Heft | 4

Gute Seiten aus NordHessen · Sommer 2010 · 3 Euro

Reiche Region:
Märchen, märchenhafte Orte und Sagenhaftes
 magazin aus der mitte | 3

EDITORIAL

Keine Märchen!
Wir wollen hier keine Märchen erzählen. Nichts von hässlichen Frö-
schen, die ins Bett der Prinzessin wollen. Kein Wort von garstigen
Kobolden. Wir wollen bei den Tatsachen bleiben in diesem Maga-
zin. Tatsachen – aufgeschrieben und beschrieben von Leuten, denen
während ihrer Arbeit recht häufig Märchen erzählt werden. Und die
immer auf der Hut sein müssen, damit sie keines dieser Märchen
verbreiten, sondern eben nur Wahrheiten.
Es geht also in diesem Magazin um Tatsachen. Gewiss – zum
Teil mögen die Geschichten unglaublich klingen. Obwohl sie wahr
sind. Wie die Geschichte von Dorothea Viehmann, die den Grimms
viele schöne Märchen erzählte; oder die Geschichte von „Ali“, dem
Märchenzeichner, und seinen bezaubernden Werken. Es geht auch
Teil von weither, nach Nordhessen kommen. Jahr für Jahr. Um sich
verzaubern zu lassen.
Und wenn wahr wird, wovon viele träumen, dann wird es in
Nordhessen neben dem schon bestehenden Weltdokumentenerbe –
den Grimm’schen Märchen – schon bald ein weiteres Weltkulturerbe
geben. Dann würde der Bergpark Wilhelmshöhe mitsamt Herkules
und den Wasserspielen von der UNESCO auf eine Stufe gestellt mit
der Chinesischen Mauer, den Pyramiden von Gizeh, dem Taj Mahal,
dem Schloss und Park von Versailles, der Felsenstadt Petra und mehr
als 800 Kulturschätzen „von universellem Wert“.
Das wäre ganz wahrhaftig märchenhaft.
Anne Riedel

» 380 Freizeitziele mit

um die Suche nach den Spuren Dornröschens, Frau Holles,
Rotkäppchens und seiner Freunde.
Und – natürlich – geht es um das ganz und gar
fabelhafte und sagenhafte Wirken der Brüder
Grimm, deren Märchensammlung neben der
Luther-Bibel das bekannteste und weltweit
am meisten verbreitete Buch der deut-

dem NVV entdecken! schen Kulturgeschichte ist. Die Hand-

exemplare der Kinder- und Hausmär-
chen, auch das ist nicht erfunden,
sind bereits zum Weltkulturerbe
erhoben worden: Höchste Weihen

* 6 ct/Anruf aus dem Festnetz der Deutschen Telekom,

Rund 380 Ziele enthalten unsere Freizeitbroschüren. Erhältlich in den

Mobilfunkpreis max. 42 ct/Min.

für einen in der ganzen Welt po-
pulären Teil des Grimm’schen
NVV-Kundenzentren und -InfoPoints sowie Rathäusern, Jugendherbergen Werkes. Das wird in Kassel – mit-
samt den umfangreichen wis-
und vielen Gaststätten. Oder unter www.nvv.de (Rubrik Freizeit). senschaftlichen Schätzen, die

Mehr Infos auch beim NVV-ServiceTelefon unter 0180-234-0180*. von den Brüdern hinterlassen
wurden – bewahrt.
Kein Märchen also: Nord-
hessen ist reich an märchen-
haften Schätzen, reich ge-
segnet auch mit Museen, die
ihresgleichen suchen, mit
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Japan, Amerika, Russ-

land, China. Tatsache
ist, dass mehr als zwei
Millionen Gäste, zum
Gemeinsam mehr bewegen.
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6 Der Wolf, Schneewittchen und ihre Verehrer 40 Giesekings Grimm’ges Lob

Eine Spurensuche entlang der Deutschen Märchenstraße Märchenhaftes vom Kabarettisten Bernd Gieseking
6
42

Der Wolf, Schneewittchen 11 Häuptling Silberlocke und die Märchenstraße 42 Glas von Hand und mit Atem beseelt Glas von Hand und
Vom Ursprung einer beliebten Ferienstraße Das Glasmuseum, eine bewegte Geschichte und die Glaskunst
und ihre Verehrer mit Atem beseelt

14 Die Märchenfrau 45 Alte Meister, Dampfmaschinen

Dorothea Viehmann und die Grimms
und andere Schätze
Besondere Museen in Nordhessen

16 Als das Wünschen noch geholfen hat

Prominente aus Nordhessen und ihre Märchen
46 Von der Unschuld der Vorspeise
Rapunzel und die „Märchenköche“
16 48
18 Vom Triumph des Bösen
Märchen – ohne die Logik der Moral
Als das Wünschen noch 48 Millionenschweres Pergament Millionenschweres
geholfen hat Schätze der Handschriftensammlung Pergament
20 Die Märchenerzählerin
Andrea C. Ortolano und die Kraft der Märchen
50 Festspiele, Festivals, Feste
Von Vivaldi vor barocker Kulisse bis zum Kabarett im Park

22 Von Träumen und unersättlichem Wünschen

Interview mit dem Erziehungswissenschaftler Prof. Rudolf Messner
54 Rausch der Farben und Düfte
Der Privatgarten Helmert und das Europäische Gartennetzwerk

26 26 Der Märchenzeichner 50
Albert Schindehütte und die Schauenburger Märchenwache
56 6 Teile + 10 Schrauben + 2 Muttern = Nr. 14
Thonet, Design-Klassiker und ihre Geschichte Festspiele, Festivals
Der Märchenzeichner
und Feste
29 Sagenhaftes
Von verwunschenen Seen und selbstbewussten Mädchen
59 Reise durch die Welt der Sprache
Von den Plänen für eine Erlebniswelt

32 „unsere sprache ist auch unsere geschichte“

Über das sagenhafte Wirken der Brüder Grimm
60 Rätsel & Impressum

38 Grimms grenzenlos
Ob Aserbaidschanisch oder Chinesisch: Grimm-Märchen in 160 Sprachen 61 Städte und Karte der Region
32 56
„unsere sprache ist auch 6 Teile + 10 Schrauben +
unsere geschichte“ 2 Muttern = Nr. 14
Der Wolf, Schneewittchen,
Rapunzel und ihre Verehrer
8 | magazin aus der mitte
Eine Spurensuche entlang der
Deutschen Märchenstraße
Es war einmal, nein, Unsinn: Es ist. Fast 200
Jahre, nachdem er für seine Fressattacke auf
die sieben Geißlein übel büßen musste, ist
der Wolf ins Märchenland der Brüder Grimm
zurückgekehrt. Ob’s der böse ist, der auch
Rotkäppchens Großmutter verspeiste? Man
weiß es nicht. Sicher ist nur und durch Fotos
bewiesen: Er lebt und streunt seit zwei Jah-
ren wieder durch die ausgedehnten Weiten
des Reinhardswalds, nördlich von Kassel. Ein
Einzelgänger, eingewandert von irgendwo
hinter den sieben Bergen. Doch ist er wirk-
lich der einzige Märchenbewohner, dessen
Spuren sich in Nordhessen noch heute verfol-
gen lassen? „Wenn sie nicht gestorben sind“,
so heißt es ja, „dann leben sie noch heute.“
Machen wir uns also auf die Suche.
„Für dich ist Rapunzel verloren“, gif-
tete die herzlose Zauberin, als sie anstel-
le der verbannten Rapunzel den freienden
Königssohn in Empfang nahm. „Du wirst
sie nie wieder erblicken!“ Das klingt nicht
gut. Und so finden wir in Trendelburg zwar
den Turm, aus dem die Schöne ihren Zopf
für den Märchenprinzen heruntergelassen
haben soll: Unübersehbar schon aus der Fer-
ne beherrscht er den Sandsteinfelsen über
der Diemel, auf dem das hübsche Städtchen
mit seiner mittelalterlichen Burganlage
thront. Das Fenster hoch oben im Gemäuer
aber bleibt leer, so lange wir auch rufen:
„Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herun-
ter!“ Und wo die Wüstenei liegen könnte, in
der sich die langhaarige Dame und ihr blau-
blütiger Liebhaber dann doch wieder trafen,
ist leider nicht überliefert.
Wir reisen weiter. Über sanfte Hügel
folgen wir der Deutschen Märchenstraße
nach Süden. Unser Ziel: die Sababurg bei
Hofgeismar, Heimat von Dornröschen (Foto
rechts). „Rings um das Schloss aber“, lesen
wir im Märchen, „begann eine Dornenhe-
cke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward
und endlich das ganze Schloss umzog und
darüber hinaus wuchs, dass gar nichts mehr
davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne
auf dem Dach.“
Ganz so sieht es heute nicht mehr aus.
Im 16. Jahrhundert jedoch, so erfahren
wir, war das Jagdschloss der Landgrafen
von Hessen tatsächlich von einer drei Me-
ter hohen und fünf Kilometer langen Hecke
umgeben. Angeblich soll sie zum Schutz vor
wilden Tieren gepflanzt worden sein. Aber
wir wissen es besser: Das stachelige Ge-
strüpp wuchs natürlich, nachdem sich die
hübsche Königstochter fluchbedingt an ei-
ner Spindel gestochen hatte und mit ihrem
ganzen Hofstaat in einen hundertjährigen
Schlaf gefallen war.
Knorrige Baumriesen,
bizarre Formationen,
ruhige Täler
Seit Dornröschen von ihrem rettenden
Prinzen wieder wachgeküsst worden ist,
wird gefeiert, getafelt – die immer noch
verwunschen anmutende, efeuumrankte
Ruine beherbergt heute ein Hotel mit Café
und Restaurant und sogar ein kleines Thea-
ter. Am Fuße des Schlosses: ein Wildpark
– einer der ältesten und größten in Europa.
Dort sind urwüchsige Wisente, Aueroch-
sen oder Wildpferde ebenso zu Hause wie
mächtige Greifvögel oder putzige Pinguine.
Und im nahen Urwald Sababurg wachsen
knorrige Baumriesen, hinter denen Rumpel-
wichte und Graugnome ihr Unwesen treiben
könnten, wenn das nicht das falsche Mär-
chen wäre: Ronja Räubertochter stammt
ja nicht aus Nordhessen, sondern aus der
Feder von Astrid Lindgren ...
Wohl aber Frau Holle. Durch dunkle Wälder
und ruhige Täler, wo sich nicht nur Fuchs und
Hase, sondern auch Hänsel und Gretel Gute
Nacht sagen könnten, führt uns das Netz der
Märchenstraße gen Südosten, nach Hessisch
Lichtenau. Bereits am Eingang des Fachwerk-
städtchens begrüßt uns das blecherne Bild
einer kissenschüttelnden Dame mit grauem
Dutt: Wir sind am „Tor zum Frau-Holle-Land“.
Die gestrenge Unterweltlerin, die Faulheit
bestraft und Fleiß üppig belohnt, begegnet
hier auf Schritt und Tritt. Und sie hat viele
Gesichter. Auf der Wand einer Musikschule ist
sie zu sehen, wie sie Noten schneien lässt.
Der Park zu Füßen der alten Stadtmauer ist
ihr gewidmet: Skulpturen greifen Motive des
Märchens auf, Zitate sind als Spruchplatten
im Weg eingelassen – ein Walk of Fame für
Frau Holle.
Ihr eigentliches Reich aber beginnt erst
einige Kilometer weiter am Hohen Meißner,
mit 754 Metern die höchste Erhebung in
der Region. Unzählige Sagen ranken sich
hier um die dereinst als Erd- und Himmels-
göttin verehrte Frau Holle.
Zu Fuß erkunden wir das Bergmassiv auf
dem 13 Kilometer langen Rundwanderweg
P 1 – und stoßen auf die „Kalbe“ (wo Frau
Holle trunksüchtige Burschen in Kälber ver-
wandelt und zum Weiden gezwungen hat), auf
die „Kitzkammer“ (eine bizarre Basaltformati-
on, in der sie zänkische Mädchen als Katzen
einsperrte), auf den Teich, er sei, so sagt die
Legende, der Eingang zu ihrem unterirdischen
Reich. In Gestalt einer jungen, schönen Frau
steht sie als Holzfigur am Ufer. Doch Vorsicht!
„Gern zieht sie Kinder in ihren Teich“, raunte
man sich rund um den Hohen Meißner schon
vor mehr als 200 Jahren zu, „die guten macht
sie zu Glückskindern, die bösen zu Wechsel-
bälgen.“ Wir ziehen es darum vor, ihr nicht zu
nahe zu kommen – und von dannen.
„Alle Tage Gesottenes und Gebratenes“
bekommt die gute Glücksmarie im Märchen
von Frau Holle serviert. Das lässt uns das
Wasser im Munde zusammenlaufen. Und au-
ßerdem haben wir für heute genug getan
als Märchen-Detektive. Knapp 30 Kilometer
weiter südlich finden wir den passenden
Platz, um unsere Mägen zu füllen und un-
sere Häupter zu betten: Das Ausflugslokal
„Friedrichshütte“ im Dörfchen Iba bei Bebra
bietet hausgemachte Waffelspezialitäten
ebenso wie deftige Kost. Und übernachtet
wird in stilvoll eingerichteten „Brüder-
Grimm-Zimmern“. Denn als hier noch Kupfer
hergestellt wurde, waren die Märchensamm-
ler oft in der Friedrichshütte zu Gast – der
Hüttenleiter war ein Schwager von Wilhelm
Grimm. Unter der 250 Jahre alten Linde, die
Fotos: Nordhessen Touristik
heute noch den Biergarten beschattet, soll
dabei auch das Märchen Die klugen Leute
aufgezeichnet worden sein.
10 | magazin aus der mitte magazin aus der mitte | 11

nach Kiel nach Lübeck

nach Cuxhav nach Schwerin

Beim Frühstück am nächsten Morgen blättern wir
erneut in den „Kinder- und Hausmärchen“ und
erinnern uns: „Einmal schenkte die Großmutter
dem Mädchen ein Käppchen von rotem Sammet,
und weil ihm das so wohl stand und es nichts
anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rot-
käppchen.“ Auch diese vielleicht prominenteste
Bewohnerin des Märchenlands ist in Nordhessen
daheim. Durch die dichten Wälder des Knüllge-
birges fahren wir nach Westen und erreichen
die ausgedehnte Talsenke der Schwalm. Weit
schweift der Blick von den Zinnen der mittel-
alterlichen, die malerische Altstadt von Treysa
umgebenden Stadtbefestigung ins Land. Und
wären wir im August zur traditionellen Hut-
zelkirmes gekommen, dann wäre uns Rotkäpp-
chen hier gleich zu Dutzenden begegnet: In
der Schwalm trugen unverheiratete Frauen bis
zu ihrem 30. Geburtstag früher eine kleine rote
Hamburg
Tracht“ darf beim alljährlichen Kirmesfestzug nicht mit einem Apfel, aber immerhin. Dafür Häuptling Silberlocke Bremerhaven
en
Buxtehude
nicht fehlen. Was es mit dieser märchenhaften hat Sander im Ortsteil Bergfreiheit Hinweise und die Märchenstraße
Kleidung auf sich hat, kann man aber auch im auf einen Hexenmeister entdeckt, der Apfel-
„Museum der Schwalm“ in Ziegenhain erfahren. bäume verzauberte. Es war einmal ein wackerer Nordhesse, der wurde Bremen
reme
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist Versteckt und verträumt kauert sich das „Häuptling Silberlocke“ genannt. Denn als Land- ICE
die Schönste im ganzen Land?“ Auch wenn es kleine Dorf im Tal der Urff an den Hang des rat im Landkreis Kassel und später als Minister des
nach Rhei
Rhein/
n/RRuhr
den jungen Schwälmerinnen vielleicht nicht 611 Meter hohen Auenbergs. „Das Schnee- Landes hatte er viel zu sagen – und außerdem war
gefällt: Auf diese Frage, das wissen wir, kann wittchendorf im Kellerwald“ prangt stolz sein Haupt mit schneeweißem Haar bedeckt. Eines
es nur eine Antwort geben: „Schneewittchen auf Schildern am Ortseingang. Der Kinder- Tages, man schrieb das Jahr 1973, da reist der
Nienburg
über den Bergen bei den sieben Zwergen.“ garten heißt „Zwergenstübchen“; über eine „Häuptling“ – mit bürgerlichem Namen Herbert Gün-
Doch wo mag das sein? Der Borkener Hei- Wiese spaziert die Königstochter mit ihrem ther – samt Gefolge ins ferne Leningrad. Die Gastgeber füh- Naturpark
Naturpark
Wiehengebirge
nach Ber
Berlin
matforscher Eckhard Sander weist uns den Gefolge der sieben Zwerge, geschaffen von ren ihn auch in eine Volksbücherei und zeigen ihm dort ein S
Steinhuder Meer
Hannover
Weg: Zurück nach Norden geht es, nach der Grebensteiner Künstlerin Karin Bohr- schon arg zerfleddertes Buch: die Kinder- und Hausmärchen
Bad Wildungen. Auf dem Bergkegel über der mann. Denn Schneewittchens Zwerge sol- der Brüder Grimm. Bad Oeynhausen
Hess. Oldendorf
Kurstadt, wo heute das Barockschlösschen len in Wirklichkeit Bergfreiheiter Bergleute Ob ihm schon in Leningrad oder erst daheim die Idee kommt,
Hamelnn
Friedrichstein steht, wurde 1533, so hat er gewesen sein – kleinwüchsig und früh ver- mag dahinstehen. Sicher ist, dass „Häuptling Silberlocke“, der mit
herausgefunden, die wunderschöne Grafen- greist durch die harte Arbeit in den dunk- seinen großartigen Reden das Volk gern auch in Festzelten unterhielt, nach Rhe
Rheiin/
n/R
Ruhr Hämelschenburg
Naturpark
Weserbergland
tochter Margarete von Waldeck geboren. Sie len Stollen des nahen Kupferbergwerks. die Idee kommt, in der ganzen Welt mit den Märchen der Grimms für Bodenwerder
Bod
B od
hatte eine Stiefmutter und wurde im zarten „In dem Häuschen war alles klein, aber deren Heimat Hessen im Allgemeinen und für Nordhessen im Beson- P
Polle

ICE
Kappe – und diese berühmte „Rotkäppchen- Alter von 21 Jahren vergiftet – zwar wohl so zierlich und reinlich, dass es nicht zu >> deren zu werben. Naturpark
Solling-Vogler
Und so geschieht es: Bald wird die Arbeitsgemeinschaft
Fürstenberg
Deutsche Märchenstraße gegründet, 40 Kreise, Städte und Ge-
Wahlsburg
meinden machen mit. Inzwischen sind es mehr als 60 – und Bovenden Ebergötzen
Oberweser
es gibt eine über 600 Kilometer lange Route der Deutschen Trendelburg S a
Sababurg
Reinhardswald nach Nordhausen/
Märchenstraße. Sie führt über Berge und durch Täler von Eisleben/
Eisleben /Halle
Hofgeismar Naturpark
Hanau nach Kassel bis ans Meer zu den Bremer Stadtmu- nach Dortmund
Münden
Immenhausen Hann. Witzenhausen Heilbad
sikanten. Wie auf einer Perlenschnur sind Lebensstationen Naturpark Münden Heiligenstadt
der Brüder Grimm sowie Orte und Landschaften, in denen
Habichtswald
Wolfhagen
Kassel Nieste
Burg Hanstein
Kaufungen Bad Sooden Allendorf
Schauenburg
ihre Märchen tatsächlich beheimatet sind – oder es sein Helsa Grossalmerode
Baunatal
könnten –, zu einem Reiseweg aneinandergereiht. W
Waldeck Niedenstein
Gudensberg berg Hessss
Hessisch Lichtenau
Naturpark
Gewiss: Es gibt viele Ferienstraßen, über 150 schon. Und za
Fritzlar
Meißner-Kaufunger Wald
Bad Wildungen
was es da alles gibt: Eine Glasstraße, eine Hopfenstraße, eine b / f
Homberg/Efze
nachh D
Drresden/Eisena
/ ach

Salz- und eine Schuhstraße, diverse Bier- und Weinstraßen, Knüllwald

sogar eine Totenkopfstraße – und eine Kohlstraße, nicht Schwalmstadt

etwa benannt nach dem ehemaligen Bundeskanzler, son- Lahntal Neustadt Oberaulaa
Schrecksbach
dern nach einem Kohlanbaugebiet hoch im Norden. Willingshausen
Alsfeld
Zum Teil wurden solche Themenstraßen mit hohem Marburg 0 km 10 20 30 km

