Blöken ment enthalten sind. Andere Quellen liefern dage-
der Schafe –, andere lassen offen, was ›gemalt‹ gen Informationen, die sich nicht bei Krauss fin-
werden soll. Was erlebt Sancho in T. 142? Auf den, etwa zu Variation 10, wo es bei Krauss heißt
welche Weise nähert sich Don Quixote dem Bau- (in T. 674): »löst sich allmählich der Kampf«, da-
ernmädchen in T. 476? Was provoziert das neue gegen bei Singer (T. 676): »Don Quixotes Ver-
Motiv in T. 64 mit seiner Reminiszenz an Liszts stand wird wieder ›hell u. klar u. frei von den
Faust-Symphonie? Schatten der Unvernunft‹.« Strauss wollte offenbar
Um schon im Vorfeld möglichen Protesten zu das Programm der Tondichtung nicht vollständig
begegnen, beauftragte Strauss erneut Arthur Hahn zur Verfügung stellen – so erpicht er darauf war,
damit, eine von ihm sanktionierte Erläuterung zu dass die Hörer seine grundsätzlichen Absichten
schreiben. Hier lassen sich eine Anzahl subtiler verstanden. Doch besaß eine zurückhaltende In-
Details entdecken, nicht nur des Inhalts jeder formationspolitik Vorteile für eine Vermarktung
einzelnen Variation, sondern auch von Nuancen des Werkes. Fehlende Angaben in der Partitur
wie der expressiven Bedeutung des ersten Don- sorgten für allgemeine Neugierde, die durch ein
Quixote-Themas (T. 1: »ritterlicher Charakter des wohldosiertes Preisgeben von Informationen eher
alten Spaniers«) und des zweiten Themas (T. 4: noch gesteigert wurde.
»die Hauptpflicht des Ritters […], die Dame sei- Für sein Programm wählte Strauss Ereignisse
nes Herzens zu schützen und zu verherrlichen«) aus unterschiedlichen Teilen von Cervantes’ Ro-
(Walden 1908, 130). Hahn gibt keine Überschrif- man, die er auf neue Weise miteinander konfron-
ten für die einzelnen Abschnitte der Einleitung, tierte. Bei Hörern, die den Roman kannten, stellte
doch kommentiert er die dramatische Handlung sich eine gleichsam produktive Irritation ein. Al-
sehr detailliert. Der Leser erfährt, dass Don Qui- lerdings folgte Strauss Cervantes mit der Rah-
xote »von jenem stolzen Ritter« [T. 45] liest, »der mung seines Stückes: die »verwirrte Lektüre« und
seiner Angebeteten [T. 46] sich opferte [T. 51] und Don Quixotes Tod. Wir wissen nicht, welche
der er Leib und Seele hingab [T. 56]« (Walden Absichten Strauss leiteten, als er mit der Position
1908, 133). Strauss’ eigener Kommentar zu dieser einzelner Szenen experimentierte, etwa im Fall der
Passage: Quixote liest »von dem Ritter [T. 46], Begegnung mit den beiden Benediktinern, die er
der, von einer Frau [T. 48] umgarnt, in ihren von der dritten Variation auf die neunte verlegte.
Schlingen verweichlicht [T. 52] und seine Stärke Doch scheint die übergreifende Struktur des Wer-
verliert [T. 56]« (Werbeck 1996, 155). Hahn kon- kes auf eine Kontrastierung zwischen zwei Typen
zentriert sich auf einzelne Stationen der Handlung musikalischer Programmatik angelegt zu sein: die
und gewichtet, anders als bei früheren Einführun- gefühlsmäßige und die illustrative.
gen, musikalische Prozesse eher gering. Mit den Variationen befriedigte Strauss die
Wie schon bei Till Eulenspiegel gab Strauss in Neugierde eines zahlenden Publikums auf sensati-
der Erläuterung nicht alles preis. Vier unter seiner onelle Tonmalereien. Der Rahmen jedoch, der die
Mitwirkung entstandene Quellen stellen weitere Variationen umgibt, ist fest verwurzelt in dem,
Informationen zur Verfügung: erstens Anmerkun- was Cosima Wagner als »Gefühl« charakterisiert
21. Tondichtungen: Don Quixote 417

hatte. Er entspricht der Perspektive eines Erzäh- komischen »Bauernmädchens« (T. 472), dem »Ritt
lers, weil die Hauptthemen in einem nicht-illus- durch die Luft« (T. 515), der Fahrt auf dem »ver-
trativen Kontext und, wichtiger noch, in einer zauberten Nachen« (T. 526) und dem »Kampf
Stimmung gesteigerten Mitgefühls verortet sind, gegen zwei vermeintliche Zauberer« (T. 591). Jede
wo die unüberhörbaren Eigenarten Quixotes Episode zeichnet sich durch charakteristische
(etwa sein zerstreutes Abschweifen von D-Dur Details aus: die 5/4-Takte (Var. 6), die in Ganzton-
nach As-Dur und zurück) bereitwillig akzeptiert schritten absteigenden Akkorde (Var. 7), das Per-
werden. Aus dieser ruhigen Rationalität – der es petuum mobile in den tiefen Streichern und
freilich an Humor mangelt (Klauwell 1910, 261) –, Holzbläsern (Var. 8) und das eigenartige Fagott-
werden wir in die narrative Welt der Lektüre ver- Bicinium (Var. 9). Variation 10 dient dem doppel-
setzt, und zwar durch eine Art Tunnel, der uns ten Ziel, den Kampf mit dem »Ritter vom blanken
durch eine Überlagerung verschiedener Leseerfah- Mond« sowie die langsame Rückkehr zur geistigen
rungen des Helden in den vernebelten Geist eines Normalität zu schildern, und zwar nicht ohne
Wahnsinnigen transportiert, dessen Launen viel- Ironie: mit einem von Paukenschlägen grundier-
fältige Überraschungen erwarten lassen. ten Trauermarsch.
Strauss gruppierte die Variationen, so lässt sich Wie die Variationen stellt auch der Rahmen
vermuten, nach ihrem jeweiligen Charakter und eine erzählerisch vermittelte Welt dar; die Ton-
Potential für wirkungsvolle Tonmalerei. Variation dichtung erweist sich als Erzählung innerhalb ei-
1 eröffnet das Verfahren durch die Darstellung ei- ner Erzählung, bei der die Illustrationen auf die
ner Überwältigung von psychischer Innenwelt inneren Geschichten beschränkt bleiben. Jedoch
durch physische Außenwelt: Während der Held in zeigt sich bei genauerem Hören, dass Strauss die
die Gegend reitet und dabei in seinen Gedanken Grenze zwischen beiden Bereichen immer wieder
Dulcinea nachhängt (T. 170) – in einer faszinie- überschritten hat. Der Geist musikalischen »Ge-
renden Gegenüberstellung von physischer und fühls« dringt in entscheidenden Momenten – bei
eingebildeter Programmatik –, werden seine der Vision des Ritters in Variation 3 und der an-
Träume durch die Begegnung mit der Wind- rührenden Klage der Nachtwache in Variation
mühle/dem Riesen gestört. Als er wieder zu sich 5 – in die Sphäre der Illusion ein. Hier macht sich
kommt (T. 200), wird er mit der dissonanten Ka- die »ernste Grundstimmung« des Werkes bemerk-
kophonie der Hammelherde (Variation 2) kon- bar, die »›Tragikomödie‹ jedes ›Hyperidealisten‹«
frontiert: sicherlich der größte Skandal des Stücks (Seidl 1900, 84 f.). Trotz ihres übertriebenen Tons
und die bis dahin radikalste Darstellung von Ge- stimmen solche Blicke nach innen mit der Musik
räuschen in der Geschichte abendländischer Mu- des Rahmens zusammen. Aber auch die hochdif-
sik. Die Vision, die Don Quixote in Variation 3 ferenzierte Tonmalerei am Ende des Werks sprengt
heimsucht, wird durch eine »Unterhaltung mit ihre Grenzen, und zwar mit der bildlichen Dar-
Sancho« eingerahmt, bei der sich wechselnde Re- stellung von Don Quixotes Tod (T. 747). Es han-
aktionen auf die Kommentare des jeweiligen Ge- delt sich dabei um mehr als einen Ausdruck von
sprächspartners unmittelbar nachvollziehen las- Sentimentalität. Diese Musik versöhnt beide Sei-
sen: etwa (den Angaben bei Krauss folgend) »Don ten, das Illustrative wie das Emotionale, durch die
Quixote wird zornig« (T. 270), »und glaubt San- Botschaft, dass keine einen höheren Grad an
cho endlich überzeugt zu haben« (T. 272), »trotz- geistiger Gesundheit oder Wahrheit für sich bean-
dem beginnt Sancho schüchtern immer wieder spruchen kann. Die geistige Welt Don Quixotes,
von Neuem« (T. 277) etc. Eine Begegnung mit in der sich Vorstellungskraft und Wirklichkeit
›richtigen‹ Menschen (Büßern, in Variation 4) durchdringen, ist auch unsere eigene Welt, klang-
führt zu einer neuerlichen Wahnvorstellung (der lich umgesetzt durch rivalisierende Formen musi-
Nachtwache, Variation 5), die wiederum von einer kalischen Ausdrucks.
physischen Instanz, hier dem nächtlichen Wind
(T. 452), unterbrochen wird. Im Anschluss daran
entfacht Strauss ein Feuerwerk aus vier besonders
illustrativen Episoden: dem Auftritt des grotesk-
418 Instrumentalmusik

Wirkung ohne Rivalen dasteht«. Kritik übte man an den


Erläuterungen Hahns, der es versäumt habe, »die
Die Premiere von Don Quixote am 8. März 1898 kontrapunktischen Verschlingungen der Themen
im Kölner Gürzenich unter der Leitung von Franz […] zu entwirren« (Schmid 1997, 340 f.). Deutlich
Wüllner löste im Publikum gleichmäßig zwischen wird die Nützlichkeit der Erläuterungen als Ab-
»Unruhe und Heiterkeit« geteilte Reaktionen aus lenkungsmanöver. Strauss lieferte denjenigen
(Schmid 1997, 338). Das garantierte eine konti- Hörern Informationen, die Hilfe benötigten, kam
nuierliche Kontroverse und damit auch eine be- in seiner Partitur fast völlig ohne programmati-
trächtliche Nachfrage. Strauss’ Verleger Spitzweg sche Informationen aus und bekräftigte so indi-
bot denn auch seinem Komponisten für die Pu- rekt die verbreitete Ansicht, dass Programmmusik
blikation die stattliche Summe von 5000 Mark an, ganz aus sich heraus verstehbar sein müsse. Das
deutlich mehr als für Till Eulenspiegel (1500 Mark) traf besonders in den ersten beiden Variationen
und Zarathustra (3000 Mark). zu, von denen Kritiker sogar gelegentlich dann
Die Reaktion der Kritiker auf die Erstauffüh- schockiert waren, wenn Strauss sie dirigierte.
rung bestätigt, dass Strauss einen Generalangriff Strauss selbst dürfte mit solchen Reaktionen ge-
gegen die Normen absoluter Musik begonnen rechnet haben. Dennoch verlor die Tondichtung
hatte. Proteste gegen »Unmusik« und »das Ende schon bald an Publikumszuspruch. Nach fünf,
der Musik« zeigten, dass für viele Rezensenten sieben und sechs Aufführungen in den ersten drei
»der Witz des großen Tondichters […] zu fein Jahren ging die Anzahl auf drei (1901) und zwei
war« (Brecher 1900, 38). Ein Frankfurter Kritiker (1902) Aufführungen zurück. Strauss hätte es sich
nannte das Werk eine »vollkommene Auflösung nicht im Traum einfallen lassen, dass Don Quixote
alles musikalischen Denkens«. Karl Söhle be- ausgerechnet in seiner launischen Heimatstadt
schwerte sich über den Mangel an Zusammen- München seine beste Aufnahme fand.
hang und Entwicklung in einer »Musterkollektion
von melodischen, harmonischen, rhythmischen
und instrumentalen Anomalien«. Die technischen
Schwierigkeiten alarmierten Karl Wolff, der aber
doch bemerkte, dass der Rahmen der Tondich- Ein Heldenleben
tung aus einer anderen Art von Musik bestehe als
die Episoden im Inneren. Einleitung und Schluss
op. 40 TrV 190
schilderten »den geistigen Entwicklungsgang Don
Quixotes eigentlich schon vollständig […] und Entstehung
das musikalisch weitaus logischer, als es die soge-
nannten Variationen thun«, die »an rein äußerli- Das Werk, das Strauss zuletzt Ein Heldenleben
che Begebenheiten des zu schildernden Stoffes nennen sollte, hatte während seiner ungewöhnlich
anknüpfen und so sehr sich in Tonmalereien gefal- langen Entstehungszeit von ungefähr zwei Jahren
len, daß der bessere musikalische Kern für die eine Reihe provisorischer Titel. In Briefen sprach
Beobachtung meist verloren geht« (Schmid 1997, Strauss stets von »Heldenleben«, verwendete an-
338–340). Wenngleich solche Kritiker die Ursa- sonsten aber auch die Arbeitstitel »Held und
chen von Strauss’ Kritik gegen musikalische Auto- Welt« (Tagebucheintrag vom 16. April 1897) und
nomie und seine Parteinahme zugunsten von sogar »heroische Sinfonie« (Werbeck 1996, 258).
Tonmalerei kaum verstanden, erkannten sie seine Ob er dabei in irgendeiner Weise durch Heinrich
musikalischen Maßnahmen genau. von Steins Buch Helden und Welt beeinflusst wor-
Wie schon bei früheren Tondichtungen löste den war, das Cosima Wagner ihm 1891 geschenkt
die erste Aufführung unter Strauss’ eigener Lei- hatte, steht nicht fest (Larkin 2006, 78). Die ersten
tung (am 18. März 1898 in Frankfurt a. M.) einhel- Berichte über das Werk erweckten den Eindruck,
lig positive Reaktionen aus. Nun pries ein Anony- Strauss arbeite an einer Symphonie – etwa wenn
mus in der Frankfurter Zeitung Strauss als »Meister in der Allgemeinen Musik-Zeitung im August 1898
auf einem Gebiete, auf dem er schlechterdings von »einer viersätzigen Sinfonie heroischen Cha-
21. Tondichtungen: Ein Heldenleben 419

rakters« zu lesen war (Werbeck 1996, 261). Ob- Reichstag zu Mainz« getan hatte (Schuh 1976,
wohl auch Gustav Kogel und Franz Wüllner, die 322–328). Aber auch die sexuelle Intensität Don
frühe Aufführungen des Werkes leiteten, in Brie- Juans, die verspielte Bilderstürmerei Till Eugen-
fen an den Komponisten von einer »Sinfonie« spiegels, die existentiellen Krisen in Also sprach
sprachen (Kämper 1962, 42 f.), ist es unwahr- Zarathustra und die mitfühlende Idealismus-Kri-
scheinlich, dass sie oder ihr Publikum ernsthaft tik in Don Quixote hatten mit drängenden Le-
erwarteten, Strauss werde von seiner modernisti- bensfragen des Komponisten zu tun. Vor diesem
schen Programmmusik wieder abrücken und sich Hintergrund war der Schritt zu einer intensivier-
der Gattung der Symphonie in der Tradition ten Form musikalischer Autobiographie nur nahe-
Beethovens, Brahms’, Bruckners und vielleicht liegend. Allerdings sollte man die Dimension des
sogar Mahlers zuwenden. Natürlich dachte Strauss Biographischen in Ein Heldenleben nicht überbe-
gar nicht daran. Seine Charakterisierung des Wer- werten. Die »Weltflucht« des Helden etwa ging
kes gegenüber Otto Leßmann (vom 23. Juli 1898) weit über Strauss’ persönliche Intentionen hinaus
verrät eine eher spielerische Haltung gegenüber (trotz seines Rückzugs nach Garmisch), und die
der symphonischen Tradition: musikalischen Schwierigkeiten des Protagonisten
Da Beethovens: Eroica bei unsern Dirigenten so sehr mit seinen Kritikern waren weitaus ernsthafter als
unbeliebt ist u. daher nur mehr selten aufgeführt wird, das, was Strauss selbst erlebt hatte.
componiere ich jetzt, um einem dringenden Bedürfniße
abzuhelfen eine große Tondichtung: ›Heldenleben‹ beti-
Die Entstehung von Ein Heldenleben entspricht
telt (zwar ohne Trauermarsch, aber doch in Es dur, mit dem bereits bekannten Muster. Recht früh im
sehr viel Hörnern, die nun doch einmal auf den Herois- Kompositionsprozess skizzierte Strauss die groben
mus geeicht sind) […].« (Werbeck 1996, 158) Umrisse des Programms, für das er auf musikali-
Ein Heldenleben wurde eine Tondichtung wie die scher Ebene Passagen zu den Themen »heroische
vorher gegangenen. Sie nimmt gleichermaßen Kraft« (Es-Dur), »Kritiker« (g-Moll), »Kampf mit
spielerisch und ernsthaft auf Beethoven Bezug, der Welt« (c-Moll) und »Flucht in die Einsamkeit«
ohne auch nur im geringsten Strauss’ progressive vorsah (Werbeck 1996, 160–171). Er ergänzte spä-
Ziele in Frage zu stellen. Es überrascht daher ter noch eine Liebesszene in Ges-Dur, nicht zufäl-
nicht, dass das neue Stück vieles von dem fort- lig in derselben (enharmonisch verwechselten)
setzt, was in früheren Tondichtungen begonnen Tonart wie die analoge Passage in Don Quixote.
wurde. Wie Tod und Verklärung, die letzte Ton- Andere Details kamen hinzu, wie etwa ein Dialog
dichtung des ersten Zyklus, beschließt Ein Helden- zwischen Violine und Orchester vor der Liebes-
leben eine in sich zusammenhängende Werk- szene und die »feierliche Resignation« im abschlie-
gruppe. Und wie dort macht Strauss Gebrauch ßenden Adagio, eine Nuance, die andeutet, dass
von einem frei erfundenem Stoff anstelle einer der Held seine Aufgaben nicht gänzlich erfolgreich
konkreten literarischen Vorlage. gemeistert hatte. Die lange Passage zwischen der
Die Entscheidung, gerade zu diesem Zeitpunkt Liebesszene und dem Adagio machte Strauss
ein eigenes Programm zu erfinden, war sicherlich große Probleme, besonders dort, wo er zuletzt eine
kein Zufall. Wie der Gedanke an eine »Verklä- Sammlung mit Zitaten aus eigenen Werken ein-
rung« in den späten 1880er Jahren, zu Beginn von fügte. Erst danach entwickelte er die Idee eines
Strauss’ Arbeit an Guntram, seine Auseinanderset- Konfliktes mit inneren und äußeren Feinden. Wir
zung mit Wagners Konzept der »Erlösung« spie- können die Schwierigkeiten, die Strauss beim
gelt, so lassen sich in Ein Heldenleben seine Komponieren dieses Konfliktes hatte, daran er-
Kämpfe mit »inneren Feinden (Zweifel, Ekel)« messen, dass er als Grundlage für die Musik einen
(Werbeck 1996, 164 f.) direkt zu den von seiner detaillierten Plan formulierte. Außerdem tat er
Nietzsche-Lektüre angestoßenen und niemals ab- sich mit der Form des Stückes schwer, zumal an-
geschlossenen Reflexionen im zweiten Zyklus der gesichts der Herausforderung, im Rahmen einer
Tondichtungen (seit Till Eulenspiegel) in Bezie- überraschend konventionellen Sonatenform die
hung setzen. Konkret experimentierte Strauss mit Reprise auf eine originelle Weise zu behandeln.
der musikalischen Umsetzung autobiographischer Nini Siegers hübsche Anekdote zur Revision
Aspekte, wie er es zuvor im Opernprojekt »Der des Heldenleben-Schlusses gibt Rätsel auf. Sie erin-
420 Instrumentalmusik

nerte sich 1942 daran, wie Friedrich Rösch am in der Tonika beginnende Reprise (T. 631, bis
Frühstückstisch ihres Hauses in Frankfurt ausrief: »Des Helden Friedenswerke« in T. 686), die,
»Richard das ist wieder ein Pianissimo-Schluß. wie auch in anderen Sonatensätzen von Strauss,
Das Publikum glaubt ja gar nicht, daß du Forte keine Rückkehr des Seitenthemas bringt, son-
schließen kannst!!« Danach habe Rösch Strauss dern sich in eine unerwartete Richtung entwi-
beim Entwerfen eines neuen Schlusses zugeschaut. ckelt,
Allerdings trug sich der Vorfall im März 1898 zu, – als Abschied eine Coda (T. 852, »Des Helden
während Strauss die Orchesterpartitur erst über Weltflucht und Vollendung«).
ein halbes Jahr später, am 1. Dezember 1898 fertig
stellte und den zweiten Schluss zwischen dem Die Klarheit dieses formalen Rahmens erzeugt
23. und 27. Dezember ausarbeitete (Schuh 1976, einen Eindruck großartiger Simplizität. Rösch
500–504). Wann auch immer Strauss den zweiten lobte die »überaus grosse Einfachheit, Natürlich-
Schluss tatsächlich komponierte, er ergänzte nicht keit und klare Übersichtlichkeit« (Rösch 1899, 23),
nur eine feierliche Akkordfolge der Blechbläser, mit der sich Strauss von den strukturellen Experi-
die in einem Fortissimo gipfelt, sondern fügte menten seit Macbeth verabschiedet hatte. Vorbei
verschiedene Anzeichen für eine unverminderte sind die formalen Ambivalenzen des ersten Zyklus’
Präsenz der »Widersacher« hinzu, vor allem in (Macbeth bis Tod und Verklärung): etwa eine sich
chromatischen Passagen von Solovioline und als Durchführung erweisende Reprise (Macbeth),
Horn in T. 903–907 (Werbeck 1996, 169; der erste die Exposition eines neuen Themas, das in der
Schluss als Faksimile bei Schuh 1976, 502 f.). Die Reprise als Seitensatz zurückkehrt (Don Juan),
späte Entscheidung, den Sieg des Helden derart zu oder ein Finale als Ziel eines Formprozesses (Tod
relativieren, illustriert erneut, dass sich musikali- und Verklärung). Vorbei sind auch die unmissver-
sche wie programmatische Elemente einer Ton- ständlichen Demontagen der Sonatenform in Till
dichtung so lange im Fluss befanden, bis das Werk Eulenspiegel und Zarathustra. Stattdessen präsen-
endgültig fertig gestellt war. tiert Strauss nun enorme Formblöcke wie nach
dem Lehrbuchschema; in der Tat steht Ein Hel-
denleben von den späteren Werken der älteren
Form »am nächsten« (Steinitzer 1911, 238).
Musikalische Struktur Indem Strauss oberflächlich das Gerüst der
Sonatenform wiederherstellte, bestätigte er auf
Musikalisch ist Ein Heldenleben ein Paradox: Es ironische Weise die Kritik an der Form, die er
handelt sich um die längste Tondichtung mit dem bereits in Don Quixote komponiert hatte. War hier
größten Orchesterapparat, zugleich aber um ein die Sonatenform völlig aufgegeben worden, so
Stück mit überraschend einfacher Struktur, einer kehrt sie in Ein Heldenleben nur noch als äußere
nahezu unproblematischen Sonatenform, deren Hülle zurück. Die Intention ist immer dieselbe: zu
Teile zwar nicht in der Partitur, aber in der von zeigen, dass der altehrwürdige musikalisch-struk-
Wilhelm Klatte unter Strauss’ Anleitung verfass- turelle Prozess der Sonatenform ausgespielt hat.
ten Erläuterung mit Zwischentiteln versehen Deshalb konnte Seidl die Verwurzelung des Werks
wurden (Walden 1908, 150–62). Es gibt: in der Vergangenheit ebenso hervorheben wie
– eine männliche erste Themengruppe (T. 1, seine wegweisende Bedeutung für die Zukunft
»Der Held«), (Seidl 1900, 86). Unter der eher dünnen Schicht
– eine Überleitung (T. 118, »Des Helden Wider- der Sonatenform findet sich im Übrigen eine an
sacher«), Don Quixote erinnernde episodische Struktur, auf
– eine weibliche zweite Themengruppe (T. 192, die schon Rösch hinwies (Rösch 1899, 24 ff.): mit
»Des Helden Gefährtin«), musikalischen Markierungen des Protagonisten,
– eine Durchführung voller harmonischer und die nach ihrer Exposition in einer Reihe abge-
thematischer Konflikte (T. 434, »Des Helden schlossener formaler Einheiten immer wieder zu
Walstatt«), externem Material in Beziehung treten. Es gibt in
– eine mit der Wiederholung des Hauptthemas Ein Heldenleben kaum weniger vielfältige und
21. Tondichtungen: Ein Heldenleben 421

prominent platzierte Variationen des Hauptthe- wo sie eine Reihe harmonisch unsteter Versuche,
mas wie im ›Satyrspiel‹ Don Quixote; beide Stücke nach Es-Dur zurückzukehren, einleitet, und in der
können jeweils als eine lockere Sammlung eher Reprise, wo der Quartgang in normalisierter Form
unabhängiger Teilstücke gelten. Die Gattungsbe- und im Kontext eines vielleicht allzu leidenschaft-
zeichnung für Don Quixote, »fantastische Variati- lichen Triumphs begegnet (T. 637). Zum anspie-
onen«, wäre auch hier durchaus angebracht. lungsreichen Charakter solcher Merkmale gehört,
Wie das Pendant beginnt der erste, aus 117 anders herum, eine wichtige Abweichung vom
Takten bestehende Abschnitt in Ein Heldenleben Modell Beethoven: der fehlende Trauermarsch –
mit einer kurzen Vorstellung der Hauptthemen eine kompositorische Entscheidung, auf die
des Helden, die mit einer vollständigen Kadenz Strauss explizit hinwies.
schließt (T. 17). Dieser Miniaturexposition folgt Die nicht funktionale Verwendung der Sona-
eine längere durchführungshaften Passage mit tenform wird besonders deutlich im »Wider-
neuen Themen (T. 21, 22, 25) in einem zuneh- sacher«-Abschnitt, dessen Zweck nicht darin be-
mend dichten, modulierenden und polyphonen steht, uns von einer Tonart zur nächsten zu führen,
Satz. Eine falsche C-Dur-Reprise (T. 45) unter- sondern allein in der Präsentation statischer Bilder
streicht den Charakter dieses Abschnittes als der Feinde und der Reaktion des Protagonisten
quasi-selbständiger Satz innerhalb einer »double- auf ihr Geschrei. Jede dieser bizarren thematischen
function form«. Dafür spricht im Weiteren auch Einheiten ist unfähig, sich auf sinnvolle Weise
die coda-artige Rückkehr eines der neuen Themen vorwärts zu bewegen. Merkwürdige verkappte
in Es-Dur (T. 84) sowie die Reprise des Haupt- Zweistimmigkeiten (T. 118), chromatische Dreh-
themas (T. 94) nach einer vollständigen Es-Dur- figuren (T. 120), überlange chromatische Linien
Kadenz (Larkin 2006, 290). Das Ende dieses Ab- (T. 121), parallele Quinten (T. 122) und nutzlose
schnitts – eine weitere Reverenz an das Pendant Orgelpunkte (T. 123) evozieren musikalische Im-
(auch an Till Eulenspiegel wäre zu erinnern) – stei- potenz; seltsame Klänge führen nirgendwo hin.
gert Strauss bis zu einer enormen Halbkadenz und Mit »stupidem Häßlichfinden« so Nodnagel,
lässt dann, in einem auffälligen Absturz des Hoch- komme man nicht weit, auch weil zu solchen
gefühls, eine neue musikalisch-programmatische Passagen ganz andere Musik hinzukomme, die »zu
Einheit folgen: Karikaturen von »Widersachern« dem Schönsten, Abgeklärtesten und Ergreifends-
anstelle eines seelisch zerrissenen Protagonisten. ten« gehöre, »das Strauß bis jetzt geschaffen« habe
Strauß versah die Musik dieses ersten Abschnit- (Nodnagel 1902, 94). Bemerkenswert ist der kurze
tes mit vielfältigen Anspielungen auf Beethovens Beginn der »Widersacher« mit nur 19 Takten (bei
Eroica; der Zusammenhang lässt sich kaum über- einer Gesamtlänge von über 900 Takten). Später
hören. Schon 1895 hatte Strauss gegenüber Haus- genügen kurze Wiederholungen des Materials,
egger seine Vorliebe für musikalische Anspielun- um die Erinnerung an diese beeindruckende und
gen mit den frühkindlichen Erfahrungen des aggressive »Anti-Musik« wachzurufen.
musikalischen Elternhauses, vor allem des musi- Im Zentrum des Abschnitts steht jedoch nicht
zierenden Vaters (der besonders die exponier- diese groteske Passage (die, nebenbei bemerkt,
ten Hornstellen der Eroica übte) zurückgeführt sich ungefähr an derselben Position in Ein Helden-
(Hausegger 1903, 395). Neben der Eroica-Tonart leben befindet wie das Schafblöken in Don Qui-
und den prominenten Hörnern – Merkmale, die xote), sondern eine geschlossene Träumerei in g-
Strauss besonders hervorhob – findet sich in Ein Moll (T. 137), mit der Strauss die Reaktion des
Heldenleben ein Eröffnungsthema mit gebroche- Helden präsentiert und zugleich den Bedenken
nem Dreiklang zu Beginn und einer ungewöhnli- des Hörers eine Stimme gibt. Gewicht erhält die
chen Melodielinie (der Quartgang as'-ges'-fes'-es' Musik durch eine chromatische Steigerung über
in T. 7), die Beethovens berühmt-berüchtigtes cis fis- und e- nach c-Moll (T. 161), bis sie in g-Moll
in T. 7 der Eroica in Erinnerung ruft. Wie sein kadenziert (T. 169). Wiederum entsteht der Ein-
Vorbild gibt Strauss dieser Anomalie Bedeutung, druck beklemmender Statik, einerseits durch
indem er sie an zentralen Stellen wiederkehren synkopisch akzentuierte Dissonanzen (T. 139),
lässt, vor allem am Ende der »Walstatt« (T. 585 ff.), andererseits generell durch die Schwierigkeit, sich
422 Instrumentalmusik

entscheidend von der gedämpften g-Moll-Atmo- 1888 Bülow dargelegt hatte (vgl. S. 376). Immer
sphäre zu lösen. Dazu bedarf es erst einer kurzen schon hatte sich bei Strauss der Konflikt zwischen
Phase direkter Auseinandersetzung zwischen Held der Tradition und seinen eigenen formalen Strate-
und Widersachern, die jedoch zur Ausgangstonart gien an der Behandlung der Reprise, vor allem des
Es-Dur (T. 188) zurückführt: Erwartungen einer Seitenthemas in der Reprise, zugespitzt. In Ein
neuen Stufe musikalischer Entwicklung werden Heldenleben machte Strauss diesen privaten Kon-
enttäuscht. flikt gleichsam öffentlich, indem er auf die formale
Eine Komplikation der Sonatenform resultiert Herausforderung durch eine musikalische Refle-
in Ein Heldenleben aus einer Drei-Tonarten-Expo- xion über sein kompositorisches Schaffen re-
sition, mit g-Moll und Ges-Dur als alternativer agierte. Ein solcher Schritt (wie auch seine letztli-
zweiter Tonart. Schubert, Bruckner und Mahler che Rücknahme) macht die Unterscheidung zwi-
könnten Strauss zum Vorbild gedient haben. Die schen Programm und Musik im Grunde obsolet.
Tonarten dienen als Fixpunkte musikalischer Epi-
soden, wobei diejenige der »Gefährtin« nach den
»Widersachern« eine zweite, glücklichere Begeg-
nung zwischen dem Protagonisten und der Au- Musik und Programm
ßenwelt zum Inhalt hat. (Rösch sprach von einem
»zweiten, durch zarte Farbengebung ausgezeichne- Hinsichtlich des Programms entschied sich
ten f r e u n d l i c h e n Gegensatz«, 1899, 22; Her- Strauss, in Ein Heldenleben von der detaillierten
vorh. im Orig.). In einem langwierigen Gedan- und episodischen Illustrationstechnik aus Don
kenaustausch zwischen erster Violine und Orches- Quixote Abstand zu nehmen und zu dem zurück-
ter (meist in tiefer Lage) arbeitet sich Strauss zukehren, was Klauwell »Geistesleben« nannte;
schrittweise nach Ges-Dur vor, wobei es der Vio- ähnlich war er schon nach Till Eulenspiegel in Also
line vorbehalten ist, sowohl das Liebesthema sprach Zarathustra verfahren (Klauwell 1910, 270).
(T. 192) als auch das Thema der »Weltflucht« ein- Spezifische Hinweise zum Handlungsverlauf gibt
zuführen (zuerst in T. 229, mit größerem Nach- es nur gelegentlich und in großen Abständen,
druck in T. 255). In T. 288 ist schließlich Ges-Dur obwohl die wichtigsten Charaktere und die Haupt-
als zweite Haupttonart etabliert. Die hier einset- themen derart deutlich markiert sind, dass sie
zende Musik entwickelt sich zu einem veritablen kaum eine Erläuterung benötigen. Tatsächlich
langsamen Satz, der ebenso eindeutig schließt weist das Werk nur einen sehr lockeren Hand-
(T. 327) wie Don Quixotes »Traumbild« – und auf lungsstrang auf; die sechs Hauptabschnitte betref-
ebenso grobe Weise durch die folgenden Ereig- fen weniger Ereignisse im Leben des Künstler-
nisse unterbrochen wird. Helden als seine wesentlichen Interessen: Gegner,
Es dürfte Strauss nicht schwergefallen sein, ei- Liebe, Kampf, Kreativität, Konfliktlösung. Diese
nen kolossalen, turbulent-kakophonen Kampf des Dinge seinem Publikum zu erklären, schien nicht
Helden gegen eine ganze Welt von Feinden zu schwierig, weshalb Strauss wiederum einer Erläu-
schreiben. Die Tonart c-Moll (T. 434) war bereits terungsschrift, erstmals aus der Feder Wilhelm
bei der ersten Begegnung mit den »Widersachern« Klattes, zustimmte (Walden 1908, 150–162). Der
vorbereitet worden, und die Details machten of- zufriedene Komponist bot sie Gustav Kogel an,
fenbar keine Probleme. Ganz anders die Gestal- der die Proben für die Frankfurter Uraufführung
tung nach dem Reprisenbeginn: Sie erforderte eine leitete, als dieser knapp drei Wochen vor der Pre-
Strategie, die die Tondichtung von einem durch- miere verzweifelt um nähere Informationen zum
schnittlichen zu einem originellen Werk machen Inhalt von Ein Heldenleben bat (Werbeck 1996,
sollte. Wieder arbeitete Strauss mit großen forma- 263). In seiner Einführung zielte Klatte auf eine
len Einheiten: den »Friedenswerken« und der stark vereinfachte Übersicht über die wichtigsten
»Weltflucht«. Aber neu ist der Geniestreich, genau programmatischen und musikalischen Ereignisse,
dort das Mittel der Selbstreferentialität einzuset- um mögliche Kontroversen zu vermeiden und den
zen, wo die Sonatenform zu einem Problem abso- Zuhörer nicht allzu sehr herauszufordern. Ledig-
luter Musik geworden war, wie Strauss es bereits lich seine Kommentare zu der ersten Themen-
21. Tondichtungen: Ein Heldenleben 423

gruppe zeigen einige interessante Nuancen auf schon Guntram und Till Eulenspiegel geprägt
emotionaler Ebene. So unterscheidet er etwa die hatte: die Destruktion des (in Don Quixote noch
»Schwungkraft« des Helden (T. 1, 3) von seinem einmal nostalgisch verklärten) Idealismus und ihre
»stolzen und festen« Schritt (T. 7) und seinem Konsequenzen. Mit seiner Formulierung von ei-
»trotzigen Willen« (T. 13; Walden 1908, 154). ner musikalischen »Vieldeutigkeit« in Ein Helden-
Im Sommer 1899 schrieb Strauss’ Freund Fried- leben – den gleichen Begriff hatte schon Merian in
rich Rösch einen zweiten Führer, dabei wie Klatte seiner Zarathustra-Analyse verwendet (Merian
»den eigenen Angaben und Erklärungen des Ton- 1899, 15) – konnte Rösch also auch auf diese per-
setzers in grossen Zügen folgend« (Rösch 1899, sönliche Bedeutungsebene anspielen. Sie dürfte
17). Doch Rösch hatte weiter reichende Intentio- zudem Strauss’ Auswahl der Selbstzitate in den
nen. Der Sinn einer Erläuterung, so führte er aus, »Friedenswerken« motiviert haben. Der Abschnitt
könne nicht in immer genaueren programmati- beginnt mit Don Juan: Hornthema (T. 686) sowie
schen Angaben liegen, sondern in einer Reaktion erstes Seitenthema (T. 688), gekoppelt mit dem
auf die Vieldeutigkeit der Musik, die einer moder- Sehnsuchts-Thema aus Also sprach Zarathustra,
nen Tondichtung ebenso eigne wie schon Beet- stehen für heroisches Selbstvertrauen ebenso wie
hovens »absoluten« Symphonien. Eine Erläute- philosophisches Streben und markieren damit den
rung helfe zum Verstehen des »künstlerischen Weg, den Strauss von Anfang an in seinen Ton-
W i l l e n s « des Komponisten durch den Hörer, dichtungen verfolgte. Am Ende, auf dem Höhe-
könne ihn freilich auch in die Irre führen, wenn punkt wirbelnder polyphoner Reminiszenzen,
sie sich zu sehr an den »Verstand« und nicht an das verschmilzt Guntrams Abschiedsthema mit dem
»Gefühl« wende (Rösch 1899, 15–17; Werbeck visionären Ideal Don Quixotes in Ges-Dur (T. 753),
1996, 264–66) – eine auffällig ähnliche Argumen- eine letzte Hommage an schöne, aber vergangene
tation wie die, der sich Cosima Wagner bei ihrem Träume. (Kaum zufällig blieb auch hier die Tonart
Kommentar zu Don Juan bedient hatte (s. o. der Themen erhalten; beide entnahm Strauss so-
S. 387). Deshalb fügte Rösch seinem Text ein von zusagen demselben musikalisch-philosophischen
Eberhard König verfasstes, die Musik umschrei- Vorrat.) Wie sich bald zeigt, reagiert die Welt auf
bendes Gedicht (ein Verfahren, das wir bereits von diese Bekenntnisse gleichgültig, verständnislos
Ritters Gedicht zu Tod und Verklärung kennen) (T. 782); für Strauss ein Grund mehr, sie aus den
ebenso hinzu wie eine Analyse, die mit ihrem öffentlichen Erläuterungen herauszuhalten.
Detailreichtum die übrigen von Strauss’ autori- In privaten Kontexten fielen Strauss persönli-
sierten Erläuterungen weit übertrifft. Im Übrigen che Aussagen leichter. Zu erinnern ist an die von
vertrat Rösch die Ansicht, wirklich kompetente ihm im Frühjahr 1900 gezogenen Parallelen zwi-
Hörer brauchten solche Erläuterungen letztlich schen seiner Frau und »des Helden Gefährtin«, die
nicht: eine Position, die Strauss zwar grundsätzlich Romain Rolland überlieferte: »Ich wollte meine
teilte, aber (im Gegensatz etwa zu Mahler) prak- Frau darstellen. Sie ist sehr komplex, sehr weib-
tisch ignorierte. lich, ein wenig pervers, ein wenig kokett, niemals
Zweifellos wusste Rösch, dass Ein Heldenleben sie selbst, jede Minute anders« (Hülle-Keeding
für Strauss eine weitaus größere persönliche, aber 1994, 166). Das ist ebenso glaubhaft wie Strauss’
wohl auch philosophische Bedeutung hatte, als er Hinweis, der Held sei zunächst seiner »Gefährtin«
gegenüber der Öffentlichkeit zugeben wollte. musikalisch gefolgt, dann jedoch standhaft geblie-
»Innere Feinde: Zweifel, Ekel« waren schon in Also ben, bis sie sich ihm, d. h. seiner Tonart genähert
sprach Zarathustra die eigentlichen Gegenspieler habe. Autobiographisch deuten ließen sich viel-
gewesen. Hier hatte Strauss, Nietzsche folgend, leicht auch die »Widersacher«, d. h. die Strauss-
wiederkehrende, existentielle Zweifel als zum Kritik (T. 118), und zwar mit Blick auf die ver-
Wesen des Menschen gehörig akzeptiert. Die hängnisvolle Münchner Erstaufführung von
Schlacht in Ein Heldenleben ließe sich zumindest Guntram am 16. November 1895: vermutlich das
partiell als Fortsetzung einer philosophisch-musi- einzige Ereignis in Strauss’ Karriere, bei dem die
kalischen Konstellation verstehen, die das Ende Presse ihn einstimmig verspottete. (Steinitzer
von Also sprach Zarathustra verheißen und die hörte aus dem »feindseligen Zischlaut« der 1. Flöte
424 Instrumentalmusik

in T. 118 sogar »süddeutschen Jargon und Tonfall« handelten Probleme offenbar. Das Eindringen der
heraus; Steinitzer 1911, 239.) Widersacher (T. 867) mit verzerrten Klängen in
Nicht von ungefähr neigt man seit jeher dazu, die Idylle der »Weltflucht« wiederholt den Effekt
Ein Heldenleben autobiographisch zu interpretie- des mehrmals erklingenden C am Ende von Also
ren, aber nicht nur als »ein Stück eigener Seelen- sprach Zarathustra. Strauss macht uns klar, dass
geschichte« (Nodnagel 1902, 93), sondern als eine sich Störungen niemals beseitigen lassen. Auch der
Synopse von Strauss’ Schaffen bis 1898. Aus dieser keineswegs subtile Anklang an das Natur-Motiv in
Perspektive ließe sich die »Walstatt« als Periode Also sprach Zarathustra (T. 920) wäre in diesem
größter kreativer Aktivität interpretieren, darauf Zusammenhang zu nennen. Gleichwohl offeriert
gerichtet, die Opposition der Kritiker zu bezwin- der Komponist am Ende von Ein Heldenleben
gen (wie es Strauss nach dem Guntram-Debakel (1946 sprach Strauss Schuh gegenüber ironisch
mit vier Tondichtungen in vier Jahren tatsächlich von einem »Staatsbegräbnis« [Schuh 1976, 504])
versucht hatte). Die »Friedenswerke« schließlich einen Ton der Akzeptanz, wenn nicht gar von
wären Dokumente eines künstlerischen ›Helden- Optimismus, der in Zarathustra fehlt und die
lebens‹, letzte Reflexion eigener kompositorischer »Vollendung« des Helden evoziert. Nicht mehr
Leistungen. erzählt die Musik vom Unversöhnlichen, sondern
Der Schluss evoziert noch einmal die starken von der gereiften Einsicht in das Unversöhnliche.
Berührungspunkte mit Don Quixote. Strauss selbst Strauss hat sich von den philosophischen bzw.
hatte die Parallelen zwischen beiden Werken zwar ästhetischen Konflikten, die er in seinen Werken
stets betont, allerdings kaum erläutert. Rösch austrug, durch rastlose schöpferische Arbeit ebenso
entdeckte bei dem zur »Weltflucht« führenden ferngehalten wie durch familiäre Stabilität, an der
Abschnitt (T. 828) eine »beziehungsreiche Anspie- ihm über alles gelegen war. Insofern war er tatsäch-
lung« auf die analoge Passage in Don Quixote, als lich, in Brechers Charakterisierung, »ein von künst-
der traurige Ritter »in seine ländliche Heimat zu- lerischer Schaffensfreude beseelter Übermensch«
rückkehrt, um dort noch kurz vor seinem Tode (Brecher 1900, 45). Seit der Revision von Guntram
des Wahnsinns zu genesen« (Rösch 1899, 38). suchte Strauss eine Antwort auf die Frage, wie er in
Auch die Liebesszene ließe sich anführen, sofern einer nihilistischen Welt nach Schopenhauer weiter
man die »Gefährtin« als eine Verschmelzung von komponieren sollte. Seine Antwort, die Quelle sei-
Sancho Pansa (dem Gefährten) und dem Ideal ner ganz privaten Vollendung, lag in der Hinwen-
bzw. Dulcinea versteht: In beiden Werken, Don dung zur künstlerischen Arbeit und zur Familie.
Quixote wie Ein Heldenleben, führt eine längere
Konversation zu einer in sich abgeschlossenen,
stabilen Episode, in der der Held über eine höhere
Form von Liebe nachsinnt. Genauer besehen Wirkung
werden alle stabilen Episoden in Ein Heldenleben
durch Passagen mit ›suchendem‹ Charakter vorbe- Die Reaktionen von Publikum und Kritik auf Ein
reitet. Formale Überleitungen, verkörpern sie auf Heldenleben waren gespalten. Ein anonymer Re-
programmatischer Ebene das Streben eines Hel- zensent, der bei der von Strauss geleiteten Frank-
den nach Vollendung. furter Premiere am 3. März 1899 zugegen war, be-
Die offensichtlichen Parallelen zwischen bei- richtete in Signale für die musikalische Welt von
den Werke geben Anlass, weitere Zusammenhänge einem »lebhaften äußeren Erfolg«, doch fessele das
zwischen allen Tondichtungen des zweiten Zyklus Werk mehr »durch glänzendes orchestrales Äußere
in den Blick zu nehmen. Beispielsweise schließen als durch bedeutenden Gedankeninhalt« (Schmid
alle Stücke mit Epilogen. In Till Eulenspiegel und 1997, 370–374). Ein Kritiker der Frankfurter Zei-
Don Quixote verlässt Strauss den kritisch-komi- tung lobte das Werk als »in der wiederum außeror-
schen Ton zugunsten des sentimentalen, als ob er dentlich komplizirten thematischen Verarbeitung
einen unangenehmen Nachgeschmack vermeiden wahrhaft genial concipirt« und pries »die absolute
wollte. Also sprach Zarathustra und Ein Helden- Selbständigkeit der musikalischen Gedanken«,
leben hingegen machen die Unlösbarkeit der ver- kritisierte jedoch scharf die »Widersacher«-Epi-
21. Tondichtungen: Symphonia domestica 425

sode, deren Motive »den Hörer förmlich überfal- nist habe mit Ein Heldenleben bewusst von den
len«. Nach der Berliner Aufführung am 22. März Experimenten in Don Quixote Abschied genom-
beklagte ein Kritiker der Vossischen Zeitung, men, die Sackgasse, in die er hier (und im Grunde
Strauss habe »seine Neigung zur Maßlosigkeit im auch mit Till Eulenspiegel ) geraten sei, verlassen
Ausdruck nicht […] einschränken können«, und und eine neue Richtung eingeschlagen (Werbeck
verstieg sich zu dem Urteil, »die holdeste der 1996, 264 f.). Marschalk hatte zuvor Hahns detail-
Künste« sei »entweiht«. Rudolf Fiege, Kritiker der lierte Erläuterungen zu Don Quixote ebenso wie
Blätter für Haus- und Kirchenmusik, berichtete, das die Musik scharf kritisiert, sie stelle den Kern
Stück habe »viel Lärm auf der Gasse gemacht« dieser Kunstform in Frage und lege Strauss’ krea-
und »Zischen« des Publikums provoziert, doch tive »Unkraft« offen. Strauss reagierte durch das
hätten solche übereilten Reaktionen auch Wagners Sprachrohr Rösch, der in seiner Schrift den Wert
Meistersinger getroffen und damit letztlich das von Erläuterungen mit möglicherweise vom Kom-
Publikum und nicht den Komponisten diskredi- ponisten selbst stammenden Formulierungen
tiert. Vor der ersten Dresdner Aufführung (am verteidigte (Werbeck 1996, 264, Anm. 690). Bei
29. Dezember 1899) schrieb der Dirigent Ernst jeder Art von Musik – programmatisch oder
von Schuch an den Kritiker der Dresdner Neuesten nicht – seien Erläuterungen hilfreich, könnten
Nachrichten, Hermann Starcke, er hoffe, die Ton- allerdings durch ein Übermaß an Informationen
dichtung werde die positive Aufnahme finden, die »nur zu leicht den selbständigen, rein künstleri-
sie »ob ihrer genialen Größe verdient« habe. Auch schen Eindruck vernichten« (Rösch 1899, 15 ff.).
Strauss’ Vater Franz teilte einige Vorbehalte der Marschalks Ansicht, Ein Heldenleben stelle eine
Kritiker. Er besuchte am 18. Oktober 1899 in Kehrtwende dar, weist Rösch allerdings zurück.
München eine Aufführung unter Leitung seines Erst recht sollten die letzten beiden Tondichtun-
Sohnes. Anschließend riet er ihm – durchaus gen mit ihrer Rückkehr zu musikalischer Illustra-
typisch –, zukünftig »mehr melodische Ruhe- tion Marschalks These gegenstandslos machen –
punkte und schärfere Einschnitte, was die Form wenngleich Strauss nach wie vor mit der Frage
anbelangt« anzubringen und »geiziger mit dem rang, wie viele programmatische Informationen er
Blech« umzugehen (Schuh 1954, 228). seinen Hörern geben sollte.
Letztlich avancierte Ein Heldenleben zu einer
von Strauss’ erfolgreichsten Tondichtungen und
fand bald Aufnahme in das Standardrepertoire.
Nach der Premiere wurde das Stück in der ersten
Saison siebenmal gespielt – mehr als andere Ton- Symphonia domestica
dichtungen im vergleichbaren Zeitraum –, und in
den folgenden zehn Jahren gab es mehr Auffüh-
op. 53 TrV 209
rungen als von jeder anderen Tondichtung außer
Till Eulenspiegel. Vor Ablauf der Saison 1902/03 Entstehung
war Ein Heldenleben in jeder größeren europäi-
schen Stadt erklungen. Dieser Erfolg lässt sich In den fünf Jahren, die Ein Heldenleben (vollendet
auch mit der Werbung durch den Komponisten am 27. Dezember 1898) und die Symphonia domes-
selbst erklären: Von den 86 Aufführungen vor tica (31. Dezember 1903) voneinander trennen,
1908 leitete Strauss immerhin 38: ein deutlich hö- war Strauss mit der Komposition einer Oper be-
herer Anteil als bei früheren Werken. Nicht zu schäftigt, ebenso wie vorher im ähnlich langen
unterschätzen ist darüber hinaus die wachsende Zeitraum zwischen Tod und Verklärung (18. No-
Bedeutung von Strauss’ Ruf als Komponist und vember 1889) und Till Eulenspiegel (6. Mai 1895).
Dirigent, die die Kritik an seinem Werk ähnlich Diesmal kamen zur Oper noch Orchesterwerke:
hinterhältig erscheinen ließ wie die Attacken, die 1899 eine »Künstlertragödie« (aus der sich später
er in seiner Musik bloßgestellt hatte. Eine Alpensinfonie entwickelte; vgl. S. 432) und das
Eine Reaktion, die Strauss offensichtlich ernst Projekt einer »Frühling« betitelten Tondichtung,
nahm, war Max Marschalks These, der Kompo- mit der Strauss im Frühjahr 1898 begonnen hatte.
426 Instrumentalmusik

Ein Heldenleben sollte also nicht sein orchestrales Familienporträt« werden (Werbeck 1996, 172–182).
Œuvre abschließen – anders als einige seiner Zeit- Damit widersprach Strauss allerdings der meta-
genossen meinten. Gustav Brecher beispielsweise physischen Autorität, die noch immer, ganz im
schien »eine weitere Möglichkeit des Ausbaues der Sinne von Schopenhauers Konzeption absoluter
symphonischen Dichtung über das ›Heldenleben‹ Musik, mit der Gattung Symphonie verbunden
hinaus […] kaum denkbar« (Brecher 1900, 44). wurde. Wenn Musik, und zumal die Symphonie,
Auf der anderen Seite sollten Kritiker – sogar sol- eine »Gegenwelt« zur Realität darstellte (Dahlhaus
che, die Strauss eigentlich gewogen waren – das 1974, 10), dann unterhöhlte Strauss gezielt diese
Werk als Beleg dafür heranziehen, dass die kreative Tradition mit einer ›Symphonie‹, in der »Papa […]
Kraft des Komponisten im Bereich der Orchester- von der Reise« zurückkommt, »müde«, »Mama
komposition zurückgegangen sei (Del Mar 1962, […] Bubi zu Bett [bringt]«, und in der alle drei so
164 ff.) profane Abenteuer wie einen »gemütliche[n] Fa-
Der Gebrauch des Begriffs »Symphonie« in den milientisch« und »a bisl Zank und Streit« erleben.
Titeln der letzten beiden Tondichtungen legt Im Gegensatz zu Mahler, der zur selben Zeit aller
nahe, dass Strauss mit ihnen die Werkgruppe der Welt seine Ablehnung von Programmmusik ver-
Tondichtungen abschließen wollte. Gattungsbe- kündete, um seine eigene Musik als Verkörperung
zeichnungen in Werktiteln gebrauchte er niemals eines ästhetischen Idealismus zu propagieren (etwa
beliebig, weder in seinen Tondichtungen (die in der 5. Symphonie von 1902), verband Strauss
»leichteren« Till Eulenspiegel und Don Quixote seine Musik demonstrativ mit der physischen
wurden nicht explizit als solche klassifiziert) noch Welt, und dies mit einer weit über seine früheren
in seinen frühen Opern: Hier verzichtete Strauss Werke hinausgehenden, geradezu photographi-
zuerst auf die Gattung (»Guntram in drei Auf- schen Programmatik.
zügen«) und wich dann auf Termini wie »Sing- Obwohl für T. 1–599 keine Entwürfe überlie-
gedicht« (Feuersnot), »Musikdrama« (Salome), fert sind, lassen sich aus Skizzen zum weiteren
»Tragödie« (Elektra) und »Komödie« (Der Rosen- Verlauf des Werks, aus dem Particell und der
kavalier) aus. Erst Adriane auf Naxos war eine vollendeten Orchesterpartitur wichtige Schlüsse
»Oper« (allerdings in einem nicht unbedingt tra- ziehen. Einige Elemente aus der ersten Kon-
ditionellen Sinn) zeptionsphase finden sich bis zuletzt: die drei
Als Strauss, zumindest auf dem Papier, zum Hauptthemen (bei den ersten beiden handelt es
Gattungsbegriff der Symphonie zurückkehrte, sich allerdings eher um Themengruppen): »Papa«
wollte er offenbar daran erinnern, dass er seine in F-Dur, »Mama« in H-Dur und »Bubi« in
Karriere mit zwei Symphonien begonnen hatte, D-Dur; dann ein Scherzo, eine scène d’amour, und
mit Werken also, von denen zumindest das zweite zuletzt eine Morgenszene (»Le matin«): »Bubi
ihn bei einem größeren Publikum bekannt ge- schreit«, »fröhliches Erwachen«, »Zank und Streit«,
macht hatte (vgl. Kap. 22). Jetzt betrachtete er die gefolgt von »Versöhnung und Ende in Heiter-
musikalischen, ästhetischen und philosophischen keit«.
Fragen, die mit der altehrwürdigen Gattung der Strauss nahm allerdings im Verlauf des Kom-
Symphonie verbunden waren, freilich aus einer positionsprozesses, teilweise ungewöhnlich spät,
völlig anderen Perspektive, hatte er sich doch erhebliche Änderungen am Programm vor: Die
mittlerweile als ein führender Komponist im letzte Entscheidung über den Schluss des Werks
deutschsprachigen Establishment festgesetzt und etwa wurde nicht vor Abschluss der Orchesterpar-
sich einen Namen als radikaler Neuerer gemacht, titur getroffen. Der Abschnitt vom Ende der Fuge
der die Grundfesten eben dieses Establishments bis zum Schlusstakt scheint Strauss besonders viel
erschütterte. Mühe bereitet zu haben, da er für den Fugenhöhe-
Die erhaltenen Entwürfe zur Symphonia domes- punkt, die »Versöhnung«, den Höhepunkt des
tica zeigen, dass Strauss das Werk von Anfang an »Bubi«-Themas und die Verkürzung dieses The-
symphonisch konzipierte: Es sollte, wie er im mas in F-Dur (T. 1361) verschiedene Versionen
frühesten, vom 25. Mai 1902 datierten Programm- entwarf. Eine andere wichtige späte Entwicklung
entwurf notierte, »ein sinfonisches Selbst- und vollzog sich mit der Umarbeitung des Themas in
21. Tondichtungen: Symphonia domestica 427

T. 5 – vermutlich die Musik zu »Papa arbeitet« in I. Einleitung und Entwickelung der drei Haupt-
der Konzeption vom Mai 1902 – zu einem »cantus themengruppen.
firmus« (Werbeck 1996, 179), der verschiedene II. Scherzo (Elternglück, kindliche Spiele, Wie-
Abschnitte des Stücks verbindet. genlied; die Glocke schlägt 7 Uhr abends).
Programmatische Hinweise im Particell fehlen III. Adagio (Schaffen und Schauen, Liebesszene,
in anderen erhaltenen Quellen; freilich lässt sich Träume und Sorgen; die Glocke schlägt 7 Uhr
ohne die Skizzen für T. 1–599 nicht sagen, ob es morgens).
sich um späte Ideen handelt oder ob Strauss sie IV. Finale (Erwachen und lustiger Streit [Doppel-
von Anfang an verfolgte: etwa »Bubi spielt« fuge]; fröhlicher Beschluß).
(T. 218), »Mama spielt mit« (T. 242), »nachdenk- Hatte Strauss das Publikum bei den ersten
liche Fragen des Kindes« (T. 401–404), »zärtliche Aufführungen von Also sprach Zarathustra noch
Antwort der Mutter« (T. 406), »Heimweg« mit der Behauptung verwirrt, er habe die Ton-
(T. 436), »abendliche Waschung des kleinen Un- dichtung »beinahe in der alten Viersätzigkeit«
geheuers« (T. 477), »Wiegenlied« (T. 517) und komponiert, so legte er nun ein Werk vor, das sich
»Gute Nacht« (T. 552). Ein besonders merkwürdi- durch seine Struktur leicht als Symphonie iden-
ger Fall ist die Umwidmung von T. 599 ff. zu tifizieren ließ. Ebenso leicht lassen sich Merk-
»Schaffen und Schauen«, nachdem Strauss hier male einer großangelegten Sonatenform wieder-
ursprünglich die Liebesszene beginnen lassen finden. Ein geschlossener erster Abschnitt in
wollte: eine Revision, die möglicherweise erfolgte, F-Dur (T. 1–152) fungiert offenbar als eine Art
weil die später ergänzten kontrapunktischen Takte Hauptsatz. Ihm steht (T. 156 ff.) ein umfangreicher
643–691 nicht zur Liebesszene passten (Werbeck Seitensatz in d-Moll/D-Dur gegenüber, abge-
1996, 181). Diese und andere konzeptionelle Un- schlossen von einer strukturell bedeutsamen,
sicherheiten deuten an, warum Strauss mit der durch ein Guntram-Zitat angereicherten Kadenz
Fertigstellung der Tondichtung über anderthalb in T. 362. Eine Folge von Episoden entspricht der
Jahre brauchte. Am 6. August 1902 hatte er zwar Durchführung, bis schließlich in T. 826 mit dem
alles »bis zum Beginn des Adagios« abgeschlossen. Seitenthema als erstem Thema einer Doppelfuge
Das Particell jedoch war erst am 2. August 1903 eine tonartgetreue Reprise beginnt. Angesichts
fertig, und die Orchesterpartitur, begonnen am solcher Merkmale und in Kombination mit der
17. Mai 1903, wurde am letzten Tag dieses Jahres symphonischen Mehrsätzigkeit erscheint die Sym-
abgeschlossen. phonia domestica als Strauss’ vielleicht deutlichstes
Beispiel einer »double function form« – zumindest
auf der Ebene des formalen Bewusstseins, dass von
einem durchschnittlichen Hörer erwartet werden
Musikalische Struktur konnte.
Diese formale Bewertung lässt jedoch viele
In seiner offenbar unter Strauss’ Anleitung verfass- mehr oder weniger subtile strukturelle Details
ten Erläuterung der Domestica wies Wilhelm außer Acht. So bilden die ersten beiden von Klat-
Klatte auf eine »deutliche Anlehnung an das alte tes drei »Hauptthemengruppen« – in der Partitur
Formenschema der Symphonie« hin (Klatte 1907, als 1. (T. 1), 2. (T. 41) und 3. Thema (T. 157) mar-
2). Er gründete sein Urteil auf einen knapp gefass- kiert – eine kleinräumige Sonatenform: Das eröff-
ten, von Strauss autorisierten Formplan, der bei nende maskuline F-Dur-Thema moduliert über
der deutschen Erstaufführung am 1. Juni 1904 in g-Moll und E-Dur zum ersten femininen Thema
Frankfurt am Main anlässlich des Tonkünstlerfes- in H-Dur (T. 41), von da aus zu kurzen Abschnit-
tes des Allgemeinen Deutschen Musikvereins im ten in B-Dur, F-Dur und Fis-Dur. Eine durchfüh-
Programmheft abgedruckt wurde. Dieser Plan rungsartige Episode (T. 61) mündet in eine Reprise
enthielt vier Hauptabschnitte, von denen die (T. 92), die Material aus beiden Themengruppen
letzten drei auch in der Orchesterpartitur als in verschiedenen Kombinationen enthält und mit
»Scherzo« (T. 217), »Adagio« (T. 599) und »Finale« einer F-Dur-Kadenz beschlossen wird (T. 152).
(T. 824) bezeichnet sind: Klatte wie auch Alfred Schattmann (Walden
428 Instrumentalmusik

163 ff.) betonten die strukturelle Bedeutung dieser Anscheinend beschwört das Werk die Formen
Kadenz, bedachten jedoch nicht deren Konse- von Symphonie und Sonate herauf, um sie ad
quenzen: Die musikalische Kohärenz des ersten absurdum zu führen. Bedeutende formale Ereig-
Abschnitts (T. 1–152) ist weitaus größer als die des nisse entsprechen keineswegs der symphonischen
ersten ›Satzes‹ (T. 1–217). Auch der Abschnitt in Oberflächenstruktur; das der Sonatenform inhä-
d-Moll/D-Dur (T. 156) wird erst in T. 362 von ei- rente Ziel, in der Reprise das Seitenthema in der
ner ähnlich bedeutenden Kadenz beendet. Das Tonika zu bringen, wird triumphierend außer
Scherzo beginnt folglich (T. 218) innerhalb eines Kraft gesetzt (das 3. Thema erscheint in T. 1321 in
geschlossenen Abschnitts. D-Dur). Indem die Musik die althergebrachten
Auch der Vielfalt der sich zwischen der D-Dur- Formen unterminiert, verrät sie die eminente
Kadenz in T. 362 und dem Beginn des Adagios formale Funktion des Programms. So stellt Strauss
entfaltenden musikalischen Ereignisse wird nicht mit dem ersten Thema bzw. der ersten Themen-
gerecht, wer sie lediglich als Teil eines schon früher gruppe in lediglich 36 Takten nicht weniger als
begonnenen Scherzos auffasst. Die Rückkehr nach fünf musikalische Ideen vor, die im Hinblick auf
F-Dur (markiert durch eine neue thematische Idee ihren thematischen Gehalt, ihre Tonart und ihren
mit zärtlichem Charakter in T. 437), die sanfte Ausdruck derart verschieden sind, dass sie fast
Kadenz in T. 465 mit ihrem Mozart entlehnten keine Verbindung miteinander zu haben scheinen:
dreifachen Vorhalt, der mächtige Gefühlsausbruch Da gibt es eine »gemächliche« Linie in F-Dur, die
in T. 479, das an Mendelssohn erinnernde »Wie- aus dem tiefen Register in die Höhe wandert
genlied« (so die Überschrift in der Partitur) in (T. 1), eine »träumerische«, über einem statischen
g-Moll in T. 517 (mit Kadenz in T. 547), die er- g-Moll-Klang schwebende Vision, gespielt von
neute Beschäftigung mit dem »cantus firmus« aus einer Oboe (T. 5), einen tonartlich instabilen
T. 5 in T. 559, die volkstümlich klingenden Terzen Augenblick »mürrischer« Laune (T. 16), eine für
in T. 589, die diesen Abschnitt abschließen: All Strauss charakteristische »feurige« erotische Steige-
diese Elemente untergraben die These, es könnte rung in E-Dur sowie eine »lustige« Trompeten-
sich bei T. 218–598 um einen in sich abgeschlosse- fanfare in C-Dur (T. 33). Diese bemerkenswert
nen Scherzo-Satz handeln. Ihr Abwechslungs- präzisen Miniaturporträts, jedes dazu bestimmt,
reichtum verbietet überdies ihre Bewertung als eine Facette im Charakter des Helden darzustel-
Komponenten einer groß angelegten Durchfüh- len, folgen nicht im Sinne autonomer musikali-
rung. Die Rückkehr nach F-Dur (T. 437), die dem scher Logik, sondern möglichst scharfer Kontraste:
Scherzo einen Schluss in D-Dur verweigert, wie filmische Überblendungen, die die wunder-
könnte vielleicht für ein Rondo sprechen, nach bare Leichtigkeit illustrieren, mit der Strauss von
einem F-Dur-»Ritornell« T. 1–152. Wie auch im- einer Welt in die nächste zu wechseln vermochte.
mer, die Musik scheint in ihren Details einer Lo- Mit dem 2. Thema exponiert Strauss eine
gik zu folgen, die sich von derjenigen der Mehr- ebenso reichhaltige Sammlung musikalischer
sätzigkeit der Symphonie und ebenso wie von der Ideen, mit einer ungestümen Umkehrung von
Sonatenform unterscheidet. Papas erstem Thema (H-Dur, T. 41), einem ruhi-
Ähnliches lässt sich vom Adagio sagen, das sich gerem Motiv mit nahezu identischen rhythmi-
in drei deutlich unterschiedene Abschnitte glie- schen Profil (T. 47), einem »gefühlvollen« Gedan-
dert (T. 599–694, 695–771 und 772–823), von de- ken mit eleganter Figuration (Fis-Dur, T. 55) und
nen keiner sich auf ein Adagio-Tempo beschränkt. einer Reihe insistierender Sechzehntel, die viel
Und Ähnliches gilt für das Finale mit Doppel- später als Gegenbehauptung in der Doppelfuge
fuge (T. 838), einer vorübergehenden Erholung erneut begegnen. Gemeinsamkeiten zwischen
(T. 1043) – mit wichtigen Unterabschnitten wie Mann und Frau sind nicht schwer zu finden. Pa-
einer Rückkehr zum Anfangsthema in T. 1092 und pas thematisches Material in E-Dur (vor allem
einer geradezu volkstümlichen Passage in T. 1117 – T. 21–23) ähnelt T. 55 f.: Stets schwingt sich ein
und einer gigantischen Coda (T. 1149) mit einer Arpeggio in die Terzlage und von dort, nach Über-
pompösen Darstellung des dritten Themas in bindung, hinauf zur Quinte, bevor es in Achteln
D-Dur als Höhepunkt (T. 1321). wieder abwärts geht. Strauss zielt im 2. wie im
21. Tondichtungen: Symphonia domestica 429

1. Thema auf die Exposition kontrastierender Programm weiß. So verlangt die auf absurde Weise
Gedanken, die später in verschiedenen Kombina- ausgedehnte Coda – ein lärmender Exzess, der
tionen miteinander verwoben und dabei als Leit- an den bombastischen Schluss von Beethovens
motive eingesetzt werden können. Um es mit 5. Symphonie erinnert – nach ihrer Rechtfertigung
Wagner zu sagen: »Diese Einheit gibt sich […] in in einem Werk, das Häuslichkeit zum Thema hat.
einem das ganze Kunstwerk durchziehenden Ge- Ebenso steht die massive Orchestrierung in einem
webe von Grundthemen, welche sich, ähnlich wie provokanten Gegensatz zum Gestus einer gele-
im Symphoniesatze, gegenüber stehen, ergänzen, gentlich geradezu volkstümlich inspirierten Naivi-
neu gestalten, trennen und verbinden« (Wagner tät. Bei einem weniger bedeutenden Komponisten
1879, 185). So kann das gesamte motivische Mate- könnten solche Entscheidungen irritieren. Bei
rial der beiden ersten Themen einen emotionalen Strauss jedoch handelt es sich um integrale Ele-
Plot schaffen, der alles andere als rein musikalisch mente einer spielerischen und ironischen, aber
ist. Und wenn es sich bei dem 3. Thema tatsäch- ernstgemeinten künstlerischen Gesamtkonzep-
lich lediglich um ein einzelnes Thema handelt, tion.
dann will Strauss die Aufmerksamkeit auf die
zentrale musikalische Idee des Werks lenken und
zugleich darauf hinweisen, dass die Hauptdefini-
tion von Kindheit ein Fehlen von psychologischer Musik und Programm
Komplexität ist.
Auch mit der Behandlung des »cantus firmus« In der Einleitung, die seiner Erläuterung zur Sym-
wird ein Prozess eingeleitet, der sich einerseits phonia domestica vorangestellt ist, verteidigt Klatte
durchaus rein musikalisch beschreiben lässt und Programmmusik auf überzeugende und ausgewo-
andererseits zu einer programmatischen Interpre- gene Weise, wobei er sich selbst positioniert zwi-
tation einlädt. Wenn das Thema zum ersten Mal schen glühenden Befürwortern von »in Tönen
erklingt (T. 5), bricht es unvollständig ab, was die dargestellten Räubergeschichten« und frommen
»mürrische« Stimmung im Anschluss erklärt. »Puritanern«, die alles, was keine »reine Musik«
Strauss kommt beim nächsten Auftritt des The- bzw. »die Musik an sich« sei, verachten. Jedoch sei
mas in T. 415 auf diesen misslungenen Vorfall jegliche programmatische Information, die ein
zurück. Erneut bleibt die Musik stehen (nun in Komponist biete, ein »vom Kunstwerk Untrenn-
G-Dur anstatt in g-Moll), doch wird ihre Unter- bares«. Auf den Standpunkt vieler Verfechter von
brechung diesmal mit Gleichmut ertragen. Erst Programmmusik (darunter auch Strauss selbst),
beim dritten Auftritt in T. 559 wird das Thema sie müsse zugleich auch als absolute Musik gelten
vollständig entfaltet, und zwar in Form eines können, ließ sich Klatte nicht ein. Seiner Meinung
G-Dur-Duetts zwischen Oboe und Flöte, dessen nach missverstünden die Gegner die Funktion des
Schluss Strauss in T. 589 durch eine volksliedartige Programms im Prozess des Hörens. »Nicht an das
Terzen-Passage unterstreicht. Diese Geste hat zur Denken wendet sich die Tonsprache, sondern an
Konsequenz, dass das Thema nun auch in anderen das Empfinden und an die Phantasie.« Das Pro-
Tonarten auftritt: zunächst im erotisch konnotier- gramm gebe »der produktiven Phantasie einen
ten E-Dur (T. 631, 706; zuletzt innerhalb der Lie- Wegweiser […], in welcher Richtung sie sich zu
besszene), später in F-Dur: anfangs unvollständig bewegen« habe. Strauss habe in der Domestica kein
(T. 1006, auf dem Höhepunkt der Streitfuge), »Bilderbuch« zu komponieren beabsichtigt, son-
dann in erweiterten Sequenzen (T. 1266) und dern in einer »musikalischen Stimmung« den dem
schließlich mit einem glanzvollen letzten Auftritt Programm zugrundeliegenden gefühlsmäßigen
(T. 1458). Gehalt einfangen (Klatte 1907, 2 f.).
Obwohl die Musik der Symphonia domestica Als eine Grundsatzerklärung zugunsten von
sich mit rein musikalischen Kategorien interpre- Programmmusik, die mehr ist als bloße Illustra-
tieren lässt, überwiegt der Eindruck eines Stils, der tion, kann Klattes Text überzeugen. Der Autor
eine programmatische Interpretation nahelegt, ignorierte jedoch bei seiner Erläuterung von
ganz unabhängig davon, wie viel ein Hörer vom Strauss’ Kompositionspraxis in der Symphonia do-
430 Instrumentalmusik

mestica die Faktenlage. Strauss zielte ganz ähnlich gen mit jedem Takt der umfangreichen Partitur
wie bei Till Eulenspiegel (Klauwell 1910, 285) von bestimmte Vorgänge schildern wollte. Das hat er
Anfang an auf eine Folge musikalisch konkretisier- selbst erklärt, aber gleichzeitig hat er dem Publi-
ter Episoden. Bereits 1902 sah er acht Szenen vor: kum die Kenntnisnahme dieses detaillierten Pro-
1. »Papa kommt von der Reise zurück, müde«, grammes ausdrücklich vorenthalten, weil er die
2. »Spaziergang zu dreien im Grünen«, Symphonia domestica als absolute Musik wirken
3. »Abends gemütlicher Familientisch«, lassen wollte. Das ist keinesfalls logisch gehandelt
4. »Mama bringt Bubi zu Bett«, […]« (Spanuth 1904, 406).
5. »Papa arbeitet«, Bei den ersten Aufführungen in Europa ließ
6. »Papa und Mama seuls: scène d’amour«, Strauss mehr und mehr Informationen zu. Erst als
7. »Le matin: Bubi schreit, fröhliches Erwachen« Rudolf Louis auf die Absurdität dieses Verfahrens
8. »Zank und Streit (Mama fängt an, doch Papa hinwies, erlaubte der Komponist, wie in früheren
schließt), Versöhnung und Ende in Heiterkeit.« Fällen, die Veröffentlichung von Erläuterungs-
schriften. Louis betonte, Strauss könne keineswegs
Das sind keine Charakterportraits in der Art der zum Programm der Domestica schweigen, enthalte
drei Themen zu Beginn. Die Szenen stehen viel- sie doch »so viel rein illustrierende und realistisch
mehr für spezifische Handlungen; fast scheint es, tonmalende Momente«, dass »Straußens Ableh-
als beobachte man Charaktere auf der Bühne. nung eines detaillierenden Programms ganz und
Zusammen bilden sie einen Handlungsstrang von gar illusorisch ist« (Louis 1904, 406). Der offen-
Ereignissen an einem vierundzwanzigstündigen kundige Widerspruch zwischen dem illustrativen
Tag im Leben der Familie. Charakter der Musik und Strauss’ Widerwillen,
Obwohl einige dieser Ereignisse im Verlauf der über programmatische Details zu sprechen, ließ
Komposition fallengelassen wurden (der Familien- Louis sogar glauben, es handele sich um einen
tisch und der von einer Reise zurückkehrende er- groß angelegten »Ulk«, um das Publikum zu ver-
schöpfte Papa), wurde der programmatische wirren.
Charakter des Werkes während der Arbeit immer Mit seiner Kritik berührte Louis einen ent-
genauer gefasst. Das Particell zeigt eine große scheidenden Punkt, der fast völlig übersehen
Bandbreite an Ereignissen, etwa »Papa componirt« wurde. Die Idee, mittels der »metaphysischen«
in T. 559 und die oben angeführte Liste (S. 427). Gattung der Symphonie das banale, alltägliche
Auch Klauwell weist auf fast alle Ereignisse hin, Leben der eigenen Familie darzustellen, kam ei-
zumal im Adagio (»Schaffen und Schauen« in T. nem Affront gegen die etablierte ästhetische Tradi-
599, »Liebesszene« in T. 695, »Träume und Sorgen« tion gleich. Strauss wusste nur zu gut, in welchem
in T. 773) und im Finale (Doppelfuge und »fröh- Maße die Symphonie die letzte Bastion der ›abso-
licher Beschluß«, der mit dem fließenden Cello- luten Musik‹ mit ihren idealistischen Konnotatio-
Thema in T. 1148 beginnt). Angesichts eines sol- nen repräsentierte. Nietzsche hatte das in Mensch-
chen Befundes hatte Klatte seine Darstellung liches, Allzumenschliches (dem Werk, das Seidl zu-
ziemlich vereinfacht. folge [Seidl 1896, 62] das tatsächliche Programm
Kompliziert wird die Sachlage dadurch, dass für Also sprach Zarathustra geliefert hatte) mit
Klattes und Schattmanns Erläuterungen erst pu- Verweis auf Beethovens Neunte so umschrieben:
bliziert wurden, nachdem Strauss versucht hatte, »[…] bei einer Stelle« dieser Symphonie fühle
mit einem Minimum an programmatischen Infor- selbst der Freigeist »sich über der Erde in einem
mationen Werbung für sein Werk zu betreiben. Sternendome schweben […], mit dem Traume der
Am Tag der New Yorker Premiere (21. März 1904) Unsterblichkeit im Herzen« (Nietzsche 1878, 147).
ließ er durch den Musical Courier verlauten: »Be Es war eben diese musikalische Metaphysik, die
kind enough to accept a work of mine for once Strauss in seinen Tondichtungen untergraben
without any other explanation than its title« (Wer- wollte, und die er nun mitten aus der höchsten
beck 1996, 270). August Spanuth brachte diesen idealistischen Musikgattung attackierte.
inneren Widerspruch auf den Punkt, indem er Strauss nutzte seine Symphonia domestica also
schrieb: »[…] es ist Tatsache, daß Strauß sozusa- nicht dazu, eine abgelebte musikalische Metaphy-
21. Tondichtungen: Symphonia domestica 431

sik zu propagieren, sondern gerade umgekehrt zur malte Strauss niemals zuvor derart unverhohlene
Darstellung einer neuen persönlichen Weltan- Selbstportraits wie in der Domestica – ein Werk,
schauung, die er in einem seiner Programmskizze das immerhin zunächst den Arbeitstitel »Mein
von 1902 vorangestellten Gedicht umriss: Heim« trug. Die Themen der ersten Gruppe
Mein Weib, mein Kind und meine Musik scheinen in direkter Entsprechung zu Charakter-
Natur und Sonne, die sind mein Glück eigenschaften von Strauss zu stehen, die Darstel-
Ein wenig Gleichmut und viel Humor lung Paulines ist von romantischer Verklärung
Drin thut mir’s der Teufel selbst nicht vor!
weit entfernt (wie schon ihr Portrait in Ein Hel-
Familienleben, physische Welt und Musik haben denleben). Typisch ist die Art und Weise, wie
gemeinsam, dass sie die Sphäre der Metaphysik Strauss ganz unverstellt Tonarten zur Evozierung
ausschließen. Zwei Monate nach Abfassung des bestimmter Ideen einsetzt, etwa F-Dur für männ-
Gedichts waren Strauss’ Gedanken immer noch lichen Heroismus, E-Dur für erotische Energie
mit diesen philosophischen Implikationen be- oder Fis-Dur für eine ideale Momentaufnahme
schäftigt. In einem Interview mit der Neuen Freien der eigenen Frau. Das erinnert an spätere Darstel-
Presse am 20. Juni 1902 sagte er: »Warum soll die lungen von Robert oder Christine in Intermezzo,
Musik nicht philosophisch sein können? Meta- wo Strauss noch einmal äußerst vereinfachte Bil-
physik und Musik sind ja zwei Schwestern. Auch der seiner selbst und seiner Frau der Öffentlichkeit
in der Musik kann man seine Weltanschauung präsentieren sollte. Wie wichtig Strauss dieser
ausdrücken, und wenn man den Welträthseln Aspekt war und wie sehr er ihn bis zuletzt beschäf-
nahekommen will, kann man dies vielleicht nur tigte, verrät seine »Letzte Aufzeichnung«, als er die
mit Hilfe der Musik« (Werbeck 1996, 532). Strauss Symphonia domestica zu den Kompositionen rech-
sprach seine anti-idealistische philosophische Ein- nete, in denen »das Neue an meinen Werken« er-
stellung zwar nicht offen aus, aber sie ließ sich kennbar werde, »wie in ihnen, wie nur noch bei
leicht aus einer »Symphonia« ablesen, in der man Beethoven der Mensch sichtbar in das Werk
einem ganzen Katalog alltäglicher Trivialitäten spielt« (Strauss 1981, 182).
zuhören konnte: Lassen sich auch die bereits 1911 diskutierten
– ein schreiendes Baby (erstmals T. 191), intertextuellen Bezüge des Werkes (Steinitzer 1911,
– Tanten und Onkel, die das Aussehen des Kin- 243 f.) auf persönliche Motive zurückführen?
des kommentieren (T. 209–214), Wurde Mendelssohns Venetianisches Gondellied
– sorgloses Spiel des Kindes (T. 217), an dem sich (T. 519) in Strauss’ Familie als Wiegenlied gesun-
die Mutter später beteiligt (T. 241), gen? Benutzte der Komponist in T. 57 ein Motiv
– Fragen des Kindes an die Mutter (T. 393–405), aus Tschaikowskys Walzer op. 40 Nr. 8, um Pauli-
– Widerstände des Kleinen beim Bad (T. 479), nes Kritik an seiner mangelnden Originalität zu
– langsames Einschlafen (T. 512), karikieren (Del Mar 1962, 185; Steinitzer 1911,
– Wiegenlied (T. 519), 243)? Konnte er erwarten, dass ein aufmerksamer
– das Schlagen der Uhr um sieben Uhr abends Hörer die Bedeutung des Guntram-Zitats am
(T. 549) und um sieben Uhr morgens (T. 820), Ende von Bubis Thema in D-Dur erfasste (T. 359–
– das Arbeitszimmer des Komponisten (T. 559), 362), oder handelte es sich bei der musikalischen
– sexuelle Aktivitäten im bürgerlichen Schlafzim- Parallele zwischen den beiden jungen Helden le-
mer (mit einem beeindruckenden Höhepunkt diglich um eine private Referenz? Wichtiger als
in T. 748), mögliche Antworten scheint der Hinweis, dass
– schlechte Träume (T. 772), solche Anspielungen das Werk in der Gegenwart
– ein heftiger Streit (Höhepunkt in T. 1005). verankern, weil sie traditionelle, an abstrakter
Instrumentalmusik erworbene Hörgewohnheiten
Die gegenüber früheren Werken gesteigerte auto- erschüttern. Unbeirrt untergräbt Strauss Vorstel-
biographische Spezifik positioniert das Werk auf lungen von Abstraktion sowie von Körper- und
eine neue, selbstbewusste Weise im Hier und Jetzt. Zeitlosigkeit, um auf seine Weise für das philo-
Zwar tragen schon Guntram, Till Eulenspiegel und sophische Wohlergehen seines Publikums zu sor-
Ein Heldenleben autobiographische Züge, doch gen.
432 Instrumentalmusik

Wirkung 1951, 215). Klauwell schloss sich an (Klauwell 1910,


286–290).
Es mag uns heute seltsam vorkommen, dass viele Natürlich hatte Strauss mit dieser Disparität
frühe Rezensenten die Symphonia domestica als provozieren wollen – auf eine Art und Weise, die
einen Richtungswechsel hin zu musikalischem an der Oberfläche spielerisch erschien, aber für
Konservatismus verstanden. Schattmann zufolge eingeweihte Hörer durchaus eine tiefere Dimen-
hatten »viele« Hörer angesichts des Werktitels, der sion hatte. Rolland schien dies zu bemerken, als er
Einteilung in vier »Hauptabschnitte« und Strauss’ das Programm »un des plus audacieux défis qu’il
Abneigung, ein Programm mitzuteilen, den Ein- ait encore lancés au goût et au sens commun«
druck, der Komponist wende sich wieder »der nannte (ebd.) – obwohl er zugeben musste, selbst
absoluten Musik« zu (Walden 1908, 163). Richard die Bedeutung des Ganzen nicht zu verstehen.
Batka diagnostizierte ein »Wiedereinlenken in Strauss selbst dürfte nicht überrascht gewesen
Brahmsische Bahnen« und Leopold Schmidt wies sein, dass sich das Publikum weniger mit den
darauf hin, Anhänger absoluter Musik hätten das grundsätzlichen ästhetischen Implikationen des
Werk enthusiastisch begrüßt (Schmid 1997, 411 f.). Werkes beschäftigte als mit der Entzifferung ein-
Hans Pohl, der in seinem Rückblick auf die beim zelner programmatischer Details. Hier lag die
Frankfurter Tonkünstlerfest aufgeführten Werke wichtigste Attraktion des Stückes, ganz unabhän-
vielfach den »Kern einer rein absoluten Kunst« gig davon, ob man die grundsätzlichere Frage
vermisste, meinte, wenigstens Strauss habe mit der diskutierte, warum Strauss die Form der Sympho-
Domestica »den Weg zur Einsicht und Rückkehr nie überhaupt gewählt hatte.
gewiesen« (ebd., 414 f.). All diese Kritiker schienen Dank dieser Attraktion war die Symphonia do-
sich nicht an den offensichtlichen illustrativen mestica zunächst ausgesprochen beliebt: Keine
Qualitäten der Musik zu stören; ihnen genügte andere von Strauss’ Tondichtungen erlebte in den
Strauss’ oberflächliches Ja zur absoluten Musik, ersten drei Jahren mehr Aufführungen. Bereits vor
um ihn dort wieder willkommen zu heißen. Ende 1904 war das Werk in den Niederlanden,
Strauss machte sich über dieses Schwarz-weiß- Polen, Belgien, der Schweiz und Österreich zu
Denken in einem Brief an Oskar Bie (Ende 1904 hören. In Berlin löste es »ein Beifallsgetöse ohne-
oder Beginn 1905) lustig: Es sei doch »wunder- gleichen« aus, in Magdeburg provozierte es »Mei-
schön«, als »in den Schoß der allein seligmachen- nungsverschiedenheiten wie bei allen grossen
den absoluten Musik […] zurückkehrender Sohn« Neuerscheinungen: auf der einen Seite Achselzu-
gefeiert zu werden, nur weil es ihm eingefallen sei, cken, Kopfschütteln – auf der anderen stürmischer
»die dichterische Idee ganz zu verschweigen oder Beifall« (Schmid 1997, 416–418). Letztlich er-
nur anzudeuten« (Bie 1925, 56). reichte Strauss genau das, was er beabsichtigt
Immerhin gab es doch einige Kritiker, die die hatte: Seine Musik erregte Aufmerksamkeit, gab
Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Sympho- Anlass zu angeregter Diskussion und widersetzte
nischen und der Programmatik registrierten, ohne sich einer vereinfachenden Deutung.
allerdings das dahinter stehende Problem wirklich
zu diskutieren. Ein Korrespondent der Neuen
Zeitschrift für Musik, der die Premiere in New York
besucht hatte, bemerkte, das Werk könne trotz des
Fehlens programmatischer Informationen nicht Eine Alpensinfonie
als absolute Musik angesehen werden, dafür seien
nicht zuletzt die »gewaltigen Crescendi, der un-
op. 64 TrV 233
glaubliche Lärm« verantwortlich (Schmid 1997,
414). Karl Storck zufolge erdrückten »riesige Aus- Entstehung
drucksmittel« den »verhältnismäßig sehr einfa-
chen Vorwurf« (Schmid 1997, 419). Romain Rol- Die Anfänge der Alpensinfonie reichen, so ist es
land notierte: »La disproportion est trop forte häufig zu lesen, bis August 1879 zurück, als der
entre le sujet et les moyens d’expression« (Rolland fünfzehnjährige Strauss seinem Freund Ludwig
21. Tondichtungen: Eine Alpensinfonie 433

Thuille von einem aufregenden Abenteuer in den tigte mit der »Künstlertragödie« jedoch keines-
Bergen berichtete. Nachdem er mit einer Gruppe wegs, allein die Natur musikalisch zu malen.
von Freunden noch vor Morgengrauen aufgebro- Vielmehr entwarf er ein zweiteiliges Programm –
chen und bis zum Gipfel des Heimgarten (in der »Der Künstler« und »Katastrophe«. Im ersten Teil
Nähe von Murnau in den bayrischen Voralpen) sollten »Frage an sein Können«, »Zweifel« und eine
hinaufgestiegen war, wo er eine spektakuläre Aus- »Freundin«, die »spendet Trost u. spornt zu neuem
sicht genoss, verirrte man sich beim Abstieg, Schaffen« an, im Zentrum stehen, im zweiten die
überstand ein Unwetter und verbrachte eine »Vereinigung mit der Freundin im Liebeswahn-
Nacht durchnässt in einer Hütte. Zuhause setzte sinn«, »Ruin und der Tod des Künstlers« sowie
sich Richard sogleich ans Klavier, wo er »die ganze eine »Kurze Todtenklage des weiblichen Themas«.
Partie« musikalisch darstellte. »Natürlich riesige Dieser Handlungsentwurf orientiert sich weit-
Tonmalereien und Schmarrn (nach Wagner)« gehend am Leben Stauffers, der nach dem Ende
(Trenner 1980, 72). Mehr als dreißig Jahre sollten einer verbotenen Liebesbeziehung wie Nietzsche
vergehen, bis dieses Thema die Form einer groß- in den Wahnsinn stürzte und seine künstlerische
angelegten Tondichtung angenommen hatte. In Produktivität verlor. (Bayreuther zufolge hatten
diesem langen Zeitraum beschäftigte Strauss die Strauss und Stauffer gemeinsame Bekannte und
Thematik immer wieder, selbst wenn sie gelegent- könnten sich sogar im Winter 1883/84 persönlich
lich beiseite gelegt wurde. Am 28. Januar 1900 kennengelernt haben. Strauss erfuhr von Stauffers
schrieb Strauss seinem Vater von einer neuen Lebensschicksal jedoch aus Otto Brahms Stauffer-
»sinfonischen Dichtung«, die »mit einem Sonnen- Biographie [Bayreuther 1997, 47, 52 f.]). Die An-
aufgang in der Schweiz« beginnen sollte (Schuh klänge an Nietzsche (die unten näher beleuchtet
1954, 232). Dieses Projekt, das der Erinnerung an werden) zeigen, dass sich Strauss Mitte der 1890er
den Maler Karl Stauffer (1857–1891) gewidmet war Jahre weiterhin mit philosophischen Fragen be-
und das Strauss abwechselnd »Künstlers Liebes- schäftigte. In diesem Kontext erscheint es auch
und Lebenstragödie«, »Künstlertragödie« und bemerkenswert, dass die programmatische Funk-
»Liebestragödie eines Künstlers« nannte, sollte als tion der »Freundin«, die den künstlerisch höchst
ein Fundus für programmatisches wie musikali- bedeutenden Austausch mit einer Partnerin ver-
sches Material dienen, das später in der Alpensin- körpert, die Konzeption der Häuslichkeit in Ein
fonie Verwendung fand. Sie durchlief verschiedene Heldenleben und Symphonia domestica deutlich
Konzeptionen, die bis auf die letzte mehrsätzig überschreitet.
angelegt waren und provisorische Titel wie »Die Irgendwann zwischen 1902 und 1910 gab
Alpen« und »Der Antichrist. eine Alpensinfonie« Strauss die Arbeit an der »Künstlertragödie« auf
trugen – letztere eine auf Nietzsche zielende For- und entschied sich, Teile des dafür entstandenen
mulierung (Werbeck 1996, 188, 196–198). Materials in einem Werk über die Alpen zu ver-
Unter den musikalischen Entwürfen für die wenden. Skizzenbuch 9, das mit acht Seiten Ent-
»Künstlertragödie«, an der Strauss wahrscheinlich würfen für die »Künstlertragödie« beginnt, enthält
zwischen 1899 und 1902 arbeitete, findet sich eine einige Seiten später einen Plan für »Die Alpen«,
Einleitung, die mit derjenigen der Alpensinfonie ein Werk, das aus vier Sätzen bestehen sollte:
viel gemeinsam hat: Ein diatonischer Cluster in »I. Nacht u. Sonnenaufgang
b-Moll stellt »Nebelwallen« dar, gefolgt von einer Aufstieg: Wald (Jagd)
frühen Version des Bergthemas (T. 9–16 in der Wasserfall (Alpenfee)
Alpensinfonie) und einem kulminierendem »Son- blumige Wiesen (Hirte)
nenaufgang« mit abwärts gerichteten Sequenzen, Gletscher
die offenbar das ins Tal fallende Sonnenlicht dar- Gewitter
stellen. (Meine Diskussion der Skizzen bezieht sich Abstieg u. Ruhe
auf Werbeck 1996, 183–207. Eine weitaus detail- II. ländliche Freude. Tanz, Volksfest, Procession
liertere, jedoch in Details der Chronologie und III. Träume u. Gespenster (nach Goya)
Interpretation weniger verlässliche Darstellung IV. Befreiung durch die Arbeit: das künstlerische
findet sich bei Bayreuther 1997.) Strauss beabsich- Schaffen. Fuge« (Hervorh. im Orig.).
434 Instrumentalmusik

Die Verbindungen des ersten und letzten Satzes »Antichrist« zurückzuziehen, als er am Particell
zur »Künstlertragödie« sind offensichtlich. Sie und dann an der Partitur arbeitete, erscheint so
blieben auch in einer weiteren Versionen des Kon- eher als eine Verschleierung des programmati-
zepts bestehen (allerdings notierte Strauss für das schen Gehalts und weniger als dessen Verwerfung.
Finale hier: »Befreiung in der Natur«). 1911 ent- Dennoch bleibt die Frage, wie eine unter dem
schied er sich schließlich für eine zweisätzige Titel »Sinfonie« versammelte Folge von Naturbil-
Form. Sie wird in einem berühmten Tagebuchein- dern mit einem auf Nietzsche basierenden philo-
trag vom 19. Mai 1911 (am Tag nach Mahlers Tod) sophischen Programm zusammenzubringen ist,
zumindest angedeutet: »Ich will meine Alpensin- eine Herausforderung für jede programmatische
fonie: den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Analyse der Alpensinfonie. Ihre Entwürfe bestäti-
Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die gen, dass sie von Anfang an als eine Folge bildhaf-
Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur« ter Szenen konzipiert war (wenn auch angereichert
(Faksimile bei Kohler 1982, 42). Hier nun ist der mit Stimmungen wie »pathetisch«, »elegisch«,
Nietzsche-Bezug kaum zu übersehen. Strauss »extatisch« usw.) und dass die Reihenfolge dieser
zielte darauf, einem ersten Satz mit einem aus dem Szenen während des Entstehungsprozesses mehr
älteren Konzept entnommenen Programm (Anbe- oder weniger beibehalten wurde (deutlicher als in
tung der Natur) einen zweiten gegenüberzustellen, den übrigen Tondichtungen).
der die Reaktion eines Subjekts auf die Natur
(Reinigung, Befreiung) zum Thema hatte. Im
Kontext von Strauss’ antimetaphysischer Weltan-
schauung avanciert Natur zum Gegenmittel für Musikalische Struktur
den aus Strauss’ Sicht überholten Idealismus, der
ihn in Mahlers Werk so störte. Um diese zweisät- Angesichts des unüberhörbar illustrativen, gera-
zige Tondichtung fertig zu komponieren, stellte dezu kinematographischen Charakters der Alpen-
Strauss ältere Entwürfe, auch zur »Künstlertragö- sinfonie und Strauss’ Bereitschaft, der Partitur an-
die«, im Skizzenbuch 9 zusammen und über- nähernd zwei Dutzend programmatische Hin-
schrieb sie mit »Der Antichrist. Eine Alpensinfo- weise beizufügen, stellt sich die Frage nach dem
nie«. Damit stellte er die Konstellation von Natur, Sinn einer rein musikalischen Analyse. Sicherlich
Arbeit und Familie – hier nicht weniger wichtig kann man Elemente der Sonatenform, der viersät-
als in der Symphonia domestica – in den Kontext zigen Symphonie, der Variationsform, einer ›Ro-
von Nietzsches Philosophie. tationsform‹ (in der große formale Abschnitte va-
Warum aber kümmerte sich Strauss nur wenig riierend wiederholt werden) und sogar einer
um alle Sätze seiner diversen Konzeptionen und Rondoform feststellen (Werbeck 1996, 436–443).
komponierte vom viersätzigen wie zweisätzigen Insgesamt scheint Strauss jenem Verfahren gefolgt
Plan nur den ersten Satz: eben die einsätzige Al- zu sein, das er Hausegger folgendermaßen be-
pensinfonie, deren illustrativer Charakter im Ver- schrieben hat: »Öfters sei es ihm begegnet, daß
gleich zu Strauss’ früheren Tondichtungen am sich die Linien einer Landschaft in die Linien ei-
weitesten entwickelt ist und deren Partitur die ner Melodie mit der Grundstimmung der Land-
größte Anzahl an programmatischen Hinweisen schaft umgesetzt haben. Ein bestimmter Fall sei
enthält? Wie ich später darlegen werde, scheint er ihm auf einem Ritte in Ägypten beim Anblick
bald die Entscheidung getroffen zu haben, der eines eigentümlich geformten Gebirgsrückens
erste Satz reiche aus, um seinen philosophischen vorgekommen« (Hausegger 1903, 398). Lediglich
Standpunkt darzulegen. Allerdings enthält noch bei einigen wenigen Stellen – »Vision«, »Elegie«,
das Particell den auf ein mehrsätziges Werk ge- »Ausklang« – gab Strauss keinen Hinweis auf ei-
münzten Titel »Der Antichrist, eine Alpensinfo- nen in der physischen Welt verankerten Stimulus.
nie«, obwohl Strauss die Arbeit an weiteren Sätzen Freilich malt die Musik in allen Episoden nicht
schon aufgegeben hatte, bevor er das Particell am bloß Naturphänomene, sondern spiegelt auch die
5. August 1913 – faktisch also die einsätzige Alpen- psychologischen und emotionalen Reaktionen des
sinfonie – abschloss. Seine Entscheidung, den Titel Bergsteigers. Welche Bedeutung der musikalische
21. Tondichtungen: Eine Alpensinfonie 435

Ausdruck auch immer im Einzelnen hat und wie risches Intermezzo« in der Tonika Es-dur folgt
evident musikalische Formkategorien auch immer (T. 366); ein durchführungshaftes Fugato (T. 436);
erscheinen mögen: Die Struktur der Alpensinfonie eine instabile Passage, die in den dritten Hauptab-
folgt den verschiedenen Ereignissen einer außer- schnitt überleitet, zu dem die triumphale C-Dur-
musikalischen Handlung in ihrem linearen Ver- Vereinigung von »Gipfelthema« (T. 597), »Berg-
lauf. thema« (T. 599) und »Gesangsthema« (T. 603)
Dennoch zeigte sich Max Steinitzer in seiner gehört; eine meditative Passage voller Modulatio-
Einführung davon überzeugt, »die eigentlichen nen, konstruiert auf einer Kombination aller
künstlerischen Vorkommnisse des Werkes« lägen Hauptmotive (T. 653); eine Eintrübung der Stim-
»in der Verarbeitung« einfacher »thematischer mung (T. 729) mit einem düsteren Augenblick in
Bausteine« (Steinitzer 1914b, 4). Die so entstan- fis-Moll (T. 755); ein Unwetter in b-Moll (T. 847)
dene Musik, sofern überhaupt von einem Pro- mit bruchstückhaften und lärmenden Erinnerun-
gramm bestimmt, sei keinesfalls als »Bilderbogen« gen an frühere Motive und Themen, begleitet von
zu verstehen. Es handele sich vielmehr um » s e e - Wind- und Donnermaschine; ein ruhiger Epilog
l i s c h e Vorgänge, innere Erlebnisse einer schöp- in Es-Dur (T. 1036), von Orgel und Bläsern einge-
ferischen Persönlichkeit« (Steinitzer 1914b, 3 f., leitet, in dem das Gesangsthema in der Art eines
Hervorh. im Orig.). Steinitzer, mit Strauss be- »mit steigender ruhiger Innigkeit gefühlten Ge-
freundet, hat seinen Text fraglos auf Informatio- bets« neu gefasst wird; der Abschluss in b-Moll, in
nen des Komponisten gestützt. Offenbar störte es dem nochmals der Cluster des Anfangs erklingt
Strauss nicht, dass sein Freund und Biograph die (ebd., 5–20). Mit seiner Beschreibung, die er durch
bis dahin einseitigste musikalische Einführung eine ausführliche Auflistung der Hauptthemen
schrieb – paradoxerweise zu einem Werk, in dem bereicherte, lieferte Steinitzer eine bemerkenswert
Strauss sein Programm so detailliert wie bisher gründliche Analyse von Strauss’ wohl gewaltigster
nirgends entfaltet hatte. Tondichtung.
Während Steinitzer die bildhaften Elemente Dennoch bleibt seine Darstellung einseitig,
jedes Abschnitts eher herunterspielte, lieferte er indem sie von wichtigen, nicht nur programmati-
eine Interpretation der Struktur des Werkes: »Der schen Aspekten ablenkt, und zwar nicht nur von
kurzen langsamen Einleitung […] folgt ein ausge- der Tonmalerei. Steinitzer ignoriert auch die große
dehnteres Allegro, […] von einem einzigen Anzahl musikalischer Allusionen zu anderen Wer-
Hauptthema beherrscht, das sich mit fast allen ken, die die Aufmerksamkeit des Hörers von inter-
Nebenmotiven, auch mit dem Gesangsthema des nen auf externe Bedeutungsebenen lenken. Gleich
Satzes […] kontrapunktisch verbindet. Der dritte zu Beginn etwa gibt es mit der düsteren At-
Hauptteil ist wieder ein ruhigerer Satz, in der mosphäre des b-Moll-Clusters eine Reminiszenz
Mitte durch das etwa an die Stelle des Scherzo an den Beginn von Strauss’ zweiter Symphonie
tretende Presto des Gewitters unterbrochen; er f-Moll. Daraus resultiert eine Vielfalt von Impli-
verarbeitet fast durchgängig die Allegro-Motive in kationen, die mit der programmatischen Idee
innerer Steigerung und größerer Breite« (Steinitzer »Nacht« wenig oder nichts zu tun haben. Strauss
1914b, 4 f.). Auch eine Übersicht über die musika- erneuert, so könnte man sagen, mit musikalischen
lischen Hauptelemente in diesen größeren Ab- Mitteln seine Kritik am eigenen frühen Orchester-
schnitten fehlt nicht: die Passagen der Einleitung werk, von dem Richard Specht (möglicherweise
in b-Moll (T. 1) und A-Dur (T. 46); ein »frisches, den Komponisten zitierend) schrieb: »Die F-Moll
rhythmisch energisches Hauptthema« in Es-Dur Symphonie ist Geste ohne Inhalt« (Specht 1921,
(T. 74); das »Gesangsthema« in c-Moll (T. 147), 133). (Dagegen hörte Paul Bekker in der Eröffnung
das zu einer kurzen Durchführung überleitet; eine der Alpensinfonie eine »selbständig gestaltete
Transformation des Hauptthemas in As-Dur Nachahmung« des Rheingold-Beginns; Bekker
(T. 230); ein »Wellenspiel« in D-Dur (T. 292), das 1921, 108.) Unmittelbar danach (T. 9) kommt es zu
in das spätere »Hauptgesangsthema« (T. 325) einem weiteren inhaltsreichen Moment: Posaunen
mündet; eine weitere Transformation des Haupt- und Basstuba intonieren das von Strauss selbst so
themas, nun in H-Dur (T. 333), der ein »tonmale- genannte »Berg«-Thema, das an das »Streiter der
436 Instrumentalmusik

