Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
2
Lebensbilder aus der
Oberlausitz
ISBN: 978-3-7460-7179-4
3
Impressum
© 2011–2017 Frank Fiedler und Dr. Uwe Fiedler, Bischofswerda; 7., überarbeitete Auflage
Die Autoren gewähren Open Access unter der Lizenz CC BYNCND.
Redaktionsschluss: 22. September 2017
ISBN: 978-3-7460-7179-4
4
Vorwort
Mit den „Lebensbildern aus der Ober beiten zurück. Für alle Beiträge gilt,
lausitz“ soll an das Wirken bedeuten dass sie für diesen Druck nochmals
der Persönlichkeiten dieser ostsäch erheblich überarbeitet wurden. Neben
sischen Region erinnert werden. Dies notwendigen Anpassungen an die Ge
schließt sowohl in der Oberlausitz gebenheiten eines Printmediums und
geborene Personen ein, die sich und einer reichen Ausstattung mit Bildern
damit ihrer Heimat in nah und fern konnten zusätzlich viele neue Details
einen Namen gemacht haben, aber recherchiert werden.
auch „Zugereiste“, denen die Oberlau
sitz zu einer neuen Heimat geworden Nachdem die ersten Auflagen mit 34
war. Bei der Auswahl der Biografien Artikeln erschienen waren, konnten
ging es nicht um die oberflächliche zuletzt weitere Arbeiten ergänzt wer
Vorstellung einer „Elite“, sondern vor den. Zudem wurden auch die Bio
rangig um originäre Forschungsar grafien aus den ersten Auflagen stetig
beiten zu berühmten Personen, aber weiter erforscht. Die Themen reichen
auch zu Menschen, deren Lebenslauf jetzt von A wie Avenarius, einem
beispielhaft für ihre Zeit steht. Maler und Grafiker, bis Z wie Zeissig,
einem Dresdner Kunstprofessor.
Die Anregung zu diesem Buch er
hielten die Autoren durch den Erfolg Aufgrund der örtlichen Bindung
ihrer Arbeiten zum Biographischen der Autoren stellen Biografien aus
Lexikon der Oberlausitz der Oberlau Bischofswerda und Großdrebnitz
sitzischen Gesellschaft der Wissen einen gewissen Schwerpunkt dar, es
schaften. Von 2007 bis zum Wiki finden sich aber auch viele Arbeiten
Update 2011 wurden die 25 auch hier zu Bautzen und Umgebung. Wissen
vertretenen Biografien über 125.000 schaftler und Künstler verschiedener
Mal online aufgerufen. Die Grundla Profession werden ebenso vorgestellt
gen dafür schuf Frank Fiedler, der in wie Pfarrer, darunter auch sorbi
den letzten 25 Jahren viele Beiträge sche Geistliche, Heimatforscher und
in verschiedenen heimatkundlichen Freimaurer. Besonders hervorgeho
Heftreihen veröffentlichte. Seit meh ben seien die Arbeiten zu Bruno
reren Jahren ist zudem Uwe Fiedler Steglich, Gottlob Friedrich
unter Pseudonym Ghosttexter in der Thormeyer, Gottfried Unterdör
deutsch und in der englischsprachi fer und zu mehreren Angehörigen
gen Wikipedia sowie im Stadtwiki der Familie Stöckhardt.
Dresden aktiv. Weitere Biografien in
diesem Buch gehen auf diese Vorar Frank Fiedler Dr. Uwe Fiedler
5
Inhaltsverzeichnis
Seite
Avenarius, Johannes Maximilian (Maler und Grafiker) 8
Azémar, Francois Basile (Offizier der napoleonischen Armee) 12
Barthel, Bruno (Heimatforscher in Großdrebnitz) 16
Biram, Arthur (jüdischer Schulgründer aus Bischofswerda) 20
Biram, Else (jüdische Soziologin aus Bischofswerda) 34
Blochmann, Heinrich August (Landwirtschaftsreformer) 42
Bolesław I Chrobry (König von Polen) 48
Böttiger, Karl August (Altertumsforscher, Schuldirektor) 58
Creutz, Gerhard (Ornithologe in Neschwitz) 66
Cyž, Jan (sorbischer Schriftsteller, Landrat) 70
Derlitzki, Georg (Agrarwissenschaftler in Pommritz) 72
Derlitzki, Dorothea (Arbeitswissenschaftlerin in Pommritz) 76
Friedrich, Edmund (Balneologe aus Bischofswerda) 78
Garbe, Richard (sächsischer Landespfarrer) 84
Gedike, Ludwig (Schulreformer) 88
Giese, Ernst (Architekt aus Bautzen) 96
Gnauck, Ernst (Gemeindevorstand in Kleindrebnitz) 108
Goller, Josef (Professor an der Kunstgewerbeschule Dresden) 116
Groitzsch, Wiprecht von (Markgraf, Herrscher der Oberlausitz) 124
Heiden, Eduard (Agrarwissenschaftler in Pommritz) 134
Heller, Robert (Schriftsteller aus Großdrebnitz) 138
Heller, Woldemar (Pianist aus Großdrebnitz) 146
Hempel, Walther (Rektor der Technischen Hochschule Dresden) 150
Hermann, Paul (Rittergutsbesitzer auf Weidlitz und Pannewitz) 154
Hesse, Friedrich (Gründer der Universitätszahnklinik Leipzig) 158
Hesse, Walther (Bakteriologe bei Robert Koch, Bezirksarzt) 164
Kanig, Karl Traugott (Pfarrer, sorbischer Liederdichter in Klix) 174
Klotz, Christian Adolph (Philologe aus Bischofswerda) 180
Langner, Norbert (Karpfenteichwirt in Königswartha) 186
Lehmann, Julius (Agrarwissenschaftler in Weidlitz, Pommritz) 190
Lier, Adolf (Landschaftsmaler aus Herrnhut) 196
Lier, Hermann Arthur (Bibliothekar und Historiker) 200
Lier, Leonhard (Journalist aus Herrnhut) 202
Loges, Gustav (Agrarwissenschaftler in Pommritz) 206
Marloth, Carl Julius (Sorbe, Pfarrer, Schriftsteller) 210
Meißner, August Gottlieb (Schriftsteller aus Bautzen) 214
Mittag, Karl Wilhelm (Stadtchronist von Bischofswerda) 218
6
Nake, Johann Gottfried (Schafzüchter der Wettiner) 222
Neumeister, Max (Direktor der Forstakademie Tharandt) 232
Nostitz, Gottlob Adolf Ernst von (Präsident der OLGdW) 240
Nostitz, Eduard Gottlob von (sächsischer Innenminister) 248
Nostitz, Julius Gottlob von (sächsischer Gesandter) 256
Pache, Johannes (Komponist aus Bischofswerda) 260
Petermann, Georg (Prediger böhmischer Exulantengemeinden) 266
Richter, Siegmund Ehrenfried (Buchdrucker, Verleger) 272
Rietschel, Ernst (Professor an der Kunstakademie Dresden) 276
Schindler, Osmar (Professor an der Kunstakademie Dresden) 288
Schneider, Johann Gottlob (Hoforganist) 294
Siebelis, Karl Gottfried (Direktor des Gymnasiums Bautzen) 300
Steglich, Bruno (Agrarwissenschaftler in Dresden) 306
Steudner, Hermann (Botaniker und Afrikaforscher) 318
Stöckhardt, Johann Heinrich (Pfarrer in Putzkau) 328
Stöckhardt, Gerhard Heinrich Jacobjan (Pfarrer und Freimaurer) 330
Stöckhardt, Robert (JuraProfessor in St. Petersburg) 338
Stöckhardt, Ernst Theodor (Agrarwissenschaftler aus Bautzen) 344
Thormeyer, Gottlob Friedrich (Hofbaumeister in Dresden) 354
Unterdörfer, Gottfried (Förster und Schriftsteller in Uhyst/Spree) 368
Vetter, Hermann (Professor am Konservatorium Dresden) 378
Winckler, Georg (Märtyrer der Reformation) 382
Zeissig, Johann Eleazar (Direktor der Kunstakademie Dresden) 392
7
Johannes Maximilian Avenarius (1920, Otto Müller, Staatliche Museen zu
Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 DE).
8
Avenarius, Johannes Maximilian
Professor, Maler, Grafiker und Schriftsteller
07.01.1887 Greiffenberg/Gryfów Slaski (Schlesien) – 21.08.1954 Berlin
V: Ludwig (*5.2.1851 Leipzig, †19.3.1911 Hirschberg), Sohn des Buchhändlers und Verlegers
Eduard Avenarius, 1869 Abitur am Friedrichsgymnasium Berlin, Jurastudium in Berlin, Leipzig
und Halle, 1876 Promotion zum Dr. jur. in Jena, Appellationsgericht Breslau, Staatsanwaltschaft
Ratibor, ab 1885 Amtsrichter in Greiffenberg, ab 1893 Rechtsanwalt und später Notar und
Justizrat in Hirschberg, nationalliberaler Reichstagabgeordneter, ab 1893 Meister vom Stuhl der
Hirschberger FreimaurerLoge „Zur heißen Quelle“, Mitglied der Provinzialsynode Schlesien
der evangelischen Kirche, führte im Namen der Erbengemeinschaft den väterlichen Verlag bis
1896 weiter; M: Helene Karoline Klara geb. Rühlmann (*5.9.1852 Halle, †1944 Hirschberg),
Bauerntochter aus Niedermöllern bei Kösen; G: Cäcilie Marie Julie Emilie (*27.5.1883 Ratibor,
†16.5.1952 Detmold), Eduard (*24.1.1886 Greiffenberg, †1949 Meißen, Medizinstudium in
München, Dr. med.); E: (1) 14.5.1918 Berlin, Elisabeth geb. Reuter (*18.10.1897 Erbach/Donau,
†1977, Tochter der Schriftstellerin Gabriele Reuter, Scheidung 1922), (2) 5.2.1926 Breslau, Anna
Maria geb. Ronge (1889–1974, Kunstgewerblerin, Schülerin von Max Wislicenus und Wanda
Bibrowicz in Breslau); K: Klaus Ludwig (*26.2.1919, † fünf Wochen nach der Geburt)
9
nes Avenarius bei Robert Sterl, einem
Freund des Onkels, in der Unterklasse
der Dresdner Kunstakademie, in der
Mittelklasse waren Richard Müller
und sicher auch Osmar Schindler
seine Lehrer. 1907 kam er erstmals
mit Gerhart Hauptmann zusammen,
mit dem er zeitlebens befreundet
blieb. Im selben Jahr wechselte er
nach München, wo sein Bruder
Eduard Medizin studierte. 1907/1908
hörte Avenarius als Hospitant an der
Universität München Pathologie,
Psychologie bei Theodor Lipps und
Kunstgeschichte bei Fritz Burger. Mit
Johannes Avenarius hielt sich viel in Burger besuchte er im Oktober 1913
Blasewitz bei seinem Onkel Ferdi- den „Ersten Freideutschen Jugendtag“
nand auf. Jener hatte sich mit dem auf dem Hohen Meißner in Hessen,
Journalisten und Kunsthistoriker wo die fortschrittliche Jugend ein
Paul Schumann in der Wachwitzer Zeichen gegen hurrapatriotische
Straße 3 (spätere Avenariusstraße Tendenzen im Vorfeld des Ersten
4) von Schilling & Graebner eine Weltkriegs setzen wollte.
Villa errichten lassen. Ferdinand
Avenarius wohnte dort zusammen Nach seiner Rückkehr nach Schlesien
mit Schumanns erster Ehefrau im Jahre 1910 arbeitete Avenarius
Else, einer Tochter des deutsch- freischaffend. Er traf wieder auf Karl
amerikanischen Schriftstellers Hanusch, der an der „Akademie
Rudolf Doehn, sowie deren Sohn für Kunst und Kunstgewerbe“ Bres
Wolfgang Schumann. Vermutlich lau lehrte. Als 1913 in Breslau dem
hier und möglicherweise im Haus hundertjährigen Jubiläum der Befrei
Uhlenkamp in Kampen auf Sylt, wo ungskriege gegen Napoleon gedacht
Ferdinand Avenarius seine Sommer wurde, schuf Avenarius mehrere
verbrachte, erhielt Johannes Avena- Porträts bedeutender Schlesier, dar
rius mit Wolfgang Schumann von unter von den Brüdern Hauptmann.
Karl Hanusch, einem Stipendiaten Im Ersten Weltkrieg wurde er an der
des Dürerbundes, 1905 einen ersten französischen Front verwundet. Nach
Zeichenunterricht. 1910 ließ Ferdi- Kriegsende setzte Avenarius seine
nand Avenarius in der benachbarten künstlerische Laufbahn fort. Er malte
Bahnhofstraße 24 das Dürerbund- Kirchen aus, schuf Buchillustrationen
haus errichten. und Porträtzeichnungen. Aufträge
10
für Raumausmalungen kamen bis
aus Wien und Göteborg. Avenarius
schrieb zudem Gedichte und Er
zählungen in schlesischer Mundart.
Für Gerhart Hauptmann illustrierte
er Bücher. Hauptmann sammelte
Avenarius‘ Gemälde und ließ ihn sein
Haus in Agnetendorf bei Hirschberg
mit Fresken gestalten. Mit Görlitz, wo
er seine zweite Frau kennen lern
te, war Avenarius eng verbunden.
Hanusch holte Avenarius 1924 an die
Kunstschule für Textilindustrie nach
Plauen, 1925 wurde er Professor an
der „Akademie für graphische Künste
und Buchgewerbe“ in Leipzig mit
Lehre in Plauen. 1933 entließen ihn
die Nazis wegen angeblich entar
teter, kommunistischer Kunst und
nahmen ihn in Untersuchungshaft.
Durch Fürsprache einflussreicher Avenarius war mit seinen Fresken
Kräfte, darunter Gerhart Hauptmann, maßgeblich an der Gestaltung
konnte Avenarius aber zunächst der Eingangshalle zum Gerhart-
weiter künstlerisch arbeiten. 1943 fiel Hauptmann-Haus in Agnetendorf
er erneut in Ungnade und der Druck bei Hirschberg beteiligt. Foto: Irena
seines Romans „SchoepseChristel” Goderska (Wikimedia Commons,
wurde verboten. Nach dem Zweiten Lizenz: CC BY-SA 3.0)
Weltkrieg musste Avenarius im Zu lungen 30.10.2007; Wojciech Kunicki: „Meister /
sammenhang mit der Vertreibung der du hast deine Hand gehalten. Johannes Maximilian
verbliebenen deutschen Bevölkerung Avenarius und seine Kreationen des „Schlesischen“
an der Schnittstelle zwischen Literatur und bilden
Schlesien verlassen. Er ging 1946 der Kunst“; Gerhard Kratzsch: „Kunstwart und Dü
nach Berlin, wo er wiederum kirchli rerbund. Ein Beitrag zur Geschichte der Gebildeten
che Bilder schuf. Avenarius starb 1954 im Zeitalter des Imperialismus“. Vandenhoeck u.
Ruprecht, Göttingen 1969; Ludwig Avenarius: „Ave
in Berlin, seine Urne wurde fünf Jahre narische Chronik“. O. R. Reisland 1912; Wolfgang
später nach Görlitz überführt. Das Liebehenschel: „Johannes Maximilian Avenarius
(1887–1954): Der bedeutende schlesische Künstler
Graphische Kabinett des Kulturhis und Philosoph erblickte vor 125 Jahren das Licht
torischen Museums Görlitz bewahrt der Welt“. Schlesischer Gottesfreund, 2012, H. 2;
seinen künstlerischen Nachlass auf. Wojciech Kunicki: „ auf dem Weg in dieses Reich“:
NSKulturpolitik und Literatur in Schlesien 1933 bis
Quellen: Gerlinde und Klaus Schneider (Leun, aus 1945“. Leipziger Universitätsverlag, 2006; Matrikel
der Familie von Professor Karl Hanusch), Mittei bücher Universität München
11
Les Cabannes, ein kleines Dorf in den mittleren Pyrenäen nahe Toulouse,
hat heute etwa 350 Einwohner und liegt nur 2 Kilometer entfernt von
Cordes-sur-Ciel, einem mittelalterlichen Anziehungspunkt für Touristen.
Foto: Stephen Colebourne (Flickr, Lizenz CC BY-ND 2.0)
12
Azémar, Francois Basile
Offizier der napoleonischen Armee
01.01.1766 Les Cabannes (Tarn) – 13.09.1813 Großdrebnitz
V: Antoine (*1721 Les Cabannes), Gerber; M: Anne geb. Portes (*2.9.1719 CordessurCiel);
G: Jacques François (*5.4.1750 CordessurCiel), Marie (*8.5.1752 CordessurCiel), Joseph
(*28.3.1754 CordessurCiel)
13
bei Wagram teil, als Napoleon mit
seinen Verbündeten aus Sachsen,
Bayern und Italien die Truppen von
Erzherzog Karl von Österreich schlug
und damit den 5. Koalitionskrieg für
sich entschied.
14
Napoleon empfängt eine Nach-
richt: Bei der Schlacht von Bautzen
kämpften insgesamt 250.000 Solda-
ten mit rund 30.000 Pferden.
Geburtshaus von Bruno Steglich
„Gänse, deren es in dieser Gegend so viele in Kleindrebnitz, Franzosengräber
gibt, flatterten da in Scharen von mehreren im Südwesten des Grundstücks
Hunderten umher, und wie viele wurden des
(Ober-Steglichs Gut).
Abends im Biwak gebraten. Fast auf jedem
Tornister sah man eine Gans festgeschnallt.
Hier sei es mir erlaubt, in der Kürze zu sagen, „Beim Schlächter Steglich, am Putzkauer
wie wir sie brieten: Die Gans wurde, ohne ge Wege, hatte der Feldscher das Lazarett aufge
rupft zu sein, aufgeschnitten und ausgeweidet, schlagen, von hier wurden den verwundeten
und, nachdem sie inwendig rein gewaschen, Soldaten abgeschnittene Arme und Beine
wurde sie mit einem Holze zugespengelt in Wagenladungen nach den benachbarten
[verschlossen], in den Federn und dick über Feldern gefahren und dort vergraben. Auf
dieselben mit angemachtem Lehm bestrichen OberSteglich‘s Mühlenwiese, am Hopfengar
und so in die glühenden Kohlen verscharrt. ten, befanden sich mehrere Franzosengräber,
Hatte sie ihre Zeit gelegen, so wurde sie ebenso waren an der Dorfstraße bei Gottlieb
herausgenommen. Mit der nun gebrannten Steglich‘s Scheune einige Franzosen so flach
Lehmkruste gingen alle Federn und Haare mit eingescharrt, dass die Füße über den Erdbo
aus, und der Braten war fertig. Schöpfen oder den herausragten und sich die Leute deshalb
Hammelbraten wickelten wir in Papier ein scheuten, vorüber zu gehen.“
und verscharrten ihn ebenfalls in die Kohlen.
Das Papier verbrannte nicht, sondern ver Bruno Steglich: „Erinnerungen aus mei-
kohlte nur, und es gab einen herrlichen und nem Leben“. Unveröffentlicht, Dresden 1927
wohlschmeckenden Braten.“
15
Ehregott Bruno Barthel.
16
Barthel, Ehregott Bruno
Kirchschullehrer und Heimatforscher in Großdrebnitz
23.04.1856 Langhennersdorf b. Freiberg – 18.01.1933 Kleindrebnitz
Barthel wurde 1862 in die Kirchschu zuvor als Lehrer auf Probe eingestellt
le Langhennersdorf eingeführt. Zeitig worden war. Barthel hatte sich dafür
lernte der Junge Klavier spielen. gegen andere Kandidaten in einem
Schon mit 10 Jahren begann er, sich Wettbewerb durchsetzen müssen,
für landwirtschaftliche Probleme, der aus Orgelspiel, Singen, Kate
Wetterbeobachtungen und ihre chisieren, Schreiben und Rechnen
Zusammenhänge zu interessieren. bestand. Zu seinen Aufgaben zählte
Am 15. April 1870 bestand Barthel das regelmäßige Vertreten des Pfar
die Aufnahmeprüfung am Lehrer rers mit Lesegottesdiensten. Aus dem
seminar Nossen, das er bis 1876 wirtschaftlich prosperierenden Raum
besuchte. 1871 begann er Tagebuch Freiberg stammend, erkannte Barthel
zu führen, nachdem er sich zuvor das Entwicklungsdefizit seiner neuen
die Gabelsberger Kurzschrift ange Heimat und setzte sich mit Erfolg für
eignet hatte. Jahrzehnte vor ihrer den „Fortschritt auf dem Lande“ ein.
offiziellen Einführung in Deutschland In diesem Zusammenhang zu sehen
beherrschte er damals auch schon sind die Gründungen des örtlichen
die lateinische Schrift. Nach einer Landwirtschaftlichen Vereins (1900),
Kandidatenprüfung wurde Barthel der örtlichen Spar und Darlehens
im April 1876 in Elstra als Vikar kasse (1903) und einer Schulbuchstif
eingestellt, vier Wochen später als tung für Kinder aus finanzschwachen
Hilfslehrer. Am 11. März 1879 erhielt Familien (1905). Das Startkapital
er die Berufung zum dritten ständi erhielt die Schulbuchstiftung aus den
gen Lehrer in Elstra. Hier heiratete Erlösen eines Kinderkonzerts, das
Barthel die Tochter des Pächters vom am 3. April 1905 unter Leitung von
Gasthaus „Zum Stern“, Asta Leipnitz. Barthel im Erbgericht Großdrebnitz
Seine Berufung zum Kirchschullehrer stattfand. Barthel selbst stiftete den
in Großdrebnitz erfolgte zum Januar Reinertrag seines erfolgreichen Bu
1881, nachdem er einige Wochen ches, der Chronik „Altes und Neues
17
aus Groß und Kleindrebnitz“. Er Echo. Hubert Maximilian Ermisch
schrieb in seiner Chronik von Groß bemängelte im „Neuen Archiv für
und Kleindrebnitz die Vorarbeiten sächsische Geschichte“ von 1910 vor
von Pfarrer Carl Julius Marloth allem die Quellenarbeit.
fort, ging jedoch weit darüber hinaus.
