SCHLEICHENDE (крадущийся) ENERGIEKRISE (энергетический

кризис)

Gerd Held

Der Ausstieg (отказ) aus der Kernenergie war schnell beschlossen, obwohl über die
Alternativen noch keine Klarheit herrschte. Jetzt geht die
„Energiewende“(преобразование энергетики, новая энергетическая политика) ins
zweite Jahr, und es wird immer deutlicher, dass sie nicht gelingt

Wenn auf einer Baustelle (строительная
площадка) der Wurm drin ist (что-то
неладно), dann zeigt sich (обнаруживаться)
das selten in einem einzigen Ruck (рывок,
толчок), mit dem alles zum Stillstand kommt
(остановиться). Meistens gibt es kleinere,
verstreute (разобщённый) Anzeichen
(признак). So lässt sich heute die Lage auf der
Baustelle „Energiewende“ beschreiben, die vor
Kurzem noch als Vorhaben (план, намерение)
von historischer Bedeutung gepriesen
(восхвалять, превозносить) wurde. Die
großen Ankündigungen (объявления) sind
verstummt (прекращать). An ihre Stelle treten
fast täglich Meldungen, die von Verzögerungen
(замедления), Verteuerungen (рост цен) und
Technologielücken (технологический разрыв)
berichten.
Der Offshore-Bau (строительство вне
суши, в море) von Windrädern (ветровые
колёса) und Leitungen (трубопровода) in der
Nordsee gestaltet sich (развиваться)
schwieriger als gedacht und liegt weit hinter
Plan. Zu Lande (на земле) gibt es bisher nicht
einmal (даже не) einen ersten Trassenvorschlag
für das „große Netz“. Da die Aromkraftwerke
großenteils (по большей части) abgeschaltet
(выключить) wurden und die erneuerbaren
Energien die Lücke (разрыв) nicht annähernd
(и близко) füllen können, kehren die fossilen
Energieträger wieder. Bauanträge (заявления о
выдаче разрешения на строительство) für
neue Kohle-(теплоэлектростанции,
работающие на угле) und vor allem
Gaskraftwerke (теплостанции, работающие
на газе) liegen vor (иметься), in Brandenburg
wird die Lösung „Braunkohle (бурый уголь)
und Windenergie“ verkündet (объявлять).
Schon werden schlechtere Zahlen beim
Klimaschutz gemeldet. Gleichzeitig gibt es fast
täglich Nachrichten über höhere Preise bei
Strom, Gas, Heizöl (мазут) und Benzin. Ein
Ende ist nicht in Sicht (перспектива). Die
Wärmedämmung (теплоизоляция) an
Gebäuden kommt nicht voran (продвигаться),
weil niemand weiß, wer die immensen Kosten
(огромные расходы) stemmen (поднять) kann
– ein Bundesgesetz (федеральный закон) mit
sehr blauäugigen (наивный) Ziel-vorgaben ist
wegen der teuren Folgen für die Länder
gestoppt. Und für das viel gerühmte
(восхваляемый) Elektroauto (электромобиль)
war 2011 ein Jahr der Ernüchterung
(разочарование).
Es ist an der Zeit, einmal ein Gesamtbild
der Lage zu zeichnen. Der Chefökonom der
Internationalen Energieagentur
(Международное энергетическое агентство),
Fatih Birol, hat in seinem Weltenergieausblick
die Entwicklung (перспектива на развитие
мировой энергетики) „viel pessimistischer als
vor einem Jahr“ beurteilt. Im weltweiten
Gesamtkraftwerk, das die Enrgieversorgung
(энергоснабжение) unserer Zivilisation leisten
(выполнять) muss, nehmen die Spannungen
(натянутые отношения) zwischen den Zielen
Bezahlbarkeit (способность оплачивать),
Versorgungssicherheit (надёжность
энергоснабжения), Katastrophenabwehr
(защита от катастроф) und Klimaschutz zu.
Die Konferenz von Durban zeigte, dass das
Misstrauen gegen wohlfeile (дешёвый)
Patentlösungen (наилучшее решение)
gewachsen ist.
Die „Energiewende“ ist ein schönes Wort:
Die Bezeichnung „Wende“ suggeriert
(внушать) ein leichtes Umschalten
(переключение) wie von Zauberhand (как по
волшебству) und einen schnellen Wandel.
Doch zeigt die Technikgeschichte, dass das
Energiesystem (энергосистема) zu den
langsamsten Strukturen der Entwicklung gehlrt.
Eine „Wende der Energie“ ist ein Widerspruch
(противоречие) in sich – eine ganz und gar
ideologische Konstruktion, die keine
Kilowattstunde (киловатт-час) produziert. In
der Realität baut sich gegenwärtig eine
weltweite Energielücke (дефицит энергии)
auf. Der Mangel frisst sich mehr oder weniger
schnell in die verschiedenen Volkswirtschaften