Liebe«-Thema in Guntram erinnert, das wiederum evozieren die Tonart As-Dur und die Satzdichte
an das »Gral«-Thema in Parsifal anspielt. Derar- sowie ein sentimentaler Lyrizismus mit ekstati-
tige Allusionen lösen zusammen mit einer Bedeu- schem Abschluss den Abschnitt »Von den Hinter-
tungsverschiebung von mystischen Bruderschaf- weltlern«. Hier wie dort befinden wir uns in
ten hin zum zentralen physischen Objekt der »Wäldern« (dank Nietzsches Wortspiel mit den
neuen Symphonie bei einem anspruchsvollen ›Hinterwäldlern‹), und hier wie dort dient As-Dur
Hörer vielfältige außermusikalische Gedanken als Seitentonart einer Sonatenform. Wie in Also
aus. Ähnlich fungieren weitere Anspielungen, die sprach Zarathustra bewegt sich As-Dur am Ende
auf eine bewusste künstlerische Aussage hinwei- einer achttaktigen Periode nach G (hier g-Moll
sen: anstatt G-Dur), um später zu einer gründlich
– das nach einem Motiv aus dem Finale von vorbereiteten perfekten Kadenz zurückzufinden
Beethovens 5. Symphonie entwickelte »Anstiegs- (T. 261), gefolgt von einem kurzen schwärmeri-
thema« (T. 74), schen Epilog. Aus gutem Grund zitiert Strauss in
– die von Strauss bei einer Probe scherzhaft so dieser Codetta aus »Von den Hinterweltlern« die
genannte »Bruchstelle« (gemeint ist das zen- zuckersüß erhöhte zweite Stufe h, die über dem
trale Gesangsthema, erstmals in T. 325 exponiert, Grundton As zur Tonika-Terz c leitet (T. 264).
mit dem Strauss Max Bruchs populäres Violin- Der Umfang solcher Korrespondenzen weckt
konzert zitiert), die Erwartung weiterer analoger Fälle. Dem ent-
– der Wasserfall (T. 292), eine Anspielung an Wag- spricht Strauss im zentralen Abschnitt der Alpen-
ners »Feuerzauber«, sinfonie mit einer musikalisch wie programmatisch
– das »Herdengeläute« (T. 366), ein Anklang an bedeutungsvollen Passage in C-Dur. In Also sprach
Mahlers 6. Symphonie, Zarathustra führt die Rückkehr des Natur-Themas
– Assoziationen an Brahms’ Akademische Fest- nach einer längeren Phase tonaler Mehrdeutigkeit
ouvertüre in »Auf blumige Wiesen« (T. 333; zum Beginn des Walzers, dem musikalisch-pro-
Larkin 2006, 22) sowie an dessen 3. Symphonie grammatischen Ziel des Werkes. Ähnlich beginnt
(T. 415, 578), in der Alpensinfonie mit dem »Natur«-Thema in
– Anklänge an Wagners Siegfried-Idyll in Satz- C-Dur (T. 597) ein Höhepunkt, markiert durch
weise, Orchestrierung, melodischer Linie und eine bedeutungsvolle Verbindung von drei zentra-
Tonart (T. 230–233), len Leitmotiven: »Natur«-Thema (hier allerdings
– weitere Bezüge zu Berlioz, Smetana, Tschai- ohne den verheerenden Charakter wie in der älte-
kowsky, Liszt (dessen Bergsymphonie eine offen- ren Tondichtung), »Berg«-Thema (T. 599) und als
sichtliche Inspirationsquelle darstellte) etc. (Del Krönung das Gesangsthema (T. 603), das mit sei-
Mar vermutete, alle solche Reminiszenzen nem lyrischen Gewicht verspätet die Rolle eines
seien lediglich Strauss’ übervollem Terminplan Seitenthemas innerhalb einer rudimentären Sona-
als Dirigent zuzuschreiben; Del Mar 1969, 109). tenform ausfüllt. Hier, auf dem Berggipfel, ist das
Thema unüberhörbar mit der »Anbetung« der
Die deutlichsten Verbindungen zu einem eigenen natürlichen Welt konnotiert; es kommt hinzu, das
früheren Werk bestehen zu Also sprach Zarathustra. Strauss hier nicht nur Max Bruch zitiert, sondern,
Strauss kreiert einen intertextuellen Dialog, der wichtiger noch, sein Lied »Anbetung« op. 36/4
die Nietzsche-Assoziationen des verworfenen Ti- (vor allem die absteigende Terz zu den Worten
tels »Antichrist« auf musikalischer Ebene bekräf- »Wie schön«). Das »Natur«-Thema signalisiert
tigt. Das Zitat des »Natur«-Themas auf dem also in beiden Tondichtungen das Erreichen eines
Gipfel (zuerst in F-Dur T. 566, dann in T. 597 der musikalisch-programmatischen Ziels. Ihm folgt
originalen Tonart C-Dur) ist schon von Paul Bek- allerdings hier wie dort ein Rückzug – weshalb
ker erkannt worden (Bekker 1921, 110). Weitere C-Dur denn auch einer anderen Tonika weichen
Verbindungen mit Zarathustra gehen in ihrer muss.
Komplexität über bloßes Zitieren noch hinaus. Im In der Alpensinfonie wie in Also sprach Zara-
in sich geschlossenen Abschnitt am Ende vom thustra sind die Folgen, die sich aus derartigen
»Eintritt in den Wald« (T. 230–266) beispielsweise C-Dur-Abschnitten für die Sonatenform ergeben,
21. Tondichtungen: Eine Alpensinfonie 437

die gleichen. Stets kommt es in einer harmonisch der ›Dominante‹ b-Moll im Übrigen weiter ge-
beschädigten, gleichwohl einfach strukturierten schwächt hat).
Reprise zu einer Art Zusammenbruch. Die Re- Mit ihren musikalischen Strukturen dienen
prise in Also sprach Zarathustra erweist sich als Zarathustra und Alpensinfonie gemeinsam einem
Umkehrung der normalen Praxis: Das erste größeren Ziel: zu zeigen, dass es die Musik (insbe-
Thema (»Von den Freuden- und Leidenschaf- sondere die Sonatenform) nicht mehr vermochte,
ten«) kehrt geschwächt und in der Seiten-Tonart dem mit ihr verknüpften ästhetisch-philosophi-
As-Dur zurück. In der Alpensinfonie rekapituliert schen Anspruch zu genügen. In beiden Fällen
ein verkürzter Reprisenabschnitt (»Gewitter und führt die Begegnung mit der Natur zu einer Krise:
Sturm. Abstieg« [T. 847–974]) zuvor erklungenes Die traditionelle Sonatenform, auf den Kopf ge-
thematisches Material auf beschleunigte Weise – stellt, kündigt ihr Ende an. In der Alpensinfonie,
jedoch nicht exakt in umgekehrter Reihenfolge – seiner letzten Tondichtung, kehrte Strauss zu
und kontrolliert durch die ›Dominante‹ b-Moll derjenigen musikalischen bzw. strukturellen
(Kadenz in T. 974). Dieser Anti-Reprise gegenüber Agenda zurück, die bereits seine ersten beiden
steht eine Exposition, die zumindest in ihren Zyklen geprägt hatte. Und hier wie dort fungiert
Hauptzügen recht konventionell ausfällt: b-Moll, das jeweilige Programm als zentrales Motiv für die
die Tonart des Beginns (»Nacht«) erweist sich als Anomalien der musikalischen Strukturen.
›Dominante‹ der Haupttonart Es-Dur (mit einem
Umweg über deren Tritonusvariante A-Dur T. 46
im »Sonnenaufgang«); das erste Thema steht in
Es-Dur (»Der Aufstieg«, T. 74); As- und D-Dur, Musik und Programm
im Tritonus-Verhältnis stehend, fungieren als se-
kundäre Tonarten, wobei D-Dur durch den kur- Angesichts der musikalischen, programmatischen
zen ersten Auftritt des Seitenthemas (T. 325) her- und entstehungsgeschichtlichen Gemeinsamkei-
vorgehoben wird. Anschließend signalisiert dichte ten zwischen der Alpensinfonie und der »Künstler-
Polyphonie (»Durch Dickicht und Gestrüpp auf tragödie« muss eine genauere Deutung des Pro-
Irrwegen«) eine Durchführung (T. 436), die durch gramms der Tondichtung auch das verworfene
die Ankunft auf dem Gipfel abrupt beendet wird. Material berücksichtigen. Obwohl in der Alpen-
Diese Exposition (bzw. dieser Aufstieg) wird durch sinfonie physische Programmelemente eine wich-
den von b-Moll dominierten Abstieg gespiegelt; er tige Rolle spielen, stehen die Ursprünge des Stü-
endet mit einer deutlichen Kadenz in dieser Ton- ckes in engem Zusammenhang mit philosophi-
art (T. 974), die wie der Beschluss des Werkes als schen Fragestellungen, die Strauss schon früher,
Affront gegen die traditionelle Harmonik inner- besonders in den Tondichtungen des zweiten Zy-
halb einer Sonatenform aufgefasst werden kann. klus, beschäftigten. Nietzsches Philosophie
Erst danach folgt der epilogartige »Ausklang« kommt dabei eine besonders große Bedeutung zu.
(T. 1036) in Es-Dur mit einer verwandelten, eher Um dies zu verstehen, muss man die Probleme,
nostalgischen Version des ekstatischen C-Dur- Vorstellungen und Äußerungen genauer zu verste-
Höhepunkts auf dem Gipfel. Der Einsatz der hen versuchen, die Strauss mit Nietzsches Weltan-
Orgel (ein weiterer Anklang an Zarathustra) und schauung verband.
die bemerkenswerte Abwesenheit der Streicher Es gibt deutliche Parallelen zwischen der Bio-
während des Gesangsthemas (T. 1048) lassen es graphie Karl Stauffers, die die Grundlage für die
wie abgelöst von der vorangehenden Musik er- »Künstlertragödie« darstellte (Bayreuther 1997,
scheinen (genau wie im Epilog zu Zarathustra). 20–56), und derjenigen Nietzsches:
Obwohl diese Passage Merkmale einer verkürzten – Rückzug in die Einsamkeit der Berge, um dort
zweiten Reprise zeigt – besonders angesichts des nach Erkenntnis zu suchen,
hymnischen Es-Dur-Seitenthemas (vgl. T. 1048 – Flucht nach Italien, in der Hoffnung, dort
mit T. 607) –, erscheint sie weniger als Bekräfti- emotionale Stabilität und künstlerische Pro-
gung denn als Abschied von der Tradition (die duktivität zu finden,
Strauss mit der Rückkehr der »Nacht« und damit – katastrophales Scheitern der Beziehung zur
438 Instrumentalmusik

geliebten Frau – allerdings aus anderen Grün- mit dieser kritischen Agenda sollte die neue Ton-
den als bei Nietzsche und Lou Andreas-Salomé, dichtung eine Lösung, eine post-metaphysische
da Stauffers Beziehung zu Lydia Escher-Welti Alternative anbieten: »sittliche Reinigung aus ei-
wegen deren Ehe mit einem anderen Mann gener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung
zum Scheitern verurteilt war, der ewigen herrlichen Natur«. Von Naturerfah-
– Abgleiten in den Wahnsinn und früher Tod. rung inspirierte Musik sollte metaphysisch inspi-
rierte Musik ersetzen. Natur stimulierte Kreativi-
Bei seiner kurzen Charakterisierung des Protago- tät, lieferte Energie für die Arbeit und befreite
nisten Stauffer griff Strauss auf Formulierungen Musik von ihrer (für Strauss) fatalen Assoziation
aus seiner eigenen Nietzsche-Rezeption der frühen mit einem religiösen Jenseits.
1890er Jahre zurück. Er beschreibt den Helden Diese Konsequenz, so Strauss’ Überzeugung,
seiner Künstlertragödie als einen »bewusst arbei- war für Mahler nicht möglich, dessen Pantheis-
tenden u. schaffensfreudigen Künstler«, den »Zwei- mus das Religionsproblem verschärfte, aber nicht
fel« plagen, der aber »Befreiung in der Natur« er- löste. In einem Tagebucheintrag vom 22. Novem-
fährt (Werbeck 1996, 189 u. 197). In sein Tagebuch ber 1915 notierte Strauss, »der Jude Carl Becker«
aus dem Jahr 1893, in dem Strauss sich einer inten- habe als einer von wenigen erkannt, dass in der
siven Nietzsche-Lektüre unterzog, notierte er Re- Alpensinfonie »die Versuchung ins Unbetretene,
flexionen vom »Bewusstsein des Ewigseins in ewig nicht zu Betretende – […] überwunden« sei.
neuem, nie endendem Werden«, das in der Erklä- Strauss machte die jüdische wie die christliche re-
rung gipfelte: »Künstlerische Anschauung, künst- ligiöse Tradition für den problematischen Einfluss
lerische Produktion, (auch die Philosophie) wiegt der Metaphysik auf Künstler wie Mahler verant-
in ihrer Freude alle Leiden zehnfach auf« (Schuh wortlich: »[…] eine unproductive Rasse wie die
1976, 316, 319). Zu nennen ist in diesem Zusam- der Juden mochte diese christliche, jüdische Me-
menhang auch das Motiv des Sonnenaufgangs, taphysik ersinnen, sie mögen die Spekulation an
das im Programm der »Künstlertragödie« von die Stelle der Produktion setzen« (RSA). Welche
Anfang an vorkommt und das Strauss möglicher- Rolle die Vorstellung von musikalischer Metaphy-
weise zuerst komponierte. Dieses Motiv eröffnete sik noch immer bei den Zeitgenossen spielte,
den gleichen Dialog zwischen Komponist und zeigte Paul Bekker, der Mahlers 3. Symphonie der
Philosoph, der zu Beginn von Zarathustra so dra- Alpensinfonie deutlich vorzog. Er pries das »religiös
matisch inszeniert wird. pantheistische Gefühl«, das Mahler vor allem mit
Wenn also Strauss erklärte »Ich will meine Al- der D-Dur-Melodie im Finale vermittle: Sie klinge
pensinfonie: den Antichrist nennen«, fügte er dem wie »aus dem Anblick der Unendlichkeit empfan-
Stück nicht eine neue nietzscheanische Bedeu- gen« (Bekker 1921, 115, 117). Für Strauss hingegen
tungsebene hinzu, sondern beabsichtigte, eine von lag die Zukunft der Musik in der Natur, weil sie
Anfang an präsente Bedeutungsebene öffentlich nichts von diesem Idealismus wusste.
zu machen. Obwohl er diesen Titel später wieder Obwohl der Plan für die »Alpen« das Pro-
zurücknahm, lässt sich kaum bestreiten, dass seine gramm der »Künstlertragödie« ersetzte, folgte er
neue Tondichtung auf denselben Komplex aus derselben Idee: ein Künstler, der sich in seiner
Musik, Religion und Philosophie gerichtet war, Wahrnehmung der Natur zunehmend von Meta-
mit dem Strauss sich bereits seit der Mitte der physik befreit. Die im viersätzigen Schema er-
1890er Jahre auseinandergesetzt hatte. Wie der kennbare Entwicklung – von einer Bergbesteigung
Tagebucheintrag zu Mahlers Tod verrät, machte über »ländliche Freude« sowie »Träume und Ge-
Strauss die beiden Hauptfeinde Nietzsches, Scho- spenster« bis zur »Befreiung durch die Arbeit«
penhauer und das Christentum, für die Irrwege (Hervorh. im Orig.) – sollte auch die folgenden
Wagners und Mahlers verantwortlich. »Der Jude Pläne fundieren, ungeachtet der langen zeitlichen
Mahler konnte im Christentum noch Erhebung Lücken vor 1910. Allerdings verlagerte sich der
finden. Der Held Rich. Wagner ist als Greis, durch thematische Schwerpunkt vom Akt der Selbst-
den Einfluß Schopenhauers wieder zu ihm herab- befreiung (durch Kunst/Arbeit) zum Weg in die
gestiegen« (Kohler 1982, 43). Im Zusammenspiel Freiheit (durch die Natur). Erst mit seinem zwei-
21. Tondichtungen: Eine Alpensinfonie 439

sätzigen Plan kehrte Strauss zum Thema der verschiedener Bilder: der Eindruck von Dunkel-
Arbeit zurück, als er zum zweiten Satz die Stich- heit im b-Moll-Cluster, die Umrisse eines Berg-
worte »Harmonie im Schaffen« notierte. Nicht massivs in einem von metaphysischen Mustern ins
von ungefähr bezeichnete der Berliner-Börsen-Ku- Physikalische transponierten Choralsatz, die selt-
rier das noch unvollendete Werk 1911 als »zweisät- samen Quartklänge für »Nebel« (so eine Skizze der
zige Alpensymphonie«; der erste Satz zeige den »Künstlertragödie«) und eine umfassende Steige-
Menschen als »Bewunderer der Natur«, der zweite rung für die wachsende Helligkeit vor dem Son-
den Mensch »als Grübler, der angesichts dieser nenaufgang. Dieses Maß an physikalischer Ge-
gigantischen Naturerscheinung irre wird an Welt nauigkeit ist für die Alpensinfonie insgesamt cha-
und Gott und Religion« und »sich selbst als Anti- rakteristisch – obwohl ihre Musik sich keineswegs
christ dünkt«, aber schließlich »vor der Allgewalt auf bloße Tonmalerei beschränkt. Strauss schafft
der Natur sich beugt und wieder aus dem Wider- musikalische Analogien mit eigenen expressiven
sacher und Grübler der bezwungene Anbeter Qualitäten. Doch vermag sich die Dimension des
wird« (Werbeck 1996, 199; Hervorh. im Orig.). Emotionalen nur selten von derjenigen des Physi-
Strauss dementierte zwar die Äußerungen zum schen zu lösen. Durchgehend bleibt die Musik,
»philosophischen und ästhetischen Inhalt des wie Nietzsche formuliert hätte, mit der Erde ver-
Programms«, aber die Grundlinie einer sich in der bunden. Ihre primär darstellende Qualität hält
Zuwendung zur Natur vollziehenden Ablehnung den Hörer davon ab, sie als einen Tunnel aufzufas-
von Metaphysik gibt der Bericht wohl recht genau sen, durch den er zum Licht aufsteigen kann.
wider. Nahezu stets sind die physischen Assoziationen
Wie auch immer der genaue Inhalt dieser Kon- mit leicht erkennbaren Details angereichert. Der
zepte aussah, Strauss war davon überzeugt, dass »Sonnenaufgang« mit seinem hellen A-Dur-Satz,
das Thema der Befreiung schon im letztendlich dominiert durch hohe Bläser und Violinen, er-
allein realisierten ersten Satz hinreichend zum reicht mit seiner herabsteigenden melodischen
Ausdruck gekommen war. Wie in Till Eulenspiegel Linie allmählich auch die tieferen Bereiche des
und Don Quixote, bei denen sich hinter üppiger Tales. Die unregelmäßigen Schritte des »Anstiegs«
Tonmalerei die von Nietzsche inspirierte Kritik an (T. 74), ehrgeizig in ihrer Aufwärtsbewegung, er-
musikalischem Idealismus verbarg, nutzte Strauss fordern bald einen Moment der Rast, damit der
musikalische Illustration zur Demonstration sei- Wanderer Luft holen kann (T. 81). Den »Eintritt
ner Ablehnung von orchestraler Großsprecherei in den Wald« (T 147) kontrapunktieren später
und metaphysischer Überfrachtung – was zumin- (T. 202) Vogelstimmen in Mahlerschem Gestus
dest diejenigen realisierten mochten, die bereit (Del Mar 1969, 110). In den verschiedenen Regio-
waren, »hinter die Lautmalerei« zu hören (Brosche nen des Waldes bleibt das Anstiegs-Thema prä-
2008, 98). Diese letzte Phase der Werkkonzeption sent: Strauss hält an der Unterscheidung zwischen
scheint sich in der Beibehaltung des Titels »Der Protagonist und Umwelt fest.
Antichrist« für das Particell anzudeuten. Freiheit Fast alle Episoden erzählen von der Begegnung
durch Natur und Arbeit war erreicht worden, und zwischen dem Individuum und einem Naturphä-
durch Musik in weiteren Sätzen, die wieder dort- nomen, dessen musikalische Details die damit
hin führen würde, wo der erste Satz endete, ließ vertrauten Hörer belohnen. Bei diesen Episoden –
sich nichts Neues sagen. Letzten Endes erschien »Wanderung neben dem Bache« (T. 272), »Am
sogar der Nietzsche-Anklang im Titel überflüssig, Wasserfall« (T. 292), »Erscheinung« (T. 301), »Auf
da Strauss erkannt hatte, dass diejenigen, die ihn blumige Wiesen« (T. 333), »Auf der Alm« (T. 366),
wirklich verstehen würden, ihn nicht brauchten. »Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen«
Das wichtigste Indiz für Strauss’ neue Einstel- (T. 436), »Auf dem Gletscher« (T. 490), »Gefahr-
lung gegenüber musikalischer Bildlichkeit zeigt volle Augenblicke« (T. 521), »Auf dem Gipfel«
sich in der beispiellosen Anzahl von dreiundzwan- (T. 565), »Nebel steigen auf« (T. 729), »Die Sonne
zig Überschriften, die er in die Partitur einfügte. verdüstert sich allmählich« (T. 737), »Stille vor
Sie verweisen nur auf einen Bruchteil der visuellen dem Sturm« (T. 790), »Gewitter und Sturm, Ab-
Programmatik. In »Nacht« findet sich eine Reihe stieg« (T. 847), »Sonnenuntergang« (T. 986) und
440 Instrumentalmusik

»Nacht« (T. 1131) – handelt es sich genau um die- richt in der Allgemeinen Musik-Zeitung kam nach
jenige Art von »Bilderbogen«, dessen Existenz einer Aufzählung aller Überschriften zu dem
Steinitzer so hartnäckig bestritt. Sogar die »Vi- Schluss, die Musik sei offenbar auf inhaltsleeren
sion« (T. 653) ist kaum mehr als ein Augenblick Klang reduziert worden: »Nun, der Name ist hier
der Überwältigung angesichts großartiger Natur- Schall und Rauch, der Klang ist alles.« Karl Storck
schönheit. Damit bleiben lediglich die »Elegie« hielt die Veröffentlichung des Programms vor der
(T. 755) und der »Ausklang« (T. 1036) als Ab- Uraufführung für »geradezu kunstfeindlich«, da
schnitte ohne expliziten Bezug zur materiellen sie die Musik zu einem »Spektakel« reduziere
Welt übrig. Als die Regel bestätigende Ausnahmen (Werbeck 1996, 278). Beide Kritiker witterten
regen sie zu einer neuen Art von Musikbetrach- wohl die Gefahr, dass das Stück unmittelbar gefal-
tung an. Sie begnügt sich mit der Erfahrung einer len und dabei all die Symbolik unterhöhlen
Welt, die der begrenzten menschlichen Erkenntnis würde, mit der die Musik im Verlauf des 19. Jahr-
zugänglich ist, und genießt die Schönheit dieser hunderts angereichert worden war. Sogar ein
Erfahrung im Hier und Jetzt. wohlwollender Kritiker wie Specht ärgerte sich
über die Attraktivität der Musik, in der die typi-
schen »Straußschen Kakophonien« fehlten. Ihm
galt der »sofortige, ungeheuere Erfolg« des Werks
Wirkung als anstößig, da der Komponist es »seinen Hörern
diesmal hie und da zu leicht gemacht«, »billig«
Mit Recht meinte Franz Trenner, die frühen Kri- und »naheliegend« komponiert habe, wenngleich
tiker, die die Alpensinfonie »Kinomusik« nannten, nicht trivial (Specht 1921, 330 f.). Specht machte
hätten die philosophische Grundlage des Werks sich keine Sorgen wegen der erklärten Gegner des
nicht verstanden (Trenner 1954, 163). Gewiss, Werks, aber die Hörer, die das Werk »überschätzt«
Strauss hatte nichts für die öffentliche Propagie- hatten, gaben ihm zu denken.
rung der anti-idealistischen Zielrichtung seiner Anders als Specht sah Strauss durchaus einen
Tondichtung getan, sie sogar gezielt verschleiert, Wert in verschiedenen Formen der Zustimmung,
als er sein Publikum mit vielen Überschriften auf selbst wenn sie auf einem Missverständnis beruh-
spezifische physische Details verwies. Zugleich ten. Die Leichtigkeit, die hinter seiner Bemerkung
wärmte er, assistiert von Steinitzer (wie zuvor von am Tag der Berliner Premiere steckte, er habe hier
Klatte bei der Symphonia domestica und Rösch bei komponiert, »wie die Kuh die Milch gibt« (ver-
Ein Heldenleben), seine alte, gegenüber Cosima mutlich eine Übertreibung angesichts der lang-
Wagner geäußerte Überzeugung auf, musikalische wierigen Entstehungsgeschichte), prägte auch
Illustration verweise letztlich immer auf innere seinen Umgang mit der Alpensinfonie gegenüber
emotionale Erfahrungen – auf Steinitzers »seeli- der Öffentlichkeit. Sie war die Frucht eines tiefge-
sche Vorgänge«. Der Öffentlichkeit bot Strauss henden und lange andauernden intellektuellen
damit zwei Interpretationsmöglichkeiten an: die Prozesses ebenso wie intensiver musikalischer Ar-
Musik als Repräsentation von Bildern zu verste- beit, und doch empfand er angesichts des abge-
hen (der Komponist sollte später bei einem Film schlossenen Werkes tiefe Freude und Befriedigung.
mitarbeiten, der auf der Grundlage der Musik Es sei ein »gutes Stück«, schrieb er Hofmannsthal
entstand) oder als Repräsentant von »inneren Er- (RSHH 327), bei dem er endlich »instrumentieren
lebnissen« (Steinitzer 1914b, 4). gelernt« habe und das er fortan mit Freude in
Vermutlich hatte Strauss auch gewusst, dass Konzertprogramme aufnahm (Specht 1921, 334).
beide Interpretationsansätze für anspruchsvolle Die philosophischen Mysterien unterhalb der
Denker nicht zu versöhnen waren und das Werk Oberfläche mussten von anderen entdeckt wer-
von ihnen als ein weiteres Beispiel für einen musi- den, die sich Gedanken darüber machten, wie hier
kalischen Ulk aufgenommen werden würde. Kri- »der Mensch sichtbar in das Werk spielt« (Strauss
tiker warnten bereits vor der Premiere, der Kom- 1981, 182). Strauss’ eigene Rolle, die Komposition
ponist habe wieder einmal einen Angriff auf die der Musik, war beendet.
Musik an sich unternommen. Ein anonymer Be- Übersetzt von Arne Spohr
21. Tondichtungen 441

Literatur

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ten Geburtstag: 11. Juni 1964. In: Ders.: Musikalische Rolland: Briefwechsel und Tagebuchnotizen. Berlin
Schriften I-III. Frankfurt a. M. 1978, 565–606. 1994.
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Entstehung, Analyse und Interpretation. Hildesheim im Briefwechsel. Köln 1963.
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Ders.: Kritische Zeitbilder. Berlin 1921, 106–117. ses Orchester gesetzt von Richard Strauss. Op. 28. In:
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443

22.
Symphonische und konzertante Werke
Von Arnfried Edler

Einleitung immerhin erkannte er auch Wagners frühe Werke


bis zum Tannhäuser noch »bedingt« an (Strauss
Strauss’ Karriere als Komponist begann – keines- 1981, 194). Franz Strauss’ Einfluss war sowohl be-
wegs atypisch – als die eines Kindes aus wohlsitu- stimmend für das häusliche musikalische Milieu,
iertem bürgerlichem Haus, mit der Besonderheit in dem der Sohn aufwuchs, als auch für das Mu-
freilich, dass sein Vater Berufsmusiker war, näm- sikleben Münchens: In seinem persönlichen Um-
lich Solohornist des Münchner Hoforchesters. In gang mit Kritikern und sonstigen musikalischen
dieser Position erreichte er hohes Ansehen, das Größen der Stadt trat er mit ausdauerndem Enga-
sich auch in seiner Lehrtätigkeit als Professor an gement für seine Überzeugungen ein und »oppo-
der Münchner Akademie der Tonkunst nieder- nierte dem jeweils Machthabenden [im Orchester]
schlug. Zugleich aber wurde er in die Auseinan- bis zum Ende seiner Dienstzeit« (Steinitzer 1911, 21).
dersetzungen um den »Fortschritt« hineingezogen, Von Kindesbeinen an war Richard Strauss mit
die seit der Jahrhundertmitte infolge der zuneh- den wichtigsten Repräsentanten des Musiklebens
menden Erfolge Richard Wagners und der Eta- seiner Heimatstadt bekannt und teilweise vertraut.
blierung der »Neudeutschen Schule« das musika- Zwar war er durchaus kein Wunderkind, zweifel-
lische Klima in Deutschland bestimmten. Mehr los aber eine musikalische Hochbegabung; bereits
als jedes andere Orchester in Deutschland und als Schüler wuchs er mit Selbstverständlichkeit in
Europa war die Münchner Hofkapelle infolge des das ihn täglich umgebende Repertoire hinein und
in Strauss’ Geburtsjahr 1864 manifest werdenden begann früh mit eigenen kompositorischen Versu-
Engagements des bayerischen Königs Ludwig II. chen. Zum eigenen Gebrauch und zur Kammer-
für Wagner in diesen Parteienstreit involviert, in musik in der Familie, mit Freunden und Mitschü-
dem Franz Strauss eine dezidiert konservative lern schrieb er zunächst Klaviersonaten, Lieder,
Position bezog: Er beherrschte zwar die neuarti- Stücke für Horn und Klarinette. Der von 1875 bis
gen, überaus anspruchsvollen Wagnerschen Horn- 1880 währende Unterricht in Harmonielehre und
partien so perfekt, dass Hans von Bülow ihn als Instrumentation bei dem Hofkapellmeister Fried-
»Joachim des Waldhorns« bezeichnete, blies sie rich Wilhelm Meyer, der gediegenes satztechni-
aber nichtsdestoweniger mit innerem Widerwillen sches Können mit Aufgeschlossenheit für die Ge-
und scheute sich nicht, dies Wagner gegenüber genwart verband, führte ihn auch an die Kompo-
persönlich zu äußern. Sein Musikverständnis, ge- sition von Chor- und Orchesterwerken heran. Sie
prägt durch seine Herkunft aus dem Stadtmusi- zeugen von einer ungewöhnlichen Beherrschung
ker-Milieu, erlaubte nur für die Klassiker (bis zu des kompositorischen Metiers, die Gestaltung
Beethovens 7. Symphonie) die Anerkennung als zeigt kaum irgendwelche schülerhaften Schwä-
»reine Musik«. Die nachfolgenden Komponisten chen; allerdings vermerkte die Kritik regelmäßig
von Schubert und Weber über Schumann, Men- den Mangel an Originalität. Pointiert bezeichnete
delssohn und Spohr ließ er nur partiell gelten, sie der zeitgenössische Musikpublizist und Strauss-
444 Instrumentalmusik

Biograph Richard Specht als »Treibhausmusik schen Produktion geöffnet wurde. Entsprechend
[…], gesittet und gepflegt […], deren geistige lange zurück lagen die Vorbilder, an die sich
Wohlerzogenheit sich so gar keine eigene Mei- Strauss in seiner Gymnasialzeit hielt.
nung erlaubt« (Specht 1921, 122).
Symphonie d-Moll TrV 94
Es gelang Strauss schon in der 1880 komponierten
Werke ersten Symphonie, nahezu makellos den sympho-
nischen Stil etwa der 1830er Jahre zu treffen. Be-
Zuvor hatten allerdings die neu gewonnenen or- reits der Kopfsatz mit einer Einleitung im seriosen
chestralen Erfahrungen den jungen Komponisten Ton und einem in seinen Teilen wohlproportio-
bereits dazu ermutigt, sich den großen Gattungen nierten Sonatenhauptsatz, dessen Hauptteile
der Symphonie und des Solokonzerts anzunähern, durch lunga-Fermaten bzw. eine nicht weniger als
bei welch Letzterem er sich mit den Instrumenten drei Takte währende Generalpause überdeutlich
der beiden wichtigsten Bezugspersonen seiner voneinander getrennt werden und der in seinem
musikalischen Entwicklung auseinandersetzte: ganztaktig zu schlagendem 3/4-Allegro-Tempo
Das Violinkonzert d-Moll op. 8 TrV 110 widmete unverkennbar an Mendelssohns Scherzo-Charak-
er seinem Violinlehrer und Cousin seines Vaters, tere gemahnt, überzeugt durch seine ausgewogene
Benno Walter, dem Konzertmeister des Hof- und klug disponierte Instrumentation. Mit zwei-
orchesters, und das erste Hornkonzert Es-Dur fach besetzten Holzbläsern und Trompeten, vierfa-
op. 11 TrV 117 selbstverständlich dem Vater selbst, chen Hörnern und dreifachen Posaunen entspricht
obwohl dieser seinen Schüler Bruno Hoyer die das Orchester etwa demjenigen von Brahms (das
Uraufführung blasen ließ. Seine erste Symphonie bei diesem schon in der 1. Symphonie auftretende
TrV 94 und das Violinkonzert, beide in d-Moll, Kontrafagott setzte Strauss allerdings erst seit sei-
schrieb Strauss in den letzten Jahren vor dem ner zweiten Symphonie ein). Auch die Anlage des
»Absolutorium« (Abitur) im August 1882; die in der Dur-Dominante stehenden, kantablen
zweite Symphonie f-Moll TrV 126 und das Horn- 4/4-Andantes, dessen zweiter Teil eine Art Varia-
konzert in den beiden folgenden Jahren. tion des ersten darstellt und vor dem Epilog zu
Alle diese Kompositionen waren dazu angetan, einer stringendo-Aufgipfelung geführt wird, lässt
Strauss so zu zeigen, wie er zu seiner Schul- und eine beträchtliche Formbeherrschung erkennen.
frühen Studienzeit gesehen zu werden wünschte: Das (nach der die Vortragsbezeichnungen modi-
als das große Talent, das bereits in jungen Jahren fizierenden Abschrift von Franz Strauss) molto
das Metier beherrscht. Von seinem Vater und vom allegro, leggiero vorzutragende, in der Grundtonart
»Herrn Kapellmeister Meyer« (Brief an Thuille angesiedelte Scherzo mit Maggiore-Trio greift auf
vom Juni 1879; Trenner 1980, 68) für eine Kompo- den Charakter des Kopfsatzes zurück und bildet
sition belobigt zu werden, bedeutete ihm höchste ein eher leichtgewichtiges Intermezzo vor dem
Anerkennung. In einen Wettstreit mit Beethoven ganz in der Dur-Variante stehenden Allegro maes-
oder gar mit den das Gattungsprofil dieser Jahr- toso-Finale. In ihm sind – nach einem sechzehn-
zehnte prägenden Wiener Symphonikern Brahms taktigen »Vorhang« – das im Marschcharakter ge-
und Bruckner zu treten, lag ihm durchaus fern. haltene Haupt- und das lyrische Seitenthema eines
Dabei war der symphonische Horizont von Vater Sonatenhauptsatzes einander geradezu plakativ
und Sohn Strauss weitgehend auf das in den gegenübergestellt; sie werden in der Durchführung
Münchner Akademiekonzerten gebotene Reper- durch ein kompositionstechnisch brillantes Fugato
toire beschränkt, das in den beiden ersten Dritteln miteinander vermittelt und einer effektvollen
des 19. Jahrhunderts fast gänzlich auf Werke der Stretta als Werkschluss entgegengeführt. Die »sehr
Klassik ausgerichtet war (Grotjahn 1998, 183, bedeutende Gewandtheit in der Handhabung der
Anm. 67) und erst in den Jahrzehnten von Strauss’ Form« und »eine mit großer Leichtigkeit repro-
Kindheit durch Dirigenten wie Hermann Levi ducierende Phantasiethätigkeit« wurden in der
und Hans von Bülow vorsichtig der zeitgenössi- Rezension der Uraufführung in den Münchner
22. Symphonische und konzertante Werke 445

Neuesten Nachrichten hervorgehoben, doch könne unumstrittenen Meisterdirigenten jener Jahre, der
das Werk »auf eigentliche Originalität […] noch daraufhin sein Mentor wurde und ihn als eine Art
keinen Anspruch machen« (Schuh 1976, 65). Dies Assistent nach Meiningen holte.
erkannte der junge Komponist offensichtlich bald In den zwischen den beiden Symphonien lie-
selbst und bat bereits Anfang 1884 seinen Vater, die genden Jahren hatte Strauss seinen geistigen Hori-
Symphonie »nirgends hin« zu schicken, »da ich zont durch neue Bekanntschaften mit musikali-
eine Aufführung derselben nicht wünsche« (Schuh schen Zeitgenossen und ein Universitätsstudium
1954, 42). Immerhin besorgte die Uraufführung ungemein erweitert, auch hatte er – verborgen vor
Hermann Levi höchstpersönlich, der dem Werk den Augen des Vaters – »gleichsam wie im Fieber«
zudem anschließend Beifall spendete (Schuh 1976, (Strauss 1981, 202) die Tristan-Partitur studiert
64 f.) – und dies wohl nicht nur als Geste der An- sowie Reisen in bedeutende musikalische Zentren
erkennung des hochgeschätzten Hornisten-Vaters, unternommen: In Bayreuth erlebte er als Begleiter
für dessen Wilde Gungl-Orchester der Sohn auch seines mitwirkenden Vaters die Uraufführung des
noch 1893 eine Aufführung im vereinsinternen Parsifal, in Dresden führte Hofkapellmeister Franz
Rahmen zugestand. Wüllner seine Bläserserenade op. 7 TrV 106 auf,
und in Wien besorgte er im Dezember 1882 vom
Klavier aus die Uraufführung seines Violinkonzer-
Symphonie f-Moll op. 12 TrV 126
tes mit Benno Walter. Außerdem komponierte er
Dass auch die drei Jahre später (1883) entstandene 1883 eine nach eigener Aussage »nicht üble (von
zweite (und letzte) Symphonie in f-Moll noch den der [Beethovens] ›Coriolan‹ beeinflußte« (Strauss
»wohlerzogenen« Jugendwerken zugehört, mochte 1981, 204) Concertouvertüre c-Moll TrV 125, die
Strauss seinen Eltern gegenüber gar nicht mehr wiederum von Levi in den Münchner Odeons-
gern wahrhaben, zumal sie gehaltlich durchaus zu konzerten uraufgeführt und später noch von
den gehobenen Beispielen der damals aktuellen Strauss in Konzertprogramme aufgenommen
Gattungsproduktion gerechnet werden kann und wurde; auch in ihr durfte ein zunftgemäßes
von der zeitgenössischen Kritik gelegentlich sogar Durchführungsfugato (T. 140 ff.) nicht fehlen. Als
mit Brahms verglichen wurde. Ungeachtet der Referenzstück nahm er sie im Winter 1883/84 mit
Einschätzung des frühen Strauss- und Mahler- nach Berlin, wo er »fleißig die Oper« (Strauss 1981,
Kenners Richard Specht, der zumindest ihr Finale 205) besuchte sowie die Konzerte des 1882 gegrün-
demjenigen der 1. Symphonie von Gustav Mahler deten Philharmonischen Orchesters unter Robert
vergleichbar fand (Specht 1921, 130), erscheint der Radecke, Franz Wüllner, Joseph Joachim, Karl
Abstand zur ›neuen Symphonie‹ der 1880er Jahre, Klindworth und Hans von Bülow frequentierte,
die Hans Rott mit seiner E-Dur-Symphonie inau- mit welch letzterem er dann bald auch persönlich
gurierte, letztlich ebenso enorm wie zu Anton bekannt wurde. Intensiv kam er nun mit den
Bruckner, der zur gleichen Zeit seine 7. Symphonie damaligen symphonischen Novitäten in Berüh-
vollendete; Strauss lernte sie offenbar als erste der rung, so etwa mit Xaver Scharwenkas c-Moll- und
Brucknerschen 1885 in München kennen (Brief an Alexander Borodins Es-Dur-Symphonie, in wel-
Engelbert Humperdinck vom 27.3.1885; Strauss cher Strauss nur »Formlosigkeit, abgebrauchte
1996, 203). Allenfalls wären, zumal im Kopfsatz, russische Phrasen u. einen furchtbar Schumann-
entfernte Anklänge an César Francks d-Moll- schen letzten Satz« ausmachte (an Thuille am
Symphonie zu konstatieren, die freilich sechs 8.3.1884; Trenner 1980, 80). Vor allem aber er-
Jahre später entstand. In einem Brief vom 12. Ja- kannte er in Brahms’ 1883 uraufgeführter 3. Sym-
nuar 1885, dem Tag der Generalprobe zur deut- phonie »die bedeutendste, die jetzt geschrieben
schen Erstaufführung im Kölner Gürzenich unter worden ist« (ebd.). In den folgenden Jahren entwi-
Franz Wüllner, warnte Strauss jedenfalls augen- ckelte Strauss eine regelrechte »Brahmsschwärme-
zwinkernd seine Eltern vor dem »modernen« und rei« (Strauss 1981, 207), die ihren Höhepunkt in
»kolossalen« Klangeindruck des Werkes (Schuh Meiningen anlässlich der Uraufführung von
1954, 54). Tatsächlich verschaffte es ihm die unein- Brahms’ 4. Symphonie im Oktober 1885 unter Bü-
geschränkte Anerkennung Hans von Bülows, des low erreichte.
446 Instrumentalmusik

Zu dieser Zeit hatte Strauss allerdings seine saune markiert wird – Strauss sprach (Schaar-
f-Moll-Symphonie bereits abgeschlossen; sie hatte wächter 1994, 157) von einem »Themenchaos auf
am 13. Dezember 1884 ihre Uraufführung durch dem D dur-Accord, aus welchem uns das erste
das Orchester der New Yorker Philharmonic Thema in der Verlängerung hervorblitzt« – gerät
Society unter Theodor Thomas, einem der wich- der thematische Konstruktivismus zur demonstra-
tigsten Vorkämpfer europäischer Symphonik in tiven Manier; die ursprünglich für die Coda vor-
den USA, erlebt, bevor Franz Wüllner am Kölner gesehene Wiederholung strich Strauss offenbar für
Gürzenich die deutsche Erstaufführung besorgte. die Kölner Aufführung, für die er im Übrigen dem
Ihre Formsicherheit und homogene Klanglichkeit Dirigenten Wüllner »unbeschränktes Kürzungs-
verblüffte selbst die Koryphäen der vorausgehen- recht« im Finale zugestand (Kämper 1963, 1 f.).
den Generation. Bei den Meininger Konzerten im Das im Presto sowie im Ritmo di due bzw. di tre
Oktober 1885 dirigierte Strauss sie selbst in Anwe- battute gehaltene As-Dur-Scherzo provoziert zu
senheit von Brahms, der sich anschließend zwar Beginn mit einem Wechselspiel aus gebrochenen
wortkarg, aber nicht unfreundlich, gegenüber übermäßigen Dreiklängen und der Grundtonart
Bülow sogar »sehr warm« (was bei ihm »rar« sei), und verbindet Beethovensche und Mendelssohn-
äußerte (Bülow an Hermann Wolff, 20.10.1885; sche Scherzo-Elemente mit einem Hang zur Gro-
Bülow 1907, 384). Allerdings kritisierte er unter teske – Strauss bezeichnete den Satz (Schaarwäch-
anderem »das Übereinanderschachteln vieler nur ter 1994, 157) als »groteskes, in zwei und dreitakti-
rhythmisch kontrastierender Themen auf einen gen Motiven dahingaukelndes Scherzo«. Nicht
Dreiklang« (Strauss 1981, 190). Im Januar 1887 nur sind Verbindungen zu der (zunächst als
wurde Clara Schumann Zeugin einer Aufführung Scherzo konzipierten) Burleske für Klavier und
in den Frankfurter Museumskonzerten, bei der Orchester TrV 145, sondern gelegentlich (wie auch
Strauss mit seiner dirigentischen »Gewandtheit im Finale) Vorwegnahmen der Till-Eulenspiegel-
und Sicherheit […] das Publicum förmlich in Thematik erkennbar. Sowohl im an dritter Stelle
Ekstase versetzte« (Litzmann 1910, 486). stehenden C-Dur-Andante cantabile wie auch in
Obwohl die Orchesterbesetzung gegenüber der dem in die Grundtonart zurückkehrenden Finale
ersten Symphonie lediglich um eine Basstuba er- (Allegro assai, molto appassionato) mit seiner
weitert ist (die Brahms nur in seiner 2. Symphonie plakativen Dur-Wendung am Schluss prägt die
verwendete), ist die Klangdisposition derjenigen von Brahms monierte Neigung zur synchronen
Wagners und der Neudeutschen erkennbar näher Kombination weitgehend neutraler thematischer
gerückt. Die Thematik ist dicht gefügt: So bilden Materialien das Erscheinungsbild. So erfüllt das
im Kopfsatz Haupt- (T. 9 ff.) und Seitenthema überleitende Trompetensignal aus dem ersten Satz
Varianten eines einzigen Motivs, wobei dem Sei- (T. 39 ff.) eine analoge formale Funktion im drit-
tenthema (T. 67 f.) durch die Variante ein entfern- ten (T. 52 ff.), doch bleibt die Konsequenz – das
ter Anklang an das Kopfmotiv des ersten Satzes punktierte Motiv des Seitenthemas (T. 73 ff.) –
aus Mozarts g-Moll-Symphonie KV 550 zuwächst. einigermaßen unprägnant, obwohl sie in dem
(In der Analyse, die er im Programm-Buch der neuen Thema, das die Durchführung prägt
Saison 1889/90 der Neuen Abonnement-Concerte (T. 89 ff.), aufgenommen wird, einem Thema, das
der Konzertdirektion Hermann Wolff veröffent- mit seinem Dezimenaufschwung mit anschließen-
lichte, bezeichnete Strauss dieses Thema als »Mit- dem Quartfall bereits eine für den späteren Strauss
telsatz« und die Überleitungsmotive in T. 38 ff. durchaus typische Physiognomie aufweist (zu Pa-
und 50 ff. als »erstes Seitenthema« und »drittes rallelen der Symphonie mit der Alpensinfonie
Fmollthema«; Schaarwächter 1994, 156.) Überdies s. Schaarwächter 1994, 25 u. 27). Im Finale wird
werden beide von einem aus der achttaktigen im Sinn einer zyklischen Verklammerung auf die
Einleitung gewonnenen absteigenden Skalen- Einleitung des ersten Satzes (T. 588 ff.) Bezug ge-
motiv verschiedentlich miteinander verbunden. nommen; jedoch wirkt diese Reminiszenz ebenso
Besonders in der Durchführung, deren Höhe- als eher konventionelle Geste wie die anschlie-
punkt (T. 187 ff.) durch einen Augmentations- ßende Beethovens 5. Symphonie nachempfundene
kanon zwischen Viola/Horn und Trompete/Po- Dur-Apotheose.
22. Symphonische und konzertante Werke 447

Eine weitere konzertante Romanze TrV 118,


Romanze für Klarinette und Orchester
diesmal für Violoncello in F-Dur, schrieb Strauss
Es-Dur TrV 80/ Romanze für Violoncello
vier Jahre später für den böhmischen Cellisten
und Orchester F-Dur TrV 118 Hanuš Wihan, der damals dem Münchner Hof-
Neben der symphonischen spielte die konzertante orchester angehörte und dem schon Strauss’ kurz
Produktion eine beträchtliche Rolle innerhalb von zuvor komponierte Cellosonate op. 6 gewidmet
Strauss’ Jugendwerken. Ähnlich wie die Kammer- war. Zwölf Jahre später widmete ihm Antonín
musik dienten diese Werke vornehmlich als Mittel Dvořák das berühmte Violoncellokonzert op. 104,
der Kommunikation mit herausragenden Instru- überließ ihm dann allerdings – als Reaktion auf
mentalisten seiner Umgebung in München, später Wihans Änderungswünsche – doch nicht dessen
in Meiningen. Im persönlichen Umgang mit ih- Londoner Uraufführung. Im Vergleich zur Klari-
nen machte er sich bis ins Letzte vertraut mit dem nettenromanze fällt der Zugewinn an orchestraler
Charakter und Eigenarten von Horn, Klarinette Koloristik ins Ohr, der sich aus dem persönlichen
Violine und Violoncello, aber nicht minder stellen Umgang mit den Kollegen des Vaters sowie aus
sie sämtlich vorzugsweise eine Auseinandersetzung der Mitwirkung als Geiger in dem von seinem
dar (oder ein Spiel) mit den interpretatorischen Vater begründeten Amateurorchester Wilde Gung’l
Möglichkeiten einzelner Persönlichkeiten: von ergeben hatte. Schon die einleitende Kombination
einem unbekannten Mitschüler an der Klarinette der Akkordflächen in den jeweils doppelt besetz-
über seinen Vater und dessen Schüler Hoyer, wei- ten Holzbläsern und Hörnern mit dem Solo-
terhin über Hanuš Wihan, Benno Walter, Hans cello lassen den Gedanken an eine entfernte Be-
von Bülow (der dann freilich den ihm zugedach- zugnahme auf das Lohengrin-Timbre aufkommen,
ten Solopart der Burleske ablehnte) bis – im schon und aus den durch ein zum Tranquillo reduzier-
gereiften Stadium – zu den ungewöhnlichen Be- tes Tempo akzentuierten künstlichen Leittönen
schränkungen und zugleich Herausforderungen der hohen Flöten im Zentrum des Mittelteils
des einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein; im (T. 121 f.), die am Schluss wieder aufgenommen
Alter traten noch der Hornist Gottfried von Frei- werden, lässt sich bereits eine ferne Ankündigung
berg, der Oboist Marcel Sallet, der Fagottist Hugo des ›Silbernen Rosen‹-Klangs des Rosenkavalier
Burghauser und die Dirigenten Karl Böhm und heraushören.
Volkmar Andreae mit ihren Orchestern hinzu.
Die Romanze Es-Dur TrV 80 für konzertie-
Konzert d-Moll für Violine und Orchester
rende B-Klarinette, die der fünfzehnjährige Strauss
op. 8 TrV 110
für das Schuljahrsabschlusskonzert des Münchner
Ludwigsgymnasiums im Juni 1879 schrieb, ist sein Als Strauss im März 1882 noch als Gymnasiast sein
frühestes erhaltenes Stück mit Orchester über- erstes ›ausgewachsenes‹ Instrumentalkonzert, das
haupt; sie wurde von einem Mitschüler geblasen, Violinkonzert op. 8 TrV 110 in derselben Tonart
dessen Name nicht überliefert ist. Bei dem ver- d-Moll wie seine 1. Symphonie, abschloss, lag die
mutlich in Anlehnung an Beethoven als Romanze Uraufführung des bedeutendsten Violinkonzertes
bezeichneten Stück (Strauss schätzte Beethovens der zweiten Jahrhunderthälfte, des op. 77 von
Violinromanze op. 50; vgl. Trenner 1980, 67), ei- Brahms, gerade vier Jahre zurück. Strauss kannte
nem 207 Takte umfassenden Andante mit Con es offenbar zu dieser Zeit noch nicht (erst 1884
moto-Mittelteil, handelt es sich um eine Übung fing er an, »sich mit Brahms sehr zu befreunden«;
im Stil des konzertanten Klarinettenrepertoires Trenner 1980, 80); er scheint es 1885 bei Gelegen-
des frühen 19. Jahrhunderts (Weber, Spohr, Krom- heit des von Bülow in Meiningen veranstalteten
mer, Lindpaintner u. a.). Stolz wies Strauss darauf ›Brahms-Festivals‹ aus Anlass der Uraufführung
hin (Trenner 1980, 70), wie gut ihm hier ein der 4. Symphonie erstmals gehört zu haben. Seine
»6stimmiges Orchesterfugato« gelungen sei; es Reaktion war Entzücken und zugleich Empörung
bildet die Überleitung zwischen Haupt- und Sei- über seinen Geigenmentor Benno Walter, für den
tenthema des ersten von drei Teilen, sprengt frei- er sein eigenes Konzert geschrieben hatte: Beson-
lich die formale Balance. ders der erste Satz des Brahms-Konzerts stehe
448 Instrumentalmusik

»dem Beethovenschen an Größe und Schönheit ten. Das Dur-Presto-Schlussrondo, in dem sich
nicht nach […] und ich kann die Ignoranz eines ein tarantella-artiger Perpetuum-mobile-Refrain
Walter nicht begreifen, die ein Werk, das mit dem mit Cantabile und virtuosen Doppelgriff-Episo-
Beethovenschen zu dem schönsten und (natürlich den abwechselt, bildet einen Tummelplatz geigeri-
für einen ausgezeichneten Geiger und noch mehr scher Bravour, der Solisten wie Walter, Krasselt
Musiker) dankbarsten gehört, was die Geigen- und Bronisław Huberman Gelegenheit bot, ihre
literatur besitzt, so schmählich verkennt« (Schuh Möglichkeiten voll auszuspielen. Dass sich das
1954, 66). Der enorme Abstand von Brahms’ Violinkonzert dennoch nicht dauerhaft im Reper-
Konzert zu seinem eigenen wurde Strauss offen- toire hielt, liegt wohl daran, dass man es später mit
sichtlich bewusst: Er hatte – ungeachtet des pathe- dem gereiften Personalstil seines Schöpfers nicht
tischen Kopfthemas im ersten Satz – ein allen mehr zur Deckung zu bringen vermochte: Zu of-
symphonischen Anwandlungen fern stehendes fenkundig wandelte er (wenn auch noch so ge-
reines Virtuosenkonzert in der Tradition von Spohr, konnt) in den Bahnen längst verklungener Gat-
Vieuxtemps und Wieniawski (der sein zweites tungstraditionen.
Konzert vier Jahre vor Strauss in derselben Tonart
d-Moll herausgebracht hatte) geschrieben und ließ
Konzert Es-Dur für Horn und Orchester
sich auch von seiner Brahms-Erleuchtung nicht
op. 11 TrV 117
davon abhalten, es nach der Wiener Uraufführung
und einigen günstigen Rezensionen immer wieder Das erste Hornkonzert nahm Strauss 1882 unmit-
mit Klavierbegleitung darzubieten; der Berliner telbar nach dem Violinkonzert, möglicherweise
Dirigent Karl Klindworth äußerte anerkennend, noch während dessen Abschlusses, in Angriff und
es würde ihn freuen, »wenn dasselbe effektvoll vollendete es spätestens Anfang 1883. Trotz fast
und lebensfähig genug wäre, um Bruch’s g-Moll gleicher Orchesterbesetzung (nur das 3. Tuttihorn
aus unseren Concertsälen zu verbannen« (Boyden fehlt) wirken das Klangbild ebenso wie die melo-
1999, 34). Mit Orchester scheint er es erst 1896 in disch-rhythmische Haltung eher noch konservati-
Leipzig mit dem Münchner Konzertmeister Alfred ver als im Violinkonzert; sichtlich bemühte sich
Krasselt als Solisten aufgeführt zu haben. der junge Komponist, in einem Werk, das selbst-
Der unsymphonische Charakter zeigt sich im verständlich seinem Vater gewidmet war, dessen
Kopfsatz daran, dass sich das Orchester über weite Geschmack weitgehend zu treffen. Das aber be-
Strecken auf Akkordschläge und gelegentliche deutete eine stilistische Gratwanderung zwischen
dem Solopart als Kontrast dienende thematische einer Gattungstradition, die außer von Haydn,
Linien (vor allem der Holzbläser) beschränkt. Mozart, Weber bis zu Schumanns singulärem
Bezeichnend ist auch, dass die Solokadenz vom Concertstück für vier Ventilhörner op. 86 (1849)
Schluss in die Mitte der Durchführung verlegt vorwiegend von nachrangigen Komponisten wie
wird; in ihr kulminieren die zahlreichen improvi- Friedrich Kuhlau, Saverio Mercadante oder Fried-
satorischen Momente des Soloparts, die über den rich Witt kultiviert worden war, auf der einen,
ganzen Satz verteilt sind und ihm bei aller forma- und dem technischen Fortschritt, den das Instru-
ler Scholastik einen aufgelockerten Charakter ment im 19. Jahrhundert vor allem durch die
verleihen; dazu trägt auch bei, dass der Satz sich Einführung der Ventile erfahren hatte, auf der
im Seitenthema der Reprise nach Dur wendet und anderen Seite. Die Einführung des Ventilhorns
bis zum Schluss darin verbleibt, somit den anfangs hielt Strauss »entschieden« für den »größte[n]
tragischen Ausdruck des ›Concerto militare‹ (einem Fortschritt«, der »in der modernen Orchestertech-
im späten 18. Jahrhundert verbreiteten Typus des nik – seit Berlioz – […] erzielt worden« sei (Ber-
Violinkonzerts) ins Strahlend-Heroische wendet. lioz/Strauss 1905, 279). Sein Vater war einer seiner
Der Romanzenton des in der Moll-Subdominante bedeutendsten Virtuosen; er hatte die Entwick-
stehenden Lento ma non troppo erfreute sich lung vom Natur- zum Ventilhorn als Signatur
beim zeitgenössischen Publikum besonderer Be- seiner eigenen Karriere mitvollzogen, konnte gera-
liebtheit; auf geschmackvolle Weise wird die Ba- dezu als deren Personifizierung gelten. Im ersten
lance zwischen Sentiment und Expressivität gehal- Hornkonzert wirkt sich das so aus, dass die
22. Symphonische und konzertante Werke 449

Hauptthemen der Ecksätze geradezu demonstrativ 1921, 110) – ganz bewusst vornahm und sich damit
auf der idiomatischen Fanfarenmelodik des Na- bereits hier als ein Komponist aus dem Geist des
turhorns beruhen, die aber zunehmend chroma- Historismus erwies (Hottmann 2005, 627 ff.; vgl.
tisch angereichert und Modulationen in entlegene Kap. 9), zeigt sich an der Dialektik mit den Fort-
tonale Regionen unterzogen wird. Auch in der schrittselementen, die nicht zuletzt in der Persön-
ungewöhnlichen zyklischen Form des Konzerts lichkeit des väterlichen Adressaten angelegt war.
spiegelt sich die Intention, die quasi unbegrenzte Sechs Jahrzehnte später thematisierte Strauss diese
Modulationsfähigkeit des Horns zu demonstrie- Dialektik erneut im zweiten Hornkonzert, das in
ren: Die drei Sätze schließen sich nämlich zu verschiedener Hinsicht (Tonart, Thematik, Ge-
einem einzigen Sonatenhauptsatz zusammen, denken an den Vater) auf das erste – mitunter in
dessen Exposition – der 4/4-Allegro-Kopfsatz – geradezu parodieartiger Weise, wenn auch von
akademisch von der Hauptthemen-Tonika zur einer gänzlich veränderten kompositorischen
Seitenthemen-Dominante moduliert. Daran Warte aus – Bezug nimmt (May 2010, 181).
schließt sich als Durchführung ein 3/8-Andante
an, das in der Subdominant-Variante as-Moll be-
Burleske d-Moll für Klavier und Orchester
ginnt, dem Strauss als Kontrast einen E-Dur-
TrV 145
Mittelteil entgegenstellt, und das nach Rückkehr
in die Ausgangstonart in deren Dur-Variante Das letzte in der Reihe der jugendlichen Solo-
schließt. Daraufhin wird in das in der Grundton- konzerte ist die Burleske für Klavier und Orchester
art stehende und als Reprise fungierende 6/8-Alle- d-Moll TrV 145. Strauss selbst bezeichnete sie als
gro-Finalrondo zurückgeleitet, dessen Refrains Ergebnis seiner »damaligen Brahmsschwärmerei
und Couplets Varianten des thematischen Mate- (unter Bülows suggestivem Einfluß)« (Strauss
rials des Kopfsatzes darstellen. Es erscheint zwar 1981, 207). Später soll er gesagt haben, Bülow habe
unwahrscheinlich, dass Strauss vor seiner Begeg- ihm Brahms so lange als Beispiel hingestellt, bis er
nung mit Alexander Ritter das Lisztsche Prinzip dessen Art genau studiert habe – »und dann
der ›Einsätzigkeit in der Mehrsätzigkeit‹ bewusst kommt so eine Instrumentation heraus« (Specht
übernommen hat; doch lag diese formale Anlage 1921, 135). Das neben Konzeptionen wie Wandrers
schon seit den 1840er Jahren in der Luft und es Sturmlied TrV 131 und vor einer (nur skizzierten)
erscheint durchaus denkbar, dass Strauss zu ihrer Rhapsodie cis-Moll entstandene Werk sollte ur-
selbständigen Anwendung motiviert wurde, um sprünglich als ›Scherzo‹ betitelt werden, in dessen
die aktuelle historische Situation des Soloinstru- typischem ganztaktigem Allegro-Vivace-Tempo es
ments auf diese Weise besonders drastisch de- verläuft. Doch wurde der Titel vermutlich schon
monstrieren zu können. deshalb verworfen, weil das Stück nicht die für
Der nunmehr bereits routinierte Orchester- diese Gattung übliche A-B-A-Form mit Trio als
praktiker Strauss zeigt sich daran, dass er die bei- Mittelteil, sondern die für Konzertsätze übliche
den Tutti-Hörner in Es, das Solo-Horn dagegen in Sonatenhauptsatzform mit Ritornell-Solowechsel
F notierte und im langsamen, tonal weit sich aufweist, die streckenweise von Rondostrukturen
entfernenden as-Moll-Mittelsatz ganz auf die überlagert wird (Struck 1995, 278 f.). (Später wird
Tutti-Hörner verzichtete. Auf solche Weise wer- Strauss von eben dieser Sonatenhauptsatzform
den diese von unbequemen Transpositionen dis- behaupten, sie sei bei den »Epigonen« Beethovens,
pensiert, während der Solist mit bis zu sechs Vor- unter die er explizit Bruckner und »besonders […]
zeichen umzugehen hat. Hans von Bülow meinte, Brahms« rechnete, »ein leeres Gehäuse geworden
ihm gefiele das Konzert besser, »wenn die altväte- […], in dem bequem Hanslicks tönende Floskeln
rischen Tutti etwas gekürzt oder mehr gewürzt Platz hatten, deren Erfindung nicht allzu viel
würden« (Bülow 1907, 287). Dass Strauss die sti- Phantasie und wenig persönliche Gestaltungskraft
listische Orientierung nach rückwärts – selbst von erfordern. Daher bei Brahms und Bruckner be-
wohlmeinenden Kritikern wie Richard Specht mit sonders in den Übergangsperioden so viel Leer-
Ausdrücken wie »Kurkapellenmusik«, »feurige lauf«; Strauss 1981, 210.) Freilich wartet der junge
Trivialität« und »biedermeiersch« belegt (Specht Stürmer und Dränger in dieser »liebenswürdig
450 Instrumentalmusik

ungezogene[n] und höchst unterhaltsame[n] Gro- der ›schleichend‹ ohne explizite Kadenzierung auf
teske« (Specht 1921, 135) mit diversen Überra- der erreichten Tonikaparallele erfolgt (T. 271 ff.).
schungsmomenten auf. Den Beginn gestaltete er Das Ausmaß, in welchem die Auseinandersetzung
geradezu als einen Überfall auf den Zuhörer in mit Brahms Strauss an die damalige Moderne
Gestalt eines Themas für vier unbegleitete Solo- heranführte (lange vor Schönbergs geschichts-
pauken, das im Verein mit dem durch 3., 7. und mächtiger Einschätzung von Brahms als dem
5. Stufe gehetzten gleichfalls rhythmisch akzentu- »Fortschrittlichen«), kann kaum überschätzt wer-
ierten Thema im vollen Orchester – das eine an- den: Paradoxerweise führt gerade der hypertrophe
fängliche tonale Verortung bewusst durchkreuzt – Brahmsianismus zu dem Ergebnis, dass sich das
zu der offenbar angestrebten turbulenten Gesamt- Werk von seinem Modell entschieden in Richtung
wirkung führt. Zur solistischen Verwendung der Zukunft entfernt und über weite Strecken dem
Pauken ließ sich Strauss wahrscheinlich von Beet- Finalsatz Allegretto con spirito aus Max Regers
hoven (Adagio aus der 4. Symphonie, Molto vivace 27 Jahre späterem f-Moll-Klavierkonzert op. 114
aus der 9. Symphonie) anregen, radikalisierte diese ähnlicher klingt als etwa Brahms’ op. 83.
Einsätze allerdings durch ihre Platzierung in den Zugedacht hatte Strauss die Burleske seinem
Eingangstakten, bevor noch irgendein anderes Meininger Mentor Bülow, für den er diesmal Ri-
Instrument erklungen ist. Ein solcher Werkbeginn tornelle komponierte, die wohl als Antwort auf
bedeutete zu diesem Zeitpunkt eine ungemeine dessen Kritik des »Altväterischen« im Hornkon-
Kühnheit, die Strauss selbst erst wieder in jenem zert (s. o.) gedacht waren. Offensichtlich hatte
»wilde[n] Rhythmus« (Salome-Partitur, Regiean- Strauss beabsichtigt, das Stück mit seinem
weisung nach Buchstabe B) einholte, mit dem er brahmsisch-bärbeißigen Witz Bülow geradezu auf
in der Salome den Tanz der Protagonistin eröff- den Leib zu schreiben. Um so größer war seine
nete. Er schlug damit eine neue Seite im wichtigen Bestürzung, als er von seinem Mentor eine glatte
Kapitel der Emanzipation der Perkussionsinstru- Abfuhr, ja »Entrüstung« ob der angeblich »un-
mente auf, die zu einer der auffälligsten Signatu- klaviermäßig[en]« Zumutungen hinsichtlich der
ren des 20. Jahrhunderts werden sollte. Zugleich Weitgriffigkeit erntete (Strauss 1981, 207; Krause
nimmt der Solopart gleich in seinem ersten Ein- 1980a, 35), die permanente Veränderungen der
satz den rhythmischen Gestus des Schlagzeugs in Handstellung in wochenlangem Studium erfor-
massierten Akkordbewegungen auf: Auch damit, derten: eine erstaunliche Argumentation von Sei-
dass Strauss das perkussive Moment innerhalb des ten des Mannes, der immerhin elf Jahre zuvor
Brahms’schen Klaviersatzes akzentuierte, wies er Tschaikowskys ihm gewidmetes b-Moll-Klavier-
voraus auf das 20. Jahrhundert, das dem Klavier konzert uraufgeführt hatte. Strauss war von Bü-
schon in den frühen Werken etwa Prokofjews oder lows harschem Urteil so konsterniert, dass er die
Bartóks eine weitgehend perkussive Rolle zuteilte, Burleske vier Jahre lang liegen ließ – eben jene
die während und nach dem Ersten Weltkrieg – Jahre, in denen sich unter dem Einfluss von Alex-
etwa in der Ästhetik von Jean Cocteau – geradezu ander Ritter seine Abwendung von Brahms und
zum Programm erhoben wurde. die Annäherung an die neudeutsche Ästhetik
Als Brahmsianismus ist vor allem die das ganze vollzog. Als dann 1890 der 26-jährige Liszt-Schüler
Werk durchziehende, in ihrer Ausgiebigkeit mit- Eugen d’Albert sich interessiert daran zeigte, die
unter geradezu das Parodistische streifende Aus- öffentliche Uraufführung (die zusammen mit
komposition der harmonischen Nebenstufen zu derjenigen der Symphonischen Dichtung Tod und
erkennen. Unverkennbar an Brahms angelehnt Verklärung TrV 158 stattfand) zu übernehmen,
erweist sich auch die motivische und klangliche stimmte Strauss nur widerstrebend zu und tat zu-
Struktur des Soloparts: So evoziert beispielsweise gleich Abbitte gegenüber Ritter (der in der Bur-
das Motiv im ersten Takt deutlich den Gestus der leske selbstverständlich die Anlehnung an Brahms
Takte 45 ff. im Finale von Brahms’ 2. Klavierkon- erkannte, den er ihm inzwischen ausgetrieben
zert op. 83. Ebenso gemahnt die ›humoristische‹ hatte): Es handele sich um ein Werk, »über das ich
Verschleierung formaler Nahtpunkte an das Vor- weit hinaus bin und für das ich nicht mehr mit
bild, so etwa der Übergang in die Durchführung, voller Überzeugung einstehen kann« (Schuh 1976,
22. Symphonische und konzertante Werke 451

114). Während Bülows Einstellung unter dem deutscher Literat und Komponist (vor allem von
Eindruck von d’Alberts »admirabler« Darstellung Märchenopern und Symphonischen Dichtungen).
sich zu einer zwiespältigen Anerkennung des »Durch langjährige liebevollste Bemühungen« ge-
»genial[en]«, aber auch »erschreckend[en]« Stü- lang es ihm, bei dem »nur mit Haydn, Mozart,
ckes wandelte (Schuh 1976, 114), löste die an Beethoven Aufgewachsenen, soeben erst durch
kompositorischen Vatermord grenzende abschät- Mendelsohn [sic] über Chopin, Schumann, bei
zige Haltung des Komponisten gegenüber seinem Brahms angelangten« (biographische Skizze ca.
Werk – er soll es »immer äußerst lieblos« dirigiert 1897/98; zit. nach Werbeck 1996, 528) Strauss die
haben; Richard Specht fiel die »merkwürdige »Vorurteile«, die ihm »durch die Erziehung […]
Animosität gegen das […] von ihm ›überwun- gegen das Wagnersche und besonders das Lisztsche
dene‹ Stück« auf (Specht 1921, 134 f.) – dessen Kunstwerk« anhafteten (Strauss 1981, 210), auszu-
Jahrzehnte währende Randständigkeit sowohl im räumen und ihn zum Kummer seines Vaters zum
solokonzertanten Repertoire als auch innerhalb glühenden Parteigänger Liszts und Wagners zu
von Strauss’ Gesamtœuvre aus. Erst wichtige Pia- bekehren, die zu dieser Zeit – Wagner war 1883,
nisten des ausgehenden 20. Jahrhunderts, an ihrer Liszt 1886 gestorben – die Maßstäbe der Moderne
Spitze Glenn Gould, legten überraschende Quali- setzten. »Ein fortschrittlicherer Standpunkt, als ich
täten der Burleske frei. ihn jetzt einnehme«, erschien ihm zu dieser Zeit
»kaum mehr denkbar«, er empfand ihn als »Klar-
heit, die jetzt über mich gekommen ist« (Brief
Aus Italien. Sinfonische Fantasie G-Dur
vom 9.4.1889; Krause 1980b, 277). Sein Engage-
für großes Orchester op. 16 TrV 147
ment für den immer noch überaus umstrittenen
Die Instrumentation, an der sich Strauss bei seiner Liszt ging so weit, dass er die Herausgabe einer
Burleske bald stieß, ist einer der wesentlichen »Lisztzeitung« erwog (Werbeck 1996, 29), womit
Punkte, die den stilistischen Unterschied von er sich gewissermaßen zum Haupt der Liszt-Partei
Strauss’ nächster großer Orchesterkomposition zu aufgeschwungen hätte.
allen seinen bisherigen Werken ausmachen: der »Neue Gedanken müssen sich neue Formen
1886 entstandenen und am 2. März des folgenden suchen.« Bei dem Versuch, zu diesem »Grund-
Jahres im Münchner Odeon unter Strauss – der zu prinzip« von Liszts »sinfonischen Werken« (Strauss
dieser Zeit 3. Kapellmeister in seiner Heimatstadt 1981, 210) vorzudringen, bedeutete Aus Italien den
war – uraufgeführten »Sinfonischen Fantasie« Aus »erste[n] Schritt zur Selbständigkeit« (Brief vom
Italien, die speziell in ihrem ersten und dritten 11.3.1887; zit. nach Steinitzer 1911, 48); aus Strauss’
Satz – wiederum muss man Specht zustimmen – späterer Sicht freilich nicht mehr als einen
»die eigentliche Geburt des Tondichters und Or- »erste[n] schüchterne[n] Versuch« (Strauss 1981,
chestermagiers Strauß« und damit »ein Datum in 201 f.). Das zeigt sich bereits an der Benennung:
der Musikgeschichte« bedeutet (Specht 1921, 139 f.). Ungeachtet der traditionellen Viersätzigkeit be-
Im Herbst 1885 hatte Strauss Alexander Ritter zeichnete Strauss das Werk als »Sinfonische Fanta-
kennengelernt, Violinist im Meininger Orchester, sie« (den Lisztschen Begriff »Symphonische
Sohn der Wagner-Mäzenin Julie Ritter und eines Dichtung« fand er wohl angesichts des privaten,
im estnischen Narwa tätigen Kaufmanns, verhei- nicht einem konkreten poetischen Vorwurf fol-
ratet mit Wagners Nichte Franziska und seit den genden Reisesujets unangebracht; andererseits
1850er Jahren, als er im Weimarer Orchester seine hatte der stets als »Voyageur« unterwegs befindli-
erste Anstellung fand, glühender Anhänger Liszts che Liszt seine klavieristischen Reisebilder schon
und Wagners; politisch hing er alldeutschen und seit den 1830er Jahren in den begrifflichen Zusam-
antisemitischen Gesinnungen an. Aufgrund seiner menhang der Fantasie gestellt; Edler 2004, 217).
umfassenden Bildung kannte er sich nicht nur Später sprach Strauss von einer »Suite« (Strauss
bestens in den Werken und Schriften seiner beiden 1981, 210), was die Einzelstellung der Sätze unter-
Heroen sowie in der Philosophie Arthur Schopen- streicht und das Werk eher in die Nachbarschaft
hauers und anderer führender Geister der Zeit aus, orchestraler »Souvenir«-Kompositionen etwa von
sondern versuchte sich auch als produktiver neu- Glinka, Saint-Saëns, Massenet oder Tschaikowsky
452 Instrumentalmusik

rückt. Eine gewisse konzeptionelle Verwandtschaft Ruinen evoziere »Fantastische Bilder entschwun-
weist am ehesten die Roma-Symphonie auf, die dener Herrlichkeit, Gefühle der Wehmuth und
Georges Bizet während der 1870er Jahre beschäf- des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart«.
tigte, die indessen Strauss kaum bekannt gewesen Im dritten Satz Am Strande von Sorrent werde »der
sein dürfte. Auch Bizet schwankte zwischen den Versuch gemacht, die zarte Musik der Natur, die
Bezeichnungen »Symphonie«, »Fantaisie sympho- das innere Ohr im Säuseln des Windes in den
nique« und »Suite de Concert« (Dean 1988, 188 f.; Blättern, in dem Gesang der Vögel und allen den
Steinbeck 2002, 314 f.). feinen Naturstimmen, in dem fernen Rauschen
In einem nicht datierten Brief an Karl Wolff von des Meeres, von dem ein einsamer Gesang an’s
1887 betonte Strauss, der »Inhalt« von Aus Italien Ufer schallt: […] vernimmt, tonmalerisch darzu-
bestehe aus »Empfindungen beim Anblick der stellen und in Gegensatz zu bringen zu der sie
herrlichen Naturschönheiten Roms und Neapels, aufnehmenden menschlichen Empfindung, wie
nicht Beschreibungen derselben«. Und er empörte sie sich in dem melodischen Elemente des Satzes
sich über das Unvermögen der Kritiker, seine ton- äussert. Das Wechselspiel im Auseinandertreten
poetischen Stimmungsbilder angemessen zu erfas- und der theilweisen Vereinigung dieser Gegensätze
sen: »›Ein musikalischer Bädeker Süditaliens‹ be- bilden den geistigen Inhalt dieses Stimmungsbil-
kam ich einmal zu lesen« (Werbeck 1996, 26). Als des.« In Neapolitanisches Volksleben, dem Finale,
Reisebild gehört Aus Italien bereits zu Strauss’ auto- werde »ein bekanntes neapolitanisches Volkslied«
biographisch ausgerichteten Tondichtungen. Er zitiert, und »als Codamotiv« werde »eine Taran-
verarbeitete – in der Tradition zahlloser prominen- telle verwendet, welche der Komponist in Sorrent
ter europäischer »Et in Arcadia ego«-Bekenner des hörte«. Der »tolle Orchesterspuk« wolle »in einem
17. bis 19. Jahrhunderts – Eindrücke seiner ersten lustigen Durcheinander von Themen das bunte
Italienreise, die ihm sein Vater nach Abschluss der Treiben Neapels schildern […]; die anfangs nur von
Meininger Episode 1886 geschenkt hatte. Ferne erklingende Tarantelle gewinnt gegen Ende
»Die Verschiebung der Sätze, und […] Satz- des Satzes immer mehr die Oberhand und bildet
teile«, die Strauss als entscheidenden in Aus Italien den Abschluss dieser Humoreske« (Strauss 1889).
unternommenen Schritt in Richtung Tondich- Außer diesen poetischen Erläuterungen enthält
tung anführte (Strauss 1981, 210), macht sich in Strauss’ »Analyse« eine Auflistung der Themen der
der zyklischen Anordnung dadurch bemerkbar, einzelnen Sätze, die allerdings unvollständig ist
dass von den vier (die ursprüngliche Konzeption und deren Anordnung nicht einmal immer der
umfasste fünf ) Sätzen der erste und der dritte ein Reihenfolge ihres Auftretens entspricht. Außer-
ruhiges Tempo (Andante bzw. Andantino) aufwei- dem benennt Strauss sie mit Termini wie etwa
sen, während der zweite den Sonatenhauptsatz »Codamotiv«, die ebenso wenig in der Formen-
repräsentiert und der vierte zumindest Elemente lehre etabliert sind wie sie ihre tatsächliche Funk-
eines solchen aufweist. Auch die zyklische Tonar- tion innerhalb der Komposition unmittelbar ein-
tenfolge weicht von der Konvention ab: Der erste leuchtend beschreiben. (Den der Formtheorie des
und der letzte Satz stehen in der Grundtonart G, frühen 19. Jahrhunderts entstammenden Terminus
der zweite in C, und der dritte in A. 1889 veröf- »Mittelthema« bzw. »Mittelsatz« verwendete
fentlichte Strauss in der Allgemeinen Musikzeitung, Strauss – wie sich bereits bei der f-Moll-Sympho-
einem auf neudeutschem Kurs segelnden Organ, nie zeigte – durchgängig für das zweite Thema des
eine als »Analyse« bezeichnete Einführung in sein Sonatenhauptsatzes [Ritzel 1968, 207 f.]. Dagegen
Werk, in dem er den einzelnen Sätzen – zusätzlich verstand er unter den oft mehreren »Seitenthe-
zu den Überschriften – eine kurze Beschreibung men« Über- und Ableitungen aus dem Haupt-
der Empfindungen beigab, die die Musik veran- thema.) So bilden etwa die drei Teile des ersten
lasst hatten: Der erste Satz Auf der Campagna sei Satzes einen tonalen A-B-A’-Verlauf: G (T. 1–40) –
ein »Präludium, welches die Stimmung wieder- Es (T. 41–92) – G (T. 93–156), wobei aber die
giebt, die der Komponist beim Anblick der wei- von Strauss als erstes »Hauptthema« bezeichnete
ten, in Sonnengluth getauchten römischen Cam- Gestalt ihren ersten Auftritt erst im letzten
pagna […] empfand«. Der zweite Satz In Rom’s Abschnitt – von den Bläsern vorgetragen – hat,
22. Symphonische und konzertante Werke 453

Aus Italien, Andante, T. 100–105

wo sie den zunächst in den Bläsern, dann in den


Streichern erklingenden, von Strauss als »Coda-
thema« apostrophierten Zweitakter einrahmt.

Aus Italien, Andante, T. 106 f.

Möglicherweise bezieht sich letztere Bezeichnung Gegensatzes Es-Dur – G-Dur der Satz relativ
auf den erneuten Auftritt dieses Themas im zwei- einheitlich im Sinn eines dreigliedrigen »Präludi-
ten Teil des Finalsatzes (T. 355), wo es eine Art ums« verläuft.
Codafunktion für den gesamten Zyklus über- Offensichtlich handelt es sich also bereits hier
nimmt. Als erstes der von Strauss angeführten um mehr als eine bloße »Verschiebung« der Satz-
Themen des Kopfsatzes tritt jedoch das »Seiten- teile, vielmehr führt Strauss die Kategorien der
thema« im Es-Dur-Mittelteil auf (T. 41 ff.) und Formenlehre ad absurdum. In Wahrheit besteht
dieses ist es auch, welches den Epilog (T. 138 ff.) seine »Analyse« (wie schon diejenige zur f-Moll-
des Satzes einleitet. Symphonie) lediglich aus einer Thementafel, der
Nähme man Strauss’ Themenbezeichnungen hier eine programmatische Einführung hinzuge-
wörtlich, so würde das zu dem absurden Ergebnis fügt ist: ein Verfahren, das an jene »Thematischen
führen, dass nicht nur der gesamte, fast 40  des Leitfäden« anknüpft, die seit ihrer Kreierung durch
Gesamtumfanges des Satzes umfassende A’-Ab- Hans von Wolzogen aus Anlass der ersten Bay-
schnitt als Coda anzusehen wäre, sondern darüber reuther Festspiele 1876 eine enorme Konjunktur
hinaus deren Funktion mit derjenigen einer zwei- hatten und dem Publikum als Prototyp der Ein-
ten thematischen Exposition (nach derjenigen des führung in größere musikalische Werke wohlver-
»Seitenthemas«) zusammenfiele, da im eröffnen- traut waren. Außerdem lagen zum Zeitpunkt des
den A-Abschnitt nur mit motivischen Fragmenten Erscheinens der »Analyse« die Tondichtungen
gearbeitet wird und es nicht zu einer Ausformulie- Macbeth und Don Juan bereits einige Zeit zurück;
rung geschlossener Themen kommt. Der Prälu- die letztgenannte hatte ihre Uraufführung im No-
dien-Charakter wird deutlich an den einleitenden vember 1888 erlebt, und es erscheint durchaus
Folgen von vagierenden Akkorden; sie bereiten nicht auszuschließen, dass der Schalk Strauss, der
den Auftritt der Motivfragmente vor, unter denen in diesen seinen neuesten Werken weit über die
insbesondere der nach oben gerichtete Oktav- viersätzige Symphonie hinausgeschritten zu sein
sprung auf das Hauptthema des dritten Teils vor- überzeugt war, mit denjenigen unter seinen Rezi-
ausweist. Erst im B-Abschnitt kommt es dann zu pienten ein mutwilliges Verwirrspiel treiben wollte,
einem con espressione von den Streichern vorgetra- die die Viersätzigkeit von Aus Italien zum Anlass
genen geschlossenen kantablen Es-Dur-Thema, nahmen, beflissen nach formalästhetischen Restbe-
das von Harfe und anwachsender Bläserbesetzung ständen zu suchen. Dabei erschließen sich im
grundiert wird. Im Charakter unterscheiden sich zweiten Satz, dem im Sinn eines Sonatenhauptsat-
die Themen in den Abschnitten B und A’ nicht zes gestalteten 6/4- bzw. 3/2-Allegro molto con brio
signifikant, so dass ungeachtet des mediantischen in C-Dur, schon bei oberflächlichem Hören die
454 Instrumentalmusik

Einsätze von Durchführung (T. 100), Reprise (T. historischen Situation um 1890 bereits aufgeweicht
267) und Coda (T. 340) relativ klar, und die größe- waren (Forchert 1975). Dem entspricht die Belie-
ren Umfänge von Durchführung und Coda signa- bigkeit, mit der in der Reprise die Exposition fast
lisieren deren Gewichtung im formalen Verlauf. linear, jedoch mit gewissen Varianten im Detail,
Überaus bezeichnend aber ist, wie Strauss die tra- wiederholt wird: ein frühes Musterbeispiel für
ditionellen Formkategorien mit den »in der Ueber- Adornos These der Überraschung als Stilprinzip
schrift angegebenen drei Grundstimmungen« und als durchgängige Technik bei Strauss (Adorno
(Strauss 1889, 265) verknüpft: Die »Fantastische[n] 1978, 581). Ähnliches gilt für die Coda in Bezug
Bilder entschwundener Herrlichkeit« erzeugen das auf die Durchführung. Sie beginnt mit der Verar-
im Oktavraum aus Grundton und Quinte sich er- beitung beider »Codamotive«, doch ersetzt Strauss
hebende, durch die Sext a’ rhythmisch intensivierte die umfangreiche Steigerung des »Hauptthemas«
»Hauptthema« in den Trompeten (eine – freilich durch eine breitere Entfaltung des »Mittelthemas«
entfernte – Vorahnung des Beginns von Also sprach (T. 391 ff.), dessen Kombination mit dem »Haupt-
Zarathustra). In der Exposition reihen sich die thema« (T. 420 ff.) den Satz beschließt. Hinsicht-
Themen als musikalische Empfindungen und lich der thematischen Kombinatorik wie der
Gefühle aneinander: »Gefühle der Wehmuth« als Klanglichkeit und der motivischen Gestik weist
»1. Seitensatz des Hauptthemas« zunächst in Oboe dieser Satz noch die stärksten Brahms-Einflüsse
und Klarinette in der Dominantparallele e-Moll innerhalb des symphonischen Zyklus’ auf (na-
(T. 29 ff.), Gefühle »des Schmerzes« als »2. Seiten- mentlich erinnern etwa die T. 129 ff. und 373 ff. an
satz des Hauptthemas« in Gestalt rhythmisch das von Strauss auch später geschätzte Violinkon-
markierter Sprünge des vollen Orchesters in ab- zert); doch tritt an die Stelle von Brahms’ entwi-
wärtsgerichteten Quinten und Dezimen und ei- ckelnd-variativer Konsequenz die assoziative Rei-
nem anschließenden Aufstieg im Oktavraum in hung von Empfindungscharakteren.
der Variante c-Moll (T. 50 ff.). Das »Mittelthema« Demgegenüber gibt in dem an dritter Stelle
repräsentiert die »sonnigste Gegenwart« als dolce- stehenden 3/8-Andantino in A-Dur die dezidierte
Kantilene von Streichern und Hörnern in der tonmalerische Zielsetzung Anlass zur Entfaltung
Dominante G-Dur (T. 66 ff.). der vollen Pracht des nachwagnerschen Orches-
Diese vier Themen werden in der Durchfüh- ters, dem der Klangartist Strauss, der hier zu sich
rung diversen Entwicklungen, Erweiterungen und selbst findet, eine Fülle von ungeahnten neuen
Kombinationen unterzogen. Ihren ersten Ab- Farben und Schattierungen hinzugewinnt. Das
schnitt eröffnen die beiden »Codamotive«, ver- zeigt sich gleich zu Beginn in den flirrenden Tril-
bunden mit dem Kopf des »Mittelthemas«, der lerfiguren der achtfach geteilten Streicher, gefolgt
allerdings bald verschwindet. Ab T. 143 wird das von den rasch bewegten ornamentalen Chroma-
»Hauptthema« in zwei Motive aufgespalten, ab tismen in den parallel geführten dreifachen Flöten
T. 162 mit dem (gleichfalls aufgespaltenen) zwei- in hoher Lage und den Violinen und Bratschen.
ten Seitensatz kombiniert und in einer motivi- Das von Strauss als »geistiger Inhalt« bezeichnete
schen Stichomythie zum Höhepunkt in T. 216, der »Wechselspiel im Auseinandertreten und der theil-
Mitte der Durchführung, geführt. Deren zweite weisen Vereinigung der Gegensätze« von »ton-
Hälfte wird vom motivisch aufgespaltenen ersten malerisch« erfasster Natur und der Aufnahme
Seitensatz bestritten und bildet eine Phase stetiger durch die »menschliche Empfindung« manifestiert
Beruhigung über dem 40 Takte währenden Orgel- sich in einer deutlich nach Abschnitten getrenn-
punkt Cis/Des, der mit einem überraschenden ten Rollenverteilung. Den kantablen Linien der
chromatischen Abwärtsschritt nach C in einem die Grundtonart A-Dur mehr in Nebenstufen
veritablen theatralischen Coup in die Reprise ge- umkreisenden als ausformulierenden Streicher
führt wird. Dieser Coup hat ebenso wie die vor- (T. 33 ff.) oder der Violoncelli und Klarinetten/
ausgehenden thematisch-motivischen Verfahren, Fagotte (T. 84–116 bzw. 210–234) kommt der Part
etwas Selbstzweckhaftes, als ein Spiel mit formalen der »Empfindung« zu, was Strauss regelmäßig und
Kategorien, deren Bedeutung mitsamt den tona- unmissverständlich durch espressivo-Vorschriften
len Grundlagen, auf denen sie beruhen, in der signalisiert: eine »Vergegenständlichung des Seeli-
22. Symphonische und konzertante Werke 455

schen in ein vis-à-vis, das sie dann reproduziert« ges Durcheinander von Themen« und »buntes
(Adorno 1978, 572). In der kurzen Minore-Mittel- Treiben in Neapel«, was einen kaleidoskopartigen
episode (T. 130–159) scheint sich das Molto espres- Ablauf erwarten ließe. Im Gegensatz zu Gustav
sivo der Oboenkantilene mit den auf- und abwo- Mahler, der ebenfalls der Aufnahme der ›niederen
genden Streicher- und Fagott-Ornamenten zu ei- Musik‹ in die Symphonik und einer angeblich
ner ziemlich direkten Umsetzung von Arnold daraus resultierenden Trivialität geziehen wurde,
Böcklins teilweise gleichzeitigen oder wenig frühe- steht das Populäre bei Strauss jedoch nicht ein für
ren »Römischen Landschaften« und »Najaden- die Naturverbundenheit, die dem modernen
spielen« (die der jugendliche Strauss in den Menschen unwiederbringlich verloren gegangen
Münchner Kunstsammlungen in reicher Auswahl ist und nach der er sich als nach einer zweiten
besichtigen konnte; Böcklins Spiel der Wellen ent- Kindheit zurücksehnt. Vielmehr repräsentieren
stand 1880 unter dem Eindruck eines Ischia-Auf- die Volksmelodien reine Gegenwart, sie sind Teil
enthalts) ins Musikalische zu verdichten. Das des Trubels, in den sich der Besucher aus dem
Stück, dem immer wieder die Affinität zum musi- Norden anfangs mit Vergnügen hineinreißen lässt
kalischen Impressionismus bescheinigt wurde und aus dem heraus er sich am Schluss nicht nach
(Hansen 2003, 31–35), entstand immerhin fünf der vergangenen Einheit mit der Natur, sondern
Jahre vor Claude Debussys »erste[m] größere[n] (im Sinne von Erholung) »nach der Ruhe der
Versuch auf dem Gebiet der Instrumentation«, Campagna« zurücksehnt. Gegenstand der Musik
dem Prélude à l’Après-midi d’un faune (Barraqué ist also ein psychologischer Vorgang in durchaus
1964, 70), mit dem es zwar die Umsetzung von realistischem Sinn (zur Psychologisierung als
Eindrücken mediterraner Atmosphäre in klangli- Merkmal des Realismus s. Geck 2001, 157), bar
che Bewegung gemeinsam hat, von dem es jedoch jeden Transzendenzbezugs. Konsequenterweise
die Aufteilung in Klang (»tonmalerische Darstel- erscheint das populäre Moment im Kontext des
lung«) und Melos (Reaktion durch »menschliche Symphoniefinales nicht als fremde Gegenwelt zur
Empfindung«) trennt. Strauss’ melodische Ge- musikalischen Hochkultur des Symphonischen,
bilde sind auch in diesem Satz ganz klar der pe- sondern Strauss hebt sie durch die Art, wie er sie
riodischen Quadratur verpflichtet und in die zu- in die thematisch-motivische Verarbeitung einbe-
grunde liegende Harmonie integriert; erkennbar zieht, auf deren Niveau; und die daraus resultie-
schließen sie sich an Modelle von Mendelssohn, rende, Zeitgenossen wie spätere Rezipienten be-
Wagner und Brahms an (Hansen 2003, 33 f.). Das fremdende und das stilistische Reinheitsgebot
Melos des eröffnenden Flötensolos in Debussys flagrant verletzende »Disparatheit« (Hansen 2003,
Prélude stellt demgegenüber eine an das Timbre 36) ist zentraler Bestandteil seines Konzepts von
der Flöte gebundene, von Themen und Motiven klassizistisch-realistischer Symphonik. So entspre-
unabhängige ornamentale Linie (Jarocinski 1970, chen die drei von Strauss aufgeführten Themen
119 ff., 162) dar, die im Tritonus-Ambitus um den durchaus dem Haupt- und Seitenthemenverhält-
Zentralton ais' kreist und die in der Folge mit der nis einer Sonatensatzexposition; allerdings steht
akzidentiell angezeigten Grundtonart E-Dur keine das »Mittelthema« (T. 92 ff.) normwidrig in der
funktionsharmonisch stabile Beziehung eingeht: Grundtonart und erst in T. 115 erfolgt die Wen-
als klangliches Phänomen trägt sie – in der For- dung zum Seitenthema: einer (von Strauss »in
mulierung von Vladimir Jankélévitch – die »ewige Sorrent« gehörten) Tarantella, die allerdings nicht
Gegenwart des bereits Vergangenen in sich« ganz schulgerecht in d-Moll, der Moll-Variante
(Jankélévitch 1989, 146). der Dominante, mit bordunartiger Begleitung
Das Allegro con brio des Finalsatzes überbietet auftritt. Das Hauptthema hielt Strauss, als er es in
noch den »élan vital« (Adorno 1984, 256) des zwei- den symphonischen Zusammenhang einbezog,
ten, so schon zu Beginn im Schockeffekt eines für ein »bekanntes neapolitanisches Volkslied«
fortissimo-Beckenschlags in bewährter, jedoch po- (erst in einem Plagiatsprozess wurde er darüber
tenzierter Haydnscher Paukenschlag-Manier. belehrt, dass es sich um den Schlager Funiculi,
Strauss bezeichnete das Finale in seiner »Analyse« funicula handelte, komponiert von Luigi Denza
als »Humoreske«, »tollen Orchesterspuk«, »lusti- erst sechs Jahre zuvor anlässlich der Eröffnung ei-
456 Instrumentalmusik

ner Standseilbahn auf den Vesuv); es wird in der Parergon zur Symphonia domestica
Schlussstretta (ab T. 493) der Tarantella bis zur für Klavier (linke Hand) und Orchester
Ununterscheidbarkeit angenähert. op. 73 TrV 209a /
Der mittlere Abschnitt (ab T. 155) zeigt durch- Panathenäenzug. Sinfonische Etüden
aus durchführungsartige Züge, indem Haupt- in Form einer Passacaglia op. 74 TrV 254
thema und (ab T. 179) Tarantella Abspaltungspro-
zessen unterzogen werden, während vom Mit- Nach der noch in direkter Brahms-Anknüpfung
telthema lediglich das punktierte Kopfmotiv übrig geschriebenen Burleske wandte sich Strauss für
bleibt und ab T. 203 in Pauken und Blech einer dreieinhalb Jahrzehnte von der Gattung des Solo-
zum furioso-Höhepunkt in T. 444 ff. führenden konzerts ab. Es war dies die Zeit seiner größten,
Entwicklung unterzogen wird; ähnlich wie schon die Epoche nachhaltig prägenden Erfolge als
in den Jugendsymphonien (vgl. oben S. 444) mar- Opernkomponist, und es hat den Anschein, dass
kiert Strauss diese Entwicklung ab T. 210 durch er eigentlich nicht die Absicht hatte, jemals zum
emphatisch-kanonische Motivengführungen. Nach Solokonzert zurückzukehren. Selbst die in den
Orgelpunkt-Abschnitten, in denen die Themen Jahrzehnten um die Wende des 19. Jahrhunderts
motivisch kombiniert werden, erfolgt eine Phase entstandenen Tondichtungen sah Strauss später
thematischer Restitution: Das Wiedererscheinen nur noch als Vorbereitung auf seine großen Opern
des Codathemas aus dem ersten Satz (T. 344) im an (Brief an Schuh vom 8.10.1943; RSWS 49).
Sinn des oben erwähnten Erholungsbedürfnisses Umso erstaunlicher erscheint es, dass er um die
wirkt – wenn auch zunächst in B-Dur – wie eine Mitte der 1920er Jahre noch zwei Konzertstücke
Art Reprise, die allerdings weniger nur auf den für Klavier und Orchester schrieb. Allerdings lässt
Finalsatz als auf den Zyklus als ganzen intendiert der Titel des ersten, Parergon zur Symphonia do-
erscheint. Dieses Thema wird anschließend in mestica keinen Zweifel an Strauss’ Einschätzung:
eine codaartige Wiederaufnahme der Durchfüh- Die Betonung, es handle sich um ein Nebenwerk
rungselemente einbezogen; ähnlich wie dort oder Anhang zu dem zwanzig Jahre älteren sym-
(T. 210 ff., s. o.) wird der Satz in imitativer Durch- phonischen Hauptwerk, ist weniger als eine cap-
führung des Hauptthemenkopfes (T. 509 ff.) zum tatio benevolentiae an die (wie vorauszusehen)
Schluss geführt. überwiegend reservierte Kritik (die noch harscher
Besonders dieser Finalsatz löste bei der Urauf- das anschließende Schwesterwerk, den Panathe-
führung am 2. März 1887 heftige Kontroversen näenzug, ins Visier nahm) denn als Ausdruck der
aus. An seinen Onkel Carl Hörburger schrieb gattungsgeschichtlichen Überzeugung des Kom-
Strauss (zit. nach Steinitzer 1911, 48): »Die Auffüh- ponisten zu verstehen. Doch war der Reiz, ein
rung meiner Phantasie […] hat großen Rumor Klavierkonzert nur für die linke Hand zu schrei-
hier hervorgerufen – allgemeine Verblüffung und ben, für Strauss ein doppelter: finanziell wie
Wut darüber, daß ich nun auch meine eignen künstlerisch. Der Pianist Paul Wittgenstein
Wege zu gehen anfange, meine eigne Form schaffe (1887–1961), Schüler von Theodor Leschetizky
und den faulen Menschen Kopfzerbrechen verur- und Sohn eines in Österreich-Ungarn als »Eisen-
sache; die ersten 3 Sätze fanden noch leidlichen könig« bezeichneten Industriellen, war Teilerbe
Beifall; nach dem letzten […], der allerdings etwas eines der größten Vermögen, die im Europa des
arg toll ist (in Neapel geht’s aber auch bunt her), späten 19. Jahrhunderts angesammelt worden
ging neben lebhaftem Beifall auch ordentliches waren (Suchy 2006, 26; Prokop 2006). Während
Zischen los, das mir natürlich großen Spaß sein jüngerer Bruder, der Philosoph Ludwig Witt-
machte.« Aus Italien stieß erstmals »auf die Oppo- genstein, auf sein Erbteil verzichtete, um ein ge-
sition des großen Haufens« – für Strauss Bürg- nügsames Leben von selbst verdientem Geld zu
schaft genug, dass »es doch nicht unbedeutend führen, beschloss Paul, nachdem er zu Beginn des
sein« müsse (Brief an Lotti Speier vom 23.6.1887; Ersten Weltkriegs an der russischen Front seinen
Schuh 1976, 143). Bülows Reaktion dagegen rechten Arm verloren hatte, seine Pianistenkar-
blieb – wie schon bei der Burleske – gespalten riere fortzusetzen. Wittgenstein war nur der pro-
(Werbeck, RSE 20, 1999, VII). minenteste und musikgeschichtlich bedeutendste
22. Symphonische und konzertante Werke 457

Repräsentant einer erheblichen Anzahl von arm- »wichtigeren, systematischen Werken nachgesand-
amputierten Pianisten, für die seit der Mitte des ten Nebenarbeiten« (Schopenhauer 1851, Vorwort
Ersten Weltkriegs ein neues und eigenständiges 11). Vielmehr betonte er gegenüber Willem Men-
einhändiges Repertoire ebenso wie diverse päda- gelberg, als er diesem eine Aufführung mit Witt-
gogische Werke entstanden (Sassmann 2006, 115 f.; genstein antrug, es handle sich bei den beiden
Sassmann 2010, 93–103); er setzte beträchtliche Linke-Hand-Konzerten um »recht ordentliche
finanzielle Mittel dafür ein, repräsentative Zeitge- Stücke mit Orchester […], durchaus keine Gele-
nossen mit der Komposition von Konzerten für genheitscompositionen« (4.4.1929; Strauss/Reger
linkshändiges Klavier und Orchester sowie solisti- 1998, 48). Es trifft also eher Schopenhauers weitere
schen Werken für seine Auftritte zu beauftragen, Erklärung von »Parerga« im Sinne von »Abhand-
wobei er allerdings wenig Verständnis für avanciert lungen über besondere […] Themen« zu: als spä-
moderne Musik aufbrachte. (Prokofjew gab ihm tere Hinzufügung eines Einzelaspekts, die in den
anlässlich der Präsentation seines Linke-Hand- thematischen Zusammenhang des Bezugswerkes
Konzertes am 11. September 1931 zu verstehen: gehört. In der Tat geht es im Parergon um einen
»Vous êtes un musicien du XIX siècle, moi – du solchen Einzelaspekt: Während in der Symphonia
XX« [Flindell 1971a, 428]). Unter den insgesamt domestica das Verhältnis von Mann, Frau und Kind
44 in Auftrag gegebenen Werken (davon 20 Kla- unter einem allgemein menschlichen, gleichsam
vierkonzerten, die er jedoch nicht sämtlich einstu- anthropologischen Blickwinkel (wenn auch hand-
dierte) gehörten die beiden von Strauss 1924/25 fest exemplifiziert an konkreten Vorgängen im
komponierten zu den früheren. Vor ihnen ent- bürgerlichen Leben der Familie Strauss) themati-
standen diverse Konzert- und Kammermusik- siert wird, geht es im Parergon um das Schicksal des
stücke von Wittgensteins Wiener Lehrer Josef Kindes: Sohn Franz war auf einer Ägyptenreise le-
Labor (ab 1916), außerdem Franz Schmidts Kon- bensgefährlich an Typhus erkrankt (Krause 1980a,
zertante Variationen über ein Thema von Beethoven, 240; RSHH 514 f.). Im Gegensatz zur dreißig Jahre
Hindemiths (von Wittgenstein nicht aufgeführte) früheren Symphonischen Dichtung Tod und Ver-
Klaviermusik mit Orchester op. 29 sowie von Erich klärung ist aber hier die Genesung das Gegenthema
Wolfgang Korngold das Klavierquintett E-Dur zum Todesgedanken, der den ersten Teil erfüllt.
op. 15 und das Klavierkonzert Cis-Dur op. 17. Der Stärker als in der Domestica steht hier das Motiv
größte Teil des für Wittgenstein geschriebenen (zu den Motiven bzw. Themen der Domestica vgl.
Repertoires (darunter die Linke-Hand-Konzerte Werbeck 1996, 428; Hansen 2003, 194 f.) des Kin-
von Ravel und Prokofjew) entstand dagegen um des im Mittelpunkt: Es durchzieht das Stück bei-
und nach 1930; Brittens Diversions op. 21 und nahe ostinat, allerdings farblich, tonartlich und
Tansmans Konzertstück wurden sogar erst während tempomäßig permanent abgewandelt, während
des Zweiten Weltkriegs komponiert (eine Liste der sich diejenigen von Frau und Mann als Mitspieler
Auftragswerke bei Flindell 1971b, 127). Strauss war eher episodisch hinzugesellen. Tonal beginnt das
mit Wittgenstein nach dessen Aussage bereits seit Stück in fis-Moll, wechselt in T. 65 nach Fis-Dur,
seinem Wien-Aufenthalt 1882 bekannt, damals um im durchführungsartigen Abschnitt T. 117 ff. in
spielten beide vierhändig und versicherten sich einen akzidentienlosen, stark modulierenden Teil
ihrer Sympathie für die Kammermusik von Louis überzugehen, der in T. 180 den F-Bereich in einem
Spohr (Flindell 1969, 309). »fröhlich bewegten« volksliedartigen Charakter
erreicht. Eine solche Disposition im Halbtonab-
Parergon: Der Titel Parergon zur Symphonia do- stand war nicht ganz neu, Strauss hatte sie bereits
mestica weist explizit auf den autobiographischen in der Tondichtung Also sprach Zarathustra erprobt
Charakter dieser Komposition (wie zum guten Teil (Werbeck 1999a, VII). Gewissermaßen eine Schar-
von Strauss’ kompositorischer Produktion über- nierfunktion nehmen in diesem Zusammenhang
haupt) hin. Im Gegensatz zu Arthur Schopenhauer die Takte 163 ff. ein. Hier wird der Umschlag von
(in der Wertschätzung von dessen Schriften fis-Moll nach F-Dur zwischen Solisten und Or-
stimmte Strauss mit Wittgenstein überein; Flindell chester bitonal ausformuliert, wobei das gleichzei-
1971a, 424) verstand er unter Parerga keine den tige cis im Klavier die fis-, im Fagott hingegen die
458 Instrumentalmusik

