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So entstanden aus Stahlfässern "Eine Singende, Suppenkochende Heizung" (1990) für das
Café Zapata im Tacheles, aus einem Rollwagen für Schweißgasflaschen eine
„Kartoffelpufferwurfmaschine“ (1991), aus tausenden abgelaufenen Verbandspäckchen ein
gewebtes Bett („Erste Hilfe“, 1992) und Seil für Schaukeln („Die Engelsschule, 1993), aus
ausgemustertem Katastrophenkellerbedarf eine Bettelküche mit schreienden Schüsseln („Wie
Hunger Funktioniert“, 1993), aus einem alten Traktor ein Verkaufsstand für Zeit („Größte
Traktor-Angetriebene Uhr der Welt“, 1994), usw.
Diese Aktivitäten und Transformationen fanden in einem größeren Kontext des Aufbruchs
und „sozialen Rauschens“ in Berlin statt, in den ersten Jahren nach dem Mauerfall, zu einer
Zeit in der alles möglich zu sein schien und eine Vielzahl an Stimmen sangen und gehört
wurden. Es gibt (zumindest für meine Arbeit) wenig an Dokumentation aus dieser Zeit: es gab
auch keinen Bedarf. Schließlich hat man morgens Essen und Schrott gesammelt, vormittags
Freunde besucht (wenn sie nicht da waren an die Tür gekritzelt), um den Tag und das Wetter
und den Rest des Lebens zu diskutieren, mittags musiziert kurz, nachmittags den
Warmwasseranschluss bei den Nachbarn angeschlossen, abends gekocht und gemeinsam
gegessen, nachts getanzt, geschlafen, am nächsten Tag Kohlenbriketts gesucht, draußen in der
Schlange gewartet mit gefundenem oder geborgtem Telefongerät in der Hand, um dies dann
an eine kurz zuvor entdeckte, funktionierende Leitung anzuschließen, ein Konzert veranstaltet
oder gespielt oder besucht (Novemberklub, Ornament und Verbrechen, Triplum, 1992 –
1998), Bilder gemalt oder angeschaut, weiter an Türen gekritzelt, Kunst, Politik, Essen,
Klospülungen, Bücher, Waschmaschinenreparatur diskutiert, jajaja, genau, oder doch nicht,
am übernächsten Tag etwas länger geschlafen, wieder musiziert oder aufgelegt (DJ Brad,
1996 – 1999), wieder Essen besorgt, wieder kochen, essen, Warmwasseranschluss
funktioniert doch nicht, nochmals versucht, wie das alles dokumentieren, wenn die
Kunstproduktion so sehr in einem unfassbaren Alltag integriert ist? Egal, morgen ist noch ein
Tag. Da ist dann Zeit, Zeit genug, um gegen den Golfkrieg I, II, und III zu protestieren, nach
Kosovo Dichterdelegationen zu schicken, die langsamen, unaufhaltbaren Wellen der
Spekulanten aufzuhalten, Stein um Stein Projektbeschreibungen einzureichen, die Kinder
großzuziehen, Freunde, Elternteile, Träume zu beerdigen, diesen nachzutrauern
(„Schulterklopfmaschine- Alles Wird Gut“, 2004), ein Zuhause für die wachsende Familie zu
bauen („Wohnschiff Odin“, 1997 bis ?), gut, dass man nicht mehr an Türen kritzeln muss,
schließlich hat man endlich ein Telefon, Internetanschluss, ist doch effizienter, und man hat
vielleicht doch nicht so viel Zeit, ich muss früh auf die Baustelle Geld verdienen gehen
(„Fremdarbeiter“, 1990 – 2010), warum kommt denn keiner mehr wenn ich koche, wir haben
doch immer noch alle Hunger, oder? („die Wiese: Site-specificity“, 2003 – 2004). Haben wir
uns nicht das um-die-Ecke-sichtbare-Schlaraffenland versprochen? Oder hatten wir es schon
erreicht und irgendwie verlegt? Da musste eine Zeitmaschine her („Time May Change Me/ I
Can’t Change Time“, 2007).
So, dann zurück zu den unerfüllbaren Zwecken. Fest steht, ich nehme den Stoff um mich
herum, transformiere den, und dabei entsteht was Funktionierendes. Funktion, Funken fliegen,
We’ve Got the Funk. (Tragbare Blitzmaschine, 1993-2011). Aber der Zweck wird doch durch
den Kontext, durch Erfahrung und Erlebnis artikuliert, und zwar von den Mitmachern oder
Zuschauern, die ihre eigene Arbeit investieren („Karussell“, 1996-2003). Eine Funktion ohne
einen vordefinierten Zweck. Genau das verschenken, was man nicht hat, an die, die es nicht
bezahlen können. Ein Geschenk, eine Mitgift mit Gift im wahren Potlatch Stil, denn jetzt
bekommt man die Verantwortung, einen funktionsentsprechenden Zweck zu finden. Der
Junge, der bei der Kartoffelpufferwurfmaschine fragte, „Ist das bei euch Tradition?“, oder der
Obdachlose in Chicago der am (mit gewebten Verbandspäckchen) gedeckten Tisch Platz
nahm und beim Essen meinte, „You are the Michael Jordan of what you do.“
Dieser Zweck bleibt trotz eines Momentes der suspendierten Ungläubigkeit doch unerfüllt.
