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Bruder Lorenz

(Nicholas Herman von Lothringen)

Die Übung
der Gegenwärtigkeit Gottes
Regeln für ein Heiliges Leben
Übersetzung von ©Clemens Vargas Ramos des Buches „The Practice
of the Presence of God: The Best Rule of Holy Life by Brother
Lawrence“. Der Text ist an verschiedenen Stellen frei im Internet
verfügbar, so etwa bei Gutenberg.org:
http://www.gutenberg.org/etext/13871
Fertiggestellt in Bremen, September 2009
Zuletzt bearbeitet am 02.10.09
Titelblatt ...................................................................................................... 5
Vorwort ........................................................................................................ 7
Gespräche .................................................................................................. 11
Erstes Gespräch.................................................................................................. 11
Zweites Gespräch .............................................................................................. 13
Drittes Gespräch ................................................................................................ 17
Viertes Gespräch ................................................................................................ 19
Briefe .......................................................................................................... 23
Erster Brief........................................................................................................... 23
Zweiter Brief ....................................................................................................... 25
Dritter Brief ......................................................................................................... 29
Vierter Brief ......................................................................................................... 30
Fünfter Brief ........................................................................................................ 33
Sechster Brief ...................................................................................................... 35
Siebter Brief ......................................................................................................... 37
Achter Brief .......................................................................................................... 38
Neunter Brief....................................................................................................... 39
Zehnter Brief ....................................................................................................... 41
Elfter Brief ............................................................................................................ 42
Zwölfter Brief ...................................................................................................... 44
Dreizehnter Brief ............................................................................................... 45
Vierzehnter Brief ............................................................................................... 46
Fünfzehnter Brief .............................................................................................. 47
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Titelblatt

Die Übung der Gegenwärtigkeit Gottes –


Regeln für ein Heiliges Leben
beruhend auf Gesprächen und Briefen
des Bruder Lorenz

Gut, wenn Er uns gibt,


sicherlich sehr gut,
doch geringer ist es nicht,
wenn Er uns nimmt,
denn Mühen, aus Seiner Hand empfangen,
sind verborgener Segen.

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Vorwort
Anm. des Übersetzers: Dieses Vorwort wurde der eBook-Ausgabe von
Gutenberg entnommen. Es stammt aus einer Buchausgabe
unbekannten Datums der Fleming H. Revell Company, New York –
Chicago – Toronto.
Dieses Buch enthält die Aufzeichnungen verschiedener Gespräche
und Briefe von Nicholas Herman von Lothringen, einem einfachen
und ungebildeten Mann, der nach einer Zeit als Dienstbote und Soldat
1666 als Laienbruder bei den Unbeschuhten Carmelitern zu Paris
aufgenommen wurde. Später wurde er als „Bruder Lorenz“ bekannt.
Seine innere Wandlung, die im Alter von 18 Jahren stattfand, war
das Ergebnis des durch Gott inspirierten Anblicks eines vertrockne-
ten und blattlosen Baumes sowie der Einsichten, die unter dem
Eindruck des gerade bevorstehenden Frühlingsanbruchs in ihm
aufgingen. Von diesem Zeitpunkt an nahmen seine Erkenntnis Gottes
und seine Liebe zu Gott in außergewöhnlichem Umfange zu, während
er danach strebte, beständig und „als ob ich in Seiner unmittelbaren
Gegenwart wandelte“ durch das Leben zu gehen. Keine Verwirrung
schien sein Leben und seine Erfahrung jemals in Mitleidenschaft zu
ziehen. Als ein vollkommen dem Heiligen gewidmeter Mann lebte er
sein ganzes christliches Leben lang wie ein Pilger und als ein Knecht
und nicht als Herr. Als er im Alter von achtzig Jahren starb, hinterließ
er einen Namen, der fortan wie eine wohltuende Medizin weiterlebte.
Die „Gespräche“ wurden vermutlich von M. Beaufort aufgezeichnet,
dem Grand Vicar (Oberpfarrer) des M. De Chalons, früher Kardinal de
Noailles, auf dessen Empfehlung hin die Briefe dann erstmalig publi-
ziert wurden.
Das Werk durchlief dann innerhalb kurzer Zeit mehrere englische
und us-amerikanische Ausgaben und wurde zu einem Segen für viele
Seelen. Es enthält Weisheit von der Art, wie sie nur von Lippen, die
der Herr berührt hat, kommen kann, und die nur diejenigen Herzen,
die Er gelehrig gemacht hat, empfangen können.
Möge diese Ausgabe von Gott gesegnet sein und Ihm zur Ehre ge-
reichen.

***

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Anm. des Übersetzers: Es folgt eine Übersetzung von Teilen der
englischsprachigen Wikipedia zu Bruder Lorenz mit weiteren
biografischen Einzelheiten.
Bruder Lorenz (ca. *1614, †12. Februar 1691) war Laienbruder in
einem Karmeliterkloster und blieb durch seine Aufzeichnungen
seiner vertrauten Beziehungen zu Gott in Erinnerung, die in dem
christlichen Klassiker „The Practice of the Presence of God“ niederge-
legt wurden.
Bruder Lorenz wurde als Nicholas Herman in Hériménil nahe
Lunéville in Lothringen im heutigen östlichen Teil Frankreichs gebo-
ren. Im Alter von 18 empfing er eine Offenbarung der Allmacht und
Allgegenwart Gottes. Nach sechs Jahren trat er dann dem Karmeliter-
Orden zu Paris bei. In der Zeit dazwischen kämpfte er als Soldat im
Dreißigjährigen Krieg und arbeitete dann als Dienstbote.
Nicholas trat ins Kloster zu Paris als Laienbruder ein, denn er be-
saß nicht die erforderliche Ausbildung für eine klerikale Karriere. Er
nahm den spirituellen Namen „Lorenz von der Auferstehung“ an. Die
meiste Zeit seines Lebens verbrachte er hinter den Klostermauern,
arbeitet dort in der Küche und in seinen späteren Jahren als Flick-
schuster für die Hunderte Sandalen der Gemeinschaft.
Als junger Mann war Nicholas durch Armut gezwungen, sich als
Soldat in der Armee zu verdingen, von der er Nahrung und einen
kleinen Sold erhielt. In dieser Zeit hatte Nicholas eine Erfahrung, die
der Beginn einer außerordentlichen spirituellen Reise wurde und
interessanterweise keine übernatürliche Vision, sondern vielmehr
eine übernatürliche Klarheit in der Schau des Alltags war.
Im tiefen Winter betrachtete Nicholas einen blattlosen, trockenen
Baum ohne alle Früchte, der geduldig und still das Herannahen der
Überfülle des Frühlings erwartete. Im Anblick dieses Baumes erfasste
Nicholas zum ersten Mal die Erlesenheit von Gottes Gnade und die
unfehlbare Souveränität der göttlichen Vorsehung. Wie der Baum
fühlte auch er sich fast wie tot, aber Gott hielt für ihn bereits neues
Leben bereit, denn der Wechsel der Zeiten würde die Fülle herbeifüh-
ren. In diesem Moment, so sagte er, habe der Anblick dieses entblät-
terten Baumes in ihm „zum ersten Mal die Erkenntnis des faktischen
Seins Gottes in meiner Seele aufblitzen lassen“. Etwas später musste
er aufgrund einer Verletzung, die ihn zum Krüppel machte, die Armee
verlassen. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Dienstbote suchte er
dann nach seiner eigenen Aussage einem Ort, an dem er Sühne für all
seine Fehler leisten könnte. So trat er in das Kloster ein, in dem er der
Klosterküche zugeteilt wurde, in der er inmitten seiner täglichen
Aufgaben des Kochens und Saubermachens und unter ständiger

8
Beobachtung durch die Oberen seine bekanntgewordene Weise der
Spiritualität und Alltagsarbeit zu entfalten begann.

***

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Gespräche

Erstes Gespräch
Innere Wandlung und Leben davor. ‒ Zufriedenheit in Gottes
Gegenwart. ‒ Der Glaube ist unsere Pflicht. ‒ Entsagung ist die
Frucht der Wachsamkeit.
Ich traf Bruder Lorenz das erste Mal am 3. April 1666. Er erzählte
mir, dass Gott ihm einen herausragenden Gefallen getan hatte, als Er
nämlich seine innere Wandlung im Alter von 18 bewirkte.
Dies geschah, als er einmal im Winter einen Baum ohne alle Blätter
betrachtete und beobachtete, wie nach einiger Zeit alle diese neu und
frisch wiederkamen, und danach die Früchte und die Blüten, und wie
er daraufhin eine so große Schau der göttlichen Allmacht und Vorse-
hung Gottes erlangte, dass diese seine Seele niemals wieder verließ.
Diese Schau erlöste ihn vollkommen aus dieser Welt und entzündete
in ihm eine solche Liebe für Gott, dass er danach nicht mehr genau
sagen konnte, ob sie in den vierzig Jahren, die er seitdem verbracht
hatte, noch gewachsen sei oder nicht.
Er erzählte, Dienstbote des Schatzmeisters M. Fieubert gewesen zu
sein, und dass er ein großer Tolpatsch war, der alles immer nur
zerbrochen habe.
Er habe den Wunsch nach einem monastischen Leben gehabt in
dem Glauben, dass man ihn dort seine Ungeschicktheit und die Feh-
ler, die er machen würde, fühlen lassen würde und er auf diese Weise
sein Leben mit den Freuden darin Gott opfern könne, aber dass Gott
ihn enttäuscht habe, denn er habe in seinem neuen Lebensstand
immer nur Zufriedenheit erfahren.
Er sagte, dass wir alle uns im Bewusstsein der Gegenwart Gottes
üben sollten, indem wir beständig mit Ihm sprächen, und wie es doch
eine schändliche Sache sei, diese Gespräche mit Ihm durch Denken an
Nichtigkeiten und Narrheiten zu stören.
Wir sollten unsere Seelen mit den höchsten Ideen über Gott nähren,
was uns große Freuden in der Hingabe an Ihn bringen würde.
Wir würden auf diese Weise unseren Glauben verstärken, d.h., in
Schwung bringen. Er sagte, wie traurig es doch sei, dass die Men-
schen, anstatt den Glauben als Richtschnur ihres Lebens zu haben,
sich den trivialen Beschäftigungen hingäben, die doch täglich wech-
selten. Der Geist der Kirche bestünde gerade im Weg des Glaubens,

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und allein dieser sei schon ausreichend, um uns eine hohe Stufe der
Vollkommenheit erreichen zu lassen.
Wir sollten uns Gott hingeben, und zwar im Hinblick auf die zeitli-
chen und die spirituellen Angelegenheiten, und wir sollten unsere
Zufriedenheit allein in der Erfüllung seines Willens suchen, denn für
eine hingegebene Seele sei es einerlei, ob sie Leiden oder Tröstung
aus Seiner Hand erfahre. Einstimmung auf das Gebet in den Zeiten
der Trockenheiten, der Mühen und der Verdrießlichkeiten, in denen
Gott unsere Liebe zu Ihm prüfe, sei nötig, denn dann ist für uns die
Gelegenheit gekommen, starke und wirkungsvolle Taten der Entsa-
gung zu tun, von denen nur eine einzige manchmal eine außerordent-
liche Förderung unserer spirituellen Entwicklung herbeiführen
könne.
Er sei weit davon entfernt, über das Elend und die Sünden der Welt,
von denen er täglich höre, erstaunt zu sein, und es überrasche ihn im
Gegenteil, dass es nicht mehr davon gäbe, wenn man an die vielen
Bosheiten denke, zu denen die Sünder fähig seien. Was ihn beträfe, so
bete er für sie, während er andererseits wisse, dass Gott all die Unta-
ten leicht beheben könnte, wenn es Ihm nur gefallen sollte, und er
empfände daher keinerlei Unruhe deswegen.
Er sagte, dass wir sehr sorgfältig all unsere Leidenschaften be-
obachten sollten, wie diese sich in alle unsere Betätigungen – spiritu-
eller und solche von gröberer Natur – einmengen würden, wenn wir
einen Stand der Entsagung, wie er vor Gott nötig sei, erreichen möch-
ten. Gott lasse denjenigen, die Ihm aufrichtig zu dienen wünschten,
das Licht zur Erkenntnis dieser Leidenschaften zukommen. Er sagte,
dass ich jederzeit, so oft es mich danach verlange, ohne Sorge um
Störung zu ihm (d.h., Bruder Lorenz) kommen könne, sofern ich
sozusagen die Veranlagung dazu verspüre, Gott ernsthaft dienen zu
wollen, aber dass ich ihn andernfalls besser nicht mehr besuchen
sollte.