Neben ortsgeschichtlichen Vorkomm Barthel verfasste neben der Chronik
nissen schilderte Barthel Ereignisse weitere bemerkenswerte heimat
von überregionaler Bedeutung mit kundliche Beiträge in der Beilage
ihren Auswirkungen auf das dörfliche „Unsere Heimat“ zum „Sächsischen
Leben, darunter die Einführung der Erzähler“: „Die Stolpener Amtstei
Reformation, verschiedene Kriegs che und das Vorwerk Kleindrebnitz“,
handlungen seit dem Dreißigjährigen „Der Steinwall auf dem Rüdenberg
Krieg und die Zeit der Hexenpro bei Großdrebnitz“, „Die Jagdsäule
zesse. Eine regionalgeschichtliche auf der Rückersdorfer Straße“, „Die
Besonderheit stellte demnach die auf ersten Großdrebnitzer Feuerspritzen“,
Befehl von August dem Starken 1729 „Die Großdrebnitzer Wollspinnerei“
eingerichtete „Poststraßenumgehung“ sowie anonym u. a. zur Bahnhofsein
von Schmiedefeld über Bühlau nach weihung Weickersdorf (1909) und
Kleindrebnitz dar. Wegen eines Strei zur Vereinstätigkeit. Darin wird auch
tes mit der Herrin auf Großharthau, eine große Sachkenntnis und Un
der Gräfin von Flemming, hatte sich voreingenommenheit gegenüber der
der König für seine häufigen Reisen slawischen Besiedlungsgeschichte
nach Polen eine neue Straße unter der Oberlausitz deutlich. Bedeu
Umgehung von Großharthau bauen tende Söhne des Ortes wie Bruno
lassen. Auffällig ist aber, wie kurz Bar Steglich und Hermann Vetter
thel die Geschichte der Großdrebnit werden jedoch gar nicht, bzw. wie Ro
zer Orgel abhandelte, obwohl gerade bert Heller und Max Neumeister
die Orgel sein wichtigstes Arbeitsins nur sehr knapp behandelt. Das Ta
trument war und Wilhelm Leberecht gebuch „Erlebtes und Gesammeltes“
Herbrig, dessen Vater zusammen mit enthält neben Tagesnachrichten, z.
dem Sohn die Orgel gebaut hatte, B. Zeitungsausschnitten, und Fami
erst wenige Jahre vor Barthels An lieninformationen auch Auszüge aus
kunft das Dorf verlassen hatte. Es den Kirchenbüchern zu Geburts und
bleibt ungeklärt, inwiefern Barthel Sterbefällen. Sie dokumentieren die
bereits Kenntnis von problematischen hohe Kindersterblichkeit um 1900.
Details in der Biografie Herbrig jun. Zwischen dem 2. April 1922 und
hatte und durch deren Übergehen dem 23. November 1923 hat Barthel
das „Kulturgut Orgel“ vor Schaden systematisch den Verlauf der „Teue
bewahren wollte. In der Wissenschaft rung“, d. h. der Inflation und deren
fand Barthels Chronik ein kritisches Folgen, beschrieben. Umfangreich
18
sind seine Aufzeichnungen zum Wet des Kirchenvorstands, Mitglied im
ter und dessen Auswirkungen auf die sächsischen Lehrerverein und ein ta
Landwirtschaft. In der Diskussion um lentierter Zeichner. 1904 wurde Bar
die strittige Lokalisierung des 1007 thel der Kantortitel und 1912 der Titel
urkundlich ersterwähnten Trebista „Oberlehrer“ verliehen. Am 23. Okto
änderte Barthel seine Meinung von ber 1916 erhielt er von König Fried
Großdrebnitz zu Doberschau. 1928 rich August III. das Verdienstkreuz
übereignete er der Dresdner Münz und am 19. März 1925 zeichnete ihn
sammlung Talermünzen aus der Professor Hermann Gräfe, Landwirt
Zeit des Dreißigjährigen Krieges aus schaftsÖkonomierat aus Bautzen,
einem Fund auf Kleindrebnitzer Flur. mit der Bronzenen Medaille für den
Mit dem Kleindrebnitzer Gemeinde Dienst in der Landwirtschaft aus. Sein
vorstand Ernst Gnauck war Barthel Spätwerk „Kriegsleiden in der Heimat
freundschaftlich und durch die Heirat 1914–1918“, geschrieben, als der Na
je zweier Kinder familiär verbunden. tionalsozialismus bereits Fuß gefasst
Gnauck hatte dem Wahlgremium hatte, widerspiegelte Barthels zutiefst
angehört, das Barthel 1881 zum humanistische Einstellung – nach der
Kirchschullehrer berief. Wenn später Machtergreifung Adolf Hitlers wurde
etwas vertraulich bleiben sollte, korre die Veröffentlichung verhindert. Sie
spondierten sie in Gabelsberger Kurz erfolgte 1994, mehr als 60 Jahre nach
schrift. Barthels Tagebuch endet am der Entstehung des Werkes. Wegen
1. Juni 1931, als sein Schwiegersohn seiner Leistungen, aber auch wegen
Oskar Gnauck den Freitod wählte. seiner Bindung an alle Schichten
der dörflichen Bevölkerung ist sein
Regional wirksam wurde Barthel Ansehen in Großdrebnitz bis heute
als Begründer des Bezirksvereins erhalten geblieben. Barthels Ehren
Bischofswerda des Deutschen Leh grab wurde 1998 unter Denkmal
rervereins für Naturkunde (10. Juli schutz gestellt.
1895). Hier arbeitete er eng mit
Hermann Steudtner zusammen. Im
Ergebnis von naturkundlichen Studi
en in seiner Freizeit entstanden eine
beachtliche Mineraliensammlung, die
er später der Schule in Großharthau
überließ, und eine Schmetterlings
sammlung als Anschauungsobjekte
für den Unterricht. Barthel war von
1896 bis 1902 Mitglied im Gemein
derat von Großdrebnitz, er war Leiter
des Männergesangvereins, Mitglied
Quellen: S. 412 ff. 19
Arthur Biram, rechts sein Geburtshaus (nach 1900, mit Buchdruckerei Paul
Klepsch), links neben der Kirche von Gottlob Friedrich Thormeyer.
20
Biram, Arthur (Yitzhak)
Dr. phil., jüdischer Schulgründer
13.08.1878 Bischofswerda – 05.06.1967 Haifa/Israel
Arthur Biram wurde 1878 als Sohn ei in Preußen. Um 1850 zogen sie in das
nes Kaufmanns in Bischofswerda, Alt niederschlesische Liegnitz westlich
markt 8, geboren. Die Großeltern Bi von Breslau. Hintergrund war mögli
ram stammten aus der Provinz Posen cherweise, dass Juden in der Provinz
21
Die frühen Lebensstationen von Arthur Biram sind in der preußisch-
sächsischen Landkarte blau markiert: Bischofswerda, Dresden, Hirschberg
und Berlin. Seine Vorfahren waren ansässig in Bomst, Grätz, Liegnitz sowie
die Eltern mit seinen jüngeren Geschwistern und zeitweise auch mit Biram
selbst in Frankfurt/O. Ebenfalls grün markiert sind Städte, die mit Ver-
wandten in Verbindung standen: Breslau, Görlitz, Löbau und Cottbus.
Posen von der rechtlichen Gleichstel ram in Görlitz als Soldat im Deutsch
lung in Preußen lange ausgenommen Französischen Krieg nachgewiesen,
blieben. Zu den strittigen Fragen 1875 wurde in Löbau das erste Kind
gehörte auch das Recht, einem „hö von Rosalie verh. Wolff geboren und
herwertigen“ Gewerbe nachzugehen, 1878 in Bischofswerda das erste Kind
wie beispielsweise dem Textilhandel. von Adolph, Arthur Biram.
Nachdem die jüdische Bevölkerung
1868 in Sachsen ihre staatsbürgerli In Bischofswerda gab es keine eigene
chen Rechte erhalten hatte, kam es zu jüdische Gemeinde, auch im größeren
einer starken Zuwanderung und auch Bautzen nicht. Zum Religionsunter
die Familie Biram ließ sich hier nie richt der Kinder musste ein Lehrer
der. Der Zuzug vollzog sich offenbar aus Dresden kommen. Vermutlich
entlang der schlesischsächsischen spielte dies eine wesentliche Rolle,
Eisenbahnlinie. Von den Liegnitzer dass die Familie Adolph Biram nach
Geschwistern ist 1870/71 Theodor Bi Dresden zog, als Arthur, der älteste
22
Sohn, sieben Jahre alt war. In Dresden
gründete Adolph Biram mit Salomon
Wolff, einem Schwager aus Löbau, ein
Handelsgeschäft. Nach dem Besuch
von Bürgerschule und des Kreuzgym
nasiums unter Heinrich Stürenburg
bis 1893 wechselte Arthur Biram in
der 9. Klasse (Obertertia) auf das hu
manistische Gymnasium Hirschberg
in Niederschlesien. Rabbiner und
Religionslehrer war hier sein Onkel
Max Biram, ein ehemaliger Zacharias
FrankelSchüler aus Breslau. Etwa
zur selben Zeit zogen Birams Familie
sowie die Firma des Vaters, Wolff &
Biram, nach Berlin.
23
Arthur Biram (hinter seiner Mutter) mit Eltern und Geschwistern (vermut-
lich nach 1910 in Frankfurt/O. mit erstem Kind von Julius Biram).
historische Abschrift eines Werkes Seine Eltern wohnten seit 1903 in
von AbuRasid alNisaburi gefunden Frankfurt/Oder, nachdem der Ge
worden war, widmete Biram diesem schäftspartner des Vaters, Salomon
Thema seine Dissertation. Zu einigen Wolff, verstorben und die Berliner
Fragen konsultierte er den Orienta Firma verkauft war.
listen Ignaz Goldziher in Budapest.
In Leipzig, wo August Fischer in An den deutschen Universitäten orga
zwischen einen Lehrstuhl für orien nisierten sich seit dem ausgehenden
talische Philologie inne hatte, pro 19. Jahrhundert jüdische Akademiker
movierte Biram mit der Arbeit „Die und Studenten in einer Vielzahl von
atomistische Substanzenlehre aus Vereinen. Dies war eine Reaktion auf
dem Buch der Streitfragen zwischen den erstarkenden Antisemitismus in
Basrensern und Bagdadensern“ zur Deutschland, aber auch ein Zeichen
Philosophie des AbuRasid alNisabu für ein erwachendes Nationalbe
ri. Die DoktorPrüfung bestand er am wusstsein der Juden, das über die
18. Juli 1900, die Dissertationsschrift bloße Zusammengehörigkeit in einer
wurde 1902 publiziert. 1904 schloss Religionsgemeinschaft hinausreichte.
Biram das RabbiSeminar ab, bis 1908 Biram gehörte schon 1898 dem „Ver
blieb er an der Berliner Universität ein Jüdischer Studenten“ an und war
im Fach Altphilologie eingeschrieben. später maßgeblich an der zunehmen
24
den „Zionisierung“ der Studenten Magnes, später Präsident der Hebrew
schaft beteiligt. Junge Vereinsmitglie University of Jerusalem. In den Kon
der unterrichtete er beispielsweise in flikten um die jüdischen deutschen
jüdischer Geschichte. 1898 gründete Vereine widerspiegelten sich auch
er mit weiteren Studenten und Vertre Differenzen innerhalb der jüdischen
tern zionistischer Vereinigungen wie Bevölkerung, zwischen liberalen und
seinem späteren Schwager Theodor konservativen Strömungen, zwischen
Zlocisti einen Turnverein im Geden Zionisten und eher auf die Integrati
ken an Shimon bar Kokhba, dessen on setzenden Gemeindemitgliedern.
niedergeschlagener Aufstand gegen 1901 war Biram maßgeblich an der
die römischen Besatzer nach dem Gründung des Dachverbandes „Bund
Jahre 135 die Diaspora des jüdischen Jüdischer Corporationen“ (BJC)
Volkes aus seiner Heimat in Palästina beteiligt. 1906 gründete er mit Felix
ausgelöst hatte. Unter der Leitung von Rosenblüth (Pinchas Rosen) und
Israel Auerbach entwickelte sich der Kurt Blumenfeld den Verein jüdischer
„KochbaClub“ zu einer weltweiten Studenten „Makkabäa“. Mit Heinrich
jüdischen Bewegung mit mehre Loewe leitete er die „Organisation für
ren 10.000 Mitgliedern innerhalb hebräische Sprache“. Das Studium des
der Maccabi World Union. Wie in Hebräischen bildet ein Kernelement
der deutschen Turnbewegung nach des Zionismus.
Friedrich Ludwig Jahn ging es um die
Förderung eines nationalen Bewusst In den zionistischen Kreisen Berlins
seins, gestärkt werden sollte aber auch bewegten sich seinerzeit auch die
die Selbstverteidigung. Physische ThomaschewskySchwestern. Hanna
Ertüchtigung verband die nationale wurde später Arthur Birams Frau. Sie
Idee mit dem bürgerlichen Ideal einer war Mitglied des KochbaClubs und
allseits gebildeten Persönlichkeit. Ne gehörte 1910 zu den Gründerinnen
ben dem Sport spielte die Förderung des „Jüdischen Frauenbundes für
der jüdischen Kultur, v. a. der Musik, Turnen und Sport“. Emma Thoma
eine große Rolle. Biram verfasste Ar schewsky heiratete Davis Trietsch aus
tikel für die „Jüdische Turnzeitung“, Dresden, einem der bedeutendsten
das offizielle Organ von BarKochba. Zionisten überhaupt und Gegenspie
1901 gehörte er an der Hochschule ler von Theodor Herzl. Hulda, später
für die Wissenschaft des Judentums mit dem Arzt und Schriftsteller Theo
zu den Mitbegründern eines zionis dor Zlocisti verheiratet, war 1897 eine
tischen Studentenvereins, der sich von 14 weiblichen Delegierten zum
jedoch nach Androhung von Ex Ersten Zionistenkongress in Basel.
matrikulationen wieder auflöste. Zu
Birams Freundeskreis zählten dabei Biram arbeitete nach Abschluss des
Max Schloessinger und Judah Leon RabbiSeminars als Sekretär und
25
Grab von Arthur Birams Eltern (vermutlich Jüdischer Friedhof Frank-
furt /O. / Słubice – 1976 zerstört): Die Geburtsdaten sind nur unscharf zu
erkennen. Gegen ein Geburtsjahr 1830 des Vaters Adolph spricht, dass lt.
einer Mitteilung aus der Familie im Dresdner Gewerbeantrag von 1885
der 31.3.1850 als Geburtstag vermerkt ist, das Geburtsjahr der Mutter Eva
erscheint auf dem Grabstein als 1833. Die Familie Adolph Biram ist in den
Dresdner Adressbüchern von 1886 bis 1894 nachgewiesen (Rosmariengasse
4, Seidnitzer Straße 6). Die Firma Wolff & Biram war in der Frauenstra-
ße ansässig. Adolph Biram war demnach ein Sohn von Salomon Biram
(Händler, *20.11.1816 Grätz, †3.1.1887 Dresden) und dessen Frau Johanna
(*25.7.1816 Bomst, †27.10.1896 Löbau). Arthur Birams Großeltern sind auf
dem Neuen Jüdischen Friedhof Dresden begraben. Sie waren ein Jahr nach
der Familie Adolph Biram nach Dresden gekommen. Johanna Biram ist als
Witwe Bieram bis 1898 in den Dresdner Adressbüchern vermerkt, auf ih-
rem Totenschein steht aber als Wohnort Bischofswerda. Deren weitere Kin-
der, also Onkel und Tante von Arthur, waren: Theodor (*7.12.1846 Bomst,
†6.10.1898 Löbau, nahm am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teil,
Kaufmann, um 1874 Cottbus, um 1885 Fa. Salomon Wolff Löbau, Jüdischer
Friedhof Görlitz), Julius (* in Liegnitz, am 6.8.1870 in der Schlacht bei
Wörth gefallen, Gedenkstein Liegnitz), Max (*1.1.1853 Liegnitz, †22.6.1916
Hirschberg, Elementarschule Liegnitz, bis 1879 Ausbildung in Breslau, Dr.,
ab 1887 Rabbiner in Hirschberg), Rosalie (*29.11.1854 Liegnitz, ab spätes-
tens 1875 Löbau, danach Dresden, verh. mit Salomon Wolff, †1931 Berlin).
26
Bibliothekar an der Hochschule für
die Wissenschaft des Judentums,
gab für Studienanfänger aber auch
HebräischKurse. Vor der Jüdischen
Gemeinde Potsdam hielt er den Vor
trag „Jüdische Hochschulen“. Rabbi
ner war hier seinerzeit der acht Jahre
ältere Paul Rieger. Der wissenschaft
lich interessierte Rieger stammte aus
Die Gebäude der Hebrew Reali
Dresden und hatte seine Ausbildung
School im Technion-Komplex im
in Breslau sowie an der Hochschule
Stadtteil Hadar wurden von Alexan-
für die Wissenschaft des Judentums in
der Baerwald erbaut. 1923 begrüßte
Berlin erhalten. Seinem ehemaligen
man hier Albert Einstein anlässlich
Lehrer Moritz Steinschneider, der den
seines ersten Haifa-Besuchs.
Zionismus ablehnte und beispiels
weise die jüdische Forschung und Vereinigungen. So gehörten Arthur
Lehre in allgemeine Universitäten Biram und sein Vater in Berlin und
integrieren wollte, widmete Biram Frankfurt/Oder dem „Verein zur
zum 90. Geburtstag im Jahre 1906 Unterstützung ackerbautreiben
in „Ost und West“ eine ausführliche der Juden in Palästina und Syrien“
Würdigung: „Mit Steinschneider (ESRA) an. Sein Onkel Max Biram in
wollen wir der jüdischen Wissen Hirschberg war Mitglied im „Hilfs
schaft die Anerkennung innerhalb verein der deutschen Juden“ (EZRA),
des gesamten Wissenschaftsbetriebs den Paul Nathan, Eugen Landau und
erkämpfen.“ Biram verfasste zudem der bedeutende Kunstmäzen James
Beiträge für die „Jewish encyclope Simon 1901 in Berlin zur Unterstüt
dia“. Er entschied sich schließlich zung verfolgter Juden aus Osteuropa
gegen eine theologische und für eine gegründet hatten und der jenen bei
pädagogische Laufbahn. 1909 absol ihrer Emigration nach Amerika oder
vierte Biram die Lehramtsprüfung für Palästina half.
Lateinisch, Griechisch und Hebräisch
am Askanischen Gymnasium Berlin, Der „Hilfsverein der deutschen
einer altsprachlichen Eliteschule. Er Juden“ engagierte sich im seiner
unterrichtete danach in Neuruppin zeit osmanischen Palästina für den
und am Berliner „Gymnasium zum Aufbau eines jüdischen Bildungswe
Grauen Kloster“ klassische Sprachen sens nach deutschem Vorbild. Man
und Literatur. betreute bis zu 50 Einrichtungen
einschließlich Kindergärten, Rab
Die Familie Biram engagierte sich in biner und LehrerSeminare, Bib
verschiedenen jüdischen karitativen liotheken und Handwerkerschulen.
27
Die Bestrebungen des „Hilfsvereins“ wollen. Die jüdische Bevölkerung
befanden sich in Übereinstimmung Palästinas stammte nach den ersten
mit der damaligen Außenpolitik des Einwanderungswellen vorwiegend
deutschen Kaiserreichs, das seinen aus Osteuropa und war konservati
Einfluss im Nahen Osten ausweiten ver, von Pogromen in ihrer Heimat
wollte. Im Rahmen der Planungen geprägt, als die eher liberalen, oft aus
für die erste jüdische Hochschule in idealistischen Gründen gekommenen
Palästina, das „Technion“ in Haifa, Einwanderer aus Deutschland. Es
wurde 1909 vom „Hilfsverein“ eine kam zu Demonstrationen und Schul
Mittelschule gegründet. Hier sollten boykotten, die bisherige Mittelschule
die Schüler die Zugangsvoraussetzun des Vereins musste schließen.
gen für die Hochschule erwerben. Mit
der Fertigstellung des Technions war Der Sprachenstreit wurde mit dem
geplant, diese Schule in den Hoch Konzept einer „Hebrew Reali School“
schulkomplex zu integrieren. 1913 beigelegt und Arthur Biram wurde
eskalierte aber ein heftiger Sprachen anlässlich des ChanukkaFests im De
streit. Der „Hilfsverein“ legte die zember 1913 in sein Amt als Direktor
Lehrsprachen pragmatisch fest. Die
Schüler und Studenten, die aus den
verschiedensten Kulturen stammten,
sollten sich untereinander, aber auch
mit ihren türkischen und arabischen
Nachbarn unterhalten können und
mit Fremdsprachen auf ihre spätere
Karriere vorbereitet werden. Weil
man fortschrittliche, liberale Lehrme
thodiken aus Deutschland einführen
wollte, sollten von dort auch Lehrer
kommen; jene bevorzugten aber ihre
Muttersprache. Zudem war Deutsch
seinerzeit die führende Wissen
schaftssprache, und der „Hilfsverein“
war dem deutschen Kaiserreich auch
politisch verpflichtet. Aus Sicht des
„Zionistischen Komitees“ lief dies den
nationalen Ambitionen der Juden in
Palästina zuwider. Man unterstellte
dem „Hilfsverein“, deutschnationale
Interessen durchsetzen und Hebräisch
zum Unterrichtsfach degradieren zu Arthur Biram beim Militär.
28
der Reali eingeführt. Das „Technion“
nahm erst 1924 seinen Betrieb auf.
Biram publizierte seine „Leitsätze für
die hebräische Realschule in Haifa“
am 3. Juli 1914 in „Die Welt“: „Wie
alle Kinder sollen auch unsere Kinder
etwas wissen und was sie wissen, als
stets gegenwärtigen Besitz haben.
Aber sie sollen es lebend ergreifen
lernen, nichts Fertiges von uns hin
nehmen, sondern bei der Aufnahme Arthur Biram (1928) führte eine
und Aneignung lebendig mitwirken. umfangreiche Korrespondenz, bei-
Wie wir das Gewordene nie ohne das spielsweise mit Albert Einstein und
Werden zeigen, so sollen unsere Kin dem aus Dresden stammenden Ban-
der unter ihrer Hand und aus ihrem kier Hans Arnhold (Albert Einstein
Mund die Dinge werden lassen, sollen Archives, The Hebrew University of
Begriffe und Kenntnisse entstehen, Jerusalem; Einstein Papers Project,
aus ihrer geistigen und körperlichen California Institute of Technology).
