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6/19/23, 11:24 PM Ukraine-Krieg und China: Experten plädieren für mehr Realismus

INTERVIEW

«Unabhängig vom Ausgang des Ukraine-Kriegs


werden Staaten daran erinnert, wie wertvoll
Atomwaffen sind»
Sie waren in ihren Ländern prägende Aussenpolitiker, wirkten beide
als Botschafter in Russland und können nach ihrer Pensionierung
freier sprechen. Im Gespräch mit der NZZ plädieren der Brite Sir
Tony Brenton und der Singapurer Bilahari Kausikan angesichts der
geopolitischen Verschiebungen für mehr westlichen Realismus.
Philipp Wolf, Peter A. Fischer
03.04.2023, 11.00 Uhr

Sir Tony Brenton (links) und Bilahari Kausikan: «Wenn man sich die ganze
Vorgeschichte anschaut, fühlt es sich irgendwie an, als wäre die heutige
Situation unvermeidlich gewesen.»
Karin Hofer / NZZ

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Sir Tony, Herr Kausikan, Sie dienten beide für Ihr Land als
Botschafter in Moskau. Russland führt seit über einem Jahr
einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Inwiefern sind Sie
überrascht, dass es so weit gekommen ist?

Sir Tony Brenton: Ich glaube nicht, dass es so weit hätte


kommen müssen. Auf dem Weg hierhin gab es
verschiedene Wendepunkte. Wir im Westen haben
Russland in gewissem Masse falsch behandelt und falsch
verstanden. Klügere Diplomatie auf beiden Seiten hätte
dies verhindern können. Ich bin überrascht, da niemand,
den ich kenne, dachte, Putin könnte dumm genug sein,
die Ukraine anzugreifen. Aber wenn man sich
gleichzeitig die ganze Vorgeschichte anschaut, fühlt es
sich irgendwie an, als wäre die heutige Situation
unvermeidlich gewesen.

Wann und wie hat denn Ihrer Ansicht nach der Westen
falsch gehandelt?

Bilahari Kausikan: Ich stimme Sir Tony zu, aber aus


anderen Gründen. Ich war Ende 2013 in Kiew, wenige
Wochen bevor die Proteste in Gewalt umschlugen. Ich
musste an den Volksaufstand in Ungarn 1956 denken, der
damals von der Sowjetarmee niedergeschlagen wurde.
Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Russland der
Ukraine erlauben würde, sich derart von ihm
wegzuorientieren. Eine Reaktion Russlands war
vorprogrammiert. Deshalb war es unverantwortlich von
den Europäern, die Ukrainer zu ermuntern, sich dem
Westen zuzuwenden, ohne gleichzeitig die Mittel zu
haben, Russland von einer Reaktion abzuschrecken.
Wladimir Putin hat nun auf eine sehr fragwürdig

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«putineske» Weise geantwortet, aber ich denke, jeder


russische Präsident hätte in gewissem Masse reagiert.

Sir Tony Brenton: In der westlichen Presse wird alles


immer wieder auf die Person Putin reduziert. US-
Präsident Biden sagte vor kurzem in Polen, «Putin
könnte diesen Krieg sofort beenden.» Ich glaube nicht,
dass das stimmt. Putin repräsentiert eine im Kreml und
darüber hinaus weitverbreitete Meinung, die Ukraine sei
quasi ein natürlicher Teil Russlands, eng mit Russland
verbunden oder gar Russland untergeordnet. Und die
Hinwendung der Ukraine in Richtung Nato sei ein vom
Westen organisierter Versuch, diesen integralen
Bestandteil der «slawischen Welt» wegzunehmen.
Deshalb heissen viele Russinnen und Russen gut, was
Putin tut.

Aber selbst wenn dem so sein sollte, kann Russland als


gefallene Kolonialmacht doch nicht kurzerhand
souveränen Staaten jegliches Selbstbestimmungsrecht
absprechen, bloss weil es diese als seine früheren
Herrschaftsgebiete betrachtet.

Sir Tony Brenton: Ich verstehe die moralische Grundlage


dieses Arguments, aber wenn man Aussenpolitik
betreibt, muss man mehr berücksichtigen als die blosse
Frage: Ist das jetzt moralisch oder unmoralisch? Man
muss auch die möglichen Auswirkungen auf die
Grossmächte berücksichtigen. Der Entscheid, ob die
Ukraine der Nato beitritt, ist auch ein Entscheid der
Nato.

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Also liegt der Fehler bei der ehemaligen Bundeskanzlerin


Angela Merkel, die sich in ihrer Zeit gegen einen Beitritt der
Ukraine zur Nato ausgesprochen hatte?

