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Begutachtung:
Univ. Prof. Dr. Sabeth Buchmann
(Akademie der bildenden Künste Wien)
Zweitbegutachtung:
Univ. Prof. Dr. Patrizia Giampieri-Deutsch
(Universität Wien)
Foto aus dem Film Primiti Too Taa (2006) von Ed Ackerman und Colin Morton.
(nach einem Gedicht von Kurt Schwitters).
Derselbe Trieb, der die Kunst in’s Leben ruft, als die zum Weiterleben verführende
Ergänzung und Vollendung des Daseins, liess auch die olympische Welt entstehn, in der
sich der hellenische “Wille” einen verklärenden Spiegel vorhielt.
Unsere Sache ist ein Geheimnis in einem Geheimnis, das Geheimnis von etwas, das
verhüllt bleibt, ein Geheimnis, das nur ein anderes Geheimnis erklären kann, ein
Geheimnis über ein Geheimnis, das sich mit einem Geheimnis befriedigt. (Ga’far al-
Sadiq, sechster Imam)
If you remain as you are now, you are in the wakeful state; this becomes hidden in the
dream state; and the dream state disappears when you are in deep sleep. You were there
then, you are there now, and you are there at all times. The three states come and go, but
you are always there. It is like a cinema. The screen is always there but several types of
pictures appear on the screen and then disappear. Nothing sticks to the screen, it remains
a screen. Similarly, you remain your own Self in all the three states. If you know that,
the three states will not trouble you, just as the pictures which appear on the screen do
not stick to it.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ......................................................................................................... - 6 -
1.1 Kontext .......................................................................................................... - 6 -
1.2 Fragestellungen und Ausrichtung .................................................................. - 8 -
1.3 Produktionssphäre / Methode ...................................................................... - 10 -
1.3.1 Dispositiv ............................................................................................. - 11 -
1.3.2 Abkömmlinge des Ubw........................................................................ - 13 -
2 Das Unbewusste und der Film ..................................................................... - 14 -
2.1 „Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens“
(1911) ........................................................................................................... - 15 -
2.2 „Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der
Psychoanalyse“ (1912) ................................................................................... - 16 -
2.3 Die metapsychologischen Schriften von 1915 ............................................ - 18 -
2.3.1 Triebe und Triebschicksale .................................................................. - 18 -
2.3.2 Die Verdrängung und ihre Bedeutung im Film.................................... - 20 -
2.4 „Das Unbewußte“ (1915) ............................................................................ - 22 -
2.4.1 Herkunft des Begriffes und Rechtfertigung ......................................... - 22 -
2.4.2 Topik und Dynamik ............................................................................. - 23 -
2.4.3 Die Aktualität der Theorie von den Eigenschaften des Systems Ubw
und die Kunst ...................................................................................... - 25 -
2.4.4 „Metapsychologische Ergänzungen zur Traumlehre“ (1915) .............. - 27 -
2.5 „Das Ich und das Es“ (1923) ....................................................................... - 29 -
2.6 Freud und das Kino der Jahrhundertwende ................................................. - 32 -
2.7 Das Unbewusste als mediologische Konstruktion ...................................... - 34 -
2.8 Das Problem der Bild- und Wortvorstellung bei Freud............................... - 35 -
2.9 Lacan und die Theorie des Signifikanten .................................................... - 40 -
2.10 „L’inconscient: une etude psychoanalytique“ von Laplanche und Leclaire –
das Ubw als Bildvorstellung........................................................................... - 44 -
3 Technische Dispositive des Denkens ............................................................ - 50 -
3.1 Baudry und davor ........................................................................................ - 50 -
3.2 Der imaginäre Signifikant von Christian Metz und der Avantgardefilm .... - 55 -
3.3 Deleuze: das Kunstwerk als Wunschmaschine ........................................... - 63 -
3.4 Maurizio Lazzarato: Zeitkristalle als Dispositiv ......................................... - 67 -
4 Avantgardefilm .............................................................................................. - 71 -
4.1 Entwicklung/Struktur .................................................................................. - 71 -
