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aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland

Ausga b e 1 2 / 2 0 15 D eze m b e r

Flüchtlingsschicksal – Menschheitsschicksal
«Götteropposition gegen das Nationalitätenprinzip»
von Joachim von Königslöw / Emil Bock

Auf der Suche Die Jahrestagung des Arbeitszentrums Nordrhein-Westfalen der Anthroposophischen Gesell-
schaft in Deutschland hatte den Blick auf das Flüchtlingsschicksal als Menschheitsschicksal
Wie kann ich, über die Tagesmel- gerichtet und daran die Frage geknüpft: «Was ist gegenwärtige Michael-Kultur?» Als Referen-
dungen hinaus, tiefere Gesichts- ten waren Barbara Schiller von stART international und Joachim von Königslöw eingeladen.
punkte zum Phänomen der vielen Barbara Schiller berichtete über die Perspektiven der Notfallpädagogik und von Königslöw
Menschen auf der Flucht finden? blickte auf die spirituelle Seite des Flüchtlingsgeschehens. Aus seinem Beitrag hat Joachim
– Diese Frage beschäftigt mich seit von Königslöw einige Gedanken von Emil Bock ausgewählt und eingeleitet.
einigen Wochen. Auf der Suche nach
Antworten, zwischen Gedanken Bei der Vorbereitung zur Jahrestagung «Völkerwanderungen» bezeichnet, die
über soziale und globale Fragen, stieß ich auf einen bemerkenswerten Text es ja schon damals nicht mehr waren.
klingt immer wieder auch die Weih- von Emil Bock, in dem er über das Thema
nachtsgeschichte an; die Erzählung in geradezu hellsichtiger Weise spricht. Ausgehend von der Evakuierung und Um-
von der heiligen Familie, von der siedelung durch die Nationalsozialisten
Suche nach Schutz, der Geburt im Es handelt sich um einen kurzen Artikel über Fluchtbewegungen des Kriegsendes
Stall und der Flucht nach Ägypten. mit der Überschrift «Völkerwanderungen», sieht er, dass die Sieger die Politik der Ver-
Die Bilder von der Zeitenwende der an unscheinbarer Stelle im Heft der treibung und Umsiedelungen fortsetzen, ja,
sind innere Begleiter, auch wenn sie Zeitschrift «Christengemeinschaft» von dass das ganze 20. Jahrhundert bis dahin
die Ratlosigkeit wenig zerstreuen August 1947 (19. Jahrgang, Heft 7) steht. von solchen Entwurzelungen der Men-
können. Angesichts der millionenfachen Flücht- schen bestimmt wird und erkennt, dass es
lingsschicksale der damaligen Zeit könnte tiefere Gründe für dieses Phänomen gibt.
Anfang November besuchte ich in man meinen, dass das Denken, Fühlen
Bochum einen Tag unter dem Titel und Wollen der Menschen sich im Blick auf Ich möchte auf einige Stellen hinweisen,
«Flüchtlingsschicksal –Mensch- die Ursachen, die Nöte und die Herausfor- an denen Emil Bock das zusammenfasst
heitsschicksal». Von dieser sehr derungen bei der praktischen Bewältigung und komprimiert:
erhellenden Veranstaltung finden und der Integration dieser Flüchtlingsmas-
sich hier einige Berichte und sen auf diese Probleme beschränkt hätte. «Es ist mit Händen zu greifen, dass da Wel-
Gedanken. len von schicksalsändernden, Völker durch-
Nicht so bei Emil Bock! Das Erlebnis des einanderwirbelnden Tendenzen durch die
An verschiedenen Orten wurden Anblicks einer Schar von schäfermäßig neuere Menschheit gehen, denen gegenüber
in der Anthroposophischen Ge- gekleideten siebenbürgischen Flücht- diejenigen, die die Geschicke der Menschen
sellschaft oder Bewegung in den lingen, die «nicht nur wie die Angehö- zu leiten vermeinen, machtlos sind. Diese
letzten Wochen Veranstaltungen rigen eines anderen Volkes, sondern wie großen Bewegungstendenzen drängen sich
zum Thema durchgeführt. An die Bewohner einen anderen Planeten» durch alle Ritzen und Lücken der jeweili-
vielen Orten sind auch Initiativen durch unsere Welt schritten, – «die ge- gen politischen Anschauungen und Systeme
entstanden, Sammelaktionen oder radezu kosmische Gelassenheit in ihren hindurch. Niemand will sie. Sie wollen sich
Angebote für medizinische Erstver- Gesichtszügen, in der Langsamkeit ihres gewissermaßen selbst und benützen nur die
sorgung, Schulklassen wurden für Ganges, ihre völlige Nichtachtung des Spannungen und Explosionen zwischen den
Flüchtlingskinder geöffnet. Stell- aufgepeitschten Tempos, dem sich alles Völkern, um sich wie eine vulkanische Lava
vertretend für solche Initiativen ringsumher verschrieben hat», – lenken aus den tieferen undurchschauten Schichten
folgt ein Bericht von einer kleinen Bocks Gedanken von den Aktualitäten an die Oberfläche emporzuarbeiten. (…)
Unternehmung in Dresden. des Lebens um ihn herum zu der Frage
nach den menschlichen Gründen des Was vorliegt, ist, dass die Menschheit sich
Benjamin Kolass «Flüchtlingswesens», das er noch als seit der letzten Jahrhundertwende im Sta-

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Anthroposophische Gesellschaft

