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AGILES

PROJEKTMANAGEMENT
DLMIEEAPM01_D
AGILES PROJEKTMANAGEMENT
IMPRESSUM

Herausgeber:
IU Internationale Hochschule GmbH
IU International University of Applied Sciences
Juri-Gagarin-Ring 152
D-99084 Erfurt

Postanschrift:
Albert-Proeller-Straße 15-19
D-86675 Buchdorf
media@iu.org
www.iu.de

DLMIEEAPM01_D
Versionsnr.: 001-2023-0214
Thomas Winkle

© 2023 IU Internationale Hochschule GmbH


Dieser Lehrbrief ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.
Dieser Lehrbrief darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU
Internationale Hochschule GmbH nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elekt-
ronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen
bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen.
Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement-
sprechende Nachricht.

2
PROF. DR. MARTIN BARTH

Herr Barth ist seit 2021 Professor für Projektmanagement im Fachgebiet Wirtschaft und
Management an der IU Internationale Hochschule.

Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und


promovierte anschließend an der Wirtschaftsuniversität Bratislava im Bereich vertikaler, indi-
rekter Post-Merger-Integrationen. Seine berufliche Laufbahn begann Herr Barth als Projekt-
manager bei der KUKA Systems GmbH. Nach anschließend mehrjähriger Tätigkeit als Fach-
projektleiter für den Porsche Werkzeugbau, übernahm er im Jahr 2018 die Leitung des
Bereichs Fachprojektmanagement bei der Porsche Werkzeugbau GmbH.

In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt sich Herr Barth mit Fragen zu vertikalen, indirekten
Post-Merger-Integrationsprozessen. Unter anderem untersucht er die Einflüsse spezifisch
abgegrenzter Integrationsvorgänge, sowohl aus intraorganisationaler als auch aus interorga-
nisationaler Ressourcensicht.

3
INHALTSVERZEICHNIS
AGILES PROJEKTMANAGEMENT

Wissenschaftliche Kursleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Einleitung
Wegweiser durch das Studienskript . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Basisliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Pflichtliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Übergeordnete Lernziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Lektion 1
Grundlagen der agilen Methoden im Projektmanagement 15

1.1 Definition und Bedeutung von agilen Methoden im Projektmanagement . . . . . . . . . . 18


1.2 Das Agile Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.3 Die agilen Werte und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Lektion 2
Traditionelle und agile Ansätze des Projektmanagements 31

2.1 Traditionelle Ansätze des Projektmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33


2.2 Agile Ansätze im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.3 Vergleich von traditionellem und agilem Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Lektion 3
Agiles Projektmanagement mit Scrum 47

3.1 Scrum-Werte und -Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48


3.2 Scrum-Rollen, -Ereignisse und -Artefakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.3 Anwendungsbereiche von Scrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Lektion 4
Agiles Projektmanagement mit Kanban 59

4.1 Kanban-Werte und -Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61


4.2 Kanban-Tafeln und -Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.3 Anwendungsbereiche von Kanban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

4
Lektion 5
Implementierung von Agile im Unternehmen 69

5.1 Implementierung von agilen, wertorientierten Lieferstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70


5.2 Erstellen einer effektiven agilen Product-Roadmap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5.3 Coaching eines agilen Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Lektion 6
Ausweitung von Agile auf das gesamte Unternehmen 83

6.1 Agile-at-Scale-Praktiken im gesamten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84


6.2 Agiles Portfoliomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.3 Scaled Agile Framework (SAFe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Verzeichnisse
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

5
EINLEITUNG
HERZLICH WILLKOMMEN
WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT

Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript ste-
hen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit
deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese
Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntyp-
spezifische Anforderungen Rücksicht nehmen.

Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion
aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen
inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem
bereits vorhandenen Wissen hinzufügen.

In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes.
Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie
die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben.

Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lern-
plattform unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein
direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden,
wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht
auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen.

Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte
die abschließende Evaluierung des Kurses durch.

Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und
inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den
Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män-
ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht
zuordnen wollen oder können.

8
BASISLITERATUR
Schwaber, K. & Sutherland, J. (2020). Der Scrum Guide. Der gültige Leitfaden für Scrum: Die
Spielregeln. Scrum.org. (im Internet verfügbar)

Winkle, T. (2022). Product Development within Artificial Intelligence, Ethics and Legal Risk.
Exemplary for Safe Autonomous Vehicles. Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iu
bh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.52171&site=eds-live&scop
e=site

9
PFLICHTLITERATUR
LEKTION 1

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 9–57). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.asp
x?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&scope
=site

Winkle, T. (2022). Product Development within Artificial Intelligence, Ethics and Legal Risk.
Exemplary for Safe Autonomous Vehicles (S. 111–123). Springer. http://search.ebscohos
t.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.52171&site=e
ds-live&scope=site

LEKTION 2

Kusay-Merkle, U. (2018). Agiles Projektmanagement im Berufsalltag. Für mittlere und kleine


Projekte (S. 17–50). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.asp
x?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.36801&site=eds-live&scope=site

Winkle, T. (2015). Entwicklungs- und Freigabeprozess automatisierter Fahrzeuge. Berück-


sichtigung technischer, rechtlicher und ökonomischer Risiken. In M. Maurer, C. Gerdes,
B. Lenz & H. Winner (Hrsg.), Autonomes Fahren – Technische, rechtliche und gesell-
schaftliche Aspekte (S. 627–629). Springer Verlag. http://search.ebscohost.com.pxz.iub
h.de:8080/login.aspx?direct=true&db=edsdob&AN=edsdob.20.500.12854.26414&site=
eds-live&scope=site

LEKTION 3

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 135–154). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.
aspx?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&sc
ope=site

Bundesgerichtshof. (2009). Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers, 16.06.2009, Aktenzei-


chen VI ZR 107/08. (im Internet verfügbar)

10
LEKTION 4

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 154–156). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.
aspx?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&sc
ope=site

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 18–24). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

LEKTION 5

Kusay-Merkle, U. (2018). Agiles Projektmanagement im Berufsalltag. Für mittlere und kleine


Projekte (S. 161–170). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.a
spx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.36801&site=eds-live&scope=site

Winkle, T. (2015). Entwicklungs- und Freigabeprozess automatisierter Fahrzeuge: Berück-


sichtigung technischer, rechtlicher und ökonomischer Risiken. In M. Maurer, C. Gerdes,
B. Lenz & H. Winner (Hrsg.), Autonomes Fahren – Technische, rechtliche und gesell-
schaftliche Aspekte (S. 611–635). Springer Verlag. http://search.ebscohost.com.pxz.iub
h.de:8080/login.aspx?direct=true&db=edsdob&AN=edsdob.20.500.12854.26414&site=
eds-live&scope=site

LEKTION 6

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 202–206). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.
aspx?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&sc
ope=site

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 35–81). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

11
WEITERFÜHRENDE
LITERATUR
LEKTION 1

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 59–206). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.a
spx?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&sco
pe=site

Wysocki, R. K (2019). Effective Project Management. Traditional, Agile, Extreme (7. Aufl.,
S. 3–114) Wiley Publ. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct
=true&db=cat05114a&AN=ihb.48703&site=eds-live&scope=site

LEKTION 2

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 11–14). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

Schwaber, K. & Sutherland, J. (2020). Der Scrum Guide. Der gültige Leitfaden für Scrum: Die
Spielregeln (S. 1–18). Scrum.org. (im Internet verfügbar)

LEKTION 3

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 18–24). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

Schwaber, K. & Sutherland, J. (2020). Der Scrum Guide. Der gültige Leitfaden für Scrum: Die
Spielregeln (S. 1–11). Scrum.org. (im Internet verfügbar)

12
LEKTION 4

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 24–31). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

Schwaber, K. & Sutherland, J. (2020). Der Scrum Guide. Der gültige Leitfaden für Scrum: Die
Spielregeln (S. 1–18). Scrum.org. (im Internet verfügbar)

LEKTION 5

Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement. Agilität und Scrum im klassischen Projektum-


feld (2. Aufl., S. 207–260). Haufe. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.
aspx?direct=true&db=edshbz&AN=edshbz.DE.605.HBZ01.036582020&site=eds-live&sc
ope=site

Winkle, T. (2020). Requirements to Develop Safe Automated Vehicles. A Dilemma between


Innovation and Consumer Protection [unveröffentlichte Dissertation, S. 1–192] Techni-
sche Universität München. (im Internet verfügbar)

LEKTION 6

Schiefer, D. (2022). Agile Skalierungsframeworks in der Theorie und Praxis Einsatzgebiete


und Grenzen im Vergleich (S. 7–122). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.d
e:8080/login.aspx?direct=true&db=edsvle&AN=edsvle.AH40340651&site=eds-live&sco
pe=site

Winkle, T., Erbsmehl, C. & Bengler, K. (2018). Area-Wide Real-World Test Scenarios of Poor
Visibility for Safe Development of Automated Vehicles, European Transport Research
Review, Journal (S. 1–15). Springer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/log
in.aspx?direct=true&db=edssjs&AN=edssjs.83729255&site=eds-live&scope=site

13
ÜBERGEORDNETE
LERNZIELE
Der Kurs Agiles Projektmanagement zeigt, wie agile Methoden die Entwicklung und
Bereitstellung eines Produkts beschleunigen können. Dies geschieht durch die Aufteilung
von Aufgaben und Dienstleistungen in kurze Arbeitsphasen mit häufigen Neubewertungen
und Anpassungen der Pläne. Ursprünglich wurde die agile Methodik nur für die Software-
programmierung verwendet. Heute werden agile Methoden in einer Vielzahl von
Geschäftsbereichen eingesetzt.

Bei der Anwendung auf das Projektmanagement trägt die agile Methode zu einer flexible-
ren Planung, einer schnelleren Ermittlung der Anforderungen und einer effektiveren
Durchführung eines Projekts bei.

Das Konzept von „Agile“ basiert auf dem Agilen Manifest, das vier Schlüsselwerte und
zwölf Schlüsselprinzipien für iteratives und menschenzentriertes Projektmanagement ent-
hält.

In diesem Kurs werden die Teilnehmenden in den Rahmen des agilen Projektmanage-
ments eingeführt, wobei der Schwerpunkt auf der Rolle des Product Owners liegt. Sie ler-
nen, wie Sie die Produktvision und die Product-Roadmap entwickeln, das Projektteam
organisieren, Benutzerrollen identifizieren, User Stories schreiben und ein operatives Pro-
jektrisikomanagement aufbauen. Auf diese Weise entwickeln die Studierenden auch ein
Mindset für die agile Methodik. Der Kurs legt einen besonderen Schwerpunkt auf die
Scrum- und Kanban-Frameworks als zwei Hauptpfeiler für das agile Management von Pro-
jekten in und zwischen Organisationen.

Nach erfolgreichem Abschluss sind die Studierenden in der Lage, …

• die Bedeutung agiler Methoden für ein effizientes und effektives Management von Pro-
jekten innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu verstehen.
• die wichtigsten Merkmale traditioneller und agiler Projektmanagementansätze zu ver-
gleichen.
• die Scrum-Methodik als Grundgerüst des agilen Projektmanagements anzuwenden.
• die Kanban-Methodik als Grundgerüst des agilen Projektmanagements anzuwenden.
• agile, wertorientierte Strategien und effektive agile Produktentwicklungsmaßnahmen
im Unternehmen zu implementieren.
• die Skalierung der agilen Praktiken im gesamten Unternehmen zu beurteilen.

14
LEKTION 1
GRUNDLAGEN DER AGILEN METHODEN IM
PROJEKTMANAGEMENT

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Grundlagen agiler Methoden für ein effizientes und effektives Management zu iden-
tifizieren.
– agile Methoden bei Projekten in Unternehmen zu verstehen.
– grundlegende agile Ansätze innerhalb und außerhalb von Unternehmen anzuwenden.
1. GRUNDLAGEN DER AGILEN METHODEN
IM PROJEKTMANAGEMENT

Einführung
In den vergangenen Jahrzehnten konnten viele Unternehmen auf eine erfolgreiche Unter-
nehmensgeschichte zurückblicken. Dabei bearbeiteten erfahrene Handwerker:innen und
studierte Hochschulabgänger:innen interessante Produktideen bis zur Markteinführung
und erreichten damit für die betroffenen Shareholder beeindruckende Gewinne (Winkle,
2022).

Dabei wurde den Mitarbeitenden ein maximales Maß an Verantwortung übertragen. Die
Unternehmensprozesse wurden bis zum Exzess optimiert, standardisiert und im Weiteren
automatisiert. Jedem:jeder Mitarbeitenden ist ein Aufgabengebiet im Detail zugeordnet.
Zudem ist es spätestens seit Corona nicht mehr erforderlich, dass die Mitarbeitenden vor
Ort im Unternehmen präsent sind. Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen ein mobiles Arbei-
ten (Winkle, 2022).

Manager:innen gestalten die Prozesse in den Unternehmen und somit indirekt teilweise
auch in der Gesellschaft. Führungskräfte lernen das „Managen“ in Master-of-Business-Stu-
diengängen (MBA). Die Vorgaben und Prozesse sind geregelt, die Mitarbeitenden werden
gefördert, es gibt für Wissensarbeitende die besten Arbeitsbedingungen, die man sich vor-
stellen kann, und die Unternehmen sind hochprofitabel.

Die Stakeholder befolgen eine strukturierte kontinuierliche Kommunikation im Unterneh-


men von der ersten Produktidee bis zur Markteinführung (Winkle, 2022), wie im folgenden
Beispiel als V-Modell dargestellt:

16
Abbildung 1: Allgemeiner Entwicklungsprozess als bisheriges V-Modell von der
Produktidee bis zur Markteinführung

Quelle: Winkle, 2022, S. 113.

17
1.1 Definition und Bedeutung von agilen
Methoden im Projektmanagement
Bislang kam es immer wieder vor, dass Projekte scheiterten, und es herrschte Unzufrie-
denheit bis hin zum Burn-out von Mitarbeitenden. Schrittweise etablieren sich heute neue
Methoden. Darunter fallen auch die zunehmend häufiger genutzten Methoden nach dem
agilen Projektmanagement, auf die im weiteren Fortgang detailliert eingegangen wird.

Der Agilitätsansatz geht ursprünglich auf den Lean-Manufacturing-Ansatz eines japani-


schen Automobilherstellers zurück. Dieser verbesserte auf diese Weise seine Produktion
stetig und sparte Rohstoffe ein. Zum theoretischen Hintergrund steht zahlreiche Literatur
bezüglich der Methoden im Projektmanagement zur Verfügung (siehe auch Preußig, 2020;
Schiefer, 2022;Wysocki, 2019). Bei den meisten Projekten handelt es sich um einen kleine-
ren Umfang und sie werden nicht von „hauptamtlichen Leiter:innen“ durchgeführt.
Gleichzeitig ist die Fortbildung von Studierenden in diesem Bereich für die berufliche
Zukunft von großer Bedeutung. In diesem Kurs unterstützen praxisnahe Beispiele die
Durchführung späterer Projekte im beruflichen Umfeld.

Diese Praxis empfiehlt zunächst, wie ein Hobbymaler vorzugehen. Dazu verwendet man
einfach einen Malblock und skizziert eine Idee von einem Projekt oder einem Engagement
spontan als ersten grafischen Entwurf auf. Der erste Entwurf muss keineswegs komplett
sein. Dabei kann agiles Denken entstehen. Über diesen Entwurf kann man brüten. Dies ist
bereits ein Teil der Vorgehensweise.

Darüber hinaus sollen im Zusammenhang mit dem Management von zukünftigen Projek-
ten zusätzlich die weltweiten Nachhaltigkeitsziele erwähnt sein. Auf der Homepage der
Vereinten Nationen sind die Nachhaltigkeitsziele beschrieben:

Das Programm für das Jahr 2030 mit seinen 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Deve-
Sustainable Develop- lopment Goals (SDGs)) stellt einen weltweiten Aktionsplan zur nachhaltigen Friedensför-
ment Goals derung sowie zur Schaffung von Wohlstand und zur Erhaltung der Erde dar. Die Teilneh-
Die 17 Ziele für nachhal-
tige Entwicklung sind merländer versuchen seit dem Jahr 2016, diese gemeinschaftliche Zielsetzung der
politische Zielsetzungen Armutsbekämpfung und der Beseitigung von Ungerechtigkeiten in einzelstaatliche Ent-
der Vereinten Nationen wicklungsprogramme umzusetzen. Im Fokus stehen insbesondere die Bedürfnisse und
(UN), die weltweit eine
nachhaltige Entwicklung Prioritäten der schwächsten Bevölkerungsgruppen und Länder.
auf wirtschaftlicher, sozia-
ler und ökologischer
Ebene gewährleisten sol-
len.
DIE EINZELNEN DER 17 GESETZTEN NACHHALTIGKEITSZIELE
KONKRETISIEREN DIE VEREINTEN NATIONEN WIE FOLGT:
1. Ziel: weltweite Beendigung von Armut in allen ihren Formen

2. Ziel: Gewährleistung einer Ernährungssicherheit mit einer besseren Ernäh-


rung und Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft

18
3. Ziel: Sicherstellung für ein gesundes Leben aller Menschen jeden Alters und
Förderung des Wohlbefindens

4. Ziel: Bereitstellung hochwertiger Bildungsmöglichkeiten und Förderung von


lebenslangem Lernen (entspricht der Vision der IU International University)

5. Ziel: Erreichung der Geschlechtergleichstellung und Befähigung aller Frauen


und Mädchen zur Selbstbestimmung

6. Ziel: Verfügbarkeit sowie nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und


Gewährleistung einer ausreichenden Sanitärversorgung weltweit

7. Ziel: weltweiter Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und


moderner Energie

8. Ziel: Förderung einer weltweit menschenwürdigen Arbeit mit einem anhalten-


den nachhaltigen Wirtschaftswachstum und einer produktiven Vollbeschäfti-
gung

9. Ziel: Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur inklusive der Förderung


einer nachhaltigen innovativen Industrialisierung

10. Ziel: Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern

11. Ziel: Gestaltung sicherer, widerstandsfähiger und nachhaltiger Städte sowie


Siedlungen

12. Ziel: Unterstützung von nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern

13. Ziel: Ergreifung umgehender Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawan-


dels und seiner Auswirkungen

14. Ziel: nachhaltige Nutzung von Ozeanen, Meeren und Meeresressourcen

15. Ziel: Wiederherstellung und Schutz von Landökosystemen, Förderung einer


nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von Wäldern, Bekämpfung von Wüs-
tenbildung, Beendigung und Umkehrung der Bodenausbeutung sowie der
Erhalt der biologischen Vielfalt

16. Förderung friedlicher Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung,


Ermöglichung eines Zugangs zur Justiz für jeden sowie ein Aufbau leistungsfähi-
ger, rechenschaftspflichtiger und inklusiver Institutionen auf allen Ebenen

17. Unterstützung weltweiter Partnerschaften zur Umsetzung nachhaltiger Ent-


wicklungen in die Praxis

19
Abbildung 2: Ziele zur weltweit nachhaltigen Entwicklung „Sustainable Development
Goals“

Quelle: Vereinte Nationen, n. d.

[Der Inhalt dieser Veröffentlichung wurde nicht von den Vereinten Nationen geprüft und
gibt nicht unbedingt die Meinung der Vereinten Nationen, ihrer Beamten oder ihrer Mit-
gliedstaaten wieder.]

Versetzen Sie sich in die Situation, dass Sie nach Ihrem IU-Studienabschluss von Ihrem
Vorgesetzten aufgefordert werden, eine herausfordernde Aufgabenstellung zu überneh-
men – im Rahmen eines Projektauftrags (zum Beispiel zum Bau einer Solaranlage oder
einer Windkraftanlage zur nachhaltigen Stromerzeugung entsprechend der Vision der
SDGs):

• Vielleicht hatten Sie bereits Projekterfahrung innerhalb oder außerhalb Ihrer bisherigen
beruflichen Tätigkeiten?
• Waren Sie mit dem Verlauf beziehungsweise mit den Ergebnissen zufrieden?
• Möglicherweise hätte Ihr Projekt noch entspannter und besser verlaufen können?

Der ein oder die andere sucht zur Beantwortung dieser Fragen im Internet nach Begriffen
wie: „Projektmanagement“, „Fortbildung“, „Methode“ oder „Werkzeug“ usw.

Nachfolgend ein Beispiel für eine Definition des Begriffs „Projektmanagement“, von der
auch hier im Skript ausgegangen wird:

20
MERKE
Das Projektmanagement bezieht sich auf die Initiierung, Planung, Steuerung,
Überwachung und den Abschluss von Projektvorhaben. Dabei sind viele Begriff-
lichkeiten und Vorgehensweisen im Projektmanagement festgelegt und verein-
heitlicht.

Zur Abgrenzung ist zu erwähnen, dass das komplementäre Pendant zum Projektmanage-
ment das Prozessmanagement darstellt. Dieses vereinheitlicht und gliedert Handlungsab-
läufe, die sich an der effizienteren Erreichung von unternehmerischen Zielen orientieren,
die nicht in der Gestalt von „Projekten“ abgewickelt werden. Somit kann Projektmanage-
ment als spezieller Anwendungsfall von Prozessen ebenfalls zum Bestandteil von Prozess-
managementaktivitäten zählen (International Organization for Statdardization [ISO],
2021).

Wahrscheinlich ist ausschließlich diese Definition noch keine Unterstützung für Ihre
Arbeit. Es kann sein, dass Sie an einer Schulung teilnehmen, oder vielleicht erinnern Sie
sich an eine Ausarbeitung während Ihrer bisherigen Ausbildungen und sind motiviert, ver-
schiedene Methoden im Projektmanagement einzusetzen.

Bei den agilen Methoden wird in der Regel auf das sogenannte Agile Manifest referenziert.
Seither wurde der Arbeitstitel „agil“ in einen großen Umlauf gebracht. Inhaltlich doku-
mentiert dieses Manifest eine Vorgehensweise, die eine Teamzusammenarbeit und den
Fokus auf Auftraggebende und Nutzende priorisiert.

Dabei sind Werte benannt, die agile Methoden erweitern gegenüber ausschließlich plan-
mäßig abzuarbeitenden Listen. Wenn die korrekten Werte berücksichtigt sind, dann wird,
wie bisher, eine standardisierte Vorgehensweise durchführbar. Hier stellt sich die grund-
sätzliche Frage, unter welchen Umständen Projekte zum Erfolg führen. Innerhalb einer
zeitlichen Abgrenzung sind Vereinbarungen mit einem entsprechenden Qualitätsan-
spruch, zeitlicher und finanzieller Begrenzung zu bearbeiten. Innerhalb des Projektmana-
gements treten drei Faktoren auf: Die zeitlichen Vorgaben, der Umgang mit den Kosten
und die Qualitätsanforderungen (Winkle, 2022). Diese werden auch als magisches Dreieck
dargestellt, wie die folgende Abbildung zeigt.

21
Abbildung 3: Magisches Dreieck im Projektmanagement

Quelle: Winkle, 2023, S. 12.

In einem Entwicklungsprojekt sind Sie also mit mehreren Erfolgsfaktoren konfrontiert. Ein
erfolgreiches Projekt zeichnet sich durch die Ausgeglichenheit der drei Hauptfaktoren Zeit,
Kosten und Qualität aus (Winkle, 2022).

Beispielsweise ist es zur Einhaltung der Fristen erforderlich, entsprechende Ressourcen


zur Verfügung zu stellen. Für ein gefordertes Arbeitsergebnis sind ein entsprechender zeit-
licher Einsatz und ein Kostenbudget vorzuhalten. Zur Einhaltung des Gesamtbudgets sind
eventuell verschiedene Arbeitsumfänge einzugrenzen.