Sir Tony Brenton: Der entscheidende Moment war der


Nato-Gipfel in Bukarest 2008, als ich noch Botschafter in
Moskau war. Bill Burns, der damalige US-Botschafter in
Moskau und heutige Chef der CIA, und ich rieten
unseren Regierungen davon ab, die Ukraine in die Nato
aufzunehmen. Burns beschrieb einen möglichen Beitritt
der Ukraine als «roteste von roten Linien für Russland».
Doch die US-Regierung sprach sich dennoch für einen
Beitritt aus, während Deutschland und Frankreich
dagegen waren. Und so resultierte aus dem Gipfel
lediglich eine Erklärung, dass die Ukraine dereinst der
Nato beitreten würde, aber kein Membership-Action-
Plan. Das war ein riesiger Fehler des Westens und ein
rotes Tuch für den russischen Stier. Wenn der Krieg in
der Ukraine dereinst zu Ende geht, wird es westliche
Sicherheitsgarantien brauchen.

Bilahari Kausikan: Aus meiner Sicht wurde der


fundamentale Fehler bereits früher begangen, als die
Ukraine 1994 das Budapester Memorandum
unterzeichnete. Damit verzichtete sie freiwillig auf ihr
Atomwaffenarsenal im Gegenzug für russische
Sicherheitsgarantien. Doch was ist eine Garantie wert,
wenn einem die Mittel fehlen, sich selbst zu verteidigen?
Ein blosses Stück Papier. Man sollte seine Zukunft nicht
einem Stück Papier anvertrauen. Warum bloss glaubten
die Ukrainer den Unterzeichnerstaaten, einschliesslich
jenem, von dem sie sich am meisten bedroht fühlten? Ich
wurde von Nordkoreanern immer wieder gefragt, warum
die Ukrainer das getan haben.

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Sir Tony, 2014, nachdem Russland die Krim annektiert


hatte, sagten Sie, manchmal müssten kleinere Länder
gegenüber grösseren einfach nachgeben. Meinten Sie, die
Ukraine hätte von Beginn weg nachgeben sollen?

Sir Tony Brenton: Mit meiner Aussage nach der


Annexion bezog ich mich auf den am wenigsten
destruktiven Weg aus dieser Krise. Natürlich war
Russlands Annexion illegal und unerhört, doch war
sogleich deutlich, dass die Russen die Krim nicht wieder
hergeben würden, ausser sie würden vernichtend
geschlagen. Nun stellt sich die Frage: Unterstützt der
Westen die Ukraine bei dem Versuch, Russland eine solch
vernichtende Niederlage zuzufügen?

Wäre das nun nicht das beste Ergebnis?

Bilahari Kausikan: Nicht, wenn es in einem dritten


Weltkrieg endet.

Sir Tony Brenton: Alternativ auch nicht, wenn Russland


als Folge der Niederlage auseinanderbrechen würde und
man sich plötzlich mit einem halben Dutzend nuklear
bewaffneter Staaten konfrontiert sähe.

Sie sagen also, weil Russland über Atomwaffen verfügt, darf


man es nicht an den Rand einer schmerzhaften Niederlage
bringen?

Sir Tony Brenton: Ja. Und unabhängig vom


Kriegsausgang werden Staaten durch diesen Krieg daran
erinnert, wie wertvoll Atomwaffen sind. Denn niemand

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will in einen direkten Krieg mit einer Atommacht


geraten.

Man könnte auch argumentieren, dass der Ukraine-Krieg


die Grenzen von Atomwaffen aufzeigt, weil man sie sowieso
nicht einsetzen kann.

Bilahari Kausikan: Das stimmt. Aber dieses Argument


ist im Kontext des Ukraine-Kriegs trotzdem falsch.

Sir Tony Brenton: Ja, Atomwaffen einzusetzen, wäre


höchstwahrscheinlich nicht zielführend. Aber ihre
schiere Existenz macht einen sehr konkreten
Unterschied.

Bilahari Kausikan: Der Ukraine-Krieg hat dem


Atomwaffensperrvertrag den Gnadenstoss versetzt. Er
lag schon im Sterben, nun müssen wir ihn nur noch
anständig beerdigen.

Schon 2014 sagten Sie, Sir Tony, der Westen müsste seine
eigenen Interessen wahren. Was sind denn heute Ihrer
Ansicht nach die Interessen des Westens, und wie können
diese gewahrt werden?