dium einer rätselhaften, sich überall nur


kaschierenden V ö l k e r w a n d e r u n g s -
Besuch in einem
b e w e g u n g befindet. Ein riesenmäßiger Flüchtlingsheim
kosmopolitischer Zug geht durch die Welt. Es
ist die eigentliche Götteropposition gegen das Zum diesjährigen Michaelifest
Nationalitätenprinzip, dass sich seit dem aus- besuchte ich mit meiner 7. Klas-
gehenden Mittelalter hatte bilden müssen, se ein Flüchtlingsheim, welches
das aber heute längst in eine ausschließlich ganz in der Nähe unserer Schule
verengende Verhärtung eingemündet ist. (…) eingerichtet wurde. Die Kinder
hatten kleine Geschenke einge-
Alles Herumbuchstabieren an den wirtschaft- packt: Stifte, Papier, Knetwachs,
lichen oder kriegerischen Anlässen, durch Edelsteinchen, Haarspangen,
die die Völker auf den Weg ihrer großen Süßigkeiten und anderes. Auf-
Wanderungen gebracht worden sein sollen, geregt und durchaus auch et-
ist ein hilflos-stammelndes, völlig unzurei- was ängstlich machten wir uns
chendes Tasten nach Vorgängen, die sich in auf den Weg. – Was würde uns
Wirklichkeit in viel umfassenderen mensch- erwarten? – Am Tor wurden wir
heitlichen Tiefenschichten zugetragen und nur Nachklang ausführlich kontrolliert und be-
an der Oberfläche die Verschiebungen in der lehrt. Dann durften wir hinein.
Gruppierung der Erdenmenschheit bewirkt Neben der Frage nach der praktischen Wir waren die jüngsten Besucher
haben. Die Ursache aller großen Völker- Arbeit mit den Flüchtlingen vor Ort – bis dahin. Zu der Zeit wohnten
wanderungen war jedesmal letzten Endes Barbara Schiller berichtet eindrucksvoll dort viele junge Männer und
ein umfassender A u f w a c h p r o z e s s, von den Aufgaben ihres Vereins in den einige Familien vor allem aus
der durch den Gesamtleib der Menschheit verschiedenen Ländern wie der Türkei, Afghanistan.
hindurchfuhr und die Ergreifung und Entfal- dem Libanon oder Georgien – warfen wir
tung neuer menschlicher Seelenkräfte zum auch immer wieder einen Blick auf die Nach anfänglicher Unsicherheit
Ziel hatte. Vielleicht kommen wir ein wenig besonderen Impulse und Verknüpfungen kamen wir schnell in Kontakt. Die
näher an die wirkliche Größe der Gegen- des Michaelischen Zeitalters. Menschen dort wollten vor allem
wartsschicksale heran, wenn wir erkennen, unsere Sprache lernen. Es bilde-
dass wir auch heute mitten darinstehen in Über 80 Gäste kamen zu uns ins Haus ten sich kleine Gruppen, manche
einer großen Völkerwanderungsbewegung, Oskar nach Bochum und es entstanden mit Kindern, andere mit Erwach-
die äußerlich zu allerlei Umgruppierungen bewegende Begegnungen und vertie- senen. Begierig griffen sie nach
führt, die aber innerlich das Erwachen der fende Gespräche. Die Atmosphäre war, unseren mitgebrachten Bildkärt-
Menschheit zu einem neuen Bewusstsein und trotz der persönlichen Anteilnahme chen und ließen sich die Worte
zu neuen schöpferischen Möglichkeiten des an den gehörten, manchmal traurigen vorsagen. Meine Schüler hatten
geistig-seelischen Lebens bewirken soll. Geschichten, der sich auf der Flucht kleine Wörterbücher gemalt mit
befindenden Menschen, fröhlich. Die den entsprechenden Vokabeln.
Solche Gedanken und Erkenntnisse dürfen Gemeinschaft, die Bereitschaft in diesen Einige Jungs waren schnell zum
natürlich nicht blind machen gegenüber dem herausfordernden Zeiten zu helfen, ver- Fußballspielen gegangen. Da gab
brutalen Unrecht, das im Zusammenhang band die Mitglieder des Arbeitszentrums es dann ein deutsch-englisches
mit allen möglichen Evakuierungsunterneh- an diesem Samstag auf besondere Weise. Gemisch zwischen den Spielern,
mungen durch unser Zeitalter geht. Vielleicht Auch nach dem offiziellen Teil leerte sich das in der letzten halben Stunde
können sie aber doch hie und da zu der Grö- der Saal kaum merklich. von allen Schülern aufgegriffen
ße und Weite des Blickes führen, die vieles wurde, als wir noch draußen
von den brutalen Zwangsläufigkeiten des Nachdem Hadwig Keser einfühlsam mit spielten. Die Sonne gab ihr Bes-
heutigen Lebens besser zu ertragen und zu ganz persönlichen Erzählungen durch das tes. Mit vielen Umarmungen ver-
meistern erlauben.» Totengedenken führte, warfen wir einen abschiedeten wir uns. Ein 17-jäh-
Rückblick auf die Arbeit des Jahres und riger Afghane fragte die Schüler,
Emil Bock erwähnt es zwar nicht aus- einen Vorblick auf die Aufgaben, die im wohin sie jetzt gingen. Sie sagten:
drücklich, aber man darf wohl in diesen kommenden Jahr auf uns warten. Mit «Back to school.» Darauf sagte er,
Erscheinungen das Wirken von Zeitgeis- Freude stellten wir fest, dass die Planung wie sehr er sie beneiden würde,
tern sehen, die die früheren Bindungen der «Festtage Anthroposophie» zu Mi- er würde so gerne wieder in die
des Menschen durch Volksgeister teils chaeli 2016 auf große Zustimmung trifft. Schule gehen. Das gab meinen
pervertieren, teils ganz aufkündigen Ein Ereignis, auf den wir als Arbeitszent- schulmüden, langsam pubertä-
wollen, letzten Endes aber, damit ein rum gemeinsam schauen können und in ren Schülern zum Abschied doch
kosmopolitischer, den Menschen indi- dem ein jedes unserer Mitglieder wirksam sehr zu denken.
vidualisierender Zug durch die Mensch- werden kann.
heit gehe – wie das im Sinne des wahren Dietlinde Gille
Zeitgeists M i c h a e l ist und durch die Melanie Hoessel Klassenlehrerin der Klasse 7b an der
Tat Christi veranlagt ist. Für das Arbeitszentrum Nordrhein-Westfalen Freien Waldorfschule Dresden

2 Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015


Anthroposophische Gesellschaft

Vom Charakter anthroposophischer Meditation


Vorblick auf die Jahrestagung und Mitgliederversammlung vom 17. bis 19. Juni 2016 in Hamburg