Somit ist das Engagement innerhalb der drei Hauptfaktoren im Hinblick auf den langfristi-
gen Projekterfolg und in Absprache mit allen Beteiligten abzuwägen.

Die Popularität des Zauberworts „agil“ hat in der vergangenen Zeit deutlich zugenommen.
Es ist auch positiv zu bewerten, dass sich innovative Verbesserungen in der Umsetzung
vervielfältigen. Gleichzeitig hat sich eine fortschreitende Unklarheit entwickelt, wie die
Bezeichnung „agil“ zu definieren ist. Oft dient der Begriff als Verzierung oder zur besseren
Vermarktung von Projekten. Es kommt auch vor, dass Projekte mit dem Titel „agil“ gela-
belt werden, um ein Projektchaos zu kaschieren (Winkle, 2022).

Deshalb ist zwischenzeitlich ein vertiefter Blick auf die Bezeichnung „agil“ zu werfen, denn
allein der Begriff muss nicht bedeuten, dass agile Methoden verwendet werden oder wur-
den.

Dieses Skript nutzt die Definition von agilem Projektmanagement entsprechend dem von
Softwareexperten zusammengetragenen Agilen Manifest, auf das fortfolgend vertieft ein-
gegangen wird. Hierbei steht ein agiles kurzfristiges Handeln bei Änderungen der Anforde-
Anforderungen rungen an das Produkt im Vordergrund (Winkle, 2022, S. 226).
Eine Anforderung ist eine
Aussage über die notwen-
digen Eigenschaften oder
Somit soll dieses Skript allen Studierenden dienen, die sich in traditionellen Projekten in
Fähigkeiten, die entweder die Ansätze von agilem Projektmanagement einarbeiten und diese vertiefen möchten.
von einer Person benötigt

22
Gleichzeitig zielt das Skript nicht darauf ab, Marketing für agiles Projektmanagement zu werden, um ein Ziel zu
erreichen, oder die ein
betreiben, um traditionelle Projektaufgaben zwingend in agile Projekte umzuwandeln. Es System oder Teile eines
soll die Möglichkeiten und das Risiko aufzeigen, die durch die Verwendung von agilen Vor- Systems erfüllen oder
gehensweisen im Zusammenhang mit der traditionellen Projektarbeit entstehen. besitzen müssen, um
einen Vertrag oder eine
Norm, eine Spezifikation
oder andere formell fest-
gelegte Dokumente zu

1.2 Das Agile Manifest erfüllen (Winkle., 2022,


S. 226).

Das Agile Manifest zählt als Grundlage des agilen Projektmanagements. Hierzu haben
siebzehn IT-Spezialisten im Februar 2001 bei einer Zusammenkunft in Utah den Begriff
„agil“ geprägt (Schwaber & Sutherland, 2020). Die Spezialisten setzten sich zusammen aus
den Begründern des sogenannten „Extreme Programming“ Kent Beck, Ward Cunningham
und Ron Jeffries, den Begründern der „Scrum“-Methode mit Ken Schwaber und Jeff
Sutherland, den Vertretern der „Dynamic Systems Development“-Methode (DSDM) mit
Arie van Bennekum, des „Feature Driven Development“ (FDD) mit Jon Kern und den
Begründern von „Adaptive Software Development“ (ASD) mit Jim Highsmith, der Familie
von Software-Entwicklungsmethoden namens „Crystal Light“ mit Alistair Cockburn sowie
dem „Pragmatic Programming“ mit Dave Thomas und Andrew Hunt (Beck et al., 2001;
Schwaber & Sutherland, 2020).

Das gemeinsame Schriftstück dokumentierte Werte sowie Prinzipien für die zukunftswei-
sende Entwicklung von Software. Der Inhalt besteht daraus, dass sich Software leichter
und optimierter entwickeln lässt sowie sonstige Softwareentwickler:innen unterstützt
werden. Dazu sind im „Scrum Guide“ (Schwaber & Sutherland, 2020) folgende Empfehlun-
gen beschrieben:

• Einzelne und die Zusammenarbeit werden gegenüber Prozessen und Tools priorisiert,
• betriebsfähige Software wird gegenüber umständlichen Nachweisen priorisiert,
• Rücksprachen mit Nutzenden und Auftraggebenden werden gegenüber langwierigen
Verhandlungen priorisiert und
• sofortige Reaktionen auf aktuelle Weiterentwicklungen werden gegenüber überholten
Planungen priorisiert.

Die genannten Werte sind Grundlagen für agiles Projektmanagement (Schwaber & Suther-
land, 2020). Dabei werden auch die bisherigen Werte als bedeutend erachtet. Schlussend-
lich ist eine Ausgewogenheit aller Werte von Bedeutung.

1.3 Die agilen Werte und Prinzipien


Zur Vertiefung der agilen Werte und Prinzipien beziehen wir uns hier erneut auf die Grund-
lagen im agilen Projektmanagement mit seinem Ursprung im Jahr 2001 (Schwaber &
Sutherland, 2020).

23
Im Ergebnis trugen die IT-Experten im Manifest für eine agile Softwareentwicklung neue
Wertvorstellungen zusammen. Die 17 Experten erarbeiteten geeignetere Vorgehensweisen
zur Entwicklung von Software (Schwaber & Sutherland, 2020).

Im Folgenden sind zusätzlich allgemeine Werte vor die Wertvorstellungen aus dem Agilen
Manifest gestellt:

• Individualität/Respekt/Selbstbestimmung/Solidarität/Partnerschaft: Der:die Ein-


zelne und das Zusammenspiel stehen gegenüber Prozessen und Tools im Vordergrund.
• Zuverlässigkeit/Sorgfalt/Wirksamkeit: Betriebsfähige Software steht gegenüber
umständlichen Nachweisen im Vordergrund.
• Partnerschaft/Zugehörigkeit: Gemeinsame Rücksprachen mit den Nutzenden stehen
gegenüber langwierigen Verhandlungen zu Verträgen im Vordergrund.
• Flexibilität: Sofortige Reaktionen auf aktuelle Weiterentwicklungen stehen gegenüber
überholten Planungen im Vordergrund.

Dies bedeutet, dass die bisherigen Werte, wie beispielsweise die Einhaltung von rechtli-
chen Anforderungen oder Vorschriften, weiterhin bedeutend sind und gleichzeitig trotz-
dem die neuen Werte Vorrang haben.

Sie sind zukünftig nicht im Bereich der Informationstechnik tätig?

Mittlerweile sind die agilen Vorgehensweisen, die ursprünglich aus der IT entstanden, in
fast allen beruflichen Bereichen akzeptiert und anerkannt. Das hat dazu geführt, dass
neue Denkansätze mit neuen Werten, neuen Glaubenssätzen und neuen Prinzipien in die
Unternehmen Einzug gehalten haben. Im Englischen spricht man hier von einem Mindset,
das im Bewussten sowie im Unbewussten Prozesse, Vorgehensweisen für Entscheidungen
und Verhaltensweisen verändert. Dazu sind die folgenden Rahmenbedingungen von
Bedeutung:

• grundsätzliche Werte, die momentan Vorrang haben,


• eigene Glaubenssätze, denen wir Wahrheit und Raum geben, sowie
• vorherrschende Prinzipien, die wir im Hinblick auf aktuelle Aufgaben und Entscheidun-
gen hinterfragen.

Die Praxis innerhalb der Beratung von mehreren Großkonzernen hat gezeigt, dass oft die
Teammitglieder diese Grundlagen als „agile Werte“ bezeichnen. In reflektierenden Zusam-
menkünften wurde regelmäßig festgestellt, dass der sogenannte Spirit durch vorangegan-
gene Prozessoptimierungen abhandengekommen ist. Oft wurde auch von „agilen Metho-
den“ gesprochen und vielleicht entstehen zukünftig auch noch neue treffendere Begriffe
für diese neuen Wertvorstellungen und Denkweisen.

Im Vordergrund steht damit nicht mehr das mechanische und begrenzte Umsetzen von
Vorschriften, Normen, Standards und Regularien. Vergleichbar ist das mit der Statik eines
Bauwerks: Die grundsätzliche Statik für die Gesamtstabilität des Systems ist vorgegeben.
Jedoch können nichttragende Strukturen, wie Raumtrennungen, innerhalb dieser Statik
jederzeit verändert werden. Die agilen Methoden entsprechen der Statik und den Raum-
trennungen.

24
Aus der praktischen Beratungserfahrung zeigt sich, dass einige dieser flexiblen Ansätze
bereits vor der Erarbeitung des Agilen Manifests gelebt wurden. Dabei standen bereits die
betroffenen Personen, Teilhaber:innen, Mitarbeitenden, Endkund:innen und User vor den
Regularien im Vordergrund:

• Manchmal war eine Änderung notwendig und führte zu Verbesserungen. Darunter


zählte die Weiterentwicklung durch Rückmeldungen aus dem System;
• Strukturierte Arbeitsabläufe waren entsprechend anzupassen, damit die Angebote und
Produkte einen Vorteil für die Nutzenden und auch für die Firma darstellten;
• Überzeugungen, bewusste und unbewusste Glaubenssätze waren regelmäßig zu über-
prüfen und entsprechend anzupassen;
• Agile Methoden fokussierten speziell auf den Menschen. Sie vertrauten darauf, dass
geschulte und motivierte Mitarbeitende erfolgreich waren. Die Gemeinschaft erzielte in
der Regel größere Erfolge, als dies einem:einer einzigen Mitarbeitenden möglich war;
• Im Vordergrund stand der:die Endnutzende, der:die das Arbeitsergebnis nutzte und
anwendete. Bei komplexen Endprodukten waren die Endnutzenden oft nicht in der
Lage, zu erkennen, was sie speziell brauchen.

Konnten Sie vor 20 Jahren erkennen, dass Sie später ein intelligentes Telefon mit Bild-
schirm benötigen? Wahrscheinlich nicht.

Erst durch Rückmeldungen der Endnutzenden kommen die tatsächlichen Wünsche ans
Tageslicht. Im Vordergrund stehen damit die Feedbackschleifen der Endnutzenden analog
der Vorgehensweise im Design Thinking. Versprechungen sollten die Gegenwart betreffen Design Thinking
und nicht zu weit in der Zukunft liegen, da sich bis dahin viel ändern kann. Agile Methoden Das Design Thinking ist
ein Kreativansatz zur
beschäftigen sich im Schwerpunkt mit komplexen Arbeitsaufträgen. Die Auswirkungen von Lösung von Problemstel-
Veränderungen sind vielfach nicht vorher absehbar, sondern erst im Nachhinein. Deshalb lungen durch die Entwick-
zielt der agile Ansatz vor allem auf die Ausarbeitung aktueller Fakten anstatt auf frühe Pla- lung innovativer Ideen.

nungen.

Wodurch ist der agile Ansatz hierbei erfolgreich?

Der Erfolg liegt in kurzen Iterationsschleifen mit Rückmeldungen. Diese reduzieren späte-
ren Aufwand für Änderungen. Der agile Ansatz beruht neben kurzen Iterationsschleifen auf
einem Lernprozess über die Anforderungen der Endnutzenden, der Geschäftsprozesse und
der Zusammenarbeit im Team. Regelmäßig wird über Verbesserungen nachgedacht.

Die agilen Werte und Prinzipien bestehen aus:

• kurzen Iterationsschleifen mit Rückmeldungen,


• permanenten Lernprozessen,
• der Unterstützung der Geschäftsziele,
• einem ganzheitlichen Überblick,
• dem Verschieben der Entscheidungsverantwortung auf eine späte Frist,
• der Durchführung von neuartigen Versuchsreihen,
• der Messung der Fortentwicklung,
• kompromissloser Qualität sowie
• Arbeitsabläufen in einer definierten Struktur.

25
Die Vorgaben der Geschäftsabläufe werden unterstützt durch:

• mehrfaches Liefern,
• gesteigerte Zuverlässigkeit sowie
• geringen Kostenaufwand für Änderungen.

Dabei zählt der Überblick über die gesamte Situation, nicht nur der kommende Arbeits-
schritt. Durch eine gesteigerte Effektivität soll in der Folge auch die Effizienz steigen, um
Arbeitsaufträge schneller erfolgreich abzuschließen. Im Sinne der besten Lösung entschei-
den die Verantwortlichen möglichst spät.

Beispielsweise wenn Sie an einer Besprechung im dualen Studiengang an der IU in Prä-


senz teilnehmen müssen. Dazu hätten Sie die Wahl zwischen der Straßenbahn, Ihrem
Fahrzeug oder dem Fahrrad. Bezüglich des Verkehrsaufkommens und der Wetterbedin-
gungen entscheiden Sie erst im letzten Zeitpunkt. Sie recherchieren kurz vorher das Ver-
kehrsaufkommen und den Wetterbericht und entscheiden aufgrund des trockenen Wet-
ters und der Staumeldungen, mit dem Fahrrad zu fahren.

Bei der Softwareentwicklung beispielsweise ist es erforderlich, dass sämtliche Funktionen


zunächst zu entwickeln und nach der Markteinführung bzw. dem Verkauf zu warten sind.
Dabei wurde festgestellt, dass die Anwendenden viele Funktionen im Bereich der Informa-
tionstechnologie nicht verwenden. Diese erfordern allerdings einen erhöhten Wartungs-
aufwand. Somit ist das tatsächliche Nutzenpotenzial gegenüber den Anforderungen für
ein vertieftes Verstehen im Hinblick auf eine sinnvollere Umsetzung zu überprüfen.

Das Motto zu Lernerfahrungen lautet: Scheitere schnell und billig!

Darunter ist zu verstehen, dass nicht erfolgversprechende Angelegenheiten zügig zu hin-


terfragen sind. Damit lassen sich Ressourcen einsparen.

Ein weiteres zentrales Merkmal des agilen Projektmanagements ist der permanente Opti-
mierungsprozess:

Wie lassen sich im Voraus die Auswirkungen auf Veränderungen überprüfen?

Anhand von Experimenten wächst der Lernprozess. Bei einem positiven Verlauf kann das
Ergebnis übernommen werden, ansonsten lernen die Projektmitglieder an der Erfahrung.
Gleichzeitig sind im agilen Projektmanagement auch strukturierte Vorgehensweisen vor-
gegeben.

Wodurch ist vorab bekannt, inwieweit eine Veränderung erfolgreiche Auswirkungen haben
wird?

Durch das Austesten oder Ausprobieren einer Veränderung ist es möglich, die Auswirkun-
gen zu erhalten. Eine Skizzierung der Veränderung ermöglicht einen Lerneffekt. Im Fall
von erfolgreichen Veränderungen war das Austesten erfolgreich. Falls die Auswirkungen
noch nicht ausreichend erfolgreich waren, kann es als Lerneffekt genutzt werden. Agile
Methoden haben einen experimentellen Charakter.

26
Die Fortentwicklung setzt sich bis zum Abschluss einer kundenorientierten Produktlösung
fort. In diesem Entwicklungsprozess soll niemals eine angemessene Produktqualität in
Frage gestellt sein. Dabei orientiert sich die Produktqualität an der Produkterwartung, wie
beispielsweise der Sicherheitsrelevanz. Ebenso wichtig sind zeitlich strukturierte Arbeits-
planungen.

Dabei stehen die Projektergebnisse des Projektteams im Hinblick auf den Projektplan im
Vordergrund. So wie beim Leistungssport, bei dem sich der Sportler darauf konzentriert,
seine Leistung abzugeben, wenn sie angefordert wird.

An dieser Stelle stehen beispielsweise folgende Ansätze aus dem Manifest (Schwaber &
Sutherland, 2020) im Mittelpunkt:

• der:die Einzelne und die systemische Zusammenarbeit stehen im Vordergrund,


• ein transparenter Informationsaustausch im Projektteam,
• regelmäßige Rückmeldungen mit entsprechenden achtsamen Reaktionen,
• achtsamer und wertschätzender Umgang zwischen den Projektmitgliedern,
• das Augenmerk auf die zentralen Themen legen, am besten ein Thema nach dem ande-
ren,
• durch mutige innovative Vorgehensweisen neue Wege beschreiten sowie
• Verantwortlichkeiten benennen und eingehen.

Für die Verantwortlichen eines Projektes treffen diese agilen Werte ebenfalls zu. Das agile
Projektmanagement benennt diese Werte mit englischer Bezeichnung im Leadership als
„Servant“, also innerhalb der Führungsqualitäten vertrauensvoll und unterstützend zu
dienen.

Es besteht die Möglichkeit, vorhandene agile Werte über ein Netzdiagramm darzustellen
(siehe Abb. 4). Dieses Diagramm lässt sich auch übergreifend für ein komplettes Projekt-
team erstellen. Die Darstellungen der Eigenschaften beginnen bei einem Minimum bis hin
zu maximal erwünschten Ausprägungen. Nach einer gewissen verstrichenen Zeit lassen
sich die vorhandenen Eigenschaften im Team erneut anhand von Interviews oder Fragebö-
gen bewerten.

Das Netzdiagramm für die Werteeinstufung lässt sich beispielsweise bei den folgenden
Fragestellungen umsetzen:

• In welcher Ausprägung bewerten Sie Ihre eigenen Fähigkeiten auf einer Skala von 1 bis
7?
• Welche Eigenschaften sind Ihre Herzensthemen?
• Zeichnen Sie Ihre aktuellen Eigenschaften und Ihre erwünschten Eigenschaften ein!
• Welche Aktivitäten nehmen Sie sich vor, damit Sie Ihre Ziele erreichen?
• Wie ordnen Sie Ihre Fähigkeiten den Bereichen Präsenz, Mut, Aufgeschlossenheit, Ver-
antwortungsbewusstsein, respektvolles Handeln, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit zu?
(Winkle, 2022, S. 224)
• Sind Sie bereit sich im Bereich der geforderten Eigenschaften weiterzuentwickeln?
• Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

27
Präsenz Abbildung 4: Netzdiagramm der agilen Werte im Projektmanagement
Ein Prozess erhöhter
innerer Geistesgegenwart,
Bewusstheit, Wachsam-
keit, Selbstregulierung,
einschließlich der Kon-
trolle der Aufmerksam-
keit, der Regulierung von
Emotionen und der
Selbstwahrnehmung
kann durch Achtsamkeits-
meditationen, wie Mind-
fulnes Based Stress
Reduction (MBSR), einge-
leitet werden (Winkle,
2022, S. 224).

Quelle: Winkle, 2023.

ZUSAMMENFASSUNG
Im Projektmanagement und zur Beschleunigung der Umsetzung der
Arbeit an den globalen Zielen der Vereinten Nationen sind unter ande-
rem grundlegende Fähigkeiten erforderlich, die von einer globalen Non-
Profit- und Open-Source-Initiative für eine nachhaltigere Gesellschaft
aufgestellt wurden.

Das Agile Manifest als Grundlage des agilen Projektmanagements wurde


von 17 IT-Spezialisten im Februar 2001 bei einer Zusammenkunft in Utah
erarbeitet und dabei der Begriff „agil“ geprägt. Die Spezialisten setzten
sich zusammen aus den Begründern des sogenannten Extreme Pro-
gramming. Das gemeinsame Schriftstück dokumentierte Werte sowie
Prinzipien für die zukunftsweisende Entwicklung von Software. Bereits
vor dem agilen Manifest wurden diese flexibleren Ansätze gelebt. Dabei
stehen die betroffenen Personen, Teilhaber:innen, Mitarbeitenden, End-

28
kund:innen und User gegenüber den Regularien im Vordergrund. Zu den
agilen Werten gehören Nachhaltigkeit, Präsenz, Mut, Aufgeschlossen-
heit, Verantwortungsbewusstsein, Respekt und Achtsamkeit.

29
LEKTION 2
TRADITIONELLE UND AGILE ANSÄTZE DES
PROJEKTMANAGEMENTS

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Bedeutung agiler Methoden für ein effizientes und effektives Management von Pro-
jekten innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu verstehen.
– die wichtigsten Merkmale traditioneller und agiler Projektmanagementansätze zu ver-
gleichen.
2. TRADITIONELLE UND AGILE ANSÄTZE
DES PROJEKTMANAGEMENTS

Einführung
Im heute erwarteten flexiblen Projektmanagement und zur Beschleunigung der Umset-
zung der Arbeit an den globalen Zielen der Vereinten Nationen sind unter anderem grund-
legende Fähigkeiten erforderlich, die von einer globalen Non-Profit- und Open-Source-Ini-
tiative für eine nachhaltigere Gesellschaft aufgestellt wurden (Winkle, 2022).