F-Tonalität repräsentiert. Der hier beginnende Wittgensteins an Joseph Wechsberg vom 5.2.1958,
Teil, der offensichtlich die sich anbahnende Gene- in: Kim-Park 1999, 128; Flindell 1971b, 121 f.),
sung zum Inhalt hat, spielt in der zugespitzten spitzte er bei den Aufführungen an einigen Stellen
Durchführung der Frau- und Mann-Motive auf zu, wogegen Strauss keine Einwendungen erhob
die Liebesszene der Domestica an und mündet in (Predota 2006, 92–97). Dieser Solopart – Strauss
T. 413 in die Reprise des »fröhlich bewegten« Volks- bezeichnete ihn als »recht schwer« (Strauss/Reger
liedthemas, das zwar noch einmal im Fis-Bereich 1998, 49) – ist weitgehend in den des Orchesters
angesiedelt ist, in T. 437 ähnlich überraschend wie integriert; nur an wenigen Stellen kommt es zu
im zweiten Satz von Aus Italien (s. o. S. 454) chro- kurzen rein solistischen Passagen. Dennoch ist er
matisch nach F-Dur gerückt wird. Es führt den einerseits hochgradig von ornamentalen Arpeg-
affirmativen codaartigen Schlussteil und somit eine gien, Skalen und Trillern geprägt, andererseits
Art Auflösung des grundlegenden Halbtonkon- weist er in Oktavierungen, Sprung- und Akkord-
trastes durch tonal-motivische Synthese herbei. technik wie auch in melodischer Haltung un-
Ein wesentliches Kriterium für beide Linke- verkennbar zurück auf den konzertanten Stil
Hand-Konzerte war natürlich die Frage des ein- des 19. Jahrhunderts, beispielsweise auf Chopin
händigen Klaviersatzes. Seinen kompositorischen (T. 43 ff.) und Tschaikowsky (T. 110 ff.).
Auftragnehmern stellte Wittgenstein die grund-
sätzliche Bedingung, der Klaviersatz müsse so be- Panathenäenzug: Die Kritik Wittgensteins am Par-
schaffen sein, dass der Zuhörer nie das Gefühl ergon nagte offenbar an Strauss. Er entschloss sich
habe, mit zwei Händen ließe sich mehr erreichen daher, ein weiteres Konzert für die linke Hand zu
(Flindell 1971b, 122). Zwar darf der strukturelle schreiben, und als er dies Wittgenstein über dessen
Unterschied zum zweihändigen Klaviersatz wahr- Agenten mitteilte, reagierte der Pianist außeror-
genommen werden – aber eben nicht als defizitär, dentlich erfreut (Werbeck 1999b, 20); nicht wenig
sondern als neuartig und mit eigener komposi- dürfte er über das erstaunt gewesen sein, was er
torischer Legitimität. Erstaunlicherweise hielt über die geplante Anlage des Werkes und schließ-
Wittgenstein, der das Parergon mit großem Erfolg lich über den Titel erfuhr: Es sollte sich um eine
in Dresden und Hamburg aufführte (vgl. die passacaglia-artige Variationenreihe unter dem
Korrespondenz Strauss-Wittgenstein 1925–1929 in Titel Panathenäenzug handeln. Wie viele Intellek-
Grasberger 1967, 296, und Flindell 1971a, 426), die tuelle und Künstler empfanden Strauss und Hof-
beiden Strauss-Konzerte für erheblich bedeuten- mannsthal den Ersten Weltkrieg vor allem als
der als dasjenige Ravels, obwohl dieser – als ausge- kulturelle Katastrophe (vgl. Strauss’ Verstörung
sprochener Experte für einen virtuosen Klavier- angesichts der Selbstzerstörung Europas durch die
satz – einen an pianistischer Perfektion und in- Nationalitätenkonflikte: Hülle-Keeding 1994,
novativer Rhythmik und Koloristik kaum zu 193 f.). Als »germanischer Grieche« (Strauss 1981,
überbietenden Solopart geliefert hatte. Auch Strauss 129, 182) versuchte Strauss gemeinsam mit Hof-
setzte sich intensiv mit den Problemen der ein- mannsthal, dem Regisseur Max Reinhardt und
armigen Pianistik auseinander (was durch diverse dem Bühnenbildner Alfred Roller, der Vernich-
Skizzen und kompositorische Studien für die linke tung der Kultur Europas durch seine eigenen
Hand belegt ist; Flindell 1971b, 121). Dennoch gab Völker entgegenzuwirken, indem sie ein umfang-
es über die Balance zwischen Solo- und Orchester- reiches Konzept von Musikgeschichte als Bestand-
part im Parergon einen längeren Disput zwischen teil der Kulturgeschichte entwickelten, in dem das
Auftraggeber und -nehmer: Wittgenstein bemän- musikalisch-theatralische Fest einen breiten Raum
gelte einerseits den dicken Orchestersatz; er rang einnahm. So heißt es schon 1917 im Gründungs-
dem widerstrebenden Strauss die Zustimmung ab, aufruf zu den Salzburger Festspielen: »Das Salz-
selbst einige Ausdünnungen vornehmen zu dür- burger Festspielhaus […] soll ein Symbol sein, das
fen, die dann ziemlich umfangreich ausfielen. erfüllt [ist] vom Licht der Wahrheit und dem Ab-
Aber auch den Solopart, den er für nicht brillant glanz unserer Kultur. […] Ganz Europa soll wis-
genug hielt und von dem er der Meinung war, sen, dass unsere Zukunft in der Kunst liegt, ganz
dass er nicht alle Möglichkeiten ausschöpfe (Brief besonders in der Musik […] (Krause 1980b, 128).
22. Symphonische und konzertante Werke 459

Die Festspiele der griechischen Antike als Quelle 21.9.1922; RSHH 485). Offensichtlich lässt sich
der Regeneration der Gegenwartskultur bildeten also auch Strauss’ zweites einhändiges Konzert-
nicht nur einen gedanklichen Zentralpunkt der stück als ›Parergon‹ verstehen, diesmal jedoch
Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal nicht im Sinne symphonisch überhöhter bürgerli-
in den 1920er Jahren (Hottmann 2005, 128, 131 ff., cher Privatheit wie bei der Domestica, sondern in
237 ff.; Hofmannsthal 1979, 255–268; zur Kritik an einem doppelt übergreifenden Sinn: einmal zu
der Idee vgl. Kraus 1922, 6), sondern Strauss fand den Ruinen von Athen als Musik zu einem überin-
auch mit seinen Werken in der damals hauptsäch- dividuellen Fest als Ort der Hoffnung auf Wieder-
lich an Frankreich orientierten griechischen Mu- aufrichtung der deutschen und der europäischen
sikkultur einen solchen Anklang, dass 1926 ernst- Kultur nach der Katastrophe des Ersten Welt-
haft Pläne zur Errichtung eines Strauss-Festspiel- kriegs, zum andern zu der gleichfalls um eine
hauses in Athen aufkamen, die dann allerdings Aktualisierung der griechischen Mythologie be-
politischen Wirrnissen zum Opfer fielen. (Sogar mühten Oper Die Ägyptische Helena (Lenz 1972,
Außenminister Gustav Stresemann wurde mit der 151 et passim; Edler 2001, 132–138; Hottmann
Angelegenheit befasst; zwar blieb er skeptisch, 2005, 523–538), an der Strauss und Hofmannsthal
drückte jedoch Strauss am 19. Juni 1926 seinen zur gleichen Zeit arbeiteten und an deren klangli-
»wärmsten Dank für den großen Dienst aus, den cher Opulenz es partizipiert. Kaum ein »deutscher
er der deutschen Sache in Griechenland geleistet Künstler« aber eignete sich besser zum Protagonis-
habe«; Wilhelm 1984, 256 f.). ten eines solchen Stückes politisch konnotierter
Aus dieser Idee des Festspiels entstand 1922 Musik als Paul Wittgenstein, der Pianist, der aus
Hofmannsthals Neubearbeitung von August von dem europäischen Gemetzel als Verstümmelter
Kotzebues Schauspiel Die Ruinen von Athen, zu hervorgegangen war und sich durch eigene Ener-
der Beethoven 1811 die Musik op. 113 geschrieben gie physisch und künstlerisch regeneriert hatte.
hatte; Strauss führte dieses Festspiel mit Chören in Strauss gab dem Panathenäenzug den Untertitel
seiner Stellung als Wiener Hofoperndirektor in Sinfonische Etüden in Form einer Passacaglia. Mög-
einer eigenen Fassung am 20. September 1924 im licherweise stand die Assoziation des Titels von
Rahmen des Musik- und Theaterfests der Stadt Robert Schumanns Études symphoniques op. 13
Wien auf (May 2005, 45 ff.). In Deutschland (1837) im Hintergrund, die zwischen den Gattun-
wurde das Stück eher als künstlerische Manifesta- gen der Variation, der Etüde und der Symphonie
tion nationaler Erneuerung interpretiert, wie sich angesiedelt sind (Edler 2004, 320 ff.; Edler 2006,
an seiner Einbeziehung in die Eröffnungsfeierlich- 219 f.). Als symphonisch lässt sich anderseits auch
keiten des Deutschen Museums 1925 zeigt (ebd., die Art bezeichnen, in der das solistische Klavier
52 f.). Darin lässt Hofmannsthal einen »deutschen als quasi obligates Orchesterinstrument behandelt
Künstler jener halbvergangenen Zeit [d. i. die Zeit wird (was Wittgenstein freilich nicht sehr be-
der türkischen Besetzung, als die Akropolis eine hagte); allerdings sind am Beginn und in der
Ruine war] […] zum Prometheus werden, den zweiten Werkhälfte (T. 458 ff.) zwei große Kaden-
wiederbelebte Geschöpfe des Altertums umtanzen zen eingebaut, mit denen Strauss immerhin Witt-
in den Rhythmen jener Ballettmusik, worauf gensteins Forderung nach weiteren auszuschöp-
dann zum Schluß die Vision des Panathenäenzu- fenden Möglichkeiten gerecht zu werden suchte.
ges (Marsch und Chor) als krönendes Stück folgt« Schließlich lässt sich die Anwendung der Osti-
(an Hofmannsthal 25.5.1922; RSHH 476 f.; Hof- nato-Variation auf doppelte Weise aus Strauss’
mannsthal 1985, 289 ff.). Der auf dem Parthenon- historistischer Konzeption des Komponierens be-
fries dargestellte Panathenäenzug war das krö- gründen: einerseits als Rekurs auf Beethovens fünf
nende Finale des europäischen ›Urfestes‹, in dem Jahre vor den Ruinen von Athen entstandene pas-
sich die Athener ihrer eigenen religiös-kulturellen sacaglia- (bzw. folia-)artige Variationen c-Moll
Identität versicherten. Nach einem Gespräch mit WoO 80 (Edler 2003, 326 f.), andererseits als Affi-
Romain Rolland erweiterte Hofmannsthal den nität der klavieristischen Linke-Hand-Komponis-
Plan zur »heilige[n] Vermählung« des deutschen ten und -Spieler zu Bachs berühmter Solo-Violin-
Künstlers mit der Göttin Athene (an Strauss Ciaccona aus BWV 1004 (Sassmann 2010, 146 f.).
460 Instrumentalmusik

Sicherlich spielten auch Brahms’ ostinate Orches- war. Ihnen gesellen sich zunächst ein Glockenspiel
terkompositionen op. 56a und 98 (Haydn-Varia- (in der Partitur als »Lyra« bezeichnet) und ab
tionen und 4. Symphonie) hinein, die Strauss in T. 372 eine Celesta hinzu: eine Besetzung, die u. a.
seiner Meininger Zeit außerordentlich beein- auf Strauss’ 1923 komponierte und als Ballett auf-
druckt hatten (Werbeck 1999b, 22); vielleicht lässt geführte Tanzsuite nach Klavierstücken von Coupe-
sich sogar die Wahl von B-Dur als Grundtonart rin TrV 245 verweist, wo allerdings an Stelle des
wenigstens partiell auch als versteckte Reverenz an Klaviers ein Cembalo verwendet wird (Katzenber-
das Finale der Haydn-Variationen interpretieren. ger 2001). Sie begleiten gemeinsam mit hohen,
In den (spärlichen) Skizzen, die vom Panathenäen- vorwiegend in Trillerbewegungen geführten Flö-
zug überliefert sind, ist übrigens statt von »Passa- ten eine unisono in Fagott und Viola geführte
caglia« von »Fuge« die Rede, und dies im Zusam- Espressivo-Kantilene im Sinne eines kantablen
menhang mit den Stichworten »festlich« und Gegenthemas (wahrscheinlich in den Skizzen als
»Priester« (Skizze Nr. 68,Trenner 1977, 81). Einge- Thema in der Oberstimme bezeichnet und in der
leitet wird das Werk mit einer Fanfare, die das endgültigen Fassung in die Mittelstimme verlegt;
Klavier in der ersten Kadenz paraphrasiert; sie ist Trenner 1977, 81), das im Sinn der dargelegten
wohl im Sinne der zweiten Skizze (Nr. 69) als Semantik Hofmannsthals auf die »heilige Vermäh-
»Anrufung der Pallas Athene« zu deuten. In den lung«, die Entgegenführung von Braut und Bräu-
Skizzen findet sich anschließend der Begriff tigam, zu beziehen wäre (Hofmannsthal 1985,
»Marsch«, und er leitet sich mit großer Wahr- 290 f.). Die – zunächst vorläufige – Rückkehr in
scheinlichkeit von Hofmannsthals Programm zu die Grundtonart (T. 400) bahnt, nach einem
den Ruinen von Athen her, wo es heißt: »Man mag kurzen durchführungsartigen Militare-Abschnitt
[…] denken […] an den Weihezug der Panathe- in f-Moll (T. 428 ff.), die in E-Dur einsetzende
näen […]. Auf den Rhythmen eines feierlichen Reprise der »Pallas-Athene«-Fanfare an, der wie zu
Marsches, der höchste Erfüllung, ein seliges Ge- Beginn eine Kadenz im Sinn einer Priesteranspra-
nügen ohne Sehnsucht ausdrückt, nahen sich zwei che folgt. In sie fällt nach und nach das Orchester
Züge, hell und prunkvoll jeder; jeder geleitet eine ein und vollzieht unter Wiederherstellung des
auserwählte Gestalt« (Hofmannsthal 1985, 290). Passacaglienthemas die endgültige Rückkehr in
Diese charakteristische dichterische Vision lässt die Grundtonart (T. 497). Den Abschluss bildet
sich für die siebzehn regelmäßigen achttaktigen, die »heroisch-gesänftigte« (Hofmannsthal 1985,
in tänzerisch-beschwingter Marsch-Bewegung 291) Musik eines Marsches und eine (vernehmlich
ablaufenden Ostinato-Variationen des ersten Teils Wagners Meistersinger antönende) »Coda im
zwanglos nachvollziehen (Trenner 1977, 82). Die Stretta-Finale« (Trenner 1977, 81) im 3/4-Takt.
ersten Variationen deuten auf den Beginn »Mit
Dunkel und Volksgemurmel« (ebd., 81). Von der Mehr noch als das Parergon verfiel der Panathe-
18. Variation an (T. 150), in der die Taktzahl auf näenzug herber Kritik. Man warf dem Stück u. a.
sechs verkürzt wird, setzt – mit dem Wechsel ins Substanzarmut bei gleichzeitigem überbordendem
Maestoso einhergehend – eine schrittweise Auflö- Farbenreichtum aus dem Geist von »Unterhal-
sung der strengen Ostinatostruktur ein, zu der tungsmusik gehobener Art« vor (Werbeck 1999b,
sich die Entwicklung ab T. 420 jedoch ebenso 17). Beiläufig verfehlte die Kritik auch nicht, mit
allmählich wieder zurückwendet. Die beiden Ab- einiger Häme auf die vergleichsweise großzügig
schnitte T. 164–337 und 338–399 lassen sich als bemessenen Honorare anzuspielen, die Wittgen-
Scherzo – Vivo A-Dur 3/4 mit durchführungsarti- stein seinen kompositorischen Auftragnehmern
gen Zügen und abschließendem Auftritt der zahlte; im Fall von Strauss wurde alsbald ein Zu-
Athene in Trompeten und Posaunen (T. 331 ff.) – sammenhang mit der Finanzierung von dessen
und langsamer Satz (dolce con moto, Fis-Dur 6/8) »Belvedere-Schlössl« in der Wiener Jacquingasse
auffassen. In ihm (ab T. 338) erhält eine klangliche hergestellt (Kim-Park 1999, 129). Strauss meinte
Färbung programmatische Bedeutung, die am sarkastisch, zwar wisse er, »dass der Panathenäen-
Wendepunkt in Variation 20 (T. 164) mit dem zug nicht schlecht« sei, doch »die Ehre einstimmi-
Duo von Klavier und Harfe eingeführt worden ger Ablehnung« habe er nicht erwartet (Brief an
22. Symphonische und konzertante Werke 461

Wittgenstein vom 28.2.1928; zit. nach Flindell nung auf die Ursprünge der europäischen Kultur.
1971b, 122). Dass beide Stücke in Vergessenheit Überdies war die Repertoire-Präsenz beider Linke-
gerieten, hatte viel mit der radikalen Veränderung Hand-Konzerte weitgehend an die Person ihres
des allgemeinen geistigen Klimas zu tun. Im Ge- ›Besitzers‹ Wittgensteins gebunden, der 1938 in die
folge der wenige Jahre nach ihrer Komposition USA emigrierte; er hatte 1928 nur den Druck eines
einsetzenden politischen und kulturellen Verfins- Klavierauszugs gestattet. Erstmals erschienen die
terung erlahmte der Elan jener kulturellen Rege- gedruckten Partituren beider Werke 1953 bzw.
neration Europas, aus dem Strauss’ und Hof- 1964 im Verlag Boosey & Hawkes und drangen in
mannsthals Idee der Festspiele erwachsen war, und der Folge recht zögerlich ins Konzertrepertoire
mit ihm verblasste die aus deren Geist hervor- ein; bis heute sind sie selten zu hören.
gegangene Musik festlich-humanistischer Besin-

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463

23.
Das instrumentale Spätwerk
Von Jens-Peter Schütte

Einleitung Nähe zum späten Instrumentalstil mindestens so


stark geltend macht wie zu Strauss’ vorangehen-
Abgrenzungsfragen dem Chormusik- und Orchesterliedschaffen.
Was das instrumentale Spätwerk von Richard
Strauss sei, lässt sich mit aller wünschenswerten
Ästhetische Vorbedingungen
Klarheit bestimmen: Noch zu Strauss’ Lebzeiten
und gleichsam mit seinem Segen definierte sein Die Abgrenzung einer letzten »Schaffensperiode«
designierter Biograph Willi Schuh die letzte Oper vom vorangehenden »Hauptwerk« war beim spä-
Capriccio als Grenze, welche das Spätwerk vom ten Strauss alles andere als Zufall. Sein Spätwerk
vorangehenden Œuvre trennt, und zum Spätwerk entsprang nicht einer bloßen Laune, sondern
selbst rechnete er »eine Reihe von Instrumental- Überlegungen zur Ästhetik und Geschichte der
kompositionen«, die »eine eigene, in sich geschlos- abendländischen Musik, ausgehend von einer
sene Werkgruppe« bilden – Strauss’ »vierte Schaf- Selbstinterpretation, über die wiederum Schuh
fensperiode« nach dem Jugendwerk, den Tondich- Aufschluss gab: Der Komponist wollte sein Opern-
tungen und den Opern (Schuh 1949, 229). schaffen mit der fünfzehnten Oper Capriccio als
Das instrumentale Spätwerk setzte exakt nach definitiv beendet ansehen, und dieses Opernschaf-
der Uraufführung von Capriccio im Münchner fen bildete für ihn sein »Lebenswerk im eigentli-
Nationaltheater am 28. Oktober 1942 ein: Als erste chen Sinne«. Insofern war Capriccio kein zufälliger
Komposition des Spätwerks wurde am 28. Novem- terminus post quem des Spätwerks, sondern dessen
ber das zweite Konzert für Horn und Orchester ideeller Fix- und Bezugspunkt. Strauss verstand
abgeschlossen; dem damit vorgestellten Grund- sein Spätwerk als ein Gegenbild zu seiner letzten
konzept des Spätwerks blieb Strauss bis zum 1948 Oper und zu seinem Opernschaffen als Ganzem.
uraufgeführten Duett-Concertino weitgehend treu. Für den späteren Strauss war die Oper durch-
Nur wenige Kompositionen aus dieser Zeit wären aus im Wortsinn das Maß aller Dinge, nicht nur
vom Korpus des Spätwerks im engeren Sinne der Musik und des Theaters, sondern der Kunst
auszunehmen: einerseits drei Instrumentalstücke, überhaupt, ja der gesamten menschlichen »Cul-
die einen »Nachklang des Hauptwerkes« (Schuh), tur« (eines seiner Lieblingsworte, vgl. Kap. 9). Die
nämlich des Musiktheaters darstellen – der Rosen- Opernwerke von Mozart, Wagner und ihm selber
kavalierwalzer (1944), die Symphonische Fantasie bezeichnete er als »Schlußpunkt 3000 jähriger
aus »Die Frau ohne Schatten« (1946) und das Sym- Menschheitsgeschichte und Culturentwicklung«
phonische Fragment aus »Josephs Legende« (1946/ (an Schuh, 9.3.1944; RSWS 64), in mythisch-reli-
47) – sowie andererseits die beiden vollendeten giöser Überhöhung wurde ihm Mozarts »Melodie
größeren Vokalwerke, das a-cappella-Chorstück der menschlichen Stimme« zur »Platonschen
An den Baum Daphne (1943) und die sogenannten ›Idee‹«, zum »Ding an sich« (Aufzeichnung von
»Vier letzten Lieder« (1948), in denen sich eine 1944; Strauss 1981, 107), und auch in den eigenen
464 Instrumentalmusik

musiktheatralischen Werken meinte Strauss das Der Befund, dass sich das instrumentale Spät-
»Reich der Mütter« betreten zu haben, also dem werk als ein Nach-Capriccio-Schaffen und »Nach-
wahren, metaphysischen Wesen der Welt nahege- lass« darstellt, als zeitlich nach und rangmäßig
kommen zu sein (an Gregor, 8.1.1935 und 4.2.1945; unter Strauss’ »Lebenswerk im eigentlichen Sinne«
RSJG 15 und 270). angesiedeltes Œuvre, bedarf indes noch einiger
Mit dieser Positionierung des »Lebenswerks« Ergänzungen.
war zugleich ex negativo der Standort des Spät- (1) Die Stellung von Capriccio als expliziter
werks bestimmt: Es sollte gerade nichts Erschüt- Schaffensgrenze war das Ergebnis eines Plans von
terndes, Tiefes und Wahrhaftiges mehr in Töne langer Hand: Das »Konversationsstück« wurde von
fassen, sondern im Gegenteil leicht, unterhaltend, der ersten Konzeption an zum Schlussstein des
amüsant sein. Jener berühmte Begriff der »Hand- »Lebenswerks« erkoren und genau aus diesem Ge-
gelenksübungen«, mit welchem das Spätwerk seit sichtspunkt heraus verfasst. Es sollte das »Lebens-
Ernst Krause so gern benannt wird (Krause 1955, werk« nicht bloß beschließen, sondern krönen,
459), war nichts anderes als ein korrespondieren- wenn auch auf straussische Art in einer ironisch
des Negativ zum »Lebenswerk«: »Mit Capriccio ist gebrochenen Selbst-Apotheose. Jedenfalls kam es
mein Lebenswerk beendet und die Noten, die ich Strauss auf einen starken Abgang vom Welttheater
als Handgelenksübung (wie Hermann Bahr sein an. Schon 1939, als er noch an der Liebe der Danae
tägliches Diktieren nannte) jetzt noch für den saß, schrieb er an Clemens Krauss, seine nächste
Nachlaß zusammenschmiere, haben keinerlei Oper bedeute »den definitiven Fall des Schlußvor-
musikgeschichtliche Bedeutung, ebenso wenig hanges«, und Ende Juli 1941, in der letzten Phase
wie die Partituren all der andern Sinfoniker und der Arbeit an Capriccio, bezeichnete er das Stück
Variationiker« (an Schuh, 8.10.1943; RSWS 50 f.) als sein »Testament« (an Krauss, 25.10.1939 und
Strauss wurde nicht müde, wieder und wieder 28.7.1941; RSCK 249 und 407). Ihm schwebte vor,
auf den anspruchslosen Charakter seines Spät- etwas Ähnliches zu schaffen wie Verdi mit seinem
werks hinzuweisen, und um hierüber gar nicht Falstaff, weshalb er auch erwog, Capriccio als »thea-
erst irgendwelche Missverständnisse aufkommen tralische Fuge« zu bezeichnen und sogar eine aus-
zu lassen, plante er von vornherein, die späten gedehnte Fuge an prominenter Stelle auftreten ließ
Kompositionen zu Lebzeiten nicht in Verlag zu (an Krauss, 14.9.1939; RSCK 240).
geben und stattdessen in seiner Schreibtischschub- Mit Capriccio als Schlussstein seines Opern-
lade zu versenken, als ein festes Korpus unter dem schaffens schlug Strauss überdies eine Brücke zu
Stichwort »Nachlass«, das zwar ausgewählten und seinem ersten erfolgreichen Bühnenwerk. Bereits
befreundeten Musikern für Aufführungen offen- Feuersnot war ein Muster persönlicher Geschichts-
stehen, aber »der breiteren Öffentlichkeit vorent- konstruktion gewesen: Der Komponist hatte die-
halten« bleiben sollte (an Arthur Tröber, 10.1.1945; ses Werk laut Schreibkalendereintrag am 1. Januar
Tröber 1978, 4). 1901 begonnen (TrChr 205), so dass er für sich
Paradox allerdings war es, dass Strauss »die an- reklamieren konnte, die erste Oper des 20. Jahr-
dern Sinfoniker und Variationiker« unbedingt hunderts geschrieben zu haben. In Analogie hierzu
»von weiterer Papierverschwendung abhalten« musste dann Capriccio beinahe zur letzten Oper
wollte (an Kippenberg, 30.11.1943; Schuh 1959/60, des 20. Jahrhunderts avancieren, zwar nicht in
137), während er selber in seiner »Alterswerkstatt« chronologischem Sinn, aber doch nach der musik-
ein »überflüssiges« Stück nach dem anderen »fa- geschichtlichen Bedeutung, die Strauss für seine
brizierte« (an Schuh, 6.7.1945; RSWS 85); paradox Person ansetzte. Denn in der Gattung Oper
blieb es, dass ihm seine »Handgelenksübungen« wähnte er jenseits seiner eigenen Werke aller-
zwar buchstäblich nichts wert waren, er aber von höchstens noch »bescheidenes Neuland zu errei-
seiner Gewohnheit der täglichen Arbeit am chen« (Strauss an Gregor, 8.1.1935; RSJG 18). So
Schreibtisch doch auch wieder nicht Abschied sollte wohl auch der Ausruf am Ende seiner »Letz-
nehmen wollte. Stattdessen ließ Strauss Theorie ten Aufzeichnung«, deren Gedanken um Feuersnot
und Praxis in ihrer Widersprüchlichkeit einfach kreisten, gemeint sein: »Musik des 20. Jahrhun-
nebeneinander her laufen. derts!« (Strauss 1981, 182).
23. Das instrumentale Spätwerk 465

(2) Wenn Strauss von Capriccio zunächst als Moldau und in engerer Analogie zu Strauss’ eige-
Abschluss seines »theatralischen Lebenswerks« (an ner Alpensinfonie gliedern sollten. Über den eigent-
Krauss, 28.7.1941; RSCK 407), nicht aber vom lichen Willen des Komponisten, »Die Donau« zu
Abschluss seines »Lebenswerks« insgesamt sprach, beenden, kann kein Zweifel bestehen. Noch kurz
scheint es fast, als habe er sich ein Hintertürchen vor seinem Lebensende schickte er den Wiener
offen lassen wollen, nach Capriccio noch einen Philharmonikern »Ein paar Tropfen aus der ver-
weiteren Teil seines »Lebenswerks« abzuschließen, siegten Donauquelle« (Skizzenblatt, datiert auf
und zwar den anderen großen Teil, welcher dem 11.6.1949) mit dem Bedauern, »daß es mir nicht
musiktheatralischen vorausgegangen war: den möglich war, […] mein Donauversprechen noch
symphonischen. Im Frühjahr 1941 war eine Dele- zu erfüllen! Aber wenn der alte Pegasus lahm ist,
gation der Wiener Philharmoniker nach Gar- kann man eben ›nix mehr machen‹!« (20.7.1949;
misch-Partenkirchen gereist, um Strauss einen Gellermann 1981, 10). Man muss wohl, wie sonst
Kompositionsauftrag für das hundertjährige Jubi- fast nie bei Strauss, von einem Scheitern sprechen.
läum des Orchesters im folgenden Jahr zu über- Über die Gründe kursieren verschiedene Vermu-
mitteln. Der Komponist, der es liebte, wenn er in tungen. Jenseits politischer Erwägungen verweist
der Endphase der Arbeit an einem großen Opus die Formulierung von der »Lahmheit« des »alten
bereits das nächste Projekt ins Auge fassen konnte, Pegasus« vielleicht weniger auf ein Nachlassen der
hatte zugesagt und anscheinend bereits einen Plan Kräfte für derartige symphonische Musik als viel-
oder jedenfalls eine Idee zu einem großen Orches- mehr auf die Einsicht des Komponisten, dass es
terstück gefasst. Ganz im Geiste der Tradition des sich bei der »Donau« im Grunde um ein hybrides
späteren 19. Jahrhunderts wollte Strauss eine Projekt handelte. Bedeutende symphonische Mu-
Symphonische Dichtung schreiben, mit einem sik hatte Strauss – die Japanische Festmusik von
ebenso schlagkräftigen wie wienerischen Titel: 1940 kann hier unberücksichtigt bleiben – seit der
»Die Donau« war zweifellos eines der ganz großen Alpensinfonie, also seit über einem Vierteljahrhun-
Projekte des späten Strauss, sein größtes nicht- dert, nicht mehr geschrieben, und die Alpensinfo-
theatralisches Werkprojekt jedenfalls und eines nie hatte bereits ihrerseits die Geschichte der
der gattungstheoretisch anspruchsvollsten. Mit Symphonischen Dichtung in gewissem Sinne ab-
diesem Stück sollte offenbar nichts Geringeres geschlossen, indem sie die Gattungstradition resü-
geleistet werden, als die Gattung der Symphoni- miert und mit der Installation eines neuartigen
schen Dichtung zu einem musikhistorischen Ab- zyklischen Formkonzepts zugleich übersteigert
schluss zu führen. Denn hier beabsichtigte der hatte. So war die Symphonische Dichtung im Jahr
Komponist erstmals, in eines seiner rein sympho- 1941, anders als die Oper, als Gattung längst ver-
nischen Werke das gesungene Wort aufzunehmen. blüht. Es scheint, als habe Strauss nach dem fast
»Die Donau« sollte enden mit einem Schlusschor beispiellosen Erfolg von Capriccio in anfänglicher
auf Josef Weinhebers Terzinen auf Wien: »Wie Euphorie die Idee gehabt, die bereits von ihm
sing’ ich dich, du vielgeliebte Stadt? / Wie bänd’ge selber abgeschlossene Symphonische Dichtung
ich das Herz, nicht aufzuweinen / vor einem Bild, noch einmal abzuschließen, und als sei er erst im
das so viel Schönheit hat?« Da Strauss der Inter- vorletzten Augenblick davon abgekommen. Da-
pretation Richard Wagners anhing, die Gattung mit aber war der Punkt erreicht, wo es selbst für
Symphonie habe mit der Einführung des Worts in Strauss nichts mehr an seinem »Lebenswerk« zu
Beethovens 9. Symphonie ihren historischen Ab- vollenden gab und der Blick des Komponisten
schluss erreicht, könnte »Die Donau« in Übertra- sich auf einen ganz anderen Bereich seines Schaf-
gung desselben Verfahrens auf die Symphonische fens richtete, auf denjenigen, welcher dem »Le-
Dichtung als deren abschließende Apotheose ver- benswerk« einmal vorausgegangen war: das Ju-
standen werden. gendwerk.
Doch »Die Donau« blieb Fragment. Von dem (3) So offen sich Capriccio und in dessen Nach-
Werk existieren ein ausgedehntes Particell sowie zug »Die Donau« als entscheidende Grenzsteine
weitere Skizzen zu einzelnen Stationen, welche die präsentieren, so wenig darf übersehen werden,
Musik in entfernter Ähnlichkeit zu Smetanas dass die Wurzeln des Spätwerks noch weiter zu-
466 Instrumentalmusik

rückreichen. Den Plan, Kompositionen unter der phon belebte Klangflächen komponierte Strauss
Rubrik »Nachlass« firmieren zu lassen, einstweilen bereits in der Hymne op. 34/2 von 1897 und in der
nicht zu veröffentlichen und in der »Schreibtisch- Deutschen Motette op. 62 von 1913), und die drei
Schublade« zu verstauen, hatte Strauss schon frü- Bühnenwerk-Paraphrasen – Einleitung und Walzer
her einmal gefasst, nämlich im Jahr 1935, als sein aus Der Rosenkavalier (Erste Walzerfolge) TrV 227c,
Librettist Stefan Zweig sich aus politischen und Symphonische Fantasie aus »Die Frau ohne Schat-
weltanschaulichen Gründen geweigert hatte, wei- ten« TrV 234a, Symphonisches Fragment aus »Josephs
terhin mit ihm offen zusammenzuarbeiten Legende« TrV 231a – sind aufführungspraktisch
(Strauss an Zweig, 2.4.1935 und 31.10.1935; RSSZ bedingte Verpflanzungen von Kernwerken des
100 und 148). Hierbei springt eine erstaunliche straussischen Musiktheaters aus den kriegszerstör-
Parallele in die Augen. 1935 entstand die Idee eines ten deutschen Bühnen in den Konzertsaal. Selbst
»Nachlasses« genau in dem Augenblick, als Strauss bei Strauss’ ›Schwanengesang‹, seinem letzten
sein Opernschaffen beendet wähnte, weil er kei- großen ambitionierten Werk und eigentlichen
nen Librettisten mehr an der Hand hatte, und an Abschluss des Schaffens für die menschliche
den Eingang dieses »Nachlasses« wollte Strauss Stimme, den sogenannten »Vier letzten Liedern«
nicht allein Instrumentalmusik, sondern sogar ein TrV 296, lässt sich angesichts der lyrischen Vokal-
Solokonzert stellen, das sogenannte »Echte Cello- und der symphonischen Orchesterbehandlung
konzert«, das er bereits zu skizzieren begann (Gil- weniger von einer »ausgeprägten stilistischen Ei-
liam 2001, 108–111). Beides, der Gang in den genhaltung« (Schuh 1949, 229) sprechen als von
»Nachlass« und die Hinwendung zum Instrumen- der Fortsetzung eines relativ konstanten Orches-
talkonzert, wiederholte sich dann mit dem Beginn terlied-Stils. So bleibt als eigentliches Korpus eines
des Spätwerks im Jahr 1942, bloß mit verschobe- Spätwerks, das wirklich eine eigenständige und in
nen Ursachen: Diesmal waren es nicht die äußeren sich geschlossene »vierte Schaffensperiode« ge-
Verhältnisse, die Strauss zu einem Umdenken nannt zu werden verdient, diese Folge von acht
zwangen, sondern er kam von selber zu dem Ent- größeren Instrumentalkompositionen:
schluss, mit dem Opernkomponieren aufzuhören – Zweites Konzert für Horn und Orchester TrV
und sich stattdessen einem (zweiten) Konzert für 283,
Horn und Orchester zu widmen. – Festmusik der Stadt Wien für Blechblasinstru-
mente und Pauken TrV 286,
– Sonatine für sechzehn Blasinstrumente »Aus
Der Entwicklungsgang
der Werkstatt des Invaliden« TrV 288,
des instrumentalen Spätwerks
– München. Ein Gedächtniswalzer für großes
In dem Begriff »Spätwerk« fallen bei Strauss in- Orchester. Zweite Fassung TrV 274a,
haltliche und chronologische Bestimmungen zu- – Metamorphosen. Studie für dreiundzwanzig
sammen: Sowohl der generelle Stil als auch die Solostreicher TrV 290,
Gattungen des instrumentalen Spätwerks leiten – Zweite Sonatine für sechzehn Blasinstrumente
sich direkt aus der Tatsache her, dass der Kom- »Fröhliche Werkstatt« TrV 291,
ponist sein »Lebenswerk« mit Capriccio (und der – Konzert für Oboe und kleines Orchester TrV
»Donau«) für abgeschlossen ansah und er im 292,
»Nachlass« den Ton von großer Symphonischer – Duett-Concertino für Klarinette und Fagott mit
Dichtung und Oper vermeiden wollte. Streichorchester und Harfe TrV 293.
Unter den Nach-Capriccio-Kompositionen
bilden daher die vier Stücke, welche direkt mit Durchaus anders als es der Terminus »Handge-
dem Opernschaffen zusammenhängen, von vorn- lenksübungen« suggerieren mag, handelt es sich
herein eine Kategorie für sich: An den Baum bei diesen acht Werken nicht um ein willkürliches
Daphne TrV 272a, eine Art Parergon zur Oper Sammelsurium von gewissermaßen nach Lust und
Daphne, setzt ziemlich bruchlos das zwar sporadi- Laune komponierten Einzel- oder »Gelegenheits-
sche, aber doch regelmäßige Schaffen für a-cap- werken«, sondern um ein erstaunlich kohärentes
pella-Chor fort (gleichartige melismatisch-poly- Korpus. Einerseits gliedert es sich hinsichtlich
23. Das instrumentale Spätwerk 467

Besetzungen und Gattungen klar in die zwei Wien am 16. Dezember 1942. Jedenfalls nutzte
großen Gruppen der Konzerte (Hornkonzert, Strauss diese Gelegenheit, um die mit dem zwei-
Oboenkonzert, Klarinette-Fagott-Doppelkonzert) ten Hornkonzert eingeschlagene Linie etwas zu
sowie der Ensembles für gleichartige Instrumente verbreitern. Er knüpfte nicht mehr direkt ans Ju-
(Festmusik der Stadt Wien für Blechbläser, zwei gendwerk, jedoch an ähnliche Gelegenheitsmu-
Sonatinen für Holzbläser mit Hörnern, Metamor- siken für Blechbläser-Pauken-Ensembles aus frü-
phosen für Streicher), wobei einzig der Gedächtnis- herer Zeit an, die abseits vom »Lebenswerk«
walzer als großes Orchester-Tanz-Stück für sich angesiedelt waren, wie der Feierliche Einzug der
steht. Andererseits lässt sich die Folge der acht Ritter des Johanniter-Ordens TrV 224 von 1907
Werke über alle Verschiedenheiten hinweg als eine oder die Fanfare zur Eröffnung der Musikwoche der
recht stringente, wenngleich bisweilen mehrsträn- Stadt Wien TrV 250 von 1924. Allerdings hat die
gige Entwicklungskurve beschreiben. Und zwar Festmusik gegenüber diesen früheren Stücken ei-
liegt Stringenz nicht nur in der Sukzession der nen erheblich längeren Umfang, etwa den einer
Werke selbst, sondern insbesondere in dem Zu- ausgewachsenen Konzertouvertüre. Als einen ver-
sammenhang der Kompositionen mit der Chro- kürzten Appendix der Festmusik schrieb Strauss
nologie der Zeitereignisse, in der Verbindung von unmittelbar nach deren Uraufführung noch eine
Leben und Werk. Fanfare der Stadt Wien (TrV 287, beendet am
Die Anfangsphase des Spätwerks wirft kaum 17. April 1943), auf Anregung des dortigen Trom-
nennenswerte Deutungsfragen auf. Das Spätwerk peterchors.
beginnt klar als ein Anknüpfen ans Jugendwerk, Die erste Sonatine für sechzehn Blasinstrumente
deutlich ausgesprochen im offiziellen Titel der (beendet am 22. Juli 1943) mit dem Untertitel »Aus
ersten späten Instrumentalkomposition: Zweites der Werkstatt des Invaliden« (so im Partiturauto-
Konzert für Horn und Orchester (beendet am graph und im Brief an Schuh vom 22.12.1943;
28. November 1942) – das zweite nach dem ersten RSWS 57), deren Komposition mit der Festmusik
Hornkonzert op. 11 aus den Jahren 1882/83. In möglicherweise eine Zeitlang parallel verlief, ver-
dem für Strauss völlig ungewöhnlichen Durch- bindet zwei Grundgedanken der beiden vorausge-
nummerieren seiner Stücke nach Gattungen, ver- henden Werke: das Anknüpfen ans eigene Jugend-
bunden mit der Beschränkung des Werktitels auf werk und das Komponieren für ein Ensemble ver-
die bloße Gattungsbezeichnung, zeigt sich ein wandter Instrumente. Strauss wollte die Sonatine,
stark heruntergeschraubter Anspruch auf Origina- wie aus dem Partiturautograph hervorgeht, zu-
lität, eine bewusste Beschränkung auf absolute nächst als »II. Bläsersuite« bezeichnen und damit
Musik. War Capriccio noch eigens mit konkreten einen Bezug zu seiner frühen Suite op. 4 von 1884
Zeitbezügen ausgestattet worden (die Soloszene herstellen; überdies lehnte er sich in dem als erstes
des Theaterdirektors Laroche sollte auf die aktu- komponierten Mittelsatz der »II. Bläsersuite«, Ro-
elle Münchner Theaterpraxis anspielen) und hatte manze und Menuett, auch in der Besetzung für
»Die Donau« eine großdeutsche Lebenswirklich- 13 Bläser an das frühere Werk an. Neu im Spätwerk
keit besingen sollen (das Programm eines Fluss- ist die Idee eines Untertitels, und zwar eines Unter-
laufs von Bayern nach Österreich beschwor einen titels von einer Sorte, die selbst in Strauss’ früherem
gemeinsamen süddeutschen Kulturraum), so tritt Œuvre nicht zu beobachten gewesen war. »Aus der
das zweite Hornkonzert völlig indifferent gegen- Werkstatt des Invaliden« spielt offenbar auf die
über der Zeit und Wirklichkeit seiner Entstehung Entstehungsumstände des Stücks an, auf eine be-
auf, als Musik von selbstgenügsamer Innerlichkeit. stimmte innere Verfassung des Komponisten. »In-
Mit der Festmusik der Stadt Wien für Blechblas- valide« dürfte metaphorisch gemeint sein, oder je-
instrumente und Pauken (beendet am 14. Januar denfalls nicht direkt physiologisch; Strauss selber
1943) kommt es zum einzigen echten ›Gelegen- litt im Jahr 1943 an keiner schweren körperlichen
heitswerk‹ des instrumentalen Spätwerks, einer Krankheit, dafür aber schwebte seine Frau zeitweise
Komposition für einen konkreten Anlass, doch in Lebensgefahr (Krauss an Strauss, 12.5.1943;
ohne Auftrag, gedacht als musikalischer Dank für RSCK 500). Hatte das zweite Hornkonzert die le-
die Verleihung des Beethoven-Preises der Stadt bensweltliche Realität noch unbeachtet gelassen,
468 Instrumentalmusik

findet in der Sonatine eine eigenartige Brechung sondern dramatisch-poetische Bekenntnismusik –


statt. Zwar gibt die Musik, ähnlich wie in den vor- eine Tondichtung in den Dimensionen des Spät-
angehenden späten Werken, keine Auskunft über werks. Diese ›zweite Linie‹ des Spätwerks verdankt
die Lebenswelt des Komponisten zur Zeit ihrer sich mit ziemlicher Sicherheit allein den Einwir-
Entstehung, doch wird auf diese Lebenswelt mit kungen der Zeitgeschichte auf Strauss’ Dasein; sie
dem Untertitel hingewiesen. war anscheinend eine Reaktion auf Ereignisse,
Vom Sommer 1943 an begann sich Strauss’ welche den Komponisten in seiner Existenz betra-
Situation allmählich zu verdüstern. Zunächst fen respektive bedrohten. »Einleitung und Alle-
wurde das aller Welt enthobene Refugium, das gro« lässt sich lesen als Strauss’ Auseinanderset-
sich der Komponist in Garmisch-Partenkirchen zung mit seinem ersten wirklichen Erleben des
aufgebaut hatte, in den Grundfesten erschüttert. Kriegs, als Reaktion auf »die größte Katastrophe,
Die alliierten Luftangriffe auf München forderten die je in mein Leben eingebrochen ist« (Brief an
immer mehr Opfer, für die vielen Ausgebombten Schuh, 8.10.1943; RSWS 50): die Zerstörung des
wurden dringend Unterkünfte gesucht, und der Münchner Opernhauses in der Nacht vom 2. zum
Gauleiter von München, Paul Giesler, wollte 3. Oktober 1943. Mit diesem Bauwerk ging nicht
Leute in Strauss’ Villa einquartieren. Hiergegen nur die Bühne unter, an der Franz Strauss als
sträubte sich der Komponist mit größter Heftig- Hornist und sein jugendlicher Sohn Richard jah-
keit; er setzte alle Hebel in Bewegung, um Ein- relang als Dirigent gewirkt hatten, sondern auch
quartierungen zu verhindern. Schließlich bediente die zentrale Spielstätte des straussischen »Lebens-
er sich der Unterstützung von »höchster Stelle« werks«, an der Clemens Krauss seit 1937 einen
(Strauss an Krauss, 1.11.1943; RSCK 507), nämlich kompletten Strauss-Opernzyklus erarbeitete.
eines der ältesten und ranghöchsten Nationalso- Doch Strauss kam über diesen Verlust zunächst
zialisten, des Generalgouverneurs für das besetzte hinweg – immerhin war das Münchner Prinzre-
Polen und erklärten Musikfreundes Hans Frank. gententheater noch bespielbar, seine Werke wur-
Strauss gelang es, seine Villa freizuhalten; zum den an anderen deutschen Häusern gegeben, und
Dank schrieb er eine kleine Komposition für ein Wiederaufbau des großen Münchner Hauses
Frank, wie er sie schon für manche andere Person schien, analog zur Berliner Staatsoper, nicht völlig
verfasst hatte (Wer tritt herein so fesch und schlank? ausgeschlossen. Für das eigene Komponieren be-
TrV 289). In diese Zeit fällt auch die Komposition deutete das die Erweiterung des Einzelwerks »Ein-
eines Auftragswerks, das als Opern-Appendix ne- leitung und Allegro« zu einer zweiten Sonatine für
ben der Hauptlinie des Spätwerks lag: An den sechzehn Blasinstrumente (TrV 291), um damit die
Baum Daphne (TrV 272a, beendet am 13. Novem- erste Hauptlinie des Spätwerks, das Fortschreiben
ber 1943) für Clemens Krauss und den Wiener des Jugendwerks, weiterzuführen. Jedoch blieb
Staatsopernchor. Spätestens jetzt war die Welt- Strauss nach einem bald abgeschlossenen ersten
geschichte auch in Strauss’ Arbeitszimmer an- Satz (beendet 6. März) im zweiten, einem Andan-
gekommen. Doch wenn selbst in dem »Epilog tino, stecken und brach die Arbeit vermutlich
zu Daphne« noch nichts zu spüren war von der Ende März 1944 ab (Strauss an Krauss, 21.3.1944;
Situation, in welche der Komponist mittlerweile RSCK 517). Erst nach über einjähriger Pause,
hineingeraten war, so änderte sich das schlagartig nachdem der Zweite Weltkrieg bereits beendet
mit dem nächsten Instrumentalstück. worden war, vollendete er die zweite Sonatine.
Dieses neue Bläserstück, »Einleitung und Al- Das Stocken der Arbeit im Frühjahr 1944 darf
legro« (TrV 291/4, beendet am 9. Januar 1944), als symptomatisch für die Situation gelten, in der
markiert den ersten großen Paradigmenwechsel sich Strauss zu dieser Zeit befand. Selbst wenn an
im Spätwerk. Die Welt bricht mit aller Macht ins der Oberfläche noch eine gewisse Normalität
Werk ein, und Strauss wendet sich, auch wenn er vorwaltete, wurde das politische Klima für ihn
in äußeren Merkmalen wie der Besetzung an Vor- immer ungemütlicher. Das Wohlwollen, das ihm
angegangenes anknüpft, einer ganz anderen Art staatliche Stellen früher noch entgegengebracht
des Komponierens zu. Er schreibt nicht mehr hatten, nahm rapide ab; seit Januar 1944 galt die
amüsante und unterhaltende absolute Musik, von Martin Bormann formulierte Direktive, dass
23. Das instrumentale Spätwerk 469

der Kontakt »führender Männer« mit Strauss un- kavalierwalzer solle »mein Abschiedsgruß von
terbleiben solle (Faksimile bei Wilhelm 1984, 380). dieser schönen Welt sein« (Brief an Heinz Tietjen,
Noch einmal blühte der Komponist auf während 25.11.1944; Grasberger 1967, 432). Jedenfalls ist das
der Strauss-Wochen anlässlich seines 80. Geburts- Werk als Opern-Paraphrase der Situation geschul-
tags; er reiste nach Dresden und war über seinen det, dass die Oper selbst infolge der geschlossenen
Geburtstag am 11. Juni in Wien. Zu den Geburts- Theater im Deutschen Reich nicht mehr gespielt
tagsaktivitäten im weiteren Sinne sollte auch die werden konnte.
letzte Uraufführung einer seiner Opern, die Pre- Ein weiteres Unternehmen will in seiner Be-
miere von Die Liebe der Danae in Salzburg gehö- deutung für das instrumentale Spätwerk, insbe-
ren. Dann jedoch kam es zu dem zweiten politi- sondere für die Arbeit an den Metamorphosen,
schen Ereignis, das auf den späten Strauss die nicht unterschätzt werden. Anfang Oktober 1944
Wirkung eines fundamentalen Schocks hatte, das begann Strauss, drei seiner Symphonischen Dich-
ihn sogar noch tiefer traf als ein knappes Jahr tungen aus den 1880er und 1890er Jahren noch
zuvor der Brand des Münchner Opernhauses: einmal in Partitur zu schreiben, was »gescheiter«
Goebbels verfügte die Schließung aller deutschen sei, »als noch weiter altersschwache Originalwerke
Theater zum 1. September. Damit war nun nicht zu fabrizieren« (an Richard Strauss junior,
mehr bloß eine zentrale Spielstätte des straussi- 3.10.1944; Grasberger 1967, 428). Tatsächlich ha-
schen »Lebenswerks«, sondern auf einmal dieses ben die Abschriften von Till Eulenspiegels lustige
»Lebenswerk« selbst in seinem eigentlichen und Streiche (beendet am 20. Oktober 1944), Don Juan
wirklichen Leben in Gefahr geraten, ja schon (beendet am 12. Dezember 1944) und Tod und
ruiniert (Strauss an Manfred Mautner Markhof, Verklärung (beendet am 9. Januar 1945) einen ge-
24.11.1944; Grasberger 1967, 431). wissen Werkcharakter, da Strauss hier zum einen
An diesem Punkt muss der Beginn der Arbeit Änderungen an der Orchestrierung vornahm und
an den Metamorphosen angesetzt werden. Das erste zum anderen wie bei seinen »Originalwerken« am
Zeugnis über das Werk entstammt einem Brief Ende der Partituren das Abschlussdatum ver-
Karl Böhms vom 28. August 1944, worin der Diri- merkte. Darüber hinaus scheinen sie aber nicht
gent schriftlich einen Auftrag des Zürcher Colle- nur als ein Ersatz, sondern auch als Vorstudien für
gium musicum für eine Streichersuite bestätigt ein echtes »Originalwerk« gedacht gewesen zu
und zugleich die »Katastrophe, die über die sein. Denn die Metamorphosen, an denen Strauss
Theater hereingebrochen ist«, beklagt (Steiger 1999, die ganze Zeit über ebenfalls arbeitete, zeigen un-
170). Allerdings zog sich die Entstehung der Meta- übersehbare konzeptionelle Parallelen zu der letz-
morphosen über einen Zeitraum hin, der nicht nur ten abgeschriebenen Tondichtung Tod und Verklä-
für den späten Strauss ungewöhnlich lang war. Bis rung, und es liegt die Vermutung nahe, dass
zur Vollendung am 12. April 1945 saß der Kompo- Strauss sich planvoll mit Hilfe von Abschriften
nist gute sieben Monate an dem Werk. In dieses früherer Meisterwerke auf ein letztes großes sym-
große, auch groß konzipierte Projekt schob er phonisches Werk vorbereiten wollte.
dann immer wieder andere Arbeiten hinein. In diesen gedanklichen Zusammenhang gehört
Zunächst wandte sich Strauss noch einmal auch das nächste späte Werk, bei dem es sich um
seinen Opern zu und schrieb, in Fortführung der ein Mittelding aus Abschrift und Neukomposition
mit An den Baum Daphne angefangenen Linie, ein handelt: München, Ein Gedächtniswalzer für großes
orchestrales Potpourri über Melodien seines er- Orchester (beendet am 24. Februar 1945), die
folgreichsten Werks: Einleitung und Walzer aus zweite wesentlich erweiterte Fassung von Mün-
dem Rosenkavalier (TrV 227c, beendet am 15. No- chen, Ein Gelegenheitswalzer aus dem Jahr 1938.
vember 1944). Dass der Komponist hier eine an- Der Gedächtniswalzer bietet ein gutes Beispiel
dere, ihm schon länger missfallende orchestrale dafür, wie Strauss im Verlauf des Spätwerks das
Bearbeitung von Otto Singer durch ein Stück aus Netz an Beziehungen zu seinem früheren Schaffen
eigener Hand ersetzen wollte (Brief an Böhm vom immer enger knüpft. Solche Beziehungen beste-
17.11.1944; Steiger 1999, 175), ist vielleicht weniger hen zunächst zu den Tondichtungen, denn der
bedeutungsvoll als seine Mitteilung, sein Rosen- Gedächtniswalzer ist das erste eigenständige späte
470 Instrumentalmusik

Instrumentalwerk, das ein großes symphonisches späten Zweiten Weltkrieg angehörig blieben. So
Orchester verlangt. Sodann nimmt der Gedächt- kam es hier, inspiriert durch Befürchtungen über
niswalzer als Neubearbeitung eines älteren, mit den Untergang menschlicher Kultur und Vorah-
dem Opernschaffen in Verbindung stehenden nungen vom Ende der Welt, zum einzigen Mal in
Werkes eine Grundidee des Rosenkavalierwalzers Strauss’ gesamtem Schaffen zu einem Werk mit
wieder auf (der Gelegenheitswalzer hatte als Hom- einem wirklich pessimistischen Ausgang.
mage an München eines der Hauptthemen aus Nach Kriegsende wendete sich das Blatt zu-
Strauss’ zweiter Oper Feuersnot herbeizitiert). nächst schlagartig, schlug Strauss’ seit langem de-
Schließlich setzte Strauss mit dem Gedächtniswal- pressive Geistes- und Gemütsverfassung in ihr di-
zer eine Linie des Spätwerks fort, die er mit »Ein- rektes Gegenteil um. Der Komponist erlebte den
leitung und Allegro« eröffnet hatte: die Linie der Einmarsch der Amerikaner in Garmisch-Partenkir-
poetischen Bekenntnismusik – als weitere Vorbe- chen als wirkliche Befreiung: Die amerikanischen
reitung auf die Metamorphosen. Soldaten benahmen sich ihm gegenüber gerade so,
Die Metamorphosen bilden zweifellos einen wie er es von den deutschen Nationalsozialisten
Höhepunkt des Spätwerks und sind auch schon immer gewünscht, aber nicht erfahren hatte. An-
immer als solcher wahrgenommen worden. statt seine herrschaftliche Villa für die Zwecke der
Strauss hat an diesem Werk lange gearbeitet und Besatzer zu beschlagnahmen, genügte ein Hinweis
einen außerordentlichen Aufwand an Vorstudien darauf, wer er sei, und sie stellten sein Anwesen ein
in Form von Abschriften früherer Tondichtungen für allemal von jeglicher Einquartierung frei
und Neubearbeitungen wie dem Gedächtniswalzer (Strauss an Schuh, 10.5.1945; RSWS 79). So fiel in
betrieben. Hinsichtlich ihrer Spieldauer von etwa diese Zeit der Euphorie eine überraschend neuer-
25 Minuten sind die Metamorphosen, jedenfalls als wachte Produktivität. Strauss nahm als erstes die
einsätziges Stück, beispiellos für das Spätwerk; Arbeit an dem über ein Jahr liegengebliebenen
man muss, um Ähnliches bei Konzertstücken zu Andantino der zweiten Bläsersonatine wieder auf
finden, in Strauss’ 1920er Jahre zurückgehen (Par- und vollendete dessen Particell bereits am 1. Juni
ergon zur Symphonia domestica op. 74, Panathe- (die Partitur am 10. Juni). Unmittelbar darauf
näenzug op. 75), bei der Symphonik sogar noch komplettierte er die Sonatine, von der nun ein
weiter in die Zeit der Tondichtungen. Was jedoch Kopfsatz, ein langsamer Satz und als Finale »Ein-
die Besetzung dieses symphonischen Stücks für leitung und Allegro« vorlagen, mit einem dritten
dreiundzwanzig Solo-Streicher angeht, scheint Satz (beendet am 22. Juni 1945), der wahrscheinlich
Wilfried Brenneckes Formulierung von einem ursprünglich gar nicht vorgesehen war. In diesem
Werk »sui generis« am Platz (Brennecke 1963, 136). Menuett, seiner ersten Neukomposition nach
Allerdings stehen die Metamorphosen durchaus Kriegsende, knüpfte er an die Haltung des zweiten
nicht wie ein erratischer Block im Spätwerk. Zum Hornkonzerts an, und seinen wiedergewonnenen
einen besteht ein guter Teil dieses Spätwerks aus Optimismus äußerte er nicht nur in der Musik
Musik für Ensembles verwandter Instrumente selbst, sondern auch in der bemerkenswerten Wid-
und zum anderen setzen die Metamorphosen als mung, die er hinter den Schluss eben des Menuetts
poetisch-symphonische Komposition die mit setzte: »Fröhliche Werkstatt. / Den Manen des
»Einleitung und Allegro« begonnene und im Ge- göttlichen Mozart am Ende eines Dankerfüllten
dächtniswalzer wieder aufgenommene Linie der Lebens. / Richard Strauss.« Damit wurde der Un-
Bekenntnismusik fort. Alle diese drei Stücke ste- tertitel der ersten Bläsersonatine »Aus der Werk-
hen in engem Zusammenhang mit der Zeitge- statt des Invaliden« in sein Gegenteil verkehrt.
schichte, mit Ereignissen, welche der Komponist Bald danach begann Strauss mit seinem nächs-
als Katastrophe für sein Künstlerdasein verstand. ten größer angelegten Werk, dem Konzert für
In allen drei Stücken spielt das Leben ins Werk Oboe und kleines Orchester (beendet am 25. Ok-
wie selten bei Strauss. Eine eigene Fügung des tober 1945), zu dem er sich eigens im Skizzenbuch
Schicksals war es, dass die Metamorphosen am (Trenner 1977, 136) notierte: »[…] angeregt durch
12. April 1945, nur 26 Tage vor der deutschen Ka- einen amerikanischen Soldaten (Oboer aus Chi-
pitulation, vollendet wurden und damit ganz dem cago)«. Das Oboenkonzert behält eine zentrale
23. Das instrumentale Spätwerk 471

Idee des Menuetts aus der zweiten Bläsersonatine Triumph, der an frühere Zeiten erinnerte: beim
bei und wendet sich zurück zu den Anfängen des Londoner Strauss-Festival 1947, wo der Künstler
Spätwerks, ja es knüpft gattungsmäßig erstmals und nicht der ehemalige Reichsmusikkammerprä-
wieder an die allererste Linie des Spätwerks wieder sident im Mittelpunkt stand.
an, die Linie des Instrumentalkonzerts für Bläser. Hatte Strauss noch Anfang 1945 gesagt, er wolle
Doch neben dem offensichtlichen Rückbezug aufs von seiner »Absicht«, das Spätwerk vor seinem
zweite Hornkonzert kommt es, kaum bemerkbar, Tod »der breiteren Öffentlichkeit vorzuenthalten,
zu einem Weiterspinnen der zweiten Hauptlinie nicht mehr abgehen« (Strauss an Tröber, 10.1.1945;
des Spätwerks, der Bekenntnismusik. Beim Oboen- Tröber 1978, 4), so brachte das Jahr 1946 eine we-
konzert handelt es sich um einen versteckten sentliche Änderung in seiner Einstellung. Der
musikalischen Kommentar zu den Metamorpho- »Nachlass«-Gedanke trat in den Hintergrund und
sen, um ein Weiterkomponieren und Fortführen wurde schließlich für die jüngeren Werke ganz
der Ideenwelt der Metamorphosen, um eine expli- fallengelassen. Dies hatte offenbar vornehmlich
zite Rücknahme des dort niedergelegten Pessimis- mit Strauss’ finanzieller Situation zu tun. Der
mus, vermittelt durch ein direktes Zitat des Komponist wohnte seit seiner Ankunft in der
Hauptthemas aus dem Streicherstück und durch Schweiz beim befreundeten Hotelier Xaver Mark-
ein Weiterarbeiten an diesem Thema. Gänzlich im walder im Badener Verenahof, einem Etablisse-
Verborgenen spielt sich sodann eine weitere Ver- ment der Luxusklasse, wo er, so gut wie abge-
knüpfung dieses Themas der Metamorphosen und schnitten vom Zugriff auf sein Geld in Deutsch-
des Oboenkonzerts mit einem Thema des soge- land, Schulden in erheblichem Ausmaß machen
nannten »Echten Cellokonzerts« ab, jenes Frag- musste. Am Neujahrstag 1946 jedoch erschien, fast
ment gebliebenen Projekts, das Strauss’ Spätwerk wie ein Deus ex machina, Ernst Roth in seiner
im Jahr 1935 präfiguriert hatte. So scheint, allem Eigenschaft als Leiter des Verlags Boosey & Haw-
kompositorischen Gewicht der Metamorphosen kes bei Strauss, um ihm mitzuteilen, dass er die
zum Trotz, erst mit dem Oboenkonzert eine Rechte an seinen Werken vom Verlag Fürstner
Höchststufe an ideeller Komplexität und resümie- erworben habe und eine nähere Zusammenarbeit
render Selbstreferenzialität im Spätwerk erreicht. anstrebe. Mit dem Auftritt von Roth, dessen Ver-
In diesem Sinne könnte man das Oboenkonzert hältnis zu Strauss sich bald zu einer regelrechten
einen Hyperkommentar zum Spätwerk nennen. Freundschaft entwickelte, begann in gewisser
Im Oktober 1945 verlegte Strauss seinen ständi- Hinsicht die Rückkehr des Komponisten in den
gen Wohnsitz in die Schweiz, woraus sich ein internationalen Musikbetrieb der Nachkriegszeit:
knapp vierjähriges Exil entwickelte. Diese Schwei- Verträge wurden geschlossen, Werke wie die Me-
zer Zeit, die immerhin noch ein Jahr länger währte tamorphosen (25. Januar 1946), das Oboenkonzert
als die Spanne vom zweiten Hornkonzert bis zum (26. Februar 1946) und die zweite Bläsersonatine
Oboenkonzert, war insgesamt erstaunlich schaf- (27. März 1946) in der Schweiz uraufgeführt; sogar
fensarm, erstaunlich deshalb, weil die äußeren neue Stücke wie die Symphonische Fantasie aus
Lebensumstände des Komponisten sich gegenüber »Die Frau ohne Schatten« (TrV 234a, beendet am
der Endphase des Krieges wesentlich verbessert 30. Mai 1946) und das Symphonische Fragment aus
hatten. Doch Strauss verlebte seine Schweizer »Josephs Legende« (TrV 231a, beendet am 4. Feb-
Jahre teils in Langeweile, teils in Depression. Die ruar 1947) wurden in Auftrag gegeben oder zu-
Hoffnungen, welche durch die Amerikaner in mindest angeregt, eine Reihe von Kompositionen
Garmisch-Partenkirchen geweckt worden waren, nahm Roth gleich auch in Verlag (die Rosenkava-
erfüllten sich in der Schweiz nicht; Strauss wurde, lier-Walzerfolge, die Frau ohne Schatten-Fantasie,
in paradoxer Analogie zu seinem eigenen Erleben das Josephslegende-Fragment sowie die jüngsten
des späten Nationalsozialismus, aus politischen beiden Werke, die Metamorphosen und das Oboen-
Gründen, nämlich wegen seiner Haltung gegen- konzert); und im Oktober 1947 beging man über-
über den ehemaligen Machthabern kritisiert, was dies das große Festival in London unter Strauss’
die künstlerische Leistung zunächst in den Hinter- Mitwirkung, das erste Strauss-Festival der Nach-
grund drängte. Nur einmal noch feierte er einen kriegszeit.
472 Instrumentalmusik

Trotz alledem entstand in den vier Schweizer rupten harmonischen Rückungen oder ver-
Jahren nur noch ein einziges umfangreicheres ei- schrobenen Modulationen in weit entfernte
genständiges neues Instrumentalwerk, das Duett- Tonarten,
Concertino für Klarinette und Fagott mit Streich- – harmonische Tritonus-Beziehungen,
orchester und Harfe (beendet am 16. Dezember – rasch aufeinanderfolgende Exposition kurzer,
1947). Dieses setzt offenkundig eine zentrale Linie hinsichtlich Rhythmus und Phrasierung unter-
des Spätwerks, die des Bläserkonzerts, fort und schiedlicher Motive,
führt sie zu einem endgültigen Abschluss – nicht – große formale und ausdrucksmäßige Vielfalt
allerdings ohne eine neue Tür aufzutun. Denn der thematischen Gebilde,
beim Duett-Concertino handelt es sich um das – Motivik auf der Grundlage von Dreiklängen
einzige Doppelkonzert in Strauss’ Œuvre. Mit und Skalen,
diesem innovativen Moment verbunden ist eine – Entfaltung großer Kantilenen auf Basis des
Abwendung von einer der Ausgangsprämissen des exponierten Materials,
Spätwerks, dem Rückbezug zum Jugendwerk, und – ruhig behagliches Dahinfließen der Textur mit
die Hinwendung zur echten Programmmusik, also unvermitteltem Aufblitzen straussischen
zu Strauss’ instrumentalem »Lebenswerk«. Die Schwungs. (Wenn Theodor W. Adorno noch
wenigen poetisch-programmatischen Hinweise in 1964 eine Aussage Alban Bergs kolportierte,
den Skizzenbüchern des Duett-Concertinos lassen Strauss habe »keinen Spätstil gefunden«
eine Orientierung an den ästhetischen Prinzipien [Adorno 1978, 600], entbehrte das nicht nur
der Moderne des späten 19. Jahrhunderts erken- jeder Substanz, sondern war überdies unred-
nen, gerade auch weil ihnen eine klare autobiogra- lich, da Berg, 1935 gestorben, noch keinen Ton
phische Tendenz eigen ist. Möglicherweise wollte des instrumentalen Spätwerks gekannt haben
Strauss erneut eine Brücke zum »Echten Cello- konnte.)
konzert« schlagen, zu dessen zentralen Ideen be-
reits die Rückkehr zur Künstlerproblematik seiner Erster Satz: Das erste Motiv des Solo-Horns for-
eigenen früheren Tondichtungen gehört hatte muliert ein ästhetisches Programm: ein bloßer
(Gilliam 2001, 108–110). Jedenfalls wäre Strauss’ Es-Dur-Dreiklang, cru, noch nicht einmal phra-
letztes großes Instrumentalwerk auch zu begreifen siert, nur rhythmisch geformt. Darin liegt zweifel-
als letzter Versuch, seine »vierte Schaffensperiode« los ein Bekenntnis zur Tonalität und zu einem
noch einmal zu resümieren und deren verschie- thematischen Material, das in keiner Weise ›fort-
dene Elemente miteinander zu verschmelzen: das geschritten‹ ist, oder wie es damals schon hieß,
konzertante Jugendwerk, die symphonische Pro- ›avanciert‹.
grammmusik, das reine Musikmachen und die Solche Simplizität hat sich Strauss im weiteren
autobiographische Bekenntnismusik. Spätwerk kaum mehr erlaubt. Dennoch lässt sich
in dem dreiklangsumspielenden, mit akkord- oder
leiterfremden Tönen angereicherten Motiv der
vielleicht wichtigste Motiv-Typus der späten In-
Werke strumentalwerke erblicken (man vergleiche die
Kopfmotive der Festmusik der Stadt Wien und des
Zweites Konzert für Horn und Orchester
ersten Satzes der zweiten Bläsersonatine, das
TrV 283
Hauptmotiv der ersten Bläsersonatine, das dritte
Der distinkte Stil des straussischen Spätwerks zeigt Thema der Metamorphosen, das erste solistische
sich bereits in den allerersten Takten der ersten Motiv im Oboenkonzert und viele andere).
»Nachlass«-Komposition mit völliger Klarheit. Im Neben das betont Einfache tritt als ein weiteres
Eingang des zweiten Hornkonzerts werden die Merkmal der instrumentalen Spätwerke das
wesentlichen Ingredienzien dieses Stils gleichsam feinsinnig Unkonventionelle. Im zweiten Horn-
im Extrakt dargereicht: konzert verzichtet der Komponist, für ein Blä-
– bodenständige Tonalität mit dem Kontrast von serkonzert ziemlich unüblich, auf jegliche Orches-
flächiger schlichter Kadenzharmonik und ab- ter-Einleitung, bringt nicht einmal einen Tutti-
23. Das instrumentale Spätwerk 473

Akkord, wie er noch am Anfang seines ersten Motive, ein aufsteigend fanfarenhaftes (T. 1 f.), ein
Hornkonzerts von 1882/83 gestanden hatte, son- fallend melismatisches (T. 3 f.), ein gemächlich tänze-
dern beginnt mit dem Horn allein. So stark dieser risches (T. 5 f.) und ein rasch figurierendes (T. 7–10).
kraftvolle Auftritt des Solisten, so unerwartet Wichtigstes übergreifendes Strukturprinzip ist
springt das Orchester beziehungsweise das orches- der – historisierende – Gegensatz von Solo- und
trale Streichquintett auf der zweiten Zählzeit des Tutti-Teilen. Während die insgesamt drei großen
zweiten Taktes im Forte gleichsam mitten ins Tutti (T. 55 ff., T. 111 ff., T. 135 ff.) als Orchesterzwi-
laufende Geschehen hinein, um sich gleich darauf schenspiele sehr ähnlich einsetzen, wie ein Ritor-
ins Piano zurückzuziehen. Das ist nicht nur ver- nell, gestalten sich die Soli umso vielfältiger:
halten ironisch, sondern hat auch einen durchaus – als reines, nur durch Streicher begleitetes Solo
opernhaften Anstrich. (T. 1 ff.),
Überhaupt scheint sich so manches in diesem – als energisch-deklamierender Einwurf, der sich
Hornkonzert direkt aus dem Stil von Capriccio in ein kammermusikalisch anmutendes Trio
herzuleiten. Im Grunde ist der ganze Anfangsteil, mit 1. Klarinette und Solo-Cello wandelt und
das erste, beachtliche 55 Takte umfassende Solo, von einer virtuosen, stark entwickelnden Pas-
wie eine kleine Opernszene aufgebaut: Es beginnt sage gefolgt wird (T. 75 ff.),
mit einem Rezitativ des Solisten, zunächst secco – als ruhige nachdenkliche Partie im Dialog mit
(die Orchesterbegleitung T. 2–5 ist bloßes Kaden- 1. Klarinette und Streichquintett (T. 119 ff.),
zieren), dann accompagnato (beim zweiten Or- – als lebhafte Interaktion und ruhiger, vom ge-
chestereinwurf T. 6 f. wird die Motivik des Horns samten Orchester begleiteter Abgesang (T. 175–
in den Bässen imitierend fortgeführt), woran sich 200).
der Übergang (eigens mit der Vortragsbezeich-
nung »getragen« markiert) in eine ausgedehnte Resultat ist ein durchaus eigenwilliger fomaler
Arie als unendliche Melodie schließt, immer noch Aufriss, der mit historischen Modellen wenig zu
nur vom Streichquintett in homophonem Satz tun hat, eine phantastisch-freie Form, worin sich
mit wenig motivischen Einsprengseln begleitet. die vier zu Beginn exponierten Hauptmotive bald
Erst mit dem Eintritt des ersten Orchester-Tutti in zu Themen, bald zu Soli, bald zu Tutti-Abschnit-
T. 55 gewinnt die rein instrumental-konzertante ten in kontrastreichem Wechsel kristallisieren.
Konzeption wieder die Oberhand, erst hier wird An dem ersten Orchester-Tutti lassen sich wei-
der Satz kontrapunktisch-polyphon. tere stilistische Eigenheiten des späten Strauss er-
Trotz aller Musiktheatralik hat Strauss die kennen. Es beginnt in T. 55 mit einem typischen
opernhaften Elemente für den instrumentalen straussischen Kontrapunkt, einem Übereinander
Kontext adaptiert und dabei transformiert. Das der eingangs vom Horn vorgestellten motivischen
›Rezitativ‹ wird zum motiv-exponierenden Teil Gestalten in den Außenstimmen: Motiv 1 und 2
(T. 1–12), die ›Arie‹ zur weit geschwungenen Kan- liegen im Bass, Motiv 3 und drei Takte später Motiv
tilene (T. 12–54), die ihrerseits keine Motive expo- 4 im Diskant. Nach vier Takten folgt ein Stimm-
niert, sondern das eingangs vorgestellte Material tausch zu Motiv 4 im Bass sowie Motiv 1 und 2 im
wie phantasierend aufnimmt, einbindet, fort- Diskant. Eine freie Fortspinnung der Motive bis
spinnt. Dieses Muster wird im Spätwerk noch öf- zum nächsten Horn-Solo schließt sich an.
ter wiederkehren. Sehr charakteristisch führt Strauss im ersten
Übrigens erinnert die innere Struktur des expo- Orchester-Tutti auch noch neues thematisches
nierenden Teils stark an Strauss’ Worte von 1944 Material ein, doch en passant und kaum bemerk-
über Mozarts musiktheatralischen Stil: Das »selt- bar. Zwischen Motiv 3 und Motiv 4 im Diskant
same Allegrothema der ›Don Juan‹-Ouverture« be- schiebt sich in T. 57 ein Motiv, das später noch
stehe »aus 3 ganz verschiedenen Teilen […]: ruhelos recht prominent auftreten wird, nämlich als
begehrend[,] leichtsinnig gewissenlos abspringend[,] Hauptmotiv beim sich anbahnenden Übergang
in Nichts sich verzehrend« (Strauss 1981, 109 f.). zum zweiten Satz (T. 164–174).
Auch in den ersten zwölf Takten des Hornkonzerts Bemerkenswerterweise finden sich besonders
findet man vier charakterlich klar verschiedene inspirierte Passagen gerade an Stellen intensiver
474 Instrumentalmusik

motivischer Dichte höchst unterschiedlichen werk sonst nicht mehr vorkommen wird. Der
Charakters. Kommt es in den Kontrapunkten, dritte Satz, als Rondo im 6/8-Takt unverkennbar
Umkehrungen und Spiegelungen etwa des ersten eine Reminiszenz an das erste Hornkonzert von
und des dritten Orchester-Tuttis zu echt straussi- 1882/83, lehnt sich in seinem Aufbau zunächst
schem, feurigem Schwung (T. 55 ff.; T. 135 ff.), so noch eng an den Kopfsatz an: Auf ein erstes, vom
lässt der ausdrucksmäßig beinahe entgegengesetzte Horn aufgestelltes jokoses Hauptthema, eine In-
Ausklang des Allegro mit seiner abendlichen Da- karnation des straussischen Rondo-Typus (siehe
nae-Stimmung unerwartet noch einmal drei der Till Eulenspiegel), folgen als weiteres ›Thema‹ eine
Hauptmotive Revue passieren, wobei sich zuletzt ausgedehnte Horn-Kantilene mit zum Teil moti-
Motiv 1 von einer Fanfare ins ganz Lyrische ver- visch figurierter Begleitung (T. 33) und hierauf
wandelt hat. wiederum das erste Tutti (T. 66) mit anschließen-
der entwickelnder Fortspinnung. Im weiteren
Zweiter Satz: Dieses Andante con moto in As-Dur Verlauf machen sich erstmals deutliche Einflüsse
ist offenkundig als Kontrast und in manchem so- der Sonatensatzform bemerkbar. Das Solo-Horn
gar als direktes Gegenteil des ersten Satzes ange- intoniert ein zweites Thema, aus Viertaktern in
legt: Hier gibt es zwei Takte Orchestervorspiel, der Dominanttonart B-Dur (T. 96 ff.), das rasch
gefolgt von einem gerundeten, aus zwei Viertak- einem ersten Rondo-Couplet Platz macht, hervor-
tern plus überleitendem Abschlusstakt bestehen- gehoben durch etwas ruhigeres Tempo (T. 111 ff.).
den Thema, jedoch nicht im Horn, denn das Ein derartiges Abwechseln zwischen Partien,
Solo-Instrument schleicht sich erst in T. 23 mitten welche der Sonatensatzform angehören, und sol-
in die laufende Orchester-Melodie hinein. chen aus der Rondoform, überlagert vom Solo-
Großformal gestaltet sich dieser Mittelsatz Tutti-Wechsel, prägt von nun an den Satz. Mit der
denkbar einfach, als A-B-A-Form mit durchge- Wiederkehr des Tempo primo eröffnet das zweite
hender liedhafter Kantilene im Anfangsteil, kon- Thema einen durchführungsartigen Entwick-
trastierendem Mittelteil und modifizierter, ver- lungsteil (T. 127 ff.), abgelöst von einem charakter-
kürzter Wiederkehr des Anfangs. Eines der lich durchaus gegensätzlichen, ganz tänzerischen
Hauptprinzipien des ganzen Werks tritt hier bei- zweiten Rondo-Couplet (T. 159 ff.). Dann er-
nahe nackt zutage: der Wechsel durch Kontrast, scheint die Reprise des jokosen ersten Themas
mannigfaltig auf den verschiedensten Ebenen des (T. 181), und ohne dass dessen kantilenenartige
musikalischen Satzes. Der Mittelteil (T. 38 ff.) Ergänzung wiederkehrte, kommt es zum dritten
grenzt sich vom A-Teil ab in Tempo (Più mosso), Rondo-Couplet (T. 209 ff.). Das anschließende
Tonart (D-Dur, Tritonusabstand zu As-Dur), Tutti (T. 225 ff.) verbindet entwickelnde und repri-
Binnenbewegung und Binnenstruktur (Sechzehn- senartige Elemente und mündet in ein viertes,
tel-Triolen alternierend zwischen Celli und 1. Vio- mehr nur angedeutetes Couplet (T. 247 ff.), das
linen), Charakter (huschend, verschwimmend), zugleich die vorangehende Entwicklung fortsetzt.
Klangfarbe (senza sordino), Dynamik (erstmals Immer kurzgliedriger und immer entwickeln-
generelles Pianissimo, erstmals sforzato-Akzente). der bewegt sich die Formkurve scheinbar auf einen
Demgegenüber tritt das Tempo primo, der zweite Höhepunkt zu, doch ein dreitaktiges Crescendo
A-Teil (T. 54 ff.), als eine Art Synthese beider vor- wird unvermutet zurückgenommen, die ganze
angegangener Teile auf, indem die Binnenbewe- Bewegung des Satzes gebremst und fast zum Still-
gung mit den alternierenden Sechzehnteltriolen stand gebracht. Hier ist der Ort für eine besondere
fortgesetzt wird und die Streicher nun teils wieder straussische Spezialität: ein Selbstzitat aus dem
con sordino, teils weiter senza sordino spielen. frühen ersten Hornkonzert. Ganz am Ende des
Diminuendo erscheint im Solo-Horn pianissimo
Dritter Satz: Mannigfaltigkeit liegt auch darin, zweimal die Quarte es-as über der Harmonie
dass Strauss das Hornkonzert zwischen erstem und F/ces/es (T. 280 sowie 282), womit auf dieselbe
zweitem Satz durchkomponiert, den zweiten und melodisch-harmonische Abfolge in den Takten 3 f.
dritten Satz jedoch durch eine Pause voneinander und 11 f. im Mittelsatz des Jugendwerks angespielt
getrennt hat – eine Eigentümlichkeit, die im Spät- wird – und auf die Wiederkehr dieses Satzes im
23. Das instrumentale Spätwerk 475

Schlussrondo des ersten Hornkonzerts selbst (bei Schreibweise wird polyphoner und entwickelter;
Buchstabe O). stärker noch als im Konzert scheint Strauss’ alte
Das zweite Thema leitet zurück zu einer Re- Vorstellung eines gleichsam ›organischen‹ sym-
prise des ersten Orchester-Tutti, die zugleich als phonischen Komponierens nachzuwirken.
Coda des Sonatensatzes (T. 295 ff.) fungiert und So lässt sich kaum sagen, ob die Festmusik ein
fast nur aus den Motiven des ersten und zweiten erstes Thema oder ›Hauptthema‹ hat, denn es gibt
Themas besteht. Strauss wendet den jokosen Cha- mindestens drei Abschnitte, die einen Anspruch
rakter mit den beiden Tutti-Hörnern, Trompeten darauf erheben könnten: erstens der Werkbeginn
und Pauken ins fanfarenhaft Prächtige, wobei die als Exposition des motivischen Materials, zweitens
Tonrepetitionen des zweiten Themas in kanoni- die geradtaktig konstruierte Kantilene der 1. Trom-
schen Einsätzen die letzte Schlusssteigerung an- pete T. 34 ff., die sich von der Tonika Es-Dur über
feuern. die Subdominante B-Dur zur Tonika-Parallele
c-Moll bewegt, drittens das Tutti des zweiten
Chors Takt 64 ff. mit seinem klaren sechstaktigen
Festmusik der Stadt Wien
Vordersatz und ebenso langen, teils vom ersten
für Blechblasinstrumente und Pauken
Chor übernommenen Nachsatz, von der Tonika
TrV 286
zur Dominante und wieder zurück führend.
Die Festmusik der Stadt Wien ist die erste Kompo- Strauss’ Komponierweise ist mit einer Termi-
sition des alten Strauss für ein Ensemble gleichar- nologie, die sich an der Sonatensatzform orientiert
tiger Instrumente (zwei Blechbläserchöre, ergänzt und klar abgegrenzte Themen kennt, auch deren
um fünf Pauken) und inauguriert damit eine Expositionen eindeutig von Überleitungen und
zentrale Werkgruppe des Spätwerks, welcher auch Durchführungen trennen will, kaum angemessen
die beiden großen Sonatinen für sechzehn Blas- zu beschreiben. Was sich in der Festmusik abspielt,
instrumente und schließlich die Metamorphosen wäre ansatzweise etwa folgendermaßen in Worte
für dreiundzwanzig Solostreicher angehören, eine zu fassen:
Werkgruppe mit vielen formalen Gemeinsamkei- Am Beginn steht ein Abschnitt von 33 Takten
ten und insbesondere mit einer sehr ähnlichen Länge, in dem drei Motive oder Motivkomplexe
Auffassung vom musikalischen Satz. aufgestellt werden, mit drei unterschiedlichen
Gleichwohl bestehen besonders auf der Ebene Charakteren: einem festlich-schreitenden (T. 1 f.),
der formalen Organisation zahlreiche Verbin- einem fanfarenhaft-bewegten (T. 3–7) und einem
dungslinien zwischen der Festmusik und dem lyrischen (T. 8–11). Diese Struktur ist mehrfach
zweiten Hornkonzert. Hier manifestiert sich ein irregulär, denn die Motive sind unterschiedlich
besetzungs- und gattungsübergreifendes komposi- lang (2 Takte, 5 Takte, 4 Takte) und das mittlere
torisches Denken, das von einem wirklichen bildet als einziges einen Komplex aus zwei unter-
›Spätstil‹ zu reden berechtigt. So beginnt die Fest- schiedlichen Fanfaren-Motiven, die auf die beiden
musik genau wie das Hornkonzert mit der Exposi- Chöre verteilt sind (T. 3 f. in Chor I, T. 6 f. in
tion mehrerer sehr unterschiedlicher motivisch- Chor II). Nach der Aufstellung der drei Motive
thematischer Gestalten (in der Festmusik drei, im (T. 1–11) folgt sogleich ihre Wiederholung (T. 12–
Hornkonzert vier) und einer anschließenden aus- 22) und Fortspinnung (T. 23–33), wobei noch
gedehnten Kantilene, die motivisch auf dem ge- weitere Irregularitäten eingebaut werden wie ein
rade eingeführten Material basiert. Nur dass der eintaktiger Taktwechsel vom 4/4- in den 3/2-Takt
zwischen Kammermusik und Symphonik angesie- (T. 19). Man könnte diesen Eingangsteil ›Exposi-
delte Ensemble-Stil der Festmusik insgesamt deut- tionspartie‹ nennen.
lich komplexer ausfällt als der konzertante Stil: An die Expositionspartie knüpft sich eine etwa
Eines der fasslichsten Strukturprinzipien des Blä- gleich lange erste ›Themenpartie‹ (T. 34–63), wo-
serkonzerts, der stete Wechsel von Solo und Tutti, rin das soeben aufgestellte fundamentale musika-
fehlt im Ensemble der Festmusik weitgehend. Hier lische Material neu geformt wird zu einer thema-
orientiert sich der Satz weniger an einer einzigen artigen Kantilene, einem in sich einigermaßen
Leitstimme und ihren virtuosen Figurationen; die geschlossenen Gebilde. Die Kantilene mündet in
476 Instrumentalmusik

eine weitere, zweite Themenpartie (T. 64–75), mit Die formale Struktur stellt sich summarisch-
noch einmal anderer Neuformung desselben Ma- tabellarisch folgendermaßen dar:
terials. Strauss setzt also an die Stelle eines einzi-
gen, klar exponierten ›Themas‹ eine Abfolge von Expositionspartie (T. 1–33)
Materialexposition und zwei daraus gewonnenen 1. Themenpartie (T. 34–63)
2. Themenpartie (T. 64–75)
thematischen Partien durchaus unterschiedlichen
Überleitung (T. 76–99)
Umfangs. ›zweites Thema‹ (T. 100–115)
Nach einem überleitend-entwickelnden Ab- 1. Steigerungsteil (T. 115–197)
schnitt erklingt in T. 100 etwas Neues: ein weiteres 3. Themenpartie (T. 198–212)
Gebilde, etwas ruhig, nicht bloß als Motiv, son- 2. Steigerungsteil (T. 213–233)
dern sogleich zum ganzen Thema ausgebildet und ›zweites Thema‹ (T. 234–249)
erstmals nicht auf das Material der Expositions- Coda/3. Steigerungsteil (T. 249–272)
partie zurückgreifend. Die Assoziation eines
›zweiten Themas‹ im Sonatensatz liegt nahe, doch Es ist mehr oder weniger Geschmackssache, ob
steht auch dieses Thema entgegen allen Sonaten- man diesen Formaufriss in die Nähe der Sonaten-
satzform-Konventionen in der Haupttonart des satzform rücken will, ob man beispielsweise die
Werks Es-Dur. Expositionspartie und die beiden Themenpartien
Es folgt ein polyphoner, durchführender, ver- als modifiziertes ›erstes Thema‹, den ersten Steige-
dichtender Steigerungsteil, worin die Pauke erst- rungsteil als eine ›Durchführung‹ und die Coda
mals thematisch eingesetzt wird (T. 133 und 134). noch als ›zweite Durchführung‹ begreifen will.
Auf dem Höhepunkt mündet er in einen vermin- Insgesamt scheinen die Nichtübereinstimmungen
derten Septakkord auf Fis (T. 187), der sich wie- mit dem Schema eher zu überwiegen. Zumindest
derum in einen Dominantvorhaltsquartsextak- ist die übliche Dreiteiligkeit (oder, mit der Coda,
kord auf B löst, wo das Eingangsmotiv in seiner Vierteiligkeit) der Sonatensatzform aufgelöst zu-
Ausgangsgestalt wiederkehrt (T. 189). Doch muss gunsten eines Prinzips der reihenden Steigerung,
man sich trotz der Reprisenwirkung vor zu starken wobei nach dem ersten dreiteiligen thematischen
Assoziationen an die Sonatenform hüten. Ein ge- Abschnitt stets steigernde Teile mit thematischen
festigtes Es-Dur ist erst neun Takte später erreicht, abwechseln.
es erscheinen nur die zwei allerersten Takte des Übrigens macht sich hier eine formale Grund-
Werkbeginns wörtlich wieder, und nur in zwei idee geltend, die grosso modo für alle späten En-
Instrumenten (6. und 7. Trompete). semblewerke bestimmend werden wird: der Ge-
Auch der folgende Fanfaren-Abschnitt (T. 198 ff.) gensatz von Wechsel und Entwicklung. In der
rekapituliert nicht eigentlich die Musik aus dem Festmusik werden steigernde Entwicklungen ins-
ersten Teil des Stücks, sondern setzt sie gleichsam besondere aus der Instrumentierung gewonnen.
über ein großes Zwischenglied – bestehend aus Strauss teilt die einzelnen Motive, Themen und
Überleitung, ›zweitem Thema‹, Steigerungsteil – Themenpartien abgesehen vom Werkbeginn je-
hinweg fort und konstituiert eine dritte Themen- weils einem der Chöre zu, in der Überleitung und
partie, eine neue Ausformung der bekannten verstärkt im ersten Steigerungsteil kommt es zur
Motivik zu einer eigenständigen Gestalt. Ein ersten echten Interaktion beider Chöre, und von
zweiter Steigerungsteil schließt sich an, mit durch- der reprisenartigen dritten Themenpartie an spie-
gehenden motorischen Triolenketten als neuem len beide Chöre dauerhaft zusammen. Zugleich
Element, abgelöst von kontrapunktisch verbunde- dient gerade die bei Strauss völlig ungewöhnliche
nen Motiven. Nun kehrt das ›zweite Thema‹ wie- Zweichörigkeit, in der man ein Element der Mo-
der, poco tranquillo, erneut in der Grundtonart, derne sehen kann, auch zur Erzeugung kontrast-
jetzt aber für beide Chöre gesetzt. Zuletzt ist man reichen Wechsels. Der Gegensatz der beiden
in einem klaren Coda-Teil angelangt, teils durch- Chöre verdeutlicht die Abfolge der Formteile, oft
führend-modulierend-kontrapunktisch, teils Über- zusammen mit einer holzschnittartigen Dynamik
einanderschichtung dreier Grundmotive über ei- (eher selten finden sich Crescendi und Diminu-
nem Es-Dur-Orgelpunkt. endi ) wie dem abrupten Wechsel von forte-Fanfa-
23. Das instrumentale Spätwerk 477

renmotiven und lyrischem Piano gleich in der nicht das Hauptmotiv des Satzes (welches demsel-
Expositionspartie. ben Dreiklangs-Typus angehört wie das Haupt-
Eine jener Ambiguitäten, von welchen das motiv der Festmusik). Auch werden die Motive
straussische Spätwerk in vieler Hinsicht durchzo- nicht mehr schön säuberlich getrennt im Unisono
gen wird, liegt schließlich im Titel des Werks. Die oder mit klarer Thema-Begleitung-Struktur vor-
Festmusik zeigt neben donnernden Paukenwirbeln gestellt, sondern in einem dichten, kompakten,
und schmetternden Trompetenfanfaren, mit de- mehrstimmigen Satz. Was zunächst wichtig er-
nen sie fast plakativ anhebt, mindestens ebenso scheint, die Linie im Diskant der ersten Oboe
viele ganz und gar ›unfestliche‹ Elemente. Insbe- (T. 1 f.), erweist sich im weiteren Verlauf als eher
sondere die lyrischen und kantablen Partien haben nebensächliche Figur, während eines der leitenden
einen für Strauss eher untypischen, nachdenklich- Motive des Satzes, der um eine Oktave gespreizte
melancholischen, bisweilen fast fremdartig spröde chromatische Abwärtsgang, in die Bassstimme
anmutenden Charakter, was auch daran liegen verlegt und dort zunächst kaum als thematisch
dürfte, dass Blechblasinstrumente für diesen entzifferbar ist (Fagotte T. 1). Zudem mutet die
Komponisten nie bevorzugte Träger des Gesang- harmonische Konstellation eigenwillig an. Der
lich-Melodischen waren. Schon in der ersten Ex- Satz wird, weit entfernt von seiner Grundtonart,
positionspartie erweist sich das Lyrische als ent- in Es-Dur eröffnet, genauer gesagt auf einem
schieden retardierendes Moment und bewirkt im Unisono-Es, bewegt sich über c-Moll und As-Dur
dritten Unterabschnitt, der Fortspinnung von in eine Kadenz nach Es-Dur in T. 5 und erreicht
fanfarenartigen und lyrischen Motiven (T. 23–33), in vier weiteren Takten über die Stationen
dass die Expositionspartie sich nicht entwickelt, Ges-Dur und a-Moll die Grundtonart F-Dur.
sondern stehenbleibt und – poco calando – gewis- Hier erst tritt eine deutlich als Hauptmotiv des
sermaßen verebbt. So können sich die stärker ty- Satzes identifizierbare Gestalt auf, mit einem Ha-
pisierten fanfarenhaften Teile in der ganzen Fest- bitus, der zunächst durchaus an ein ›erstes Thema‹
musik nie bis zu einer wirklichen Apotheose stei- einer Sonatensatzform erinnert. Doch wird dieses
gern. Motiv behandelt wie in einem Überleitungs- oder
Steigerungsteil. Nach seinem ersten Auftreten im
Unisono wandert es in den Bass, anschließend
Erste Sonatine
kommt es zu akkordischen Achteltriolen-Ketten
für sechzehn Blasinstrumente TrV 288
wie im zweiten Steigerungsteil der Festmusik. Eine
Mit der Sonatine in F-Dur schrieb Strauss im Wiederholung führt zu stark modulierender Stei-
Frühjahr bis Sommer 1943 seine bis dato umfang- gerung, die in eine weitgeschwungene, wiederum
reichste Nachlass-Komposition; ein reines Instru- nicht eigentlich motivisch festgelegte, reich mit
mentalwerk von einer halben Stunde Dauer hatte wechselnden Sechzehntel- und Achteltriolen-Gir-
er seit dem Panathenäenzug von 1927 nicht mehr landen verzierte Kantilene mündet. Wir haben es
verfasst. Dementsprechend wirkt auch der kom- hier mit einer sozusagen symphonischen Fassung
positorische Anspruch in dem Bläserstück höher des gleichen Satzprinzips wie im Hornkonzert
gesteckt als in den vorangegangenen beiden Spät- und der Festmusik zu tun: Das motivische Material
werken, ja er streift sogar ans Symphonische, dem wird zuerst aufgestellt in kleinen Abschnitten, die
verkleinernden Titel Sonatine zum Trotz. nicht zu einem richtigen Thema ausgebaut bezie-
hungsweise gerundet werden, dann folgt eine
Erster Satz: Ein Blick auf den ersten Satz zeigt, Kantilene – nur dass hier die motivexponierenden
dass hier zwar ähnliche Satzideen Anwendung Teile kaum mehr klar voneinander getrennt sind
finden wie im zweiten Hornkonzert und in der und selbst die Kantilene in einen Sog des Entwi-
Festmusik der Stadt Wien, dass diese sich jedoch ckelns hineingerät. Symphonisch mag dieses
weiterentwickelt und wiederum verkompliziert Komponieren auch deshalb heißen, weil hier alles
haben. So beginnt das Allegro moderato mit einer in- und miteinander verwächst.
Art Vorspann oder Einleitung (T. 1–8), worin Nach einer Überleitung, die neues Material
führende Motive aufgestellt werden, allerdings einführt, erscheint in T. 41 erstmals eine Gestalt,
478 Instrumentalmusik

die sich mit einigem Recht als ›Thema‹ bezeich- rer Reiz darin liegt, dass es sich um ein ganz
nen ließe, als motivisch wie harmonisch stabiles, neues, auch motivisch noch nicht vorbereitetes
aus zweitaktigen Sequenzierungen bestehendes Thema handelt. Der dritte Teil der Durchführung
zweites Thema in der Dominante. Hier macht (T. 133 ff.) besteht aus einem langen Weiter- und
sich noch der alte Gedanke eines Dualismus der Fortspinnen motivischer Fäden, ziellos, als habe
Themen im Sonatensatz bemerkbar, denn das Strauss die Idee des Themenfelds am Ende der
zweite Thema führt einen neuen spielerisch-heite- ›Exposition‹ mit seinem reinen Musizieren auf die
ren Charakter in den Satz ein. Und die Gegensätz- Durchführung übertragen. Wie in der Festmusik
lichkeit zum Anfangsteil wird noch wesentlich wird damit eine klassizistische Idee von Durchfüh-
weiter getrieben. Während es zu Beginn drei sehr rung als großer Entwicklungs- und Prozessteil
unterschiedliche, sich auseinander entwickelnde konterkariert. Denn was in der gesamten Sonatine
Abschnitte gibt (modulierender Vorspann, Haupt- gewiss nicht stattfindet, ist ein Prozess irgendwo-
motiv mit Steigerung, motivisch unspezifische hin. Gut zeigt sich das am Übergang der Durch-
Kantilene), wird das zweite Thema zu einem regel- führung zum nächsten Großteil des Satzes. Nach
rechten Feld ausgebaut, wo eine abgerundete Ge- vielfachem dichtem Modulieren in entlegenste
stalt auf die nächste folgt. Nach der jokosen ersten Tonarten tritt die Dominante in T. 163 so unver-
erklingt noch eine ausgedehnte lyrische, fast mittelt ein, als käme sie aus heiterem Himmel.
kammermusikalisch besetzte, ebenfalls in C-Dur Die Wiederkehr des Hauptmotivs in der
stehende zweite Gestalt (T. 61 ff.), eine konzertant- Grundtonart in T. 167 ff., analog zu T. 8, lässt un-
solistische dritte (T. 78 ff.) und eine ebenfalls solis- weigerlich den Eindruck einer Reprise aufkom-
tische vierte (T. 86 ff.), eigens mit espressivo ge- men. Hier ist das Motiv, das bislang an ein ›erstes
kennzeichnet und als Kanon geführt. Gegen Thema‹ bloß erinnerte, zum richtigen Thema
Schluss dieses Themenfelds wird das chromatische ausgebaut, mit viertaktigem Vordersatz zur Domi-
Motiv vom Werkeingang ins Lyrische gewendet nante und viertaktigem Nachsatz zurück zur To-
(T. 92 ff.) und es tritt noch ein weiteres neues nika, wobei ein Trugschluss zur Subdominante
Motiv auf, bis der ganze Formteil auf einem lang den Anstoß zu einer kurzen Wiederkehr der Mo-
gehaltenen C-Dur-Akkord allmählich ausklingt. tivik der allerersten Kantilene der ›Exposition‹
Was hier endet, würde in üblicher Sonatensatz- gibt. Das Spiel mit Regularität und Irregularität
form-Nomenklatur als ›Exposition‹ bezeichnet, ist setzt sich fort, wenn gleich darauf als zweites
jedoch von jeder schematischen Auffassung weit Thema der Reprise nicht etwa eine Gestalt aus
entfernt. Statt eines ersten Themas schreibt Strauss dem zweiten Themenfeld der ›Exposition‹ auftritt,
eine motivexponierende Entwicklungspartie, und sondern das neue Thema aus der Durchführung,
nach einer kurzen, selbst wieder zum Teil exponie- von As-Dur nun in die Grundtonart des Satzes
renden Überleitung hört man statt eines einzigen F-Dur gelegt, mit Wiederholung in A-Dur. An ein
zweiten Themas ein ausgedehntes Feld melodien- lockeres Stelldichein aller möglichen motivischen
reichen Musizierens. und thematischen Gestalten schließt sich eine
Geradezu übersichtlich dagegen die Fortset- Coda (eigentlich eine Aneinanderreihung mehre-
zung: Der Satzbeginn kehrt wieder, doch von Es rer codaartiger Abschnitte), in der Strauss immer
nach C transponiert, so dass sich kurz der Ein- weiter an dem reichen melodischen Material des
druck einer Expositions-Wiederholung einstellt, Satzes spinnt und insbesondere die lyrischen Qua-
und von hier aus entfaltet sich eine kontrapunk- litäten des chromatischen Satzeingangs-Motivs
tisch-modulierende Durchführung. Eine erste ausführlich ausbreitet, zum Schluss in immer
Steigerung führt nach 21 Takten zu einem fortis- breiteren Augmentationen (Hauptmotiv, chroma-
simo-Höhepunkt mit vermindertem Septakkord tisches Motiv, sogar ein bloßer Doppelschlag in
auf B (T. 123), durchaus vergleichbar dem vermin- den letzten 18 Takten), als habe er keine Lust, mit
derten Septakkord beim Höhepunkt des zweiten dem Musikmachen aufzuhören.
Steigerungsteils der Festmusik. Die Spannung löst
sich wiederum in eine weiche, gesangliche, vom Zweiter Satz: Der Entstehung nach war der zweite
ersten Horn intonierte Kantilene, deren besonde- Satz der erste der Sonatine, woraus sich auch seine
23. Das instrumentale Spätwerk 479

abweichende Instrumentierung für 13 statt für senschaft und Arbeit, in seinen Augen also mit
16 Bläser erklärt: Strauss hatte hier an seine beiden Mühsal assoziiert, und in diesem Finale scheint er
erfolgreichen Jugendwerke für Bläserensemble, die die verschwenderische Fülle, das Überströmen der
Serenade TrV 106 und die Suite TrV 132 (1881 und melodischen Einfälle mit etwas ganz Strengem
1884) anknüpfen wollen. Der Titel »Romanze und gleichsam kompensieren zu wollen. Doch ist es
Menuett« gibt bereits die Formidee preis: Es han- dem Komponisten mit der Fuge nicht sehr ernst.
delt sich um eine Verschmelzung der beiden Mit- Schon nach 16 Takten macht er Schluss, um wie-
telsätze der klassischen Symphonie, des langsamen der mit der espressivo-Kantilene fortzufahren. Et-
und des Menuett-Satzes. Dabei hat der Kompo- was Ähnliches wiederholt sich noch einmal, wenn
nist, ähnlich wie im Andante con moto des zwei- in T. 348 das Hauptmotiv modulierend durch die
ten Hornkonzerts, einer seltenen Neigung zu for- Instrumente geistert, begleitet von Dreiklangsbre-
maler Einfachheit nachgegeben und in die Mitte chungen und Skalen in einem wie ausgedünnten
einer A-B-A-Form mit der A-Dur-Romanze als Satz, um von der espressivo-Kantilene in T. 364
Rahmen das Menuett in D-Dur gesetzt, das aller- erlöst zu werden. Aufs Ganze gesehen signalisiert
dings mit einem grüblerisch-düsteren ›Trio‹ in d- das Fugato den Beginn eines durchführungsarti-
Moll beginnt. Dass die Wiederkehr der Romanze gen Teils.
modifiziert, insbesondere mit Begleitfiguren aus- Mit der Überschrift Tempo primo stellt sich in
geschmückt und verkürzt ist, versteht sich bei T. 403 kurz das Gefühl einer Reprise ein. Doch
Strauss beinahe von selbst. Die elftaktige Coda liegt Strauss weniger an der Wiederkehr bekannter
bringt ungeachtet ihrer Winzigkeit sogar noch ein Themen als an immer neuen Formulierungen von
kurzes neues Thema, gewonnen aus dem zweiten themenartigen Komplexen auf Grundlage der be-
Motiv des Hauptthemas. kannten Motive, durchsetzt mit kontrapunkti-
schen und durchführungsartig-entwickelnden
Dritter Satz: Das Finale, Molto allegro, von gro- Einschüben. Völlig quer zum Gedanken der
ßen Dimensionen (834 Takte) erinnert in seinem Reprise steht allerdings der überraschende Auf-
Duktus klar an den Kopfsatz, nur dass das Prinzip tritt eines weiteren neuen F-Dur-grazioso-Themas
der Entwicklung hier zurückgenommen scheint (T. 507). Man mag darin vielleicht eine Annähe-
zugunsten eines formal übersichtlicheren Wech- rung an die Idee des Rondos mit seinen Couplets
sels der Gestalten. Schon die erste Exposition ist sehen.
unkompliziert, geradeaus und geradtaktig, mit der Das Presto (T. 564 ff.) zeigt bei allerdings im-
für den späten Strauss typischen Reihung kurzer mer mehr verschwimmenden Formgrenzen eine
Motive leicht unterschiedlichen Zuschnitts und Coda an, die nach kaum enden wollenden Modu-
Charakters. Die rasche Abfolge von vier spielerisch lationen und stets wieder erreichtem F-Dur durch
bewegten Motiven gibt einen Vorgeschmack auf das hymnenartige zweite Thema des Expositions-
das Kommende, insofern sich dieses Finale durch teils zu einem Ende gebracht wird.
eine wahre Überfülle von motivischen und thema-
tischen Einfällen auszeichnet. Nach einer kurzen
Zweite Sonatine
Fortspinnung folgen ein hymnisch breites, ein
für sechzehn Blasinstrumente TrV 291
behaglich tänzerisches, ein kantilenenartiges, ein
weiteres sehr geschmeidig wieder in die espressivo- Einleitung und Allegro (TrV 291/4)
Kantilene übergehendes Thema in D-Dur, eine »Einleitung und Allegro«, das spätere Finale der
kurze Wiederkehr der Satzbeginns und in B-Dur zweiten Bläsersonatine, war nach der kurzen Rück-
ein synkopisches Thema mit anschließender neu- kehr in die Welt der Oper mit dem Chor An den
erlicher Kantilene. Baum Daphne (Juli bis November 1943) zunächst
So sind mittlerweile 315 Takte beinahe nur mit wahrscheinlich gedacht als eigenständiges Stück.
Themenexpositionen vergangen. Was nun Möglicherweise sollte es ein »Pendant« (RSWS 62)
kommt, ist äußerst bezeichnend: ein Fugato mit zur gerade vollendeten Bläsersonatine bilden
dem Hauptmotiv des Satzes als Subjekt. Strauss und damit wiederum ans Jugendschaffen und
hat zeit seines Lebens die Idee der Fuge mit Wis- dessen zwei Werke für Bläser anspielen, an die
480 Instrumentalmusik