***

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Zweites Gespräch
Liebe die Quelle in allem. ‒ Einst in der Furcht, jetzt im
Frohlocken. ‒ Eifer und Liebe. Einfalt ist der Schlüssel für
göttlichen Beistand. ‒ Über Geschäfte außerhalb und zuhause. ‒
Gebetszeiten und Kasteiungen sind für die Praxis nutzlos. ‒ Bringe
Gott alle Zweifel dar.
Er erzählte, dass er stets von der Liebe bewegt worden sei und kei-
nerlei selbstsüchtige Ziele gehegt habe. Da er entschlossen gewesen
sei, die Liebe zu Gott stets den Abschluss all seiner Handlungen bil-
den zu lassen, habe er gerechtfertigte Gründe dafür gefunden, mit
ihnen zufrieden zu sein. Er sei schon zufrieden damit gewesen, einen
Strohhalm Gott zuliebe aufheben zu können. Er habe immer nur Ihn
allein und nichts anderes, nicht einmal Seine Geschenke, gesucht.
Lange Zeit hindurch habe er einen gewissen Glauben in seinem
Herzen gehegt, nämlich dass er verdammt sein sollte, und dass kein
Mensch ihn hätte vom Gegenteil überzeugen können, bis er dann auf
die folgende Weise mit sich selbst ins Gebet gegangen sei: „Ich lebe
kein klerikales Leben, sondern ich lebe nur für die Liebe zu Gott, und
ich habe stets danach gestrebt, nur in Seinem Sinne zu handeln. Was
auch immer auf mich kommen mag – sei ich darin verloren oder
errettet – soll mich niemals davon abhalten, stets nur aus reiner Liebe
zu Gott zu handeln. An meinem Todestage möchte ich nur dieses Gut
mein Eigen nennen können, nämlich alles mir Mögliche getan zu
haben, um Ihn zu lieben.“ Diese Last seines Herzens habe ihn vier
Jahre lang bedrückt und ihn in dieser Zeit viel leiden lassen.
Seit dieser Zeit sei sein Leben in vollkommener Freiheit und be-
ständiger Freude verlaufen. Er habe dabei zwischen sich und Gott
immer seine Sünden gestellt, um Ihm damit zu verstehen zu geben,
wie wenig er Seine Geschenke verdiene, aber Gott habe trotzdem
damit fortgefahren, sie ihm überreich zuteil werden zu lassen.
Die Gewohnheit des Gespräches mit Gott und die Aufopferung all
unseres Tuns an Ihn entstehe, indem wir uns Ihm zuerst mit allem
Eifer verpflichtet fühlen, um dann nach nur wenig Zeit des Einsatzes
festzustellen, dass Seine Liebe nun in unserem Innern fühlbar gewor-
den ist und uns befähigt, ohne weitere Mühen damit fortzufahren.
Er erklärte, dass er nach all den angenehmen Tagen, die Gott ihm
geschenkt habe, eine Zeit der Leiden und Entbehrungen erwartet
hätte. Er sei deshalb aber nicht bekümmert gewesen, weil er sehr gut
wusste, dass er nichts von sich aus vermochte, aber Gott ihm die
Stärke verleihen würde, alles Kommende zu ertragen.

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Angelegentlich mancher Verdienste, die er hätte erwerben können,
habe er sich an Gott gewandt und folgendermaßen gesprochen: „Herr,
ich kann dies nicht tun, außer Du machst mich dazu imstande“, und
daraufhin habe er mehr als genug Kraft für die Aufgabe empfangen.
Sobald er in seinen Pflichten versagt habe, habe er seine Schuld
offen bekannt und zu Gott gesagt: „Ich werde es niemals wieder tun,
soweit es bei mir liegt. Lass mich nicht stürzen und bringe herbei,
was fehlt.“ Danach habe er sich selbst keinerlei weitere Unruhe mehr
erlaubt.
Wir sollten mit Gott in größtmöglicher Einfachheit umgehen, Ihn
vorbehaltlos und furchtlos ansprechen und in allen unseren Angele-
genheiten, wie sie gerade kämen, Seine Hilfe erbitten. Und Gott würde
diese niemals versagen, wie er selbst bei vielen Gelegenheiten erfah-
ren habe.
Einmal sei er noch spät abends nach Burgund geschickt worden,
um dort Weinvorräte für die Gemeinschaft einkaufen zu gehen, und
es sei dies eine ganz unwillkommene Aufgabe für ihn gewesen, da er
keinerlei Befähigung zum Handeln habe und außerdem als ein Krüp-
pel, der er war, sich auf dem Boot nur dadurch hätte fortbewegen
können, indem er seinen Körper über die Weinfässer rollte. Jedoch
habe ihm weder dies noch der Kauf des Weines einen Kummer verur-
sacht, denn er habe zu Gott gesagt, dass dies Seine Angelegenheit sei,
in der er unterwegs wäre. Hinterher habe er dann festgestellt, dass
alles zur Zufriedenheit erledigt worden sei. Er erzählte ferner, dass er
ein Jahr zuvor in einer ähnlichen Angelegenheit in die Auvergne
geschickt worden sei und sich nicht mehr daran erinnere, wie die
Sache vonstatten gegangen sei, sie aber glücklich zuende gebracht
werden konnte.
Auch bei seiner Küchenarbeit (gegen die wir ja oft eine besonders
starke Abneigung haben) hätte er sich ganz ähnlich verhalten und
sich daran gewöhnt, alles aus Liebe zu Gott zu tun und zu allen Gele-
genheiten zu beten und Seine Gnade zu erbitten, damit diese Arbeiten
gut verrichtet werden mögen. So fand er während der fünfzehn Jahre
seiner Beschäftigung dort alles zur Zufriedenheit erledigt.
Er sei sehr zufrieden mit der Stellung, die er nun innehabe, aber
auch bereit, diese wie seine früheren Stellungen jederzeit zu verlas-
sen, denn er habe sich stets unter allen Umständen wohlgefühlt,
indem er nie versäumt habe, Gott zu Gefallen die eine oder andere
kleine Liebestat zu tun.
Die Zeiten des Gebets seien in seinen Augen nicht verschieden von
den anderen Zeiten. Zwar zöge er sich auf Gebot des Oberen zum
Gebet zurück, wünsche einen solchen Rückzug jedoch selbst nicht

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und bitte auch nicht darum, da selbst seine größten Beschäftigungen
ihn nicht von Gott ablenken würden.
Er kenne seine Verpflichtung, Gott in allen Dingen zu sehen, sehr
gut und benötige daher, da er stets danach strebe, keinen Meister, der
ihn darin unterrichte, aber sehr wohl einen Beichtvater, der ihm
Absolution erteile. Für seine Fehler sei er sehr empfindlich, wenn
auch nicht durch sie entmutigt; er beichte sie Gott, bitte Ihn aber
nicht um Nachsicht ihretwegen. Nachdem er in diesem Geist gebetet
habe, setze er seine gewohnten Praktiken der Liebe und Verehrung in
Frieden fort.
In den Zeiten der inneren Bedrängnis wende er sich an niemanden,
sondern er erkenne allein am Licht der Zuversicht, wie Gott in ihm
gegenwärtig sei, und er begnüge sich damit, alle seine Handlungen
auf Ihn zu lenken; d.h., sie mit dem Wunsch, Ihm zu gefallen, zu erle-
digen, was auch immer das Ergebnis sein möge.
Er erklärte, dass müßige Gedanken der Grund allen Unheils seien,
dass mit ihnen das Unglück begönne, wir aber danach trachten soll-
ten, sie abzuweisen, sobald ihre Anmaßungen in unseren Tätigkeiten
oder unserem Seelenheil offenbar würden, um dann zur Vereinigung
mit Gott zurückzukehren.
Oftmals zu den festgelegten Gebetszeiten habe er seine Zeit damit
verbracht, die wandernden Gedanken abzuweisen, um ihnen dann
aber doch wieder anheimzufallen. Er habe es nie geschafft, seine
Hingabe durch bestimmte Methoden zu lenken, wie es manche ande-
re taten. Die Probleme seien jedoch später trotzdem, obwohl er
zunächst eine Zeitlang Meditation geübt habe, von selbst verschwun-
den, aber auf eine Weise, über die er keinen Bericht geben könne.
Sämtliche körperliche Kasteiungen und andere Übungen dieser Art
seien nutzlos. Da sie jedoch als ein Weg zur Vereinigung mit Gott
angesehen würden, hätte er gut über diese Dinge nachgedacht und sei
schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass der kürzeste Weg zu
Ihm in der fortwährenden Übung der Liebe und der Aufopferung aller
Handlungen zu Seinem Wohlgefallen bestünde.
Wir sollten einen sehr großen Unterschied zwischen den Akten des
Verstandes und denjenigen des Willens machen, denn die ersteren
wären von vergleichsweise geringem Wert, während die anderen
alles bedeuteten.
Unsere eigentliche Pflicht bestünde darin, zu lieben und uns an Gott
zu erfreuen.
Er sagte, dass keine körperliche Kasteiung gleich welcher Art ohne
die Liebe Gottes auch nur eine einzige Sünde auszutilgen vermöchte.

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Wir sollten jedoch ohne Sorge die Vergebung unserer Sünden vom
Blute Jesu Christi erwarten und nach nichts anderem streben, als Ihn
von ganzem Herzen zu lieben. Gott habe anscheinend seine größten
Gunstbeweise den größten Sündern vorbehalten – als herausragende
Zeichen seiner Gnade.
Die größten Freuden und Leiden dieser Welt könnten nicht mit den
Freuden und Leiden des spirituellen Lebens verglichen werden, so
wie er diese selbst erfahren habe. Er sorge sich daher um nichts und
fürchte sich auch vor nichts, sondern wünsche nur das Eine von Gott,
dass er Ihn niemals beleidigen möge.
Er erklärte, dass er keinerlei Unklarheit empfände, denn – so
sprach er: Sollte ich in meinen Pflichten versagen, so gebe ich dieses
bereitwillig zu und sage, dass ich es aus Gewohnheit tat, es aber
niemals wieder tun werde, soweit es bei mir liegt. Sollte ich dann
erfolgreich sein, danke ich Gott dafür und erkenne an, dass es von
Ihm zu mir gekommen ist.