5 Kurt Kren und der Formalismus des Absurden ........................................ - 78 -
5.1 „1/57 Versuche mit synthetischem Ton/Test“ ............................................. - 78 -
5.2 „2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test“ und spätere Porträt-Filme .............. - 82 -
5.3 Die Wiener Aktionsfilme ............................................................................ - 86 -
5.4 Kurt Kren „31/75 Asyl“............................................................................... - 96 -
-3-
6 Peter Tscherkassky – Kinematografie des Psychischen .......................... - 101 -
6.1 Tabula Rasa und die Frage des Spiegelstadiums ....................................... - 103 -
6.2 Parallel Space: Inter-View ......................................................................... - 109 -
6.3 Found Footage-Film – Outer Space .......................................................... - 117 -
7 Die Wiederholung als filmische Zeit .......................................................... - 126 -
7.1 Martin Arnold im Kontext ......................................................................... - 126 -
7.2 Psychoanalytische Theorien der Wiederholung ........................................ - 130 -
7.2.1 Die Wiederholung des Symptoms im Subjekt, in der Kur und im Film
............................................................................................................ - 130 -
7.2.2 Witz / Triebe ...................................................................................... - 136 -
7.2.3 Fort-Da-Spiel...................................................................................... - 140 -
7.3 Passage a l’acte und Alone. Life Wastes Andy Hardy .............................. - 142 -
7.4 „To The Happy Few“ von Thomas Draschan ........................................... - 150 -
7.5 Eine Wiederholungs-Perspektive auf den Avantgardefilm ....................... - 155 -
8 Fazit .............................................................................................................. - 158 -
9 Abbildungsverzeichnis ................................................................................ - 164 -
10 Literaturverzeichnis ................................................................................ - 165 -
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Kurzfassung
In der vorliegenden Dissertation werden die Darstellungsmodi des Unbewussten im
Film untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der filmtheoretischen Anwendung
metapsychologischer Modelle Sigmund Freuds und darauf aufbauender Theorien. Nach
einer umfassenden Recherche von relevanten Theorien des Unbewussten in
Psychoanalyse und Filmtheorie werden die produktionsseitigen Modalitäten der
Darstellung des Unbewussten im Film einer historisch-kritischen Diskussion
unterzogen. Werke aus dem Avantgardefilm von Kurt Kren, Martin Arnold und Peter
Tscherkassky stellen den Mittelpunkt der theoretisch-künstlerischen
Auseinandersetzung dar. Film wird auf seine Eignung als Dispositiv von psychischen
Vorgängen sowie auf seine Möglichkeit hin untersucht, Abkömmlinge des Unbewussten
zu produzieren. Im Zuge einer Re-Konzeption der Ästhetik des Unbewussten im
künstlerischen Film werden die psychoanalytischen Kategorien des Traums, des
Wunsches und der Verdrängung in die Argumentation eingebracht. In einer
Untersuchung wiederholungsbezogener Darstellungsmodi des Unbewussten im Film
werden psychoanalytische Theorien der Wiederholung herangezogen, um sie im
Zusammenhang mit Werkanalysen zu diskutieren.
-5-
1 Einleitung
1.1 Kontext
1
Vgl. Sigmund Freud: Bildende Kunst und Literatur. Frankfurt: Fischer 2001.
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gewinnen, weshalb ich bei meinen Untersuchungen Bezüge zu Ergebnissen aus solchen
Forschungsbereichen herstellen möchte.
So wie die klinische Psychoanalyse auf der Interpretation des psychischen Textes basiert,
baut die psychoanalytische Filmtheorie oftmals auf die Interpretation des filmischen
Textes narrativer Filme. Diese Methode läuft allerdings Gefahr, den Film als Subjekt zu
betrachten, mithin zu behandeln, als liege er auf der Couch, so wie das etwa in der
Filmanalyse der englischsprachigen Lacan-Schule oftmals geschieht2. Dieses
„nosografische“3 Verfahren behandelt Filme wie teilweise symptomatisierte
Bearbeitungen, von denen man auf die Neurose des Filmemachers schließen könnte. Jean
Louis Baudry, Christian Metz und Reymond Bellour widmen sich, ausgehend von der
französischen Apparatus-Theorie der Lokalisierung psychischer Mechanismen im Kino
und verstehen dessen räumliche und technische Anordnung als Simulationen geistiger
Funktionsweisen. Anstatt das Unbewusste als Metapher des Theaters aufzufassen,
entwarfen Deleuze/Guattari in ihrem Modell der „deterretorialisierenden
Wunschmaschinen“4 das Unbewusste als Maschinendispositiv. In dieser Entwicklung
existieren einige Anknüpfungspunkte, welche ich in die Diskussion mit einbeziehen
möchte.