Aufwand angelegt – und sind doch für die Katz. Jeden- nach Rhe
Rheiin/
n/R
Ruhrr
falls sind viele kaum bekannt. Nachgerade sagenhaft ist Schloss
Eisenbach
Bremen

da der Bekanntheitsgrad der Deutsche Märchenstraße. Herbstein

Sogar die Chinesen kennen sie, die Koreaner und die Rus-

ICE
Abbildungen: Brüder Grimm-Museum Kassel

sen ebenso wie die Amerikaner. Und die Japaner sowieso. Freiensteinau Frankfurt
Hanau
Schlüchtern
In Nordhessen, das ist kein Märchen, liegen die Stationen
der Route dicht an dicht. Da hat Häuptling Silberlocke seine Hände Steinau

nicht im Spiel. Das liegt vielmehr daran, dass die Grimms hier lange Zeit ganz
fabelhaft gewirkt haben. Frankfurt
Naturpark
am Main Entfernungen:
Anne Riedel Hessischer Spessart nach Wür
Würzburg
Hanau
Ha
a Gesamtlänge
mit Abzweigungen ca. 600 km
Frankfurt – Hanau ca. 30 km
nach Mün
München Hanau – Kassel ca. 200 km
www.deutsche-maerchenstrasse.com Kassel – Bremen ca. 300 km
Diese Karte ist nicht maßstabsgerecht.
Tel.: 05 61.92 04 79 10 nach Hei
Heidelberg
12 | magazin aus der mitte
sagen ist“, lesen wir über das Heim der
Zwerge im Märchen. Und in Bergfreiheit ler-
nen wir: In der Bergmannssiedlung hausten
die Arbeiter tatsächlich auf kleinsten Raum.
Gerade einmal 20 Quadratmeter maß die
Grundfläche ihrer „Einzimmerhäuser“. Eines
von ihnen wurde als „Schneewittchenhaus“
restauriert und kann nach Voranmeldung be-
sichtigt werden. Auch die Stollen, in denen
die „Zwerge“ unter Tage schuften mussten,
sind als Besucherbergwerk erhalten.
Gerade will uns satte Zufriedenheit über
die Ergebnisse unserer Spurensuche erfül-
len, da schüttet uns der Märchenforscher
Prof. Heinz Rölleke einen reichlichen Schluck
Wasser in den Wein. Märchen seien grund-
sätzlich „ortlos“, grummelt der Experte, und
alle Lokalisierungsversuche damit „mehr als
fragwürdig“. So leicht wollen wir uns von ihm
zwar nicht entmutigen lassen, gleichwohl
folgen wir gern auch seinem Tipp: „Anders“,
empfiehlt Rölleke nämlich, „steht es mit den
Stätten, die für sich beanspruchen können,
dass hier Beiträge zu Grimms Märchen er-
zählt und aufgezeichnet wurden.“ An zwei
der wichtigsten und originellsten Beiträger
der Grimms erinnert die „Märchenwache“ in
Schauenburg-Breitenbach (s. Seite 28).
Nach einer nur kurzen Fahrt Richtung
Osten gelangen wir nach Baunatal-Rengers-
hausen, wo die Erinnerung an eine besonders
reich sprudelnde Quelle der Grimm’schen Mär-
chensammlung auf ganz andere Weise wach
gehalten wird: Das Brauhaus Knallhütte, wo
die „Märchenfrau“ Dorothea Viehmann einst als
Gastwirtstochter geboren wurde und lebte, lässt
die Erzählerin jeden Samstagnachmittag bei ei-
ner Märchenstunde lebendig werden. Hungrig
und durstig, wie wir von unserer Spurensuche
sind, interessieren wir uns aber erst einmal
mehr für frisch gebrautes „Schwarzes Gold“,
für Bierbratwürste und Brauerbraten. Und dann
erleben wir, dass Märchen in Nordhessen eben
doch wahr sein können: „Tischlein deck dich!“,
rufen wir der Kellnerin zu – und unser Teller
Abbildungen: iStockphoto
füllt sich erneut, ohne dass wir dafür bezah-
len müssten. Der Trick funktioniert zwar nur
einmal. Ein zweiter Nachschlag aber hätte uns
ohnehin überfordert.
Joachim F. Tornau
Informationen & Tipps rund um die Deutsche Märchenstraße
Deutsche Märchenstraße
www.deutsche-maerchenstrasse.de
Grimmheimat Nordhessen
www.nordhessen.de
www.grimmheimat-nordhessen.de
Trendelburg
Tel.: 0 56 75.74 99 18
www.trendelburg.de
Dornröschenschloss Sababurg
Tel.: 0 56 71.80 80
www.sababurg.de
Tierpark Sababurg
Tel.: 0 56 71.7 66 49 90
www.tierpark-sababurg.de
Hessisch Lichtenau und Frau-Holle-Land
Tel.: 0 56 02.80 71 47
www.frau-holle-tor.de
Hoher Meißner
Tel.: 0 56 51.33 19 85
www.naturpark-mkw.de
www.werratal-tourismus.de
Museum der Schwalm, Ziegenhain
Tel.: 0 66 91.38 93
www.museumderschwalm.de
Schwalmstadt
Tel.: 0 66 91.7 12 12
www.schwalm-touristik.de
www.rotkaeppchenland.nordhessen.de
Bad Wildungen
Tel.: 0 56 21.9 65 67 41
www.bad-wildungen.de
Schneewittchendorf Bergfreiheit
Tel.: 0700.07 99 37 43
www.bergfreiheit.de
Brauhaus Knallhütte
Tel.: 05 61.49 20 76
www.brauhaus-knallhuette.de
Grimm’sches Wandern
Wem eine Autofahrt zu modern fürs Mär-
chenland erscheint, kann sich auch zu
Fuß auf die Spuren der Brüder Grimm be-
geben: Im Herbst 2010 wird der „Grimm-
steig“ eröffnet – eine 77 Kilometer lange
Wanderroute von Kassel, der Wahlheimat
der Märchensammler, zum Reich von Frau
Holle am Hohen Meißner. Auf fünf Etappen
führt der Rundkurs, der nach den Qualitäts-
kriterien des Deutschen Wanderverbandes
geplant wurde, durch die abwechslungs-
reiche Landschaft von Söhre und Kaufunger
Wald. Und wer will, kann sich den Einstieg
in den Steig auch von Wanderbegleitern
erleichtern lassen.
www.landkreiskassel.de/aktuell/presse/
archiv/10/10-1617.htm
Märchenlandweg und märchenhaftes Theater
Wer sich gleich auf die Suche nach Spu-
ren der Grimms und ihrer Märchen begeben
möchte, möge dem Märchenlandweg folgen:
In Kassel führt er zu verschiedenen Wohn-
und Arbeitsstätten der Brüder – etwa am
Platz, der schon lange nach den Grimms
benannt ist. Dort steht die Torwache, in der
die Brüder einst wohnten. Im Umland ver-
läuft der Märchenlandweg auf gewundenen
Pfaden rund 400 Kilometer lang durch dichte
Wälder, schöne Täler und hübsche Orte bis
hinauf nach Bad Karlshafen; und in Scheu-
nen, Schlössern, Burgen, Ruinen oder auf
Bergwiesen und bezaubernden Stadtplätzen
entlang dieses Weges steht bis September
Theater der besonderen Art auf dem Plan:
Das Spielraumtheater und das Theater Laku
Paka zeigen „Geschichten von Riesen und
Zwergen“ und andere märchenhafte Stücke.
Präsentiert werden auch „Sinnige und unsin-
nige Tipps aus dem Grimmschen Haushalt“.
www.kassel-land.de | www.nordhessen.de
Unterirdisches Kassel
Nicht märchenhaft, aber sagenhaft un-
heimlich: Im Kalksteinfelsen des Kasseler
Weinbergs verbirgt sich ein ausgedehntes
Stollenlabyrinth. Ursprünglich angelegt zur
magazin aus der mitte | 13
Biereinlagerung und im Zweiten Weltkrieg
zum Luftschutzbunker umgebaut, können
die gespenstischen Gänge heute bei re-
gelmäßigen Führungen besichtigt werden.
Doch nicht nur hier liegt im Kasseler Un-
tergrund eine verborgene zweite Stadt:
Unter dem Motto „Unter Wandern“ führen
verschiedene künstlerische und historische
Stadtspaziergänge in das unterirdische
Reich der Kanäle, Wasserspeicher und Fes-
tungsanlagen – und in die Vergangenheit.
www.unter-wandern.de
Dem Gold auf der Spur
Ob Froschkönig, Rumpelstilzchen oder
Aschenputtel: Was wäre ein Märchen ohne
Schätze und Gold. Gut, dass es davon in
Nordhessen genügend gibt: Der Eisenberg
in Korbach ist die größte Gold-Lagerstätte
in Deutschland. Zwar wurde die Förderung
schon vor fast 400 Jahren aufgegeben.
Doch Besucher können das Goldbergwerk
in der einstigen Bergmannssiedlung Gold-
hausen noch immer erleben. Ausgerüstet
mit Helm, Gummistiefeln und Grubenlampe
geht es fast wie einst hinein in den Berg.
Und draußen führt der Lehrpfad „Goldspur“
zurück in die jahrhundertelange Geschichte
des nordhessischen El Dorado.
www.goldspur-eisenberg.de
Nächtliche Urwald-Abenteuer
Es fällt nicht schwer, sich die uralten Bu-
chen des Kellerwalds als Heimat von Zwer-
gen und Zauberern auszumalen. Aber auch
um die Tiere und Pflanzen des National-
parks ranken sich Märchen und Mythen: Sie
stehen im Mittelpunkt von Erlebnisnäch-
ten, die von der Nationalparkverwaltung für
Kinder ab sieben Jahren angeboten werden.
Zur Dämmerstunde erkunden die jungen
Abenteurer den Wildtierpark in Edertal-
Hemfurth, beobachten Wölfe oder Wasch-
bären und hören spannende Geschichten.
Auch übernachtet wird, wie es sich gehört,
in freier Natur – in Gemeinschaftszelten
rund um ein prasselndes Lagerfeuer.
www.nationalpark-kellerwald-edersee.de
14 | magazin aus der mitte
Die Märchenfrau
Dorothea Viehmann hat den
Grimms viele der heute berühm-
ten Geschichten erzählt
Ein letztes Mal ließen sie noch die Peitsche
knallen, dann hatten die Kutscher mit ih-
ren schwer beladenen Fuhrwerken den lan-
gen Berg vor Kassel geschafft. Jetzt muss-
ten die Pferde Wasser haben, ein bisschen
Hafer und wieder zu Kräften kommen. Auch
die Fuhrmänner konnten es sich auf dem
Berg von Rengershausen gut gehen las-
sen – in der „Knallhütte“, die nach ihren
Peitschenhieben benannt wurde, eigentlich
aber das Wirtshaus „Zum Birkenbaum“ war.
Um 1750 arbeitet dort Friedrich Isaak
Pierson als Wirt. Er hat hugenottische Vor-
fahren. 1755 kommt seine Tochter Doro-
thea zur Welt. Als die Kleine sechs, sieben
Jahre alt ist, fühlt sie sich im Gasthaus
mit den durstigen Bauern, Kaufleuten,
Kutschern, durchziehenden Handwerksbur-
schen und Soldaten aus dem 7-jäh-
rigen Krieg richtig wohl.
In der Schule glänzt
sie, ist fleißig, begreift
schnell, die Hausaufga-
ben werden flott und ak-
kurat erledigt. Als Jahr-
gangsbeste schließt sie
die Schule ab. Sie spricht
und schreibt auch in der
französischen Sprache,
was sie wohl auch
dem Vater zu
Viehmann-Skulptur des afghanischen Künstlers Berahna Massoum, Foto: Brüder Grimm-Museum
verdanken hat, der sich immer noch gern
in der Sprache seiner Väter ausdrückt. So
wächst sie im „Birkenbaum“ auf, redet mit
den Gästen und hört ihre Geschichten.
1777 lernt sie – mit 22 Jahren – den
Schneider Nikolaus Viehmann aus dem
Nachbarort Zwehren kennen. Ob er Gast in
der „Knallhütte“ war? Jedenfalls heiraten
die beiden zügig, finden Platz in ihrem El-
ternhaus. Die Ehe wird mit sieben Kindern
gesegnet.
Bald wird es zu eng im „Birkenbaum“.
Die Viehmanns ziehen in sein Heimatdorf
nach Zwehren nahe Kassel um. Dort ver-
kauft sie auf dem Markt alles, was sie im
eigenen Garten erntet und was man sonst
noch auf dem Lande besorgen kann. Mag
sein, dass auch die Grimms gelegentlich an
ihrem Stand vorbeigeschlendert sind. Sie
lernt sie jedenfalls kennen. Im Jahre 1813.
Und sie weiß eines Tages, dass die
vornehmen und gebildeten Herren gern
Geschichten aus dem Volk hören und sie
sogar sammeln. Da erinnert sich Do-
rothea Viehmann an all das, was sie
so als Kind im Gasthaus des Vaters
gehört hat. Und davon erzählt sie
den Grimms. Die sind entzückt.
Viele ihrer „Märchenzuträger“
kommen aus der gehobenen
Bürgerschaft oder dem niede-
ren Adel. Die „Viehmännin“
nicht. Sie spricht mit Volkes
Stimme. Und genau die
wollen die Herren
gerne hören.
Anzeige
Unsere Region ist reich an Originalen
Es sollen etwa vierzig Erzählungen, Anek-
doten oder Legenden sein, die sie an Jacob
und Wilhelm weitergibt. Und die machen
Märchen daraus, zum Beispiel das von der
Gänsemagd“ oder das vom Teufel und sei-
ner Großmutter.
Die Brüder Grimm haben die Beiträge
ihrer „Märchenfrau“ sehr geschätzt. Im
Vorwort zum zweiten Band ihrer „Kinder-
und Hausmärchen“ bekennen sie, dass der
Zufall ihnen so manche tolle Geschichte in
die Hände gespielt hat: „Einer jener gu-
ten Zufälle war es, daß wir ... eine Bäuerin
kennenlernten, die uns die meisten und
schönsten Märchen des zweiten Bandes er-
zählte. Die alte Frau Viehmann bewahrte
die alten Sagen fest im Gedächtnis und
sagte selbst, daß diese Gabe nicht jedem Die Handschriften der Brüder Grimm, die Gemäldegalerie Alte unserer 410.000 Sortimentspositionen überzeugt mit höchster
verliehen sei. Dabei erzählte sie bedäch- Meister im Schloss Wilhelmshöhe, der seit fast 400 Jahren über Qualität sowie hundertprozentiger Passgenauigkeit. Und sie stehen
tig, sicher und ungemein lebendig, mit ei- der Stadt thronende Herkules und vieles mehr, was Nordhessen unseren kulturellen Originalen bezüglich ihrer weltweiten Be-
genem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, kulturhistorisch zu bieten hat, ist einzigartig. kanntheit in nichts nach. Denn bei Bedarf ist jedes Original Teil
dann, wenn man es wollte, noch einmal Aber auch im technischen Bereich werden in der Region Maß- in kürzester Zeit bei unseren Kunden in mehr als 170 Ländern.
langsam, so daß man ihr mit einiger Übung stäbe gesetzt, zum Beispiel vom Vertrieb Original Teile. Denn jede So sind Original Teile aus Kassel stets in aller Welt präsent.
nachschreiben konnte.“ Und das taten sie
dann gern.
Und wäre Dorothea Viehmann nicht
schon 1815, zwei Jahre nach ihrer ersten
Begegnung mit den Grimms, gestorben –
wer weiß, vielleicht hätte es dann noch
einen dritten Band der Kinder- und Haus-
märchen gegeben. Im Gedächtnis vieler
Menschen wird sie aber ohnehin lebendig
bleiben. Dort, wo sie zuletzt ein eigenes
Häuschen bewohnte, im Kern des Kasse-
ler Stadtteils Niederzwehren entstand ein
kleines Märchenviertel mit dem Märchen-
weg, dem Däumling, dem Sterntalerweg,
dem Dornröschenpfad und der Dorothe-
Viehmann-Straße.
Straßen mit ihrem Namen gibt es auch
in anderen Städten, Denkmale wurden ihr
gesetzt. Mit Steinen und mit Worten. Denn
sie hat den gelehrten Grimms mit ihren Ge-
schichten den Stoff für ein Stück „mär-
chenhafter“ Weltliteratur geschenkt.
Gut, dass sie’s tat.
Rainer Schumann
16 | magazin aus der mitte
Als das Wünschen
noch geholfen hat …
Prominente aus Nordhessen und ihre Märchen
Hans Eichel, ehemaliger Ministerpräsident des
Landes Hessen und ehemaliger Bundesfinanz-
minister
Mir gefällt Aschenputtel sehr gut: Die Geschich-
te zeigt, dass Schönheit und Tugend an keinen
Stand gebunden sind. Außerdem ist es ein Mär-
chen von einem sozialen Aufstieg!
Bernd Gieseking, Kabarettist
Sterntaler: Ein Mädchen, arm, Waise, das trotz-
dem selbstlos anderen hilft, ohne etwas zu erwar-
ten. Belohnt wird ein solches Verhalten im wahren
Leben nicht unbedingt durch märchenhafte Stern-
taler. Das Märchen ist für mich eine der aktuellsten
und schönsten Parabeln menschlichen Seins.
Bertram Hilgen, Oberbürgermeister der Stadt
Kassel
Der Fischer und seine Frau ist ein lehrreiches
Märchen; das zeigt: Maßlosigkeit und über-
mäßige Gier führen dazu, unter Umständen
alles zu verlieren.
Dr. Margot Käßmann, ehemalige Landes-
bischöfin und Ratsvorsitzende der EKD
Die Bremer Stadtmusikanten: Vier Tiere, die
angeblich zu nichts mehr nutze sind und gar
nicht zusammenpassen, Hahn, Katze, Hund
und Esel, tun sich zusammen und schaffen in
einer schier aussichtslosen Lage einen Neuan-
fang – Gemeinschaft lohnt sich! (Anmerkung
der Redaktion: Diesen Text bekamen wir von
Dr. Käßmann bereits Ende Januar 2010)
Eva Kühne-Hörmann, Ministerin für Wissen-
schaft und Kunst des Landes Hessen
Rapunzel: Es ist eine wunderbare Geschichte
über die Macht und die Kraft der Liebe.
Dr. Reinhard Kubat, Landrat des Kreises Wal-
deck-Frankenberg
Sterntaler. Ich mag dieses Märchen sehr, weil
hier das Gute belohnt wird – wie natürlich
in den meisten Märchen – und weil mich als
Landrat die Vorstellung fasziniert, es könnte
einmal Gold vom Himmel regnen. Das würde
uns über so manches Problem hinweghelfen.
Hubertus Meyer-Burckhardt, Produzent und
Gastgeber der NDR-Talkshow
Mark Twains Roman Der Prinz und der Bettel-
knabe gehörte als Kind zu meiner Lieblings-
literatur. Zwei Jungs vertauschen die Rollen
und schlüpfen in das Leben des jeweils Ande-
ren. Was kann mehr faszinieren?
Frank-Martin Neupärtl, Landrat des Schwalm-
Eder-Kreises
Rotkäppchen, denn ich verbinde diese Mär-
chenfigur mit unserer Kultur- und Trachtentra-
dition der Schwalm, sie ist für mich das „Rot-
käppchenland“.
magazin aus der mitte | 17
Dieter Posch, Minister für Wirtschaft und Ver-
kehr des Landes Hessen
Der gestiefelte Kater: Mit List und Tatkraft
nutzt er seine Chancen und gewinnt dem armen
Müllerssohn ein Vermögen. Alles, was er dafür
braucht, sind die Stiefel, die ihm sein Herr be-
zahlt – sozusagen ein Mikrokredit, wie er ja
heute sehr aktuell ist. Und für den Müllers-
sohn ein Investment, das sich voll auszahlt. So
etwas nennt man heute Win-Win-Situation.
Stefan Reuß, Landrat des Werra-Meißner-
Kreises
Frau Holle ist mein Lieblingsmärchen. Wenn man
wie ich am Fuße des Meißners aufgewachsen ist,
dann hat man eine ganz besondere Beziehung
zum romantischen und geheimnisvollen Heimat-
berg der Frau Holle und der Märchengeschichte.
Holger Schach, Geschäftsführer des Regional-
mangements Nordhessen
Sechse kommen durch die ganze Welt ist ein
wunderschönes Beispiel dafür, welche mär-
chenhaften Ergebnisse durch eine Zusammen-
arbeit und Bündelung unterschiedlicher Stär-
ken und Kompetenzen möglich sind.
Dr. Karl-Ernst Schmidt, Landrat des Kreises
Hersfeld-Rotenburg
Rotkäppchen passt sehr gut in unsere Zeit:
Soziales Engagement eines jungen Menschen für
eine kranke alte einsame Frau, Bedrohung durch
soziale Kälte und Gier und die Errettung durch
einen Jäger als Sinnbild für Mitmenschlichkeit
und mutiges Handeln für Hilfebedürftige.
Uwe Schmidt, Landrat des Landkreises Kassel
Rumpelstilzchen ist das Märchen meines Wohn-
ortes Helsa und die Märchenfigur erinnert mich
immer daran, dass man Stroh zu Gold spinnen
kann und dass es besser ist, in Stresssituati-
onen ruhig zu bleiben.
Brigitte Zypries, ehemalige Bundes-Justizmi-
nisterin
Abbildung: Brüder Grimm-Museum Kassel
Aschenbrödel in der Version Drei Haselnüsse
für Aschenbrödel. Ich mag emanzipierte,
mutige Mädchen.
18 | magazin aus der mitte magazin aus der mitte | 19

Märchen daher folgenden rechtfertigenden
Schlusssatz hinzugefügt: „Der Herr Korbes
muss ein recht böser Mann gewesen sein.“
Aus der Erzählung selbst geht solches
nicht hervor.
Die „Moral von der Geschicht“ ist ein
Ingrediens, das die Grimms vielen Märchen
Weise „kinderstubentauglich“. Ein gefres-
senes Mädchen, so befanden sie wohl, sei
der zarten Kinderseele nicht zuzumuten.
Eine gefressene Maus schon eher. So erklärt
sich, warum die Tiermärchen weit seltener
dem moralisierenden Eingriff der Märchen-
sammler ausgesetzt waren als diejenigen
Faulste sei würdig, sein Nachfolger zu
werden. Den abstrusen Faulheitsbekennt-
nissen seiner Brüder setzt der dritte Sohn
dann mit dem allerabstrusesten buch-
stäblich die Krone auf: „Vater, das Reich
ist mein, denn ich bin so faul, sollt ich
aufgehängt werden, und hätte den Strick

Vom Triumph erst im Nachhinein beigefügt haben. Bei-

spiel Rotkäppchen: Nicht von Anfang an
durfte sich das Kind mit der Titel gebenden
mit menschlichen Protagonisten.
Es gibt allerdings auch ein Märchen,
das seit der Erstauflage unredigiert das
schon um den Hals, und einer gäbe mir ein
scharfes Messer in die Hand, damit ich den
Strick zerschneiden dürfte, so ließ ich mich

des Bösen Mütze über seine Befreiung aus dem Wolfs-

wanst freuen. Bei Charles Perrault, einem
Zeitgenossen des Sonnenkönigs, von dem
die erste Niederschrift stammt, bleibt es
samt Großmutter Nahrung des Raubtiers.
Die Brüder, denen es von Johanna Hassen-
pflug zugetragen wurde, reinigten es von zu
grausamen, zu sexuellen und zu tragischen
Komponenten und machten es auf diese
Loblied des Müßiggangs singt, sprich-
wörtlich ja aller Laster Anfang. Es heißt
„Die drei Faulen“ und handelt von einem
sterbenden König, der sich unschlüssig ist,
welchem seiner drei Söhne er sein Reich
vererben soll. Ein Motiv, das in der Samm-
lung öfter vorkommt.
Ungewöhnlich aber ist das Kriterium,
das der Erblasser in den Raum stellt: Der
eher aufhenken, ehe ich meine Hand erhü-
be zum Strick.“ Dass das nicht zu toppen
ist, liegt auf der Hand.
Der weltmeisterliche Faulpelz wird
König – ein Schlag ins Gesicht protestan-
tischer Arbeitsethik, ein Lob der Fantasie.
Wer den Grimms dieses Märchen wohl er-
zählt hat?
Verena Joos

Anzeige

Nicht alle Märchen der Grimm-

Sammlung gehorchen der Logik
der Moral
Durch Nacht zum Licht: Die Route, welche
fast allen ProtagonistInnen der Grimm-
schen Märchensammlung bevorsteht. Dabei
gilt: Je grausamer die Schmähungen, je
härter die Prüfungen, denen die im Regel-
fall moralisch untadeligen Titelfiguren aus-
gesetzt sind, desto glanzvoller das Happy
End. Schneewittchen, wiederholt an Leib
und Leben bedroht, bekommt den Prinzen,
die unermüdlich Frau Holles Betten schüt-
telnde und Äpfel erntende Marie immerhin
noch einen Haufen Gold. Die Bösen aber,
die vorher triumphierten, hauchen ihr
ruchloses Leben im Backofen schmorend,
auf glühenden Kohlen tanzend, am Galgen
baumelnd oder im Meer ersaufend aus. Treu
und Redlichkeit lohnen sich am Ende doch,
lautet das Motto, das diesen Geschichten
zugrunde liegt.
Doch nicht alle Märchen der Grimm-
Sammlung gehorchen dieser Logik der
Moral. Es gibt auch einige, in denen sich
Redlichkeit keineswegs rechnet, ganz im
Gegenteil.
Katze und Maus in Gesellschaft ist
eines jener „unkorrekten“ Exemplare, in
den „Kinder- und Hausmärchen“ seit der
Erstauflage von 1812 enthalten. Vermutlich
stammt es von der Kasseler Apothekers-
tochter Gretchen Wild, wie ihre Schwester
Dorothea, die sich 1819 Wilhelm Grimm
anvermählen wird, eine begabte Märchen-
erzählerin. Es handelt von der Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft zweier Tiere, die
auf der Treuherzigkeit des schwächeren
und der Abgefeimtheit des stärkeren
beruht – und nur so lange Bestand hat, wie
der Raubbau der Katze an den gemeinsam
erwirtschafteten Wintervorräten geheim
bleibt. Denn als die Maus, des Betrugs
ansichtig geworden, ihrer Wohngenossin
Vorwürfe macht, erntet sie keineswegs
Reue. Kaum hat sie ihre Anklage ausfor-
muliert, landet sie im Maul, schließlich im
Magen der Katze. „Siehst du, so gehts zu
auf der Welt“, schließt das Märchen, das
sich, verblüffend modern, als lakonischer
Kommentar zu den Mechanismen der freien
ACH WIE GUT, DASS JEDER WEISS,
Marktwirtschaft lesen ließe: Die Stärkeren
fressen die Schwächeren.
Die Katz-und-Maus-Geschiche ist kein
Solitär; die Grimms berichten über eine eben-
falls hessische Abwandlung mit Hähnchen
und Hühnchen – zwei Tiere, die im Märchen- ... dass Erholung
schatz öfter auch als Protagonisten einer
anderen Variante unkorrekter Erzählungen
Kurhessen Therme
auftauchen. Diese handeln von der krimi- heißt.
nellen Energie gewisser heimatloser „So-
zialschmarotzer“, welche die Gutmütigkeit
oder Ahnungslosigkeit ihrer Quartiergeber
schamlos ausnützen – zeitloses Propaganda-
material für das „gesunde Volksempfinden“.
Das Lumpengesindel, ein Fundstück aus der
Paderborner Gegend, und Herr Korbes, das in
den Familien Wild und Hassenpflug erzählt
wurde, fallen in diese Kategorie. Letzterer
muss bei der ungebetenen Invasion des Hüh-
nerpaars gar sein Leben lassen – ein allzu
hartes Los für einen unschuldigen Menschen,
wie Wilhelm Grimm wohl später befunden
4XHOOHGHU(UKROXQJ
hat. In der Ausgabe von 1840 hat er dem