«Man braucht weder bloß zu verweilen Menschenlebens. Astrale Erregung reicht «Geistiger wird man durch die innere wil-
in dem abstrakten, grüblerischen Den- nicht aus, um seinen tragenden Grund zu lensgemäße Arbeit innerhalb der Gedan-
ken, wobei man sich einsiedlerisch in der bilden. Der liegt in der Vitalorganisation ken. ... Und je stärker, je intensiver dieses
Seele abschließt, noch sich hinzugeben des Menschen, im Bereich seiner Lebens- innere Willensstrahlen wird in dem Ele-
dem bloßen Hinhören und Hinsehen auf vollzüge, der Region des Ätherischen, wo mente, wo eben die Gedanken sind, desto
das, was die Ohren und Augen wahrneh- neben Wachstum und Fortpflanzung auch geistiger werden wir.» (GA202, S. 201f)
men können. ... Das Meditieren ist ein Gedächtnis, bleibende Gewohnheiten,
mittlerer Zustand. Es ist weder Denken Temperament, Gewissen und Charakter Der hier umrissene Zusammenhang
noch Wahrnehmen. Es ist ein Denken, des Menschen Gestalt gewinnen. weist auf den besonderen Charakter der
das so lebendig in der Seele lebt, wie das anthroposophischen Meditation hin. Er
Wahrnehmen lebendig lebt, und es ist ein «Versprechen wir uns, nicht einem ande- soll zum Inhalt der nächsten Mitglieder-
Wahrnehmen, das nichts Äußeres, son- ren, sondern nur uns selber einmal, dass versammlung der Anthroposophischen
dern Gedanken in der Wahrnehmung wir diesem Meditieren treu bleiben, dann Gesellschaft in Hamburg werden, die vom
hat.» So beschreibt Rudolf Steiner (GA ist das an sich eine ungeheure Kraft im 17. bis 19. Juni 2016 im Rudolf Steiner
147, S. 99) die besondere Bewusstseins- Seelischen, dieses sich einfach treu blei- Haus am Mittelweg stattfinden wird. Der
qualität des Meditierens. ben können.» (GA 305, aaO) vorläufige Arbeitstitel der Tagung lautet:
Meditativ bewusst sein: Ein Weg zur
Das Meditieren möchte nicht als Pflicht, Bereits in der Philosophie der Freiheit
Selbstbestimmung des Menschen.
sondern als selbstverständliches Bedürf- wird auf die besondere Qualität der see-
nis, ähnlich wie Hunger und Durst in der lischen Tätigkeit im Denken hingewiesen,
Wir möchten alle Mitglieder und Freunde
Seele leben. Denn es kann «die einzige die zur «in der menschlichen Wesenheit
der anthroposophischen Gesellschaft und
wirklich völlig freie Handlung in diesem liegende(n) Richtkraft» werden kann
des anthroposophischen Lebens schon
menschlichen Leben» werden. (GA 305, und das Wollen zuletzt frei macht. (GA
heute auf dieses Ereignis aufmerksam
S. 79f) Allerdings kann es trotz glühen- 4, S.204) Ihre Entwicklung bedeutet nicht
machen und herzlich dazu einladen!
der Vorsätze jeden Tag unterlassen wer- weniger als den Menschen zum Men-
den. Es betrifft eine tiefere Schicht des schen werden zu lassen. Hartwig Schiller

40 Jahre Eurythmieausbildung Witten Notizen aus dem Arbeitszentrum …


Im November fand am Institut für Wal- Allgemeine Anthroposophische Sektion … Berlin
dorfpädagogik in Witten/Annen eine
Am 17. und 18. Oktober führte der Initia- Eine Besponderheit der letzten Monate
Festwoche zum 40jährigen Jubiläum
tivkreis zur Entwicklung der Allgemeinen war die gemeinsame Busfahrt zur Aenig-
der Eurythmieausbildung an diesem Ort
Anthroposophischen Sektion in Deutsch- ma-Ausstellung nach Halle ins Kunstmu-
statt. In vielfältigen Veranstaltungen ent-
land im Anthroposophischen Zentrum in seum Moritzburg und zur Grabkapelle
stand ein reiches Bild ihrer besonderen
Kassel ein erstes öffentliches Arbeitswo- in Schloss Ostrau mit Führungen von
Prägung und ihres fruchtbaren Wirkens.
chenende durch. Reinhold Fäth und Matthias Mochner.
In besonderer Weise der ich-haften Er-
kenntnisbemühung am eurythmischen Gioia Falk, Wolfgang Kilthau, Hartwig
Bei den Veranstaltungen im Rudolf Stei-
Gestalten verpflichtet, trat die mutvolle Schiller und Bodo von Plato hatten das
ner Haus gibt es ein Novum (und kleines
Zukunftsverpflichtung der Mitarbeiten- Thema «Ich und Weltgeschehen» gewählt,
Wagnis): eine einjährige Reihe von Film-
den in Erscheinung. um eine Einführung in die Praxis anthro-
vorführungen zur Anthroposophie.
posophischer Meditation zu geben. Der
Sie erinnerte an ein Wort Rudolf Steiners:
Satz: «Ich empfinde mich denkend eins Sebastian Boegner
«Wir haben in uns Griechenland, Rom
mit dem Strome des Weltgeschehens.»,
und die Zukunft. ... Der Lehrer sollte … Oberrhein
aus dem ersten Kapitel der Schrift «Die
nicht losgelassen werden zu unterrich-
Schwelle zur geistigen Welt» (GA 17) Der Leitungskreis ordnet derzeit die
ten und zu erziehen, ohne dass er einen
bildete dafür das Zentrum der Tätigkeit. einzelnen Arbeitsbereiche des Arbeits-
Begriff bekommt von dem, wie in unse-
zentrums neu. Im Sekretariat hat Frau
re Kultur hereinragen Vergangenes und Etwa 70 Teilnehmer ließen eine dichte
Gabriele Schulten ihre Arbeit begonnen.
Zukünftiges, römisches Rechtswesen, Arbeitsatmosphäre entstehen und äu-
Wolfgang Drescher ist nun auch für die
griechische Geistessubstanz, und der ßerten den Wunsch nach einer Fortset-
Geschäftsstelle verantwortlich. Manfred
unbestimmte Rebell der Zukunft, der zung dieser Initiative.
Schleyer übernimmt die Aufgabe des
uns rettet.» (GA 298, 17. 8. 19)
Hartwig Schiller Kontaktes zu den Zweigen.
Hartwig Schiller Wolfgang Drescher

Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015 3


Anthroposophische Gesellschaft

Weniger ist oft viel mehr


Bericht von der Konferenz der Generalsekretäre vom 3. bis 6. November am Goetheanum