Inner Development Bei den sogenannten Inner Development Goals (IDGs) handelt es sich um eine Übersicht
Goals über die Fähigkeiten, Qualitäten und Fertigkeiten im Projektmanagement, die Organisati-
Die Inner Development
Goals (IDGs) ist eine onen zur Erreichung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) benötigen. Die
gemeinnützige Organisa- inneren Entwicklungsziele sollen Mitarbeitende in Organisationen inspirieren und befähi-
tion für innere Entwick- gen, agiles nachhaltiges Projektemanagement in einer zielgerichteten Art und Weise unter
lung. Sie erforscht, sam-
melt und kommuniziert Berücksichtigung der Aspekte der Ausgewogenheit umzusetzen (Inner Development
wissenschaftlich fun- Goals, 2022; Winkle, 2022):
dierte Fähigkeiten und
Qualitäten, die helfen, ein
zielgerichtetes, nachhalti- • Das erste innere Ziel bezieht sich auf das „Sein“, also die Beziehung zum eigenen Selbst.
ges und produktives Darunter ist die Erforschung unseres inneren Lebens und Erlebens gemeint. Es beinhal-
Leben zu führen, um die
Ziele für nachhaltige Ent-
tet die Entwicklung und Vertiefung unserer Beziehung zu unseren Gedanken, Gefühlen
wicklung zu erreichen und unserem Körper. Sie helfen uns, präsent, absichtlich und nicht reaktiv zu sein, wenn
(Winkle, 2022, S. 138). wir mit Komplexität konfrontiert sind:
◦ Ein „innerer Kompass“ sorgt für ein tief empfundenes Verantwortungsbewusstsein
und Engagement für Werte und Zwecke, die sich auf das Wohl des Ganzen beziehen;
◦ Die „Integrität und Authentizität“ fordert das Engagement und die Fähigkeit, mit Auf-
richtigkeit, Ehrlichkeit und Integrität zu handeln;
◦ Für die erforderliche „Offenheit und Lernmentalität“ sorgt eine grundlegende Denk-
weise der Neugier und die Bereitschaft, verletzlich zu sein sowie Veränderungen
anzunehmen und zu wachsen;
◦ Erwartet wird ein „Selbstbewusstsein“ für die Fähigkeit, in reflektierendem Kontakt
mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Wünschen zu stehen, sowie ein realisti-
sches Selbstbild und die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren;
◦ Weiterhin wird die Fähigkeit vorausgesetzt, im Hier und Jetzt zu sein, ohne Urteil und
in einem Zustand offener „Präsenz“.
• Beim zweiten Ziel ist unser „Denken“ mit der Entwicklung der „kognitiven Fähigkeiten“
angesprochen. Wir nehmen verschiedene Perspektiven ein, bewerten Informationen
und verstehen die Welt als vernetztes Ganzes. Dies ist für eine kluge Entscheidungsfin-
dung unerlässlich:
◦ Ein „kritisches Denken“ beinhaltet die Fähigkeiten zur kritischen Überprüfung der
Gültigkeit von Ansichten, Beweisen und Plänen;
◦ Ausreichendes „Komplexitätsbewusstsein“ sorgt für Verständnis und die Fähigkeiten
im Umgang mit komplexen, systemischen Bedingungen sowie Kausalitäten;
◦ Erwartet werden zusätzliche „perspektivische Fähigkeiten“ im Suchen, Verstehen und
aktiven Nutzen von Erkenntnissen aus gegensätzlichen Perspektiven;

32
◦ Das „Sense-making“ berücksichtigt Fähigkeiten im Sehen von Mustern mit dem
Strukturieren des Unbekannten und der Fähigkeit, bewusst Neues zu kreieren;
◦ Eine „langfristige Orientierung und Visionierung“ steht für das Engagement, Visionen
im größeren Kontext zu formulieren und aufrechtzuerhalten.
• Der dritte Punkt behandelt „Beziehungen“ mit der „Fürsorge für andere und die Welt“.
Dies beinhaltet andere, wie Nachbarn, zukünftige Generationen oder die Biosphäre, zu
schützen, sich um sie zu kümmern und sich mit ihnen verbunden zu fühlen. Diese Ein-
stellung unterstützt dabei, gerechtere und nachhaltigere Systeme und Gesellschaften
für alle zu schaffen:
◦ Darunter zählt ein grundlegendes Gefühl der „Wertschätzung“ in Beziehungen zu den
anderen und zur Welt mit Dankbarkeit sowie Freude;
◦ Ein ausgeprägtes Gefühl der „Verbundenheit“ fördert die Gemeinschaft der Mensch-
heit in einem globalen Ökosystem mit einem größeren Ganzen verbunden zu sein;
◦ „Demut“ versetzt in die Lage, in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Situa-
tion zu handeln, ohne sich vorwiegend um die eigene Wichtigkeit zu kümmern;
◦ „Empathie und Mitgefühl“ ist notwendig für Freundlichkeit, Empathie und Mitgefühl
für andere, sich selbst und die Natur, um das damit verbundene Leiden anzugehen.
• Der vierte Punkt bezieht sich auf die „Zusammenarbeit“ und die „sozialen Kompeten-
zen“:
◦ Die Entwicklung dieser „Kompetenzen“ dient dazu, bei gemeinsamen Anliegen Fort-
schritte zu erzielen. Hierzu ist es erforderlich, einen angemessenen Raum zu halten,
um Stakeholder mit unterschiedlichen Werten, Fähigkeiten und Kompetenzen einzu-
beziehen;
◦ Die „Kommunikationsfähigkeit“ dient dazu, anderen tatsächlich zuzuhören, einen
echten Dialog zu fördern, eigene Ansichten geschickt zu vertreten, Konflikte konstruk-
tiv zu bewältigen und die Kommunikation an verschiedene Gruppen anzupassen;
◦ Sogenannte „Co-Creation-Fähigkeiten“ motivieren dabei, kollaborative Beziehungen
mit verschiedenen Interessengruppen aufzubauen, zu entwickeln und zu erleichtern,
die sich durch psychologische Sicherheit und echte Co-Creation auszeichnen;
◦ Ein „inklusives Mindset und interkulturelle Kompetenz“ fördern die Bereitschaft und
Kompetenz, Vielfalt anzunehmen, um einzelne Menschen oder Kollektive mit unter-
schiedlichen Ansichten und Hintergründen einzubeziehen;
◦ Die „Vertrauenswürdigkeit“ pflegt Beziehungen und baut vertrauensvolle Beziehun-
gen auf;
◦ „Mobilisierungsfähigkeiten“ inspirieren und mobilisieren andere, sich für gemein-
same Zwecke zu engagieren.

2.1 Traditionelle Ansätze des


Projektmanagements
Die traditionellen Ansätze zum Projektmanagement (siehe folgende Abbildung) gehen
davon aus, dass der Auftrag bis hin zum Produktionsstart (Start of Production (SOP))
bereits vollumfänglich freigegeben ist. Damit erfolgt die Umsetzung im Wesentlichen nach

33
der ISO-Norm 21500 (ISO, 2021). Die Verantwortung für die Gesamtplanung liegt bei der
Projektleitung. Dabei kann sie auch Arbeitsteile der Planungen an ihre Projektmitarbeiten-
den oder an andere Teammitglieder abgeben.

34
Abbildung 5: Beispiel einer traditionellen Produktentwicklung

Quelle: Winkle, 2022, S. 112.

35
Wer stellt die Teammitglieder zusammen?

• Die Auswahl der Teammitglieder könnte bereits vorab zum Teil abgesprochen sein;
• Die Projektleitung hat die Möglichkeit, auf bisherige Teammitglieder für das Projekt
zuzugehen;
• Ein Vorstandsmitglied oder CEO könnte Mitarbeitende akquirieren.

Die Zusammensetzung des Teams kann unter verschiedenen Unternehmensgruppen


erfolgen. Zu Beginn steht grundsätzlich die Frage, welche Planungen zu verfolgen sind und
welche Kompetenzen erwartet werden. Nachdem sich die Frage nach Mitarbeitenden
geklärt hat, beginnt die Definition des Umfangs, des Zeitplans, der Ziele und der Kosten.

Zum Projektumfang stellen sich die folgenden Fragen:

• Wie wurde das Projektziel definiert?


• Soll am Ende eine Produktion eines Gegenstands oder eine Arbeitsleistung generiert
werden?
• Wie ist der Projektabschluss definiert?
• Welche Kriterien für die Akzeptanz oder Vollständigkeit des Projektabschlusses wurden
festgelegt?
• Welche Inhalte werden innerhalb des Projekts erwartet?
• Welche Begrenzungen sind zu berücksichtigen?

Für die Erstellung eines Projektablaufplans sind die erforderlichen Arbeitsschritte struktu-
riert zu dokumentieren. Er beginnt von oben mit dem Thema des Projektes und verzweigt
sich dann nach unten hin über die vorgegebenen Arbeitsaufgaben bis hin zu den Arbeits-
einheiten, welche die zukünftig zu planenden Arbeitsvorgänge beschreiben. Nach Projekt-
abschluss kann das Ergebnis über ein Dokumentationsblatt von den Freigabeverantwortli-
chen unterzeichnet werden. Hier ein Beispiel zur Dokumentation der
Verwendungssicherheit sicherheitsrelevanter Systeme.

36
Abbildung 6: Beispiel für ein Dokumentationsblatt nach Projektabschluss

Quelle: Winkle, 2022, S. 196.

Für das traditionelle Management von Projekten existieren diverse Prozedere zur Abfolge.
Zunächst sind die Arbeitsabläufe zu definieren und die Aufgaben zu bündeln. Damit sind
das Ausmaß und die Inhalte der Projektaufgabe übersichtlich zusammengefasst. Gleich-
zeitig ist dadurch das zentrale Projektziel als letztendliche Instanz eindeutig im Blickfeld.
Danach ist der zeitliche und finanzielle Aufwand anzupassen.

Auf die hier beschriebene Vorgehensweise soll nun speziell hingewiesen werden, da sie
vom Management mit agilen Methoden abweicht:

37
• Projektaufgaben: Die erforderlichen Arbeitsleistungen sind abzuschätzen und von den
Projektteams festzulegen.
• Zeitmanagement: Die systemischen Zusammenhänge der Arbeiten sind zu eruieren
und entsprechend der Dringlichkeit im zeitlichen Ablauf einzuordnen.
• Umfang: Der Arbeitsbedarf einzelner Arbeitspakete ist abzuschätzen.
• Zeitplan: Auf dieser Grundlage lässt sich ein erster Zeitplan abschätzen und dokumen-
tieren.
• Finanzieller Bedarf: Nachdem ein erster Arbeitsplan mit dem Zeitmanagement vor-
liegt, lässt sich auch der finanzielle Bedarf für die gesamte Projektplanung bewerten.

Nun liegen Projektaufgaben, Zeitmanagement, Umfang und finanzieller Bedarf im ersten


Entwurf vor. Diese bilden die Grundlage für weitere detailliertere Planungen und Fragestel-
lungen:

• Werden Zwischenevaluationen, Zwischenfreigaben (Sign-off) im Projektablauf erwar-


tet?
• Werden alle relevanten Beteiligten im erforderlichen Maß mit ihren Erwartungen einbe-
zogen oder informiert?
• Werden Aufwände für Projektabstimmungen und Teamzusammenkünfte in die Planun-
gen einbezogen?
• Sind externe Dienstleister oder Entwicklungsunterstützungen miteingeplant?
• Werden die Voraussetzungen, Verträge und Kommunikationsaufwendungen mitberück-
sichtigt?
• Sind die damit verbundenen Risiken in Verbindung mit dem Gesamtprojektablauf
bekannt?
• Womit können Verbesserungen und neue Möglichkeiten unterstützt werden?
• Sind Probleme frühzeitig auszuschließen beziehungsweise zu vermeiden?
• Welche Maßnahmen stehen zur Verfügung, falls unerwartete Probleme im Projekt ein-
treten?

Durch eine Vielzahl von Projektbestandteilen ist es möglich, dass dadurch das ursprüngli-
che Endergebnis, der finanzielle Rahmen oder die Terminplanungen beeinflusst werden.
Auf dieser Grundlage besteht nun die Möglichkeit, den ursprünglichen Plan anzupassen.

Alle Vorarbeiten und Projektgedanken gehen in fixierte Pläne ein. Die Projektpläne unter-
stützen die Leitung des Projektes bei der Planung, Steuerung, Durchführung und Überwa-
chung bis hin zum Projektabschluss. Anschließend überprüft der:die Projektauftragge-
bende die Ergebnisse der Planungsarbeiten. Diese können dann über
Änderungsanforderungen entsprechend angepasst werden. Oft fordern die Beteiligten
noch weitere inhaltliche Ergebnisse.

Hierzu gilt es zu überprüfen:

• Um welche zusätzlichen Wünsche handelt es ich?


• Lassen sie sich noch in das Projekt integrieren?
• Mit welchen Auswirkungen ist zu rechnen?

38
Die Leitung hinterfragt zusätzliche Anforderungen. Auch weitere Möglichkeiten zur Erfül-
lung dieser neuen Projektanforderungen können in Betracht gezogen werden. Danach
sind Änderungen von den Beteiligten zu genehmigen und zu dokumentieren.

Insgesamt spielen bei der klassischen Projektplanung die Planungen im Vorfeld eine
wesentliche Rolle. Darin sind alle gedanklichen Vorarbeiten festgehalten und dokumen-
tiert. Danach genehmigt der Kostenträger den Projektplan, der anschließend nur durch
Änderungsanforderungen zu verändern ist (Kusay-Merkle, 2018).

2.2 Agile Ansätze im Projektmanagement


Viele Mitarbeitende, die sich mit Projektmanagement beschäftigen, fragen sich Folgendes
bei der traditionellen Projektdurchführung:

• Wie habe ich zum Projektstart die Kenntnis für eine Planungssicherheit?
• Wieviel Aufwand muss ich einplanen?
• Wieviel Aufwand muss ich für Veränderungen oder Anpassungen einplanen?
• Bestehen auch andere Möglichkeiten, das Projektziel zu erreichen?

Umso komplexer Projektplanungen sind, desto mehr Bedeutung nimmt eine Zwischen-
evaluation über Rückmeldungen ein. Somit sind komplexe Projektvorhaben prädestiniert
für die Vorteile der Eigenschaften agiler Methoden.

Eigenschaften für die Vorteile agiler Methoden können in die folgenden Wortgruppen ein-
geteilt werden:

• Schnell: Darunter fallen beispielsweise die Eigenschaften rasch, fix, außergewöhnlich,


rapid, überdurchschnittlich, beweglich, rasant, zügig, kurzerhand, zeitnah oder elas-
tisch.
• Aktiv: Darunter fallen beispielsweise die Eigenschaften bewusst, geschickt, lebendig,
dynamisch, rege, flexibel, beweglich, zügig, eifrig, fleißig, unermüdlich, tatkräftig, wen-
dig, anpassungsfähig, handelnd, unentwegt, tüchtig, ehrgeizig, wandlungsfähig, tempe-
ramentvoll, rührig, geschäftig, voller Ideen, unternehmungslustig oder arbeitswillig.
• Geschickt: Darunter fallen beispielsweise die Eigenschaften praktisch, patent, erfahren,
fix, fähig, smart, geübt, beweglich, qualifiziert, klug, befähigt, begabt, gewandt, brauch-
bar, diplomatisch, leistungsfähig, tauglich, schlau, raffiniert, flink, wendig, gelenkig,
tüchtig oder clever.
• Dynamisch: Darunter fallen beispielsweise die Eigenschaften rege, gelenkig, beflügelt,
munter, rührig oder quicklebendig.

Mit dem Begriff „agil“ sind also zahlreiche Eigenschaften zur erfolgreichen Durchführung
von Projekten verbunden.

Welche Bedeutung wird nun tatsächlich mit den agilen Methoden verbunden?

39
Unter den agilen Methoden wird eine Methode mit neuen Denk- und Arbeitsweisen ver-
standen:

• An der ersten Position steht der Mensch beziehungsweise der:die Endnutzende;


• Zu einem frühen Zeitpunkt steht die Nutzbarkeit des Endprodukts im Vordergrund;
• Durch Iterationen und Feedbackschleifen der Endnutzenden erfolgt regelmäßig eine
Überprüfung kundenrelevanter Eigenschaften, wie Nutzungsfreundlichkeit oder
Bedienbarkeit;
• Für eine ideale Idee wird keine Zeit verschwendet;
• Angestrebt sind permanente Lernprozesse über den Projektverlauf hinaus;
• Anstatt übermäßiger Dokumentationen steht eher der Austausch der Teammitglieder im
Vordergrund;
• Im Fokus stehen gemeinsame Erkenntnisse;
• Projekteinheiten sind auf kurze Arbeitspakete limitiert, damit kurzfristig Rückmeldun-
gen von Endkund:innen möglich sind;
• Limitierungen erfolgen entweder über den zeitlichen Umfang von Iterationsschleifen
oder über die Begrenzung gleichzeitig durchgeführter Teamarbeiten (hierauf geht der
folgende Abschnitt vertiefter ein);
• Bedeutende agile Methoden sind einerseits das flexible Vorgehen und andererseits die
Art zu denken sowie die flexiblen Einstellungen zum Vorgehen.

Letztendlich handelt es sich bei agilen Vorgehensweisen nicht um eine Methode aus dem
Projektmanagement. Die frühzeitige Betonung liegt weniger auf dem Endergebnis. Statt-
dessen steht deutlicher der fortlaufende Arbeitsfluss zur Produktverbesserung im Vorder-
grund. Deshalb ist die Bezeichnung „Projektmanagement“ im agilen Kontext genauge-
nommen falsch, jedoch nutzt die Wissenschaft diesen Begriff. Abbildung 7 zeigt, wie das
herkömmliche V-Modell mit einem agilen Produktentwicklungsprozess durch Iterations-
schleifen verknüpft werden kann.

40
Abbildung 7: Beispiel mit V-Modell und agilem Produktentwicklungsprozess

Quelle: Winkle, 2022, S. 113.

41
Das „Projektmagazin“ ist ein Fachportal für Informationen rund um das Projektmanage-
ment Pull-Prinzip zur erfolgreichen Durchführung von Projekten. Sowohl auf der Website
als auch im dazugehörigen Magazin findet sich eine Sammlung von praktischem Projekt-
managementwissen. Ein Netzwerk von Projektmanagement-Spezialist:innen tauscht sich
in diesem Portal regelmäßig aus. Dort wird das agile Projektmanagement folgenderma-
ßen definiert:

„Agiles Projektmanagement bezeichnet Vorgehensweisen, bei denen das Projektteam über hohe
Toleranzen bezüglich Qualität, Umfang, Zeit und Kosten verfügt und eine sehr hohe Mitwirkung
des Auftraggebers bei der Erstellung des Werks erforderlich ist. Charakteristisch für agiles Pro-
jektmanagement ist die Fokussierung auf das zu liefernde Werk und die Akzeptanz durch die
Anwender. Hingegen werden geschäftliche Anforderungen, wie zum Beispiel die Termintreue,
Kostentreue oder Erfüllung eines spezifizierten Leistungsumfangs weniger oder nicht berück-
sichtigt (Angermeier, 2017).“

Im Hinblick auf die Qualitätsanforderungen ist noch anzumerken, dass hinsichtlich des
entscheidenden Endprodukts auch beim agilen Projektmanagement kompromisslose
Qualitätsansprüche zur Nutzbarkeit erwartet werden. Lediglich innerhalb der Projekt-
schritte sind keine maximalen Qualitätsansprüche abzuliefern. Beispielsweise reichen für
Zwischenergebnisse auch Handskizzen oder Fotodokumentationen anstatt einer perfek-
ten marketinggerechten PowerPoint-Präsentation aus.

Die Thematiken im Rahmen des Projektmanagements sind in der ISO 21500 „Leitfaden
zum Projektmanagement“ (ISO, 2021) aufgeführt. Darin sind die Begrifflichkeiten aus den
Grundlagenthemen, Prozessangelegenheiten und das Modell zum Prozess beschrieben.
Darunter finden sich in kurzer Form die bewährten Rahmenbedingungen zum Organisie-
ren von klassischen Projekten beschrieben. Weitere relevante ISO-Normen sind die DIN
ISO 10006:2020-10 „Qualitätsmanagementsysteme; Leitfaden für Qualitätsmanagement in
Projekten“ (Deutsches Institut für Normung e. V., 2020) oder die ISO 21504 „Projektportfo-
liomanagement“ (ISO, 2022). Bei Projektstart empfiehlt es sich, die aktuellen Vorgaben
und Normen zum aktuellen Zeitpunkt zu recherchieren (Kusay-Merkle, 2018).

Auch die Viruspandemie hat Methoden zum Krisenmanagement vorangetrieben. Dies


beschleunigte nochmals eine Normierung und Definitionen von adaptiven Managemen-
tansätzen. Dazu trägt die ISO 21502 mit dem Titel „Leitlinien für das Projektmanagement“
bei. Sie erweitert die allgemeinen Lebenszyklusmodelle um agile und adaptive Modelle
(ISO, 2020).

Hier erlangen zwei wesentliche agile Vorgehensweisen Bedeutung: Scrum und Kanban
(Preußig, 2020).

42
Abbildung 8: Evolution zum vernetzten Kommunikationsprozess mit agilen
Iterationsschleifen

Quelle: Winkle, 2022, S. 112–113.

43
2.3 Vergleich von traditionellem und
agilem Projektmanagement
Für den Vergleich von traditionellem versus agilem Projektmanagement betrachten wir
erneut die Begrifflichkeiten:

Ein Projekt wird allgemein definiert als ein temporär eingegrenzter Arbeitsauftrag mit dem
Ziel, ein spezielles Ergebnis zu erreichen. Projekte sind in ihrem Auftrag und Umfang limi-
tiert auf einen Beginn und einen Abschluss. Langfristige Arbeitsaufträge sind nicht als Pro-
jekt definiert (ISO, 2021).

In dem Konferenzraum neben meinem Großraumbüro klebte einmal ein Post-it auf der
Türe mit der Überschrift: „Das Projekt eines aufgeräumten Büroarbeitsplatzes. Alle Arbeit-
nehmer achten auf die Sauberkeit.“ Ein Kollege ergänzte kurzum einen Vermerk: „Hierbei
handelt es sich nicht um ein Projekt.“ Damit hatte er recht, denn es war ein vorgegebener
Arbeitsauftrag mit einem vorgegebenen Ergebnis.

Die Frage stellt sich hier, wie speziell muss ein Arbeitsauftrag sein, damit er als „Projekt“
anzusehen ist. Wie ist eine Fortbildung zu definieren? Umso spezieller eine Arbeitsleistung
ist, desto eindeutiger kann man von einem „Projekt“ ausgehen. Der Charakter für eine
Definition als Projekt liegt vor allem bei deutlicheren Unterscheidungen der Mitarbeiten-
den und der inhaltlichen Herausforderungen vor (ISO, 2021).

Eine deutsche Industrienorm (Deutsches Institut für Normung e. V., 2009) bezeichnet ein
Projektmanagement als alle Leitungsaufgaben zur Durchführung eines Projektes.

Die Definitionen sind deshalb von Interesse, da bei eindeutig vorgegebenen und gleich-
bleibenden Aufgaben ein agiles Vorgehen weniger relevant wird.

Der Projekterfolg stellt sich bei eingehaltenen Ausgaben, Inhalten, qualitativen Arbeitser-
gebnissen innerhalb der finanziellen und zeitlichen Vereinbarungen ein. Die Vereinbarun-
gen werden zu Beginn einschließlich der Kosten festgelegt.

Im Gegensatz dazu weicht das agile Projektmanagement ab: Bei der agilen Arbeitsweise
wird ein Wert (eng. value) vorangestellt, der die Inhalte und Umfänge festlegt. Vorange-
stellt ist zunächst die zeitliche und die finanzielle Vorgabe, unter der die Prioritäten stän-
dig neu entsprechend dem größten Nutzen anzupassen sind. Ein agiles Wertesystem
sowie Mindset wird oft als „agile Methoden“ zusammengefasst und beinhaltet:

1. eine Definition der geplanten Vorgehensweise zur Erreichung der Ziele sowie
2. die Art und Weise, wie vorzugehen ist.

44
Allgemein stiftet die Namensgebung „agiles Projektmanagement“ oft Verwirrung. Dies
rührt daher, dass der agile Ansatz in der Entwicklung für Software zunächst aus dem
Management für Prozesse und nicht für Projekte stammt. Die Prozesse bei der Entwick-
lung für Software berufen sich auf das sogenannte Wasserfallmodell.

Voraussetzung hierfür war, dass alle Aufgabenstellungen bereits zum Projektstart


abschließend vorliegen. Mit einer fixierten Funktionsbeschreibung erfolgte dann die Ent-
wicklung des Produktes entsprechend eines an das Wasserfallmodell angelehnten allge-
meinen Produktentwicklungsprozesses von der Produktidee bis zur Markteinführung. Hier
folgen die vorgegebenen Prozessschritte in der Folge aufeinander: Beginnend mit der Pro-
duktidee über festgelegte Anforderungen zur vorläufigen Freigabe und anschließend über
die Freigabe mit SOP zur Markteinführung. Iterationen waren lediglich als Rückversiche-
rung für die korrekte Umsetzung der Schrittabfolge möglich.

Wegen der direkt aneinandergereihten Abfolge der Prozessschritte, entsprechend einem


unaufhaltbar fließenden Wasserfall, wurde dieser Prozess danach benannt. Jedoch führte
die fixe Abfolge dieser Schritte hier und da auch zum Misserfolg in Projekten.

Man war oft davon ausgegangen, dass sich eine Softwarelösung gleich beim Projektstart
abschließend vollumfänglich definieren lässt. Doch vielmals überfordern komplexe Aufga-
benstellungen, die selbst den Initiator:innen zu Beginn noch unklar sind. Deshalb löste
man sich von diesem Vorgehen schrittweise ab und ersetze es durch agile Vorgehenswei-
sen. Hierbei besteht auch die Möglichkeit zu starten, ohne den abschließenden Projektauf-
trag zu fixieren. Somit stammt die „agile“ Vorgehensweise ursprünglich nicht aus dem
Projektmanagement, sondern aus dem Prozessmanagement. In der praktischen Umset-
zung führt dies öfter zu Komplikationen. Das Management von Projekten ist genaugenom-
men eine differenzierte Fachrichtung, welche nicht vom Prozessmanagement abhängt.
Für das Management von agilen Projekten sind die agilen Vorgehensweisen nicht ausrei-
chend. Beim Projektmanagement fallen zahlreiche Anforderungen an, die kein Bestandteil
der agilen Vorgehensweisen sind, wie zum Beispiel die Planung der Ressourcen sowie eine
Kick-off-Veranstaltung. Somit sind für ein erfolgreiches agiles Projektmanagement weitere
grundlegende Kenntnisse aus den Vorgehensweisen des allgemeinen Projektmanage-
ments erforderlich.