Sir Tony Brenton: Putin muss den Krieg verlieren. Wir


können nicht in einer Welt leben, in der stärkere Länder
schwächere ungestraft angreifen können. Gleichzeitig
braucht man einen Kriegsausgang, der nicht zu einem
«Weimar-Russland» führt, ein besiegtes, blossgestelltes,
wütendes, nuklear bewaffnetes Russland. Wir müssen
einen Weg finden, um Russland wieder einzubinden. Das

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wird schwierig sein, solange Putin noch an der Macht ist,


doch der Westen muss Russland irgendeine Garantie
geben, dass dessen Sicherheit nicht bedroht ist. Wir
müssen uns bewusst werden, dass auch die Russen
solche Garantien brauchen. Sie müssen verstehen, dass
die Nato nicht Gewehr bei Fuss an ihrer Grenze steht.

Bilahari Kausikan: Ich sehe gerade keinen Weg, wie das


gelingen könnte. Deshalb glaube ich aber auch, dass es
nichts bringt, Russland jetzt aus möglichst vielen
Organisationen auszuschliessen. Selbst ohne
offensichtlichen Weg vorwärts muss man die
Kommunikationskanäle offenhalten.

Sir Tony Brenton (links): «Das Hauptziel der US-Sicherheitsstrategie ist es,
beständig einen kompetitiven Vorteil gegenüber China zu bewahren.»
Karin Hofer / NZZ

Hat der Westen Russland verloren?

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Sir Tony Brenton: Vorerst, ja. Stattdessen wendet sich


Russland China zu und wird zu dessen Juniorpartner.
Und das gerade in einer Zeit, in der sich der nächste
Grossmachtkonflikt anbahnt: die USA gegen China.

Bewegen wir uns ähnlich wie im Kalten Krieg wieder auf


eine zweigeteilte Welt zu, in der der eine Teil von den USA
und der andere von China geführt wird?

Bilahari Kausikan: Diese binäre Sicht ist viel zu simpel,


ebenso wie die Analogien zum Kalten Krieg. Die
Chinesen würden es vielleicht nicht zugeben, aber sie
sind Teil einer von den USA geführten Welt. Das grösste
Wirtschaftswachstum erlebte China, als die liberale,
amerikanisch geführte Weltordnung unangefochten war.
Jene Periode war in gewisser Weise eine Täuschung, denn
ich glaube, Wettbewerb und Konflikt sind normaler als
deren Abwesenheit.

Und deshalb sehen Sie China nicht als eine existenzielle


Bedrohung für die Weltordnung?

Bilahari Kausikan: Ja, denn China ist Teil ebendieser


Weltordnung. Zwar betont es gewisse Teile dieser
Ordnung mehr als andere, aber das machen wir
Singapurer beispielsweise ja auch. Singapur legt einen
viel stärkeren Fokus auf die wirtschaftlichen
Bestandteile als auf die politischen Aspekte der liberalen
Ordnung. Und bei den politischen Aspekten finden wir
jene wichtig, die das Internationale betreffen, während
wir andere politische Aspekte als Eingriff in unsere
inneren Angelegenheiten ansehen. Deshalb bin ich der
Meinung, dass die derzeitige Weltordnung zwar unter

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Druck steht, aber nicht zerfällt. China möchte die


Weltordnung vielleicht dominieren, aber das ist etwas
ganz anderes, als sie ändern zu wollen.

Sir Tony Brenton: Ich halte die Vergleiche mit dem


Kalten Krieg auch für zu einfach, aber ich bin weniger
optimistisch als Herr Kausikan, was die Nachhaltigkeit
der gegenwärtigen Weltordnung angeht.

Sie denken, dass China das System grundlegend verändern


will?

Sir Tony Brenton: Ich glaube, China würde das System


sehr gerne verändern. Ich glaube, dass die liberale
Weltordnung bereits daran ist, «auszufransen», und
zwar schneller, als dies manche Leute zugeben wollen.
Kanada verbietet seinen Staatsangestellten die
Benutzung von Tiktok, Apple bereitet sich darauf vor,
vermehrt in Indien statt in China zu produzieren. Es
sieht so aus, als würde das gegenwärtige System in zwei
Systeme ausfransen, die zweifellos noch verflochten sind,
aber viel weniger, als dies heute noch der Fall ist.

Gewisse Kreise in den USA möchten China daran hindern,


sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Ist das eine
vernünftige Strategie?

Bilahari Kausikan: Nein, nicht einmal aus


amerikanischer Sicht ist diese Strategie vernünftig. Und
ohnehin ist es dazu schon zu spät. Wir verwenden zu viel
Zeit darauf, uns vor den Folgen eines aufsteigenden
Chinas für die internationale Ordnung zu fürchten. Wir
sollten etwas mehr Zeit darauf verwenden, darüber

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nachzudenken, wie sich China verhalten könnte, wenn es


seinen Peak bereits erreicht hat und frustriert ist.