2
Vgl. Todd Mc Gowan, Sheila Kunkle: Lacan and contemporary film. New York: Otherpress 2004.
3
Chistian Metz bezeichnete damit eine zum einem Biographische und zum anderen pathologische
Vorgehensweise. Vgl. Christian Metz: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino. Münster:
Nodus 2000, S. 31.
4
Vgl. Gilles Deleuze, Felix Guattari: Anti-Ödipus. Frankfurt: Suhrkamp 1989, S. 43
-7-
Narration und der Sprache substituiert, möchte ich einer kritischen Diskussion
unterziehen.
Avantgardefilm soll indessen nicht als eine elitäre Strömung, isoliert von seinem
kulturellen Umfeld, verstanden sein. Einen bedeutenden Einfluss hatte er auch auf die
Entstehung der Pop-Ästhetik in Fernsehen, Kino und Bewegtbilddesign. Die
Populärkultur hat verschiedene Techniken und Stilmittel wie schnelle Schnitte und
Compositing von der Filmavantgarde übernommen und damit auch das Verhältnis dieser
Ausdruckweisen zur unbewussten Konstitution des Subjekts. In meiner Absicht, die
Arbeiten etwa Kurt Krens auf tiefenpsychologische Weise verstehen zu wollen, liegt auch
das Interesse, einen neuen Blick auf die Bilder der Pop-Kultur zu gewinnen.
-8-
Die psychoanalytische Situation ist vom Wort abhängig, Bildsprache nicht. Inwiefern
unterscheiden sich hier Freuds Auffassungen in den Schriften von 1915 und 1923? Ist die
Darstellung von unbewussten Bildvorstellungen mit filmischen Mitteln möglich? Welche
weiteren Theorien können hinsichtlich der Wiedergabe von Ubw Bildvorstellungen noch
Auskunft geben (Lacan, Laplanche, Žižek)? Inwiefern ist das sprachliche Konzept des
Ubw der Lacan-Schule anwendbar oder ist ihr die Freud‘sche Metapsychologie
vorzuziehen?
Neben dem Bild beabsichtige ich auch den Zeitcharakter bei der Darstellung des
Unbewussten zu untersuchen. Das Unbewusste ist nach Freud und Lacan nicht zeitlich
organisiert. Vorstellungen aus dem Unbewussten werden bei Übertritt ins Vorbewusste
zeitlich geordnet. Deshalb werden etwa bei Träumen Dinge, die zu ganz unterschiedlichen
Zeitpunkten aufgetreten sind, gleichzeitig wahrgenommen. Hinsichtlich der zeitlichen
Strukturierung bei der Visualisierung von Unbewusstem sowie von Traumarbeit
(Verschiebung, Verdichtung usw.) existieren historische sowie aktuelle künstlerische
Ansätze. Diese sollen mit Theorien über die zeitliche Organisation des Unbewussten
verglichen werden. Dabei möchte ich auch die Wiederholung als wesentliches Stilmittel
des Avantgardefilms mit psychoanalytischen Modellen untersuchen. Hierzu bieten sich
Freuds Texte über den Wiederholungszwang, über den Witz sowie auch über das
Unheimliche an. Auch die Rezeption dieser Schriften durch aktuelle Autoren, die sich mit
dem Trieb als zyklischem Element befassen ist in die Diskussion mit einzubeziehen.5
Passagen aus „Differenz und Wiederholung“ von Gilles Deleuze sowie einige Werke des
Nouveau Roman öffnen eine psychoanalytisch orientierte Perspektive auf filmische
5
Vgl. Patrizia Giampieri-Deutsch: Freuds Theorie in der zeitgenössischen Kunst. In: Kontinuität und
Identität. Peter Weibl u. a. (Hrsg). Wien: Böhlau 1992.