ZUSAMMENFASSUNG
In der Lektion wurden die beiden Definitionen „agil“ sowie „klassisch“
für das Management von Projekten beschrieben.

Ein klassisches Management von Projekten ist zu verstehen als ein Pro-
jektmanagement, das adäquate Vorgehensweisen beim Management im
Sinne des Wasserfallmodells verwendet. Im traditionellen Management
von Projekten existieren diverse Arbeitsabläufe. Zunächst sind die
Arbeitsabläufe zu definieren und die Aufgaben zu bündeln. Damit sind
das Ausmaß und die Inhalte der Projektaufgabe übersichtlich zusam-

45
mengefasst. Gleichzeitig ist dadurch das zentrale Projektziel als letzt-
endliche Instanz eindeutig im Blickfeld. Danach ist der zeitliche und
finanzielle Aufwand anzupassen.

Wegen der direkt aufeinanderfolgenden Prozessschritte – entsprechend


einem unaufhaltbar fließenden Wasserfall – wurde dieser Prozess
danach benannt. Die feste Abfolge dieser Schritte kann auch zum Schei-
tern von Projekten führen.

Agiles Projektmanagement umfasst agile Ansätze und Methoden. Ein


agiles Wertesystem sowie ein agiles Mindset wird oft als „agile Metho-
den“ zusammengefasst und beinhaltet eine Definition der geplanten
Vorgehensweise zur Zielerreichung sowie die Art und Weise der Vorge-
hensweise. In der agilen Arbeitsweise wird ein Wert (eng. value) voran-
gestellt, der den Inhalt und Umfang definiert. An erster Stelle steht das
zeitliche und finanzielle Ziel, unter dem die Prioritäten nach dem größ-
ten Nutzen ständig neu zu justieren sind.

46
LEKTION 3
AGILES PROJEKTMANAGEMENT MIT SCRUM

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Bedeutung von Scrum-Werten, -Prinzipien, -Rollen und -Anwendungsbereichen für


ein effizientes und effektives Management von Projekten innerhalb und außerhalb von
Unternehmen zu verstehen.
– die Scrum-Methodik als Grundgerüst des agilen Projektmanagements anzuwenden.
3. AGILES PROJEKTMANAGEMENT MIT
SCRUM

Einführung
Die Einführung von agilem Projektmanagement mit Methoden wie Scrum begünstigt eine
fortlaufende Optimierung der Arbeitsprozesse. Eine zunehmende digitale Entwicklung
sowie Vernetzung verlangt von jedem Projektteam und von der Gesamtorganisation
immer wieder neue Methoden und Denkansätze. Auf Neuerungen soll frühzeitiger und fle-
xibler reagiert werden, um sich auf die Marktgegebenheiten entsprechend auszurichten.
Herkömmliche Abläufe eignen sich hierfür nur eingeschränkt.

Diese Lektion vermittelt eine Übersicht über grundlegende Aspekte von Scrum mit den
Werten und Prinzipien, Scrum-Rollen, -Ereignissen, -Artefakten sowie über Anwendungs-
bereiche von Scrum.

3.1 Scrum-Werte und -Prinzipien


Der Begriff Scrum bedeutet im Englischen „das Gedränge“.

Bei Scrum handelt es sich um eine Methode des Projektmanagements und des Manage-
ments von Produkten, speziell für die flexible Entwicklung von Software. Scrum ist ein Vor-
gehensmodell im Projekt- und Produktmanagement, insbesondere für agile Entwicklung
als Umsetzung von Lean Development (Winkle, 2022, S. 227). Es entstand ursprünglich im
Software-Engineering, wurde allerdings losgelöst davon erarbeitet. Mittlerweile kommt
Scrum in zahlreichen weiteren Anwendungsbereichen zum Einsatz. Scrum ist eine Imple-
mentierung des Lean-Development-Ansatzes für die Projektverwaltung. Die Scrum-Werte
und -Prinzipien basieren auf den allgemeinen agilen Werten. Darauf bauen die agilen Prin-
zipien auf. Die agilen Prinzipien wiederum bilden die Grundlagen für Maßnahmen und
Aktivitäten. Damit ist die Basis geschaffen für die agilen Techniken und Methoden. Wäh-
rend die agilen Verfahren, unter anderem Scrum, konkrete Vorgehensweisen für die prakti-
sche Umsetzung der Wertvorstellungen und Prinzipien darstellen, bieten die agilen Metho-
den eine Gesamtstruktur für das Management von Projekten (Preußig, 2020).

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass bei der Umsetzung der agilen Werte und Grundsätze
keine pauschalen Konzepte existieren. Vielmehr ist das Manifest ein praktischer Wegwei-
ser, dessen Interpretation ihren Teams überlassen bleibt. Sofern die Grundgedanken der
agilen Methodik beibehalten werden, kann es jederzeit projektspezifisch angepasst wer-
den.

Die Erfolgsaussichten lassen sich erhöhen, wenn eine Software für das Management von
Projekten verwendet wird, welche die Grundsätze der agilen Vorgehensweise unterstützt.

48
3.2 Scrum-Rollen, -Ereignisse und -
Artefakte
Scrum-Rollen

Das Konzept von Scrum beschreibt drei verschiedene Team-Rollen (Schwaber & Suther-
land, 2020):

1. den „Scrum Master“,

2. den „Product Owner“ und

3. ein „Development-Team“.

Zur Vermeidung von Rollenüberschneidungen ist es empfehlenswert, dass der Scrum Mas-
ter nicht gleichzeitig die Rolle des Product Owners einnimmt, wenngleich Scrum dies
nicht ausdrücklich vorsieht. Allerdings kann es zu Interessengegensätzen zwischen diesen
Rollen führen, da beispielsweise der Scrum Master für eine stringentere Prozesseinhaltung
steht, der Product Owner wiederum unter anderem dafür, dass die größtmögliche Vielfalt
an unterschiedlichen Kundenbedürfnissen umgesetzt wird. Im Übrigen ist eine Rollenauf-
teilung möglich und wird in Scrum häufig praktiziert (Preußig, 2020).

Die Rolle des Scrum Masters

Gemäß Scrum gibt es lediglich einen sogenannten Scrum Master in einem Team. Er hat
sicherzustellen und zu gewährleisten, dass das Regelwerk der Scrum-Methode befolgt
wird. Außerdem sorgt er dafür, dass sämtliche Hauptbeteiligten die Konsequenzen des
Ansatzes für ihr Tätigkeitsfeld nachvollziehen können.

Sollten Personen in einem Scrum-Team angesichts der Arbeit mit dieser Methodik Zweifel
haben, wie eine Aufgabenstellung zu lösen ist, so kann der Scrum Master in dieser Hinsicht
Zuversicht vermitteln.

Eine ausführliche Auflistung der Aufgaben eines Scrum Masters findet sich in der zentralen
Verfahrensbeschreibung von Scrum (Schwaber & Sutherland, 2020). Bedeutende Tätigkei-
ten für einen Scrum Master sind beispielsweise:

• Förderung des Bewusstseins für den Bedarf an eindeutigen, präzisen Product-Backlog-


Einträgen innerhalb des Scrum Teams,
• Kommunikation eines angemessenen Bewusstseins bezüglich agiler Prozesse und
deren Umsetzung,
• Unterstützung von Mitarbeitenden des Teams bei der Selbstverwaltung und der fach-
übergreifenden Zusammenarbeit,
• Ausräumen von Blockaden, welche die Arbeit des Teams behindern,
• Anleitung und Training des Unternehmens hinsichtlich einer erfolgreichen Umsetzung
der Scrum-Technik sowie
• Ermittlung von Gelegenheiten zur Steigerung der Teamproduktivität.

49
Die Rolle des Product Owners

Innerhalb des Teams existiert der sogenannte Product Owner. Dieser hat die Nähe zu End-
kund:innen und kennt deren Bedürfnisse, weil durch ihn sichergestellt wird, in welchem
Umfang die Mitarbeitenden Kenntnis des Endprodukts haben, die sie für die Weiterent-
wicklung benötigen.

Zu diesem Zweck muss er den Entwickler:innen jederzeit als Ansprechpartner zur Verfü-
gung stehen, wenn sie Erklärungen bezüglich der Anforderungen an das Produkt benöti-
gen. Für die erfolgreiche Erfüllung der Rolle des Product Owners ist es notwendig, dass
sowohl die Entwicklungsmitarbeitenden als auch die Gesamtheit der Beteiligten seine
Beschlüsse bezüglich der Produktspezifikationen akzeptieren.

Innerhalb eines Scrum-Prozesses ist der Product Owner vor allem für das Product Backlog
verantwortlich, welches die Anforderungen an das Produkt enthält. In der ursprünglichen
Prozessbeschreibung von Scrum (Schwaber & Sutherland, 2020) sind seine Zuständigkei-
ten für das Product Backlog detaillierter aufgeführt.

Die Hauptverantwortlichkeiten sind:

• Gewährleistung, sodass Teams von Entwickler:innen die Einträge im Product Backlog


im erforderlichen Umfang nachvollziehen können;
• Sortierung der Eintragungen im Product Backlog, damit die gesteckten Zielvorgaben
bestmöglich umgesetzt und erreicht sind;
• Gewährleistung, zum einen, um sicherzustellen, dass das Product Backlog für alle
zugänglich und nachvollziehbar ist, und zum anderen, um Transparenz über die nächs-
ten Arbeiten des Scrum-Teams zu schaffen.

Zahlreiche Unternehmen schaffen die Funktion eines Produktverantwortlichen, die hin-


sichtlich des Expertenwissens durchaus mit der Funktion des Product Owners gleichzuset-
zen ist.

Die Rolle des Development-Teams

Mit der Rolle „Entwicklungsteam“ ist die gemeinsame Hauptrolle der Entwicklungsmitar-
beitenden gemeint, welche die Vorgaben bis zur Fertigstellung eines Produktes ausführen.
Im Vergleich zu einem herkömmlichen Vorgehen haben die Entwicklungsverantwortlichen
in Scrum eine größere Eigenverantwortung hinsichtlich ihrer eigenen Arbeitsschritte
sowie für den Gesamtablauf: Sie entscheiden mit, an welchen Tätigkeiten sie zuerst wei-
terarbeiten und tragen auch die Verantwortung dafür, ob diese im Zusammenspiel mit den
laufenden Tätigkeiten der übrigen Projektbeteiligten von Nutzen sind. Daher können sie
beispielsweise eigenverantwortlich Zusammenhänge und Beziehungen erkennen und
abwägen.

Beim traditionellen Management von Projekten gibt der:die Projektverantwortliche diese


Abläufe in entsprechenden Ablaufdiagrammen vor.

50
Daher besteht eines der Hauptmerkmale des Entwicklungsteams in Scrum darin, sich
selbst zu organisieren. Dabei trägt das jeweilige Projektteam wesentlich eigenverantwort-
licher die Regie über den gesamten Entwicklungsprozess im Vergleich zum traditionellen
Projekt- und Prozessmanagement. Hierfür liefert Scrum klare Regeln, welche die Selbst-
ständigkeit des Entwicklungsteams sicherstellen (Preußig, 2020).

Hierbei gilt es wesentliche Regeln zu berücksichtigen:

1. Bei dieser Methode orientieren sich die Entwicklungsmitarbeitenden ausnahmslos an


den fachspezifischen Vorgaben der Produktverantwortlichen;
2. Es ist nicht zulässig, den Entwicklungsmitarbeitenden weitere Zusatzaufgaben aufzu-
erlegen, die nicht zum Scrum-Prozess im engeren Sinne zugehörig sind.

Bei der praktischen Umsetzung des Scrum-Verfahrens gelten unterschiedliche Prinzipien


für das Entwicklungsteam.

Einige wesentliche Prinzipien sind nachfolgend aufgeführt:

• Dem Entwicklungsteam schreibt niemand vor (auch kein Scrum Master), wie das
Erzeugnis aus dem Produktkatalog (Product Backlog) zu erstellen ist;
• Unabhängig von gewissen fachspezifischen Besonderheiten, wie beispielsweise Tests
oder Analysen, kennt Scrum keine zusätzlichen Untergliederungen in der Entwicklungs-
gruppe. Abweichungen von dieser Regelung gibt es nicht;
• Individuelle Entwicklungsmitglieder können spezielle Kompetenzen oder Schwer-
punkte setzen, doch die Gesamtverantwortung liegt beim Entwicklungsteam in seiner
Gesamtheit.

Diese Art der Zusammenarbeit ist in großen Teamzusammensetzungen nicht realisierbar.


Das Scrum-Modell definiert den Rahmen einer angemessenen Projektgruppe bei einer
Anzahl von neun Entwicklungsmitarbeitenden.

Dabei fällt auf, dass die Funktion des Projektmanagements entfällt. Insbesondere im tradi-
tionellen Projektsetting kann dies anfangs zu Irritationen führen.

Die Tatsache, dass bei Scrum kein:e Projektmanager:in benötigt wird, ist darauf zurückzu-
führen, dass die Vorgehensweise eine Methode des Prozess- und nicht des Projektmana-
gements darstellt. In der Praxis ist das Management von Prozessen in das Management
von Projekten eingegliedert. Das Projektmanagement umfasst in der Regel eine:n verant-
wortliche:n Projektmanager:in. Dieser Ansatz findet sich in zahlreichen Organisationen.
Andere Unternehmen wiederum verteilen die Aufgaben eines traditionellen Projektmana-
gements unter den Rollen des Scrum-Teams. Häufig gehen die meisten dieser Aufgaben
auf den Scrum Master beziehungsweise Produktverantwortlichen über.

Grundsätzlich erfordert die Eigenorganisation bei der Teamarbeit zwangsläufig einen


geringeren Verwaltungsaufwand. Steht eine Projektleiterin an der Spitze einer Scrum-
Mannschaft, so kommt es darauf an, dass diese die agilen Verfahren ebenfalls zur Kenntnis
genommen hat und sie auch beachtet. Ein Projektleiter, der mit herkömmlichen Verfahren
ein agiles Projektteam zu steuern versucht, erweist sich auch in der Projektpraxis als regel-

51
rechter Störfaktor in der Projektarbeit. Gleichermaßen hilfreich kann eine eindeutige Auf-
gabenverteilung innerhalb des Projekts gegenüber dem:der Projektverantwortlichen und
den Rollen in Scrum sein.

Ereignisse im Scrum-Projekt

Unter Ereignissen sind innerhalb von Scrum Iterationsphasen zu verstehen, die als Sprints
bezeichnet werden, sowie diverse Besprechungen im Zuge solcher Sprints.

Der Scrum-Sprint ist gleichzusetzen mit einer Iterationsphase. In der Regel durchläuft jede
Iterationsphase die grundlegenden Phasen eines Projekts, welche ebenfalls im traditionel-
len Management vorgesehen sind. So erfolgt ebenfalls die Erhebung von Projektanforde-
rungen, die Erstellung eines Entwurfs, die Entwicklung und der Test eines Teilprodukts.
Anders als bei der herkömmlichen Herangehensweise ist es bei der agilen Methode aller-
dings möglich, am Ende jeder Iterationsphase eine Bestandsaufnahme zu machen, inwie-
weit die Entwicklung des Produkts weiterhin den gewünschten Weg einschlägt oder ob es
weiteren Steuerungsbedarf gibt. Auf diese Weise wird das gesamte Produkt mit jeder itera-
tiven Entwicklungsschleife weiterentwickelt, ohne dass die Vorgaben für dieses gesamte
Produkt unbedingt schon zu Beginn des Projektverlaufs uneingeschränkt zur Verfügung
stehen (Preußig, 2020). Die iterative Herangehensweise hat den entscheidenden Vorzug,
dass man zu Beginn der Entwicklung nicht exakt wissen muss, welches Endprodukt letzt-
endlich entsteht.

Durch weitere agile Methoden wird sichergestellt, dass der Entwicklungsprozess nicht zur
unkoordinierten Irrfahrt wird. Agiles Management von Projekten verbindet den iterativen
Ansatz mit inkrementellen Schritten und Use Cases. Das macht es etwas unübersichtli-
cher. Zugleich gewährleistet dies aber, dass konsequent das am besten geeignete Erzeug-
nis entsteht, das heißt, dass die Kundenanforderungen durch das Erzeugnis so gut wie
möglich erfüllt sind. Grundsätzlich gilt hier, dass ein vorzeitiges, temporäres Misslingen
durch falsch verstandene Kundenanforderungen sinnvoller ist als ein Misserfolg bei der
endgültigen Ablieferung des Erzeugnisses.

Innerhalb von einem Sprint erarbeitet das Scrum-Projektteam ein partielles Ergebnis. Die
Dauer eines Sprints beträgt im Scrum-Prozess maximal bis zu einem Monat. In der Regel
haben die einzelnen Sprints im Rahmen eines Scrum-Verfahrens stets dieselbe Laufzeit.
Damit folgen die Sprints unmittelbar aufeinander in chronologischer Reihenfolge. Am
Anfang jedes Sprints erfolgt eine konkrete Festlegung, welche Erwartungen in diesem
Sprint zu erfüllen sind. Innerhalb dieses Zeitraums kommen keinerlei zusätzliche Vorga-
ben dazu.

Wird die Scrum-Technik im konventionellen Projektumfeld eingesetzt, gehört die zeitlich


begrenzte Konzentration des Arbeitsteams auf ein klares Sprint-Ziel zu den Faktoren, die
vom Projektmanagement in erster Linie als besonders nützlich erachtet werden. Die Nut-
zung von Scrum beschränkt sich daher im extremen Fall auch allein auf diese Eigenschaft.
In der Praxis handelt es sich jedoch nicht um eine der Methoden von Scrum, obwohl sie in
der Realität durchaus üblich ist.

52
Das stufenweise Vorgehen unterscheidet sich vom klassischen Wasserfallmodell. Im
Unterschied zur konventionellen Wasserfallmethode, in der das Enderzeugnis in einem
einzigen sequenziellen Entwicklungsvorgang entsteht, findet die Produktentwicklung in
der agilen Methode von Anfang an in einzelnen Arbeitsgängen oder Produktionsabläufen
statt (Kusay-Merkle, 2018).

Die folgenden Grundsätze sind für die Realisierung eines Sprints von besonderer Bedeu-
tung:

• Eine Sprintphase dauert maximal vier Wochen;


• Im Verlauf eines Scrum-Sprints werden dem Projektteam keine weiteren Vorgaben von
Dritten gemacht;
• Falls erforderlich, korrigiert das Scrum-Team den Projektumfang eines Sprints.

Innerhalb eines Sprints finden verschiedene Aktivitäten statt, die in der Regel im Rahmen
von Meetings abgehalten werden. Diese werden im Folgenden genannt:

• das Einplanen des Sprints (Sprint Planning),


• die tägliche Ausführung der Scrum-Methode (Daily Scrum),
• der Rückblick auf den Sprint (Sprint Review) sowie
• die Rückschau auf den Sprint (Sprint Retrospektive).

In der Praxis findet das sogenannte Backlog Grooming oft während einer Sprint-Phase
statt. Dabei werden die Einträge im Product Backlog für das Sprint Backlog vorbereitet
(beispielsweise werden die Produktbeschreibungen verfeinert).

Einträge im Product Backlog können auch abgeändert, gelöscht oder hinzugefügt werden,
um die gesamte Planung an veränderte Kundenanforderungen anzupassen.

Die Bezeichnung „Sprint“ ist eigentlich eine etwas unpassende Formulierung. Sie sugge-
riert, dass es darum geht, eine gewisse Zeit mit voller Leistung möglichst zügig Fort-
schritte zu machen. In Wirklichkeit jedoch wird erwartet, dass die Sprint-Teams kontinu-
ierlich ein nachhaltiges Arbeitstempo erreichen. Letzteres spielt eine wichtige Rolle, da die
Sprint-Phasen unmittelbar aufeinander folgen. Dazwischen existieren keinerlei Regenera-
tionsphasen. Außerdem herrscht in Führungskreisen aufgrund der Sprint-Bezeichnung oft
die unzutreffende Annahme, dass die Mitarbeitenden in der Scrum-Methodik rascher mit-
arbeiten im Vergleich zu sonstigen Arbeitsformen. Das trifft allerdings nur zu, da sich mög-
licherweise über einen intensiveren Austausch mit den Endkund:innen unnötige Arbeiten
minimieren.

Artefakte im Scrum-Prozess

Die Bezeichnung „Artefakt“ ist erstmal für Nicht-IT-Entwickler:innen ungewohnt, denn sie
hat ihren Ursprung in der Entwicklung von Software. Hier steht der Begriff für Daten, wel-
che innerhalb des Projektfortschritts erarbeitet wurden. Unter Artefakten versteht man
weitestgehend Daten, welche bei den Zwischenschritten im Entwicklungsprozess gene-
riert werden.

53
Innerhalb der Scrum-Methode sind die folgenden Begriffe für Zwischenresultate definiert
(Preußig, 2020):

• Das „Inkrement“: Inkremente entstehen als Zwischenresultate im Entwicklungspro-


zess am Ende einer Iterationsschleife (Sprint). Das Wort „Inkrement“ ist abgeleitet aus
dem Lateinischen incrementare und steht für vergrößern. In der Informatik bezeichnet
man damit die Erhöhung einer Variablen um den Wert „Eins“, entsprechend einer Perso-
nenzählung an einem Drehkreuz, das die Zählung bei jeder passierenden Person um
den Wert „Eins“ erhöht.
• Das „Product Backlog“: Das Product Backlog ist eine strukturierte und veränderbare
Liste auf der Grundlage der Produktanforderungen, die stetig aktualisiert wird. Sämtli-
che Arbeitsaufträge der Entwicklungsmitarbeitenden gründen auf dem Product Back-
log, dessen Verwaltung der Product Owner verwaltet. Er verantwortet die Abfolge der
Abarbeitung und die Setzung der Schwerpunkte der Inhalte. Darin ist festgelegt, welche
Tätigkeiten oder Erwartungen an das Gesamtprodukt durchzuführen sind. Es besteht
nicht die Erwartung, dass die Inhalte vollumfänglich abschließend vollzählig sind. Bei
Projektbeginn enthält das Backlog die zunächst gesammelten verständlichen und nach-
vollziehbaren Produktanforderungen.

Die Einordnung der Inhalte geschieht nach Aspekten des ökonomischen Nutzungspotenzi-
als, des Risikomanagements und der Dringlichkeit. Die Einträge an erster Rangstufe kom-
men im Sprint zuerst zur Umsetzung. Durch die Untersuchung von Zusammenhängen mit
weiteren Spezifikationen kann das Risikopotenzial einer Einzelanforderung ermittelt wer-
den. Derartige Zusammenhänge bezeichnet man auch als Anforderungsverfolgbarkeit
(Requirements Traceability). Die Abarbeitung und Dokumentation erfolgt als Nebeneffekt
über ein Bearbeitungs-Tool, wie beispielsweise dem „Issue Tracker“.