Arbeit herauswachsen lassen.“ Die
Schüler sollten ganzheitlich gebil Eisenbahnfahrdienst. Im September
det werden. Neben der Vermittlung und Anfang Oktober 1918 schlugen
naturwissenschaftlichtechnischer alliierte Truppen, an deren Seite auch
Kenntnisse, die zunächst im Mittel Zionisten aus Palästina wie Jaakow
punkt standen als Zugangsvorausset Dori kämpften, die Türken in diesem
zung für das Technion, legte Biram Gebiet.
Wert auf eine humanistische Bildung
einschließlich jüdischer und arabi Nach dem Krieg vertrat Biram zu
scher Geschichte und Kultur und auf nächst David Yellin am Hebräischen
die Entwicklung sozialer Kompeten LehrerKolleg in Jerusalem. Groß
zen. Biram selbst lehrte Bibelkunde britannien und Frankreich teilten die
und antike Geschichte. vormals osmanischen Provinzen im
Nahen Osten unter sich auf. Palästina
Nach Ausbruch des Ersten Welt wurde britisches Mandatsgebiet, der
kriegs trat Biram wie seine Brüder Einfluss der deutschen Juden nahm
der deutschen Armee bei; er war zum ab. Die Verantwortung für die He
Fronteinsatz in Russland und dien brew Reali School ging vom „Hilfs
te im deutschtürkischen Korps in verein der deutschen Juden“ auf das
Palästina. In Afula, einem wichtigen „Zionistische Komitee“ über.
Verkehrsknoten an der Damaskus 1920 kehrte Biram nach Haifa zurück,
HaifaStrecke, befehligte er den wo er wieder die Leitung der Reali
29
übernahm. Die Briten bauten Haifa
zur wichtigsten Stadt Palästinas aus.
Gleichzeitig eskalierten die Konflikte
mit den arabischen Palästinensern,
weil die Briten jenen im Krieg ge
Ankündigung eines Vortrags von machte Versprechungen nicht einhiel
Arthur Biram in München vor ten. Biram war Mitglied der Palestine
der Jesaia-Loge, Bayerische isra- Oriental Society, in der sich von
elitische Gemeindezeitung, 1931, 1920 bis 1948 jüdische und arabische
Heft 10. Arthur Biram gehörte wie Intellektuelle trafen, und gehörte
seine Geschwister Julius und Else dem Jewish National Council („Va‘ad
Biram der jüdischen, Freimaurer- Leumi“) an. 1924 heiratete er seine
ähnlichen Organisation „B‘nai Frau Hanna. 1920 war sie nach Haifa
B‘rith“ an. Der Orden war 1843 in ausgewandert, wo sie an der Reali
New York gegründet worden, um Sport lehrte.
die Interessen der jüdischen Bürger
zu vertreten und die jüdische Kultur Biram setzte trotz des elitären An
zu fördern. B‘nai B‘rith ist mit spruchs sein Konzept einer „Arbeits
seiner Logenstruktur ähnlich wie schule“ durch, in der auch manuelle
die Freimaurer organisiert und der Arbeit und Landwirtschaft unterrich
Förderung von Toleranz, Humanität tet wurden. Dies war wesentlich für
und Wohlfahrt verpflichtet. Darü- die Akzeptanz der Schule, denn viele
ber hinausgehende Beziehungen zur der früh in Palästina eingewanderten
Freimaurerei bestehen jedoch nicht. Juden wollten hier Landwirtschaft
Entgegen aller Verschwörungstheo- betreiben. Als Schule mit Internat
rien handelt es sich nicht um einen bot die Reali gute Möglichkeiten
Geheimorden. Besonders mit der für Aktivitäten außerhalb des Un
Zunahme antisemitischer Tenden- terrichts. Biram war schon damals
zen in den deutschen Freimaurer- ein Anhänger der Ganztagsschule.
Logen im späten 19. Jahrhundert Seine Versuche, den Schülern größere
verzeichneten die jüdischen Logen Mitbestimmungsrechte einzuräumen,
einen großen Zulauf. Sie öffneten scheiterten am konservativ gepräg
sich zudem auch weiblichen Mitglie- ten Lehrerkollegium. Ab 1924 wurde
dern. B‘nai B‘rith ist vor allem auch Unterricht bis zur 12. Klasse gegeben.
für seine karitativen Leistungen Eine von Biram favorisierte noch
bekannt. Die „B‘nai B‘rith Youth engere Zusammenarbeit mit dem
Organization“ stellte Arthur Biram Technion, ggf. sogar eine Verschmel
finanzielle Mittel für die israelische zung, kam auch wegen akademischer
Tzofim-Jugendbewegung („Scouts“) Vorbehalte gegen Birams praxisorien
zur Verfügung. tierte Lehrkonzepte zulasten theore
30
tischer Grundlagenvermittlung nicht
zustande. Zudem bestanden gegen
ihn persönliche Vorbehalte: Er galt
bei der Mehrzahl russischer Einwan
derer, die außerdem von der Oktober
revolution geprägt worden waren, als
zu „preußisch“.
31
Schüler beteiligten sich im Zweiten Alten Orients“. Insgesamt verfasste er
Weltkrieg in einer jüdischen Brigade etwa 50 Publikationen in Hebräisch,
der britischen Armee am Kampf ge Englisch, Deutsch und Arabisch.
gen die faschistischen Achsenmäch Seine Verdienste um die neue Hei
te und nahmen an den folgenden mat, insbesondere beim Aufbau des
gewaltsamen Auseinandersetzungen Bildungswesens, wurden 1954 mit
um die Unabhängigkeit eines Staa dem IsraelPreis, der höchsten Aus
tes Israel teil. Unter ihnen war auch zeichnung seines Landes, und 1964
Birams älterer Sohn, Aaron. 1948, im mit dem Ehrendoktor der Hebrew
Jahr der Gründung des Staates Israel, University of Jerusalem sowie zusam
emeritierte Biram. Joseph Bentwich men mit Martin Luther King einem
folgte ihm als Direktor. Ehrengrad des „Jewish Theological
Seminary“ in den USA gewürdigt.
Seine Funktion als Kuratoriumsvor
sitzender des Technions behielt Biram Arthur Biram verstarb am ersten Tag
bis 1956. Als Direktor des „Teachers’ des „Sechstagekriegs“ von 1967. Die
Training Seminary of the Reali von ihm gegründete Hebrew Reali
School“ widmete er sich weiterhin School mit über 20.000 Absolventen
der Lehrerausbildung. 1953 gründete in den ersten hundert Jahren ihres
Biram auf dem Mount Carmel zu Bestehens erwarb sich den Ruf einer
sammen mit Premierminister David Kaderschmiede der israelischen
BenGurion ein Militärinternat, Armee. Sie wird heute von etwa 4000
das damals nach seinem zwei Jahre Schülern unterschiedlicher ethnischer
zuvor ums Leben gekommenen Sohn Gruppen einschließlich arabischer
„Aaron Biram Military Academy“ Schüler besucht und ist auf mehre
genannt wurde und heute als „IDF Ju re Standorte im Stadtgebiet (Hadar,
nior Command Preparatory School“ Ahuza, Carmel) verteilt. Stipendien
geführt wird. 1955 ernannte ihn der ermöglichen den Besuch der semi
IDFOffiziersclub zum Ehrenmit privaten Schule auch für Kinder aus
glied. Mit BenGurion stand Biram in einfachen Verhältnissen. Der High
wiederholtem Kontakt. So besuchte SchoolZweig der Hebrew Reali
er mit ihm 1963 die Hebrew Reali School „Beit Biram“ in Ahuza und
School anlässlich der Feier zu deren eine Hauptstraße zwischen dem Tech
50jährigen Bestehen. nionIsrael Institute of Technology
und der Universität Haifa im Carmel
Biram schrieb mehrere Bücher zur Gebiet tragen Birams Namen. Die
Geschichte des Judentums und der israelische Post würdigte das hundert
Bibel, darunter die mehrbändige jährige Jubiläum der Schulgründung
„Geschichte Israels in der Zeit der im Jahre 2013 mit einer Sonderbrief
Bibel, im Rahmen der Geschichte des marke.
32
An die Familie Biram erinnern heute in Sachsen die Gräber der Großeltern
von Arthur und Else auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Dresden-Jo-
hannstadt (links: Salomon, †1887; rechts: Johanna, †1896).
Quellen: S. 412 ff. 33
Die Biram-Geschwister, Dresden oder Berlin in den 1890er Jahren.
Quellen: Mitteilungen von Juan Moser und Renate Biram; Else Biram: Dissertation, 1917; Stadtarchiv Bi
schofswerda; Adressbücher von Dresden, Berlin; MarieLuise Zürcher: „Der erste Arzt der Gartenstadt“.
GartenstadtGenossenschaft Mannheim eG, Mitgliederzeitung, 5/2005; digi.ub.uniheidelberg.de; Report
of the Executive Committee of the Constitution Grand Lodge Independent Order of B‘nai B‘rith, 1916;
Yotam Hotam, Joachim Jacob: „Populäre Konstruktionen von Erinnerung im deutschen Judentum und
nach der Emigration“. Vandenhoeck & Ruprecht, 2004; Gilbert Herbert, Silvina Sosnovsky: „Bauhaus on
the Carmel and the crossroads of empire: architecture and planning in Haifa during the British mandate“.
Yad Izhak BenZvi, 1993; World Zionist Organization: „Report on Activities“. 1937; „La Mujer judía:
publicación dedicada a la memoria de la Sra. Adele Eshel (Q.E.P.D.)“. Instituto Stephen Wise, Congreso
Judío Mundial, 1959; Luise Hirsch: „From the Shtetl to the Lecture Hall: Jewish Woman and Culture Ex
change“. University Press of America, 2013; Volker Kirchberg: „Visitor Studies in Germany. Past, Present,
and Potential“; Amira Kahat, University of Haifa; David Tidhar: „Encyclopedia of Founders and Builders
of Israel“. 1963
34
Biram, Else (Elsa Sara)
Dr. phil., jüdische Kultursoziologin
07.02.1883 Bischofswerda – 16.07.1966 Haifa
Else Biram zog mit ihren Eltern und verkaufte der Vater das Geschäft in
Geschwistern um 1885 von ihrer Berlin und ging als Kaufmann nach
Geburtsstadt Bischofswerda nach Frankfurt/Oder. 1904 setzte Else
Dresden, wo der Vater mit Salomon Biram gegen den Willen ihrer Eltern
Wolff, einem Schwager aus Löbau, in Berlin die Ausbildung fort und be
ein Geschäft betrieb. Sie besuchte in legte bei der Frauenrechtlerin Helene
Dresden und nach dem Umzug der Lange „Gymnasialkurse für Frau
Familie von 1895 bis 1898 in Berlin en“, in denen sie sich auf das Abitur
die Schule. Anschließend erwarb sie
hier drei Jahre lang kaufmännische
Praxis im Bekleidungsgeschäft ihres
Vaters in der Neuen Friedrichstraße
78. Um 1903, nachdem sein Ge
schäftspartner Wolff gestorben war, Briefkopf der väterlichen Firma.
35
Frankfurt/Oder war seit dem Umzug aus Berlin im Jahre 1903 Lebensmit-
telpunkt der Familie Biram. Der Vater ist im Adressbuch von 1906 als Kauf-
mann im Geschäft Kayser & A. Sickler, Große Scharrnstraße 47, angegeben.
Die Familie war damit in einer der wichtigsten Geschäftsstraßen Frank-
furts ansässig. Auch der Sohn Fritz (Salomon Friedrich) arbeitete hier. Im
Zusammenhang mit den Ausbürgerungen und Enteignungen zur Nazizeit
werden aus der Familie Biram aufgeführt: Emmy verw. Biram (*6.2.1885)
mit Hanna (*8.2.1910 Sulzbach) und Hans (*25.3.1913 Frankfurt), die Brü-
der Max und Fritz mit Frau Alice (*30.5.1899) sowie Ingeborg (*25.9.1922
Frankfurt) und Marianne (*17.6.1927 Frankfurt). In „The Conference on
Jewish Claims against Germany“ wird Emmy Biram geb. Samuel mit Bezug
auf die Große Scharrnstraße 61 und 44 (Fa. Paul Loewenthal) genannt.
vorbereitete. Ihren Lebensunterhalt Biram war schon im Elternhaus im
verdiente sie selbst als Büroangestell Sinne des Zionismus erzogen worden.
te. 1909 legte Biram am Realgymna So gehörten ihr Vater und ihr Bruder
sium Charlottenburg das Abitur als Arthur Biram in Berlin und später
externer Prüfling ab. Anschließend in Frankfurt/Oder dem „Verein zur
studierte sie in Freiburg, Berlin, Unterstützung ackerbautreibender
München und von 1911 bis 1913 in Juden in Palästina und Syrien“ an.
Heidelberg Nationalökonomie sowie Else Biram selbst besuchte 1909 den
Jura, Kunstgeschichte und Sozial 9. Zionistenkongress in Hamburg
wissenschaften. Auch ihren späteren und engagierte sich in zionistischen
Mann, den Mediziner Wilhelm Lion Studentenkreisen.
Bodenheimer, lernte sie in Heidelberg
kennen. Am 15. Dezember 1913 bestand
Biram in Heidelberg ihre mündliche
36
DoktorPrüfung. Zuvor hatte sie in 1917 verteidigte Else ihre Dissertati
Mannheim umfangreiche Datenerhe on „Kunstpflege im 19. Jahrhundert“
bungen zur Kulturrezeption der Be in Heidelberg bei Alfred Weber. Die
völkerung durchgeführt. Mithilfe von Arbeit bestand aus zwei Teilen. Im
etwa 12000 Fragebögen sowie vielen Teil „Öffentliche Kunstpflege“ stellte
Interviews und der Unterstützung des die Autorin die Epochen „Höfisch“
Mannheimer Museumsdirektors Fritz (großherzogliche Kunstsammlun
Wichert erfasste sie die verschiedenen gen), „Bürgerlich“ (Kunstvereine) und
kulturellen Aktivitäten. „Kommunal“ (Kunsthallen, Ausstel
lungen, Popularisierung) gegenüber.
Nach dem Studium folgte Biram Wil Im Teil „Erlebniszentren der Bevöl
helm Bodenheimer nach Mannheim. kerungsschichten“ thematisierte sie
Jener arbeitete als Assistenzarzt am Führungen, Lesen, Schaulust, Besitz
städtischen Krankenhaus, übernahm und Dilettantismus. Ihre Arbeit
aber gleichzeitig aus ideeller Verbun erschien 1919 auch bei Eugen Diede
denheit auch die ärztliche Betreuung richs in Jena als Teil der Abhandlung
der 1910 gegründeten Gartenstadt. „Die Industriestadt als Boden neuer
1914 publizierte Bodenheimer Kunstentwicklung: bildende Kunst
Biram „Die jugendliche Arbeiterin“ und modernes Leben, öffentliche
in der „Zeitschrift für Kinderpflege“. Kunstpflege, Erlebniszentren der
1915 zogen sie und ihr Mann in die Bevölkerungsschichten, Entfaltung
Gartenstadt. 1916 übernahm Biram produktiver Kräfte auf dem Boden
die Leitung des städtischen Wohl des organisierten Industriezentrums“
fahrtsamtes für straffällige Mädchen in den „Schriften zur Soziologie der
in Frankfurt/Main. In dieser Zeit Kultur“. Biram hatte mit ihrer em
stand sie auch in Verbindung mit Sa pirischen Soziologie in Deutschland
lomon Altmann, inwischen Professor Neuland betreten, ohne für ihre Pi
an der Handelshochschule Mann
heim, den sie als Privatdozenten für
Nationalökonomie aus ihrer Heidel
berger Zeit kannte.
37
onierleistung angemessen gewürdigt einen neuen Individualismus. Sie
worden zu sein. sah die Zukunft im gemeinschaftli
chen Handeln. Das Kunsthandwerk
1918 ließ sich Birams Mann, der im sollte aus der in Gemeinschaften neu
Jahr zuvor in Heidelberg „Ueber die erblühenden Werkarbeit erwachsen.
Beziehungen zwischen Sauerstoff In der Gartenstadt Hellerau sah sie
verbrauch und Tätigkeit des Frosch ein Vorbild für die Gründung von
herzens“ promoviert hatte, mit einer Handwerkergemeinden in Palästina
eigenen Arztpraxis in der Gartenstadt und für die Qualitätsarbeit.
Mannheim nieder, Else führte die
Geschäfte. Biram gehörte in Mannheim mit ih
rem Mann zu den aktiven Mitgliedern
Vor dem Hintergrund der wach der jüdischen Gemeinde. Zusammen
senden Einwanderung in Palästina mit dem Rabbiner Max Grünewald
schrieb Biram zu „Kunsterziehungs gründete sie ein jüdisches Lehrhaus,
fragen“ in „Der Jude“ (1921/22). Sie wo Erwachsene zum jüdischen Leben
erhoffte sich aus Palästina neue Im in Europa und Palästina, zu sozialen
pulse für die Kunstbetrachtung und Themen, zum Chassidismus und zu
sah die Kunst als wichtigen Bestand Siedlungsfragen unterrichtet wurden.
teil der zionistischen Erziehung der 1930 unternahm Biram mit anderen
Kinder an: „Die Erziehung zur Kunst Wissenschaftlern im Rahmen des
hat schon in der Schule einzusetzen, Kartells Jüdischer Verbindungen eine
sie muß sich zur Aufgabe machen, Reise nach Palästina. 1931/32 verfass
Kinder zu gestaltenden Menschen zu te sie in der Zeitschrift „Die lebendige
bilden, sie schaffen zu lehren, nicht Stadt“ den Artikel „Der Waldhof “.
ihnen von Kunst zu sprechen“. Biram Auch in der „Israelitischen Gemein
argumentierte in diesem Artikel auch dezeitung“ von Mannheim erschienen
gegen Paul Zucker, dessen Hoff Beiträge von ihr. Dr. Bodenheimer
nungen auf Palästina sie zwar teilte, war in der Gartenstadt vor allem in
dessen vor allem auf Erwachsenenbil der Arbeiterschaft hoch angesehen.
dung orientiertem Konzept sie aber Wenn nötig, behandelte er die Pati
widersprach. Ihr Unterrichtsprinzip enten kostenlos. Nach der Machter
einer „Arbeitsschule“, des Lernens greifung durch die Nationalsozialisten
durch selbstständiges und praktisches verlor er seine Zulassung, auch ihr
Aneignen statt durch bloße Rezepti Zuhause, seit 1925 „Am Grünen Hag
on, gehörte ebenso zu den Leitlinien 2“, musste die Familie aufgeben. In
der Hebrew Reali School unter Elses der GartenstadtGenossenschaft hat
Bruder Arthur Biram. Deutlich ten linientreue Nazis das Sagen. Ein
wurde im Artikel „Kunsterziehungs Selbstmordversuch von Elses Mann
fragen“ auch Else Birams Absage an schlug fehl.
38
Haifa 1935. Bedingt durch wirtschaftliche Großprojekte wie den Hafen und
durch die massenhafte Flucht aus Deutschland nach 1933 wuchs die Ein-
wohnerzahl rasch an. Allein zwischen 1931 und 1936 verdoppelte sie sich
auf 100.000, gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der jüdischen Bevölkerung.
39
Anstrengungen um seine Anfang
des Zweiten Weltkriegs in Palästina
geschriebene „Dialektik der Alpen;
Emigrationsbericht oder Warum wir
nach Palästina gingen“ erholte, und
Leonard Bernstein. Ab 1944 war Else
Biram alleinige Geschäftspartnerin
ihres Mannes. Mit dem Religions
philosophen Martin Buber waren
Das Bodenheimer-Sanatorium sie befreundet. 1949 wurde die Ehe
(Foto: Fritz Biram, 1936/37) befand geschieden. Das Sanatorium schloss
sich auf dem Mount Carmel in einer 1955 aus wirtschaftlichen Gründen.
Höhe von 330 Metern. Es war umge-
ben von einem Naturpark mit einem Else Biram war Mitglied der Or
Pinienwald. Man rühmte seinerzeit ganisation B‘nai B‘rith. Sie gehörte
den Blick über die Ausläufer des dem allgemeinen Komitee an, leitete
Carmel bis zum Meer. 15 Jahre den Tourismusausschuss
und sammelte in Israel, Europa und
Bodenheimer und Max Biram auch Südamerika, wo sie sich von 1947 bis
Arthur Biram, Benno Lewy, Albert 1949 aufhielt, Spenden für ein von
Goldberg und Theodor Zlocisti an. B‘nai B‘rith gegründetes Altersheim
1937 wurden die Bodenheimers
eingebürgert. Else sammelte für den
Jüdischen Nationalfonds, in dessen
Auftrag sie 1936/37 Frankreich, die
Schweiz und mehrere Balkanstaaten
bereiste, Spenden für Umwelt und
Wasserprojekte und leitete „Irgun
Olei Merkaz Europa“, eine Organi
sation der aus Mitteleuropa einge
wanderten Juden. Sie war Mitglied
der Liberalen Partei, in der Zionisten
versuchten, sich unabhängig von den
politischen Strömungen zu engagie
ren. Biram unterstützte auch dort vor
allem die Einwanderer in Palästina.
40
Blick über Ahuza zum Carmel Medical Center. Rechts unterhalb des Hoch-
hauses von Mishan liegt das inzwischen um eine Etage aufgestockte, ehema-
lige Bodenheimer-Sanatorium. Foto: Yaakov Schatz (Wikimedia Commons,
Lizenz CC BY-SA 3.0)
in Haifa. An der Organisation der Ge Seit 2005 sind Mannheim und Haifa,
neral Convention vom 25. bis 29. Mai die beiden wichtigsten Lebenssta
1959 in Jerusalem war sie maßgeblich tionen Birams, Partnerstädte. Das
beteiligt. ehemalige Sanatoriumsgebäude, Eder
Street 12, wurde erweitert und im Stil
Biram blieb auch in Israel publizis der 1930er Jahre saniert. Es ist heute
tisch tätig. So verfasste sie beispiels Teil einer Residenzanlage, deren
weise Beiträge zum Verhältnis von Betreiber Mishan zu Hevrat HaOv
Liberalismus und Sozialismus. 1959 dim gehört, einem Unternehmen des
publizierte sie beim Jüdischen Welt 1920 von David BenGurion in Haifa
kongress zur Gleichberechtigung der gegründeten GewerkschaftsDachver
Frauen in Israel. bandes Histadrut.