Man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Es gab ein Tacheles Plenum bei dem ich in
gebrochenem deutsch erklären musste, wie man mit der Skulptur heizen konnte ohne die
Band und alle Zuschauer zu verrauchen, was trotzdem mehrmals passierte, und es blieb auch
arschkalt, bis die neue Zentralheizung installiert wurde. Die Verbandspäckchen, auch in ihrem
umfunktionierten Zustand, sind unzureichend, Wunden heilen zu lassen. Die Schüsseln
schreien, eine Suppe wird gegessen, und man kriegt immer wieder Hunger. Alle reichen sich
die Hände mitten im heftigen Streit, spüren den aus-der-Luft-gesammelten Funken, streiten
dann weiter und noch heftiger. Die Schulterklopfmaschine bietet angesichts echten Verlustes
keinen bleibenden Trost. Das Karussell hebt doch nicht ab. Und über die Zeit sind alle diese
funktionierenden Objekte auf der Suche nach einem Zweck selber wieder Schrott geworden,
haben auch ihre neu gewonnene Funktion verloren, genau wie der Kontext in dem sie
entstanden sind.
Aber dieses Gespenst des unerfüllten Zwecks wird einen heimsuchen beim Protestieren,
Dichterdelegationen losschicken, Spekulanten aufhalten, Projektbeschreibungen verfassen,
Kindergroßziehen, Nachtrauern, Zuhausesein. Das ist auch richtig so, denn Gespenster, wahre
Gespenster und nicht nur so eine nostalgische Sehnsucht nach der eigenen Jugend, haben
immer etwas Mahnendes, ja, die mahnen uns doch, einen Zweck zu erfüllen, den
unerfüllbaren Zweck, den wir in der Vergangenheit und gleichzeitig in dem Jetzt entdeckt und
uns in der unrealisierten Zukunft versprochen haben. Oder nicht uns, sondern kommenden
Generationen. Ein unerfüllbares Versprechen.
Doch auch uns wurde was Unerfüllbares versprochen. Dieses Gespenst kommt mir irgendwie
bekannt vor, obwohl es in einer etwas anderen Form erscheint. Wo bleibt denn Majakowskis
schönes Leben (her damit!), oder die sozialen Skulpturen Beuys, und hat Bas Jan Ader
tatsächlich ein Wunder entdeckt? Wo bleibt denn die klassenlose Gesellschaft? War da nicht
was - ? Vielleicht geht es darum, dieses (unerfüllte) Versprechen weiterzugeben, genügend
Hinweise zu hinterlassen, sich selbst dem (mahnenden) Chor von Gespenstern anzuschließen:
„ein Gespenst geht um in Europa“. Der selbst erfundene Zweck einer Funktion ist schließlich
die Artikulation einer möglichen Utopie. Wir haben diese Gespenster in der Dunkelheit, just
am Rande des Blickwinkels („Seesaw“, 2009), doch gespürt. Immer wieder, in Momenten des
Aufbruchs und der Unruhe, aber sie bleiben unfassbar. Die sind weder da noch nicht da,
weder lebendig noch tot, weder vergangen noch zukünftig. Und doch suchen sie uns heim.
Die sind schon immer bei uns (ver)gewesen. Was tun? Die gängige Strategie scheint die zu
sein, sie wegzurationalisieren. Diese verdammte Atemporalität soll endlich Geschichte
werden, es gibt letztendlich nur das, was man umfassen, archivieren, verkaufen, vergessen
kann. Das ist die rationale Realität, in der wir leben. Ein Gespensterkatalog wird
zusammengestellt, in dem alles seinen zugeordneten Platz findet, damit endlich mal Ruhe ist.
Dennoch.
Dennoch, Octavio Paz: „Jeder, der der Hoffnung ins Auge geschaut hat, wird es nie vergessen
können. Überall wo er hingeht wird er danach suchen“. („Gespensterbetrachtungsapparat“,
2011).
Also mahnen mich die Gespenster, Unterstützung zu suchen, um ihren Stimmen Freilauf zu
bescheren. Ich bin davon wortwörtlich besessen. Genau diese mahnende Gespensterschar ist
der Stoff um mich herum, den ich umfunktionieren möchte, damit ich andere einladen kann,
einen Zweck für sie zusammenzubasteln. Es ist eben eine fortfahrende
Gespensteruntersuchung, die ich betreibe. Gespenster im Sinne von (halb)Verkörperungen
eines Geistes, ein Revenant mit dem wir sowieso immer zu tun haben werden.