einsätzige Serenade und die mehrsätzige Suite, zu ersten Wiederkehr des Einleitungs-Themas an die
deren Nachfolgerin die erste Sonatine als »II. Blä- Klagen der Rheintöchter aus Wagners Götterdäm-
sersuite« (so der Titel noch im Partiturautograph) merung, und im Folgenden das ganze Allegro an
explizit bestimmt war. Wohl während der Ausar- den Finalsatz aus Mozarts Bläserserenade KV 361,
beitung der Partitur dürfte der Komponist dann der Gran Partita.
beschlossen haben, »Einleitung und Allegro« zum Stilistisch sind »Einleitung und Allegro« zwei
Finalsatz einer zweiten Sonatine zu machen. deutlich getrennten Sphären zugeordnet: die Ein-
In diesem Stück tritt uns ein anderer Strauss leitung der Sphäre Liszts und Wagners, also der
entgegen als in den bisherigen Nachlass-Komposi- Neudeutschen Schule, das Allegro der Sphäre
tionen. Der ganze Zugriff mutet nun entschieden Beethovens und Mozarts, also der sogenannten
klassizistisch an, klassizistisch aber nicht im Sinne Wiener Klassiker. Dieser Kontrast wird für den
eines abgeklärten, reduzierten, durchsichtigen ganzen Satz zu einer maßgeblichen Triebfeder der
Spätstils, sondern einer bewusst retrospektiven Entwicklung, zum Auslöser eines regelrechten
Haltung, Zitat-Haltung, Als-ob-Haltung. Bereits Kampfs der Stile. Damit aber liegt es nahe, hinter
im formalen Bau der Einleitung zeigt sich ein der musikalischen Struktur von »Einleitung und
Ebenmaß wie sonst höchst selten beim späten Allegro« eine poetische Idee zu vermuten. Der
Strauss. Alles rundet sich ab, zur wohlgeordneten Satz markiert nicht bloß formal eine Änderung
und klar abgegrenzten Gestalt, dabei ganz ohne der straussischen Komponierweise und einen
Schematismus. Aufgestellt wird anfangs nur ein Wandel seines Spätstils, er bietet im Spätwerk
Motiv (T. 1–4), aus dem in großem Bogen ein auch das erste Beispiel für echtes symphonisches
musikalischer ›Satz‹ geformt wird, mit zweimali- Komponieren nach Strauss’ eigenem Verständnis.
gem viertaktigem Erscheinen auf zwei verschiede- »Einleitung und Allegro« ist im Grunde nichts
nen Tonstufen, zweimaliger zweitaktiger Weiter- anderes als eine Symphonische Dichtung für Blä-
führung, neuerlicher abspaltender Verkürzung auf serensemble. (Wenn Strauss sagte, er wolle mit
viermal einen Takt, Wiederkehr der Ausgangsge- den Bläsersonatinen beileibe »keine Sinfonie mehr«
stalt und Kadenz in die Grundtonart der Ein- verfassen, weil er sonst seine »ganze künstlerische
leitung g-Moll. Danach tritt ein gegensätzliches Weltanschauung umstoßen« müsse [Strauss an
Motiv auf, welches das Allegro bestimmen wird, Krauss, 21.3.1944; RSCK 517], so bezog sich das
wiederum in einem abgeschlossenen Bogen, mit auf die historische Gattung der klassischen Sym-
zweimaliger zweitaktiger Aufstellung und zwei- phonie, welche er als abgeschlossen und obsolet
maliger Verkürzung auf einen Takt. Nochmals ansah, nicht aber auf die Symphonik als komposi-
erscheinen nacheinander das Einleitungs-Motiv torisches Prinzip, welches er in den Musikdramen
sowie das Allegro-Motiv in seinem 2–2-1–1-Bogen, Wagners und in seinen eigenen Opern verwirk-
ergänzt um vier weitere Takte. Dann ist B-Dur licht fand.)
erreicht, die Dominante des Allegro. Dass zu dem Werk keinerlei programmatisch-
Doch ist es überhaupt Strauss, der hier spricht? poetische Notizen überliefert sind, ist kein Wider-
Oder bedient er sich des Vokabulars anderer, his- spruch zu diesem Befund. Denn Strauss hatte das
torischer Komponisten? Ein formales Gebilde wie Komponieren am Leitfaden poetischer Ideen
dasjenige der Einleitung hat kein Gegenstück im schon in den 1920er Jahren so weit verinnerlicht,
vorangehenden Schaffen des späten Strauss, son- dass er etwa zu einem zweifellos programmmusi-
dern lässt mit seinen auf Verkürzungen und Be- kalischen Werk wie dem Panathenäenzug TrV 254
schleunigungen basierenden thematischen ›Sätzen‹ abgesehen vom Titel keine Anhaltspunkte über
eher an Beethoven und Liszt denken. Tatsächlich das Programm bekannt machte (Konrad 2009). In
wimmelt es hier nur so von Anspielungen und »Einleitung und Allegro« fehlt zwar selbst jeder
Beinahe-Zitaten. Das erste kurze Motiv im ersten programmatische Titel, aber die Zitate und An-
Horn erinnert an das Kopfmotiv von Liszts Faust- spielungen, mit denen Strauss arbeitet, liefern
Symphonie, das erste Allegro-Motiv an das zweite ausreichende Anhaltspunkte für die Entschlüsse-
Thema aus dem Kopfsatz von Beethovens 4. Sym- lung der poetischen Idee, oder anders gesagt, die
phonie, die harmonische Fortschreitung bei der konträren Stile, die in der Einleitung und im Alle-
23. Das instrumentale Spätwerk 481

gro gegenübergestellt werden, sind bereits Reali- (T. 42–311) aus drei Themen beziehungsweise
sierungen der poetischen Idee. Themenblöcken von sehr unterschiedlicher inne-
Mit den Assoziationen Faust und Götterdäm- rer Struktur, verbunden durch Überleitungen. Im
merung ist fast schon hinreichend umrissen, wofür ersten Themenblock finden sich wiederum drei
die Einleitung ideell steht, nämlich für eine Gebilde auf der Grundlage desselben motivi-
Sphäre des Zweifels und der Weltuntergangsstim- schen Materials (T. 50–79, 80–116, 116–141); der
mung. Lässt sich im Gegenzug das Allegro als zweite Themenblock bringt zwei neue Gestalten
heiterer Mozartismus charakterisieren, wird vor (T. 163 ff. und T. 200 ff.) in jeweils mehreren
dem Hintergrund von Strauss’ späten Äußerun- Anläufen; und zuletzt erscheint ein richtiges,
gen über Mozart ebenso rasch klar, was hier ge- abgerundetes Thema (T. 269–299). Durchaus im
meint ist, nämlich die Sphäre der »Idee«, des Sinne einer beethovenschen Konzeption fungiert
»Dings an sich«, und zwar gerade nicht schopen- die Durchführung (T. 312–362) als Schauplatz
hauerisch gedacht, sondern platonisch, im Sinne eines regelrechten Kampfes der Motive aus »Ein-
einer Idee des Guten (Strauss 1981, 107). In der leitung und Allegro«. Erst mit der Reprise
Einleitung und im Allegro tragen die zwei Sphä- (T. 373–634) werden die formalen Freiheiten
ren der Negativität und der Positivität einen größer: Zwar kehren alle wesentlichen Themen
Konflikt aus. Folglich befindet man sich hier auf der Exposition in der Grundtonart wieder, doch
dem Boden, den Beethoven mit seiner 5. Sympho- nicht in ihrer ursprünglichen Reihenfolge, son-
nie sowie nach ihm Liszt mit der Mehrzahl seiner dern in fast buntem Wechsel. Zudem erklingen
Symphonischen Dichtungen bereitet hat und den an besonders unerwarteten Stellen noch zwei
Strauss als die genuine und einzig ›klassische‹ gänzlich neue Themen (T. 411–439 und T. 624–
Symphonik ansah. 634), wodurch die Form in die Nähe eines Sona-
Da es sich bei »Einleitung und Allegro« um ein tenrondos rückt.
Stück wirklicher straussischer Symphonik handelt, Solcher Eindeutigkeit stehen allerdings meh-
erweist sich seine Formkurve als komplex und rere Ambiguitäten gegenüber. Das erste Allegro
keineswegs unmittelbar evident. Mindestens drei wird von einem achttaktigen Abschnitt eröffnet,
Modelle überlagern sich: ein dichotomisches dessen formale Stellung durchaus unklar bleibt
Kontrast-Modell, ein Sonatensatz-Modell und ein (T. 42–49). Ohne selbst schon Thema zu sein,
Rondo-Modell. In das Rondo-Modell – Strauss präludiert es dieses, schiebt sich aber auch im
bezeichnete den Satz im Skizzenbuch übrigens weiteren Satzverlauf noch sechs Mal ins Gesche-
explizit als »Rondo« – spielt außerdem noch ein hen hinein, fast stets um neue Formteile (wie das
weiteres wichtiges Prinzip hinein, dasjenige der dritte Thema, die Durchführung, die Reprise, das
Motiv-Transformation und -Entwicklung. vierte und fünfte Thema) anzukündigen oder
Vom dichotomischen Modell leitet sich der einzurahmen. Eine derartige Betonung formaler
Titel des Werks ab, »Einleitung und Allegro«. Nahtstellen strukturiert zwar die Form, stiftet
Damit sind zwei in ihrem Ausdruck schärfstens aber auch Diskontinuität und unterläuft ein
kontrastierende musikalische Sphären benannt, ›organisch‹-entwickelndes Gestalten.
die einerseits in vier getrennten Formteilen gegen- Das Rondo-Modell schließlich ist entschieden
einandergestellt werden – Andante (Einleitung, unkonventionell und neuartig. Strauss’ »Rondo«
T. 1–41), Allegro (Hauptteil, T. 42–634), Andante hat mit der historischen Form nichts zu tun, son-
(Wiederkehr der Einleitung, T. 635–640), Allegro dern reduziert sich auf die Idee eines Refrains –
(Coda, T. 641–734) –, andererseits immer wieder der jedoch erstens höchst diskontinuierlich in das
aufeinander übergreifen. Erstes Andante und ers- durch andere Formprinzipien getragene musikali-
tes Allegro bilden mit 41 zu 593 Takten eine ziem- sche Geschehen einbricht und der zweitens die
lich ähnliche Korrelation wie zweites Andante und Eigenheit hat, sich ständig zu verwandeln. Nach
zweites Allegro mit 6 zu 94 Takten. seinem ersten Auftreten durchläuft der Refrain,
Das Sonatensatz-Modell hat Strauss im ersten das Kopfmotiv der Einleitung (T. 1–4), insgesamt
Allegro realisiert, dem eigentlichen Hauptteil des sechs Transformationen und vollzieht eine Ent-
Satzes. Klar erkennbar besteht die Exposition wicklung von der Sphäre anfänglicher Negativität
482 Instrumentalmusik

hin zur Positivität. Damit steigt er zum eigentli- Positive gekehrt. Dass die Durchführung tatsäch-
chen poetischen Bedeutungsträger von »Einlei- lich abgebrochen, nicht zu Ende geführt, ja wie
tung und Allegro« auf. An dramatisch-psychologi- gewaltsam ›unterdrückt‹ ist, davon zeugt ihre au-
schem Raffinement schwer überbietbar, lassen sich ßerordentliche Kürze von nur 51 Takten, was ei-
die einzelnen Entwicklungsschritte des Refrains nem bloßen Fünftel des jeweiligen Umfangs von
ohne eine genaue Betrachtung der Formkurve al- Exposition und Reprise entspricht.
lerdings kaum erschließen. In der Coda ereignet sich das Nämliche: Die
Innerhalb der Einleitung tritt der Refrain drei immanente Entwicklung des Refrains, die bogen-
Mal in seiner Ausgangsgestalt auf, zeigt aber auch förmige Rückkehr zum Ausgangspunkt, wird mit
schon erste Ansätze, sich von seiner düsteren in dem zweiten Allegro ruckartig in ihren Gegensatz
eine freundlichere Stimmung, vom tiefen ins umgekippt.
höhere Register, von Moll nach Dur zu bewegen Strauss’ Botschaft ist nicht zu überhören: Die
(T. 28–29). Das Allegro kehrt die ganze Sphäre der Sphäre der Negativität kann aus sich selbst, aus
Einleitung mit einem Mal ins Helle und übt ge- dem Material heraus nicht überwunden werden.
wissermaßen einen Sog aus, durch dessen Wir- Nur der Komponist, das autonome Schöpfer-
kung der Refrain sich einem heiteren Charakter Subjekt, vermag die Positivität zu setzen, zu ver-
weiter annähert. Zwei Mal erscheint er in der So- künden, zu dekretieren. Spätestens an diesem
natensatz-Exposition, in den beiden Themen des Punkt erhält die poetische Idee von »Einleitung
zweiten Themenblocks (T. 171 ff., T. 218 ff.). Wenn und Allegro« eine autobiographische Dimension.
er nach der Durchführung zum dritten Mal auf- Die Negativität, die aus sich selbst heraus nicht zu
tritt (T. 444 ff.), hat er sich gänzlich an das Allegro überwinden ist, entspricht Strauss’ eigener Le-
assimiliert. Beim vierten Erscheinen jedoch benssituation zur Entstehungszeit des Bläser-
(T. 509 ff.) beginnt er sich rückwärts zu entwi- stücks. »Einleitung und Allegro« war das erste
ckeln, und exakt 100 Takte vor Ende des Werks Werk, das er nach der »größten Katastrophe« sei-
(T. 635 ff.) kehrt er zu seinem Ursprungszustand nes Lebens, nach der Zerstörung des Münchner
zurück: Wörtlich kehren die ersten vier Takte der Opernhauses, in Arbeit nahm. Deshalb lässt sich
Einleitung wieder. Direkt daran schließt sich als das Stück verstehen als eine kompositorische Re-
Beginn der Coda die sechste und letzte Transfor- aktion auf dieses erste ihn wirklich in den Grund-
mation des Refrains (T. 641 ff.), eine Wiederkehr festen seiner Existenz erschütternde Kriegsereig-
des vollständig ans Heitere des Allegro assimilier- nis. Der Weg aber, den »Einleitung und Allegro«
ten Zustands. am Ende aus der Negativität des Lebens aufzeigt,
Über das poetisch-programmatische Verständ- hat nicht weniger autobiographische Bedeutung
nis dieser Refrain-Entwicklung entscheiden vor für den Komponisten. Angesichts von Krieg und
allem drei formale Schaltstellen des Werks: der Zerstörung soll es nicht die tätig handelnde Ver-
Beginn des Allegro, die Durchführung und die änderung der Wirklichkeit, sondern allein die
Coda nach der Wiederkehr der Einleitung. Kunst sein, welche das Positive setzt und dem
Das Allegro entwickelt sich, trotz deutlicher Menschen ein Weiterleben in Heiterkeit möglich
motivischer Vorwegnahmen, durchaus nicht aus macht.
der Einleitung selbst heraus, sondern wird in ei-
nem Akt der Setzung gegen sie gestellt. Die Sphäre Die weiteren Sätze: Allegro con brio – Andantino,
der Positivität wird plötzlich, abrupt, sprunghaft sehr gemächlich – Menuett
erreicht, sie tritt auf wie ein Deus ex machina. Allegro con brio: Mit dem Kopfsatz der zweiten
Die Durchführung (T. 312–362) hat zwar zur Sonatine kehrte Strauss, nach der ›Symphonischen
wichtigen Folge, dass sich der Refrain an das Alle- Dichtung‹ »Einleitung und Allegro«, zur früheren
gro assimiliert, doch steht dahinter keine motivi- Linie seines Spätwerks zurück: Die Schreibweise
sche Entwicklungslogik, etwa im Sinne eines dieses Allegro con brio entspricht durchaus derje-
beethovensch-lisztischen Konzeptes. Im Gegenteil nigen der ersten Sonatine und der voraufgehenden
treibt die Musik eigentlich ins Negative und wird Festmusik der Stadt Wien. Von Uneigentlichkeit,
durch die Setzung der Reprise handstreichartig ins von einer stilistischen Als-ob-Haltung ist hier
23. Das instrumentale Spätwerk 483

nichts mehr zu spüren, und von der Welt der Entwicklungsteil ein neues Kantilenen-Thema im
Symphonischen Dichtung samt ihren poetischen 1. Horn erschien, so taucht hier an entsprechender
Ideen, Motivtransformationen und dramatischen Stelle die Kantilene des zweiten Themas, ebenfalls
Entwicklungen ist man weit entfernt. im 1. Horn, wieder auf (T. 289 ff.). Ein dritter
Das zeigt schon der erste Blick auf den Satz- Durchführungsteil gerät sehr ausführlich, und
beginn. Das Kopf- und Hauptmotiv gehört dem nach zwei größeren Steigerungswellen kommt es
bereits bekannten Spätwerk-Grundtypus der Drei- zu einer abermaligen Tempobeschleunigung zum
klangs-Umspielung an; es erhält in den ersten »Ziemlich lebhaft (Vivace assai)«. Dass aber in
Takten eine Art Separat-Aufstellung, bevor der diesem Satz insgesamt keine dramatische Ent-
Satz gleichsam noch einmal beginnt. Von hier an wicklung, sondern ein Wechsel kontrastierender
(T. 9) ist die für den späten Strauss typische Expo- Abschnitte vorherrscht, zeigt der Übergang zur
sition mehrerer charakterlich verschiedener Mo- Reprise, ein weiteres Beispiel für das Auslaufen
tive in rascher Folge zu beobachten: An das festlich und Verebben eines Formteils, wie es der späte
bewegte Kopfmotiv mit Weiterführung schließt Strauss in der Expositionspartie der Festmusik der
sich vier Takte später als Kontrapunkt ein schrei- Stadt Wien und wenig später im Expositionsab-
tendes Hauptmotiv in der Bassstimme (T. 13 ff., in schluss des ersten Satzes der ersten Sonatine vor-
T. 17 ff. mit Stimmentausch), ein kurzes tonum- geführt hatte.
spielendes Motiv, eingeführt als Füllstimme auf In der Reprise (T. 452 ff.) formt der Komponist
dem Halteton des Kopfmotivs (1. Flöte, 1. Oboe, die beiden Hauptmotive des Satzbeginns zu rich-
C-Klarinette T. 26) und sogleich zur großen tigen Themen-Gebilden: Das erste Motiv wird
Girlande ausgedehnt (ab T. 29 und nochmals ab achttaktig, mit Einsätzen auf Tonika, Subdomi-
T. 33), sowie noch ein viertes Motiv im Diskant nante sowie Dominante, und das zweite Motiv ist
(T. 41 ff.). Ähnlich wie im Kopfsatz der ersten So- erstmals nach Es-Dur versetzt, mit Integration des
natine gibt es kein fest umrissenes ›erstes Thema‹, Einleitungs-Motivs ebenfalls in Es-Dur. Nach ei-
sondern einen längeren Abschnitt aus Motiv-Ex- ner Überleitung erscheint dann auch noch die
position und -Fortspinnung (T. 9–66). Themen- Kantilene des zweiten Themas in der Grundtonart.
artig erscheint erst ein forte-Tutti ohne Hörner, So übersichtlich dieser Formteil, so phantastisch
worin das zweite Hauptmotiv zunächst zu einem frei ist die den Satz beschließende große, nicht
sich beschleunigenden ›Satz‹ ausgebaut wird. weniger als 162 Takte umfassende Coda (T. 634 ff.),
Überhaupt wirkt die Bauweise dieses zweiten Ab- worin sich durchführungsartige, reprisenhafte und
schnitts (T. 67–90) wie aus der Einleitung des genuin codamäßige Elemente vermischen.
Finales übernommen, und das Einleitungs-Thema
tritt sogar direkt auf (T. 91 ff.). Strauss installiert Andantino, sehr gemächlich: Entstehungsgeschicht-
damit nicht nur eine formale Klammer für das lich zeigt der zweite Satz ein beim späten Strauss
gesamte Werk, sondern deutet bereits auf das be- sehr ungewöhnliches Phänomen: ein hartnäckiges
sondere Gewicht des Finales voraus. Nach einer Stocken des Kompositionsprozesses, gut ablesbar
weiteren, fortspinnend-entwickelnden Überlei- im Particell, das nach 124 Takten unvermittelt
tung folgt die im Spätwerk obligatorische Kanti- abgebrochen und dann tiefgreifend überarbeitet
lene, als echtes zweites Thema (T. 139 ff.). Und wurde. Doch geschah solches kaum aus Zufall
ähnlich wie im ersten Satz der ersten Sonatine gerade bei diesem als »Variationen« gedachten
geht es nun durchaus themenselig weiter, erschei- Stück (Strauss an Krauss, 21.3.1944; RSCK 517).
nen noch sage und schreibe drei neue Themen Für schnelle Hauptsätze hatte sich der späte
(T. 187 ff., T. 203 ff., T. 239 ff.), jeweils vollständig Strauss bereits eine bestimmte Typologie erarbei-
zu größeren Gebilden ausgebaut. tet, besonders in der Art der Motivik, ihrer Auf-
Der nächste Formteil (T. 262 ff.) ist, wiederum stellung, Weiterführung, formalen Sortierung.
in Analogie zur ersten Sonatine, klar als Durch- Dagegen waren etwa die Mittelsätze der ersten
führung erkennbar und auch eigens mit der neuen Sonatine und schon des zweiten Hornkonzerts
Tempovorzeichnung »Vivace (lebhaft)« versehen. eher durch formale Schlichtheit aufgefallen (beide
Und wie in der ersten Sonatine nach einem ersten Male eine modifizierte A-B-A-Form mit dem
484 Instrumentalmusik

A-Teil als einer einzigen unendlichen Melodie). merklichen Übergängen in entwickelnde Steige-
Zu einer Variationenform, die gleichermaßen rungen zu Strauss’ besten Einfällen gehören; in
klassizistisch-schlicht und nicht in der Art seiner den Rückleitungen zur Wiederkehr des A-Teils
bewährten symphonischen Schreibweise gehalten in beiden Eckteilen des Menuetts, ebenso in
gewesen wäre, scheint Strauss wenig eingefallen zu der Rückleitung zum zweiten Menuett-Teil nach
sein. Jedenfalls zeigt die im Particell überlieferte dem ersten Trio kommt es zu einem echt straussi-
Frühfassung des Satzes einen starken Schematis- schen Schwung; und der Schluss gerät für ein
mus, eine Abfolge von Thema und fünf Variatio- Menuett fast apotheosenhaft. Formal ist der Satz
nen (die fünfte blieb unvollendet), welche das ähnlich gebaut wie der vorangegangene Satz, als
Thema im Wesentlichen unverändert belassen und A-B-A-C-A-Form, diesmal mit charakteristischer
bloß mit immer neuen Figurationen begleiten. Verkürzung des zweiten, mittleren A-Teils.
Die Endfassung dagegen, die Strauss über ein
Jahr später, bereits nach Kriegsende, abschloss, Gesamtform: Das Ganze der zweiten Bläsersona-
wurde ein unter Verwendung einzelner Bruchstü- tine bedarf noch einer gesonderten Betrachtung.
cke des Vorhandenen neukomponierter Satz, des- So wenig das Werk in der äußeren formalen Ge-
sen Ursprung in einer Variationenform sich gar samtgestalt von der ersten Sonatine abweicht – der
nicht mehr ohne weiteres erkennen lässt, ein Satz Hauptunterschied besteht darin, dass Strauss den
in freier Reihungsform, etwa nach dem Schema einen Mittelsatz des früheren Stücks nun in zwei
A-B-A-C-A, worin der erste A-Teil aus dem Sätze auseinanderfaltet; die zeitlichen Proportio-
Thema mit einer Variation, der zweite A-Teil aus nen zwischen Kopfsatz, Mittelsätzen und Schluss-
einer zweiten Variation, der dritte A-Teil aus einer satz bleiben dabei unverändert –, so anders ist es
kurzen Wiederkehr des Themenkopfs besteht, um die inhaltliche Verfasstheit, genauer gesagt um
während die neuen Zwischenglieder B und C als die poetische und dramatische Dimension in bei-
Kontrastteile fungieren. den Werken bestellt.
Bei der ersten Sonatine handelt es sich, in der
Menuett: Der dritte Satz nimmt in Strauss’ Œuvre Terminologie des Komponisten selber gesprochen,
eine durchaus wichtige, allerdings bisher kaum um eine »Musiziersinfonie« (Strauss 1981, 113),
beachtete Stellung ein: Dieses Menuett war seine deren Sinn im reinen Musikmachen besteht. Das
erste vollständig neue Komposition nach dem legt auch die Entstehungsreihenfolge der Sätze
Ende des Zweiten Weltkriegs. Durch das Gewand nahe, mit dem mittleren als dem erstkomponier-
einer historisierenden Form scheint deutlich der ten Satz, jeder Gepflogenheit des Musikdramati-
besondere Gemütszustand des Komponisten in kers Strauss widersprechend. Bei der zweiten So-
der allerersten Nachkriegszeit hindurch – ein Zu- natine dagegen handelt es sich um eine Musizier-
stand der Euphorie, unmissverständlich ausge- symphonie mit einer Symphonischen Dichtung
sprochen auf der letzten Seite des Manuskripts mit als Finale. Für ein solches Formkonzept lässt sich
der nicht nur beim späten Strauss völlig einzig eigentlich nur ein Vorbild ausmachen, nämlich
dastehenden hymnischen Widmung: »Fröhliche die Faust-Symphonie von Liszt, die Strauss 1890
Werkstatt. / Den Manen des göttlichen Mozart Ludwig Thuille gegenüber als Exposition von zwei
am Ende eines Dankerfüllten Lebens. / Richard groß angelegten »Stimmungsbildern« mit »sinfo-
Strauss.« nischer Dichtung« als Finale interpretierte (Tren-
Strauss’ musikalische Inspiration erreicht in ner 1980, 115). Möglicherweise steht die analoge
diesem frühklassisch mozartischen Satztypus er- Konzeption der zweiten Bläsersonatine (drei
staunliche Höhen: Aus den beständig punktierten »Stimmungsbilder« und »sinfonische Dichtung«)
Rhythmen und ihren Ergänzungen durch ho- auch mit dem Projekt einer »Bildersymphonie« in
quetus-artige Sechzehntel-Skalen (bereits im Zusammenhang, von welcher der Komponist
zweiten Takt, später prominent bei jeder forte- während seines Aufenthaltes in London 1947 ge-
Wiederkehr des Eingangsthemas) strömt eine genüber Willi Schuh sprach (Schuh 1964, 13), und
strahlend heitere Lebendigkeit; das ganz synko- möglicherweise könnten sich hinter den drei ers-
pisch beginnende erste Trio dürfte mit seinen un- ten Sätzen musikalische Bilder oder Porträts von
23. Das instrumentale Spätwerk 485

Beethoven, Schubert und Mozart verbergen, wäh- fikationen seinem Vorläufer, dem Gelegenheitswal-
rend das Finale eine dramatische Konfrontation zer. Durch den Eintritt des neu komponierten
der beiden für Strauss wichtigsten Komponisten Minore (T. 172–290) und die darauffolgende Re-
bedeutete: Wagner und Mozart. prise des Beginns (T. 291–366) samt Coda (T. 367–
492) wird jedoch die Naivität dieses ersten Teils
gebrochen: Strauss stellt die Musik des nur sechs
München.
Jahre jüngeren Gelegenheitswalzers gleichsam in
Ein Gedächtniswalzer für großes Orchester
Anführungszeichen, der neue Kontext des Ge-
TrV 274a
dächtniswalzers macht die frühere Musik zu etwas
Der Gedächtniswalzer München, die zweite, we- Uneigentlichem, zu einem riesigen (Selbst-)Zitat.
sentlich erweiterte und modifizierte Fassung des Im Frühjahr 1945 gedenkt Strauss der Zeit von
Gelegenheitswalzers München von 1938/39, sticht 1938/39, als seine mittlerweile zerstörte Vaterstadt
vom übrigen instrumentalen Spätwerk in mehre- noch so unversehrt dastand wie zu seiner Jugend.
rer Hinsicht ab. Zwar gibt es Bearbeitungen frü- Darauf weisen die Worte »In Memoriam« am Be-
herer Werke beim späten Strauss gar nicht wenige: ginn des Minore-Teils.
Der Chor An den Baum Daphne von 1943 gehört Formal betrachtet rückt der Gedächtniswalzer
ebenso dazu wie der Rosenkavalierwalzer von 1944 die reine Tanzsuite des Gelegenheitswalzers, eine
(TrV 227c), die Symphonische Fantasie aus »Die bogenförmige Reihe von fünf verschiedenen Wal-
Frau ohne Schatten« (TrV 234a) von 1946 und das zern ohne wesentliche Entwicklungen, in die
Symphonische Fragment aus »Josephs Legende« Nähe eines Sonatensatzes, mit themenexponieren-
(TrV 231a) von 1947. Doch beziehen sich alle diese dem Anfangsteil, entwickelnd-durchführendem
vier Werke auf Theatermusik: An den Baum Mittelteil, reprisenartiger Wiederkehr des ersten
Daphne als Auftragskomposition für den Wiener Teils und Coda. Die meisten Motive des Gedächt-
Staatsopernchor und die drei Orchesterwerke als niswalzers sind programmatisch codiert, was sich
Versuch, große Musik angesichts geschlossener dem Umstand verdankt, dass Strauss bereits im
und zerstörter Theater lebendig zu erhalten. Folg- ersten München-Walzer mit Zitaten aus seiner in
lich gehören zumal die symphonischen Opernpa- München spielenden Oper Feuersnot gearbeitet
raphrasen gar nicht zu den »Nachlass«-Komposi- hatte und in der neuen Fassung dieses Zitieren
tionen im eigentlichen Sinne, da sie gerade nicht noch ausweitet. So drängt es sich unweigerlich
für die Schublade, sondern für den Konzertsaal, auf, im Gedächtniswalzer Momente einer Sym-
für die große Öffentlichkeit gedacht waren. phonischen Dichtung zu vermuten.
Mit dem Gedächtniswalzer dagegen wandte Die allerersten Hornrufe sind wie schon beim
sich Strauss zu einem Werk zurück, das bis dato Gelegenheitswalzer in der Partitur mit den Worten
überhaupt nicht gedruckt vorlag und nach An- »München« textiert. In T. 57 ff. erscheint als erstes
sicht des Komponisten auch nie aufgeführt wor- Feuersnot-Zitat ein Walzer, der bereits in der Oper
den war: Der Gelegenheitswalzer München war für selbst als musikalisches Sinnbild Münchens aufge-
einen nicht in die Kinos gekommenen Film über treten war. Nach weiteren Walzerteilen und einer
die »Stadt der deutschen Kunst« entstanden, im großangelegten Steigerung erfährt dieser Feuers-
Auftrag des Gemeinderats von Strauss’ Geburts- not-Walzer eine Apotheose in Fis-Dur (T. 156 ff.),
stadt. Anders als die späten Opern- und Ballett- im Gelegenheitswalzer der Höhepunkt des Werkes
Bearbeitungen hatte der Gedächtniswalzer einen kurz vor seinem Ende.
ganz und gar privaten und persönlichen Hinter- Der neue Minore-Teil des Gedächtniswalzers
grund. Hier nahm Strauss das autobiographische (T. 172 ff.) wendet die beiden im Gelegenheitswal-
Komponieren von »Einleitung und Allegro«, dem zer inhaltlich festgelegten Motive, München-Ruf
Finale der zweiten Bläsersonatine, wieder auf und und Feuersnot-Walzer, nach Moll, und zwar inner-
deutete damit bereits auf die Metamorphosen halb einer ersten Steigerungspartie, die in ihrer
voraus. beschleunigenden Anlage stark an den ersten Teil
Der Gedächtniswalzer entspricht in seinem von »Einleitung und Allegro« erinnert (im Bläser-
ersten Teil (T. 1–171) mit nur ganz geringen Modi- stück lautet das Taktschema 4–4-2–2-1–1-1–1-4, im
486 Instrumentalmusik

Orchesterwalzer 8–8-4–4-2–2-1–1-1–1-4–4). Eine tung von Strauss’ poetisch-programmatischer


zweite, noch intensivierte Steigerung und dann Grundtendenz, die zu den meisten Kompositio-
vor allem der dritte Abschnitt des Minore bringen nen seines bisherigen Spätwerks einigermaßen
auch neues Material, bei dem es sich um nichts quer steht, mit seiner lebensweltlichen Realität
anderes handelt als um Feuersnot-Zitate: Wie bei- jedoch umso eindeutiger zu vereinbaren ist. Denn
läufig assoziieren schon in T. 224 ff. die raschen die Feuer-Musik lässt sich verstehen als direkter
Sechzehntel-Trillerfiguren der Bratschen (zu Be- Kommentar, ja als Widerspiegelung einer histori-
ginn von Feuersnot in 32steln) das flackernde schen Wirklichkeit, als musikalisches Gleichnis
Feuer. In T. 244 ff. zitiert Strauss, nur wenig modi- für den Brand der Stadt München im Bomben-
fiziert und im zweifachen, sogar dreifachen Forte hagel der Alliierten. Unmittelbar im Anschluss an
Musik, die in der Oper nach Diemuts und die Feuer-Musik und als deren Übersteigerung
Kunrads »Mittsommernacht«-Duett erklingt (3– erscheint allerdings das Motiv des Auslöschens des
12 Takte nach Z. 125), und zwar zu der Regiean- Feuers mit einer Implosion des fff-Höhepunkts,
weisung: »Vor dem Thore flammt jetzt das Feuer womit der Bezug zur Realität bereits wieder voll-
hoch auf, Funkengarben schiessen sichtbar in die ständig beendet ist. In der Oper versetzt jenes
Höhe.« Darauf folgt, mit einer verzerrten, abgeris- Auslöschen die Münchner Bürger in Angst und
senen Kadenz in T. 259–264, eine Anspielung auf Schrecken. Angst herrschte auch im Frühjahr
Z. 159 ff. von Feuersnot, dort musikalisches Symbol 1945, aber ein Auslöschen des Feuers fand in den
für das Verlöschen von Feuer und Licht. Der Hö- realen Kriegsereignissen um München keinerlei
hepunkt des Gedächtniswalzers endet in einer re- Parallele, da zur Zeit der Entstehung des Gedächt-
gelrechten Implosion, woran sich die Rückleitung niswalzers noch kein Ende der Bombenangriffe in
zur Reprise des Satzbeginns, zu einem ›Maggiore‹ Sicht, der Brand Münchens also keinesfalls end-
(T. 291 ff.), schließt. gültig ›gelöscht‹ war. Schon gar nicht war eine
Es liegt nahe, diese inhaltlich codierten Motive Rückkehr zu den früheren Verhältnissen, ein
in Zusammenhang mit den Entstehungsumstän- Wiedererstehen des alten Münchens in seiner ur-
den des Stückes zu bringen, zumal Strauss nicht sprünglichen Gestalt, wie sie der Gedächtniswalzer
nur in der Partitur durch die Bezeichnung »Mi- mit der Reprise des heiteren Werkbeginns in ei-
nore – In Memoriam« (letztere Wendung wird in nem ›Maggiore‹ vollzieht, auch nur in Denkweite.
den Metamorphosen nochmals wiederkehren), Vielmehr übersteigt der Künstler Strauss mit der
sondern auch in Briefen auf den Zusammenhang Sukzession von Feuer und Auslöschen die histori-
des neu komponierten Mittelteils mit der Zerstö- sche Wirklichkeit. Und ganz ähnlich wie in »Ein-
rung Deutschlands und insbesondere Münchens leitung und Allegro« führt das Deus-ex-machina-
hinwies, etwa indem er Willi Schuh mitteilte, er Prinzip einer Reprise, die nicht als Resultat einer
habe dem »Walzer München […] ein Minore Entwicklung eintritt, sondern grundlos wie vom
(Gmoll) trauernd einverleibt« (8.3.1945; RSWS Himmel herabfällt, den Komponisten als autono-
77). Überdies enthält ein Skizzenbuch zum Ge- men Künstler vor, der eine reale Katastrophe aus
dächtniswalzer die Notiz »Trauer um München«, eigener Machtvollkommenheit für den Geist an-
die lange Zeit fälschlicherweise den Metamorpho- nullieren kann – indem er den Brand Münchens
sen zugeordnet wurde (Lodes 1994). Dabei erwei- in seiner Musik auslöscht, indem er mit seiner
sen sich, ähnlich wie in »Einleitung und Allegro«, Musik eine verschwundene Realität, das München
Strauss’ erster musikalischer Auseinandersetzung seiner Kindheit, bewahrt.
mit der Zerstörung Münchens, gerade die Dis-
kontinuitäten und Brüche des Gedächtniswalzers
Metamorphosen.
als wesentliche Bedeutungsträger seiner poetischen
Studie für dreiundzwanzig Solostreicher
Idee.
TrV 290
Diese poetische Idee des Gedächtniswalzers, der
Weg von der heilen München-Welt des Gelegen- Die Metamorphosen gehören zu den am klarsten
heitswalzers zur Eintrübung, sogar Destruktion strukturierten und formal fasslichsten Komposi-
dieser Welt im Minore, bedeutet eine Neuausrich- tionen nicht nur des Spätwerks, sondern des
23. Das instrumentale Spätwerk 487

symphonischen Instrumentalschaffens von Strauss das Erscheinen eines weiteren zentralen Motivs
überhaupt. Selten einmal hat sich der Komponist ein (T. 134 f.); der dritte Formteil der Metamorpho-
in einem seiner reifen Werke so dicht einer klassi- sen besteht nur aus einem zweitaktigen Wechsel
zistischen Sonatensatzform genähert. Doch eigen- jener beiden Motive (T. 132–144). Ein umfangrei-
artigerweise scheint die formale Struktur, von der cher Teil mit den Vorzeichen von E-Dur bringt
kleinen thematischen Einheit bis zum großen das letzte Thema (T. 144–147), aus einer Fülle
symphonischen Komplex, auf dem Papier eine kleiner Motive asymmetrisch und aperiodisch ge-
weit größere Prägnanz zu haben als in der auditi- baut und anfangs kanonisch geführt, sich aus-
ven Wahrnehmung. Weder ist das über weite wachsend zu einer relativ geschlossenen Steige-
Strecken langsame Grundtempo der Übersicht- rungsform. An deren Ende markieren ein neun-
lichkeit der Sonatensatzform zuträglich, noch taktiger Dominant-Orgelpunkt mit Kadenzierung
wirkt die Monochromie des reinen Streichersatzes nach E-Dur (T. 178–187) und ein nach cis-Moll
mit seinen fehlenden klanglichen Kontrastwir- weiterleitender Epilog (bis T. 196) den Abschluss
kungen wesentlich strukturerhellend. Und so der Exposition, in der, durchaus ungewöhnlich für
verzichtete zwar keiner der mittlerweile zahlrei- ein straussisches spätes Instrumentalwerk, sämtli-
chen Interpreten auf den Hinweis einer auffallen- ches thematische Material aufgestellt wird.
den Nähe zur Sonatensatzform, doch war man Die umfangreiche Durchführung gliedert sich
sich alles andere als einig selbst über zentrale in sechs Abschnitte (T. 197–212, 213–245, 246–277;
Formfragen, etwa über die Anzahl der Themen T. 278–298, 299–344, 345–389), wobei die Ab-
oder den Beginn der Durchführung. Auch hat ein schnitte 4–6, trotz im Detail sehr unterschiedli-
ganz wesentliches Moment der Formkonzeption, cher Gestaltung, eine gesteigerte Variierung der
nämlich dass es hier im Grunde zwei Sonatensatz- Abschnitte 1–3 darstellen. Überhaupt ist die
formen sind, die überblendet oder miteinander Durchführung insgesamt als große Steigerung
verschmolzen werden, keine Beachtung gefunden angelegt, was sich in der Zunahme der Binnenbe-
(Schuh 1946; Brennecke 1963; Danuser 1983; Jack- wegung, des Tempos sowie der motivischen
son 1992). Dichte zeigt (der sechste Abschnitt der Durchfüh-
Die Metamorphosen beginnen mit einer Expo- rung, ff und Più allegro, arbeitet mit fünf verschie-
sition von vier verschiedenen, ganz klar umrisse- denen Motiven). Allerdings ergibt sich am Ende
nen Themen, einmal neun Takte und sodann je- der Durchführung eine bezeichnende formale
weils acht Takte lang (T. 1–9, 10–17, 18–25, 26–33). Ambiguität, denn die Takte 345–389 lassen sich
Je zwei der Themen weisen ein verwandtes Ein- nicht nur als letzter Abschnitt der Durchführung,
gangsmotiv auf: Thema 1 und 4 im Rhythmus sondern zugleich als eine apotheosenhaft gestei-
Halbe – punktierte Viertel – Achtel, Thema 2 und gerte Reprise des zweiten Themas in der Satz-
3 mit drei repetierten Vierteln als Auftakt. Auf tonika C-Dur begreifen.
diese Exposition folgt eine Wiederholung zweier Mit dem dramatischen Absturz in ein unisono-
Themen mit verschiedenen Eingangsmotiven, C (T. 390), mit der harten Bremsung des beschleu-
Thema 1 und 3 (T. 34–51). Ein Entwicklungsteil, nigten Più allegro auf Adagio, tempo primo, mit
eine kleine Durchführung, bewegt sich in fünf dem plötzlichen Eintritt von c-Moll ereignet sich
unregelmäßigen Wellen auf einen Höhepunkt hin die zweite Diskontinuität des Satzes: die Reprise
(T. 52–81). Hier kommt es zu einer ersten Diskon- des Werkbeginns. Alle vier Themen des Eingangs-
tinuität, zu einem Imprévu: Die Vorzeichen wech- teils kehren in der bekannten Reihenfolge wieder,
seln nach G-Dur und ein neues Thema erscheint nur teils mit kleinen Gegenstimmen und neuen
(T. 82–85), eine von den in Strauss’ Spätwerken Binnenmodulationen versehen. Einzig in Thema
fast durchgängig als zweites Thema anzutreffen- 4 bahnt sich eine neue Entwicklung an, signali-
den Kantilenen. Zusammen mit weiteren neuen siert durch die Tempoangabe »allmählich etwas
Motiven und kleinen Themen (T. 95; T. 99) wird fliessender« (T. 421). Sogleich erscheint das zweite
die Kantilene kontrapunktisch gesteigert und Thema im Diskant (T. 425), kontrapunktiert von
ausgebaut zu einer Bogenform (T. 82–131). Die Thema 2 im Bass. Doch nach sieben Takten wird
Wiederkehr des Kopfmotivs von Thema 2 läutet die Entwicklung abrupt von einer Generalpause
488 Instrumentalmusik

zerrissen, der dritten und krassesten Diskontinui- gen kann, abgebrochen, und zwar durch die Set-
tät des Werks. zung einer G-Dur-Kantilene, die sich wie ein
Nun entfaltet sich die Coda (T. 433 ff.) als eine zweites Thema verhält. Mit dem Erscheinen der
Art Abgesang, mit mancherlei polyphonen und Kantilene erfährt der erste Formteil eine Um- und
auch wie gebrochen wirkenden homophonen Neudeutung von einer eigenständigen kleinen So-
Partien, doch selbst in den kontrapunktisch-se- natensatzform zum ›ersten Thema‹ beziehungs-
quenzierenden Verdichtungen nicht mehr eigent- weise Themenfeld einer größeren Sonatensatzform.
lich entwickelnd und vorwärtstreibend, sondern Dass die Kantilene oder das zweite Thema nicht
eher resümierend. Neun Takte vor Schluss er- eigentlich der ursprünglichen Formkurve und
scheint in den Celli 3–5 und in den Kontrabässen Formlogik entspricht, wird unmissverständlich
das Zitat aus dem Trauermarsch von Beethovens durch ihren explizit diskontinuierlichen Auftritt
3. Symphonie mit dem Vermerk: »in memoriam!« signalisiert, durch das durchaus Unerwartete ihres
Der ganze formale Aufriss lässt kaum einen Erscheinens, ihr Gesetzt-Sein. Von der G-Dur-
Zweifel daran, dass es sich bei den Metamorphosen Kantilene an entfaltet sich dann die zweite, größere,
um ein echtes Stück straussischer Symphonik übergreifende Sonatensatzform, deren Exposition
handelt. Vielleicht zeigt dieses Werk sogar eine noch bis zu einem dritten Thema in E-Dur reicht.
festere Verwurzelung in der nachbeethovenschen Die umfangreiche Durchführung entwickelt
neudeutschen symphonischen Musik, insbeson- und steigert alles bisher exponierte Material. Doch
dere in der Ouvertüre und in der Symphonischen bemerkenswerterweise führt sie von sich und aus
Dichtung lisztscher Prägung, als manche frühere sich selbst heraus gar nicht wieder zu den Themen
Tondichtung von Strauss. Die Metamorphosen des Werkbeginns zurück, sondern zu einer Reprise
haben ähnlich wie eine Konzertouvertüre kein desjenigen Teils, mit welchem der zweite größere
ausformuliertes Programm, sondern bloß einen – Sonatensatz, die übergreifende Formkurve begon-
allerdings enigmatischen – Titel, und ihr modi- nen hatte, zu einer Reprise der G-Dur-Kantilene
fizierter Sonatensatz, weitgehend ohne Elemente in der Dur-Tonika C-Dur.
anderer traditioneller Formtypen und Formzyklen, Die Reprise des Werkbeginns in der Moll-To-
erinnert an die Frühphase der Gattungsgeschichte nika ist dann gerade nicht das Resultat der Durch-
der Symphonischen Dichtung. führung, sondern ein Bruch mit dem Vorangehen-
Ganz wie in Strauss’ anderen beiden sympho- den und Absturz von der erreichten Höhe, beinahe
nisch konzipierten Spätwerken, im Finale der so diskontinuierlich wie zuvor die Exposition des
zweiten Bläsersonatine »Einleitung und Allegro« zweiten Themas in T. 82. Strauss macht die Set-
und im Gedächtniswalzer München, spielen auch zung, welche er mit dieser G-Dur-Kantilene vor-
in den Metamorphosen formale Diskontinuitäten genommen hatte, wieder rückgängig und knüpft
eine entscheidende, sogar beinahe die entschei- zugleich an die allererste Formkurve der kleinen
dende Rolle für das Verständnis der poetischen Sonatensatzform wieder an, um sie weiterzufüh-
Intentionen des Komponisten. Dabei bedarf es ren. Die gesamte formale Entwicklung vom zwei-
keines in Worten formulierten Programms mehr, ten Thema bis zum Ende der Durchführung wird
weil die Formkurve selbst eine unmittelbare Dar- durch die derart eintretende Reprise des Werkbe-
stellung der poetischen Idee ist. Indessen bleibt ginns wie mit einem Handstreich annulliert.
diese Kurve nicht ganz leicht zu fassen, da sie eine Nachdem die Reprise beinahe schulmäßig alle
neue Sorte von double-function-form ausbildet, vier Themen der ersten Sonatensatzform rekapitu-
nämlich eine Überblendung und Verschmelzung liert hat, beginnt eine neue Entwicklung mittels
zweier Sonatensätze. des zweiten Themas. Dieses wird, und das ist be-
Der erste konstituiert sich in den Takten 1–81 merkenswert, nicht diskontinuierlich wie bei sei-
durch die Exposition und verkürzte Wiederholung nem ersten Auftreten, sondern durch allmähliches
eines Themenfelds mit vier Themen sowie durch Entwickeln eingeführt. Doch gerade als der achte
eine anschließende entwickelnd-steigernde Durch- Takt der Kantilene und somit die Rückwendung
führung. In dieser Durchführung wird die Form- in ihre eigene Tonika bevorsteht, zerreißt das sym-
kurve jedoch, bevor sie sich zu einer Reprise bewe- phonische Kontinuum in einer Generalpause.
23. Das instrumentale Spätwerk 489

Die Coda ähnelt zwar in mancher Hinsicht 256–319 beginnend in H-Dur, modulierend nach
einer zweiten Durchführung, bringt jedoch kei- E-Dur: »Leidenschaften«
nerlei Entwicklungen und Steigerungen, vielmehr 320–377 beginnend in As-Dur: »Idee«, »Ideal«
bloß noch ein Variieren und Ausspinnen der 378–394 Wiederkehr des Beginns in c-Moll: »To-
Themen. Mit der Generalpause ist die eigentliche desstunde«
Entwicklung der Metamorphosen beendet, die 395–499 Coda in C-Dur: Vollendung des Ideals
Stimmung verharrt von da an in der Region der »in herrlichster Gestalt«, Schluss-Apo-
Themen der ersten Sonatensatzform. Nur ganz theose
am Ende wird noch die Verwandtschaft von
Thema 2 mit dem Thema des Trauermarsches aus Metamorphosen
Beethovens 3. Symphonie enthüllt, aber bereits in- T. 1–81 Themenexposition und Entwicklung,
nerhalb eines großen Retardierens. Thema 2 in c-Moll: negative Gegenwart,
Dieser formale Verlauf der Metamorphosen ließe Todesnähe
sich bereits ohne Zuhilfenahme weiterer Anhalts- 82–144 zweites Thema als Kantilene in G-Dur:
punkte inhaltlich zufriedenstellend deuten. Ein De- positive Erinnerung an Vergangenes,
tail aus der Entstehungsgeschichte vermag jedoch Unschuld
einen Kontext herzustellen, welcher die poetische 145–196 drittes Thema in E-Dur: Leidenschaf-
Idee der Metamorphosen noch viel konkreter fassbar ten, Eros
macht. Bevor Strauss mit der Ausarbeitung der 197–344 Durchführung: Versuch einer Überwin-
Partitur des Streicherstücks begann, schrieb er im dung der negativen Gegenwart
Spätjahr 1944 drei seiner früheren Tondichtungen 345–388 Reprise des zweiten Themas in C-Dur:
noch einmal vollständig ab. Die Niederschrift von ›Ideal‹, Apotheose
Tod und Verklärung, die am 9. Januar 1945 beendet 389–431 Reprise des Werkbeginns in c-Moll:
wurde, ging derjenigen der Metamorphosen-Partitur Wiederkehr der negativen Gegenwart,
unmittelbar voraus, und ein Vergleich zwischen Todesnähe
beiden Werken zeigt geradezu frappierende Paralle-
len, insbesondere hinsichtlich der Tonarten. Zum Die Hauptunterschiede in der Tonartendisposi-
instrumentalmusikalischen Drama Tod und Verklä- tion liegen erstens im Fehlen eines Es-Dur-Teils
rung aus dem Jahr 1889, das als einzige straussische und zweitens in der Wiederkehr von c-Moll nach
Tondichtung mit den Metamorphosen bei ähnli- erreichtem C-Dur in den Metamorphosen. Beide
chem äußerem Umfang auch in der Grundtonart Differenzen sind für die poetische Idee des Stückes
c-Moll übereinstimmt, hat der Komponist mehr- von zentraler Bedeutung. Es-Dur ist die Tonart
fach wortreiche Programme in die Welt gesetzt, so von Beethovens Eroica, derjenigen Komposition,
dass sich sein Verlauf ausgezeichnet beschreiben auf die Strauss in den Metamorphosen mit einem
lässt (Werbeck 1996, 538). Aufgrund der formalen Zitat direkten Bezug nimmt. Es-Dur bedeutete
Übereinstimmungen, die bei Strauss auf inhaltliche darüber hinaus für Strauss die Tonart des Heroi-
Bezugnahmen schließen lassen, kann ein fiktives schen schlechthin. Das Fehlen von Es-Dur in den
Programm zu den Metamorphosen erstellt werden: Metamorphosen heißt ein absichtsvolles Negieren
dieses Heroischen. Solches Negieren ist sogar re-
Tod und Verklärung gelrecht auskomponiert und bei genauer Lektüre
T. 1–185 Themenexposition und Entwicklung, auch ohne den Bezug zu Tod und Verklärung er-
beginnend von c-Moll aus: »Der Kranke kennbar, denn gerade in dem Augenblick, wo der
liegt im Schlummer«; »gräßliche Schmer- Tonsatz in T. 431 erstmals seit dem Beginn der
zen«, »Fieber«, »Anfall« Durchführung auf Es-Dur als tonales Zentrum
186–234 Themenexposition, beginnend in G- hinsteuert, zerreißt zum einzigen Mal das sym-
Dur: Erinnerung an »vergangenes Le- phonische Klangkontinuum abrupt in einer Ge-
ben«, »Kindheit« neralpause.
235–255 beginnend in Es-Dur: »Jünglingszeit«, Die Wiederkehr von c-Moll nach vorheriger
»Streben« Entwicklung hin zu C-Dur kann somit nichts
490 Instrumentalmusik

anderes meinen, als dass dem Dunkel der Meta- Neu im Spätwerk ist die Konzeption des ersten
morphosen eine Verklärung verweigert wird, ge- Satzes auch, weil das Kopf-Motiv nicht an führen-
nauer gesagt dass eine bereits eingeleitete Verklä- der Stelle in das folgende themenartige Gebilde
rung wieder ins Dunkle umschlägt. Poetisch sinn- eingeht. Wenn die Oboe mit ihrem ersten Solo
reich symbolisiert das zweite Thema, das in der einsetzt, verbleibt das Kopf-Motiv in den Begleit-
ersten Reprise beziehungsweise am Ende der stimmen. Überdies ist das Oboen-Solo selbst von
Durchführung eine apotheosenhafte Verklärung eigener Art. Zwar lassen sich seine weitgeschwun-
erfährt, als Entsprechung zum Thema der Kind- genen Bögen durchaus mit der ersten Solo- Kan-
heitserinnerungen in Tod und Verklärung ein ret- tilene des zweiten Hornkonzerts vergleichen; zwar
rospektives und gerade kein zukunftsgerichtetes ist es zunächst einigermaßen symmetrisch aus
Ideal. In nuce könnte die poetische Idee der Meta- achttaktigen und später viertaktigen Abschnitten
morphosen also umschrieben werden mit: ›Tod zusammengefügt. Doch bildet es weniger ein
ohne Verklärung‹. ›erstes Thema‹ als eine fast amorphe unendliche
Melodie, floral-ornamental, wie eine Girlande, im
erstaunlichen Umfang von 57 Takten.
Konzert für Oboe und kleines Orchester
Die Solo-Tutti-Kontraste erinnern in ihrer
TrV 292
Klarheit auf den ersten Blick ebenfalls ans zweite
Mit dem Oboenkonzert, seiner ersten mehrsätzi- Hornkonzert. Sie sind im Oboenkonzert aller-
gen Komposition nach Ende des Zweiten Welt- dings freier und variabler gehandhabt und zeigen
kriegs, knüpfte Strauss wieder direkt an das zweite zumal im ersten Satz überhaupt keinen straussi-
Hornkonzert an, mit dem er drei Jahre zuvor sein schen Kontrapunkt mit übereinandergeschichte-
Spätwerk eröffnet hatte. Doch so sehr das Oboen- ten Motiven und so gut wie gar keine Polyphonie.
konzert in Bezug auf Gattung, Stil, Charakter, So beschränkt sich das erste Tutti mit starker
Gestimmtheit das frühere Bläserkonzert gleichsam klanglicher Kontrastwirkung (T. 59 ff.) auf leicht
fortschreibt, so auffällig ist doch, wie der Kompo- entwickelnde Fortspinnungen des exponierten
nist hier im Detail der formalen Organisation Materials. Hier hinein schleicht sich das zweite
Neuland erkundet, Neuland im Rahmen des in- Solo der Oboe mit neuem, zweitem Thema (T.
strumentalen Spätwerks. 76 ff.). Das zweite Tutti bringt in der Dominant-
tonart A-Dur die typische straussische Kantilene
Erster Satz: Zum ersten Mal beginnt Strauss ein (T. 84 ff.) als drittes Thema, das erstmals der Mo-
spätes Instrumentalwerk weder mit motivischem torik des Kopf-Motivs und den floralen Girlanden
Material, das er im weiteren Verlauf zu einem des ›ersten Themas‹ wirklich entgegengesetzt ist.
Thema ausbauen wird, noch mit einem richtigen An ein viertes Thema (T. 92 ff.), wiederum stark
Thema selbst, sondern mit einem einzelnen, un- kontrastierend, schließt sich das dritte Tutti im
begleiteten, ganz kurzen, für sich stehenden, sozu- neuen Tempo »Vivace«, analog zum ersten Tutti
sagen nackten Motiv, denkbar einfach, aus nur ein Fortspinnen zweier bereits bekannter Motive
zwei verschiedenen Tönen im Sekundabstand be- in homophoner Schreibweise (T. 114 ff.).
stehend, fast in der Rohform bloßen Materials: Bei der Wiederkehr des ›ersten Themas‹ im
vier Sechzehntel – und dann drei Viertel Pause. Tempo primo (T. 148) handelt es sich nicht um
Dieses Kopf-Motiv, das zunächst gar nicht unmit- eine Sonaten-Reprise. Denn ihr gehen nicht die
telbar als eigenständiges Motiv in die Ohren beiden Formteile Exposition und Durchführung
springt, das überhaupt weniger als individuelle voraus, sondern nur ein einziger Formteil, in dem
Gestalt denn als Floskel wirkt – ein ausnotierter längere thematische Partien mit kürzeren fortspin-
Praller –, ist dermaßen aufs Elementare reduziert, nend-entwickelnden verquickt sind, phantastisch
dass es sich beinahe überall anbringen lässt. Und frei, mit einer Vielfalt kontrastierender Typen in
so ist es im ersten Satz omnipräsent, beherrscht nicht weniger als sieben recht klar voneinander
auch noch den zweiten Satz und setzt nur im abgesetzten Abschnitten und auf der Grundlage
dritten Satz anfangs kurz aus, um danach in erwei- von sieben Motivgestalten. Immerhin lässt sich in
terter Form wieder eine Hauptrolle einzunehmen. der Verteilung des motivisch-thematischen Mate-
23. Das instrumentale Spätwerk 491

rials auf die einzelnen Abschnitte eine gewisse mit einer Potenzierung des ersten Satzes. Statt ei-
Regelmäßigkeit und Symmetrie beobachten. nes einzelnen Kopf-Motivs gibt es hier deren zwei,
Nach dem solistisch exponierten Kopf-Motiv die als Begleitung fortlaufen. Das erste entspricht
enthalten die beiden Eckthemen je zwei wichtige dem Kopf-Motiv des Allegro moderato, das zweite
Motive (›erstes Thema‹: Oboe T. 3–5 und 9 f.; dem Kopf-Motiv des dritten Themas, das zugleich
viertes Thema: Oboe T. 92 f. und T. 94), die mitt- als wesentlicher Baustein eines neuen liedhaften
leren Themen je eines (zweites Thema: Oboe Themas dient. In dessen Verlauf findet sich außer-
T. 76 f.; drittes Thema: 1. Violinen T. 84–86). Das dem das Motiv des zweiten Themas wieder ein
mittlere Tutti ist insofern zentral, als es das Kanti- (Oboe T. 15–16). Es wird aber auch noch ein ganz
lenen-Thema exponiert, das sich im weiteren neues Motiv exponiert (Oboe T. 19).
Verlauf als das eigentliche Hauptthema des gesam- Analog zum zweiten Hornkonzert gestaltet sich
ten Konzerts entpuppt. der langsame Satz des Oboenkonzerts nach zwei
Im zweiten Teil des Satzes (T. 148 ff.) treten die Takten präludierender Begleitung als dreiteilige
bekannten Themen noch einmal in etwas modifi- Lied- oder Arienform mit einer weitgeschwunge-
zierter Reihenfolge auf, in konzentrierterer Form, nen Kantilene als Hauptteil, diesmal von Anbe-
ohne die strukturbestimmenden Solo-Tutti-Kon- ginn unter Führung des Solo-Instruments. Und
traste des ersten Teils und nun stark symmetrisch wie im früheren Konzert bringt der Mittelteil eine
geordnet. Das Oboen-Solo reduziert sich von Tempoerhöhung ins Più mosso. Hier weitet sich
57 Takten auf 24 Takte, achttaktig erscheinen das die Substanzgemeinschaft noch aus: Nachdem aus
zweite und zweimal das dritte Thema sowie eine dem ersten Satz bereits die Kopf-Motive des An-
weitere Fassung des zweiten Themas. Vom vierten fangs sowie des dritten und zweiten Themas auf-
Thema erklingen nur noch drei Takte, vom zwei- gegriffen wurden, kehrt nun das ›erste Thema‹
ten Thema zwei, und zum ersten Thema gesellen wieder, die floral-figurative Girlande, ins Pastose,
sich nach wiederum einem Takt – in schöner re- beinahe Kantilenhafte gewendet (T. 37 ff.). Wie-
gelmäßiger Verkürzung – als Kontrapunkt das derum kommen in diesem B-Teil durchführungs-
Kopf-Motiv des Anfangs und das Kopf-Motiv des artige Techniken zur Anwendung. Das ›erste
dritten Themas (T. 209 ff.). Insgesamt erweist sich Thema‹ wird mit den drei Vierteln des dritten
der zweite Teil als eine geraffte und vereinfachte Themas kontrapunktiert, dieses von der Mittel-
Variante des ersten Teils. stimme in den Diskant und die Girlande vom
Diskant in den Bass gelegt.
Zweiter Satz: Wie schon im zweiten Hornkonzert Bei seiner Wiederkehr erfährt der A-Teil eine
sind auch im Oboenkonzert die beiden ersten Ergänzung mit einer eingeschobenen kleinen
Sätze bloß durch einen Doppelstrich voneinander Steigerungspartie und einem Epilog, bevor das
abgegrenzt. Nur ist der Übergang im jüngeren Andante ähnlich ausläuft wie der Kopfsatz. Ein
Werk noch nahtloser, noch geschmeidiger, noch plötzliches Tutti öffnet den Vorhang zu einer gro-
unmerklicher gestaltet und dürfte überhaupt zu ßen, wie ein Rezitativ auftretenden Solo-Kadenz
Strauss’ Meisterstücken auf diesem Gebiet gehö- der Oboe, die einerseits aus dem bekannten moti-
ren: Der erste Satz wird ausgeblendet durch suk- vischen Material gespeist wird, aber auch bereits
zessive Reduktion der Dreistimmigkeit auf das auf die Thematik des folgenden Satzes voraus-
Kopf-Motiv, dieses wandert zweimal einen Ganz- weist.
ton abwärts, anschließend werden die anderen
Stimmen wieder eingeblendet, wobei die dritte Dritter Satz: Durchaus im Gegensatz zum An-
Stimme das neue Thema des Andante intoniert. dante bringt der dritte Satz eine Fülle neuer Mo-
Eigens festgeschrieben sollen die Zweiunddrei- tive und auch eine neue Art der Satzweise. Das
ßigstel im Andante genau dieselbe zeitliche Dauer zentrale ›Thema‹ dieses Vivace ist offen, polyphon
haben wie die Sechzehntel im Allegro moderato. und entwickelnd, mit Gegenstimmen von Anfang
Strauss führt dergestalt die enge Substanzge- an, motivischen Einwürfen bis hin zu ganzen Soli
meinschaft zwischen den Sätzen klar vor Ohren. (wie gleich zu Beginn in der 1. Flöte), mit einem
Darüber hinaus beginnt das Andante sozusagen Wandern der durchweg sehr gestalthaften Motive
492 Instrumentalmusik

durch die Stimmen. Und der erste Tutti-Teil dritten Themas aus dem Kopfsatz – womit eine
(T. 29 ff.) ist weniger als Kontrast angelegt, als dass Substanzgemeinschaft über drei Sätze gestiftet
er das Vorangegangene direkt aufnimmt, um es wird, die es in Strauss’ späten Instrumentalwerken
ohne wesentliche Modifikationen steigernd wei- bislang noch nicht gegeben hatte. Jedoch birgt der
terzuführen und zuletzt fast unbemerkt noch ein Auftritt eine weitaus größere Überraschung: Das
neues Motiv in die Mittelstimmen einzuschmug- Thema erscheint wie ein direktes Zitat aus den
geln (Violen und Violoncelli T. 55–58). Gleich Metamorphosen, ein Zitat von deren zweitem
darauf werden zwei wichtige thematische Gestal- Thema, auffallenderweise sogar fast identisch no-
ten simultan eingeführt, nämlich die eigens mit tiert (siehe Notenbeispiele 1 und 2), jedoch har-
espressivo bezeichnete Kantilene des zweiten The- monisch vollkommen anders geführt, da es nicht
mas (T. 59 ff.) sowie in der Solo-Oboe ein dazu auf der Quinte, sondern auf der Terz der Harmo-
erklingendes bukolisches Triolenmotiv aus Drei- nie beginnt und bei seiner Wiederholung im Tutti
klangsumspielungen, das zunächst wie eine bloße sogar in Dur steht. Genau darin erinnert das
figurative Gegenstimme wirkt, später jedoch auch Thema überdies noch auffällig an eine Gestalt aus
als eigenes Thema erscheint. Nochmals anders dem zweiten Satz von Strauss’ unvollendetem
behandelt wird das dritte Thema (T. 91 ff.), zu- Cellokonzert von 1935 (Übertragung der Skizze bei
rückgreifend auf das Motiv aus dem ersten Tutti Gilliam 2001, 109).
(T. 55–58) und in seinem zweiten Teil stets beglei- Die Rückkehr zum früheren Charakter des
tet von dem vorangegangenen Triolenmotiv, trotz Satzes im Dialog zwischen Oboe und Orchester
burschikos-tänzerischem Charakter so stark mo- mündet in eine Art Reprise (T. 195 ff.), die wie in
dulierend, dass die Wirkung bereits einer Überlei- den Metamorphosen zugleich Züge einer polyphon
tung nahekommt. Das anschließende zweite Tutti steigernden Durchführung trägt, mit Rekapitula-
(T. 123 ff.), eine Steigerung des ersten, verdichtet tion der Themen in sehr kurzem Abstand und
den Satz kontrapunktisch in kanonisch-imitieren- bemerkenswerten Übereinanderschichtungen.
den Themeneinsätzen und Motiv-Spiegelungen. Eine zweite, abermals rezitativartige Kadenz der
Plötzlich ereignet sich ein so heftiger Stim- Solo-Oboe (T. 236 ff.) kündigt einen neuen gro-
mungsumschwung, dass sich beinahe der Begriff ßen Formteil an. Dabei handelt es sich um einen
des Imprévu aufdrängt (T. 147 ff.). Die Lautstärke weiteren regelrechten Satz (T. 260–360), mit
reduziert sich abrupt von forte auf piano, die neuem Tempo (Allegro), neuem Metrum (6/8-
schnelle Sechzehntel-Figuration bremst auf Viertel Takt), neuem Hauptthema und vor allem mit der
mit Achteln ab, die bewegte und dichte kontra- erneuten Wiederkehr des pendelnden Kopf-Mo-
punktische Polyphonie weicht einer äußerst tivs aus den beiden ersten Sätzen, neu eingebettet
schlichten Struktur mit getragener Melodie und in fließende Bewegungen. Obgleich man dieses
Begleitung aus liegenden Dreiklängen, die Har- Allegro auch als vierten Satz verstehen könnte
monik trübt sich erstmals ein nach d-Moll, und (was allerdings die formalen Konventionen der
die Oboe intoniert ein neues Thema. Dieses ist Konzertgattung sprengte), spricht einiges dafür,
unschwer zu erkennen als weitere Ableitung des hier eher eine Variante, eine Verdoppelung des

Notenbeispiel 1: Oboenkonzert, Oboe Solo, T. 147–151

Notenbeispiel 2: Metamorphosen, Viola 4 & 5, T. 9–11


23. Das instrumentale Spätwerk 493

dritten Satzes anzusetzen, da erstens Vivace und der Metamorphosen wie ein Kommentar zu der
Allegro mit einer Kadenz des Solo-Instruments poetischen Idee der Metamorphosen, das heißt zu
eröffnet werden und zweitens beide Sätze zwei einer wesentlich pessimistischen poetischen Idee,
Formulierungen desselben Satztypus sind, des die sich auf den Begriff ›Tod ohne Verklärung‹
Konzertfinales, einmal im Charakter eines moto- (s. o.) bringen lässt.
rischen Vivace, einmal im Charakter eines tänze- Das Hauptthema des Oboenkonzerts macht
rischen Rondos. bis zum Vivace eine ähnliche Verwandlung durch
Man könnte sogar versucht sein, das Allegro als wie das Hauptthema der Metamorphosen. Wie das
den ›eigentlichen‹ Schlusssatz des Oboenkonzerts Thema 2 des Streicherstücks am Schluss seine
zu begreifen, da hier einige motivisch-thematische Verwandtschaft mit dem Trauermarsch aus Beet-
Entwicklungen zu ihrem Ziel und Abschluss kom- hovens Eroica offenbart, so offenbart sich im Vi-
men. So erfährt das Hauptthema des Konzerts, vace des Bläserkonzerts die Verwandtschaft des aus
das dritte Thema des ersten Satzes, nach dem den vorigen Sätzen bekannten Themas mit dem
großen Stimmungseinbruch des Vivace eine Wen- der Metamorphosen. Nur, und das ist das Neue, ist
dung ins Heitere, ja Fröhliche (T. 296 ff.). Sogar damit im Oboenkonzert die Entwicklung dieses
das Kopf-Motiv des Konzerts baut Strauss zu ei- Themas noch nicht abgeschlossen, denn es gibt
nem wirklichen Thema aus (T. 313 ff.). Und wie in noch ein zweites Finale, in dem sich das Thema
einer milden Apotheose, die an die Schlussszene wieder ins Heitere und Fröhliche verwandelt. Dies
von Capriccio erinnert, findet schließlich noch wäre so zu deuten, dass Strauss mit der nochmali-
eine Vereinigung der beiden dritten Sätze statt, gen Verwandlung seines Metamorphosen-Themas
indem das Triolenmotiv vom zweiten Thema des auch die diesem anhaftende Idee habe verwandeln
Vivace als bukolischer Epilog über das Hauptmo- wollen, dass er also den Pessimismus der Metamor-
tiv des Allegro und das verwandelte Pendelmotiv phosen widerrufen, das ›Tod ohne Verklärung‹
gelegt wird (T. 321 ff.). Ein straussischer Witz ist nachträglich umkehren, eine irdische Verklärung
es, wenn nach diesem bereits resümierenden Ges- habe herbeiführen wollen. Solche Deutung würde
tus noch ein weiteres Thema mit der neuen Tem- unterstützt dadurch, dass Strauss sich mit dem
povorzeichnung Più comodo auftritt (T. 332 ff.). Oboenkonzert zum Beginn des Spätwerks zurück-
Doch erscheint diese Reminiszenz an ein Rondo- wandte, zum zweiten Hornkonzert, das von dem
Couplet nur als Intermezzo vor letzten themati- Pessimismus der Metamorphosen noch nichts ge-
schen Entwicklungen, die mit dem Tempo primo ahnt hatte, und dass er sich sogar zu einem weite-
vollzogen werden: der Integration des Kopfthemas ren Werk zurückwandte, in dem er ein Jahrzehnt
des Vivace in den Allegro-Charakter (I. Horn zuvor schon einmal »einen Sieg des Geistes […]
T. 344) und der Verwandlung des pendelnden über den Pessimismus« zelebriert hatte, zum »Ech-
Kopf-Motivs durch Umkehrung von einem öff- ten Cellokonzert« von 1935 (Gilliam 2001, 110). So
nenden ein schließendes Motiv (Oboe T. 358–360). erlangt das Konzert für Oboe am Ende den Rang
eines Hyperkommentars zum Spätwerk.
Fazit: Im Niveau der formalen wie motivisch-
thematischen Durcharbeitung wird das Oboen-
Duett-Concertino für Klarinette und Fagott
konzert im Spätwerk nur von Stücken wie »Einlei-
mit Streichorchester und Harfe TrV 293
tung und Allegro« und den Metamorphosen er-
reicht. Mit der Symphonischen Dichtung für Das Duett-Concertino, beendet am 16. Dezember
Bläserensemble teilt es eine weitere zentrale Eigen- 1947 in Montreux, ist von Strauss wohl ganz be-
heit: Auch das Hauptthema des Oboenkonzerts wusst als ein Schlusspunkt unter sein instrumen-
zieht sich durch das ganze Werk und erfährt dabei tales Spätwerk gesetzt worden. Obgleich der äu-
wesentliche Verwandlungen. In der straussischen, ßere Umfang des dreisätzigen Werks von weniger
auf Liszt und Wagner fußenden Ästhetik weisen als einer Drittelstunde Spieldauer ebenso reduziert
derartige Transformationen stets auf poetische anmutet wie die Besetzung mit dem auf Streicher
Ideen. So erscheint die Verwandlung des Haupt- beschränkten Orchester, und obgleich bereits das
themas des Oboenkonzerts in das Hauptthema gut zwei Jahre zuvor geschriebene Oboenkonzert
494 Instrumentalmusik

eine Art übergreifender Kommentar zum Spät- Doch die Ouvertüre lässt nicht nur an Capric-
werk gewesen war, hat das Duett-Concertino cio denken. Das erste Sechzehntel-Motiv ist un-
durchaus die Wirkung eines Resümees. In dem verkennbar mit dem Kopfmotiv des Allegro-The-
Doppelkonzert sind die Bezüge zum vorangehen- mas aus dem Finale der zweiten Bläsersonatine,
den Spätwerk fast überreich, auf einer ganzen »Einleitung und Allegro«, verwandt; das Modulie-
Reihe von Ebenen: Gattung, Form, Besetzung, ren zur Tonika von einem harmonisch entfernten
Setzweise, Motivik. Hinzu kommen Reminiszen- Beginn ähnelt den ersten acht Takten der ersten
zen an andere Schaffensbereiche, ans »Lebens- Bläsersonatine; und das Streichsextett erweist sich
werk«, wie sie Strauss im Spätwerk in dieser als Initiator eines eigenständigen solistischen
Deutlichkeit eher vermieden hatte, und sogar Streichquintett-›Chors‹ neben der Gruppe der
noch ein Moment des Neuen, der Innovation, übrigen Streicher, so dass die Partitur des Doppel-
verstanden im Geist der straussischen Moderne als konzerts bis ans Ende durchgehend die Streicher
erneuernde Fortführung der musikalischen Tradi- in Soli und Tutti senza soli differenziert und beide
tion. Gruppen sogar, wenn sie dasselbe spielen, in zwei
Strauss nimmt im Duett-Concertino die erste separaten Akkoladen notiert – ein Partiturbild,
Hauptlinie des Spätwerks, die Linie des Bläser- das optisch unmittelbar an dasjenige der Festmusik
konzerts ein letztes Mal auf, schlägt den Bogen der Stadt Wien mit ihrer klaren Doppelchörigkeit
über das Oboenkonzert zurück zum Beginn der erinnert.
»Nachlass«-Kompositionen, zum zweiten Horn- Der Eintritt des Solo-Instruments führt wieder
konzert, in gewisser Hinsicht sogar bis zum »Ech- ganz in die Welt des späten straussischen Bläser-
ten Cellokonzert« von 1935, und übersteigert zu- konzerts. Die Klarinette hebt an mit einer großen,
gleich sein gesamtes Konzertschaffen: Er schreibt weit und sanft geschwungenen Kantilene (T. 10 ff.),
das erste Doppelkonzert seines Lebens. Höchstens einer unendlichen Melodie, nur von liegenden
in Don Quixote mit seinen Solopartien für Violon- Akkorden und leicht figurierten Dreiklangsbre-
cello und Viola ließe sich ein Vorläufer ausma- chungen des Streichsextetts begleitet. So sehr dies
chen. einem aus dem Spätwerk wohlbekannten formalen
Formal ist die äußere Orientierung des Duett- Bauprinzip folgt, so überraschend gestaltet sich das
Concertinos am zweiten Hornkonzert evident; die Weitere: Auch das zweite Solo-Instrument, das
Satzbezeichnungen zeigen eine weitgehende Ana- Fagott, setzt ein (T. 39 f.), doch in völlig neuartiger
logie (Duett-Concertino: Allegro moderato – An- Manier, nicht mit einer Kantilene, nicht einmal
dante – Rondo: Allegro ma non troppo; Horn- mit einem erkennbaren musikalischen Motiv,
konzert: Allegro – Andante con moto – Rondo: sondern mit gleichsam reiner Gebärde. Die ›Ant-
Allegro molto). Jedoch verbirgt sich dahinter eine wort‹ der Klarinette ist ebenfalls gebärdenhaft,
durchaus verschiedene Gestaltungsweise, ja das gestisch, ein Aufschrei der Empörung, wenn nicht
Doppelkonzert verfolgt ein im Spätwerk einzigar- des Entsetzens, ein wütender, ablehnender Protest.
tiges und gänzlich neues Konzept. Hier verlässt Strauss, vielleicht zum ersten Mal im
Spätwerk, den Boden der reinen Musik und wen-
Allegro moderato: Der allererste Anfang gibt schon det sich einer poetisch-dramatisch-szenischen
einen Vorgeschmack. Die Musik hebt in einem Schreibweise zu, ähnlich dem Mimikry-Stil seiner
Tonfall an, welcher die klangliche Welt von Ca- mittleren Tondichtungen, der Gebärden-Tonmale-
priccio wieder auferstehen lässt, also nicht eigent- rei in Till Eulenspiegel und Don Quixote. Der
lich dem Spätwerk selbst angehört, sondern dem Komponist folgt nicht mehr in erster Linie der
vorangegangenen späten »Lebenswerk«. Wie formalen Logik eines Instrumentalkonzerts, son-
Strauss’ letzte Oper wird auch das Allegro mode- dern schreibt einen szenisch aufgefassten Dialog
rato des Doppelkonzerts mit einem Streichsextett zwischen Klarinette und Fagott, welche gleichsam
eröffnet, in ganz leicht modifizierter Besetzung zu Protagonisten einer Handlung werden, mit
(2. Cello ersetzt durch Kontrabass), eine Ouver- Hin- und Widerrede, Einwürfen, Nebeneinander-
türe en miniature andeutend. Übrigens lauten die herreden. Dabei erklärt sich dieses Geschehen
Grundtonarten beider Werke F-Dur. durchaus selbst, ohne Beihilfe eines Programms,
23. Das instrumentale Spätwerk 495

ganz im Sinne der anderen poetisch-dramatischen vor dem Hintergrund einer zart vibrierenden
Kompositionen des Spätwerks. So hören wir, nach Klangfläche wäre mit seiner Aura des Numinosen
dem Herannahen des Fagotts (T. 39, p – cresc.), eine straussische Verwandlungsszene, das Duo von
dem Erschrecken der Klarinette (T. 41, ff) und der unisono und espressivo spielendem Fagott und
traurigen Enttäuschung des Fagotts (T. 48, p espr.), Cello mit Klarinette in seinem klanglichen Schmelz
wie die beiden Protagonisten sich aufeinander zu eine zärtliche Liebesszene, und das Rezitativ eine
bewegen, sich allmählich zu ›verstehen‹ beginnen, gemeinsame Beschlussfassung der Protagonisten,
sich immer stärker annähern und schließlich fast wieder zur Nüchternheit zurückzukehren.
einmütig werden (Angleichung des motivischen
Materials ab T. 62, vermehrte kanonische Einsätze Rondo: Allegro ma non troppo: Der dritte Satz
ab T. 84, Unisono-Spiel ab T. 107). Erst hier tritt präsentiert sich dagegen ganz so wie man es aus
wieder das Formale des Konzerts in seine Rechte, Strauss’ nicht-symphonischem Spätwerk kennt:
mit dem ersten Orchester-Tutti Un poco maes- als ›absolute‹ Musik, die sich an einer historischen
toso, das sich aus den Motiven von Fagott und Form orientiert, ohne sie in irgendeiner Weise
Klarinette speist (T. 114 ff.). Ähnlich wie im ersten formel- oder floskelhaft nachzuahmen. Und da es
Satz des Oboenkonzerts kommt es zu einem kur- hier nur mehr ums reine Musikmachen ohne
zen Wechsel viertaktiger Solo- und Tutti-Partien, weitere Bedeutung geht, nimmt dieses Rondo
bis die zweite große Kantilene der Klarinette er- ganz erhebliche Dimensionen an, um am Ende
scheint (T. 130 ff.), eine rhythmisch transformierte etwa dieselbe Spieldauer zu erreichen wie beide
Version der ersten, in die sich das Fagott für vier vorige Sätze zusammengenommen.
Takte assimilierend einmischt. Die ›Befreiung‹ von einer poetischen Idee, die
sich übrigens auch in dem historisierenden Satz-
Andante: Im Kontrast zu den beiden langen Klari- titel auszudrücken scheint, hat auf das Satzgefüge
netten-Kantilenen des Allegro moderato gehört insofern entscheidenden Einfluss, als der zu Be-
das nahtlos erreichte Andante nach zweitaktigem ginn des Werks noch recht starke Gegensatz zwi-
tremolierendem Vorspiel über weite Strecken dem schen den beiden Solo-Instrumenten nun einer
Fagott mit einer Mischung aus Rezitativ und Anähnlichung fast bis hin zur Identität weicht; die
Kantilene, begleitet von Tremoli dreier Solo- beiden Stimmen werden thematisch-motivisch,
Violinen in hoher Lage und einem Harfen-bis- charakterlich und formal völlig gleichrangig be-
bigliando. Beim Eintritt der Klarinette stellt sich handelt. Wir finden hier ganz die Komponierweise
ein Zwiegesang ein, in welchem das Fagott von der früheren Spätwerke. Gleich die Themenexpo-
einem Solo-Violoncello im Unisono unterstützt sition erinnert stark an den ersten Satz des Horn-
wird, bis sich die Melodie in Sechzehntel-Figura- konzerts: Zwei Motive werden aufgestellt, das fi-
tionen auflöst. Und wie im Oboenkonzert leitet gurative erste (T. 1 ff.) im gleichmäßigen Wechsel
eine kleine Kadenz zum abschließenden Rondo von Fagott und Klarinette, das melodische zweite
über, gleichmäßig auf beide Solisten verteilt, erst (T. 3 ff.) kanonisch-imitierend; und nach einer
secco, dann accompagnato. Eine solche formale Überleitung, welche beide Motive bereits entwi-
Abfolge oder vielmehr Entwicklung von Solo – ckelnd steigert, wird das gegebene Material zu ei-
Duo – Kadenz, noch dazu ohne jegliches kontras- ner Art ›erstem Thema‹ der Klarinette umgeformt
tierende Tutti, weicht fundamental von allen an- (T. 31 ff.). Dabei stammen die Motive selbst aus
deren langsamen Sätzen des straussischen Spät- den vorangegangenen Sätzen, das Eingangsmotiv
werks ab, die sonst sämtlich, das heißt in den vom allerersten Beginn des gesamten Werks, das
beiden Konzerten wie in den beiden Bläsersonati- anschließende Motiv vom ersten Einsatz der Kla-
nen, als Reihungsform mit klaren klanglichen rinette im zweiten Satz. Ein drittes Motiv (T. 51 ff.),
Kontrasten daherkommen, im Hornkonzert und von neuem espressivo-Charakter, entnommen der
im Oboenkonzert als dreiteilige Liedform. Und Kadenz am Ende des zweiten Satzes, inauguriert
wieder liegen bei einem solchen Verfahren poeti- ein erstes ›Couplet‹ und dient ebenfalls zu ei-
sche Assoziationen nahe, in Fortsetzung der szeni- ner entwickelnden Steigerung. Anschließend wen-
schen Musik des ersten Satzes: Das Fagott-Solo det sich das ›erste Thema‹ wie ein Couplet nach
496 Instrumentalmusik

d-Moll (T. 68 ff.), gefolgt von einer weiteren Stei- Schema A – A’ – B, mit zwei verschiedenen Ent-
gerung ins erste Tutti des Satzes; mitten in der wicklungen vom ›ersten‹ zum zweiten Thema und
Steigerung führt Strauss ein neues Motiv ein einer Coda (T. 1–167, 168–319, 320–404).
(T. 84) – ein Verfahren, das sich im Spätwerk
mehrfach beobachten lässt. Auch das Tutti selbst Fazit: Beim Duett-Concertino handelt es sich um
(T. 96 ff.), belebt mit vereinzelten Einwürfen der die einzige Komposition des instrumentalen Spät-
Solisten, entwickelt sich weiter und mündet auf werks mit einer zumindest in Teilen verbal fixier-
seinem Höhepunkt in die typische straussische ten poetischen Idee. Verschiedene Quellen lassen
Kantilene als zweites Thema (T. 112 ff.), eine un- keinen Zweifel daran, dass Strauss ein verschwie-
endliche Melodie, von beiden Solisten im Oktav- genes Programm vorschwebte. Während die Iden-
abstand unisono gespielt. tifikation der beiden Soloinstrumente mit den
Nach dem allmählichen Verebben des zweiten Gestalten der Prinzessin und des als Schweinehirt
Themas kehrt der Refrain wieder (T. 164 ff.), zwar verkleideten Prinzen aus Hans Christian Ander-
leicht variiert, lebendiger und ohne Haltetöne, sens Märchen Der Schweinehirt auf unsicherer
auch mit der Einführung eines neuen Motivs mündlicher Überlieferung beruht (Asow Bd. 3,
durch das Fagott (T. 179, eine weitere Reminiszenz 1327 f.), sind Strauss’ eigene Äußerungen über ein
aus dem zweiten Satz), aber doch mit der Wir- »Duo für Clarinette (Prinzessin) und Fagott (Bett-
kung einer Reprise. Wie so häufig in Strauss’ ler, später Prinz) mit Streichorchester und Harfe«
Spätwerk ist auch hier der reprisenartige Teil we- (an Ernst Roth, 1.3.1947, unveröffentlicht) sowie
sentlich weniger übersichtlich gestaltet und weni- der Skizzenbucheintrag »Prinzessin und Bettler«
ger klar strukturiert als der expositionsartige. Es (TrSk 137) von unzweifelhaftem Gewicht. Auch
entfaltet sich eine rasche Abfolge von themati- wirkt es nicht zufällig, dass gerade jenes einzige
schen und entwickelnd-steigernden Abschnitten, Werk in Strauss’ Œuvre, welches in seiner Anlage
von ›Refrains‹ und ›Couplets‹, kleinen Zwischen- wie ein Doppelkonzert einen Vorläufer des Duett-
spielen und Überleitungen, wobei die formale Concertinos abgibt, nämlich die Tondichtung Don
Zuschreibung nicht immer eindeutig ausfallen Quixote, zwei Solo-Instrumente mit konkreten
kann. Das Geschehen steigert sich, nach einer Personnagen assoziiert, das Cello mit Don Qui-
regelrechten Kaskade von ›Refrains‹, die in acht- xote und die Bratsche mit Sancho Panza.
taktigem Abstand drei Steigerungswellen bilden Strauss scheint sich, als er das Duett-Concertino
(T. 267 ff.), bis in ein fortissimo-Tutti (T. 313 ff.). im Geiste der Programmmusik konzipierte, wie-
Mit der abrupten Reduktion der Lautstärke derum an jenen Vorläufer des Spätwerks aus dem
(fortissimo – piano) bei gleichzeitiger Beschleuni- Jahr 1935 erinnert zu haben, an das »Echte Cello-
gung des Tempos (Poco più mosso) beginnt der konzert«. Hatte dieses unvollendete, im Skizzen-
letzte Teil des Satzes, eine weiter stark entwi- stadium stehengebliebene Projekt bereits für das
ckelnde und steigernde Coda (T. 320 ff.), in deren Oboenkonzert eine Rolle gespielt, so dient es im
Verlauf sich die Soli zunehmend verdichten zu Duett-Concertino noch expliziter als Bezugspunkt
Unisono-Passagen. Hervorstechendes Merkmal (Gilliam 2001, 109). Da aber das Cellokonzert,
sind die immer wieder markant einsetzenden anders als später das erste fertig komponierte Spät-
Haltetöne auf C in der Bassstimme mit ihrer kla- werk, das zweite Hornkonzert, als ein echtes Stück
ren Dominantwirkung, deutliche Signale eines straussischer Programmmusik gedacht gewesen
bevorstehenden, definitiv kadenzierenden Schlus- war, mit einer an die große Zeit der Tondichtun-
ses aussendend. Als die Tonika endlich mit dem gen anknüpfenden poetischen Idee, lässt sich
›ersten Thema‹ im Tutti erreicht ist (T. 376 ff.) und hinter dem Duett-Concertino abermals ein tieferer
eigentlich nur noch eine abrundende Bekräftigung Sinn vermuten, als habe Strauss hier ein unvollen-
der Grundtonart zu erwarten wäre, macht sich detes Werk, worin er nach dem Verlust seines
Strauss den Spaß, noch ein neues viertaktiges letzten großen Librettisten Stefan Zweig schon
Thema einzuflechten, einen rosenkavalierhaften einmal die ersten Schritte in die Instrumentalmu-
Abgesang als letztes ›Couplet‹ (T. 380 ff.). Der Satz sik des »Nachlasses« gegangen war, in modifizier-
ist demnach dreiteilig gebaut, etwa nach dem ter Form wieder aufgreifen und zu einem endgül-
23. Das instrumentale Spätwerk 497

tigen Abschluss weiterentwickeln wollen, und Erster Satz: Exposition einer reinen Welt der
zwar im neuen, durch Stücke wie das zweite Kunst (Beginn: Erinnerung ans Capriccio-Sex-
Hornkonzert und das Oboenkonzert bewährten tett und ans zweite Hornkonzert) – Einbruch
Medium eines Bläserkonzerts. der ›Welt‹ und ihrer Negativität (Auftritt des
Möglicherweise hegte Strauss beim Griff zu »Bettlers«);
einem Programm im Duett-Concertino noch einige Zweiter Satz: Verwandlung des »Bettlers«, Trans-
autobiographische Hintergedanken. Im gesamten formation und Überwindung der weltlichen
Spätwerk finden sich poetische Ideen nur in einem Negativität durch die Kunst;
klar autobiographischen Kontext; dies war sogar Dritter Satz: Rückkehr zur reinen musikalischen
bereits beim »Echten Cellokonzert« der Fall gewe- Kunst, freie Entfaltung der ›absoluten‹ Musik.
sen, dessen Hintergrund das Ende von Strauss’
Präsidentschaft der Reichsmusikkammer und die Darin läge zuletzt eine Umkehrung der Werkidee
Neuorientierung seiner künstlerischen Existenz der zweiten Bläsersonatine, jener Komposition
im fortschreitenden Nationalsozialismus gebildet also, deren Schlusssatz »Einleitung und Allegro«
hatte. So könnten sich im Duett-Concertino Spu- Strauss’ erste große Auseinandersetzung mit den
ren einer Beschäftigung mit Homers Odyssee fin- katastrophalen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs
den, die in Verbindung zu bringen wären mit der zum Inhalt gehabt hatte. Werden dort drei Sätze
Situation des Komponisten im Schweizer Exil ›absoluter‹ Musik von einer Symphonischen
(May 2010, 189). Auch in der Figur des »Bettlers«, Dichtung als Finale gefolgt, so folgt hier auf zwei
die immerhin von Strauss selber mehrfach er- poetisch-programmatische Sätze ein Rondo als
wähnt wurde, ließe sich ein autobiographisches ›absolute‹ Musik. So scheint das Duett-Concertino
Moment ausmachen, bezeichnete sich doch der den Kreis zum Beginn des Spätwerks, zu der Welt
Komponist in der späten Zeit, nicht ohne typische des zweiten Hornkonzerts mit seiner allen Zeit-
Überspitzung, als »Bettler« (Strauss an Eugen umständen enthobenen Kunst, nochmals zu
Antosch, 8.10.1948, unveröffentlicht). Demzufolge schließen.
dürften die drei Sätze des Duett-Concertinos ähn-
lich gedeutet werden wie die anderen poetisch-
dramatischen Kompositionen des Spätwerks:

Literatur

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ten Geburtstag: 11. Juni 1964. In: Ders.: Musikalische 111.
Schriften I–III. Frankfurt a. M. 1978, 565–606. Grasberger, Franz (Hg.): Der Strom der Töne trug mich
Asow, Erich H. Mueller von: Richard Strauss. Themati- fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Tutzing
sches Verzeichnis. 3 Bde. Wien 1959–74. 1967.
Brennecke, Wilfried: Die Metamorphosen-Werke von Jackson, Timothy L.: The Metamorphosis of the ›Meta-
Richard Strauss und Paul Hindemith. In: Schweizer morphosen‹. New Analytical and Source-Critical
Musikzeitung 103 (1963), 129–136. Discoveries. In: Bryan Gilliam (Hg.): Richard
Danuser, Hermann: Über Richard Strauss’ »Metamor- Strauss. New Perspectives on the Composer and His
phosen«. In: Volker Kalisch u. a. (Hg.): Festschrift Work. Duke 1992, 193–241.
Hans Conradin zum 70. Geburtstag. Bern/Stuttgart Konrad, Ulrich: Passacaglia und Symphonische Dich-
1983, 179–195. tung – Der ›Panathenäenzug‹ op. 74 von Richard
Gellermann, Bernd: Richard Strauss – Die Donau – AV. Strauss. In: Carmen Ottner (Hg.): Das Klavierkon-
291, Symphonische Dichtung für großes Orchester, zert in Österreich und Deutschland 1900–1945. Wien
Chor und Orgel, Fragment. In: Sammelblatt des 2009, 177–199.
Historischen Vereins Ingolstadt 90 (1981), 7–70. Krause, Ernst: Richard Strauss, Gestalt und Werk. Leip-
Gilliam, Bryan: »Frieden im Innern«: Außenwelt und zig 1955.
Innenwelt von Richard Strauss um 1935. In: Bernd Lodes, Birgit: Richard Strauss’ Skizzen zu den »Meta-
Edelmann/Birgit Lodes/Reinhold Schlötterer (Hg.): morphosen« und ihre Beziehung zu »Trauer um
498 Instrumentalmusik

München«. In: Die Musikforschung 47 (1994), 234– Steiger, Martina (Hg.): Richard Strauss – Karl Böhm.
252. Briefwechsel 1929–1949. Mainz 1999.
May, Jürgen: Last Works. In: Charles Youmans (Hg.): Strauss, Richard: Über Mozart [1944]. In: Strauss 1981,
The Cambridge Companion to Richard Strauss. 106 f.
Cambridge 2010, 178–192. Strauss, Richard: Letzte Aufzeichnung [1949]. In: Strauss
Ott, Alfons (Hg.): Richard Strauss und Ludwig Thuille, 1981, 182.
Briefe der Freundschaft 1877–1907. München 1969. Tröber, Arthur: Strauss-Erinnerungen eines Dresdner
Schuh, Willi: Richard Strauss’ »Metamorphosen«. In: Kammermusikers. In: Richard Strauss-Blätter 11
Schweizer Musikzeitung 86 (1946), 80–83. (1978), 1–6.
–: Zu unserem Richard Strauss-Heft. In: Schweizer Werbeck, Walter: Die Tondichtungen von Richard
Musikzeitung 6/89 (1949), 229. Strauss. Tutzing 1996.
– (Hg.): Richard Strauss und Anton Kippenberg, Brief- Wilhelm, Kurt: Richard Strauss persönlich. Eine Bild-
wechsel. In: Richard-Strauss-Jahrbuch 1959/60, 114– biographie. München 1984.
146.
–: Ein paar Erinnerungen an Richard Strauss. Zürich
1964.
499

24.
Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke
Von Walter Werbeck

Klavierstücke und Kammermusik schrieb Richard (Werbeck 1996, 535). Sein Vater hatte ihn gewarnt:
Strauss in seinen Jugendjahren. Die Reihe beginnt Schon Anfang der 1880er Jahre – der Sohn saß
mit der ersten Nummer des Trenner-Werkver- gerade an seiner Cellosonate – schrieb er, Richard
zeichnisses, der Schneider-Polka für Klavier, die der solle doch bitte »nicht zu schnell und nicht zu
sechsjährige 1870 zu Papier brachte; drei Jahre viel« an dem Stück arbeiten und außerdem »etwas
später versuchte er sich offenbar erstmals an Stü- kritischer zu Werke gehen, denn nicht alles, was
cken für Violine und Klavier (TrV 21). Es war ein einem gerade einfällt ist auch Wert niedergeschrie-
Klavierstück – die Aus alter Zeit betitelte Gavotte ben zu werden« (Schuh 1976, 70).
TrV 72 –, das 1879 als erstes Werk des damals Die Wende vom unreflektierten zu einem ver-
Fünfzehnjährigen im Druck erschien, und 1881, antwortungsbewussten Komponieren fällt noch in
zwei Jahre später, begann Strauss’ Zusammen- Strauss’ Frühwerk und spiegelt sich in seiner Publi-
arbeit mit Eugen Spitzweg, dem Inhaber des kationspraxis. Zunächst zur Klaviermusik. Neben
Münchner Aibl-Verlags, mit der Publikation sei- den schon erwähnten Sammlungen TrV 105 und
nes Streichquartetts TrV 95 sowie der 5 Klavierstü- 127 gab Strauss bei Aibl lediglich eine Sonate
cke TrV 105. Doch schon wenige Jahre später en- TrV 103 zum Druck, beschränkte sich also erstens
dete – wenn man von einigen Parerga aus späteren auf Stücke allein aus den frühen 1880er Jahren und
Jahren absieht – Strauss’ Produktion von Klavier- zweitens auf die verbreiteten Gattungen des lyri-
und Kammermusik: Im Frühjahr 1884 entstanden schen Klavierstücks und der Klaviersonate – wobei
mit den 1886 gedruckten fünf Stimmungsbildern Letztere zwar längst nicht mehr im Fokus an-
TrV 127 sowie den ambitionierten, aber unge- spruchsvoller Klaviermusik stand, dies aber durch
druckt gebliebenen 14 Improvisationen und Fuge eine glanzvolle Tradition mit den Sonaten Beetho-
TrV 130 die letzten Klavierkompositionen. Am vens im Zentrum wettmachen konnte. Warum es
1. November 1887 kam mit dem Abschluss der nicht zur Publikation von TrV 130 kam – immer-
Violinsonate TrV 151 auch die Ära der Strauss’schen hin war das Stück keinem geringeren als Hans von
Kammermusik an ihr Ende. Bülow gewidmet –, ist nicht bekannt. Oskar Bie
In seiner Jugend, so meinte Strauss aus der publizierte 1898 lediglich eine gekürzte Fassung
Rückschau, habe er intensiv komponiert, aber »zu der Fuge in seinem Buch Das Klavier und seine
viel und zu unkritisch« (Schuh 1976, 58). Um 1895 Meister. Erwogen wurde der Druck noch einmal
heißt es in einem Text über den eigenen Schaffen- 1904, als Strauss für den Peters-Verlag eine Bear-
sprozess: »Am meisten componirte ich zwischen beitung von Hector Berlioz’ Instrumentations-
meinem 8. u. 18. Jahre, daß es jetzt immer langsa- lehre herstellte und das renommierte Leipziger
mer geht, liegt in der wachsenden Selbstkritik, die Haus auch Musik des Komponisten in den Verlag
mit wachsender Allgemeinbildung immer gestei- nehmen wollte. Aber Strauss sagte ab. Er könne
gerter, immer genauer darüber wacht, daß ich nur sich, so schrieb er der Verlagsleitung am 2. Januar
producire, was ich muß, nicht was ich könnte« 1905 (Staatsarchiv Leipzig), »nicht entschließen,
500 Instrumentalmusik

die Improvisationen herauszugeben; die Sache ist ab bis Beethoven, von da nur die eine Linie: Liszt,
zu jugendlich, ich kann sie heute nicht mehr mit Berlioz, Wagner und meine bescheidene Wenig-
meinem Namen vertreten.« keit. […] die genannte Linie habe ich bewußt seit
An Kammermusik verlegte Aibl nach dem 60 Jahren eingehalten. Mit 19 Jahren schrieb ich
Streichquartett TrV 95 die Cellosonate TrV 115 meine einzige, letzte Sinfonie, mit 20 das Klavier-
(1883), das Klavierquartett TrV 137 (1886) und die quartett, mit 20 die Violinsonate – dann Schluß
Violinsonate TrV 151 (1887) – alles Werke am Ende und meine sinf. Dichtungen waren nur Vorberei-
der Kammermusikphase sowie Vertreter von Gat- tungen zur Salome« (RSWS 49). Natürlich wusste
tungen mit großer Tradition, die wie Klaviermusik Strauss Anfang der 1880er Jahre noch nicht, dass
im Zentrum nicht nur öffentlicher, sondern auch seine Kammer- und Klaviermusik einmal den
privater Musikpflege standen. Johannes Brahms Auftakt für eine ganz andere kompositorische
hatte sie seit den 1860er Jahren um neue Meister- Ausrichtung bilden würden. Für ihn zählte vor
werke bereichert und sich ihnen zeitgleich mit allem, die zentralen Instrumentalgattungen zu
Strauss’ Aktivitäten erneut zugewandt: 1875 war beherrschen. Als das spätestens Mitte der 1880er
sein letztes Klavierquartett (wie das von Strauss in Jahre gelungen war, wies ihm Ritter neue Ziele.
c-Moll) publiziert worden, und 1886 schrieb Von Stund an hielt Strauss seine Klavier- und
Brahms neben zwei Violinsonaten seine zweite Kammermusikproduktion für veraltet, für Musik
Cellosonate, drei Jahre nach derjenigen von jedenfalls, an die er »nicht mehr glaubte« (Brief
Strauss und wie diese in der Tonart F-Dur. vom 31.3.1890; Steinitzer 1911, 62). Die einzige
Zum Ende seiner Zeit als Klavier- und Kam- Gattung seiner frühen Jahre, die Strauss auch nach
mermusikkomponist ließ der junge Strauss von seiner Wendung zum Wagnerianer und zum
den traditionsreichen Genres nur jeweils ein ein- Komponisten von Tondichtungen und Opern
ziges repräsentatives Werk drucken: eine Klavier- nicht aufgab, war das Lied.
sonate, eine Cello-, eine Violinsonate, ein Klavier-,
ein Streichquartett – zu ergänzen wären eine Warum so viele Klavierstücke, Kammermusik und
Symphonie TrV 126 sowie je ein Violin-, Horn- Lieder? Strauss war seit frühester Kindheit von
und Klavierkonzert (die Burleske TrV 145). Ob solcher Musik umgeben. Sein Vater, Franz Strauss,
hinter dieser Entscheidung von Anfang an eine Solohornist des Münchner Hoforchesters und
gezielte Strategie stand, ist eher unwahrschein- Leiter zweier Liebhaberorchester, Harbni sowie
lich – es gibt beispielsweise keinerlei Indizien da- Wilde Gung’l, spielte auch Violine und weitere
für, dass Strauss nach seiner Klaviersonate, also Instrumente. Er förderte die Begabung des Sohnes
schon 1881, sicher war, niemals mehr eine zweite nach Kräften: Strauss erhielt seit seinem 4. Le-
Sonate in Angriff zu nehmen. Erst 1885/86, nach bensjahr Klavierunterricht, zunächst bei einem
seiner definitiven »Konversion« zur Neudeutschen Harfenisten des Hoforchesters, August Tombo,
Ästhetik im Geiste Liszts und Wagners unter der vier Jahre später kam die Violine hinzu (Lehrer
Obhut seines Mentors Alexander Ritter in Mei- war Benno Walter, ein Vetter des Vaters) und
ningen bzw. München, war das Kapitel Klavier- weitere drei Jahre später, 1875, begann Hofkapell-
und Kammermusik für Strauss definitiv abge- meister Friedrich Wilhelm Meyer, den Elfjährigen
schlossen. Ritter vermittelte ihm ein musikalisches in Musiktheorie, Komposition und Instrumenta-
Denken, das allein um das Musikdrama kreiste, in tion zu unterrichten. Aber der Vater verhalf
dessen Dunstkreis allenfalls das Lied oder orches- Strauss nicht nur zu vorzüglichen Lehrern, er er-
trale Programmmusik akzeptiert wurden. Viel möglichte ihm auch schon früh das Privileg, die
später hat Strauss in einem knappen ästhetischen große Musik seiner Zeit zu hören bzw. zu erleben:
Resümee diese Überzeugung noch einmal mit Seit seinem 6. Lebensjahr besuchte der junge
Nachdruck betont: »Ich kann nur in Musikge- Strauss regelmäßig Aufführungen der Hofoper,
schichte denken«, schrieb er am 8. Oktober 1943 Konzerte des Hoforchesters im Münchner Odeon
seinem prospektiven Biographen Willi Schuh, sowie Kammermusik-Soireen.
»und da gibt es nur den einen ganz schroffen Neben dem Vater gab es zahlreiche weitere
Wagnerschen Standpunkt: die Klassiker von Bach musikalische Bezugspersonen für den jungen
24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke 501