***

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Drittes Gespräch
Vertrauensvolles Tätigsein in Liebe. ‒ Äußeres Tätigsein tut
keinen Schaden. ‒ Vollkommene Entsagung ist der sichere Weg.
Er sagte mir, dass die Grundlage seines spirituellen Lebens in der
hohen Achtung und Wertschätzung des Vertrauens auf Gott bestünde
und diese ihm, sobald er sie einmal als solche begriffen habe, keine
andere Sorge auferlege als das vertrauensvolle Zurückweisen aller
sonstigen Gedanken, damit er alle seine Handlungen der Liebe zu
Gott widmen könne. Wenn er dann manches Mal nicht mehr an Gott
gedacht habe, kehre er mit so großem Vertrauen zu Ihm zurück, wie
er sich im Vergessen Gottes elend gefühlt habe.
Unser Vertrauen, das wir in Gott setzten, ehre Ihn außerordentlich
und führe großen Segen herbei.
Es sei nicht nur völlig unmöglich, dass Gott jemals eine Seele täu-
sche, sondern Er lasse auch eine solche, die sich Ihm vollkommen
hingegeben habe, niemals lange leiden.
Er selbst habe so oft den tätigen Beistand der göttlichen Gnade zu
allen nur denkbaren Gelegenheiten erfahren, dass er seine Geschäfte
vorher nicht zu planen pflege, um dann beizeiten in Gott wie in einem
klaren Spiegel alles das vorzufinden, was er für seine Aufgabe nötig
habe. Diese Sorglosigkeit in seinen Handlungen habe sich erst später
eingefunden, während er vor dem eingangs erwähnten Erlebnis an
Besorgtheit in seinen Angelegenheiten gewohnt gewesen sei.
Sobald äußere Angelegenheiten ihn auch nur ein wenig vom Ge-
danken an Gott abgebracht hätten, habe eine unmittelbar von Gott
kommende lebhafte Erinnerung seine Seele entflammt und ihn so
befeuert, dass es schwierig für ihn gewesen sei, an sich zu halten.
In seinen äußeren Betätigungen sei er mehr mit Gott vereint als
wenn er sich von diesen zur stillen Betrachtung zurückzöge.
Er habe dann hernach einen großen Schmerz für Körper oder Ge-
müt befürchtet, und dass das Schlimmste, was ihm zustoßen könne,
der Verlust seines Gedenkens an Gott sei, an dem er sich so lange Zeit
hindurch erfreut habe. Jedoch habe ihm Gottes Güte versichert, dass
Er ihn niemals gänzlich verlassen würde, sondern ihm immer die
Stärke senden würde, derer er bedürfe, um allem Übel, dem auch
immer Er den Zutritt zu ihm erlauben würde, begegnen zu können. Er
habe daher keinerlei Furcht und keinerlei Veranlassung empfunden,
irgend jemanden bezüglich seines Zustandes zu Rate zu ziehen, und
sobald er dies zu tun versucht habe, sei er ratloser als zuvor zurück-

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gekehrt. Da er sich seiner Bereitschaft, sein Leben für die Liebe zu
Gott zu geben, bewusst gewesen sei, habe er keinerlei Furcht vor
Gefahren empfunden. Diese vollkommene Hingabe an Gott sei ein
sicherer Weg in den Himmel; ein Weg, auf dem wir stets genügend
Licht auf unserem Lebensweg fänden.
Er erklärte, dass wir zu Beginn unseres spirituellen Lebens ver-
trauensvoll unsere Pflichten erledigen und uns selbst verleugnen
sollten, um danach unaussprechliche Freuden zu erfahren. Wir soll-
ten in Schwierigkeiten stets nur unsere Zuflucht zu Jesus Christus
nehmen und um seine Gnade bitten, mit der uns alles leichtfallen
würde.
Viele würden keinerlei Fortschritte auf dem christlichen Pfad ma-
chen, da sie in Bußübungen und gewissen Praktiken feststeckten und
die Liebe zu Gott vernachlässigten, die das Ziel von allem sei. Und
dies sei sehr klar an ihren Taten zu erkennen und der Grund dafür,
dass wir so wenig echter Tugend begegneten.
Es bedürfe weder einer Kunst noch einer Wissenschaft für den Weg
zu Gott, sondern allein nur einer Entschlossenheit des Herzens, sich
nur Ihm zu verpflichten, Seinen Willen zu tun und nur Ihn allein zu
lieben.

***

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Viertes Gespräch
Wie man zu Gott gehen sollte. ‒ Aufrichtige Entsagung. ‒ Gebet
und Lobpreisung schützen vor Entmutigung. ‒ Heiligung des
Alltags. ‒ Gebet und die Gegenwart Gottes. ‒ Die Essenz der
Religion. ‒ Selbstachtung ‒ Weitere persönliche Erfahrungen.
Er erörterte mit mir häufig und in aller Offenherzigkeit seine Art
und Weise, zu Gott zu gehen, von der hier bereits berichtet wurde.
Er erklärte, dass es ganz darauf ankäme, all dem von ganzem Her-
zen zu entsagen, was uns unserem Gespür nach nicht zu Gott führen
würde. Wir sollten danach streben, die Gewohnheit des Gesprächs
mit Ihm zu erwerben und uns dabei gänzlich ungezwungen fühlen
und offenherzig sein. Wir müssten lediglich Seine innerste Gegenwart
in uns wahrnehmen, um uns jederzeit und nach Belieben an Ihn
wenden zu können. Bei zweifelhaften Angelegenheiten sollten wir Ihn
um Unterstützung bitten, Seinen Willen in dieser Sache zu erkennen,
und bei allen anderen darum, diese Angelegenheiten auf rechte Weise
ausführen zu können. Wir sollten alle diese Angelegenheiten vor
vollbrachter Tat Ihm opfern und Ihm danach danken.
In unseren Gesprächen mit Gott sollten wir außerdem beten, unse-
re Verehrung für Ihn zum Ausdruck bringen und Ihn unaufhörlich für
Seine unendliche Güte und Vollkommenheit lieben.
Ohne von unseren Sünden entmutigt zu sein, sollten wir mit voll-
kommener Zuversicht Seine Gnade erbitten und uns ganz auf die
unendliche Güte unseres Herrn stützen, denn Gott würde niemals
versäumen, uns bei allen unseren Handlungen Seine Gnade zukom-
men zu lassen. Er selber (d.h., Bruder Lorenz) habe diese Gnaden
stets erhalten und niemals auf sie verzichten müssen, außer in den
Fällen, in denen seine Gedanken vom Empfinden der Gegenwart
Gottes abgeglitten seien oder wenn er vergessen habe, um Seine
Unterstützung zu bitten.
Gott schenke uns in all unseren Zweifeln stets das Licht, denn wir
hätten keine andere Aufgabe, als Ihn zu erfreuen.
Unsere Heiligung bedürfe keines Wechsels unserer Tätigkeiten,
sondern nur der Bereitschaft, alle unsere gewöhnlichen Tätigkeiten,
die wir normalerweise nur für uns selbst tun, aus Liebe zu Gott zu
tun. Es sei beklagenswert, wie viele Menschen die Mittel mit dem Ziel
verwechselten; wie sie sich blind gewissen Beschäftigungen hingäben
und diese dann aufgrund ihrer allzu menschlichen oder selbstsüchti-
gen Motive nur sehr unvollkommen erledigten.

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Die bei weitem edelste Haltung, die er bezüglich des Zugehens auf
Gott entdeckt habe, bestünde darin, unsere alltäglichen Handlungen
ohne die Suche danach, den Menschen zu gefallen (Gal. 1. 10; Eph. 6.
5, 6), und (soweit wir dazu fähig seien) einzig nur aus Liebe zu Gott
zu verrichten.
Es sei eine große Täuschung zu meinen, dass die Zeiten des Gebets
sich von anderen Zeiten unterscheiden sollten. Wir seien in den
Zeiten unserer Tätigkeiten ebenso wie in den Gebetszeiten gleicher-
maßen strikt dazu verpflichtet, Gott anzuhängen.
Sein Gebet sei nichts anderes als das Bewusstsein der Gegenwart
Gottes, und seine Seele sei in dieser Zeit unempfindlich für alles
andere außer der Liebe Gottes. Nach den festgesetzten Gebetszeiten
stelle er keinerlei Unterschied dazu fest, sondern fahre fort, mit Gott
zu sein und Ihn nach all seinen Kräften zu loben und zu preisen, so
dass er also sein Leben in beständiger Freude verbringe. Doch hege er
die Hoffnung, von Gott beizeiten, falls sein Wachstum dies erforder-
lich machen sollte, Leiden geschickt zu bekommen.
Er erklärte, dass wir uns auf immer und aus ganzem Herzen Gott
ohne Wanken anvertrauen und uns Ihm gänzlich selbst hingeben
sollten in der Gewissheit, dass Er uns nicht täuschen wird.
Wir sollten nicht müde werden, immer wieder kleine Liebestaten
für Gott zu verrichten, der nicht die Größe der Tat, sondern die Liebe,
in der sie ausgeführt werde, schätze. Wir sollten uns ferner nicht
darüber wundern, dass wir am Anfang des Weges oftmals in unseren
Bemühungen scheiterten, sondern davon ausgehen, dass wir zu guter
Letzt erfolgreich in einer Haltung sein werden, die auf natürliche
Weise, ohne unser Dazutun und zu unserer außerordentlichen Freu-
de, in uns wachse und zu ihrer Zeit ihre Früchte hervorbringe.
Die ganze Essenz der Religion bestünde im Glauben, in der Hoff-
nung und in der Nächstenliebe, und durch die Übung dessen würden
wir mit dem Willen Gottes eins werden. Alles andere daneben sei
gleichgültig und nur als ein Mittel zu verstehen, dieses unser Ziel zu
erreichen und schließlich völlig darin aufzugehen, und zwar durch
Glaube und Nächstenliebe.
Er erklärte, dass dem Gläubigen nichts unmöglich sei, dem Hoffen-
den keine echten Schwierigkeiten begegneten und dem Liebenden
alles einfach erscheine, und dass derjenige, der diese drei Tugenden
zusammen ausdauernd und standhaft praktiziere, noch weitaus mehr
Unbeschwertheit im Leben erfahren würde.
Das Ziel, welches wir uns stecken sollten, bestünde darin, in diesem
Leben nach unseren besten Kräften zum vollkommensten Verehrer

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Gottes zu werden und zu hoffen, dies auch bis in alle Ewigkeit zu
bleiben.
Er erklärte, dass wir beim Betreten der spirituellen Gefilde mit uns
ins Gericht gehen und uns Klarheit darüber verschaffen sollten, wer
wir seien. Wir sollten dann sehr wohl bedenken, wie sehr wir doch
anfällig für so viele Arten der Verführung seien und wie wenig wir
den Namen „Christ“ verdienen würden; wie wir so vielen Arten des
Elends und des Unglücks sowie den zahllosen Unfällen des Lebens,
die uns bedrücken, unterworfen seien, und wie diese die unaufhörli-
chen Wechselfälle unserer Gesundheit, unserer Stimmungen und
unserer inneren wie äußeren Verfassung verursachten. Kurz gesagt:
Wir seien Lebewesen, die Gott durch vielerlei Arten von Schmerzen
und Mühen demütige – im Innern wie im Außen. Daher sollten wir
nicht darüber erstaunt sein, dass uns von Seiten der Menschen
Schwierigkeiten, Versuchungen, Kämpfe und Zwist entgegenkämen.
Wir sollten uns ihnen im Gegenteil fügen und sie so lange, wie es Gott
gefällt, ertragen, da alle diese Dinge außerordentlich vorteilhaft für
uns seien.
Je größer die Vollkommenheit sei, nach der die Seele strebe, umso
größer sei auch ihre Abhängigkeit von der und ihre Zuversicht in die
göttliche Gnade.
Auf die Frage von einem aus seiner eigenen Gemeinschaft (dem
gegenüber er zur Offenheit verpflichtet gewesen sei), mit Hilfe wel-
cher Mittel er einen solch vertrauten Umgang mit Gott erlangt habe,
habe er ihm geantwortet, dass er seit dem Zeitpunkt seines Eintritts
ins Kloster Gott stets als das Ende all seiner Gedanken und Wünsche
betrachtet habe, als die Richtschnur, nach der diese sich richten, und
als das Ziel, in dem sie sich auflösen sollten.
Zu Beginn seines Noviziats habe er die für das private Gebet vorge-
sehenen Zeiten verbracht, indem er durch das Denken an Gott seinen
Verstand vom göttlichen Sein überzeugt und seinem Herzen dieses
Sein möglichst tief eingeprägt habe. Dies sei weniger durch gelehrte
Betrachtungen und formelle Meditationen als vielmehr durch an-
dächtige Innerlichkeit und Ergebung in das Licht des Glaubens ge-
schehen. Durch diese einfache und sichere Methode habe er sich
selbst in der Erkenntnis und Liebe Gottes geübt und den Entschluss
entwickelt, mit äußerster Kraft im ununterbrochenen Empfinden
Seiner Gegenwart zu leben und Ihn, soweit möglich, niemals mehr zu
vergessen.
Nachdem er so sein Gemüt mit großartiger Hingabe an dieses un-
endliche Wesen erfüllt habe, sei er zu seinen Aufgaben in der Küche
zurückgekehrt (er war der Koch der Gemeinschaft), wo er zuerst die