'DKOPHLHU
:LOKHOPVK|KHU$OOHHā.DVVHOā7lJOLFKELV8KUXQG0LWWZRFK)UHLWDJ6DPVWDJELV8KUāNXUKHVVHQWKHUPHGH
20 | magazin aus der mitte
Die Märchenerzählerin
Andrea C. Ortolano, ihre Zuhörer und
die Kraft der Märchen
Bequem zurückgelehnt im Ohrensessel, um
die Schultern ein wollenes Tuch gewickelt,
das Haar zu einem Knoten hochgesteckt.
Das gütige Gesicht von einem Lächeln er-
hellt, liebevoll um sich blickend, den ge-
bannt lauschenden Zuhörern vorlesend,
aus einem dicken Märchenbuch, das auf
den Knien ruht.
Bei dieser Beschreibung lacht Andrea
C. Ortolano laut auf, denn obwohl sie sich
seit 20 Jahren mit Leib und Seele den Mär-
chen verschrieben hat und als Märchener-
zählerin arbeitet: Dem Klischee einer Mär-
chenfrau entspricht sie nicht. Mit langen
blonden Haaren, leuchtend blauen Augen
und rot geschminkten Lippen sowieso mehr
Märchenfee als Märchenfrau, liest sie auch
niemals vor.
Unterhaltungskünstlerin will sie sein.
Keine Dorothea Viehmann – von ihr be-
wunderte, begnadete Erzählerin, die den
Grimms den Märchenstoff lieferte. Eine
unglaublich begabte Frau sei die Viehmän-
nin gewesen, mit unvergleichlicher Erzähl-
kunst, sagt Andrea C. Ortolano. Sie selbst
aber spielt die Märchen lieber, spielt mit
ihnen, erlebt sie immer neu mit ihrem Pu-
blikum.
„Früher bin ich den Kerlen im Publikum
als Prinzessin in die Arme gesprungen“, er-
zählt sie begeistert. „Ich bin auf Rücken
aufgestiegen und hab mir meine Prinzen
ausgesucht.“ Mittlerweile lässt sie es etwas
ruhiger angehen.
„Ich liebe dich – du bist die Märchen-
fee“, hat ihr ein pubertierender Teenager
nach einem Märchen-Workshop einmal zu-
gerufen; und „Ich war dein Prinz“, rief einer
ihrer zufälligen Mitspieler in der Kasseler
Fußgängerzone. Für ihr Publikum ist sie
gute Fee, Prinzessin, Hexe, König oder
Rumpelstilzchen. Ein Kostüm pro Abend
ist ihr nicht genug, jedes Märchen ver-
langt nach einem anderen Outfit. Illusion
steht ganz oben und darf nicht zerstört
Foto: Carsten Herwig
werden. Der Zauber, den die Märchen brin-
gen, muss bleiben. „Glücklich bis ans Ende
ihrer Tage“, so sollen sich ihre Zuschauer
fühlen.
Sie schreibt den Märchen eine beson-
dere Kraft zu: Wer nur oft genug Sterntaler
vorgelesen bekommt – die Geschichte vom
kleinen Mädchen, das alles gab, bis es sel-
ber nichts mehr hatte „außer dem Hemd-
chen, das es am Leibe trug“ –, wird auch
das Geben und Teilen lernen. Märchenvor-
lesen als Heilmittel für eine bessere Welt,
für mehr Gerechtigkeit? Könnte man da
nicht Märchenstunden etwa für allzu gierige
Menschen einführen? Das ist wohl doch zu
schön, um wahr zu sein, das muss auch die
Märchenfrau zugeben.
Da setzt sie mit der Kraft der Märchen
lieber an anderer Stelle an. Das Wasser des
Lebens aus dem Märchenschatz der Grimms
sei zum Beispiel wie gemacht, um die
Zusammenarbeit von Firmenmitarbeitern
zu verbessern, versichert sie. Zur Rettung
des siechen Königs muss der Hofstaat
Foto: Carsten Herwig
zusammenhalten, Probleme lösen und
Widerstände überwinden, um das Was-
ser des Lebens zu finden. Es gilt, Verlo-
ckungen zu widerstehen und Eitelkeiten
zu vernachlässigen. Ideal für Kollegen,
findet Andrea C. Ortolano. Dem Rollenspiel
voran stellt sie immer eine Lektion über
die Brüder Grimm: Genies der Sprache sind
die Brüder Wilhelm und Jakob für sie, Aus-
nahmetalente und faszinierende Persön-
lichkeiten. Ihre gesammelten Geschichten
lehrreich und vielfältig.
Und auch ihr jüngstes Märchenpro-
jekt nährt sich aus der bewährten Quelle.
Erotische Märchen. Ganz schön schwierig
sei das am Anfang gewesen, versichert
Märchenfrau Ortolano. Und dass es ausge-
rechnet ihr Pfarrer war, der ihr das erste
erotische Märchen der Grimms erzählte,
das freut sie besonders. Im Märchen sucht
ein in einen Fuchs verwandelter Prinz, die
Königstochter für sich zu gewinnen. „Hur-
leburlebutz! Setz’ dich auf meinen rauen
Schwanz.“ Auf dem Rücken des Fuchses
geht es dann mit der Königstochter in den
Wald, wo sich der Fuchs zunächst in ein
„kleines, weißes Männlein“ und später in
den ersehnten Prinzen verwandelt. Natür-
lich leben beide von Stund an glücklich
und zufrieden bis ans Lebensende „und“,
so fügt Andrea C. Ortolano noch hinzu,
„in mancher Nacht hört man noch heute
den Prinzen zu seiner Gemahlin sagen:
Hurleburlebutz! ...“ Niemals käme es ihr
in den Sinn, Zweideutiges eindeutig aus-
magazin aus der mitte | 21
Die Märchenerzählerin
Andrea Charlotte Ortolano hat Märchen zu
ihrem Beruf gemacht, als sie vor rund 20
Jahren für die Organisation des Kasseler Mär-
chenweihnachtsmarktes zuständig war. Da
gab es nicht genug Künstler, die auftreten
Foto: Spielraumtheater/Andreas Fischer
wollten, also schlüpfte sie kurzerhand in die
Rolle Dornröschens und berichtete aus deren
100-jährigem Schlaf. Das Auftreten fällt ihr
nicht schwer, denn als Tochter eines Kasseler
Opernsängers ist sie auf der Bühne großge-
worden, liebt das Rampenlicht und beglückt
bereits als kleines Mädchen Freunde mit
Vorführungen. Doch Schauspielerin wird sie
nicht. Stattdessen Konferenz-Dolmetscherin
zusprechen. Es reicht ihr, Bilder im Kopf – vier Sprachen fließend. Nach mehreren
hervorzurufen, zu spielen, die Fantasie der Jahren in den USA kehrt Andrea C. Ortolano
Zuhörer treibt dann von selbst Blüten. Und in ihre Heimatstadt zurück, arbeitet dort als
so kommt auch die Geschichte vom wun- Stadtführerin, Assistentin für die Märchen-
derschönen armen Mädchen mit der Flö- straße und für den Weihnachtsmarkt. Mittler-
te, die den todkranken Königssohn durch weile erzählt sie Märchen oder schlüpft bis-
ihr gekonntes Flötenblasen wieder zum weilen in die Rolle der Charlotte von Stein an
Leben erweckt, ohne zweideutiges Voka- Goethes Seite, spielt die Hofdame Charlotte
bular aus. vom Hofe Friedrichs III. oder jene Charlotte
Dagmar Buth-Parvaresh von Lengefeld, die sich in Schiller verliebt.
Des tapferen Schneiderleins persischer Bruder
Fast jeder kennt das Märchen vom tapferen dank seiner Kraft siegreich ist, laufen die
Schneiderlein, das sieben Fliegen „auf einen Riesen am Ende erschrocken davon.
Streich“ tötet, hernach selbstbewusst hinaus- In der märchenhaften Geschichte vom
zieht in die Welt. Er gilt fortan als tapferer schlauen Perser taucht ebenfalls ein dämo-
und vor allem kräftiger Kämpfer. Denn alle nischer Riese auf. Er versucht, den per-
denken, er habe sieben Menschen auf einen sischen Kaufmann mit sieben Knüppelhieben
Streich erschlagen. im Schlaf zu töten. Der freilich hatte sein
Das Schneiderlein hat einen persischen Nachtlager präpariert und sich versteckt. Als
Bruder, den hierzulande kaum jemand kennt: der Perser am Morgen prahlt, ihn hätten sie-
einen Kaufmann, der sich – ebenfalls von ben lästige Flügelschläge im Schlaf gestört,
sich überzeugt – auf die Reise durch ein erstarrt auch dieser Riese in Ehrfurcht vor der
gefährliches Dämonental begibt. vermeintlichen Stärke des Kaufmanns. Dieser
Beide begegnen auf ihren Wegen miss- lebt fortan vergnügt – und wird steinreich,
gelaunten Riesen, die sie nicht mit ihrer ver- so die Legende von „Amin und dem Dämon“.
meintlichen Stärke, wohl aber durch List und Auch die Geschichte vom tapferen Schnei-
Tücke beim Kräftemessen besiegen. derlein hat ein märchenhaftes Ende: Weil er mit
Der Schneider quetscht ein Stück wei- List und Tücke viele Aufgaben löst, bekommt
chen Käse aus und macht dem Riesen weis, er am Ende als „Lohn“ des Königs Tochter. Und
es sei ein großer Stein. Die Riesen staunen wenn er nicht gestorben ist, dann schwindelt
ehrfürchtig. Und weil das tapfere Schneider- er sich heute noch durch die Welt.
lein auch in anderen Wettkämpfen scheinbar db/red.
22 | magazin aus der mitte
DAS INTERVIEW
Von Träumen und
unersättlichem Wünschen
Der Erziehungswissenschaftler
Prof. Dr. Rudolf Messner über
Märchen, deren Spuren, Wirkung
und tieferen Sinn
Magazin: Wann, Herr Prof. Messner, haben
Sie das letzte Mal ein Märchen gelesen?
Messner: Gelesen habe ich zuletzt wieder
einmal das Singende springende Löwen-
eckerchen der Brüder Grimm. Es ist ein wun-
derbares Märchen für Erwachsene. Auf den
ersten Blick scheint es der männlichen Domi-
nanz zu schmeicheln, weil die frisch ange-
traute Frau ihrem verwunschenen Ehegatten
in unverbrüchlicher Liebe bis ans Ende der
Welt folgt. Aber die Frau ist es, die sich auf
ihrer unendlich langen Wanderung als die
Starke erweist. Sie erlöst ihren Mann aus allen
Verwirrungen und rettet ihre Beziehung.
Magazin: Sie lesen bisweilen auch Ihren
Nichten Märchen vor ...
Messner: ... zuletzt Des Kaisers neue Kleider
von Andersen. Die Kinder verstehen gut, wie
da zwei Betrüger eine ganze Stadt und auch
den Kaiser täuschen, indem sie so tun, als
fertigten sie herrliche Kleider an, die für alle
unsichtbar blieben, die dumm seien. Nackt
führt der Kaiser eine Prozession an. Bis
schließlich ein unschuldiges Kind ruft: „Aber
er hat ja gar nichts an!“ Ich muss dabei an
Banker denken, die die wunderbare Geld-
vermehrung ohne Arbeit verkündigt haben,
oder an manche Politiker, die vor Wahlen
das Blaue vom Himmel versprechen. Aber:
Sie haben ja gar nichts an!
Magazin: Sie haben sich als Erziehungswis-
senschaftler viel mit Märchen, ihrer Bedeu-
tung und ihrer Wirkung befasst. Erschließt
sich da noch ein tieferer Sinn?
Messner: Ja, in Des Kaisers neue Kleider bei-
spielsweise steckt ein Stück philosophische
Weisheit. Sie erschließt sich erst Älteren,
die schon zwischen Schein und wahrem Sein
unterscheiden können.
Magazin: Sie sagen, Märchendeutungen
seien etwas für Erwachsene und Fachleute,
Kinder sollte man mit gelehrten Interpreta-
tionen in Ruhe lassen.
Messner: Das Wunderbare der Märchen ist,
dass Kinder sie ganz ohne Deutung verste-
hen können. Durch Deutungen, die Erwach-
senen helfen können, wird Kindern der Sinn
der Märchen verstellt. Mit Kindern sollte
man nur darüber sprechen, was sie selbst an
einem Märchen gut und schlecht, spannend
und tröstlich finden und welche Personen
und Ereignisse sie besonders – und warum –
angesprochen haben. Und: Märchen können
für Kinder ermutigende Geschichten sein, die
sie mit ihren Träumen, Ängsten und Hoff-
nungen nicht allein lassen. Sie vermitteln
ihnen die Sinnbotschaft, dass man – wenn
man sich selbst um das Gute bemüht – nicht
ohne Hilfe bleibt und zu einem guten Ende
gelangen kann.
Magazin: Märchen haben den Deutungseifer
von Psychologen, Pädagogen und anderen
genährt, zum Teil gab es auch abstruse Deu-
tungen.
Messner: In der Tat. Was hat man zum
Beispiel nicht alles in die rote Kopfbede-
ckung des Rotkäppchens hineingeheim-
nisst. Bald sah man darin die Morgenröte
eines neuen Germanentums aufgehen,
bald erblickte man in ihm eine kindliche
Obsession für die Farbe Rot, bald die Mütze
der Französischen Revolution. Dabei kommt
die rote Kappe in den ältesten Versionen
gar nicht vor.
Auch psychoanalytische Deutungen der
Märchen – ob nach Freud oder Jung –, so interes-
sant sie sind, erwecken manchmal den
Anschein, als seien Märchen nach den Lehr-
büchern der Psychologie geschrieben.
Magazin: In den 70er Jahren waren vor
allem Kinderpsychologen mit Blick auf Mord
und Totschlag in den Märchen in Aufruhr.
Messner: In einem meiner Märchenge-
spräche stellte ich der 10-jährigen hochin-
telligenten, realistisch denkenden und ein-
fühlsamen Daria die Frage, ob sie es nicht
grausam findet, dass Gretel die Hexe in den
Ofen stößt und dadurch mindestens einen
Totschlag begeht. Sie antwortete zu meiner
Verblüffung, sie fände das nicht grausam,
die Hexe hätte nichts anderes verdient. Ich
erwiderte: Wäre es nicht menschlicher ge-
wesen, die Hexe einzusperren, von mir aus
lebenslang? Nein, sagte Daria, dann hätte
sie sich ja befreien können.
Magazin: Wo ist für Sie die Logik der Mär-
chengrausamkeit, von Mord und Totschlag?
Messner: Es geht um das Böse, und das
Böse muss vernichtet werden, damit das
Gute siegen kann. Genauer gesagt, es muss
aus der Welt verschwinden, eigentlich ist
dies ein magischer Vorgang. Deshalb darf
Grausamkeit in Märchenlesungen und -spie-
len nicht aggressiv zur Schau gestellt wer-
den. Der magisch-beschwörende Charakter,
der auf die Wiederherstellung der guten Ord-
nung zielt, muss gewahrt bleiben.
Magazin: Sie sagen, dass wir Spuren von
Märchen in uns haben und uns deshalb
an viele Szenen und Dialoge erinnern wie
„Knusper, knusper, knäuschen ...“
Messner: ... das sind Erinnerungsspuren,
die wir unbewusst im Durchleben der Mär-
chen in unserer Kindheit erworben haben.
Sie haben sich tief – mit lebensprägendem
Nachdruck – in uns eingegraben. Als war-
nende Sinnbilder, beispielsweise für die
Gefahren mörderischer Selbstverliebtheit
(„Spieglein, Spieglein ...“) oder betrüge-
rischer Inbesitznahme („Rucke di guh, Blut
im Schuh ...“).
Magazin: Manche mögen es nicht hören:
Aber die angeblich „deutschen“ Märchen ha-
ben ja oft französische oder andere Wurzeln.
Messner: Das bezeichnendste Beispiel sind
die „urhessischen“ Märchen von Dorothea
Viehmann, der „Märchenfrau“ aus Zwehren,
die den Brüdern Grimm fast 40 Märchen-
texte geliefert hat. Sie stammte aus einer
hugenottischen Familie. Viele ihrer Märchen
haben in der Tat französische Ursprünge.
Sie wurden durch die Grimms sosehr „einge-
meindet“, dass sie weltweit mit Hessen und
Kassel identifiziert werden.
magazin aus der mitte | 23
Magazin: Wo auch immer ihre Wurzeln sind:
Erklären sie uns den sagenhaften Erfolg von
Märchen, weltweit!
Messner: Ein Tor, wer glauben würde, er
könnte einen solchen Erfolg – das meist-
gelesene Buch nach der Bibel, wenn ich
nicht irre – vollständig erklären. Anfüh-
ren könnte man zur Erklärung, dass sich
in den Märchen jahrhunderte-, ja jahrtau-
sendealte Weisheit erzählerisch verdichtet
hat, die Antworten auf die existentiellen
Probleme von uns Menschen gibt. Dies un-
ter Berücksichtigung der gegensätzlichen
Spannungen, in der wir sie erleben: als
Liebe und Hass, Jungsein und Altwerden,
Vereinigung und Trennung, Reichtum und
Armut, Tugend und Sündhaftigkeit, Macht
und Ohnmacht, Kleinheit und Größe, Ver-
zweiflung und Hoffnung.
Magazin: Sie sagen sinngemäß: Die Fantasie
wächst, wenn es viele unerfüllte Wünsche in
der Realität gibt. Heißt das: In schlechten
Zeiten träumen die Menschen mehr?
Messner: Wir träumen immer, und im Grun-
de sind unsere Wünsche unersättlich. Glück-
licherweise, denn ohne weiterdrängendes
Wünschen gäbe es keine Realität und ohne
Fantasie kein Menschsein. Wir dürfen nur –
wie die gegenwärtige Politik trefflich zeigt –
durch unser Wünschen nicht den Sinn für die
Realität verlieren. In Notzeiten mag uns das
Wünschen und Träumen den Kontakt zum
besseren Leben bewahren.
24 | magazin aus der mitte
Magazin: Liebe und Hass, Dummheit und
Klugheit, es gibt fast immer diese Gegen-
sätze in den Märchen. Warum?
Messner: Märchen haben etwas Archaisches,
Frühes. Und ihre Weltsicht entspricht eben-
falls frühen Stadien der Menschheit und der
individuellen Entwicklung. Typisch dafür ist,
dass die Realität jeweils in den erwähnten
polaren Gegensätzen geordnet wird, also in
gut/böse, schön/hässlich, schwarz/weiß.
Dazwischen gibt es nichts, keine Grautö-
ne, Halbintelligenzen, Notlügen. Der Sinn?
Meine Vermutung wäre, dass wir dadurch
die Ordnung der Welt erlernen, ehe wir Zwi-
schentöne ertragen.
Magazin: Was ist mit den moralischen Im-
plikationen solcher Märchen? Nur wer alles
erleidet, devot, fleißig, herzensgut ist, wird
den Prinzen bekommen (Aschenputtel) ...
oder nur wer sein letztes Hemd für andere
gibt, wird glücklich bis ans Ende seiner Tage
(Sterntaler). Alles total unrealistisch.
Messner: Ja, so lautet die schwarz-weiße
Märchenmoral. Aber, jedes Kind weiß auch,
das sind nur Geschichten. Außerdem: Mär-
chen sind auch Mutmachergeschichten (der
Tugendhafte wird belohnt) und Wunscher-
füllungserzählungen (gutes Ende).
Magazin: Was unterscheidet in dieser Hin-
sicht das Märchen vom Aschenputtel von
einem x-beliebigen 3-Groschen-Roman, in
dem die brave, hübsche Krankenschwester,
durch Intrigen der Kollegen gequält, dann
doch am Ende glücklich in den Armen des
Chefarztes liegt?
Messner: Das Happy End haben beide ge-
meinsam. Der Unterschied liegt darin, dass
die Schwarzwaldklinik-Geschichten – die
ich übrigens nicht negativ bewerten würde
– „Märchen“ in der Flächigkeit des Alltags
sind (und insofern etwas Unwahres an sich
haben). Die richtigen Märchen sind demge-
genüber Erzählungen, die Probleme in sym-
bolischer Weise mit existentiellem Tiefgang
in der Spannung zwischen Diesseits und
Jenseits behandeln. Sie leuchten hinter die
Oberfläche des Alltags.
Magazin: Den Anspruch hatten die Grimms:
Wilhelm sah in den Märchen „ein großes al-
les umfassendes Bild der deutschen Vorzeit,
von den größten Heldenthaten und Kriegen
bis zum häuslichen Leben herab“.
Messner: „Deutsche Vorzeit“, „größte Hel-
dentaten“ und „Kriege“, das klingt alles
etwas überhöht und schuldet sich der Zeit,
als Deutschland in der Konkurrenz mit der
französisch- und englischsprechenden Welt
um seine nationale Identität und die Ver-
gewisserung der eigenen Geschichte noch
sehr gerungen hat. Die Alltagssprache am
Tisch des Kasseler Regierungspräsidenten zu
Grimms Zeiten war Französisch.
Magazin: Iring Fetscher hat Märchen umge-
schrieben, da wurde aus den Bremer Stadt-
musikanten „Die erste Hausbesetzung durch
ein Rentnerkollektiv“. In den Hauptrollen:
Ein Lagerarbeiter, ein Landjäger, eine Hure
und ein Tenor. Gefallen Ihnen derartige Par-
odien?
Messner: Ausgezeichnet. Sie sind der Be-
weis, dass die Märchen leben. Dazu eine ei-
gene Anekdote: Ein 12-jähriger Schüler hat
folgende Darstellung der Bremer Stadtmusi-
kanten gezeichnet: zuunterst ein stattliches
Schwein, darüber ein Hase, darauf ein Fisch
und als krönenden Abschluss zuoberst ein
großer Schmetterling. Ich frage ihn: Was
soll das sein? Antwort: Bremer Stadtmusi-
kanten, B-Mannschaft.
Magazin: Bleiben wir noch bei Fetscher: Aus
Hänsel und Gretel werden bei ihm jugendli-
che Kriminelle aus dem verarmten Kleinbür-
gertum, die eine alte Frau diffamieren und
sie umbringen, um an ihr Geld zu kommen.
Eine perfide Abwandlung?
Messner: Nein, Iring Fetscher beschreibt im
Märchen-Verwirrbuch trefflich die „Oberflä-
chengeschichte“ von Hänsel und Gretel. Es
ist tatsächlich eine Schundgeschichte über
verarmte Kleinhäusler, die mit krimineller
Energie ihre Kinder aussetzen und auch
diese zu Kriminellen werden lassen.
Magazin: Soweit die vordergründige Be-
trachtung. Und jetzt bitte die tiefsinnige.
Messner: Unter der Oberfläche besitzt Hän-
sel und Gretel – das ist das Wunder eines ge-
lungenen Märchens – in der Tat eine „sym-
bolische Tiefengeschichte“. Jeder Gutwillige
spürt, dass die Holzhackergeschichte nicht
das ganze Märchen ist, sondern dass es in
seiner Tiefe um Ablösung von den Eltern
geht und die gewaltigen Trennungsängste,
die dabei freigesetzt werden, auch um das
Ringen um die eigene Selbstständigkeit.
Magazin: Am Ende haben wir noch eine
ganz persönliche Frage: Stimmt es, dass Sie
eine heimliche Obsession für Kuscheltier-
automaten an Autobahnraststätten haben?
Messner: Leider muss ich sagen „hatte“,
weil es solche Automaten kaum mehr gibt.
Ich sehe darin etwas – wir reden ja über
Märchen –, was auch in meiner Beziehung
zu diesen zum Ausdruck kommt: Das Kind in
Es gibt Regionen, die wären gern Heimat der bekanntesten
mir ist lebendig geblieben. Nachdem ich es Deutschen. Und es gibt die GrimmHeimat NordHessen.
am Beginn meiner Karriere verdrängt habe,
bekenne ich mich jetzt umso lieber zu ihm
Ihr Werk und Wirken haben die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm zu den wohl bekanntesten
als ein Stück Vergangenheit, das untrennbar
Deutschen in der Welt gemacht.
zu mir selbst gehört.
Interview: Anne Riedel Ihre »Kinder und Hausmärchen«, seit 2005 UNESCO-Weltdokumentenerbe der Menschheit, sind die
Fotos: Pia Malmus meistpublizierte Geschichtensammlung der Erde und werden zu Recht als der populärste Beitrag
der deutschen Nation zur Weltkultur bezeichnet. Ihre Werke prägen seit rund 200 Jahren durch
die »Deutsche Grammatik« und das »Deutsche Wörterbuch« unsere Sprachkultur.
Rudolf Messner ist Professor em. für Erzie-
GrimmHeimat NordHessen – Malerische Fachwerkstädtchen, verwunschene Landschaften und überall
hungswissenschaft mit den Schwerpunk-
Spuren der weltberühmten Brüder. Hier haben sie ihre Märchen gesammelt. Begegnen Sie den
ten Bildungstheorie, Schulpädagogik und
Grimms und entdecken Sie die Welt von Dornröschen, Rotkäppchen, Schneewittchen oder Frau
Schulentwicklungsforschung an der Kasseler
Holle – und erleben Sie ihre Geschichten bei Audienzen, (Auf-)Führungen, Tanz oder Theater.
Universität. Seine wissenschaftlichen Pu- Kultursommer, Festivals, Gartenroute etc. – Und mittendrin Kassel, Hessens historische Haupt- und
blikationen umfassen, einschließlich aller Residenzstadt, mit dem »Welterbetor Nordhessen«, den berühmten Museen und Sammlungen, der
Veröffentlichungen von Büchern und Bro- documenta und dem Bergpark Wilhelmshöhe samt Herkules.
schüren als Autor und Herausgeber sowie
aller Aufsätze in Sammelwerken und Zeit- www.grimmheimat-nordhessen.de
schriften, Hochschul- und Projektschriften
sowie kleineren Beiträgen und Lesebüchern,
insgesamt mehr als 300 Titel.
Die Lage ist gut
26 | magazin aus der mitte magazin aus der mitte | 27