41
Heinrich August Blochmann begann seine Berufslaufbahn im Rittergut
Großseitschen bei Bautzen, das er 1807 vermutlich im Zusammenhang mit
seiner Heirat pachtete.
Quellen: William Löbe: „Blochmann, Heinrich August“ und Artikel zu 2 Brüdern, Allgemeine
Deutsche Biographie, Bd. 2, 1875, S. 708–712; Friedrich August Schmidt, Bernhard Friedrich
Voigt: „Neuer Nekrolog der Deutschen“. 29. Jg., Teil 2, 1851, S. 948–951; Herbert Zeißig: „Eine
Deutsche Zeitung. 200 Jahre Dresdner Anzeiger“. 1930; Johann Christian Crell: „Curiosa Saxo
nica“. 1750; Adolf Schulz: „Gottlieb Sigismund Blochmann. Pfarrer in Reichstädt 1784 bis 1798“.
Reichstädter Nachrichten, April 2001, S. 4–5; Herbert Schönebaum: „Blochmann, Karl Justus“.
Neue deutsche Biographie, Bd. 2, 1955, S. 307–308; Julius Kühn: „Das Studium der Landwirth
schaft an der Universität Halle“. Plötz‘sche Buchdruckerei Halle, 1888; Heinrich Gerd Dade: „Die
deutsche Landwirtschaft unter Kaiser Wilhelm II.“ C. Marhold Halle, 1913; Münchener politi
sche Zeitung, 1836; Deutsche VierteljahrsSchrift, Cotta, 1853; Ludwig Friedrich Gottlob Ernst
Gedike: „Lectionsplan des Bauzner Gymnasiums“. Monse Bautzen, 1802; gedbas.genealogy.net;
germanyroots.com; myheritage.de; Kirchenbücher Hochkirch; Adressbücher der Stadt Dresden;
Amtlicher Bericht Versammlung deutscher Land und Forstwirthe in Dresden, 1838; Holger
Starke: „Vom Brauerhandwerk zur Brauindustrie: die Geschichte der Bierbrauerei in Dresden
und Sachsen 1800–1914“. Böhlau Verlag, 2005
42
Blochmann, Heinrich August
Landwirtschaftsreformer
12.02.1787 Reichstädt – 08.12.1851 Friedrichstal
43
Julius Schnorr von Carolsfeld hat ihn Althergebrachte Besitz und Abhän
später gezeichnet, wie er die Strümp gigkeitsverhältnisse auf dem Land
fe von seinen Füßen streifte, um sie wie Fron und Abgabelasten sowie
einem Bedürftigen zu schenken. Nach herrschaftliche Nutzungsrechte von
dem frühen Tod ihres Mannes zog Grund und Boden behinderten die
Blochmanns Mutter mit den Kindern Entwicklung der sächsischen Land
zu Verwandten nach Dresden, wo wirtschaft. Unter Anton dem Gütigen,
sie Französisch und Handarbeiten seit 1827 König, wurden Reform
unterrichtete und künstliche Blumen versuche unternommen. Ab 1829
herstellte. Heinrich August wurde gehörte Blochmann einer Kommissi
zusammen mit seinem Bruder Karl on zur Entwicklung eines Verfahrens
Justus Blochmann auf das Gymnasi für die gleichmäßige Besteuerung von
um in Bautzen geschickt. Ermöglicht Grundeigentum an. In der Schrift
hatte dies Johann Wilhelm Prentzel, „Geschäftsanweisung für die behufs
ein Verwandter. Rektor in Bautzen einer Besteuerung versuchsweise aus
war Ludwig Gedike. zuführende Abschätzung des Grund
eigenthums im Königreiche Sachsen“
Da er sich besonders für die Natur in legte er in 12 Abschnitten die Ab
teressierte, entschied sich Blochmann, schätzungsgrundsätze bei Ackerbau,
ohne das Gymnasium abzuschließen, den Wiesen, Weiden, Grasländereien,
1802 für eine landwirtschaftliche Gärten, Obst und Holzpflanzungen,
Ausbildung in Friedersdorf am Queis. Waldungen, Weinbergen, Teichen,
1807 pachtete er das Rittergut Groß der Fischerei, Jagd, den Berg und
seitschen. Nach einer zwischenzeitli Hüttenwerken, Stein und anderen
chen Tätigkeit als Inspektor des Gutes Brüchen, Gruben, Zinsen, Lehngel
Kleinförstchen übernahm Blochmann dern, Deputaten, Frondiensten und
1815 die Inspektion der gräflich Gebäuden sowie Vorschriften für
Breßler‘schen Güter in der Oberlau die Dokumentation dar. Die Schrift
sitz und in Schlesien. Dabei han erschien bei Meinhold in Dresden, wo
delte es sich um einen bedeutenden seinerzeit Blochmanns Bruder Ernst
Komplex von 23 Höfen einschließlich Ehrenfried eine leitende Stellung inne
zweier Herrschaften und eines Vor hatte. 1830 wurde Heinrich August
werks. Während dieser Zeit wohnte er Blochmann zum Kommissionsrat
in Lauske. 1825 übernahm er die Ver ernannt. Er wohnte zu jener Zeit in
waltung des Rittergutes Zschocha am Dresden in der Großen Plauenschen
Queis. Sein erfolgreiches Wirken trotz Gasse unweit der von seinem Bruder
der Schwierigkeiten der Nachkriegs Karl Justus gegründeten Schule.
jahre verhalf Blochmann zu einem
ausgezeichneten Ruf bis weit über die Die Verfassung von 1831 und das
Grenzen der Oberlausitz hinaus. Gesetz über die Ablösung der feuda
44
len Rechtsverhältnisse gegen Entschä
Ablösungen und digung vom 17. März 1832 bildeten
Gemeinheitsteilungen Meilensteine für eine Modernisierung
Sachsens. Blochmann war an der
Bruno Barthel schrieb 1907 in Ausarbeitung eines Teils des Gesetzes
„Altes und Neues aus Groß und beteiligt und wurde zudem als Sach
Kleindrebnitz“ mit Bezug auf die verständiger konsultiert. Zur Planung
Wirkungen des von Blochmann mit und Durchführung der Gesetzesre
verfassten Gesetzes über „Ablösun form wurde eine „Generalkommissi
gen und Gemeinheitsteilungen“, das on für Ablösungen und Gemeinheits
Sachsens Bauern bis 1852 schrittwei teilungen“ eingesetzt, bestehend aus je
se von vielen Frondiensten und Ab zwei ökonomischen und juristischen
gaben befreite: „Nachdem alle diese Räten unter Leitung eines Direktors.
Ablösungen geordnet waren, wur Anfangs war dies Carl Gottlieb von
den die Grundstücksbesitzer hier Hartmann. Das zuständige Innen
und andernwärts eigentlich erst freie ministerium stand unter der Leitung
Herren ihres Eigentums und hatten von Bernhard August von Lindenau.
nun ein ganz anderes Interesse an Ab 1836 leitete Julius Gottlob
der Verbesserung desselben wie von Nostitz und Jänkendorf die
früher. Deshalb wurde dadurch auch Generalkommission, dessen Bruder
ein gewaltiger Fortschritt in der Eduard Gottlob von Nostitz
sächsischen Landwirtschaft einge
und Jänkendorf war Innenminister.
leitet und damit in der Hauptsache
Blochmann gehörte diesem Gremium
auch ein erfreulicher Aufschwung
ab 1832 als „Wirklicher Kommissions
der ganzen wirtschaftlichen Lage
unseres Vaterlandes hervorgerufen.“ rat“ an und war zuständig für ökono
Zum Teil auf Kosten der „Kleinen mische Fragen. Sein zuvor verfasstes
Leute“ auf dem Lande kam es zu Werk bildete eine Grundlage für die
einer beträchtlichen Intensivierung Arbeit der Spezialkommission für
der landwirtschaftlichen Produkti die Bewertung des Grundeigentums.
on in sächsischen Großbetrieben, Vor der Verabschiedung eines neuen
denen als Ablöse wahlweise jährlich Grundsteuergesetzes wurden jedoch
Zinsen oder einmalige Kapitalab Änderungen am Blochmann‘schen
findungen zuflossen. Innerhalb System vorgenommen. Kraft seines
von wenigen Jahrzehnten stieg die Amtes beriet Blochmann das Lan
landwirtschaftliche Nutzfläche in desjustizkollegium und später das
Sachsen um 30000 ha, die Getreide königliche Oberappellationsgericht.
produktion verdreifachte sich und
auch der Viehbestand wuchs erheb 1830 hatte Blochmann das Rittergut
lich (amuellner.gmxhome.de). Neustruppen bei Pirna gekauft, 1831
wurde er Vorsteher des königlichen
45
Von 1841 bis 1849 besaß Blochmann Schloss und Rittergut Wachau.
46
lysen durchgeführt, 1839 wurde die
Brauerei gegründet. Zum Direktori
um gehörten Vertreter der Banken
Bondi und Kaskel. Eine Schadenser
satzklage des Mitgründers Ferdinand
von Reiboldt gegen Blochmann und
die Direktoren im Jahre 1842 leitete
das Ende des Unternehmens ein.
47
Bolesław I Chrobry war ab 1024 erster König Polens und herrschte von 1002
bis 1004 sowie von 1007 bis 1025 auch in der Oberlausitz.
48
Bolesław I Chrobry
König von Polen
966 – 17.06.1025
V: Mieszko I. (*922 od. später, †25.5.992), ab 960 Herrscher in der großpolnischen Region mit
dem Hauptort Gniezno/Gnesen bei Poznan, 963 erster polnischer Herzog, mit seiner Taufe im
Jahre 966 legitimierte Mieszko seinen kurz zuvor ausgerufenen Staat Polen bei den Nachbarn;
M: Dobrawa (†977), Tochter des böhmischen Herzogs Boleslav I., brachte der Überlieferung
nach Mieszko I. und damit Polen zum christlichen Glauben, möglicherweise in erster Ehe mit
Günther von Merseburg verheiratet und Mutter der Meißner Markgrafen Ekkehard I. und Gun
zelin; G: Sigrid die Stolze (* um 965, 980 Königin von Schweden, 995 Königin von Dänemark
und dadurch Herrscherin auch in Britannien), ? Vladivoj (* vor 977, †1003, 1002 Herzog von
Böhmen), ? Adelheid (*955, Herzogin und Großfürstin von Ungarn, ältere Halbschwester aus
einer früheren Ehe des Vaters oder dessen jüngere Schwester), die jüngeren Halbbrüder Mieszko
(* um 979, † nach 992), Świętopełk (* um 980, † vor 991), Lambert (* um 981, † nach 992);
E: (1) 984 Henilda (Tochter des Meißner Markgrafen Rikdag), (2) 985 Judith (Tochter des
Großfürsten von Ungarn), (3) 987 Emnilda (*973, † um 1017, Tochter des slawischen Fürsten
Dobromir aus der Lausitz), (4) 3.2.1018 ?Großseitschen, Oda († nach 1025?, Tochter des Meiß
ner Markgrafen Ekkehard I.); K: N.N. (*984/985, Fürstin von Pommern), Bezprym (986–1032,
1031 Fürst von Polen), N.N. (*988, Äbtissin), Reglindis (989–1016, ab 1002 mit dem späteren
Meißner Markgrafen Hermann I. verheiratet, Mitstifterin des Naumburger Doms), Mieszko II.
(990–10.5.1034, Bolesławs Nachfolger als polnischer König, verheiratet mit Richeza, Nichte von
Otto III., wurde 1031 von Kaiser Konrad II. zur Abtretung der Oberlausitz gezwungen, die als
Zubehör der Mark Meißen an Hermann I. gelangte), Mathilde (* um 995, † nach 1018, ab 1013
verheiratet mit Svjatopolk, Sohn des Großfürsten der Kiewer Rus, Fürst von Turow), Otto (1000–
1033, anlässlich der Zeremonie von Gniezno auf den Namen von Otto III. getauft, ab 1031
Herzog und Mitregent von Polen), Mathilde (* nach 1018, verheiratet mit Otto von Schweinfurt)
49
den Deutschen unterworfen worden praktische Vorteile. Mit dem Übertritt
waren und ihrerseits das kleinpolni zum Christentum einher ging die
sche Territorium um Krakau besetzt Einführung der lateinischen Sprache
hielten. Herzog Mieszko musste nach und damit erstmals der Gebrauch
Geros Invasion östlich der Oder einer Schriftsprache in Polen. Sie war
im Jahre 963 ebenfalls die deutsche Voraussetzung, den kulturellen Rück
Oberhoheit anerkennen und Tribut stand zum westlichen Teil Europas
leisten. Die Eheschließung von Miesz aufzuholen. Mieszko baute Burgen
ko und Dobrawa zwei Jahre später fiel und erweiterte das polnische Herr
in eine Zeit bedeutender machtpoli schaftsgebiet bis an die Ostsee. Dabei
tischer Änderungen. Nach Geros Tod geriet er 972 mit Hodo, dem Mark
wurde seine große Ostmark aufgeteilt. grafen der Lausitz, in Konflikt, den er
Die Mark Meißen im Südosten, mit in der Schlacht bei Zehden besiegte.
den Gauen Daleminzi um Meißen, Kaiser Otto I. zwang Mieszko darauf,
Nisan im Elbtal und Milska im Gebiet seinen siebenjährigen Sohn Bolesław
der heutigen Oberlausitz, sollte zum in Geiselhaft nach Quedlinburg bzw.
Schauplatz wiederholter Auseinander Magdeburg zu geben. Nach dem
setzungen mit den benachbarten Böh frühen Tod der Mutter im Jahre 977
men und Polen werden. In Merseburg kühlte sich das Verhältnis zwischen
erhielt Günther die Markgrafschaft. Polen und Böhmen ab. Der Vater
Es ist überliefert, dass er bis 965 mit heiratete Oda von Haldensleben,
Dobrawa verheiratet gewesen sein eine Tochter des Markgrafen von der
soll. Wie seine Söhne Ekkehard I. und Nordmark, und knüpfte dadurch erste
Gunzelin, in diesem Fall Halbbrüder Verbindungen zum sächsischen Adel.
von Bolesław, war er später Markgraf Bolesław begleitete seinen Vater oft
von Meißen. Mit Dobrawa fasste das auf dessen Reisen durch das Land.
Christentum in Polen Fuß. Es ist zu
vermuten, dass Bolesław kurz vor Bolesław wurde von seinem Vater
der Taufe des Vaters im Jahre 966 zur im Jahre 984 mit einer Tochter des
Welt kam, da frühe Quellen auf eine Markgrafen Rikdag von Meißen ver
Eheschließung der Eltern im Jahre heiratet. Die Böhmen unter Boleslav
965 und die Geburt als Sohn eines II., Dobrawas Bruder, besetzten aber
heidnischen Vaters und einer gläubi die Markgrafschaft und damit wa
gen Mutter verweisen. Die Christia ren die Pläne der Polen, nach dem
nisierung Polens war aber nicht allein Tod von Kaiser Otto II. im Jahre 983
dem missionarischen Eifer der Herzo in der Mark Meißen Fuß zu fassen,
gin zu danken. Das Bekenntnis zum zunächst gescheitert. Bolesław löste
Christentum brachte dem polnischen die Ehe wieder auf. Mithilfe der Ehe
Herrscher einen großen Reputations schließung mit Judith von Ungarn
gewinn bei den Nachbarn und auch im Jahr darauf wurde versucht, eine
50
Allianz gegen Böhmen zu schmie
den. Bolesławs dritte Ehe, im Jahre
987, sollte wiederum die Allianz mit
Meißen festigen und war ebenfalls
gegen Böhmen und dessen Vormacht
streben in Schlesien gerichtet. Im
Rahmen einer Doppelhochzeit hei
ratete Bolesław eine Schwägerin von
Gunzelin, eines Bruders des damali Die Burg Bautzen befindet sich auf
gen Meißner Markgrafen Ekkehard I. einem Felssporn oberhalb der Spree.
Auch dank der guten Beziehung nach Im Zusammenhang mit einer Be-
Deutschland und mit der Unterstüt lagerung durch König Heinrich II.,
zung seines Sohns Bolesław war es der dabei fast gefallen wäre, wurde
Mieszko möglich, 990 Krakau und Bautzen 1002 erstmals urkundlich
992 Schlesien mit Breslau zu er erwähnt. Es gab dem Land Budissin
obern. Im Auftrag des Vaters regierte den Namen.
Bolesław das kleinpolnische Territo
rium um Krakau. Zu den Unterstüt sollte das Land unter seinen Söhnen
zern der Polen gehörten Familienan aufgeteilt werden. Das polnische
gehörige des für Krakau zuständigen Kernland unterstellte er dem Papst,
Prager Bischofs Adalbert, dessen was praktisch aber nur eine Verpflich
Reformorientierung im eigenen tung zum Tribut bedeutete.
Land von einflussreichen Gegnern
angefeindet wurde und der deswegen Bolesław wurde im Jahre 992, als sein
Prag auch zeitweise verlassen musste. Vater starb, Herzog von Polen. Sein
Mieszko hinterließ ein Herzogtum erstes Bemühen galt, die verbrieften
Polen, das von der Oder bis an die Ansprüche seiner Stiefgeschwister
Warthe reichte. Nach seinem Tod abzuwehren. Mit diplomatischem
und kriegerischem Geschick konnte
er danach das polnische Territorium
rasch erweitern. Er verbündete sich
995 mit den Deutschen unter König
Otto III. gegen die Sorben an Elbe
und Ostsee und unterwarf Mähren
und die Slowakei in seinem Bestre
ben, ein vereinigtes Reich der West
slawen zu schaffen. Während seiner
Der heutige Breslauer Dom geht auf Regentschaft genoss die jüdische
einen Vorgängerbau unter Bolesław Bevölkerung Polens einige Privilegi
zurück. en, allerdings befahl Bolesław, deren
51
Schriftgut zu verbrennen. Um 995 eigenständigen polnischen National
führte er die ersten polnischen Mün kirche, die unabhängig von Deutsch
zen ein. land direkt dem Papst unterstellt war.
Das polnische Territorium war kir 1002 unterstützte Bolesław den Meiß
chenpolitisch umstritten. Das unter ner Ekkehard I. beim Versuch, die
Boleslav II. entstandene Bistum Prag Nachfolge des verstorbenen Kaisers
umfasste auch Breslau und Kra Otto III. anzutreten. Er wurde durch
kau. Ein Vorschlag aus dem Bistum die Furcht angetrieben, dass sich die
Meißen, für Teile von Böhmen und Deutschen erneut mit den Böhmen
Schlesien eine eigene Diözese einzu gegen Polen verbünden und jene
richten, scheiterte. Gegen die deut Schlesien und Krakau zurückfordern
schen Kirchenfürsten entschied Otto könnten. Nach Ekkehards Ermordung
III., die zu Deutschland benachbarten eroberte Bolesław mit Unterstützung
Gebiete nicht zu integrieren, son von dessen Gefolgsleuten Meißen und
dern zu Verbündeten aufzubauen, als die Lausitz. Die offizielle Markgra
Vorposten zum Schutz des Reiches. fenwürde in Meißen erhielt jedoch
Bolesław erkannte die sich daraus Ekkehards Bruder Gunzelin. Um die
für ihn ergebenden Möglichkeiten. bereits bestehenden, engen familiären
Er löste die Reliquien des Prager Beziehungen mit Meißen zu festigen,
Bischofs Adalbert von den baltischen verheiratete Bolesław im Jahre 1002
Prußen aus, die jener mit Unterstüt seine Tochter Reglindis mit Hermann
zung Bolesławs hatte missionieren I., einem Sohn von Ekkehard I.
wollen, und begrub sie in Gniezno.
Anlässlich der Wallfahrt von Otto III., Um Bolesław zu besänftigen, be
der zu den Anhängern des inzwischen lehnte ihn der neue deutsche König,
heiliggesprochenen Adalberts gehör Heinrich II., mit der Markgrafschaft
te, im März 1000 erkannte der Kaiser Lausitz (Niederlausitz) und dem Gau
Bolesław als souveränen Herrscher Milska, der dadurch praktisch von der
Polens an. Bei dieser Gelegenheit Mark Meißen abgetrennt wurde. Ein
wurde vermutlich auch die spätere Attentat gegen den Polen anlässlich
Eheschließung von Bolesławs Thron der Huldigung des Königs in Merse
folger Mieszko II. mit einer Nichte burg im Jahre 1002 hatte Zwietracht
von Otto beschlossen, und Bolesław zwischen Heinrich II. und Bolesław
taufte seinen jüngsten Sohn auf den gesät. Mit der Brandschatzung der
Namen Otto. Papst Sylvester II. ge Burg Strehla eröffnete Bolesław offi
währte Polen eine eigene Erzdiözese ziell den Streit. Der Konflikt spitzte
mit Sitz in Gniezno, wobei Breslau ei sich zu, als Bolesław 1002 und 1003
nen Bischofssitz erhielt. Damit wurde in die böhmische Thronfolge eingriff,
Bolesław zum Gründungsvater einer zunächst seinen vermutlichen Bruder
52
Das polnische Territorium erweiterte sich zur Zeit der Herrschaft von
Bolesław deutlich. Es bestand 992 aus der dunkleren rosa Fläche und um-
fasste 1025 die mit der dicken roten Linie umrahmten Gebiete inkl. Lau-
sitz, Milska, Mähren und Slowakei. Einige Länder konnten nur kurzfristig
gehalten werden (Meißen, Böhmen). Grafik: Poznaniak, aus: „Ilustrowany
Atlas Historii Polski“ (Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Vladivoj installierte und sich schließ hang mit seiner Absicht, die in Gniez
lich selbst zum Herzog proklamieren no vereinbarte relative polnische
ließ. Bereits 1004 musste er Böhmen Eigenständigkeit, in kirchlichen wie
aber wieder aufgeben. Heinrich II. politischen Angelegenheiten, zu revi
erneuerte die deutsche Vorherrschaft. dieren. Dies war für ihn wichtig, denn
Sein Vorgehen stand im Zusammen er musste seine Autorität als König
53
Bolesław I Chrobry befestigt Grenzpfähle an Elbe und Saale.