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verschiedenen benötigten Dinge besorgt und sodann das Wann und
Wie jeder einzelnen zu erledigenden Sache bedacht habe. Bei allen
sich bietenden Gelegenheiten während der Arbeitszeiten, aber auch
davor und danach, habe er gebetet.
Er erklärte, dass er zu Beginn seiner Tätigkeiten in kindlichem Ver-
trauen folgendermaßen zu Gott gesprochen habe: „Oh du mein Gott,
da Du mit mir bist und ich nun im Gehorsam auf Deinen Befehl mein
Gemüt mit diesen äußeren Dingen beschäftigen muss, ersuche ich
Dich, mir die Gnade Deiner Gegenwart auch weiterhin zu gewähren
und mich zu diesem Zweck mit Deiner Hilfe zu bereichern. Empfange
alle Früchte meiner Tätigkeiten und nimm meine ganze Zuneigung
entgegen.“
Im Verlauf seiner Aufgaben habe er dann seine vertraute Konversa-
tion mit seinem Schöpfer fortgesetzt, dessen Gnade erfleht und Ihm
alle seine Handlungen geweiht.
Nach Beendigung der Arbeit habe er sich selbst daraufhin über-
prüft, wie er sich seiner Pflichten entledigt habe. Befand er die Ange-
legenheit als zufriedenstellend, dann stattete er Gott seinen Dank ab,
andernfalls bat er um Vergebung. Ohne entmutigt zu sein, richtete er
dann sein Inneres aufs Neue aus und fuhr mit seiner Übung der
Gegenwärtigkeit Gottes fort, als wäre er niemals davon abgewichen.
„Auf diese Weise“, so sprach er, „gelangte ich durch Wiederaufstehen
nach dem Fallen und durch fortwährend erneuerte Akte des Glaubens
und der Liebe in einen Zustand, in dem es so schwierig für mich
gewesen wäre, nicht mehr an Gott zu denken, wie es anfänglich
schwierig war, mich eben daran zu gewöhnen.“
Da Bruder Lorenz so viele Vorzüge des Wandelns in der Gegenwart
Gottes entdeckt hatte, war es nur natürlich für ihn, auch anderen
aufrichtig dazu zu raten. Stärker als durch alle seine Argumente, die
er vorzubringen hatte, regte er andere jedoch durch sein Vorbild im
Leben an. Schon die Begegnung mit ihm wirkte erhebend und teilte
so viel süße und innige Hingabe mit, dass keiner seiner Besucher
davon unberührt blieb. Es wird berichtet, dass er selbst in der größ-
ten Eile der Küche seine innere Sammlung und himmlische Ge-
stimmtheit niemals verlor, Nie war er hastig oder nachlässig, sondern
er tat jedes Ding zur seiner Zeit mit einem Geist ununterbrochener
Gefasstheit und Ruhe. „Die Arbeitszeit“, so pflegte er zu sagen, „ist für
mich dieselbe wie die Gebetszeit. Im Lärm und Durcheinander meiner
Küche, in der verschiedene Leute gleichzeitig nach den unterschied-
lichsten Dingen verlangen, ist Gott bei mir in derselben Stille, in der
ich vor dem Geheiligten Sakrament kniee.“

22
Briefe

Erster Brief
Wie die Gewohnheit des Sinns für Gottes Gegenwart entstanden ist.
Da du so ernstlich danach verlangst, mehr von mir darüber zu er-
fahren, aufgrund welcher Methode ich in die Gewohnheit des Sinnes
für Gottes Gegenwart – die mir unser Herrn durch Seine Gnade zu
gewähren beliebt hat – gelangt bin, muss ich dir sagen, dass ich dir
nur unter großen Bedenken und ausschließlich wegen deiner Hartnä-
ckigkeit Folge leisten kann und es nur unter der Bedingung tue, dass
du meinen Brief niemandem zeigest. Sollte ich wissen, dass du ihn
alle Welt sehen lassen wirst, werde ich mich nicht länger meinem
Wunsche, dich Fortschritte machen zu sehen, verpflichtet fühlen.
Sagen kann ich dir dazu das Folgende:
Nachdem ich in zahlreichen Büchern die verschiedensten Metho-
den für den Weg zu Gott und verschiedenste Praktiken für ein spiri-
tuelles Leben gefunden hatte, gelangte ich zu dem Ergebnis, dass
mich all diese in dem, wonach ich suchte, nicht unterstützen, sondern
eher noch verwirren würden, und ich wollte ja nichts anderes als
wissen, wie man gänzlich Gott hingegeben sein könne.
Ich fasste dann den Entschluss, alles dem Alles zu opfern: Nachdem
ich mich selbst gänzlich Gott hingegeben hatte, um für alle meine
Sünden so viel Sühne, wie mir nur möglich war, anzubieten, entsagte
ich aus Liebe zu Ihm allem, was nicht Er war. Daraufhin begann ich
dann ein Leben zu leben, als gäbe es darin nur noch Ihn und mich.
Manchmal betrachte ich mich als den armen Sünder zu den Füßen
seines Richters, manchmal nahm ich Ihn in meinem Herzen als mei-
nen Vater, als meinen Gott, wahr, und ich verehrte ihn so oft ich nur
konnte, wobei ich stets Seine Heilige Gegenwart in meinem Gemüt
bewahrte und mich so oft, wie ich mich innerlich umherwandernd
fand, wieder an sie erinnerte. Diese Übung bereitete mir keine gerin-
ge Qual, und doch setzte ich sie fort und überwand alle Hindernisse,
die dabei auftraten, wobei ich mich nicht beunruhigt oder besorgt
fühlte, sobald ich mein Gemüt ohne meine Absicht unruhig antraf.
Diese Übung machte ich mir zur Gewohnheit, und zwar zu allen
Zeiten – jede Stunde, jede Minute und sogar während der größten
Betriebsamkeit in meiner Arbeit wandte ich mein Gemüt von allem
ab, was mein Gedenken Gottes hätte unterbrechen können.
Darin bestand also meine gewohnte Praxis seit der Zeit, mit der
mein Eintritt in das religiöse Leben überhaupt begonnen hatte, und

23
obwohl ich sie mangelhaft ausgeführt habe, habe ich doch den größ-
ten Gewinn darin gefunden. Diesen aber, wie mir sehr wohl bewusst
ist, habe ich nur der reinen Gnade und Güte Gottes zuzuschreiben,
denn ohne Ihn vermögen wir nichts, und ich selbst noch viel weniger
als andere. Sind wir jedoch vertrauensvoll genug, um uns beständig in
Seiner heiligen Gegenwart aufzuhalten, und haben wir Ihn immer vor
Augen, dann verhindert dies nicht nur, dass wir Ihn beleidigen und
vorsätzlich Dinge tun, die ihm missfallen, sondern es reift in uns eine
heilige Ungezwungenheit und – wenn ich so sagen darf – familiäre
Vertrautheit mit Gott, die es uns erlaubt, mit Erfolg um die Gnaden zu
bitten, derer wir bedürfen. Kurz gesagt: Indem wir so oft wie möglich
diese Akte wiederholen, werden sie zu Gewohnheiten und lassen uns
die Gegenwart Gottes so empfinden, als wäre sie für uns völlig natür-
lich. Danke ihm, wenn du magst, zusammen mit mir für Seine große
Güte mir gegenüber, die ich niemals genug bewundern kann, und für
die vielen Gunstbeweise, die Er einem so armen Sünder, wie ich es
bin, hat zukommen lassen. Mögen alle Dinge Ihn preisen. Amen.

***

24
Zweiter Brief
Unterschied zwischen ihm und anderen. ‒ Nur Glaube allein; stetig
und beharrlich. ‒ Verwerfen des Urteils, dass dieser Zustand
Täuschung sei.
Da ich meine Lebensweise nicht in Büchern beschrieben finde,
möchte ich, obwohl ich mich nicht in Unsicherheit diesbezüglich
befinde, Eure Gedanken darüber kennen lernen, um mehr Klarheit zu
erlangen.
In einem Gespräch, das ich einmal mit einer frommen Person hatte,
erzählte mir diese, dass das spirituelle Leben ein Leben der Gnade sei
und mit unterwürfiger Furchtsamkeit begönne, dann von der Hoff-
nung auf das ewige Leben abgelöst und schließlich von reiner Liebe
verzehrt werde, und dass jedes dieser Stadien seine besonderen
Stufen hätte, durch die man letztlich in dieser gesegneten Verzehrung
angelangen würde.
Ich bin jedoch keinen dieser Wege gegangen. Im Gegenteil – auf-
grund irgendwelcher verborgener Instinkte fand ich, dass sie mich
nur entmutigt hätten. Darin lag der Grund dafür, dass ich beim Ein-
tritt in das religiöse Leben den Entschluss fasste, mich selbst für Gott
aufzugeben und dies als die für mich bestmögliche Sühne meiner
Sünden anzusehen, und aus Liebe zu Ihm auf sämtliche Nebendinge
zu verzichten.
In den ersten Jahren befasste ich mich während der für die Betrach-
tung vorgesehenen Zeiten zumeist mit Gedanken an den Tod, das
Gericht, den Himmel, die Hölle und meine Sünden. Dann fuhr ich
einige Jahre lang mit meiner Bemühung fort, während des Restes des
Tages und auch mitten in meiner Arbeit mein Gemüt mit Bedacht auf
die Gegenwart Gottes auszurichten, den ich immer bei mir und oft-
mals sogar in mir wähnte.
Auf die Dauer begann ich dann unmerklich damit, dieselbe Haltung
auch auf meine Gebetszeiten auszudehnen, was mir große Freude
und Tröstung verschaffte. Diese Übung schuf in mir eine so hohe
Wertschätzung Gottes, dass mich in dieser Hinsicht der Glaube allein
schon vollständig zufriedenzustellen vermochte. (Ich glaube, er meint
damit, dass für ihn alle Ideen, die er sich zu Gott bilden konnte, unbe-
friedigend waren, weil er sie als Gottes unwürdig wahrnahm und daher
sein Gemüt ausschließlich nur mit der Betrachtung des Glaubens zu-
frieden war, der Gott als unendlich und über menschliches Begreifen
hinausgehend versteht, da Er in Sich Selbst ist und durch menschliche
Ideen nicht erfasst werden kann. )

25
Darin bestanden also mein Anfänge, obwohl ich Euch sagen muss,
dass ich in den ersten zehn Jahren viel gelitten habe. Der Stoff und die
Quelle meiner Leiden bestanden in der Wahrnehmung, nicht so an
Gott hingegeben zu sein, wie ich mir dies wünschte, und in meinen
Sünden, die beständig in meinem Bewusstsein lagen, wie auch in den
großen und gänzlich unverdienten Gnaden, die Gott mir zuteil wer-
den ließ. Oft fiel ich in dieser Zeit, stand aber unverzüglich wieder auf.
Es schien mir manchmal, dass alle Wesen und sogar Gott Selbst sich
gegen mich gewandt hätten und mir nichts als der Glaube geblieben
sei. Manchmal war ich das Opfer von Gedanken, die mir sagen woll-
ten, dass nur die Auswirkungen meiner Anmaßung mich zu dem
falschen Glauben verleitet hätten, ich wäre in kurzer Zeit an einem
Ziel angelangt, das andere nur unter Schwierigkeiten erreichen. Dann
wieder kam der Gedanke, dass alles nur eine arglistige Täuschung sei
und es keine Rettung für mich gäbe.
Als ich meinte, den Rest meiner Tage zusammen mit diesem Kum-
mer beschließen zu müssen (der jedoch das Vertrauen, welches ich in
Gott setzte, überhaupt nicht beschädigte und meinen Glauben nur
noch verstärkte), fand ich mich selbst plötzlich wie verwandelt, und
meine Seele, die bis dahin in Misslichkeiten gelebt hatte, empfand
einen tiefen inneren Frieden, als wäre sie nun in ihrem Zentrum und
an ihrem Ruheort angelangt.
Seitdem wandere ich in der Gegenwart Gottes in Einfachheit, im
Glauben, mit Demut und Liebe, und ich achte sorgfältig darauf, nichts
vorsätzlich zu tun oder zu denken, was Ihm missfallen könnte. Mag Er
dann mit mir tun, wie Es ihm gefällt, aber ich versuche alles zu tun,
was in meinen Kräften steht.
Ich vermag nicht zum Ausdruck zu bringen, wie die Dinge gegen-
wärtig mit mir stehen. Ich empfinde keinerlei Unbehagen oder
Schwierigkeiten in meiner Verfassung, denn mein eigener Wille ist
der Wille Gottes, dem ich in allen Dingen nachzukommen versuche
und dem ich so hingegeben bin, dass ich nicht einmal einen Stroh-
halm gegen Seinen Willen vom Boden aufheben oder irgendetwas
außer aus reiner Liebe zu Ihm tun würde.
Alle Formen von Gebet und Verehrung außer denjenigen, zu denen
ich verpflichtet bin, habe ich aufgegeben. Ich habe es zu meiner
Hauptaufgabe gemacht, nichts anderes zu tun als nur in Seiner heili-
gen Gegenwart zu sein, in der ich mit der Hilfe schlichter Achtsamkeit
verharre, und eine tiefe Hochachtung Gottes zu pflegen, die ich die
tatsächliche Gegenwärtigkeit Gottes oder, besser gesagt, eine ge-
wohnheitsmäßige, stille und geheime Konversation der Seele mit Gott
nennen könnte, die so oft in meinem Innern, aber manchmal auch im