Albert Schindehütte, die Bei-
träger und die Schauenburger
Märchenwache
Die Post ist da. Auch ein Brief von Albert
Schindehütte. Der Briefumschlag allein wirkt
wie ein Kunstwerk. Schindehütte versteht es,
aus der Adresse eine Zeichnung zu machen.
Er ist Kaligraph, ein Schönschreiber. Weiß
der Pausenhalle der Schule. Und viele Schü-
ler haben einen eigenen Zugang zu „ihrem“
Werk gefunden: Sie konnten sich selbst
Details vom Original „abreiben“.
Albert „Ali“ Schindehütte kommt „vom
Dorf“, aus Breitenbach eben. Der Vater ist
dort Schlachter. Er hält eigene Schweine
und Kühe. Der kleine Albert, der 1939 auf
die Welt kommt, muss helfen ... den Stall

Foto: Michael Zapf

Gott nicht nur ... er zeichnet, schneidet in ausmisten, im Sommer die Kühe auf den
Holz und Stein, radiert. Das alles kann man Weiden hüten.
auf einer Hochschule lernen und studieren. Das findet er langweilig. Und deswe-
Hat er auch. Doch für Schindehütte hätte es gen nimmt er sich Papier und einen Stift Albert Schindehütte
eines solchen akademischen Anschubes gar mit – und zeichnet drauflos. Dabei bleibt
nicht bedurft. Seine Kunst ist ihm Bedürfnis. es dann. Ab 1956 bekommt er an der Werk- lei Aufsehen auf dem Gebiet der Kunst.
Und er teilt sie gern. kunstschule Kassel den künstlerischen Und nicht nur dort. Sie bilden eine ziem-
Zum Beispiel mit vielen jungen Leuten, Schliff. Der renommierte Grafiker Karl- lich fröhliche Fußballrunde: die „Balltreter
mit denen er große Holzschnitte in und vor Oskar Blase bildet ihn aus. Im Hinterhof Rixdorf + Co“. Mit im Team – der Kabaret-
der Märchenwache in Schauenburg-Breiten- einer Gastwirtschaft am Königstor wohnt er tist Wolfgang Neuß. Und noch einer kickt
bach im Kreis Kassel herstellt, als sie eröffnet damals, illustriert für die „Saufkneipe“ den mit, kurioserweise als „Rechtsaußen“, der
wird. Heute hängen die Bilder hoch oben am Schlager der Woche. Auf einer Rolle Pack- Politikschreck Rudi Dutschke!
Schlauchturm der ehemaligen Feuerwache. papier. Als Lohn soll es Bier und Currywurst Gleichwohl – Berlin ist nicht von Dauer.
Oder mit den Schülern der Wilhem-Filchner- satt gegeben haben – und noch Zusatzver- Die Rixdorfer wandern Richtung Wendland
Schule in Wolfhagen. In der Schule und für pflegung vom Töchterchen des Wirts. ab, Ali Schindehütte sucht einen mehr in-
sie hat Schindehütte den Riesen-Holzschnitt Bis 1961 bleibt er auf der Werkkunstschule dividuellen Weg. Er zieht weiter nach Ham-
„... zu neuen GeStaden“ entworfen und ge- Kassel. Zum Abschluss des Studiums stellt er burg. Und geht damit eigentlich wieder aufs
schnitten. Die Motive sind durch zwei For- im „Archiv“ seines Lehrers aus, einer kleinen Dorf. Der idyllische Stadtteil Oevelgönne am
schungsreisende inspiriert, die mit Wolfha- Galerie in der Wohnung des Meisters. Elbufer wird seine neue Heimat, das Atelier
gen verbunden sind, Wilhelm Filchner und Als neuen Standort wählt er sich Berlin. liegt im benachbarten Ottensen, ein paar
Hans Staden. Dort schließen sich gerade fünf Grafiker und Fahrradminuten entfernt. Dort „schafft“ er
Der Original-Holzstock sowie ein Ab- Zeichner zu einer Gruppe zusammen. Ali allerlei: Zeichnungen, Holzschnitte, Radie-
druck hängen in eindrucksvoller Größe in ist dabei. Die „Rixdorfer“ sorgen für aller- rungen, Lithografien. Seine Arbeiten werden
gern ausgestellt. Die vornehme Hamburger
Zeichnung links: „Nachdem ich bei immer schönem Wetter eine Reihe von Tagen da oben zugebracht, Handelskammer lädt ihn ein, das Landes-
viel gezeichnet und mich recht wohl befunden hatte, bekam ich einen Brief von der Marie, worin museum Oldenburg, das Gutenberg-Museum
sie mich bat, mit nächster Post zu kommen und sie abzuholen. So besah ich mir die Aussichten in Mainz – alles beste Adressen.
noch einmal, auf den Dörnberg, den Brocken, den Meißner, bezahlte meine unglaublich geringe
Zeche, nahm Abschied … und ging nach Cassel zurück ...“ (Aus der Serie „Idyll im Habichtswald“, eine „Echte“ Schindehüttes hängen heute in
Hommage von Albert Schindehütte an den Märchenbruder Ludwig Emil Grimm) Hamburg, zum Beispiel an und in einer Vil-
28 | magazin aus der mitte
Zeichnungen aus der Serie „3 Raben“
la in der Elbchaussee, aber auch im Club-
heim des FC St. Pauli. In der Hansestadt
soll er auch mal den „Spiegel“-Chef Ru-
dolf Augstein in Not gebracht haben, als
er den in eine Besenkammer sperrte und
Die Schauenburger Märchenwache:
Eine Wache für „Wurzeln der Weltliteratur“
Als Albert Schindehütte Mitte der 70er Jah-
re erfuhr, dass die Feuerwache seines Hei-
matortes Breitenbach aufgegeben werden
solle, kam ihm schnell die Idee, dort eine
lebendige Gedenkstätte für den Märchen-
beiträger Johann Friedrich Krause, der zu
seinen Ahnen zählt, und für die Demoiselle
Marie Hassenpflug, verheiratete von Dal-
wigk, aus dem benachbarten Hoof einzu-
richten. Beide hatten den Grimms Anfang
des 19. Jahrhunderts Märchen erzählt, die
sie kannten.
Der alte Sultan, Herr Fix und Fertig oder
Der König vom goldenen Berg – Märchen aus
dem Gedächtnis des alten Dragonerwacht-
meisters Krause. Marie Hassenpflug, eine
junge Dame aus bestem Hause, brachte un-
ter anderem die Geschichten von drei Mäd-
chen ein, die durch die Grimms weltbekannt
drohte, ihn erst dann wieder herauszulas-
sen, wenn er Artdirektor des Magazins sei.
Ging aber für beide gut aus. Augstein war
bald wieder frei und Schindehütte auch –
als Künstler.
werden sollten: Schneewittchen, Dornrös-
chen und Rotkäppchen.
Zu Ehren der beiden Märchenbeiträ-
ger, zum Andenken und zur Pflege zweier
„Wurzeln der Weltliteratur“ also wurde die
Märchenwache eröffnet und ins Bild gesetzt
von Schindehütte. In Augenschein genom-
men werden kann sie sonntags von 15 bis
18 Uhr. Wer sich anmeldet, darf auch zu
anderen Zeiten kommen.
Besucher können mit Verköstigung an
der BiblioTheke rechnen. Und regelmäßig
auch mit Lesungen, Konzerten und Ausstel-
lungen. Rappelvoll wird die kleine „Mär-
chenwache“ zum Beispiel sein, wenn Harry
Rowohlt dort im Sommer (13. August) zu
einer Lesung antritt. Sicherlich ein Höhe-
punkt des jährlichen Kulturprogramms. Im
Juni (26.6.) liest Katja Behrens aus ihrem
Als solcher hat er denn auch gelegentlich
den Weg zurück in seine nordhessische Hei-
mat gefunden. Und zu ehemaligen Bewoh-
nern der Gegend, den Brüdern Grimm. Mit
denen hatte einer seiner Urahnen zu tun,
der Dragonerwachtmeister Johann Friedrich
Krause. Der erzählte den Brüdern Märchen
und erhielt dafür „abgelegte Beinkleider“.
So ist es überliefert.
Um an den Wachtmeister Krause dau-
erhaft zu erinnern (und auch an die Mär-
chenbeiträgerin Marie Hassenpflug aus
dem Nachbardorf Hoof), gründete Schinde-
hütte die Schauenburger Märchenwache.
Ein kleines kulturelles Zentrum ist daraus
geworden. Es macht das Dorfleben bun-
ter und munter. Nicht nur dafür wird Ali
Schindehütte geehrt. Unter anderem mit
dem Hessischen Verdienstorden. Am Ban-
de. Hat er verdient.
Der Postbote klingelt an der Tür. Er hat
wieder zwei Päckchen aus Hamburg dabei:
Neues Material über ein schönes Künstler-
leben.
Rainer Schumann
Sagenhaftes
Die Nordhessen können uns viel
erzählen – von Gold und Edelstei-
nen, hübschen Jungfrauen, gars-
tigen Fröschen, selbstbewussten
Roman „Der kleine Mausche aus Dessau“. Mädchen, verwunschenen Seen und
Und im Juli (24.7.) ist der Kultursommer gruseligen Plätzen. Fundstücke auf
Nordhessen in der Wache zu Gast. den folgenden Seiten:
www.maerchenwache.de
Foto: Mike Schwarz
Tel.: 0 56 01.92 56 78
30 | magazin aus der mitte
Der rote See
Die Einwohner des kleinen Ortes Dens im
Landkreis Hersfeld-Rotenburg waren sich
schon vor Jahrhunderten einig: Niemals ba-
den sie in ihrem See. Und einen guten Grund
dafür haben sie immer wieder vor Augen –
das Wasser färbt sich rot, blutrot!
1604 notiert das ein Rotenburger Chro-
nist zum ersten Mal. Und „anno 1769, den
13. Januar“ vermerkt ein Pfarrer: „... hiesiger
See (ist) wieder rot“. In Dens munkelte man:
Da war eine Kirchweih so laut und fröhlich,
dass die Musik und der Klang des bunten
Festes bis auf den Grund des Sees drangen.
Drei Seejungfrauen fanden das bezaubernd
schön, stiegen aus dem Wasser und feierten
ausgelassen mit.
Und wie das so ist: Plötzlich ist es kurz
vor Mitternacht, sie müssen zurück. Zwei
schafften es. Die dritte zunächst nicht. Als
sie am frühen Morgen dann endlich ins Was-
ser springt, brodelt der See auf, rauscht,
röhrt und gurgelt wild vor sich hin. Aus dem
Inferno hören die entsetzten Denser noch
einen letzten Schrei. Dann verfärbt sich das
wallende Wasser in ein blutiges Rot. Das
Mädchen war, das lag auf der Hand, wohl tot.
Seitdem verfärbt sich der Denser See immer
mal wieder. Jedenfalls im Herbst und Winter.
So, und nun findet die schöne Geschich-
te ein nüchternes Ende: Im Denser See leben
„Daphnien“. Das sind allerkleinste Krebstiere.
Sie halten sich normalerweise in der Tiefe auf,
kommen aber in den dunklen Jahreszeiten auf
der Suche nach mehr Licht auch an die Ober-
fläche. Die sieht dann eben rot aus. Blutrot.
Der nasse Wolkenbruch
Riesen unter sich, Mord und Totschlag: Der
Riese Kruko lebt vor ganz langer Zeit mit sei-
nen drei Töchtern Trendula, Saba und Brama
auf der Krukenburg im Reinhardswald, nicht
weit vom heutigen Bad Karlshafen. Saba und
Brama verstehen sich gut, Trendula sorgt
für Ärger. Ständig. Das macht besonders
Brama krank. Sie muss so oft weinen, dass
sie an ihren Tränen erblindet. Sie zieht aus
und baut sich ein eigenes Zuhause auf, die
Bramburg. Ein Beispiel, das Schule macht.
So kommt Saba zu ihrer Sababurg.
Die beiden netten Riesentöchter treffen
sich oft. Fast jede Nacht verbringt Saba bei
ihrer blinden Schwester, was die garstige
Trendula neidisch verfolgt. Eines Tages lau-
ert sie ihrer Schwester auf und erwürgt sie.
Den Tatort nennt man im heutigen Veckerha-
gen noch immer die „Mordkammer“.
Ihr Frevel wird schnell gerächt. Gött-
licher Zorn lässt einen gewaltigen Blitz auf
sie niedergehen. Trendula wird tot ins Erd-
reich gepresst. Dabei entsteht ein gewal-
tiger Krater – 470 Meter im Umfang und 45
Meter tief. Er füllt sich bald mit Wasser. So
entsteht der „Nasse Wolkenbruch“.
Die „Hexe“ von Frankenberg
Ankel der Weise ist unerhört reich. Seine
Mitbürger in Frankenberg neiden das dem
Wollweber. Sie vermuten, da sei Hexerei im
Spiel ... Nun hat Ankel eine Tochter namens
Barbara. Die leidet an „Auszehrung“, wiegt
keine hundert Pfund, hat rote Haare und lebt
sehr zurückgezogen – alles sehr verdächtig
in alter Zeit. So eine kann nur eine „böse
Frau“ sein, munkeln die Frankenberger. Da
kommt ihnen der Nachtwächter zu Hilfe.
Der berichtet, er habe in einer Nacht um die
zehnte Stunde den Leibhaftigen durch den
Schornstein in Ankels Haus einfahren sehen.
Schon am nächsten Tag holen Bürger die
arme Barbara und sperren sie in den Kel-
ler eines Turmes ein. Sie wird gequält und
gefoltert. Und bald gesteht sie denn auch,
das Vieh der Nachbarn verhext und Kindern
Krankheiten angehext zu haben. Dafür habe
ihr der Teufel viel Geld verschafft.
Barbaras Tage sind gezählt. Auf einem
Scheiterhaufen nahe dem Galgen wird sie
verbrannt. Und sie bleibt nicht die einzige
„Hexe“. So bekommt das Bauwerk seinen
Namen: „Hexenturm“. Und manchmal – in
tiefen, stillen Nächten – soll immer noch
das Wimmern und Stöhnen der unschuldigen
Seelen, die dort litten, zu hören sein.
Der Wotanstein
Mächtige Steine fielen im Gudensberger
Stadtteil Maden vom Himmel – wie der Wo-
tanstein. Der Teufel, so erzählt man sich,
wollte diesen mächtigen Stein nach Fritzlar
schleudern und damit den Dombau verhin-
dern. Ein Glück für die Dombauer: Der Stein
fiel weit vorher vom Himmel, eben in Ma-
den. Erzengel Michael soll seine Finger im
Spiel gehabt haben.
Es gibt freilich noch eine andere sagenhafte
Geschichte darüber. Danach soll es der Grab-
stein eines keltischen Steinkammergrabes sein.
Sicher ist: Ganz in der Nähe, zwischen Deute
und Dissen, gibt es gut erhaltene Hügelgräber.
Das Gold im Homberg
Die gelben Blumen der Springwurzel öffnen
alles Verschlossene – ganz ohne Schlüssel.
Solche Blumen pflückte einst ein Schäfer aus
Reinhardshausen am Fuße des Hombergs, der
sich zwischen seinem Dorf und dem heutigen
Bad Wildungen erhebt. Ahnungslos steckte er
die Blumen an seinen Hut.
Wenig später setzt er sich ins Gras und
legt den Hut beiseite, aber so, dass die Blu-
men zum Berg zeigen. Da springt der Fels
mit großem Getöse auseinander und gibt
einen langen, dunklen Gang frei. Am Ende
schimmert helles Licht. Der Schäfer wagt
sich tief in den Homberg hinein und kommt
in eine große Halle, in der es von Gold und
Edelsteinen nur so glitzert.
An einem Tisch sitzen zwei Jungfrauen.
„Nimm Dir, was Du willst“, ruft ihm eine freund-
lich zu. Der Schäfer stopft sich die Taschen mit
Gold und Edelsteinen voll, füllt am Ende sogar
noch den Hut. Dabei merkt er nicht, wie die
gelben Blumen aus der Krempe fallen.
Als er geht, ruft ihm eine Jungfer zu:
„Vergiss das Beste nicht!“ Der Schäfer drückt
das Gold an sich und erwidert: „Ich hab’s!“
Und schon eilt er davon. Kaum setzt er den
rechten Fuß auf den Boden außerhalb des
Berges, schließt der sich wieder krachend,
klemmt eine Ferse ein und verletzt den
Schäfer schwer. Die Wunde will nicht heilen,
ein Arzt muss sie wochen- und schließlich
monatelang immer wieder verbinden.
So geht all das viele Gold aus dem Berg
dahin. Zuletzt auch noch das, was der Schä-
fer sonst so besaß. Am Ende stirbt er elen-
dig. Die gelben Blumen hat seither niemand
mehr gefunden. Und so bleibt auch der
Homberg für immer verschlossen.
Vom Wasser, das aus Liebe fließt
In alten Zeiten lechzten die Spangenberger
oft nach Wasser. Jeden Tropfen müssen sie
aus einer Quelle vom Berg gegenüber der
Stadt heranschaffen. Nun begibt es sich,
dass Else, eine Tochter des Bürgermeisters,
einen stattlichen Jüngling namens Kuno
liebt. Und der auch sie. Nichts wollen die
beiden lieber, als einander zu heiraten. Da
sind aber die Eltern ganz und gar dagegen.
Aber: „Wenn ihr es schafft, unsere Stadt mit
Wasser zu versorgen“, so die listigen Eltern,
„dann sollt ihr unseren Segen haben.“
So machen sich Else und Kuno alsbald an
die Arbeit. Sie fangen an, das Bett für einen
Bach zu graben, der das Wasser aus der guten
Quelle vom Berg gegenüber bis in die Mitte
Spangenbergs führen soll. Und weil ihre Liebe
so groß ist, arbeiten sie Tag für Tag.
Nach vierzig Jahren haben sie es ge-
schafft: Das Wasser läuft. Glücklich fallen
sich beide in die Arme – und tot um: Zu
schwer war die Arbeit am Bach, der nun die
Brunnen Spangenbergs speist.
Der schönste steht auf dem Marktplatz.
Zwei Statuen krönen ihn, die von Kuno und
Else. Aus Dankbarkeit nennen die Spangen-
berger ihre Wasserader den „Liebenbach“
und ihren Ort die „Liebenbachstadt“.
Der Landgraf und der treue Dieb
Unter den Soldaten des Land-
grafen Moritz von Hessen,
der das Land vor vier-
hundert Jahren
regierte, war
auch einer, der sich „sehr wohl“ kleidete und
immer Geld in der Tasche hatte. Seine Kame-
raden rätselten so lange herum, bis auch der
Landgraf davon erfuhr. Dem ließ das auch
keine Ruhe.
Also zog er sich alte, schäbige Kleider an,
suchte als Bettelmann verkleidet den Soldaten
auf, gab dem armen Mann auch zu essen und
zu trinken und nahm ihn nach Mitternacht
sogar mit auf Diebestour nach Kassel. Dort
hielt der Soldat ein Stück Springwurz vor die
Schlösser der Kaufläden und schon sprangen
die Türen auf. Schnell drang der Landser ein,
machte leichte Beute, nahm aber nur das, was
„über“ war. Und teilte es mit seinem Begleiter.
Der schlug vor, auch einen Blick in die
Schatzkammer des Landgrafen zu werfen.
Gesagt, getan: Bald standen beide inmitten
erlesener Kostbarkeiten des Kasseler Hofes. Der
„Bettelmann“ wollte zugreifen – da aber setzte
es drei kräftige Ohrfeigen. „Meinem gnädigen
Herrn darfst Du nichts nehmen“, sprach der
Soldat, „dem muss man getreu sein!“
Am nächsten Morgen ließ der Land-
graf den Soldaten zu sich rufen. Und fragte
ihn, wie er sich denn so schön kleiden
könne. Der gestand nichts ein.
Schließlich sagt Moritz: „Ich
glaube gar, er geht in
meine Schatzkam-
magazin aus der mitte | 31
mer. Und wäre ich dabei, ich müsste mit drei
kräftigen Ohrfeigen rechnen!“
Als der Soldat das hörte, fiel er vor Schreck
in Ohnmacht. Und als er wieder zu sich kam,
bat er um eine gnädige Strafe. Doch Moritz
hatte ihm schon vergeben, mehr noch: Er gab
dem treuen Landser eine gute Stelle bei Hofe.
Und wenn er nicht gestorben ist ...
Die Wichtelkirche
Wer leise ist, kann es in der Johannisnacht
auf dem Dörnberg bei Zierenberg hören: Es
klingt aus dem Basaltfelsen, der jedenfalls
im Nebel aussieht wie ein kleines Kirchlein.
Ein Wichtelkönig soll sie aus feinstem Kristall
erbaut haben für seine Hochzeit mit dem Zie-
renberger Mädchen Gotelind. Als die Hochzeit
in der Johannisnacht stattfinden sollte und
alle Wichtel-Freunde versammelt waren und
auf das Ja-Wort der schönen Maid warteten,
sagte Gotelind „Nein!“ Und da erstarrte nicht
nur der Wichtelkönig, sondern auch die Kir-
che zu Stein. Was aus dem hübschen Mäd-
chen geworden ist? Das wird nicht verraten.
R.S. /ari
„unsere sprache ist
auch unsere geschichte …“
34 | magazin aus der mitte
Die „schönste und fruchtbarste Zeit“ verbrachten
die Brüder Grimm in Nordhessen. Sie sammelten
und sicherten nicht nur Märchen, sondern auch den
deutschen Wortschatz, kämpften mutig für Demo-
kratie und schufen viele bahnbrechende Werke
Die „Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“ – eine Welt-
marke. Vor etwa 170 Jahren hat die Sammlung ihren Triumphzug um
den Globus angetreten und die Faszination an den schaurig-schönen
Geschichten aus einer Zeit, „als das Wünschen noch geholfen hat“,
ist ungebrochen. Doch Jacob und Wilhelm Grimm waren nicht „nur“
Märchensammler. Sie waren Rechtsgelehrte und Bibliothekare,
Schriftsteller und Spracharchäologen, Hochschullehrer, Universalge-
lehrte, auch Politiker, wenn die Umstände es erforderten.
Sie werden, aufgrund ihrer historisch-systematischen Bestands-
aufnahme des deutschen Wortschatzes und der deutschen Sprachal-
tertümer, als Begründer der Germanistik bezeichnet, gaben aber auch
der Grundlagenforschung in anderen europäischen Sprachräumen
entscheidende Impulse. Im Kreis der Romantiker um Achim von Ar-
nim und Clemens von Brentano spielten sie eine gewichtige Rolle,
mit Goethe standen sie in regem Gedankenaustausch. Und all ihre
„In Kassel brachten sie es zur Stellung von Bibliothekaren an der Hessischen Landesbibliothek, in deren stillen und weiten Sälen
sie viele Jahre so gut wie die Herren gewesen sind ...“ (Herman Grimm, Wilhelms ältester Sohn)
magazin aus der mitte | 35
Energie, die sich in einem gigantischen Werkverzeichnis manifestiert, auf ihm verweilen, macht er frei.“ Er wurde, wohl als zu radikal emp- Glück: Die Region war voll von Märchenerzählern. Über die Gründe
speiste sich aus der Überzeugung, dass in der fernen Vergangenheit funden, abgelehnt. mutmaßen die Brüder: „Hessen hat als ein bergichtes, von großen
die Wurzeln für die zeitgenössischen Zustände liegen. „unsere spra- Über das Leben der Brüder berichtet Herman Grimm, Wilhelms Heerstraßen abseits liegendes und zunächst mit dem Ackerbau be-
che ist auch unsere geschichte“, hat Jacob Grimm in konsequenter ältester Sohn: „Jacob und Wilhelm Grimm sind beinahe gleichen Al- schäftigtes Land den Vorteil, dass es alte Überlieferungen und Sitten
Kleinschreibung formuliert. ters gewesen ... und die Brüder lebten immer in gemeinschaftlicher besser aufbewahren kann. Ein gewisser Ernst, eine gesunde, tüchtige
Die systematische Erforschung dieser Geschichte hatte, neben Wohnung, arbeiteten zusammen und tapfere Gesinnung, die von
dem philologischen Erkenntnisinteresse, immer auch eine politische und liegen nebeneinander auf dem der Geschichte nicht wird unbe-
Stoßrichtung. Die Grimms wollten ihr „Deutsches Wörterbuch“ als Matthäikirchhofe zu Berlin. ... achtet bleiben, selbst die große
Ausdruck einer „erstarkten liebe zum vaterland und untilgbaren be- Die erste, sonnigere Hälfte ihres und schöne Gestalt der Männer in
gierde nach seiner festeren einigung“ verstanden wissen. Vor dem Lebens kenne ich nur aus Briefen den Gegenden, wo der eigentliche
Hintergrund der Existenz zahlreicher Kleinstaaten auf dem Gebiet des und Erzählungen. Diese schönste Sitz der Chatten war, haben sich
einstigen „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ hat die- und fruchtbarste Zeit haben sie auf diese Art erhalten.“
ser Wunsch geradezu revolutionären Charakter, denn er richtet sich in Kassel verlebt, wo sie auch die Die Chatten – es wird ihnen
unmissverständlich gegen die Interessen und Machenschaften der Schule zusammen besucht hatten. oft mit Häme vorgeworfen – sind
regierenden Fürsten. Die nationale und zugleich bürgerlich-liberale In Marburg studierten sie. In Kas- nicht gewandert. Doch Zuwande-
Haltung der Grimms zeigt sich am zeitweiligen Verlust der beruflichen sel brachten sie es zur Stellung von rer, wie die Hugenotten, nahmen
Positionen, den sie wegen ihres politischen Engagements hinnehmen Bibliothekaren an der Hessischen sie bereitwillig auf. Die brachten
müssen. Und in Jacobs Teilnahme an der Nationalversammlung 1848 Landesbibliothek (damals im Fri- Märchen französischer Provenienz
Foto: Brüder Grimm-Museum Kassel
in der Frankfurter Paulskirche. Sein dort gestellter Antrag zum Artikel 1 dericianum, Anm. d. Red.), in ins Land. Viele der Grimmschen
der Grundrechte lautete: „Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien, deren stillen und weiten Sälen sie Märchenpaten waren hugenot-
und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die viele Jahre so gut wie die Herren tischen Ursprungs, wie Dorothea
gewesen sind ...“ Viehmann. Gewichtig an der
Mehrfach – und mit Nach- Sammlung beteiligt waren auch
druck – erwähnt Herman Grimm Marie und Jeanette Hassenpflug,
die inspirative Kraft der hes- mütterlicherseits ebenfalls hu-
sischen Landschaft (und damit „Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien, und deutscher Boden duldet keine genottischer Abstammung. Die
ist immer Nordhessen gemeint!) Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.“ Apothekerfamilie Wild hingegen
Diesen „Verbesserungsantrag“ schrieb Jacob Grimm bei der National-
im Allgemeinen und Kassels im versammlung 1848 in der Frankfurter Paulskirche. war aus Bern in die Kurhessen-
Besonderen. In jene „schönste metropole gezogen. Sechs Töchter
und fruchtbarste“ Zeit fallen Publikationen wie Jacobs Abhandlung hatte der Inhaber der Sonnenapotheke, allesamt begnadete Fabulie-
über „Altdeutschen Meistersang“, dem Wilhelm fast zeitgleich sei- rerinnen. Eine von ihnen, Dorothea („Dortchen“), wird 1825 Wilhelm
ne Studie „Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen“ hinzu- Grimm heiraten und den jahrelang vernachlässigten brüderlichen
fügte. 1812 erschien das erste gemeinsame Buch, eine Ausgabe des Haushalt auf Vordermann bringen.
althochdeutschen Hildebrandslieds und des Wessobrunner Gebets, Etwa 50 Märchenpaten weist die Erstausgabe aus, die um die
und der erste Band der „Kinder- und Hausmärchen“, dem 1815 und Weihnachtszeit 1812 erscheint. Entsprechend heterogen präsentiert
1822 ein zweiter und dritter Band folgten. 1816 und 1818 kam eine sich das Material, zudem mit wissenschaftlichen Anmerkungen ver-
zweibändige Sagensammlung auf den Markt. Auch Jacobs „Deutsche sehen – als Präsent für den Gabentisch zu spröde. Jacob, dessen
Grammatik“ fällt in die Kasseler Epoche. Das umfangreiche Kompen- Interesse die Sicherung einer mündlichen Kultur in wissenschaft-
dium bezieht sich auf sämtliche germanische Sprachen, ihre inneren licher Form ist, kümmert die „Unverkäuflichkeit“ des Buches wenig.
Zusammenhänge und ihre geschichtliche Entwicklung. Wilhelm hatte Wilhelm aber, der die kindliche Leserschaft im Auge und bereits im
inzwischen mehrere Bücher über Runen veröffentlicht, sein von ihm ersten Band behutsam redigierend Hand angelegt hat, entwickelt in
Foto: Universitätsbibliothek Kassel
selbst als Hauptwerk betrachtetes Buch „Die deutsche Häldensage“ den folgenden Jahren furios seinen eigenen heimelig-romantischen
erschien 1829. Gleichfalls bahnbrechend war Jacobs Studie „Deut- Märchenstil, der den Nachfahren wie ein veritabler „Volkston“ anmu-
sche Rechtsaltertümer“ (1828), in der er sich mit mittelalterlicher tet. Und er wandelt die Geschichten im Sinne bürgerlicher Wertvor-
Rechtspraxis und Rechtsanschauung befasste. stellungen um: Böse Mütter werden zu bösen Stiefmüttern, nackte
Ein Mammutpensum, bedenkt man, dass jeder einzelnen Publika- Prinzen prächtig bekleidet, das schwangere Rapunzel gewinnt seine
tion breite und tiefschürfende Recherchen vorausgingen. Auch für die Jungfräulichkeit zurück. Gespickt mit Zeichnungen Ludwig Grimms,
Märchensammlungen gilt dies, den strahlkräftigsten Teil des Grimm- des jüngeren Bruders, mausert sich der Ladenhüter zum Bestseller. In
chen Schaffens – nur dass hier der Weg nicht über die Bibliotheken den 1830er Jahren, die Brüder Grimm sind mittlerweile Professoren
führte, sondern über persönliche Überlieferung. Und sie hatten in Göttingen, gehört sein Besitz zum guten Ton.