Im Product Backlog festgelegte Produktanforderungen sind nicht rein technikbezogen, sie


sind vielmehr branchen- und benutzerorientiert. Eine Methode zur Unterstützung dieser
Vorgehensweise besteht darin, die Produktmerkmale als Anwendergeschichten (User Sto-
ries) unter Berücksichtigung der folgenden Eigenschaften zu formulieren:

• Die formulierten Anwendergeschichten sind „unabhängig“ von anderen Nutzerge-


schichten;
• Die formulierten User Stories sind „Verhandlungssache“ und sollten keine Einzelheiten
zur Durchführung vorgeben;
• Die Anwendergeschichten sollen sich „nutzbringend“ für den Wert der Endverbrauchen-
den auswirken;
• Anwendergeschichten sollen bezüglich dem Zeitbedarf zur Ausführung „kalkulierbar“
sein;
• Nutzergeschichten sollen vom Umsetzungsaufwand „realistisch bewältigbar“ sein;
• Es sollte möglich sein, dass die User Stories die ordnungsgemäße Durchführung anhand
von objektiven Merkmalen ermöglichen.

Das Inkrement entspricht einem Teilprodukt: Im Agilen Manifest steht als wesentlicher
Grundsatz, dass die Zufriedenheit der Verbraucher:innen durch frühzeitige und fortlau-
fende Lieferung hochwertiger Produkte oberste Priorität hat. Dieser Grundsatz beinhaltet
wiederum die Idee der iterativen Produktentwicklung, die bereits im vorangegangenen

54
Abschnitt erläutert wurde. Allerdings verbirgt sich darunter ebenfalls, dass Anwendende
ein Zwischenergebnis erhalten, das einen eindeutigen Nutzen für sie darstellt. Daraus
ergibt sich der Ausdruck „Inkrement“.

Mit dem Konzept der Inkremente ist das Prinzip der Iterationen eng verbunden. Ein Inkre-
ment ist das Teilprodukt, das während einer Iteration erzeugt wird. Darüber hinaus ist
aber noch eine weitere Eigenschaft für Inkremente wesentlich, nämlich dass sie aufeinan-
der aufbauen und sich gegenseitig enthalten.

Mit jedem Sprint wird ein neues Inkrement erstellt. Das jeweilige Inkrement basiert auf
dem vorangegangenen, enthält also alle Produktmerkmale, die in den älteren Inkremen-
ten enthalten waren. Außerdem wird bei Scrum darauf geachtet, dass jedes Inkrement in
einem funktionalen Entwicklungszustand ist, sodass der:die Endkund:in es nutzen kann,
wenn er:sie es möchte.

Das Product Backlog enthält die Anforderungen an das Produkt aus der Sicht der
Kund:innen: Im Product Backlog sind die unterschiedlichen Produktanforderungen
beschrieben. Diese Liste gilt niemals als abgeschlossen, denn die Anforderungsprofile
können während des Projekts variieren, damit sie den veränderten Kundenanforderungen
gerecht werden. Die unterschiedlichen Vorgaben im Product Backlog werden in unter-
schiedlichem Detaillierungsgrad angegeben, abhängig davon, wie gut sie bereits bekannt
sind. Voraussetzungen, die so ausführlich dargestellt sind, dass sie durchgeführt werden
können, nennt man „fertig“ (ready).

Die Anforderungen können in ein Sprint Backlog übertragen werden. Im Product Backlog
enthält die Anforderungsbeschreibung stets eine Aufwandsschätzung für die Umsetzung
der Anforderung. Diese Schätzungen werden von den Verantwortlichen vorgenommen,
die für die Durchführung zuständig sind und die jeweilige Arbeit verrichten werden. Übli-
cherweise werden Story Points als Maßeinheit für diese Einschätzung verwendet. Story Points
Die Story Points bilden
eine Messeinheit für die
Mithilfe von Story Points lässt sich der Gesamtaufwand für die komplette Durchführung Schätzung des gesamten
eines Elements im Product Backlog oder einer anderen Arbeit abschätzen. Bei der Schät- Aufwands, der zur voll-
zung mit Story Points erhält jedes Element eine bestimmte Punktzahl. Die rohen Werte ständigen Implementie-
rung eines Product-Back-
spielen dabei keine Rolle. Entscheidend sind die entsprechenden Relativwerte. So sollte log-Elements oder
eine Story, die mit einem Punkt bewertet wird, die Hälfte der Größe einer Story haben, die anderer Arbeiten erfor-
derlich ist.
mit zwei Punkten bewertet wird.

Das Sprint Backlog bildet die Grundlage für die konkrete Arbeit: In einem Sprint Backlog
wird die Arbeit beschrieben, welche für das jeweilige Inkrement (in Scrum: Sprint) vorge-
sehen ist. In einem gesonderten Meilensteintreffen (Sprint Planning) werden dazu geeig-
nete Vorgaben aus dem Product Backlog ausgewählt. Aus diesen lassen sich dann schließ-
lich spezifische Maßnahmen ableiten, damit ersichtlich wird, wodurch konkret das Sprint-
Ziel zu erreichen ist. Zu diesem Zweck ist es notwendig, auch den Arbeitsaufwand für die
Arbeitsaufgaben mit einem bestimmten Zielwert abzuschätzen. In der Regel dienen Perso-
nentage als Maßeinheit für eine solche Abschätzung.

55
Im Laufe eines Projekts wird der Sprint Backlog vom Projektteam ständig erneuert. Indem
man einfach die Schätzungen des Aufwands aller ausstehenden Aufgaben zusammen-
zählt, kann man leicht feststellen, ob ein Team derzeit im Zeitplan vorankommt. Die
Umsetzung der Vorgaben ist die Aufgabe derjenigen, die das Sprint Backlog erstellen. Aus
diesem Grund können nur sie das Sprint Backlog verändern. Da sie die Einzigen sind, die
für die Abarbeitung der Aufgaben im Sprint Backlog sorgen, sind neue Aufträge von außer-
halb nicht zulässig.

Das Scrum-Verfahren verwendet neben speziellen Begriffen auch manche Begrifflichkei-


ten aus dem Bereich der agilen Methode, die in den vorherigen Abschnitten erläutert wur-
den. Im Folgenden sind nochmals zusammenfassend wesentliche Bezeichnungen aufge-
listet:

• Ein Sprint bedeutet eine Iteration;


• Für die Erfüllung der Vorgaben im Scrum-Prozess ist der Scrum Master zuständig;
• Der Product Owner trägt als fachlicher Experte die Verantwortung für die gestellten
Anforderungen;
• Der Daily Scrum ist ein täglich stattfindendes Standortgespräch (Sprint);
• Die Retrospektive ist ein Feedbacktreffen zur Rückschau auf den Prozess zum Zweck der
kontinuierlichen Verbesserungen;
• Das Sprint Review ist ein Feedbackgespräch über das aktuelle Stadium des Sprints;
• Die „Definition of Done“ sind die Bedingungen, die vom gesamten Team akzeptiert wer-
den, zu welchem Zeitpunkt eine bestimmte Tätigkeit als abgeschlossen betrachtet wird;
• Das Product Backlog listet die Aufgaben oder Anforderungen auf, die für das Gesamt-
produkt zu erfüllen sind;
• Das Sprint Backlog enthält die Arbeitsaufgaben oder Anforderungen, die in der nächs-
ten Iteration (Sprint) durchzuführen sind.

3.3 Anwendungsbereiche von Scrum


Im Zusammenhang mit den Anwendungsbereichen von Scrum ist zunächst anzumerken,
dass in fast allen Projekten ähnliche oder artverwandte Methoden angewandt werden.
Neben Branchen und Einsatzbereichen in der agilen Softwareentwicklung, der industrie-
llen Produktentwicklung, der Automobilbranche, der Medizintechnik, der Organisations-
entwicklung oder im Marketing lässt sich Scrum auch noch in weiteren Branchen einset-
zen.

Folgende Abgrenzungen und Limitierungen bestehen in Bezug auf die Scrum-Methode:

Der Einsatz der Scrum-Methode ist nicht immer sinnvoll. Jenseits komplexer Rahmenbe-
dingungen, wenn die Bedürfnisse und Techniken – sozusagen die Frage nach dem Warum
und Wie – einigermaßen geklärt sind, bietet sich ein traditioneller Projektmanagementan-
satz im Sinne von Lernzyklen geradezu an. Dagegen führt ein planorientiertes Vorgehen in
einem komplexeren Zusammenhang nicht zum gewünschten Ergebnis.

56
Die Scrum-Methode stellt eine Sonderstellung unter den agilen Verfahren dar. Sie ent-
springt der Entwicklung von Software, wo sie bis heute vielfach eingesetzt wird. Dennoch
ist Scrum in seiner Beschreibung derart breit angelegt, dass die Methode grundsätzlich
ebenso in weiteren Arbeitsfeldern anwendbar ist. Es handelt sich nicht um einen Ansatz,
der die agilen Vorgehensweisen in ihrer Gesamtheit spezifiziert, als vielmehr um einen
Handlungsrahmen für das agile Management von Prozessen.

Der Scrum-Ansatz spezifiziert daher keine speziellen Verfahren, beispielsweise Planning


Poker oder Task Boards, welche anschließend innerhalb eines Projektes zum Einsatz Planning Poker
kommen, als vielmehr bestimmte Parameter, beispielsweise Projektrollen oder Prozessab- Dies ist eine spielerische
Technik zur Schätzung
läufe. Eine solche Unterscheidung des generellen Vorgehens und der einzelnen Verfahren von Aufwänden, bei der
dient dazu, den Betroffenen große Flexibilität bei der Anwendung der Methodik zu gewäh- die Teammitarbeitenden
ren. gemeinsam die Komplexi-
tät der zu bearbeitenden
Aufgaben schätzen.
Der Scrum-Rahmen definiert nur wenige Dinge, wie zum Beispiel, dass es exakt drei unter- Task Boards
schiedliche Rollen innerhalb eines Scrum-Teams gibt, deren Aufgaben er vorgibt. Außer- Das Task Board dient zur
Visualisierung von Aufga-
dem legt er fünf Arbeitsabläufe und drei vordefinierte Artefakte fest. ben (Tasks) für ein Team-
mitglied und das Team.
Eine erfolgreiche Anwendung von Scrum erfordert ein vertieftes Verständnis für:

1. den Scrum-Prozess,

2. die agilen Techniken und

3. das Projektumfeld, in dem es eingesetzt werden soll.

Werden Scrum-Projekte eingesetzt, obwohl diese Grundvoraussetzungen nicht gegeben


sind, verursacht es in der Regel mehr Schwierigkeiten als es hilft. Derartige Projekte kön-
nen sich im ungünstigsten Fall ohne die Grundvoraussetzungen anstatt zu einem erfolgrei-
chen „SCRUM-Projekt“ – rückwärts gelesen – zu einem misslungenen „MURCS-Projekt“
entwickeln.

ZUSAMMENFASSUNG
Scrum lässt sich außer in Branchen und Einsatzbereichen der agilen
Softwareentwicklung, der industriellen Produktentwicklung, der Auto-
mobilbranche, der Medizintechnik, der Organisationsentwicklung oder
im Marketing auch noch in weiteren Branchen einsetzen. Was die
Anwendungsbereiche von Scrum betrifft, so werden ähnliche oder ver-
wandte Methoden in fast allen Projekten eingesetzt.

Die Kenntnis und Nutzung des Scrum-Konzepts unterstützen Teams und


Organisationen dabei, Produkte iterativ und inkrementell zu liefern. Ein
erfolgreicher Einsatz des Scrum-Rahmenwerks erfordert das Verständnis
und die Anwendung der Scrum-Werte und Prinzipien der Erfahrung,
sodass ein professioneller Wertschöpfungsbeitrag für die Organisation

57
entsteht, während gleichzeitig die Komplexität der Produktlieferung
bewältigt wird. Das Konzept von Scrum besteht aus Scrum-Teams und
den damit verbundenen Rollen, Abläufen und Artefakten.

Bei Scrum handelt es sich nicht um einen Ansatz, der die agilen Vorge-
hensweisen in ihrer Gesamtheit spezifiziert, als vielmehr um einen
Handlungsrahmen für das agile Management von Prozessen. Für den
letztendlichen Projekterfolg ist es zudem wichtig, die Einschränkungen
und Grenzen der Scrum-Methode zu kennen und zu berücksichtigen.

58
LEKTION 4
AGILES PROJEKTMANAGEMENT MIT
KANBAN

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Bedeutung von Kanban-Werten, -Prinzipien, -Tafeln und -Karten sowie Anwen-
dungsbereiche von Kanban für ein effizientes und effektives Management von Projek-
ten innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu verstehen.
– die Kanban-Methodik als Grundgerüst des agilen Projektmanagements anzuwenden.
4. AGILES PROJEKTMANAGEMENT MIT
KANBAN

Einführung
Im Wesentlichen handelt es sich bei Kanban um eine Methodik zur Steuerung von Produk-
tionsprozessen. Das Verfahren basiert einzig und allein auf dem effektiven Materialver-
brauch am Ort der Bereitstellung und des Verbrauchs. Durch Kanban ist es möglich, lokale
Lagerbestände von produktionsnahen Zwischenerzeugnissen zu reduzieren, die dann in
Erzeugnissen der nachfolgenden Verarbeitungsstufe Verwendung finden.

Darüber hinaus ist Kanban für Produktionsunternehmen geeignet, welche ihre Tätigkeit in
einem Markt mit schnellen Veränderungen ausüben. Durch die Reduzierung der Eigenmit-
teleinbindung ist es möglich, das Produktangebot mit geringem Aufwand anzupassen,
und somit flexibel zu wirtschaften.

Das grundlegende Kanban-Board besteht entsprechend aus den folgenden drei Spalten:

• „To do“,
• „Doing“ und
• „Done“.

Abbildung 9: Vereinfachte Prinzipdarstellung eines Kanban-Boards

Quelle: Winkle, 2023, S. 15.

60
4.1 Kanban-Werte und -Prinzipien
Die Kanban-Werte und -Prinzipien basieren auf Vorgehensweisen der Steuerung von Pro- Kanban
duktionsprozessen. Kanban ist damit eine Methode des Produktionsprozessmanagements Dies ist eine Methode des
Produktionsprozessma-
mit dem Ziel, die Wertschöpfungskette auf jeder Fertigungsstufe einer mehrstufigen Integ- nagements mit dem Ziel,
rationskette kostenoptimiert zu steuern (Winkle, 2022, S. 221). die Wertschöpfungskette
auf jeder Fertigungsstufe
einer mehrstufigen Integ-
Das Verfahren basiert unmittelbar auf dem Materialverbrauch am Ort der Bereitstellung rationskette kostenopti-
und des Bedarfs. Mithilfe von Kanban können die Lagerbestände an Zwischenprodukten miert zu steuern (Winkle,
2022, S. 221).
innerhalb und in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten reduziert werden, die dann in
Erzeugnissen der nachfolgenden Verarbeitungsstufe eingesetzt werden.

Das Kanban-Verfahren hat den Anspruch, den Wertschöpfungsprozess innerhalb eines


vielstufigen Integrationsprozesses auf jeder Fertigungsstufe kostenoptimiert durchzufüh-
ren. Die Entnahme aus den betreffenden Pufferbeständen sowie die anschließende Liefe-
rung in diese Pufferbestände erfolgt dabei zeitversetzt. Indem die Pufferbestände in der
Fertigung auf die Produktionskette verteilt werden, entsteht eine einfache Lösung mit
simplen Informationsmitteln und mit geringen Transportwegen.

Der Begriff „Kanban“, der seinen Ursprung im Japanischen hat, setzt sich aus den folgen-
den zwei japanischen Wörtern zusammen: „Kan“ bedeutet Karte und „Ban“ bedeutet
Brett. Auf diesen Karten ist vermerkt, dass ein neues Erzeugnis, ein Bauteil oder ein Artikel
aus dem Lagerbestand benötigt wird. Die Karten werden anschließend, wie oben bereits
beschrieben, in die Spalten des Bretts (Boards) eingeordnet.

Das Kanban-System stellt eine Implementierung der Kontrollmethode dar, die unter dem
Oberbegriff Abrufprinzip (Pull-Prinzip) bekannt ist. Abrufprinzip
Innerhalb von Kanban-
geregelten Prozessen
Die Kanban-Werte können nur dann bestmöglich genutzt werden, wenn sie mit dem nöti- herrscht die Regel, dass
gen Inhalt zur Anwendung kommen und entsprechend in die Praxis einfließen. Alle einzel- die Produktion nur statt-
nen Kanban-Werte greifen unmittelbar ineinander und sind daher zwingend erforderlich. finden darf, wenn ein Pro-
duktionsauftrag (Kanban)
existiert. Damit wird die
Nachfolgend sind die einzelnen Werte kurz vorgestellt. Da alle Werte für sich genommen termingebundene oder
push-orientierte Ansteue-
von gleicher Bedeutung sind, ist die Reihenfolge der Werte nicht von Bedeutung.
rung durch die nachfrage-
orientierte Pull-Steuerung
Kanban-Werte (Abrufprinzip; Pull-Prin-
zip) abgelöst.

Werte in Form von Transparenz

Das Sichtbarmachen von Aufgaben auf der einen Seite sowie von Schwierigkeiten auf der
anderen Seite stellt den ersten Grundwert von Kanban dar. Mithilfe der Offenlegung lassen
sich die Prozesse nachvollziehbar darlegen und entsprechende Maßnahmen zur Verbesse-
rung einleiten.

61
Werte in Form von einer Balance

Das Hauptziel des Balance-Wertes ist es, die Leistungsanforderungen auf ein einheitliches
WIP Leistungsniveau zu stellen. Hierzu lassen sich WIP-Grenzwerte vereinbaren. Hinter der
Die Abkürzung WIP steht Kanban-Methodik verbergen sich Kanban-Verfahren und Grundprinzipien, die in agilen
für Work In Progress und
bezieht sich auf die Unternehmen weltweit zum Einsatz kommen. Sie alle haben die Gemeinsamkeit, ein aus-
Begrenzung der Menge an gewogenes Verhältnis zwischen Kundenanforderungen und Geschäftsfähigkeiten zu errei-
Arbeit. chen. Sind Unternehmen in dieser Balance gestört, haben sie häufig mit überarbeiteten
und ineffizienten Arbeitskräften, mangelnder Arbeitsqualität, unsicheren Prognosen, Lie-
ferverzögerungen sowie Zeitmangel für innovative Maßnahmen und folglich mit entgange-
nen Marktchancen zu rechnen. Die Anwendung der Kanban-Methodik bietet ein Instru-
ment, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen.

Werte im Sinne einer Kooperation

In einer gemeinsamen Zusammenarbeit finden Mitarbeitende, Arbeitsteams, das Füh-


rungspersonal und andere Beteiligte die Möglichkeit, die Arbeitsaufgaben zu bewältigen
sowie Verbesserungen vorzunehmen.

Werte in Form von Fokussierung auf die Kundschaft

Das Verständnis für die Bedürfnisse der Kundschaft ist für die Verbesserung der Arbeitsvor-
gänge von grundlegender Bedeutung.

Werte bezogen auf den Arbeitsfluss

Der Arbeitsablauf ist möglichst ausgewogen und flüssig zu gestalten. Behinderungen oder
anderweitige Beeinträchtigungen sind grundsätzlich zu verhindern.

Werte bezogen auf die Führung

Eine verantwortungsbewusste Führungskultur beinhaltet, bei der Erschließung von Ver-


besserungsmöglichkeiten die nötigen Maßnahmen zu ergreifen.

Werte bezogen auf ein gemeinsames Verständnis

Damit ein Wandel vollzogen und umgesetzt werden kann, bedarf es zunächst eines
gemeinsamen Verständnisses der bestehenden Rahmenbedingungen.

Werte bezogen auf gemeinsame Vereinbarungen

Kontinuierlicher Wandel entsteht nur durch eine einvernehmliche Zustimmung sämtlicher


Beschäftigten zu seiner Durchführung.

62
Werte bezogen auf Respekt

Dazu ist es unerlässlich, bei der Entscheidungsfindung, bei Misserfolgen und Erfolgen
Anerkennung zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass alle Beteiligten ihre Fähigkeiten
bestmöglich einbringen.

Kanban-Prinzipien

Die folgenden Praktiken sind in Kanban üblich und werden von den in der Praxis tätigen
Organisationen angewandt.

Bildliche Darstellung

Zur Darstellung des Prozesses werden die Arbeitsschritte der Wertschöpfungsstufe oft mit-
hilfe eines Whiteboards dargestellt. Mit Haftnotizen bildet das Whiteboard eine Kanban-
Tafel, bei der die einzelnen Spalten die jeweiligen Arbeitsabläufe abbilden.

Die einzelnen Aufgaben, Beiträge, Benutzergeschichten (User Stories) und dergleichen User Stories
notiert man auf Haftnotizen oder optional auf Karten, die während des Arbeitsprozesses Eine Benutzergeschichte
ist eine kurze Schilderung
auf der Kanban-Tafel von der linken Seite auf die rechte Seite rücken. der Bedürfnisse eines:r
Kund:in. Eine Anwender-
Limitierungen geschichte umfasst
wenige Sätze, die
beschreiben, welche Auf-
Zur Gewährleistung eines reibungslosen Arbeitsablaufs ist die Menge von Tickets im gabe der:die Anwen-
dende eines bestimmten
Arbeitsprozess (WIP), die gleichzeitig bearbeitet werden können, begrenzt. Bearbeitet eine
Erzeugnisses erfüllen
Arbeitsstation derzeit zehn Tickets mit einer vereinbarten Begrenzung auf zehn Tickets, ist möchte oder erreichen
es ihr nicht erlaubt, ein weiteres Ticket entgegenzunehmen, selbst wenn die Arbeitssta- will.
tion, die es bearbeitet, ein zusätzliches Ticket bearbeiten kann.

Dieser Ansatz wird als Pull-Prinzip bezeichnet: Das heißt, dass die einzelnen Arbeitsstati- Pull-Prinzip
onen jeweils die Aufgaben der vorherigen Arbeitsstation übernehmen und nicht nur die Nach dem Pull-Prinzip
strebt eine Unterneh-
bereits bearbeitete Aufgabe der nächsten Arbeitsstation übergeben. Auf diese Weise erhält mung danach, am Absatz-
jede Arbeitsstation auch die Möglichkeit, die von ihr zu erledigenden Aufträge zu bearbei- markt einen Bedarf für ihr
ten. Erzeugnis zu wecken.
Dagegen verfolgt ein
Betrieb nach dem Push-
Arbeitssteuerung Prinzip das Ziel, seine
Erzeugnisse zu den Ver-
braucher:innen auf den
Während des Kanban-Prozesses werden einzelne Bereiche, wie Warteschlangen, Durch- Absatzmarkt vorzudrin-
laufzeit und Durchsatz, überprüft. Dies hilft, zu erkennen, wo die Arbeit gut organisiert ist gen, indem er sie vertreibt
(pushed).
und wo Verbesserungen notwendig sind. Es erleichtert auch die Planung, sodass Zusagen
und Zuverlässigkeit erhöht werden.

Klarstellung

Damit alle Teilnehmenden mit den gleichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen


starten, gilt es, sämtliche Spielregeln zu definieren. Darin enthalten sind unter anderem
Begriffsbestimmungen, Definitionen der verschiedenen Rubriken und eindeutige Regelun-

63
gen, die festlegen, unter welchen Bedingungen ein Ticket auf der Kanban-Tafel weiterrückt
und wer zu welchem Zeitpunkt das jeweils nächstfolgende Ticket von der Liste der warten-
den Tickets zieht.