54
weltlichen Adel dar. Diese Funktion König 1010 absetzte. 1013 erkannte
und ihre missionarische Tätigkeit in Bolesław im Frieden von Merseburg
von Sorben besiedeltem Gebiet konn die Lehnshoheit von Heinrich II.
ten die Bischöfe am besten verbinden, zwar formal an, faktisch musste der
wenn ihr Besitz bis in die Nähe von deutsche König aber die lausitzischen
Bautzen, dem Hauptort von Milska, Eroberungen zuzüglich Milska der
reichte. Es ist zu vermuten, dass dieser Polen akzeptieren. Ihr Verhältnis
bischöfliche Besitz während der pol blieb konfliktträchtig. Ein Feldzug
nischen Besatzung von Milska zumin Bolesławs nach Kiew zur Befreiung
dest infrage stand. Die Lokalisierung seines Schwiegersohns Svyatopolk,
des Kastells und späteren Burgwards eines Stiefsohns des Kiewer Großfürs
Trebista innerhalb von Milska ist für ten, scheiterte. Dem König verwei
das Verständnis der Ostsiedlung in gerte er die Gefolgschaft auf dem Zug
Sachsen von großer Bedeutung. Lange nach Rom, seinen Lehnsverpflichtun
vermutete man Großdrebnitz bei gen kam er nicht nach und auch die
Bischofswerda wegen der scheinbaren geforderte Unterwerfung blieb aus.
sprachlichen Ähnlichkeit als heutige Heinrich, inzwischen Kaiser, hielt
Ortschaft. Seit etwa 100 Jahren wird Mieszko II., Bolesławs Sohn, zeitweise
nach einer Untersuchung des 1241 gefangen. Der deutsche Feldzug 1015
beurkundeten Grenzverlaufs zwi bis zur Oder wurde durch die Polen
schen der damals böhmischen Ober abgewehrt, die ihrerseits unter Miesz
lausitz und den Gebieten der Meißner ko II. Meißen angriffen und die von
Bischöfe Doberschau favorisiert und Hermann I. verteidigte Burg teilweise
heute gilt Bischofswerda als ein mög zerstörten. Den Brand löschten die
licher Kandidat. Verteidiger mit Bier (Ersterwähnung
von Bier in Sachsen). Bischof Eido I.
Die meißnische Verwandtschaft von von Meißen, dem Bolesław die Ber
Bolesław spielte in jener Zeit eine gung und Bestattung der Leichen der
zwiespältige Rolle. Schwiegersohn vorangegangenen Schlacht gestattet
Hermann I. regierte im Auftrag des hatte, wollte Heinrich II. Bericht
deutschen Königs bis zur polnischen erstatten, starb jedoch auf der Reise
Rückeroberung 1007 die Oberlausitz, in Leipzig (Ersterwähnung der Stadt
versuchte aber häufig zu vermitteln. Leipzig). Zu jener Zeit war in Meißen
Hermann I. Markgraf, bis zum Tod
In den folgenden kriegerischen seiner Frau Reglindis im Jahre 1016
Auseinandersetzungen mit Hein Bolesławs Schwiegersohn. Neuer
rich II. besetzte Bolesław erneut die Bischof wurde mit Eilward ein Bruder
verlorenen Gebiete. Markgraf Gun Hermann I.
zelin wurde nachgesagt, mit Bolesław
zu paktieren, weswegen ihn der
55
seine Beziehungen zum meißnischen
Adel durch Heirat mit Oda, einer
Tochter des ehemaligen Markgrafen
Ekkehard I. Die Hochzeit, die der Fes
tigung des Friedens diente, fand ver
mutlich auf der Burg Großseitschen
bei Bautzen statt.
56
Denkmal für Bolesław in Breslau an der Schweidnitzer Straße.
seine Ambitionen. Erst am 25. De ausstellung mit dem „Muzeum Miejs
zember 1024, nach dessen Tod, ließ kie Wroclawia“ an „Milceni et Silensi:
er sich zum ersten polnischen König Die Oberlausitz und Schlesien um
krönen. Gleichzeitig wurde die Meiß das Jahr 1000 in der Zeit des Bolesław
nerin Oda damit möglicherweise zur Chrobry“.
ersten polnischen Königin, allerdings
ist ihr Sterbejahr ungesichert und ihre
Ehe galt wegen ihres vorehelichen Quellen: Henry Lang: „The Origins of the
Lebenswandels und einer Nebenfrau Polish State. Mieszko I and Boleslaw Chrobry.“
Bolesławs als problematisch. University of Buffalo, 1995; Heinz Schuster
Šewc: „Zur Lokalisierung der in der Schen
kungsurkunde Heinrichs II. (1006) genannten
Bolesław war am Ende seines Lebens drei Kastelle: Ostrusna, Trebista, Godobi.“ In:
als Herrscher von der Elbe bis zum Letopis, Bd. 53, H. 2, 2006, S. 67–72; Herbert
Bug, von der Ostsee bis zur Donau Ludat: „Boleslaw I. Chrobry“. In: Lexikon des
Mittelalters, Bd. 2, München–Zürich 1983,
anerkannt. Im Dom zu Poznan fand
Sp. 359–364; Rezensiert von: Piotr Gotówko,
er seine letzte Ruhe. Sein Sohn und Rochala Paweł, Nimptsch im Jahre 1017, Ori
Nachfolger, Mieszko II., verlor in den ginaltitel: „Niemcza 1017“. 30.6.2016, in forum
Folgejahren nicht nur viele der vom historiae iuris; „Dithmars, Bischofs zu Merse
Vater eroberten Gebiete, sondern burg, Chronik in Acht Büchern, nebst dessen
Lebensbeschreibung, aus der lateinischen in
auch die polnische Königskrone. Im die deutsche Sprache übersezt und mit An
Jahre 2001 erinnerte das Stadtmuse merkungen erläutert von M. Johann Friedrich
um Bautzen in einer Gemeinschafts Ursinus, Pfarrern in Boritz“. Dresden 1790
57
Karl August Böttiger, von Carl Christian Vogel von Vogelstein porträtiert.
David d‘Angers und Reinhard Krüger schufen Porträtmedaillons. Auch die
Maler Gerhard von Kügelgen und Johann Friedrich August Tischbein por-
trätierten Böttiger.
58
Böttiger, Karl August
Magister, Altertumsforscher, Schriftsteller, Journalist und Pädagoge
08.06.1760 Reichenbach – 17.11.1835 Dresden
59
Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf bestätigte Böt-
tiger am 16. Juli 1802 dessen Mitgliedschaft seit 1790 in der Oberlausitzi-
schen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz (Deutsche Fotothek, CC
BY-SA 4.0).
seinen Schülern. Der langjährige schaft mit Gottlob Adolf Ernst
Conrektor Johann Gottlieb Cober, ein von Nostitz und Jänkendorf.
ehemaliger Mitarbeiter von Hein
rich von Brühl, machte ihm aber das Johann Gottfried Herder empfahl
Leben schwer. Ab 1790 war Bötti Böttiger 1791 als Gymnasialdirektor
ger Mitglied der Oberlausitzischen und Oberkonsistorialrat in Weimar.
Gesellschaft der Wissenschaften, in Er führte dort eigene archäologi
deren „Lausizischer Monatsschrift“ er sche Untersuchungen durch, die in
„Über das Bauzner Bakwerk“ schrieb. seine Schulprogramme einflossen.
Im „Lausizischen Magazin“ erschie Böttigers profunde Kenntnisse zum
nen mehrere pädagogische Abhand Altertum verhalfen ihn zum Eintritt
lungen. Vermutlich aus der Zeit in in die gesellschaftlichen Kreise des
Bautzen rührte seine enge Bekannt klassischen Weimar, so bei Herzogin
60
Anna Amalia. Auch für Literatur und
Theater entwickelte er eine große
Leidenschaft. Böttiger zählte bekannte
Gelehrte, darunter Gottlob Adolf
Ernst von Nostitz und Jänken
dorf, zu seinen Gästen. Zunächst
bestand auch ein gutes Verhältnis zu
Johann Wolfgang von Goethe, den
er in Fragen des Altertums beriet.
Dank seines umfangreichen Brief
wechsels und der Publikationen in
einer Vielzahl von Zeitschriften,
wie in dem von ihm von 1795 bis
1803 herausgegebenen „Journal des
Luxus und der Moden“, gilt Böttiger
heute als Chronist des Weimar von
Goethe und Schiller („Literarische Szene aus Böttigers wichtigstem
Zustände und Zeitgenossen“, Dresden Werk aus seiner Weimarer Zeit:
1838). Er schrieb alles auf, was ihm „Sabina oder Morgenszenen im
an menschlichen Schwächen und Putzzimmer einer reichen Römerin.
sozialen Ungerechtigkeiten begegne Ein Beytrag zur richtigen Beurthei-
te – ohne Ansehen der Person und lung des Privatlebens der Römer
ohne Rücksicht auf Vertraulichkeiten. und zum bessern Verständniß der
Teilweise verbarg er die Kritiken in römischen Schriftsteller“ (1803).
einem historischen Gewand. So kam Mit seinen vielen Schriften zum Al-
es zum Streit mit Goethe, der in ihm tertum erlangte Böttiger seinerzeit
nun den „Böttiger‘schen Kobold“ sah, große Bekanntheit. Er trug damit
und mit Friedrich Schiller, der ihn wesentlich zur Popularisierung der
„Magister Ubique“ nannte. Schiller Altertumswissenschaften bei. Schon
warf Böttiger vor allem die unautori zeitgenössische Kritiken beklagten
sierte Weitergabe des Manuskripts zu jedoch, dass seinen vorrangig der
„Wallenstein“ vor. Böttigers Gegen mythologischen Auslegung anti-
spieler Ludwig Tieck karikierte ihn in ker Kunstwerke und dem antiken
„Der gestiefelte Kater“ (1797) in der Alltagsleben gewidmeten Schriften
Figur des Literaturkritikers Bötticher. die wissenschaftliche Tiefe fehle. Be-
Befreundet war Böttiger mit Chris kannte Werke aus Böttigers Dresd-
toph Martin Wieland, dessen „Teut ner Zeit zu dieser Thematik waren
schen Merkur“ er von 1797 bis 1809 „Ideen zur Archäologie der Malerei“
herausbrachte. (1811) und „Ideen zur Kunst-My-
thologie“ (1826/1836).
61
Coselpalais, ehemals „Hinter der Frauenkirche“ 5. Bis 1815 wohnte hier
auch Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf.
62
knüpfte eine Vielzahl von Kontakten
zu einflussreichen, literarisch und
künstlerisch interessierten Persön
lichkeiten. Wie der Kunstsammler
Johann Gottlob von Quandt zählte
er zum Freundeskreis von Arthur
Schopenhauer. Historisch bedeutsa
me Zeitdokumente sind seine Artikel
zu Literatur und Theater. Politische
Bedeutung besaß Böttigers journalis
tisches Schaffen während der Befrei
ungskriege. Die von ihm redigierte
Zeitschrift „London und Paris“ war Böttiger, links im Vordergrund
durch die französische Revolution an sitzend, beobachtet im Gemälde von
geregt worden, sich mit den europäi Carl Christian von Vogel und Vogel-
schen Antipolen England und Frank stein, wie Pierre Jean David d‘Angers
reich auseinanderzusetzen. Böttigers im Jahre 1834 eine Büste von Lud-
Karikaturen auf Napoleon ermutigten wig Tieck modellierte. Weiterhin im
auch andere Autoren, die französische Bild zu sehen sind der Maler selbst
Besatzungsherrschaft zu kritisieren. (neben Böttiger stehend), dahinter
Nach Theodor Körners Tod im Jahre Wolf Graf Baudissin, hinter der Büs-
1813 bemühte er sich um die Grün te Carl August Förster, Otto Magnus
dung eines Gedenkvereins. Ab 1820 Freiherr von Stackelberg, Moritz
gab Böttiger die Zeitschrift „Amal Steinla und Alexander Freiherr von
thea oder Museum der Kunstmytho Ungern-Sternberg, alles bedeutende
logie und bildlichen Alterthumskun Künstler, Schriftsteller und Alter-
de“ und als deren Fortsetzung ab 1828 tumsgelehrte, vor Tieck dessen Sohn
„Archäologie und Kunst“ heraus. Sein Johannes, hinter ihm seine Tochter
Credo für die Altertumswissenschaft Dorothea (Deutsche Fotothek, CC
bestand darin, dass sie Vergangenheit BY-SA 4.0). Die Anwesenheit Böt-
und Gegenwart verbinden müsse: tigers, der in der ersten Fassung für
„Des Alterthums Erforscher sey ein den Verleger Brockhaus noch fehlte,
JanusKopf.“ in diesem Bild ist insofern bemer-
kenswert, weil sein Verhältnis zu
Böttiger war maßgeblich am Ent Tieck zerrüttet war.
stehen eines elitären Vereinslebens
in Dresden beteiligt. Mit Elisa von Nostitz und Jänkendorf, Lud
der Recke und Christoph August wig Tieck und aus Leipzig Robert
Tiedge, deren literarischen Zirkel Stöckhardt besuchte, bestanden
er wie Gottlob Adolf Ernst von freundschaftliche Verbindungen. Böt
63
tiger gehörte dem spätromantischen wurde er offiziell Mitglied. In Weimar
Dresdner Liederkreis und dessen hatte er zu den Freimaurern Fried
Nachfolger Albina an. Neben Nos rich Justin Bertuch, Johann Joachim
titz zählten Theodor Hell (Winkler) Christoph Bode und Johann Wolf
und Johann Gottlob von Quandt zu gang von Goethe enge Verbindungen.
den aktivsten Mitstreitern in diesen Von 1814 bis 1820 wirkte er in der
geselligen Vereinen literarisch Inter Dresdner Apfelloge als deputierter
essierter. Der Albina gehörten später Meister vom Stuhl bzw. erster Auf
auch Carl Gustav Carus, Gottfried seher. Zu ihren Mitgliedern zählte
Semper und Ernst Rietschel an. Gottlob Friedrich Thormeyer.
Selbst der berühmte Dichter Ludwig Als Gottlob Adolf Ernst von
Tieck suchte zunächst den Kontakt Nostitz und Jänkendorf 1830
zum Liederkreis, aber schon länger Landesgroßmeister der Großen Lan
existierende Spannungen zwischen desloge Sachsen wurde, war Böttiger
Böttiger und Tieck eskalierten im dessen Stellvertreter. Wiederum mit
Zusammenhang mit dessen Zerwürf Nostitz, Carus, Quandt und Hell
nis mit Hell. Böttiger initiierte den engagierte er sich im sozialen Unter
Sächsischen Altertumsverein, später stützungsverein „Rath und That“, der
ein äußerst angesehener Verein unter den Freimaurern nahe stand.
Schirmherrschaft des Königshauses,
mit einem Artikel in der Dresdner Neben seinen vielfältigen künstleri
Abendzeitung vom 25. Oktober 1819. schen und literarischen Interessen
Unterstützung fand er dafür u. a. sowie gesellschaftlichen Aktivitäten
bei Quandt und Nostitz. Nach dem engagierte sich Böttiger auch für
Zerwürfnis zwischen Tieck und Hell die Naturwissenschaften. Mit dem
übernahm Böttiger die Redaktion der weltberühmten Mineralogen Abra
von Hell herausgegebenen Abend ham Gottlob Werner stand Böttiger
zeitung. 1828 gründete Böttiger den in regem brieflichen Kontakt, und er
Sächsischen Kunstverein, der von gehörte wie Carus und Racknitz der
Quandt geleitet wurde und dem auch 1817 von Werner wenige Monate vor
Carus, Nostitz und Hell angehörten. dessen Tod gegründeten Dresdner
In der Sächsischen Bibelgesellschaft Mineralogischen Gesellschaft an.
wirkte er als Sekretär. Dem in seinem Beisein verschiedenen
Freunde widmete Böttiger die „Worte
Böttiger wurde am 8. November 1781 auf der Anhöhe der Landstraße nach
durch Johann Samuel Petermann, Gorbitz gesprochen an Werners Sarge
einen Sohn von Georg Petermann, in der 11ten Stunde der Nacht zwi
formal in die Dresdner Freimaurer schen dem 2ten und 3ten July 1817“
Loge „Zum Goldenen Apfel“ auf und „Ueber Werner‘s Umgang mit
genommen, am 3. Dezember 1783 seinen Schülern, vorgelesen am Er
64
innerungstage von Werner‘s Tod den
30. Juny 1819“. Böttiger war Mitglied
der Naturwissenschaftlichen Gesell
schaft ISIS in Dresden, der Leipziger
Societät, der Senckenbergischen
Naturforschenden Gesellschaft in
Frankfurt, der Gesellschaft deutscher
Naturforscher und Ärzte und der
Sächsischen Gesellschaft für Botanik
und Gartenbau FLORA. Mit dem
Mediziner Burkhard Wilhelm Seiler
verfasste er 1825 „Erklärungen der
Muskeln und der Basreliefs an Ernst
Matthaei‘s PferdeModellen“.
65
Das Alte Schloss Neschwitz – ehemalige Wohn- und Arbeitsstätte.
66
Creutz, Gerhard
Dr., Ornithologe in Neschwitz
16.03.1911 Copitz b. Pirna – 18.09.1993 Berchtesgaden
V: Georg, ab 1901 Inhaber eines Schreibwarengeschäfts mit Buchbinderei, ab 1910 mit einer
Buchdruckerei in Pirna; G: 2 ältere Brüder, 1 jüngere Schwester (Annemarie, *err. 1921); E: 1938
Lisette geb. Brünn (27.6.1913–15.6.1986); K: 3 Söhne, darunter Konrad (*1943 Dresden, Pfarrer
in Hinterhermsdorf, Saupsdorf und Sebnitz, Vorsitzender des Arbeitskreises Sächsische Schweiz
des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, Mitglied im Gesamtvorstand für Naturschutz,
Heimatgeschichte und Denkmalpflege), Christian (8.3.1946–11.2.2006)
67
für Zoologie) zu Populationsstudien untersuchte er die Säugetierfauna der
am Trauerschnäpper zu bearbeiten. Oberlausitz (z. B. Elch, Nerz, Muffel
1953 erhielt Creutz eine Anstellung wild). Es entstand eine umfassende
als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Dokumentation zum Niedergang
Vogelschutzwarte Seebach. Die Deut der Fischotterpopulation und Creutz
sche Akademie der Landwirtschafts erwarb sich entscheidende Verdienste
wissenschaften erteilte ihm im selben um erfolgreiche Schutzmaßnahmen
Jahr den Auftrag, die Vogelschutz und Wiederbesiedelung. Außerdem
station Neschwitz im dortigen Alten konnte er zum Erhalt von Schloss und
Schloss zu gründen und zu leiten. Park Neschwitz beitragen. Von der
staatlich verfügten Schließung der
Als langjähriger Leiter führte Creutz Vogelschutzwarte 1971 war Creutz
die Vogelschutzstation Neschwitz zu tief getroffen. Sie brachte ihn um sein
hohem Ansehen. Deren Vorläufer war Lebenswerk – die gesammelten Ma
1930 vom Landesverein Sächsischer terialien wurden DDRweit verteilt.
Heimatschutz auf Initiative von Ru Vermutlich hatte eine Rolle gespielt,
dolf Zimmermann ins Leben gerufen dass Creutz als politisch unzuverläs
und 1936 als Vogelschutzwarte staat sig galt. Fragen von Vogelforschung
lich anerkannt worden. Sie ist eng mit und Vogelschutz hatten für ihn nie
dem Namen des Forstwissenschaftlers an Staatsgrenzen halt gemacht. In
Dr. Freiherr Arnold Vietinghoff den letzten Arbeitsjahren bearbeitete
Riesch, ihrem ehemaligen Leiter, ver er Forschungsprojekte im Auftrag
bunden. Zu ihren Aufgaben gehörten des Instituts für Forstwissenschaf
unter Creutz die Vogelberingung, die ten Eberswalde – man befasste sich
Betreuung von Nistkästen, Nahrungs staatlicherseits z. B. mit der Ansiede
untersuchungen und die Bestimmung lung von Rebhühnern und Fasanen
von Siedlungsdichten. In Lehrgängen für privilegierte Jäger. Auch nach dem
wurde das Wissen an Generationen Ausscheiden aus dem Berufsleben
von Beringern weitergegeben. Die 1976 widmete er sich mit nimmermü
Oberlausitzer Fischwirtschaft nutzte dem Engagement dem Naturschutz
Untersuchungsergebnisse zur Vogel und führte Exkursionen durch.
abwehr zur Steigerung der Erträge.
Creutz war Autor bedeutender wis
1964 wurde die Vogelschutzstation senschaftlicher Bücher zur Vogelkun
wieder in den Rang einer Vogel de, z. B. zu Graureiher, Wasseramsel,
schutzwarte erhoben. Der Leiter der Weißstorch und zum Vogelzug.