Wilhelm und Jacob Grimm, 1847
Als 1837 Ernst August II., der neue Kö-
nig von Hannover, eigenmächtig die Stän-
deversammlung für aufgelöst erklärt, wider-
setzen sich die „Göttinger Sieben“, mutige
Professoren, darunter die Grimms, in einer
Streitschrift dem Willkürakt und werden da-
rauf des Landes verwiesen. Wieder in Kassel,
scheint sich das vertraute nordhessische Am-
biente erneut positiv auf ihre Schaffenskraft
auszuwirken: In diese Zeit fallen die Anfänge
In Nordhessen wird die Erinnerung an das Wir-
ken der Grimms auf vielfältige Weise lebendig
erhalten: Die Brüder Grimm-Gesellschaft e.V. in
Kassel sieht ihre Aufgaben in der Pflege des
persönlichen und wissenschaftlichen Erbes der
Märchensammler und Sprachforscher wie auch
ihres Malerbruders Ludwig Emil Grimm, in der
Dokumentation von Zeugnissen zu ihrem Leben
und Werk, der Förderung von Erinnerungsstät-
ten wie dem Brüder Grimm-Museum im Palais
Bellevue in Kassel (derzeit wegen Sanierungs-
vor „schmutzig angelaufenen“ Wörtern
schreckte, revolutionär in der Epoche des
Biedermeier, ihr Forscherdrang nicht zurück,
denn, wieder Jacob Grimm: „der unzüchtige
sinn springt vom züchtigen ab – wie über-
haupt das böse von dem guten.“ Den Um-
fang hatten sie auf sechs bis sieben Bände,
den Zeitaufwand auf sechs bis zehn Jahre
geschätzt. Es sollte anders kommen: Vor sei-
nem Tod hatte Wilhelm Grimm gerade den
Buchstaben „D“ komplettiert, Jacobs letzter
Eintrag galt dem Wort „Frucht“.
Reiche Früchte trugen ihre Bemühungen
um die „Naturgeschichte der einzelnen Wör-
ter“ in der Tat: Von Philologengeneration zu
Philologengeneration wird, im Geist der Pio-
niere, die Stafette weitergereicht – bis 1961,
Foto: Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel
123 Jahre nach Beginn, die Arbeit abgeschlos-
sen ist. Auf über 67.000 Druckspalten enthält
sie in 33 Bänden etwa 350.000 Stichwörter
– ein Mammutwerk, das als umfangreichstes
deutsches Wörterbuch im Guinness Buch der
Rekorde steht. Heute hat es auf einer CD-ROM




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Platz und ist auch im Internet verfügbar.
Ebenfalls im Netz befinden sich die in
Kassel aufbewahrten Handexemplare der


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am Deutschen Wörterbuch, ihr ehrgeizigstes
sprachwissenschaftliches Projekt.
Märchen-Erstauflage von 1812/15, die bedeu-
tendste erhaltene Quelle für die Entstehungs-
und Wirkungsgeschichte der Grimmschen
Märchen. Sie und drei weitere mit zahlreichen
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Keine Furcht vor „schmutzig handschriftlichen Ergänzungen und Notizen
der Verfasser versehene Handexemplare wur-
angelaufenen“ Wörtern
den 2005 von der UNESCO zum Weltdokumen-
Es ist kein Lexikon im landläufigen Sinn, tenerbe erklärt. Es sind die ersten Schrift-
sondern eine Expedition zu den Wurzeln des stücke Hessens, die in das „Memory of the
Sprachgebrauchs, bis hin zu lateinischen, World“-Programm aufgenommen wurden.
griechischen, ja, indogermanischen. Auch Verena Joos N`i
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jüngst mit der Einrichtung einer Stiftungs-Juni- NordHessen“ angetreten, um den Gästen aus
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schaften ein weiteres Zeichen der Verbundenheit Grimms und auf die einzigartigen, märchen-
mit den berühmten Brüdern gesetzt. Unter den haften Schätze der Region zu öffnen.
bislang 14 Stiftern sind Privatpersonen sowie www.grimmheimat-nordhessen.de ;|E><D@KK<C J8CQ <I>vEQ<E;<
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Unternehmen aus der Region. www.nordhessen.de | www.grimms.de
38 | magazin aus der mitte
Grimms grenzenlos
Japanisch, Russisch, Chinesisch, Aserbaidschanisch,
Taiwanisch – und natürlich Englisch, Französisch, Italie-
nisch …: In rund 160 Sprachen wurden Grimms Märchen
übersetzt. Ausdruck grenzenloser Grimm-Verehrung
Wer auf dem Flug von Frankfurt nach Seoul im Bordprogramm surft,
sollte sich nicht wundern, wenn er auf die Märchenwelt der Brüder
Grimm stößt. Unter den Filmen, die „Korean Air“ auf dem Flug offe-
riert, haben Fluggäste unter anderem die Wahl zwischen Terry Gil-
liams filmischer Travestie „The Brothers Grimm“ und Engelbert Hum-
perdincks Oper „Hänsel und Gretel“. Man mag die Auswahl sonderbar
finden. Womöglich hätte man anderen Verfilmungen der Grimmschen
Märchen den Vorzug gegeben – etwa Walt Disneys populärem Trickfilm
„Snow White“ oder Doris Dörries’ witziger Adaption des Märchens „Vom
Fischer und seiner Frau“. Im Grunde kommt es aber darauf nicht an.
Entscheidend ist, dass eine internationale Airline die Grimmschen
Märchen ganz offenbar zum Bildungsgut des Weltbürgers zählt. Wo-
mit das eigentliche Phänomen der Wirkungsgeschichte der „Kinder-
und Hausmärchen“ benannt wäre: Seit ihrer Erstpublikation im Jahr
1812 wurden sie in mehr als 160 Sprachen übersetzt. Nicht einmal
Nobelpreisträger können auf eine ähnlich globale Verbreitung ihrer
Werke rechnen, wie sie die Grimms erzielten.
Dabei war der Anfang alles andere als ermutigend. Für ihre erste
Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ mussten die Grimms har-
sche Kritik hinnehmen. Insbesondere ihrem Dichterfreund Clemens
Brentano missfiel die Biederkeit der Erzählweise, von der die Brüder
Grimm nicht ganz wahrheitsgemäß behaupteten, sie dem einfachen
Volk abgelauscht zu haben. Sie sei „äußerst liederlich und versu-
delt, und in manchem dadurch langweilig“, wetterte Brentano. Ob
Alle Motive: Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel
es an Brentanos Kritik lag oder anderes den Ausschlag gab: Die
Grimms schliffen an Ausdruck und Stil und es entstand jene po-
etische Kunstform, die zur „Marke Grimm“ werden sollte. Sie ist
so unverwechselbar, dass die von Wilhelm Grimm geprägte Einlei-
tungsformel „Es war einmal ...“ in jeder Sprache der Welt ihre ent-
sprechende Formel fand.
Die wundersame Welt der Grimmschen Märchen riss nicht nur
deutsche Leser hin; erst recht wuchs die Leselust, nachdem der „Ma-
lerbruder“ Ludwig Emil Grimm die zweite Ausgabe mit sieben zau-
berhaften Zeichnungen illustriert hatte. So kam es, dass schon 1823
die erste Übersetzung ins Englische erschien, und weil die Engländer
gute Verkaufspsychologen sind, wurden jetzt alle Märchen samt und
sonders zauberhaft bebildert. Was Wunder, dass sich im Zeitalter ri-
valisierender Kolonialmächte nun auch die Holländer und Franzosen
für die Märchen der Grimms interessierten. Und so gelangten sie auf
Englisch, Holländisch und Französisch, später auch auf Deutsch, bis
nach Übersee.
Alles nicht ganz einfach, auch nicht der Transfer der Märchen-
stoffe in fremde Kulturen und Sprachen. Da droht so manche Hürde.
Wie übersetzt man, zum Beispiel, das Wort „Rapunzel“ ins Englische?
Der Übersetzer behalf sich, indem er Rapunzel – den deutschen Feld-
salat – durch „Veilchen“ ersetzte: „Violet, Violet, let down your gol-
den hair!“ Vollends heikel wird es, wenn der „Dornröschenkuss“, zum
Beispiel nach asiatischer Sitte, als anstößiger Körperkontakt empfun-
den wird. In solchen Fällen galt es, kreativ andere Möglichkeiten zu
finden, um die Schöne aus dem Schlaf zu wecken.
Freilich wäre es den Grimms nie in den Sinn gekommen, dass die
„Stimme des Volkes“, deren Mythen, Märchen und Sagen sie vor dem
Vergessen bewahren wollten, auch politisch und ideologisch verwert-
bar sein könnte. Mit dem Ende der Kolonialzeit und den gesellschaft-
lichen Umbrüchen in China, vor allem mit der Öffnung Japans nach
Westen, verbreiteten sich die Grimmschen Märchen rasch im asia-
tischen Raum. In China setzte die Märchen-Rezeption 1905 ein. Und
nach 1945 gehörten die Grimmschen Märchen zum kulturpolitischen
Erziehungsprogramm der Volksrepublik China.
Seither werden den chinesischen Volksgenossen die Tugenden der
Märchenhelden als beispielhaft empfohlen: Gehorsam, Duldsamkeit,
Mut, Unerschrockenheit, Treue und Anhänglichkeit an die Obrigkeit –
man denke nur an den „treuen Heinrich“, dem vor Freude „das Herz
im Leib zerspringt“, als sein Herr von der garstigen Froschgestalt
erlöst wird.
magazin aus der mitte | 39
Anders in Japan. Mehr als 250 Jahre hatte sich das Land ge-
gen westliche Einflüsse abgeschottet und nur den Holländern eine
Handelsniederlassung gestattet. Doch man staunt: Schon 1862, im
Vorfeld der späteren Reformen, stattete eine japanische Handels-
delegation dem greisen Jacob Grimm in dessen Berliner Wohnung
einen Besuch ab. Die Unterhaltung fand auf Holländisch statt. 1887
erschien das Märchen Der Wolf und die sieben Geißlein – mit farbigen
Holzschnitten gestaltet – erstmals in japanischer Übersetzung. Wei-
tere Ausgaben folgten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts fanden
die Märchen Aufnahme in die Lehrpläne japanischer Schulen.
Bis heute ist der Enthusiasmus ungebrochen. Auf dem japa-
nischen Buchmarkt findet man nicht nur mehrere Gesamtausgaben
der „Kinder- und Hausmärchen“ mit sämtlichen 200 Märchentexten
und den zehn Kinderlegenden, inzwischen hat auch die Comic- und
Manga-Bewegung unter den Märchenfiguren ihre Lieblinge entdeckt.
Gewiss, die Grimm-Verehrung hat in Japan auch exzentrische
Blüten getrieben, man denke nur an das „Brüder Grimm Glückskö-
nigreich“: eine Illusionskulisse, für 250 Millionen Dollar auf der Insel
Hokkaido errichtet. Mit hessischen Fachwerkhäusern, die vor Ort ab-
gebaut und in Japan originalgetreu wieder aufgebaut wurden, rings
um die Kopie des Weserrenaissanceschlosses Bückeburg. Inzwischen
ist dem Investor das Geld ausgegangen, die hohen Energiekosten
haben das „Glückskönigreich“ ruiniert.
Ilona Lehnart
 40 | magazin aus der mitte
Giesekings Grimm’ges Lob
Ich habe Lieblings-Film-Sätze. Zum Beispiel
in „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968)
sagt Jason Robards als Cheyenne zu Claudia
Cardinale als Jill McBain „Ist mein
Kaffee fertig?“ Großartig! Oder
Robert De Niro als Travis Bickle
in „Taxi Driver“ (1976), vorm
Spiegel: „Redest du mit mir?“
Seit 2005 habe ich einen
neuen Lieblingssatz. Er
stammt aus dem Hollywood-
Film „Brothers Grimm“, mit Heath
Ledger als Jake (Jakob) und Matt Damon
als Will (Wilhelm) Grimm, ein fantasti-
sches Spektakel von Kult-Regisseur Terry
Gilliam, dem ehemaligen Monty Py-
thon-Mitglied. Der Film beginnt damit,
dass zwei Herren zu Pferd an ein Stadt-
tor klopfen. Jene Brüder Grimm. Sie
werden gefragt: „Woher kommt ihr?“ Und
dann folgt der für mich nun legendärste
Satz der Filmgeschichte: „Wir kommen aus
Kassel – in der Nähe von Frankfurt!“
Da waren sie wieder – nun im Kino: Die
Brüder Grimm. Als ich den Film sah, war
ich Mitte vierzig und erneut fasziniert. Die
Grimms – das ist jedes Mal und
augenblicklich ein Zauber
von Kindheit. Ein Zauber
von schönen, aber bö-
sen Königinnen, von
tapferen Schneidern,
von sechs Schwä-
nen, sieben Raben
und zwölf Brüdern,
von herzlosen Stief-
müttern und grau-
sigen Hexen und
dem unverzagten
Foto: Motivschmiede
Rotkäppchen. Die
Grimms durfte man
hören von Kin-
dertagen an, von
Oma erzählt,
von Mama und
Papa vorgele-
sen und trotz aller Mordversuche und Grau-
samkeiten waren diese Geschichten „freige-
geben“ auch unter 16 Jahren.
Sieben auf einen Streich war der Be-
weis, dass auch der Kleinste tapfer sein
kann. Sieben Geißlein war die Verheißung
einer Rettung selbst aus der größten Not.
Ich wurde als Kind von meinen Eltern liebe-
voll Krümel genannt und erfuhr von Däum-
ling, von Daumerlings Wanderschaft! Also
konnten auch ganz Kleine große Abenteuer
erleben. Und überstehen! Frau Holle, Hans
im Glück, Knüppel aus dem Sack und die
Sterntaler – wer ein guter Mensch ist, der
hat kein dauerhaftes Pech, der wird mit
Gold belohnt.
Die Märchen der Brüder Grimm und die
Märchen von Hans Christian Andersen be-
gleiteten meine Kindheit. Andersens kleine
Meerjungfrau war auch ein erster erotischer
Gruß aus einer späteren Welt, ein erotischer
Gruß, der mir von den Grimms trotz Aschen-
puttel und Sterntaler, trotz Schneewitt-
chen, Schneeweißchen und Rosenrot und
manch verheißungsvoller, zwar wie gesagt
böser, aber schöner Königin und Stiefmut-
ter nie bestellt wurde. Die Grimms haben
nicht nur gesammelt, sie haben auch be-
arbeitet, mindestens sprachlich in viele
Geschichten eingegriffen, haben diese
teilweise verändert in ein biedermei-
erliches Bild. Was mag uns, was
mag mir da an Erotik vorenthalten
worden sein?
Die Brüder Grimm sind
bekannt vor allem durch ihre
Sammlung von Märchen und
Sagen, unfassbar wichtig aber
auch für Sprache und Literatur
in Deutschland, durch die Grimms
wurde Deutschland Deutschland.
Durch sie wurde Sprache und
Foto: GrimmHeimat NordHessen
Mythologisches zu einem Kul-
turraum geordnet, sie arbeiteten
damit am Begriff der Nation, in
Freiheit für das Individuum.
Und ich bin entsetzt, wie die Stadt Kassel
mit ihrem größten Pfund umgeht! Es gibt
ein Brüder Grimm-Denkmal in Kassel. Aber
was für eins! Schlimmer als das Grimm-
Denkmal ist höchstens noch der Marx-
Stuhl auf dem Karl-Marx-Platz. Da lobe
ich mir Kochtopf und Birne am Wehlheider
Wochenmarkt!
Das schaurig-kleine, lächerlich realis-
tische, uninspirierte Denkmal der großen
Brüder Grimm, versteckt aufgestellt in der
einzigen Kurve der Wilhelmshöher Allee.
Über der Stadt aber thront seit Jahrhun-
derten eine Sagenfigur – der Herkules. Dort,
wo er steht, müssen die Grimms herauf!!
Wer liest heute noch Märchen? Na,
letztlich fast alle. Die Märchen haben
nur teilweise ihre Erscheinungsform ge-
wandelt. Aschenputtel, der Trost der ver-
kannten Schönheiten, lebt wieder auf in
Filmen wie „Pretty Woman“. Sogar die Hor-
Unsere Kulturförderung
ist gut für die Sinne.
Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche
Entwicklung und erhöhen die Lebensqualität:
Menschen entdecken ihre Schaffenskraft, ihre
Offenheit für Neues, ihre Sinne. Die Sparkassen-
Finanzgruppe unterstützt hier eine Vielzahl von
regionalen und nationalen Projekten. Sie ist mit jähr-
lichen Zuwendungen von mehr als 142 Mio. Euro der
größte nicht-staatliche Kulturförderer Deutschlands.
www.gut-fuer-deutschland.de
Sparkassen. Gut für Deutschland.
rorreihe „Geisterjäger John Sinclair“ ist
nichts anderes als ein modernes Märchen
mit dem immerwährenden Kampf von Gut
gegen Böse. Und „Harry Potter“ ist genau-
so ein modernes Märchen wie „Tintenherz“
von Claudia Funke. Unsere Aufgabe ist
es, diese Märchen zu pflegen, zu tradie-
ren, aber auch sie neu zu definieren und
neue Märchen hinzuzuerfinden. Hardy el
Kurdi, ein in Kassel aufgewachsener Autor,
schrieb grad mit „Ritter, Räuber, Spöken-
kieker“ die besten Sagen des Ruhrgebiets
um und erzählt sie neu.
Ich selber schrieb das Kinderhörspiel
„Trolle nach Süden“. Eine Episode spielt
in Kaufungen, im dortigen „Pferdegöpel“.
Und auch hier halfen die Grimms, in ihren
„Irischen Elfenmärchen“ fand ich bei mei-
ner Recherche eine ausführliche Abhand-
lung über Elfen, ihr Wesen, ihre Kleidung,
ihre Nahrung. (Wir) alle in Film, Hörspiel
magazin aus der mitte | 41
und Buch wandern auf den Wegen der
Grimms.
Vor Jahren lautete eine Kampagne „Du
bist Deutschland!“ und die BILD schrieb
„Wir sind Papst!“ Lasst uns alle ein wenig
die Brüder Grimm sein. Gerade wir hier in
Nordhessen. Vergessen Sie nie: „Wir kom-
men aus Kassel – in der Nähe von Frank-
furt!“
PS.: Auch mir haben die Grimms eine
Aufgabe gegeben. Alle kennen das Märchen
von Frau Holle. Seit einiger Zeit frage ich
mich: Was ist eigentlich mit Herrn Holle?
Demnächst werde ich ihn suchen! Und
wenn ich nichts über ihn finde, werde ich
ihn erfinden. Ganz einfach!
Bernd Gieseking ist Kabarettist, Autor und
Ostwestfale, der in Kassel studiert hat und
den es immer wieder nach Nordhessen zieht.
Sparkassen-Finanzgruppe
Hessen-Thüringen
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DAS BESONDERE MUSEUM
Das Glasmuseum in Immenhausen zeigt eine der
größten Sammlungen moderner Glaskunst
Das Wort „Glas“ kommt vom germanischen glasa. Es stand für „das
Glänzende, das Schimmernde“. Das Glasmuseum in Immenhausen
Glas von Hand beherbergt nicht nur eine Vielzahl schimmernder und glänzender
Objekte und damit eine der größten Sammlungen moderner Glas-
kunst, das ganze Gebäude ist eine Skulptur, die Licht aufsaugt und
und mit Atem beseelt umgewandelt wieder aussendet. Die Perle der Museumslandschaft ist
freilich in einer unscheinbaren Schale versteckt: Von außen wirkt
das Bauwerk am Rande einer verfallenden Fabrik wie eine schnöde
Industriehalle. Erst im Innern gehen dem Besucher die Augen über.
Glas ist vermutlich der älteste künstliche Werkstoff; an der
Frage, wann und wo er entdeckt wurde, scheiden sich jedoch die
Geister. Der Kelch eines ägyptischen Pharaos, der als ältestes
Gefäß gilt, weil er um 1450 vor Christus geschaffen wurde, steht
nicht in Immenhausen, sondern in München. Doch die nordhes-
sische Ausstellung, die von der Stadt und dem Land Hessen fi-
nanziert wird, muss sich nicht verstecken, sie ist wohldurchdacht
und eine Augenweide. Glasgefäße und -objekte in zig Farben und
Formen stehen in lichtdurchfluteten Räumen, trotz der Vielzahl
an Objekten wird der Besucher nirgends überfordert, denn die
Grundrisse der Ausstellungsräume sind äußerst großzügig. Das
Beleuchtungskonzept setzt auf Tageslicht, das durch großflächige
Fenster einfällt, die Vitrinen stehen nicht an den Wänden, son-
dern frei im Raum.
Bei so viel Leichtigkeit fällt es schwer, von einem Schwerpunkt
zu sprechen: Das Museum konzentriert sich auf die Geschichte der
Die Tropfenzähler
magazin aus der mitte | 43
Glasherstellung in der Region. Deren Wurzeln befinden sich in Zie-
genhagen. Dort entstand im 19. Jahrhundert nicht eine der damals
üblichen „Wanderhütten“, die immer dann ihren Standort wech-
selte, wenn das Brennholz in der Umgebung ausging. Stattdessen
wurde eine feste Hütte installiert. Die lieferte Schröpfköpfe, Wein-
ballons, Likör- und Weinflaschen, wie sie in Vitrinen zu bestaunen
sind.
Die Herren von Buttlar übernahmen diese Hütte und verlegten
sie nach Immenhausen. Der Grund: Dort gab es einen Bahnan-
schluss, sodass die Rohstoffe für die Glasherstellung – etwa Quarz-
sand, Soda und Kalk – auf der Schiene herangebracht werden konn-
ten. Das adlige Unternehmen ging freilich schon nach wenigen
Jahren in Konkurs, die technischen Anlagen sollen nicht mehr auf
der Höhe der Zeit gewesen sein.
Der neue Inhaber wurde Hermann Lamprecht, der bereits
zwei Glashütten und das Patent für den „Tropfenzähler“ besaß:
eine Glasflasche mit einem speziellen Verschluss. Außerdem pro-
duzierte er Einkochgläser und so brachte er die Produktion in
Immenhausen wieder in Schwung. Nach dem Ersten Weltkrieg je-
doch brachen seine weltweiten Kontakte zusammen. Ein weiteres
Mal machte der größte Arbeitgeber in Immenhausen dicht. Im
Zweiten Weltkrieg lagerten die Fieseler Flugzeugwerke auf dem
Firmengelände Ersatzteile, deshalb bombardierten die Alliierten
den Betrieb.
Obwohl danach von der Glashütte nicht viel übrig war, fand
sich wieder ein Käufer: Richard Süßmuth, ein Glasfabrikant, der am
Ende des Krieges aus dem schlesischen Penzig vertrieben worden
war. Als Glasschleifer hatte er ein schlichtes und unverwechsel-
Alle Motive: Glasmuseum Immenhausen