Vgl. auch: Slavoj Žižek: The Parallax View. Cambridge: The MIT Press 2006.
Vgl. auch: Jean Laplanche: Die unvollendete Kopernikanische Revolution in der Psychoanalyse. Giessen:
Psychosozial-Verlag 2005.
-9-
Wiederholungsphänome.
„Die Elemente des Ubw und Überbleibsel der Tagesarbeit können im Traum wirksam
werden und im Bewusstsein in der Gestalt eines Traumes auftreten.“6
Zu Beginn der Forschung steht eine Diskussion über die Freud‘schen sowie über
ausgewählte nachfolgende Theorien des Ubw hinsichtlich ihrer Eignung für
filmtheoretische Überlegungen. Auch bestehende Ansätze in der psychoanalytischen
Filmtheorie möchte ich dabei mit Blick auf den Avantgardefilm kritisch betrachten. Die
dabei gewonnenen Erkenntnisse über filmische Dispositive der Eigenschaften des Ubw
(Bildvorstellung, Zeitlosigkeit usw.) sowie über Ableger aus dem Primärbereich im Film
werden die theoretische Ausgangsbasis für eine analytische Auseinandersetzung mit
exemplarisch ausgewählten Werken darstellen. Die Produktionsbedingungen des Werkes
und seine Wahrnehmung durch den Betrachter stellen dabei ein gegenseitiges Bezugsfeld
dar. Indes soll der Der Untersuchungsschwerpunkt auf der Sphäre der Produktion liegen.
Dabei möchte ich die technischen Herstellungsverfahren der untersuchten Arbeiten
thematisieren, zumal ja Film im Gegensatz zur Malerei weniger direkt auf innere
Vorstellungen zurückgreifen kann. Als Vermittlungsebene sind Motivverfahren oder
6
Sigmund Freud: Die Traumdeutung. StA. Bd. I, S. 535.
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Archivmaterial nötig, weshalb die Ebene der Symbolik, mit der uns die Psychoanalyse ein
traditionsreiches Instrument bereitstellt, helfen wird, Bilder als Modus der Produktion zu
begreifen.
Ich möchte dabei Freuds Forderung nach einer Ich-Werdung des Es aufgreifen und
künstlerischen Film als Kulturkritik an narzisstisch besetzten Bildern lesen. Als
alternative visuelle Praxis zu jener des bloßen kulturindustriellen Amüsements, welche
„von jenen gesucht wird, die dem mechanisierten Arbeitsprozess entkommen wollen, um
ihm von neuem gewachsen zu sein“7.
1.3.1 Dispositiv
We know that Lacan sees the principle of metaphor in condensation, and the principle of
metonymy in displacement. In Freudian terms, we would say that condensation and
displacement are the „prototypes“ of metaphor and metonymy, the latter being the chief
„figurations“ of the symbolic order: of language... 8
Christian Metz diskutiert die von Freud und Lacan ausgehende strukturalistisch-
linguistische Filmtheorie in Bezug auf die klassischen Darstellungsformen des Films, wie
etwa Schnitt, Close-Up und Narration. Avantgarde-Film geht jedoch weit über diese
hinaus und verwendet Techniken wie strukturelle Arbeit mit dem Filmmaterial,
Animation, Überblendung, Montage und Compositing. Der Filmkünstler Peter
Tscherkassky hat sich theoretisch sowie auch künstlerisch mit Christian Metz
auseinandergesetzt9. Ich werde der Frage nachgehen ob seine Filme als einen Versuch
gesehen werden können, die auf narrativen Filmen basierende Auffassung von Metz über
Metapher und Metonymie durch den Einsatz von Überblendungstechniken zu erweitern.
Das Verfahren der Verdichtung, das sich auch sprachlich interpretieren lässt verorte ich
im Film nicht nur als eine Montage aufeinander folgender Bilder, sondern auch innerhalb
eines einzelnen Kaders.
“…ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann
7
Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: Die Dialektik der Aufklärung. Frankfurt: Fischer 1969, S. 145.