Die Konferenz der Generalsekretäre hatte sich Einen weiteren Schwerpunkt in den Be- Sektionsleiter Stefan Hasler (Redende
eine konzentrierte Themenwahl vorgenom- ratungen bildeten die besonders in an- und musizierende Künste) und Gerald
men, die sich als außerordentlich zentral und gelsächsischen Ländern inszenierten Häfner (Sozialwissenschaften).
gewichtig erwies. Angriffe auf die Anthroposophie in Form
von Rassismus- und Faschismusvorwür- Auch die Darstellung zur Entstehungs-
So dienten die fünf Gesprächsabschnitte fen. Das hatte an verschiedenen Orten geschichte und Arbeitsweise des Esote-
zur Vorbereitung der Michaelikonferenz schmerzliche Auswirkungen. Es hat sich rischen Jugendkreises durch Michaela
2016 nicht einer vor allem organisato- eine Redaktionsgruppe gebildet (René Glöckler war für viele Teilnehmer ein
rischen Aufgabe, sondern wurden zur Becker, Marjatta von Boeschoten, Hart- tiefes Erlebnis, insofern einige von der
Gelegenheit einer esoterischen Arbeit wig Schiller, Jaap Sijmons, Jeremy Smith, Existenz dieses Kreises bisher keine
an den vier Strophen des Grundstein- Justus Wittich), die mit weiteren Autoren Kenntnis besaßen. Mit Hinweis auf die
spruches, an die sich die äußeren Er- eine geeignete Publikation erarbeiten will, Veröffentlichung der zentralen Doku-
fordernisse fruchtbar anschlossen. Die um den genannten Vorwürfen in fundierter mente in GA 217 und GA 366/III ent-
Vertreter aller Kontinente wirkten dabei und aktueller Weise zu begegnen. Dabei stand ein einfühlsames und umfassendes
einander ergänzend und anregend mit- sollen globale, nationale, regionale und Bild seiner Existenz.
einander, ein kosmopolitischer Dialog lokale Bedürfnisse berücksichtigt werden.
michaelischer Prägung entstand. Es sind Zuletzt zeigte eine Übersicht über die
besondere Momente, in denen man eine Insgesamt waren die behandelten The- Entwicklung der Finanzen am Goethe-
solche Übereinstimmung von anthropo- men gesellschaftsnah. In Gesprächsgrup- anum für den jetzigen Augenblick einen
sophischer Bewegung, Gesellschaft und pen berichteten die Generalsekretäre erfreulichen Stand. Trotz des erheblichen
Goetheanum erleben kann. Sie dürfen von Beispielen gelungener Ereignisse Aufwandes, der für die Neuinszenierung
nicht übersehen werden und können und von Problemen im zurückliegenden des Faust, die umfassenden Sanierungs-
eine gegenwärtige Zukünftigkeit der an- Arbeitsjahr. Das Gelungene betraf dabei und Renovierungsarbeiten am Bau sowie
throposophischen Gesellschaft bezeugen. fast immer Initiativen, die Menschen zu für den laufenden Haushalt erbracht wer-
anthroposophischer Arbeit zusammen- den muss, ergibt sich durch eine größere
Die Substanzbildung für eine wirksame brachten, Probleme traten in Form von Erbschaft für 2015 ein weitgehend ausge-
Michaelikonferenz im kommenden Jahr Lähmung, Banalisierung und Separatis- glichenes Verhältnis von Einnahmen und
wird dadurch vorangebracht und in Ver- men auf. Durch den Überblick entstand Ausgaben. Gleichwohl besteht für 2016
bindung mit den Überlegungen für das manch gegenseitige Anregung. und die nachfolgenden Jahre ein nicht
neue Jahresthema (Selbsterkenntnis und unerhebliches strukturelles Defizit.
die Begegnung mit dem Bösen) wird eine Einen menschlich berührenden Punkt
überzeugende Aktualität erkennbar. bildete die Vorstellung der beiden neuen Hartwig Schiller

Zur Ausstellung «Friedensimpulse von Frauen»


Ursprünglich nur für die Tagung «Impuls deutschen Frauenbewegung» in Kassel.
Frieden – Kulturarbeit Anthroposophie» Frau Dr. Kerstin Wolff erstellt in Erinne- Begleitprogramm in Kassel:
der deutschen Landesgesellschaft, Juni rung an Helene Stöcker eine neue, wei-
2015 in Kassel, konzipiert, ergaben sich tere Schautafel, die am 26. Januar feier- – Dienstag, 26. Januar 2016, 20 Uhr
nun einige Kooperationen. Die Ausstel- lich enthüllt wird. Schauspielerinnen aus
Einleitung zu Helene Stöcker und Lesung, mit Dr.
lung war bereits im Frauenmuseum Bonn Kassel lesen Passagen aus Briefen und
Kerstin Wolff (Archiv der Deutschen Frauenbe-
zu sehen, im Rahmen der Ausstellung Texten von Helene Stöcker (26.1.) und
wegung), Eva-Maria Keller (Staatstheater Kassel)
«Frauen in Krieg und Frieden. 15-45-15. Cato Bontjes van Beek und Sophie Scholl
Geschichte, Dokumente, zeitgenössische (1.3.). Am 16.2. hält die Kunsthistorikerin
– Dienstag, 16. Februar 2016, 20 Uhr
Kunst». Spontan und kurzfristig ergab sich Dr. Ellen Markgraf einen Vortrag über
die Gelegenheit, die Schautafeln auch im Käthe Kollwitz. Einführung in das Werk von Käthe Kollwitz und
Rudolf-Steiner-Haus Bonn zu präsentieren. Bildbetrachtung, mit Dr. Ellen Markgraf (Anth-
Die nächste Station ist dann das Rudolf
roposophisches Zentrum Kassel/Kulturkreis)
2016 hängen die Tafeln vom 15. Januar Steiner Haus Frankfurt/Main (11. April
bis 13. März wieder im Anthroposo- bis 2. Juni 2016). Das Arbeitszentrum
– Dienstag, 1. März 2016, 20 Uhr
phischen Zentrum Kassel. Ein Begleit- präsentiert hier die Ausstellung wieder
programm richtet sich verstärkt an die mit Begleitveranstaltungen, die noch in Einleitung zu Sophie Scholl und Cato Bontjes
Öffentlichkeit. Es ergab sich zudem die Planung sind. van Beek und Lesung, mit Britta Hoffmann (Wol-
Zusammenarbeit mit dem «Archiv der Barbara Messmer fenbüttel/Frauenrat) und Sabine Wackernagel