Feedback

Das Kanban-Modell ist dynamisch, weshalb laufend Rückkopplungen und Kontrollen statt-
finden. Beim Einsatz von Kanban geht es darum, zu sehen, wo Engpässe auftreten – zu die-
sem Zweck ist ein Feedbacksystem vorgesehen. So kann jede Arbeitsstation aufgrund von
Rückmeldungen feststellen, an welcher Stelle es gerade hakt, und wo möglicherweise
Unterstützung ansteht.

Verbesserungspotenzial

Wie soeben beschrieben, ist Feedback bei Kanban von zentraler Bedeutung. Durch die ein-
geleiteten Feedbackschleifen kommt es zu Weiterentwicklungen, wodurch bestimmte
Arbeitsschritte je nach Rückstand oder Notwendigkeit vereinfacht beziehungsweise sinn-
voll hinzugefügt werden können.

4.2 Kanban-Tafeln und -Karten


Kanban beschreibt sozusagen die waagerechte, japanische Abwandlung der klassischen
To-do-Liste Aufgabenliste (To-do-Liste). Sie findet immer mehr Zuspruch, da Kanban eine bessere Pla-
Die To-do-Liste, oder nung, Überwachung und Kontrolle des Arbeitsablaufs ermöglicht. Mit der Kanban-Tafel
auch Aufgabenliste, ist
eine Liste im Arbeitsab- lassen sich Projektprozesse und Arbeitsschritte veranschaulichen. Diese sind in über-
laufmanagement oder in schaubaren Rubriken mit individuellen Eingaben nacheinander abzuarbeiten (Kusay-
der Arbeitsplanung, die Merkle, 2018).
angibt, welche Tätigkei-
ten anstehen, welche Per-
sonen für sie zuständig Dadurch ist jederzeit ersichtlich, wo welche Aufgaben zu erledigen sind und an welcher
sind und bis zu welchem
Stelle Schwierigkeiten zu lösen sind. Hierbei ist die Kanban-Tafel sehr vielfältig einsetzbar
Zeitpunkt sie zu erledigen
sind. und gestaltbar – um sie bestmöglich auf die Bedürfnisse der Kund:innen auszurichten und
die Resultate zu optimieren.

Das Kanban-Verfahren findet vielfach in der Informatik und im Personalbereich Anwen-


dung, wird jedoch zunehmend in weiteren Branchen zur Überwachung von Projekten und
Prozessen genutzt.

Eine Tafel, oder auch Board (aus dem Englischen übernommen), stellt die Grundlage mit
drei Spalten dar, in denen die Arbeitsaufgaben auf Klebezetteln oder Karten mit den ent-
sprechenden Arbeitsschritten stehen.

Diese drei Spalten setzen sich wie folgt zusammen:

64
• Arbeitsaufgabe (To do): Die Liste enthält anfänglich sämtliche zu erledigenden Tätig-
keiten und Abläufe. Das ist ähnlich wie bei der traditionellen To-do-Liste. Die erste
Spalte der Kanban-Tafel enthält alle unerledigten Tätigkeiten, die in naher Zukunft von
einem Teammitglied oder einem Team zu erledigen sind.
• Durchführung (Doing): Wenn der erste Teil der Arbeitsausführung erfolgt ist und die
Durchführung begonnen hat, wird die entsprechende Karte in den entsprechenden
Abschnitt verschoben. So lässt sich im Überblick erkennen, was derzeit bearbeitet und
an welchen Projekten gerade gearbeitet wird.
• Fertiggestellt (Done): Eine Haftnotiz wird nur dann in der letzten Spalte der Kanban-
Tafel platziert, wenn die darauf befindliche Aufgabe auch wirklich erledigt wurde. Das
bedeutet eine komplette Fertigstellung, inklusive eventueller Endkontrollen oder Nach-
korrekturen.

Die wichtigsten Argumente für eine Kanban-Tafel:

• Durch die visuelle Darstellung des Projektverlaufs lassen sich Problemstellungen


anhand von Ticketanhäufungen erkennen;
• Manche Besprechungen erübrigen sich und ersparen somit Arbeitszeit;
• Die Kanban-Methode ist mit weiteren Verfahren, wie Scrum, kombinierbar;
• Indem die Ticketanzahl auf ein Maximum begrenzt wird, lassen sich Überlastungen
umgehen sowie die Abläufe handhabbar gestalten;
• Falls die Kanban-Tafel in den Büroräumen installiert ist, bietet sie eine Basis dafür, dass
sich das Team kontinuierlich austauscht;
• Dauerhaft lässt sich dadurch außerdem die Kooperation in anderen Aufgabenfeldern
fördern;
• Andererseits fördert Kanban das selbstständige Handeln, da die Möglichkeit besteht,
anstehende Aufträge zu jeder Zeit zu bearbeiten und abzuschließen.

Eine Kanban-Tafel bringt jedoch außer den vielfältigen Vorzügen auch gewisse Schwächen
und Beeinträchtigungen mit sich:

• Die traditionelle Tafelform ist nur in Teams mit einem festen Standort im Büroraum
möglich;
• Für diejenigen, die elektronisch kooperieren, oder für Teams, die über große Entfernun-
gen hinweg arbeiten, ist eine entsprechende Anwendung beziehungsweise eine Inter-
netlösung erforderlich;
• Der Zugriff auf die Kanban-Tafel ist für alle möglich – dies kann dazu führen, dass
Tickets abhandenkommen, wodurch sich der Prozess verzögert und Verärgerung ent-
steht;
• Das Kanban-Verfahren deckt Schwachpunkte auf, sodass “Underperformer” auffallen,
was eine Abkehr der Mitarbeitenden von der Methode bewirken kann;
• Das Kanban-System ist eher für kleinere Teams geeignet, ansonsten leidet die Über-
schaubarkeit;
• Kanban-Tafeln sind ungeeignet für umfangreiche, lang andauernde Projektarbeiten.

65
4.3 Anwendungsbereiche von Kanban
Das Kanban-System kann für die unterschiedlichsten Arten von Vorhaben eingesetzt wer-
den. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich im Wesentlichen um ein sehr offenes Ver-
fahren handelt, bei dem es keine zu starren Regeln und Grundsätze gibt, wie zum Beispiel
bei der Nutzung des Scrum-Verfahrens.

Außerdem ist das Kanban-System aufgrund seiner unkomplizierten Umsetzung sehr


beliebt. Für die Anwendung von Kanban sind normalerweise lediglich einige geringfügige
Änderungen am Projektmanagementprozess vorzunehmen. Anfangs wird nur eine Tafel
benötigt, die nach und nach immer wieder anzupassen ist.

Somit eignet sich die Kanban-Technik für die folgenden Arbeitsteams:

• Kleinere Arbeitsteams: Insbesondere kleine Arbeitsgruppen agieren in der Regel


bereits sehr agil. Daher bietet es sich umso mehr an, ein entsprechendes Kanban-Board
zu integrieren, da dadurch zusätzliche Strukturen geschaffen werden.
• Größere Arbeitsteams: Gerade bei größeren Arbeitsgruppen kann Kanban von Vorteil
sein, da es in derartigen Organisationen besonders anspruchsvoll ist, die neuen und agi-
len Abläufe umzusetzen. Hier hilft die simple Einführung einer Kanban-Tafel.
• Einzelne Personen: Auch einzelne Personen haben die Möglichkeit, ihre Produktivität
mit einer Kanban-Tafel zu steigern. Sie müssen dafür nicht viel zusätzliche Zeit aufwen-
den, denn das Kanban-Verfahren kann rasch angewendet werden.

Die Kanban-Technik kann bei einer einfachen Fertigungstiefe (Endfertigung) sehr gut ein-
gesetzt werden, um die Produktionsanlagen mit Ersatzteilen aus dem Bestand zu versor-
gen.

Für Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die auf einem sich rasch verändernden
Markt tätig sind, ist Kanban ebenfalls geeignet. Die Reduzierung der Eigenmittelbindung
(beispielsweise eine geringe Lagerhaltung) ermöglicht es, die Angebotspalette ohne grö-
ßere Einbußen zu verändern, und so agiler am Weltmarkt zu existieren.

Grundsätzlich ist das Kanban-System besonders für die Serienfertigung geeignet. Gerade
dann, wenn Vorgaben systematisiert durchgeführt und in Arbeitsabläufe zu überführen
sind, ist der Kanban-Einsatz besonders hilfreich. Dies gilt oftmals für Informatik-, Dienst-
leistungs- und Instandhaltungsaufgaben, die sich schlecht in Sprints gruppieren lassen.

Nachfolgend einige wesentliche Unterscheidungen vom Scrum-Modell zu den Prozessdar-


stellungen mittels der Kanban-Methode:

• Bei einem Kanban-Projekt existieren weder festgelegte Projektrollen noch feststehende


Besprechungen;
• Die Kanban-Methode trifft keinerlei zeitliche Vorgaben in Bezug auf Iterationsschritte;
• Aktualisierte Vorgaben lassen sich mit Kanban stets integrieren. Die Vorgehensweise bei
Scrum verändert sich im Laufe des Sprints grundsätzlich nicht.

66
Die Kanban-Tafel hat den Zweck, die Arbeitsabläufe visuell darzustellen. Auf diesem Weg
lassen sich eventuelle Engpässe rechtzeitig erkennen und beseitigen. Die Wertschöp-
fungsprozesse können somit kostenoptimiert gesteuert werden. Mit einer Kanban-Tafel
lassen sich zusätzlich weitere Zielvorgaben verfolgen.

Weitere Zielvorgaben unterstützen dabei …

• ... den Gesamtüberblick der Vielzahl von Arbeitsschritten zu bewahren, die in der Regel
nebeneinander ablaufen,
• zu visualisieren, in welchem Bearbeitungsstadium sich der jeweilige Arbeitsprozess
gegenwärtig aufhält,
• die Kooperation zu optimieren,
• die Zunahme der kommunikativen Zusammenarbeit zu fördern sowie
• die Kanban-Methode für die Abläufe eines Arbeitsteams übersichtlich aufzuzeigen.

Idealerweise erhalten alle Beteiligten stets sämtliche notwendigen Einzelinformationen


über die Übersicht auf der Kanban-Tafel darüber, …

• … welche Personen im Moment an welchen Aufgaben arbeiten,


• bei wem die Arbeit in welchem Umfang fortgeschritten ist,
• welche Mitarbeitenden mit dem Zeitplan in Verzug sind,
• wer Verstärkung benötigt sowie
• welche Mitarbeitenden verfügbar sind.

ZUSAMMENFASSUNG
Die Wertvorstellungen der Kanban-Methode unterscheiden sich nicht
wesentlich von den Scrum-Prinzipien. Im Allgemeinen basieren sie
ebenfalls auf den Grundsätzen des Agilen Manifests und der agilen
Arbeitsweise im engeren Sinne.

Eine Kanban-Tafel ist keine Wunderwissenschaft, doch deshalb ist die


Methode nicht weniger effektiv. Für die Arbeitseffektivität gibt es unter
anderem folgende einfache Ursache: Es ist eine anschauliche Visualisie-
rung des Arbeitsablaufs.

Ein wesentlicher Mehrwert für zahlreiche Arbeitsteams besteht darin,


dass die visuelle Darstellung auf einer Kanban-Tafel zeitaufwändige und
lästige Besprechungen erspart.

67
LEKTION 5
IMPLEMENTIERUNG VON AGILE IM
UNTERNEHMEN

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Implementierung agiler Methoden für ein Management von Projekten innerhalb
und außerhalb von Unternehmen zu verstehen.
– agile wertorientierte Strategien und effektive agile Produktentwicklungsmaßnahmen
mit Unterstützung eines Coachings im Unternehmen zu implementieren.
5. IMPLEMENTIERUNG VON AGILE IM
UNTERNEHMEN

Einführung
Für die Implementierung von agilen Methoden im Unternehmen gilt für agile Organisati-
onsstrukturen die gleiche Grundvoraussetzung wie für traditionelle Organisationsstruktu-
ren, um ein angestrebtes Resultat wirkungsvoll zu erzielen. Die Wahl des Prozessmodells
mit seinen Verfahren und Instrumenten sollte zur konkreten Ausgangslage und damit zu
den speziellen Bedürfnissen des Projekts sowie (im gleichen Maße) den daran teilhaben-
den Akteuren und Institutionen auf allen maßgeblichen Handlungsebenen angemessen
sein.

5.1 Implementierung von agilen,


wertorientierten Lieferstrategien
Gerade in komplexeren Entwicklungsvorhaben implementieren viele Organisationen
agile, wertorientierte Strategien, damit sie rasch und wirkungsvoll auf die sich ständig ver-
ändernden Bedürfnisse des Marktes und der Kund:innen mit ihren Produkten und Dienst-
leistungen angemessen eingehen können. Um die Vorteile agiler Vorgehensweisen nutzen
zu können, sollten die Führungsverantwortlichen in Forschungs- und Entwicklungsabtei-
lungen sowie die leitenden Führungskräfte die Wertvorstellungen und Grundsätze agiler
Verfahrensweisen in ihrer Organisation verankern.

Die praktische Erfahrung belegt, dass ein agiler Methodeneinsatz auf der Grundlage einer
agilen Bewusstseinsbildung, insbesondere im Management, beruht.

Entscheidungstragende in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die den Bereich


agiler Vorgehensweisen unterstützen, sollten sich über Folgendes im Klaren sein:

Durch die Einführung von agilen Arbeitsformen findet ein kultureller Wandel statt, der Aus-
wirkungen auf Managementsysteme, Abläufe und Organisationsstrukturen hat. Dieser
Wandel gelingt nur, indem sich die Führungskräfte schon vor dem Modellvorhaben einge-
hend mit den agilen Grundsätzen und Verfahren auseinandersetzen und die damit einher-
gehenden Umstellungen verstehen. Das Management ist gefordert, sich gezielt für die Ver-
änderung einzusetzen und agiles Bewusstsein vorzuleben. Ausschließlich hierdurch kann
der von den agilen Verfahren erwartete Nutzen verwirklicht werden.

Der Einsatz agiler Arbeitsmethoden verlangt nach einem spezifischen Managementansatz.


Die Führungskraft hat nicht mehr die Fachkompetenz, sie bestimmt nicht die fachspezifi-
sche Problemlösung, die Arbeitsgestaltung ihres Arbeitsteams oder der Fachabteilung. Im
Gegenteil: Jede:r Mitarbeitende innerhalb agiler Arbeitsgruppen soll die eigene Arbeit

70
selbstverantwortlich gestalten und eigenständig entscheiden. Um dies zu erreichen,
bedarf es einer transparenten und klaren Kommunikationsbasis untereinander. Das setzt
eine vertrauensvolle und wertschätzende Kooperation zwischen den Mitarbeitenden und
den Führungskräften voraus.

Das Management muss sich entsprechend umstellen und dafür die Voraussetzungen
schaffen. Das Verständnis für die Spielregeln und die Arbeitsweise der agilen Methode
allein ist nicht ausreichend. Die zugrundeliegenden Grundsätze sowie Wertvorstellungen
sind zu verinnerlichen und ein verändertes Managementverhalten ist zu implementieren.
Dies ist die Grundvoraussetzung, damit agile Verfahren konsistent und dauerhaft wirksam
in der Praxis zum Erfolg führen.

5.2 Erstellen einer effektiven agilen


Product-Roadmap
Bei einer effektiven agilen Product-Roadmap handelt es sich um einen projektbezogenen
Plan, der aufzeigt, welche Entwicklung ein bestimmtes Endprodukt oder eine bestimmte
Problemlösung im Zeitverlauf nehmen wird. Produktverantwortliche (Product Owner)
nutzen eine Roadmap, um zukünftige Produkteigenschaften und Veröffentlichungster-
mine für neue Funktionen zu beschreiben. Eine Roadmap liefert innerhalb agiler Entwick-
lungsprozesse den Rahmen für die täglichen Teamaufgaben und berücksichtigt die Verän-
derungen im Wettbewerbsumfeld.

Anhand von Roadmaps erstellen Produktverantwortliche einen Überblick über künftige


Produktfeatures und Veröffentlichungstermine für neue Funktionen. Eine Roadmap liefert
im Rahmen der agilen Entwicklungsarbeit wesentliche Anhaltspunkte für die täglichen
Arbeiten innerhalb der Arbeitsgruppe und ist auf die Veränderungen im Wettbewerbsum-
feld abzustimmen. Verschiedene agile Arbeitsteams können sich gemeinsame Produktpla-
nung teilen. Ein sorgfältig erstellter agiler Fahrplan ist indessen leicht zu ermitteln und zu
begreifen.

Die Produktverantwortlichen beachten bei der Erarbeitung einer Roadmap den Markt-
trend, die Wertvorstellungen und die Beschränkungen bei der Entwicklung. Sind diese
Aspekte hinreichend bekannt, finden sie sich in der Planung in Form von Maßnahmen und
Zeitplänen wieder.

5.3 Coaching eines agilen Teams


Die Entwicklung und das Management von Produkten, die in der Vergangenheit kompli-
ziert erschienen, haben sich heutzutage zu einem komplexen Prozess entwickelt. Heute
geht es nicht mehr nur um die Fortentwicklung des existierenden Produkts und der etab-
lierten Idee. Es ist heute entscheidend, die Kundschaft zu gewinnen. Hierbei kommt es
heute darauf an, einen tatsächlichen Kundenvorteil herzustellen. Im Rahmen der Digitali-

71
sierung gilt es, sich vollkommen umzuorientieren. Das bedeutet: Wenn die Verbraucher-
schaft direkt eine intelligente, schnell verfügbare und geeignete Technologie verwenden
kann, weshalb sollte sie dann einen umständlichen, altmodischen und zeitraubenden Weg
einschlagen?

Die Entwicklung neuer Ansätze in der Teamarbeit sowie in der Entwicklung von Produkten
verlangt eine Loslösung von vertrauten Denkmustern und Grundannahmen. Dies stellt
eine Mammutaufgabe dar.

Mangelnde Beratungsleistungen und fehlender Mut zeigen sich in Betrieben, die den digi-
talen Wandel nicht offensiv angehen. Wo es an mutigen Entscheidungen mangelt, herrscht
Fehler auch Angst: die Angst davor, Fehler zu begehen (Winkle, 2022, S. 218).
Ein Fehler ist der Kontrast
zwischen dem gewünsch-
ten und dem tatsächli- Während in der Produktentwicklung bisher – ähnlich wie beim menschlichen Versagen im
chen Wert bzw. der Leis- Straßenverkehr – die menschlichen Fehler eher offensichtlich sind, zeigt sich die Über-
tung eines Systems oder nahme der Verantwortung für Fehler in immer komplexer werdenden Zusammenhängen
einer menschlichen
Handlung (Winkle, 2022, zunehmend schwieriger.
S. 218).
Durch technische Unterstützungen, IT-Anwendungen und vor allem den Einsatz von
Künstliche Intelligenz Künstlicher Intelligenz sowie weltweiter Vernetzung treten in der subjektiven Wahrneh-
Dies ist ein Teilgebiet der mung und der allgemeinen Erwartungshaltung sogenannte technische Fehler in den Vor-
Informatik, das sich mit
der Automatisierung dergrund, wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist.
intelligenten Verhaltens
befasst. John McCarthy
prägte 1956 die Definition
Abbildung 10: Mögliche subjektive Wahrnehmung sowie erhöhte Kundenerwartung
von Systemen der Künstli- bzgl. zukünftiger technischer Fehler
chen Intelligenz (KI) als
„Wissenschaft und Tech-
nik der Erschaffung intel-
ligenter Maschinen“
(Winkle, 2022, S. 212).

Quelle: Winkle, 2022, S. 35.

72
Künstliche Intelligenz kann auch im Projektmanagement von großem Gewinn sein, sie
bringt jedoch ebenso erhebliche Risiken mit sich, sofern sie die menschlichen Interessen
und Anforderungen nicht in den Fokus ihres Tuns und ihrer Überlegungen rückt. Deshalb
sind die gefährlichen Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz im Rahmen einer Risikobe-
trachtung zu begrenzen (Bundesgerichtshof [BGH], 16.06.2009, VI ZR 107/08).

Die Möglichkeiten zur Erzielung nützlicher Auswirkungen dieser Innovationen müssen mit
dem Zweck genutzt werden, neue Vorteile und einen zusätzlichen Beitrag für die Allge-
meinheit zu schaffen. Dies erfordert das Erkennen und das Verständnis für mögliche Feh-
ler und Risiken im Zusammenhang mit den dafür notwendigen Softwarealgorithmen. Dies
erfordert die Einbindung der von IT-Entscheidungen betroffenen und beteiligten Akteure
in die Technologieentwicklung.

Das Hauptziel besteht darin, ein gesellschaftlich und individuell akzeptiertes oder erlaub-
tes Risiko durch Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit von Softwarealgorithmen zu Erlaubtes Risiko
erfüllen (siehe Abb. 11). Nicht akzeptable Risiken lassen sich beispielsweise durch den Ein- Das Inverkehrbringen risi-
kobehafteter Produkte ist
satz von Qualitätsmaßnahmen (QM), Regularien, Standards, Praxisleitfäden (Code of Prac- dann nicht als fahrlässig
tices) (Knapp et al., 2009) oder Ethik Leitfäden (Codes of Ethics) in gesellschaftlich und (und damit "erlaubt") zu
individuell akzeptierte Risiken verwandeln. Dadurch kann sich die Eintrittswahrscheinlich- beurteilen, wenn nach
der herrschenden Mei-
keit und/oder das Ausmaß eines Schadens durch Tests mit relevanten Stichproben redu- nung der Rechtsgemein-
zieren. Ein Beispiel für die Begrenzung von Ausfallraten bietet die ISO-Norm 26262 (ISO, schaft der mit dem Pro-
dukt verbundene Nutzen
2018) für Sicherheitsniveaus und sichere Zustände (Safe State).
so groß ist, dass ein ver-
einzelter Schaden in Kauf
genommen werden kann
(Winkle, 2022, S. 224).
Sicherheit
Dies ist ein Zustand des
Schutzes vor Schäden
oder anderen uner-
wünschten Folgen, ein
Maß an akzeptablen Risi-
ken, ohne dass unan-
nehmbare oder unange-
messene Risiken
verbleiben (Winkle, 2022,
S. 227).
Sicherer Zustand
Wenn ein System durch
seine Selbstdiagnose
einen Fehler feststellt,
sollte es in einen Zustand
übergehen, in dem das
System keine Gefährdung
mehr verursacht. Dieser
sichere Zustand hängt
von der Art des Gesamt-
systems ab (Winkle, 2022,
S. 227).

73
Abbildung 11: Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit bei gesellschaftlich und
individuell akzeptierten Risiken

Quelle: Winkle, 2022, S. 102.

74
Eine Nichteinhaltung von Vorgaben kann im Extremfall zu rechtlichen oder wirtschaftli-
chen Auswirkungen führen. Daraus ergeben sich zum einen mögliche Ansprüche aus zivil-
rechtlicher Haftung für Sach-, Vermögens- und Personenschäden oder Schmerzensgeld.
Die Haftung liegt in erster Linie beim Hersteller. In begründeten Fällen können auch Liefer-
anten, Importeure, Händler sowie die Verkäufer ohne Einschränkung haftbar gemacht
werden (Winkle, 2015).