Biologischen Zentralanstalt, Professor Besonders mit den in vielen Auflagen
Stubbe, ernannte Creutz zum Leiter erschienenen „Taschenbüchern zur
des Wildforschungsgebiets Milkwitz. heimischen Vogelfauna“ („Singvögel“,
Neben der Tätigkeit als Ornithologe „Raub und Rabenvögel“, „Sumpf
68
und Wasservögel“, „Durchzügler und Botaniker Max Militzer und Theodor
Wintergäste“), aber auch mit Kinder Schütze. Dem Arbeitskreis Sächsische
büchern und Lehrmaterial hat er sich Schweiz trat Creutz 1959 bei, ab 1962
große Verdienste um die Verbreitung leitete er eine avifaunistische Sam
populärwissenschaftlicher Kenntnisse melstelle und 1968 gründete er den
erworben. In den Fachzeitschriften Avifaunistischen Arbeitskreis Ober
„Der Falke“ und „Journal of Orni lausitz. Dessen „Beiträge zur Ornis
thology“ publizierte er regelmäßig. der Oberlausitz“ waren gleichzeitig als
Creutz war Mitherausgeber der politisch einzig mögliche Form einer
Reihe „Beiträge zur Vogelkunde“ Zuarbeit für ein „Handbuch der Vögel
und Mitglied im Redaktionsbeirat Mitteleuropas“ gedacht. Creutz wurde
der Zeitschrift „Der Falke“ und der zum Ehrenmitglied der Naturfor
„Sächsischen Heimatblätter“. Insge schenden Gesellschaft der Oberlausitz
samt schrieb Creutz 600 Titel, darun ernannt und er war Ehrenmitglied des
ter 8 Bücher. Ein Teil der Publikatio Vereins Sächsischer Ornithologen.
nen entstand aus Sicherheitsgründen
unter Pseudonymen wie „C. Gerhard“, Seinen Lebensabend verbrachte
„C. Hartmut“ oder „C. Galle“. Creutz in Haidholzen bei Rosen
heim zusammen mit einer ebenfalls
Creutz arbeitete in vielen renom verwitweten Jugendfreundin. Profes
mierten ornithologischen Gremien sor Wolfram Dunger widmete dem
mit, beispielsweise in der Deutschen großen Naturfreund den Nachruf
OrnithologenGesellschaft und im „Leben und Werk eines Oberlausitzer
Zentralvorstand der Gesellschaft für Ornithologen – in memoriam Dr.
Natur und Umwelt des Kulturbundes Gerhard Creutz (1911 1993)“. Auf
der DDR, und er wirkte als Vorsit dem Grabstein in Neschwitz steigt ein
zender des Bezirksfachausschusses singender Vogel unter dem Kreuz gen
Dresden. Schon 1958 hatte er sich Himmel – ein Symbol auch für den
– im Widerspruch zu den zentralisti tiefen Glauben der Ehefrau.
schen Bestrebungen in der DDR – um
die Gründung des Naturwissenschaft
lichen Arbeitskreises Oberlausitz im
Kulturbund verdient gemacht. Dieser
stand unter der Schirmherrschaft
seines ehemaligen Professors Karl
Jordan von der TH Dresden. Creutz
leitete den Arbeitskreis bis zu dessen
Verbot durch die staatlichen Organe
im Jahre 1988; zu seinen Mitstrei
tern gehörten u. a. die bekannten
Quellen: S. 412 ff. 69
Porträt von Jan Cyž am Schloss Milkel.
70
Cyž, Jan
Dr., sorbischer Schriftsteller, Verleger und Landrat in Bautzen
auch: Ziesche, Johann
13.01.1898 Säuritz – 21.11.1985 Bautzen
Cyž stammte aus kleinbäuerlichen Urania und Mitbegründer des Kul
Verhältnissen. Er besuchte in Bautzen turbundes der DDR im Kreis Bautzen
die Domschule und in Prag das Deut sowie erster Vorsitzender des Baut
sche Gymnasium. 1920 begann Cyž zener Klubs der Intelligenz. Neben
ein Studium der Rechtswissenschaften seinen vielen Schriften in sorbischer
an der KarlsUniversität Prag. Im sel Sprache verfasste Cyž das Buch „Die
ben Jahr übernahm er den Vorsitz der Kämpfe um die Befreiung der Lausitz
sorbischen Studentenbewegung. 1926 während der großen Schlacht um
beendete er sein Studium mit der Berlin 1945“, und er widmete mehrere
Promotion und übernahm in Cottbus Arbeiten der Biografie von Jan Arnošt
die Leitung der Wendischen Buch Smoler, eines bedeutenden Repräsen
handlung. Nach der Machtergreifung tanten der nationalen Wiedergeburt
der Nationalsozialisten wurde Cyž der Sorben im 19. Jahrhundert und
wegen seines Engagements in der Mitbegründer des sorbischen Kul
nationalsorbischen Bewegung verhaf tur und Wissenschaftsvereins Macica
tet. Nach seiner Freilassung leitete er Serbska. In Milkel wurde die Sorbi
von 1934 bis 1937 die Schmaler‘sche sche Sprachschule nach Cyž benannt,
Druckerei im Wendischen Haus in die sich von 1953 bis zum Ende der
Bautzen und gab die sorbische Ta DDR im dortigen Schloss befand. Das
geszeitung „Serbske Nowiny“ heraus. Sorbische Institut in Bautzen bewahrt
Im selben Jahr wurde die Domowina seinen Nachlass auf.
verboten. Cyž kam erneut in Haft,
Literatur: Peter Kunze: „Bibliographie der
im Februar 1945 floh er während Veröffentlichungen von Jan Cyž“. Institut für
der Luftangriffe auf Dresden. Nach Sorbische Volksforschung, DomowinaVerlag,
dem Krieg wurde mit Cyž erstmals 1977, H. 2, S. 239–256; Walter Starke: „In memo
riam Dr. Jan CyžZiesche: 13.1.1898–20.9.1985“.
ein Sorbe Landrat in Bautzen. Er war Bautzener Kulturschau, 1985, H. 11, S. 3–4; M.J.
maßgeblich an der Neugründung der DypmanBudyski: „Nekrolog: Landrat Dr. Jan
Domowina beteiligt, deren Bundes Cyž: 1898–1985“. Minoritas, 1986, H. 1, S. 51–52;
Manfred Ladusch: „Cyž, Jan“. Sorben. Ein Kleines
vorstand er angehörte. Cyž leitete
Lexikon, DomowinaVerlag, 1989, S. 78–79;
die NowaDobaDruckerei und gab Manfred Ladusch: „Zum 100. Geburtstag von Dr.
die sorbische Tageszeitung „Nowa Johannes Ziesche, Sorbischer Verleger, Bautzens
doba“ heraus. Er war Vorsitzender Landrat und Schriftsteller“. Oberlausitzer Kultur
schau, 1998, H. 2, S. 28–29; Helge Tietze: „Dr. jur.
des Kreisausschusses der Nationalen Jan Cyž: Johann Ziesche (1898–1985)“. Lausitzer
Front, Mitglied des Vorstands der Almanach, 2009, S. 16–21
71
Georg Derlitzki.
72
Derlitzki, Georg Max Ludwig
Professor, Begründer der Landarbeitsforschung in Pommritz
30.04.1889 Bergfriede/Ostpreußen – 02.05.1958 Kindisch
73
Landarbeitslehre einschließlich des verschiedenen Heubergungsverfahren
landwirtschaftlichen Maschinenwe und erstmals in der Landwirtschaft
sens. Es ging dabei um die Schaffung arbeitsphysiologische Studien mit
günstiger Arbeitsbedingungen durch Hilfe von Respirationsapparaten.
Mechanisierung und Organisation Ausgangspunkt der Überlegungen
und um Untersuchungen zur Arbeits war, dass schlechte Arbeitsorganisa
ausführung (Arbeitstechniken und tion und hygiene verantwortlich für
motivation). Die Versuchsanstalt in körperliche Überforderung seien, z.
Pommritz war die erste Einrichtung B. durch anhaltendes Arbeiten im
der Welt mit einem solchen Profil. Stehen. Derlitzki führte deswegen den
„Pommritzer Kartoffelauslesetisch“
Die Entwicklung der Landarbeitsleh ein, der die Arbeit im Sitzen ermög
re zu einer selbstständigen Disziplin lichte. Die Arbeit Derlitzkis war
ist das große, bleibende Verdienst international anerkannt. Er fungierte
Derlitzkis. Sein Ziel bestand in der ab 1927 als wissenschaftlicher Beirat
Gesundung der Landwirtschaft durch und Vorsitzender des Ausschusses für
Senkung der Gestehungskosten pro Landarbeitsforschung des Interna
Produktionseinheit bei voller Berück tionalen Agrarinstituts in Rom und
sichtigung der Arbeitsqualität. Er pro übernahm 1932 die Leitung eines Re
pagierte zwar eine Rationalisierung ferates in der Sektion für Arbeitshy
nach den Lehren des „Taylorismus“, giene des Völkerbundes. Unter seiner
wies aber stets auf Besonderheiten der Leitung besaß die Versuchsanstalt
Landwirtschaft gegenüber der Groß Pommritz Weltgeltung. Studiengäste
industrie hin. Derlitzki sah Mecha kamen, um im Ausland Einrichtun
nisierung immer auch als Schutz der gen nach dem Pommritzer Vorbild
Menschen vor Überanstrengung und aufzubauen. Um die internationa
gesundheitlichen Schädigungen an. le Bekanntheit zu erhöhen, nutzte
Das 1922 erstmals erprobte, arbeits Derlitzki u. a. auch das neue Medi
sparende Ernteverfahren für Zucker um Film. Gleichzeitig verlor er aber
rüben – das „Pommritzen“ – ist noch nie die Arbeit in Pommritz aus den
heute Grundlage der RübenVollern Augen. Bis 1928 wurde die Versuchs
temaschine. Weitere bekannte Ver anstalt erheblich erweitert. Neben
fahrensentwicklungen unter seiner dem gepachteten Rittergut Drehsa
Leitung betrafen die „Rübensamen (352 ha) kam auch ein 30 ha großes
mühle“ (zur Trennung der Samen), Versuchsgut in Steindörfel (nach Der
den „Pommritzer Walzenwagen“ für litzki „Georgenhof “ genannt) hinzu,
einen effizienten Felddrusch und den wo neue Technologien demonstriert
„Pommritzer Bauernkran“ (zur Hand werden konnten. In Sornßig wurden
habung der Dungkarre). Darüber zudem seit 1926 Waldbauversuche
hinaus erfolgten Untersuchungen zu durchgeführt. Seine Arbeitsergebnis
74
se publizierte Derlitzki u. a. in den mit dem Pommritzer Helmut Nauck.
Schriften der Ökonomischen Gesell Nach einem Betriebsunfall verlor
schaft im Freistaat Sachsen und der Derlitzki ein Bein.
Deutschen LandwirtschaftsGesell
schaft. 1931 hatte die Versuchsanstalt Nach 1945 beteiligte sich Derlitzki
Pommritz ca. 130 Mitarbeiter. am Wiederaufbau der Landwirtschaft,
so in der „Arbeitsgemeinschaft für
Derlitzki durchschaute frühzeitig die Landarbeitsforschung“. Zudem leitete
Ideologie der Nazis und lehnte es ab, er die „Vereinigung der gegenseiti
NSDAPMitglied zu werden. Weil er gen Bauernhilfe“ in Kindisch und ab
sich gegen die Außerbetriebsetzung 1948 den Ausschuss für Landarbeit
von Landmaschinen zur „Schaffung“ der Deutschen Landwirtschafts
von Arbeitsplätzen wehrte, erhielt er Gesellschaft. Aufgrund einer politisch
am 28. März 1934 die Kündigung. motivierten Verleumdung wegen
Sie wurde auch nicht zurückge angeblich schlechter Behandlung von
nommen, als die Pommritzer Beleg Zwangsarbeitern während des Krieges
schaft, einschließlich von NSDAP musste er mehrfach für mehrere
Mitgliedern, dagegen protestierte. Monate in Untersuchungshaft. Tat
Derlitzki übernahm ein 35 ha großes sächlich hatte er aber abgelehnt, in die
Bauerngut in Kindisch bei Kamenz SED einzutreten; die französischen
(„Luisenhof “) und bewirtschaftete Zwangsarbeiter waren nach der Be
es nach seinen Erkenntnissen der freiung zunächst sogar noch freiwillig
Landarbeitsforschung. Das Gut in Kindisch geblieben, um das Gut
hatte eine große Ausstrahlung auf die zu schützen. 1949 wurde er endgültig
Umgebung. Auch hier blieb Derlitz freigesprochen. Derlitzki übernahm
ki wissenschaftlich tätig. Zwischen eine beratende Tätigkeit beim Aus
1935 und 1942 führte er im Auftrag bau der arbeitswissenschaftlichen
des „Reichskuratoriums für Technik Forschung in HalleEtzdorf. Ab 1950
in der Landwirtschaft“ arbeits und unterstützte er die Gründung der
wärmewirtschaftliche Versuche in 34 Staatlichen Lehr und Versuchsanstalt
Orten Deutschlands und 2 Dörfern Gundorf, wo die Pommritzer Traditi
Österreichs durch, um die Verbrei on fortgeführt wurde. 1952 erhielt er
tung der Elektrizität im ländlichen einen vollen Lehrauftrag für Land
Raum zu befördern. Die Untersu arbeitslehre an der Landwirtschaft
chungen galten v. a. der Nutzung von lichen Fakultät der MartinLuther
Elektrowärmegeräten, um den Ver Universität HalleWittenberg, wo er
brauch fester Brennstoffe zu reduzie bis zur Emeritierung 1955 erfolgreich
ren und durch erhöhte Nachfrage den eine fundierte Landarbeitsforschung
Strompreis zu senken. Die Ergebnisse aufbaute.
publizierte er wiederholt zusammen
Quellen: S. 412 ff. 75
Grabstätte der Familie Derlitzki auf dem Friedhof Elstra. Das Foto wurde
von Uwe Fiedler der Wikipedia zur Verfügung gestellt.
76
Derlitzki, Dorothea
Dr. phil., Arbeitswissenschaftlerin in Pommritz
02.10.1888 Niewerle – 15.10.1967
V: Wilhelm Ebert, Pfarrer in Niewerle; M: Luise geb. Gose; E: Georg Derlitzki (*30.4.1889
Bergfriede/Ostpreußen, †2.5.1958 Kindisch, Professor, Begründer der Landarbeitsforschung in
Pommritz); K: Jürgen (18.7.1916–12.5.1942), Rotraut (*7.6.1918, Dipl.Landwirtin)
77
Dr. Edmund Friedrich war maßgeblich beteiligt, der Balneologie, der Lehre
von den Heilbädern, ihren Arten und Anwendungen, im 19. Jahrhundert in
Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen (Foto: Wilhelm Höffert).
78
Friedrich, Edmund
Dr. med., Balneologe
15.04.1826 Bischofswerda – 11.02.1912 Dresden
79
in „Die Heilgymnastik in Schweden Karl Gutzkow dem Vorstand eines
und Norwegen nach eigener An Komitees für den Aufbau deutscher
schauung für Aerzte und Turnlehrer“ Seestreitkräfte angehört. Während
(1855). Aus der Sicht eines deutsch der Kriege 1866 und 1870/71 diente
nationalen Turners fand er einige er als Arzt bzw. Oberarzt in Dresd
Kritikpunkte. Zum Turnen publizierte ner Kriegslazaretten. 1871 leitete er
Friedrich auch in der Tagespresse, den Sanitätszug des 12. Armeekorps.
und er war von 1855 bis 1871 Mithe Friedrich schrieb: „Die Deutschen
rausgeber der „Neuen Jahrbücher für Sanitätszüge im Feldzuge gegen
die Turnkunst“. Frankreich“ (1871/72, Gesellschaft für
Natur und Heilkunde Dresden).
Mit seinem Buch „Gesundheitspflege
für das Volk“ gewann Friedrich einen Das Reisen war Friedrichs Leiden
1862 in Breslau ausgelobten Preis schaft. Er besuchte Russland, Belgien,
wettbewerb zum Thema „Rathschläge England, Holland, Frankreich, die
an das Volk zur Erhaltung der Ge Schweiz und Italien. Seinen Lebens
sundheit“. Die Wettbewerbsbeiträge unterhalt bestritt er dabei teilweise
sollten allgemeinverständlich sein „in als Reisearzt. Besonders die See
Fürsorge namentlich derjeniger seiner hatte es ihm angetan. Die Ergebnisse
Mitmenschen, welche ausschließlich seiner balneologischen und klima
sich durch Arbeit das tägliche Brod tologischen Studien veröffentlichte
erwerben müssen.“ Ausführlich be Friedrich in zahlreichen Aufsätzen
handelte Friedrich auf insgesamt 248 und Monographien. Albert Eulenburg
Seiten Ernährung, Luft, Arbeit, Sexu berief ihn als Mitarbeiter für Balneo
alkunde und Krankheitspflege, wobei logie an der „RealEncyklopädie der
er als einer der Ersten darlegte, dass gesamten Heilkunde“ (nach 1880).
Nahrungsmittel besser als Lebensmit Friedrich schrieb: „Herbstaufenthalt
tel zu bezeichnen seien. Der Patholo und Überwinterung Kranker auf den
ge Hermann Lebert hielt das Referat. Deutschen Nordseeinseln“, „Über
Friedrich schrieb zudem 1867 die Seeluftkuren bei Asthma und in den
„Uebersicht der wichtigeren Beiträge Anfängen der Phthise“ (1886, Ge
in der englischen und amerikanischen sellschaft für Natur und Heilkunde
Literatur der Jahre 1855 bis 63 zur Dresden), „Die deutschen Insel und
Pathologie und Therapie der Lungen Küstenbäder der Nordsee“ (1888),
tuberkulose“ und „Die Paracentese „Die holländischen und belgischen
des Unterleibs bei Darmperforation Seebäder und Seehospize“ (1889),
im Abdominaltyphus“. „Über den Salzgehalt der Seeluft und
die therapeutische Verwertung der
1861 hatte Friedrich in Dresden u. wirksamen Faktoren der Nordseeluft“
a. mit Friedrich von Boetticher und (1890), „Die deutschen Kurorte der
80
1898 veranschaulichte Max Liebermann, wie Seebäder innerhalb von 100
Jahren in Deutschland in Mode gekommen waren. „Die Wirkung des Auf-
enthalts in einem Seebadeort ist nur zum Teil auf das Baden im Seewasser
zu beziehen; eine mindestens gleichwichtige Rolle spielen dabei die klima-
tischen Verhältnisse. Die Seeluft ist sehr rein, .... Die meist starke Luftbe-
wegung steigert die Wärmeabgabe durch die Haut sehr bedeutend, damit
werden auch die wärmebildenden Prozesse stark angeregt... Bad im Seewas-
ser, dessen Wirkung auf der Temperatur, dem Salzgehalt und der Bewegung
des Wassers beruht.“ (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1909).
Nordsee“ (1891), „Mitteilungen aus zu Heil und Erholungszwecken, ihre
einigen Kurorten der Nordsee und Geschichte und Literatur“ (1906)
einigen Ostseebädern“ (1895), „See stellte Friedrich dar, wie sich die An
reisen in Prophylaxe und Therapie der schauungen über die Indikation von
Lungenschwindsucht“ (1899, Berli Seereisen im Laufe der Zeit gewandelt
ner Klinische Wochenschrift) und hatten. Zudem erschienen von ihm
„Mitteilungen aus dem Küstenhos Beiträge in der Münchner Monats
pital zu Refsnaes 1875–1900“ (1901, schrift für praktische Balneologie,
Zeitschrift für Tuberkulose und von 1895 bis 1898 Organ des Allge
Heilstättenwesen). In „Die Seereisen meinen Deutschen Bäderverbandes,
81
und in der „Zeitschrift für diätische zu ihren Mitgliedern. Des Weiteren
und physikalische Therapien“ (1898 gehörten ihr zur Zeit von Edmund
in Berlin von Ernst von Leyden und Friedrich der Mediziner Carl Gus
Alfred Goldscheider gegründet). Dort tav Carus, Walther Hesse, Johann
beschrieb er am Beispiel der Dresdner Friedrich Judeich aus Tharandt, Franz
Heide den Nutzen von Sandbädern Ledien vom Botanischen Garten,
im Binnenland für die Behandlung Julius Lehmann, Bruno Steglich
tuberkulöser Kinder, ein Bad in der und Julius Adolph Stöckhardt an.
kalten Prießnitz zum Abschluss Von Anfang an stand die ISIS allen
inklusive. 1895 nahm Friedrich am II. naturwissenschaftlich Interessierten,
Internationalen Kongress für Thalas Akademikern und Laien, gleicher
sotherapie in Ostende teil, 1899 am maßen offen. Die Mitglieder waren
Kongress zur Bekämpfung der Tuber verpflichtet, sich aktiv mit Vorträ
kulose als Volkskrankheit in Berlin, gen am wissenschaftlichen Leben
wo Walther Hesse einen Vortrag zu beteiligen. Ludwig Reichenbach,
hielt. 1897 referierte Friedrich vor Gründer des Botanischen Gartens
der Naturforschenden Gesellschaft in in Dresden, prägte die ISIS über 30
Görlitz „Über vulkanische Schlacken Jahre als deren Leiter. Als 1866 nach
als Treibprodukte der Nordsee“. einer Statutenänderung die Wahlperi
oden auf zwei Jahre begrenzt wurden,
Friedrich war ab 1854 für mehr als verließ er aus Protest die Gesellschaft.
50 Jahre Mitglied der Gesellschaft Im Zeitraum von 1868 bis 1886 leitete
für Natur und Heilkunde, die sich der Geologe und Mineraloge Hanns
in Dresden dem Informationsaus Bruno Geinitz die ISIS für insgesamt
tausch zwischen Ärzten und Na sieben Jahre. Geinitz gehörte zudem
turforschern widmete und der auch wie Friedrich der Gesellschaft für
Walther Hempel und Walther Natur und Heilkunde an. Jener war
Hesse angehörten. Der Gesellschaft noch zur Zeit von Reichenbach Mit
Deutscher Naturforscher und Ärzte glied der ISIS geworden, aber offenbar
gehörte Friedrich ebenfalls an. Ab blieb ihr Verhältnis ungetrübt. Als
1865 war er für fast 50 Jahre Mitglied Reichenbach 1879 starb, war es an
in der Naturwissenschaftlichen Ge Friedrich, den langjährigen Vorsit
sellschaft ISIS. Die ISIS galt seit ihrer zenden in den „Sitzungsberichten
offiziellen Anerkennung 1835 als die und Abhandlungen der ISIS“ zu wür
führende Wissenschaftlerorganisa digen. Friedrich ging ausführlich auf
tion Dresdens, so zählten die Rek die Verdienste Reichenbachs ein. Die
toren des Polytechnikums bzw. der Streitigkeiten, die zu Reichenbachs
Technischen Hochschule Walther Austritt aus der ISIS geführt hatten,
Hempel, Gustav Anton Zeuner, Oscar und den erbitterten Nachfolgestreit
Drude und Bernhard Pattenhausen um die Präsidentschaft der seinerzeit
82
in Dresden ansässigen Leopoldina Friedrich wohnte und praktizierte
nach dem Tod von Carl Gustav Carus in Dresden Wallstraße 5a (1862),
im Jahre 1869 erwähnte er nur kurz. Dohnaplatz 13 (1868), Wiener Straße
Die Leopoldina entschloss sich, statt 11 (1892) und Lindengasse 20 (1904).
einen eigenen Nachruf für Reichen Für seine Verdienste wurde er mit
bach zu verfassen, den Beitrag Fried dem Titel Sanitätsrat und dem Rit
richs im Wesentlichen nachzudru terkreuz zum Albrechtsorden geehrt.
cken. Die positive Gesamtwürdigung In Meyers Großem Konversations
ersetzte man jedoch durch Kritik. Lexikon von 1909 gehörte er zu den
wenigen zitierten Literaturnachweisen
In den Dresdner Vereinen beschäftig zum Thema Seebäder. Edmund Fried
te sich Friedrich neben der Balneolo rich fand auf dem Trinitatisfriedhof
gie auch mit botanischen und geolo die letzte Ruhe. Dem Dresdner Bür
gischen Fragen. So war er Mitglied gerhospital vererbte er 6000 Mark.
im Verein für Erdkunde unter Sophus
Ruge, schrieb „Nochmals die Heimat Quellen: Julius Leopold Pagel: „Biographisches
des Borsdorfer Apfels“ und sprach Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten
in der ISIS über die Verbreitung der Jahrhunderts“. 1901; Neuer Nekrolog der Deut
schen, 1832; Karl Wilhelm Mittag: „Chronik
Esskastanie sowie auch hier über der königlich sächsischen Stadt Bischofswerda“.