26
Äußern, Freude und Entzücken hervorruft, die oftmals so groß sind,
dass ich mich im Außen beherrschen muss, um sie zu mäßigen und
anderen nicht zu enthüllen.
Kurz gesagt – ich lebe in der Gewissheit, jenseits allen Zweifels zu
sein, und darin, dass meine Seele seit diesen letzten dreißig Jahren
stets mit Gott gewesen ist. Ich habe viele Dinge überwinden können,
mit deren Erzählung ich Euch nicht belasten möchte, aber ich denke,
ich sollte Euch jedenfalls darüber in Kenntnis setzen, wie ich mich
selbst vor Gott, den ich als meinem König erachte, sehe.
Ich sehe mich selbst als den elendsten aller Menschen, schlimm und
und voller Verdorbenheit, der schon alle Arten von Verbrechen gegen
seinen König begangen hat. Im klaren Bewusstsein dessen bekenne
ich Ihm reuevoll all meine Schlechtigkeit, erbitte Seine Vergebung
und gebe mich vertrauensvoll in Seine Hände, damit Er mit mir tue,
wie Ihm beliebt. Dieser König voller Gnade und Güte, äußerst fern
davon, mich zu züchtigen, umarmt mich mit Seiner Liebe, lässt mich
an Seinem Tische essen, bedient mich mit Seinen eigenen Händen
und übergibt mir die Schlüssel zu Seinen Schätzen. Auf tausend und
abertausend Wegen spricht Er unaufhörlich mit mir und entzückt
mich unaufhörlich, und er behandelt mich in jeder Hinsicht als Seinen
Liebling. Es ist auf diese Art, wie ich mich selbst von Zeit zu Zeit in
Seiner heiligen Gegenwart sehe.
Meine häufigste Methode ist die schlichte Achtsamkeit und eine
starke und leidenschaftliche Hochachtung vor Gott, an die ich mich
oft mit größerer Süße und größerem Entzücken hingegeben fühle als
das Kleinkind an die Brust seiner Mutter. Daher sei es mir erlaubt
und ich wage es zu sagen, dass ich diesen Zustand besser den Busen
Gottes nennen sollte wegen der unaussprechlichen Süße, die ich
darin schmecke und erfahre. Sobald meine Gedanken gelegentlich
aufgrund der Notwendigkeiten oder meines Ungenügens von ihm
abschweifen, werde ich unverzüglich wieder an ihn erinnert, und
zwar durch innere Bewegungen, die so zart und köstlich sind, dass es
mich beschämt, sie hier überhaupt zu erwähnen.
Ich bitte Euer Hochwürden, eher meine große Erbärmlichkeit, über
die Ihr vollständig informiert seid, zu bedenken als die großen Gna-
den, die Gott mir, der ich doch so unwürdig und undankbar bin,
erwiesen hat.
Zu den festgesetzten Gebetszeiten geschieht nichts anderes als die
Fortsetzung derselben Übung. Während dieser Zeiten betrachte ich
mich selbst manchmal wie einen Steinblock vor seinem Bildhauer,
der sich daran macht, ein Bildnis aus diesem herauszuhauen, und ich
biete mich dann Gott in diesem Sinne an und wünsche mir von Ihm,

27
Er möge doch meine Seele zu Seinem vollkommenen Ebenbild ma-
chen und mich ganz so wie Ihn selbst gestalten.
Zu anderen Zeiten wiederum, in denen ich dem Gebet hingegeben
bin, fühle ich, wie mein ganzer Geist und meine ganze Seele sich
selbst ohne alle Mühe oder Zutun meinerseits emporschwingen und
in diesem Zustande verharren, als ruhten sie schwebend und fest
verankert in Gott als ihrem Zentrum und Ruheplatz.
Ich weiß, dass manche eine solche Verfassung als Untätigkeit, Täu-
schung und Selbstsucht verurteilen. Ich bekenne, dass es eine heilige
Untätigkeit ist, und dass es wohl eine glückliche Selbstsucht wäre,
wenn die Seele in dieser Verfassung denn dazu fähig wäre, aber
tatsächlich kann sie in dieser Gestimmtheit durch keinen einzigen
ihrer früheren Akte, an die sie gewöhnt war und die sie damals ange-
trieben haben, gestört werden; vielmehr zeigen sich diese nun nicht
mehr als Beförderungsmittel, sondern als Hindernisse.
Ich vermag nicht zu ertragen, dies Täuschung genannt zu sehen,
weil die Seele, die sich auf diese Weise Gottes erfreut, nach nichts
anderes als nur nach Ihm verlangt. Wenn dies eine Täuschung in mir
selbst sein sollte, dann ist es Gottes Sache, ihr abzuhelfen. Lasst Ihn
mit mir tun, wie es Ihm gefällt – ich verlange nur nach Ihm und bin
Ihm von ganzem Herzen hingegeben.
Ich wäre Euch jedoch verbunden, wenn Ihr mir dazu Eure Meinung
zukommen lassen würdest, vor der ich stets große Achtung habe,
denn ich schätze Euer Hochwürden sehr. Ich bin der Eure im Herrn.

***

28
Dritter Brief
An einen Freund aus der Soldatenzeit, den er zum Vertrauen in
Gott ermuntert.
Gott ist mit uns, der unendlich großzügig ist und alle unsere Be-
dürfnisse kennt. Ich habe mir immer gedacht, dass Er dich einmal
ganz auf dich selbst zurückwerfen würde. Er kommt zu Seiner Zeit
und immer dann, wenn du es am wenigsten erwartest. Hoffe so sehr
wie nie zuvor auf Ihn; danke Ihm zusammen mit mir für all die Gna-
den, die Er dir erweist, insbesondere für all die Geduld und die Kraft,
die Er dir in all deinen Mühen schenkt. Alles dies sind die sichtbaren
Zeichen dafür, wie sehr Er für dich sorgt. Lasse dich von Ihm trösten
und danke Ihm für alles.
Ich bewundere auch die Gefasstheit und Tapferkeit von M. Gott hat
ihm gute Anlagen und guten Willen mitgegeben, obwohl er immer
noch ein wenig Weltlichkeit und viel Jünglingshaftes in sich trägt. Ich
hoffe, dass die Prüfungen, die Gott ihm geschickt hat, sich schließlich
als ein Segen erweisen und ihn zu seiner Mitte führen werden. Dies
ist ein Unfall, der sehr gut dazu geeignet ist, all sein Vertrauen auf
Gott zu werfen, der ihn überallhin begleitet. Er soll so oft wie möglich,
insbesondere zu Zeiten der größten Gefahren, an Ihn denken. Schon
ein wenig Aufrichtung erleichtert das Herz; ein kleines Gedenken
Gottes, ein Akt innerer Verehrung, auch während des Marschierens
und mit dem Schwert in der Hand, sind Gebete, die, seien sie auch
kurz, Gott in jedem Falle willkommen sind. Nicht nur sind sie weit
davon entfernt, den Mut des Soldaten in den Momenten der Gefahr zu
schwächen, sondern sie sind sehr dazu geeignet, ihn sogar noch zu
festigen.
Lass ihn so oft wie nur möglich Gottes gedenken, lass ihn sich
gradweise an diese kleine, aber heilige Übung, gewöhnen. Niemand
wird sie bemerken und nichts ist einfacher, als den Tag über immer
wieder diese kleinen Akte innerer Verehrung auszuüben. Empfiehl
ihm, wenn du magst, in der hier beschriebenen Weise immer wieder
so oft wie möglich an Gott zu denken, was für einen Soldaten, der
tagtäglich der Lebensgefahr ausgesetzt ist, sehr wichtig und unver-
zichtbar ist und so oft seinem Heile dient. Ich hoffe, dass Gott ihm und
seiner ganzen Familie helfen werde, denen allen ich meine Dienste
anbiete, indem ich der ihre und der Deine bin.

***

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Vierter Brief
Schreiben von sich selbst in der dritten Person und Ermutigung
seines Briefpartners, die Übung der Gegenwärtigkeit Gottes noch
weiter voranzutreiben.
Ich ergreife diese Gelegenheit, Euch die Empfindungen von einem
aus unserer Gemeinschaft mitzuteilen, die die wunderbaren Wirkun-
gen und die beständige Hilfestellung, die dieser in der Gegenwart
Gottes erfährt, betreffen. Möget Ihr und ich gleichermaßen Nutzen
daraus ziehen.
Ihr sollt wissen, dass seine beständige Sorge in den letzten vierzig
Jahre, die er das religiöse Leben gelebt hat, das Zusammensein mit
Gott gewesen ist, und dass er nichts sagen und nichts denken mochte,
was Ihm missfallen hätte, und dies aus keinem anderen Beweggrund
als der Liebe für Ihn, denn Er verdient unendlich viel mehr davon.
An diese göttliche Gegenwart ist er jetzt so gewöhnt, dass er zu al-
len Gelegenheiten aus ihr ständigen Beistand erfährt. Dreißig Jahre
lang war seine Seele angefüllt mit unaufhörlichen Freuden, die
manchmal so groß wurden, dass er sich gezwungen sah, Mittel zu
ihrer Mäßigung zu suchen und ihr Offenbarwerden in der Öffentlich-
keit zu unterdrücken.
Sobald er auch nur wenig geistesabwesend bezüglich dieser Göttli-
chen Gegenwart ist, ist es Gott selbst, der Sich Selbst in seiner Seele
als Erinnerung bemerkbar macht, was oft dann geschieht, sobald er in
äußeren Angelegenheiten tätig ist. Dann beantwortet er diesen inne-
ren Zug durch genaue Einstimmung darauf – entweder in der Form
einer Hinwendung seines Herzens zu Gott oder in der Form einer
demütigen und tiefen Achtung für Ihn oder auch durch Worte, wie sie
zu solchen Gelegenheiten von der Liebe gesprochen werden, wie zum
Beispiel: „Mein Gott, hier stehe ich, Dir hingegeben in Treue; Herr,
mache mich Deinem Herzen folgen.“ Und dann scheint es ihm so (da
er es fühlen kann), dass sich dieser Gott der Liebe, zufrieden mit
diesen wenigen Worten, erneut herbeilässt und in der Tiefe und dem
Zentrum seiner Seele ruht. Es ist die Erfahrung dieser Dinge, die ihm
diese Gewissheit verschafft, dass Gott immer in der Tiefe oder dem
Grunde seiner Seele ist, und die ihn niemals – aus welchem Grunde
auch immer – daran zweifeln lässt.
Ermesst nun selbst, welcher Zufriedenheit und Ruhe er sich erfreut,
da er doch in sich selbst immer wieder einen Schatz dieser Art vor-
findet. Ängstlich bemüht darum, diesen zu finden, ist er nun nicht