8
Christian Metz: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino. Münster: Nodus 2000, S. 168
9
Vgl. Peter Tscherkassky: Film und Kunst. Zu einer kritischen Ästhetik der Kinematografie
(Dissertation). Universität Wien 1986.
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eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist, u. dgl. … Die richtige Beurteilung
des Rebus (Anm. des Bilderrätsels) ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das
Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich
bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher
Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind
nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch
ergeben.“ 10
Der Begriff des Dispositivs stammt aus der antiken Rhetorik („dispositio“) und wurde von
Foucault wieder aufgegriffen. Hierzu gehört es auch, Bewegungsbilder als Bibliotheken
zu begreifen, die fähig sind, die metapsychologische Arbeitsweise unseres Denkens unter
Einbeziehung der technischen Darstellung der Zeit visuell wiederzugeben. Peter Weibel
spricht in diesem Zusammenhang von Denkbildern, die nicht nur als Simulation
funktionieren, sondern in weiterer Folge auch als eine Stimulation, die wiederum eine
eigenständige Auswirkung auf das Denken und die Kultur besitzen können. Eine
bedeutende Vertreterin der aktuellen psychoanalytischen Filmtheorie, Vicky Lebau,
kommentiert die Dispositiv-Analysen von Metz und Baudry auf folgende Weise:
„Cinema as a type of lure to the ego, a ‚psychical substitute’, as Metz puts it‚ a prosthesis
for our primally dislocated limbs [Ausgelagerte Glieder]. It is a dislocation which puts us
back in, or at, Lacan’s mirror.”11 Der Versuch das kinematographische Dispositiv als
„Double of the Double“12 zu lesen, birgt allerdings die Gefahr Kino als Spiegel zu
betrachten und nicht – so wie Lacans Theorie vom „Spiegelstadium“ es angedeutet hatte –
den Spiegel als Bild (oder Kino). Joan Copjec beschreibt Kino in diesem Sinne als einen
Leerraum im Feld der Repräsentation, wo die Formationen der Phantasie als Abwehr
gegen die Leere konzipiert sind13. Auch Freud hat die Phantasie von Beginn an als einen
Schutzmechanismus gegen das Ubw, gegen die Einflussnahme von negativen
Erinnerungen auf das Subjekt verstanden. Das Spannungsfeld zwischen Film als unser
Ubw prothesenartig erweiterndem Apparat und der Verwendung von Film als Schutz
gegen die primären Funktionen des Denkens wird in der vorliegenden Dissertation zu
untersuchen sein.
10
Sigmund Freud: Die Traumdeutung. Frankfurt: S. Fischer 1991, S. 284.
11
Vicky Lebau: Lost Angels. Psychoanalysis and Cinema. London: Routledge 1995, S. 56.
12
Ebd.
13
Vgl. ebd., S. 58.
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1.3.2 Abkömmlinge des Ubw
Nicht zu verwechseln mit dem vergleichenden Ansatz, welcher in der Struktur von
Kunstwerken die Funktionen des Denkens im Sinne eines simulatorischen Dispositivs zu
verorten sucht, ist jener, der mit den Surrealisten seinen Ausgang gefunden hat. Das
unbewusste Gedankenmaterial selbst bewusst zu machen und darzustellen, war das Ziel
zahlreicher filmischer Arbeiten. Der latente Teil des Denkens ist Freud zufolge nur über
die Analyse von pathologischen Äußerungen oder Traumgedanken zugänglich. Die
Darstellung des Unbewussten mittels Film ist damit nur über Umwege möglich. Das
Überwinden der Zensur zwischen primärem (Ubw) und sekundärem (Vbw - Bw) System
ist zur Veräußerung von Material aus ersterem eine Vorraussetzung.
Wie Freud in seiner Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur gezeigt hat, ist die
Einbeziehung des autobiographischen Hintergrundes des Künstlers / der Künstlerin in die
Wissenschaft legitim. Bei einer solchen Betrachtungsweise geht es nicht darum, die
Werke zu individualisieren, sondern Korrespondenzen zwischen künstlerischen und
Gesellschaftlichen Prozessen herauszuarbeiten.
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