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Aus Engelwesen werden Pötze

Die Basis für die Pötze – also das Grundgerüst, auf dem jede Figur basiert – fand Reinhardt in den
magischen Zeichen des Okkultisten Franz Bardon. Das hier zu einer Lehre der Magie
weiterentwickelte metaphysische Gedankengut einer feinstofflichen Verbindung des Irdischen mit
himmlischen Sphären hat Reinhardt offenbar fasziniert – denn bei Bardon nehmen diese
Verbindungen Gestalt an in Form von symbolischen Zeichen, die für die Engel in ihren verschiedenen
Sphären stehen. Auch in Reinhardts Tagebüchern tauchen immer wieder die Gedanken einer schwer
zu konkretisierenden Transformation von Energie auf, der Beziehung zwischen dem Materiellen und
dem Geistigen. Angeregt durch das Studium des „ Senfkorngartens“, einem im 17. Jahrhundert
verfassten, im Laufe der Jahrhunderte immer weiter entwickeltes Muster- und Lehrbuch der
chinesischen Tuschemalerei, hat er bereits in den ausgehenden 60er-Jahren eine Art symbolhafte
Zeichensprache entwickelt und übte sich im freien Zeichnen von Zeichen, die Träger seiner Ideen
werden sollten. Systematisches, morphologisches Zeichnen, auch in Kreisen, Dreiecken und Wellen
nach dem Vorbild von Dürers Buch der Messungen nimmt er sich bereits 1968 vor, wie aus einem
Eintrag in seinem Tagebuch hervorgeht. Rückblickend hat er also die grafischen und geistigen
Grundlage lange schon angelegt, bevor sie in den Pötzen Gestalt annahmen. In der Übernahme der
bardonschen Zeichen traf also vieles zusammen: Die ästhetische Form der klaren grafischen
Gestaltung, die Vermittlung von Emotionen und die symbolhafte Verbindung zu einer höheren, von
menschlicher Vernunft abgelösten Bedeutung. Reinhardt hatte eine Form gefunden, um all seine
Gedanken vielfältig, fundiert und dennoch mit viel Raum für Kreativität und pointiert zum Ausdruck
zu bringen. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der den Engeln sowie den Pötzen
zugeschriebenen Bedeutungen lässt sich nach unserem Eindruck jedoch nihct herstellen.

706 Bardon

In seiner „Praxis der magischen Evokation“ hat der Okkultist Franz Bardon (*1. Dezember 1909, in
Troppau, Österreich-Ungarn, gest. 10. Juli 1958 in Brünn, Tschechoslowakei) eine umfassende
metaphysische Lehre entwickelt, die auf der Suche nach dem Urgrund aller Schöpfung beruht. Seiner
Auffassung nach entwickeln sich Kräfte und Prozesse im Zusammenspiel von Kontraktion,
symbolisiert durch das Wasser, und der Expansion, symbolisiert durch das Feuer. Der Mystiker, der
unter einem Akronym auftrat und von den Nationalsozialisten verfolgt und in Konzentrationslager
verschleppt wurde, schuf mit diesem System die Grundlage für seine Lehre der Magie. Die Mittler
zwischen Himmel und Erde, die der Magier für die Inanspruchnahme seiner Kräfte anzurufen hatte,
werden hier durch zahlreiche Engel als spirituelle Existenzen der vier Hauptelemente repräsentiert,
deren Namen und zugeordneten Zeichen Bardon in seiner Publikation aufzeichnet und mit Nummern
versehen hat. Wie der Bardon-Forscher Emil Stejnar herausgefunden hat, verbergen sich hinter den
Namen dieser Engel, deren Ursprung oder Herkunft Bardon in seien Publikationen nicht weiter
erläutert, kodierte Namen von Fixsternen aus unserem Sonnensystem. Nach Steynar sollten die
verklausulierten Namen dazu dienen, die besten Zeiten für deren Evokation zu berechnen. Somit
liegen also den Engeln Sternbilder zugrunde. Bardons Theorien wurden posthum von esoterisch-
rechtsextremistischen Agitatoren für antisemitisch-freimaurerische Verschwörungstheorien
vereinnahmt.

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