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mehr, da er offen vor ihm zutage liegt und ihm, wann immer ihm dies
gefällt, zur Verfügung steht.
Oftmals klagt er über unsere Blindheit, und er weint, wenn er daran
denkt, wie bedauernswert wir doch seien, dass wir uns schon mit
Geringem zufrieden geben. Gott, wie Er es uns versichert, hält unend-
liche Schätze für uns bereit, während wir uns mit kleinen Sinnesver-
gnügen abgeben, die im nächsten Moment verflogen sind. Blind wie
wir sind, stellen wir uns Gott und dem Strom Seiner Gnade in den
Weg. Findet Er jedoch eine Seele, die durchdrungen ist vom lebendi-
gen Glauben, dann gießt Er Seine Gnaden und Gunstbeweise über-
reichlich über uns aus; dann fließt da ein Strom, der sich verschwen-
derisch und ungestüm ergießt, nachdem einmal die unnatürlichen
Hindernisse, die seinen normalen Verlauf aufgehalten haben, besei-
tigt sind und er den Durchbruch gefunden hat.
Ja, wahrhaftig sind wir es, die diesen Strom oftmals zum Stillstand
bringen, indem wir ihm so wenig Beachtung schenken. Lasst uns dies
in Zukunft nicht mehr tun, lasst uns in uns selbst gehen und die
Schranke niederreißen, die das Hindernis ist. Lasst uns den Weg zur
Gnade bahnen, lasst uns die verlorene Zeit aufholen, denn vielleicht
bleibt uns nur noch wenig davon. Der Tod ist uns auf den Fersen;
lasst uns ihm wohlvorbereitet entgegengehen, denn der Tod ist eine
Sache eines Augenblicks und ein Irrtum in dieser Angelegenheit ist
nicht wiedergutzumachen.
Ich sage es noch einmal: Lasst uns in uns gehen. Die Zeit rennt;
Raum für Nachlässigkeiten gibt es nicht; unsere Seelen stehen auf
dem Spiel. Ich möchte glauben, dass Ihr wirksame Vorkehrungen
getroffen habt, so dass Ihr nicht überrascht werden könnt. Ich emp-
fehle sie Euch, denn diese eine Sache ist nötig: Nie dürfen wir aufhö-
ren, daran zu arbeiten, denn im spirituellen Leben bedeutet keinen
Fortschritt zu machen, einen Rückschritt zu machen. Diejenigen
jedoch, die vom Feuer des Heiligen Geistes erfüllt sind, machen sogar
im Schlaf noch Fortschritte. Sollte das Schiff der Seele in den Winden
und Stürmen hin und her geworfen werden, dann lasst uns den Herrn
anrufen, der in ihr wohnt, und Er wird die Wasser rasch beruhigen.
Ich habe mir die Freiheit genommen, Euch diese wohltuenden
Empfindungen mitzuteilen, damit Ihr sie mit den Euren vergleichen
möget; sie mögen dabei behilflich sein, jene aufs Neue zu entzünden
und zu entflammen, falls sie aufgrund eines Missgeschicks (was Gott
verhüten möge, denn dies wäre in der Tat ein großes Missgeschick)
weniger hell brennen sollten. Erinnern wir uns an den Eifer unserer
Anfänge. Lasst uns Nutzen aus dem Beispiel und der Gesinnung
dieses Bruders ziehen, der der Welt wenig bekannt ist, den aber Gott

31
kennt, der so außerordentlich zärtlich zu ihm ist. Ich bete für Euch;
betet auch Ihr unaufhörlich für mich, der ich der Eure in unserem
Herrn bin.

***

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Fünfter Brief
Gebet für eine Schwester, die ihr Gelübde ablegen und ins Kloster
gehen möchte. ‒ Ein lebhafter Appell an die Notwendigkeit und die
Tugend der Übung der Gegenwärtigkeit Gottes.
In diesen Tagen habe ich zwei Bücher und einen Brief von einer
Schwester erhalten, die sich auf ihre Profess vorbereitet und im
Zusammenhange damit die Gebete Eurer heiligen Gemeinschaft und
die Euren im Besonderen erbittet. Ich habe den Eindruck, dass sie viel
darauf zählt – bitte enttäuscht sie nicht. Bittet Gott, dass sie ihr Opfer
allein im Blick auf Seine Liebe darbringen und die feste Entschlossen-
heit hegen möge, sich Ihm gänzlich hinzugeben.
Ich werde Euch eines der Bücher, die von der Gegenwärtigkeit Got-
tes handeln, zukommen lassen. Dieses Thema umfasst in meinem
Verständnis das gesamte spirituelle Leben, und es kommt mir so vor,
dass jeder, der dies eifrig praktiziert, schon bald ein geistliches Leben
führen wird.
Ich weiß, dass die rechte Übung dessen ein Herz erfordert, das leer
von allen anderen Dingen ist, denn dieses Herz soll nur Gott besitzen,
und wenn Er es nicht in Besitz nehmen kann, weil es nicht von allen
Nebensächlichkeiten geleert ist, vermag Er darin weder zu agieren
noch zu tun, was Ihm gefällt. Deshalb muss es Ihm gänzlich frei von
allem anderen übergeben werden.
In dieser Welt gibt es keine andere Art von Leben, das süßer und
entzückender wäre als dasjenige des ununterbrochenen Gesprächs
mit Gott. Nur diejenigen, die es praktizieren und erfahren, können
dies erfassen. Ich rate Euch jedoch, es nicht aus diesem Beweggrund
heraus zu tun, denn es ist nicht das Vergnügen, welches wir in dieser
Übung zu gewinnen suchen sollten, sondern wir sollten es aus dem
Grundsatz der Liebe heraus tun, und weil Gott uns für sich haben
möchte.
Wäre ich ein Prediger, dann würde ich vor allen anderen Dingen die
Übung der Gegenwärtigkeit Gottes predigen, und wäre ich ein Lehrer,
dann würde ich alle Welt darin unterrichten, so zu tun – so dringlich
finde ich es, und auch so einfach.
Oh wenn wir nur wüssten, wie sehr wir die Gnade und die Hilfe
Gottes nötig haben – wir würden Ihn niemals aus den Augen verlie-
ren, nicht einmal für einen Moment! Glaubt mir – fasst unverzüglich
einen heiligen und festen Entschluss, Ihn nie mehr willentlich zu
vergessen und den Rest Eures Lebens in Seiner heiligen Gegenwart

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zu verbringen, sehnsüchtig nach der Liebe zu Ihm und – sollte Er dies
für gut befinden – seinen Tröstungen.
Setzt diese Aufgabe von ganzem Herzen ins Werk und seid – sobald
Ihr getan habt, wie Ihr solltet – versichert, dass Ihr schon bald die
Wirkungen dessen verspüren werdet. Ich werde Euch mit meinen
Gebeten, mögen sie auch geringfügig sein, beistehen und empfehle
mich aufrichtig Euch und Eurer heiligen Gemeinschaft.

***

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Sechster Brief
An ein Mitglied seines Ordens, der von ihm ein Buch bekommen
hatte, und dem gegenüber er sich weiter über das für ihn
wichtigste Thema auslässt. ‒ Ermunterung zur Beharrlichkeit.
Ich habe von Frau … die Dinge erhalten, die Ihr ihr für mich mitge-
geben habt. Ich frage mich, weshalb Ihr mir nicht gleichfalls Eure
Gedanken zu dem kleinen Buch, welches Ihr erhalten haben müsstet,
habt zukommen lassen. Bitte setzt von ganzem Herzen die Übung
darin auch jetzt im Alter fort – besser spät als nie.
Ich vermag nicht nachzuvollziehen, wie religiöse Menschen ohne
die Übung der Gegenwärtigkeit Gottes zufrieden zu leben verstehen.
Von meiner Seite her pflege ich, so viel ich kann, den Rückzug zu-
sammen mit Ihm im tiefsten Innern meiner Seele, und wenn ich dann
mit Ihm bin, empfinde ich vor nichts Furcht, während aber schon das
kleinste Vergessen Seiner unerträglich für mich ist.
Diese Übung ermüdet den Körper nicht besonders, obwohl sie ihn
jedoch sehr wohl viele der kleinen, unschuldigen und erlaubten
Vergnügen entbehren lässt, denn Gott gestattet nicht, dass eine Seele,
die sich Ihm gänzlich hingeben möchte, nach anderen Vergnügen als
nur nach Ihm verlangt, und das ist ja nur verständlich.
Ich meine damit aber nicht etwa, dass wir uns deshalb irgendeinen
gewaltsamen Zwang auferlegen müssten. Nein – wir sollten Gott in
heiliger Freiheit dienen und unsere Angelegenheiten vertrauensvoll,
im Glauben und ohne Sorgen und Beunruhigungen erledigen. So oft
wir unser Gemüt umherwandern und fern von Gott sehen, sollten wir
es Ihm sanft und ruhig wieder zuwenden.
Es ist jedoch sehr nötig, dass wir all unser Vertrauen gänzlich in
Gott setzen und sämtliche anderen Sorgen beiseitelegen, und dies gilt
sogar für bestimmte Formen der Hingabe – auch wenn diese in sich
selbst gut sein mögen –, sofern wir sie in unvernünftiger Weise ge-
brauchen. Alle diese Formen dienen letztlich nur der Erreichung
eines Zieles, und wenn wir schließlich durch die Übung der Gegen-
wärtigkeit Gottes in Ihm unser Ziel gefunden haben, ist die Verwen-
dung der früheren Mittel nutzlos geworden. Wir sollten anstelle
dessen den Umgang der Liebe mit Ihm pflegen und in seiner Heiligen
Gegenwart verbleiben – durch Akte des Gebets, der Verehrung oder
des Verlangens nach Ihm, durch Akte der Entsagung oder des Dankes
und überhaupt in jeder nur denkbaren und geeigneten Weise, die
unser Geist finden mag.

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Seid nicht wegen der auf natürliche Weise entstehenden Wider-
stände, die Ihr vielleicht bemerken werdet, entmutigt – zwingt euch
einfach dazu, weiterzumachen. Zunächst hält man all dies für verlo-
rene Zeit, aber Ihr müsst weitergehen und entschlossen sein, darin
bis zum Tode auszuharren, ungeachtet all der Schwierigkeiten, die
auch immer auftreten mögen. Ich empfehle mich den Gebeten Eurer
heiligen Gemeinschaft und den Euren im Besonderen. Ich bin der
Eure im Herrn.

***

36
Siebter Brief
Im Alter von achtzig Jahren ermahnt er seinen Briefpartner, der
vierundsechzig ist, mit Gott zu leben und zu sterben, und bittet um
Gebete.
Ihr dauert mich so sehr. Es wäre von größter Wichtigkeit, wenn Ihr
die Sorge um Eure Angelegenheiten niederlegen und den Rest Eures
Lebens allein in der Verehrung Gottes verbringen könntet. Er ver-
langt von uns nicht so sehr viel – eine kleine Erinnerung an Ihn von
Zeit zu Zeit oder eine geringfügige Verehrung genügen, wie etwa ein
Gebet um Seine Gnade, unsere Aufopferung unserer Leiden für Ihn
und manchmal auch ein Dank an Ihn für die Gefallen, die Er Euch
erwiesen hat und immer noch, auch in den größten Schwierigkeiten,
erweist. Tröstet Euch, so oft Ihr könnt, mit Ihm. Erhebt Euer Herz zu
Ihm, auch während Eurer Mahlzeiten oder wenn Ihr Euch in Gesell-
schaft befindet, denn auch die kleinste Erinnerung an Ihn ist Ihm
stets willkommen. Ihr müsst dazu nicht laut weinen – Er ist uns
näher, als uns bewusst ist.
Um mit Gott zu sein, ist es nicht erforderlich, immer in die Kirche zu
gehen – machen wir doch aus unserem Herzen einen Gebetsraum, in
den wir uns von Zeit zu Zeit zurückziehen, um mit Ihm in Demut,
Einfachheit und Liebe Umgang zu pflegen. Jeder ist zu einem solch
vertrauten Umgang mit Gott fähig – die einen mehr, die anderen
weniger. Er weiß, was jeder einzelne von uns zu leisten vermag. Lasst
uns also damit beginnen, denn vielleicht erwartet Er von uns nur
diesen einen hochherzigen Entschluss. Habt Mut. Wir haben so wenig
Lebenszeit; Ihr seid jetzt fast vierundsechzig, und ich bin fast achtzig.
Lasst uns mit Gott leben und sterben – die Leiden werden uns süß
und teuer werden, wenn wir mit Ihm sind, und die größten Freuden
werden wie eine grausame Bestrafung für uns sein, wenn wir Ihn
vermissen. Möge Er für alles gesegnet sein. Amen.
Wendet Euch mehr und mehr Seiner Verehrung zu. Bittet um Seine
Gnade, um Ihm Euer Herz von Zeit zu Zeit und auch auf dem Höhe-
punkt Eurer Beschäftigungen und sogar in jedem einzelnen Moment,
sofern Ihr dies vermögt, darzubieten. Verpflichtet Euch nicht so sehr
ängstlich bestimmten Regeln oder bestimmten Formen der Hingabe,
sondern handelt aus dem Geist des Vertrauens in Gott heraus; in
Liebe und Demut. Seid meiner bescheidenen Gebete und dessen, dass
ich der Eure und insbesondere Euer Diener bin, versichert.