Machen wir Nägel mit Köpfen bei dieser Gespensterjagd. Jetzt ist nicht die Zeit, sentimental
zu werden. Ausstellen, Karten zeichnen, diskutieren. Bauen, finden und erfinden. Behaupten,
enthaupten. Essen bis alles abgegessen ist, Tisch neu decken, eindecken, entdecken. Heißen
wir die Gespenster willkommen, und setzen wir uns mit ihnen zusammen an einen Tisch, denn
sie würden uns nicht heimsuchen, wenn sie uns nichts Wichtiges zuzuflüstern hätten.
Berlin, 2011
„Suppenherd“, 1991
Multifunktionale Dampfmaschine.
„Erste Hilfe“, 1992
Bevor man Essen bekommt, dreht man an einer Kurbel, damit ein Schrei aus der Schüssel tönt
(Hurdy-gurdy Prinzip). Unten: eine automatische Bettelmaschine; in den Bechern sind
Münzen.
„Deck den Tisch“, 1995
Die größte Traktorgetriebene Uhr der Welt. Vielleicht auch die einzige. Mit Schattenspiel und
Druckmaschine. Bei jeder Drehung des Minutenzeigers um das Ziffernblatt wurde ein
Stundenformular ausgedruckt, das man ausgefüllt für fünf Mark erwerben konnte.
„Karussell“, 2003
Man-powered flight.
„Arschtrittmaschine, ein Selbstmotivationsgerät“, 2004
„Schulterklopfmaschine- Alles Wird Gut“, 2005
„Wohnschiff Odin“, ab 1997 fortlaufend
„Time May Change Me / I Can’t Change Time“, 2007
Tiergarten Schleuse
Hausboot 2
10623 Berlin
Germany
Tel. (30) 313 3935
e-mail: bradhwang@web.de
Website: www.bradhwang.com
Bachelor of Arts, Summa Cum Laude at University of California, Los Angeles, 1988 under Charles Ray,
Chris Burden, Paul McCarthy
2011
Prozessgalerie, Berlin
2010
Deutsche Arbeitsschutzausstellung, Dortmund
2009
Radialsystem V, Berlin
Dead Chickens Warehouse, Berlin
2008
Familientage, Radialsystem V, Berlin
2007
Dialoge, Bangalore
Familientage, Radialsystem V, Berlin
Festival du Theatre, Avignon
„Vom Funken zum Pixel“, Martin Gropius- Bau, Berlin
2006
Winterprogramme Oberschöneweide, Berlin
Dialoge und Eröffnung, Radialsystem V, Berlin
2005
Inventeurs , Maubeuge
EXIT, Paris
2004
re: Machine, Neurotitan, Berlin
Dialoge, Elisabethkirche, Berlin
Dialoge, Volkspalast, Palast der Republik, Berlin
2000
Roubaix, France
1999
"via 99", Maubeuge, France
"EXIT", Paris, France
1998
"TSCHIKAGO", Gary Marks Gallery, Chicago
1997
Haus Schwarzenberg, Berlin
The River Show, M.S. Odin, Berlin
1996
Galerie Weisser Elefant, Berlin
"The Missing Limb on the Family Tree", Galerie Wohnmaschine, Berlin
1995
"Engelschule", Synlabor Loop Gallery, Berlin
"How Many Angels Dance on the Head of a Pin“, Tucholsky 34, Berlin
1994
Raab Gallery, Berlin
"X-Position", Akademie der Künste, Berlin
M.S. Stübnitz, Hamburger Hafen, Hamburg
"Tagediebetage", Milchhof, Berlin
Festival of Arts", Maubeuge
1993
Kunstwerke, Berlin
"Incredibly Strange Machines", V2, Eindhooven
"The Wurst Show Ever", Galerie Mutzek, Berin
"Absolute Threshold", Amsterdam
"Wie Hunger Funktioniert", Milchhof, Berlin
1992
Tacheles, Berlin
"Erste Hilfe", Tucholsky 34, Berlin
"Nachtbogen", Berlin
1991
Tacheles, Berlin
"Hinter den Museen", Museumsinsel, Berlin
1990
disPLACE, Baltimore
Cleveland Public Theater, Cleveland
"Earth Day", New York
1989
Gertrude Stein House, Baltimore
disPLACE, Baltimore
1988
"Steam Show", Los Angeles Street Festival, Los Angeles
"Home Work", Charles Strangman Sheet Metal Shop, Los Angeles
1987
"Steam Show", Los Angeles Boiler Works, Los Angeles
"New Forms", M.A.G. Gallery, Los Angeles
Top Art, Los Angleles
1986
"Steam Show", Los Angeles Boiler Works, Los Angeles
Performances and recordings with various bands including Triplum, Ornament und Verbrechen, Universal
Congress of, and All Mighty Senators (discography available)
Lives and works in Berlin, Germany, on the M.S. Odin, a riverboat docked in the Tiergarten.