Darüber hinaus kann es in Fällen einer rechtlich begründeten strafrechtlichen Haftung


auch zu besonderen Konsequenzen für das Topmanagement oder einzelne Mitarbeitende
kommen, wenn nachgewiesen wird, dass Risiken nicht auf ein akzeptables Maß minimiert
wurden (BGH, 16.06.2009, VI ZR 107/08). Bei schwerem Verschulden oder je nach Delikt als
Fahrlässigkeit kann dies ein persönliches Strafverfahren gegen eine:n Entwickler:in nach
sich ziehen. Neben den möglichen rechtlichen Konsequenzen müssen die Hersteller auch
mit erheblichen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen rechnen. Negative Schlagzeilen
in den Medien können zu erheblichen Gewinn- oder Umsatzeinbußen, Imageschäden, Ver-
trauensverlusten und damit zum Verlust von Marktanteilen führen. Daher müssen bei der
Entwicklung neuer technischer Systeme sowohl die Folgen möglicher rechtlicher als Technisches System
auch wirtschaftlicher Risiken berücksichtigt werden (Winkle, 2022, S. 74–119). Ein Zusammenspiel von
einzelnen Komponenten,
die so organisiert sind,
Abbildung 12 gibt einen Überblick über die möglichen Auswirkungen bei Nichteinhaltung dass sie eine bestimmte
von Anforderungen. Funktion oder mehrere
Funktionen erfüllen. Ein
System (griechisch sýs-
tema „aus mehreren Ein-
zelteilen zusammenge-
setzt“) wird auch als ein
begrenzbares, natürliches
oder künstliches
„Gebilde“ definiert, das
aus verschiedenen inter-
agierenden Komponen-
ten besteht, die aufgrund
einer strukturierten
Beziehung als eine
gemeinsame Einheit
betrachtet werden/
werden können (Winkle,
2022, S. 228).

75
Abbildung 12: Mögliche Auswirkungen bei Nichteinhaltung von Anforderungen

Quelle: Winkle, 2022, S. 78.

Allgemein sind eindeutige organisatorische oder branchenübergreifende Führungsstruk-


turen erforderlich sowie Leitlinien, die ethische und rechtliche Grundsätze der Informati-
onsverarbeitung festlegen, wie auch technisches, betriebswirtschaftliches und rechtliches
Fachwissen.

76
In diesem Zusammenhang gestalten sich die Verantwortlichkeiten innerhalb der Entwick-
lungsmitarbeitenden ebenfalls zunehmend komplexer. Das Buch „Product Development
within Artificial Intelligence, Ethics and Legal Risk - Exemplary for Safe Autonomous Vehic-
les“ fasst eine unterstützende Entwickler-Checkliste zusammen, die nachhaltiges Team-
und agiles Projektmanagement unter der Herausforderung der Künstlichen Intelligenz
berücksichtigt (Winkle, 2022, S. 165–177). Darin sind beispielsweise folgende Themen
beschrieben:

• detaillierte Fragen zu Praktiken der Teamkommunikation in Bezug auf die Ziele für
nachhaltige Entwicklung (SDG) und die Ziele für innere Entwicklung (IDG) (Fragen 102
bis 113),
• detaillierte Fragen zu den Fähigkeiten und dem Verhalten der Teamleitung (Fragen 114
bis 130),
• detaillierte Fragen zur Teamentwicklung und zur Unterstützung der Organisationsent-
wicklung durch einen internen oder externen Coach (Fragen 131 bis 148),
• detaillierte Fragen zu den persönlichen und entwicklungsbezogenen Fähigkeiten aller
Einzelpersonen (Fragen 149 bis 155),
• Praxisfragen aus der Wirtschaftsethik für alle Führungskräfte und Mitarbeitenden (Fra- Wirtschaftsethik
gen 156 bis 166), Die Wirtschaftsethik
befasst sich mit der Ausei-
• Fragen zu einem ökologisch-ökonomischen, nachhaltigen Managementansatz (Cor- nandersetzung von ethi-
porate Social Responsibility (CSR)) (Fragen 167 bis 176), schen Grundsätzen im
• eine Checkliste für die Auswahl von Projektleitenden (Fragen 177 bis 195) sowie Zusammenhang mit dem
wirtschaftlichen Verhal-
• vertiefende Fragen zur eigenen Selbstreflexion oder für jede einzelne Person (Fragen ten und ihrer praktischen
196 bis 303). Umsetzung auf diesem
Gebiet.
Nachhaltiger Manage-
Diese Fragestellungen bilden die Basis für eine qualitativ hochwertige agile Teamarbeit mentansatz
mit dem Ziel, sichere Produkte und Dienstleistungen zu erzeugen. Ein nachhaltiger Manage-
mentansatz beinhaltet
ethische, soziale, ökologi-
Die Praxis aus dem agilen Coaching zeigt, dass Ängste sich im Hinblick auf eine Degradie- sche, kulturelle und wirt-
rung beziehungsweise Dequalifizierung für Mitarbeitende und Manager:innen zum hand- schaftliche Unterneh-
lungsleitenden Faktor entwickeln. Dies betrifft insbesondere die Change-Prozesse beim mensstrategien für
Langlebigkeit, Transpa-
Übergang zu agilen Arbeitsformen und kundenzentrierter, iterativer Entwicklung von Pro- renz und angemessene
dukten sowie Dienstleistungen. Mitarbeitendenentwick-
lung. Die soziale Verant-
wortung der Unterneh-
Die agilen Coaches begleiten diese Veränderungen in der Zusammenarbeit mit den men (Corporate Social
Arbeitsteams und den Organisationen. Dazu werden Coachings, Trainings oder begleit- Responsibility, CSR) hin-
gegen basiert auf Ethik,
ende Beratungsleistungen durchgeführt. Agile Coaches sind Wegbegleiter für alle Beschäf-
Moral und Normen, die
tigten in diesem Prozess. langfristig gelten (Winkle,
2022, S. 216).
Bei agilen Coaches handelt es sich um Expert:innen, die Einzelne und gesamte Arbeits- Corporate Social Res-
ponsibility
teams gemeinsam mit der Gesamtorganisation dabei unterstützen, den Grad der Agilität Die Corporate Social Res-
zu erhöhen, indem er:sie die Organisation anleitet, moderiert, Fachwissen und persönli- ponsibility, abgekürzt
che Erfahrungen weitergibt oder einfach nur coacht (mitunter als berufliches Coaching CSR, wird im deutschen
als gesellschaftliche
definiert). Viele agile Coaches verfügen über eine Basisausbildung in zumindest einem agi- Unternehmensverantwor-
len Rahmenkonzept (beispielsweise Scrum), andere hingegen können ein komplettes Aus- tung oder auch als unter-
bildungsprogramm im Bereich der agilen Methoden anbieten. nehmerische Sozialver-
antwortung bezeichnet.
Sie beinhaltet zusätzliche
freiwillige Aktivitäten der
Wirtschaftsunternehmen

77
zu einer nachhaltigen Ent- Eine agile Coach setzt Moderation ein, indem sie die Fähigkeiten einer wirksamen Team-
wicklung, die über die
gesetzlichen Anforderun-
Moderatorin, beispielsweise eines Scrum Masters, vermittelt. Eine Coach setzt die Modera-
gen hinausgehen (Winkle, tionsmethode auch ein, wenn sie maßgeschneiderte Trainings entwickelt und abhält, die
2022, S. 169). genau den Anforderungen ihrer Kund:innen entsprechen.

Der Großteil der agilen Coaches verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz aus früheren
Arbeitseinsätzen, den sie weitergeben und auf neue Arbeitssituationen übertragen.
Dadurch können sie Unternehmen dabei helfen, herauszufinden, welche Methoden in
ihren speziellen Situationen am geeignetsten erscheinen.

Das Agile Manifest enthält eine Kurzbeschreibung der agilen Methode mit lediglich 264
Worten (Preußig, 2020). Kann damit die agile Vorgehensweise derart komplex sein? Hier
lautet die Antwort: Die Anwendung der Methode kann sehr komplex und vielschichtig
sein. Jede Organisation sieht sich mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert, die mit der
Umstellung auf eine agile Arbeitsmethode einhergehen. Die Umstellung von einer Vielzahl
von gleichzeitig zu bearbeitenden Projekten auf eine möglichst geringe Anzahl von Projek-
ten nach dem Motto „alle Mann an Deck“ ist wesentlich einfacher ausgedrückt als umge-
setzt. Hierzu ist es erforderlich, die Prioritäten der verschiedenen Projektbeteiligten fest-
zulegen, wobei einige Beteiligte Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Angesichts der Tatsache, dass es keinen einfachen stufenweisen Ansatz zur Umsetzung
von agilen Methoden gibt, und des damit einhergehenden agilen Mindsets, übernehmen
agile Coaches so oft wie möglich die Rolle des „Coaches“. Auf diese Weise tragen agile
Coaches dazu bei, das Fachwissen, die Erfahrungswerte und die Kompetenzen der Mitar-
beitenden im Unternehmen zu aktivieren und sie dazu zu ermutigen, das Gelernte umzu-
setzen, damit sie ihre organisationsspezifischen Problemstellungen auf agile Art und
Weise bewältigen können.

Normalerweise beginnen agile Coaches ihre Arbeit damit, offene Fragen zu stellen, wie
zum Beispiel:

• Ungeachtet aller Überlegungen zu agilen Methoden – was sind Ihrer Meinung nach die
Herausforderungen, innerhalb derer sich das Unternehmen befindet?

Darüber hinaus können sie außerdem eine vergleichbare Frage zu möglichen Alternativen
formulieren. Eine andere häufige Frage ist folgende:

• Auf der Grundlage dessen, inwieweit Sie über Agilität informiert sind oder welche Infor-
mationen Sie darüber erhalten haben – welche Gefahren oder Probleme erwarten Sie
bei der Umstellung auf eine agile Vorgehensweise und welche Bedenken haben Sie?

In einem neuen Arbeitskontext ist es das Ziel eines:r agilen Coaches, die notwendigen
Erkenntnisse zu übermitteln, die nötig sind, damit ein Team das neue agile Vorgehen
annehmen und zu außerordentlichen Resultaten führen kann. Die Mitarbeitenden lernen,
mit welchen Verfahren sie gut und mit welchen sie weniger gut arbeiten können. Dabei
profitieren sie von den Fähigkeiten der Coaches, die sie aus vielen anderen Disziplinen
kennen.

78
Eine Person, die agiles Coaching durchführt, benötigt die folgenden Eigenschaften
(Winkle, 2022):

• Verständnis dafür, welche Voraussetzungen erfolgreiche agile Coaches erfüllen müssen,


• Beherrschen sämtlicher Funktionen von agilen Coaches: Trainer:innen, Berater:innen,
Konfliktmanager:innen und leistungsorientierten Coaches,
• Kreieren eines Arbeitsumfeldes, welches selbstorganisierten, hochleistungsfähigen
Arbeitsgruppen die Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln,
• Coaching von Arbeitsgruppen auf dem Weg von der Kooperation zur vollständigen
Teamarbeit,
• Entwickeln des eigenen Führungsverhaltens, während das Unternehmen sich entwi-
ckelt und wandelt,
• Engagement, ohne das Arbeitsteam zu beherrschen und dessen Weiterentwicklung zu
behindern, sowie
• Erkennung von Fehlschlägen, Erholungsphasen und Erfolgsmodellen im Coaching.

Für jedes Teammitglied gilt es, möglichst viele Erkenntnisse aus dem persönlichen Coa-
ching Angebot herauszuholen. Dabei beginnt das Coaching eines agilen Teams beim Tei-
len der Roadmap.

Agiles Coaching hat außerdem die Aufgabe, die Zusammenarbeit im Team zu unterstüt-
zen. Hierzu sind unter anderem die Aspekte des Gleichgewichts von Bedeutung. Ein
anpassungsfähiges, kreatives, reifes und differenziertes Verhalten innerhalb der Zusam-
menarbeit aller Expert:innen im Team lässt sich über die folgenden Aspekte der Balance
darstellen (Winkle, 2022, S. 219), die alle Teammitglieder berücksichtigen sollen:

• ein stabiles und flexibles Selbst,


• ein offenes und achtsames Herz,
• ein klarer Verstand,
• moderate Reaktionen,
• sinnvolle Beharrlichkeit,
• achtsam sein für ein stabiles, selbstbestätigtes Selbstgefühl,
• Emotionen, Körperempfindungen und Ängste spüren und regulieren können,
• die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, sich Stabilität und innere Präsenz zu geben,
• auf Menschen und Ereignisse im Umfeld maßvoll reagieren,
• sich den aktuellen Herausforderungen stellen sowie
• bereit und fähig sein, Schmerz, Unbehagen, Enttäuschung und Frustration mit Leiden-
schaft zu ertragen, um bestimmte Ziele zu erreichen.

Weiterhin ist die Fähigkeit, zu differenzieren, erforderlich, um ein Gleichgewicht zwischen


den Bedürfnissen nach Autonomie und Engagement herzustellen. Die oben genannten
Aspekte der inneren Balance sind kraftvolle Aspekte. Sie können unterstützen, wenn Füh-
rungskräfte, Expert:innen oder Teammitglieder mit Konflikten oder mit Entscheidungssi-
tuationen konfrontiert sind.

Die folgenden Beispielfragen beziehen sich auf die persönlichen und entwicklungsbezoge-
nen Eigenschaften aller Teammitglieder (Winkle, 2022, S. 168):

79
• Haben alle Teammitglieder Freude an ihrer Arbeit?
• Wird das einzelne Teammitglied in seiner Individualität, den persönlichen Eigenschaf-
ten, den Fähigkeiten, Einstellungen, Kenntnissen und den Potenzialen angemessen
geschätzt und gewürdigt?
• Entwickelt die Arbeit sowohl das Unternehmen als auch den:die Einzelne:n?
• Verfügen sowohl die Führungskräfte als auch die Teammitglieder außer Fachkenntnis-
sen über ausreichende menschenzentrierte Fähigkeiten?
• Sind sowohl die Teammitglieder als auch die Führungskräfte achtsam, flexibel, reagie-
ren maßvoll und bleiben in sinnvoller Beharrlichkeit?
• Sind ausreichend Kompetenzen zur Selbstorganisation oder Selbstführung aller Perso-
nen vorhanden?
• Können Stressbewältigungsprogramme eine fokussierte Aufmerksamkeit und stabilisie-
rende Achtsamkeit trainieren (zum Beispiel Mindfulness-Based Stress Reduction
(MBSR))?
• Sind die Teammitglieder auf das konzentriert, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist
(Gesundheit, Familie, Freunde, Erfolg, Geld usw.)?
• Welche Werte treiben die Teammitglieder an (Disziplin, Genauigkeit, Exzellenz, Ehrlich-
keit, Glaube, Lebensfreude, Transparenz, Klarheit, Präsenz, Selbstrespekt, Gerechtig-
keit, sozialer Respekt, Fairness, Integrität, Liebe)?
• Bedeutet ein ethisches, moralisches Handeln im konkreten Fall tatsächlich Verzicht?
• Sind die Führungskräfte bereit, bei Bedarf auf kurzfristige Gewinne, die anderen scha-
den, zu verzichten?

In der folgenden Abbildung sind die wesentlichen Aspekte der Balance für Teams inklusive
ihrer Führungskräfte zusammengefasst:

80
Abbildung 13: Agiles Coaching – Aspekte der Balance für Teams

Quelle: Winkle, 2022, S. 210.

ZUSAMMENFASSUNG
Die Implementierung von agilen und wertorientierten Maßstäben im
Unternehmen bedingt die Erstellung einer agilen Produkt-Roadmap und
empfiehlt die Unterstützung von einem agilen Coaching durch langjäh-
rig erfahrene Berater:innen, die das agile Team unterstützen.

Ein sogenannter agiler Coach mit Erfahrung in agilen Geschäftsprozes-


sen begleitet eine Institution dabei, ihre Prozesse zu flexibilisieren und
anpassungsfähiger zu gestalten. Die agile Coach betrachtet und spiegelt
dem Auftraggeber ihre Wahrnehmung, die ihn unterstützt, den Prozess
zu reflektieren und entsprechend anzupassen.

81
In der agilen Sichtweise definieren wir einen agilen Coach als jemanden,
der sowohl den Trainertyp als auch den systemischen Coach verkörpert
und zusätzlich weitere Aufgabenbereiche, wie die des Moderators, des
Organisationsentwicklers sowie des Mentors, übernimmt.

Entwickler-Checklisten unterstützen ein nachhaltiges Team und agiles


Projektmanagement bei der Herausforderung der neuen Anforderungen.

82
LEKTION 6
AUSWEITUNG VON AGILE AUF DAS
GESAMTE UNTERNEHMEN

LERNZIELE

Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie in der Lage sein, ...

– die Ausweitung agiler Methoden für ein Management von Projekten innerhalb und
außerhalb von Unternehmen anzuwenden.
– die Skalierung der agilen Praktiken im gesamten Unternehmen zu beurteilen.
6. AUSWEITUNG VON AGILE AUF DAS
GESAMTE UNTERNEHMEN

Einführung
Bei der agilen Skalierung geht es um die Gestaltung einer lernenden Gesamtorganisation.
Es ist nicht hilfreich, eine Blaupause für die Skalierung zu kopieren. Vielmehr ist es erfor-
derlich, die agilen Methoden beständig anzuwenden, sodass man seinen individuellen
Prozess findet.

Derartige agile Skalierungen kommen dann zum Tragen, wenn verschiedene Arbeitsgrup-
pen an demselben Erzeugnis mitwirken und/oder agile Methoden unternehmensweit ein-
gesetzt werden sollen.

Leider geraten Organisationen im Zusammenhang mit der agilen Skalierung zu häufig in


altbewährte Verhaltensmuster und Denkstrukturen. Die folgende Lektion befasst sich des-
halb mit den Prinzipien, die bei der agilen Skalierung zu beachten sind, um eine optimale
Umsetzung zu gewährleisten.

6.1 Agile-at-Scale-Praktiken im gesamten


Unternehmen
Eine Ausweitung von agilen Methoden unterstützt das gesamte Unternehmen dabei, kun-
denorientierter und zügiger für den Auftraggeber zu entwickeln. Die Einführung von agi-
lem Arbeiten in individuellen Arbeitsgruppen ist eher unkompliziert. Die eigentliche Auf-
gabe besteht darin, die Einführung von agilem Handeln in der Gesamtorganisation zu
vollziehen (Schiefer, 2022).

In der Praxis hat sich oft eine Verknüpfung der agilen Techniken als sinnvoll erwiesen.
Scrumban Scrumban ist ein agil ausgerichteter Ansatz für die Produktlieferung mit einer Mischung
Dieser Ansatz wurde aus Scrum und Kanban. Innerhalb von Scrumban wird die Teamarbeit in kleinen Iteratio-
ursprünglich zur Erleich-
terung für den schrittwei- nen organisiert und mithilfe eines visuellen Boards überwacht – ähnlich den Scrum- und
sen Umstieg zwischen Kanban-Boards. Zur Veranschaulichung jeder Arbeitsphase verwenden Teams, die im sel-
Scrum und Kanban entwi- ben Raum arbeiten, häufig Post-it-Notizen oder ein großes Whiteboard.
ckelt.

Das grundlegende Scrumban-Board besteht zunächst entsprechend dem Kanban-Board


aus den folgenden drei Spalten:

• To do,
• Doing und
• Done.

84
Die Erweiterung erfolgt durch weitere Spalten, wie:

• User Story,
• Backlog,
• Test,
• …

Diese sind in der folgenden Abbildung zu sehen:

85
Abbildung 14: Vereinfachtes Scrumban-Board

Quelle: Winkle, 2023, S. 8.

86
Nach der Planungsbesprechung werden die Aufgaben der Spalte Aufgaben (To do) hinzu-
gefügt. Wenn ein Teammitglied bereit ist, an einer Aufgabe zu arbeiten, verschiebt er oder
sie die Notiz über die Aufgabe in die Spalte Bearbeiten (Doing) und wenn die Aufgabe
abgeschlossen ist, wird sie in die Spalte Fertig (Done) verschoben. Das Scrumban-Board
stellt visuell den Fortschritt des Teams dar. Die Task-Board-Spalten sind je nach Arbeits-
fortschritt des Teams anzupassen und zu erweitern. Die Aufgabenzuteilung der Teammit-
glieder erfolgt in Scrumban nicht von der Teamleitung oder Projektmanager:innen. Statt-
dessen wählt jedes Teammitglied aus dem Aufgabenbereich aus, welche Aufgabe es als
nächstes erledigen möchte. Dies garantiert einen reibungslosen Prozessablauf, bei dem
alle Teammitglieder jederzeit gleichermaßen beschäftigt sind. Das grundlegendste Scrum-
ban-Setup ist ein physisches beziehungsweise elektronisches Whiteboard mit Haftnotizen
(Schiefer, 2022).

Abbildung 15: Kombination von Methoden im Projektmanagement

Quelle: Winkle, 2022, S. 117.

Im Folgenden sind einige Agile-at-Scale-Grundsätze für das gesamte Unternehmen aufge-


zeigt, die zu beachten sind. Weiterhin folgen Erklärungen, wie eine unabhängige Skalie-
rung möglich ist (Schiefer, 2022).

Zunächst eine Begriffsklärung von „Agile“ im Zusammenhang mit „Agile-at-Scale“. Beide


Bezeichnungen sind eng miteinander verbunden: Mit dem Begriff „agil“ wird eine iterative
Vorgehensweise beschrieben, die es ermöglicht, auf flexible Weise neue Erzeugnisse anzu-
fertigen und zu bearbeiten.

87
Üblicherweise arbeitet ein selbstverwaltetes, funktionsübergreifendes Team gemeinsam
an einem bestimmten Erzeugnis. Dabei kann es sich um jede Art von Arbeitsergebnis han-
deln. Es kann zum Beispiel eine bestimmte Anwendung sein, eine Werbekampagne oder
eine Verbesserung eines Prozesses.

Der Ansatz der Agilität geht auf den Lean-Manufacturing-Ansatz eines japanischen Auto-
mobilherstellers zurück, der auf diese Weise seine Produktion stetig verbesserte und Roh-
stoffe einsparte. Später griff die Softwarebranche diese Prinzipien auf. Dabei bedeutete
Agilität in erster Linie die schrittweise (iterative) Softwareentwicklung sowie die Erbrin-
gung von kundenspezifischem Mehrwert. Zusätzlich erzeugte die Vorgehensweise Eigen-
ständigkeit und Selbstorganisation in den Arbeitsgruppen. Seitdem eroberten die agilen
Methoden alle Bereiche der Unternehmen.

Worum handelt es sich bei Agile-at-Scale?

Der Begriff „Agile-at-Scale“ bezeichnet die gesamtheitliche Etablierung von agilen Grund-
sätzen, Denkansätzen, Wertvorstellungen und Vorgehensweisen im gesamten Unterneh-
mensbereich. Hierbei erfolgt nicht nur eine agile Transformation aller Mitarbeitenden,
sondern auch eine Umstellung der Prozesse, Geschäftsbereiche, der Informationstechno-
logie und der Unternehmenskultur auf agiles Arbeiten.

Die Einführung von Agile-at-Scale erfolgt in einem Unternehmen auf horizontaler wie ver-
tikaler Ebene. Durch die Verbesserung der Teamarbeit und der Prozesse sollen die Ergeb-
nisse rascher und flexibel erzielt werden.

Aus welchen Rahmenbedingungen ergeben sich die Agile-at-Scale-Praktiken?

Für die Umsetzung von Agile-at-Scale im gesamten Unternehmen existiert keine einheitli-
che Vorgehensweise. Stattdessen bieten sich mehrere Rahmenkonzepte an, um eine agile
Vorgehensweise innerhalb aller Unternehmensebenen umzusetzen (Schiefer, 2022).

