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Shakuhachi, der tönende Bambus

Die erste Berührung


mit der japanischen Bambusflöte Shakuhachi war für mich, wie für die meisten Leuten, sehr direkt über das
Gehör und das Gefühl: welcher Reichtum an Klang, welche Kraft, welche Weite der Melodien! Ein einfaches,
ca. 50 cm langes Bambusrohr mit fünf Löchern wurde von einem Meister geblasen, der in gelassener Ruhe
sitzend unglaublich langsame geschmeidige Melodien mit dröhnenden, voller Energie steckenden tiefen Tönen
bis zu leise verhauchenden. äolischen Klängen spielte. Dieses sehr dichte, beeindruckende Konzert von Dr.
Andreas Fûyu Gutzwiller an der Musikakademie Basel vor über 15 Jahren war mein erster Schritt auf dem
Bambusweg, den ich bis heute weitergegangen bin.

Das Erlernen eines Instrumentes


ist auf der ganzen Welt in erster Linie eine Schulung seiner selbst. In Japan wird diesem Aspekt in allen
traditionellen Künsten, so auch im Erlernen des Shakuhachispiels sehr viel Beachtung geschenkt. Schon als
Anfänger wird man mit den wesentlichen Schwierigkeiten des Instrumentenspiels konfrontiert: dem geblasene
Ton als Ausdruck des atmenden Menschen. Die Arbeit am Ton ist Arbeit am Atem ist Arbeit an sich selbst. So
ist das Instrument ursprünglich als Werkzeug des Zen, als religiöse Übung (jap. Shugyô) verstanden worden.
"Die Essenz des Shakuhachispiels ist es, losgelöst von der Vernunft zu spielen,...um auf die Stufe zu gelangen,
wo die Wahrheit erscheint in Form von Tettei on, dem absoluten Ton, oder dem Ton an sich." Dieses Ziel , den
absoluten, jede gewollte Bemühung übersteigenden Ton anzustreben, ist , so glaube ich, ein Anliegen jedes
musizierenden Menschen. Das Erlernen und Üben des Shakuhachispiels ist ein Weg mit einer faszinierenden
Tradition.

Das Instrument
kam ursprünglich aus China. Schon dort gab es vermutlich in der Tang-Zeit im 7.-9. Jh. Verbindungen zum
Buddhismus. In Japan tauchen die ersten Längsflöten aus Jade, Stein, Elfenbein und Bambus, von denen noch
spielbare Instrumente erhalten sind, im Hoforchester Gagaku im 8. Jh auf. Über die Musik, welche gespielt
wurde, scheint wenig bekannt zu sein. Zwischen 9. und 12. Jh. wird über die Verwendung des Instrumentes als
Hofinstrument berichtet. Die Shakuhachi war daher nur den Hofleuten und den hohen buddhistischen Priestern
zugänglich. Im Mittelalter (ab dem 13. Jahrhundert) wurde das Instrument vermehrt von wandernden
Bettelmönchen gespielt. Nach den Bürgerkriegen und grossen sozialen Umwandlungen im 16. Jh. wurde ein
Orden von Bettelmönchen gegründet, der sich auf den Zenmeister Fuke bezog und dessen Wahrzeichen die
Strohmatte und die Shakuhachi wurde. Fuke war ein Wandermönch in China im 9. Jh., der mit einer Glocke
seine Rezitation begleitete. Einer seiner Anhänger (Chohaku) versuchte, das Spiel der Glocke und die Rezitation
mit einer Flöte nachzuahmen. So entstand, der Legende nach, das Stück Kyôtaku. Chohaku gab das Stück seinen
Schülern weiter.

Im 13. Jahrhundert kam der japanische Mönch Gakushin nach Studien in China zurück nach Japan und brachte
die Flöte Shakuhachi und die darauf gespielte Musik mit. Andere Stücke, wie z.B. Mukaiji (Flöte an nebligem
See) und Kokû (Flöte im Leeren Himmel) wurden von einem Schüler von Gakushin, Kichiku aus Eingebung der
Natur, komponiert. Diese Stücke bilden bis heute das Basisrepertoire der sogenannten zentralen Hauptstücke
(Honkyoku) der alten Schulen. Neben den auf die religiösen Wurzeln sich stützenden Richtungen des
Shakuhachispiels (Honkyoku) werden bis heute weltliche kammermusikalische Stile (Gaikyoku, Sankyoku)
gepflegt.