Strauss, vor allem aus der großen Familie seiner ist angesichts bislang fehlender Untersuchungen
Mutter. Da war zunächst ihr Bruder, Georg zur Entwicklung von Strauss’ Notenschrift nicht
Pschorr d. J., Kommerzienrat und vermögender möglich; die im Weiteren benutzten Daten, dem
Brauereibesitzer, dessen Frau Johanna eine vorzüg- TrV entnommen, sind daher in aller Regel mit
liche Gesangsstimme besaß (Strauss schrieb für sie einem Fragezeichen zu versehen.
die meisten seiner frühen Lieder); ihre vier Söhne, Ganz zu Anfang spielten Tänze, also einfachste
Strauss’ Vettern, spielten alle Klavier. Auch in den Gebrauchsmusik, eine wichtige Rolle. An der
Häusern der Tanten Pschorr wurde musiziert, und Schneider-Polka TrV 1 und der Panzenburg-Polka
schließlich machten Freunde der Familie Haus- TrV 11 von 1870 bzw. 1872 lässt sich das Kompo-
musik. Mit Klavierstücken, mit Streichquartetten, nieren im Sinne von Zusammenstellen gut beob-
Klaviertrios und natürlich mit Gesang vertrieben achten. Grundlage ist jeweils eine Form aus Polka
sich die Mitglieder und Freunde der Großfamilie plus Trio mit nachfolgend wiederholter Polka, also
Strauss/Pschorr viele Stunden ihrer Freizeit – für eine A-B-A-Form: ein Muster, das außer in Tän-
den begabten Richard ideale Gelegenheiten, ein zen vor allem in langsamen Stücken, als soge-
großes Repertoire nicht nur kennenzulernen, nannte dreiteilige »Liedform«, für Strauss zur
sondern auch zu musizieren und dabei als Prakti- Norm werden sollte. Polka und Trio bestehen je-
ker ebenso wie als Komponist Erfahrungen zu weils aus zwei Teilen (in TrV 11 ist das Trio aller-
sammeln. Zu diesem Repertoire gehörten neben dings nur einteilig), die wörtlich wiederholt wer-
großer Literatur auch Salonstücke und einfache den. Eine kurze Introduktion, etwa ein großer
Gebrauchsmusik (wie etwa Tänze), die Spann- Auftakt auf der Dominante, geht voran. Dieses
weite reichte von Originalbesetzungen bis zu zwei- Gerüst war zu füllen – wobei eine Polka selbstver-
und vierhändigen Arrangements aller Art, selbst- ständlich im 2/4-Takt stand, mit einer wie immer
verständlich unter Einschluss beliebter Opern- gearteten Melodie in der rechten und nachschla-
melodien. All dies musizierte Strauss von Anfang genden Akkorden (entweder um-ta um-ta oder
an und schon bald kamen seine eigenen, für sich um-ta-ta-ta) in der linken Hand. Außerdem waren
selbst bzw. die Familie komponierten Stücke regelmäßige quadratische Modelle Pflicht; sie
hinzu. Unter deren Widmungsträgern dominie- konnten zu regelrechten Perioden (mit der Span-
ren, wie selbstverständlich, Familienmitglieder nung Dominante-Tonika) angeordnet, aber auch
(später sollte diese Praxis mit der Dedikation des einfach gereiht werden. In TrV 1 bestehen sämtli-
Rosenkavalier »meinen lieben Verwandten, der che Abschnitte aus zweimal vier Takten (TrV 11
Familie Pschorr in München« einen Höhepunkt hat im ersten Teil immerhin 16 Takte); jedes vier-
erhalten). Strauss’ Domäne war das Klavier, aber taktige Muster ist noch einmal in zweimal zwei
auch als Geiger war er beschäftigt, konnte sogar in Takte teilbar und basiert allein auf Tonika und
den Orchestern des Vaters mitspielen. Dominante – wobei natürlich immer nach 8 Tak-
ten die Tonika stehen muss. Es versteht sich, dass
von rhythmischen, dynamischen oder agogischen
Feinheiten noch keine Rede sein kann, auch das
Frühe Klaviermusik Tempo ist durch den Tanztyp vorgegeben, und
beide Stücke stehen in der einfachsten Tonart
In den Jahren von 1870 bis 1875, dem Unterrichts- C-Dur, mit einem Trio in F-Dur. Die Panzenburg-
beginn bei Meyer, versuchte sich der Knabe Polka enthält immerhin im Trio am Ende des
Strauss zunächst an Einzelstücken, doch traute er Hauptabschnittes ausgeprägte Überleitungen, die
sich früh auch an mehrsätzige Kompositionen auf einen Gestaltungswillen des jungen Kompo-
heran. Von Werken im emphatischen Sinne kann nisten hindeuten. Wie die Kompositionstechnik
man noch nicht sprechen. Strauss stellt vielmehr bewegt sich auch die Spieltechnik auf eher be-
Musik aus einfachen Bausteinen zusammen, dabei scheidenem Niveau. Bemerkenswert erscheinen
immer orientiert an Mustern, wie er sie zu Hause allerdings noch zwei Dinge: In TrV 1 klingt in der
oder in der Großfamilie kennengelernt hatte. Eine Melodie des »Trio« das »La donna e mobile« aus
genaue Datierung seiner frühen Kompositionen Verdis Rigoletto an, und die Introduktionstakte
502 Instrumentalmusik

von TrV 11 evozieren in der linken Hand typische Liedkopfes gefüllt, bis nach einigem Warten das
Hornquinten – frühe Indizien dafür, dass Strauss Liedthema erneut erklingt und nach acht Takten
als Modelle seiner Klaviermusik Opernmelodien mit vollgriffigen Akkorden im dreifachen Forte
nicht verschmähte und orchestrale Effekte ein- den Satz beendet. So effektvoll Strauss hier schon
baute. Spannungsmomente schafft, so billig, mit aufge-
Wie schwierig es für Strauss war, ohne ein kla- setztem Theaterdonner, mutet der Schluss an (von
res Modell zu arbeiten, zeigt der frühe Versuch der Sorte sollten noch manche Schlüsse folgen).
eines langsamen Satzes TrV 12. Offenbar hat der Zu beachten bleibt, dass Strauss sich auf Liedvor-
Vater die Niederschrift nicht weiter beachtet, lagen stützt und auch nicht im Ansatz eine Sona-
sonst hätte er gemerkt, dass der Filius irrtümlich tenform zu realisieren trachtet. Das gilt ebenso für
ein Stück in g-Moll mit der Vorzeichnung von eine zweisätzige Sonate TrV 22 von 1874, in deren
G-Dur versehen hat. Und er hätte sich vielleicht Kopfsatz ein C-Dur-Thema einen Marsch in
über die primitiven Akkordreihungen ebenso ge- f-Moll umrahmt; der donnernde Schluss fehlt
wundert wie über die fantasielosen Marschrhyth- nicht. Im zweiten Satz zeigt sich erstmals Strauss’
men im 2. und 3. Teil. Vertrautere Bahnen be- Interesse an exquisiten harmonischen Relationen:
schritt Strauss ein Jahr später mit einer Sammlung Einem eher lärmenden Presto assai in C-Dur
von fünf kleinen Stücken TrV 18 (vom letzten kontrastiert ein dolce vorzutragender Mittelab-
existieren Skizzen mit einem Arrangement für schnitt in Des-Dur, den Strauss irrigerweise mit
Klavier und Violine). Nr. 1, ein Übungsstück in »Minore« überschrieb. Auch eine dreisätzige So-
einfachster Lage, steht im geraden Takt, während nate TrV 23 bringt formal kaum Fortschritte,
die Nummern 2–4 im 3/4-Takt geschrieben sind, überrascht jedoch durch einen bemerkenswert
der zu dieser Zeit für Strauss den Walzer impli- eklektischen Kopfsatz: mit Anleihen an Mozart
zierte. Damit standen Begleitung, Periodik und (Zauberflöte, Don Giovanni), Tremoli nach Art
einfachste Satztechnik mit klarer Aufgabenvertei- eines symphonischen Klavierauszugs und einem
lung für die Hände ebenso fest wie zuvor bei den verunglückten kurzen Fugato anstelle einer
Polkas. Formal beschreitet Strauss insofern einen Durchführung.
neuen Weg, als die meisten Stücke einer klassi- Mit der Sonate B-Dur TrV 24 wagt sich Strauss
schen Mischung aus zwei- und dreiteiliger Anlage noch vor dem Unterricht durch Meyer erstmals an
folgen; das Schema ist || : A : || : B A’ : || . eine viersätzige Klaviersonate. Von einer »grande
Spätestens als Zehnjähriger begann Strauss mit Sonate« kann freilich keine Rede sein. Über das
mehrsätzigen Klavierstücken, zunächst »Sona- Stadium der vorherigen Stücke ist Strauss nicht
tine«, dann aber selbstbewusst mit »Sonate« beti- hinaus, und die parallel verschobenen Begleit-
telt, die er offenbar in Serien zu schreiben ge- akkorde zu Beginn des Trios im 3. Satz zeigen, wie
dachte. Eine erste, 1873/74 in Angriff genommen, dringlich der begabte Junge einen soliden Kontra-
umfasst zahlreiche Stücke, von denen allerdings punktunterricht brauchte. Immerhin: Trotz der
nur vier vollständig vorliegen, eine zweite wurde allfälligen Mozart-Anklänge verrät die bei Mozart
1877 mit TrV 47 begonnen, aber erst 1879 mit fehlende Viersätzigkeit doch den Wunsch, über den
TrV 79 fortgesetzt; möglicherweise war die einzige verehrten Meister hinauszukommen. Deutlicher
gedruckte Sonate TrV 103 von 1880/81 als Nr. 3 realisiert hat Strauss sein Streben zur großen Form
dieser Serie konzipiert. Von einer frühen E-Dur- in der nächsten Sonate in Es-Dur TrV 26, und zwar
Sonatine TrV 20 liegt lediglich ein Kopfsatz vor, vor allem im ambitionierten Kopfsatz. Eine ge-
für dessen Thema Papagenos Lieder »Ein Mäd- glückte Sonatenform liegt allerdings noch nicht
chen oder Weibchen« ebenso wie »Der Vogelfän- vor; Strauss hat – neben unverändert großen satz-
ger bin ich ja« aus Mozarts Zauberflöte unüberhör- technischen Schwierigkeiten – vor allem Probleme
bar Pate standen. Das »Lied« bei Strauss endet mit den überleitenden und durchführenden Ab-
halbschlüssig und wird mit einer Moll-Variante, schnitten, die entweder zu wenig zielstrebig oder zu
die in G-Dur schließt, fortgesetzt. Dann lässt der schematisch in ihrer Sequenztechnik ausfallen.
Komponist, geradezu szenisch, rhetorische Pausen Allein Themen im Mozartstil zu schreiben und
folgen, nur von einem einsamen Zitat des E-Dur- in viersätzige Sonaten à la Beethoven oder Schu-
24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke 503

bert zu integrieren, führte nicht recht weiter. In im Kopfsatz wird die Form nicht bloß erfüllt – wie
einer vermutlich ebenfalls noch 1874 komponier- sich daran zeigt, dass Strauss den traditionellen
ten Fantasie in C-Dur TrV 29 erprobt der Zehn- Kontrast auf den Gegensatz zwischen eher melo-
jährige eine neue Strategie, um große Klaviermu- diebetonten Themen und virtuosen Überleitun-
sik zu schreiben: die Nachahmung des Konzert- gen bzw. Schlussgruppen zuschneidet (nach dem
stils. Jedenfalls fällt es nicht schwer, das Stück als Muster von Beethovens C-Dur-Sonate op. 2,3).
verkapptes kurzes Klavierkonzert – arrangiert für Eine sechstaktige Überleitung ersetzt die Durch-
Soloklavier – zu interpretieren: mit einer Adagio- führung, an die Strauss sich, wie er seinem Freund
Introduktion, einem »Allegro Presto« (sic!) als Thuille schrieb, noch nicht »wagte« (Brief vom
Kopfsatz mit abschließender Solokadenz, einem 21.12.78; Trenner 1980, 57): neuerliches Zeichen
doppelten Mittelsatz, aus Andante in As-Dur und für ein reflektierteres Komponieren als zuvor.
Allegro con fuoco in f-Moll zusammengesetzt, Einen erheblichen Fortschritt stellt hingegen
und einem Allegretto grazioso als heiterem Aus- die im Juni 1879 fertiggestellte »Große Sonate«
klang. Aber auch die großen Gesten können die c-Moll TrV 79 dar. Tonart und appassionato-Ton-
unverändert bestehenden Mängel nicht kaschie- fall verraten das Muster Beethoven, auch Schubert
ren. Gewiss, Strauss hat seine Vorbilder studiert, und möglicherweise schon Brahms könnten Pate
aber ihm fehlt der Kontrapunkt und ihm fehlt gestanden haben. Der virtuose, alle Lagen einbe-
jedes Bewusstsein für musikalische Logik und ziehende Konzertstil als probates Steigerungsmit-
Ökonomie. Er bemüht sich, Schemata zu füllen – tel fehlt wie bisher nicht, aber die Musik ist, je-
gelegentlich verlässt er sie auch oder unterläuft denfalls in den nicht primär virtuosen Partien,
sie –, aber über einfache Modelle ist er noch kaum deutlich sorgfältiger gearbeitet, die schlichte Auf-
hinausgekommen. Deutlich unterentwickelt sind teilung in themenführende rechte und begleitende
Rhythmus, Agogik, Dynamik; Strauss hat genug linke Hand tritt zurück, dynamisch und agogisch
damit zu tun, seine Themen sinnvoll miteinander passiert Einiges, und auch die Form beherrscht
zu verbinden. Kein Wunder, dass Franz Strauss Strauss deutlich besser als zuvor. So korrespondiert
den Zeitpunkt gekommen sah, für einen systema- im Kopfsatz einer umfangreichen, wenn auch
tischen Kompositionsunterricht zu sorgen. noch etwas schematischen Durchführung eine
zweite am Schluss mit harmonischen Umfärbun-
gen des Hauptthemas, bevor eine vom ppp ins fff
führende Steigerung den Satz triumphal ab-
Erste Fortschritte schließt. Die beiden Mittelsätze hat Strauss formal
eng verzahnt: Ein Andante, zunächst zweiteilig –
Auch unter Meyer wuchsen die Bäume der Kla- lyrisch in As-Dur, dann kraftvoll-marschartig in
viermusik nicht gleich in den Himmel. Das belegt E-Dur und c-Moll –, am Satzschluss hingegen auf
die »Sonate Nr. 1« in E-Dur TrV 47. Natürlich ist den lyrischen Teil reduziert, rahmt ein rasantes
das Stück viersätzig. Aber satztechnische ebenso f-Moll-Scherzo ein. Wie stolz auf diese formale
wie stilistische und formale Schwächen sind noch Strategie nicht nur der fünfzehnjährige Kompo-
immer nicht beseitigt. Das Finale etwa beginnt im nist war, verrät wieder ein Brief an Thuille von
Stil eines Allegro desperato aus einer italienischen Mitte Juni 1879: »[…] das Adagio, mit dem ich
Oper – erst im Solo-, dann im Tutti-Gewand. Der das Scherzo verschmolz, ist mir sehr gut gelungen,
Seitensatz könnte aus einem Mozartschen Konzert und bin ich sehr gelobt sowol vom Papa […] und
stammen, während das folgende Brillante auf den Herrn Kapellmeister Meyer, er sagte, es wäre sehr
virtuosen Stil à la Weber verweist, der am Ende geschmackvoll und schön« (Brief von Mitte Juni
sich nahtlos in einen imaginären Konzertschluss 1879; Trenner 1980, 68). Neue Dimensionen eröff-
verwandelt. Die kurze Durchführung verrät im- net das Finale, mit seinen 494 Takten übertrifft es
merhin ein intensiveres Studium von Kanon und alles, was Strauss bisher für Klavier geschrieben
Kontrapunkt, und der Verzicht auf den Hauptsatz hatte. Der Komponist sucht, so konsequent wie
zu Beginn der Reprise zeugt von einem bewusste- nie, die großen Dimensionen durch einen zentra-
ren Umgang mit der Sonatenform als zuvor. Auch len daktylischen Rhythmus zusammenzuhalten,
504 Instrumentalmusik

der in einfacher q ry wie diminuierter Gestalt Klaviermusik


rdg den Satz beherrscht. Die Lust am virtuosen der frühen 1880er Jahre
Spiel lässt die Themen gelegentlich allzu stark in
den Hintergrund treten, sorgt aber durch entspre- Die Entscheidung, seine Klaviersonate h-Moll
chende Steigerungen zugleich auch für formale TrV 103 zum Druck zu geben (möglicherweise
Bindung. Kurz vor Schluss zitiert Strauss, vermut- noch von Meyer angeregt, wurde sie Ende 1880/
lich nach Beethovenschem Muster, demonstrativ Anfang 1881 komponiert und 1882 als op. 5 bei
das Hauptthema des Kopfsatzes: Deutlicher Aibl publiziert), löste einen weiteren Schub an
konnte er seinen Willen zu zyklischer Formbil- Reflexion aus. Strauss beginnt, seine Produkte
dung kaum bekunden. Auf fast noch höherem kritisch zu prüfen. Und er sucht weiterhin den Rat
Niveau, was die Beherrschung der Form und die erfahrener Komponisten – in den Jahren nach 1881
Lust am virtuosen Spiel angeht, befindet sich ein gehörten dazu sein nur wenige Jahre älterer
ebenfalls 1879 entstandenes und großangelegtes Freund Thuille, dessen Münchner Lehrer Gabriel
fünfteiliges h-Moll-Scherzo TrV 86 im 2/4-Takt, Joseph Rheinberger sowie der Münchner Hofka-
eine durchaus kongeniale Anverwandlung des pellmeister Franz Lachner. Rat hatte Strauss offen-
Mendelssohnschen »Elfenscherzos«. bar nötig. Denn als Thuille den Ende November
Unter den kleineren Formaten dieses Jahres 1880 abgeschlossenen ersten Sonatensatz gehört
verdienen die sogenannten Skizzen TrV 82, eine hatte, schrieb er an seine Pflegemutter Pauline
Sammlung von fünf Klavierstücken, besonderes Nagiller nach Innsbruck: »Richard hat jetzt den
Interesse, weil Strauss sich hier ausgiebig bei der ersten Satz einer Klavier-Sonate componirt, der
barocken Gavotte bedient hat (von der vermutlich ein seltsames Mischmasch von Stillosigkeit reprä-
zu Jahresbeginn komponierten Gavotte Aus alter sentirt. Er gefällt sich jetzt in allen möglichen
Zeit war eingangs schon die Rede; Werley 2010, Ungeheuerlichkeiten, wobei aber immer der un-
56 f.). Strauss selbst bekannte gegenüber Thuille reife Kindskopf herauslugt. Bin neugierig wie er
(am 22. Juli 1879; Trenner 1980, 70): »[…] mir sich auswächst, u. glaube nicht, daß er je etwas
behagt für kleinere Klavierstücke die Gavotten- Bedeutendes leisten wird; er wird immer in so-
form außerordentlich.« Vermutlich war es weniger genannter ›Kapellmeistermusik‹ stecken blei-
die einfache Form, sondern die Satzart mit eher ben. […]« (9.12.1880; Bayerische Staatsbibliothek
orgelpunktartigen, ruhigen Bässen, über denen Ana 493.I.1.a). Auch dem unreifen Richard wird
chromatische Stimmführungen für abwechslungs- Thuille seine Kritik nicht verschwiegen haben –
reiche Klänge sorgten. Strauss hat nur die Num- möglicherweise weitete sie sich noch aus, als die
mern 3–5 als Gavotten betitelt, aber auch die drei Sätze der Sonate Anfang Januar 1881 vorlagen,
Nr. 2, ein Andante, gehört rhythmisch dem Ga- und möglicherweise war es diese Kritik, die den
vottentypus an (Werley 2010, 42). Typisch ist zu- Freund dazu veranlasste, das Stück gründlich zu
dem ein 2/4-Auftakt; wo er fehlt (wie in Nr. 2 und überarbeiten: Er revidierte die beiden ersten Sätze,
4), ergibt sich ein metrischer Schwebezustand, der strich das Finale und ersetzte es durch ein neues,
bis zuletzt anhält. Das Trio von Nr. 5, ein Klang- dem ein ebenfalls neues Scherzo voranging. Die
stück über dem Orgelpunkt f, hat den Titel »Pas- beiden ersten Sätze wurden in der Überarbeitung
torale«; an Thuille (Trenner 1980, 70) schrieb vor allem gekürzt: der Kopfsatz von 382 auf
Strauss von einer »Dudelsackmelodie (Musette) 317 Takte, das Adagio cantabile von 120 auf
als Trio«. Und im G-Dur-Andante Nr. 2 fungieren 99 Takte. Die Striche gehen im Allegro primär zu
gelegentlich eingestreute Akkorde in Es- und As- Lasten des Schlusses: Die in der ersten Fassung der
Dur wie exotisches Kolorit und weisen auf den Reprise folgende zweite Durchführung (ganz ähn-
reifen Strauss voraus – was übrigens auch für die lich wie in der c-Moll-Sonate zuvor) fiel dem
Gavotte überhaupt gilt: Ihr Typus begegnet im Rotstift zum Opfer. In der Zweitfassung be-
Rosenkavalier (die »Drei arme adelige Waisen« im schränkt sich Strauss auf eine kurze stürmische
ersten Akt beginnen rhythmisch wie Gavotte Coda, womit der Satz seinen dem (rhythmisch an
Nr. 3) ebenso wieder wie etwa in der Ouvertüre Beethovens Fünfte gemahnenden) Hauptthema
zum Ballett Schlagobers ( qq| qqrtty| qq). abgewonnenen drängenden Tonfall behält, den in
24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke 505

der Erstfassung die eher ruhigen, über Orgelpunk- unreif und altklug. Lachner ist ein Chopin an
ten ausgebreiteten Durchführungspartien gefähr- Phantasie dagegen. Vermisse alle Jugend in der
det hatten. Im Adagio, einem »Mendelssohnian Erfindung, Kein Genie nach meiner innigsten
Lied ohne Worte« (Todd 1992, 28), kürzt Strauss vor Überzeugung, sondern höchstens ein Talent, wo
allem die beiden Rahmenteile, ohne die Relation 60 auf ’s Schock gehen.« Eine »unübersehbare
zum grazilen Mittelteil wirklich zu gefährden. epigonale Orientierung an Schumanns Charakter-
Das ursprüngliche Finale, ein stürmisches Alla- stücken« wurde der Sammlung auch jüngst noch
Breve-Presto, weist tatsächlich wenig über das von Siegfried Mauser bescheinigt (Mauser 2001,
Finale der c-Moll-Sonate hinaus. Virtuosität do- 221), der neben Schumann noch Mendelssohn
miniert über weite Strecken (ein Seitensatz bringt und Chopin als mögliche Muster für Strauss
nur kurze lyrische Ruhepausen), es gibt große nannte. Studiert man freilich die durchgefeilte
Steigerungen ebenso wie große Beruhigungen, Satztechnik vor allem von Nr. 1 und vergleicht sie
und am Ende, vor der Prestissimo-Coda, werden mit den Vorläufern, so muss man Strauss einen
das Seitenthema des Kopfsatzes sowie das Adagio- gehörigen Fortschritt attestieren – was an der
Thema zitiert: eine für Strauss offenbar obligato- Ähnlichkeit mit Schumanns »Von fremden Län-
rische Maßnahme, um wenigstens äußerlich zyk- dern und Menschen« aus den Kinderszenen oder
lische Geschlossenheit herzustellen. Von diesem dem Beginn der Humoreske (Todd 1992, 34) nichts
Satz bleibt bei der Überarbeitung lediglich das ändert. Die Mittelstücke leben vor allem von
kantable Seitenthema übrig; Strauss verpflanzt es rhythmischen Zellen, aus denen Strauss die For-
als Trio ins neue Scherzo, das mit seinem 2/4-Takt men spinnt, während das marschartige Schluss-
und der fünfteiligen Anlage deutlich auf das stück mit einem ausgedehnten, eher trockenen
Scherzo TrV 86 zurückweist und die Sonate um Fugato-Mittelteil aufwartet.
den hier noch intensiver realisierten »Elfenton« à Nur wenige Jahre später war auch diese Phase
la Mendelssohn (Todd 1992, 30 f.) bereichert. Im überwunden; Strauss näherte sich endgültig der
neuen Finale, einem Allegretto vivo im 6/8-Takt modernen Musik seiner Zeit an. Zwar verweisen
ohne abschließende Zitate, mischt Strauss kanta- die poetischen Titel der fünf Stimmungsbilder
ble und virtuose Partien und versucht sich auch TrV 127, 1884 abgeschlossen und 1886 gedruckt,
mit differenzierter Dynamik, die allerdings eher zurück auf Schumann (auch eine Träumerei fehlt
schematisch ausfällt: Den immer piano zu spielen nicht), aber die Inhalte der Stücke gehen deutlich
Hauptthemen stehen in der Exposition fortissimo über den Stand des Komponierens in den 1830er
beginnende vermittelnde Abschnitte gegenüber; und 1840er Jahren hinaus. Nr. 2 etwa, An einsamer
die Durchführung beginnt und endet im Pianis- Quelle, ein Lento in As-Dur, evoziert unüberhör-
simo, um zwischenzeitlich über lange Zeit sich im bar die Stimmung des »O sink hernieder, Nacht
doppelten sowie dreifachen Forte aufzuhalten, der Liebe« aus dem zweiten Akt von Wagners
und die kurze Reprise fungiert als Crescendo, das Tristan: In T. 15 f. erinnert die Mittelstimme an
schon mit dem Seitensatz sein Ziel erreicht hat. das Liebestrank-Motiv, und auch der Wechsel
Überzeugend ist das in der Summe noch nicht; As-Dur o Fes-Dur o As-Dur am Schluss (T. 46 f.)
auch eine Kompensation für die fehlenden The- könnte von Wagner stammen. Jedenfalls entfalten
menzitate vorheriger Sätze ist Strauss noch nicht auch bei Strauss Klangflächen mit eingestreuten
eingefallen: kein Wunder, dass sein neuer Mentor Dissonanzen eine betörende Wirkung. Das gilt
Hans von Bülow von der Sonate nicht viel gehal- gleichfalls für Träumerei (Nr. 4), wo ein akkordi-
ten hat (wie ein Brief an Spitzweg vom 16. Juli scher Refrain sich mit zunächst einstimmig-rezita-
1884 belegt; Bülow 1907, 287). tivischen, später auch imitierend verknüpften
Vor allem aufgebracht aber war Bülow über die Einzelstimmen abwechselt, und es gilt auch noch
1881 entstandenen Fünf Klavierstücke, die Spitzweg für das impressionistische Heidebild (Nr. 5), das,
im selben Jahr als op. 3 herausbrachte. Offenbar wie in Schuberts melancholischem Lied vom Lei-
um seine Meinung gefragt, polterte Bülow (am ermann, mit einer leeren Quinte G-d grundiert ist.
22. Oktober 1881; ebd., 112 f.): »Clavierstücke von Von hier war der Weg zur Orchesterfantasie Aus
R. Str[auss] haben mir gründlichst mißfallen – Italien nicht mehr weit. Aber auch die späteren
506 Instrumentalmusik

Tondichtungen kündigen sich schon an: etwa mit (ein zartes »all’ ungarese« in Nr. 12 eingeschlossen)
dem in Nr. 3 angesprungenen Dominantakkord wechseln kontinuierlich (in der Coda von Nr. 14
mit hochalterierter Quinte über Tonikagrundton erinnert der Rhythmus q. eESs| q. q. | an die An-
(a-d'-gis'-his' ), der sich in eine Drehfigur auflöst kunft des Bacchus aus Ariadne auf Naxos). Die
und auf Till Eulenspiegel vorausweist, oder mit ei- Fuge, genauer eine Doppelfuge, besticht nicht al-
nem Sextolen-Aufschwung in Nr. 1, der in Don lein durch satztechnische, sondern auch formale
Quixote eine prominente Rolle spielen wird. Komplexität, weil Strauss ihr zugleich eine Art
Abschließend noch ein Blick auf das eingangs Sonatenform übergestülpt hat, mit Hauptsatz,
schon erwähnte ungedruckte Werk 14 Improvisa- Seitensatz (das zweite Fugenthema in e-Moll),
tionen und Fuge über ein Originalthema TrV 130, Durchführung (Kombination beider Themen),
dessen Komposition Strauss am 16. Mai 1884 ab- Reprise (T. 422 ff.) und einer riesigen gesteigerten
schloss. Das Stück, dem eine Einleitung vorange- Coda: Sie bringt die obligatorischen Engführun-
stellt ist und dessen Improvisationen zugleich Va- gen beider Themen, einen langen Dominantorgel-
riationen sind, folgt dem formalen Muster frühe- punkt und eine Maestoso-Apotheose (mit dem
rer Werke für Flöte und Horn (s. u.). Außer schon erwähnten Rückgriff auf die Einleitung).
Schuberts Flötenstück D 802 gibt es auch Vorbil- Gelegentlich hat Strauss des Guten zuviel getan,
der aus der Klaviermusik: Beethovens 15 Variatio- worunter die Spielbarkeit leidet: Passagen wie
nen und Fuge op. 35 (die sogenannten »Eroica-Va- T. 406 f., 447 f. oder 473 ff. erfordern jedenfalls
riationen«, deren Interpretation durch Bülow eine ausgefeilte Sprungtechnik, um den Tonsatz
Strauss am 3. März 1884 in Berlin gehört hatte) annähernd zu verdeutlichen. Hans von Bülow,
gehören dazu, vielleicht auch Brahms’ Händel- dem Strauss das Stück dedizierte, nahm zwar die
Variationen op. 24. Hier gehen der abschließenden Widmung an (und handelte sich damit einen
Fuge allerdings 25 Variationen voraus, auch fehlt schwärmerischen Dankesbrief des Komponisten
eine Einleitung. Brahms’ Paganini-Variationen al- ein). In sein Konzertrepertoire aufgenommen hat
lerdings haben zwar keine Fuge, aber in beiden er das Stück allerdings nicht.
Heften jeweils 14 Variationen – und dieselbe
Tonart wie bei Strauss, a-Moll.
In der eher improvisatorisch angelegten Maes-
toso-Einleitung präsentiert Strauss schon den Kammermusik
Kopf des Fugenthemas. Weil T. 8 ff. der Einleitung
in der Coda der Fuge wieder aufgenommen wird, Hier setzt die Produktion wohl kaum zufällig erst
bilden Einleitung und Fugenschluss einen un- während des Unterrichts bei Meyer ein. Strauss
übersehbaren Rahmen. »Originalthema« und da- beginnt, Ende 1877, gleich mit einer klassischen
mit roter Faden durch das ganze Stück ist das Gattung: einem Klaviertrio in A-Dur TrV 53, und
Fugenthema. Es fundiert, ähnlich wie bei Brahms, erstaunlicherweise bleibt es nicht bei diesem einen
als Bass das »Thema« der nachfolgenden »Impro- Beitrag, vielmehr folgt 1878 ein zweites Trio in
visationen«, die denn auch nicht so sehr die Melo- D-Dur TrV 71, deutlich umfangreicher und mit
die variieren, sondern als immer neue, teils sehr fraglos weit größerem Ehrgeiz konzipiert. Vom
freie Realisationen derselben Struktur und eines ersten Trio wissen wir aus einem Brief (an Thuille;
durch Sequenzen bestimmten harmonischen Gangs Trenner 1980, 34), dass es dem Cello spielenden
zu verstehen sind. Gelegentlich klingt in den Va- Widmungsträger, Strauss’ Onkel Anton Knözin-
riationen das zentrale Thema direkt an, beson- ger, ausnehmend gut gefallen habe, vor allem eine
ders deutlich zu Beginn der Variationen 7 und 9. harmonische Caprice im Adagio, die Wendung
Strauss hat einzelne Variationen durch Übergänge, von E-Dur nach Es-Dur und zurück. Das Urteil
teils auch gleiche Tempi, zu Gruppen bzw. Paaren überrascht wenig, erfüllt das viersätzige Stück
zusammengefasst (Nr. 1–2, 7–8, 10–11, 12–14), sich doch die thematischen und formalen ebenso wie
ansonsten aber um Abwechslung bemüht: Die die spieltechnischen Erwartungen, die Dilettanten
Spanne der Taktarten reicht vom 2/4 bis zum 5/5, wie Knözinger mit dem Trio eines Dreizehnjähri-
6/8 und 9/8, und auch die Tempi und Tonfälle gen verknüpften. Zwar werden die Formen recht
24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke 507

schematisch gehandhabt, aber satztechnisch kann der Münchner Neuesten Nachrichten von der »Probe
sich das Stück im Vergleich mit den Klaviersachen eines entschiedenen Talents. Natürliche Empfin-
durchaus sehen lassen. Auch hat sich Strauss um dung, Gewandtheit in der Beherrschung der Form
eine sinnvolle Verteilung der Rollen von Violine, zeichnen es aus.« Weiter heißt es: »Im ersten und
Cello und Klavier bemüht. Nur in der virtuosen letzten Satz sind die Themen nicht von hervorste-
Schlussgruppe im Kopfsatz macht das Trio, ähn- chender Originalität; sie bewegen sich in den
lich wie in den Klavierstücken, einem verkappten Grenzen der Mozart-Haydn’schen Stylweise, wäh-
Klavierkonzert mit begleitenden Streichern Platz. rend in den Durchführungstheilen sich Mendels-
Gerade dieses Terrain aber hat Strauss im zweiten sohn’sche Einflüsse geltend machen. Nicht bloß
Trio (mit Anleihen bei Beethoven und Schubert) reproduciert, sondern von eigenthümlicher Physi-
erheblich ausgebaut; die formalen Eigenwilligkei- ognomie ist das sehr frisch erfundene Scherzo und
ten im Kopfsatz wie im Andante fallen demgegen- die Melodien des elegisch gehaltenen Andantes
über kaum ins Gewicht. Über weite Strecken, mit sind von warmer Empfindung beseelt« (Schuh
einem Höhepunkt im Finale, mutet das Stück wie 1976, 63). Nicht zufällig ist von einem »Talent«,
eine virtuose Klaviersonate mit Begleitung an. Der nicht einem Genie die Rede. Strauss »beherrscht«
Pianist Strauss verleugnet sich nicht. weniger die Form als das Formschema, zu einer
Auch in den 1878 entstandenen Variationsstü- bezwingender Logik der Musik fehlt noch Einiges.
cken für Flöte und Klavier TrV 76 – geschrieben Die Durchführungen etwa in den Rahmensätzen
»auf Ersuchen eines Schulkameraden« (Brief an fallen eher akademisch-steif aus, und der mit einer
Thuille; Trenner 1980, 63) – sowie, dem »lieben halben Note beginnende Kopfsatz braucht einige
Papa« gewidmet, für Horn und Klavier TrV 70 Momente, um den Schwung zu erhalten, der
kommt das Klavier nicht zu kurz. Die Introduk- später einmal zu einem Straussischen Markenzei-
tion des Horn-Stücks sowie überleitende bzw. chen werden sollte. Auch Details wie das zunächst
schließende Nachspiele in den Variationen 1 und falsche Ende des Seitenthemas in der Kopfsatz-
3 sind ihm allein vorbehalten, und im Flötenstück Exposition sind typisch – Strauss kriegt dann doch
enden Thema wie Variationen mit einem Klavier- noch die Kurve, indem er rasch die richtige Ka-
nachspiel, das Strauss mehrfach für virtuose Ein- denz in E-Dur anhängt. Und im Finale wird das
lagen nutzt. Nur am Ende der jeweils 5. und letz- muntere Hauptthema durch eine Wendung nach
ten Variation finden sich in beiden Stücken Solist h-Moll ebenso überflüssig belastet wie der Satz
und Pianist zu einer brillanten Coda zusammen. durch den pathetischen Schluss der Durchfüh-
Es versteht sich, dass Strauss auch für Flöte und rung. Dem stehen manche Raffinessen gegen-
Horn dankbare, teils rasch-virtuose, teils ruhig- über – etwa die Arbeit mit der Moll-Eintrübung
kantable Partien geschrieben hat. Unterhaltungs- des Kopfsatz-Seitenthemas, die bald schon zu
stücke dieses Kalibers finden sich auch später Kontrasten genutzt wird, oder, schon vom Rezen-
noch; zu ihnen gehören etwa Strauss’ Stücke für senten gelobt, das virtuose Spiel mit geraden und
Klavierquartett: Ständchen TrV 114 und Festmarsch ungeraden Taktgruppen im Scherzo: nicht neu,
TrV 136 (beide vermutlich aus den frühen 1880er aber doch gekonnt.
Jahren), aber auch noch der Arabische Tanz Zu den Höhepunkten in Strauss’ Kammer-
TrV 169, mit dem sich Strauss bei seinem Onkel musik gehören seine drei letzten Beiträge: die
Georg Pschorr für die großzügige Finanzierung Cellosonate TrV 115 (1881–83?), das Klavierquartett
einer halbjährigen Genesungsreise nach Süd- TrV 137 (1884/85) und die Violinsonate TrV 151
europa und Nordafrika bedankte. (1887). Alle drei Werke, die mit ihrer Qualität die
1880, nach der Vollendung seiner ersten Sym- zeitgleichen Klavierstücke deutlich übertreffen,
phonie, wagte sich Strauss an die Krönung der haben mit dem naiven Komponieren früherer
Kammermusik, das Streichquartett, und legte mit Jahre nichts mehr zu tun. Das verraten schon
beiden Stücken gewissermaßen die Gesellenprü- Äußerlichkeiten. Mit dem Quartett gewann
fung am Ende einer fünfjährigen Lehrzeit ab. Strauss den Preis des Berliner Tonkünstlervereins
Nach der öffentlichen Uraufführung seines Quar- (Cadenbach 2001, 230), die Cellosonate wurde –
tetts TrV 95 Mitte März 1881 sprach der Rezensent ein Parallelfall zur Klaviersonate TrV 103 – vor der
508 Instrumentalmusik

Drucklegung gravierend revidiert (Schlötterer chen für sich. Weniger ausgeprägt erscheint die in
1984), und die intensive Arbeit an der Violinso- der Violinsonate zu beobachtende Neigung, poe-
nate, zeitgleich mit der Komposition der ersten tische Stimmungsbilder einzubauen; nur im
Tondichtung Macbeth, ist durch zahlreiche Skiz- Kopfsatz versinkt die Musik in der Durchführung
zen belegt (Trenner 1977, 1). gelegentlich ins Lyrisch-Kontemplative, und es
Bei der Bearbeitung der Cellosonate ersetzte gehört zu den formalen Stärken des Komponisten,
Strauss das »liebenswürdige« (Schlötterer 1984, genau diese Musik ins Zentrum des elegischen
296) Larghetto ebenso wie das Finale der Erstfas- Epilogs zu stellen.
sung durch zwei neue, weitaus gewichtigere Sätze: Richard Specht schrieb bereits 1921, Strauss
ein grüblerisches Andante in d-Moll und ein kap- habe in seinen jungen Jahren »den ganzen Kursus
riziöses, Elemente von Scherzo und Finale verei- der Musikgeschichte am eigenen Leib absolviert,
nendes 6/8-Allegro. Den schwungvollen Kopfsatz, die ganze Entwicklung der Musik von Haydn und
ein großartiger Wurf, unterzog Strauss einer Mozart über Beethoven, Schumann, Mendels-
gründlichen Revision, die eine erstaunliche Si- sohn, Brahms und Liszt […] produzierend durch-
cherheit beim Erkennen der Schwachstellen ver- gemacht« (Specht 1921, 105). Strauss selbst dürfte
rät. Die formale Achillesferse bleibt allerdings die dieser Einschätzung nicht widersprochen haben.
Durchführung. Vor allem ihr schematischer Auf- Ihn interessierten die bedeutenden Muster, und
bau, bei dem im Kopfsatz ein Fugato nicht fehlen darin bestärkte ihn neben dem Vater wohl auch
darf, verrät noch Unsicherheiten. In der Violin- sein Lehrer Meyer. Jedenfalls hat Strauss sich mit
sonate – und zwar im Kopfsatz wie im Finale – Komponisten seiner eigenen Generation und de-
versucht Strauss, die Durchführung durch die ren Klavier- und Kammermusikproduktion offen-
Einlagerung von separaten Stimmungsbildern bar nicht weiter beschäftigt. Es waren die großen
aufzuwerten wie überhaupt jeden formalen Leer- Meister, von denen er, mit erstaunlicher Non-
lauf, zumal in Überleitungen oder Schlussgruppen chalance, schon in jungen Jahren nahm, was ihn
zu vermeiden – eine Strategie, die er in den Ton- beeindruckte; und dazu gehörten nicht nur die
dichtungen konsequent weiterverfolgen wird. Sie klassischen Perioden und Formen, sondern ebenso
führt etwa in der Kopfsatz-Exposition zu einer die Kunststücke der großen Virtuosen und die
Mehr-Themen-Anlage à la Schubert, mit zwei Belcanto-Gesänge der Oper. Zwar lassen die stilis-
ersten Themen in Es-Dur, einem weiteren in c- tischen Experimente mit wachsender Reife nach.
Moll und einem dritten in B-Dur. Und zu den Aber vergessen hat Strauss sie nicht – wie er
Spezifika des Finales gehört nicht nur der stürmi- ebenso wenig je vergaß, was er den »Klassikern«
sche Beginn, sondern auch – ähnlich wie in der von Haydn bis Brahms für die Ausbildung seiner
Cellosonate – die Verbindung mit dem Scher- musikalischen Sprache verdankte.
zando-Ton, der große Teile der Durchführung
geradewegs zu einem Scherzo im Finale umfunk-
tioniert.
Alle diese Tendenzen eignen auch dem Klavier- Werke für Bläser
quartett, dass darüber hinaus zu den eindrucks-
vollsten Belegen für Strauss’ produktive Brahms- Seit dem Druck seines Streichquartetts (1881)
Rezeption gelten kann; Peter Revers hat dies ana- verfolgte Strauss ein gezielte Kompositions- und
lytisch untermauert und auch auf Parallelen wie Publikationsstrategie. Systematisch eroberte er
Differenzen zu Klavierquartetten von Hermann sich neue Seiten im Katalog seines Verlegers: zu-
Goetz und Heinrich von Herzogenberg verwiesen nächst mit Stücken für Klavier und Ende 1881 mit
(Revers 1999). Jedenfalls bewegt sich Strauss hier wieder einer neuen Besetzung, einer einsätzigen
auf der Höhe seiner Zeit; die klare und dennoch Serenade für 13 Blasinstrumente: je zwei Flöten,
freie Formbehandlung, die dichte motivisch-the- Oboen, Klarinetten und Fagotte, vier Hörner so-
matische Arbeit, die Vielzahl thematischer Gedan- wie Kontrafagott bzw. Basstuba. Hinter dem un-
ken, die Souveränität, mit der sich jeder der vier scheinbaren Titel lag keine geringe Herausforde-
Sätze mit seinem eigenen Ton präsentiert, spre- rung. Denn die Besetzung – vielleicht von Mozarts
24. Klavier- und Kammermusik, frühe Bläserwerke 509

»Gran Partita« KV 361 oder Brahms’ Instrumenta- ber war das Stück fertig und wurde 18. November
tion des Themas seiner Haydn-Variationen op. 56a im Münchner Odeon durch Strauss selbst, der
beeinflusst – verlangte vom Klavier- und Violin- damit sein öffentliches Dirigentendebüt gab, ur-
spieler Strauss genaueste Kenntnisse der spieltech- aufgeführt.
nischen wie der klanglichen Eigenarten der Wieweit Bülows Schema für die Disposition
Blasinstrumente: eine Probe, die der Siebzehnjäh- der beiden letzten Sätze verantwortlich war, ist
rige glänzend bestand. Anders als noch in seiner nicht bekannt, wohl aber, dass Strauss die Gavot-
ersten Symphonie gibt es nun solistische wie tenform genauestens kannte und zeitgleich mit
klangfüllende Aufgaben für nahezu alle Bläser. der Arbeit an der Suite seine Improvisationen und
Und bei der Gestaltung der Partien achtete Strauss Fuge für Klavier geschrieben hatte. Muster gab es
vor allem auf Klangschönheit und Plastizität der also genug, und gerade in der Verbindung der
melodischen Gedanken und vermied alles, was die Bläserbesetzung mit wechselnden Formtypen, die
Übersichtlichkeit bzw. die Durchhörbarkeit er- in der Serenade noch gefehlt hatte, liegt der Reiz
schweren könnte. Dem kommt das gemäßigte der Suite. Kommt hinzu, dass Strauss sich hier
Tempo der Serenade entgegen. Und ihre Ein- unüberhörbar an der Musik von Johannes Brahms
sätzigkeit erlaubte es dem Komponisten, sich ganz orientierte. Das hatte auch taktische Gründe;
auf die im Andante anfallenden Aufgaben zu Strauss wusste, wie sehr Bülow Brahms verehrte.
konzentrieren. Brahms’ 3. Symphonie, für die sich Strauss Anfang
Noch vor der Drucklegung wurde das Stück 1884 begeisterte – sie gehöre »zum Schönsten, Ur-
am 27. November 1882 in Dresden aus der Taufe sprünglichsten und Frischesten, was Brahms ge-
gehoben, durch Bläser der Hofkapelle unter der schaffen« (so im Brief an die Eltern vom 1.2.1884;
Leitung von Kapellmeister Franz Wüllner, der als Schuh 1954, 39) – könnte für einige Passagen ins-
ehemaliger Münchner Dirigent Strauss und seiner besondere der beiden ersten Sätze der Suite Pate
Familie bestens bekannt war. Man kann diese gestanden haben. Archaisch anmutende Akkord-
Premiere getrost als eine der wichtigsten Stationen wechsel, wie sie Brahms im 2. Satz gerade von den
im Leben und der kompositorischen Entwicklung Bläsern vortragen ließ (T. 17 f.), verleihen auch
des jungen Strauss bewerten. Zum ersten Mal er- Strauss’ Romanze einen altertümlichen Tonfall
klang eines seiner Werke außerhalb Münchens, es (T. 9–12), und das ihnen folgende Hornsolo
war der Beginn der später so engen Verbindungen (T. 26–31) verweist insbesondere an seinem Schluss
zwischen Strauss und Dresden, es war die erste deutlich auf das »bald trotzig auffahrende, bald
Zusammenarbeit mit Wüllner, die mit den Kölner geheimnisvoll dahinlaufende« (ebd.) Hornthema
Uraufführungen von Till Eulenspiegel und Don im 3. Satz der Symphonie (T. 100 f.), das Strauss so
Quixote ihre Fortsetzung finden sollte – und gut gefallen hatte. Der thematischen Anlehnung
schließlich verschaffte die Serenade Strauss den korrespondiert Strauss’ Ehrgeiz, der Suite zugleich
Respekt Hans von Bülows, der das Bläserstück ins die Form einer Bläsersymphonie zu geben: Dem
Repertoire seines Meininger Hoforchesters auf- Präludium als Kopfsatz folgen die ruhige Romanze
nahm und es so schätzen lernte, dass er Strauss um und die dreiteilige Gavotte; Introduktion und Fuge
ein weiteres Werk für dieselbe Besetzung bat. »Auf sind als Einleitung und Finale konzipiert. Aller-
Ihre so gütige Aufforderung hin«, schrieb Strauss dings verdient weniger das leichtgewichtige Prälu-
am 9. August 1884 (Schuh/Trenner 1954, 9), »habe dium noch die eher akademische Fuge wirklich
ich in letzter Zeit […] eine Suite für die 13 Blas- die Benennung »symphonisch«, während Strauss
instrumente gearbeitet, deren von Ihnen verfaßtes in den beiden Binnenstücken zeigt, was er kann:
Schema mir leider zu spät kam, um mich ganz zumal in der Gavotte, die einem Scherzo gleicht
danach richten zu können. So aber erhielt ich und mit einer meisterlichen durchbrochenen Ar-
dasselbe von Herrn E. Spitzweg erst, als ich den beit aufwartet.
ersten Satz (Präludium) und den zweiten (Ro- Obwohl sich die Suite neben der Serenade rasch
manze) bereits entworfen hatte und sind nun erst als beliebtes zeitgenössisches Bläserstück eta-
die beiden letzten (Gavotte und Introduktion und blierte – sogar aus Boston wurde nach ihr verlangt
Fuge) nach Ihrer gütigen Angabe.« Am 23. Okto- (wie ein Brief von Strauss vom 19.11.1890 an Lud-
510 Instrumentalmusik

wig Thuille verrät; Trenner 1980, 115) – und man lobte, blieb das Stück zunächst ungedruckt – wo-
in Dresden die »recht sorgfältige, durch Originali- für möglicherweise eine Kritik von Brahms verant-
tät in der Fassung und in den Klangfärbungen wortlich war, dem die Suite im Oktober 1885 in
ausgezeichnete Arbeit, in welcher sich frische Meiningen vorgespielt wurde. Erst 1911, als Strauss
Kraft, edles Streben und große Gewandtheit of- auch darüber längst hinweg war, nahm Adolph
fenbaren« (Dresdner Nachrichten vom 1.3.1885) Fürstner die Suite in seinen Verlag auf.

Literatur

Bülow, Marie von (Hg.): Hans von Bülow. Briefe. VI. –/Trenner, Franz (Hg.): Hans von Bülow/Richard
Band. Meiningen 1880–1886. Leipzig 1907. Strauss: Briefwechsel. In: Richard-Strauss-Jahrbuch
Cadenbach, Rainer: » … jedes Werk in einer anderen 1954, 7–88.
Sprache« oder »zu viel und zu unkritisch«? – Verglei- Steinitzer, Max: Richard Strauss. Berlin/Leipzig 1911.
chende Erwägungen zur Kammermusik von Richard Todd, R. Larry: Strauss before Liszt and Wagner: Some
Strauss. In: Bernd Edelmann/Birgit Lodes/Reinhold Observations. In: Bryan Gilliam (Hg.): Richard
Schlötterer (Hg.): Richard Strauss und die Moderne. Strauss. New Perspectives on the Composer and His
Berlin 2001, 227–249. Work. Durham/London 1992, 3–40.
Mauser, Siegfried: Strauss’ Klaviermusik als signifikante Trenner, Franz (Hg.): Richard Strauss – Ludwig Thuille.
Randerscheinung. In: Bernd Edelmann/Birgit Lodes/ Ein Briefwechsel. Tutzing 1980.
Reinhold Schlötterer (Hg.): Richard Strauss und die –: Die Skizzenbücher von Richard Strauss aus dem Ri-
Moderne. Berlin 2001, 213–225 chard-Strauss-Archiv in Garmisch. Tutzing 1977.
Revers, Peter: Zur Brahms-Rezeption in Richard Strauss’ Warfield, Scott: From »Too Many Works« to »Wrist
Klavierquartett c-Moll op. 13. In: Friedhelm Krum- Exercises«: The Abstract Instrumental Compositions
macher/Michael Struck (Hg.): Johannes Brahms. of Richard Strauss. In: Mark-Daniel Schmid (Hg.):
Quellen – Text – Rezeption – Interpretation. Mün- The Richard Strauss Companion. Westport, CT/
chen 1999, 525–551. London 2003, 191–231.
Schlötterer, Reinhold und Roswitha: Notizen zur Cello- Werbeck, Walter: Die Tondichtungen von Richard
sonate op. 6 von Richard Strauss. In: Horst Leucht- Strauss. Tutzing 1996.
mann/Robert Münster (Hg.): Ars iocundissima. Werley, Matthew Michael: Historicism and Cultural
Festschrift für Kurt Dorfmüller zum 60. Geburtstag. Politics in Three Interwar-Period Operas by Richard
Tutzing 1984, 293–310. Strauss: Arabella (1933), Die Schweigsame Frau (1935)
Schuh, Willi (Hg.): Richard Strauss. Briefe an die Eltern and Friedenstag (1938). Ph. D. Diss., Oxford 2010.
1882–1906. Zürich/Freiburg 1954.
WIRKUNG
512

25.
Strauss und die Komponisten seiner Zeit
Von Jürgen Schaarwächter

Als einzigem deutschen Komponisten seiner Ge- sprächsstoff, dessen war er sich bewusst, doch ließ
neration ist es Richard Strauss gelungen, mit er sich dadurch nur wenig beeindrucken. Ob es
mehreren Gattungen international nachhaltig er- um die Aufführung der Symphonia domestica im
folgreich zu sein, und das bereits zu Lebzeiten. Die New Yorker Warenhaus Wanamaker 1904 ging,
Kantabilität seiner Melodien hat dafür gesorgt, sein Verlagshonorar für dasselbe Werk oder das
dass ihn Sänger weltweit auf ihre Programme set- ›Skandalsujet‹ von Salome: Immer wieder wurde
zen, der Schwung und der Klangreichtum seiner die Kritik an den Kompositionen mit der Kritik
Orchesterwerke machen ihn zu einem Liebling an externen Faktoren vermischt. Der Hinweis,
der auf Klangsinn bedachten Dirigenten und die Strauss habe sich von den Tantiemen der Salome
Sinnlichkeit einiger seiner Opern hat ihn auch auf seine erste Villa geleistet, geht zwar auf ihn selbst
den Bühnen in aller Welt Fuß fassen lassen. zurück, besagt jedoch wenig, betrachtet man die
Natürlich gab es Kritiker, die aus dem einen finanzielle Situation seiner komponierenden Zeit-
oder anderen Grund mit Strauss’ Musik nichts genossen. Selbst Max Reger besaß mit 42 Jahren
anfangen konnten, doch muss in jedem einzelnen 1915 früher eine eigene Villa als der 24-jährige
Fall der genaue Kontext ihrer Äußerungen im Richard Strauss 1908 (allerdings war schon 1906 in
Blick behalten werden. Grundsätzliche ästhetische den renommierten Münchner Neuesten Nachrich-
Differenzen sind nicht immer eine Kritik an ten der Ankauf des Grundstücks in Garmisch öf-
Strauss’ Kompositionen selbst, sondern häufig nur fentlich verkündet worden). Nebenbei ist auch
an seinen Sujets oder an seinem Umgang mit ih- überliefert, dass wiederum Strauss die Tantiemen
nen. Es wäre fatal, würde man das Unverständnis von Operettenkomponisten vom Schlage eines
und die Anfeindungen, denen sich Strauss wegen Franz Lehár neidisch beäugte (Panofsky 1965, 193).
der Sujets von Opern wie Salome, Intermezzo, Die Die Geschichte der Richard-Strauss-Rezeption
Ägyptische Helena oder von Tondichtungen wie ist auch eine Geschichte persönlicher Zu- und
Symphonia domestica oder Ein Heldenleben ausge- Abneigungen, eine Geschichte von Neid und
setzt sah, als pauschale Kritik an Strauss’ kompo- Missgunst, von abweichenden ästhetischen Kon-
sitorischen Fertigkeiten ansehen. zepten oder religiösen Überzeugungen. Entspre-
Schon früh äußerten verschiedene Zeitgenos- chend empfindlich konnte Strauss reagieren,
sen Zweifel an der Angemessenheit von Strauss’ wenn andere sich – aus seiner Perspektive – an
großem Selbstbewusstsein – ausgelöst etwa durch seinen Erfolg anhängen und von diesem profitie-
die autobiographischen Verbindungen zu Ein ren wollten.
Heldenleben. Berühmt ist seine Äußerung: »Ich Zahlreiche kritische Äußerungen von Strauss
sehe nicht ein, warum ich nicht eine Symphonie gegenüber der Musik seiner Zeitgenossen sind
über mich selbst schreiben sollte. Ich finde mich überliefert. Strawinsky etwa empfahl er, L’oiseau de
ebenso interessant wie Napoleon oder Alexander« feu nicht pianissimo beginnen zu lassen: »Da hört
(Hülle-Keeding 1994, 226). Strauss lieferte Ge- das Publikum niemals zu. Man muß es beim ers-
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 513

ten Akkord durch großes Getöse überraschen, ßen Meister[n] der französischen Musik« (Hülle-
dann folgt es sogleich, und hinterher können sie Keeding 1994, 21). Von Jean Sibelius hob er 1905 in
machen, was Sie wollen« (Burde 1982, 63). Für Berlin die Endfassung des Violinkonzerts d-Moll
Strauss’ Perspektive auf Puccinis Musik ist es be- aus der Taufe, und die Sinfonia romantica des Ita-
zeichnend, wenn er in einem Brief an Clemens lieners Antonio Scontrino führte Strauss nicht nur
Krauss vom 14. September 1939 Puccini »mit einer 1913 in Berlin im Konzert auf, sondern verfasste
delikaten Weißwurst« vergleicht, »die um 10 Uhr am 13. April 1915 auch ein Gutachten auf dem Ti-
Früh (2 Stunden nach Fabrikation) gegessen wer- telblatt der handschriftlichen Partitur. Es lautet:
den muß (allerdings hat man um 1 Uhr schon »La simphonie me ressemble très remarquable,
wieder Appetit auf etwas reelleres), während die très sérieuse, de forme invention, ex[c]ellent
Salami (compakter gearbeitet) eben doch ein biß- travail et très bien instrumentée et je souhaite à
chen länger vorhält« (RSCK 240). Auch das Ver- l’œuvre le meilleur succès« (A. Scontrino 1999,
hältnis zwischen Strauss und Debussy war nicht 85 f.; König 2011, 586, 198).
ungebrochen – so wusste Strauss etwa mit Pelléas In der Folge sollen das zeitgenössische kompo-
et Mélisande nichts anzufangen: »Es gibt nichts … sitorische Umfeld und die Rezeption von Strauss’
Keine Musik … Da geht nichts weiter … da hängt Werk auf den drei für seine Wirkung ausschlag-
nichts zusammen … keine musikalischen Phrasen. gebenden Gebieten betrachtet werden: Orchester-
Keine Entwicklung« (Hülle-Keeding 1994, 182). musik, Oper und Lied.
Debussy bewunderte Strauss für seinen Klangfar-
benreichtum (»In der Musik von Richard Strauss
ist Sonne, ich kann es Ihnen versichern«; Debussy
1982, 143) und bezeichnete ihn als brillanten Tech- Orchestermusik
niker: »Er stellt die entferntesten Tonarten völlig
ungerührt übereinander und kümmert sich nicht Trotz des unzweifelhaften Einflusses, den Strauss
darum, ob sie die Ohren ›beleidigen‹ könnten, mit seinen Tondichtungen ausübte, wäre es über-
sondern verlangt von ihnen Lebendigkeit und trieben, würde man jede spätere orchestrale Pro-
nichts als Lebendigkeit« (Debussy 1982, 141). An- grammmusik ausschließlich auf sein Vorbild be-
dererseits rügte er in späteren Jahren aber auch ziehen. Er selbst sah sich u. a. in einer durch Ber-
gewisse Wendungen, »die das Banale oder den lioz und Liszt begründeten Traditionslinie (Brosche
schlimmsten Italianismus« streiften (Panofsky 1977, 5, Faksimile 4), keineswegs wollte er ›das
1965, 197); 1914 charakterisierte er Strauss gar als Rad neu erfinden‹. Berühmt ist seine Äußerung
einen Komponisten, »dessen Klugheit darin be- zur ›modernen Musik‹: »Modern! Was heißt, mo-
steht, zu wissen, wie man das reine Nichts kompo- dern? Betonen Sie mal das Wort anders! Habt
niert« (Nichols 1993, 240). Einfälle wie Beethoven, kontrapunktiert wie Bach,
Doch es gab auch Kollegen und Zeitgenossen, instrumentiert wie Mozart und seid echte und
zu denen gegenseitige Hochachtung und Respekt wahre Kinder eurer Zeit, dann seid ihr modern!«
bestanden. Emil Nikolaus von Reznicek war ein (Strauss 1952, 47).
solcher, den Stefan Zweig als Strauss’ Logiergast In der Tat entwickelte Strauss, zusammen mit
erleben konnte (Thomas 1964, 94). Gustave Char- zahlreichen Zeitgenossen, die ›Programmsympho-
pentiers Oper Louise besuchte Strauss in Paris nie‹ (Schaarwächter 1994, 50–100) wie auch die
gleich zweimal hintereinander und empfahl sie Symphonische Dichtung zu einer eigenständigen
anschließend umgehend an die Berliner Oper; Gattung, die 1905, als Strauss selbst die Tätigkeit
Charpentier hatte ihn zuvor nach einer Auffüh- auf diesem Gebiet weitgehend eingestellt hatte,
rung von Ein Heldenleben überwältigt mit den noch in großer Blüte stand. Aber wäre es richtig,
Worten begrüßt: »Sie sind ein ganz Großer!« Jean Sibelius, Arnold Bax, Alexander Skrjabin und
(Hülle-Keeding 1994, 160). Den Juden Paul Du- Claude Debussy, die durchaus eigene Konzepte
kas (der sich seit 1897 als Musikkritiker intensiv verfolgten, als durch Strauss beeinflusst zu be-
mit Strauss’ Orchestermusik auseinandergesetzt zeichnen? Zahlreiche Komponisten nutzten seit
hatte) zählte Strauss 1935 provokant zu den »gro- dem frühen 20. Jahrhundert die vielfältigen Mög-
514 Wirkung

Tondichtungen nach 1900 (Auswahl)

Marco Anzoletti, L’ospite della terra (1913)


Granville Bantock, Thabala the Destroyer (1900), Dante (1901, rev. Dante and Beatrice, 1910),
Hudibras (1902), The Witch of Atlas (1902), Lalla Rookh (1902), Fifine at the Fair (1911)
Béla Bartók, Kossuth (1903)
Arnold Bax, Into the Twilight (1908), In the Faery Hills (1909, rev. 1921), Christmas Eve (1912),
The Garden of Fand (1913, orch. 1916), November Woods (1917), Tintagel (1917–19)
Arthur Bliss, Hymn to Apollo (1926, rev. 1965)
Ernst Boehe, Taormina op. 9 (1905–06)
Havergal Brian, In Memoriam (1910), Doctor Merryheart (1911/12)
Frank Bridge, Isabella (1907), Summer (1914)
Ferruccio Busoni, Gesang vom Reigen der Geister op. 47 (1915)
André Caplet, Salambô (1902)
Alfredo Casella, Italia op. 11 (1909)
Claude Debussy, La Mer (1903–05), Images (1905–12)
Frederick Delius, Eventyr (1917), Poem of Life and Love (1918/19)
Edward Elgar, Falstaff op. 68 (1913)
Grzegorz Fitelberg, Pies’n’ o sokole op. 18 (1905)
Hamilton Harty, With the Wild Geese (1910), The Children of Lir (1938/39, mit Sopransolo)
Josef Holbrooke, The Raven op. 25 (1900), The Viking op. 32 (1901), The Bells op. 50 (1903, mit Chor),
Ulalume op. 35 (1903), Byron op. 39 (1904, mit Chor ad lib.), The Birds of Rhiannon op. 87 (1920)
Arthur Honegger, Le chant de Nigamon (1917), Pacific 231 (1923)
Jacques Ibert, La Ballade de la geôle de Reading (1921)
Vincent d’Indy, Poème des rivages op. 77 (1919–21), Diptyque méditerranéen op. 87 (1925/26)
John Ireland, The Forgotten Rite (1913), Mai-Dun (1920/21)
Mieczysław Karłowicz, Powracaja˛ce fale op. 9 (1903/04), Stanisław i Anna Os’wiecimowie op. 12 (1907)
Franz Lehár, Fieber (1915, mit Tenorsolo)
Anatolij Ljadov, Kikimora op. 63 (1905), Volschebnoje ozero (Le lac enchanté) op. 62 (1909),
Iz Apokalypsisa (Fragment de l’Apocalypse) op. 66 (1910–12)
Sergej Ljapunov, Zelazowa Wola op. 37 (1909), Haschisch op. 53 (1913)
Charles Martin Loeffler, La Mort de Tintagiles op. 6 (1897, rev. 1900), Poem (1901, rev. 1915),
A Pagan Poem op. 14 (1904–06)
Gino Marinuzzi, Sicania (1909)
Pietro Mascagni, Rapsodia satanica (1915)
Nikolaj Mjaskowski, Molchanije op. 9 (1909/10), Alastor op. 14 (1912/13)
Italo Montemezzi, Paolo e Virginia (1929), Italia mia! nulla fermerà il tuo canto! (1944)
Carl Nielsen, Pan og Syrinx op. 49 (1917/18)
Vítězslav Novák, V Tatrách op. 26 (1902, rev. 1905 & 1907), O věčné touze op. 33 (1903–05),
Toman a lesní panna op. 40 (1906/07), Pan op. 43 (1910), De profundis op. 67 (1941)
Hubert Parry, From Death to Life (1914)
Gabriel Pierné, Paysages franciscains op. 43 (1919), Gulliver au pays de Lilliput (1935)
Francesco Balilla Pratella, Romagna opp. 17–21 (5 Sinfonische Dichtungen, 1903–04)
Henri Rabaud, La procession nocturne op. 6 (1899)
Sergej Rachmaninov, Ostrov mjorthvikh (Die Toteninsel) op. 29 (1909)
Max Reger, Vier Tondichtungen nach A. Böcklin op. 128 (1913)
Ottorino Respighi, Fontane di Roma (1915/16), Pini di Roma (1923/24), Feste romane (1928)
Jean Roger-Ducasse, Marche française (1916–20), Epithalame (1922)
Joseph-Guy Ropartz, La chasse du Prince Arthur (1911/12), Soir sur les chaumes (1913)
Victor de Sabata, Juventus (1919), La notte di Plàton (1923), Gethsemani (1925)
Arnold Schönberg, Pelleas und Melisande op. 5 (1902/03)
Cyril Scott, Neptune (1933)
Jean Sibelius, Pohjolan tytär op. 49 (1905/06), Oinen ratsastus ja auringonnousu (Nächtlicher Ritt und
Sonnenaufgang) op. 55 (1908), Dryaden op. 45 Nr. 1 (1910), Barden op. 64 (1913), Aallottaret
(Die Ozeaniden) op. 73 (1914), Tapiola op. 112 (1926)
Aleksandr Skrjabin, Poema ekstaza (Le poème de l’extase) op. 54 (1905–08), Prometey, poema ognija
(Prométhée, le poème du feu) op. 60 (1908–10, mit Klavier und Chor)
Igor Strawinsky, Chant du rossignol (1916/17)
Enrico Toselli, Il fuoco (1906)
Johan Wagenaar, Saul en David op. 24 (1906), Elverhoï op. 48 (1939)
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 515

lichkeiten, die die ›Programmsymphonie‹ und die Strauss’ Ruhm in Sachen Orchestrierung ba-
›Tondichtung‹ boten (vgl. die beiden tabellarischen siert auf drei Faktoren, die aufeinander aufbauen:
Zusammenstellungen). Von besonderem Reiz war (1) Strauss konnte von Oktober 1885 bis April
natürlich die Emanzipation der orchestralen Klang- 1886 Erfahrungen in Meiningen als Dirigent im
farbe, deren Reichtum nunmehr in verschiedener- Schatten Hans von Bülows machen. Auch wenn
lei Hinsicht erkundet wurde. dies nur ein Baustein in Strauss’ musikalischer
Richard Strauss gilt als Meister der spät- oder Entwicklung war, scheinen doch diese Meininger
nachromantischen Orchesterbehandlung (Gruhn Eindrücke durchaus bedeutsam, gerade weil
1968). Zahlreiche seiner komponierenden Zeitge- Strauss es 1909 rückblickend selbst so sah: »[…]
nossen haben, trotz durchaus eigener musikalischer sein hinreißendes Temperament, stets von strengs-
Vorstellungen, gerade seine Tondichtungen als ter, künstlerischer Disziplin und einer Treue gegen
wichtigen Impuls zur Komposition empfunden. den Geist und – Buchstaben des Kunstwerkes
Béla Bartók etwa bekannte in seinen Erinnerun- (beides ist mehr identisch, als gemeinhin geglaubt
gen, 1902 habe ihn eine Aufführung von Also sprach wird) regiert, brachte in peinlichsten Proben die
Zarathustra aus einer Schaffenskrise gerissen: »End- Werke zu einer Reinheit der Darstellung, die für
lich erblickte ich eine Richtung, einen neuen Weg. mich heute noch den Gipfel der Vollkommenheit
Ich stürzte mich auf das Studium der Straussschen der Wiedergabe von Orchesterwerken bedeutet«
Partituren und begann wieder zu komponieren« (Strauss 1981, 186). Es scheint, dass Bülow durch
(Tallián 1988, 31). Unmittelbares Ergebnis dieses die Schärfung der Wahrnehmung der Individua-
Erlebnisses war Bartóks Symphonische Dichtung lität eines jeden Kunstwerkes auch Strauss’ Be-
Kossuth (1903). Auch zahlreiche andere Komponis- wusstsein für die Gestaltung des Orchesterklangs
ten ließen sich in ihren Jugendjahren von Strauss’ maßgeblich prägte.
Orchesterkompositionen inspirieren: Cyril Scott (2) Strauss überarbeitete Alfred Dörffels Über-
etwa, der Däne Rudolph Simonsen (in seiner setzung der Instrumentationslehre von Hector Ber-
Ouvertüre g-Moll, 1910), Karol Szymanowski (Kon- lioz. Diese Neuausgabe von 1905 fand äußerst
zertouvertüre E-Dur op. 12, 1906) und Sergej Pro- weite Verbreitung und wurde insbesondere von
kofjew, der als junger Musikstudent Don Juan, Till angehenden Komponisten verschlungen. Ihr Ein-
Eulenspiegels lustige Streiche, Tod und Verklärung fluss beispielsweise auf Havergal Brians (1876–1972)
und Symphonia domestica vierhändig spielte. Ob- Strauss gewidmete Gothic Symphony (1919–27) mit
wohl es der Politik (nicht nur) der Londoner Royal ihren ungewohnten Instrumentenkombinationen
Academy of Music widersprach, empfahl John war eminent. Brian hebt neben der Meisterschaft
Blackwood McEwen seinem Schüler William der Orchesterbehandlung auch Strauss’ Kontra-
Alwyn: »to throw away my text-books. ›Go and get punktik und sein »wonderful gift of melody and
the scores of Debussy’s L’Après-midi d’un faune and massed effect« hervor (Brian 1924/2010, 57).
Strauss’s Don Juan; you will learn more from them Arnold Bax (1883–1953), heute bekannt für
than anything I can teach you!‹« (Alwyn 1992, 3 f.). seine Tondichtungen und klangfarbenreichen
So überrascht es nicht, dass man Josef Holbrooke Symphonien, beschreibt die Wirkung auf die
(1878–1958), vormals selbst Student an der Royal jungen englischen Komponisten an der Royal
Academy of Music und später profilierter Kompo- Academy folgendermaßen: »[…] in 1902 the
nist zahlreicher Tondichtungen, den Titel eines music of Strauss poured into this country in full
»English Strauss« (Swaffer 1922, 659) überstülpte flood. And what a to-do there was! Each work to
und ihm damit zugleich über lange Jahrzehnte In- arrive proved more breath-taking and contro-
dividualität und eigenen Wert absprach. Und selbst versial than the last. Wagner had made music
wenn sich Igor Strawinsky später immer wieder the language of passion, and now in Richard the
stark von Strauss distanzieren wollte, ist eine zu- Second neurosis became vocal. Ancient and pe-
mindest zeitweise musikalische Affinität nicht ganz dantic ears were assaulted by novelties of all kinds.
von der Hand zu weisen. Walter Panofsky schreibt: Seemingly perverse progressions – the swaying in
»Was dem einen Till Eulenspiegel, war dem anderen and out of keys and back again – titillating wrong
Petrouchka« (Panofsky 1965, 250). notes – melodies in enormous sweeps hitherto
516 Wirkung

undreamed of (e. g. the opening of Ein Helden- die Verwendung deutscher Titel für die Variatio-
leben), and beside all these the lusciousness and nen, aber auch durch die Titel der Variationen
languor of those delayed cadences creating the selbst: »Grillen und Sonnenschatten – Lächeln und
effect of long-drawn-out summer sunset« (Bax Stürme – Träume: Schlummernd in den Armen
1953/1992, 131). der Venus – Als ritterlicher Kämpe verfolgt Merry-
(3) Die Straussische Klangsensualität war im heart den Blaubart – Merryheart kämpft mit dem
Grunde ein typisches Element des Fin de siècle Drachen – Merryheart führt einen Zug Helden –
und lässt sich, in unterschiedlicher Ausprägung, Merryheart ist wach – Merryhearts Tanz.« (Brians
bei vielen westeuropäischen Musikern feststellen Zwischentitel finden sich in der gedruckten Parti-
(Wolff 1954, 341). Zusammen mit seinen Zeitge- tur, die seinerzeit bei Breitkopf & Härtel London
nossen erntete Strauss die Früchte dessen, was erschien, auf Deutsch und Englisch.) Die letzten
Wagner und Liszt gesät hatten. Es ist deshalb zwei Titel entlarven Merryhearts ›ritterliche Erleb-
schwierig auf den Punkt zu bringen, worin Strauss’ nisse‹ als Träume – wobei parodierende Verweise
individuelle Technik der Orchestrierung besteht. auf Wagner (Tannhäuser, Siegfried ) einen grotes-
Studien zu seiner Orchesterbehandlung sind, so- ken, teilweise geradezu skurrilen und bisweilen nur
weit vorhanden, nicht komparatistisch angelegt; mehr sarkastischen Humor aufblitzen lassen.
es mangelt an Vergleichen sowohl mit den inter- Auf ganz andere Art parodiert Alfredo Casella
nationalen Zeitgenossen als auch mit seinem Strauss’ ›Heroismus‹. In seiner keine zwei Minu-
engsten Umfeld (Ernst Boehe, Max von Schillings, ten langen Symphonia molestica für Klavier beweist
Ludwig Thuille). Anders liegen die Dinge, wenn er eine »perfekte Kenntnis der melodischen, rhyth-
bestimmte Tondichtungen (allen voran Don Juan mischen und harmonischen Merkmale von Strauss
mit seinem »auftrumpfenden[n] ›dionysische[n]‹ [… und] wendet sich hauptsächlich Heldenleben
Lebensgefühl«, Keym 2011, 113) Vorbildcharakter und Don Juan zu, dessen Themen verformt« (Sat-
in Melodie- oder Harmoniegestaltung sowie In- ragni 2011, 87) und in geschickter Montage er-
strumentation hatten oder Strauss’ Sujets ins scheinen. Das Hauptthema des Heldenleben eröff-
Zentrum gerieten. So seien hier beispielhaft zwei net (in der Originaltonart) Casellas knappe Sona-
Kompositionen genannt, die beide in ganz unter- tensatzform, um sogleich danach rhythmisch in
schiedlicher Weise auf Ein Heldenleben (bzw. Don Richtung von Don Juan abgewandelt zu werden
Quixote) reagieren. (Satragni 2011, 87–103, mit vollständiger Analyse
Edward Elgars (1857–1934) »Symphonische und Abdruck der Komposition).
Studie« Falstaff op. 68 (1913) ist mehrfach (u. a. Auch Strauss’ ›Programmsymphonien‹ Sympho-
Rushton 2004, 142) in die Reihe der großen ›cha- nia domestica und Eine Alpensinfonie – vor allem
rakterisierenden‹ Tondichtungen Macbeth – Don letztere – stehen in einer dem 19. Jahrhundert
Juan – Till Eulenspiegels lustige Streiche – Ein Hel- entstammenden Tradition, deren bekanntester
denleben – Don Quixote eingereiht worden (vgl. Exponent Liszt war. Nicht leicht fällt der Nach-
z. B. Tovey 1937), und in der Tat fällt es schwer, weis, wie deutlich spätere Komponisten auf
sich das Stück ohne Strauss vorzustellen. Strauss oder auf die Gattung der Programmsym-
Weitaus stärker als Falstaff muss Havergal phonie Bezug nahmen, wenn sie sich mit diesem
Brians »Comedy Overture« Doctor Merryheart Genre befassten. Mehr als die direkte Referenz ist
(1911–12) mit ihrem an Don Quijote gemahnenden immer wieder die Anlehnung an einzelne Merk-
Helden unmittelbar mit Strauss in Verbindung male insbesondere der Alpensinfonie zu beobach-
gesetzt werden (die Ouvertüre gehörte bis zum ten, etwa am Beginn von Granville Bantocks
Zweiten Weltkrieg zu Brians populärsten Werken; (1868–1946) kurz nach der Alpensinfonie entstan-
schon 1913 wurde sie von Henry Wood in den denen Hebridean Symphony (1915): Aus einem ne-
Londoner Promenade Concerts aufgeführt; belhaften, vielfarbigen Klang und aus der Tiefe
Schaarwächter 2002, 106). In diesem Werk, einem aufsteigend entwickelt sich langsam das themati-
ausgewachsenen Variationenzyklus über verschie- sche Material, das, auch wenn es wie bei Strauss
dene Motive, erweist Brian in gleich mehrfacher einen eindeutig aufsteigenden Grundgestus hat,
Hinsicht dem ›Meister‹ die Reverenz, etwa durch doch ebenso eindeutig schottischem Volksgut
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 517

Notenbeispiel 1: Bantock, Hebridean Symphony

entnommen ist. Wie bei Strauss scheint die Sonne folgen wahrzunehmen (die allerdings früheren
aufzugehen, und in der steten Steigerung vermeint Tondichtungen entstammen).
man auch immer wieder Strauss’sche Harmonie- Naturgemäß verursachte die Symphonia do-
mestica unter Strauss’ beiden Programmsympho-
nien den größeren Wirbel, nicht nur wegen des
Programmsymphonien ab 1903 Sujets, sondern auch weil Strauss das Stück äußerst
(Auswahl) erfolgreich vermarktete. Ernest Newman, der re-
nommierte britische Kritiker, schrieb: »The Sym-
phonia domestica I take to be the work of an
Granville Bantock, Hebridean Symphony enormously clever man, who was once a genius«
(1915), Pagan Symphony (1923–28),
The Cyprian Goddess (1939) (Newman 1905, 304). Auch Max Reger äußerte
Arnold Bax, Spring Fire (1913) sich kritisch über die »ungenießbare Banalität« der
Arthur Bliss, A Colour Symphony (1921/22) »›Domestiquen-Symphonie‹ des amerikanischen
Ernst Boehe, Aus Odysseus’ Fahrten op. 6
(nicht offiziell als Sinfonie bezeichnet, Warenhausdirigenten« (ausführliches Zitat in
1903–05) Schaarwächter 2003, 12 f.). Gewissermaßen mag
Hakon Børresen, 2. Sinfonie op. 7 Havet (1904) die ›poetische Idee‹ (Schaarwächter 1994, 67–79)
Cecil Armstrong Gibbs, Sinfonie B-Dur op. 101
Westmorland (1944)
der Symphonia domestica – nicht selten bewusst
Louis Glass, 5. Sinfonie op. 57 Sinfonia svastika oder unbewusst missgedeutet – bei den Zeitgenos-
(1919–20), 6. Sinfonie op. 60 Skjoldungeæt sen jedweden Zweifel, welche Sujets zur Kompo-
(1924) sition geeignet waren, zerstreut haben. Wenn man
Reinhold Glière, 3. Sinfonie op. 42
Il’ja Muromec (1911) selbst private Themen wählen konnte, war so gut
Hamilton Harty, An Irish Symphony wie alles möglich.
(1904, rev. 1915 and 1924) Gerne wird Strauss als Urvater der Filmmusik
Josef Holbrooke, 3. Sinfonie op. 90 Ships (1925)
Jacques Ibert, Symphonie marine (1931) apostrophiert, wenngleich jene Kompositionen, in
Gian Francesco Malipiero, Sinfonia degli eroi denen er selbst dieser Gattung am nächsten kam –
(1905), Sinfonia del mare (1906), die Musik zu den Lebenden Bildern TrV 167 (1892),
Sinfonie del silenzio e de la morte (1909/10)
Joseph Marx, Eine Herbstsymphonie (1920/21)
zum Rosenkavalier-Film (1925) und das Interludio
John Blackwood McEwen, Solway Symphony zu Idomeneo TrV 262 (1930), vielleicht sogar die
(1911) Festmusik zum 2600jährigen Bestehen des Kaiserreichs
Emil Młynarski, Sinfonie op. 14 Polonia Japan TrV 277 (1940) –, bis heute nur geringes
(1910/11)
Francesco Paolo Neglia, Sinfonia Italo-Tedesca Interesse auf sich gezogen haben. Vielmehr hat
(1912) Strauss, zusammen mit seinen Zeitgenossen, die
Carl Nielsen, 4. Sinfonie op. 29 stimmungsmalerischen Möglichkeiten der Or-
Det uudslukkelige (1914–16)
Ignacy Jan Paderewski, Sinfonie op. 24 Polonia chestermusik um ein Vielfaches erweitert und
(1903–09) damit Möglichkeiten eröffnet, die die folgenden
Antonio Scontrino, Sinfonia romantica Generationen ab den 1930er Jahren, also lange
(1901–11)
Rudolph Simonsen, 2. Sinfonie Hellas (1921)
nach Strauss’ wichtigsten Orchesterkompositio-
Josef Suk, Asrael Sinfonie op. 27 (1905/06) nen, insbesondere für den Tonfilm nutzten. Es ist
Ralph Vaughan Williams, A London Symphony nicht überraschend, dass diverse jener Komponis-
(1911–13), A Pastoral Symphony ten, die zunächst Tondichtungen schrieben, sich
(1916–21, rev. 1950–51, mit Sopransolo)
später auch der Filmmusik zuwandten.
518 Wirkung

Oper Sensation! Aber sehe es Dir an; kaufe Dir aber


nicht den Klavierauszug; der ist die 16 M nicht
Auch im Bereich der Oper lässt sich Strauss dem wert!« (Reger 1986, 122).
Zeitgeschmack zuordnen. Ohne sonderlich mo- Auch Sergej Prokofjew lernte das Werk über
derne Werkstrukturen befand er sich gleichwohl den Klavierauszug kennen, den Mjaskovskij ihm
mit seinen Sujets nicht selten eng am Puls der mit dem Hinweis vorstellte, dies sei nun die mo-
Zeit, gleich ob es sich um das wilhelminische, dernste aller modernen Kompositionen (Prokof-
›historistische‹ Kaiserreich handelte oder die ›Zeit- jew 1981, 283). Wie Reger äußerten sich andere
oper‹ der 1920er-Jahre. Mit Salome gelang ihm ein Komponisten der jüngeren Generation Salome
regelrechter Geniestreich, und zwar nicht nur ein gegenüber skeptisch. Offensichtlich gab der Kla-
musikalischer, sondern auch einer des Marketings. vierauszug ein äußerst unbefriedigendes Bild, das
Das Salome-Motiv war gegen Ende des 19. Jahr- Klangerlebnis stellte sich nur über die Partitur ein.
hunderts längst in Mode gekommen. Weit ver- Und so überrascht es nicht, dass der österreichi-
breitet in den bildenden Künsten (Gustave Mo- schen Erstaufführung im Mai 1906 in Graz eine
reau, Gustav Klimt, Max Klinger, Franz von ganze Reihe bekannter Persönlichkeiten bei-
Stuck), war es auch in Jules Massenets 1879–81 wohnte, darunter Gustav und Alma Mahler, Ar-
entstandener Oper Hérodiade präsent. Das verfüh- nold Schönberg, Alban Berg und Giacomo Puc-
rerische nackte Weib, der Untergang des Mannes, cini. Letzterer zitierte später ironisch das Motiv
wurde zu einem der prägenden Themen des Fin der Heroine in seiner ›commedia lirica‹ La rondine
de Siècle – und Mata Hari zu seiner realen Mani- (Girardi 2011, 55):
festation.
Nicht von ungefähr griff Oscar Wilde 1891 das
Sujet auf, und selbst im freizügigen Paris konnte
sein Theaterstück erst 1894 seine Uraufführung
erleben, nachdem es von der englischen Zensur
abgelehnt worden war. Strauss sprang gewisserma-
ßen auf diesen ›Skandalzug‹ auf, als er sich ent-
schied, das berüchtigte Bühnenstück zu vertonen.
Manch einer, der sich stärker dem bürgerlichen
Lager verbunden fühlte, konnte nicht umhin, sich Notenbeispiel 2: Puccini, La rondine
von einem solchen Thema zu distanzieren, etwa
Max Reger 1907: »Eine ›Salome‹ von mir werden Rund fünfzig Jahre später zitierte auch der briti-
Sie nie erleben, weil ich zu gesund bin an einen sche Komponist William Walton in seinem Opern-
solchen perversen Text zu gehen« (Becker 2011, 27). einakter The Bear (1965–67) den Tanz der sieben
Doch hatte Reger auch musikalische Einwände Schleier, wenn er seinen Helden, Smirnov, von der
gegen das Werk. Nach der Lektüre des Klavieraus- verführerisch jungen, aber noch zögernden Witwe
zugs (!) schrieb er Karl Straube am 10. September Popova sprechen lässt, die es ihm angetan hat:
1906, zwei Monate vor der Münchner Erstauffüh- Put off those widow’s weeds.
rung: »Übrigens hab’ ich Salome von Strauss mir Unveil, as did Salome!
letzthin genau angesehen! Dieses Werk ist der
musikalische Bankrott von Strauss; es soll ja be-
rauschend, nervenzerrüttend klingen – also Farbe,
nichts als Farbe –, die musikalischen Qualitäten
sind unter aller Kanone; es ist da nicht ein Motiv,
nicht ein Gedanke, der was taugte; das Hauptlie-
besmotiv ist entsetzlich in seiner Banalität; NB.
eine notengetreue Reminiszenz des ›er küßte sie‹
aus ›Tom der Reimer‹ von Löwe! Du siehst also
daraus, die musikalische ›Höhe‹ dieser neuesten Notenbeispiel 3: Walton, The Bear
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 519

Es ist nicht anzunehmen, dass Vincent d’Indys wicklungen; so kürzte er im Gegensatz zu Strauss
Schüler Antoine Mariotte (1875–1944) eine Art nicht die in der Eröffnungsszene berichteten Ge-
›Gegenentwurf‹ zu Strauss’ Oper vorlegen wollte, schehnisse um die Ermordung des ersten Mannes
als er 1902–05 eine Salomé (ebenfalls auf Wildes der Hérodias.
Text) schuf. Mariotte musste sich an Strauss wen- Die Partitur wurde als interessant bewertet,
den, dem die Nachlassverwalter Wildes das Exklu- sowohl in der Themenbehandlung als auch in
sivrecht zur Vertonung des Dramas erteilt hatten. der Orchestration, und der Pariser Musikkritiker
Ursprünglich hatte Strauss aufgrund schlechter Pierre Lalo unterstrich neben den Vorbildern De-
Erfahrungen (s. u. den »Caso Cassandra«) gar nicht bussy und d’Indy die Originalität des Komponis-
antworten wollen, dann aber dem Franzosen, der ten Mariotte. Eben jene Kritiker, die an Strauss’
um die Erlaubnis für zwei Aufführungen der Oper Oper Anstoß genommen hatten, lobten nun
ersucht hatte, am 31. Mai 1907 die Genehmigung Mariottes Oper als Beispiel für guten Geschmack
erteilt, seine Oper überall und so oft er wolle auf- und Sittlichkeit. Paul Landormy würdigte Ma-
zuführen. Hierbei hatte er allerdings vergessen, riottes Stil als einen »ton simple et direct qui va
dass alle Rechte am Libretto seinem Verlag Adolf droit au but, la phrase nette et franchement
Fürstner übertragen waren, so dass sich Mariotte découpée, les rythmes farouchement énergiques«
an diesen wenden musste. Das Ergebnis war nie- (Astor 2006, 16), und während Georges Pioch
derschmetternd: Mehrfach lehnte, auch wegen 1910 die Wortbehandlung »monocorde« fand (be-
negativer Artikel in der französischen Presse, der dingt durch die stark textbezogene musikalische
Verlag es ab, Wildes Drama für Mariotte freizuge- Prosodie und den konsequenten Verzicht auf
ben; zwischenzeitlich forderte er, Mariotte müsse Ariosi), lobte er gleichzeitig die Behandlung des
die Hälfte der Aufführungseinkünfte an Strauss Orchesters: es sei »tout baigné de langueurs de la
und ihn abführen und sämtliches Stimmenmate- lune, du mystère angoissant quelle verse« (Astor
rial nach Gebrauch in nur einer Saison dem Verlag 2006, 17). Bezeichnend ist besonders die von
zur Vernichtung zuleiten. Strauss abweichende Stimmbesetzung: Salomé ist
Erst auf Vermittlung Romain Rollands kam wie ihre Mutter Hérodias für Mezzosopran ge-
neues Leben in die Angelegenheit. Rolland wies setzt, der Hérode für Bass (statt wie bei Strauss für
Strauss in einem Brief vom 29. Juni 1909 (Hülle- Tenor), wodurch bei Salomé und Hérode schon
Keeding 1994, 126 f.) darauf hin, dass Mariotte im von der Stimmlage her das Hysterische deutlich
Oktober 1897, ein Jahr nach seiner Ernennung abgemildert erscheint. Weniger das Dekadent-
zum Leutnant, seine militärische Karriere aufgege- Schwüle steht bei Mariotte im Zentrum, vielmehr
ben habe, um einzig der Musik leben zu können. das Düster-Bedrückende. Der eklatanteste Unter-
Strauss bemühte sich nun nochmals, und diesmal schied liegt wahrscheinlich im Tanz der sieben
erfolgreich, um die Freigabe des Librettos (sie er- Schleier, den Mariotte nicht nur musikalisch
folgte am 12. Juli 1907; TrChr, 311), so dass der deutlich traditioneller, deutlich weniger lasziv als
Produktion von Mariottes Oper in Lyon nichts Strauss gestaltet, sondern der auch durch – einer
mehr entgegenstand. Die Uraufführung fand am früheren Szene entnommene – eingefügte Textzei-
30. Oktober 1908 statt. Doch Salomé war kein len Iokanaans begleitet wird: »Ah! L’impudique!
großer Erfolg. Ein solcher gelang Mariotte erst mit La prostituée! La fille de Babylone avec ses yeux
seiner 1935 herausgebrachten Opéra-comique d’or sous ses paupières dorées! Voici ce que dit le
Gargantua. Seigneur Dieu. Faites venir contre elle la multi-
Vermutlich hatte Mariotte Wildes Salomé tude. Que le peuple prenne des pierres et la lapide!
schon 1895, also vor Strauss kennengelernt; auch Que les guerriers la percent de leurs épées, qu’ils
seine Oper entstand schon vor Strauss’ Komposi- l’écrasent sous leurs boucliers.«
tion. Mariotte nahm andere (und umfangreichere) Der textlose Chor und ein dezentes Orchester,
Kürzungen an Wildes Text vor als Strauss, ließ vor aus dem nur kurz Soli hervortreten (ganz in der
allem die religiösen Einlassungen der Juden und Tradition der delikaten Partituren Debussys), be-
Nazarener weg (die Strauss nur teilweise strich) gleiten eine überhaupt nicht ekstatische, ganz in-
und konzentrierte sich auf die emotionalen Ver- trovertierte Schlussszene Salomés. Die Abwesen-
520 Wirkung

heit dessen, was Arnold Bax mit der »Einführung Nach dem großen Erfolg von Strauss’ Salome
der Neurose in die Musik« umschrieben hatte und besonders auch mit Blick auf Strauss’ Exklu-
(s. o.; Bax 1953/1992, 131), verleiht Mariottes Musik sivrecht am Libretto wurde kurze Zeit später eine
eine intime, ›impressionistische‹ Aura, die sich andere, ähnlich grausame biblische Geschichte
sowohl in der bescheideneren Instrumentierung musikalisch wiederbelebt (jedoch ohne blasphe-
als auch in der an Debussy ausgerichteten komple- mischen Unterton): die Legende von Judith und
xen Harmonik spiegelt – ein genuin gallisches Holofernes, mit der sich schon kurz nach 1850
»drame lyrique«. u. a. Emil Naumann, Alexander Serov und Franz
Rund ein Jahr vor Mariottes Oper, am 9. No- Doppler in Opern auseinandergesetzt hatten und
vember 1907, erlebte Florent Schmitts Ballett La die in gewisser Weise wie eine Umkehrung des
tragédie de Salomé op. 50 am Théâtre du Chatelet Sujets von Samson und Dalila gesehen werden
unter Gabriel Pierné seine Uraufführung, fast ex- kann. Nachdem Granville Bantock 1918 eine
akt ein halbes Jahr nach dem Sensationserfolg von Schauspielmusik zu Wildes Salome geschaffen
Strauss’ Oper (weitere Salome-Ballette stammen hatte, ließ er schon im nächsten Jahr die Musik zu
von Akira Ifukube, 1948, und Peter Maxwell Da- Arnold Bennetts Judith folgen. Insbesondere in
vies, 1978). Ein Jahr zuvor hatte Schmitt Istanbul den 1920er- und 1930er-Jahren setzten sich Arthur
besucht und war von der Unmittelbarkeit und Honegger (nach René Morax), Eugène Goossens
Lebendigkeit der orientalischen Kultur beein- (nach Bennett) und Nathanael Berg auf unter-
druckt worden. Durch die Beschränkung des schiedlichste Weise mit dem Judith-Stoff ausein-
Orchesters auf nicht mehr als zwanzig Musiker ander (bereits 1914 begann Vittorio Gnecchi die
musste er zwangsläufig ganz andere Techniken Arbeit an einer Judith-Oper, die er aber erst 1952
anwenden als Strauss. Eine Ähnlichkeit mit vollendete). In diesen Zusammenhang gehören
Strauss’ Tanz der sieben Schleier im fünften Tab- auch Karol Szymanowskis Einakter Hagith
leau durch die charakteristische Instrumenten- (1912/13; Keym 2011, 129) sowie vor allem Otto-
kombination Flöte/Harfe in ›orientalischen‹ Har- rino Respighis Oper Semirâma, deren Heroine
monien vergeht mehr als schnell. schon um 1914 von Giannotto Bastianelli als Salo-
Schmitt und sein Librettist Robert d’Humières mes und Elektras Zwillingsschwester bezeichnet
entschärften das Sujet, indem sie auf Strauss’ und wurde und in der Respighi an entscheidenden
Wildes zentralen Handlungsmotor, Salomés Liebe Stellen auf beide Strauss-Opern musikalisch Be-
zum Propheten Jochanaan, verzichteten und aus zug nimmt (Satragni 2011, 69–74).
der Prinzessin eine treue Tochter ihrer Mutter Auch die Beschäftigung mit Stoffen der grie-
machten. D’Humières hatte der Handlung eine chischen Antike, an denen Strauss zeitlebens
stark symbolistische Komponente gegeben, die die großes Interesse hatte – er selbst bezeichnete sich
Figuren von Salomé, Hérodias (die die Enthaup- als »griechischer Germane« (Werbeck 2005, 5) –,
tung des Johannes anordnet) und Hérode gewisser- entsprach ganz den Strömungen der Zeit. Zwar
maßen überhöht. Das Ballett mit stark symphoni- war der Elektra-Stoff auf der Opernbühne seit
schem Charakter (später arbeitete Schmitt es zu Ende des 18. Jahrhunderts etwas aus der Mode
einer orchestral opulenter besetzten Symphonischen gekommen, doch waren erst 1887–89 Théodore
Suite um, die Strauss’ erst 1947 entstandenem Sym- Gouvys Oratorium Electre und 1901 Felix Wein-
phonischen Fragment aus Josephs Legende TrV 231a gartners Operntrilogie Orestes entstanden, ehe
nicht ganz unähnlich ist) wurde ausgesprochen Strauss wenige Jahre später seine Oper vorlegte.
positiv aufgenommen; wenigstens fünfzig weitere Hans Gärtner schuf 1922 ein Mimodrama Danaë –
Aufführungen folgten, u. a. in Berlin, Wien und rund zwanzig Jahre vor Strauss’ Die Liebe der
Sankt Petersburg. Auguste Mangeot schrieb im Danae. Daphne, dieser vormals äußerst beliebte
Monde musical: »[…] le compositeur est arrivé à Opernstoff, wurde immerhin 1897 als Operette
suppléer la parole, à exprimer toute la sombre von dem Amerikaner Arthur Bird vertont. Es gibt
couleur du drame, la violence des caractères, la eine Ariane von Jules Massenet aus den Jahren
lascivité et la perversité des danses, avec un art tout 1905/06, die aber auf Strauss’ Vertonung von 1912
à fait remarquable« (Mangeot 1907, 318). keinen Einfluss gehabt haben dürfte. Bis weit in
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 521

das 20. Jahrhundert blieb in Europa das Interesse dieser Skandal zeitlebens an (Principe 1990, Ian-
an der (vor allem) griechischen Antike bestehen: nelli 2004/2007). Bei näherer Betrachtung er-
in Polen (Szymanowski, Król Roger 1918–24) scheinen beide Opern in der Tat verwandt, erweist
ebenso wie in Deutschland (Orff, Antigonae sich doch die Handlung mit dem Mord an Aga-
1940–49; Liebermann, Penelope 1954; Křenek, Der memnon in Cassandra quasi als Gegenstück zu
goldene Bock 1962/63), der Schweiz (Schoeck, Elektra. Dennoch springen musikalisch vor allem
Penthesilea 1923–25), Frankreich (Strawinsky, Oe- die Unterschiede ins Auge: bei Gnecchi die klare
dipus rex 1926/27; Milhaud, Les euménides 1917–23; Anlage als zweiaktiges Werk mit Prolog sowie die
Honegger, Antigone 1924–27), Italien (Malipiero, Klangsprache, die dem Umfeld Respighis und
L’Orfeide 1918–22; Pizzetti, Clitennestra 1961–64) Zandonais zugehört. Es kann nicht überraschen,
und England (Tippett, King Priam 1958–61). dass Strauss sich vor allem über Tebaldinis Einsatz
Besonderes Aufsehen erregte 1909 ein angebli- zugunsten Gnecchis mokierte (Brief an Romain
cher italienisch-deutscher ›Kulturtransfer‹: Der Rolland, 5. Mai 1909, Hülle-Keeding 1994, 123–
oben schon kurz erwähnte, aus wohlhabendem 125), sind doch die Notenbeispiele, die Tebaldini
Hause stammende Italiener Vittorio Gnecchi zur Unterstützung seiner Argumentation heran-
[Ruscone] (1876–1954) genoss ein Privatstudium zieht, durchaus problematisch, weil faktisch nicht
unter anderem bei Michele Saladino, der auch wirklich aussagekräftig (Schlötterer-Traimer
Lehrer von Pietro Mascagni und Victor de Sabata 2002). Doch ähnlich wie im Falle von Mariottes
war. Nach seiner erfolgreichen ersten Oper Virtù Salomé ist nicht der Komponist für die Auswuche-
d’amore entstand Cassandra, deren Libretto aus rungen der musikalischen Presse verantwortlich zu
dem Themenkreis der Oresteia Gnecchi zunächst machen. Strauss’ Eindruck jedenfalls, hier wolle
selbst umriss, dann aber durch den renommierten jemand auf der Erfolgswelle von Elektra mit-
Librettisten Luigi Illica ausgearbeitet wurde. Cas- schwimmen, ist nachvollziehbar, wenn auch unbe-
sandra war 1904 vollendet, kam am 5. Dezember rechtigt. Denn Tebaldini zielte doch eher auf eine
1905 im Teatro Comunale di Bologna unter Ar- »istintiva concordanza psicologica« (Tebaldini
turo Toscanini zur Uraufführung und wurde von 1909, 404) von Gnecchi und Strauss, die sie zwei
Ricordi verlegt. Gnecchi sandte Strauss den Kla- verwandte Sujets in mancher Hinsicht ähnlich
vierauszug und erhielt im August 1906 von Strauss behandeln ließ. Solche Fälle von gleichartigem
eines seiner typischen maschinengeschriebenen ›Zeitgeschmack‹ waren weit verbreitet und dürfen
und handschriftlich unterzeichneten Dankschrei- deshalb keineswegs als Plagiatsvorwurf missver-
ben. Als Strauss am 22. Dezember 1906 in Turin standen werden. Vielmehr geht Gnecchi sowohl
die italienische Erstaufführung der Salome diri- von der psychologischen Gestaltung der Charak-
gierte, traf ihn Gnecchi persönlich und überreichte tere als auch von der musikalischen Konzeption
ihm abermals die Cassandra, doch auf eine neuer- her einen durchaus eigenständigen, mehr mit der
liche Reaktion wartete er vergebens (http://www. italienischen als der Strauss’schen Tradition ver-
associazionegnecchi.org/ita/?page_id=174). bundenen Weg.
Kurz nachdem 1909 Strauss’ Elektra uraufge- Seit der Wiederbelebung 2000 in Montpellier
führt war, erschien in der Rivista Musicale Italiana wird Cassandra wieder häufiger gegeben, 2010
ein Artikel des Musikwissenschaftlers Giovanni führte die Deutsche Oper Berlin Cassandra und
Tebaldini mit dem Titel Telepatia Musicale. Darin Elektra als »double-bill« auf.
wurden Cassandra und Elektra verglichen, und der Ein weiteres Werk muss in diesem Zusammen-
Autor kam zu dem Schluss, beide Werke hätten hang Erwähnung finden: Havergal Brians Oper
überraschende Gemeinsamkeiten. Der Aufruhr, Agamemnon von 1957, die abermals den Mord an
den der Artikel verursachte, verhinderte weitere Elektras Vater thematisiert (diesmal auf John Stu-
erfolgreiche Produktionen der Cassandra (die art Blackies Übersetzung des Aischylos fußend).
Willem Mengelberg 1911 in einer Übersetzung des Brian verstand Agamemnon (die Oper dauert
kurz zuvor verstorbenen Ludwig Hartmann und kaum länger als eine halbe Stunde) bewusst als
mit Maria Jeritza als Klytämnestra immerhin an eine Art Prolog zu Elektra. Er verfolgte im Ver-
die Wiener Volksoper brachte). Gnecchi haftete gleich zu Gnecchi (dessen Cassandra er sicher
522 Wirkung

nicht kannte) ein eigenständiges, formal freies (1892) erfolgreich geprägt hatte und später so un-
Konzept (Baxter 1996–1997c), verzichtete gar auf terschiedliche Kompositionen wie Schönbergs
die Rolle des Ägisth und hob dafür (ähnlich wie Pierrot lunaire (1912), Busonis Arlecchino (1913)
Gnecchi) die Rolle des Chores im Sinne der anti- und Turandot (1917) sowie nicht zuletzt auch
ken Tragödie hervor: nicht individualisiert mit Puccinis Turandot (1920–26) hervorbrachte. Inso-
Soli wie bei Strauss, sondern blockhaft-homophon fern ist Strauss’ Klage Hugo von Hofmannsthal
gestaltet. Malcolm MacDonald bezeichnete diese gegenüber eher unberechtigt: »Der sehr begabte
Art von Chorsatz als »Brian’s farewell to part-song« Musiker Wolf-Ferrari hat mit dem in der Ausfer-
(Baxter 1997c, 6). Die Konzentration auf Wesent- tigung von Operntexten gleichfalls sehr geschick-
liches, ohne lyrisches Innehalten, ohne reflexive ten Herrn [Richard] Batka zusammen eine Oper
Passagen für einen oder mehrere Solisten führt zu geschrieben ›Der Liebhaber als Arzt‹ [L’amore me-
einem Ablauf in »real-time« (Baxter 1997b, 4). dico] nach Molières ›Le médecin malgré lui‹. Diese
Dennoch bewahrt Brian, dessen Orchester dem Oper ist vor einigen Tagen in Dresden mit durch-
Strauss’schen nicht unähnlich ist, einen epischen schlagendem Erfolg zur Aufführung gelangt in
Gestus, wie in Mariottes Salomé streng bezogen den Kostümen unserer ›Ariadne‹ […]« (15.12.1913;
auf die Sprechprosodie; der Gebrauch des Begriffs RSHH 249).
»Sprechgesang« (Baxter 1997c, 5) in diesem Zu- 1924 sah sich Strauss mit Intermezzo sicher
sammenhang wäre allerdings irreführend (Schaar- nicht als Vorreiter des Genres der später so ge-
wächter 2005, Schaarwächter i.V.). nannten Zeitoper – auch wenn diese kurz darauf
Nicht nur für einzelne Werke, sondern auch ihre große Blüte erfuhr (Gilliam 1991; Hottmann
für ganze stilistische Tendenzen war Strauss mehr- 2005). Doch nutzte er viele der später verbreiteten
fach das weithin beachtete Modell. So mit Ariadne Techniken: den ›Konversationston‹, die durchaus
auf Naxos TrV 228 (vor allem in der Erstfassung in drastische Darstellung bewusst bürgerlich-allzu-
Verbindung mit Hofmannsthal-Molières Der menschlicher Ereignisse, die durch die Bühnen-
Bürger als Edelmann), und zwar weniger mit dem darstellung sozusagen überhöht werden, die ironi-
Sujet als vielmehr mit dem kammerorchestralen sche Brechung sowohl der Lebenswirklichkeit als
Tonfall, dem ›Neorokoko‹-Zugang, der die neoba- auch der Gattung Oper, die geradezu filmischen
rocken und neoklassischen Strömungen der fol- dramaturgischen Mittel. Es mag sein, dass er
genden zwei Jahrzehnte in gewisser Weise vorweg- durch seine Komposition ein gerade für die Wei-
nahm. So spinnen sich etwa zwischen Ariadne und marer Republik typisches Genre sozusagen nobili-
Strawinskys Pulcinella weit mehr Fäden, als Stra- tierte und aus der Ebene der eher überschaubaren
winsky später zugeben konnte, als er bissig über Einakter ins Große überführte. Schon der erste
Strauss herfiel (Schlötterer 1993). Gefragt, was er Satz des Librettos des mehr als zwei Stunden dau-
denn zu Ariadne auf Naxos sage, entgegnete er: »I ernden Zweiakters, »Anna! Anna! Wo bleibt denn
would like to admit all Strauss operas to whichever nur die dumme Gans?«, eröffnet ein großes Spek-
purgatory punishes triumphant banality. Their trum alltäglicher, allzu alltäglicher Situationen, die
musical substance is cheap and poor; it cannot Strauss dazu nutzte, mit dem Bild, das die Öffent-
interest a musician today. That now so ascendant lichkeit von ihm und seinem Privatleben hatte,
Ariadne? I cannot bear Strauss’ six-four chords: ironisch umzugehen, nach dem Motto: ›Seht her,
Ariadne makes me want to scream« (Craft 1959, so viel anders als ihr sind wir auch nicht, vielleicht
75). Auch Puccini bezeichnete in einem Brief vom sogar nur ein wenig verrückter.‹
15. März 1913 Strauss’ Oper in ihrer ersten Fassung Diese Vorliebe für ›profane‹ Sujets war bereits
(die er 1913 in Berlin erlebte) als »eine echte früher aufgekommen, mit Eugen d’Alberts Die
Schweinerei« (Girardi 2011, 59). Im Gegensatz zu Abreise (1898) etwa oder Wolf-Ferraris Il segreto di
der ›neuen Durchsichtigkeit‹ des Orchestersatzes Susanna (1909), zwei Einaktern, die im bewussten
war die Integration der Commedia dell’Arte in das Kontrast standen zu weit verbreiteten Operngat-
Bühnengeschehen keineswegs neu, folgte vielmehr tungen wie der Märchen- oder Legendenoper. Ob
einem Trend, der schon etwa Wolf-Ferraris Le diese dem barocken Intermedio à la La serva pad-
donne curiose (1903) und Leoncavallos Pagliacci rona verwandten, zunächst nicht selten mit nur
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 523

wenig Handlung ausgestatteten ›Kurzopern‹ als Naturgemäß gab es auch Komponisten, die
bewusstes Gegenstück zum deutschen Verismo zu sich von Strauss’ Ästhetik bewusst abgrenzen woll-
verstehen sind, ist umstritten. Möglicherweise ist ten. Sie sahen sich eher in der Traditionslinie
die Entwicklung der Zeitoper schlicht der Ästhe- Hugo Wolfs, dem es nicht um die große vokale
tik der 1920er Jahre geschuldet, der Abkehr sowohl Geste ging, sondern um die Umsetzung differen-
vom Jugendstil und Vorkriegspomp, vom Impres- ziertester Stimmungen. Zu diesen Komponisten,
sionismus wie auch Expressionismus, wie sie auch die teilweise auf direkten Konfrontationskurs ge-
im aufkommenden Stummfilm zu beobachten ist. hen wollten, ist auch Max Reger zu zählen, der seit
So wäre es wohl eher abwegig, in Intermezzo und 1899 eine ganze Reihe Strauss’scher Lieder intensiv
der hier gebotenen Veredelung vormals als zu all- kennengelernt hatte. »Empfehle Dir (im Bedarfs-
täglich angesehener, vulgärer Sujets einen direkten falle) Herrn Max Reger (Orgel- u. Klaviercompo-
Einfluss auf Werke anderer zu sehen. Dafür ist die nist, sehr tüchtig) als geschickten Bearbeiter«,
konzeptionelle Spannweite von Křeneks Jonny hatte Strauss seinem Freund Eugen Spitzweg, dem
spielt auf (1925), Weills Royal Palace (1925/26) oder Besitzer des Aibl-Verlages, 1897 geschrieben (Popp
Der Zar lässt sich photographieren (1927), Walter 2000, 298). Auf diesen Vorschlag kam der Verleger
Gronostays In zehn Minuten (1927), Hindemiths schon bald zurück und erbat von Reger Bearbei-
Hin und zurück (1927) bzw. Neues vom Tage tungen von zunächst sechs Strauss-Liedern für
(1928/29), Antheils Transatlantic (1927/28), Klavier solo, die 1899 erschienen. 1904 sollten
d’Alberts Die schwarze Orchidee (1928), Schön- sechs weitere folgen. Reger schrieb hierüber 1899:
bergs Von heute auf morgen (1928/29) oder Wil- »es ist dies eine sehr interessante Arbeit u. verdiene
helm Groszs Achtung, Aufnahme!! (1930) einfach ich mir ja auch ganz nettes Geld dabei!« (Popp
zu groß. Allerdings war Schönberg von Intermezzo 2000, 399). Sieben dieser zwölf Strauss-Lieder – in
offenbar beeindruckt (Gilliam 1991, 129), und in der folgenden Tabelle die Nummern 1,2,5 (bear-
Neues vom Tage wie auch Von heute auf morgen beitet 1904) sowie 3,4,6,7 (bearbeitet 1899) – sowie
treten in nicht geringem Maße nachgerade proto- weitere sieben von Strauss komponierte Lieder
typische Protagonisten des musikalischen Lust- vertonte Reger neu (Kerbs 1998; Popp u. a. 2010)
spiels auf, die schon in Intermezzo zu finden sind. (siehe Tabelle S. 524).
Die Schlusszeilen von Von heute auf morgen lassen Reger legte mit seinen Liedern bewusste Ge-
sich auch als ironische Anspielung auf Strauss’ genentwürfe zu Strauss vor. Die starke Berücksich-
Position in dieser Sache verstehen: tigung der Sprechprosodie – eine Eigenheit, die
Mann: »Und dabei finde ich sie heute schon nicht Reger vor allem bei Hugo Wolf bewunderte – ist
einmal mehr ganz modern!« etwa evident in Freundliche Vision. Reger verzich-
Frau: »Das ändert sich eben von heute auf morgen!« tet auf die ersten beiden Zeilen und wandelt später
Kind: »Mama, was sind das, moderne Menschen?«
die Worte »in dem Frieden, der voll Schönheit
wartet« um zu »der voll Sehnsucht wartet, dass wir
kommen«. Überraschend legt er über seinen 2/4-
Lied Takt (den auch Strauss verwendet) triolisch einen
3/8-Takt. Durchgängig prägt die triolische Sech-
Gar nicht modern, sondern ausgesprochen zehntelbewegung das Lied (auch dessen Gesangs-
nachromantisch melodienreich geriert sich der rhythmik); so erhält es einen ganz anderen, weni-
Liedkomponist Richard Strauss. Seine Fähigkeit, ger hedonistisch angelegten Gehalt als bei Strauss.
der Singstimme dankbare Melodien in den Mund Darüber hinaus ist der unterschiedliche Umfang
zu legen, ist legendär; sie wurde von vielen bewun- frappant: Reger vertont Bierbaums Gedicht (mit
dert und teils auch geneidet. Im März 1904 einer Kürzung am Anfang) in nur zwölf Takten,
schreibt Bartók einem Wiener Freund, er habe während Strauss nicht weniger als 40 Takte benö-
»wundervolle Strauß-Lieder kennengelernt. Ich tigt.
kann Dir hoch und heilig versichern: seit Wagner
haben wir keinen so großen Meister gehabt wie
Strauß« (Szabolcsi 1957, 226).
524 Wirkung