Im Folgenden sind die derzeit wichtigsten Rahmenkonzepte aufgeführt:

• Das Scaled Agile Framework (SAFe): Für die Implementierung agiler Verfahrensweisen
in der Organisation bietet das Scaled Agile Framework (SAFe) unterschiedliche agile
Muster für Organisations- und Arbeitsabläufe. Der Schwerpunkt von SAFe liegt dabei auf
den drei Themenbereichen „Agile Entwicklung von Software“, „Schlanke Produktent-
wicklung“ und „Systemdenken". Damit unterstützt es die gemeinsame Arbeit und Aus-
richtung und Durchführung zwischen mehreren Arbeitsgruppen.
• Das Large-Scale Scrum (LeSS): Das Konzept „groß angelegtes Scrum“ (Large-Scale
Scrum (LeSS)) basiert auf einem vereinfachten Ansatz, der (anders als bei anderen Kon-
zepten) nur eine begrenzte Anzahl von Regelungen und Rollentypen vorsieht. LeSS
überträgt das herkömmliche Scrum auf die Entwicklung in großem Umfang. In diesem
Zusammenhang verwenden LeSS und SAFe einige gemeinsame Modelle. Sie nutzen
Scrum auf Arbeitsgruppenebene, einen Backlog für unterschiedliche Arbeitsgruppen,
gruppenübergreifende Projektplanung und die Grundsätze der Selbstorganisierung.

88
• Das Disciplined Agile (DA): Für die ergebnisorientierte Bereitstellung von Informatiklö-
sungen wurde mit der „Disziplinierten Agilität“ (Disciplined Agile - DA), ehemals Discipli-
ned Agile Delivery (DAD), ein Prozessentscheidungsrahmen geschaffen. Die Grundlage
für die Implementierung von Agile-at-Scale in großen Unternehmen ist damit gelegt. Zu
diesem Zweck verbindet es die bewährten Ansätze aus Scrum und Kanban mit transfor-
mativen Fähigkeiten, beispielsweise auf dem Gebiet des Portfoliomanagements, der
Unternehmensführung, des Entwicklungsmanagements, des Personalmanagements
und der Finanzverwaltung.
• Das Scrum mit dem Spotify-Health-Check: Allmählich entwickelten sich die agilen
Methoden und Verfahren auf allen Ebenen des Unternehmens zu einem übergreifenden
Gesamtkonzept. Spotify setzt auf ein mitarbeiterzentriertes, eigenständiges Rahmen-
konzept für Agile-at-Scale. Insbesondere legt Spotify großen Nachdruck auf die Firmen-
kultur und auf die Vernetzung innerhalb des Unternehmens. Innerhalb dieses Frame-
works entwickelte Spotify vor allem den Spotify-Health-Check. Spotify-Health-Check
• Das „Scrum in großem Umfang“ (Scrum@Scale – S@S): In Anlehnung an den Namen Beim Spotify-Health-
Check handelt es sich um
Scrum beruht das „Scrum in großem Umfang“ (Scrum@Scale – S@S) auf der Grundlage einen Experten-Work-
der Methode Scrum. Scrum@Scale ist eine Ergänzung zu Scrum, die üblicherweise von shop, in dem die Arbeits-
Organisationen eingesetzt wird, welche Scrum bereits in ihren Arbeitsgruppen anwen- gruppen einen Rückblick
auf ihre bereits durchge-
den. Ziel des Rahmenwerks ist es, eine expandierende Unternehmensgruppe auf ein- führten Aktivitäten geben
heitliche Zielsetzungen zu konzentrieren. und evaluieren.

Es existieren fünf Prinzipien, die alle Rahmenwerke vereinen, ungeachtet dessen, welcher
Methode die einzelnen Rahmenwerke für Agile-at-Scale folgen. Diese Grundsätze sollten
im Unternehmen eingeführt und vereinheitlicht werden:

• Eindeutige Rollenverteilung und Organisationsstruktur: Für die Umsetzung einer


agilen Umstrukturierung innerhalb des Gesamtunternehmens bedarf es einer klaren
Regelung, wer welche Rollenverantwortungen einnimmt. Dementsprechend muss auch
die Organisationsstruktur die Umsetzung von Agile-at-Scale berücksichtigen.
• Konzentration auf den Verbrauchernutzen: An alle Tätigkeiten und Arbeitsprojekte
sollte das Bestreben geknüpft sein, ein optimiertes Endprodukt für die Verbrau-
cher:innen zu erzielen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass das jeweilige End-
produkt für Verbraucher:innen einen erheblichen Zusatznutzen bietet.
• Agile Vorgehensweisen auf sämtlichen hierarchischen Strukturen: Agile Verfahren
und Abläufe sollten über alle horizontalen und vertikalen Unternehmensebenen hinweg
eingeführt werden.
• Fortlaufende Optimierungen: Zu Beginn wird der agile Reifegrad noch gering sein.
Nach und nach dürfte der Reifegrad allerdings kontinuierlich zunehmen. Erreichen lässt
sich diese Reife durch die zunehmende Einbeziehung von weiteren Teams und Arbeits-
bereichen in die agile Arbeitsweise. Sobald die agile Arbeitsweise im Gesamtunterneh-
men eingeführt ist, gilt es, die derzeitigen Arbeitsabläufe zu optimieren.
• Die Arbeitnehmenden- und Gruppenorientierung: Im Zentrum des agilen Arbeitens
stehen grundsätzlich die einzelnen Beschäftigten sowie die Arbeitsgruppen. Durch Agili-
tät steht ein Wirkungsbereich zur Verfügung, der Selbständigkeit und Flexibilität ermög-
licht.

89
6.2 Agiles Portfoliomanagement
Agiles Portfolioma- Agiles Portfoliomanagement ist zunächst ein übergeordnetes Rahmenwerk für das Ände-
nagement rungsmanagement, welches sicherstellt, dass die Strategie für geschäftliche Veränderun-
Das agile Portfolioma-
nagement ist ein Rah- gen kontinuierlich überprüfbar bleibt. Dabei handelt es sich um einen agilen Lösungsan-
menwerk für das Ände- satz für die Projektverwaltung, der fortlaufende Experimentiermöglichkeiten, die
rungsmanagement auf Dezentralisierung der Projektsteuerung sowie größtmögliche Flexibilität und Sichtbarkeit
hoher Management-
ebene, das sicherstellt, umfasst.
dass die Änderungsstrate-
gie des Unternehmens
In einem Unternehmen sollen sämtliche Vorhaben und Aktivitäten nach dem Prinzip der
kontinuierlich überprüft
wird. Agilität durchgeführt werden, damit effiziente und effektive Arbeitsergebnisse gewährleis-
tet sind. Die eigentliche Aufgabe liegt allerdings in der Entscheidung, mit welchem Vorha-
ben zu beginnen ist. Die Sicherstellung, das Wesentliche vorrangig zu bearbeiten und zu
gewährleisten, dass die richtige Priorisierung der verschiedenen Aktivitäten erfolgt, stellt
eine große Aufgabe dar, die es zu meistern gilt.

Mit anderen Worten: Wie lassen sich sämtliche Projektvorhaben im Unternehmen unter
Kontrolle halten, ohne dass die Mitarbeitenden damit überfordert sind?

Zu diesem Zweck kann das agile Projektportfoliomanagement dienen. Im Rahmen des


agilen Projektportfoliomanagements kommt eine Kanban-Tafel (das Projektportfolio) zum
Einsatz.

Das Projektportfolio umfasst eine Abfolge von Verfahrensschritten:

Funnel • Der Funnel: Darin enthalten sind sämtliche Projektvorschläge, die innerhalb des Unter-
Bei einem Funnel (engl. nehmens bestehen.
für Trichter) besteht die
Zielsetzung in der • Die Analyse: Darüber erfolgen die Projektkonzepte, über die eine Entscheidung bezüg-
Umwandlung potenzieller lich einer Annahme oder Ablehnung vorliegt.
Kund:innen in wichtige • Das Portfolio-Backlog: Dieses umfasst sämtliche Projektvorschläge, die ausreichend
Kund:innen, der verschie-
dene Zwischenschritte Bedeutung haben, dass ihre Umsetzung unmittelbar bevorsteht.
absolviert, bis er schließ- • Die Umsetzung: Alle Projektvorschläge, die momentan in der Umsetzung sind, befin-
lich eine spezifische
den sich in diesem Bereich.
Handlung ausführt.
• Done (Bearbeitet): Alle umgesetzten Modellprojekte befinden sich unter dieser Rubrik.

Die Erstellung dieses Projektportfolios kann ebenso in einem Softwaretool erfolgen. Es ist
jedoch effektiver, das Projektportfolio an einem physischen Standort aufzustellen, vor-
zugsweise an einer zentralen Position in der Organisation, sodass alle jederzeit den Status
der verschiedenen Projekte (Ideen) einsehen können.

Mit Ausnahme von „Funnel“ und „Done“ verfügt ein Arbeitsschritt über eine limitierte Aus-
wahl an Projektvorschlägen (Items). Die Obergrenzen kennzeichnen die Höchstzahl abzu-
wickelnder Projektaufgaben innerhalb des Unternehmens. Die Grenzen pro Schritt erge-
ben sich aus der Projektkapazität der Organisation. Das heißt, wie viele Aufträge das
Unternehmen zeitgleich und zielgerichtet bearbeiten kann, sodass diese erfolgreich abge-
schlossen werden und einen zusätzlichen Nutzen bringen.

90
Es ist sinnvoll, sowohl als Arbeitsgruppe als auch als einzelne Person lediglich ein einziges
Unternehmensprojekt zu bearbeiten, um sich vollkommen darauf konzentrieren zu kön-
nen. Außerdem beeinflusst die Projektanzahl die Menge der Projektvorschläge in den
Schritten Portfolio-Backlog und Analyse. Der Grund liegt darin, dass eine unlimitierte
Menge an Projektvorschlägen in der Regel keinen Sinn ergibt, solange nicht genügend
Kapazitäten vorhanden sind, um sie umzusetzen. Die Arbeitskapazität der Projekte limi-
tiert somit den Umfang der zu realisierenden Projektvorhaben. Für die Projektvorhaben
sind die folgenden Kenntnisse von Bedeutung:

• Was bedeutet die „Push“-und-„Pull“-Vorgehensweise (Annehmen und Abgeben):


Das Konzept des agilen Projektportfoliomanagements beruht auf der sogenannten
„Pull“-Vorgehensweise. Das bedeutet, dass neue Arbeitsaufträge nur dann bearbeitet
werden, wenn genügend Kapazitäten für sie vorhanden sind. Nachdem ein Arbeitsteam
einen Auftrag erledigt hat, entsteht Kapazität für den nächsten Projektauftrag. Das Pro-
jektteam legt eigenständig fest, zu welchem Zeitpunkt ein neuer Auftrag angenommen
wird und wird somit nicht durch externe Vorgaben beeinflusst.
• Womit startet das agile Projektportfoliomanagement: In der Praxis hat sich gezeigt,
dass bei vielen Unternehmen das Portfoliomanagement eine große Rolle spielt. Manche
Unternehmen haben Schwierigkeiten damit, dass eine Vielzahl an Tätigkeiten zeitgleich
abgearbeitet wird. Dies hat zur Folge, dass der Gesamtüberblick auf der Strecke bleibt
und vor allem, dass zahlreiche Vorhaben nicht zu Ende geführt werden beziehungs-
weise das Resultat veraltet ist.

Bei der Implementierung von agilem Projektportfoliomanagement wird eine Abfolge von
Verfahrensschritten durchlaufen:

• Was bedeutet ein konkretes Vorhaben für das Unternehmen?


• Wie erfolgt die Darstellung der gegenwärtigen Lage in Bezug auf die Projekte?
• Welche Projektkapazitäten stehen im Unternehmen zur Verfügung?
• Welche Beschränkungen bestehen für die einzelnen Arbeitsschritte?
• Auf welche Art und Weise erfolgt die Projektsteuerung?
• Was sind die erforderlichen Kriterien, damit die Entscheidung getroffen werden kann,
ob der Projektvorschlag/der Projektabschluss angenommen oder abgelehnt wird?
• Mit wem wird die Entscheidung für oder gegen einen Projektvorschlag getroffen?
• Welche Entscheidungsträger:innen legen die Prioritäten im Projekt fest?
• Nach welchen Kriterien erfolgt die Festlegung der Prioritäten?
• In welchen zeitlichen Abständen erfolgt die Einsichtnahme in das Projektportfolio?
• Welche Projekte sollen fortgeführt werden, falls die Zahl der bereits begonnenen Pro-
jekte die Grenzen überschreitet?

6.3 Scaled Agile Framework (SAFe)


Beim Scaled Agile Framework (SAFe) handelt es sich allgemein um ein Rahmenwerk von
organisatorischen und arbeitsablaufbezogenen Vorgehensweisen, das Organisationen
innerhalb der Implementierung schlanker und agiler Methoden unterstützen soll. SAFe
umfasst hierbei speziell eine Reihe von Grundprinzipien, Verfahren und bewährten Prakti-

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ken, die insbesondere große Organisationen unterstützen können, agile Vorgehensweisen
wie beispielsweise Lean oder Scrum anzupassen, damit qualitativ hochwertigere Erzeug-
nisse und Dienstleistungen entwickelt werden können.

SAFe zählt neben Large-Scrum (LeSS), Disciplined Agile Delivery (DAD) sowie Nexus zu
einem der bekanntesten und bedeutendsten Rahmenwerke, mit dem versucht wird, die
Herausforderungen zu bewältigen, welche bei der Skalierung jenseits eines einzelnen
Arbeitsteams entstehen.

Bei komplexen Projekten, die zahlreiche große Arbeitsgruppen auf verschiedenen hierar-
chischen Ebenen umfassen, ist SAFe besonders geeignet. Es handelt sich dabei um eine
Sammlung von Know-how mit klar gegliederten Richtlinien für Rollen und Verantwortlich-
keiten, zur Aufgabenplanung und -verwaltung sowie zur Vermittlung entsprechender
Werte.

Durch SAFe lassen sich die Koordination, die Kooperation und die Umsetzung zwischen
mehreren agilen Teams unterstützen. Mit SAFe wird ein klar gegliederter und systemati-
scher Prozess für die skalierte Einführung von agilen und schlanken Methoden geschaffen.

Im Mittelpunkt des SAFe-Rahmenwerks stehen zentrale Kompetenzen, die Organisationen


dabei unterstützen können, die gesetzten Zielvorgaben zu realisieren, den Vorsprung vor
der Konkurrenz zu halten, in instabilen Marktsituationen zu überleben und die sich
ändernden Bedürfnisse der Kund:innen zu erfüllen.

Die Grundlage von SAFe bilden vor allem die folgenden Kernfähigkeiten des schlanken
Unternehmens (Lean Enterprise), die für die Erzielung und Aufrechterhaltung eines Wett-
bewerbsvorsprungs in Zeiten fortschreitender Digitalisierung entscheidend sind:

• Schlanke und agile Unternehmensführung (Lean Agile Leadership): Die Fortentwick-


lung und Umsetzung von schlanker und agiler Unternehmensführung, welche den Orga-
nisationswandel fördert und unterstützt, um einzelne Mitarbeitende und Arbeitsgrup-
pen in die Lage zu versetzen, das größtmögliche Leistungspotenzial auszuschöpfen.
Dies beinhaltet ein agiles Teamverhalten, fundierte technologische Verfahren, beispiels-
weise eine ganzheitliche Qualitätssicherung, eine verhaltensorientierte Entwicklungs-
Behavior Driven strategie (Behavior Driven Development (BDD)), agiles Testen, eine testgeleitete Ent-
Development wicklungsstrategie (Test Driven Development (TDD)) und andere.
Das Behavior Driven
Development dient dazu, • Agile Produktgestaltung (Agile Product Delivery): Zusammenstellung von leistungs-
die Verständigung inner- fähigen Arbeitsteams, die Methoden wie Design Thinking und kundenorientierte
halb des Teams zu för- Arbeitsweise anwenden, sodass ein konstanter Produktfluss gewährleistet ist.
dern, das Kundenver-
ständnis zu stärken und • Bereitstellung von Unternehmenslösungen (Enterprise Solution Delivery): Erstel-
die fortlaufende Verstän- lung und Betreuung der umfangreichsten internationalen Anwendungen, Netzstruktu-
digung durch spezifische
ren und cyber-physischen Technologien.
Fallbeispiele zu unterstüt-
zen.
Test Driven
Development
Testgetriebene Entwick-
lung (Test Driven Deve-
lopment) ist ein Entwick-
lungsprozess, der darauf
basiert, Anforderungen in

92
• Schlankes Portfoliomanagement (Lean Portfolio Management): Implementierung Testfälle umzuwandeln,
bevor das Produkt voll-
der Portfoliovision und Strategieentwicklung, Festlegung von Portfolios, Schaffung von ständig entwickelt ist,
Visionen, schlanken Haushaltsplänen und Orientierungsleitlinien sowie Portfoliopriori- und die gesamte Entwick-
tätensetzung und Strategieplanung. lung durch wiederholtes
Testen des Produkts
• Organisatorische Agilität (Organizational Agility): Ausrichtung zwischen Unterneh- anhand aller Testfälle zu
mensstrategie und -ausführung mittels der Einführung eines schlanken und systemi- verfolgen. Dies steht im
schen Denkens in den Bereichen Unternehmens- und Investmentfinanzierung, agiles Gegensatz zur Entwick-
lung, bei der die Testfälle
Portfoliomanagement und Unternehmensführung für eine fortlaufende sowie lernende erst später erstellt wer-
Fortbildungskultur; ständige Verbesserung der Kenntnisse, der Kompetenzen und der den.
Leistungsfähigkeit durch eine lernfähige Organisationsstruktur, die sich zu ständiger
Verbesserung und Innovation verpflichtet.

Dadurch, dass diese Schlüsselqualifikationen erworben werden, verfügen die Organisatio-


nen über die nötige Flexibilität beziehungsweise agile Kompetenz, um erfolgreich auf
schwankende Wettbewerbsverhältnisse, veränderte Verbraucheranforderungen und neu-
artige technische Möglichkeiten einzugehen.

Die Grundlage von SAFe bilden die unveränderbaren Lean-Agile-Grundprinzipien. Aus die-
sen Prinzipien und ökonomischen Ansätzen leiten sich die Arbeitsabläufe und Vorgehens-
weisen von SAFe ab:

• Übernahme einer wirtschaftlichen Sichtweise,


• Anwendung von Systemdenken,
• Voraussetzung von Variabilität,
• Bewahrung von Optionen,
• inkrementeller Aufbau mit schnellen, integrierten Lernzyklen,
• Definition von Meilensteinen, die auf einer objektiven Bewertung funktionierender Sys-
teme basieren,
• Visualisierung und Begrenzung von Work in Progress,
• Reduktion von Losgrößen,
• Verwaltung von Warteschlangen,
• Synchronisation mit bereichsübergreifender Planung,
• Entfesselung der intrinsischen Motivation von Wissensarbeitenden sowie
• Dezentralisierung der Entscheidungsfindung.

Die Entwicklung von SAFe geht auf das US-amerikanische Beratungsunternehmen Scaled
Agile, Inc. zurück. Weiterführende Hintergrundinformationen sind verfügbar auf der Web-
site „Scaled Agile“ (SAFe, 2023).

Worin verspricht man sich Vorteile vom Scaled Agile Framework?

Durch die Anwendung von SAFe profitieren Großunternehmen von der Skalierbarkeit der
Methoden nach Scrum und Kanban. Dadurch erhalten Unternehmen der Großindustrie die
Möglichkeit, ihr Projektmanagement deutlich agiler zu gestalten und zudem den betroffe-
nen Akteuren in den Teams wesentlich früher Rückmeldung zu geben. Diese Beschleuni-
gung der Rückmeldeschleifen bewirkt ein erhöhtes Engagement der Mitarbeitenden, eine
gesteigerte Leistungsfähigkeit und Mitarbeiterzufriedenheit – sowie schließlich eine Stei-
gerung in der Qualität der Arbeit. Das Rahmenwerk von Scaled Agile konzentriert sich auf

93
die Rationalisierung, die Teamarbeit und die Implementierung in einer Vielfalt von räum-
lich getrennten agilen Arbeitsgruppen. Es existieren außerdem auch andere beliebte
Ansätze, die darauf abzielen, agile Verfahren für große Unternehmen nutzbar zu machen –
wie LeSS und DAD. Es empfiehlt sich, diese Rahmenwerke ebenfalls zu vergleichen und zu
beurteilen, damit die bestmögliche Vorgehensweise für die betreffende Unternehmung
mit den jeweiligen Projekten gefunden werden kann.

ZUSAMMENFASSUNG
Warum ergibt es Sinn, mit Scaled Agile Frameworks zu skalieren?

Bei komplexen Projekten sind zahlreiche Mitarbeitende erforderlich und


es bedarf einer erhöhten Aufgabenverteilung. Auf den ersten Blick
scheint dies einen Gegensatz im Hinblick auf die genannten Erfolgsvo-
raussetzungen von agilen Methoden darzustellen. Bei näherer Betrach-
tung dieses Gegensatzes fällt auf, dass insbesondere bei kleineren Pro-
jekten vor über zehn Jahren vorzugsweise auf agile Verfahren
zurückgegriffen wurde.

Mit Scaled Agile Framework lassen sich die Projektaufgaben nicht über
Nacht bewältigen. Stattdessen handelt es sich bei Agile-at-Scale um
einen kontinuierlichen Anpassungsprozess, der immer wieder neu zu
gestalten ist. Der Verlauf und das Ergebnis des agilen Wandels werden so
lange optimiert, bis die Abläufe und Mitarbeitenden vollständig agil han-
deln.

Verschiedene Großkonzerne sind mittlerweile dabei, sich in sehr


umfangreiche Projekte vorzuwagen, die mithilfe agiler Entwicklungsme-
thoden durchgeführt werden. Gleichzeitig zeigt sich, dass völlig neuar-
tige Anforderungen auftauchen: So steht nicht länger ausschließlich die
Veränderung der Arbeitsweise einzelner Teams im Vordergrund, viel-
mehr geht es um die Transformation zu einem agilen Gesamtunterneh-
men, also einer Unternehmenskultur und -organisation, welche die agi-
len Arbeitsteams prägt und effektives Arbeiten ermöglicht.

94
ANHANG
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and portfolio management – Context and concepts.

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and portfolio management — Guidance on portfolio management.

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97
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Allgemeiner Entwicklungsprozess als bisheriges V-Modell von der Produkt-
idee bis zur Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Abbildung 2: Ziele zur weltweit nachhaltigen Entwicklung „Sustainable Development


Goals“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Abbildung 3: Magisches Dreieck im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Abbildung 4: Netzdiagramm der agilen Werte im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Abbildung 5: Beispiel einer traditionellen Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Abbildung 6: Beispiel für ein Dokumentationsblatt nach Projektabschluss . . . . . . . . . . . . 37

Abbildung 7: Beispiel mit V-Modell und agilem Produktentwicklungsprozess . . . . . . . . . . 37

Abbildung 8: Evolution zum vernetzten Kommunikationsprozess mit agilen Iterations-


schleifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Abbildung 9: Vereinfachte Prinzipdarstellung eines Kanban-Boards . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Abbildung 10: Mögliche subjektive Wahrnehmung sowie erhöhte Kundenerwartung bzgl.


zukünftiger technischer Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Abbildung 11: Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit bei gesellschaftlich und individu-
ell akzeptierten Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Abbildung 12: Mögliche Auswirkungen bei Nichteinhaltung von Anforderungen . . . . . . . . 76

Abbildung 13: Agiles Coaching – Aspekte der Balance für Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Abbildung 14: Vereinfachtes Scrumban-Board . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Abbildung 15: Kombination von Methoden im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

98
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D-99084 Erfurt

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