4 Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015


Faust – Geld und Mythos
Anthroposophische Gesellschaft

Themenabend mit künstlerischer Einführung,


Workshops und Auszügen aus Szenen der
neuen Faust-Inszenierung am Goetheanum

mit Rob Schapink (Eurythmie), Christian Peter und ähnliche Fragen sollen an
(Regisseur) und weiteren Künstlern der Goethe- dem Abend behandelt werden.
anum-Bühne. Moderation: Gioia Falk (General- In einer Einführung mit klei-
sekretärin der Anthroposophischen Gesellschaft nen Demonstrationen, aber
in Deutschland und Eurythmistin). auch in gemeinsamer künst-
lerischer Arbeit mit Eurythmie,
Aus uralten mythologischen Bildern schuf Sprache oder Schauspiel.
Goethe ein hochaktuelles Drama, den
G. Falk, B. Kolass, K. Fechter
Faust. Besonders im Zweiten Teil erfahren
wir darin Fausts Schritte hin zu äußerer
16. Januar 2015, 20 Uhr, Freie
Macht und Reichtum. In diesen Schritten
Waldorfschule Freiburg-Wiehre,
spiegelt sich ein Weg, auf dem Faust sein
Schwimmbadstraße 29
Inneres entwickelt. – Welche Motive der
Mythologie finden sich in Goethes Dra- Anthroposophische Gesellschaft
ma? Welche Bewusstseinsstufen durch- in Deutschland, Arbeitszentrum
wandert Faust auf seinem Weg? Und wel- Freiburg, Tel 0761 / 25559
che Anregungen gab Rudolf Steiner zur info@azoberrhein.de
Darstellung bestimmter Szenen? – Solche

Meditation in Ost und West – Ich und Nicht-Ich und die Rolle des Denkens
Fragt man heute in der Bevölkerung nach die Rolle des Denkens, aber auch der Anthroposophie sehr gut kennt; von an-
«Meditation», stößt man dabei fast aus- Konsequenzen für das ethisch-morali- throposophischer Seite Corinna Gleide,
schließlich auf Formen der buddhistischen sche Leben, sollen auf dieser Tagung in Steffen Hartmann, Elisabeth von Kügel-
Meditation. Die anthroposophische Medi- Vorträgen, Workshops und Gesprächen gen, Rudi Ballreich, Christoph Hueck,
tation ist nach wie vor praktisch unbekannt. bearbeitet werden. Dabei geht es in die- Arndt Bay und Andreas Neider, die mit
Dem möchte die Tagung «Meditation in sem Vergleich auch darum, angesichts unterschiedlichen Ansätzen alle über
Ost und West» im Februar 2016 in Stuttgart der weiten Verbreitung der östlich ins- eine reiche Erfahrung in der Praxis der
Abhilfe schaffen, indem sie die anthroposo- pirierten Meditationsarten, sich der im anthroposophischen Meditation verfügen.
phischen Ansätze mit den buddhistischen Abendland im Rahmen der christlichen Erstmalig wird von katholischer Seite der
nach der überaus erfolgreichen ersten Ta- Mystik über viele Jahrhunderte hinweg Benediktiner Frater Gregor Baumhof die
gung 2015 erneut ins Gespräch bringt. gewachsenen Meditationspraktiken christlich-mystische Tradition vertreten
bewusst zu werden, um diese in einen und einen Workshop zum gregoriani-
Ein Hauptunterschied ist dabei, dass
unserer Zeit entsprechenden Meditati- schen Gesang (Meditation durch Musik)
sowohl der ursprüngliche Buddhismus
onsweg mit einzubeziehen. Die Tagung und zur christlichen Mystik geben.
(Hinayana) wie der später entstandene
richtet sich mit ihrem interreligiösen
Mahayana-Buddhismus das Ich als nichte- Den interreligiösen Ansatz der Tagung
Ansatz an eine breite und am Thema
xistent betrachten, als eine zu überwin- unterstützt als Mitveranstalterin Frie-
«Meditation» interessierte Öffentlichkeit.
dende Täuschung und an dessen Stelle derike Schinagl von kunstplanbau e.V.
vom Nicht-Ich (Anatman) sprechen. Zu Neben verschiedenen Vorträgen wird es Berlin, mit deren Kooperation die Ta-
diesen Traditionen gesellt sich als dritte wie schon auf der ersten Meditationsta- gung stattfindet, außerdem beteiligt sich
die des tantrischen Buddhismus, der zur gung wieder die Möglichkeit geben, die als Mitinitiator erstmalig auch die seit
Frage von Ich und Nicht-Ich eine eigene unterschiedlichen Formen von Medi- Juni 2015 im Rudolf Steiner-Haus tätige
Perspektive und dementsprechend auch tation in Workshops kennen zu lernen. AKANTHOS-Akademie für anthropo-
eine andere Meditationspraxis entwickelt Eingeladen sind einige der bekanntesten sophische Forschung und Entwicklung.
hat, die heute z.B. in Japan als Shingon- Buddhismusforscher und praktizierenden
Andreas Neider
Buddhismus bekannt ist. Zen-Buddhisten: Doris Zölls (Leitung des
Benediktushof und Zen-Meisterin), Vol- Tagung vom 26. bis 28. Februar 2016 im Rudolf
In der anthroposophischen Meditation
ker Zotz (Professor für Religionswissen- Steiner-Haus Stuttgart
spielt hingegen das Ich eine zentrale
schaften und Leiter des Arya-Maitreya- Anmeldung und Information: Anthroposophi-
Rolle, Steiner spricht dabei von einem
Mandal-Ordens) sowie der buddhistische sche Gesellschaft Stuttgart, Andreas Neider und
niederen und einem höheren Ich.
Mönch Thich Duc Tinh (Hue An), der Laurence Godard, Zur Uhlandshöhe 10, 70188
Die damit verbundenen Fragen der Me- früher bei der Wochenschrift «Das Goe- Stuttgart, Tel 0711 / 248 50 97, aneider@gmx.de
ditationspraxis, vor allem im Hinblick auf theanum» beschäftigt war und daher die www.meditationostwest.de

Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015 5


Anthroposophische Gesellschaft

Ein kleines Signal des Friedens


«Kassel Spirituell» im Dialog – Bericht vom Erlebnistag am 14. November 2015

Vier spirituelle Gruppierungen aus Kassel etwa 120 Menschen im Saal merkten, neues Verstehen des Islam. Von ihnen und
bereiteten den Tag vor: Die «Internationa- dass hier nicht nur ein Annähern und auch während des Tages wurde erlebt: hier
le Schule des Goldenen Rosenkreuzes», Kennenlernen, sondern auch eine Ver- wird ein ganz friedlicher, ursprünglicher
das «Sufi-Zentrum», das «Mehrgenerati- tiefung stattgefunden hatte. Trotz großer und doch moderner Islam praktiziert, mit
onenhaus Heilhaus» und die «Anthropo- Verschiedenheiten, wie betont wurde, gab einer großen Kluft zu dem derzeitigen –
sophische Bewegung». Das Heilhaus, bis es in den vier Jahren keine Missklänge und seit dem 13.11. verstärkten – Zerrbild,
jetzt nur in Kassel, dürfte am unbekann- oder einen Verlust der Offenheit. das die Öffentlichkeit von dieser Religion
testen sein. Es wurde von Ursa Paul, einer (vermittelt bekommen) hat.
Frau mit besonderen spirituellen Heilkräf- «Mitten durchs Herz zurück zum Ur-
ten, vor 25 Jahren gegründet und ist somit sprung» war das neue Motto, mit dem Bei den Anthroposophen wurde von ih-
die jüngste der vier Gruppen. Das Anlie- Verena Förster das Streben der Schule ren Mitvorbereitern besonders ein tiefes,
gen des Heilhauses ist, den Menschen des Rosenkreuzes vorstellte. Mit ihrer An- beharrliches Streben nach Erkenntnis be-
von der Geburt bis zum Tod zu begleiten. knüpfung an den «urchristlichen Einwei- merkt, die Ausprägung der Spiritualität
So gibt es Hebammen, eine Schule für hungsweg» steht die Schule der Anthro- in vielen Lebensgebieten bewundert, die
schwerkranke Kinder, heilende Pflege, posophie geistig am nächsten. Von den Bedeutung von Kunst und Kreativität her-
Sterbehilfe und Aussegnung; es ist, kurz anderen wurde die «Unaufgeregtheit», die vorgehoben und Liane-Heide Niederhoff
gesagt, ein medizinisches und meditatives ernste Suche und der Blick auf den Alltag für die Initiative und das Durchtragen des
Versorgungszentrum. Die überwiegend hervorgehoben. Sie bedankten sich, dass Impulses gedankt. Auch dem Anthropo-
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen gehen sie den Tempel der Rosenkreuzer besu- sophischen Zentrum Kassel wurde für
einen Weg der Seelenentwicklung, der die chen durften. die Großzügigkeit beim Bereitstellen der
altindische Chakrenentfaltung adaptiert Räume gedankt.
und unserer Zeit angepasst hat. Beim Heilhaus stellte Karin Flachmeyer
in einer späteren Einführung ein Bild Nach diesem Auftakt konnten die Teil-
Bei der Eröffnung von «Kassel Spirituell» an den Anfang: einen Lebensbaum mit nehmer in gesonderten Räumen Fragen
erinnerte die Initiatorin Liane-Heide Nie- durchsichtigen Räumen auf den Ästen, an jeweils eine Gruppe stellen. Im Laufe
derhoff an die erste Veranstaltung im Jahr in denen geboren, gelebt und gestor- des Mittags und Nachmittags wuchs die
2013, bei der anläßlich des 1300-jährigen ben wird. Dieser Traum von Ursa Paul Besucherzahl auf etwa 300 an. Es wurden
Stadtjubiläums von Kassel auch die spi- wurde Leitmotiv für die Begleitung aller einerseits «Dialogräume im Austausch
rituelle Seite des Ortes zur Erscheinung Heilbedürftigen und beim Hausbau für mit den Teilnehmern» angeboten. Par-
gebracht wurde. In zwei Jahren Vorlaufzeit mehrere Generationen. Beeindruckt hat allel dazu gab es «Themenforen und Er-
hatten sich die spirituellen Gruppierungen der selbstverständliche Umgang mit Ge- fahrungsräume». Dort konnte man z.B.
gefunden, getroffen und kennen gelernt, burt und Tod und eine Kultur der offenen einen Sufidrehtanz sehen und anfänglich
hatten gemeinsam den Tag geplant und Kommunikation untereinander. probieren, Aurareinigungen des Heilhau-
dann sich jeweils präsentiert. Es waren ses erleben, Räume der Stille aufsuchen
600 bis 700 Teilnehmer über den ganzen Die Sufis sind die einzige Religionsge- (Meditationen mit Musik, Singen, Natur-
Tag verteilt gekommen! Da es damals viele meinschaft innerhalb der vier Gruppen, vertiefung) oder malen und plastizieren.
Fragen in den Arbeitsgruppen und im Ple- noch dazu von einer Religion aus einem
num gab, wurde ein Folgetag vorbereitet. ganz anderen Kulturkreis. Sie hoben sich Im Dialograum «Inspiration und Intu-
Von vielen angefragten und zeitweise be- nicht nur äußerlich (Männer in Turban ition», den Verena Förster und Liane-
teiligten Gruppen waren diese vier Verei- und Pluderhosen mit weiten Mänteln) ab, Heide Niederhoff eröffneten, entstand
nigungen übrig geblieben. Sie entschieden sondern auch in der Art der Vorstellung. eine intensive Erkenntnisstimmung bei
sich diesmal für die Dialogform. Ahmedullah Khalid, ein junger, bärtiger, der Suche nach den Unterschieden von
dunkelhäutiger, akzentfrei deutsch spre- Inspiration und Intuition. Unter den 30
So war der Auftakt schon ungewöhnlich. chender Mann, fand zunächst Worte des Anwesenden waren alle Altersgruppen,
Die Mitwirkenden auf der Bühne kenn- Dankes und stellte seine Mitwirkenden, auch Jugendliche brachten sich unbe-
zeichneten ihre Gruppenzugehörigkeit darunter ein Vertreter des «Meisters» vor. fangen ein.
mit farbigen Tüchern. Dann stellte ein Dann sprach er über die Sufi-Tradition
Vertreter seine Vereinigung vor und die ganz aus dem Herzen und rezitierte sin- Ein anderer Dialog wurde von Viviane
anderen schilderten danach, was sie in gend eine Koransure auf arabisch. Von Clauss (Heilhaus) und Ahmedullah Khalid
der Zusammenarbeit als besonders er- den anderen Gruppierungen wurde die- (Sufi-Zentrum) begonnen. Es ging um
lebt hatten. Ein spiritueller Ansatz wurde ses selbstverständliche Glaubenszeugnis, «Geburt, Leben, Sterben – Kreislauf des
also von Menschen anderer spiritueller gepaart mit Verehrungskräften, zunächst Lebens». Spannend war die Auffassung
Wege gespiegelt. Dieser interessante Ver- bestaunt. Durch die unbedingte Offen- der Gründerin Ursa Paul, wir wüßten
such brachte große Wertschätzung und heit der Sufis für den geistigen Austausch schon, wie Sterben gehe, wir müssten uns
gegenseitige Dankbarkeit zutage. Die entstand bald Wertschätzung und ein ganz nur erinnern. In der Sufi-Tradition gibt