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Achter Brief
Betrifft Gedankenabschweifungen während des Gebets.
Ihr sagt mir damit wahrhaftig nichts Neues, denn Ihr seid nicht der
einzige, der sich von wandernden Gedanken belästigt fühlt. Unser
Verstand ist außerordentlich sprunghaft, aber da der Wille der Meis-
ter all unserer Geistesvermögen ist, ist es seine Aufgabe, sie zur
Ordnung zu rufen und zuguterletzt Gott zu Füßen legen.
Sobald unser Gemüt, das besonders in den Anfängen unserer Hin-
gabe auf der Suche nach größerer Sammlung ist, erst einmal gewisse
schlechte Gewohnheiten des Umherwanderns und der Zerstreutheit
angenommen hat, sind diese nur noch schwer zu überwinden, und sie
ziehen uns dann, gewöhnlich auch gegen unseren Willen, zu den
irdischen Dingen hin.
Ich glaube, dass eine Abhilfe darin besteht, unsere Fehler zu beken-
nen und uns vor Gott zu demütigen. Ich würde Euch nicht dazu raten,
in Euren Gebeten viele Worte zu machen, denn viele Worte und lange
Verhandlungen sind oftmals die Ursache des Umherwanderns. Seid in
Euren Gebeten vor Gott vielmehr wie ein stummer oder sprachloser
Bettler vor dem Tor des reichen Mannes und lasst es Euch angelegen
sein, Euer Gemüt mit der Gegenwart des Herrn zu beschäftigen. Sollte
es dann manchmal umherstreifen und sich von Ihm zurückziehen,
dann seid deswegen nicht allzu beunruhigt, denn Unruhe und Be-
sorgtheit verstärken die Zerstreutheit des Gemüts nur noch, statt
seine Sammlung zu befördern. Der Wille muss es dann in die Stille
zurückführen, und falls Ihr in dieser Verfahrensweise beharrlich seid,
wird Gott Euch beistehen.
Eine einfache Möglichkeit dafür, das Gemüt zu den Gebetszeiten
leichter zu sammeln und seine Stille bewahren zu helfen, besteht
darin, es überhaupt zu allen Zeiten niemals allzu weit wandern zu
lassen. Haltet es immer strikt in der Gegenwart Gottes fest und ge-
wöhnt Euch daran, so oft wie möglich an Ihn zu denken. Ihr werdet
feststellen, wie leicht Ihr Euer Gemüt dann in den Gebetszeiten ruhig-
zuhalten oder es zumindest leicht von seinen Wanderungen zurück-
zurufen vermögt.
In meinen früheren Briefen habe ich Euch bereits ausführlich mit-
geteilt, wie viel Nutzen wir aus dieser Übung der Gegenwärtigkeit
Gottes ziehen können. Lasst uns ernsthaft darin sein und füreinander
beten.

***

38
Neunter Brief
Betreffend einen Anlagebrief an eine mit ihm korrespondierende
Nonne, den er respektvoll, aber auch mit Sorge vermischt, würdigt.
‒ Eingehende weitere Erläuterungen zu seinem Hauptthema.
Der Anlagebrief stellt die Antwort auf den Brief dar, den ich von …
erhalten habe. Reicht ihn bitte an sie weiter. Sie scheint mir voll guten
Willens zu sein, aber auch der Gnade vorauseilen zu wollen. Man wird
nicht plötzlich und auf der Stelle heilig. Ich anempfehle sie Euch, denn
wir sollten uns zwar gegenseitig mit unserem Rat zur Seite stehen,
aber mehr noch mit unserem guten Beispiel. Ich wäre Euch sehr
verbunden, wenn Ihr mir ab und zu Nachricht von ihr gebt, und
darüber, ob sie eifrig und gehorsam bleibt.
Lasst uns nicht vergessen, dass unser einziges Anliegen in diesem
Leben sein sollte, Gott zu erfreuen, und dass eigentlich alles andere
nichts als Narrheit und Nichtigkeit ist. Ihr und ich, wir haben jetzt
vierzig Jahre des religiösen Lebens [d.h., des monastischen Lebens]
verlebt. Haben wir diese in Liebe und im Dienst an Gott, der uns
durch Seine Gnade zu diesem Leben und zu diesem Zweck berufen
hat, verbracht? Ich bin von Scham und Bestürzung erfüllt, wenn ich
daran denke, welche großen Gunstbeweise ich einerseits von Gott
erhalten habe und unaufhörlich immer noch erhalte, und wie wenig
ich andererseits guten Gebrauch von ihnen zu machen verstand, und
wie gering doch meine Fortschritte auf dem Wege der Vollkommen-
heit sind.
Da wir durch Seine Gnade noch ein wenig Zeit gewährt bekommen
haben, lasst uns nun in aller Ernsthaftigkeit beginnen, lasst uns die
verlorene Zeit wiederaufholen, lasst uns zur vollen Gewissheit dieses
Vaters der Gnaden, der immer bereit ist, uns liebevoll zu empfangen,
zurückkehren. Lasst uns aus Liebe zu Ihm all dem entsagen – und
lasst uns großzügig entsagen –, was nicht Er ist, denn Er verdient
unendlich viel mehr. Lasst uns auf immer an Ihn denken. Lasst uns
unsere ganze Hoffnung in Ihn setzen, denn ich zweifle nicht daran,
dass wir schon bald die Wirkungen dessen vorfinden und den Reich-
tum Seiner Gnaden empfangen werden, mit deren Hilfe wir alles zu
tun vermögen und ohne die wir nichts anderes können als sündigen.
Ohne die wirkliche und beständige Hilfe Gottes können wir den
vielfältigen Gefahren des Lebens nicht entgehen – lasst uns Ihn daher
immer um sie bitten. Wie können wir Ihn um etwas bitten, ohne mit
Ihm zu sein? Und wie können wir anders mit Ihm sein als so oft wie
möglich an Ihn zu denken? Und wie können wir oft an Ihn denken,
ohne diese heilige Gewohnheit heranzubilden, die dies erst möglich

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macht? Ihr werdet mir sagen, dass ich mich nur wiederhole, und das
ist wahr, denn darin besteht die beste und einfachste Methode, die ich
kenne, und da ich keine andere verwende, rate ich aller Welt, ein
Gleiches zu tun. Bevor wir lieben können, müssen wir Wissen haben.
Um Gott kennen zu können, müssen wir oft an Ihn denken, und wenn
wir Ihn dann lieben gelernt haben, sollten wir auch stets oft an Ihn
denken, damit unser Herz immer bei unserem Schatz sei. Es ist dies
ein Beweggrund, der wohl Eurer Betrachtung wert ist.

***

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Zehnter Brief
Es gibt Schwierigkeiten, aber er überwindet sich, um, wie von ihm
erwartet, zu antworten. ‒ Der Verlust eines Freundes kann die
Bekanntschaft mit dem wahren Freund herbeiführen.
Ich habe mit ziemlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, um mich dazu
zu bringen, M. … zu schreiben, und ich tue es nicht rein deshalb, weil
Ihr und Frau … es von mir wünscht. Bitte schreibt die Anleitungen auf
und sendet sie ihm. Ich bin sehr erfreut über das Vertrauen, welches
Ihr in Gott setzt, und wünsche mir, Er möge es mehr und mehr in
Euch wachsen lassen. Wir können nicht auf einen so gütigen und
treuen Freund verzichten, der uns weder in dieser noch der nächsten
Welt jemals im Stich lassen wird.
Falls M. … seinen Vorteil aus dem Verlust, den er gehabt hat, ziehen
möchte und all seine Zuversicht auf Gott setzt, wird Er ihm schon bald
einen neuen Freund geben, der noch stärker und noch eifriger ist,
ihm zu dienen. Es liegt bei Ihm, nach Seinem Belieben über die Her-
zen zu verfügen. Vielleicht war M. … zu anhänglich an den, den er
verloren hat. Wir sollen unsere Freunde lieben, aber ohne dabei die
Liebe zu Gott, die die Hauptsache ist, zu schmälern.
Bitte erinnert Euch an das, was ich Euch nahegelegt habe, und das
war: Tag um Tag, nächtens, während Eurer Geschäfte und sogar
während Eurer Zerstreuungen an Gott zu denken. Er ist stets nahe bei
Euch und mit Euch – lasst Ihn nicht allein. Gewiss würdet Ihr es für
grob halten, einen Freund, der Euch besuchen kommt, stehen zu
lassen. Müssen wir dann aber nicht Gott umso mehr achten? Vernach-
lässigt Ihn nicht, sondern denkt nur umso mehr an ihn, verehrt ihn
beständig, lebt und sterbt mit Ihm. Dies ist die glorreiche Hauptbe-
schäftigung des Christen, und mit einem Wort gesagt: Darin besteht
unsere Berufung. Wenn wir sie als solche nicht kennen sollten, dann
müssen wir sie erlernen. Mit meinen Gebeten werde ich mich bemü-
hen, Euch darin zu unterstützen, und bin der Eure im Herrn.

***

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Elfter Brief
An jemanden mit viel Schmerzen. Gott ist der Arzt des Körpers und
der Seele. ‒ Bringt zum Ausdruck, wie gern er um Seinetwillen
leiden würde.
Ich bete nicht darum, dass Eure Schmerzen erleichtert werden mö-
gen, sondern ich bete aufrichtig zu Gott dafür, dass Er Euch Stärke
und Geduld geben möge, damit Ihr sie so lange ertragen könnt, wie es
Ihm beliebt. Tröstet Euch mit Ihm, der Euch an das Kreuz bindet – Er
wird Euch erlösen, sobald Er es als genügend ansieht. Glücklich
diejenigen, die Seinetwegen leiden! Gewöhnt Euch daran, auf diese
Art zu leiden, und sucht bei Ihm die Kraft, um so viel wie möglich
aushalten zu können, und so lange, wie Er es für Euch als nötig an-
sieht. Die Weltmenschen verstehen solche Wahrheiten nicht und es
ist auch nicht verwunderlich, da sie auf die Art leiden, die ihnen
entspricht und nicht auf die Art der Christen, denn sie erachten
Krankheit als einen naturhaften Schmerz, aber nicht als einen Gna-
denerweis von Gott. Da sie ihn nur in diesem Licht zu sehen vermö-
gen, finden sie in ihm auch nur Kummer und Qual. Diejenigen jedoch,
die die Krankheiten als aus der Hand Gottes kommend, als die Wir-
kung seiner Gnade und als das Mittel, durch welches sie nach Seinem
Willen Erlösung finden werden, erblicken können, finden in ihnen
gewöhnlich große Süße und merklichen Trost.
Ich wünschte, Ihr könntet Euch selbst zu der Überzeugung bekeh-
ren, dass Gott uns in den Krankheiten oft (in gewissem Sinne) näher
und mehr in uns gegenwärtig ist als in den Zeiten der Gesundheit.
Vertraut Euch keinem anderen Arzt an, denn – und das ist meine Art
des Verstehens – Er behält Eure Heilung Sich Selbst vor. Setzt also
Euer ganzes Vertrauen in Ihn, und Ihr werdet schon bald die Wirkun-
gen Eurer Heilung vorfinden, die wir nur allzuoft dadurch verzögern,
indem wir größeres Vertrauen in unsere Ärzte setzen.
Welche Heilmittel Ihr auch immer verwenden möget – sie helfen
nur so weit, wie Er es erlaubt. Wenn die Schmerzen von Gott kom-
men, dann kann auch nur Er sie kurieren. Oftmals sendet er die
Krankheiten des Körpers nur, um diejenigen der Seele zu heilen.
Vertraut Euch dem unübertrefflichen Arzt für Körper und Seele an.
Ich kann voraussehen, wie Ihr mir sagen werdet, dass ich gut reden
habe, wo ich doch an der Tafel des Herrn esse und trinke! Gewiss
habt Ihr Grund dazu, so zu sprechen, doch glaubt Ihr etwa, dass es ein
nur kleiner Schmerz für den größten Verbrecher dieser Welt wäre, an
des Königs Tisch zu speisen und von diesem bedient zu werden ohne

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die Gunst der Vergebung? Ich glaube vielmehr, er würde sich äußerst
unbehaglich fühlen, und zwar so sehr, dass nur seine Zuversicht in
die Güte seines Herrschers dies mindern könnte. Daher versichere ich
Euch, dass ich, was immer ich auch an der Tafel meines Königs spei-
sen werde, ich doch stets meine Sünden und die Ungewissheit ihrer
Vergebung vor Augen habe, was mich quält, obwohl in Wahrheit
sogar diese Qual noch erfreulich für mich ist.
Seid zufrieden mit den Umständen, in welche Gott Euch gestellt hat.
Wie glücklich Ihr mich auch immer sehen mögt, seid versichert, dass
ich Euch beneide. Für mich wären Schmerzen und Leiden das Para-
dies, wenn ich darin mit meinem Gott leiden könnte, und das größte
Vergnügen, welches ich ohne Ihn genießen müsste, wäre die Hölle für
mich, denn mein ganzer Trost liegt darin, nur für Ihn zu leiden.
Schon bald werde ich zu Gott heimkehren. Was mich in diesem Le-
ben erfreut, ist, dass ich Ihn nun mit dem Glauben sehen kann, und
dass ich Ihn auf eine Art sehe, die mich manchmal sagen lässt: Ich
glaube nicht mehr, sondern ich SEHE. Ich spüre, was der Glaube uns
lehren will, und in dieser Gewissheit und dieser Übung des Glaubens
möchte ich leben und sterben in Ihm.
Verbleibt immer mit Gott, denn das ist Eure einzige Stütze und Euer
einziger Trost in Euren Beschwernissen. Ich werde Ihn anflehen, mit
Euch zu sein. Ich entbiete Euch meine Dienste.