Von Strauss wie von Reger komponierte Liedtexte

Strauss Reger
entstanden entstanden
(veröffentlicht) (veröffentlicht)

1. All’ mein Gedanken TrV 160 Nr. 1 op. 75 Nr. 9


(Felix Dahn) Februar 1889 November/Dezember 1903
(1890) (1904)

2. Du meines Herzens Krönelein TrV 160 Nr. 2 op. 76 Nr. 1


(Felix Dahn) April 1889 wahrscheinlich Dezember 1903
(1890) (1904)

3. Morgen TrV 170 Nr. 4 op. 66 Nr. 10


(John Henry Mackay) Mai 1894 August 1902
(1894) (1902)

4. Traum durch die Dämmerung TrV 172 Nr. 1 op. 35 Nr. 3


(Otto Julius Bierbaum) Mai 1895 Juni/Juli 1899
(1895) (1899)

5. Nachtgang TrV 172 Nr. 3 op. 51 Nr. 7


(Otto Julius Bierbaum) Juni 1895 August 1900
(1895) (1901)

6. Meinem Kinde TrV 187 Nr. 3 op. 43 Nr. 3


(Gustav Falke) Februar 1897 Oktober/November 1899
(1898) (1900)

7. Glückes genug TrV 187 Nr. 1 op. 37 Nr. 3


(Detlev von Liliencron) Februar 1898 Juni/Juli 1899
(1898) (1899)

8. Hat gesagt – bleibt’s nicht dabei TrV 186 Nr. 3 op. 75 Nr. 12
(Des Knaben Wunderhorn) März 1898 November/Dezember 1903
(1898) (1904)

9. Leise Lieder TrV 195 Nr. 5 op. 48 Nr. 2


(Christian Morgenstern) Juni 1899 Februar 1900
(1899) (1900)

10. Wiegenlied TrV 195 Nr. 1 op. 51 Nr. 3


(Richard Dehmel) August 1899 August 1900
(1899) (1901)

11. Ich schwebe TrV 202 Nr. 2 op. 62 Nr. 14


(Karl Henckell) September 1900 Dezember 1901-Februar 1902
(1901) (1902)

12. Freundliche Vision TrV 202 Nr. 1 op. 66 Nr. 2


(Otto Julius Bierbaum) Oktober 1900 August 1902
(1901) (1902)

13. Waldseligkeit TrV 204 Nr. 1 op. 62 Nr. 2


(Richard Dehmel) September 1901 Dezember 1901
(1902) (1902)

14. Wiegenliedchen TrV 204 Nr. 3 op. 43 Nr. 5


(Richard Dehmel) September 1901 Oktober/November 1899
(1902) (1900)
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 525

Notenbeispiel 4: Strauss, Freundliche Vision TrV 202, Nr. 1, T. 1–3

Notenbeispiel 5: Reger, Freundliche Vision op. 66, Nr. 2, T. 1–4

Eine ganz andere Strategie verfolgt Reger in Du verwendet. Und wer hätte gedacht, dass Reger
meines Herzens Krönelein. Zunächst einmal fällt melodisch (nicht harmonisch) einen schlichteren
auf, dass Reger den Text, den er vermutlich durch »Volkston« findet als Strauss? Auch hier entspricht
die Bearbeitung des Strauss’schen Liedes unmit- seine Prosodie stärker dem Sprechmelos als in
telbar vor Beginn der Komposition seiner Schlich- Strauss’ Lied; daneben bewahrt er den ›volkstüm-
ten Weisen op. 76 kennenlernte (s. o.), zur Eröff- lichen‹ Strophencharakter des Gedichts (Kerbs
nung seiner 60 Lieder umfassenden Sammlung 1998, 65–68).
526 Wirkung

Notenbeispiel 6: Strauss, Du meines Herzens Krönelein TrV 160, Nr. 2, T. 1–4

Notenbeispiel 7: Reger, Du meines Herzens Krönelein op. 76, Nr. 1, T. 1–4

Wolfram Steinbeck fasst zusammen: »Strauss Es ist interessant zu sehen, dass solche abwei-
schreibt, bei aller Avanciertheit der Mittel, durch- chenden Konzeptionen, die sich gelegentlich auch
weg in traditionellem Sinne Lieder. Bei ihm steht, etwa bei Hans Pfitzner finden, frappant jenen von
kurz gesagt, das Musikalische des Liedes im Vor- Antoine Mariotte in Salomé (und, viel später, von
dergrund, während es Reger gelingt, Musik, Text- Havergal Brian in Agamemnon) ähneln.
struktur und Aussage ineinander aufgehen zu las-
sen. Strauss’ Lieder sind raffinierte, mitreißende,
perfekt dosierte, wirkungsvolle Gesänge, – und sie
scheinen zu wissen, dass sie es sind. Regers Lieder Strauss gewidmete Werke
dagegen bleiben intim; sie berechnen mit ihren
kompositorischen Mitteln nicht ihre Wirkung; die Eine eigenes Kapitel wäre über jene Werke zu
Feinheiten, das Raffinement des kompositorischen schreiben, die Richard Strauss gewidmet wurden;
Satzes und die Nuancen des Ausdrucks erschließen die im Folgenden genannten Kompositionen ste-
sich nicht unmittelbar wie bei Strauss, sondern erst hen nur beispielhaft für verschiedene Konstella-
bei genauerer Kenntnis und nach intensiver Aus- tionen, aus denen solche Widmungen erwuchsen.
einandersetzung. […] Regers Liedern fehlt die Auch wenn keine direkte musikalische Bezug-
›Wirkung‹ der Strauss’schen Lieder, die mitrei- nahme erfolgt sein muss, ist eine innere Verbin-
ßende Emphase, ihre offene ›Schönheit‹, ihre spie- dung nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
lerische Sicherheit; ihnen fehlt der kompositorisch Gelegentlich wird der Wunsch, sich bei dem
eingeschriebene ›Erfolg‹. Regers Lieder drängen berühmten Meister beliebt zu machen, eine we-
sich nicht auf, man muss ihnen von sich aus – mit sentliche Rolle gespielt haben – Strauss erhielt
Zuneigung – begegnen« (Steinbeck 2000, 232 f.). vermutlich unverlangt Hunderte von Partituren,
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 527

die er schlechterdings kaum angemessen würdigen 5. Februar 1915 hatten Strauss und Reger die Gele-
konnte. Eine solche Komposition, mit der ein genheit, sich die Leitung zweier Konzerte der
Nachwuchsmusiker auf sich aufmerksam machen Königlichen Kapelle Berlin zu teilen: Im ersten
und gleichzeitig für manche Unterstützung dan- Konzert dirigierte Strauss Cherubinis Ouvertüre
ken wollte, war Max Regers Phantasie und Fuge zu Les Abencerages, Mozarts Symphonie D-Dur
c-Moll op. 29 für Orgel von 1898, mit der Reger KV 504 sowie, mit Reger am Klavier, Bachs fünf-
Strauss für dessen Empfehlung ein Jahr zuvor bei tes Brandenburgisches Konzert BWV 1050; Reger
seinen beiden Verlagen Aibl und Forberg dankte. übernahm die Leitung seiner Hiller-Variationen
Das Verhältnis zwischen Strauss und Reger wurde op. 100. Im zweiten Konzert dirigierte Strauss
grundsätzlich von gegenseitiger Achtung, in den Schumanns Frühlingssymphonie B-Dur op. 38 und
späten Jahren gar von Freundschaft getragen, was Beethovens Achte F-Dur op. 93, Reger die Berli-
Reger nicht davon abhalten sollte, sich gelegent- ner Erstaufführungen seiner Mozart-Variationen
lich (wie in den folgenden Briefausschnitten von op. 132 und der Vaterländischen Ouvertüre op. 140.
1899 und 1900) kritisch über Strauss’sche Kompo- Dieses zweite Konzert war der äußere Anlass für
sitionen zu äußern: »[…] Augenblicklich bin ich Reger, Strauss sein letztes großes Orgelwerk zu
sogar mit R. Strauß, dessen ›Tod u. Verklärung‹ u. widmen, eine Komposition also, mit der er nicht
›Also sprach Zarathustra‹ in Partitur [ich] von in direkte Konkurrenz mit dem ausgewiesenen
seinem u. nunmehr auch meinem Verleger gesen- Nicht-Orgelkomponisten Strauss trat und in der
det erhielt, sehr beschäftigt u. finde manches er gleichzeitig die große ›symphonische Orgel‹, die
hochgenial, einfach grandios; zwar könnte die er nach Liszt und Reubke wieder als Konzertin-
Melodiebildung hie u. da noch etwas nobler strument etabliert hatte, quasi als Orchesterersatz
sein; – aber im Großen Ganzen ein Mann, der 1. nutzte: Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b, im
riesig viel kann u. 2. dem wirklich etwas Bedeuten- April und Mai 1915 entstanden, im Folgejahr
des einfällt« (Popp 2000, 401). »Letzthin habe ich nochmals überarbeitet und erst kurz nach Regers
eifrigst Richard Strauß ›Don Quixote‹ Op. 35 Tod im Mai 1916 im Druck erschienen, ein Stück,
studiert; es ist fabelhaft, was der Mann so schreibt; in deren Fuge sich Reger fast schon an eine zwölf-
ich bin aber da ganz Ihrer Ansicht betreff des tönige Reihe wagt.
wirklich gemütvollen Inhalts! Solchen fand ich Ähnlich freundschaftlich-kollegialer Art war
nämlich wenig! allein, ich freue mich aufrichtig, Strauss’ Verhältnis zu Hermann Bischoff (1868–
daß wir ihn haben!« (Schaarwächter 2003, 9). 1936), seinem einzigen Schüler, dem er in den
Intensiv setzte sich Reger mit Strauss’ Werken 1890er Jahren vor allem kompositorische Disziplin
auseinander, kaum als Interpret (einmal dirigierte beizubringen suchte und den er schließlich über-
er 1913 Tod und Verklärung – im gleichen Konzert zeugte, sein Studium bei Ludwig Thuille zu ver-
am 25. Februar fand Regers einzige Aufführung vollkommnen. Sein Idyll für großes Orchester »Pan«
von Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune hatte Bischoff Strauss vorgelegt. Dieser riet in ei-
statt), sondern kompositorisch. Seine Auseinan- nem Brief vom 29. März 1902 zu Straffungen
dersetzung mit Strauss’ Liedern wurde bereits er- (Strauss/Reger 1998, 196 f.). Für die von Strauss
wähnt; Regers Orgelfassung von Strauss’ Feierli- herausgegebene Schriftenreihe Die Musik verfasste
chem Einzug der Ritter des Johanniter-Ordens 1909 Bischoff ab 1904 den Doppelband zum deutschen
war eine Gelegenheitsarbeit. Doch Reger wusste, Lied (Reger hatte es, ebenfalls 1904, abgelehnt,
was er an Strauss’ Freundschaft hatte, der an Reger einen Band über »Die Kammermusik und ihre
nicht nur dessen Produktivität bewunderte. Auf Zukunft« zu schreiben; Schaarwächter 2003, 11 f.),
Regers Glückwünsche zum 50. Geburtstag erwi- und wohl kaum zufällig widmete Bischoff seine
derte Strauss am 18. Juni 1914: »ein so herrlicher im Erscheinungsjahr des Buches uraufgeführte
Ausdruck der Sympatie von kollegialer Seite er- erste Symphonie E-Dur op. 16 Strauss. Ursprüng-
freut doppelt, besonders wenn man das ange- lich hatte Strauss sich bereit erklärt, die Essener
nehme Bewusstsein [hat], solche Sympatie mit Uraufführung der Symphonie am 24. Mai 1906 im
aufrichtiger Verehrung erwiedern zu können« Rahmen der 42. Tonkünstler-Versammlung des
(Becker 2011, 37). Am 4. Dezember 1913 sowie am Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins zu leiten
528 Wirkung

(wozu es aber nicht kam), und so ist Bischoffs vergal Brians Gothic Symphony. 1919–27 entstan-
Widmung Zeichen der Dankbarkeit für Vergange- den, war die Widmung an Strauss nahezu unaus-
nes und Gegenwärtiges. Auch zukünftig sollte weichlich (Schaarwächter 2002, 103–112). Sie er-
Bischoff Strauss dankbar sein können. Nicht nur gibt sich allein schon aus der umfangreichen
bewahrte dieser ein stetes Interesse an Bischoffs Besetzung, die in ihrer Vielfalt klar Bezug nimmt
Kompositionen; nach der Weltwirtschaftskrise, als auf Strauss’ Ausgabe von Berlioz’ Instrumentations-
Bischoff sein gesamtes Vermögen verlor, vermit- lehre. Während die erste Hälfte der Symphonie
telte Strauss ihm auch einen rentablen Posten im rein orchestral ist, verknüpft die zweite Hälfte die
sogenannten Musikschutzverbund, dem Zusam- Kräfte von Berlioz’ Grande messe des morts (mit
menschluss der Genossenschaft deutscher Tonset- separat verorteten Blechbläsergruppierungen) mit
zer (GDT), der Genossenschaft zur Verwertung den massiven Kräften von Mahlers Achter oder
musikalischer Aufführungsrechte (GEMA) und Schönbergs Gurreliedern (Sopran-, Alt-, Tenor-
der österreichischen Gesellschaft der Autoren, und Basssolo, vierst. Kinderchor, zwei große
Komponisten und Musikverleger (AKM) (Strauss/ Doppelchöre, 2 Picc., 4 Fl., 1 Bass Fl., 4 Ob., 1 Ob.
Reger 1998, 248). d’amore, 2 Engl. Hrn., 1 Bass Ob., 5 Klar., 2 Bassett-
Im Gegensatz zu Reger und Bischoff war Hans hrn., 2 Bassklar., 1 Pedalklar., 3 Fg., 2 Kontrafg.,
Huber (1852–1921), als er 1902 Richard Strauss 8+2+2+2+2 Hrn., 4 Kornette, 4+2+2+2+2 Trp.,
seine Heroische Sinfonie C-Dur op. 118 widmete, 1 Basstrp., 5+2+2+2+2 Pos., 2 Euphon., 2+2+2+2+2
schon eine etablierte Persönlichkeit. Der Reinecke- Tb., 6+3+3+3+3 Timp., Bck., Glockenspiel, Xylo-
Schüler war 1877 nach Basel gekommen, wo er u. a. phon, lange Trommel, Triangel, 2 gr. Tr., Tamb.
1896–1918 die Allgemeine Musikschule leitete; milit., Tamburin, Gong, Donnermaschine, Röh-
zusammen mit Friedrich Hegar gründete er 1900 renglocken, Glocken, Ketten, Vogelrufer, 1 Cel.,
den Schweizerischen Tonkünstlerverein, von 1899 2 Hrf., 1 Org., Streicher; die Aufführung auf den
bis 1902 war er Leiter des Basler Gesangvereins. London Proms 2011 benötigte rund 1000 Musi-
Schon 1892 hatte ihm die Universität Basel die ker). Auch über dieses Werk hinaus ist Brians
Ehrendoktorwürde verliehen. Mit seiner dritten Strauss-Verehrung immer wieder deutlich spürbar.
Symphonie C-Dur, der Heroischen Sinfonie, die Die Ouvertüre Doctor Merryheart und die Oper
ihre Uraufführung am 9. Februar 1902 unter der Agamemnon wurden bereits als eindeutige Fälle
Leitung des Komponisten erlebte und die Strauss von Anknüpfung erwähnt, auch wenn Brians Stil
schon eine Woche später in Berlin auf ein Pro- individuell genug ist und keine direkten musikali-
gramm des Berliner Tonkünstler-Orchesters schen Anleihen bei Strauss benötigt.
setzte, etablierte sich Huber (nach einer Tell- Auch Erich Wolfgang Korngolds (1897–1957)
Symphonie d-Moll, einer zurückgezogenen Sym- Symphonische Ouvertüre Sursum corda! op. 13,
phonie A-Dur und einer Böcklin-Symphonie 1919 entstanden und am 24. Januar 1920 unter
e-Moll) endgültig auch als Symphoniker. Strauss Leitung des Komponisten aus der Taufe gehoben,
und Huber verkehrten kollegial und freundschaft- nutzt das große Strauss’sche Orchester und macht
lich miteinander. darüber hinaus auch Gebrauch von an Strauss
Wiederum anderer Art ist die Widmung geschulter Harmonik. Allerdings war dem Werk,
von Ludwig Thuilles (1861–1907) Streichquartett das Burkhard Schmilgun »zum Klangmächtigsten
A-Dur zu verstehen. Strauss hatte Thuille vermut- und Farbigsten« zählt, »was diese Zeit der musi-
lich 1877 kennen und als musikalischen Ratgeber kalischen Hypertrophien hervorgebracht hat«
schätzen gelernt; noch im selben Jahr wollte er (Schmilgun 1998, 17), nicht der Erfolg beschieden,
ihm seine (ungedruckt gebliebene) erste Klavier- den sich Korngold von seiner (wie er es sah) bes-
sonate E-Dur TrV 47 widmen. Thuilles im Folge- ten Kompositionen überhaupt erhofft hatte
jahr komponiertes Streichquartett (ein zweites (Strauss scheint sie kaum einer Erwähnung gewür-
Quartett blieb 1881 unvollendet) war sozusagen digt zu haben), und so verwendete er später fast
die Gegengabe. Die Freundschaft der beiden Mu- das gesamte thematische Material in seiner Oscar-
siker sollte bis zu Thuilles Tod Bestand haben. prämierten Filmmusik zu The Adventures of Robin
Ein klarer Fall von ›Heldenverehrung‹ ist Ha- Hood (1938).
25. Strauss und die Komponisten seiner Zeit 529

Wie auch immer die kompositorische Ausein- reduzieren. Gleichwohl steht außer Frage, dass
andersetzung mit Richard Strauss geriet – klar Richard Strauss, ob er es wollte oder nicht, die
abgrenzend, mit Hommagecharakter oder deriva- Musik seiner Zeit weitaus stärker prägte, als er
tiv –, es wäre falsch, auch nur einen der Kompo- selber wohl gedacht haben mag.
nisten auf die Auseinandersetzung mit Strauss zu

Literatur

Alwyn, William: Begleittext zur Sinfonie Nr. 1, CD- Strauss. Chronicle of a Fruitful Rivalry. In: Richard-
Produktion des Labels Lyrita. Burnham (Bucking- Strauss-Jahrbuch 2011, 55–64.
hamshire) 21992, 2–4. Gruhn, Wilfried: Die Instrumentation in den Orches-
Antonio Scontrino. Ricerca musicologica e catalogo terwerken von Richard Strauss, Diss. Mainz 1968.
delle opere. Trapani 1999. Hartmann, Arthur: Claude Debussy as I knew him. In:
Appel, David H. (Hg.): Prokofjew über Prokofjew. Aus Musical Courier 39 (23.5.1918), 6–9.
der Jugend eines Komponisten. München 1981. Hottmann, Katharina: Bürgerliche Mentalität und
Astor, Dorian: »Que voulez-vous de plus pour prouver Gattungskonzept in Richard Strauss’ »Zeitoper«
la tranquille bonne foi de ma conduite? La lutte de »Intermezzo«. In: Hanns-Werner Heister (Hg.): Die
Mariotte pour uns Salomé française«. Begleittext zur Ambivalenz der Moderne. Bd. 1. Antimoderne, Fa-
CD-Produktion des Labels Euterpe. Montpellier schismus, modernisierte Reaktion. Berlin 2005, 89–
2006, 15–17. 99.
Bastianelli, Giannotto: Saggi di critica musicale (Musi- Hülle-Keeding, Maria (Hg.): Richard Strauss – Romain
cisti d’oggi e di ieri). Milano 1914. Rolland. Briefwechsel und Tagebuchnotizen. Berlin
Bax, Arnold: Richard Strauss. In: Anna Instone/Julian 1994.
Herbage (Hg.): Music Magazine. Selections from the Iannelli, Marco: Il Caso Cassandra – Vittorio Gnecchi,
B.B.C. programme. London 1953, 76–78, Nachdruck una storia del Novecento. Brescia 2004. Engl.: The
in: Arnold Bax: Farewell, My Youth and Other Cassandra Case – Vittorio Gnecchi, a 20th Century
Writings. Hg. von Lewis Foreman. Aldershot/Brook- Story. Brescia 2007.
field 1992, 130–132. Kerbs, Adelheid: Richard Strauss und Max Reger. Ana-
Baxter, Kate: Havergal Brian’s »Agamemnon«. In: lyse der Doppelvertonungen zeitgenössischer Lyrik in
Havergal Brian Society Newsletter 128 (1996), 2–3, der Vokalmusik zwischen 1893 und 1903. Magisterar-
129 (1997a), 2–3, 130 (1997b), 2–4 und 131 (1997c), beit Bonn 1998.
4–7. Keym, Stefan: Zukunftsmusiker oder »ungeschickte
Becker, Alexander: »Ich habe kolossal viel von Richard Papageien«? Zur Strauss-Rezeption jungpolnischer
Strauss gelernt«. Max Regers Verhältnis zu Strauss. Komponisten ab 1900. In: Richard-Strauss-Jahrbuch
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531

26.
Strauss und die Musikwissenschaft
Von Wolfgang Rathert

I. zwischen der um 1900 erst langsam als universitä-


res Fach sich etablierenden Musikwissenschaft und
Der Versuch, das Verhältnis der Musikwissen- den literarisch-philosophischen Spielarten des
schaft – einschließlich ihrer beiden vorrangig auf Schreibens über Musik fließend waren – so äußer-
den öffentlichen Musikdiskurs ausgerichteten ten sich auch ein Alfred Döblin und ein Rudolf
Teildisziplinen der Biographik und Musikkritik – Kassner über Musik. Die akademische Musikwis-
zu Richard Strauss und seinem Werk genauer be- senschaft verstand sich dagegen als Philologie, die
stimmen zu wollen, gestaltet sich schwieriger als sich mit der Erforschung der älteren Musik be-
bei anderen großen Komponisten wie Liszt, Wag- fasste; wenn sie sich in die ästhetischen Debatten
ner, Brahms, Mahler, Reger oder Schönberg, die um die zeitgenössische Musik einschaltete (wie
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den Durchbruch Hugo Riemann oder Guido Adler), war dies eher
zur musikalischen Moderne vorbereiteten oder die Ausnahme. Strauss rechnete Kritiker wie Oskar
prägten. Sie wurden relativ schnell in die Werte- Bie, Wilhelm Klatte, Carl Krebs oder Heinrich
Skala historisch bedeutender, wenn auch nicht Welti 1898 zu seinen »besten Freunden« (Strauss
notwendigerweise populärer Musik eingereiht, 1954, 210). Von ihnen fühlte er sich verstanden,
und selbst das sperrige Werk Regers erfuhr kurz weniger hingegen von den akademisch etablierten
nach dessen Tod bereits eine kontinuierliche, frei- Musikwissenschaftlern, mit denen er den Kontakt
lich ideologisch vereinnahmte musikwissenschaft- weitgehend mied. Von den Auffassungen der »Mu-
liche Exegese. Bei Strauss stellte sich die Lage je- sikgelehrten« Friedrich von Hausegger und Eduard
doch spezifisch anders dar. Trotz des überwältigen- Hanslick zur Programmmusik distanzierte er sich
den, fast unüberschaubaren und internationalen noch im Alter (Strauss 1981, 165 f.). Zweitens ist das
publizistischen Echos auf seine Musik besaßen die von Verdrängung geprägte geistige Klima nach
meisten Beiträge und Äußerungen den Tenor einer 1945 in Betracht zu ziehen, das es heikel machte,
weltanschaulichen Auseinandersetzung, die entwe- über einen Komponisten zu schreiben, der ein
der auf das Fortschritts-Moment oder das Problem wichtiger kultureller Repräsentant des untergegan-
der stilistischen Einordung von Strauss’ Tonspra- genen Deutschen Reichs und des NS-Regimes
che fixiert war. Sofern sie nicht von vorneherein gewesen war. (Der radikale ästhetische Paradig-
hagiographische Züge trägt, hinterlässt ein Groß- menwechsel, der mit dem Aufstieg der neuen
teil der postumen Strauss-Literatur bis weit in die Avantgarden von Serialismus und Indeterminis-
zweite Jahrhunderthälfte hinein dagegen den mus eingeleitet wurde, tat das Seine, indem er die
Eindruck, dass die Autoren eine tiefer gehende Forderung nach einer kompositorischen ›Stunde
analytische und hermeneutische Beschäftigung Null‹ nach sich zog, vor deren Folie Strauss’ Musik
entweder bewusst mieden oder aber den Beweis hoffungslos veraltet und sogar reaktionär anmu-
antreten wollten, diese lohne sich erst gar nicht. tete.) Erst im zeitlichen Abstand zweier Generati-
Zwei Umstände sind hierfür in Anschlag zu onen nach Strauss’ Tod begann eine grundlegende
bringen: Erstens ist zu bedenken, dass die Grenzen und kontinuierliche Revision des Strauss-Bildes.
532 Wirkung

Im Folgenden seien einige Voraussetzungen beim großen Publikum besitzt, und der Verach-
eines verwirrenden Gesamtbildes diskutiert, an tung, die ihr – und damit auch der Persönlich-
dem fast mehr die Intensität und Gegensätzlich- keit – vor allem bei deutschsprachigen Musikwis-
keit als die Fülle und Vielfalt der Stimmen beein- senschaftlern im Gefolge der Strauss-Kritik Ador-
druckt, die sich zu Wort meldeten. Zur Wirkungs- nos entgegenschlug (und teilweise noch -schlägt),
geschichte gehört auch, dass Strauss jenseits der gründete in den schon angesprochenen Faktoren,
Grenzen von Musikwissenschaft und -kritik auf zu denen aber eine konstitutive Dialektik der Be-
ein nachhaltiges Echo stieß, so z. B. bei den ziehung von Musik und Öffentlichkeit hinzu-
Komponistenkollegen Béla Bartók (Ungarn), Paul kommt, die sich an Strauss’ künstlerischer Physio-
Dukas, Claude Debussy (Frankreich) und Daniel gnomie paradigmatisch aufzeigen lässt. Die Frage
Gregory Mason (USA). Jahrzehnte später kamen nach dem Verhältnis der Musikwissenschaft zu
Interpreten hinzu, vor allem der britische Dirigent Strauss ist weder von diesen historischen Voraus-
Norman Del Mar und der ebenso exzentrische wie setzungen noch von der Wahl der Methoden zu
scharfsinnige kanadische Pianist Glenn Gould, trennen, um dem Anspruch der Aufgabe gerecht
der 1962 äußerte, Strauss sei »the greatest musical zu werden. Dazu gehören auch Anerkennung und
figure who has lived in this century« (Gould 1987, Einsatz der Methoden der Biografie-Forschung
84–92). Die Provokation lag in der Janusköpfig- (sowohl in individual- wie sozialpsychologischer
keit der Behauptung: Einerseits stieß Gould in das Hinsicht) als ein wichtiges Instrument, eine For-
Horn des älteren Establishments, das Strauss derung, die angesichts der gegenseitigen Berüh-
schon immer für den bedeutendsten Komponis- rungsängste und Vorbehalte zwischen Biographik
ten nach Wagner gehalten hatte, andererseits öff- und werkanalytisch orientierter Musikwissen-
nete er ein Vakuum, das die Verweigerung der schaft im deutschsprachigen Raum immer noch
jüngeren Musikwissenschaft nach dem Zweiten auf Skepsis stößt.
Weltkrieg hinsichtlich einer kritischen Auseinan- Rekapituliert man die historischen Rahmenbe-
dersetzung mit Strauss geschaffen hatte. dingungen, so ist zunächst die in den 1830er Jahren
in Frankreich und Deutschland einsetzende Pola-
risierung der Diskurse über die ästhetischen und
gesellschaftlichen Funktionen von Musik (bzw.
II. der Tonkunst) zu nennen, die um 1860 zu der be-
kannten Spaltung in die Parteiungen von »Progres-
Strauss’ Musik schlug die Fachöffentlichkeit von siven« und »Konservativen« führte. Strauss’ Karri-
Anfang an in einer Weise in Bann, die mit den ere im deutschsprachigen Musikleben, die er Ende
gewohnten Kategorien nicht in Einklang gebracht der 1880er Jahre als bekennender Liszt-Verehrer
werden konnte. Dadurch wurden Biographie und und damit als Vertreter des Fortschritts startete,
musikalisches Werk zur Projektionsfläche für Vor- wurde durch die gesteigerte Spannung im Verhält-
und Werturteile, die bis heute in Teilen der nis von künstlerischer Aktion und kritischer Reak-
Strauss-Literatur zu finden sind. Relevanz und tion noch beschleunigt. Sie kulminierte 1905 nach
Konsistenz von Argumenten ist also mit Vorsicht der Uraufführung der Salome im succés de scandale
zu begegnen; die Strauss-Forschung kämpfte lange und damit in einem für alle Seiten – den Künstler,
mit erheblichen historiographischen und philolo- die Kritik und das auf Sensationslust konditio-
gischen Desideraten (einschließlich einer im Ent- nierte Großstadt-Publikum – vorteilhaften Reflex
stehen begriffenen kritischen Werkausgabe und kalkulierter und ritualisierter Empörung, durch
Aufstellung der Quellen), die durch die ungebro- die Strauss einige Zeit eine praktisch unangefoch-
chene Präsenz von Strauss’ musikdramatischen tene Spitzenstellung innerhalb des internationalen
Werken in den großen Opernhäusern der Welt Musiklebens erlangte. Als er 1911 mit dem Rosen-
lange in den Hintergrund rückten und teils als kavalier das Bild des »Neutöners« durchkreuzte
lästig, teils als vernachlässigbar galten. Die über und nach 1918 geradezu demonstrativ auf den
Jahrzehnte währende Kluft zwischen dem Nim- musiksprachlichen Mitteln der Tonalität beharrte,
bus, den Strauss’ ungebrochen präsente Musik blieb das provokative Moment mit umgekehrten
26. Strauss und die Musikwissenschaft 533

Vorzeichen erhalten: Von den Vertretern der irritiert und fasziniert auf Strauss’ Selbststilisie-
Neuen Musik heftig kritisiert, bot Strauss nun den rung, während Alfred Einstein enttäuscht meinte,
von Sezession und Revolution schockierten Kon- dass Strauss nur nach »Rezept« komponieren
servativen einen Halt. Bei alldem blieb das be- würde und gar zum »Straussianer« geworden sei
währte strukturelle Freund-Feind-Schema intakt, (Walter 2000, 250).
bis es unter den Gegebenheiten der nationalsozia- Strittig waren die Antworten auf die Frage, wie
listischen Diktatur obsolet wurde. Strauss’ Musik zu deuten sei, von Anfang an. Be-
Die Fülle der Funktionen und Ämter, die reits Ende der 1880er Jahre enthalten die Reaktio-
Strauss als Komponist, Dirigent und Organisator nen auf die Aufführungen der ersten Tondichtun-
im Lauf seines Lebens innehatte und die ihm im gen staunende Begeisterung bis zu scharfer Ab-
Dritten Reich zu einer im deutschen Musikleben lehnung und artikulieren eine Antinomie, die
bis dahin beispiellosen institutionellen Machtfülle sich bald als ein durchgängiges Leitmotiv etablie-
verhalfen, ist ein von Liszt und Wagner her ver- ren sollte. Negativ wird sie schon bei dem alten
trauter Sachverhalt. Aber der Radius erweiterte Eduard Hanslick manifest, für den Don Juan (in
sich enorm, da Strauss bereits früh über Europa Anlehnung an Friedrich Theodor Vischer) der
hinaus auch in den USA Anerkennung und pu- Inbegriff »nervös erhitzter und auf der Höhe der
blizistische Beachtung erfuhr; zusammen mit sei- heißgebrühten Wonne schon halb [ver]brecheri-
nem Freund und Konkurrenten Mahler wurde er scher Sinnlichkeit« war und den vollkommen
zu einer der ersten zentralen Figuren einer trans- »emanzipierten Naturalismus in der Instrumental-
atlantischen Musikgeschichte. Was Strauss in musik« (zit. nach Walter 2000, 119) verkörperte,
Auftreten und Erscheinung indes von Mahler und welcher der absoluten Musik gleichsam den To-
vor allem Wagner unterschied, war das Fehlen und desstoß versetze. Hugo Riemann ging noch einen
sogar gezielte Unterlaufen einer romantischen Schritt weiter mit der Auffassung, Strauss habe
Aura des Künstler-Genies. Sie hatte im Falle Wag- mit seiner »Häutung« als Programmmusiker die
ners nach dessen Tod geradezu kultisch-hysterische seit Beethoven zentrale Aufgabe der ethischen
Züge angenommen und ließ sich dadurch poli- Vertiefung der musikalischen Sprache (im Sinne
tisch instrumentalisieren, während Mahler den Schopenhauers also ihre metaphysische Aufla-
Nimbus des in die Musikmetropolen vorgestoße- dung) verraten: »Verzichtet ein Komponist auf das
nen Außenseiters und Musikheiligen besaß und Recht, durch die Musik sein Empfinden auszu-
pflegte (gleichwohl aber zu den bestbezahlten sprechen und zieht er vor, statt dessen das Empfin-
Musikern der Zeit gehörte). Strauss’ Charisma den anderer zu porträtieren, so thut er damit aller-
definierte sich nicht über die geheimnisvolle Per- dings einen verhängnisvollen Schritt: er entkleidet
sönlichkeit, sondern über die Wirkung seiner die Musik ihres ureigensten Wesens und verwen-
Musik. Das Attribut des »Modernen«, das zu- det ihre Mittel fortgesetzt in einem übertragenen,
nächst die Überwindung der Romantik in seiner sekundären Sinne: alles Naive, Spontane giebt er
Musik signalisierte, hätte er später gerne wieder auf um eines Reflektierten, Absichtlichen willen«
abgelegt, um es durch eine andere Aura, die der (Riemann 1901, 758). Anders die Verfasser der
vollkommenen Übereinstimmung von Intention populären Werkführer zu den Tondichtungen, auf
und Realisation – mithin einer Apotheose des die Strauss erheblichen Einfluss nahm, gerade weil
Metiergedankens –, zu ersetzen. Doch ließ sich er die gewandelte Funktion der Öffentlichkeit
diese Idealisierung objektiver Vollkommenheit, genau erkannte (Werbeck 1996, 8): Sie hoben
die eine Überwindung geschichtlicher Relativie- hervor, dass der »musische Rationalist« Strauss der
rung verhieß, angesichts der gesellschaftlichen Musik endlich ihren schon von Liszt angestrebten
und politischen Wirklichkeit nach 1918 nicht Anschluss an den Ausdrucksreichtum von Litera-
durchhalten, obwohl das Dritte Reich durch seine tur und Bildender Kunst ermöglicht habe (Wal-
Verquickung von politischer und ästhetischer den 1912, IX). Eine um Sachlichkeit bemühte
Sphäre sogar den Irrealis einer von der Kunst do- Haltung nahm als Erster Hermann Kretzschmar
minierten Wirklichkeit versprach. Paul Bekker, ein, der in seinem autoritativen Führer durch den
einer der führenden Strauss-Exegeten, reagierte Konzertsaal Strauss’ Symphonischer Fantasie Aus
534 Wirkung

Italien eine ausführliche Besprechung widmete, in genau aus demselben Holz geschnitzt wie Du!«
der er Strauss’ überragendes »koloristisches« Ta- (Steinitzer 1914a, 56)
lent attestierte, aber im Finale einen Mangel an Nach der Ernüchterung des Ersten Weltkriegs
»Leichtigkeit, die dem Gegenstand natürlich ist«, schätzte Steinitzer die Folgen der von ihm selbst
empfand (Kretzschmar 1921, 411–422). Die nach- betriebenen und vom Komponisten stillschwei-
folgenden Tondichtungen fielen freilich durch gend-wohlwollend geduldeten Forcierung des
Kretzschmars strenges taxonomisches Gattungs- Strauss-Kults skeptischer ein. In der Neuauflage
raster und wurden von ihm schlicht ignoriert. der Monographie von 1914 kritisierte er die Verfla-
Strauss’ Schulfreund und treuer Exeget Max chung der Strauss-Literatur zu einer rein apologe-
Steinitzer dokumentierte und kommentierte die tischen »Theodizee« und distanzierte sich von ei-
maßgeblichen Positionen der frühen Strauss-Lite- ner biologistisch-evolutionistischen Deutung des
ratur umfassend in der ersten Auflage seiner Mo- Werkes, wie sie der Botaniker, Schriftsteller (und
nographie (Steinitzer 1911, 97–175). Wenngleich er spätere fanatische Nationalsozialist) Reinhold
sich bedingungslos mit Strauss identifizierte, un- Conrad Muschler in seiner anlässlich von Strauss’
terschlug er die Kritik keineswegs. Sie diente ihm 60. Geburtstag erschienenen Biographie vorge-
vielmehr als Beleg der Ignoranz einer Fachöffent- nommen hatte. Doch erteilte Steinitzer zugleich
lichkeit, die – wie er meinte – Strauss’ Ausnahme- jener »Strauss-Dialektik« eine Absage, mit der er
rang in der deutschen Musik systematisch ver- die nach 1918 verstärkt einsetzenden sachlich-
kenne. In die überarbeitete zweite Auflage von analytischen Bemühungen um Strauss’ Musik
1914 mischen sich nationale Töne. Das Buch soll meinte, da sie die Aura und das Geheimnis ihrer
nun den Leser anregen, »stolz auf ihn [sc. Strauss] Wirkung durch die Enthüllung des konstruktiven
zu sein, als auf einen der großen und lauteren Aufwands zerstöre (Steinitzer 1927, 13–15) – ein
Charaktere im öffentlichen Leben des deutschen unverkennbarer Versuch, Strauss mit den Attribu-
Volkes, an denen es heute keinen Überfluss hat«; ten eines Klassikers zu versehen und ihn in Zeiten
mehr noch verstand Steinitzer seine Darstellung eines nachlassenden Interesses an seiner Musik für
nun gänzlich als Einfühlungsakt einer »positive[n] den klassisch-romantischen Werte-Kanon zu ret-
Kritik«, die sich über den Parteienstreit erhob ten. Der zentrale Aspekt, der alle Darstellungen
(Steinitzer 1914, 10 und 12). Noch weiter ging er in Steinitzers durchzieht, bleibt jedoch die Rolle der
einer im selben Jahr nachgeschobenen, ganz auf Öffentlichkeit, die für ihn den eigentlichen Mo-
Strauss’ Popularität setzenden Einführung in Le- dernitätsschub in der Musikgeschichte und damit
ben und Werk, in der er Strauss’ Gegnern unter das Ende der alten Tonkunst besiegelt. Das Phä-
den Musikkritikern jegliche sachliche Kompetenz nomen Strauss war ohne die permanente Wechsel-
abstritt, um am Ende einen pathetisch-vereinnah- wirkung mit einer internationalen Öffentlichkeit,
menden Ton anzuschlagen, in dem das aggressiv- die seine Laufbahn genauestens verfolgte und
euphorische Klima des Kriegsausbruchs, das auch kommentierte, nicht mehr erklärbar. Adorno
in ästhetischen Dingen keinerlei Renegatentum sollte diese Nähe später als einen der entscheiden-
mehr dulden konnte, deutlich spürbar wird: »[…] den Sündenfälle ansehen, während Steinitzer
wir danken es ihm, wenn diese Erkenntnis seiner meinte, dass es Strauss gelungen sei, den humanis-
Persönlichkeit uns anspornt, nach derselben Frei- tischen Impetus des Tonkunst-Gedankens zu
heit von allem Kleinlichen, Beschränkten, a l l z u transformieren und damit als Bildungsauftrag für
Menschlichem […], nach der Überwindung alles künftige Generationen zu retten.
Spießbürgertums zu streben, für die e r seiner
Zeit ein leuchtendes Beispiel ist! Jeder von uns
darf ihm im stillen zurufen: Wir sind stolz auf
Dich, auch als Mensch, und die Männer, die in III.
ernster Zeit ihrem Vaterland zum H e i l e wirk-
ten, jene allzu selten gewordenen wirklichen Die frühe Strauss-Apologetik empfand und feierte
M ä n n e r , die stets wissen, was sie wollen und Strauss’ Werk als Non plus ultra eines unwider-
das tun, was sie selbst für r e c h t halten, sie sind stehlichen Élan vital und einer faszinierenden
26. Strauss und die Musikwissenschaft 535

Verbindung von Lebensreform, Kultur-Imperialis- und Liedersänger Ernst Otto Nodnagel (1870–
mus und fin-de-siècle-Dekadenz. Für Oskar Bie 1909) formuliert. Im Versuch, Strauss’ Rolle in der
und Herwarth Walden ergaben programmatische zeitgenössischen deutschen Musik vor einer allge-
Intention und klangliche Erscheinung ein an meinen ästhetischen Problemstellung zu fassen, in
suggestiver Wirkung nicht zu überbietendes Gan- der Mahler den Platz des Antipoden einnahm,
zes. Die Modernität von Strauss’ Musik spiegele attestiert Nodnagel den Tondichtungen höchste
sich in einer auf allen Ebenen von Form, Klang kompositorische Meisterschaft und Kühnheit.
und Gestus bestehenden Individualität als Konse- Strauss ist für ihn der »Führer der modernen
quenz der Erkenntnis, dass der Inhalt von Musik Kunstbewegung« vor allem in organisatorischer
»stets der Ausdruck psychischen Lebens gewesen« und ökonomischer Hinsicht. Künstlerisch könne
sei. Für Walden löste Strauss das grundlegende er jedoch, obgleich »primus inter pares«, keine
Dilemma der Programmmusik auf, einerseits die Schule bilden. Der Grund hierfür sei seine Nei-
Einbildungskraft des Hörers durch einen außer- gung zum Ulk – der von Nodnagel verwendete
musikalischen Kontext einzuschränken, anderer- französische Ausdruck »blague« umfasst allerdings
seits aber – nach Schopenhauer – wie alle Musik auch die Konnotation der Lüge –, zum bloß
auf die Unmittelbarkeit des Gefühls zu zielen, in- »geistreichelnde[n] S p i e l e n m i t d e r
dem er eine »naturalistische« Schreibweise von K u n s t […]. Ob ein Künstler sich in seinem
äußerster Prägnanz erschuf. Dadurch habe Strauss Werk über das Publikum lustig macht oder ob er
zwar den Begriff der überkommenen klassischen auf dessen B e i f a l l spekuliert, beides ist glei-
Form »vernichtet«, könne sich aber seit Helden- chermaßen vom Uebel, ja vom Uebel ist es schon
leben und der Symphonia domestica – gewisserma- von vornherein, wenn der Künstler beim Schaf-
ßen als Bestätigung einer seit Wagner endgültig fen ü b e r h a u p t a n d a s P u b l i k u m
etablierten Semantisierung der Musik – mit blo- d e n k t . Etwas Echtes, künstlerisch Ehrliches,
ßen verbal-programmatischen Andeutungen be- Unbefangenes wird dann niemals zu stande kom-
gnügen. Die von Walden im Rosenkavalier konsta- men« (Nodnagel 1902, 125 f.; Hervorh. im Orig.).
tierte klassizistische »Umkehr« ist für ihn daher Nodnagels Argwohn, Strauss meine es nicht ernst
nicht Indiz einer Krise, sondern Aufhebung des (genug) oder bediene ausschließlich die Publi-
alten Form-Inhalt-Dualismus der Musik des kumserwartungen (bzw. den Markt), nimmt
19. Jahrhunderts in neue »Meisterwerke« (Walden ebenfalls Adornos spätere Kritik vorweg.
1912, VIf.). Bie fühlte beim Hören der Symphonia In ähnlicher Weise äußerte sich Rudolf Louis
domestica dagegen eine vitalistische »Wonne, mit 1909 in seiner Darstellung der deutschen Musik
diesen Fluten über den bunten Grund des Lebens der Gegenwart, die um den Fortschrittsbegriff
zu fließen« und pries Strauss als einen deutschen kreist, an dessen Prägung Strauss selbst teilgenom-
Impressionisten, der die »motivische Wahrheit« men hatte. Trotz einer dezidiert negativen Haltung
der Leitmotivtechnik Wagners in eine »sinnliche und als Sprachrohr der sogenannten »Münchner
Symphonie«, eine »präzise Orchesterfarbe« über- Schule« einem aufgeklärten Konservatismus ver-
führe, die in ihrem Kern »unwagnerisch« sei. An pflichtet, erkannte Louis Strauss als Leitfigur der
die Spitze des musikalischen Fortschritts sei deutschen Musik an. Dessen Plädoyer für einen
Strauss, das »Genie in neuen Kombinationen«, in gleichsam absoluten Fortschritt musste er aller-
der Salome durch seine rationale technische Kon- dings als eine Provokation empfinden, hatte
trolle gelangt. Sie verkörpere eine Synthese von Strauss doch 1907 kämpferisch-programmatisch
höchster Artifizialität und stärkster Unmittelbar- formuliert: »Darum fort mit der Anwendung ei-
keit, mit der Strauss das Lebensgefühl der Gegen- ner schulmeisterlichen Ästhetik auf Werke, die
wart eingefangen habe (Bie 1905, 59, 62 f., 74). mit eigenem Maßstabe zu messen sind; fort mit
Zwei einflussreiche Gegenpositionen in der allen Gesetzestafeln, die längst schon von großen
deutschsprachigen Literatur vor dem Ersten Welt- Meistern zerbrochen worden sind; fort mit allem
krieg seien stellvertretend für das Unbehagen Hohepriestertum, das sich einer kraftvollen Wei-
skizziert, das Strauss’ Werk auslöste. Die erste terentwicklung hindernd entgegenstellen will; fort
wurde 1902 von dem Musikkritiker, Komponisten mit allem, was keine Berechtigung für sich aufwei-
536 Wirkung

sen kann, als daß es gestern schon gewesen ist!« Liebermanns, das symbolträchtig die Bebilderung
(Strauss 1981, 20). Diese Sätze drücken eine von Mersmanns Buch eröffnet, eindrucksvoll
(scheinbare) Missachtung der Gesetze der Kunst- vorführt – gelassen-erhaben über die Zeitläufte
und Musikgeschichte aus, die Louis zwar von re- blickt. In anderen programmatischen Publikatio-
lativen Fortschritten, aber mindestens genauso nen der 1920er Jahre wie der außerordentlich kri-
stark vom Rückgriff auf Älteres gekennzeichnet tischen Studie des Berliner Musikkritikers Walter
sieht. Nur vordergründig bestätigte Strauss Louis’ Schrenk (Schrenk 1924) oder dem Busoni gewid-
Formel von der »Reaktion als Fortschritt« (Louis meten Sammelband Von Neuer Musik von 1925
1909, 46), als er sich fünf Jahre nach seinen starken erscheint Strauss bereits als eine historische Figur,
Worten mit Rosenkavalier und Ariadne auf Naxos als ein Vertreter überwundener Zeiten. Ihr steht
eben jener Historizität bediente. freilich seine hagiographische Überhöhung zu ei-
ner Erlöserfigur der deutschen Musik entgegen,
die sich in der umfassenden, noch im Bann von
Lebensphilosophie und Jugendstil stehenden Mo-
IV. nographie Richard Spechts ankündigt (Specht
1921). Der Topos des Übervaters, der eine gewisse
Die hier skizzierten Argumentationsmuster der Parallele zum George-Kult aufweist, wird nach
Jahrhundertwende können in vielfach sedimen- 1933 zementiert: Der Schweizer Musikwissenschaft-
tierten Wert- und Vorurteilen bis in die jüngere ler Fritz Gysi widmet 1934 seine Biographie, in der
Literatur aufgespürt werden, ohne dass dies den alle musikgeschichtlichen Kontexte konsequent
Autoren immer bewusst geworden wäre. Das Auf- Werk und Person untergeordnet sind, lapidar
treten von Strauss markierte um 1900 offenbar (und mit Majuskeln) »Dem MEISTER zur Voll-
eine Grenze des Diskurses über Musik, die durch endung des siebzigsten Lebensjahres« (Gysi 1934).
die kontroverse Wahrnehmung des Komponisten Dass man Strauss’ künstlerisches Konzept einer
zwischen Geschäftsmann und Künstler und seines souverän mit den Stilhaltungen spielenden »Mu-
effizienten öffentlichen Agierens noch verstärkt sik über Musik« von einer ganzen anderen Warte
wurde. Die Schwierigkeit, daraus tragfähige und aus interpretieren konnte, hatte sechs Jahre zuvor
konsistente Interpretationen jenseits von Apologie der russische Musikkritiker und -gelehrte Iwan
und Ablehnung, jenseits positivistischer Analysen Sollertinski demonstriert. Anlässlich einer Lenin-
oder hermeneutischer Zirkelschlüsse zu gewinnen, grader Inszenierung des Rosenkavalier charakteri-
ist bis heute in der Musikwissenschaft zu spüren. sierte er Strauss als einen »Anti-Metaphysiker«,
Lange blieb der von den Biographen eifrig ge- dessen sekundenschnelle »Überführung des Pathos
pflegte Mythos des erhabenen, den Niederungen in die Parodie und umgekehrt« ein ebenso hervor-
stilgeschichtlicher Relativierungen enthobenen stechendes wie innovatives Merkmal seiner musi-
»Meisters« intakt. Auch die um Nüchternheit be- kalischen Sprache sei. Mit diesem formalistischen
mühte akademische Musikwissenschaft der Schü- Ansatz bezog sich Sollertinski auf Bachtins Litera-
ler Kretzschmars und Aberts nach 1920 blieb da- turtheorie, deren systematische Anwendung auf
von nicht unbeeindruckt, wie die Strauss-Darstel- die inter- und metatextuellen Dimensionen von
lung Hans Mersmanns erkennen lässt. Zunächst Strauss’ Musik noch aussteht (Sollertinski 1979,
gattungstheoretisch argumentierend, sieht er 219–224). Hermann Danuser hat indes auf die
Strauss’ Dominanz im deutschen (und, unausge- Möglichkeit verwiesen, Strauss’ Tondichtungen als
sprochen, europäischen) Musikleben darin be- Experimente eines selbst-reflexiven künstlerischen
gründet, dass er als einziger die auseinanderstre- Bewusstseins zu deuten, das die Alternativen einer
benden Entwicklungen von Musikdrama und »naturalistischen« und »symbolistischen« Deutung
symphonischer Musik zusammengefasst und zu der Musik gewissermaßen als weltanschauliche
einem Abschluss gebracht habe (Mersmann 1927, »Diskursnormen« und entsprechende Rezeptions-
71). Doch siedelt er Strauss bereits jenseits aller Angebote an den damaligen gebildeten Hörer
zeitgeschichtlichen Auseinandersetzungen an, als richtete, um damit zugleich zu demonstrieren,
einen Nestor, der – wie das Strauss-Porträt Max dass der Widerspruch zwischen heteronomer und
26. Strauss und die Musikwissenschaft 537

autonomer Ästhetik gegenstandslos geworden sei Werk zuwies, soll nun die Gegensätze von Artistik
(Danuser 2009, 280 ff.). und Metaphysik, von Fortschritt und Reaktion
In der deutschsprachigen Strauss-Rezeption und damit den alten Parteienstreit des 19. Jahr-
war zu Beginn der 1930er Jahre aus dem einstigen hunderts aufheben.
Fortschritts-Adepten, der die »Nervosität« und
Reizempfänglichkeit des modernen Menschen
unvergleichlich in Töne umzusetzen vermochte,
der Siegelbewahrer einer untergegangenen feudal- V.
großbürgerlichen Welt geworden, deren innere
Einheit er kompositorisch durch das Festhalten an Strauss’ Selbststilisierung zum Testamentsvollstre-
einer allgemeinverständlichen Sprache (unter cker einer dem Untergang geweihten Kultur
Vorherrschaft der Dur/Moll-Tonalität) garantierte prägte den Ton der nach 1945 erscheinenden
und gleichzeitig musealisierte. An der Erklärung Strauss-Literatur in einer heute nur als historisches
dieser Wandlung scheiterte auch Paul Bekker, Dokument erträglichen Realitätsverdrängung und
dessen gegensätzliche Reaktionen zeigen, wie flie- ideologischen Verbrämung. Während Kurt Pfister
ßend sich der Übergang zwischen fortschrittlichen im Geleitwort der letzten zu Strauss’ Lebzeiten
und reaktionären Positionen in der Strauss-Deu- erschienenen Biographie die thematische Analyse
tung vollzieht. Zunächst glühender Bewunderer als »unzulängliche Sisyphusarbeit […], die der
des Neuerers Strauss, hatte Bekker 1914 nach der Tätigkeit des chirurgischen Seziermessers am ge-
Premiere von Josephs Legende scharf das »mehr sund atmenden Organismus gleicht«, ablehnt,
Ersonnene als Erfühlte dieser in einer Ästhetenre- verklärt er im selben Atemzug unter Umkehrung
torte zurechtgebrauten Kunstgattung« (Bekker von Spenglers Untergang des Abendlands Strauss’
1921, 100) kritisiert. 1932 jedoch vollzieht er in ei- Werk zum »späte[n] Denkmal«, zur »großartige[n]
nem fiktiven offenen Brief an Strauss, der (wie- Synthese des europäischen Geistes eines Jahrhun-
derum in Beachtung der unantastbaren öffentli- derts, […] unberührt von den Krisen und Er-
chen Autorität von Strauss) den Auftakt einer schütterungen unserer Gegenwart«, das eine »bis
ganzen Reihe solcher von ihm verfassten Briefe an heute letzte gültige und tragende Stimme im er-
prominente Musiker der Weimarer Republik bil- lauchten Chor der abendländischen Musik« bilde
det, eine verblüffende Kehrtwende. Nicht ohne (Pfister 1949, 10). Und in seiner den allgemeinen
Wehmut bilanziert er im Rückblick auf die Folgen Tenor der zahlreichen Nachrufe exemplarisch
des Weltkriegs und unter Anspielung auf Die Frau zusammenfassenden Würdigung schrieb Willi
ohne Schatten zunächst, dass »Ihre bisherige Welt Schuh, Strauss sei, Goethes Rat folgend, vom
[unterging]. Sie aber saßen wie der Kaiser in Ih- Endlichen »nach allen Seiten gegangen, um so ins
rem Werk versteint, nur das Auge noch lebend, Unendliche auszuschreiten. Von allen großen Meis-
auf Ihrem Thron, zu dem kein Reich mehr ge- tern der Musik der am vielseitigsten gebildete,
hörte […]«. Das Ende des Briefes mündet jedoch wechselte er in seinem Schaffen immerfort die
in einen von Schopenhauers Willensphilosophie Stoffgebiete. […] Nicht als Ergebnis künstleri-
durchdrungenen Hymnus auf den Interpreten scher Spekulation freilich, sondern allein als das
und Komponisten Strauss, die ultimative Manifes- der inneren Entwicklung des Meisters ist die Ver-
tation des »gestaltenden Künstlerwillens«: »Wir einigung des scheinbar Unvereinbaren in einem
verehren ihn [sc. den Willen] um so höher, als er Gesamtwerk Ereignis geworden, das an festlichem
bei uns zu den größten Seltenheiten gehört: Auf- Glanz, an Lebensfülle wie an künstlerischer
hebung aller Gegensätze von Leben und Kunst, Spannweite nicht seinesgleichen hat in unserer
reine Lösung des Lebens in die Kunst, reine Lö- Zeit« (Schuh 1949, 363 f.). Es entbehrt nicht einer
sung der Kunst in das Leben, Überwindung aller bitteren Ironie, dass der von Strauss mit einer au-
Verschiedenheiten der Generationen durch die torisierten Biographie beauftragte Schuh bis zum
absolute Meisterlichkeit des objektivierten Wil- Schluss dessen massive Versuche zu erdulden
lens« (Bekker 1932, 14 ff.). Die »Objektivität«, die hatte, Schuhs eigene (wohlwollende) Haltung ge-
Bekkers entelechisches Geschichtsdenken Strauss’ genüber der klassischen Moderne und insbeson-
538 Wirkung

dere Strawinsky zu unterdrücken (Walter 2000, klanglichen von Strauss’ Werken stehe – er »or-
7 ff.). Schuhs schließlich 1976 erschienene Biogra- chestriert« seine Argumente ähnlich überwälti-
phie umfasste – angesichts der Fülle und Hetero- gend und polythematisch wie Strauss seine großen
genität der überlieferten Quellen nachvollzieh- Partituren. Der frühe Essay von 1924 war in dieser
bar – nur die Jahre 1864–1899. Die »bescheidenere Hinsicht sachbezogener und inhaltlich hellsichti-
Rolle« eines lediglich erläuternden Kommentators ger. Hier konnte Adorno Strauss’ Drängen zur
einnehmend, verstand er sich weiterhin als ein »Oberflächlichkeit« und den komplementären
demütiger Chronist, der die Dokumente »für sich Verzicht auf »Innerlichkeit« als ein objektives
selbst sprechen« lassen wollte (Schuh 1976, 12). Problem moderner Kunst diagnostizieren, das
Im Hinblick auf die Kontinuitäten autoritärer nicht einen Mangel des Werkes anzeige, sondern
politischer und sozialgeschichtlicher Strukturen in eine subtile und zutiefst humane Auseinanderset-
Deutschland stellt es nur auf den ersten Blick ei- zung mit dem fundamentalen Wandel eines »Ich«,
nen Widerspruch dar, dass die mythologisieren- dessen Subjektivität entweder vernichtet wird
den Lesarten von Strauss’ künstlerischer Lebens- (Salome, Elektra) oder in die künstliche Sphäre
leistung selbst im offiziellen Marxismus-Leninis- untergegangener Idealwelten (Rosenkavalier)
mus in der DDR unangetastet blieben. Zum flüchten muss. Ganz in der Perspektive Simmels
Beleg kann Ernst Krauses viel gelesene Biographie und der Formtheorie des frühen Lukács ist in der
dienen, in der er ein über weite Strecken vollkom- Kunst auch die »Wirklichkeit der Formen defini-
men apologetisches und unpolitisches Strauss-Bild tiv erloschen, besteht weiter nur als Schein; er
entwarf. Erstmals 1955 in Leipzig erschienen, ging [Strauss] lebt nicht mit den Formen, nicht gegen
das Buch 1988 als ein stiller Bestseller unter den sie, er setzt die vergangenen sich selber« (Adorno
Musikerbiographien in die 8. (unveränderte!) 1924/1984, 255). Unmittelbar danach, ab 1925,
Auflage und war als gleichsam inoffizielle gesamt- wandelte sich Adornos Sicht auf Strauss unter
deutsche Strauss-Deutung auch in westdeutschen dem Einfluss der Kritischen Theorie und der Wie-
Lizenzausgaben lieferbar. ner Schule vehement. Die neue, schon im Versuch
Erst Theodor W. Adornos einflussreicher über Wagner sich niederschlagende und noch bis
Strauss-Essay von 1964 bot diesem befriedeten in die Ästhetische Theorie durchgehaltene Lesart
hagiographischen Bild entschieden Einhalt und geht vom Modell eines organizistisch-fragmenta-
beendete die akademische Distanz (und Ratlosig- rischen Kunstbegriffs und dessen logischer
keit) gegenüber Strauss, auch wenn der jüdische »Durchbildung« aus. Vor beidem versage Strauss:
Exilant Adorno dessen Rolle im Dritten Reich »Bergs Kritik am Straussischen Metier ist triftig,
nicht thematisierte. In der beeindruckenden Aus- weil, wer Logik refusiert, zu jener Durchbildung
führlichkeit, Dichte und Schärfe der Argumenta- unfähig ist, der jenes Metier dient, auf das Strauss
tion scheint der Text auf eine Demaskierung, ja seinerseits verpflichtet war« (Adorno 1964/1970,
Demontage zu zielen, doch räumt Adorno Strauss 318 f.). Deshalb spricht Adorno jeglichem »Ge-
darin genau jenen zentralen Platz zum Verständnis füge« oder »Gemachten« ästhetische Dignität ab,
der Moderne ein, den er ihm ununterbrochen aus obgleich er – schon allein aufgrund der gemeinsa-
geschichtsphilosophischer Warte bestreitet. Ador- men Prägung durch die bürgerliche Musikkul-
nos Versuch einer fundamentalen Revision bishe- tur – eine Befriedigung am gelingenden Metier
riger Strauss-Bilder aus dem Geist der Kritischen nicht verleugnen kann: »Die Kategorie der Gestal-
Theorie und der Philosophie der neuen Musik tung, peinlich als verselbständigte, appelliert ans
bleibt auch deshalb problematisch, weil er die Gefüge. Aber das Kunstwerk rangiert desto höher,
(gnostische) Figur des Verblendungszusammen- ist desto mehr gestaltet, je weniger darin verfügt
hangs von Kunst, Markt und Öffentlichkeit in ist. Gestaltung heißt Nichtgestalt« (ebd., 430 f.).
einer Weise überstrapaziert, die der komplexen Strauss’ Theorie und Praxis kompositorischer
historischen und künstlerischen Realität nicht Technik steht für Adorno nun unter einem kate-
gerecht werden kann. Auch stellt sich schnell der gorialen Vorbehalt, der in einem nicht unerhebli-
irritierende Eindruck ein, als ob Adornos rhetori- chen Maß die musikwissenschaftliche Strauss-
sche Brillanz mitunter in Konkurrenz zu der Rezeption im Deutschland der 1970er und 1980er
26. Strauss und die Musikwissenschaft 539

Jahre bestimmen sollte (Fuss 1988). Dabei gerieten lich weniger ein Hindernis denn ein unterschwel-
die verborgenen grundlegenden Konfliktlinien liger Impuls der überfälligen Differenzierung des
leicht aus dem Blick: zum einen der ästhetische Strauss-Bildes auch von »links« (Werbeck 1996, 3).
Bruch, der sich philosophiegeschichtlich zwischen Der Versuch Anette Ungers, Strauss’ Ästhetik und
Schopenhauer und Nietzsche, musikgeschichtlich Werk einer fundamentalen Re-Interpretation aus
zwischen Wagner und Strauss als Kritik (und der Sicht der Geschichtsphilosophie Adornos zu
Desillusionierung) von Metaphysik und Kunstre- unterziehen, erwies sich freilich als nicht gangbar
ligion vollzieht, zum anderen ein Konflikt um die (Unger 1992), während Richard Wattenbarger zu
Deutungshoheit der Wiener Klassik. Während Recht auf den konkurrierenden Bildungs-Begriff
Adorno in Beethoven die zentrale Gestalt eines hinter Adornos Kritik hinwies. Sofern man gewillt
dionysisch-prozesshaften, zur schöpferischen Zer- ist, Kritik und Kunst gleichzusetzen, wäre Ador-
störung von Tradition führenden Ansatzes sah, nos Insistenz auf dem radikalen Vollzug der klas-
hatte für Strauss stets das Werk des »Apollinikers« sischen Techniken motivischer-thematischer Ar-
Mozart den unüberbietbaren Endpunkt komposi- beit dann ein struktureller Konservatismus, wäh-
torischer und künstlerischer Vollkommenheit rend Strauss’ unbelasteter (wenngleich höchst
dargestellt. (Dass Strauss die gesellschaftliche kalkulierter) Umgang mit den musikalischen
Emanzipation des Künstlers in der bürgerlichen Kunstmitteln eine progressive Loslösung von äs-
Welt gleichsam als Erbe Beethovens zum Ab- thetischen Dogmen signalisiere, ohne jedoch den
schluss gebracht hatte, ignorierte Adorno geflis- Begriff der Tradition aufzugeben (Wattenbarger
sentlich.) Außerdem hatte Adorno sehr wohl die 2001).
innovativen, aus heutiger Sicht »post-modernen«
Aspekte von Strauss’ Werk registriert (Kogler
2004). Vergleichbar der Wirkung der Musik Mah-
lers, traten sie vor dem Hintergrund der Rehabili- VI.
tierung der Tonalität zu Beginn der 1970er Jahre
zunächst in der Wahrnehmung jüngerer Kompo- Angestoßen durch eine fulminante, freilich von
nisten in ein neues Licht, bevor die Musikwissen- inneren Widersprüchen nicht freie Philippika
schaft sie im Rahmen einer allgemeinen kulturge- Stephan Kohlers (Kohler 1990), die erstmals die
schichtlichen Neubewertung des Jugendstils einer Desiderate vor allem innerhalb der deutschspra-
sachlicheren Betrachtung unterwarf (Hollander chigen Strauss-Forschung zusammenstellte und
1975, 47–58). Wie ambivalent Adornos Verhältnis diskutierte, setzte ungefähr gleichzeitig mit der
zu Strauss war, verrät die Metapher der »Fabrik- Zäsur des Jahres 1989 die Revision liebgewonnener
schornsteine in frisch eroberter Landschaft« Klischees und Mythen ein. An ihre Stelle traten
(Adorno 1964/1978, 569), mit der er den Eindruck eine international auf breiter Front einsetzende
beschrieb, den Strauss’ Musik in seiner Kindheit Differenzierung und Aufarbeitung der musik- und
auf ihn gemacht habe. Man kann dieses Bild zwar kulturgeschichtlichen Bedingungen, sowohl in der
als Symbol des Auszugs der industriellen Musik Biographik (Gilliam 1992 und 1999) wie in der
aus dem Arkadien der Tonkunst interpretieren, Werkanalyse (Werbeck 1996). Eine direkte Reak-
aber es lässt auch das Gegenteil eines geschichtlich tion darauf stellte die von Hanspeter Krellmann
notwendigen Schrittes und der mit ihm verbunde- 1999 aufgeworfene Frage dar, wer Strauss »eigent-
nen Dialektik zu – in dem Moment, wo Musik lich« gewesen sei, deren befriedigende Beantwor-
endlich »erwachsen« wird, verliert sie ihre Un- tung bislang nicht gelungen sei, da man Strauss’
schuld. Die Ähnlichkeit mit der berühmten Asso- Werk kaum je »kritisch-angemessen rezipiert« habe.
ziation Adornos, dass der Beginn von Mahlers In vielen Werkbeschreibungen seien die Autoren
1. Symphonie an den »unangenehm pfeifenden oft der Versuchung erlegen, angesichts der Popu-
Laut altmodischer Dampfmaschinen« erinnere, larität von Strauss’ Musik »mehr ideologisch als
der »gleich einem dünnen Vorhang vom Himmel« strikt werkimmanent zu argumentieren: Sie haben
herunterhänge (Adorno 1960/1984, 152), ist jeden- seiner Musik in der Regel einen insgesamt affirma-
falls frappierend. So war der späte Essay letztend- tiven Charakter attestiert und diesen von seinem
540 Wirkung

allgemeinen Konservativismus, der auch für seine Bilderstürmer bis zur offenbar willigen Galionsfi-
politische Haltung verantwortlich sei, hergeleitet.« gur ästhetischer Regression und Gleichschaltung
Daher fehle »bis heute eine authentische, kom- im Nationalsozialismus. Dabei ist hier noch nicht
plexe und wissenschaftlich fundierte Darstellung einmal die kompositorische und ästhetische Re-
dieser wichtigen, auch zentralen deutschen Per- zeption von Strauss’ Musik in der zweiten Jahr-
sönlichkeit des geistigen Bereichs, deren Leben in hunderthälfte bei Komponisten wie Henze, Rei-
komplizierter Zeit eine Schaffensspanne von rund mann oder Rihm eingeschlossen. Aus Youmans’
fünfundsechzig Jahren umfaßt hat, von denen Liste lassen sich aber mindestens drei Kernpro-
zwanzig im neunzehnten, fünfundvierzig im bleme herausdestillieren: die Quellensituation, der
zwanzigsten Jahrhundert lagen«. Die Widersprü- Frage der Identität von Strauss’ Musik und die
che, die Strauss »wie vor ihm in so gewagter Konsequenzen des veränderten Musikbegriffs der
Schärfe wohl nur Wagner« provoziert habe, seien Moderne um 1900 für das Verständnis des Werkes.
nicht aufgearbeitet, Strauss werde »im ganzen nur (1) Diese Auswertung der umfangreichen und
pauschal, weil häufig zu ungenau und vordergrün- komplexen Quellenlage ist, was Primärtexte (Briefe,
dig beurteilt […]« (Krellmann 1999, 10 f.). Autographen) und Rezeptionsdokumente betrifft,
Um die hier angemahnte Gerechtigkeit her- noch längst nicht abgeschlossen. Hinzu kommt
zustellen, musste eine mühsame Sichtung und die seit dem 19. Jahrhundert übliche Einfluss-
Rekonstruktion der maßgeblichen musik-, menta- nahme des Komponisten auf das von ihm in der
litäts- und sozialgeschichtlichen Diskurse vorge- Öffentlichkeit herrschende Bild, wie es sich in den
nommen werden, deren Ergebnisse und Schluss- zahlreichen bereits zu Lebzeiten erschienenen
folgerungen sich in den jeweiligen nationalen und biographischen Darstellungen niederschlägt (vgl.
kulturellen Kontexten zwangsläufig anders dar- die nützliche chronologische Zusammenstellung
stellen. Erstmals unternahm Michael Walter den bei Walter 2000, 456–459) sowie die Tatsache, dass
Versuch, das Spektrum historischer, soziologischer, Strauss’ eigene Äußerungen stark widersprüchlich
psychologischer, ästhetischer und analytischer sein konnten und entweder impulsiver Natur
Ansätze aufzuzeigen, ohne indes Vollständigkeit waren oder strategischen Überlegungen entspran-
erreichen oder anstreben zu können (Walter gen. Diesen Umstand zu ignorieren, birgt die
2000). So unterblieb etwa die Diskussion der Gefahr von Simplifizierungen, schütteren Hypo-
wichtigen Rolle von Strauss als Förderer jüngerer thesen und Fehleinschätzungen, insbesondere der
Komponisten – Schönberg, aber auch Varèse und umstrittensten Aspekte von Strauss’ Biographie:
Hindemith sind hier zu nennen – vor und auch seines Antisemitismus und seines Verhaltens im
noch nach dem Ersten Weltkrieg. Parallel erschie- Dritten Reich (Walter 2000, 63 und 75). Die Mu-
nen bzw. folgten wenig später weitere Publikatio- sikwissenschaft hatte das heikle Thema lange ig-
nen mit dem Ziel einer behutsamen Ent-Mytho- noriert und tabuisiert: Im Register von Josef Wulfs
logisierung (Messmer 1994; Boyden 1999). Das Dokumentation Musik im Dritten Reich (1966)
von Charles Youmans 2010 reformulierte Arbeits- taucht Strauss zwar auf, aber Wulf diskutiert seine
programm der Strauss-Forschung belegt aber, dass Rolle – vielleicht sogar aus Ehrfurcht vor der Au-
es weiterhin um Grundsätzliches geht, nämlich torität des Namens – an keiner Stelle; und noch
um nichts weniger als Strauss’ »place in the twen- Anna Amalia Abert behandelte das Thema der
tieth century, his love for musical borrowing, his Strauss-Rezeption in der deutschen Presse zwi-
relationship to the Nazi regime, his unapologetic schen 1933 und 1939, als ob das Dritte Reich nicht
treatment of music as a business, his character as a existiert hätte (Abert 1980). In eine entgegenge-
performer, and his curious tendency to write mu- setzte, die oben angedeutete hermeneutische und
sic about music« (Youmans 2010, XVIII). Die methodische Problematik exemplarisch erhellende
Abarbeitung dieses Programms hat gezeigt, welche Richtung wies Gerhard Splitts These, dass die
Spanne zu bewältigen ist: Sie umfasst Strauss’ Jahre 1933–1935, der Zeitraum von Strauss’ Präsi-
Transformation vom radikalen Modernen der dentschaft in der Reichsmusikkammer, wie in ei-
Jahrhundertwende zum Gralshüter des Abendlan- nem Brennspiegel »sich nicht nur zu einem aus-
des am Ende des Zweiten Weltkriegs, vom kühnen drucksstarken Bild des Meisters zusammenfügen,
26. Strauss und die Musikwissenschaft 541

sondern dazu geeignet sind, Strauss’ gesamte Per- zu Mahler und Schönberg – keine nennenswerten
sönlichkeit zu erschließen« (Splitt 1987, VIII). psychischen Krisen oder Schaffensblockaden be-
Strauss – für den Splitt weiterhin das Epitheton kannt geworden sind. Oskar Bie gegenüber be-
des »Meisters« verwendet (!) – habe auf alte kul- tonte Strauss die Unbeugsamkeit seines »Ich«, das
turpolitische Pläne und Utopien vom Ende des von der stilistischen Wandlungsfähigkeit unbe-
19. Jahrhunderts, etwa Hermann Kretzschmars rührt sei, die die Musikkritik immer wieder her-
ordnungspolitische Vorstellungen eines ständisch- vorhebe (Bie 1905, 56 f.); dabei ließ er offen, ob er
hierarchisch organisierten deutschen Musiklebens, das personale oder das künstlerische Ich meinte
zurückgreifen können und damit die Chance einer oder keinen Unterschied zwischen beiden Instan-
Korrektur des »durch den Aufbruch der atonalen zen machte. Seine noch im hohen Alter geäußerte
Moderne (um 1908) erlebte[n] Choc[s]« genutzt, Kritik des »Suchen(s) der Herren Musikgelehrten
um die Zementierung einer atavistischen Vorstel- nach ›persönlich Erlebtem‹ und ›Bekenntnißhaf-
lung des Abschlusses der deutschen Musikge- tem‹« (Walter 2000, 152) verspottete geradezu den
schichte in seiner eigenen Person zu vollziehen. Wunsch der Biographen, aus ihm einen Helden
Freilich distanzierte sich Strauss keineswegs von nach dem Muster der Heroen-Biographien des
seiner vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen 19. Jahrhunderts zu formen und das Klischee der
Musik; umgekehrt tappte Splitt in die biographi- Deckungsgleichheit von Kunst und Leben zu be-
sche Falle, indem er sich fast ausschließlich auf dienen. Die Abwehr einer solchen Mystifizierung
Strauss’ Persönlichkeit bezog und die komplizier- und die Virtuosität, mit der Strauss in unter-
ten institutionellen und biographischen Kontexte schiedlichste künstlerische Masken schlüpfte, sind
zu wenig berücksichtigte. Auch die sich einander aber nicht nur ein spezifischer Zug seines künstle-
ausschließenden Alternativen, Strauss entweder in rischen Selbstverständnisses, sondern auch Echo
Anlehnung an Thomas Manns Diagnose von 1918 eines als revolutionär empfundenen Wandels der
als »Unpolitischen« abzutun oder aber als einen Mentalität von Künstlern und Intellektuellen seit
»homo politicus« zu verdammen, der gezielt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Phy-
Ideen, Systeme und Menschen für seine langfristi- siker Ernst Mach hatte diesen Wandel in der pro-
gen Ziele manipuliert habe (Kater 1997, 223 ff.), ist vozierenden These gefasst, dass das moderne, von
nicht tauglich, die diffizilen Verhältnisse zwischen Aufklärung und technisch-wissenschaftlichem
1933 und 1945 adäquat zu beschreiben und zu in- Fortschritt geprägte und zerrissene Ich keine un-
terpretieren (Potter 1992). Erst die systematische veränderliche Größe, sondern ein ständig sich
Sichtung und sensible Deutung weiterer zeitge- verändernder Sinn-Komplex sei, weshalb die Ab-
schichtlichen Quellen wird neue und belastbare grenzung zur äußeren Welt (dem »Nicht-Ich«)
Beurteilungskriterien hervorbringen. So hat jüngst keinen Sinn mehr habe. Strauss’ Empfänglichkeit
die Untersuchung der sogenannten Entnazifizie- für die prä-existenzialistische Philosophie Nietz-
rung am Beispiel prominenter deutscher Musiker sches – dessen Prägung vom »Übermenschen« ein
gezeigt, dass Strauss selbst von dem Emigranten solches zugleich totales und fragmentarisches Ich
Schönberg verteidigt wurde, offenbar um die meint – und sein Bestreben, seiner Musik größt-
Fiktion einer Abgrenzung der »Tonkunst« von den mögliche Welthaltigkeit durch programmatische
Niederungen der Politik als Akt einer Solidarisie- Bindung zu verleihen, erklären sich von hier aus.
rung aller Musiker aufrechtzuerhalten (Custodis/ Romain Rolland erfasste diesen Zusammenhang
Geiger 2013, 108 f.). bereits 1908, als er in Strauss’ Tondichtungen einer
(2) Die Frage, wie Strauss’ Persönlichkeit und »Festigkeit des musikalischen Gewebes, in dem
die künstlerische Aussage seiner Musik definiert man den Musiker von Rasse spürt, der sich an
werden können und was ihre Identität bestimme, Meistern genährt hat und trotz alledem klassisch
ist keineswegs trivial. Sie zielt geradewegs auf die ist« die »Krankheitskeime« und einen »Wahnsinn
Paradoxie einer Person, die offensichtlich immer des Hochmuts, einen Ichglauben und eine Ver-
»sie selbst« blieb (oder mit eiserner Disziplin die achtung der andern, die an das Frankreich des
für die Öffentlichkeit geschaffene Rolle durch- 17. Jahrhunderts erinnern«, gegenüberstellte (Rol-
hielt) und von der – in denkbar großem Kontrast land 1908/1925, 147–178).
542 Wirkung

Die Musikwissenschaft hat auf die Identitäts- dadurch modernen Ästhetik oder als ein leeres,
frage entgegengesetzte Antworten gegeben. Zum d. h. jegliche intellektuelle (und moralische) Am-
einen wurde auf den Begriff der »Stilkunst« als bition verweigerndes l’art pour l’art deuten. Man
strukturelles Kennzeichen der Moderne der Jahr- könnte demnach fragen, ob sich in Strauss’ Er-
hundertwende verwiesen (Kristiansen 2002), zum scheinung im Sinne Michel Foucaults eine Art
anderen wieder die Persönlichkeit als der eigent- Dispositiv niederschlägt, dem die moderne Kunst
liche »Klebstoff« (»glue«) ins Spiel gebracht, der insgesamt verpflichtet ist.
allein die Forderung nach höchster Individualität Dahinter steht letztlich die schon von Hegel in
eines jeden neuen Werkes einlösen könne (Ross seiner Ästhetik aufgeworfene Problematik der
2010, 197). Zu Ende gedacht, birgt dieses Argu- Verselbständigung der Mittel, die sich von ihren
ment allerdings seinerseits die Gefahr einer Ein- ursprünglichen transzendenten Zwecken lösen –
ebnung von Differenz, wenn Youmans überhaupt übersetzt in die Situation einer Weltanschauungs-
keinen substanziellen Unterschied mehr zwischen Musik um 1900 hieße dies, dass auch die der
den Werken gleich welcher Phase anerkennt. Es Musik als einziger Kunst vorbehaltene »Unmittel-
mache, so Youmans, keinen Sinn, nach Authenti- barkeit des Gefühls« zur artistischen Illusion de-
zität oder einer »stable artistic voice« zu suchen, da potenziert würde. Der oft hervorgehobene auto-
Strauss die Kategorie des Stils von der des Autors biographische Zug von Strauss’ Musik wäre in
abgekoppelt habe; für ihn sei jede stilistische Wahl dieser Hinsicht die Kompensation des Transzen-
ein Experiment, ja eine »Pose« gewesen (Youmans denzverlusts durch die Selbsterhebung des Künst-
2010, 293). Der französische, mit Paul Bekker be- lers zum eigentlichen Gegenstand der Kunst.
freundete Musikschriftsteller Jean Chantavoine Damit zusammen hängt auch der zu den frü-
hatte dagegen 1911 anlässlich der Uraufführung hen Dogmen der Strauss-Kritik gehörende Vor-
des (von ihm später ins Französische übersetzten) wurf, Strauss habe die »Substanz« des Tonsatzes
Rosenkavalier spekuliert, Strauss’ wahre künstleri- dem »Gewand« der klanglichen Außenseite geop-
sche Identität liege in einem weichen und senti- fert. Noch bei Carl Dahlhaus spürt man einen
mentalen Ton seiner Jugendwerke, zu dem er im- Vorbehalt in der Tendenz, die Tondichtungen von
mer wieder zurückkehre, wenn er nicht eine Strauss zwar als wichtigen Schritt für die Durch-
Handlung illustrieren müsse. Die Stilbrüche seien setzung der musikalischen Moderne zu bewerten,
also nicht so sehr artistisches Kalkül als vielmehr ihren absolut-musikalischen Gehalt aber gegen-
Ausdruck eines unbewussten Wunsches der Rück- über den Werken Schönbergs zu relativieren
kehr zu einem Zustand der Naivität, der sich oft (Dahlhaus 1980, 279 ff.). Mathias Hansen hinge-
durch eine humoristische Haltung maskiere gen konfrontierte Strauss’ Realismus mit dem
(Anon. 1911). »geschichtsbewussten Vorbehalt« seiner »Vorgän-
(3) Das dritte, aufs Engste damit zusammen- ger und Zeitgenossen«, die »die Menschheit zum
hängende Problem betrifft die schon erwähnten Guten führen« wollten, während Strauss lediglich
fundamentalen Paradigmenwechsel, denen die »der Welt (s)einen Spiegel« vorgehalten und nicht
Musik im Verlauf des 19. Jahrhunderts unterwor- verraten habe, »ob er mit dieser Tat noch irgend-
fen war. Steht Strauss’ Werk für den unumkehrba- eine Hoffnung verband« (Hansen 2003, 74 f.). Die
ren Verlust der metaphysischen bzw. kunstreligiö- vermeintlich plakativen musikalischen Verfahrens-
sen Sendung der Tonkunst, an deren Stelle eine weisen von Strauss erscheinen in Hansens Deu-
»Artistenmetaphysik« und kalte Objektivierung tung gerade als eigentlicher Schlüssel für einen
tritt? Ermöglichte Strauss der Musik damit wieder adäquaten hermeneutischen und strukturellen
eine autonome Existenz als Kunstform oder lie- Zugang. Udo Bermbach las dagegen noch 2005
ferte er sie als Ware einem rapide wachsenden aus Strauss’ Manifest von 1907 die »Ankündigung
Markt bürgerlichen Musik-Konsums aus? Je nach einer Absage an die Moderne« heraus und konsta-
ideologischer Zugehörigkeit und philosophischer tierte den »Mangel an einer ästhetischen Grund-
Schule ließe sich sein Beitrag zur Musikgeschichte idee«, weshalb Strauss auf den bloßen »theatralen
entweder als endgültige Durchsetzung einer im Effekt« und die emotionale Überwältigung des
Kern anti-romantischen, rationalistischen und Hörers vertrauen musste – Argumente, die von
26. Strauss und die Musikwissenschaft 543

einer offenbar ungebrochenen Attraktivität der the introspective tendency which has been so
Kritik Hanslicks und Adornos, aber auch von ei- fundamental in most of the other great German
ner nach wie vor gegebenen Provokationskraft der musicians from Bach to Wagner« mache ihn zum
Musik zeugen (Bermbach 2005, 331). Freilich kann Vertreter der Moderne schlechthin (Mason 1916,
es heute weder um die Auflösung oder Zuspitzung 184). Diese Aussage eines dezidiert konservativen
solcher Antinomien gehen noch um den naiv an- Hauptvertreters des amerikanischen Akademis-
mutenden Versuch einer positiven Verabsolutie- mus steht in diametralem Gegensatz zu dem noch
rung von Strauss (Wajemann 2003), sondern um 1918 unvermindert vertretenen ästhetischen Todes-
die Ausleuchtung musik- und ideengeschichtli- urteil in Riemanns Musik-Lexikon, wonach Strauss
cher Konstellationen und der aus ihr erwachsen- »im Reinsten und Höchsten ein Oberflächenmu-
den kompositorischen Poetik. siker« sei, dessen Beschränkungen »auf dem Ge-
biet des Geistig-Seelischen liegen« (10. Aufl. 1918,
1255) – ein Urteil, das auf amerikanischer Seite
niemand Geringerer als der Solipsist und Avant-
VII. gardist Charles Ives ohne Zögern unterschrieb, der
sich mit diesem fundamentalen ästhetischen Vor-
Von jeher einen anderen Ursprung besaß die Fas- behalt zum Anhänger der europäischen Kunstreli-
zination, die Strauss’ Musik auf die anglo-ameri- gion bekannte.
kanische Musikkritik und -wissenschaft ausübte Jedoch stimmten amerikanische und europäi-
(Wattenbarger 2000). Aufgrund der geschichtlich sche Kritiker weitgehend darin überein, dass
bedingten latenten Ablehnung der Oper waren es Strauss nach 1918 den Kontakt zur Musik der Ge-
vor allem die Tondichtungen, deren ästhetische genwart verloren habe. David Ewen ging 1930 so
Kühnheit und gleichsam fotografische klangliche weit, von einer »almost painstakingly developed
Abbildungsqualität, deren Simultaneität von ver- deterioration« zu sprechen (Ewen 1930), da
schwenderischer Fülle und naturalistischer Detail- Strauss’ (einstige) Modernität in der anglo-ameri-
zeichnung zusammen mit einer humorvoll-prag- kanischen Sicht als eine echte Kategorie des Fort-
matischen Weltsicht ohne metaphysischen Ballast schritts angesehen wurde und nicht – wie Strauss
das Lebensgefühl des prosperierenden »Gilded es selber betonte – als ein den jeweiligen Zwecken
Age« traf und sich damit als Vorbild für amerika- unterworfenes Kunstmittel. Dieser Standpunkt
nische Komponisten empfahl. Richard Aldrich, wird noch einmal in ganz anderem Zusammen-
der einflussreiche Musikkritiker der New York hang deutlich, nämlich in der scharfen Reaktion
Times, bezeichnete Strauss 1904 als den Repräsen- des damals 37-jährigen deutschen Musikwissen-
tanten des »modern spirit in art – in the vast di- schaftlers Alfred Mann, der 1938 in die USA
vergency of his interest, the wide view he takes of emigriert war. Im Nachwort zu dem von ihm
life in all its aspects« (Aldrich 1904). Ernest New- übersetzten »Künstlerischen Vermächtnis« von
man ging noch weiter, indem er Strauss zum Strauss – den Plänen für ein deutsches Opernmu-
Komponisten einer Zukunft ausrief, in der die seum nach dem Brand der Wiener Staatsoper im
bisherigen Gegensätze von Kunst und Natur nicht März 1945 –, schreibt er, dieses Manifest sei zwar
mehr existierten: »He is complex because he is »interesting because it represents the views of one
simple; he appears so wildly artificial because he is who has been the most significant German opera
absolutely natural; he is called sophisticated be- composer of the post-Wagnerian era«; doch es sei
cause he casts aside all artifice and speaks like the vor allem »pathetic« (erbärmlich), »because while
natural musical man« (Newman 1905/1914, 260). it contains some good ideas it shows that its au-
Der Komponist und Musikschriftsteller Daniel thor has outlived his own times and speaks from a
Gregory Mason konstatierte 1916, Strauss unter- vantage point that is no longer clearly perceptible
laufe schon von seinem Auftreten her (»the clean- to us« (Mann 1950, 8). Damit hatte Mann nicht
cut efficiency of his personality, his businesslike nur die Unumkehrbarkeit des Paradigmenwech-
habits, his mordant wit«) das Klischee des tiefsin- sels zur Neuen Musik betont, sondern Strauss zu
nigen romantischen Tonkünstlers; sein »lack of einer ästhetischen – und letztlich auch politi-
544 Wirkung

schen – »persona non grata« erklärt, die in schärfs- den Kategorien der Heroengeschichte und herme-
tem Kontrast zu der mächtigen Figur steht, die das neutischen Tradition der Musikhistoriographie seit
deutsche Musikleben über Jahrzehnte dominiert dem 19. Jahrhundert verhaftet bleibt und sich vor
hatte. Auch hier scheinen die Gegensätze der einer echten Aufklärung scheut? Bevor die heutige
Deutungen unüberwindbar. Musikwissenschaft versucht, diese Widersprüche
Ist es also doch gerechtfertigt, mit dem in der aufzulösen, wird sie sich vorerst weiterhin damit
jüngeren anglo-amerikanischen Strauss-Literatur bescheiden müssen, die inneren wie äußeren
wieder verwendeten Begriff des »Rätsels« (Botstein Triebkräfte und Bedingungen von Richard Strauss’
1992; Kennedy 1999) das Phänomen Strauss zu komplexer künstlerischer Existenz und seines
charakterisieren? Oder ist er eine Mystifikation, die Werkes so sorgfältig wie möglich zu bestimmen.