bares Design geschaffen, das von der Formsprache des Bauhauses
und des Werkbundes beeinflusst war. Das Museum in Immenhausen
zeigt Gläser, auf denen Süßmuth mit sparsamen Schliffen einen
Kranich fliegen oder eine Tänzerin anmutige Bewegungen vollfüh-
ren lässt. In der neuen Heimat entwickelte er seine berühmte „AE-
Serie“ mit dem Strahlenschliff.
In den 50er Jahren stand der Betrieb in Immenhausen wieder
in voller Blüte. 1964 wurden einige von Süßmuths Arbeiten gar auf
der documenta gezeigt und das Glasmuseum selbst dokumentiert
das Schaffen Süßmuths in einem eigenen Raum, dessen Fenster
teilweise aus farbigem Glas bestehen: Es sind Kirchenfenster aus
Heepen bei Bielefeld, die von Süßmuth entworfen und in seiner
Hütte produziert worden waren. Er pflegte gute Kontakte zur Kir-
che, so gab der Vatikan sogar einen Pokal bei ihm in Auftrag.
Mundgeblasenes Glas aus Immenhausen stand lange für eine
hohe Qualität, nur von Hand und mit Atem „beseelt“ konnten leichte
und dünnwandige Gläser hergestellt werden. Doch der Geschmack
wandelte sich, in den 60er Jahren kamen schwere und dickwan-
dige Gläser in Mode, wie sie ebenfalls im Museum zu sehen sind. Da
drohte wieder ein Konkurs. Süßmuth entschied, das Unternehmen
seinen 280 Mitarbeitern zu übertragen. Allerdings nicht freiwillig,
die Gewerkschaft und seine Mitarbeiter machten ihm Druck. Das Mu-
seum zeigt einen Film über die bewegten Jahre, in denen der erste
selbstverwaltete Betrieb der Bundesrepublik entstand. Die „Rote
Hütte“ war lange umstritten, Zulieferer und Kunden fürchteten, in
die Fänge von Kommunisten zu geraten. Aber nicht deshalb, sondern
weil mundgeblasenes Glas irgendwann endgültig nicht mehr konkur-
renzfähig war, musste die Hütte 1996 schließen.
Schon zehn Jahre vor dem Ende war das Museum im ehemaligen
Generatorhaus eingerichtet worden – und damit ein Stück Heimat:
„Heimat, das bedeutet in Immenhausen Glas“, sagt Museumslei-
terin Dagmar Ruhlig. Denn in guten Zeiten fanden etwa 500 Men-
schen in der Glashütte Arbeit, Süßmuth baute eine Siedlung für
seine Beschäftigten und organisierte Kulturveranstaltungen für sie
– auch daran erinnert das Museum. Im Erdgeschoss des Museums,
das von einem rührigen Verein unterstützt wird, stehen originale
Maschinen und Gerätschaften aus der Produktion; sie dokumen-
tieren, dass die Glasherstellung nicht nur ein schweißtreibender,
sondern auch hochkomplexer Prozess war.
Etwa seit den 60er Jahren, als kleine Schmelzöfen entwickelt
wurden, stellen Künstler auch in Immenhausen fantasievolle Ob-
jekte aus dem fragilen Material her. Wie das funktioniert, können
Besucher im Museum eigenhändig ausprobieren, denn es gibt ein
Atelier für Kurse, die meist schon früh ausgebucht sind.
Man kann sogar heiraten in diesem Glas-Haus. Damit die Feier
nach der Trauung nicht zum zweiten Polterabend gerät, sollte man
sich dafür aber besser einen anderen Ort suchen.
Ralf Pasch
Das Glasmuseum in Immenhausen liegt unmittelbar am Bahnhof, an
dem auch die zwischen Kassel und dem Umland verkehrende Regio-
tram hält. Die Dauerausstellung des Museums ist von Dienstag bis
Donnerstag, 10 bis 17 Uhr sowie von Freitag bis Sonntag, 13 bis
17 Uhr geöffnet. Führungen sind auch außerhalb der Öffnungszeiten
möglich. Im Laufe eines Jahres gibt es mehrere Wechselausstel-
lungen, so werden bis zum 22. August Parfumflakons aus mehreren
Jahrzehnten gezeigt.
Tel.: 0 56 73.20 60 | www.immenhausen.de/glasmuseum
Alte Meister,
Dampfmaschinen
und andere Schätze
Nordhessen hat eine Vielzahl ganz
besonderer und bemerkenswerter
Museen. Eine kleine Auswahl
(mehr unter www.nordhessen.de):
Im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe lockt
die Galerie der Alten Meister mit Werken
u. a. von Rubens, Rembrandt, Tizian und Dü-
rer – und eine bezaubernde Antikensamm-
lung mit dem „Kasseler Apoll“. Vom 21. Mai
bis 5. September wird zudem der gehobene
Silberschatz der Landgrafen präsentiert:
Prunkgefäße aus der Schatzkammer, rund 70
silbervergoldete Pretiosen aus der Zeit zwi-
schen 1550 bis 1700.
Tel.: 05 61.3 16 80
www.museum-kassel.de
Im Naturkundemuseum im Kasseler Otto-
neum findet der Besucher zahlreiche kultur-
historische Kostbarkeiten wie den „Goethe-
Elefanten“ und bemerkenswerte Sonderaus-
stellungen.
Tel.: 05 61.7 87 40 66
www.naturkundemuseum-kassel.de
Das Astronomisch-Physikalische Kabinett
in der Kasseler Orangerie zeigt Objekte der
Naturwissenschaft und Technik von der An-
tike bis zur Neuzeit.
Tel.: 05 61.3 16 80
www.museum-kassel.de
Das einzigartige Museum für Sepulkralkul-
tur am Weinberg in Kassel ist der Geschich-
te der Bestattungskultur gewidmet und prä-
sentiert regelmäßig fantasievoll kuratierte
Sonderausstellungen.
Tel.: 05 61.91 89 30
www.sepulkralmuseum.de
Für das Technik-Museum Kassel wurden be-
reits Hunderte beeindruckender Exponate aus
der Kasseler Technik-Geschichte zusammenge-
tragen, um herausragende Pionierleistungen –
von der Entwicklung der Dampfmaschine über
Henschel-Lokomotiven bis zum Transrapid und
der Solartechnik – zu dokumentieren. Vor dem
Besuch der Ausstellung auf dem ehemaligen
Henschelgelände sollte ein Blick auf die aktu-
ellen Öffnungszeiten geworfen werden.
www.tmk.de
Das Christian Daniel Rauch-Museum in Bad
Arolsen erlaubt einen tiefen Einblick in das
umfangreiche Werk Christian-Daniel Rauchs,
der als Meister des deutschen Klassizismus
geschätzt wird.
Tel.: 0 56 91.62 57 34
www.museum-bad-arolsen.de
Das Deutsche Hugenottenmuseum in Bad
Karlshafen dokumentiert die Stadtgründung
durch hugenottische Glaubensflüchtlinge, ihre
wechselhafte Geschichte und ihr segens-
reiches Wirken.
Tel.: 0 56 72.14 10
www.bad-karlshafen.de
Im Grenzmuseum Schifflersgrund in Bad
Sooden-Allendorf werden die Geschichte
der deutschen Teilung und deren Folgen für
die Menschen im Grenzgebiet gezeigt.
Tel.: 03 60 87.9 84 09
www.grenzmuseum.de
Mitten im produzierenden Revier wird im He-
ringer Werra-Kalibergbau-Museum die Ge-
schichte und Gegenwart des Bergbaus erzählt.
Tel.: 0 66 24.91 94 13
www.kalimuseum.heringen.de
Im Museum des Doms St. Peter in Fritz-
lar finden sich Gemälde, Skulpturen, litur-
gische Geräte und Zeugnisse der Stiftskir-
che vom Mittelalter bis in die Gegenwart.
Tel.: 0 56 22.9 99 90
www.basilika-dom-fritzlar.de
Das Braunkohle Bergbaumuseum in Borken
dokumentiert die Geschichte der Gewinnung des
Bodenschatzes in der Region, die nach einem
Grubenunglück im Jahre 1988 beendet war.
Tel.: 0 56 82.80 82 71
www.braunkohle-bergbaumuseum.de
Karikaturen, aber auch „Ernsthaftes“ zeigt das
Museum für zeitgenössische Kunst, Kultur
und Karikatur in Rotenburg an der Fulda.
Tel.: 0 66 23.9 14 85 14
www.muzkkka.de
Das Kautabakmuseum in Witzenhausen
ist ein lebendiges Haus, denn es befindet
sich in den Räumen des letzten noch exis-
tierenden Herstellers dieses Genussmittels.
Besucher können beobachten, wie der Tabak
verarbeitet wird, erfahren aber auch etwas
über den Anbau der Pflanze.
Tel.: 0 55 42.91 16 17
www.kruse-kautabak.de
Das mehrfach preisgekrönte Wolfgang-
Bonhage-Museum in Korbach bietet einen
Rundgang durch die Geschichte der Stadt und
der Region. Glänzender Publikumsmagnet der
musealen Bergbauabteilung sind das Gold vom
Korbacher Eisenberg, der wichtigsten Gold-
lagerstätte Deutschlands, und 250 Millionen
Jahre alte Fossilien aus der „Korbacher Spalte“.
Tel.: 0 56 31.5 32 89
www.museum-korbach.de
46 | magazin aus der mitte magazin aus der mitte | 47

Von der Unschuld der Vorspeise

Rotkäppchen und Rapunzel stehen
an den Töpfen von „Märchen-
köchen“ Pate
„Knusper, Knusper, Knäuschen, wer knus-
pert an meinem Häuschen?“ Geknuspert,
Dornröschen und Aschenputtel (Hauptge-
richt) und von Schneeweißchen und Rosen-
rot (Dessert), ist dieses märchenhafte Menü
im Rahmen eines Märchenkoch-Seminars für
nordhessische Köche entstanden.
Von Fest- und Hochzeitsmahlen wie bei
der sie sich und ihr gastliches Haus schmü-
cken dürfen).
Dornröschen und andere Märchenfiguren
stehen an ihren Kochtöpfen gewissermaßen
Pate. Was auf dem Teller landet, darf freilich Nicola Michailidis
nicht nur dem Namen nach märchenhaft sein: mit ihrer Tochter Stella

„Ein kleiner Beitrag

getafelt, geschlemmt und genossen wird
im Märchen jederzeit reichlich und häufig.
„Gesottenes und Gebratenes“ gibt’s nicht
nur bei Tischlein deck’ dich, auch die brave
Goldmarie verzehrt dies in Frau Holles Reich
täglich.
Märchenhaft klingt auch Zanderfilet mit
Rosenpesto an schwarzen Bandnudeln und
Feldsalatstrauß, Schweinefilet unter der
Rosenkruste an sortierten Linsen und Grieß-
ecken, gefolgt von Schmandnocken und
Beerensalat an Rosenblüten. Inspiriert von
Rapunzel und Pechmarie (Vorspeise), von
König Drosselbart angeregt, haben seit dem
vergangenen Jahr Köche aus der Heimat der
Brüder Jakob und Wilhelm Grimm beschlos-
sen, ihren Gästen Märchenhaftes zu ser-
vieren. Keine Sorge: Da brodelt nirgendwo
der dicke süße Brei aus dem gleichnamigen
Märchen im Kochtopf vor sich hin. Versichert
auch Eva Krackler vom Grone-Bildungszen-
trum in Kassel, das die Märchenkochsemi-
nare in Zusammenarbeit mit der Grimm-Hei-
mat-Nordhessen organisiert und schon ein
Dutzend Märchenköche ausgebildet hat (sie
sind erkennbar an einer Märchenkrone, mit
Es gilt, sich auf die Märchen einzulassen,
Viktualien und verwertbares Kulinarisches
in ihnen zu entdecken. So entstehen wahr-
lich fantasievolle Kreationen: Beim Frau- für mehr Lebensqualität in der Region.”
Holle-Menü kredenzt der Märchenkoch zum
Die Zukunft der Energieversorgung ist zunehmend dezentral: Viele kleine „Kraftwerke“ erzeugen
Beispiel Karotten-Mandel-Brot, marinierte
umweltverträgliche Energie. Wir fördern diese Entwicklung und die dafür notwendigen intelligenten
Lachsforelle an Wiesenkräuter-Salat sowie
Netztechnologien. Das ist gut für die CO2-Bilanz unserer Region und sichert Lebensqualität in
Gesottenes und Gebratenes vom Hahn mit
über 200 Städten und Gemeinden. E.ON Mitte – ein starkes Netz für die Region.
Rheinweinsauce, grünen Bohnen und Kür-
bisstampf. Damit nicht genug: Wie bei aus- www.eon-mitte.com
giebigen Tafeleien im Märchen gibt es am
Ende Birnen-Lavendel-Eis an Apfelkuchen
und Brombeermark.

Eine Rotkäppchen-Vorspeise muss durch ihre Rote Grütze Brotsuppe

Schlichtheit bestechen, sagt René Müller,
Chefkoch im Dornröschenschloss Sababurg.
Denn unschuldig sei das Rotkäppchen durch
den Wald zur Großmutter gegangen und
unschuldig komme somit auch die Vorspei-
se daher. Erkennbar an originären, unver-
fälschten Lebensmitteln wie Salat oder Roh-
kost. Natürlich aus der Region.
René Müller kreiert schon lange viele
seiner Speisen mit märchenhaften Bezügen.
Und – es versteht sich mit Blick auf Dornrös-
chens Geschichte fast von selbst – da spielt
vor allem die Rose eine tragende Rolle.
Inspirieren lässt er sich auch durch Rezepte
der Dorothea Grimm, Mutter der berühmten
Brüder. Vor der Zubereitung einer Roten
Grütze nach dem Original-Rezept aus dem
Jahre 1834 (s. rechts) wird eine Entschlüs-
selung von alten Maßen und Begriffen ste-
hen müssen. Die Grimm’sche Brotsuppe hat
Foto: iStockphoto
4 Lot Reismehl mit 4 Lot Grieß in eine Kasse-
rolle getan, mit 3/4 Quartier ausgepreßtem
Johannisbeer- oder Himbeersaft klar ge-
rührt, nebst 1/2 Pfund Zucker, etwas Zimt,
auch etwas Rotwein. Dies auf dem Feuer
beständig gerührt, bis es kocht, dann noch
unter beständigem Rühren 1/4 Stunde lang-
sam kochen lassen, bis es gehörig ausge-
quollen ist. In mit Wasser feucht gemachter
und mit Zucker ausgestreuter Form (Becher,
Tassen) eingefüllt, kalt werden lassen und
umgestülpt. Sauce dazu: 1/4 Quartier süßen
Flott mit etwas Vanille aufkochen lassen,
nebst 4 Lot Zucker, einem Eßlöffel voll Mehl
(mit Milch klar gerührt) unter beständigem
Rühren zu dem Flott gegeben. Kochen lassen
und dann mit 2 Eigelb abgerührt und durch
ein Sieb gegeben. Auf diese Art macht man
die Sauce mit Orangenblüten, Zitronenscha-
le und Mandeln.
1 Zwiebel schälen und in Ringe schnei-
den. 6 Scheiben Mischbrot entrinden und
in Rauten schneiden. Dann noch 1 Bund
gewaschenen Schnittlauch verlesen und in
Röllchen schneiden. Jetzt 1 Esslöffel But-
ter in einer Pfanne schmelzen lassen, die
Zwiebel darin gold-gelb schwitzen, danach
vom Herd nehmen. In einem großen Topf
3 Esslöffel Butter zerlaufen lassen und die
in Rauten geschnittenen Brotstücke darin
von allen Seiten gut anrösten. Anschlie-
ßend die gold-gelbe Zwiebel dazu geben.
2 Liter Fleischbrühe erhitzen und 3 cl Sher-
ry zugeben, dann vorsichtig zu der Brot-
masse gießen. Diese wird nach Geschmack
mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt, mit
Schnittlauch bestreut und alsbald serviert.
Man mag die Suppe noch mit frisch ge-
hobeltem Trüffel verfeinern, sie schmeckt
freilich auch „pur“.