„Vulkanische Schlacken als Treib May Bischofswerda, 1861; Neue Jahrbücher für
produkte der Nordsee“. Von 1870 bis die Turnkunst, Schönfeld, 1860; Manfred Stürz
1875 führte Friedrich die Geschäfte becher: „Beiträge zur Berliner Medizingeschich
te“. Bd. 18; Max Erich Richard Matthes: „Lehr
des Geselligkeitsvereins „Montags buch der klinischen Hydrotherapie“. Fischer
gesellschaft“. Unter Leitung des Jena, 1900; Sitzungsberichte und Abhandlungen
Konrektors der Kreuzschule Gustav der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis;
Helbig und maßgeblicher Beteiligung Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dres
den, 1896; Gotthold Pannwitz: „Bericht über
liberaler Kräfte wie Ernst Riet den Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose
schel und Karl Gutzkow hatte sich als Volkskrankheit“. 1899; Hubertus Averbeck:
in der nachrevolutionären Zeit das „Von der Kaltwasserkur bis zur physikalischen
inhaltliche Profil des vormals hoch Therapie“. Books on Demand, 2013; Dirk Hem
pel: „Literarische Vereine in Dresden. Kulturelle
politischen, literarischkünstlerischen Praxis und politische Orientierung des Bürger
Vereins um Gottfried Semper und tums im 19. Jahrhundert“. Walter de Gruyter,
Richard Wagner wesentlich verändert, 2008; Kirchenarchiv Bischofswerda; Dresdner
Adressbücher 1852–1912; Dresdner Anzeiger,
der elitäre Charakter war jedoch im
3. September 1912; Dresdner Geschichtsblät
Unterschied zu anderen Gesellschaf ter, 1909–1912, Bd. 5, S. 237; Werner Wilhelm
ten erhalten geblieben. Bekannte Schnabel: „Repertorium Alborum Amicorum“.
Wissenschaftler wie Oskar Schlömilch FriedrichAlexanderUniversität Erlangen
Nürnberg; Webseite des Sächsischen Staats
und der Botaniker Matthias Schleiden archivs; Christian Gottlob Immanuel Lorenz:
traten neu ein. „GrimmenserAlbum“. 1850; Zeitschrift für
Rechtspflege und Verwaltung, Bd. 37, 1872
83
Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
pfeilschnell ist das Jetzt entflogen, ewig still steht die Vergangenheit.
(Eintrag von Richard Garbe in einem Kleindrebnitzer Gästebuch)
84
Garbe, Richard Erich Christian
Pfarrer in Großdrebnitz, sächsischer Landespfarrer für Frauenarbeit
29.07.1910 Hohndorf b. Freiberg – 02.08.1992 Hannover
V: Friedrich (*1876), Bergmann; M: Helene geb. Neumann (*1887); G: Käthe (*1920); E: 1937
in Oelsnitz, Erika Frieda geb. Grunert (*1915, †1.2.2008 Hannover); K: Frieda Christel Helena
(*1938)
85
In dieser schweren Zeit entstand eine zia durch Russen, die Heimkehrern
Publikation Garbes, die heute für aus den westlichen Besatzungszonen
die Ortsgeschichtsschreibung von galt. Für diese war der Abtransport in
großem Wert ist und die damals wohl nunmehr russische Kriegsgefangen
seiner Protesthaltung entsprang. Sie schaft vorgesehen. Fremde Menschen
erschien in der ehemaligen Tagungs halfen spontan, den Gefährdeten
zeitung „Sächsischer Erzähler“, Sonn zu verbergen. Glücklich zur Familie
tagsbeilage „Unsere Heimat“ vom 11. heimgekehrt, teilte er am 25. Oktober
und 18. April 1938. Der dort mit einer 1945 der Superintendentur mit, dass
Fortsetzung abgedruckte Beitrag von er seine Amtstätigkeit in Großdreb
Garbe, P. (P. vermutlich für „Pfarrer“): nitz wieder aufgenommen habe. Am
„Vorarbeiten für eine Dorfchronik“ 9. November 1945 konnte ihm die
ging im Inhalt nicht auf NSideologi Superintendentur seinen neuen Per
sche Aspekte ein. Stattdessen wurden sonalausweis (mit russischer Überset
der nationalsozialistischen Ideologie zung und Abstempelung) zustellen.
fremde Autoren wie Bruno Barthel Erst jetzt war Garbe in Sicherheit.
und Kirchschullehrer Willy Sorber, Im Jahr 1947 kam der einst aus der
1937 in Großdrebnitz suspendiert, als Schule entfernte Oberlehrer Willy
bedeutende lokale Geschichtsquellen Sorber zurück in das Dorf. Garbe hat
genannt. te diese Heimkehr ermöglicht durch
die Einstellung Sorbers als Kantor
Während Garbe seinen Wehrdienst und dessen Aufnahme in eine Woh
leistete, musste sich die Ehefrau im nung auf dem Pfarrgrundstück. Der
Dorf kleinlicher Gehässigkeiten damalige Theologiestudent Reinhard
führender NSMitglieder erwehren. Leue erhielt bei Garbe zeitweise Kost
In dieser Zeit war für sie die Unter und Logis.
stützung des Bürgermeisters Otto
Heinrich von großer Bedeutung. Garbe musste bald erkennen, dass der
Zum Kriegsende kam Garbe an der sozialistische Nachfolgestaat nicht nur
Westfront in amerikanische Ge kirchen, sondern auch menschen
fangenschaft und wurde frühzeitig feindliche Züge annahm. Allerdings
entlassen – aber nicht nach Hause in waren im Großdrebnitz der Nach
die sowjetische Besatzungszone. Das kriegszeit die Bemühungen, eine
Überschreiten der Zonengrenze war „Klassenkampfstimmung“ zu erzeu
äußerst gefahrvoll und gelang nur gen, vergeblich geblieben. Das hatte
mit Unterstützung durch ihm zuge seine Ursache in der Kirchenfreund
tane Menschen auf dem Tender einer lichkeit der Einwohner, aber auch in
Dampflokomotive. Auf dem weiten einer der Kirche gegenüber toleranten
Weg nach Hause geriet er noch ein Haltung des (Neu)Lehrerkollegiums.
weiteres Mal in Gefahr bei einer Raz Das lieb gewordene Großdrebnitz
86
Emmauskirche Dresden-Kaditz.
Foto: X-Weinzar 2007 (Wikimedia
Commons), Lizenzen: CC BY-SA
3.0, GFDL
87
Ludwig Gedike.
Quellen: Heinrich Kämmel: „Gedike, Ludwig Friedrich Gottlob Ernst“, Hermann Schulze: „Gaupp, Ernst
Theodor“. Allgemeine Deutsche Biographie, 1878; Fritz Borinski: „Gedike, Friedrich“. Neue Deutsche
Biographie, 1964, S. 125–126; Dr. Schubart: „Zur Geschichte des Gymnasiums in Budissin“. Gedr. bei E.M.
Monse, 1863; „Zur festlichen Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der ersten Bürgerschule zu Leipzig.“ Carl
Gustav Naumann Leipzig, 1853; Friedrich August Schmidt, Bernhard Friedrich Voigt: „Neuer Nekrolog der
Deutschen“. Verlag B.F. Voigt, 1840; Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber: Allgemeine Encyclo
pädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge, Bd. 55, Gleditsch, 1852; Gottlieb Friedrich
Otto: „Lexikon der seit dem fünfzehenden Jahrhunderte verstorbenen und jetztlebenden Oberlausizischen
Schriftsteller und Künstler‘‘. Bd. 2, 1801; Herbert E. Brekle, Edeltraud DobnigJülch: „Biobibliographisches
Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts“. Bd. 3, De Gruyter 1994; Sanct Johannis Freimaurer
Loge zur goldnen Mauer, Mitgliederverzeichnis 1805; http://freimaurerwiki.de; http://www.leipziglexikon.
de; Heinrich Heinlein: „Der Friedhof zu Leipzig in seiner jetzigen Gestalt oder Vollständige Sammlung
aller Inschriften auf den ältesten und neuesten Denkmälern daselbst“. 1844; Jens Häseler, Rolf Geissler: „La
Correspondance de Jean Henri Samuel Formey (1711–1797): Inventaire alphabétique Vol. 29, Série „Vie des
Huguenots“. Honoré Champion, 2003; Lausizische Monatsschrift, 1793, 1796, 1797, 1800, 1802; Leipziger
Adressbuch, 1830; Britta L. Behm, Uta Lohmann, Ingrid Lohmann: „Jüdische Erziehung und aufklärerische
Schulreform“. Waxmann Verlag, 2002; Topographische Chronik von Breslau, 1806; Ernst Gustav Vogel,
Johann Carl Christoph Vogel: „Zur Erinnerung an L.F.G.E. Gedike, ersten Director der Bürgerschule zu
Leipzig“. Leipzig, 1839
88
Gedike, Ludwig Friedrich Gottlob Ernst
Professor, Schulreformer
22.10.1761 Boberow – 09.07.1838 Breslau
V: Friedrich (*16.11.1718 Berlin, †30.4.1762 Boberow), Magister, Pfarrer, Besitzer einer großen
Briefsammlung an Philipp Spener; M: Catharina Eleonore geb. Seger, Pfarrerstochter aus
Bechlin; G: Friedrich (*15.1.1754 Boberow bei Lenzen, †2.5.1803 Berlin, Gymnasialdirek
tor, Oberkonsistorialrat, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Akademie der
Künste Preußens, wichtiger Modernisierer des preußischen Bildungswesens, verband in seinen
Schulprogrammen die klassische humanistische Bildung mit Ideen der Aufklärung, stärkte
die öffentlichen Realschulen, 1788 an der Einführung des Abiturs beteiligt, FreimaurerLoge
„Zu den drei Weltkugeln“); E: Breslau, Johanna Christine Charlotte geb. Kruttge (Tochter eines
Arztes, † nach 1838); K: Ernst Friedrich Gustav (1791–18.1.1797), Eduard Ludwig (*30.9.1793
Bautzen, †13.5.1821 Leipzig, Studium in Leipzig, königlichpreußischer RegierungsAssessor in
Magdeburg), Luise Karoline (*29.3.1796 Bautzen, verheiratet in Berlin), Luise Auguste (*7.2.1800
Bautzen, † nach 1859, ab 1823 in Leipzig und später in Breslau mit dem Juraprofessor Ernst
Theodor Gaupp verheiratet, Vorstandsmitglied der Breslauer Singakademie)
89
Johann Ephraim Scheibel sowie dem
damaligen ProRektor des Maria
MagdalenenGymnasiums in Breslau,
Johann Kaspar Friedrich Manso,
stand Gedike in enger Verbindung.
90
sichtsgremium der Wilhelmsschule teinische Übersetzung des „Robinson“
stand unter der Leitung von Friedrich (1789) und dessen „Kleine Schriften“
Albert Zimmermann. Neben Gedike mit einer Lebensbeschreibung heraus
als christlichem Pädagogen gehörten (1791). Zudem arbeitete er an den
dem Gremium Vertreter der jüdi „Schlesischen Provinzblättern“ mit.
schen Gemeinde an, darunter als
Oberlehrer der Reformer Joel Loewe. Im Oktober 1791 bekam Gedike
Vorbehalte gegenüber der säkularen, in der Nachfolge des nach Weimar
vom preußischen Staat geförderten gewechselten Karl August Bötti
Einrichtung gab es vor allem aber ger die Leitung des Gymnasiums in
auch seitens traditioneller jüdischer Bautzen übertragen. Seine in Breslau
Kreise. Anlässlich der Eröffnung der erworbenen Erfahrungen ließen ihn
Schule sagte Gedike dazu: „nicht schnell erkennen, dass das Schul
leichtsinnige Spötter und Verächter wesen in der Oberlausitz dringend
eures Glaubens, nicht schadenfrohe reformbedürftig war. Gedike erwarb
und seichte Verächter der durch reli sich besonders mit seinen struktu
giöse Ueberzeugungen gegründeten rierten, planvollen Schulprogrammen
Gemüthsruhe ihrer Brüder, sondern große Verdienste um die Lehran
aufgeklärte und redliche Verehrer der stalt. Er nutzte diese deutsch oder
Religion, gute, zufriedene und mit lateinisch verfassten Jahresberichte
dem Geiste ächter Duldung und Liebe aber auch, um seine grundsätzlichen
erfüllte Menschen, geschickte und Überlegungen zur Pädagogik und
patriotische Bürger solle sie erziehen“. zum Schulwesen in der Oberlausitz
darzulegen. Gedike schrieb u. a. „Vor
Gedike schrieb in Breslau „Einige stellung an Ältern, die ihre Kinder
Gedanken über den jetzigen Zustand unserer Schule anvertrauen“ (1793),
der alten Litteratur in unsern gelehr „Erinnerung an einige in unserm
ten Schulen, und dessen Ursachen“ Jahrzehend leicht zu verkennende
(1787), worin er sich für eine mehr und zu vergessende Wahrheiten,
inhaltliche Rezeption der klassischen mit Rücksicht auf die Oberlausitz“
Literatur statt reiner Sprachaneignung (1794) und „Gedanken eines Schul
aussprach, und ein „Hebräisches manns über eine dem Schulwesen in
Lesebuch für Schulen, mit einem Chursachsen bevorstehende Verände
vollständigen hebräisch deutschen rung, mit besonderer Beziehung auf
Wörterverzeichniß“ (1790). Beim die Oberlausitz“ (1795). Im Mittel
Aufbau des Lesebuchs, darunter den punkt der gymnasialen Ausbildung
nach Schwierigkeitsgraden geordne in Bautzen standen seinerzeit zur
ten Beiträgen, orientierte er sich am Vorbereitung auf ein Universitätsstu
Vorbild seines Bruders. Von seinem dium die alten Sprachen. Gedike legte
Lehrer Lieberkühn gab Gedike die la jedoch auch Wert auf die Vermittlung
91
Verbesserung fähig und bedürftig“.
So führte er im LateinUnterricht
das Experiment ein, dass sich die
Schüler zunächst gegenseitig zensier
ten, ehe er die Arbeiten bewertete.
Die Einführung von Abiturprüfun
gen als Gymnasialabschluss, wie sie
unter maßgeblicher Mitwirkung von
Gedikes Bruder Friedrich 1788 in
Preußen schon erfolgt war und von
Ludwig Gedike auch für Bautzen vor
geschlagen wurde, erfolgte erst nach
dessen Weggang aus Bautzen mit
Gedikes Vorgänger als Direktor des Ratsbeschluss vom 19. Juli 1821 unter
Bautzener Gymnasiums war Karl seinem Nachfolger Karl Gottfried
August Böttiger. Auf Gedike Siebelis.
folgte Karl Gottfried Siebelis.
Gedike war in seiner Bautzener
naturwissenschaftlicher Kenntnisse, Zeit Mitglied der Oberlausitzischen
und auch Abgänger in die berufliche Gesellschaft der Wissenschaften. Er
Praxis, zum Beispiel in die Landwirt wird in der „Lausizischen Monats
schaft, sollten gute Voraussetzungen schrift“ von 1793 u. a. gemeinsam mit
erwerben. Ein weiteres Ziel Gedi Karl August Böttiger, August
kes bestand darin, an seiner Schule Gottlieb Meissner und Gottlob
geeignete Schüler für eine Tätigkeit Adolf Ernst von Nostitz und
als Volksschullehrer vorzubereiten. Jänkendorf genannt. Gedike schrieb
Er richtete in Bautzen vorbildhaft für auch Aufsätze für diese Zeitschrift,
Sachsen ein Lehrerseminar ein, um so „Vorlesungen gehalten am letzten
die Qualität der Schulausbildung zu Dez. 1801 in einem gesellschaftlichen
erhöhen. Zu Gedikes bekanntesten Kreise“ (1802).
Schülern in Bautzen gehörte neben
dem späteren Landwirtschaftsrefor Der Förderung der Bildung des
mer Heinrich August Blochmann aufstrebenden Bautzener Bürgertums
auch dessen Bruder Karl Justus Bloch galt 1802 auch die Gründung der
mann, Pädagoge bei Johann Heinrich FreimaurerLoge „Zur goldenen Mau
Pestalozzi und 1824 Begründer des er“. Gedike als Stifter war gleichzeitig
Blochmann‘schen Instituts in Dres ihr erster Meister vom Stuhl. Die
den. Sein Credo beschrieb Gedike Loge gehörte der NationalMutterloge
1797: „Das Schul und Erziehungs „Zu den drei Weltkugeln“ an, bei der
wesen ist einer immer fortgehenden Ludwigs Bruder Friedrich Gedike
92
Jacobjan Stöckhardt, Robert
Stöckhardt, Ernst Theodor Stö
ckhardt, Gottlob Adolf Ernst
von Nostitz und Jänkendorf und
Gedikes Nachfolger am Gymnasium,
Karl Gottfried Siebelis.
93
Die Leipziger Bürgerschule auf den Mauern der Moritzbastei in einem ko-
lorierten Kupferstich von Carl Benjamin Schwarz aus dem Jahre 1804. Vor
allem Bürgermeister Carl Wilhelm Müller (1728–1801) hatte sich für einen
prachtvollen Neubau als Symbol des Wohlstands der Stadt eingesetzt.
Gewerbe, auf eine praktische Ausbil Am 15. April 1803 erhielt Gedike
dung und die besondere Förderung vom Magistrat der Stadt Leipzig den
von Schülern aus einfachen Verhält Auftrag zur Einrichtung und Leitung
nissen. Demgemäß schlug er in den einer großen Bürgerschule. Dem
drei größeren Städten des Oberlau waren jahrelange Planungen voraus
sitzer Sechsstädtebundes (Görlitz, gegangen. 1795 stellten die Innungen
Bautzen, Zittau) die Einrichtung von den offiziellen Antrag auf Einrichtung
Bürgerschulen ersten und zweiten einer Bürgerschule bei der Stadt.
Ranges neben den Gymnasien vor, in Nachdem man 3156 schulpflichtige
den drei kleineren Städten (Kamenz, Jungen und 3142 Mädchen gezählt
Löbau, Lauban) die Umwandlung der hatte und mit dem erwarteten hohen
lateinischen Schulen in höhere Bür Zuspruch auf bedeutende Mittelrück
gerschulen, und in weiteren Städten flüsse als Schulgeld hoffte, erfolgte
die Einrichtung von Bürgerschulen am 3. Mai 1796 der Beschluss zum
zweiten Ranges. Bau einer allgemeinen Bürgerschule.
94
Planungsmängel verursachten jedoch an notwendigen Ausstattungen. Im
Verzögerungen und steigende Kosten. Bildungsbürgertum der Universitäts
1802 stand das Projekt kurz vor dem und Kaufmannstadt Leipzig fand
Scheitern. 1803 veröffentlichte Gedike Gedike jedoch viel Unterstützung.
seine „Grundlinien des Planes der Zeitweise besuchten über 900 Schü
neuen Bürgerschule zu Leipzig“, die ler die Bürgerschule. Ein Resümee
von der Stadt positiv aufgenommen des Geleisteten publizierte Gedike
wurden. Die Schüler sollten praxisori in „Neue Nachricht von der jetzigen
entiert gebildet werden, ohne „Hang Beschaffenheit der Leipziger Bürger
zu müßigen, unfruchtbaren Grübe schule“ (1826). Mit den politischen
leien“. Der Lehrplan umfasste Kennt Veränderungen des Jahres 1830, die
nis des Menschen (einschließlich schließlich in der ersten sächsischen
Gesundheitslehre), deutsche Spra Verfassung und der Einführung
che, Schreiben, Zeichnen, Rechnen, einer konstitutionellen Monarchie
Mathematik (für die Knabenschule), mündeten, kam auch das öffentliche
Naturgeschichte, Physik, Erdbeschrei Schulwesen auf den Prüfstand. Die
bung, Geschichte, Verfassungskunde, Staatsbürger erhielten größere Ver
Singen, französische und griechische antwortung. Die Naturwissenschaf
Sprache, Gewerbskunde, Gedächt ten und Fremdsprachen gewannen
nis und Urteilfähigkeit sowie als immer mehr an Bedeutung, während
wichtigen Schwerpunkt die Religi an der Gedik‘schen Schule die Religi
ons und Sittenlehre. Mit Beginn des on noch stärker im Mittelpunkt stand.
Jahres 1804 öffnete die Schule für Nach 50 Jahren Arbeit als Pädagoge
265 Schülerinnen und Schüler in drei legte Gedike 1832 sein Amt nieder.
Knaben und zwei Mädchenklassen.