Sir Tony Brenton: Das Hauptziel der US-


Sicherheitsstrategie ist es, beständig einen kompetitiven
Vorteil gegenüber China zu bewahren. Zu diesem Zweck
versuchen die USA eine demokratische Koalition gegen
China zu bilden, beispielsweise bei der Halbleiter-
Technologie.

Die USA fordern Länder immer offener dazu auf, sich an


ihrer Seite gegen China zu verbünden. Werden kleinere
Länder wie die Schweiz oder Singapur irgendwann Stellung
beziehen müssen?

Bilahari Kausikan: Nicht einmal die engsten Partner der


USA, beispielsweise Japan und Australien in Ostasien,
werden sich dazu entscheiden, sich gänzlich von China
zu entkoppeln. Für niemanden ist es eine binäre Wahl,
leider hat uns der Kalte Krieg dazu konditioniert,
fälschlicherweise zu denken, es sei eine solche. Doch die
Dinge sind heute viel komplizierter, multipolarer, und
das ist die gute Nachricht für Länder wie Singapur und
die Schweiz, denn die Komplexität bietet uns
strategische Autonomie.

Sie sehen die Welt als multipolar, nicht bipolar?

Bilahari Kausikan: Wir leben bereits in einer


multipolaren Welt. Das muss aber nicht heissen, dass alle
Pole gleich gross sind.

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Bilahari Kausikan (rechts): «Chinas Friedensplan ist ein Versuch, zu sehen,


wie dumm der Rest der Welt ist.»
Karin Hofer / NZZ

Ob bipolar oder multipolar, halten Sie eine


Neutralitätspolitik in der heutigen Welt noch für sinnvoll?

Bilahari Kausikan: Neutralität darf einfach nicht


bedeuten, sich wegzuducken und zu hoffen, dass man
nicht gesehen wird. Neutralität bedeutet für mich, die
eigenen Interessen zu kennen und die Fähigkeiten zu
haben, diesen Interessen zu folgen, wo immer sie auch
hinführen mögen. Manchmal führen sie auf einen Pfad,
der sich den USA zuneigt, manchmal aber auch China
oder Europa.

Wie wird das Ganze für die USA und China ausgehen?

Bilahari Kausikan: Die beiden befinden sich auf


absehbare Zeit in einem Wettstreit. Es wird immer
wieder Momente grosser Spannungen geben, doch

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keiner der beiden wird absichtlich einen Krieg beginnen,


denn die andere Seite besitzt Atomwaffen.

Und was wird aus Russland?

Bilahari Kausikan: Russland wird von China


willkommen geheissen, weil es keinen anderen Partner
von vergleichbarer Grösse hat. Doch gleichzeitig befindet
sich China deshalb auf absehbare Zeit in einer Situation,
um die es niemand beneidet.

Ist Chinas Friedensplan ein Versuch, aus dieser Situation zu


entkommen?

Bilahari Kausikan: Es ist ein Versuch, zu sehen, wie


dumm der Rest der Welt ist.

Sir Tony Brenton: China will konstruktiv aussehen, ohne


es tatsächlich zu sein.

Wird China Russland militärisch unterstützen?

Sir Tony Brenton: China möchte eine Demütigung


Russlands verhindern. Es möchte, dass Russland auf
China ausgerichtet bleibt, und will eine Orientierung in
Richtung USA verhindern. Und ein
auseinanderbrechendes Russland wäre für China ein
Albtraum.

Bilahari Kausikan: Ich weiss nicht, ob China Waffen


liefern wird, aber ich stimme Sir Tony zu, dass China

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möchte, dass Russland überlebt, denn es ist der einzige


Partner, den China hat.

Zu den Personen

Sir Tony Brenton beschäftigte sich in Moskau


zwischen 1994 und 1998 mit wirtschaftlichen
Reformen. Zwischen 2004 und 2008 wirkte er
als Botschafter Grossbritanniens in Moskau.
Seit 2009 ist Sir Tony Brenton Fellow am
Wolfson College der University of Cambridge.

Bilahari Kausikan erlebte die Sowjetunion in


den 1970er Jahren als Sohn eines Diplomaten.
1994 und 1995 war Kausikan Singapurs
Botschafter in Russland. Kausikan amtete
später als Sonderbotschafter im
Aussenministerium. Zwischen 2001 und 2013
war er zunächst Zweiter Staatssekretär und
dann Ständiger Sekretär des
Aussenministeriums. Heute ist Kausikan
Vorsitzender des Middle East Institute der
National University of Singapore.

Sir Tony Brenton und Bilahari Kausikan weilten


auf Einladung der Asia Leaders Series in der
Schweiz, einem neutralen Forum, das dem
Dialog von einflussreichen Persönlichkeiten in
Europa und Asien verpflichtet ist.

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