Chefkoch Müller ein wenig abgewandelt und

bereits in modernes Küchendeutsch übertra- (Quelle: Grimms Küche. 210 Originalrezepte (Kreiert nach einem historischen Rezept von
gen. Ihm sei Dank. aus dem Haus der großen deutschen Märchen- der Mutter der berühmter Brüder, Dorothea
Dagmar Buth-Parvaresh sammler, München 1984, Willi Stubenvoll) Grimm, mit edlen Trüffeln verfeinert)
48 | magazin aus der mitte
Millionenschweres Pergament
Die Handschriftenabteilung der
Kasseler Universitätsbibliothek
birgt sagenhafte Schätze
Aus der taghellen Eingangshalle steigt der
Besucher hinab in eine Art Gruft. Im Keller
der Murhardschen Landesbibliothek befinden
sich zwei Räume: 80 Quadratmeter abge-
schirmt vom Licht der Sonne und vom aus-
ladenden Treppenhaus getrennt durch eine
schmale Glastür. Sie bergen Schätze, die für
Buchliebhaber unermesslich, für Versiche-
rungsvertreter millionenschwer sind: Hand-
schriften aus dem Mittelalter und aus der
Neuzeit. Manche reich illustriert, andere gar
nicht, aber dafür die einzigen Exemplare, die
es auf Erden noch gibt.
Das Braun der Vitrinen bringt etwas Wär-
me in die kühle Umgebung. Silberfarbene
Punktstrahler sorgen für ein wenig Hellig-
keit. Gedämpftes Licht lässt einen grünen
Hintergrund erkennen. Davor: großformatige
Pergamentseiten versehen mit anmutigen
Buchstaben, die kein Laie entziffern kann.
Die kunstvollen Miniaturen leuchten wie am
ersten Tag. Ihre Farben wurden aus Lapis-
lazuli, Malachit, Zinnober und Auripigment
gewonnen.
Ohne Pullover hält es hier keiner lange
aus. Die Raumtemperatur beträgt konstant
18 Grad. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei rund
50 Prozent. Ein feuchteres Klima würde die
kostbaren Bände für Mikroorganismen (Schim-
mel) anfällig machen. Bei zu trockener Luft dro-
hen die Cellulosefasern von Papier zu brechen.
Der fröstelnde Besucher deutet die 3.200
Kilogramm schwere Panzertür, mit deren Hil-
fe der zweite Kellerraum verschlossen wird,
zu Recht als Zeichen dafür, dass sich da-
hinter die wertvollsten Bücher der Kasseler
Handschriftenabteilung befinden. Der kost-
barste aller Schätze ist dabei der unschein-
barste: das Hildebrandlied. Nur zwei Blätter.
Nahezu im DIN-A-4-Format. Eng beschrieben
und übersät mit dunklen Flecken. Wer die
karolingische Minuskel entziffern kann und
Sammelhandschrift notiert. Das im Tresor der
Murhardschen Landesbibliothek aufbewahrte
Manuskript ist die weltweit einzige erhaltene
des Althochdeutschen mächtig ist, liest Handschrift des Liedes. Ihr Wert wird auf
Sätze wie diesen: „Welaga nu waltant got, mindestens 25 Millionen Euro geschätzt. Kein
quad hiltebrant, wewurt skihit“. Übersetzt: Wunder also, dass es dem Besucher allenfalls
„Wohlan nun, waltender Gott, sagte Hilde- gestattet ist, einen Blick auf das Original zu
brand, Wehgeschick geschieht“. werfen. Zum Anfassen hingegen: ein Faksimi-
Der Inhalt des ältesten deutschsprachigen le, das im Lesesaal der Handschriftenabtei-
Heldenepos ist schnell erzählt: Der Waffen- lung zwei Stockwerke höher steht.
meister Hildebrand hatte Frau und Sohn ver- Links neben dem Hildebrandlied: Eine
lassen, um seinem Herrn Theoderich ins feind- Gutenbergbibel aus dem 15. Jahrhundert.
liche Hunnenland zu folgen. Als der Vater Weltweit gibt es davon nur noch 48 erhaltene
Jahre später zurückkehrt, hält ihn sein Sohn Exemplare. Ganz links: 41 mal 29 Zentimeter
Hadubrand für einen feindlichen Hunnen und große Pergamentblätter, zweispaltig beschrie-
fordert ihn zum Kampf heraus. Über den Aus- ben und mit leuchtenden Miniaturen versehen
gang des Konflikts darf spekuliert werden, – Motive aus dem Leben des Grafen Wilhelm
denn der Schluss dieser germanischen Helden- von Toulouse und den Sarazenenkämpfen. Es
dichtung ist nicht überliefert. handelt sich um die vollständige Willehalm-
Um 1632 gelangte die Handschrift aus Trilogie, darunter das unvollendet gebliebe-
dem 9. Jahrhundert zusammen mit anderen ne Epos von Wolfram von Eschenbach. Eine
Kostbarkeiten aus dem Fuldaer Benediktiner- überaus kostbar bebilderte Handschrift aus
kloster in die Bibliothek der Landgrafen von dem 14. Jahrhundert, die der Kasseler Land-
Hessen-Kassel. Zwei Mönche hatten die in graf Heinrich II. zu repräsentativen Zwecken
Stabreimen verfassten 68 Verse auf der ersten herstellen ließ. Hätte der Maler damals alle
und der letzten Seite einer theologischen 470 geplanten Miniaturen fertiggestellt – die
Kasseler Handschrift wäre mit Abstand die am
reichsten bebilderte zu diesem historischen
Stoff gewesen. Warum er es nicht tat, ist nicht
überliefert. Möglich, dass der Künstler starb,
bevor er sein Werk vollenden konnte. So darf
sich die Nachwelt immerhin an 33 vollstän-
digen Bildern erfreuen.
„Man muss nicht nach Oxford fahren,
um Handschriften aus dem 6. Jahrhundert
zu sehen“, sagt Konrad Wiedemann, der die
Handschriftenabteilung seit 1992 leitet.
In seinem Haus liegt eines dieser seltenen
Manuskripte aus dem frühen Mittelalter,
von denen es weltweit nur noch ganz we-
nige gibt: „Vom Jüdischen Krieg“ von Fla-
Alle Abbildungen: Universitätsbibliothek Kassel
vius Josephus – eine Handschrift, die im 6.
Jahrhundert in Italien entstand und im Zuge
der Christianisierung über Südengland in die
Fuldaer Klosterbibliothek gelangte. Von dort
kam sie 1632 nach Kassel.
Es sind diese mehr als tausend Jahre al-
ten Pergamentseiten, die die Kasseler Samm-
lung so bedeutsam machen. Denn verglichen
mit anderen Institutionen hat die Hand-
Linke Seite: Teil des Hildebrandliedes, oben aus der Willehalm-Handschrift: der heidnische König Tybalt
mit seiner Gemahlin Arabel, im Turm der gefangene Willehalm. Willehalm bekehrt, so die Legende, in
der Gefangenschaft Arabel zum Christentum, flieht mit ihr und heiratet sie schließlich.
schriftenabteilung zwar nur eine mittlere
Größe: 10.000 Handschriften und 20.000
Autographen werden hier aufbewahrt. Dafür
aber gibt es jene exzellenten Einzelstücke
aus dem frühen Mittelalter, angefangen vom
6. bis ins 9. Jahrhundert. „Andere Samm-
lungen“, erläutert Wiedemann, „beginnen
oft erst im 12. Jahrhundert“.
Bedeutend ist der Kasseler Bestand auch
wegen seiner herausragenden Notensamm-
lung. Hier wird eine der ältesten Partituren
der Welt aufbewahrt, die zugleich die ältes-
te Partitur des Renaissance-Komponisten
und Kasseler Hoforganisten Heinrich Schütz
(1585 – 1672) ist. Mit 250 Manuskripten be-
herbergt die Murhardsche Landesbibliothek
außerdem die größte Sammlung alchemis-
tischer Handschriften aus dem 16. und 17.
Jahrhundert, zusammengetragen von Land-
graf Moritz (1572 – 1632), der eine Schwä-
che hatte für diese geheime Kunst mit ihren
Bemühungen, Gold herzustellen.
In die Finger bekommt der Besucher
derlei Raritäten natürlich nicht. Um das
Material etwa vor schwitzigen Händen zu
schützen, lässt die Universitätsbibliothek
nach und nach den gesamten Bestand der
Handschriftenabteilung digitalisieren. So
kann die Willehalm-Trilogie mitsamt ihren
farbenprächtigen Bildern bereits im Inter-
net bewundert werden. Einen Blick auf das
Original im Tresorraum ersetzt die virtuelle
Darstellung freilich nicht.
Susanne Scheerer-Maaß
Der Ausstellungstresor ist montags bis frei-
tags von 10 bis 16 Uhr geöffnet, der Hand-
schriftenlesesaal montags bis donnerstags
von 9 bis 13 Uhr und von 14 bis 16 Uhr.
Landesbibliothek und Murhardsche Biblio-
thek der Stadt Kassel, Brüder-Grimm-Platz
4A, 34117 Kassel. www.ub.uni-kassel.de
Rumpelstilzchen
und die Alchemisten
Die Überzeugung der Alchemisten, man kön-
ne aus Eisen Gold machen, erinnert an die
märchenhafte Verwandlung des gesponnenen
Strohs. Doch was Rumpelstilzchen vermochte,
das gelang den Alchemisten nicht. Immerhin
hat diese oft belächelte Geheimwissenschaft
auf der Suche nach dem Stein der Weisen
Wege zur Herstellung von Porzellan gefun-
den. Darüber hinaus aber verdanken wir dem
alchemistischen Experimentieren reich bebil-
derte Handschriften. Eine solche aus dem
16. Jahrhundert ist ebenfalls im Kasseler
Ausstellungstresor zu sehen.
50 | magazin aus der mitte
Vivaldi vor imposant-barocker Schloss-Kulisse, großes Theater in historischer Stiftsruine, König Drossel-
bart auf der Insel, Kabarettisten im „Park“, Tanzen am Strand und „Zisseln“ am Fuldaufer: Freunde
von Festspielen, Festivals und Festen kommen in Nordhessen auf ihre Kosten. Hier folgt nur eine kleine
Auswahl, mehr steht auch unter www.nordhessen.de
Bad Hersfelder Festspiele
Stars wie Götz George, Klausjürgen Wussow, Helen Schneider, Volker
Lechtenbrink und Theo Lingen standen bereits auf der Bühne der
Bad Hersfelder Stiftsruine, verspürten den einzigartigen Charme der
historischen Gemäuer und die Magie des großen Schauspielthea-
ters unter freiem Himmel. Die Bad Hersfelder Festspiele (12. Juni
Festspiele, Festivals, Feste … bis 8. August) gehen in ihre 60. Spielzeit – Grund genug, um im
Jubiläumsjahr die Auftritte zahlreicher Berühmtheiten aus Theater,
Film und Fernsehen Revue passieren zu lassen und gleichzeitig ein
neues Kapitel aufzuschlagen. Mit Holk Freytag als neuem Inten-
danten, Europa als neuem Schwerpunkt und einem neuen Familien-
stück („Die Brüder Löwenherz“) am Abend brechen die Festspiele in
die Zukunft auf. Auf dem Spielplan stehen Schillers „Wilhelm Tell“,
eine Musical-Neuproduktion von „Carmen“ und „Sommergäste“ von
Maxim Gorki.
www.bad-hersfelder-festspiele2010.de
Kultursommer Nordhessen
mit Europäischem Märchen- und Sagenfestival
Wie ein fein gesponnenes Netz legt sich der Kultursommer mit
seinem thematisch breit gefächerten Programm über Nordhes-
sen. Vom 18. Juli bis zum 3. September wird an historisch
reizvollen Schauplätzen Kultur inszeniert und zelebriert mit
Kammer-, Salon- und Weltmusik, mit großem Orchester, mit
Tanz und Theater. Einen Schwerpunkt des Kultursommers bil-
det, wie schon im vergangenen Jahr, das Europäische Mär-
chen- und Sagenfestival. So steht das letzte Juli-Wochenende
(23. bis 25. Juli) ganz im Zeichen regionaler- und internati-
onaler Märchen- und Sagenthemen. Zehn Veranstaltungen in
den fünf nordhessischen Landkreisen an drei Tagen, das reicht
von einer musikalisch-szenischen Lesung mit TV-Star Walter
Sittler in Bad Arolsen, faszinierendem Hand- und Fußthea-
ter in Schauenburg bis zum Märchen-Rockkonzert mit Dian in
Schwalmstadt-Treysa.
Foto: Bad Hersfelder Festspiele/Blitzlicht
Rechtzeitig zum Auftakt soll im Park der Stadt Gudensberg eine
18 Meter breite und vier Meter hohe Freilichtbühne im Märchenstil
eingeweiht werden. Eröffnet wird der Kultursommer auch in diesem
Jahr wieder ganz traditionell mit einem großen Picknick auf dem
Rasen vor Schloss Wilhelmstal.
www.kultursommer-nordhessen.de
magazin aus der mitte | 51
Arolser Barockfestspiele
Musiker, Tänzer, Märchenerzähler, Schauspieler, Literaten und Kul-
turliebhaber aus ganz Europa kommen vom 2. bis 6. Juni in Bad
Arolsen zusammen, um zum 25. Geburtstag der Barockfestspiele „Ein
europäisches Fest“, so das diesjährige Motto, zu feiern, das mit dem
Kindertheaterstück „König Drosselbart“ eröffnet wird. Im Mittel-
punkt der traditonsreichen Festspiele stehen dabei die Kunstmusik
und ihre volkstümlichen Wurzeln sowie die Stilwende zum Barock
um 1600. Auf dem vielseitigen Programm stehen auch Waldeckische
Märchen aus den Überlieferungen von Louis Curtze, Führungen durch
die barocke Residenzstadt Bad Arolsen sowie Dramatisches und Lite-
rarisches aus dem Alltag von Mensch und Tier, vorgestellt von Nacht-
schwärmer Robert Müsli. Zu den musikalischen Höhepunkten gehö-
ren die italienisch-russischen Hofsonaten und das Vivaldi-Konzert
des italienischen Spitzenensembles „Sonatori de la Gioiosa Marca“.
www.arolser-barockfestspiele.de
Brüder-Grimm-Festival
Erst Aschenputtel, dann Cinderella und nun König Drosselbart: Zum
dritten Mal steht ein Musical auf der Insel Siebenbergen in der Kas-
seler Karlsaue im Mittelpunkt des Brüder-Grimm-Festivals, das von
Juni bis August in Kassel und der Region mit einem bunten Ver-
anstaltungsreigen (Kindertheater, Vorträge, Lesungen) glänzen will.
Die Musicalfassung des Grimmschen Märchens König Drosselbart wird
vom 22. Juli bis 22. August auf einer schwimmenden Seebühne auf
der Insel Siebenbergen gezeigt.
www.brueder-grimm-festival.de
Kasseler Kulturzelt
Der Kasseler Sommer schmeckt nach Soul und Pop, er klingt wie
Holly Cole und Maceo Paker und ist ansteckend fröhlich wie die
17 Hippies. Die Namen der Künstler, die in den vergangenen 23 Jah-
ren im Kulturzelt in der Karlsaue auftraten und deren Karrieren zum
Teil hier gestartet wurden, liest sich heute wie ein „Who is who“ der
internationalen Musikszene. Das Kasseler Kulturzelt ist längst eine
weltmusikalische Erfolgsgeschichte und so werden sich auch in die-
sem Sommer (vom 8. Juli bis zum 22. August) etablierte Stars und
Newcomer die Bühne an der Drahtbrücke teilen.
www.kulturzelt-kassel.de
52 | magazin aus der mitte
Sommer im Park
Eines steht heute schon fest: Weder Besucher noch Künstler werden
beim Sommer im Park 2010 in Vellmar (26. Mai bis 13. Juni) nasse
Füße bekommen, da der gesamte Festivalbereich mit Holzfußboden
ausgestattet wurde. Mit trockenen Füßen und gewohnt trockenem
Humor werden dort neben Künstlern aus der Region u. a. Urban Priol,
Dr. Eckart von Hirschhausen, Oliver Polak, Wladimir Kaminer, das Duo
Badesalz, René Marik und unter anderem Sommer-im-Park-Dauergast
Götz Alsmann erwartet.
www.vellmar.de
Märchentheater
Herausspaziert! In Scheunen, Schlössern, Burgen, Burgruinen, auf
luftigen Bergwiesen, alten stimmungsvollen Stadtplätzen, in klei-
nen Museen, Mühlen, Kindergärten, Schulen und anderen Orten der
Region, die direkt am Märchenlandweg liegen, werden von Mai bis
September bereits zum 10. Mal märchenhafte Stücke des Spielraum-
Theaters und des Theaters Laku Paka gezeigt. 25 Orte im Landkreis
Kassel sind dabei und einige sogar mehrmals. Auf dem Programm
stehen über 100 Aufführungen.
www.theater-laku-paka.de, www.spielraum-theater.de
Rotenburger Strandfest
Rotenburg liegt zwar nicht am Meer, hat aber einen Strand, der jedes
Jahr mit einem großen Fest gefeiert wird. Das Heimat- und Strand-
fest in Rotenburg an der Fulda lockt vom 1. bis 5. Juli wieder Kinder
und Erwachsene ans Flussufer und auf den Festplatz mit Karussells,
Flohmarkt, Kinder-Olympiade, Lampionszug und Feuerwerk. Ein Fest-
zug durch die Stadt und ein Bootskorso auf der Fulda sowie das
große Schlossparkfestival runden das Spektakel ab.
www.rotenburg.de
Zissel
Warum das große nordhessische Heimat- und Wasserfest Zissel heißt
– und was das Wort bedeuten soll –, dafür konnten bislang selbst
Sprachforscher keine eindeutige Erklärung finden. Möglicherweise
handelt es sich um eine Ableitung aus dem Plattdeutschen: Geld
verzisseln zum Fröhlich- und Lustigsein, der Zissel also ein Begriff
für ausgelassene Lebens- und Feierfreude. Wie auch immer: Fest-
steht, dass auch in diesem Jahr in Kassel vier Tage lang (30. Juli
bis 2. August) zu Lande – auf der Zisselmeile – und vor allem zu
Wasser – auf der Fulda – kräftig gezisselt wird, wenn der „Häring“ als
Wahrzeichen des Volksfestes am Rondell hängt. Drachenbootregatta,
Fackelschwimmen und Wasserskishow, ein Festzug durch die Innen-
stadt und ein Festumzug auf der Fulle mit über 200 geschmückten
Booten gehören zu den traditionellen Zissel-Höhepunkten.
www.zissel.de
Open Flair Festival
Wenn sich anerkannte Rock-, Pop- und HipHop-Größen wie Fettes Brot,
Wir sind Helden, Jan Delay, Bela B und mehrere Tausend Fans in der Kreis-
stadt Eschwege treffen, geschieht das aus einem ganz bestimmten Grund:
Sie wollen es auf dem Open-Flair-Festival so richtig krachen lassen, das
in diesem Jahr (13. bis 15. August) seinen 26. Geburtstag feiert. Es ist
die Mischung aus Musik, Kleinkunst und Kinderprogramm, die jedes Jahr
bis zu 15.000 Besucher zum Festplatz „Werdchen“ pilgern lässt und das
Open Flair weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gemacht hat.
www.open-flair.de
Foto: Brüder-Grimm-Festival
Kaiserfest Fritzlar
Karl der Große ließ in Fritzlar eine Kaiserpfalz errichten, Heinrich „der
Vogler“ wurde bei einer Reichsversammlung in Fritzlar zum König er-
nannt und Otto der Große, Heinrich III. sowie Heinrich IV. machten
die Stadt zu einem wichtigen Schauplatz der Reichspolitik: Der Adel
fühlte sich wohl in Fritzlar, wo jetzt alle zwei Jahre mit dem Kaiserfest
(20. bis 22. August) an die bedeutende Geschichte der Stadt erinnert
wird. Für diesen Sommer sind Gaukler, Spielleute, Minnesänger, Musi-
ker und Märchenerzähler angekündigt. Auf dem Mittelaltermarkt tref-
fen sich Grafen und Ritter, lassen sich Handwerker über die Schulter
gucken, warten Spielleute und Feuerkünstler auf ihr Publikum.
www.kaiserfest-fritzlar.de
Foto: GrimmHeimat NordHessen
Foto: Kultursommer Nordhessen
Baunataler Sommer
Im zehnten Jahr seines Bestehens verlässt der Baunataler Sommer
Foto: Irrlichter
das Palastzelt im Stadtpark und erobert vom 20. bis 29. August eine
neue Bühne für sich. In der Stadthalle erwartet die Besucher des
zehntägigen Festivals die bewährte Mischung aus Kabarett, Comedy
und Musik. Zu den Gästen zählen u. a. Sängerin Julia Neigel, Zau-
berkünstler Nicolai Friedrich, Kabarettist Werner Koczwara und das
Comedy-A-cappella-Quintett Echte Kerle.
www.baunatal.de
Lullusfest
Als eines der ältesten Volksfeste Deutschlands richtet sich das Lullus-
fest in Bad Hersfeld (11. bis 18. Oktober) nach seinen eigenen Regeln:
Anders als die anderen wird das jahrhundertealte Heimatfest zu Ehren
des Gründers von Bad Hersfeld, Erzbischof Lullus von Mainz, nicht an
einem Wochenende, sondern an einem Montag offiziell eröffnet. Die
Zeitrechnung der „Herschfeller“ hat das Lullusfest sowieso im Griff:
Foto: Kultursommer Nordhessen
Foto: Kultursommer Nordhessen
Das „Lollsjahr“ unterteilt sich in die Monate „vor Lolls“ und „nach
Lolls“. Egal ob davor oder danach: Die Hersfelder und die erwarteten
500.000 Besucher freuen sich das ganze Jahr über auf die Lollswoche
mit Lullusfeuer, Lollsball, Lollslauf, Fahrgeschäften, Buden und Dip-
penmarkt mit über 130 Händlern aus ganz Deutschland.
www.lullusfest.de