Die Musik
der Shakuhachi kann vereinfachend als extrem verlangsamte Melodien aufgefasst werden. Durch die
Verlangsamung werden die Töne und die Zeit zwischen den Tönen länger. In dieser "langsamen" Zeit findet eine
hohe Differenzierung des Tonverlaufs und der Tonverbindung Raum; der Ton an sich und das "Zwischen den
Tönen" wird extrem sorgfältig gepflegt. Die Melodien sind recht einfach, die darin sich äussernde Musik jedoch
hoch komplex. Die Empfindung für den richtigen Klang, den richtigen Verlauf, das richtige Timing, die richtige
Verbindung wird geschult. Was bedeutet nun in diesem Zusammenhang "richtig".? Einerseits wird die Musik
streng von Lehrer zum Schüler traditionell verbindlich vermittelt (stilrichtig), andrerseits hat die Musik eine nur
erfahrbare Stimmigkeit, eine sich selbsterklärende Richtigkeit, die vielleicht mit natürlich wirkende
Absichtslosigkeit angedeutet werden kann. Die Musik ist in einer eigenen Griffnotation festgehalten, die
verschiedene Spielinformationen enthält. Der wesentliche Teil der Musik wird direkt, vom Lehrer zum Schüler
weitergegeben.
Der Unterricht
basiert hauptsächlich auf dem gemeinsamen Spielen der traditionellen Stücke. Wichtiger als Worterklärungen ist
das Hören und Nachahmen des Lehrers. Die musikalischen Feinheiten werden so auf die direkteste Weise
vermittelt. Erst wenn der Schüler hört, wird er spielen können. Nicht der äussere Fortschritt ist von Bedeutung,
wieviele Stücke in welcher Zeit gespielt werden können, sondern die stetige Arbeit mit dem Instrument. Oder,
wie gesagt wird: " Nicht die Anzahl der gelernten Stücke macht einen guten Spieler, sondern wie er ein Stück
spielt". Das Erlernen der Shakuhachi erfordert Geduld, ist aber frei von äusserem Zwang. "Das Spielen der
Shakuhachi verfolgt keinen Zweck, sondern man spielt nur, weil man eine Vorliebe dafür gefasst hat."

Die Shakuhachi in Europa


wurde in den letzten Jahren zuerst in den Kreisen der an der japanischen Kultur interessierten Menschen
bekannt. Daneben werden immer mehr Menschen von dem unmittelbar berührenden Klang des Instrumentes
bewegt, lassen sich von der ruhigen Musik zum eigenen Inneren leiten, oder werden von der Differenziertheit
des Ausdrucks inspiriert.

Die intensive praktische Beschäftigung mit einer fremden Kultur ermöglicht einerseits eine Annäherung an diese
durch Tun und Erfahrung und andrerseits lässt dies auch die eigene Kultur in einem anderen Lichte erscheinen.
So kann durch das Üben von Musik eine Brücke zum Üben des Atmens, zum Üben des Sitzens, zum Üben an
sich gebaut werden. Es lassen sich zentrale Punkte der östlichen meditativen Praktiken erahnen. Es wird aber
auch ein anderes Licht auf die europäische Art des Übens geworfen. Der intensiv übende Mensch, ob er sich im
Sport, in der Kunst, im Alltag übt: ist er nicht ein meditierender Mensch?

Die anfängliche Fremdheit der japanischen Musik, die uns aber dennoch berühren kann, wandelt sich langsam zu
etwas Vertrautem. Die Spannungen und Auflösungen, die Intensität der Musik können allmählich empfunden
werden, das Verstehen-wollen weicht dem Erfahren-können.

Die Musik ist ein universales Phänomen. Überall auf der Welt werden die Menschen durch Musik berührt,
drücken sich durch Musik aus. Es scheint Elemente zu geben, die aller Musik der Welt gemeinsam sind, die
ermöglichen, dass sich Menschen verschiedenster Kulturen von verschiedenster Musik berührt fühlen. Und es
gibt für die jeweilige Kultur sehr spezifische Elemente, die unverwechselbar einmalig sind und für andere
Kulturen schwerer oder überhaupt nicht zugänglich sind. Die Beschäftigung mit einer fremden Kultur ist immer
mit diesen beiden Seiten verbunden. Man findet das Eigene wieder im Fremden und versucht, das Fremde sich
zu eigen zu machen.

Für mich selbst ist die Begegnung mit der Shakuhachi eine immer wieder herausfordernde Arbeit. Aus der
anfänglichen Berührung wurde eine intensive Auseinandersetzung. In der fremden Musik wurde Vertrautes
gefunden und Fremdes vertraut. Das eigene Musikmachen als Interpret, Improvisator oder Komponist wurde
wesentlich durch die Musik der Shakuhachi beeinflusst. Das notwendige Üben bekommt neue, weite
Dimensionen. Ein persönlicher Weg, der anfänglich komplett unbekannt war, sich rückbblickend als folgerichtig
zeigt und wieder ins unbekannte Offene weiterführt.

"Bambus soll man blasen, und der fragt, soll schweigen und den Mund schliessen."

(Alle Zitate aus: Hitori Mondô von Hisamatsu Fûyô in Gutzwiller: Die Shakuhachi der Kinkoschule, Bärenreiter
1983)

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