Literatur

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ANHANG
548

Werkverzeichnis
Von Walter Werbeck

Das Werkverzeichnis beruht auf dem Werkverzeichnis A. Vokalmusik


des Verfassers in MGG 2. Aufl., Personenteil Bd. 16
(2006), Sp. 72–87. Das Verzeichnis erfasst nur vollstän- I. Geistlich
dige, in Reinschrift bzw. im Druck vorliegende Kompo-
sitionen. Messe für gemischten Chor a cappella, 4 Sätze TrV 54
(1877; 13. Dez. 1987 München), Mainz 1996, Schott
Ausgaben (Widmung: Franz Strauss [Vater]): Kyrie (Mai 1877);
Richard Strauss. Lieder. Gesamtausgabe, hg. von F. Tren- Sanctus (Mai 1877); »Benedictus« (Ende Dez. 1877);
ner, 4 Bde., London 1964 (GAL) Agnus Dei (Mai 1877)
Richard Strauss. Nachlese. Lieder aus der Jugendzeit und
verstreute Lieder aus späteren Jahren, hg. von W. II. Weltlich
Schuh, London/Bonn 1968 (NL)
Richard Strauss Edition, Bd. 1–18: Sämtliche Bühnen- 1. Chorwerke
werke, Wien 1996; Bd. 19–30: Orchesterwerke, ebd. a. A cappella
1999 (RSE) Zwei Lieder nach Gedichten von Joseph von Eichendorff
Der junge Richard Strauss. Frühe Klaviermusik, hg. von für vierstimmigen gemischten Chor TrV 37 (1876),
Chr. Wolf, 3 Bde., Mainz 2003, 2004, 2006 (RSFK) Mainz 1996, Schott: 1. Morgengesang (»Im Osten
geht die Sonne auf«) (21. Febr. 1876); 2. Frühlings-
(Wo im Folgenden kein anderer Verlag verzeichnet ist, nacht (»Über’m Garten durch die Lüfte«) (23. Febr.
sind die hier genannten Ausgaben zugleich der Erst- 1876)
druck.) Schwäbische Erbschaft (»Der gnäd’ge Herr von Zavel-
stein«) (Feodor Löwe) für Männerchor TrV 134 (1884;
7. Okt. 1950 [?] Mönchengladbach), München 1950,
Leuckart
Zwei Gesänge für sechzehnstimmigen gemischten Chor
op. 34 TrV 182 (1897), München 1897, Aibl (Wid-
mung: Julius Buths [1], Philipp Wolfrum [2]): 1. Der
Abend (»Senke, strahlender Gott!«) (Schiller)
(16. März 1897; 19. April 1898 Köln); 2. Hymne (»Ja-
kob! Dein verlorner Sohn«) (Rückert) (7. Mai 1897
[Skizze 25. April 1897]; 9. März 1899 Köln)
Soldatenlied (»Wenn man beim Wein sitzt«) (August
Kopisch) für Männerchor TrV 192 (7. Juli 1899),
München 1900, Bauer
Drei Männerchöre (Johann Gottfried Herder, Stimmen
der Völker in Liedern, 1807) op. 45 TrV 193 (1899),
Berlin 1900, Fürstner (Widmung: Franz Strauss
[Vater]): 1. Schlachtgesang (»Kein sel’ger Tod ist in der
Welt«) (14. Juli 1899); 2. Lied der Freundschaft (»Der
Mensch hat nichts so eigen«) (6. Juli 1899); 3. Der
Brauttanz (»Tanz, der du Gesetze unsern Füßen
gibst«) (21. Juli 1899)
Zwei Männerchöre (Herder, Stimmen der Völker in Lie-
Werkverzeichnis 549

dern, 1807) op. 42 TrV 194 (1899) (8. Dez. 1899 Wien), chester op. 14 TrV 131 (22. Mai 1885 Köln, Gürzenich;
Leipzig 1899, Leuckart: 1. Liebe (»Nichts Bessers ist Dirigent: R. Strauss), Partitur: München 1886, Aibl
auf dieser Erd«) (23. Juli 1899); 2. Altdeutsches Schlacht- (Widmung: Fr. Wüllner); Klavierauszug vierhändig
lied (»Frisch auf, ihr tapfere Soldaten!«) (Juli 1899) von R. Strauss, ebd. 1886 (RSE 30)
Sechs Volksliedbearbeitungen für vierstimmigen Männer- Hymne (»Licht, du ewiglich Eines«) (Schiller) für Frau-
chor TrV 216 (24. Nov. 1905), Leipzig 1906, Peters enchor, Bläserchor und großes Orchester TrV 183
(Widmung: Frank Black): 1. Geistlicher Maien (»Wer (14. Mai 1897; 1. Juni 1897 München, Glaspalast;
sich des Maiens wölle«) (12. Nov. 1905); 2. Mißlun- Dirigent: R. Strauss), Manuskript Privatbesitz
gene Liebesjagd (»Ich schell mein Horn«); 3. Tummler Taillefer (»Wer singt in meinem Hof«) (Ludwig Uhland)
(»Frisch auf, gut Gesell«); 4. Hüt du dich (»Ich weiß für Sopran, Tenor, Bass, gemischten Chor und Or-
mir ein Maidlein«) (13. Nov. 1905); 5. Wächterlied chester op. 52 TrV 207 (Skizze: 13. Juli 1902; Particell:
(»Wach auf, wach auf«); 6. Kuckuck (»Der Gutzgauch 24. Aug. 1902; Partitur: 2. Sept. 1902 – 2. Mai 1903;
auf dem Zaune saß«) (14. Nov. 1905) 26. Okt. 1903 Heidelberg, Stadthalle; Dirigent: R.
Deutsche Motette (»Die Schöpfung ist zur Ruh gegan- Strauss), Berlin 1903, Fürstner (Widmung: Philo-
gen«) (Friedrich Rückert) für 4 Solostimmen und soph. Fakultät der Univ. Heidelberg) (RSE 30)
sechzehnstimmigen gemischten Chor a cappella Bardengesang (»Herbei, herbei, wo der Kühnsten Wunde
op. 62 TrV 230 (22. Juni 1913; 2. Dez. 1913 Berlin), blutet«) (Friedrich Gottlieb Klopstock, Hermanns-
Berlin 1913, Fürstner (Widmung: Hugo Rüdel, Hof- schlacht) für drei vierstimmige Männerchöre und
theatersingchor Berlin) Orchester op. 55 TrV 219 (6.–26. April 1906; 21. Nov.
Cantate (»Tüchtigen stellt das schnelle Glück hoch 1906 Dortmund; Dirigent: Robert Laugs), Berlin
empor«) (Hugo von Hofmannsthal) für vierstimmi- 1906, Fürstner (Widmung: Gustav Wohlgemuth)
gen Männerchor TrV 232 (22. Febr. 1914), hg. in: (RSE 30)
Karl-Joachim Krüger, Hugo von Hofmannsthal und Die Tageszeiten (Eichendorff ). Ein Liederzyklus für
Richard Strauß, Berlin 1935, Anhang, 2–8 (Widmung: vierstimmigen Männerchor, Orchester und Orgel
Nicolaus Graf von Seebach) op. 76 TrV 256 (19. Dez. 1927; 21. Juli 1928 Wien,
Die Göttin im Putzzimmer (»Welche chaotische Haus- Konzerthaus; Dirigent Viktor Keldorfer), Leipzig
hälterei!«) (Rückert) für achtstimmigen gemischten 1928, Leuckart (Widmung: Viktor Keldorfer, Wiener
Chor TrV 267 (6. Febr. 1935; 2. März 1952 Wien), Schubertbund) (RSE 30): 1. Der Morgen (»Wenn der
London u. a., Boosey & Hawkes 1958 Hahn kräht auf dem Dache«); 2. Mittagsruh (»Über
Drei Männerchöre (Rückert) TrV 270 (1935; 5. April 1936 Bergen, Fluß und Talen«); 3. Der Abend (»Schweigt
Köln), London 1957, Boosey & Hawkes (Widmung: der Menschen bunte Lust«); 4. Die Nacht (»Wie
Eugen Papst, Kölner Männergesangverein): 1. Vor den schön, hier zu verträumen«)
Türen (»Ich habe geklopft an des Reichtums Haus«) Austria (»Wo sich der ewige Schnee«) (Anton Wildgans)
(12. Aug. 1935); 2. Traumlicht (»Ein Licht im Traum für Männerchor und großes Orchester op. 78 TrV 259
hat mich besucht«) (27. Aug. 1935); 3. Fröhlich im (Particell: 26. Febr. 1929; Partitur: 9. März 1929;
Maien (»Blühende Frauen lasset euch schauen«) (8. 10. Jan. 1930 Wien, großer Musikvereinssaal; Diri-
Okt. 1935) gent R. Strauss), Berlin 1930, Bote & Bock (Wid-
Durch Einsamkeiten (»Durch Einsamkeiten, durch wald- mung: Wiener Männergesangverein) (RSE 30)
wild Geheg«) (Anton Wildgans) für vierstimmigen Olympische Hymne (»Völker! Seid des Volkes Gäste«) (Ro-
Männerchor TrV 273 (8. Mai 1938; 1. April 1939 Wien), bert Lubahn) für gemischten Chor und großes Or-
Mainz 1996, Schottt (Widmung: Wiener Schubert- chester TrV 266 (22. Dez. 1934; 1. Aug. 1936 Berlin,
bund) Olympiastadion; Dirigent: R. Strauss), Berlin 1936,
An den Baum Daphne (»Geliebter Baum! Von Ferne Fürstner (RSE 30)
winkst du«) (Joseph Gregor) für neunstimmigen ge-
mischten Chor TrV 272a (13. Nov. 1943; 5. Jan. 1947 2. Ensembles
Wien), London 1958, Boosey & Hawkes (Widmung:
Wiener Staatsopernchor) Der weiße Hirsch (»Es gingen drei Jäger wohl auf die
Birsch« [sic]) (Ludwig Uhland) für Alt, Tenor, Bass
b. Mit Orchester und Klavier TrV 6 (1871?) (NL)
»Auf aus der Ruh« (Goethe, Lila), für Tenor, gemischten Szenen zu einem Singspiel für Singstimmen und Klavier
Chor und Orchester TrV 61/3 (Ende Jan. 1878), Ma- TrV 40: 1. Gnomenchor (»Im Felsengrund verborgen«)
nuskript RSA (23. Febr. 1876), 2. Lied des Mariechen (»Armes Rös-
Chor aus Elektra von Sophokles für Männerstimmen und lein tief im Wald«), 3. Ensemble mit Arie u. Rezitativ
Orchester TrV 104 (? Sommer 1881; 1881 München, des Wurzel (»Was gibt’s zu schaffen«), 4. Arie des
Ludwigsgymnasium), hg. in: Karl Schmidt, Hilfsbuch Wurzel (»Das hätten meine jungen Pflanzen«), 5. Sze-
für den Unterricht im Gesange auf den höheren Schu- nenmusik, nachdem Mariechen eingeschlafen ist,
len, Leipzig 1902, 109 (Klavierauszug mit Besetzungs- 6. Ensemble »Was ist das für ’ne Zauberei«, Manu-
angaben) skript RSA
Wandrers Sturmlied (»Wen du nicht verlässest, Genius«) Sieben Lieder für Vokalquartett/vierstimmigen gemisch-
(Goethe) für sechsstimmigen Chor und großes Or- ten Chor a cappella TrV 92 (1880), Mainz 1996,
550 Anhang

Schott (Widmung: Franz Strauss [Vater]): Winterlied dich mir offenbaren«) (Ludwig Uhland) (11. Dez.
(»Mir träumte, ich ruhte wieder«) (Eichendorff ) (13. 1902); 2. Der Einsame (»Wo ich bin, mich rings um-
März 1880); Spielmannsweise (»Es stand auf duftiger dunkelt«) (Heine) (18. Febr. 1906; Klavierauszug
Aue«) (Otto Franz Gensichen) (Anfang April 1880); zweihändig von R. Strauss, GAL 2)
Pfingsten (»Frohen Tones laden Glocken«) (Adolf Drei Hymnen (Friedrich Hölderlin) für hohe Stimme
Böttger) (Anfang April 1880); Käferlied (»Es war’n op. 71 TrV 240 (1921), Berlin 1921, Fürstner (Widmung:
einmal drei Käferknaben«) (Robert Reinick) (22. Minnie Untermyr) (GAL 4): 1. Hymne an die Liebe
April 1880); Waldessang (»Ich hör ein Vöglein locken«) (»Froh der süßen Augenweide«) (6. April 1921); 2. Rück-
(Böttger) (27. April 1880); Schneeglöcklein (»Schnee- kehr in die Heimat (»Ihr linden Lüfte«) (2. Jan. 1921);
glöcklein lacht und jubelt«) (ders.) (3. Mai 1880); 3. Liebe (»Wenn ihr Freunde vergeßt«) (20. Jan. 1921)
»Trüb blinken nur die Sterne« (ders.) (Ende Mai Vier letzte Lieder TrV 296 (1948), London 1950, Boosey
1880) & Hawkes (Widmung: Willi Schuh und Frau [1],
Bardengesang (»Wir litten menschlich seit dem Tage«) Mr. und Mme Seery [= Maria Jeritza] [2], Herr und
(Heinrich von Kleist, Die Hermanns-Schlacht) für Frau Dr. Adolf Jöhr [3], Ernst Roth [4]) (GAL 4):
Männerchor, Blechbläser und Harfe TrV 144 (Jan. 1. Frühling (»In dämmrigen Grüften«) (Hermann
1886; Febr. 1886 Meiningen), Manuskript unbekannt Hesse) (18. Juli 1948 [Particell: 20. Juni 1948]); 2. Sep-
»Utan svafvel och fosfor« (Schwed. Zündholzschachtel- tember (»Der Garten trauert«) (ders.) (20. Sept. 1948
Text) für 4 Männerstimmen TrV 159 (7. Dez. 1889; [Particell: 14. Aug. 1948]; 3. Beim Schlafengehen
14. Dez. 1889 Weimar), Mainz 1996, Schott (»Nun der Tag mich müd gemacht«) (ders.) (4. Aug.
Kanon (»Hans Huber in Vitznau sei schönstens be- 1948); 4. Im Abendrot (»Wir sind durch Not und
dankt«) für 4 Stimmen TrV 208 (20. Aug. 1903), Freude gegangen«) (Eichendorff ) (6. Mai 1948 [Par-
Wien 1974, Doblinger (Widmung: Hans Huber) ticell: 27. April 1948])
Skatkanon (»S-c-a-t spielen wir fröhlich bei Willy Le-
vin«) für 4 (Männer-)Stimmen TrV 210 (31. Dez 1903), b. Für eine Singstimme und Klavier
Wien 1974, Doblinger (Widmung: Willy Levin) Weihnachtslied (»Schlaf wohl, du Himmelsknabe du«)
Hymne auf das Haus Kohorn (»Unerschöpflich quillet der (Christian Friedrich Daniel Schubart) TrV 2 (Dez.
Born«) (R. Strauss) für 2 Tenöre und 2 Bässe TrV 252 1870), in: Berliner Lokalanzeiger 1898, Beilage Weih-
(23. Nov. 1925), Manuskript Privatbesitz Greenwich/ nachtslieder (Widmung: Georg und Johanna
Conn. Pschorr) (GAL 3)
Der böhmische Musikant (»Es kommt aus fernem Böh-
3. Lieder merland«) (Oskar Pletzsch) TrV 7 (1871?) (NL)
Einkehr (»Bei einem Wirte wundermild«) (Ludwig
a. Für eine Singstimme und Orchester Uhland) TrV 3 (vor 21. Aug. 1871), in: Die Musik IV/8,
Arie der Almeide »Sei nicht beklommen« (Goethe, Lila) 1905, Beilage (Widmung: Johanna Pschorr) (GAL 3)
TrV 61/2 (Ende Jan. 1978); Klavierauszug zweihändig Winterreise (»Bei diesem kalten Wehen«) (Uhland)
von R. Strauss, Manuskript RSA TrV 4 (1871) (Widmung: Johanna Pschorr) (GAL 3)
Der Spielmann und sein Kind (»Es blitzt und kracht und Waldkonzert (»Herr Frühling gibt jetzt ein Konzert«)
saust der Wind«) (Heinrich Hoffmann von Fallersle- (Johann Nepomuk Vogel) TrV 5 (1871?) (Widmung:
ben) TrV 63 (28. Febr. 1878) (NL); Klavierauszug Auguste Schreiber) (NL)
zweihändig von R.Strauss, Manuskript Bayer. Staats- Der müde Wanderer (»Schon sank die Sonne nieder«)
bibliothek München (Widmung: Caroline von (Heinrich Hoffmann von Fallersleben) TrV 16 (1873?)
Mangstl) (Widmung: Johanna Pschorr) (GAL 3)
Vier Gesänge op. 33 TrV 180 (1896/97), Berlin 1897, Bote Husarenlied (»Husaren müssen reiten«) (Hoffmann von
& Bock (GAL 4): 1. Verführung (»Der Tag, der Fallersleben) TrV 42 (Dez. 1876) (Widmung: Johanna
schwüle«) (John Henry Mackay) (5. Juli 1896); 2. Ge- Pschorr) (GAL 3)
sang der Apollopriesterin (»Es ist der Tag«) (Emanuel Der Fischer (»Das Wasser rauscht«) (Goethe) TrV 48
von Bodmann) (1. Okt. 1896); 3. Hymnus (»Daß du (Dez. 1877) (Widmung: Johanna Pschorr) (GAL 3)
mein Auge wecktest«) (5. Jan. 1897); 4. Pilgers Mor- Die Drossel (»Ich will ja nicht in Garten geh’n«) (Uh-
genlied – An Lila (»Morgennebel, Lila«) (Goethe) land) TrV 49 (Dez. 1877) (Widmung: Johanna
(25. Jan. 1897) Pschorr) (GAL 3)
Zwei größere Gesänge für eine tiefere Stimme op. 44 TrV Laß ruhn die Toten (»Es steht ein altes Gemäuer«) (Adel-
197 (1899), Leipzig 1899, Forberg (Widmung: Anton bert von Chamisso) TrV 50 (Dez. 1877) (Widmung:
von Roy [1], Karl Scheidemantel [2]) (GAL 4): 1. Not- Johanna Pschorr) (GAL 3)
turno (»Hoch hing der Mond«) (Richard Dehmel) Lust und Qual (»Knabe saß ich, Fischerknabe«) (Goethe)
(16. Sept. 1899 [Particell: 11./12. Juli 1899]); 2. Nächt- TrV 51 (Dez. 1877) (Widmung: Johanna Pschorr)
licher Gesang (»Die Fahnen flattern im Mitternachts- (GAL 3)
sturm«) (Friedrich Rückert) (10. Nov. 1899) Abend- und Morgenrot (»Die Mücke sitzt am Fenster«)
Zwei Gesänge für eine tiefe Bassstimme op. 51 TrV 206 (Hoffmann von Fallersleben) TrV 60 (1878?) (Wid-
(1902, 1906), Berlin 1903, 1906, Fürstner (Widmung: mung: Johanna Pschorr) (GAL 3)
Paul Knüpfer) (GAL 4): 1. Das Tal (»Wie willst du »Ein Röslein zog ich mir im Garten« (Hoffmann von
Werkverzeichnis 551

Fallersleben) TrV 67 (1878) (Widmung: Johanna Ballade (»Jung Friedel wallte am Rheinesstrand«) (Au-
Pschorr) (GAL 3) gust Becker) TrV 113 (Dez. 1882), Manuskript unbe-
Nebel (»Du trüber Nebel hüllst mir das Tal«) (Nikolaus kannt (Widmung: Johanna Pschorr)
Lenau) TrV 65 (1878) (Widmung: Johanna Pschorr) Rote Rosen (»Weißt du die Rose, die du mir gegeben«)
(GAL 3) (Stieler) TrV 119 (11. Sept. 1883) (Widmung: Lotti
Soldatenlied (»Die Trommeln und Pfeifen, die schallen Speyer), New York 1958, Henmar Press (GAL 3)
in’s Haus«) (Hoffmann von Fallersleben) TrV 66 »Mein Geist ist trüb« (George Gordon Lord Byron,
(1878) (Widmung: August Pschorr) (GAL 3) Hebräische Melodien; deutsche Übersetzung von
Spielmann und Zither (»Der Spielmann saß am Felsen«) Adolf Böttger) TrV 128 (12. Mai 1884), Manuskript
(Theodor Körner) TrV 58 (Anfang Jan. 1878) (Wid- unbekannt (Widmung: Johanna Pschorr)
mung: Johanna Pschorr) (GAL 3) »Der Dorn ist Zeichen der Verneinung« (Friedrich Bo-
Wiegenlied (»Die Ähren nur noch nicken«) (Hoffmann denstedt, Mirza Schaffy) TrV 129 (12. Mai 1884), Ma-
von Fallersleben TrV 59 (Anfang 1878) (Widmung: nuskript unbekannt (Widmung: Johanna Pschorr)
Johanna Pschorr) (GAL 3) Acht Gedichte aus »Letzte Blätter« (Hermann von Gilm)
Im Walde (»Im Walde im hellen Sonnenschein«) (Ema- op. 10 TrV 141 (1885), München 1887, Aibl (Wid-
nuel Geibel) TrV 62 (Anfang Febr. 1878) (Widmung: mung: Heinrich Vogl) (GAL 1): 1. Zueignung (»Ja, du
Caroline von Mangstl) (GAL 3) weißt es, teure Seele«) (13. Aug. 1885); 2. Nichts
Für Musik (»Nun die Schatten dunkeln«) (Geibel) (»Nennen soll ich, sagt ihr«) (15.Aug. 1885); 3. Die
TrV 74 (7. April 1879), Manuskript unbekannt (Wid- Nacht (»Aus dem Walde tritt die Nacht«) (11. Aug.
mung: Sophie Diez) 1885); 4. Die Georgine (»Warum so spät erst, Geor-
Waldesgesang (»Die Liebe saß als Nachtigall«) (Geibel) gine«) (18. Aug. 1885); 5. Geduld (»Geduld, sagst du«)
TrV 75 (9. April 1879) (Widmung: Cornelia Meysen- (29. Aug. 1885); 6. Die Verschwiegenen (»Ich habe
heym) (GAL 3) wohl, es sei hier laut«) (11. Nov. 1885); 7. Die Zeitlose
Frühlingsanfang (»Die Sonne hebt an vom Wolkenzelt«) (»Auf frischgemähtem Weideplatz«) (12. Nov. 1885);
(Geibel) TrV 77 (24. Mai 1879), Manuskript unbe- 8. Allerseelen (»Stell’ auf den Tisch die duftenden
kannt (Widmung: Johanna Pschorr) Reseden«) (31. Okt. 1885)
Das rote Laub (»Es rauscht das Laub zu meinen Füßen«) Wer hat’s getan? (»Es steht mein Lied in Nacht und
(Geibel) TrV 78 (Ende Mai 1879), Manuskript unbe- Frost«) (Gilm) TrV 142 (13. Nov. 1885), Tutzing 1974,
kannt (Widmung: Johanna Pschorr) Schneider
Die drei Lieder (»In der hohen Hall’ saß König Sigfrid«) Fünf Lieder op. 15 TrV 148 (1886), Hamburg, Daniel
(Uhland) TrV 87 (18. Dez. 1879), Manuskript unbe- Rahter/St. Petersburg, A. Büttner 1887 (Widmung:
kannt (Widmung: Johanna Pschorr) Victoria Blank [1, 3, 4]; Johanna Pschorr [2, 5]) (GAL
»In Vaters Garten heimlich steht ein Blümelein« (Heine) 1): 1. Madrigal (»In’s Joch beug’ ich den Nacken«)
TrV 88 (24. Dez. 1879) (Widmung: Johanna Pschorr) (Michelangelo Buonarotti); 2. Winternacht (»Mit
(NL) Regen und Sturmgebrause«) (Adolf Friedrich Graf
Der Morgen (»Der erste Strahl vom Osten her«) (Fried- von Schack) (27. Nov. 1886); 3. Lob des Leidens (»O
rich von Sallet) TrV 89 (10. Jan. 1880), Manuskript schmäht des Lebens Leiden nicht!«) (ders.) (30. Nov.
unbekannt (Widmung: Johanna Pschorr) 1886); 4. Aus den Liedern der Trauer (»Dem Herzen
Die erwachte Rose (»Die Knospe träumte von Sonnen- ähnlich«) (ders.) (3. Dez. 1886); 5. Heimkehr (»Leiser
schein«) (Sallet) TrV 90 (12. Jan. 1880), New York schwanken die Äste«) (ders.)
1958, Henmar Press (GAL 3) Sechs Lieder (Schack) op. 17 TrV 149 (1886/87), Ham-
»Immer leiser wird mein Schlummer« (Hermann Lingg) burg, Daniel Rahter/St. Petersburg, A. Büttner 1887
TrV 97 (17. Dez. 1880), Manuskript unbekannt (GAL 1): 1. »Seitdem dein Aug’ in meines schaute;
(Widmung: Johanna Pschorr) 2. Ständchen (»Mach’ auf, mach’ auf ’«) (22. Dez.
Begegnung (»Die Treppe hinunter gesprungen«) (Otto 1886); 3. Das Geheimnis (»Du fragst mich, Mäd-
Friedrich Gruppe) TrV 98 (18. Dez. 1880), New York chen«); 4. Aus den Liedern der Trauer (»Von dunklem
1958, Henmar Press (GAL 3) Schleier umsponnen«) (3. März 1887); 5. Nur Mut!
»Mutter, o sing mich zur Ruh« (Felicia von Hemans; (»Laß das Zagen«) (9. April 1887); 6. Barcarole (»Um
deutsch von Ferdinand Freiligrath) TrV 100 (29. Dez. der fallenden Ruder Spitzen«) (22. März 1887)
1880), Manuskript unbekannt (Widmung: Johanna Sechs Lieder aus »Lotosblätter« (Schack) op. 19 TrV 152
Pschorr) (1888), München 1888, Aibl (Widmung: Emilie Her-
John Anderson (»John Anderson, mein Lieb«) (Robert zog) (GAL 1): 1. »Wozu noch, Mädchen, soll es
Burns; deutsch von F. Freiligrath) TrV 101 (31. Dez. frommen« (5. Febr. 1888); 2. »Breit über mein Haupt«
1880) (Widmung: Johanna Pschorr) (NL) (1. Febr. 1888); 3. »Schön sind, doch kalt die Him-
Geheiligte Stätte (»Wo zwei sich küßten zum erstenmal«) melssterne« (2. Jan. 1888); 4. »Wie sollten wir geheim
(Gustav Fischer) TrV 107 (24. Dez. 1881), Manuskript sie halten« (2. Jan. 1888); 5. »Hoffen und wieder ver-
unbekannt zagen«; 6. »Mein Herz ist stumm« (12. Jan. 1888)
Waldesgang (»Im Waldesweben ist es Ruh«) (Karl Stieler) Mädchenblumen (Felix Dahn) op. 22 TrV 153 (1888),
TrV 112 (10. Dez. 1882), Manuskript unbekannt Berlin 1891, Fürstner (Widmung: Hans Giessen)
(Widmung: Johanna Pschorr) (GAL 1): 1. Kornblumen (»Kornblumen nenn’ ich die
552 Anhang

Gestalten«) (28. März 1888); 2. Mohnblumen (»Mohn- nem Kinde (»Du schläfst und sachte neig’ ich mich«)
blumen sind die runden«) (29. März 1888); 3. Epheu (Gustav Falke) (7. Febr. 1897); 4. Mein Auge (»Du bist
(»Aber Epheu nenn’ ich jene Mädchen«); 4. Wasser- mein Auge!«) (Dehmel) (16. April 1898); 5. Herr Lenz
rose (»Kennst du die Blume, die märchenhafte«) (»Herr Lenz springt heute durch die Stadt«) (Bod-
Schlichte Weisen (Dahn) op. 21 TrV 160 (1889/90), Mün- mann) (9. Juni 1896); 6. Hochzeitlich Lied (»Laß
chen 1890, Aibl (Widmung: Johanna Strauss) (GAL Akaziendüfte schaukeln«) (Anton Lindner) (30. März
1): 1. »All’ mein Gedanken« (12. Febr. 1889); 2. »Du 1898)
meines Herzens Krönelein« (7. April 1889); 3. »Ach Vier Lieder op. 36 TrV 186 (1897/98), München 1898,
Lieb, ich muß nun scheiden« (19. April 1889); 4.»Ach, Aibl (Widmung: Marie Riemerschmid [1], Raoul
weh mir unglückhaftem Mann« (17. April 1889); 5. Walter [2,3,4]) (GAL 1): 1. Das Rosenband (»Im Früh-
»Die Frauen sind oft fromm und still« (20. Jan. 1890) lingsschatten fand ich sie«) (Klopstock) (20. Sept.
Zwei Lieder (Nikolaus Lenau) op. 26 TrV 166 (2. Dez. 1897); 2. Für funfzehn Pfennige (»Das Mägdlein will
1891), München 1894/95, Aibl (Widmung: Heinrich ein’ Freier hab’n«) (Arnim/Brentano, Des Knaben
Zeller) (GAL 1): 1. Frühlingsgedränge (»Frühlingskin- Wunderhorn) (2. Sept. 1897); 3. Hat gesagt – bleibt’s
der im bunten Gedränge«); 2. »O wärst du mein« nicht dabei (»Mein Vater hat gesagt«) (dass.) (31. März
Vier Lieder op. 27 TrV 170 (1894), München 1894, Aibl 1898); 4. Anbetung (»Die Liebste steht mir vor den
(Widmung: Pauline de Ahna) (GAL 1): 1. Ruhe, Gedanken«) (Friedrich Rückert) (24. März 1898)
meine Seele (»Nicht ein Lüftchen regt sich leise«) Fünf Lieder op. 39 TrV 189 (1898), Leipzig 1898 (Wid-
(Karl Henckell) (17. Mai 1894); 2. Cäcilie (»Wenn du mung: Fritz Sieger) (GAL 1): 1. Leises Lied (»In einem
es wüßtest«) (Heinrich Hart) (9. Sept. 1894); 3. Heim- stillen Garten«) (Dehmel) (2. Juli 1898); 2. Junghexen-
liche Aufforderung (»Auf, hebe die funkelnde Schale«) lied (»Als Nachts ich überm Gebirge ritt«) (Bierbaum)
(John Henry Mackay) (22. Mai 1894); 4. Morgen (31. Mai 1898); 3. Der Arbeitsmann (»Wir haben ein
(»Und morgen wird die Sonne wieder scheinen«) Bett«) (Dehmel) (12. Juni 1898); 4. Befreit (»Du wirst
(ders.) (21. Mai 1894) nicht weinen«) (ders.) (2. Juni 1898); 5. Lied an mei-
Drei Lieder (Otto Julius Bierbaum) op. 29 TrV 172 nen Sohn (»Der Sturm behorcht mein Vaterhaus«)
(1895), München 1895, Aibl (Widmung: Eugen Gura) (ders.) (8. Juli 1898)
(GAL 1): 1. Traum durch die Dämmerung (»Weite Fünf Lieder op. 41 TrV 195 (1899), Leipzig 1899, Leuckart
Wiesen im Dämmergrau«) (4. Mai 1895); 2. Schla- (Widmung: Marie Ritter [1–4]) (GAL 1): 1. Wiegen-
gende Herzen (»Über Wiesen und Felder ein Knabe lied (»Träume, du mein süßes Leben«) (Dehmel)
ging«) (5. Juni 1895); 3. Nachtgang (»Wir gingen (22. Aug. 1899); 2. In der Campagna (»Ich grüße die
durch die dunkle, milde Nacht«) (7. Juni 1895) Sonne«) (Mackay) (24. Aug. 1899); 3. Am Ufer (»Die
Vier Lieder von Carl Busse [Nr. 1–3] und Richard Deh- Welt verstummt«) (Dehmel) (15. Aug. 1899); 4. Bru-
mel [Nr. 4] op. 31 TrV 173 (1895), Berlin 1896, Fürst- der Liederlich (»Die Feder am Sturmhut«) (Lilien-
ner (Widmung: Johanna Rauchenberger [1, 2, 3], cron) (16. Aug. 1899); 5. Leise Lieder (»Leise Lieder
Marie Ritter [4]) (GAL 1): 1. Blauer Sommer (»Ein sing’ ich dir«) (Christian Morgenstern) (4. Juni 1899)
blauer Sommer glanz- und glutenschwer«) (nach Drei Gesänge älterer deutscher Dichter op. 43 TrV 196
25. Okt. 1895); 2. Wenn … (»Und wärst du mein (1899), Berlin 1899, C. A.Challier & Co (Richard
Weib«) (15. Juni 1895; Erstdruck in: Jugend 1, [25. Jan. Birnbach) (Widmung: Ernestine Schumann-Heink)
1896], Heft 4); 3. Weißer Jasmin (»Bleiche Blüte, Blüte (GAL 2): 1. An sie (»Zeit, Verkünderin der besten
der Liebe«) (24. Juni 1895); 4. Stiller Gang (»Der Freuden«) (Klopstock) (14. Aug. 1899); 2. Muttertän-
Abend graut«) (30. Dez. 1895) delei (»Seht mir doch mein schönes Kind«) (Gottfried
Fünf Lieder op. 32 TrV 174 (1896), München 1896, Aibl August Bürger) (15. Aug. 1899); 3. Die Ulme zu Hirsau
(Widmung: Pauline Strauss-de Ahna) (GAL 1): (»Zu Hirsau in den Trümmern«) (Uhland) (4. Sept.
1. »Ich trage meine Minne« (Henckell) (26. Jan. 1899)
1896); 2. Sehnsucht (»Ich ging den Weg entlang«) Weihnachtsgefühl (»Naht die jubelvolle Zeit«) (Martin
(Detlev Frhr. von Liliencron) (24. Jan. 1896); 3. Lie- Greif ) TrV 198 (8. Dez. 1899) (GAL 3)
beshymnus (»Heil jenem Tag«) (Henckell) (25. Febr. Fünf Gedichte (Rückert) op. 46 TrV 199 (1899/1900),
1896); 4. »O süßer Mai« (ders.) (28. März 1896); Berlin 1900, Fürstner (Widmung: Adolf und Maria
5. Himmelsboten zu Liebchens Himmelbett (»Der de Ahna) (GAL 2): 1. »Ein Obdach gegen Sturm und
Mondschein, der ist schon verblichen«) (Achim von Regen« (16. Jan. 1900); 2. »Gestern war ich Atlas«
Arnim/Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn, (21. Nov. 1899); 3. Die sieben Siegel (»Weil ich dich
Heidelberg 1806–1808) (3. Jan. 1896) nicht legen kann«) (18. Nov. 1899); 4. Morgenrot
Wir beide wollen springen (»Es ging ein Wind durchs (»Dort, wo der Morgenstern hergeht«) (4. Febr.
weite Land«) (Bierbaum) TrV 175 (7. Juni 1896; 1900); 5. »Ich sehe wie in einem Spiegel« (7. Febr.
Skizze: 4. Juni 1896) (GAL 3) 1900)
Sechs Lieder op. 37 TrV 187 (1896–1898), München 1898, Fünf Lieder (Uhland) op. 47 TrV 200 (1900), Berlin
Aibl (Widmung: Pauline Strauss-de Ahna) (GAL 1): 1900, Fürstner (Widmung: Johann Carl Pflüger)
1. Glückes genug (»Wenn sanft du mir im Arme (GAL 2): 1. Auf ein Kind (»Aus der Bedrängnis«)
schliefst«) (Liliencron) (8. Febr. 1898); 2. Ich liebe dich (5. Mai 1900); 2. Des Dichters Abendgang (»Ergehst du
(»Vier adlige Rosse«) (ders.) (7. Febr. 1898); 3. Mei- dich im Abendlicht«) (8. Mai 1900); 3. Rückleben
Werkverzeichnis 553

(»An ihrem Grabe kniet’ ich festgebunden«) (23. Mai Sechs Lieder op. 67 TrV 238 (1918), Berlin 1919, Bote &
1900); 4. Einkehr (»Bei einem Wirte wundermild«) Bock (GAL 2)
(30. Mai 1900); 5. Von den sieben Zechbrüdern (»Ich H. I: Drei Lieder der Ophelia aus Hamlet (Shake-
kenne sieben lust’ge Brüder«) (11. Juni 1900) speare): 1. »Wie erkenn ich meine Treulieb«; 2. »Gu-
Fünf Lieder op. 48 TrV 202 (1900), Berlin 1901, Fürstner ten Morgen, ’s ist Sankt Valentinstag«; 3. »Sie trugen
(GAL 2): 1. Freundliche Vision (»Nicht im Schlafe hab ihn auf der Bahre bloß«
ich das geträumt«) (Bierbaum) (5. Okt. 1900); 2. »Ich H. II: Drei Lieder aus den Büchern des Unmuts des
schwebe wie auf Engelsschwingen« (Henckell) Rendsch Nameh (Goethe, West-östlicher Divan):
(25. Sept. 1900); 3. »Kling!« (ders.) (30. Sept. 1900); 1. »Wer wird von der Welt verlangen«; 2. »Hab’ ich
4. Winterweihe (»In diesen Wintertagen«) (ders.) euch denn je geraten«; 3. Wanderers Gemütsruhe
(23. Sept. 1900); 5. Winterliebe (»Der Sonne entgegen (»Übers Niederträchtige niemand sich beklage«)
in Liebesgluten«) (ders.) (2. Okt. 1900) Sechs Lieder (Clemens Brentano) op. 68 TrV 235 (1918),
Acht Lieder op. 49 TrV 204 (1900/01), Berlin 1902, Fürst- Berlin 1919, Fürstner (Widmung: Elisabeth Schu-
ner (Widmung: Pauline Strauss-de Ahna [1], Ernst mann) (GAL 2): 1. An die Nacht (»Heilige Nacht!
Kraus [2], Grete Kraus [3], Herr Consul Simon [4], Sterngeschlossner Himmelsfriede«) (18. Febr. 1918);
Walter Ende [5], Baron A. von Stengel [6]) (GAL 2): 2. »Ich wollt ein Sträußlein binden« (6. Febr. 1918);
1. Waldseligkeit (»Der Wald beginnt zu rauschen«) 3. »Säusle, liebe Myrthe!« (9. Febr. 1918); 4. Als mir
(Dehmel) (21. Sept. 1901); 2. In goldener Fülle (»Wir dein Lied erklang (»Dein Lied erklang!«) (4. Febr.
schreiten in goldener Fülle«) (Paul Remer) (13. Sept. 1918); 5. Amor (»An dem Feuer saß das Kind Amor«)
1901); 3. Wiegenliedchen (»Bienchen, Bienchen wiegt (21. Febr. 1918); 6. Lied der Frauen (»Wenn es stürmt
sich im Sonnenschein«) (Dehmel) (20. Sept. 1901); auf den Wogen«) (4. Mai 1918)
4. Das Lied des Steinklopfers (»Ich bin kein Minister«) Fünf kleine Lieder op. 69 TrV 237 (1918), Berlin 1919,
(Henckell) (24. Sept. 1901); 5. Sie wissen’s nicht (»Es Fürstner (Widmung: Lori Nossal [1], Margit Steiner
wohnt ein kleines Vögelein«) (Oskar Panizza) [2], Mizzi von Grab [3], Jenny Mautner [4], Irene
(14. Sept. 1901); 6. Junggesellenschwur (»Weine, weine, Hellmann [5]) (GAL 3): 1. Der Stern (»Ich sehe ihn
weine nur nicht«) (Arnim/Brentano, Des Knaben wieder«) (Achim von Arnim) (21. [oder 17.] Juni
Wunderhorn) (11. Mai 1900); 7. »Wer lieben will, muß 1918); 2. Der Pokal (»Freunde, weihet den Pokal«)
leiden« (Elsässische Volkslieder, ges. von C. Mündel, (ders.) (Juni 1918); 3. Einerlei (»Ihr Mund ist stets
Strbg. 1884) (23. Sept. 1901); 8. »Ach was Kummer, derselbe«) (ders.) (25. Juni 1918); 4. Waldesfahrt
Qual und Schmerzen« (dass.) (23. Sept. 1901) (»Mein Wagen rollet langsam«) (Heine) (26. Juni
Sechs Lieder op. 56 TrV 220 (1903, 1906) Berlin 1906, 1918); 5. Schlechtes Wetter (»Das ist ein schlechtes
Bote & Bock (Widmung: Pauline Strauss-de Ahna Wetter«) (ders.) (21. Juni 1918)
[1], Josephine Strauss [2–6]) (GAL 2): 1. Gefunden Sinnspruch (»Alle Menschen groß und klein«) (Goethe,
(»Ich ging im Walde so für mich hin«) (Goethe) West-östlicher Divan) TrV 239 (24. Juni 1919), in:
(31. Juli 1903); 2. Blindenklage (»Wenn ich dich Mosse-Almanach auf das Jahr 1920, Berlin 1919, Mosse,
frage«) (Henckell) (21. Sept. 1906); 3. Im Spätboot 144–145 (Widmung: Rudolf Mosse) (GAL 3)
(»Aus der Schiffsbank mach’ ich meinen Pfühl«) Walzerlied (»Was fiel dem lieben Herrgott ein«) zu einer
(C. F. Meyer); 4. »Mit deinen blauen Augen« (Heine) Operette von Maximiliano Niederberger TrV 241
(2. Febr. 1906 [Skizze: 5. Sept. 1905]); 5. Frühlingsfeier (12. Aug. 1921), Manuskript Privatbesitz
(»Das ist des Frühlings traurige Lust!«) (ders.) Erschaffen und Beleben (»Hans Adam war ein Erden-
(22. Sept. 1906); 6. »Die heiligen drei Könige aus kloß«) (Goethe, West-östlicher Divan) für Bass TrV
Morgenland« (ders.) (1906?) 244 (15. Dez. 1922), Berlin 1951 (Widmung: Michael
Der Graf von Rom (ohne Text) TrV 218 (17. Jan. 1906), Bohnen; seit 26. Febr. 1945 Hans Hotter) (GAL 3)
Manuskript RSA (Widmung: Georg von Hülsen- »Durch allen Schall und Klang« (Goethe, West-östlicher
Haeseler) Divan) TrV 251 (11. Juni 1925), in: Schweizerische
Krämerspiegel. Zwölf Gesänge (Alfred Kerr) op. 66 Musikzeitung 89, 11. Juni 1949, Nr. 6 (Sonderheft
TrV 236 (1918), Berlin 1921, Paul Cassirer (Widmung: R. Strauss) (Widmung: R. Rolland) (GAL 3)
Friedrich Rösch) (GAL 2): 1. »Es war einmal ein Gesänge des Orients (Hans Bethge) op. 77 TrV 257 (1928),
Bock« (15. März 1918); 2. »Einst kam der Bock als Leipzig 1929, Leuckart (Widmung: Elisabeth Schu-
Bote« (19. Mai 1918); 3. »Es liebte einst ein Hase« mann und Karl Alwin) (GAL 3): 1. Ihre Augen
(16. März 1918); 4. »Drei Masken sah ich am Himmel (»Deine gewölbten Brauen«) (14. Aug. 1928); 2.
stehn« (24. Mai 1918); 5. »Hast du ein Tongedicht Schwung (»Gebt mir meinen Becher«) (15. Aug. 1928);
vollbracht« (16. März 1918); 6. »O lieber Künstler sei 3. Liebesgeschenke (»Ich pflückte eine kleine Pfirsich-
ermahnt« (25. Mai 1918); 7. »Unser Feind ist, großer blüte«) (14. Aug. 1928); 4. Die Allmächtige (»Die
Gott« (17. März 1918); 8. »Von Händlern wird die höchste Macht der Erde«) (15. Aug. 1928); 5. Huldi-
Kunst bedroht« (20. Mai 1918); 9. »Es war mal eine gung (»Die Perlen meiner Seele«) (24. Sept. 1928)
Wanze« (21. Mai 1918); 10. »Die Künstler sind die Und dann nicht mehr (»Ich sah sie nur ein einzigmal«)
Schöpfer« (21. Mai 1918); 11. »Die Händler und die (Rückert) für Bass TrV 258 (11. Febr. 1929), Wien
Macher« (23. Mai 1918); 12. »O Schröpferschwarm, o 1964, Universal Edition (Widmung: Hans Hermann
Händlerkreis« (23. Mai 1918) Nissen) (GAL 3)
554 Anhang

Vom künftigen Alter (»Der Frost hat mir bereifet«) Mein Auge op. 37/4 TrV 187/4 (5. Sept. 1933) (GAL 4)
(Rückert) für Bass TrV 260 (Frühjahr 1929), Wien Befreit op. 39/4 TrV 189/4 (10. Sept. 1933) (GAL 4)
1964, Universal Edition (Widmung: Hans Hotter) Lied der Frauen op. 68/6 TrV 235/6 (22. Sept. 1933),
(GAL 3) Berlin 1941, Fürstner (Widmung: Viorica Ursuleac)
Spruch (»Wie etwas sei leicht«) (Goethe) TrV 261 (9. Jan. (GAL 4)
1930) (Widmung: Wiener Concordia) (NL) Das Bächlein TrV 264 (6. April 1935) (Widmung: Viorica
Das Bächlein (»Du Bächlein silberhell und klar«) (Char- Ursuleac) (GAL 4)
lotte Oth) TrV 264 (3. Dez. 1933), Wien 1951, Univer- Zueignung op. 10/1 TrV 141/1 (14. April 1940) (Wid-
sal Edition (Widmung: Joseph Goebbels) (GAL 3) mung: Viorica Ursuleac) (GAL 4)
Im Sonnenschein (»Noch eine Stunde laßt mich hier Amor op. 68/5 TrV 235/5 (3. Juli 1940), Berlin 1941,
verweilen«) (Rückert) für Bass TrV 268 (24. Febr. Fürstner (Widmung: Adele Kern) (GAL 4)
1935), Wien 1964, Universal Edition (Widmung: »Ich wollt ein Sträußlein binden« op. 68/2 TrV 235/2
Georg Hann) (GAL 3) (6. Juli 1940), Berlin 1941, Fürstner (Widmung: Vio-
»Zugemessne Rhythmen reizen freilich« (Goethe, West- rica Ursuleac) (GAL 4)
östlicher Divan) TrV 269 (25. Febr. 1935), in: Richard Als mir dein Lied erklang op. 68/4 TrV 235/4 (22. Juli
Strauss Jahrbuch 1954, 101 und 122 ff. (Widmung: 1940), Berlin 1941, Fürstner (Widmung: Viorica Ur-
Peter Raabe) (GAL 3) suleac) (GAL 4)
Sankt Michael (»Ein Mahl für uns und ein Licht für An die Nacht op. 68/1 TrV 235/1 (27. Juli 1940), Berlin
dich«) (Joseph Weinheber) für Bass TrV 280 (3. Febr. 1941, Fürstner (Widmung: Viorica Ursuleac) (GAL 4)
1942), Wien 1964, Universal Edition (Widmung: »Säusle, liebe Myrthe!« op. 68/3 TrV 235/3 (2. Aug. 1940),
Alfred Poell) (GAL 3) Berlin 1941, Fürstner (Widmung: Viorica Ursuleac)
Blick vom oberen Belvedere (»Fülle du! Gezier und schö- (GAL 4)
ner Geist«) (Weinheber) TrV 281 (11. Febr. 1942), Ich liebe dich op. 37/2 TrV 187/2 (30. Aug. 1943) (GAL 4)
Wien 1964, Universal Edition (Widmung: Viorica Ruhe, meine Seele op. 27/1 TrV 170/1 (9. Juni 1948)
Ursuleac) (GAL 3) (GAL 4)
Xenion (»Nichts vom Vergänglichen«) (Goethe, Zahme
Xenien I) TrV 282 (20. Sept. 1942) (Widmung: Ger- d. Lieder für eine Singstimme und obligate
hart Hauptmann) (GAL 3) Instrumente
Malven (»Aus Rosen, Phlox und Zinnienflor«) (Betty Alphorn (»Ein Alphorn hör ich schallen«) (Justinus
Knobel) TrV 297 (23. Nov. 1948), London 1985, Boo- Kerner) mit Klavier und Horn TrV 64 (1878?) (Wid-
sey & Hawkes (Widmung: Maria Jeritza) mung: Franz Strauss [Vater]) (GAL 3)
Stiller Gang (»Der Abend graut«) (Richard Dehmel)
c. Orchestrierte Klavierlieder op. 31/4 TrV 173/4 mit Klavier und Violine/Viola (30.
Cäcilie op. 27/2 TrV 170/2 (20. Sept. 1897), Wien 1911, Dez. 1895), Berlin 1896, Fürstner (GAL 1)
Universal Edition (GAL 4)
Morgen op. 27/4 TrV 170/4 (20. Sept. 1897),Wien 1911, e. Lieder für eine Singstimme
Universal Edition (GAL 4) »Hab Dank du güt’ger Weisheitsspender« (R. Strauss)
Das Rosenband op. 36/1 TrV 186/1 (22. Sept. 1897), Wien für Bass TrV 275 (Ende Dez. 1939), in: Richard Strauss
1911, Universal Edition (GAL 4) Jahrbuch 1959/60, 132 (Widmung: Anton Kippen-
Liebeshymnus op. 32/3 TrV 174/3 (27. Sept. 1897), Wien berg)
1911, Universal Edition (GAL 4) Notschrei aus den Gefilden Lapplands (»Im ganzen Ort
Meinem Kinde op. 37/3 TrV 187/2 (1897?), Wien 1911, gibts keine Kohlen«) (ders.) TrV 276 (14. Febr. 1940),
Universal Edition (GAL 4) Manuskript Privatbesitz New York (Widmung: Wal-
Wiegenlied op. 41/1 TrV 195/1 (1900?), Leipzig 1916, ter Funk)
Leuckart (GAL 4) Wer tritt herein (»Wer tritt herein so fesch und schlank?«)
Muttertändelei op. 43/2 TrV 196/2 (21. Febr. 1900), Berlin (ders.) TrV 289 (3. Nov. 1943), Manuskript Privatbe-
1911, C. A. Challier & Co (Richard Birnbach) (GAL 4) sitz Los Angeles (Widmung: Hans Frank)
Die heiligen drei Könige aus Morgenland op. 56/6
TrV 220/6 (7. Okt. 1906), Berlin 1906, Bote & Bock 4. Melodramen mit Klavierbegleitung
(GAL 4) Enoch Arden (»Annie Lee, das schmuckste kleine Mäd-
Der Arbeitsmann op. 39/3 TrV 189/3 (12. Dez. 1918) chen«) (Alfred Lord Tennyson) op. 38 TrV 181
Leipzig, Forberg (?) (GAL 4) (26. Febr. 1897), Leipzig 1898, Forberg (Widmung:
Fünf Lieder (1918), Berlin 1918, Fürstner (GAL 4): Des Ernst von Possart)
Dichters Abendgang op. 47/2 TrV 200/2 (15. Juni Das Schloß am Meere (»Hast du das Schloß gesehen«)
1918); Waldseligkeit op. 49/1 TrV 204/1 (24. Juni 1918); (Ludwig Uhland) TrV 191 (12. März 1899), Berlin
Winterweihe op. 48/4 TrV 202/4 (28. Juni 1918); 1911, Fürstner
Winterliebe op. 48/5 TrV 202/5 (29. Juni 1918);
Freundliche Vision op. 48/1 TrV 202/1 (1. Juli 1918)
Frühlingsfeier op. 56/5 TrV 220/5 (3. Sept. 1933), Berlin
1934, Bote & Bock (GAL 4)
Werkverzeichnis 555

B. Bühnenwerke 1916, Partitur: 30. Mai – 19. Juni 1916 [Vorspiel];


4. Okt. 1916 Wien, K. K. Hof-Operntheater; Diri-
I. Opern gent: Fr. Schalk, Regisseur: Wilhelm von Wymetal),
Berlin 1916, Fürstner (RSE 6)
Guntram. In drei Aufzügen (R. Strauss) op. 25 TrV 168 Die Frau ohne Schatten. Oper in drei Akten (Hofmanns-
(Textbuch: Sommer 1887 – 17. März 1892, Revision 3. thal) op. 65 TrV 234 (Skizzen/Particell: 1. Akt: Jan.
Akt abgeschlossen 24. Nov. 1892; Musik: Skizzen/ [?] – 20. Aug. 1914, 2. Akt: Juli/Aug.- 26. Okt. 1914,
Particell: 1. Akt: Febr. 1892 – 1. Juni 1892, 2. Akt: Juni 3. Akt: Mai 1915 – 15. Sept. 1916, Partitur: 1. Akt:
1892 – 18. Okt. 1892, 3. Akt: 1. – 24. Dez. 1892, Parti- 1. Juni – 20. Aug. 1915, 2. Akt: Dez. 1915 (?) – 4. Mai
tur: 1. Akt: 29. Dez. 1892 – 27. Febr. 1893, 2. Akt: 1916, 3. Akt: Nov. 1916 [?] – 24. Juni 1917; 10. Okt.
15. März – 4. Juni 1893, 3. Akt: beendet 5. Sept. 1893; 1919 Wien, Staatsoper; Dirigent: Schalk, Regisseur:
10. Mai 1894 Weimar, Großherzogliches Hoftheater; Hans Breuer), Berlin 1919, Fürstner (RSE 9)
Dirigent: R. Strauss, Regisseur: Ferdinand Wiedey), Intermezzo. Eine bürgerliche Komödie mit sinfonischen
München 1894/95, Aibl (Widmung: Josephine und Zwischenspielen in zwei Aufzügen (R. Strauss) op. 72
Franz Strauss [Vater]); revidiert (10. Juli 1934; TrV 246 (Text: Juli 1917 – ?; Skizzen/Particell: 1. Akt:
29. Okt. 1940 Weimar, Deutsches Nationaltheater; Mai (?) – 1. Okt. 1918, 2. Akt : 1. Entwurf bis 15. Febr.
Dirigent: Paul Sixt), Berlin 1934, Fürstner (RSE 1) 1919, 2. Entwurf Febr./Mai 1919, 3. Entwurf
Feuersnot. Ein Singgedicht in einem Aufzuge (Ernst von 1. Juni – 22. Juli 1919, 4. Entwurf 28. Juli 19/16. Juli
Wolzogen) op. 50 TrV 203 (Skizzen/Particell: 1922/23. Sept. – 31. Okt. 1922, Partitur: 1. Akt 4. Dez.
Sept. – 30. Dez. 1900, Partitur: 1. Jan. – 22. Mai 1901; 1919 – 21. Juli 1921, 2. Akt: 1. Dez. 1922 – 21. Aug. 1923;
21. Nov. 1901 Dresden, Hoftheater; Dirigent: E. von 4. Nov. 1924 Dresden, Sächsische Staatstheater,
Schuch, Regisseur: Maximilian Moris), Berlin 1901/ Opernhaus; Dirigent: Fr. Busch, Regisseur: Alois
02, Fürstner (Widmung: Friedrich Rösch) (RSE 2) Mora), Berlin 1924, Fürstner (Widmung: Franz
Salome. Musikdrama in einem Aufzuge (Oscar Wilde; Strauss [Sohn]) (RSE 11)
deutsche Übersetzung von Hedwig Lachmann) Die Ägyptische Helena. Oper in zwei Aufzügen (Hof-
op. 54 TrV 215 (Skizzen/Particell: 27. Juli 1903 – mannsthal) op. 75 TrV 255 (Skizzen/Particell: 1. Akt:
26. Sept. 1904, Partitur: 27. Nov. 1904 – 20. Juni 1905, seit Okt. 1923, 2. Entwurf bis 12. Aug. 1924, 3. Ent-
Salomes Tanz bis 30. Aug. 1905; 9. Dez. 1905 Dres- wurf bis 28. Okt. 1925; 2. Akt: Jan. 1925 – 11. Okt.
den, Königliches Opernhaus; Dirigent: Schuch, Re- 1926, Partitur: 1. Akt bis 1. Mai 1926; 2. Akt bis
gisseur: Willi Wirk), Berlin 1905, Fürstner (Wid- 8. Okt. 1927; 6. Juni 1928 Dresden, Sächsische Staats-
mung: Edgar Speyer) (RSE 3) theater, Opernhaus; Dirigent: Fr. Busch, Regisseur:
Elektra. Tragödie in einem Aufzuge (Hugo von Hof- Otto Erhard), Berlin 1928, Fürstner (Widmung:
mannsthal) op. 58 TrV 223 (Skizzen/Particell: seit Heinz Tietjen) (RSE 12); neue Fassung der Wiener
März 1906 – Juli 1908, Partitur: 7. Okt. 1907 – 22. Sept. Staatsoper (Skizzen/Particell und Partitur: 15. Jan.
1908; 25. Jan. 1909 Dresden, Königliches Opernhaus; 1933 [?]; 14. Aug. 1933 Salzburg, Festspielhaus; Diri-
Dirigent: Schuch, Regisseur: Georg Toller), Berlin gent: Cl. Krauss, Regisseur: Lothar Wallerstein),
1908/09, Fürstner (Widmung: Natalie und Willy Berlin 1933, Fürstner
Levin) (RSE 4) Arabella. Lyrische Komödie in drei Aufzügen (Hofmanns-
Der Rosenkavalier. Komödie für Musik in drei Aufzügen thal) op. 79 TrV 263 (Skizzen/Particell: 1. Akt: 1. Fas-
(Hofmannsthal) op. 59 TrV 227 (Skizzen/Particell: sung Sept. 1928 – 22. Sept. 1929, 2. Fassung bis 30. Juli
1. Akt: Ende April – 27. Juni 1909, 2. Akt: 1930, 2. Akt: bis 8. Juni 1931, 3. Akt: bis 26. Nov. 1931,
Aug. – 6. Okt. 1909, 3. Akt: 2. Mai – 18. Sept. 1910, Partitur: 1. Akt 13. Dez. 1931 – 6. März 1932, 2. Akt:
Partitur: 1. Akt: 7. Okt. – 20. Dez. 1909, 2. Akt: ? – 6. Juni 1932, 3. Akt: ? – 12. Okt. 1932; 1. Juli 1933
6. Jan. – 3. April 1910, 3. Akt: 5. Juli – 26. Sept. 1910; Dresden, Sächsische Staatstheater, Opernhaus; Diri-
26. Jan. 1911 Dresden, Königliches Opernhaus; gent: Krauss, Regisseur: Josef Gielen), Berlin 1933,
Dirigent: Schuch, Regisseur: Toller), Berlin 1910/11, Fürstner (Widmung: Alfred Reucker und Fr. Busch)
Fürstner (Widmung: Familie Georg Pschorr) (RSE 5) (RSE 13)
Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge. Zu spielen Die schweigsame Frau. Komische Oper in drei Aufzügen
nach dem »Bürger als Edelmann« des Molière (Hof- frei nach Ben Jonson (Stefan Zweig) op. 80 TrV 265
mannsthal) op. 60 TrV 228 (Skizzen/Particell: (Skizzen/Particell: 1. Akt: 1. Okt. 1932 – 11. März 1933,
Mai 1911 – nach 12. April 1912, Partitur: Nov. 2. Akt: März – 17. Juni 1933, 3. Akt bis 30. März 1934,
1911 – 25. April 1912 [nur die Oper] bzw. bis 22. Juli Partitur: 1. Akt 1. Nov. 1933 – 19. Jan. 1934, 2. Akt
1912 [inklusive Bürger als Edelmann]; 25. Okt. 1912 Mai – 24. Aug. 1934, 3. Akt bis 20. Okt. 1934, Ouv.
Stuttgart, Königliches Hoftheater; Dirigent: 17. Jan. 1935; 24. Juni 1935 Dresden, Sächsische Staats-
R. Strauss, Regisseur: Max Reinhardt), Berlin 1912, theater, Opernhaus; Dirigent: K. Böhm, Regisseur:
Fürstner (Widmung: Max Reinhardt [beide Fassun- Gielen), Berlin 1935, Fürstner (RSE 14)
gen]) Friedenstag. Oper in einem Aufzug (Joseph Gregor) op. 81
2. Fassung: Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge TrV 271 (Skizzen/Particell: Dez. [?] 1935 – 24. Jan. 1936,
nebst einem Vorspiel (Hofmannsthal) op. 60 (II) Partitur: ? – 16. Juni 1936; 24. Juli 1938 München,
TrV 228a (Skizzen/Particell: 15. April 1915 – 27. Mai Bayer. Staatsoper, Nationaltheater; Dirigent: Krauss,
556 Anhang

Regisseur: Rudolf Hartmann), Berlin 1938, Oertel kleines Orchester TrV 245a (Partitur: Sept. 1940 –
(Widmung: Viorica Ursuleac, Cl. Krauss) (RSE 15) 3. Jan. 1941; 5. April 1941 München, Bayer. Staatsoper,
Daphne. Bukolische Tragödie in einem Aufzug (Gregor) Nationaltheater; Dirigent: Cl. Krauss, Regie und
op. 82 TrV 272 (Skizzen/Particell: bis 9. Nov. 1937, Choreographie: Pia und Pino Mlakar), Ausgaben:
Partitur: bis 24. Dez. 1937; 15. Okt. 1938 Dresden, s. TrV 245 u. 245b (Strauss hat die Tänze aus TrV 245
Sächsische Staatstheater, Opernhaus; Dirigent: [B.II.] um weitere 13 Tänze, in 6 Nummern angeord-
Böhm, Regisseur: Max Hofmüller), Berlin 1938, net, vermehrt; vgl. auch TrV 245b C. I.5.)
Oertel (Widmung: K. Böhm) (RSE 16)
Die Liebe der Danae. Heitere Mythologie in drei Akten
(Gregor) op. 83 TrV 278 (Skizzen/Particell: 1. Akt: III. Schauspielmusiken
April 1938 – 6. Jan. 1939, 2. Akt: bis 1. Febr. 1939, Bühnenmusik zu »Romeo und Julia« von William Shake-
3. Akt: bis 21. März 1939, Partitur: 1. Akt 25. Mai – speare (Bearbeitung von Dr. Förster) für 2 Soprane,
7. Sept. 1939, 2. Akt: Aug. (?) – 20. Nov. 1939, 3. Akt: Alt, Tenor solo, Chor und Instrumente TrV 150
3. Dez. 1939 – 28. Juni 1940; 14. Aug. 1952 Salzburg, (Herbst 1887; 23. Okt. 1887 München, Königliches
Festspielhaus; Dirigent: Krauss, Regisseur: Hart- Hof- und Nationaltheater), in: Richard Strauss Jahr-
mann), Berlin 1944, Oertel (Widmung: Heinz Tiet- buch 1959, 42–50: 1. Tanzlied zur Moresca für kleines
jen) (RSE 17) Orchester; 2. Träller-Lied für Tenor solo; 3. Vor dem
Capriccio. Ein Konversationsstück für Musik in einem Hochzeitsbette für Instrumente; 3. Trauermusik für
Aufzug (Krauss/R. Strauss) op. 85 TrV 279 (Text 2 Soprane, 2 Alte und Instrumente
[nach dem Scheitern der Zusammenarbeit mit Gre- Fanfare zum Schauspiel »Die Jäger« von August Wil-
gor]: Okt. 1939 – Jan. 1941, Skizzen/Particell: Nov. helm Iffland für Orchester TrV 165 (Frühjahr 1891;
1939 – 23. Febr. 1941, Partitur: ? bis 3. Aug. 1941; 7. Mai 1891 Weimar, Hoftheater), Frankfurt a. M.
28. Okt. 1942 München, Bayer. Staatsoper, National- u. a. 2008, Litolff/Peters
theater; Dirigent: Krauss, Regisseur: Hartmann), Musik zu »Lebende Bilder«. Zur Feier der Goldenen
Berlin 1942, Oertel (Widmung: Cl. Krauss) (RSE 18) Hochzeit des Großherzogs Carl Alexander von
Sachsen-Weimar-Eisenach und der Großherzogin
II. Ballette und Tanzmusiken Sophie, Prinzessin der Niederlande für Orchester
TrV 167 (Partitur: 1.: 21. Aug. 1892; 2.: Ende Sept.
Josephs Legende. Handlung in einem Aufzuge (Harry Graf 1892; 3.: 13. Sept. 1892; 4.: 26. Sept. 1892; 8. Okt. 1892
Kessler/Hugo von Hofmannsthal) op. 63 TrV 231 Weimar, Großherzogliches Hoftheater; Dirigent: R.
(Skizzen/Particell: Juli 1912 – 20. Okt. 1913, Partitur: Strauss), Nr. 3 als Kampf und Sieg: Frankfurt a. M.
Aug./Sept. 1913 – 2. Febr. 1914; 14. Mai 1914 Paris, u. a. 1998, Peters (RSE 28)
Théâtre national de l’Opéra; Dirigent: R. Strauss, Zwei Lieder aus »Der Richter von Zalamea« von Pedro
Choreographie: M. M. Fokin), Berlin 1914, Fürstner Calderon de la Barca (deutsche Bühnenbearbeitung
(Widmung: Edouard Hermann) (RSE 8) von Rudolf Presber) TrV 211 (16. Aug. 1904; 7. Sept.
Der Bürger als Edelmann. Komödie mit Tänzen von Moli- 1904 Berlin, Lessing-Theater [?]), in: Richard Strauss
ère. Freie Bühnenbearbeitung in drei Aufzügen (Hof- Jahrbuch 1954, 97: 1. Liebesliedchen für Tenor, Gitarre
mannsthal) op. 60 (III) TrV 228b (Skizzen/Particell: und Harfe, 2. Lied der Chispa für Mezzosopran,
April (?) – 7. Okt. 1917, Partitur: Juli/Aug. – 11. Okt.
Männerchor, Gitarre, 2 Harfen
1917; 9. April 1918 Berlin, Deutsches Theater; Diri-
gent: Einar Nilson, Regisseur: Max Reinhardt), Berlin
1918, Fürstner (Widmung: Max Reinhardt) (RSE 7) IV. Stücke in Bearbeitungen
Schlagobers. Heiteres Wiener Ballett in zwei Aufzügen (R. von Bühnenwerken
Strauss) op. 70 TrV 243 (Skizzen/Particell: 1. Akt
Juni – 3. Okt. 1921, 2. Akt bis 25. Sept. 1921, Partitur: Die Ruinen von Athen. Ein Festspiel mit Tänzen und
1. Akt 9. Nov. 1921, 2. Akt: Juni (?) – 16. Sept. 1922; Chören. Musik unter teilweiser Benutzung des Ballettes
9. Mai 1924 Wien, Operntheater; Dirigent: R. Die Geschöpfe des Prometheus von Ludwig van Beetho-
Strauss, Regisseur und Choreographie: Heinrich ven. Neu herausgegeben und bearbeitet von Hugo
Kröller), Berlin 1923, Fürstner (Widmung: Ludwig von Hofmannsthal und Richard Strauss TrV 249,
Karpath) (RSE 10) darin: Melodram Nr. 6 »Hinauf zu deiner Burg,
Tanzsuite nach Klavierstücken von François Couperin zu- meine Göttin!« (1924; 20. Sept. 1924 Wien, Staats-
sammengestellt und für kleines Orchester bearbeitet oper; Dirigent: R. Strauss), Berlin 1925, Fürstner
(»Couperin-Suite I«) TrV 245 (Partitur: Okt. [?] Idomeneo. Opera seria in 3 Akten von W. A. Mozart [ …]
1922 – 6. Jan./11. Febr. 1923; 17. Febr. 1923 Wien, Vollständige Neubearbeitung von Lothar Wallerstein
Theater im Redoutensaal der Hofburg; Dirigent: Cl. und Richard Strauss TrV 262, darin: Interludio
Krauss, Choreographie: H. Kröller), Berlin 1923, (2. Akt, zwischen 8. und 9. Szene); Rezit. »Halt ein,
Fürstner (RSE 25) Fürst« (3. Akt, 5. Szene); Ensemble Molto Adagio
Verklungene Feste. Tanzvisionen aus zwei Jahrhunderten. »Erlösung« (28. Okt. 1930; 16. April 1931 Wien,
Choreographie nach historischen Vorlagen von Pia Staatsoper; Dirigent: R. Strauss), Magedeburg 1931,
und Pino Mlakar. Musik nach François Couperin für Heinrichshofen
Werkverzeichnis 557

C. Instrumentalmusik Strauss), Berlin 1904, Bote & Bock (Widmung:


Pauline und Franz Strauss [Sohn]) (RSE 21)
I. Orchesterwerke Eine Alpensinfonie für großes Orchester op. 64 TrV 233
(Skizzen: Spätsommer 1899–1902, 1910; Frühjahr
1. Tondichtungen 1911–1913, Particell: Anfang bis 5. Aug. 1913, Partitur:
Macbeth. Tondichtung für großes Orchester (nach bis 8. Febr. 1915 [die frühen Skizzen galten einer ge-
Shakespeare’s Drama) d-Moll op. 23 TrV 163 (1. Fas- planten Tondichtung »Künstlertragödie«, aus der
sung: Skizzen 1887/88, Partitur: 9. Jan. 1888; 2. Fas- Musik in die Alpensinfonie eingegangen ist]; 28. Okt.
sung: Partitur: 8. Febr. 1888; 3. Fassung: Partitur: 1915 Berlin, Philharmonie; Dirigent: R. Strauss),
4. März 1891; 2. Fassung: 13. Okt. 1890 Weimar, Leipzig 1915, Leuckart (Widmung: Nicolaus Graf von
Hoftheater; Dirigent R. Strauss; 3. Fassung: 29. Febr. Seebach, Königliche Kapelle Dresden) (RSE 21)
1892 Berlin, Philharmonie; Dirigent: ders.; 1. Fassung:
Partiturblätter in: W. Werbeck, Die Tondichtungen von 2. Sonstige Orchesterwerke
Richard Strauss, Tutzing 1996, 546–552; 2. Fassung: Schneider-Polka TrV 1 für kleines Orchester und Klavier
Autographe Partitur (Privatbesitz). Klavierauszug ad lib. (23. Febr. 1873 München, Dirigent: R. Strauss)
vierhändig von R. Strauss (RSA); 3. Fassung: Partitur: Ouvertüre c-Moll zum Singspiel Hochlands Treue TrV 17
München 1891, Aibl (Widmung: A. Ritter) (1873?), Manuskript RSA
Don Juan. Tondichtung (nach Nikolaus Lenau) für großes Concertouvertüre h-Moll TrV 41 (Sept. 1876), Manuskript
Orchester E-Dur op. 20 TrV 156 (Skizzen: Früh- RSA (Widmung: Franz Strauss [Vater])
jahr – Sommer 1888, Partitur: Mitte Juni – 30. Sept. Festmarsch Es-Dur op. 1 TrV 43 (1876; 26. März 1881
1888; 11. Nov. 1889 Weimar, Hoftheater; Dirigent: R. München; Dirigent: Franz Strauss), Partitur: Leipzig
Strauss), München 1890, Aibl (Widmung: L. Thuille)
1881, Breitkopf &Härtel (Widmung: Georg Pschorr);
(RSE 20)]
Klavierauszug vierhändig (außerdem zweihändig)
Tod und Verklärung. Tondichtung für großes Orchester
von R. Strauss, ebd. 1881 (RSE 24)
c-Moll op. 24 TrV 158 (Skizzen: Sommer 1888 – April
Serenade G-Dur TrV 52 (Dez. 1877; 1878? München;
1889, Partitur: Ende April – 18. Nov. 1889; 21. Juni 1890
Dirigent: Franz Strauss), Mainz 1994, Schott (Wid-
Eisenach, Stadttheater; Dirigent: R. Strauss), Mün-
mung: Friedrich Wilhelm Meyer) (RSE 24)
chen 1891, Aibl (Widmung: Friedrich Rösch) (RSE 20)
Till Eulenspiegels lustige Streiche. Nach alter Schelmen- Ouvertüre E-Dur TrV 69 (Sommer/Herbst 1878), Manu-
weise – in Rondeauform – für großes Orchester gesetzt skript RSA
F-Dur op. 28 TrV 171 (Skizzen: Herbst 1894 [?] – Früh- Gavotte D-Dur TrV 82/5 (16. Juli 1879; 29. Mai 1880
jahr 1895, Partitur: bis 6. Mai (6. Juni?) 1895; 5. Nov. München; Dirigent: Franz Strauss), Manuskript RSA
1895 Köln, Gürzenich; Dirigent: Fr. Wüllner), Mün- Ouvertüre a-Moll TrV 83 (bis 16. Juli 1879), Manuskript
chen 1895, Aibl (Widmung: Arthur Seidl) (RSE 20) RSA (Widmung: Friedrich Wilhelm Meyer)
Also sprach Zarathustra. Tondichtung (frei nach Friedrich Symphonie d-Moll TrV 94 (Skizzen: 1. Satz bis 8. April
Nietzsche) für großes Orchester op. 30 TrV 176 (Skiz- 1880, 2. Satz bis 3. Mai 1880, 3. Satz: bis 15. Mai 1880,
zen: seit Frühsommer 1895, Particell: 7. Dez. 1895 – 4. Satz: bis 12. Juni 1880, Partitur: bis 17. Okt. 1880;
17. Juli 1896, Partitur: 4. Febr. 96 – 24. Aug. 1896; 30. März 1881 München, Odeon; Dirigent: H. Levi),
27. Nov. 1896 Frankfurt a. M., Museum; Dirigent: R. Mainz 1980, Schott (RSE 19)
Strauss), München 1896, Aibl (RSE 21) Concertouvertüre c-Moll für großes Orchester TrV 125
Don Quixote (Introduzione, Tema con Variazioni e Finale) (1883; 28. Nov. 1883 München, Odeon; Dirigent:
Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Levi), Partitur: Mainz 1988, Schott (Widmung: H.
Characters für großes Orchester D-Dur op. 35 TrV 184 Levi); Klavierauszug vierhändig von R. Strauss, Ma-
(Skizzen/Particell: seit 10. Okt. 1896 – Sommer 1897, nuskript RSA (RSE 24)
Partitur: 2. Aug. – 29. Dez. 1897; 8. März 1898 Köln, Symphonie f-Moll für großes Orchester op. 12 TrV 126
Gürzenich; Dirigent: Fr. Wüllner), München 1898, (Skizzen/Particell: 1. Satz bis 15. Okt. 1883, 2. Satz bis
Aibl (Widmung: Joseph Dupont) (RSE 21) 11. Juni 1883, 3. Satz: bis 25. Jan. 1884, 4. Satz: bis
Ein Heldenleben. Tondichtung für großes Orchester Es-Dur 5. Dez. 1883; 13. Dez. 1884 New York, Philharmonic
op. 40 TrV 190 (Skizzen: Frühjahr 1897 – Juli 1898, Society; Dirigent: Theodore Thomas), Partitur:
Particell: bis 30. Juli 1898, Partitur: 2. Aug. – 1. Dez. München 1885/86, Aibl; Klavierauszug vierhändig
1898, 2. Schluss: Particell: Dez. 1898; Partitur: 23. – von R. Strauss, ebd. 1885/86 (RSE 19)
27. Dez. 1898 [der Verbleib der autographen Partitur Festmarsch D-Dur TrV 135 (1. Fassung: Ende 1884, 2. Fas-
des 2. Schlusses ist unbekannt]; 3. März 1899 Frank- sung: Ende 1887; 1. Fassung: 5. Jan. 1885 München,
furt a. M., Museum; Dirigent: R. Strauss), Leipzig Dirigent: Franz Strauss; 2. Fassung: 5. Jan. 1888 ebd.,
1899, Leuckart (Widmung: W. Mengelberg, Concert- Dirigent: ders.), Manuskript München, Orchester-
gebouw-Orchester Amsterdam) (RSE 21) verein »Wilde Gung’l“
Symphonia domestica für großes Orchester F-Dur op. 53 Aus Italien. Sinfonische Fantasie G-Dur für großes Or-
TrV 209 (Skizzen: 25. Mai 1902 – 23. Juni 1903, Parti- chester op. 16 TrV 147 (Skizzen: seit April 1886, 1. Satz
cell: bis 2. Aug. 1903, Partitur: 17. Mai – 31. Dez. 1903; Auf der Campagna bis 29. Juli 1886, 2. Satz In Roms
21. März 1904 New York, Carnegie Hall; Dirigent: R. Ruinen, 3. Satz Am Strande von Sorrent bis 31. Okt.
558 Anhang

1886, 4. Satz Neapolitanisches Volksleben bis 12. Sept. Partitur: München 1884, Aibl (Widmung: Oscar
1886; 2. März 1887 München, Odeon; Dirigent: R. Franz); Klavierauszug zweihändig von R. Strauss, ebd.
Strauss), Partitur: München 1887, Aibl (Widmung: 1884 (Widmung: Franz Strauss [Vater]) (RSE 22)
H. von Bülow); Klavierauszug vierhändig von R. Romanze für Violoncello mit Begleitung des Orchesters
Strauss, ebd. 1889 (RSE 20) F-Dur TrV 118 (27. Juni 1883; 15. Febr. 1884 Baden-
Festmarsch C-Dur für großes Orchester TrV 157 (Ende Baden [?]; Violoncello: Hans Wihan), Mainz 1987,
1888; 1. Febr. 1889 München, Centralsäle; Dirigent: Schott (Widmung: Anton Ritter von Knötzinger)
Franz Strauss), Manuskript München, Orchesterver- (RSE 22)
ein »Wilde Gung’l« (Widmung: Wilde Gung’l) Kadenzen zum Klavierkonzert c-Moll (KV 491) von W.
Militärischer Festmarsch (Königsmarsch) Es-Dur TrV 217 A. Mozart TrV 139 (Sommer 1885; 18. Okt. 1885 Mei-
(6. Jan. 1906; 27. Jan. 1906 Berlin, Hofoper; Diri- ningen, Hoftheater; Klavier: R. Strauss, Dirigent: H.
gent: R. Strauss), Berlin 1906, Fürstner (Widmung: von Bülow), Manuskript unbekannt
Kaiser Wilhelm II.) (RSE 24) Burleske für Klavier und Orchester d-Moll TrV 145
Zwei Militärmärsche für großes Orchester op. 57 TrV 221 (24. Febr. 1886; 21. Juni 1890 Eisenach, Stadttheater;
(1906; 6. März 1907 Berlin; Dirigent: R. Strauss), Klavier: E. d’Albert, Dirigent: R. Strauss), Leipzig
Leipzig 1907, Peters (Widmung: Kaiser Wilhelm II.): 1894, Steingräber (Widmung: E. d’Albert) (RSE 22)
1. Militärmarsch Es-Dur (26. Okt. 1906); 2. Kriegs- Parergon zur Symphonia domestica für Klavier (linke
marsch c-Moll (15. Okt. 1906) Hand) und Orchester op. 73 TrV 209a (Particell:
Festliches Präludium für großes Orchester und Orgel 2. Jan. 1925, Partitur: 27. Jan. 1925; 6. Okt. 1925 Dres-
op. 61 TrV 229 (Partitur: bis 11. Mai 1913; 19. Okt. 1913 den; Klavier: Paul Wittgenstein, Dirigent: Fr. Busch),
Wien, Konzerthaus; Dirigent: Ferdinand Löwe), Klavierauszug Wien 1926, Georg Kugel; Partitur:
Berlin 1913, Fürstner (Widmung: Zur Einweihung London 1964, Boosey & Hawkes (Widmung: Paul
des Wiener Konzerthauses am 19. Okt. 1913) (RSE 24) Wittgenstein) (RSE 23)
München (Ein Gelegenheitswalzer) TrV 274 (Partitur: bis Panathenäenzug. Sinfonische Etüden in Form einer Passa-
3. Jan. 1939; 24. Mai 1939 München, Ufa-Palast; Di- caglia für Klavier (linke Hand) und Orchester op. 74
rigent: Carl Ehrenberg), Frankfurt a. M. 1998, Peters TrV 254 (14. Febr. 1927; 16. Jan. 1928 Berlin, Philhar-
(Widmung: Bayerische Staatsbibliothek) (RSE 25) monie; Klavier: Wittgenstein, Dirigent: R. Strauss),
Festmusik zur Feier des 2600jährigen Bestehens des Kaiser- Klavierauszug Wien 1928, Selbstverlag (R. Strauss);
reichs Japan (Japanische Festmusik) für großes Or- Partitur: London 1953, Boosey & Hawkes (Wid-
chester op. 84 TrV 277 (Partitur: Febr. – 22. April mung: Paul Wittgenstein) (RSE 23)
1940; 14. Dez. 1940 Tokio, Kabuzika-Theatre; Diri- Zweites Konzert für Horn und Orchester Es-Dur TrV 283
gent: Helmut Fellmer), Berlin 1941, Oertel (Wid- (Particell: 11. Nov. 1942, Partitur: 28. Nov. 1942;
mung: Kaiser Hirohito von Japan) (RSE 25) 11. Aug. 1943 Salzburg, Festspiele; Horn: Gottfried
München (Ein Gedächtniswalzer), TrV 274a (Particell: von Freiberg, Dirigent: K. Böhm), Klavierauszug
bis 23. Jan. 1945, Partitur: bis 24. Febr. 1945; 31. März vierhändig von R. Strauss, Manuskript Privatbesitz
1951 Wien; Dirigent: Fritz Lehmann), London 1951, (»Dem Andenken meines Vaters«); Partitur: London
Boosey & Hawkes (RSE 25) 1950, Boosey & Hawkes (RSE 23)
Konzert für Oboe und kleines Orchester D-Dur TrV 292
3. Instrumentalkonzerte und Konzertstücke (Particell: 14. Sept. 1945, Partitur: 25. Okt. 1945,
mit Orchester Partitur des neuen Schlusses: 1. Febr. 1948; 26. Febr.
Romanze für Klar. mit Begleitung des Orchesters Es-Dur 1946 Zürich, Tonhalle; Ob.: Marcel Saillet, Dirigent:
TrV 80 (Partitur: 25. Juni 1879; Sommer 1879, Mün- Volkmar Andreae), London 1948, Boosey & Hawkes
chen [Schlusskonzert des Ludwigs-Gymnasiums]), (Widmung: Volkmar Andreae, Tonhalleorch. Zü-
Mainz 1991, Schott (RSE 22) rich) (RSE 23)
Konzert für Violine mit Begleitung des Orchesters Duett-Concertino für Klarinette und Fagott mit Streich-
d-Moll op. 8 TrV 110 (Partitur: 22. März 1882, 1. Satz: orchester und Harfe F-Dur TrV 293 (Particell:
18. Febr. 1882; Fassung für Violine und Klavier: 29. Jan. 1947, Partitur: 16. Dez. 1947; 4. April 1948
5. Dez. 1882 Wien, Bösendorfersaal; Violine: Benno Lugano, Radio Monte Ceneri; Klar.: Armando Ba-
Walter, Klavier: R. Strauss; Orchesterfassung: sile, Fg.: Bruno Bergamaschi, Dirigent: Otmar
17. Febr. 1896 Leipzig, Liszt-Verein; Violine: Alfred Nussio), London 1949, Boosey & Hawkes (Wid-
Krasselt, Dirigent: R. Strauss), Klavierauszug zwei- mung: Hugo Burghauser) (RSE 23)
händig von R. Strauss, München 1883, Aibl; Partitur:
ebd. 1897 (Widmung: Benno Walter) (RSE 22)
4. Werke für Streicher
Konzert für Waldhorn mit Orchester- oder Klavierbeglei- Metamorphosen. Studie für 23 Solostreicher TrV 290
tung Es-Dur op. 11 TrV 117 (1882/83; Fassung für Horn (Sommer 1944/45; Particell [für 7 Str.]: 31. März 1945;
und Klavier: Anfang 1883 München, Tonkünstlerver- Partitur: 13. März – 12. April 1945; 25. Jan. 1946 Zü-
ein; Horn: Bruno Hoyer, Klavier: R. Strauss; Orches- rich, Kleiner Saal der Tonhalle, Dirigent: P. Sacher),
terfassung: 4. März 1885 Meiningen, Hoftheater; London 1946, Boosey & Hawkes (Widmung: P. Sa-
Horn: Gustav Leinhos, Dirigent: H. von Bülow), cher, Collegium Musicum Zürich) (RSE 27)
Werkverzeichnis 559

5. Suiten und Stücke aus Bühnenwerken II. Musik für Bläser


Der Rosenkavalier [ …]Walzerfolgen des III. Aktes op. 59 1. Für Holzbläser
(später: Zweite Walzerfolge) für Orchester TrV 227a
(1910/11), Berlin 1910, 1934, Fürstner (RSE 28) Serenade für Blasinstrumente Es-Dur op. 7 TrV 106
Orchestersuite aus der Musik zum »Bürger als Edelmann« (Partitur: 1. Jan. 1881; 27. Nov. 1882 Dresden, Ton-
des Molière op. 60 (IIIa) TrV 228c (Zusammenstel- künstlerverein, Dirigent: Fr. Wüllner), Partitur:
lung der Stücke 1915–1917?) (31. Jan. 1920 Wien, München 1883, Aibl (Widmung: Friedrich Wilhelm
Prinz-Eugen-Palais; Dirigent: R. Strauss), Berlin Meyer); Klavierauszug vierhändig (außerdem zwei-
1923, Fürstner; Leipzig 1932, Leuckart (RSE 28) händig) von R. Strauss, ebd. 1883 (RSE 26)
Orchestersuite aus dem Ballett »Schlagobers« op. 70 TrV Suite B-Dur für 13 Blasinstrumente op. 4 TrV 132 (seit
243a (Partitur: 16. Sept. 1932; 8. Nov. 1932 Mann- Febr. 1884, Partitur: 29. Sept. 1884; 18. Nov. 1884
heim; Dirigent: R. Strauss), Berlin 1932, Fürstner München, Odeon, Dirigent: R. Strauss), Partitur:
(RSE 28) Berlin 1911, Fürstner (Widmung: L. Thuille); Klavier-
Vier sinfonische Zwischenspiele aus »Intermezzo« op. 72 auszug vierhändig von R. Strauss, ebd. 1911 (RSE 26)
TrV 246a (1933?), Berlin 1924/1929, Fürstner (RSE 28) Sonatine für 16 Blasinstrumente. Aus der Werkstatt des
Divertimento. Klavierstücke von François Couperin Invaliden TrV 288 (3 Sätze: 1. [Überschrift: »II. Blä-
(1688–1733) bearbeitet für kleines Orchester op. 86 sersuite (Sonatine)“] Partitur: 24. März 1943, 2. Par-
(›Couperin-Suite II‹) TrV 245b (Druck der neuen 6 titur: 21. Febr. 1943, 3. Particell: 28. Mai 1943, Partitur:
Nummern aus TrV 245a [s. B.II.], um zwei weitere 22. Juli 1943; 18. Juni 1944 Dresden, Tonkünstlerver-
vermehrt und für den Konzertgebrauch bearb.) (Par- ein, Dirigent: Karl Elmendorff ), London 1964,
titur: 8.-12. Sept. 1941; 31. Jan. 1943 Wien, Opernthe- Boosey & Hawkes (RSE 26)
ater [?], Akademie der Philharmoniker; Dirigent Cl. Zweite Sonatine für 16 Bläser TrV 291 (4 Sätze: 1. Particell:
Krauss), Berlin 1942, Oertel (RSE 25) 14. Febr. 1944, Partitur: 6. März 1944, 2. [Tema con
Einleitung und Walzer aus »Der Rosenkavalier« (Erste variazioni]: Particell: 1. Juni 1945, Partitur: 10. Juni
Walzerfolge) op. 59 TrV 227c (Particell: 26. Okt. 1944, 1945, 3. Particell: 14. Juni 1945, Partitur: 22. Juni 1945,
Partitur: 15. Nov. 1944; 4. Aug. 1946 London; Diri- 4. Particell: 6. Dez. 1943, Partitur: 9. Jan. 1944;
gent: Erich Leinsdorf ), London, Boosey & Hawkes/ 27. März 1946 Winterthur, Dirigent: H. Scherchen),
Berlin, Fürstner 1947 (Widmung: Ernst Roth) London 1952, Boosey & Hawkes (Widmung: Werner
(RSE 28) Reinhart) (RSE 27) (am Schluss des 3. Satzes: »Fröh-
Symphonische Fantasie aus »Die Frau ohne Schatten« für liche Werkstatt. Den Manen des göttlichen Mozart
Orchester TrV 234a (Partitur: 30. Mai 1946; 26. Juni am Ende eines Dankerfüllten Lebens«)
1947 Wien; Dirigent: K. Böhm), London, Boosey &
Hawkes/Berlin, Fürstner 1947 (Widmung: Manfred 2. Für Blechbläser
von Mautner Markhof ) (RSE 29)
Feierlicher Einzug der Ritter des Johanniter-Ordens für
Symphonisches Fragment aus »Josephs Legende« für großes
12 Trompeten, 2 Solo-Trompeten, 4 Hörner, 4 Posau-
Orchester op. 63 TrV 231a (Partitur: 4. Febr. 1947;
nen, 2 Basstuben und Pauken TrV 224 (Febr./März
März 1949 Cincinnati; Dirigent: Fritz Reiner),
1907; 18. März 1907, Berlin), Berlin 1909, Schlesinger
London, Boosey & Hawkes/Berlin, Fürstner 1947
(Rob. Lienau) (Widmung: Eitel Friedrich Prinz von
(RSE 29)
Preußen) (RSE 26)
6. Filmmusik Wiener Philharmoniker Fanfare für 6 Trompeten, 8 Hör-
ner 6 Posaunen, 2 Basstuben und 2 Pauken TrV 248
Begleitmusik zu dem Film »Der Rosenkavalier« (Regie: (Partitur: 19. Febr. 1924; 4. März 1924 Wien, Ball der
Robert Wiene) für Orchester TrV 227b (Skizzen/ Wiener Philharmoniker), London 1960, Boosey &
Particell: bis 24. Juli 1925, Partitur: 18. Okt. 1925; Hawkes (Widmung: Wiener Philharmoniker) (RSE 26)
10. Jan. 1926 im Rahmen der UA des Stummfilms Fanfare zur Eröffnung der Musikwoche der Stadt Wien für
Der Rosenkavalier, Dresden, Sächsische Staatstheater, 6 Trompeten, 8 Hörner 6 Posaunen, 2 Basstuben und
Opernhaus; Dirigent: R. Strauss), Berlin 1926, Fürst- 2 Pauken TrV 250 (Partitur: 9. Sept. 1924; 14. Sept.
ner (enthält neben Musik aus TrV 227 noch einen 1924 Wien, Rathausturm), London 1960, Boosey &
neu komponierten Militärmarsch F-Dur, die Mär- Hawkes (RSE 26)
sche TrV 214 und 217 [C.IV.1.], die 3. Nummer aus Festmusik der Stadt Wien für 10 Trompeten, 7 Posaunen,
TrV 167 [B.III.] sowie die 4. Nummer aus der Tanz- 2 Basstuben und 5 Pauken TrV 286 (Particell: 6. Jan.
suite TrV 245 [B.II.]) 1943; Partitur: 14. Jan. 1943; 9. April 1943 Wien,
Festsaal des Rathauses; Dirigent: R. Strauss), London
1978, Boosey & Hawkes (Widmung: Gemeinderat
der Stadt Wien) (RSE 26)
Wiener Fanfare für 10 Trompeten, 7 Posaunen, 2 Bass-
tuben und 5 Pauken TrV 287 (Partitur: 17. April 1943;
20. Juni 1943 Wien, Arkadenhof des Rathauses; Diri-
gent: Hans Heinz Scholtys) (RSE 26)
560 Anhang

III. Kammermusik Sonate für Violine und Klavier Es-Dur op. 18 TrV 151 (7.
Juni 1887; 26. Aug. 1887; 1. Nov. 1887), München
1. Für drei und mehr Instrumente 1888, Aibl (Widmung: Robert Pschorr)
Concertante für 2 Violinen, Violoncello und Klavier TrV Andante für Horn und Klavier C-Dur TrV 155 (vor 29.
33 (1875?), Manuskript Bayer. Staatsbibliothek Mün- Aug. 1888), London 1973, Boosey & Hawkes (Wid-
chen (Widmung: »Seinen Vettern Pschorr«) mung: Franz Strauss [Vater])
Trio für Violine, Violoncello und Klavier Nr. 1 A-Dur Allegretto für Violine und Klavier E-Dur TrV 295
TrV 53 (19./20. Dez. 1877), Mainz 1996, Schott (Wid- (5. Aug. 1948), hg. von A. Ott, Giebing 1969
mung: Anton [Ritter von Knötzinger])
Trio für Violine, Violoncello und Klavier Nr. 2 D-Dur IV. Solobesetzungen
TrV 71 (1878), Mainz 1996, Schott (Widmung: Georg
Pschorr) 1. Für Tasteninstrument (wenn nicht anders
Hochzeitsmusik für Klavier und Kinderinstrumente TrV angegeben, für Klavier zweihändig)
84 (Juli 1879), Manuskript unbekannt (Widmung: Schneider-Polka TrV 1 (1870), frühe Steindruck-Exem-
Linda Moralt, Jean Mayer) plare (Widmung: Peter Müller) (RSFK 1)
Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello A-Dur Panzenburg-Polka TrV 11 (Frühjahr 1872) (Widmung:
op. 2 TrV 95 (14. Nov. 1880), München 1881, Aibl August Pschorr) (RSFK 1)
(Widmung: Benno Walter-Streichquartett) Langsamer Satz g-Moll TrV 12 (1872?) (RSFK 1)
Variationen über »s’ Deandl is harb auf mi« für Violine, Fünf kleine Stücke TrV 18 (1873?) (RSFK 1)
Viola und Violoncello TrV 109 (März 1882), Mainz Sonatine N. II E-Dur TrV 20 (1873?) (nur Allegro mo-
1996, Schott derato vollst.) (RSFK 2)
Ständchen für Violine, Viola, Violoncello und Klavier Fantasie C-Dur TrV 29 (1874?) (Widmung: Franz
G-Dur TrV 114 (Dez. 1882), Mainz 1996, Schott Strauss [Vater]) (RSFK 2)
Fantasie über ein Thema von Giovanni Paisiello für Fa- Sonate I C-Dur TrV 22 (Nov. 1874) (RSFK 2)
gott, Mundflöte und Gitarre TrV 116 (Anfang 1883?), Sonate II F-Dur TrV 23 (Nov. 1874) (RSFK 2)
Manuskript RSA Sonate III B-Dur TrV 24 (Ende 1874) (Widmung: Jo-
Variationen über eine Tanzweise von Cesare Negri (1604) hanna Pschorr) (RSFK 2)
in Mailand für 2 Violinen, Viola und Violoncello TrV Sonate N. 5 Es-Dur TrV 26 (1874) (Widmung: Carl
123 (30. Sept. 1883), Manuskript RSA (Widmung: Hörburger) (RSFK 2)
August Pschorr) Zwei kleine Stücke TrV 30 (1875?) (RSFK 1)
Quartett für 2 Violinen, Viola, Violoncello und Klavier Sonate Nr. 1 E-Dur TrV 47 (Okt.-Nov. 1877?) (RSFK 3)
c-Moll op. 13 TrV 137 (1. Jan. 1885), München 1886, Zwölf Variationen D-Dur TrV 68 (16. Mai 1878), Manu-
Aibl (Widmung: Herzog Georg II. von Sachsen- skript Privatbesitz Paris (Widmung: Pauline Nagiller)
Meiningen) Andante c-Moll TrV 73 (Frühjahr 1879) (RSFK 1)
Festmarsch für Violine, Viola, Violoncello und Klavier Aus alter Zeit. Eine kleine Gavotte TrV 72 (Frühjahr
D-Dur TrV 136 (11. Nov. 1886?), Mainz 1996, Schott 1879), in: Musikalisches Bilderbuch für das Pianoforte,
Zwei Stücke für Violine, Viola, Violoncello und Klavier hg. von L. Meggendorfer, Bd. 1, München 1879, Heft
TrV 169 (7. und 23. Dez. 1893), Mainz 1996, Schott 1 (Widmung: Maria Beetz 1881)
(Widmung: Georg Pschorr): 1. Arabischer Tanz, 2. Skizzen. Fünf kleine Klavierstücke TrV 82 (1.: 20. April
Liebesliedchen 1879, 2.: 21. April 1879, 3.: 22./23. April 1879, 4.:
Sextett aus »Capriccio« für 2 Violinen, 2 Violen, 2 Vio- 1. Mai 1879, 5.: 16. Juli 1879) (RSFK 1)
loncelli TrV 279a, Berlin 1943, Oertel Große Sonate No. II c-Moll TrV 79 (10. Juni 1879) (Wid-
Tänze aus »Capriccio« (Passepied-Gigue-Gavotte) für mung: Carl Hörburger) (RSFK 3)
Violine, Violoncello und Cembalo/Klavier TrV 279b, Scherzo h-Moll TrV 86 (1879) (RSFK 1)
Berlin 1943, Oertel Andantino TrV 93 (22. Mai 1880) (Andantino: Robert
Pschorr) (RSFK 1)
2. Für Soloinstrument und Klavier Scherzando G-Dur TrV 96 (24. Nov. 1880), Manuskript
Introduction, Thema und Variationen für Waldhorn und unbekannt
Klavier TrV 70 (4. Okt. 1878), Mainz 1995, Schott Fuge zu 4 Themen TrV 99 (Dez. 1880) (Widmung: Franz
(Widmung: Franz Strauss [Vater]) Strauss [Vater]) (RSFK 1)
Introduction, Thema und Variationen für Flöte und Sonate h-Moll op. 5 TrV 103 (dreisätzige 1. Fassung:
Klavier TrV 76 (28.-30. April 1879), Mainz 1999, 1.: 30. Nov. 1880, 2.: 1. Jan. 1881, 3.: 9. Jan. 1881; Um-
Schott arbeitung der beiden ersten Sätze und Neukomposi-
Sonate für Violoncello und Klavier F-Dur op. 6 TrV 115 tion eines 3. und 4. Satzes Frühjahr 1881?), München
(1. Fassung 1. Satz: 4. März 1881, 2. Satz: 12. März 1881, 1882, Aibl (Widmung: Josef Giehrl)
3. Satz: 5. Mai 1881; Umarbeitung des 2. und 3. Satzes Fünf Klavierstücke op. 3 TrV 105 (31. Juli 1881), München
Herbst/Winter 1882/83), München 1883, Aibl (Wid- 1881, Aibl
mung: Hans Wihan) (gedr. ist die 2. Fassung; Manu- Albumblatt TrV 111 (31. März 1882) (Widmung: Bertha
skript der 1. Fassung: RSA) Schüssel) (RSFK 1)
Werkverzeichnis 561

Largo a-Moll TrV 120 (1883) (RSFK 1) D. Bearbeitungen (s. auch B.IV.)
Stiller Waldespfad TrV 121 (21. Sept. 1883) (RSFK 1)
Stimmungsbilder op. 9 TrV 127 (4. Febr. 1884), München Franz Lachner, Nonett F-Dur, Klavierauszug vierhändig
1886, Aibl TrV 108 (1881), Manuskript Bayer. Staatsbibliothek
14 Improvisationen und Fuge über ein Originalthema München
a-Moll TrV 130 (16. Mai 1884) (Widmung: H. von Joachim Raff, 2 Märsche, Klavierauszug vierhändig
Bülow) (RSFK 3) TrV 143 (1885), München 1885, Aibl
Intermezzo F-Dur für Klavier vierhändig TrV 138 (31. Jan. Alexander Ritter, Ouvertüre Der faule Hans, Klavieraus-
1885), Manuskript Privatbesitz Italien zug zweihändig TrV 140 (Anfang 1886), Leipzig 1886,
»De Brandenburgsche Mars«. Präsentiermarsch TrV 214 Kistner
(1905), Berlin 1906, Fürstner Richard Wagner, Die Feen, Einlage zum 2. Akt TrV 154
Parade-Marsch des Regiments Königs-Jäger zu Pferde Nr. 1 (Juni 1888), Klavierauszug (Manuskript) RSA
Es-Dur TrV 213 (23. Jan. 1905), Berlin 1906, Fürstner Christoph Willibald Gluck, Iphigenie auf Tauris, für die
Militärischer Festmarsch Es-Dur (Königsmarsch) TrV 217 deutsche Bühne bearbeitet TrV 161 (Partitur, Klavier-
(30. Dez. 1905), Berlin 1906, Fürstner (Widmung: auszug, Textbuch) (Juli 1890), Berlin 1895, Fürstner
Kaiser Wilhelm II.) Richard Wagner, Rienzi, »Nachinstrumentierung« von
Parade Marsch für Cavallerie Nr. 2 Des-Dur TrV 222 Introduktion, Terzett (1. Akt) und Finale (2. Akt) TrV
(19. Juni 1907), Berlin 1907, Fürstner 162 (Herbst 1890), Manuskript unbekannt
Hochzeitspräludium für 2 Harmonium-Instrumente Alexander Ritter, »Nun hält Frau Minne Liebeswacht«,
TrV 247 (8. Jan. 1924), Manuskript Privatbesitz Zü- op. 4/8 (aus Liebesnächte), instrumentiert TrV 164
rich (Widmung: Franz Strauss [Sohn]) (1891?), hs. Kopie RSA (Widmung: Else, Julie und
Suite aus »Capriccio« mit Konzertschluß für Cembalo Hertha Ritter)
TrV 279c (5. Juni 1944), Manuskript Privatbesitz Franz Schubert, Ganymed, instrumentiert TrV 179
(Widmung: Isolde Ahlgrimm) (7. Jan. 1897), Manuskript Privatbesitz
Zwei Lieder von Ludwig van Beethoven instrumentiert
2. Für andere Instrumente TrV 185 (12. und 14. Jan. 1898), Manuskript RSA
François-Adrien Boieldieu, Johann von Paris, Umarbei-
Zwei Etüden für Es- bzw. E-Horn TrV 15 (1873?), E. H. tung einer Arie TrV 242 (vor 26. Sept. 1922), Manu-
Müller von Asow, Richard Strauss. Thematisches Ver- skript Österreichische Nationalbibliothek Wien;
zeichnis, Bd. 3, S. 1126 f. Klavierauszug von Selma Kurz (Verbleib unbekannt)
Daphne-Etüde für Violine solo G-Dur TrV 272b Franz Schubert, Walzer für Klavier Ges-Dur TrV 285
(27. Febr. 1945), hg. von A. Ott, Giebing 1969, Katz- (4. Jan. 1943), Wien 1970, Universal Edition
bichler (Widmung: Christian Strauss [Enkel])

V. Übungsstücke (Mss. RSA)


vierstimmiger Satz B-Dur TrV 31 (1875?) E. Schriften und Editionen
vierstimmiger Choralsatz B-Dur TrV 32 (1875?)
vierstimmiger Satz As-Dur TrV 39 (Ende Febr. 1876) Analyse der 2. Symphonie f-Moll op. 12 TrV 126, in:
Kontrapunktische Studien I. Imitatorische Übungen und Programmbuch der Concertdirektion H. Wolff Ham-
Kanons TrV 57 (1877/78) burg, IV. Saison 1889/90, neue Abonnement-Concerte
Kontrapunktische Studien II. Neun Fugen TrV 81 unter H. von Bülow; Faks. in: J. Schaarwächter, Ri-
(1878 – Sommer 1879) chard Strauss und die Sinfonie, Köln 1994, 155–162
Kontrapunktische Studien III. Drei Fugen für Klavier Aus Italien [op. 16 TrV 147], Analyse vom Komponisten,
(Nr. 1 und 2) sowie Klavier und Violine (Nr. 3) in: Allgemeine Musikzeitung 16 (1889), 263, 265 f.
TrV 91 (Sommer 1879; 2. Jan. 1880; 23. Febr. 1880) Instrumentationslehre von Hector Berlioz, ergänzt und
revidiert, Leipzig o. J. (1905) TrV 212; Nachdruck
Leipzig 1955
Franz Strauss, Nachgelassene Werke für Horn, hg. mit H.
Rüdel TrV 225, Leipzig 1909/1913
Die Musik. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen,
hg. von R. Strauss, Bd. 1–7, 9, 11, 12, 16/17, 18, 19, 21,
22/23, 24/25, 26/27, 28/29, 30, 31/32 Berlin 1904–1907
562 Anhang

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Bernd Edelmann (*1947), Dr. phil., 1982–2012 Dozent Ethnology in 1930s Europe«. In: Journal of Folklore Re-
für Musikgeschichte und Musiktheorie am Musikwis- search 49.1, 2012, 25–71).
senschaftlichen Institut der Universität München. Fer-
ner Gutachter bei Musikplagiaten. Veröffentlichungen Bryan Gilliam (*1953), Mitglied des Beirats der Kurt
über Händel, Mozart, Wagner, Strauss, Orff sowie die Weill Edition (New York) und der Richard Strauss
Musikgeschichte Münchens. Edition (München), Mitherausgeber von The Musical
Quarterly (Oxford) und Beiratsmitglied bei den Ameri-
Arnfried Edler (*1938), 1989–2003 Professor für Histo- can Friends of the Salzburg Easter Festival. Zahlreiche
rische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Veröffentlichungen zu Richard Strauss und zur Musik
und Theater Hannover, vorher Prof. an der Universität der Weimarer Republik, darunter Richard Strauss: New
Kiel mit Lehrverpflichtung an der Musikhochschule Perspectives on the Composer and his Work (Hg.), 1992;
Lübeck, daneben Universitätsorganist und langjähriger Richard Strauss. Magier der Töne, 2014.
Leiter der Studentenkantorei Kiel. Forschungsschwer-
punkte: Musik für Tasteninstrumente, Geschichte der Rebecca Grotjahn (*1961), Professorin für Musikwis-
Musikästhetik, der Musikpädagogik und der musikali- senschaft mit Schwerpunkt Genderforschung an der
schen Sozialgeschichte des 15.-19. Jh.s; Bandherausgeber Universität Paderborn und der Hochschule für Musik
bei Denkmäler- und Gesamtausgaben (C.Ph.E.Bach, R. Detmold. Forschungsschwerpunkte: SängerInnen und
Schumann). Publikationen: Robert Schumann und seine Geschichte des Singens (Diva. Die Inszenierung der
Zeit, 1982, 32008; Geschichte der Klavier- und Orgelmusik, übermenschlichen Frau, hg. gem. mit D. Schmidt und
3 Bde., 2007; Musik zwischen Mythologie und Sozialge- Th. Seedorf, 2011), musikalische Institutionen- und
schichte. Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1972–2000, Alltagsgeschichte des 19. und 20. Jh.s, Robert Schu-
2003. mann, Ethel Smyth etc.