6 Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015


es auf dem spirituellen Weg das «Stirb,
bevor du stirbst», was uns Europäern von
Angelus Silesius bekannt ist. Außerdem
bekommt jedes Kind der Sufis bei der Ge-
burt einen Gebetsruf ins Ohr, der für die
Sterbestunde bestimmt ist. Und da sich
im Tod die Seele vom Körper befreit, so
dass diese in ihren geliebten Gott einge-
Heft Dezember 2015
hen kann, ist für einige Sufis der Tod ein Das Dezember-Heft versucht, auf das zu hören, was in Ost, West, Nord,
Freudenfest. Das Gespräch brachte nahe, Süd für Menschen- und Geistesohren ertönt. Einen ersten Schritt in den
wie Tod und Geburt zusammen gehören Süden, über die Alpen, geht Claudia Törpels Besprechung der großen
und dass sie abgeschwächt auch im Le- Botticelli-Ausstellung in Berlin. Noch weiter südlich schreiten wir mit den
ben dazwischen vorhanden sind. Notizen aus Kairo, in denen uns Astrid Lütje, ehemals Dozentin am Wal-
dorflehrerseminar in Kassel und jetzt Lehrerin an einer Deutschen Schule
Um 16 Uhr füllte sich der Raum, in dem in Kairo, die gegenwärtige Lage in Ägypten schildert. Etwas weiter nach
der Dialog zu «Ein anderer Umgang mit Osten – und zugleich in engem Bezug zu uns selbst in der Mitte – wenden
dem Koran» stattfinden sollte, immer sich Helge Mückes Kommentar zur Verleihung des Friedenspreises des
mehr. Husamuddin Meyer stellte sich Deutschen Buchhandels an Navid Kermani, Ruth-Renée Reifs Interview
als gebürtiger Hesse, jetzt Iman und mit Jenny Erpenbeck, die einen Roman über die Flüchtlingskrise geschrie-
Islamwissenschaftler in Wiesbaden vor. ben hat, sowie Angelika Oldenburgs Bericht über eine Inszenierung von
Liane-Heide Niederhoff berichtete, dass Lessings Nathan mit Flüchtlingen in Potsdam.
sich acht Menschen von «Kassel Spiri-
tuell» ein Jahr lang mit dem Koran be- Ganz im Osten befinden wir uns dann mit einem Aufsatz von Jobst Lang-
fasst haben. Ihr ist die Vieldeutigkeit in hans, der Michael Tschechows Weg zu seiner Hamlet-Inszenierung schil-
der arabischen Sprache zu Bewusstsein dert, der auch ein Weg zum inneren Licht und zum Christus-Impuls war.
gekommen und welch ein Schatz deshalb In den Norden lauschen wir mit Ute Hallaschkas Porträt der Dichterin
im Koran verborgen ist, der zu beweg- Selma Lagerlöf, die uns als jene engagierte und interessante Persönlichkeit
lichem Denken auffordert. Sie las zwei vorgestellt wird, die sie – ihrem Image als biedere Märchentante zuwider
verblüffend unterschiedliche Übersetzun- – in Wahrheit gewesen ist. Den Westen schließlich, genauer gesagt: die
gen der 53. Sure vor. Es wurde deutlich, westlichen Mysterien, bringt uns Renatus Derbidge in seinem Beitrag über
welche Spannbreite der Koran bietet: er den Iona-Impuls einer christlichen Naturwissenschaft näher. Und in einem
ist Lebensmittelpunkt für Millionen, die Aufsatz von Stephan Eisenhut, der bei Redaktionsschluss der Mitteilungen
ihn einfach auswendig können, und für noch in Entstehung begriffen war, soll die Geographie dieser vier Richtun-
Gelehrte mit spezieller Ausbildung, die gen des Himmels wie des Geistes zusammenfassend angeschaut werden.
ihn erforschen. Iman Meyer schilderte,
dass er sich bei seinem tieferen Eindrin- Claudius Weise
gen in den Koran von Gott selbst ganz
persönlich unterrichtet fühlte, und zwar Auf der Website www.diedrei.org sind alle Artikel seit Anfang 2014 teils kosten-
über sein individuelles Leben. Auch die pflichtig, teils frei zum Download erhältlich. Ältere Artikel, sofern nicht schon im
Radikalisierung durch eine besondere Online-Archiv vorhanden, werden auf Anfrage bereit gestellt. Zur Orientierung
Islamdeutung, bekannt als Islamismus, existiert ein vollständiges Inhaltsverzeichnis aller Ausgaben seit 1921.
war kurz Gesprächsthema.

Beim Schlussakkord brachten dann die


Gruppierungen Ernstes und Heiteres zum
Impressum
Tag in Gedanken, Gedichten, Musik und
Die «Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in
Gesang auf dem Podium vor. Der ganze Deutschland» sind Bestandteil der Zeitschrift «Anthroposophie
Tag wurde von hervorragender Musik weltweit». Herausgeber ist die Anthroposophische Gesellschaft
in Deutschland e. V., Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart.
begleitet, so auch am Ende. Die Offen- Redaktion und Satz: Benjamin Kolass (verantwortlich) | Email:
benjamin@projektzeitung.org | Adressänderungen: leserservice@
heit, das Verstehen-Wollen und die Fried- mercurial.de | Der Bezug ist sowohl durch ein Abonnement der
Wochenschrift «Das Goetheanum» als auch durch gesonderte
lichkeit des Tages – ein Kontrapunkt zu Bestellung beim Verlag möglich. Jahreskostenbeitrag für Nicht-Mit-
dem Geschehen in Paris – schloss sich in glieder 40,- Euro. Verlag: mercurial-Publikationsgesellschaft, Alt-
Niederursel 45, 60439 Frankfurt/M., Tel: 069/58 23 54, Konto Nr.
diesen Minuten noch einmal zusammen. 101 670 901 bei der GLS Gemeinschaftsbank eG, BLZ 430 609 67,
IBAN DE46 4306 0967 7035 8817 01, BIC GENODEM1GLS.
Beilagen: Veranstaltungskalender Goetheanum, Spendenaufruf
Barbara Messmer Studienhilfe, Flyer Meditation in Ost und West.

Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, Dezember 2015 7


Anthroposophische Gesellschaft

Zukunftsprozess der Anthroposophische Gesellschaft


Ausgehend von der Frage, wie die Anthroposophische Gesellschaft sich so gestalten kann, dass sie in den gegenwärtigen Kultur- und Zeit-
geistqualitäten zukunftsfähig arbeiten kann, hat auf der Gesamtkonferenz der Deutschen Landesgesellschaft im September diesen Jahres
ein Beratungs- und Entwicklungsprozess begonnen. Dabei entstanden u.a. drei Zukunftsbilder einer AG im 21. Jahrhundert, die hier nur
als spontane Ideen, bzw. Visionen wieder gegeben werden.

1. Bild
Die Rudolf-Steiner-Häuser wandeln sich zu öffentlichen «Kultur- möglichkeiten an. Eine Bildungsgemeinschaft in übersinn-
Kaufhäusern» in den Zentren der Innenstädte. Sie sind ein licher Wahrnehmung mit Lehrmeistern und «Schülern», die
Haus der offenen Türen mit Glass Fassaden, mehreren Ein- sich ernsthaft auf den Weg machen wollen. Keine Wissens-
gängen und mehreren Etagen. Darin gibt es einen Durchlauf vermittlung findet statt, sondern individuelle Geistesschu-
von Menschen jeder Art, die die Angebote wahrnehmen. Sie lung. Es gibt keine äußere, formale Mitgliedschaft, sondern
gehen in den Bio-Supermarkt und kaufen ein, sie nutzen nur eine innere Legitimation. Das braucht keine äußeren
die Kinder Waldorf-Spielecke, es gibt eine Demeter-Kuh Organisationsformen, sondern gründet ausschließlich auf
zum Melken, eine Geschichtenerzählerin, die zum Zuhören realen Menschenbegegnungen. Das Erleben der geistigen
einlädt, einige Kulturräume für Zweigarbeit und aktuelle Welt steht im Zentrum. Es gibt eine Mitgliedschaft, die aus-
Seminare zum Zeitgeschehen, eine Kunstabteilung, in der schließlich aus freien Spenden und nicht aus Beitragssätzen
anthroposophische Künstler ihre Werke anbieten und einen besteht. Wenn etwas gewollt wird, dann fließt das Geld da
Bücherladen mit guter Literatur, sowie ein Infostand zur hin. Ein neuer Orden entsteht, der ausschließlich die geistige
Arbeit der anthroposophischen Bewegung usw. Das «Haus Entwicklung des Menschen zum Ziel hat.
der Anthroposophie» steht am Marktplatz und lädt alle Men-
schen im Stadtgewirr zu einem Moment der Besinnung, der Es ging in dieser Konferenz nicht darum, die Bilder, die Einzelne
Sinngebung ein. von uns eingebracht haben, zu bewerten. Es ging darum, für
einen Moment mal verschiedensten Visionen freies Feld zu
2. Bild geben. Dabei entstanden eine Vielzahl solcher Bilder, die zu
Die Anthroposophische Gesellschaft hat sich ganz neue Strukturen einem Prozess aufrufen können: Wie sehen wir selber die
geschaffen. Alle Gruppen präsentieren sich im Internet, auch Zukunft der Anthroposophischen Gesellschaft? Wie entste-
die verschiedensten Sachgruppen der Menschen, werden hen ganz aktuell in der Gegenwart neue, mögliche Bilder,
präsentiert, von Biographie-Arbeit bis Kunst, von Heilpäda- die vielleicht alle etwas Wahres und Wichtiges, vielleicht
gogik bis Gesundheit und Gesellschaftlicher Wandel. Das auch substanzielles für die Zukunft der Anthroposophie
alles ist «schwellenlos» und eigeninitiativ. Jede Gruppe und beitragen können?
jede Einzelinitiative kann sich auf der Plattform eintragen.
Anthroposophische Gesellschaft ist ein individueller und Auf der nächsten Konferenz im Januar 2016 wird ein nächster
selbstorganisierter Zusammenhang von interessierten Men- Schritt geschehen. Es gibt eine Gesamtkonferenz mit zusätz-
schen, die sich ihre Sozialbezüge überregional selber aus- lich ca. 30-40 eingeladenen Gästen, die gemeinsam einen
suchen. Jeder Nutzer zahlt 3 Euro Organisationsbeitrag im «Zukunfts-Werkstatt-Tag» gestalten. Hier geht es darum, die
Monat, ein Ein- und Austritt ist jederzeit möglich. AG wird Fragestellungen, die sich auf die verschiedensten Bereiche
zu einer spirituell ausgerichteten Zivilgesellschaft, die als beziehen, etwas genauer auszuloten und zu konkretisieren.
Forum oder Plattform auftritt. Selbstorganisierte Gruppen Der Entwicklungsprozess «Zukunft der AG» wird sich in
beschäftigen sich mit Flüchtlingshilfe, Meditation, Philoso- den nächsten drei Jahren in den verschiedensten Formen
phie der Freiheit oder TTIP, was ihnen eben wichtig ist und ausgestalten. Natürlich werden dann auch alle Mitglieder
verabreden sich an den Orten, an denen sie eine Location zu einer offenen Versammlung eingeladen. Wichtig wäre es,
finden. AG ist überall da, wo Menschen sind, die initiativ zu einer Anthroposophischen Gesellschaft zu kommen, in
werden. der sich auch jüngere Menschen gerne beteiligen und die
in ihren Organisationsformen den gegenwärtigen Aufga-
3. Bild ben gerecht werden kann. Verantwortlich für die Steuerung
Anthroposophische Gesellschaft ist eine Schulungs-Gesellschaft, dieses Zukunfts-Prozesses sind: Benjamin Kolass, Anke
eine Üb-Gesellschaft, die Menschen ausbildet, die nach geis- Steinmetz, Florian Zebhauser, Alexander Thiersch und Mi-
tiger Entwicklung suchen. Man wird Mitglied, wenn man zu chael Schmock.
einer geistigen Schulung geht. Menschen, die imaginative,
übersinnliche Wahrnehmungen haben, bieten Schulungs- Michael Schmock

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