und in das Alltagsleben der Haushalte.
Von Beginn an (с самого начала) ist die
Energiewende mit dem Anspruch (требование)
aufgetreten, für etwas ethisch Höherwertiges
(поливалентный) zu stehen (ручаться,
отвечать). Die Verlautbarungen (сообщения)
der von der Regierung einberufenen
(созванный) „Ethik-kommission“ erweckten
(вызывать) den Eindruck, die Wende sei die
einzige Lösung, die überhaupt eine moralische
Qualität beanspruchen (требовать) dürfe. Alle
anderen Lösungen seien bloß am schnöden
(недостойный) Nutzen und ökonomischen
Gewinn orientiert. Dabei gab es von vornherein
(сразу, с самого начала) eine gedankliche
(мысленный) Schieflage (кризис). Man setzte
– in der Erregung (волнение) nach dem
Fukushima-Unfall – das sogenannte Restrisiko
(остаточный риск) absolut und zog die
Konsequenz (сделать выводы), dass damit die
Kernenrgie auch als Übergangslösung
(временная мера) auf dem Weg in ein anderes
Energiesystem erledigt sei.
Doch die Beschwörung des Restrisikos
überging die Frage, was denn an die Stelle der
Kernenergie-Brücke treten sollte. Die Gefahr
einer Katastrophe machte die erneuerbaren
Energien ja nicht automatisch produktiver.
Doch die „Ethikkommission“ befasste sich gar
nicht ausführlich mit dem Entwicklungsstand
(уровень развития) alternativer
Energieversorgung.
Ihre Aussagen waren hier ausgesprochen
vage (неясно), während sie sich zum AKW-
Abschalten auf eine Vorgabe (норма) von
Jahreszahlen (дата) festlegte. Das war ein
merkwürdiges (странный), rein negatives
Verständnis von Ethik, eine Ethik des
Abwehrens. Nun aber kehrt die verdrängte
Frage nach konstruktiven Lösungen zurück.
Frühzeitig (преждевременно) hat es Stimmen
gegeben, die darauf hinwiesen, dass es neben
dem Risiko großer AKW-Unfälle noch ein
anderes Großrisiko gibt: eine schleichende
Krise der weltweiten Energieversorgung. Sie
entsteht, wenn die verfügbare Breite von
Energieträgern durch ein einseitiges Abschalten
eingeschränkt und das so verkleinerte
Gesamtkarsftwerk überlastet wird.
Dem zu widerstehen und sich auch von
großen Unfällen nicht von ihrer konstruktiven
Aufgabe ablenken zu lassen ist eine ethische
Pflicht der Menschen – insbesondere in den
entwickelten Ländern. Kurz: Der Atomausstieg
ist moralisch sehr fragwürdig (сомнительный).
Er ist es auch aus einem konkreten historischen
Grund. Die Welt befindete sich demografisch in
einer Über-gangsphase. Es wird wohl noch ein
Jahrhundert dauern, bis sich die damit
verbundenen, sprunghaften (скачкообразный)
Veränderungen stabilisiert haben.
Für diese Zeitspanne (промежуток времени)
brauchen wir Übergangs-lösungen und
Provisorien (временные меры). Auf absehbare
Zeit (в обозримом будущем) ist nicht der
historische Moment für große Ausstiege. Die
Ideologie der „Wende“ passt nicht ins 21.
Jahrhundert.
Ob es in der Bundesregierung hier einen
Selbstzweifel gibt? Das wäre wohl überrieben.
Eher zeigt sie eine merkwürdige Passivität auf
ihrer Großbaustelle (крупная стройка). Man
könnte erwarten, dass die zuständigen Minister
im Kabunett angesichts der drängenden
Probleme einen operativen Stab einrichten –
eine Taskforce (рабочая группа)
„Energiewende“. Doch nichts dergleichen
(ничего подобного) geschieht. Als es um das
Abschalten der Atomkraftwerke ging, schuf
man in kürzester Zeit vollendete Tatsachen.
Jetzt geht es um die Durchsetzung
(осуществление) von Umbaumaßnahmen
(мероприятия по реконструкции), und man
zieht sich ins zweite Glied zurück. Statt
exemplarisch Probleme und Konflikte vor Ort
durchzustehen (переживать), gibt es eine neue
Volte (поворот) ins Grundsätzliche. Das
Neueste ist ein „Masterplan“, den der
Bundesumweltminister vorschlug. Die
Herausforderung, so Norbert Röttgen, liege „in
der Verknüpfung der verschiedenen
Handlungsebenen.“ Das ist das bekannte
Vokabular der Problemverwaltung, das nun
auch unsere Energieversorgung regieren will.
Währenddessen (тем временем) steigen die
Preise – und bei den Energieversorgern häufen
sich (накапливаться) die Schwierigkeiten.
(Aus: Die Welt, 17.01.20012)