Barbara Eichner (*1976), Senior Lecturer in Musico- Katharina Hottmann (*1971), Dr. phil., 2002–2006
logy an der Oxford Brookes University/Großbritannien. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Musik und
Forschungsschwerpunkte: Musik des 19. und frühen Gender an der Hochschule für Musik und Theater
20. Jh.s (Nationalismus, Wagner, Strauss); süddeutsche Hamburg, seit 2006 Forschungsprojekt »Zur Gattungs-
Klostermusik der frühen Neuzeit. Publikation: History und Kulturgeschichte des weltlichen Liedes im Ham-
in Mighty Sounds: Musical Constructions of German Na- burg der Aufklärung« an der Universität Hamburg,
tional Identity, 1848–1914, 2012. 2007 Hermann-Abert-Preis der Gesellschaft für Musik-
forschung. Forschungsschwerpunkte: Kultur- und All-
Petra Garberding, Dr. phil., Lektorin in Europäischer tagsgeschichte der Musik, Lieder und Musiktheater im
Ethnologie an der Hochschule Södertörn nahe Stock- 18. bis 20. Jh. Publikation: »Die andern komponieren. Ich
holm. Forschungsschwerpunkte: Musikgeschichte, mach’ Musikgeschichte!« Historismus und Gattungsbe-
Wissenschaftsgeschichte und schwedisch-deutsche Be- wusstsein bei Richard Strauss, 2005.
ziehungen. Promotion 2007 mit der Dissertation Musik
und Politik im Schatten des Nationalsozialismus. Kurt Michael Karbaum (*1943), Dr. phil., Beirat beim Deut-
Atterberg und die schwedisch-deutschen Musikbeziehungen schen Komponistenarchiv, Dresden-Hellerau. Bis zur
(in schwedischer Sprache). In einem Postdok-Projekt Pensionierung leitende Funktionen in der Musikwirt-
hat sie die schwedisch-deutschen Beziehungen im Fach schaft, Honorarprofessor an der Hochschule für Musik
Volkskunde im Zeitraum 1930–1960 untersucht (siehe und Theater München. Publikationen: Studien zur Ge-
u. a. »›There are dangers to be faced:‹ Cooperation schichte der Bayreuther Festspiele 1876–1976, 1976. Mitau-
within the International Association of Folklore and tor am GEMA-Handbuch, hg. von R. Kreile u. a., 22008.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 563

Ulrich Konrad (*1957), 1993 Professur in Freiburg, seit pean Studies an der York University in Toronto; Mit-
1996 Ordinarius am Institut für Musikforschung der glied der Akademie der Wissenschaften und der Litera-
Universität Würzburg. Leibniz-Preisträger und Mitglied tur, Mainz und Vorsitzender von deren Kommission für
mehrerer nationaler und internationaler Akademien. Musikwissenschaft (seit 1991) sowie Corresponding
Forschungsschwerpunkte: Musikgeschichte des 17. bis Member der American Musicological Society. Seit 2004
20. Jh.s, besonders Mozart, Schumann, Wagner, Strauss. vertritt er die Union der deutschen Akademien der
Vorsitzender der Kommission für die Richard-Strauss- Wissenschaften bei ALLEA (All European Academies).
Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2000 Herausgeber der Zeitschrift Archiv für Musik-
wissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Musikgeschichte
Christian Thomas Leitmeir (*1974), Dr. phil., Prifys- seit der europäischen Aufklärung, der griechischen An-
gol Bangor University, Senior Lecturer, Leiter des Centre tike; das Verhältnis von Musik und Literatur sowie von
for Research in Early Music. Forschungsschwerpunkte: Musik und Politik; Musikästhetik und Filmmusik.
Paläographie und Editorik, mittelalterliche Musiktheo-
rie, geistliche Musik des 16. Jh.s, Musik um 1900, Ge- Susanne Rode-Breymann (*1958), Präsidentin der
schichte der Musikwissenschaft. Publikationen: Jacobus Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover;
de Kerle, 2008; »Audiatur et altera pars: Das Kölner seit 2004 Professorin für Historische Musikwissenschaft
Ordinariat Theodor Kroyers (1932–1938)«. In: Beiträge an dieser Hochschule; 2006 Gründungsleiterin und
zur rheinischen Musikgeschichte 171 (2012), 93–131. seither Leiterin des Forschungszentrums Musik und
Gender ebenda. Forschungsschwerpunkte: Alte Musik,
Irina Lucke-Kaminiarz (*1946), 1977–1994 Dozentin Neue Musik, Gender Studies und Musiktheater; Her-
an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. ausgeberin verschiedener Jahrbuch-Reihen, Fachheraus-
1994/95–2010 Gründungsleiterin und Leiterin des Thü- geberin Musik der Enzyklopädie der Neuzeit. Publikati-
ringischen Landesmusikarchivs (HSA/ThLMA) an onen: Musiktheater eines Kaiserpaars. Wien 1677 bis 1705,
derselben Hochschule. Forschungsschwerpunkte: Allge- 2010; Die Komponistin Alma Mahler-Werfel, 1999.
meiner Deutschen Musikverein, Musikarchiv des Deut-
schen Nationaltheaters Weimar (18.-20.Jh.). Publikatio- Jürgen Schaarwächter (*1967), Dr. phil., Lehrtätigkeit
nen: Richard Strauss. Briefe aus dem Archiv des Allgemei- u. a. an der Universität Koblenz, 1997–1998 Honorary
nen Deutschen Musikvereins, 1995; »Der Allgemeine Research Fellow der Universität Birmingham und DFG-
Deutsche Musikverein und seine Tonkünstlerfeste Forschungsstipendiat, seit 1999 wissenschaftlicher Mit-
1859–1886«, in: Liszt und die Neudeutsche Schule, hg. D. arbeiter des Max-Reger-Instituts/Elsa-Reger-Stiftung
Altenburg, 2006, 221–235. Karlsruhe, seit 1998 European Representative der Haver-
gal Brian Society, seit 2001 Deutscher Repräsentant der
Jürgen May (*1957), Dr. phil., 1984–1993 Mitarbeiter British Music Society. Umfangreiche Publikationstätig-
am Bonner Beethoven-Archiv, seit 1999 Wissenschaftli- keit zur Musik des 18. bis 20. Jh.s, Herausgeber u. a. von
cher Mitarbeiter am Richard-Strauss-Institut in Gar- Roland Tenschert, Straussiana aus vier Jahrzehnten, 1994;
misch-Partenkirchen. Publikationen zu Leben und HB: Aspects of Havergal Brian, 1997; Mitteilungen der
Werk von Richard Strauss und zur Biographie Ludwig Internationalen Max-Reger-Gesellschaft e.V. (2000–2010);
van Beethovens. Mitglied der Kommission für die Ri- Tonic. Annual Periodical of the Robert Simpson Society
chard-Strauss-Ausgabe der Bayerischen Akademie der (seit 2001); Max Reger, Briefe an den Verlag Ed. Bote &
Wissenschaften. G. Bock, hg. gem. mit Herta Müller, 2011; Robert Simp-
son, composer – Essays, Interviews, Recollections, 2013.
Dominik Rahmer (*1971), Dr. phil., 2001–2011 Mitar-
beiter im Musikverlag Boosey&Hawkes/Bote&Bock Roswitha Schlötterer-Traimer (1926–2013), Dr. phil.,
(Berlin), seit 2011 wissenschaftlicher Lektor im Musik- studierte Klavier (abschließend bei Rosl Schmid), dane-
verlag G. Henle, München. Publikationen und Editio- ben Satz- und Kompositionslehre bei Hermann von
nen mit dem Schwerpunkt französische Musik. Waltershausen; Musikwissenschaft (Neue deutsche Lite-
ratur, Italianistik) an der Universität München, Ab-
Wolfgang Rathert (*1960), 1991–2002 Leiter der Mu- schluss mit Dissertation über die Streichquartette von
sik- und Theaterbibliothek der Universität der Künste Béla Bartók. Seit 1956 in München Lehrauftrag für
Berlin; 1999 Habilitation an der Humboldt-Universität Historische Satzlehre der Musik, daneben auch Privat-
zu Berlin; seit 2002 Professor für Historische Musikwis- unterricht für Einzelne und Gruppen. Publikationen:
senschaft an der LMU München mit Schwerpunkt Musik und musikalischer Satz, 1991; ›Straussiana‹ in
20. Jh. und Musik der Gegenwart. Zahlreiche Vorträge Buch- und Aufsatzform und anderes von Bach bis Bar-
und Veröffentlichungen zur neueren und neuesten tók.
Musikgeschichte.
Reinhold Schlötterer (*1925), Dr. phil., Orgelstudium
Albrecht Riethmüller (*1947), 1986–1992 Professor für und Studium der Musikwissenschaft (Byzantinistik,
Musikwissenschaft an der Goethe-Universität Frank- Philosophie) in München. 1956–1999 am Institut für
furt, seither an der FU Berlin sowie Affiliated Faculty Musikwissenschaft der Universität München, zuletzt als
Member am Canadian Centre for German and Euro- Akademischer Direktor. Schwerpunkte in Forschung
564 Anhang

und Lehre: Historische Satzlehre der Musik mit Auffüh- nover sowie Musikwissenschaft, Philosophie und Neue
rungsversuchen, Oper, Richard Strauss, Musikethnolo- Geschichte in Berlin und München. Anschließend für
gie des Ägäisraums. Zahlreiche Publikationen zu den drei Jahre Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen In-
genannten Gebieten. stitut der Ruhr-Universität Bochum. Seither tätig als
Programmredaktor bei der Tonhalle-Gesellschaft Zü-
Dörte Schmidt (*1964), nach Vertretungen in Freiburg, rich. Forschungsschwerpunkte: Das Schaffen von Ri-
Bochum und Stuttgart 2000–2006 Professorin für Mu- chard Strauss, Kammermusik von Johann Sebastian
sikwissenschaft an der Musikhochschule Stuttgart, Bach bis Nicklas Larsen Schmidt.
2002–2005 Schriftleiterin der Zeitschrift Die Musikfor-
schung, seit 2005 Mitglied im Vorstand der Gesellschaft Walter Werbeck (*1952), Professor für Musikwissen-
für Musikforschung. Seit 2006 Professorin für Musik- schaft mit einem Schwerpunkt in der Kirchenmusik am
wissenschaft an der Universität der Künste Berlin, seit Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft der
2009 Vize-Präsidentin der Gesellschaft für Musikfor- Universität Greifswald. Seit 2003 Präsident der Interna-
schung, seit Oktober 2013 Präsidiumsmitglied im Deut- tionalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft, Herausgeber des
schen Musikrat. Forschungsschwerpunkte: Musikthea- Schütz-Jahrbuchs, Mitherausgeber der Greifswalder Bei-
ter, Musik des 20. und 21. Jh.s, Kulturgeschichte der träge zur Musikwissenschaft, Mitglied u. a. der Editions-
Musik, Beziehungen zwischen den Künsten, musikali- kommission der Richard-Strauss-Ausgabe. Forschungs-
sche Schaffensprozesse, Exil, Remigration und Nach- schwerpunkte und Publikationen: Musiktheorie und
kriegsmusikgeschichte. Publikationen: Lenz im Zeitge- Musik des 16. und 17. Jh.s sowie des 19. und frühen
nössischen Musiktheater, 1993; Armide hinter den Spiegeln. 20. Jh.s (Schütz, Schein, Strauss).
Lully, Gluck und die Möglichkeiten der dramatischen
Parodie, 2001; Zwischen individueller Biographie und Monika Woitas (*1961), Dr. phil. habil., nach Tätigkei-
Institution. Zu den Bedingungen beruflicher Rückkehr von ten als Wissenschaftliche Assistentin bzw. Hochschuldo-
Musikern aus dem Exil, hg. gem. mit M. Pasdzierny, 2013. zentin an den musik- und theaterwissenschaftlichen
Instituten der Universitäten Salzburg, München und
Thomas Seedorf (*1960), 1988–2006 Wissenschaftli- Bochum, als Gastdozentin in Leipzig und an der Musik-
cher Angestellter am Musikwissenschaftlichen Seminar hochschule Köln seit Oktober 2005 Betreuung des von
der Universität Freiburg/Br., seit 2006 Professor für ihr aufgebauten Studienschwerpunkts »Musik- und
Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Karls- Tanztheater« am theaterwissenschaftlichen Institut der
ruhe. Forschungsschwerpunkte: Musiktheorie, Musik Ruhr-Universität Bochum. 2005 bis 2008 außerdem
des 20. Jh.s, Liedgeschichte und -analyse, Aufführungs- Arbeit an einem Forschungsprojekt zu Igor Strawinskys
praxis sowie insbesondere Theorie und Geschichte des Bühnenwerken. Sie war Mitarbeiterin der Gluck-Ge-
Kunstgesangs. Publikationen: Studien zur kompositori- samtausgabe und Fachbeirätin der Musik in Geschichte
schen Mozart-Rezeption im frühen 20. Jahrhundert, 1990; und Gegenwart (MGG). Publikationen u. a. zu folgen-
Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau. In- den Forschungsschwerpunkten: Darstellungskonzepte
terdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen und Geschichte des Musik- und Tanztheaters, Musik
Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. gem. mit R. und Tanz, Richard Strauss, Igor Strawinsky, u. a. Im
Grotjahn und D. Schmidt, 2011. Zeichen des Tanzes. Zum ästhetischen Diskurs der darstel-
lenden Künste zwischen 1760 und 1830, 2004; Strawinskys
Elisabeth Schmierer (*1955), Dr. phil. habil., außer- »Motor Drive«, hg. gem. mit A. Hartmann, 2010.
planmäßige Professorin an der TU Berlin, Dozentin an
der Folkwang-Universität Essen-Werden, Musikpubli- Charles Youmans (*1964), Associate Professor of Musi-
zistin. Publikationen: Die Orchesterlieder Gustav Mah- cology an der Pennsylvania State University. Forschungs-
lers, 1991; Lexikon der Oper, 2002; Geschichte des Liedes, schwerpunkte: Beziehungen zwischen Musik, Literatur
2007; Lexikon der Musik der Renaissance, 2012. und Philosophie um 1900, Filmmusik. Publikationen:
Richard Strauss‘s Orchestral Music and the German Intel-
Jens-Peter Schütte (*1969), Dipl. Mus. M. A., studierte lectual Tradition, 2005; The Cambridge Companion to
Evangelische Theologie in Göttingen, Klavier in Han- Richard Strauss (Hg.), 2010.
565

Namenregister
Erstellt von Anna-Lena Bulgrin

Abbado, Claudio 178 Auric, Georges 249


Abell, Arthur M. 114 Austin, Frederic 159
Abendroth, Hermann 38, 40
Abert, Anna Amalie 150, 157, 172, 173 f., 176, 536, 540 Babilée, Jean 313
Abraham, Max 58 f. Bach, Johann Sebastian 23, 96, 100 f., 103 f., 278,
Achard, Marcel 249 320–322, 368, 459, 500, 513, 527, 543
Ackté, Aino 168 Bachofen, Johann Jakob 226 f.
Adam, Adolphe 21 f. Bachtin, Michail M. 536
Adam, Theo 193, 255 Bader, Hans-Dieter 160
Adler, Guido 531 Bahr, Hermann 6, 103, 132, 214 f., 218, 223, 464
Adler, Hans 134 Bahr-Mildenburg, Anna 176–178
Adorno, Theodor W. 2 f., 114, 209, 222, 294, 300 f., Bakst, Leon 314 f.
320, 403, 454, 472, 532, 534 f., 537, 539, 543 Balanchine, George 313, 316 f.
Ahlersmeyer, Mathieu 254 Baltsa, Agnes 204
Ahna, Pauline de s. Strauss, Pauline Balzer, Hugo 352
Aischylos 282 Bantock, Granville 514, 516 f., 520
Albert, Eugen d’ 37, 110, 159, 450 f., 522 Baron, Alice 177
Aldenhoff, Bernd 231 Barstow, Josephine 169
Aldrich, Richard 543 Bartók, Béla 43, 58, 110, 380, 450, 514 f., 523, 532
Alexander III. (der Große) 512 Bartoletti, Bruno 169
Allen, Thomas 310 Bastianelli, Giannotto 520
Alszeghy, Kálmán 177 Batka, Richard 432, 522
Alwin, Karl 345 Battle, Kathleen 204
Alwyn, William 515 Baußnern, Waldemar von 38
Ambros, August Wilhelm 35 Bax, Arnold 513–515, 517, 520
Amico, Fedele D’ 144 Bayer, Friedrich 42
Anders, Peter 264 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de 189 f.
Andersen, Hans Christian 496 Becht, Hermann 238
Andreae, Volkmar 447 Bechtolf, Sven-Eric 193, 204
Andreas-Salomé, Lou 438 Becker, August 328
Andrian zu Werburg, Leopold Graf von 23 Becker, Carl Heinrich 11, 438
Anelli, Angelo 249 Beecham, Thomas 159, 168, 177, 193, 381
Annunzio, Gabriele d’ 134 Beethoven, Ludwig van 4, 8, 18, 21–25, 27, 62, 79 f.,
Ansorge, Conrad 335–337 82, 84 f., 94, 96, 100 f., 104, 126, 219, 317, 351, 380,
Antheil, George 523 384, 390, 392, 397, 413, 419, 421, 429–431, 436,
Anzoletti, Marco 514 443–451, 457, 459, 465, 467, 480 f., 485, 488 f., 493,
Armstrong, Cecil 517 499 f., 502–504, 506–508, 513, 527, 533, 539
Armstrong, Karan 169 Behl, Carl Friedrich Wilhelm 285
Arnim, Achim von 328 f., 341, 345 Behm, Eduard 33
Ashton, Frederick 313 Behrens, Hildegard 169, 178, 211
Atterberg, Kurt 42–45 Béjart, Maurice 313
Auber, Daniel François Esprit 19, 22, 109, 136 Bekker, Paul 2, 11, 27, 63, 313 f., 316, 322, 435 f., 438,
Auden, Wystan Hugh 130 533, 537, 542
566 Anhang

Bella, Johann Leopold 388 Bopp, Wilhelm 390


Bellincioni, Gemma 167, 169 Borkh, Inge 169, 177–179
Bellini, Vincenzo 20, 199 Bormann, Martin 468
Benatzky, Ralph 235 Borodin, Alexander 69, 445
Bengell, Else 176 Børresen, Hakon 517
Bennett, Arnold 520 Botha, Johan 265, 273
Benois, Alexandre 314 Botstein, Leon 203, 231
Béral, Mary 177 Böttcher, Else 238
Berg, Alban 11, 110, 167 f., 174, 472, 518, 538 Botticelli, Sandro 269
Berg, Natanael 43, 520 Boucher, François 314
Berger, Kurt 303 Bradley, Gwendolyn 239
Berger, Rudolf 159 Brahm, Otto 433
Berger-Tuna, Helmut 160 Brahms, Johannes 8, 19, 22, 25, 35, 61, 62, 70, 79, 93,
Berghaus, Ruth 178, 193 104, 126 f., 295, 330, 351, 362 f., 390, 399, 401, 411,
Berlioz, Hector 3, 8, 21 f., 36, 43, 55, 59, 70, 82, 96, 101, 415, 419, 432, 436, 444–451, 454 f., 460, 500, 503,
103 f., 106 f., 110, 219, 351 f., 368, 374, 393 f., 397, 506, 508–510, 531
402 f., 414, 436, 448, 499 f., 513, 515, 528 Brandt, Fritz 20
Bermbach, Udo 2, 542 Brandt, Georg 222
Bernini, Gian Lorenzo 268 Braunfels, Walter 38
Bernstein, Elsa 7 Brecher, Gustav 12 f., 176 f., 386, 395, 424, 426
Bernstein, Leonard 193 Brendel, Franz 35, 109
Bernstein, Max 7 Brennecke, Wilfried 470
Berrsche, Alexander 70 Brentano, Clemens 328, 340–342, 352, 356
Berry, Walter 193, 211, 238 Breuer, Josef 172 f.
Besl, Carl 171 Brian, Havergal 514–516, 521 f., 526, 528
Besly, Maurice 42 Bridge, Frank 514
Bethge, Hans 133, 329, 345 Britten, Benjamin 457
Beyer-Ahlert, Ingeborg 223 Bronsart von Schellendorf, Hans 20 f., 35–38, 71, 100
Bie, Oskar 413, 432, 531, 535, 541 Brooks, Peter 168
Bierbaum, Otto Julius 7, 87, 131, 328, 333, 335, 523, 524 Bruch, Max 367, 436, 448
Bird, Arthur 520 Bruck, Boris 176
Birkin, Kenneth 281, 309 Bruckmann, Elsa 7
Bischoff, Hermann 353, 527 f. Bruckmann, Hugo 7
Bittner, Julius 159, 163 f. Bruckner, Anton 22, 24, 104, 419, 422, 444 f., 449
Bizet, Georges 21, 110, 159, 452 Brückner, Max 168
Blackie, John Stuart 521 Büchner, Eberhard 255
Blech, Leo 22, 38, 110, 159, 176, 211 Buelow, George 203
Blei, Franz 303 Bull, Sverre Hagerup 42
Blezzard, Judith 362 Bülow, Cosima von s. Wagner, Cosima
Bliss, Arthur 43, 514, 517 Bülow, Hans von 8, 13, 18–20, 24, 35, 55, 69 f., 73, 85,
Bloch, Ernest 38 99, 117, 120, 298, 363, 375 f., 378, 381, 383, 388 f., 403,
Bloch, Ernst 174 422, 443–447, 449–451, 456, 499, 505 f., 509, 515
Blockx, Jan 43 Bumbry, Grace 169
Blum, Robert 246, 249 Burckhardt, Jacob 98 f., 101 f.
Bobkova, Amalie 177 Bürger, Gottfried August 328, 333 f.
Bock, Gustav 56 Burghauser, Hugo 447
Bock, Hugo 29, 56, 59 f., 343 Burmeister, Annelies 255
Böcklin, Arnold 455 Burns, Robert 328
Bodanzky, Artur 177 Burrian, Karl 167
Bode, Wilhelm von 303 Busch, Fritz 12, 25 f., 222, 230, 237
Bodenstedt, Friedrich 328 Busoni, Ferruccio 88, 203, 322, 514, 522, 536
Boehe, Ernst 349, 514, 516 f. Busse, Carl 328, 333
Bodman, Emanuel von 328, 333, 356 f. Butting, Max 33
Böhm, Karl 25, 109, 154, 160, 169, 177–179, 211, 254 f., Bychkov, Semyon 273
264, 266, 272, 310, 447, 469 Byrd, William 253
Böhme, Kurt 193, 237, 255 Byron, George Gordon, Lord 135, 328
Boieldieu, François-Adrien 19, 22 f., 71, 109
Bokor, Margit 237 Caballé, Montserrat 169
Bolváry, Géza von 304 Cachemaille, Gilles 239
Bonney, Barbara 239 Calderón de la Barca, Pedro 101, 132, 135, 242 f., 258
Namenregister 567

Cannetti, Linda 159, 176 Daviau, Donald 203


Caplet, André 514 Davis, Peter Maxwell 520
Carl-Alexander, Großherzog von Weimar 38 Debussy, Claude 22, 320, 339, 455, 513, 514 f., 519 f.,
Carlson, Robert 309 527, 532
Carlyle, Thomas 103 Defranceschi, Carlo Prospero 249
Carol-Bérard (Louis Ollivier) 42 f. Degenfeld, Marie-Therese von 201
Carrière, Moritz 98 Degenfeld, Ottonie Gräfin von 201–203
Carsen, Robert 204, 310 Dehmel, Richard 8, 171, 328, 333–341, 354, 357, 524
Casella, Alfredo 514, 516 Del Mar, Norman 362, 436, 532
Cassirer, Paul 60, 300 Delibes, Léo 19
Casti, Giovanni Battista 133, 143, 282 f., 292, 304 Delius, Frederick 514
Cebotari, Maria 169, 254, 273 Della Casa, Lisa 204, 238, 359
Cervantes, Miguel de 412 f., 416 Demuth, Leopold 158
Chabrier, Emmanuel 22 Denza, Luigi 455
Chafin, Robert 310 Denzler, Robert 254
Chamisso, Adalbert von 327, 330 Derichs, Mathieu 176
Chantavoine, Jean 542 Dermota, Anton 238
Charpentier, Gustave 110, 513 Dernesch, Helga 238
Chassériaus, Théodore 268 Derra de Moroda, Friderica 321
Chausson, Ernest 349 Desmarets de Saint-Sorlin, Jean 260
Chavanne, Irene von 167, 177 Dessay, Natalie 204
Cherubini, Luigi 19, 21, 527 Destinn, Emmy (Ema Destinová) 159, 168
Chopin, Frédéric 104, 451, 458, 505 Dew, John 211
Cisneros, Eleonora 176 Diaghilew, Sergej 314–317
Clairon, Claire 143 Diderot, Denis 283
Cluytens, André 169 Dillmann, Alexander 27, 66
Cocteau, Jean 450 Dirksen, Willy von 303
Coelho, Eliane 169 Djanel, Lily 169
Coertse, Mimi 238 Döblin, Alfred 531
Coini, Jacques 176 Doenges, Paula 154, 176
Collier, Marie 179 Dohmen, Albert 265
Conried, Heinrich 168 Dohnányi, Christoph von 239
Cordes, Marcel 160 Domingo, Plácido 211
Cordes, Sofie 177 Donath, Helen 238
Corinth, Lovis 57 Donizetti, Gaetano 136, 199, 249, 252
Corneille, Pierre 143 Doppler, Franz 520
Cornelius, Peter 19, 21 f., 36, 159, 368 f. Dórati, Antal 230
Coubertin, Pierre de 366 Dörffel, Alfred 515
Couperin, François 293, 303 f., 317 f., 320, 322 Dorn, Dieter 204
Courvoisier, Walter 349, 360 Dossow, Maria 176
Correck, Josef 222 Draeseke, Felix 35 f., 100
Cox, John 273 Drese, Claus Helmut 193
Crespin, Regine 193 Drewes, Heinz 40
Croiza, Claire 177 Droescher, Georg 10, 176
Crosby, John 211, 265, 273 Dukas, Paul 39, 43, 45, 513, 532
Cunitz, Maud 160 Duncan, Isadora 314, 317
Cutler, Eric 231 Dunn, Mignon 176
Czerwenka, Oskar 255 Dupont, Joseph 351
Dupré, Lilly 159
Da Ponte, Lorenzo 88, 184, 189, 192, 381 Dupuis, Sylvain 159, 168, 177
Dach, Simon 367 Dvořák, Antonín, 22, 61, 447
Dahlhaus, Carl 2, 391 f., 542
Dahn, Felix 328, 331, 367, 524 Ebel, Arnold 33
Dalí, Salvador 168 Ebel, Ed. (Hans Lebede) 264
Dallapozza, Adolf 222, 238 Edelmann, Otto 194, 238
Dam, José van 211 Egk, Werner 46
Damrosch, Walter 381 Eibenschütz, Riza 167
Dantzig, Rudi van 313 Eichberg, Julius 388
Danuser, Hermann 348, 359, 536 Eichendoff, Joseph von 331, 358 f., 365
Darcy, Warren 385 Einstein, Alfred 27, 533
568 Anhang

Eisner, Paul 236 Freud, Sigmund 99, 162, 172 f.


Elder, Mark 169 Friedrich I. Barbarossa 48, 258
Elgar, Edward 24, 43, 369, 514, 516 Friché, Claire 177
Elsner, Wilhelm 154 Fricke, Heinz 160
Erwin, Charlotte 203 Friedell, Egon 96–99, 102 f., 107, 303, 305
Escher-Welti, Lydia 438 Friedrich, Götz 193
Euripides 226, 282 Friedrich, Otto 328
Evans, Edith 159 Froman, Max 317
Everding, August 169, 177 Frumerie, Gunnar de 43
Ewen, David 543 Fuchs, Anton von 21, 176
Eysoldt, Gertrud 131, 134, 161, 171, 173 Fuente, Henriquez de la 176
Fuller, Loie 314
Fähnrich, Hermann 84 f. Fürstner, Adolph 54, 56–62, 510
Faber, Max 255 Fürstner, Otto 54, 57, 229
Faesi, Robert 256, 266 Furtwängler, Wilhelm 48, 52, 178, 277 f.
Falke, Gustav 328, 333–335, 524
Fanto, Leonhard 167, 253 Garden, Mary 168, 184
Farrar, Geraldine 184 Gärtner, Hans 520
Fassbaender, Brigitte 178 Gärtner, Maria 176
Faßbender, Zdenka 176 Gast, Peter (Heinrich Köselitz) 87
Fay, Maude 159, 176 Gaubert, Philippe 177
Fecht, Johanna-Lotte 168 f. Gauthier-Villars, Henry 171
Feinhals, Fritz 159 Geibel, Emanuel 326–328, 367
Felbermayer, Anny 310 Genz, Stephan 310
Feld, Eliot 313 Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen 18 f.
Felsenstein, Walter 254 Georg III. Wilhelm Friedrich, König von Großbritan-
Fenneker, Joseph 307 nien 253
Feuillet, Raoul Auger 320–322 George, Stefan 130, 536
Fiege, Rudolf 425 Georgi, Yvonne 313
Fingesten, Michael 300 Gerhäuser, Emil 177
Finley, Gerald 310 Gerigk, Herbert 264, 273
Finnilä, Birgit 230 Gernsheim, Friedrich 367
Fischer, Franz 19 f., 22, 71, 77 Giacosa, Giuseppe 130
Fischer, Fritz 300 Gielen, Josef 12, 237, 254
Fischer, Gottfried Bermann 285 Gierster, Hans 177
Fischer, Gustav 328 Giesler, Paul 468
Fischer, Jens Malte 149 Gilliam, Bryan 265, 367 f.
Fischer-Dieskau, Dietrich 179, 222, 238, 310 Gilm, Hermann von 326, 328, 331
Fitelberg, Grzegorz 514 Glass, Louis 517
Flagstad, Kirsten 359 Glière, Reinhold Moritzewitsch 517
Flaubert, Gustave 164 Gliese, Rochus 300, 302, 304, 309, 322
Fleming, Renée 193, 273, 310 Glinka, Michail 56, 451
Fliege, Rudolf 402 Gluck, Christoph Willibald 19, 21, 103, 143 f., 282 f.,
Flotow, Friedrich von 19–21 285, 292 f., 298, 303
Fokine, Michel 314 f., 317 Gnecchi, Vittorio 520 f.
Fontana, Gabriele 238 Goebbels, Joseph 13, 40, 44–46, 48, 50–53, 243 f., 246,
Forberg, Robert Max 58 254, 276–281, 292, 352, 469
Forchhammer, Ejnar 154 Goethe, Johann Wolfgang 79, 99, 101, 103, 106, 131,
Forns 45 139, 173, 206, 218 f., 226, 229, 257, 282 f., 327–331,
Forsyth, Karen 203 333, 340–345, 357 f., 363, 367, 369, 407 f., 537
Foucault, Michel 162, 542 Goetz, Hermann 508
Fragonard, Jean-Honoré 314, 318 Goetze, Marie 176
Francesca-Cavazza, Maria de 178 Göhler, Georg 403
Franck, César 445 Goldberg, Reiner 155, 273
Frank, Hans 468 Goldmark, Karl 19
Fränkel-Claus, Mathilde 154 Goldoni, Carlo 322
Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 234 Goltz, Christel 168, 177 f.
Freiberg, Gottfried von 447 Goncourt, Edmond 303
Freiligrath, Ferdinand 328 Goncourt, Jules 303
Fremstad, Olive 168 Goossens, Eugène 520
Namenregister 569

Göring, Hermann 12, 50, 179, 243 Hardy, Janet 178


Gostic, Josef 310 Harich-Schneider, Eta 303
Gotters, Friedrich Wilhelm 249 Harms, Kirsten 308
Götz, Christian von 309 Hart, Heinrich 328, 333
Gould, Glenn 192, 451, 532 Hartmann, Ludwig 521
Gould, Stephen 211 Hartmann, Rudolf 169, 193, 211, 224, 232, 265, 273,
Gounod, Charles 221, 253 278, 283, 295, 300, 306–308
Gouvy, Théodore 520 Harty, Hamilton 514, 517
Gozzi, Carlo 195 Harwood, Ronald 255
Grab, Alice von s. Strauss, Alice Hase, Oskar von 29, 31, 36 f., 39, 343
Graener, Paul 33, 43, 46, 49 Hass, Sabine 265
Graham, Colin 273 Hassreiter, Josef 318
Graham, Susan 204 Hauff, Wilhelm 205
Gram, Peder 42, 45 Hauptmann, Gerhart 7 f., 277, 282, 285, 291, 345
Gräwe, Karl Dietrich 203 Hausegger, Friedrich von 99, 389, 404, 421, 531
Gregor, Joseph 105, 130, 133 f., 137, 142, 242, 244, 246, Hausegger, Siegmund von 39, 45, 70, 348 f., 351
255–261, 263–266, 268–272, 276, 278–295, 300, 305, Hawkes, Ralph 58
307, 323, 358, 370, 464 Hawlata, Franz 310
Gregor, Jószef 155 Haydn, Joseph 22 f., 84 f., 101, 104, 317, 365, 380, 384,
Greif, Martin 333 448, 451, 455, 460, 507–509
Grillparzer, Franz 256 Hegar, Friedrich 366, 528
Gronostay, Walter 523 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 542
Gross, Rudolf 176 Heger, Robert 353, 355 f.
Grosz, Wilhelm 523 Heidlberger, Frank 165
Grove, Jill 231 Heine, Heinrich 327–329, 333, 335, 341, 345, 352, 354 f.,
Gruber, Ferry 222 358
Gruberova, Editha 204 Heinrich III., deutscher Kaiser 258
Grundheber, Franz 238, 310, 308 Hemans, Felicia von 328
Grünfeld, Heinrich 62 Henckell, Karl 328, 333–335, 524
Grunsky, Karl 348 Hendricks, Barbara 230
Gsovsky, Tatjana 313 Henschel, Dietrich 310
Gsovsky, Victor 317 f. Henze, Hans Werner 540
Guarnieri, Antonio 159 Hepokoski, James 376, 378 f., 383, 385 f.
Güden, Hilde 204, 238, 255 Heppner, Ben 204
Gui, Vittorio 264 Herder, Johann Gottfried 103, 367
Günter, Horst 238 Herheim, Stephan 193
Gustav Adolf, König von Schweden 259 Herlitzius, Evelyn 211
Gutheil-Schoder, Marie 176, 178 Herrmann, Theo 238
Gutstein, Ernst 238 Hertz, Alfred 168
Gysi, Fritz 176, 536 Hertzka, Emil 59
Herz, Joachim 169
Haas, Joseph 40 Herzer, Ludwig 141
Haas, Willy 98 Herzogenberg, Heinrich von 508
Haenchen, Hartmut 211 Hesse, Hermann 359
Hagen, Adolph 388 Hesse, Ruth 211
Hahn, Arthur 407 f., 416, 418, 425 Heyse, Paul 381
Haider, Friedrich 350 Hiestermann, Horst 170
Haitink, Bernard 273 Hillebrecht, Hildegard 159
Halévy, Fromental 109 Hilmes, Carola 162
Halévy, Ludovic 130 Hindemith, Paul 11, 39, 48, 110, 219, 297, 457, 523,
Hammerstein, Martha 176 540
Hammerstein, Oscar 168 Hinkel, Hans 45 f., 49
Hampson, Thomas 239 Hinrichsen, Henri 59
Händel, Georg Friedrich 19, 23, 200, 506 Hirte, Klaus 222
Hanka, Erika 317 f. Hitler, Adolf 12 f., 42, 48–53, 57, 102, 244, 254, 259,
Hann, Georg 264 264, 277 f., 355, 367
Hansen, Mathias 377, 542 Höbarth, Elfriede 238
Hanslick, Eduard 4, 70, 87, 99 f., 348, 360, 363, 383, Hoffman, Grace 170
388 f., 391, 401 f., 411, 531, 533, 543 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 327 f.,
Harden, Maximilian 8 330
570 Anhang

Hofmannsthal, Hugo von 2, 7 f., 10, 50 f., 72, 80 f., 85, Jerger, Alfred 237
87–89, 91, 94, 98 f., 105–107, 114, 119, 126, 130–142, Jeritza, Maria 137, 168, 203 f., 211, 230, 346, 359,
144, 149 f., 157, 159, 170–175, 177 f., 183–186, 521
188–207, 209–211, 214 f., 217–219, 223 f., 226–232, Jo, Sumi 204
234–236, 238, 242, 244 f., 264, 268, 279–281, Joachim, Joseph 445
284–290, 291, 293 f., 302, 305, 314–316, 318, 322, Johansen, David Monrad 46
326 f., 335, 341, 343 f., 358, 370, 440, 458–461, 522 Jöhr, Adolf 359
Hofmüller, Max 272 Jones, Gwyneth 168 f., 178, 230
Hogarth, William 184, 189 Jonson, Ben 135, 245 f., 248–254
Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie Fürstin zu 37 f. Jooss, Kurt 318 f.
Holbrooke, Josef 514 f., 517 Jun, Attila 265
Hölderlin, Friedrich 329, 358 Jung, Carl Gustav 268
Hollmann, Hans 211 Jung, Helene 254, 272
Hollreiser, Heinrich 169, 178 Juon, Paul 38, 43
Holm, Richard 231 Jurinac, Sena 194, 204
Holst, Gustav Theodor 43
Homer 101, 226, 282, 497 Kallab, Camilla 237
Honegger, Arthur 514, 520 f. Kallisch, Cornelia 239
Hoppe, Carl 238 Kallmann, Chester 130
Hörburger, Carl 374, 456 Kallstenius, Edwin 43
Horres, Gregor 211 Kálmán, Emmerich 235
Hotter, Hans 254 f., 264, 290 Kaminski, Heinrich 43
Hottmann, Katharina 148–150, 259, 282, 286, 290 Kannen, Günter von 310
Hoyer, Bruno 444, 447 Kant, Immanuel 101
Huber, Hans 528 Kappel, Gertrude 176
Huberman, Bronisław 448 Karajan, Herbert von 178, 193 f., 204
Hucbald 367 Karl I., Kaiser von Österreich 235
Hugo, Victor 29, 230, 335 Karłowicz, Mieczysław 514
Hullebroeck, Emiel 42, 44 Karpath, Ludwig 7, 13, 218
Humières, Robert d’ 520 Karsawina, Tamara 315
Humperdinck, Engelbert 21–23, 29, 32, 36–38, 110, Kassner, Rudolf 531
157, 389, 445 Kastu, Matti 230
Huszka, Eugen 42 Kater, Michael 48
Hutcheon, Linda 165 Katzenberger, Günter 114
Hutcheon, Michael 165 Kautsky, Robert 318 f.
Huysmans, Joris-Karl 165 Keilberth, Joseph 222, 231, 238, 265, 308
Keldorfer, Viktor 364 f.
Ibert, Jacques 514, 517 Kellermann, Bernhard 37
Iffland, August Wilhelm 283 Kemp, Barbara 169
Ifukube, Akira 520 Kempe, Rudolf 160, 204, 255
Ihering, Herbert 277 Kern, Adele 352
Ihlert, Heinz 10 Kerner, István 177
Illiard, Eliza 237 Kerner, Justus 327
Illica, Luigi 130, 521 Kerr, Alfred 32, 59 f., 136, 223, 300, 340, 342
Indy, Vincent d’ 22, 514, 519 Kershaw, Ian 279
Inghelbrecht, Désiré-Émile 43 Kes, Willem 381
Ionitza, Alexandru 239 Kessler, Harry Graf 6–8, 89, 132, 184 f., 190, 205,
Iracema-Brügelmann, Hedy 177 314–316, 322
Ireland, John 514 Kestenberg, Leo 353
Istel, Edgar 39 Khevenhüller-Metsch, Johann Josef Fürst 190
Ives, Charles 543 Kienzl, Wilhelm 25, 39, 43
Kilpinen, Yrjö 42–45
Jäger, Rudolf 167 King, James 204, 211
Jameson, Fredric 203 Kippenberg, Anton 12, 133, 245, 464
Jankélévitch, Vladimir 456 Kirchner, Hugo 176
Janowitz, Gundula 204, 238, 310 Klarwein, Franz 238
Janowski, Marek 255 Klatte, Wilhelm 400 f., 420, 422 f., 427, 429 f., 440,
Järvefeldt, Göran 265 531
Jaques-Dalcroze, Émile 38 Klauwell, Otto 378, 385, 391, 398, 411, 422, 430,
Jelenko, Siegfried 176 f. 432
Namenregister 571

Kleiber, Carlos 193 Kröller, Heinrich 316–321


Kleiber, Erich 177, 193 f. Krommer, Franz 447
Klemperer, Otto 87 Krull, Annie 158, 167, 176 f.
Klimt, Gustav 518 Krusceniski, Solomija 159, 167, 176
Klindworth, Karl 445, 448 Kubrick, Stanley 412
Klinger, Max 518 Kuchta, Gladys 178
Klobučar, Berislav 169, 178 Kuhač, Franjo Ksaver 236
Klopstock, Friedrich Gottlieb 328, 333 f., 363 f. Kuhlau, Friedrich 448
Klose, Margarete 178 Kuhn, Gustav 155
Klussmann, Ernst Gernot 255, 265, 279 Kunde, Gregory 310
Kmentt, Waldemar 238 Kunze, Stefan 89, 94, 293
Knappertsbusch, Hans 13, 57, 169 Küper, Klaus-Jürgen 238
Knobel, Betty 329, 346 Kupfer, Harry 178, 211
Knorr, Thomas 7 Kupper, Annelies 231, 310
Knözinger, Anton 506 Kurz, Selma 204
Knüpfer, Paul 358 Kusnetsowa, Maria 315
Kober, Axel 211
Koch, Rainer 211 Laban, Rudolf von 321
Koch, Wolfgang 211 Labor, Josef 457
Kodály, Zoltan 40 Lachner, Franz 66, 100, 504 f.
Koechlin, Charles 349 Lachmann, Hedwig 118, 131, 139, 160 f., 165
Koenigsgarten, Hugo F. 249 Lalo, Pierre 519
Kogel, Gustav 58, 412, 419, 422 Landormy, Paul 519
Köhler, Louis 35 Larkin, David 378, 380, 387
Kohler, Stephan 309, 539 Larsson, Anna 273
Kohn, Karl Christian 238 Lassen, Eduard 20, 35
König, Eberhard 423 Lautenschläger, Carl 86
Konrad, Ulrich 369 f. Le Borne, Ferdinand 22
Konwitschny, Peter 265 Leawington, Alexander 160 f.
Kopsch, Julius 33, 44 f. Legrenzi, Giovanni 251, 253
Korb, Jenny 176 Lehár, Franz 136, 141, 235, 283, 512, 514
Korb, Sidonie 167 Lehmann, Hans-Peter 178
Körner, Theodor 37 Lehmann, Lotte 5 f., 23, 193, 204, 211, 222
Korngold, Erich Wolfgang 110, 229, 457, 528 Lehnhoff, Nikolaus 169
Korngold, Julius 320 Leifs, Jón 42 f., 45
Košler, Zdeněk 169 Leinsdorf, Erich 204, 211
Kotzebue, August von 134, 283, 459 Leitner, Ferdinand 169
Kouba, Maria 168 Léon, Victor 141
Kovařovic, Karel 177 Leoncavallo, Ruggero 56, 522
Krähmer, Christian 176 f. Lenau, Nicolaus 327 f., 330 f., 381 f., 385 f., 395
Krammer, Teréz 177 Lernet-Holenia, Alexander 256, 266
Krasselt, Alfred 448 Leschetizky, Theodor 456
Kraus, Karl 222, 316 Lesnig, Günther 159, 167, 177
Krause, Ernst 263, 464, 537 Lessing, Gotthold Ephraim 140, 283
Krause, Tom 179 Lessmann, Otto 37, 387 f., 419
Krauss, Clemens 7, 12, 24 f., 90–92, 103, 130, 133, 143, Levi, Hermann 19–21, 24, 67, 69–71, 85, 444 f.
160, 168, 178 f., 211, 224, 232, 237 f., 257, 264, 266, Levin, Willy 7 f., 13, 362
271, 273, 276–278, 282 f., 285–287, 292, 294 f., Levine, James 204
298–300, 302–308, 310, 320, 352, 355 f., 368, 370, Lichtwark, Alfred 8
416 f., 464, 467 f., 513 Liebermann, Max 536
Krauss, Fritz 154 Liebermann, Rolf 521
Krebs, Carl 531 Liebscher, Julia 157, 174
Krebs, Wolfgang 165 Lifar, Serge 313
Krellmann, Hanspeter 539 Liliencron, Detlev von 328, 333 f., 524
Kremer, Martin 237, 254, 272 Lindner, Anton 118, 131, 139, 161, 328, 333
Krenek, Ernst 12, 42, 110, 229, 521, 523 Lindpaintner, Peter Joseph von 447
Kretzschmar, Hermann 533 f., 536, 541 Linfert, Carl 284
Krička, Jaroslav 42 Lingg, Hermann 328
Kristiansen, Morten 153, 157 Lipovšek, Marjana 178
Kroll, Joseph 24 Lipp, Wilma 204
572 Anhang

Liszt, Franz 3, 8, 19–22, 24 f., 35–38, 40, 43, 70, 79, 84, Marschner, Heinrich 72
96, 103 f., 109, 127, 150, 219, 351, 374, 378, 384, 386, Marsop, Paul 39
390, 393–396, 399 f., 402 f., 416, 436, 449–451, 480 f., Martin, Andrea 155
484, 493, 500, 508, 513, 516, 527, 531–533 Martin, Janis 178
Ljadov, Anatolij 514 Martinsen, Tom 265
Ljapunov, Sergej 514 Marton, Eva 178, 211
Lloyd-Jones, David 273 Martersteig, Max 176
Loeffler, Charles Martin 514 Martynkewicz, Wolfgang 302
Loewe, Carl 518 Marx, Joseph 517
Löhner-Beda, Fritz 141 Mascagni, Pietro 24, 157, 514, 521
Lodato, Suzanne M. 362 Mason, Daniel Gregory 532, 543
Lohse, Otto 176 Massager, André 168
London, George 238 Massenet, Jules 451, 518, 520
Lorenz, Max 204 Massine, Leonide 315, 322
Lortzing, Albert 19–21, 71, 105 Mastilovic, Daniza 178
Lothar, Mark 249 Masur, Kurt 204
Lott, Felicity 310 Mata Hari (Margaretha Geertruida Zelle) 518
Louis, Rudolf 349, 430, 535 f. Mattila, Karita 178, 239
Lualdi, Adriano 42 f. Mauke, Wilhelm 75, 385, 387, 392, 394, 400, 402
Lubahn, Robert 366 Mauser, Siegfried 164, 505
Ludwig II., König von Bayern 66, 69, 73, 76, 443 Mautner Markhof, Manfred 469
Ludwig XV., König von Frankreich 313, 317 f., 321 Mayr, Richard 192 f., 211
Ludwig, Christa 193 f., 211 Mazarin, Mariette 168, 176
Ludwig, Leopold 307 McEwen, John Blackwood 515, 517
Luhmann, Niklas 163 McNamara, Paul 310
Luipart, Marcel 313 Meilhac, Henri 130
Lukács, Miklos 169, 538 Melan, Mary 176
Lukian 223 Mende, Wolfgang 150, 157 f.
Lully, Jean-Baptiste 143, 200, 304 Mendelssohn Bartholdy, Felix 13, 19, 85, 104, 331, 365,
Luther, Martin 107, 263 367, 428, 431, 443 f., 446, 451, 455, 504 f., 507 f.
Mengelberg, Willem 26, 457, 521
Mac-Grew, Rose 176 Mercadante, Saverio 448
MacDonald, Malcom 522 Merian, Hans 408, 411, 423
Macdonald, Brian 313 Merle-Forest, E. 177
Mach, Ernst 541 Mersmann, Hans 536
Mackay, John Henry 328, 333, 356 f., 524 Messenhardt, Günther 239
Mahler, Alma 3, 518 Messiaen, Olivier 380
Mahler, Gustav 4, 8, 13, 22 f., 25, 36, 38 f., 61, 82, 154, Metzger-Latermann, Ottilie 176 f.
158, 167 f., 174, 192, 197, 326–328, 334 f., 348, 350, Meulemans, Arthur 43
353, 383, 392, 395, 406, 419, 422 f., 426, 434, 436, Meyer, Friedrich Wilhelm 18, 68, 116, 333, 443 f.,
438 f., 445, 518, 528, 531, 533, 535, 539, 541 500–504, 506, 508
Mahnke, Adolf 222 Meyerbeer, Giacomo 13, 20, 22, 109, 126
Majewski, Andrzej 177 Meyerhold, Vsevolod 177
Makris, Cynthia 169 Michalek, Margarete 158 f.
Malaniuk, Ira 231, 238 Michelangelo (Buonarroti) 101, 328, 331
Malfitano, Catherine 169 Mikorey, Max 154
Malipiero, Francesco 46, 517, 521 Milhaud, Darius 43, 228, 521
Mangeot, Auguste 520 Milinkovic, Georgine von 255
Mann, Alfred 52, 543 Milloss, Aurel von 317 f.
Mann, Thomas 2, 7, 10 f., 13, 170, 243, 541 Mingardi, Vittorio 176
Manthey, Axel 204 Mitscherlich, Margarete 49
Marcel, Lucille 176 Mjaskowski, Nikolaj 514, 518
Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 107, 184, 186, Mlakar, Pia 304, 318, 320–322
188–190, 234 Mlakar, Pino 304, 317 f., 320–322
Marinuzzi, Gino 254, 514 Młynarski, Emil 517
Mariotte, Antoine 519, 520 f., 526 Molière (Jean-Baptiste Poquelin) 135, 184, 189 f.,
Marischka, Ernst 304 194–198, 200, 204, 293 f., 305, 317, 522
Markwalder, Xaver 471 Moll, Kurt 193, 223, 255, 265, 273
Marliave, Joseph de 161 Monelle, Raymond 309
Marschalk, Max 89, 99, 411, 415, 425 Moniuszko, Stanisław 43
Namenregister 573

Montemezzi, Italo 514 Nodnagel, Ernst Otto 376, 378, 383, 389 f., 421, 535
Monteverdi, Claudio 200, 250, 253 Noni, Aldi 204
Morabito, Sergio 204 Nostitz, Helene 8
Moralt, Rudolf 169, 273 Novák, Vitězslav 514
Morax, René 520 Nussio, Ottmar 105
Moreau, Gustave 164 f., 518
Morgan, John Piermont 168 Obrist, Alois 38
Morgenstern, Christian 333, 524 Ochs, Siegfried 37
Mörike, Eduard 331, 353 Oertel, Johannes 57 f.
Moris, Maximilian 158 Offenbach, Jacques 107, 159, 223, 226, 285–288, 291,
Morris, Mark 318 351
Moser, Hans Joachim 279 Oppenheimer, Jella 7
Mottl, Felix 35, 37 f., 71, 176, 193, 297, 349, 355 Orff, Carl 521
Mozart, Maria Anna Thekla 245 Orel, Alfred 354
Mozart, Wolfgang Amadeus 4, 8, 19–23, 25, 62, 67, Osten, Eva von der 159, 193
79–81, 84–94, 101, 103 f., 106, 109, 126, 131, 143, 159, Osten, Vally von der 176
184, 188 f., 197, 199, 210, 220 f., 252 f., 272, 282 f., Oster, Mark 159
295, 304 f., 317 f., 320, 358, 381, 384, 428, 446, 448, Ostertag, Karl 160
451, 463, 473, 480 f., 484 f., 502 f., 507 f., 513, 527, 539 Østvig, Karl Aagard 211
Muck, Carl 22, 193 Othegraven, August von 363
Mücke, Mietze 214 Otter, Anne Sofie von 204
Mühlmann, Joseph 305
Müksch, Lotte 154 Paderewski, Ignacy Jan 517
Müller, Gabriele 176 Paganini, Niccolò 506
Müller von Asow, Erich 117, 416 Pangalos, Theodoros 12
Müller-Reuter, Theodor 36 f. Panizza, Oskar 328, 333
Muncker, Franz 98 Panofsky, Walter 515
Murnau, Friedrich Wilhelm 304 Papandopulo, Boris 42
Muschler, Reinhold Conrad 378, 534 Papst, Eugen 367
Mussolini, Benito 12 Parry, Hubert 514
Mussorgsky, Modest 109 Paskuda, Georg 238
Mutschmann, Martin 51 f. Paul, Jean 335
Pauly, Rose 137, 169, 177
Nagano, Kent 169, 204 Paumgartner, Bernhard 134
Nägeli, Hans Georg 253 Patzak, Julius 91, 264
Nagiller, Pauline 504 Pavesis, Stefano 249
Napoleon (Bonaparte) 512 Pavolini, Corrado 264
Nast, Minnie 193 Pergolesi, Giovanni Battista 252, 317
Naumann, Emil 520 Pérez Casas, Bartolomé 43
Neglia, Francesco Paolo 517 Petrenko, Kirill 211
Neher, Caspar 256 Petridis, Petro 42
Neitzel, Otto 37 Petzl, Luise 176 f.
Nessler, Victor Ernst 253 Perfall, Karl Freiherr von 19, 71
Neumeier, John 316 f., 322 Perfall, Sophie von 19
Newman, Ernest 413, 517, 543 Perron, Karl 167, 192 f.
Ney, Elly 301 Pfister, Kurt 537
Nicodé, Jean Louis 8, 37 Pfitzner, Hans 4, 7, 22, 38, 43, 109 f., 277, 335, 365, 526
Nicolai, Otto 19 Piave, Francesco Maria 130
Nielsen, Carl 514, 517 Piccinni, Niccolò 103, 143
Niemann, Albert 69 Pierné, Gabriel 43, 514, 520
Niessen, Bruno von 92 Pignots, Ludwig von 226
Nietzsche, Friedrich 71, 73, 87, 96, 136, 152 f., 173, 192, Pioch, Georges 519
200, 269 f., 272, 314, 350, 375, 397, 401, 403–405, Pizzetti, Ildebrando 521
407 f., 409–411, 419, 423, 430, 433 f., 436–439, 539, Plaichinger, Thila 176 f.
541 Plaschke, Friedrich 230, 237, 254
Nigrin, Ada 318 f. Pletzsch, Oskar 327
Nijinsky, Vaclav 313–316 Poell, Alfred 222, 238
Nikisch, Arthur 26 Pohl, Hans 432
Nilsson, Birgit 170, 177–179, 211 Pohl, Richard 35
Nilsson, Sven 272 Polaski, Deborah 178
574 Anhang

Ponzio, Leon 159 Reinhardt, Max 131, 134, 161, 171, 173, 192–195, 198,
Popp, Lucia 222, 273 200 f., 294, 300, 305, 458
Porges, Heinrich 35, 37 Reinhart, Werner 93
Porrino, Ennio 43 Reining, Maria 193 f., 204, 273
Possart, Ernst von 21, 85–87 Reinmar, Hans 238
Pousson, Nicolas 269 Reiter, Alfred 265
Prantl, Carl 98 Rembrandt (Harmenszoon van Rijn) 101
Pratella, Francesco Balilla 514 Remer, Paul 333
Preetorius, Emil 273, 307 Rennert, Günther 255
Prêtre, Georges 310 Resnik, Regina 179
Preuse-Matznauer, Margarete 176 Respighi, Ottorino 514, 520 f.
Prey, Hermann 222, 255, 310 Rethberg, Elisabeth 137, 230
Price, Margaret 204 Reubke, Julius 527
Pringsheim, Heinz 38 Reucker, Alfred 12, 237
Pringsheim, Klaus 38 Revers, Peter 508
Proebstl, Max 160 Reznicek, Emil Nikolaus von 42 f., 45 f., 513
Pröglhof, Harald 238 Reznicek, Felicitas von 45 f.
Prokofjew, Sergej 450, 457, 515, 518 Rheinberger, Josef Gabriel 19, 504
Prowse, Philip 273 Richelieu (Armand-Jean du Plessis) 259
Prüwer, Julius 167, 176 Richter, Cornelie 8
Pschorr, Georg 54, 501, 507 Richter, Eugen 11
Pschorr, Johanna 5, 328, 501 Richter, Hans 71, 389
Pschorr, Josephine s. Strauss, Josephine Ridderbusch, Karl 193, 310
Puccini, Giacomo 5, 25, 49, 110, 130, 138, 144, 159, 283, Rieck, Emil 167
513, 518, 522 Riedel, Carl 35
Riehl, Wilhelm Heinrich 98
Puffett, Derrick 174
Riemann, Hugo 531, 533, 543
Riesemann, Oskar von 357
Queler, Eve 155
Rihm, Wolfgang 540
Rilke, Rainer Maria 7
Raabe, Peter 39 f., 79
Ritter, Alexander 2, 4, 6 f., 21 f., 70 f., 74, 80, 96, 131,
Rabaud, Henri 514
150 f., 153, 157, 375, 368, 389 f., 393–395, 397, 400,
Rachmaninov, Sergej 514
403 f., 411, 413, 415, 423, 449–451, 500
Radecke, Robert 445 Ritter, Ellen 223
Radkiewicz, Claudia von 176 Ritter, Franziska 395
Raffael (Raffaello Santi) 101 Ritter, Julie 451
Rainer, Friedrich 305 Ritter, Leo 33
Rajdl, Maria 169 Rittersberg, Theodor 176
Ralf, Torsten 204, 272 Roberts, Brenda 178
Rameau, Jean-Philippe 143, 293 f., 317 Robertson, Christopher 231
Ranczak, Hildegarde 169 Roger-Ducasse, Jean 514
Rangström, Ture 43 Rogner, Eva Maria 238
Ranke, Leopold 98, 101 Rogorsch, Hans 177
Rankl, Karl 168, 254 Röhr, Hugo 396
Rasch, Hugo 33, 42, 44 Rolland, Romain 144, 161, 169, 201, 319, 345, 423, 432,
Rassow, Gustav 36 f. 459, 519, 541
Rathenau, Walther 8 Roller, Alfred 23, 57, 176, 192 f., 458
Raumer, Friedrich von 98 Roller, Ulrich 264, 273
Ravel, Maurice 43, 317, 322, 457 f. Ronsard, Pierre de 143
Rayam, Curtis 230 Ropartz, Joseph-Guy 514
Rebling, Gustav 35 Rosbaud, Hans 154
Reger, Max 23, 38, 88, 335, 351, 362, 450, 512, 514, 517 f., Roscher, Wilhelm Heinrich 268
523, 524, 525–528, 531 Rose, Frances 176 f.
Rehm, Walther 303 Rosen, Heinz 317
Reichmann, Theodor 67 Rosenberg, Alfred 243, 273
Reichenberger, Hugo 176 Rosenberg, Hilding 43
Reichner, Herbert 51 Ross, Alex 309
Reimann, Heinrich 376, 378, 540 Rossini, Gioachino 21, 252
Reinecke, Carl 100, 528 Rösch, Friedrich 6 f., 9 f., 30–33, 36 f., 39, 70, 74, 214,
Reiner, Fritz 168, 211 383, 403, 408, 420, 422–425, 440
Namenregister 575

Roth, Ernst 54, 57 f., 359, 471 Schillings, Max (von) 4, 7, 10 f., 22 f., 33, 36–39, 54,
Rothenberger, Anneliese 238 177, 195, 349, 516
Rott, Hans 445 Schirach, Baldur von 50, 277
Rottenberg, Ludwig 176 Schirmer, Ulf 310
Rousseau, Jean-Jacques 283 Schläder, Jürgen 172 f.
Roussel, Albert 43 Schlegel, Friedrich 344
Rowlandson, Thomas 253 Schletterer, Hans Michael 67 f.
Różycki, Ludomir 42 f. Schlosser, Max 67
Rubinstein, Anton 19 Schlösser, Rainer 277 f., 304
Rubinstein, Ida 315 Schlötterer, Reinhold 114, 174
Rüdel, Hugo 368 Schlüter, Erna 177, 352
Ruepp, Odo 238 Schmeckenbecher, Jochen 239
Rückert, Friedrich 328 f., 333–335, 345, 357, 365, Schmeling, Max 50
367–370 Schmidt, Franz 457
Rüfer, Philipp 32 Schmidt, Helga 238
Ruffini, Giovanni Domenico 249 Schmidt, Leopold 432
Runge, Bertha 176 Schmilgun, Burkhard 528
Runke, Reinhild 211 Schmitt, Florent 520
Russel, Kurt 169 Schmitz, Oscar A. H. 254
Rydl, Kurt 239 Schnaut, Gabriele 178
Ryhänen, Jaakko 265 Schneiderhan, Franz 9
Rysanek, Leonie 169 f., 177, 204, 211, 231 Schnidegger, Hans-Peter 155
Schnitzler, Arthur 230
Sabata, Victor 514, 521 Schock, Rudolf 204
Sachs, Hans 287 Schoeck, Othmar 335, 521
Saint-Saëns, Camille 22, 451 Schöffler, Paul 310
Salieri, Antonio 249, 282, 292 Schöpflin, Hans-Jürgen 310
Saladino, Michele 521 Schönberg, Arnold 2–4, 11 f., 25, 38, 159, 164, 168,
Sallet, Friedrich von 328 174 f., 222, 335, 340, 357, 450, 514, 518, 522 f., 528, 531,
Sallet, Marcel 447 540–542
Salzinger, Marcel 159 Schöne, Wolfgang 255
Samazeuilh, Gustave 43 Schönemann, Martin 87
Sanden, Aline 169 Schopenhauer, Arthur 70, 96, 101, 150, 153, 386 f., 408,
Sander, Constantin 58, 61 410, 415, 424, 426, 438, 451, 457, 533, 535, 537, 539
Sander, Martin 58 Schreier, Peter 273, 310
Sanjust, Filippo 273 Schreker, Franz 110
Sardou, Victorien 134 f. Schrenk, Walter 536
Satragni, Giangiorgio 286 Schröder-Feinen, Ursula 178,
Savoir, Alfred 249 Schubart, Christian Friedrich Daniel 327
Sawallisch, Wolfgang 211, 223, 238, 265, 273 Schubert, Betty 167
Scarlatti, Domenico 322 Schubert, Franz 19, 21, 23, 62, 85, 101, 104, 158, 199,
Scelsi, Giacinto 84 327, 329, 331, 334, 351, 354, 422, 443, 485, 502 f.,
Schäffer, Julius 35 505–508
Schack, Adolf Friedrich Graf von 328, 331 Schuch, Ernst von 25, 154, 158, 167, 176 f., 193, 425
Schade, Michael 273 Schuh, Willi 3, 48, 90, 93, 96, 100, 102 f., 115, 211, 281,
Schalk, Franz 10, 23–25, 72, 168, 193, 204, 211, 214 285, 306 f., 259, 370, 424, 456, 463, 467 f., 484, 486,
Schanzer, Ottone 144, 171, 176 500, 537
Scharwenka, Xaver 445 Schumann, Clara 332, 446
Schattmann, Alfred 427, 430 Schumann, Elisabeth 6, 340 f., 345, 354
Schech, Marianne 179 Schumann, Georg 32 f., 34
Scheel, Gustav Adolf 278 Schumann, Robert 19, 36, 104, 327, 329 f., 332, 344,
Scheerbart, Paul 314 364, 368 f., 443, 445, 448, 451, 459, 505, 508, 527
Scheidemantel, Karl 158 Schumann-Heink, Ernestine 176, 354
Schellenberg, Arno 237 Schuster, Michaela 211
Schenk, Otto 193 Schütz, Heinrich 368
Scherchen, Hermann 11, 39 Schwanewilms, Anne 211
Schereschewsky, Martha 176 Schwarz, Victor Wolfgang 176
Schering, Arnold 104 Schwarzkopf, Elisabeth 193 f., 204, 359
Schertel, Anton 168 Schwarzwald, Eugenie 7
Schiller, Friedrich 51, 101, 283, 327, 357, 369 Schweig 45
576 Anhang

Schweitzer, Elsa 176 Spitzweg, Carl 55


Schwers, Paul 12 Spitzweg, Eugen 30, 54–60, 151, 389, 418, 499, 505,
Scontrino, Antonio 513, 517 509, 523
Scovotti, Jeanette 255 Splitt, Gerhard 2, 48, 540 f.
Scott, Cyril 514 f. Spoerli, Heinz 313
Scribe, Eugène 130, 134 f., 184, 192 Spohr, Louis 85, 443, 447 f., 457
Sebeök, Sára 177 Sporck, Ferdinand Graf 155
Seefried, Irmgard 204 Springer, Max 170
Seery, Irving 359 Stanley, Helen 159
Seibert, Willy 336, 357 Starcke, Hermann 425
Seidl, Arthur 6 f., 336, 376, 382 f., 388–390, 395, 401, Stauffer, Karl 374, 433, 437 f.
403, 410, 420, 430 Stefan, Paul 320
Seiffert, Peter 239 Steffek, Hanny 222
Semmer, Max 317 Steiger, Martina 285 f.
Sengen, Leonore 176 Stein, Heinrich von 418
Serafin, Tullio 159, 193 Steinbach, Fritz 36–38
Serov, Alexander 520 Steinbeck, Wolfram 526
Sert, José Maria 314 f. Steinitzer, Max 26, 39, 69, 376, 416, 423, 435, 440, 534
Shafer, Celena 231 Stephan, Rudolf 369
Shakespeare, William 19, 101, 248, 283, 329, 340 f., 344, Stern, Adolf 36
358, 374 f., 379 Stich-Randall, Teresa 194
Shaw, George Bernard 73 Stieler, Karl 328
Sibelius, Jean 39, 43, 335, 513 f. Stirner, Max 96, 151, 153, 219
Sieger, Nini 419 Stockhausen, Julius 351
Siems, Margarethe 176 f., 193, 203 Stokowski, Leopold 321
Sievert, Ludwig 169 Stolze, Gerhard 179
Silcher, Friedrich 367 Storck, Karl 432, 440
Silja, Anja 168 f. Störring, Willy 154
Simmel, Georg 538 Stracciari, Riccardo 159
Simons, Rainer 168 Strasser, Ewald 43
Simonsen, Rudolph 515, 517 Straube, Karl 518
Simrock, Karl 344 Strauss, Alice 5 f.
Singer, Otto 160, 170, 194, 205, 214, 223, 416, 469, Strauss, Christian 5, 134
Sinopoli, Giuseppe 170, 204, 211, 265 Strauss, Franz (Sohn) 5 f., 57, 307, 334, 352, 354, 457
Sittard, Josef 407 Strauss, Franz (Vater) 5 f., 8, 13, 18, 20, 25 f., 54 f., 66,
Sixt, Paul 40, 154 68, 69, 74, 85, 116, 351, 357, 375, 380, 382, 388, 425,
Skrijabin, Alexander 513 f. 433, 443–445, 447 f., 451 f., 468, 499–503, 507 f.
Slavíková, Anna 177 Strauss, Johanna 327
Slezak, Leo 23 Strauss, Josephine 5, 100, 352, 354, 501
Smallens, Alexander 159 Strauss, Pauline 5–7, 9 f., 13, 25, 71, 78 f., 154, 206, 210,
Smetana, Bedřich 22, 436, 465 214, 230, 243, 326, 332, 334, 351 f., 354, 359, 366, 370,
Smith, Hugh 239 397, 405, 423, 431, 467
Söhle, Karl 418 Strauss, Richard (Enkel) 5, 134, 307, 469
Solf, Wilhelm 8 Strauß, Johann 22, 136, 189, 317
Sollertinski, Iwan 536 Strawinsky, Igor 93, 110, 130, 203, 229, 295, 313, 317 f.,
Soltesz, Stefan 265 320, 322, 512, 514 f., 521 f., 537
Solti, Georg 169 f., 177, 179, 193, 211, 238 Strecker, Ludwig 343
Sólyom-Nagy, Sandor 155 Streib, Karl Albrecht 237
Sommer, Hans 9, 22, 31 f., 36–38, 110 Streich, Rita 204
Sommerfeld-Kuthan, Margarete 176 Streicher, Julius 244
Sonnemann, Emmy 50 Stresemann, Gustav 459
Sonzogno, Edoardo 157 Streuli, Adolf 42
Sonzogno, Giulio 43 Striegler, Kurt 43
Sophokles 135, 170 f., 183, 282 Strindberg, August 157
Spanuth, August 430 Stuck, Franz von 518
Specht, Richard 73, 75, 84, 316, 355, 362, 366, 370, 376, Stückl, Christian 204
378, 435, 440, 444 f., 449, 451, 508, 536 Studer, Cheryl 170, 178
Speier, Lotti 456 Suhrkamp, Peter 85
Spengler, Oswald 98 f., 101 f., 537 Suitner, Otmar 273
Spinola, Ambrosio 259 Suk, Josef 517
Namenregister 577

Suttner, Bertha von 259 Uhl, Manuela 310


Swarowsky, Hans 63, 143, 292 Uhland, Ludwig 327 f., 330, 333 f., 358, 364
Szell, Georg 254 Ulrich, Jochen 169
Szemere, Lásló 310 Unger, Anette 539
Szondi, Peter 294, 299, 302 Unger, Hermann 42
Szymanowski, Karol 515, 520 f. Unseld, Melanie 166
Untermyr, Minnie 358
Taglionis, Filippo 320 Ursuleac, Viorica 6, 143, 178, 193, 237, 257, 264, 352,
Tanner, Carl 231 356
Tansman, Alexandre 457
Tate, Jeffrey 239 Vacik, Jan 265
Taucher, Curt 230 Valouškova, Olga 177
Taubmann, Horst 238 Vandernoot, André 169
Te Kanawa, Kiri 238, 346 Varady, Julia 160, 211, 238
Tebaldini, Giovanni 521 Várady, Sándor 77
Teibler, Herrmann 376, 378 f. Varesco, Giambattista Abbate 92
Tenschert, Roland 103 f., 149, 223 Varèse, Edgar 540
Terfel, Bryn 170 Varnay, Astrid 177 f.
Terpis, Max 317 Varviso, Silvio 254
Teschemacher, Margarete 272 Vaughan Williams, Ralph 517
Thielemann, Christian 211 Vejzovic, Dunja 178
Thilo, Emil 362, 370 Velázquez, Diego 258 f.
Thoelke, Georg 176 Verdi, Giuseppe 19, 21 f., 43, 110, 138, 143 f., 149, 220,
Thomas, Jess 204, 211 253, 293, 464, 501
Thomas, Theodor 446 Verhunk, Fanchette 167, 176
Thuille, Ludwig 6 f., 24, 38, 59, 62, 67 f., 70, 73, 85, Vieuxtemps, Henri 448
89, 100, 367, 408, 432 f., 444 f., 484, 503 f., 506 f., Viganò, Salvatore 317
509 f., 516, 527 f. Vignau, Hippolyt von 38
Tieck, Ludwig 245, 248–250, 344 Villa, Eduardo 265
Tiessen, Heinz 11, 33, 39 Vinzing, Ute 178
Tietjen, Heinz 11, 276, 469 Vischer, Friedrich Theodor 533
Tintoretto (Robusti), Jacopo 102 Vitale, Edoardo 176
Tippett, Michael 521 Vogel, Juliane 290
Tischer, Gerhard 62 Vogl, Heinrich 67
Tizian (Tiziano Vecellio) 102 Vogl, Johann Nepomuk 327
Tokody, Ilona 155 Voigt, Deborah 204, 231, 265
Toller, Georg 176 f., 192 Volbach, Fritz 363
Tolney-Witt, Gisella 349 Völker, Wolf 273
Tornauer-Hövelmann, Luise 177 Vollerthun, Georg 43
Tombo, August 18, 500 Vollmer, Wilhelm 268
Tommasini, Vincenzo 322 Voltaire (François-Marie Arouet) 143
Tomowa-Sintow, Anna 193
Toscanini, Arturo 13, 72, 167, 243, 521 Wächter, Eberhard 170, 238
Toselli, Enrico 514 Wachutka, Elisabeth Maria 155
Trapp, Max 43, 46 Wagenaar, Johan 514
Traxel, Josef 310 Wagner, Cosima 11, 13, 38, 66, 68, 71, 107, 150, 386,
Treitschke, Heinrich 98 393, 395, 401, 403, 408, 416, 418, 423, 440
Trenner, Franz 25, 359, 440 Wagner, Franziska 451
Trifonova, Olga 239 Wagner, Gertrud 169
Tröber, Arthur 471 Wagner, Richard 3 f., 8, 10 f., 13, 18–23, 25, 35 f., 39,
Troost, Paul Ludwig 284, 303 48–50, 56, 61, 62, 66–82, 84–88, 92, 96, 98,
Trost, Rainer 310 100–107, 127, 131, 136, 139, 143, 149–151, 153, 156–158,
Troyanos, Tatiana 204 164, 167, 184 f., 188–190, 200, 203, 209, 221,
Tschaikowsky, Peter Iljitsch 19, 22, 24, 104, 318, 431, 227–229, 243, 252 f., 268, 272, 283, 286–290, 293,
436, 450 f. 299, 320, 349 f., 355, 358, 371, 374, 380, 384, 386 f.,
Tudor, Antony 313, 316 f. 392–397, 399–404, 410 f., 413, 419, 425, 429, 433,
Turgenjew, Iwan S. 134 436, 438, 443, 446, 451, 455, 460, 463, 465, 480, 485,
493, 500, 505, 515 f., 523, 531–533, 535, 539 f., 543
Uhde, Hermann 231 Wagner, Siegfried 38, 71, 401
Uhl, Fritz 179, 238 Wagner, Wieland 169, 177
578 Anhang

Wagner, Winifred 48 Wilhelm, Kurt 397


Wagner-Régeny, Rudolf 256 Wilson, Robert 169
Wajemann, Heiner 362, 366, 371 Winbergh, Gösta 204
Walden, Herwarth 535 Winckelmann, Johann Joachim 173, 283 f.
Wallberg, Heinz 255 Windfuhr, Ulrich 310
Wallerstein, Lothar 84, 92, 169, 177–179, 211, 224, 266, Winkler, Hermann 238
270 Winter, Ellen 154
Walker, Edyth 176 f. Wirk, Willy 167, 177
Walter, Benno 18, 445, 447 f., 500 Witt, Friedrich 448
Walter, Bruno 13, 38, 211, 243 Witte, Erich 273
Walter, Emmerich 176 Wittgenstein, Ludwig 456
Walter, Erich 317 Wittgenstein, Paul 6, 8, 447, 456–461
Walter, Michael 149 f., 171, 278, 540 Wittich, Marie 167
Waltershausen, Hermann W. von 68 f. Wladigeraff, Pantscho 42
Walton, William 518 Wolf, Hugo 157, 326 f., 331, 353, 523
Warlikowski, Krzystof 211 Wolf, Johann Wilhelm 155
Watteau, Antoine 200, 313, 318 Wolf-Ferrari, Ermanno 38, 87 f., 92, 159, 522
Wattenbarger, Richard 539 Wolfes, Felix 231, 245
Weathers, Felicia 169 Wolff, Hermann 446
Weber, Carl Maria von 19–21, 23, 72, 85, 101, 104, Wolff, Karl 418, 452
106 f., 221, 253, 443, 447 f., 503 Wolfrum, Philipp 364
Weber, Ludwig 194, 264 Wolzogen, Ernst von 76, 80, 130 f., 139, 149, 155–157,
Webern, Anton 174, 222, 335, 340, 351 161, 184, 453
Wechsberg, Joseph 458 Wood, Henry 516
Wedekind, Frank 157, 314 Woodrow, Alan 155
Weidt, Lucie 176, 211 Wottrich, Endrik 239
Weigl, Petr 169 Wulf, Josef 540
Weikl, Bernd 160, 265 Wüllner, Franz 24, 75, 363, 367 f., 386, 396, 400, 418 f.,
Weill, Kurt 110, 203, 523 445 f., 509
Weingartner, Felix 8, 22, 37, 62, 88, 389, 396, 402, 520 Wunderlich, Fritz 255
Weinheber, Joseph 284, 329, 465 Wünsche, Dagmar 305
Weitzmann, Carl Friedrich 35 Wurmser, Leo 26
Welitsch, Ljuba 168 Würz, Anton 27
Welti, Heinrich 531 Wymetal, Erich von 273
Wenkel, Ortrun 273 Wymetal, Wilhelm von 176
Wenninger, Leopold 355
Werbeck, Walter 114, 375, 377, 379 f., 382 f., 404 Youmans, Charles 153, 540, 542
Werfel, Franz 133, 135 Youn, Kwangchul 273
Wernicke, Herbert 169, 193, 211
Wesendonck, Mathilde 68 Zach, Cornelia 310
Westerman, Gerhart von 45 Zandonai, Riccardo 43, 521
Wetzler, Hermann Hans 176 Zeller, Heinrich 154
White, Willard 230 Zemlinsky, Alexander von 25, 110, 159, 164, 167–169,
Wiedemann, Fritz 45, 53, 305 335
Wieland, Christoph Martin 134, 223 Zentner, Wilhelm 264
Wieler, Jossi 204 Ziegler, Hans Severus 40
Wieniawski, Henryk 448 Ziegler, Leopold 259
Wiesenthal, Grete 314 Zöllner, Heinrich 20
Wihan, Dora 100, 389 Zschorlich, Paul 88
Wihan, Hanuš 447 Zuckerkandl, Berta 7, 305
Wilde, Oscar 118, 131, 139, 144, 160–162, 164–166, Zumpe, Herman 8
169 f., 518–520 Zurlinden, Hans von 103
Wildgans, Anton 365 Zweig, Arnold 243
Wilhelm II., deutscher Kaiser 366 f. Zweig, Stefan 10, 13 f., 50–52, 81, 89, 91, 119, 127, 130,
Wilhelm Ernst, Großherzog von Sachsen-Weimar- 133, 135, 137, 141 f., 242–246, 248–256, 258–261,
Eisenach 38 263–266, 280 f., 283, 292, 323, 366, 466, 496, 513
579

Werkregister
Erstellt von Anna-Lena Bulgrin

Abend- und Morgenrot TrV 60 327 Blauer Sommer TrV 173/1 op. 31/1 333
Ach Lieb, ich muß nun scheiden TrV 160/3 op. 21/3 Blick vom oberen Belvedere TrV 281 327, 329
40 Bruder Liederlich TrV 195/4 op. 41/4 334
Acht Gedichte (H. von Gilm) TrV 141 op. 10 326, 328, Burleske TrV 145 35, 40 f., 55, 70, 313, 446 f., 449–451,
330 f., 352, 355 f. 456, 500
Acht Lieder TrV 204 op. 49 327 f., 332, 335, 350, 352,
354, 524 Cäcilie TrV 170/2 op. 27/2 332, 351, 355
All mein Gedanken TrV 160/1 op. 21/1 524 Capriccio TrV 279 op. 85 7, 55, 76, 84, 90 f., 93, 103,
Allerseelen TrV 141/8 op. 10/8 330, 355 106 f., 109, 134, 136, 142–144, 242 f., 276, 278,
Alphorn TrV 64 327 281–285, 292–310, 343, 345, 463–467, 473, 493 f.,
Als mir dein Lied erklang TrV 235/4 op. 68/4 342 497
Also sprach Zarathustra TrV 176 op. 30 23 f., 40, 55 f., Concertouvertüre TrV 125 19, 445
61, 71, 322, 351, 357, 375, 380, 403–412, 414,
418–420, 422–424, 427, 430, 436–438, 454, 457, 515, Daphne TrV 272 op. 82 55, 107, 118, 121, 133, 136, 138,
527 142, 192, 242, 244, 257, 264, 265–273, 278, 280–283,
Altdeutsches Schlachtlied TrV 194/2 op. 42/2 366 293 f., 358, 370, 466
Am Ufer TrV 195/3 op. 41/3 335, 338 f. Daphne-Etüde TrV 272b 273
Amor TrV 235/5 op. 68/5 342, 352 Das Bächlein TrV 264 50 f., 327, 352, 354
An den Baum Daphne TrV 272a 273, 370 f., 463, 466, Das Geheimnis TrV 149/3 op. 17/3 331
468 f., 479, 485 Das Lied des Steinklopfers TrV 204/4 op. 49/4 335
An die Nacht TrV 235/1 op. 68/1 341 Das Rosenband TrV 186/1 op. 36/1 334, 351
An einsamer Quelle TrV 127/2 op. 9/2 505 f. Das Tal TrV 206/1 op. 51/1 41, 350, 358
Anbetung TrV 186/4 op. 36/4 334, 436 Der Abend TrV 182/1 op. 34/1 369, 371
Arabella TrV 263 op. 79 12, 57 f., 77 f., 89, 105–107, Der Arbeitsmann TrV 189/3 op. 39/3 334 f., 338 f., 353
109, 114, 132–134, 136 f., 139, 141, 217, 231–239, 278, Der böhmische Musikant TrV 7 327
290 Der Brauttanz TrV 193/3 op. 45/3 367
Arabischer Tanz TrV 169/1 507 Der Bürger als Edelmann TrV 228b op. 60 93, 197,
Ariadne auf Naxos TrV 228 op. 60 7, 23, 25, 57, 76, 78, 313, 317, 522
81, 84–86, 88–91, 93, 105, 107, 109, 132, 136, 140, 144, Der Einsame TrV 206/2 op. 51/2 358, 360
178 f., 184 f., 194–204, 209, 214, 220, 227–229, 235, Der Fischer TrV 48 327, 329
237, 250, 268, 281–283, 293 f., 326, 335, 341 f., 343, Der Morgen TrV 89 328
345, 350, 357, 426, 506, 520, 522, 536 Der müde Wanderer TrV 16 327, 329
Aus alter Zeit TrV 72 499, 504 Der Reichstag zu Mainz 419
Aus den Liedern der Trauer TrV 148/4 op. 15/4 331 Der Rosenkavalier TrV 227 op. 59 2 f., 5, 9, 23, 25, 57,
Aus Italien TrV 147 op. 16 24, 40, 114, 382, 388 f., 61 f., 66, 72, 80 f., 84–91, 94, 105, 107, 118, 120, 125 f.,
451–456, 458, 505, 533 f. 132, 134, 136–139, 143 f., 149, 179, 183–194, 195,
Austria TrV 259 op. 78 37, 365 197–200, 205 f., 209, 231, 234 f., 238, 252, 289, 293 f.,
300, 320, 326, 331, 343 f., 426, 447, 500, 504, 532,
Barcarole TrV 149/6 op. 17/6 331 535 f., 538, 542
Bardengesang TrV 219 op. 55 323 f. Der Rosenkavalier. Begleitmusik zum Film TrV
Befreit TrV 189/4 op. 39/4 40, 335 f., 339, 352, 354 f. 227b 517
Begegnung TrV 98 328 Der Rosenkavalier. Erste Walzerfolge TrV 227c 463,
Beim Schlafengehen TrV 296/3 359 466, 469–471, 485
580 Anhang

Der Spielmann und sein Kind TrV 63 327, 356 Duett-Concertino für Klarinette und Fagott TrV 293
Der weiße Hirsch TrV 6 327 58, 122, 463, 466 f., 472, 493–497
Des Dichters Abendgang TrV 200/2 op. 47/2 350, 352 Durch allen Schall und Klang TrV 251 329, 345
Deutsche Motette TrV 230 op. 62 41, 205 f., 368–370,
466 Ein Heldenleben TrV 190 op. 40 6, 23 f., 27, 40 f., 55,
Die Ägyptische Helena TrV 255 op. 75 4, 26, 57, 85, 91, 58, 62, 76, 114, 125, 159, 206, 222, 343, 355, 364,
102, 107, 118, 132 f., 136 f., 139, 184, 199, 203, 209, 374 f., 412 f., 418–425, 426, 431, 433, 440, 512 f.,
217, 223–231, 237, 268, 281 f., 286–288, 352, 459, 512 515 f., 535
Die drei Lieder TrV 87 327 Ein Röslein zog ich mir im Garten TrV 67 327, 330
Die Donau TrV 284 365, 465, 467 Eine Alpensinfonie TrV 233 op. 64 27, 55, 58 f., 61, 114,
Die Drossel TrV 49 327, 330 119, 122 f., 125, 192, 205 f., 358, 370, 374, 425,
Die erwachte Rose TrV 90 328 432–440, 446, 465, 516
Die Feen (R. Wagner), Einlage TrV 154 20 Einkehr TrV 3 327
Die Frau ohne Schatten TrV 234 op. 65 2–4, 6, 23, 81, Einst kam der Bock als Bote TrV 236/2 op. 66/2 343
85, 88 f., 96, 105 f., 132 f., 136 f., 139, 179, 194, Elektra TrV 223 op. 58 2–4, 9, 12, 23, 25, 57, 61, 74, 84,
201–203, 204–211, 214, 217, 223, 226–230, 253, 282, 103, 107, 118, 124 f., 131 f., 134, 136, 138, 140, 144,
326, 358 f., 537 149 f., 153, 157, 170–179, 183–185, 192 f., 199, 201,
Die Georgine TrV 141/4 op. 10/4 330 209, 228, 268, 281–283, 314 f., 326, 340, 344 f., 350,
Die Göttin im Putzzimmer TrV 267 370 f. 357, 364, 521, 538
Die Händler und die Macher TrV 236/11 op. 66/11 343 Enoch Arden TrV 181 op. 38 55, 58
Die heiligen drei Könige aus Morgenland TrV 220/6 Epheu TrV 153/3 op. 22/3 331
op. 56/6 335, 352, 354 Erschaffen und Beleben TrV 244 327, 329
Die Künstler sind die Schöpfer TrV 236/10 op. 66/10 Es liebte einst ein Hase TrV 236/3 op. 66/3 343
343 Es war einmal ein Bock TrV 236/1 op. 66/1 343
Die Liebe der Danae TrV 278 op. 83 55, 90, 102, 107, Es war mal eine Wanze TrV 236/9 op. 66/9 343
133, 136 f., 142, 223, 244, 268, 276, 278, 279–291,
292 f., 302, 306–309, 464, 469, 520 Fanfare zur Eröffnung der Musikwoche der Stadt
Die Nacht TrV 141/3 op. 10/3 330 Wien TrV 250 467
Die Ruinen von Athen TrV 249 459 Fantasie TrV 29 503
Die schweigsame Frau TrV 265 op. 80 13, 50, 55, 84,
Feierlicher Einzug der Ritter des Johanniter-Ordens
90 f., 105, 107, 118, 124, 133, 136–138, 141 f., 217,
TrV 224 467, 527
242 f., 245–255, 256, 265, 293, 370
Festliches Präludium TrV 229 op. 61 41
Die Tageszeiten TrV 256 op. 76 41, 55, 364 f., 371
Festmarsch TrV 43 op. 1 54, 55
Die Ulme zu Hirsau TrV 196/3 op. 43/3 334
Festmarsch TrV 136 507
Die Verschwiegenen TrV 141/6 op. 10/6 330
Die Zeitlose TrV 141/7 op. 10/7 330 Festmusik der Stadt Wien TrV 286 466 f., 472,
Divertimento TrV 245b op. 86 320 475–477, 478, 482, 494
Don Juan TrV 156 op. 20 7, 23 f., 37, 40, 56, 58, 61, 74, Feuersnot TrV 203 op. 50 4, 22, 40, 55, 76, 82, 105 f.,
119, 125, 127, 206, 313, 343, 357, 375, 381–389, 131, 134, 136, 139, 149 f., 155–160, 161, 179, 184, 188 f.,
390–393, 395–397, 404, 413, 419 f., 423, 453, 469, 192, 350, 403, 426, 464, 470, 485 f.
515 f., 533 Freundliche Vision TrV 202/1 op. 48/1 40, 350, 352,
Don Quixote TrV 184 op. 35 23, 55, 61, 200, 412–418, 523, 524
419–426, 439, 494, 496, 509, 516, 527 Friede im Innern 368
Drei Gesänge älterer deutscher Dichter TrV 196 op. 43 Friedenstag TrV 271 op. 81 4, 105, 107, 121, 133, 135 f.,
55, 327 f., 332–334, 352, 354 142, 159, 242–244, 255–265, 268, 271–273, 281 f.
Drei Hymnen (F. Hölderlin) TrV 240 op. 71 329, 345, Fröhlich im Maien TrV 270/3 368
350, 358 Frühling TrV 296/1 359
Drei Lieder (E. Geibel) TrV 75 326 Frühlingsanfang TrV 77 327
Drei Lieder (O. J. Bierbaum) TrV 172 op. 29 327, Frühlingsfeier TrV 220/5 op. 56/5 352, 355
332 f., 355, 524 Fünf Gedichte (F. Rückert) TrV 199 op. 46 327 f.,
Drei Lieder aus den Büchern des Unmuts TrV 238/II 332 f., 335
op. 67/II 329, 343 f. Fünf Klavierstücke TrV 105 op. 3 55, 499, 505
Drei Lieder der Orphelia aus Hamlet TrV 238/I Fünf kleine Lieder (A. v. Arnim, H. Heine) TrV 237
op. 67/I 344 op. 69 327 f., 341, 345
Drei Männerchöre TrV 193 op. 45 366 f. Fünf Lieder TrV 148 op. 15 55, 327 f., 331, 355
Drei Männerchöre (F. Rückert) TrV 270 55, 367 f. Fünf Lieder TrV 174 op. 32 327 f., 332 f., 352, 355
Drei Masken sah ich am Himmel stehn TrV 236/4 Fünf Lieder TrV 189 op. 39 55, 58, 327, 332, 334 f., 338,
op. 66/4 343 352, 354 f.
Du meines Herzens Krönelein TrV 160/2 op. 21/2 Fünf Lieder TrV 195 op. 41 55, 58, 327, 332, 334 f., 338,
524 f. 352, 524
Werkregister 581

Fünf Lieder (L. Uhland) TrV 200 op. 47 327 f., Japanische Festmusik TrV 277 op. 84 124, 465, 517
332–334, 350, 352 John Anderson TrV 101 328
Fünf Lieder (O. J. Bierbaum, K. Henckell) TrV 202 Josephs Legende TrV 231 op. 63 85, 159, 205 f., 208,
op. 48 327, 332, 335, 350, 352, 354, 523, 524 304, 313, 314–317, 318, 320, 322, 326, 537
Für funfzehn Pfennige TrV 186/2 op. 36/2 334 Junghexenlied TrV 189/2 op. 39/2 334
Für Musik TrV 74 327
Konzert für Horn und Orchester TrV 283 55, 58, 449,
Ganymed (F. Schubert) TrV 179 351 463, 466 f., 470 f., 472–475, 477, 479, 483, 490 f.,
Geduld TrV 141/5 op. 10/5 40, 330 493–497
Gesang der Apollopriesterin TrV 180/2 op. 33/2 357 Konzert für Oboe und kleines Orchester TrV 292 58,
Gesänge des Orients TrV 257 op. 77 55, 133, 327, 329, 94, 467, 470–472, 490–493, 494–497
345 f. Konzert für Violoncello 466, 471 f., 492–494, 496 f.
Glückes genug TrV 187/1 op. 37/1 524 Konzert für Violine und Orchester TrV 110 op. 8
Große Sonate c-Moll TrV 79 502 f., 505 444 f., 447 f., 500
Guntram TrV 168 op. 25 4, 21, 40, 55 f., 73–76, 84, 89, Konzert für Waldhorn und Orchester TrV 117 op. 11
107, 121, 131, 134, 136 f., 139, 149 f., 151–155, 157–159, 55, 444, 448 f., 450, 467, 473–475, 500
174, 350 f., 389, 396 f., 401–404, 410, 419, 423 f., Kornblumen TrV 153/1 op. 22/1 331
426 f., 431, 436 Krämerspiegel TrV 236 op. 66 32, 55, 59 f., 300,
Guten Morgen, ’s ist Sankt Valentinstag TrV 238/I,2 327–329, 340–343, 345
op. 67/I,2 345 Kythere TrV 201 85, 314 f., 317 f.
Hab ich euch denn je geraten TrV 238/II,2 op. 67/ Langsamer Satz g-Moll TrV 12 502
II,2 343 f. Laß ruhn die Toten TrV 50 327, 330
Hast du ein Tongedicht vollbracht TrV 236/5 op. 66/5 Leise Lieder TrV 195/5 op. 41/5 524
343 Leises Lied TrV 189/1 op. 39/1 335 f., 338 f.
Hat gesagt – bleibt’s nicht dabei TrV 186/3 op. 36/3 524 Liebe TrV 194/1 op. 42/1 367
Heidebild TrV 127/5 op. 9/5 505 Liebe TrV 240/3 op. 71/3 358
Heimkehr TrV 148/5 op. 15/5 355
Liebeshymnus TrV 174/3 op. 32/3 352
Heimliche Aufforderung TrV 170/3 op. 27/3 332, 351,
Lied an meinen Sohn TrV 189/5 op. 39/5 335 f., 340
353, 355
Lied der Frauen TrV 235/6 op. 68/6 341, 356
Himmelsboten TrV 174/5 op. 32/5 334
Lied der Freundschaft TrV 193/2 op. 45/2 366 f.
Hochzeitlich Lied TrV 187/6 op. 37/6 131
Husarenlied TrV 42 327 Lob des Leidens TrV 148/3 op. 15/3 331
Hymne TrV 182/2 op. 34/2 41, 369, 466 Lust und Qual TrV 51 327, 330
Hymne TrV 183 362
Hymne an die Liebe TrV 240/1 op. 71/1 358 Macbeth TrV 163 op. 23 23, 55, 59 f., 61, 374–381, 382,
Hymnus TrV 180/3 op. 33/3 357 389, 391, 396 f., 400, 413, 420, 453, 507, 516
Mädchenblumen TrV 153 op. 22 56, 60, 327 f., 331
Ich liebe dich TrV 187/2 op. 37/2 353 Malven TrV 297 326, 345, 359
Ich schwebe TrV 202/2 op. 48/2 524 Mein Auge TrV 187/4 op. 37/4 335 f., 352
Ich trage meine Minne TrV 174/1 op. 32/1 334, 355 Meinem Kinde TrV 187/3 op. 37/3 334, 352, 524
Ich wollt ein Sträußlein binden TrV 235/2 op. 68/2 341 Metamorphosen TrV 290 55, 58, 94, 114, 313, 466 f.,
Idomeneo (W. A. Mozart) TrV 262 91 f. 469–472, 475, 485, 486–490, 492 f.
Im Abendrot TrV 296/4 359, 365 Mißlungene Liebesjagd TrV 216/2 367
Im Sonnenschein TrV 268 327, 329, 345 Mohnblumen TrV 153/2 op. 22/2 331
Im Walde TrV 62 327 Morgen TrV 170/4 op. 27/4 332 f., 351, 524
Immer leiser wird mein Schlummer TrV 97 328 München (Ein Gedächtniswalzer) TrV 274a 466 f.,
In Vaters Garten heimlich steht ein Blümelein TrV 88 469 f., 485 f., 488
327 München (Ein Gelegenheitswalzer) TrV 274 469 f.,
Instrumentationslehre (H. Berlioz) TrV 212 55, 59, 82, 485 f.
499, 515, 527 Musik zu »Lebende Bilder« TrV 167 517
Intermezzo TrV 246 op. 72 6, 8, 41, 78 f., 91, 106 f., Mutter, o sing mich zur Ruh TrV 100 328
127, 132, 134, 136 f., 140, 178 f., 203, 205, 209, Muttertändelei TrV 196/2 op. 43/2 334, 352, 354
214–223, 227–229, 237, 287, 293, 295, 301, 431, 512,
522 f. Nachtgang TrV 172/3 op. 29/3 332, 524
Introduction, Thema und Variationen für Flöte und Nächtlicher Gesang TrV 197/2 op. 44/2 357
Klavier TrV 76 507 Nebel TrV 65 327, 330
Introduction, Thema und Variationen für Waldhorn Nichts TrV 141/2 op. 10/2 330
und Klavier TrV 70 507 Notturno TrV 197/1 op. 44/1 335 f., 340, 357, 359f
Iphigenie auf Tauris (Chr. W. Gluck) TrV 161 298 Nur Mut! TrV 149/5 op. 17/5 331
582 Anhang

O lieber Künstler sei ermahnt TrV 236/6 op. 66/6 343 Skatkanon TrV 210 8, 362
O Schröpferschwarm, o Händlerkreis TrV 236/12 Skizzen. Fünf kleine Klavierstücke TrV 82 504
op. 66/12 343 Soldatenlied TrV 66 327, 330
Olympische Hymne TrV 266 365 f. Soldatenlied TrV 192 367
Orchestersuite aus der Musik zum Bürger als Sonate I für Klavier C-Dur TrV 22 502
Edelmann TrV 228c 196 Sonate II für Klavier F-Dur TrV 23 502
Sonate III für Klavier B-Dur TrV 24 502
Panathenäenzug TrV 254 op. 74 456, 458–460, 470, Sonate V für Klavier Es-Dur TrV 26 502
477, 480 Sonate für Vl und Klavier TrV 151 op. 18 499 f., 507 f.
Panzenburg-Polka TrV 11 501 f. Sonate für Vc und Klavier TrV 115 op. 6 447, 499 f., 507
Parergon zur Symphonia domestica TrV 209a op. 73 Sonate für Klavier h-Moll TrV 103 op. 5 499, 502, 504,
6, 456–461, 470 507
Pilgers Morgenlied – An Lila TrV 180/4 op. 33/4 357 f. Sonate Nr. 1 für Klavier E-Dur TrV 47 501, 503
Sonatine für 16 Bläser TrV 288 58, 93, 466–468, 472,
Quartett für 2 Vl, Vla, Vc TrV 95 op. 2 55, 84, 499 f., 475, 477–479, 480, 482–484, 494 f.
507 f. Spielmann und Zither TrV 58 327, 329
Quartett für Klavier, Vl, Vla, Vc TrV 137 op. 13 35 f., Spruch TrV 261 329
40, 55, 61, 500, 507 Ständchen für Klavier, Vl, Vla, Vc TrV 114 507
Ständchen TrV 149/2 op. 17/2 331, 355
Rhapsodie TrV 146 449 Stiller Gang TrV 173/4 op. 31/4 333, 335, 337
Romanze für Klarinette und Orchester TrV 80 447 Stimmungsbilder TrV 127 op. 9 499, 505 f.
Romanze für Violoncello und Orchester TrV 118 447 Sühnung 368
Rückkehr in die Heimat TrV 240/2 op. 71/2 358 Suite für Bläser TrV 132 op. 4 18, 93, 159, 467, 479 f.,
Ruhe, meine Seele TrV 170/1 op. 27/1 40, 332, 338, 509 f.
353 f., 356, 359 Symphonia domestica TrV 209 op. 53 6, 23 f., 41, 55 f.,
59 f., 61, 85, 118 f., 125, 206, 209, 215, 217, 222, 326,
Salome TrV 215 op. 54 2, 4 f., 9, 11, 18, 22 f., 25, 41, 74, 370, 425–432, 433 f., 440, 457–459, 512, 515–517, 535
85, 106, 118 f., 131, 134, 136, 138 f., 143 f., 149 f., 153, Symphonie d-Moll TrV 94 69, 444 f., 447, 507, 509
157, 159, 160–170, 171, 173, 176, 178 f., 183, 192, 199, Symphonie f-Moll TrV 126 op. 12 19, 24, 35, 56, 70,
228, 281–283, 297–299, 337, 340 f., 350, 358, 402, 388 f., 435, 444, 445 f., 452, 500
426, 450, 500, 512, 518, 519, 521, 532, 535, 538 Symphonisches Fragment aus Josephs Legende TrV
Sankt Michael TrV 280 327, 329 231a 463, 466, 471, 485, 520
Säusle, liebe Myrthe! TrV 235/3 op. 68/3 342, 354 Symphonische Fantasie aus »Die Frau ohne Schatten«
Scherzo h-Moll für Klavier TrV 86 504 f. TrV 234a 463, 466, 471, 485
Schlachtgesang TrV 193/1 op. 45/1 366
Schlagende Herzen TrV 172/2 op. 29/2 333 Taillefer TrV 207 op. 52 7, 363 f.
Schlagobers TrV 243 op. 70 222, 318–320, 322 Tanzsuite nach Klavierstücken von François Couperin
Schlichte Weisen TrV 160 op. 21 327 f., 331, 524 TrV 245 159, 293, 304, 317 f., 320, 460
Schneiderpolka TrV 1 499, 501 Till Eulenspiegel TrV 171 op. 28 4, 7, 23, 26, 61, 74 f.,
Schwäbische Erbschaft TrV 134 366 85, 96, 313, 343, 354, 381, 386, 396–403, 404 f., 408,
Sechs Lieder (A. F. Graf von Schack) TrV 149 op. 17 411 f., 414–416, 418–426, 430 f., 439, 446, 469, 474,
55, 327 f., 331, 337, 355 494, 506, 509, 515 f.
Sechs Lieder TrV 187 op. 37 327, 332, 335, 352 f., 524 Tod und Verklärung TrV 158 op. 24 3, 7, 24, 26, 35, 39,
Sechs Lieder TrV 220 op. 56 55, 327 f., 332 f., 335, 340, 40 f., 61, 74, 79, 313, 343, 360, 374 f., 381, 386,
352, 354 f. 389–396, 397, 400, 404 f., 414, 419 f., 423, 325, 450,
Sechs Lieder TrV 238 op. 67 55, 328 f., 340 f., 343 f., 358 457, 469, 489 f., 515, 527
Sechs Lieder aus »Lotosblätter« (A. F. Graf von Schack) Traum durch die Dämmerung TrV 172/1 op. 29/1 40,
TrV 152 op. 19 327 f., 331 333, 355, 524
Sechs Lieder (C. Brentano) TrV 235 op. 68 41, 328, Träumerei TrV 127/4 op. 9/4 505
340–342, 352, 354, 356 Traumlicht TrV 270/2 368
Sechs Volksliedbearbeitungen TrV 216 367 Trio für Klavier, Vl, Vc Nr. 1 A-Dur TrV 53 506 f.
Sehnsucht TrV 174/2 op. 32/2 40 Trio für Klavier, Vl, Vc Nr. 2 D-Dur TrV 71 506 f.
Seitdem dein Aug’ in meines schaute TrV 149/1
op. 17/1 331 Und dann nicht mehr TrV 258 327, 329, 345
September TrV 296/2 359 Unser Feind ist, großer Gott TrV 236/7 op. 66/7 343
Serenade für Bläser TrV 106 op. 7 18, 93, 445, 479 f.,
508 f. Verführung TrV 180/1 op. 33/1 357
Sie trugen ihn auf der Bahre bloß TrV 238/I,3 Verklungene Feste TrV 245a 304, 320–323
op. 67/I,3 345 Vier Gesänge TrV 180 op. 33 55, 59, 327, 332, 335, 350,
Sinnspruch TrV 239 329 356 f.
Werkregister 583

Vier letzte Lieder TrV 296 55, 58, 94, 285, 313, 326, Wer tritt herein TrV 289 468
329 f., 332, 345 f., 350, 353, 356, 358–360, 365, 463, Wie erkenn’ ich meine Treulieb TrV 238/I,1 op. 67/I,1
466 344
Vier Lieder TrV 170 op. 27 327, 332, 351–356, 359, 524 Wie sollten wir geheim sie halten TrV 152/4 op. 19/4
Vier Lieder TrV 186 op. 36 327 f., 332–334, 351, 524 40
Vier Lieder (C. Busse, R.Dehmel) TrV 173 op. 31 327, Wiegenlied TrV 59 327, 330
332 f., 335 Wiegenlied TrV 195/1 op. 41/1 334–336, 352, 524
Vier sinfonische Zwischenspiele aus »Intermezzo« TrV Wiegenliedchen TrV 204/3 op. 49/3 335, 338, 524
246a 222 Winternacht TrV 148/2 op. 15/2 331
Vierzehn Improvisationen und Fuge für Klavier TrV Winterliebe TrV 202/5 op. 48/5 350, 352, 354
130 499, 506, 509 Winterreise TrV 4 327, 329
Vom künftigen Alter TrV 260 327, 329, 345 Winterweihe TrV 202/4 op. 48/4 40, 350, 352
Von den sieben Zechbrüdern TrV 200/5 op. 47/5 334 Wir beide wollen springen TrV 175 127
Von Händlern wird die Kunst bedroht TrV 236/8
op. 66/8 343 Xenion TrV 282 345
Vor den Türen TrV 270/1 368
Zueignung TrV 141/1 op. 10/1 330, 352, 355 f.
Waldesfahrt TrV 237/4 op. 69/4 345 Zugemessne Rhythmen reizen freilich TrV 269 79, 329
Waldesgesang TrV 75 326 f. Zwei Gesänge TrV 182 op. 34 368 f., 371, 466
Waldkonzert TrV 5 327 Zwei Gesänge TrV 206 op. 51 327 f., 332 f., 335, 350,
Waldseligkeit TrV 204/1 op. 49/1 335 f., 339, 350, 352, 358, 360
354, 524 Zwei größere Gesänge TrV 197 op. 44 37, 40, 55, 327,
Walzerlied TrV 241 329 332, 335, 350, 357 f., 359
Wanderers Gemütsruhe TrV 238/II,3 op. 67/II,3 343 f. Zwei kleine Stücke für Vl und Klavier TrV 21 499
Wandrers Sturmlied TrV 131 op. 14 37, 40, 55, 70, 363, Zwei Lieder TrV 166 op. 26 327
365, 369, 449 Zwei Lieder (L. van Beethoven) TrV 185 351
Wasserrose TrV 153/4 op. 22/4 331 Zwei Männerchöre TrV 194 op. 42 55, 58, 366 f.
Weihnachtslied TrV 2 326 f., 329 Zwei Militärmärsche TrV 221 op. 57 55, 59
Weißer Jasmin TrV 173/3 op. 31/3 333 Zwei Stücke für Klavier, Vl, Vla, Vc TrV 169 507
Wenn … TrV 173/2 op. 31/2 333 Zweite Sonatine für 16 Bläser TrV 291 58, 93,
Wer wird von der Welt verlangen TrV 238/II,1 op. 67/ 466–468, 470–472, 475, 479–485, 486, 488,
II,1 343 f. 493–495, 497
Lieben Sie Wagner?
Und Verdi?

Gerhard/Schweikert (Hrsg.) Lütteken (Hrsg.)


Verdi-Handbuch Wagner-Handbuch
2., überarb. und erw. Auflage 2013. 799 S., 41 s/w Abb., 2012. 542 S., 51 s/w Abb., 8 Notenbeispiele. Geb. € 69,95
4 Tab., 25 Notenbeispiele. Geb. € 69,95 ISBN 978-3-476-02428-2
ISBN 978-3-476-02377-3 Gemeinschaftsausgabe mit dem Bärenreiter-Verlag,
Gemeinschaftsausgabe mit dem Bärenreiter-Verlag, Kassel
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