Rausch der Farben und Düfte
In Wehretal-Hoheneiche schuf das
Ehepaar Helmert ein grünes Idyll,
das in einem Atemzug mit eng-
lischen Schlossparks genannt wird
Am Anfang war alles zwar nicht leer, aber
wüst. Als Siegrid und Klaus Ulrich Helmert
vor 20 Jahren ins Haus der Großeltern nach
Wehretal-Hoheneiche zogen, da war von einem
Gartenparadies noch nichts zu ahnen. „Der
Hofraum sah scheußlich aus“, erinnert sich
Siegrid Helmert. Daran schloss sich ein reiner
Nutzgarten an, „ohne eine einzige Blüte“. Und
dann kam nur noch Gestrüpp: Was einst eine
Obstwiese gewesen war, versank unter meter-
hohen Brennnesseln und Disteln.
Wer das 6.000 Quadratmeter große Grund-
stück heute erlebt, mag das kaum noch glau-
ben: Hinter dem sorgfältig restaurierten Fach-
werkhaus aus dem Jahre 1633 – dem ältesten
in dem kleinen Dorf bei Eschwege – erstreckt
sich einer der schönsten Gärten Nordhessens.
Und mehr noch: Er kann sich sogar rühmen,
in einem Atemzug mit englischen Parks oder
belgischen Schlossgärten genannt zu werden.
Denn das Werk der Helmerts wurde als einer
von ganz wenigen Privatgärten ins Europä-
ische Gartennetzwerk (EGHN) aufgenommen.
„Wir wussten gar nicht, wie uns geschieht“,
erzählen die Eheleute. „Das sind ja sonst nur
Parks.“ Anders als andere Mitglieder des Netz-
werks öffnen sie ihr grünes Reich allerdings
nur nach telefonischer Voranmeldung und mit
Führung. „Wir haben den Garten ja eigentlich
nur für uns angelegt, nicht für Besucher.“
Es begann mit Millimeterpapier. Minutiös
planten die Helmerts, wie aus den Gemüse-
beeten des nüchternen Nutzgartens ein blü-
hendes Reich zum Genießen werden sollte.
Bewusst gestaltet, aber trotzdem verwun-
schen. Sie ließen die alten Obstbäume üp-
pig von Efeu und Rambler-Rosen zuranken,
legten ein Wegekreuz mit schmalen, erdigen
Pfaden an, schufen Blumenrabatten, die sie
im Stil von Bauerngärten mit Buchsbaum-
hecken einfassten, pflanzten Stauden in
feinen Farbschattierungen; seitdem breitet
sich jedes Jahr ein Meer in Blau, Flieder und
Foto: Georg Burkhard
Violett aus. „Die Pflanzen dürfen ineinander
wachsen, aber nicht durcheinander“, erklärt
Siegrid Helmert. „Man könnte sagen: Der
Garten ist eine Mischung aus Kultur und Na-
tur – nichts Gezirkeltes, obwohl die Grund-
struktur streng ist.“
Im Herzen dieses „formalen Gartens“, wie
sie ihn nennen, steht ein Gartenhäuschen –
errichtet aus den Überresten alter Hühner-
häuser, ohne Strom, ohne elektrisches Licht,
aber rundum verglast. Der Blick nach drau-
ßen ist überwältigend, nicht nur im Juni,
wenn der Rosengarten vor der Tür in voller
Blüte steht. Weiß, rosa und purpur erstrahlen
dann die historischen Sorten, auf die sich
die Helmerts bewusst beschränkt haben. Ein
Rausch der Farben und der Düfte.
„Für uns ist unser Leben ein Traum“, sa-
gen die gärtnernden Eheleute. „Wir hätten uns
vorher in unseren kühnsten Träumen nicht vor-
stellen können, was wir alles zuwege bringen
würden.“ Seit sie vor zwei Jahrzehnten das Be-
rufsleben aufgaben und sich in Hoheneiche zur
Ruhe setzten, ist der Garten ihr Lebensinhalt.
Das Mittagessen haben sie gestrichen, um län-
ger draußen sein zu können, der Fernseher ist
abgeschafft, sie verreisen auch kaum noch.
Fast immer, wenn man das Anwesen der
Helmerts betritt, hängt dasselbe Holzschild
an der Türklinke: „Wir sind im Garten“. Im
Schnitt, so haben sie ausgerechnet, verbrin-
gen sie einen halben Tag mit der Arbeit in
ihrem grünen Reich. Danach genießen sie,
was sie erreicht haben.
Überall stößt man darum beim Lust-
wandeln auf Bänke, Stühle, Tische. „Das ist
praktisch unser Sommerwohnzimmer“, sagt
Siegrid Helmert, nachdem sie das halb ver-
fallene Tor am Ende des „formalen Gartens“
durchschritten hat. Es ist der Eingang zum
„Grasgarten“, wo früher Brennnesseln und
Disteln regierten. Für die ehemalige Streu-
obstwiese, die sich bis zum Mühlbach aus-
dehnt, hatte das Ehepaar keinen Masterplan.
„Das hat sich organisch entwickelt und wird
nie ganz fertig sein“, sagen sie.
Weitläufig und parkähnlich wirkt die Land-
schaft, die hier im Laufe der Jahre entstan-
den ist, ganz anders als der vordere Teil des
Helmert’schen Werks, aber nicht minder schön.
Stets aufs Neue öffnen sich Sichtachsen, ge-
säumt von Büschen, Bäumen und Hecken, die
den Blick in die Tiefe des Grundstücks ziehen.
Immer wieder überraschen die Aussichten
– und schon, wenn man sich umdreht, sieht
wieder alles ganz anders aus. Da steht eine
Ruhebank vor einer großen, geschwungen ge-
stutzten Ligusterhecke. Da hat sich ein toter
Apfelbaum in ein höchst lebendiges Ranken-
gebirge aus Rose und Geißblatt verwandelt. Da
trieb eine umgestürzte Weide am Bach wieder
aus und ist so zur liegenden Hecke geworden.
„Es ergeben sich manchmal sehr schöne Dinge,
wenn man nicht sofort alles aufräumt“, sagt
Klaus Ulrich Helmert. Und der Zufall darf beim Das Europäische takulären Barockgärten der Landgrafen von
Gärtnern durchaus helfen. Gartennetzwerk Hessen in Kassel: Sowohl die Karlsaue mit Oran-
Mit einem englischen Landschaftspark ist gerie als auch der größte europäische Bergpark
der „Grasgarten“ verglichen worden. Die Hel- Das 2003 gegründete Europäische Garten- in Wilhelmshöhe mit seinen Wasserspielen und
merts aber legen keinen Wert auf derartige Eti- netzwerk (European Garden Heritage Network dem alles überragenden Herkules-Monument
kettierungen. Ihnen ist lieber, was eine Freun- – EGHN) vereint rund 130 Parks und Gärten in wurden zur Aufnahme ins Weltkulturerbe der
din einmal gesagt hat. „Der Garten“, habe die Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Nie- Vereinten Nationen vorgeschlagen.
Frau geantwortet, als sie um eine Charakteri- derlanden und Deutschland. Zwölf regionale Weitere nordhessische Netzwerk-Stationen
sierung des grünen Idylls von Hoheneiche ge- Routen sollen Gartenkunst, Natur, Geschichte, sind der Burggarten des Dornröschenschlosses
beten wurde, „ist einfach unbeschreiblich.“ Kultur und regionale Identität erlebbar machen. Sababurg, der romantische Landschaftsgarten
Joachim F. Tornau Eine dieser Routen führt durch Nordhessen. des Gutshofs Escheberg bei Zierenberg, die
Zu den zehn EGHN-Mitgliedern in der Regi- Schlossparks von Wilhelmsthal und Haydau
Privatgarten Helmert | 37287 Wehretal- on zählen neben dem Privatgarten der Helmerts sowie die kaiserzeitliche Gartenanlage einer
Hoheneiche, Anmeldung erforderlich unter und den Kurparks von Bad Wildungen und Bad früheren Industriellenvilla in Rauischholzhau-
Tel.: 0 56 58.84 95 Hersfeld – im Jahr 2008 zum zweitschönsten sen bei Marburg.
www.eghn.org/etpg-helmert-prolog.html Park Deutschlands gekürt – vor allem die spek- www.eghn.org
56 | magazin aus der mitte
MADE IN NORDHESSEN
6 Teile + 10 Schrauben + 2 Muttern = Die nordhessische Firma Thonet
hat Designgeschichte geschrieben
Nr. 14
Auch Stühle haben Geschichte. Wie die Ge-
schichte vom Thonet Nr. 14. Sie nämlich
erzählt vom Biegen und Brechen und der
Experimentierwut eines Tischlermeisters
in Boppard am Rhein. Lässt sich Holz in
Schichten verleimen, im Wasserbad dämp-
fen und dann biegen, ohne zu brechen? Mi-
chael Thonet versuchte das Unmögliche ab
1830 in seiner kleinen Werkstatt und erfand
die Bugholztechnik. Mit dem Stuhl Nr. 14,
dessen Rückenlehne schlicht aus zwei gebo-
genen Holzstäben gebildet wird, gelang ihm
später auch der Durchbruch zur industriel-
len Fertigung, denn sein großer Wurf be-
steht aus nur sechs Teilen, zehn Schrauben
und zwei Muttern.
Kaufen konnte man ihn damals, den auf-
rechten Kaffeehausstuhl aus Holz, für den
Preis von 36 Eiern. Heute, nach 150 Jahren,
hat die Nr. 14 längst Designgeschichte ge-
schrieben und ist 60 Millionen Mal verkauft
worden. Ein Stuhl, der, schmucklos und eher
unbequem, den Besetzer nicht zum „Sich-
darauf-Einrichten“, nicht zum „Drinsitzen“
einlädt. Dieser Thonet überlässt eher dem
Nutzer die Entscheidung, wie er zu sitzen
vermag. Wer hier sitzt, sitzt eben so, wie er
es selbst kann. Das nennt man die Demokra-
tie des Sitzens.
Im idyllischen Fachwerkstädtchen an
der Eder, Frankenberg, hat der weltbekann-
te Stuhlhersteller Thonet seinen Firmensitz.
Ein Familienunternehmen in der fünften
Generation. „Biegen oder Brechen“ ist dann
auch auf einem Wandrelief zum Showroom
der Firma zu lesen, die Erinnerungen an
den Firmengründer sind präsent. Die Nr. 14
(heute 214), auf der später Pablo Picasso
und Marilyn Monroe posieren werden, eb-
nete den Weg zum Weltunternehmen. Es
folgten zahlreiche Bugholz-Möbel, wie der
Schaukelstuhl Nr. 1 aus dem Jahr 1860, ein
eleganter und schwungvoller Sessel. Heute
gibt es den nostalgisch anmutenden Schau-
kel-Fauteuil in einer limitierten Auflage.
Fotos: Thonet
1930 gelang dem Unternehmen ein
weiterer Coup: Die Moderne fand ihren
Ausdruck in den Stahlrohrmöbeln aus dem
Hause Thonet, die von so berühmten Ar-
chitekten und Bauhauskünstlern wie Mart
Stam, Mies van der Rohe, Marcel Breuer und
le Corbusier entworfen wurden. Die offene,
schlichte Form der Möbel aus Stahl und Holz
war Inbegriff der „Neuen Sachlichkeit“, die
in Alltagskultur und auch Architektur da-
mals das Schwere und Üppige ablöste.
magazin aus der mitte | 57
Als eine der wichtigsten Design-Neuheiten
des 20. Jahrhunderts gilt der Freischwinger,
ein hinterbeinloser federnder Kragstuhl.
Das künstlerische Urheberrecht wurde dem
Architekten Mart Stam zugesprochen, doch
bereits 1925 hatte Marcel Breuer mit kalt
gebogenem Stahlrohr experimentiert. Die
Freischwinger, klassische Erfolgsmodelle
aus dem Hause Thonet, sind auch hier mit
Ziffern durchgezählt und verzichten stolz
auf einen Namen: Der S 33 steht für den
ersten Freischwinger, S 32 und S 64 für die
Entwürfe Marcel Breuers und S 533 steht
für den Stuhl von Mies van der Rohe. Die-
se Stühle, klassisch, schön, ohne Schnick-
schnack und leicht federnd, wenn man sich
darauf setzt, vermitteln ihren Nutzern ein
angenehmes Gefühl von Leichtigkeit und
sind auch heute noch mit ihrem Gestell aus
einem einzigen gebogenen Stahlrohr ein
kleines Wunderwerk. Der Strahlrohrstuhl
von Mart Stam, ehemals nur mit schwarzer
Sitzfläche zu kaufen, gibt es, dem Trend
entsprechend, inzwischen auch mit far-
bigem Outfit.
Bugholz und Stahlrohr prägen die Fir-
mengeschichte: Als die Freischwinger pro-
duziert wurden, hatte die Firma längst im
nordhessischen Frankenberg ihren Sitz ge-
funden. Nachdem der Gründer Michael Tho-
net 1842 von Fürst Metternich aus Boppard
nach Wien an den kaiserlichen Hof geholt
worden war, erlebte das Unternehmen ei-
nen rasanten Aufschwung. Um 1900 wur-
de in sieben Fabriken im heutigen Tsche-
chien, Ungarn, Russland und Deutschland
produziert. Das Werk in Frankenberg, 1889
erbaut und inzwischen erweitert, war das
letzte und jüngste der Firmengeschichte.
Im Zweiten Weltkrieg waren alle Werke in
den osteuropäischen Staaten enteignet und
die Wiener Zentrale zerstört worden. Fran-
kenberg ist heute der Hauptsitz der Firma
Thonet, Niederlassungen gibt es in den ver-
schiedensten Metropolen der Welt.
Über 190 Jahre Thonet ist eine Unter-
nehmensgeschichte mit großer Tradition
– einer Tradition, die auch ihre Vorgaben
für die Firmenphilosophie vorgibt. In der
fünften Generation führen heute die drei

T.s, Peter, Claus-Michael und Philipp Tho-
net, die Geschicke in Frankenberg. Die drei
Brüder weiteten das Objektgeschäft mit
Konferenzstühlen und Großraumbestuhlung
aus, es macht heute 75 bis 80 Prozent der
Produktion aus. Sie kultivierten ihre Möbel-
Klassiker und verstärkten die Auslandsge-
schäfte. Doch maßgeschneiderte Möbel und
innovatives Design sind auch weiterhin das
Credo des familiengeführten Unternehmens.
Peter Thonet, zuständig für das Marke-
ting und den Vertrieb, sitzt entspannt in
einem der leicht federnden Stahlrohrstühle
im neu gestalteten Showroom in Franken-
berg und sinniert über das Firmenethos.
Eben mit Blick auf die Tradition habe man
einen hohen Qualitäts- und Designan-
spruch verbunden mit einer großen Funk-
tionalität, aber auch Nachhaltigkeit und
Materialressourcen spielten bei der Ent-
wicklung neuer Produkte eine Rolle. „Wir
wollen“, sagt der 62-Jährige, „Strömungen
mitmachen, ohne modisch zu wirken.“ Be-
sonders im sogenannten Imageträger, dem
Wohnbereich mit Möbeln aus den Materi-
alien Holz, Stahl, Leder und Stoff, ist man
stets mihilfe des Kreativdirektors der Fir-
ma, dem britischen Stardesigner James Ir-
vine, auf der Suche nach neuen bekannten
Shootingstars, um die Produktpalette zu
erweitern.
magazin aus der mitte | 59
Reise durch die Welt der Sprache
Die Wissens- und Erlebniswelt Und vielleicht begegnen Ihnen auf Ihrer Ent- Damit die multimediale Reise durch die
„Science Center“ in Bad Hers- deckungstour durch die magische Welt der verschiedenen Formen und Facetten von Spra-
feld will ab 2011 Besucher in Sprache, die im Mittelpunkt des in Bad che und Kommunikation kein langweiliger
die magische Welt der Sprache Hersfeld geplanten „Science Centers“ steht, Museumsrundgang wird, setzen die Macher
entführen tatsächlich märchenhafte Gestalten: Keine auf das Zauberwort „Edutainment“, eine Mi-
Geringeren als die Brüder Grimm mit ihrem schung aus Wissensvermittlung (Education)
Stellen Sie sich Folgendes vor: Durch eine weltbekannten Werk gehören zu dem Team, und Unterhaltung (Entertainment). Lernen,
im wahrsten Wortsinn fabelhafte Tür, die Sie das uns Augen und Ohren für die „Magie der das Spaß machen und mit einem ständig
im Deckel eines gigantisch großen Buches Sprache“ öffnen soll. Mit von der Partie sind aktualisierten Bildungsangebot immer auch
öffnen, gelangen Sie in das geheimnisvolle außerdem Konrad Zuse, der Vater der Compu- auf der Höhe der Zeit sein soll.
Reich „Magie der Sprache“. Sie treten ein – tertechnik, und besagter Konrad Duden. Wenn die Wirklichkeit hält, was die Pla-
und stehen in einem Meer von Buchstaben. Hinter dem „Science Center“ verbirgt nungen versprechen, dann wird das „Science
Die dürfen Sie jetzt auf riesigen Seiten zu sich eine eindrucksvolle Wissens- und Erleb- Center“ Teil eines Bad Hersfelder Jahrhundert-
Wörtern bilden und so Konrad Duden dabei niswelt, die nach den Wünschen der Projekt- projekts mit Konzerthalle und Bildungsstätte
helfen, sein „Orthografisches Wörterbuch“ zu väter im September 2011 ihre Pforten für auf dem dann neugestalteten „Babcock“-
schreiben. Märchenhaft. Besucher aus aller Welt öffnen will. Industrieareal sein. apl/red.
Dafür steht nach Angaben von Peter Tradition und Innovation gehen seit je-
Thonet die Zusammenarbeit mit dem legen- her in Frankenberg eine selten gelungene
dären japanischen Industriedesigner Nao- Synthese ein, das schafft Zuversicht und
to Fucasawa, der einen Stuhl entwickelte, Stärke auch für Krisenzeiten. „Wir gehen
mit Claudio Bellini mit seiner Tisch-Stuhl- nicht besorgt in die Zukunft“, meint Peter
Kombination und mit Marc Venot mit sei- Thonet. Erst im letzten Jahr gelang dem
nen Satztischen aus Holz. Vor drei Jahren Unternehmen aus Frankenberg ein weiterer
konnte man mit dem 37-jährigen Stefan Schachzug: Die Kooperation mit dem ja-
Diez einen der gefragtesten Jung-Designer panischen Label Muji interpretiert mit der
Deutschlands gewinnen. Mit dem Holzstuhl Kollektion „Muji manfactured bei Thonet“
404, dessen vier Beine an einem zentralen die Stahlrohr- und Bugholzklassiker neu
Punkt verbunden sind und dadurch eine und bietet sie preiswerter für den Markt an.
hohe Elastizität erreichen, erdachte er die Jüngere Kundenschichten sollen so erreicht
legendären Bugholzstühle aus dem Hause werden – Thonet auch für die Studentenbu-
Thonet neu und wurde dafür mit dem De- de. Ein spannendes Konzept für ein Unter-
signpreis iF gold Award ausgezeichnet. Der nehmen mit der heute selten gewordenen
Diez-Stuhl reiht sich ein in die Linie der Fir- Familientradition.
ma, die, so Peter Thonet, „entsprechend un- Juliane Sattler
serer Verpflichtung eine gewisse Konstanz
haben sollte“.
Zahlen, Daten, Namen
Thonet produziert 100.000 Möbelstücke im Jahr, jährlich werden fünf bis sechs neue Modelle
entwickelt. +++ In Frankenberg sind 178 Mitarbeiter beschäftigt. +++ Der Thonetstuhl steht
im Duden und ist in zahlreichen Museen der Welt als Designklassiker vertreten. +++ Der Stuhl
Nr. 14, ein Millionenseller, kostet heute 498 Euro. +++ Das Thonet-Museum zeigt seit 1989
auf über 700 Quadratmeter Fläche die Geschichte der Thonet-Möbel. Öffnungszeiten: Mo., Mi.
und Fr. 14 bis 17 Uhr.
Tel.: 0 64 51.50 80 | www.thonet.de
60 | magazin aus der mitte
IMPRESSUM
HERAUSGEBER
Regionalmanagement Nordhessen GmbH
Ständeplatz 13 · 34117 Kassel
Tel.: 05 61.97 06 2-00 · Fax: 05 61.97 06 2-22
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www.regionnordhessen.de
REDAKTION
Anne Riedel · Dr. Frank Hermenau ·Thomas Wessel
magazin-aus-der-mitte@t-online.de
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ari.adne@t-online.de
BEIRAT
Michael Adam, Annette Ulbricht, Klaus D. Brand-
stetter, Klaus Krimmel, Harald Kühlborn, Siegfried
Rauer, Holger Schach, Hans-Jochem Weikert,
Dieter Werkmeister
AUTOREN UND MITARBEITER DIESER AUSGABE
Dagmar Buth-Parvaresh, Bernd Gieseking,
Dr. Frank Hermenau, Ilona Lehnart, Verena Joos,
Ralf Pasch, Alexander Pluquett, Anne Riedel,
Sarah Rogge-Richter, Juliane Sattler,
Susanne Scheerer-Maaß, Rainer Schumann,
Joachim F. Tornau, Thomas Wessel
GESTALTUNG
Roberts Marken & Kommunikation GmbH, Kassel
ANZEIGEN
ari.adne information & kommunikation
Fax: 05 61.6 80 10 · ari.adne@t-online.de
DRUCK
Strube Druck & Medien OHG, Felsberg
Ausgabe: Sommer 2010
Druckauflage: 40.000
Herausgeber und Redaktion haften nicht für Druck-
und Satzfehler, nicht für verspätete Auslieferung
durch die Druckerei und nicht für unverlangt
eingesandte Bilder und Manuskripte. Termin- und
Adressangaben sind ohne Gewähr. Nachdruck nur mit
schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt.
Rätselhaft
Residenzschloss, Bad Arolsen
Bad Arolsen, prachtvolle Barock-
und Museumsstadt. Besonders sehenswert:
das ehemalige Residenzschloss der Fürsten
zu Waldeck und Pyrmont, das Daniel Rauch-
Museum, das Schreibersche Haus sowie das
von barocken Kleinodien geprägten Stadtbild.
Tel.: 0 56 91.8 94 40, www.bad-arolsen.de
Dieses verfremdete Foto zeigt eine Frau, die für die Brüder Grimm außerordentlich wichtig
war, weil sie ihnen schöne Geschichten und Legenden erzählte. Wissen Sie, um wen es sich
handelt? Dann schicken Sie die Auflösung per E-Mail an magazin-aus-der-mitte@t-online.de Eschwege, über 1000 Jahre altes
oder per Postkarte an die Redaktion Magazin aus der Mitte, Elfbuchenstraße 2, 34119 Kassel. Städtchen mit beeindruckend vielen Fach-
Einsendeschluss ist der 1. Oktober 2010. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. werkhäusern. Besonders sehenswert: das
alte Rathaus mit seinem Glockenspiel und
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Ein Aufenthalt auf dem Dornröschenschloss Sa-
baburg: Zwei Übernachtungen für zwei Personen Frankenberg, kleines Städtchen mit
inklusive Frühstück und einem „märchenhaften hübscher Altstadt und der alles überragenden
Menü“ mit regionalen Spezialitäten. Alle Zimmer Liebfrauenkirche. Schmuckstück der Franken-
sind – seit 400 Jahren – nach Tieren benannt; berger Altstadt ist das zehntürmige Rathaus.
zur Begrüßung gibt es eine Rose aus dem zau- Tel. 0 64 51.50 51 130, www.frankenberg.de
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der prachtvolle Dom mit Domschatz und
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klusive „Gut Essen & Trinken“ im hauseigenen
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www.kurhessen-therme.de reichen historischen Bauwerken wie dem Küs-
terhaus. Besonders sehenswert: die Stiftsruine,
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rockstadt an der Weser. Besonders sehens-
wert: das barocke Quartier mit dem Rathaus
am Hafen und das Hugenottenmuseum.
Tel.: 0 56 72.99 99 22,
www.bad-karlshafen.de
Museum Fridericianum, Kassel
Kassel, documenta-Stadt und einer
der bedeutendsten Museumsstandorte in
Deutschland. Besonders sehenswert: der
Bergpark mit Herkules, Löwenburg und Was-
serspielen, das Schloss Wilhelmshöhe, das
eine der weltweit größten Rembrandt-Samm-
lungen beherbergt, und die Karlsaue mit der
Orangerie.
Tel.: 05 61.70 77 07, www.kassel-tourist.de
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Korbach, über tausend Jahre alte Han-
sestadt mit liebevoll restaurierter Altstadt.
Besonders sehenswert: das preisgekrönte
Wolfgang-Bonhage-Museum mit 250 Milli-
onen Jahre alten Exponaten zur Fossilien-
fundstelle „Korbacher Spalte“ und dem hi-
storischen Goldbergbau.
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magazin aus der mitte | 61
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Melsungen, idyllisch gelegene Fach-
werkstadt an der Fulda. Besonders sehens-
wert: das Rathaus, das 1556 erbaut wurde
und als eines der schönsten Fachwerk-Rat-
häuser Deutschlands gilt und die Barten-
wetzerbrücke.
Tel.: 0 56 61.92 11 00,
www.melsungen.de
Rotenburg a. d. Fulda, altes
Landgrafenstädtchen mit malerischer Alt-
stadt. Besonders sehenswert: das Landgra-
fenschloss, die Schleusen- und Wehrablage
und der historische Marktplatz mit Rathaus
und Kirche.
Tel.: 0 66 23.55 55 oder 0 66 23.93 30,
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Bad Sooden-Allendorf, renom-
miertes Heilbad, reich an architekto-
nischen Perlen. Besonders sehenswert: die
romantischen Gassen in der Altstadt und
die Werrtaltherme mit integriertem Gradier-
werk.
Tel.: 0 56 52.9 58 70,
www.bad-sooden-allendorf.de
Bad Wildungen, traditionsreiches
Heilbäderzentrum. Besonders sehenswert:
Europas größter Kurpark mit der historischen
Wandelhalle und dem Quellenmuseum sowie
eine Fülle verspielter Jugendstil- und pracht-
voller Barockbauten und das imposante
Schloss Friedrichstein.
Tel.: 0800.7 91 01 00 (gebührenfrei),
www.bad-wildungen.de
62 | magazin aus der mitte magazin aus der mitte | 63

Bad Karlshafen

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Reiche Region

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Märchenhaft schöne Landschaften, großartige Wälder, malerische Städte, bezaubernde A44

Schlösser und Burgen, einzigartige Museen und Kulturschätze:

ze: Die GrimmHeimat NordHessen

Weser
ist reich an Natur-, Kultur- und Kunstschätzen. Und mittenen durch die Region verläuft die 3

Deutsche Märchenstraße, eine der ältesten Ferienstraßen Deutschlands.

eutschlands. Sie ist auf der Karte 7
Hann. Münden
rot eingezeichnet. Weitere fabelhafte Stationen stehen unter
er www.nordhessen.de 252
Immenhausen
Fulda
Bad Arolsen A7
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Mit Viessmann kann die Zukunft kommen: Unser

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Viessmann Deutschland · 35107 Allendorf (Eder) · Telefon 06452 70-2555

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