***

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Zwölfter Brief
Vermutlich an denselben Korrespondenten. Bringt seine
beständige Freude durch Glauben zum Ausdruck.
Wenn wir nur ausreichend der Übung der Gegenwärtigkeit Gottes
hingegeben wären, würden alle körperlichen Beschwerden schon
allein dadurch in großem Maße erleichtert werden. Oft gestattet Gott
den Schmerzen, an uns heranzutreten, um unsere Seelen zu reinigen
und uns neuerlich zu verpflichten, mit Ihm zu bleiben.
Fasst Zuversicht, bietet Ihm unaufhörlich Eure Schmerzen an, bittet
Ihn um Kraft, sie zu ertragen. Erwerbt vor allem die Gewohnheit, so
oft wie nur möglich Gott zu euch einzuladen, und vergesst Ihn so
wenig als Ihr könnt. Verehrt Ihn in Euren Gebrechlichkeiten, bietet
Euch Ihm von Zeit zu Zeit an. Fleht Ihn in den Zeiten besonderen
Leidens demütig und liebevoll (wie das Kind den Vater) an, Euch die
Kraft zur Erfüllung Seines heiligen Willens zu schenken. Ich bin be-
strebt, Euch dabei mit meinen bescheidenen Gebeten beizustehen.
Gott kennt viele Wege, um uns zu Ihm zu bringen. Manchmal ver-
birgt Er Sich Selbst in uns, aber der Glaube, der in den Zeiten der Not
nie versagt, ist dann unsere Stütze und die Grundlage unserer Zuver-
sicht, die allein in Gott ruhen sollte.
Ich weiß nicht, wie Gott über mich zu verfügen gedenkt, aber ich
bin immer glücklich. Alle Welt leidet, aber ich, der ich die strengste
Zucht verdienen würde, fühle so beständige und so große Freuden,
dass sie kaum in mir Platz finden.
Ich würde Gott gern darum bitten, mir einen Teil Eurer Leiden auf-
zuerlegen, aber ich kenne mich und meine großen Schwächen nur
allzu gut um zu wissen, dass ich der elendste, lebende Mensch wäre,
wenn Er mich auch nur einen Moment lang mich selbst überlassen
würde. Und auch wenn ich nicht zu glauben vermag, dass Er mich
jemals allein lassen könnte, da mir der Glaube mehr als alle Sinneser-
fahrung starke Zuversicht gibt, so weiß ich auch, dass Er uns niemals
im Stich lassen würde, wenn nicht wir Ihn zuvor im Stich lassen
würden. Lasst uns fürchten, Ihn zu verlassen. Lasst uns auf immer mit
Ihm sein. Lasst uns leben und sterben in Seiner Gegenwart. Betet für
mich, wie ich für Euch bete.

***

44
Dreizehnter Brief
An dieselbe Person Ermahnungen, noch stärker volles Vertrauen in
Gott für Körper und Seele zu entwickeln.
Es schmerzt mich, Euch so sehr lange leiden zu sehen, Was mir et-
was Erleichterung verschafft und die Empfindungen, die ich aufgrund
Eures Leidens hege, lindert, ist, dass sie Prüfungen der Liebe Gottes
für Euch sind. Betrachtet sie aus dieser Sichtweise heraus, und Ihr
werdet sie leichter ertragen können. So wie Euer Fall liegt, lautet
meine Meinung dazu, dass Ihr menschlichen Trost aufgeben und Euch
gänzlich der göttlichen Vorsehung hingeben solltet; vielleicht wartet
Er nur auf diese Eure Ergebung und Euer vollkommenes Vertrauen in
Ihn, um Euch zu heilen. Da die Ärzte bisher trotz aller Bemühungen
nicht erfolgreich gewesen sind und Eure Beschwerden noch zuneh-
men, ist es nicht zuviel von Gott verlangt, wenn Ihr Euch in Seine
Hände begebt und nur noch auf Ihn hofft.
Ich sagte Euch letztens, dass Er die Krankheiten des Körpers
manchmal deshalb schickt, um die Beschwernisse der Seele zu kurie-
ren. Habt daher Mut und macht aus der Not eine Tugend – bittet Gott
nicht um eine Erleichterung Eurer Schmerzen, sondern um die Stär-
ke, sie tapfer ertragen zu können; aus Liebe zu Ihm und um Ihm zu
gefallen, und so lange es Ihm beliebt.
Derartige Gebete kommen unserer Natur natürlich etwas hart an,
sind aber das Beste vor Gott und süß für diejenigen, die Ihn lieben.
Liebe versüßt die Schmerzen, und jemand, der Gott liebt, leidet Ihm
zuliebe mit Freude und mit Tapferkeit. Tuet so – ich ersuche Euch
darum. Tröstet Euch mit Ihm, der der alleinige Arzt all Eurer Gebre-
chen ist. Er ist der Vater aller Geplagten und immer bereit, uns zu
helfen. Er liebt uns mehr, als wir uns vorstellen können. Liebt Ihn
daher auch und sucht nicht anderswo nach Trost, und ich hoffe, dass
Ihr diesen schon bald erfahren möget. Adieu. Ich werde Euch mit
meinen Gebeten beistehen, so bescheiden sie auch sein mögen, und
bin immer der Eure im Herrn.

***

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Vierzehnter Brief
Dankbar für Gnaden für seinen Briefpartner und Genugtuung
darüber, wie er selber Trost in seinem Leiden erfahren hat, als er
dem Tode nahe war.
Ich statte Dank unserem Herrn ab, der Euch ein wenig Erleichte-
rung verschafft hat, wie es Euer Wunsch gewesen war. Ich war selbst
oft nahe daran, meinen letzten Atemzug zu tun, obwohl ich dabei so
zufrieden war wie noch nie. Folglich habe ich nicht um Linderung
gebetet, sondern um die Stärke, mit Tapferkeit, Demut und Liebe
leiden zu können. Oh wie süß es doch ist, mit Gott leiden zu können!
Wie groß auch immer Eure Leiden sein mögen, empfangt sie mit
Liebe. Es ist wie das Paradies, für Ihn zu leiden und mit Ihm zu sein.
Wenn wir uns daher in diesem Leben des Friedens des Paradieses
erfreuen möchten, sollten wir die Gewohnheit eines vertrauten,
demütigen und liebevollen Umgangs mit Ihm annehmen; wir müssen
unseren Geist daran hindern, bei jeder Gelegenheit von Ihm abzu-
schweifen, und wir müssen aus unserem Herzen einen spirituellen
Tempel machen, in dem wir Ihn unaufhörlich verehren, und ständig
sollten wir über uns wachen, damit wir nichts sagen, tun oder den-
ken, was Ihm missfallen könnte. Wenn unser Gemüt auf diese Weise
mit Gott befasst ist, wird unser Leiden voll Weihe und Trost werden.
Ich weiß, wie schwierig in den Anfängen das Erlangen dieser Stufe
ist, denn wir müssen dazu aus reinem Glauben handeln. Doch obwohl
es schwierig ist, wissen wir doch gleichzeitig, dass wir mit der Gnade
Gottes alle Dinge vermögen, die Er niemandem versagt, der ernstlich
nach ihr verlangt. Klopft an, seid hartnäckig im Anklopfen – und ich
versichere Euch, dass Er Euch in der fälligen Zeit die Türe öffnen wird
und Euch all das mit einem Male gewähren wird, was Er während
vieler Jahre zurückgehalten hat. Adieu. Betet für mich zu Ihm, wie ich
für Euch bete. Ich hoffe Ihn schon bald zu treffen.

***

46
Fünfzehnter Brief
Von seinem Sterbebett.‒ Wiederholt dieselbe Ermahnung zu
erkennen, dass wir Ihn lieben lernen sollten.
Gott weiß am besten, wessen wir bedürfen, und alles, was Er für
uns tut, ist nur für unser Bestes. Wenn wir nur wüssten, wie sehr Er
uns liebt, würden wir immer bereit sein, aus Seiner Hand mit Gleich-
mut und Gelassenheit das Süße wie das Bittere zu empfangen; alles,
was von Ihm käme, wäre uns dann teuer. Selbst die schlimmsten
Heimsuchungen würden wir hinnehmen, außer wir sähen sie in
einem falschen Licht. Wenn wir sie aus den Händen Gottes, der sie
erteilt, kommend sehen könnten, und wenn wir nur wüssten, dass Er
unser liebender Vater ist, der uns demütigt und beunruhigt, dann
würden unsere Schmerzen ihre Bitterkeit verlieren und sogar zu
einer Tröstung werden.
Lasst all unsere Bemühungen darauf gerichtet sein, Gott zu kennen,
denn je mehr wir Ihn kennen, umso besser wünschen wir ihn kennen
zu lernen. Und da Erkenntnis gewöhnlich der Maßstab der Liebe ist,
wird auch unsere Erkenntnis umso tiefer und breiter sein, je größer
unsere Liebe ist. Und ist unsere Liebe Gottes nur groß genug, dann
werden wir Ihn in Freuden und Schmerzen immer gleichermaßen
lieben.
Lasst uns nicht die Zeit damit verschwenden, Gott nur für irgend-
welche fühlbaren Wohlwollensbeweise – wie stark diese auch immer
ausfallen mögen – zu suchen oder zu lieben, die Er für uns vielleicht
bereit hält. Gefallensbeweise dieser Art, wie groß sie auch immer sein
mögen, können uns nicht so nahe an Gott heranbringen wie ein einzi-
ger Akt des Glaubens. Lasst uns Ihn so oft wie möglich im Licht des
Glaubens suchen – Er ist in uns, sucht Ihn also nirgendwo sonst.
Erweisen wir uns nicht als grob und verdienen wir nicht Schande,
wenn wir Ihn im Stich lassen und uns selbst mit Nichtigkeiten be-
schäftigen, die Ihm missfallen und vielleicht sogar beleidigen? Wir
müssen vielmehr fürchten, dass diese Nichtigkeiten uns eines Tages
teuer zu stehen kommen.
Lasst uns damit beginnen, Ihm in aller Gewissenhaftigkeit anzu-
hängen. Lasst uns alles andere in unseren Herzen verwerfen, damit
Er allein es besitzt. Bittet Ihn um diese Gunst. Wenn wir von unserer
Seite aus tun, was wir nur können, werden wir schon bald sehen, wie
der Wandel, nach dem wir verlangen, in uns gewirkt werden wird. Ich
vermag Ihm nicht genug für die Erleichterung zu danken, die Er Euch

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hat zuteil werden lassen. Ich hoffe auf Seine Gnade, Ihn in einigen
Tagen treffen zu dürfen. Lasst uns füreinander beten.

[Zwei Tage später musste er sich zu Bette legen, in dem er innerhalb


einer Woche verstarb.]

***

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