Zur Lehrerschaft gehörten Johann Gedikes Verdienste wurden vielfältig
Friedrich Adolf Krug, ein Absolvent gewürdigt. Die „Lausitzer Prediger
des Bautzener Gymnasiums unter Gesellschaft“, der mehrere seiner
Böttiger und zuletzt Privatlehrer in ehemaligen Schüler aus Bautzen
Meffersdorf, Johann David Goldhorn angehörten, wählte ihn in Leipzig
von der Peterskirche Leipzig und der zum Ehrenmitglied. Die Stadt Leip
Privatschullehrer Johann Gottfried zig gewährte ihm eine großzügige
Köhler. Die endgültige Fertigstellung Pension. Gedike zog sich danach in
der Bürgerschule verzögerte sich mit seine frühere Heimat Breslau zurück,
dem napoleonischen Krieg und der wo die Familie seiner jüngeren Toch
Völkerschlacht zu Leipzig 1813. Das ter wohnte. Hier engagierte er sich
Schulgebäude diente zeitweise als auch für Kleinkinderschulen. Im Jahr
Lazarett. Der Unterricht fand über 1910 ehrte ihn die Stadt Leipzig mit
die gesamte Stadt verstreut statt. der Benennung der Gedikestraße im
Zudem mangelte es der Schule lange Stadtteil Eutritzsch.
95
Professor Ernst Giese war ein führender Architekt des Historismus. Die
sächsische und die österreichische Kunstakademie ernannten ihn zum
Ehrenmitglied. Der preußischen Akademie gehörte er als ordentliches
Mitglied an. Giese führte die Titel Baurat und Geheimer Hofrat. Er war
Mitglied der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft.
96
Giese, Ernst Friedrich
Professor, Architekt
16.04.1832 Bautzen – 12.10.1903 BerlinCharlottenburg
V: Carl Christian (*13.8.1786 Görlitz, †9.12.1861 Dresden), Enkel des Görlitzer Archidiakons
Gottlieb Christian Giese (1721–1788) und ältester Sohn des Advokaten, Senators, Stadtrichters
und Bürgermeisters Christian Matthäus Friedrich Giese (1748–1806), Gymnasium Görlitz, 1805
Jurastudium Leipzig, Landsteuerregistrator und Brandkassenbuchhalter in Bautzen, landständi
scher Sekretär der Oberlausitz, 1849 Sekretär der BrandversicherungsKommission in Dresden;
M: Johanne Charlotte geb. Fiebiger (*1792 Bautzen, †2.1.1856 Dresden); G: Charlotte (Juni
1822–23.10.1826), Ida (*23.4.1823 Bautzen, †7.11.1887 Dresden), Carl Friedrich (*1824 Bautzen,
†9.1.1847 Bautzen, Jurastudium in Leipzig), Johann Wilhelm (1830–1902, Jurastudium in
Leipzig, königl.sächs. Zollrat in Leipzig und Hamburg, zuletzt wohnhaft in Charlottenburg); E:
13.5.1865 Dresden, Gertrud geb. Barteldes (*27.4.1846 Dresden, †1933, Tochter des Kaufmanns
Eduard Friedrich Barteldes, 1848 Vermieter von Robert und Clara Schumann, führendes Mit
glied in Singakademie, Liedertafel und WagnerVerein, ältere Halbschwester der Sängerin Elli
Jürgensen/*30.11.1866 Dresden); K: Ernst Johannes (*12.4.1866 Dresden, †14.1.1929 Dresden,
Notar und Rechtsanwalt in Dresden, vertrat die erste Ehefrau Emma von Karl May im Schei
dungsprozess), Max Eduard (*5.7.1867 Düsseldorf, †9.7.1916 MünchenPasing, Kunststudium
in Düsseldorf und München, Landschaftsmaler in Dresden und München, verschwägert mit der
Malerin Elisabeth Schmook), Gertrud Elisabeth (*28.12.1868 Düsseldorf, verh. Ausfeld, wohn
haft in Charlottenburg), Karl Friedrich (*14.8.1871 Düsseldorf, †1939, Büro für Architektur und
Bauausführung Giese & Sohn 1891–1901 in Dresden, auch tätig in Köln und Düsseldorf, Vater
des Korvettenkapitäns und Autors Fritz E. Giese), Gertrud Dorothea (*10.10.1873 Dresden, verh.
mit dem Dresdner Museumsdirektor Jean Louis Sponsel), Wilhelm Georg (*2.4.1877 Dresden),
Katharina Elisabeth (*9.11.1880 Dresden), Martha Johanna (*18.3.1882 Dresden, verh. Kühl),
Karl Rudolf (*16.11.1883 Dresden), Emmy Elisabeth (*14.8.1887 Dresden, verh. Hüllsburg)
Nach dem Besuch des Gymnasiums gleichzeitig entstand der Bedarf, die
in Bautzen studierte Giese im Un bislang eher praktischmechanische
terschied zu seinen beiden älteren Ausbildung besser theoretisch,
Brüdern, die entsprechend einer ingenieurmäßig zu fundieren. Unter
Familientradition in Leipzig Jura dem 1850 berufenen Direktor Julius
belegten, ab 1846 an der Technischen Ambrosius Hülße wurde die Lehran
Bildungsanstalt in Dresden. Johann stalt 1851 zur Polytechnischen Schule
Andreas Schubert gehörte hier zu erhoben. 1852 wechselte Giese in das
seinen Lehrern. Gieses Studium fiel Atelier von Hermann Nicolai, der
in eine Zeit tiefgreifender Änderun als Nachfolger des geflohenen Gott
gen an der Vorläufereinrichtung der fried Semper die Architektur an der
heutigen TU. Viele Lehrkräfte und Kunstakademie im Sinne der Dresd
Studenten engagierten sich in der ner Neorenaissance prägte. 1853 trat
Revolution von 1848/49. Das Lehr Giese mit einem Entwurf für die neue
angebot der Anstalt verbreiterte sich, Dresdner Kreuzschule hervor. Zwei
97
ard Müller beauftragt, die Festhalle
für das Deutsche Sängerbundesfest
in Dresden zu errichten. Die Halle
entstand auf den Waldschlösschen
Wiesen und war für 20000 Sänger
ausgelegt. Beim Wettbewerb zum Bau
der Wiener Hofoper erhielten Giese
Das Schloss Gauernitz wurde von & Schreiber wie auch bei der Kreuz
Giese & Schreiber im Stil der Neo- schule Dresden den zweiten Preis.
renaissance umgebaut (Ansicht um Der NicolaiSchüler Oswald Haenel
1900). (Brückner‘sche Villa in Löbau) be
gann bei ihnen seine Berufslaufbahn.
Jahre später wurde er mit einem zwei Für ihre Verdienste um die Archi
jährigen Reisestipendium für Italien tektur in Sachsen wurden Giese und
ausgezeichnet. Die Reise führte ihn Schreiber 1864 anlässlich des 100.
nach Venedig, Verona, Florenz, Rom Jahrestags der Gründung der Kunst
und Pompeji. Hier vertiefte Giese
sein kunsthistorisches Wissen und
er fertigte Zeichnungen bedeutender
Gebäude an. In der „Zeitschrift für
Bauwesen“ publizierte er Skizzen zum
Palazzo Pubblico in Siena. Eine An
sicht des Palazzo Vecchio in Florenz
befindet sich im Dresdner Kupfer
stichKabinett.
98
akademie mit der Ehrenmitglied
schaft geehrt, 1867 mit der silbernen
Medaille des Dresdner GewerbeVer
eins. Eine ihre letzten gemeinsamen
Arbeiten war 1866 der Entwurf des
Nymphenbrunnens von Gustav Broß
mann auf dem Räcknitzplatz.
99
Gieses Theaterbau. Das von Giese &
Weidner 1875 gebaute neoklassizis
tische „KönigAlbertBad“ in Löbau
erhielt seinen Namen nach einem
Kuraufenthalt des sächsischen Königs.
100
aus dem hochwertig gebauten Haus
noch viel Baumaterial gewinnen ließ.
101
Das Gewandhaus am Hauptmarkt in Bautzen wurde von Giese & Weidner
von 1882 bis 1883 im Stil der Neorenaissance anstelle eines abgebrannten
historischen Kaufhauses errichtet. Der Neubau beherbergte das städtische
Stiebermuseum. Nach einem Brand im Jahre 1976 erhielt das Gebäude ei-
nen neuen Giebel. Es dient heute der Stadtverwaltung u. a. als Standesamt.
102
Der Turm der Lutherkirche in
Dresden-Neustadt ist 81 Meter
hoch. Giese & Weidner entwarfen
nicht nur die äußere Architektur,
sondern waren auch für den In-
nenraum zuständig. Die Bleiglas-
fenster (Abb. unten) wurden u.
a. von Bruno Urban aus Pulsnitz
realisiert.
103
für neue Kirchenbauten vorgab. Die
Gemeinde der Dresdner Neustadt war
seinerzeit auf über 50000 Mitglieder
angewachsen und benötigte ein eige
nes Kirchengebäude. Es sollte über
1200 Gläubigen Platz bieten. Giese &
Weidner belegten beim Wettbewerb
nur den 2. Platz hinter Tony Eul aus
Belgien, erhielten aber trotzdem den
Zuschlag. Die Kirche entstand als
gotische Basilika mit neoromanischen
Ergänzungen, wobei auch Elemente
von Eul einflossen. Der Bau wurde
pünktlich zum 404. Geburtstag von
Luther fertig, hatte aber das Doppelte
der veranschlagten Summe gekostet.
104
Der Dresdner Hauptbahnhof wurde in einem Stilgemisch aus Neorenais-
sance und Neobarock mit einem Tragwerk aus Stahl für das Glasdach
errichtet. Er bildet einen Verkehrsknoten für Züge in alle Richtungen.
wegen der Schranken an den ebener Giese war 1878 unter dem Rektor
digen Gleisanlagen des Böhmischen Gustav Anton Zeuner als Profes
Bahnhofs begegnet werden. Das Emp sor an das Polytechnikum berufen
fangsgebäude von Giese & Weidner worden. Nach der Abtrennung der
entstand nach dem Vorbild des Gare Baugewerkenschule im Jahre 1873
du Nord in Paris und wurde von einer wurde hier eine eigenständige Ar
Kuppel gekrönt. chitekturausbildung neben jener an
der Kunstakademie aufgebaut. Die
Als Vorsitzender des Dresdner Archi 1875 gegründete Hochbauabteilung
tektenvereins gehörte Giese zu den ging auf Bemühungen der Rektoren
Opponenten von Constantin Lipsius, Julius Ambrosius Hülße (bis 1873)
ebenfalls ein ehemaliger Nicolai und Gustav Anton Zeuner sowie der
Schüler, und seines Neubaus der ehemaligen NicolaiSchüler Rudolph
Kunstakademie an der Brühlschen Heyn und Carl Weißbach zurück,
Terrasse bis 1894. Einige Jahre zuvor die der Hochbauabteilung in der
in Leipzig hatte Lipsius zusammen Folgezeit vorstanden. Hier wirkten
mit August Hartel beim Bau der St. seinerzeit mehrere ehemalige Schüler
PetriKirche den Vorzug erhalten, ob von Johann Andreas Schubert, so
wohl Gieses Entwurf im Wettbewerb auch Giese. Er vertrat in den fol
siegreich geblieben war. genden mehr als 20 Jahren das Fach
105
Rosenkranzkirche Radibor, Hei- Mit dem Bau der Kirche, geleitet
matgemeinde von Alojs Andritzki. durch den Baumeister Simon aus
Die Gestaltung des Innenraums Herrnhut, wurde Quatitz zur Paro-
leitete von Mayenburg. Die sakralen chie. Am 16. Oktober 1899 fanden je
Statuen kamen aus der Mayer‘schen ein deutsch- und ein sorbischspra-
Hofkunstanstalt München. chiger Weihgottesdienst statt.
106
nerPater Pirmin Campani und Georg
Heinsius von Mayenburg, einem
Dresdner GieseSchüler, die katholi
sche Rosenkranzkirche Radibor. Sie
entstand in Form einer neoromani
schen Pfeilerbasilika mit einem 52
Meter hohen Turm. 1898/99 leiteten
sie den Bau der protestantischen Kir
che in Quatitz, wiederum mit einem
52 Meter hohen Turm. Theodor Gro
ße (*1874 Bischofswerda, †1950 Pots
dam) war bei ihnen angestellt. Beim
Bau des 1901 eingeweihten Bautzener
SchillerGymnasiums gehörte Giese
dem Preiskomitee an. Als letzter Bau
Gieses entstand von 1899 bis 1901
in Chemnitz die St. Lukaskirche in
einer Mischung von Neoromanik und
Neorenaissance. Die St. Lukaskirche am Josephi-
nenplatz in Chemnitz (Ansicht um
Nach geschäftlichen Verlusten als 1904) wurde im Zweiten Weltkrieg
Aufsichtsrat von Bau und Immobi beschädigt, die Reste in den 1950er
lienbanken musste Giese Bankrott Jahren gesprengt.
anmelden. Gesundheitlich gezeichnet
emeritierte Giese daraufhin und ging in Dresden“. Verl. f. das Bauwesen, 1991; „Im neuen
Reich“. Wochenschrift für das Leben des deutschen
nach BerlinCharlottenburg, wo er Volkes, 1880; Hans Müller: „Dome – Kirchen –
Baugutachten erstellte und wenig Klöster, Kunstwerke aus zehn Jahrhunderten“. VEB
Tourist Verlag, 2. Aufl., 1986; www.radibor.de;
später starb. www.kirchgemeindeguttaumalschwitzquatitz.de;
Dietrich Buschbeck: „Dem Architekten Ernst Giese
Quellen: Anton Bettelheim: „Biographisches Jahr auf der Spur. Zu seinem Todestag am 12. Oktober“.
buch und deutscher Nekrolog“. Bd. 8, G. Reimer, ElbhangKurier, H. 10/2003, S. 12; Michael Laschet,
1905; Herrmann A. L. Degener: „Wer ist‘s?“ Berlin, Berlin, Mitteilungen 2014; EvangelischLutherisches
1908; Reiner Pommerin, Thomas Hänseroth, Dorit Kirchspiel DresdenNeustadt: „MartinLuther
Petschel: „175 Jahre TU Dresden: Die Professoren Kirche DresdenNeustadt“; Immatrikulationen
der TU Dresden, 1828–2003“; Schülerverzeichnisse 1778–2012, archivierte Matrikelbücher der heutigen
der Technischen Bildungsanstalt und der Polytech Hochschule für Bildende Künste Dresden; Carl
nischen Schule zu Dresden, 1846–1853; www.tu Gottlieb Anton: „Verzeichniss der Schüler des
dresden.de (einschl. DFGProjekt „Nachlass Corne Gymnasiums zu Görlitz, welche in den Jahren von
lius Gurlitt“); www.rheinoper.de; www.duesseldorf. 1803, bis 1854, die Prima oder auch nur die Sekunda
de; Adressbücher der Stadt Dresden, 1849, 1863, besucht haben“. 1856; Lausitzisches Magazin, 1789;
1880, 1892, 1900; Adressbücher von Blasewitz 1879, Neue lausizische Monatsschrift, 1806; Günther
1880, 1883; Leipziger Zeitung, 1856, 1866; Deutsche Giese, Mitteilungen 2017; Adressbuch Berlin 1902;
Bauzeitung, Verl. E. Toeche, 1892, 1899; www.blase Matrikelverzeichnisse Universität Leipzig; Sächsi
witz.de; Manfred Zumpe: „Die Brühlsche Terrasse sche Constitutionelle Zeitung, 18.8.1863
107
Ernst Gnauck.
108
Gnauck, Friedrich Ernst
Gemeindevorstand und Erbgerichtsbesitzer in Kleindrebnitz
22.09.1852 Kleindrebnitz – 01.12.1927 Kleindrebnitz
109
Erbgericht Kleindrebnitz, im Hintergrund das „Auszugshaus“.
Situation – es hatten außer ihm nur Steglich berichtete vor der „Ökono
noch Schwestern überlebt – kaufte mischen Gesellschaft im Königreiche
Gnauck 1875 beide Güter von seinem Sachsen“ von Gnaucks Beteiligung
Vater. Er wurde als Gemeindeältester an der IX. Braugerstenausstellung in
und Stellvertreter des Gemeindevor Dresden. Am 15. Januar 1903 war
stands in den Gemeinderat und am 5. Gnauck zudem Mitbegründer der
März 1887 zum Gemeindevorstand örtlichen Spar und Darlehenskasse,
von Kleindrebnitz gewählt. Dieses die sich der Förderung der dörfli
Amt hatte er für die außergewöhnlich chen Wirtschaft verschrieben hatte.
lange Zeit von 32 Jahren inne. Zu den Selbstverständlichkeiten im
Gemeinderat unter Gnauck gehörte
Gnauck arbeitete im Kirchen und es, Bedürftige zu unterstützen. Die
Schulvorstand für Groß und Klein „Armenkasse“ wurde mit ausreichen
drebnitz mit und bemühte sich als den Mitteln ausgestattet. In Notfällen,
Mitglied bzw. Leiter der landwirt z. B. nach Bränden, bei Erwerbslosig
schaftlichen Vereine von Bischofs keit oder nach der Geburt uneheli
werda und Großdrebnitz um die cher Kinder, erhielten die Betroffenen
Einführung moderner Produkti unbürokratische Hilfe.
onsmethoden. Professor Bruno
110
Wichtige Errungenschaften seiner Weickersdorfer Gemeindevorstand
Amtszeit waren die Einrichtung einer Hartmann hatte Gnauck sich lange
Eisenbahnhaltestelle in Weickersdorf, um die Errichtung eines Bahnhofs
der Bau des Kirchturms Großdrebnitz für Weickersdorf, Kleindrebnitz und
(beides mit aktiver Beteiligung von die benachbarten Dörfer bemüht. Mit
Kleindrebnitz) sowie die Einführung Unterstützung des aus Kleindrebnitz
der Telegrafie im Dorf. Das heraus stammenden Max Neumeister,
ragende Ereignis stellte 1909 die seinerzeit Mitglied der sächsischen
Eröffnung des Bahnhofs Weickers Eisenbahnkommission, gelang dieses
dorf dar. Im 19. Jahrhundert war es wirtschaftlich bedeutsame Vorhaben
den Oberlausitzer Bauern gelungen, schließlich. Am 1. Oktober 1909 be
zunehmend die Produktion von Roh ging man im Beisein des Prinzen Siz
milch zu steigern, und 1903 wurde zo von Schwarzburg auf Großharthau,
die Eisenbahnstrecke GörlitzDresden inzwischen Eigentümer des ehema
für den Milchtransport zu den Dresd ligen Vorwerks von Johann Gott
ner Molkereien und Großmärkten fried Nake unweit des Bahnhofs, die
freigegeben. Gemeinsam mit dem feierliche Einweihung. Kleindrebnitz
111
beteiligte sich mit erheblichen finan
ziellen Mitteln am Bahnhof, der nahe
der Ortsgrenze zwischen Weickers
dorf und Kleindrebnitz gelegen ist.
Den örtlichen Bauern wurde es da
durch möglich, die leicht verderbliche
Rohmilch schneller an die Kunden bis
nach Dresden auszuliefern.
112
Aufsatz von Bruno Barthel in der Beilage „Unsere Heimat“ zum „Sächsi-
schen Erzähler“ (anonym, Oktober 1909).
Anna Elisabeth Gnauck (1725 – 1796) Friedrich Martin Gnauck (1709 – 1774)
der ursprüngliche Kleindrebnitzer Zweig der Gnaucks ging Bauer und Landfuhrmann, ging von Weickersdorf nach Bühlau
durch Heirat 1745 in der Großdrebnitzer Erbrichterfamilie
Klahre auf
116
Goller, Josef
Professor, Glasmaler und Grafiker
25.01.1868 Dachau – 29.05.1947 Obermenzing bei München
V: Adam, Tischler und Instrumentenbauer; E: Clara Fanny geb. Kunze (*27.9.1865 Zittau,
†29.5.1927 Dresden, Tischlerstochter aus Zittau); K: Clara Elise (*1.10.1888 vermutl. in Zittau,
†1970 vermutl. in Braunschweig, ab 1911 verheiratet mit dem Maler Arno Drescher, Tanzunter
richt bei Mary Wigman), Josefa Anna (*10.10.1889 Dresden), Clara Gertrud (*2.6.1891 Dres
den), Martha Helene (*15.5.1892 Dresden), Johanne Margarethe (*5.11.1893 Dresden), Charlotte
Erna (*6.12.1894 Dresden), Elsa Maria (*5.12.1895 Dresden), Josef Friedrich (*30.11.1896
Dresden), Johann Otto (*2.10.1898 Dresden, 1928 ausgewandert in die USA)
117
gestaltungen. Karl Schmidt gewann
ihn 1898 als künstlerischen Mitarbei
ter seiner damaligen Firma „Dresdner
Werkstätten für Handwerkskunst
Schmidt und Engelbrecht“ in Laube
gast. Goller stand in enger Beziehung
zu Grafikern wie Johann Vincenz
Cissarz, der ebenfalls auftragsbezogen
„Der pflügende Bauer“ im Rathaus für Schmidt arbeitete. Mit dem Auf
Radebeul. Foto: Der Naundorfer schwung des Plakatwesens in Dresden
(Wikimedia Commons, CC BY-SA für Reklame und Information wa
4.0, Ausschnitt) ren Plakatgestalter gesucht. Sowohl
Cissarz als auch Goller arbeiteten
den unter Federführung von Bruno für die Lithographische Anstalt von
Urban, der aus dieser Stadt stammte. Theodor Beyer. 1902 gehörte Goller
Auch vier Fenster im Standesamts zu den Gründern der Gruppe „Die
saal des Nürnberger Rathauses sowie Elbier“ um Gotthardt Kuehl, Leiter
Kirchenfenster in Johanngeorgenstadt des Ateliers für Genremalerei an der
entstanden in jener Zeit. In Zusam Kunstakademie und ein Wegbereiter
menarbeit mit den Architekten Schil des Impressionismus in Dresden. Von
ling & Graebner schufen Urban & Goller stammte das Wahrzeichen der
Goller das Kolossalfenster im Vestibül „Elbier“, ein Schiff auf bewegten Wo
und weitere Fenster des Kaiserpalas gen. Die „Elbier“ standen im Unter
tes in Dresden sowie das Glasgemälde schied zum aufkommenden Expres
für den Altar der protestantischen sionismus jener Zeit („Die Brücke“)
Kirche in Dux. Für die wegweisende nicht für experimentelle Malerei. Sie
I. Internationale Kunstausstellung verbanden solide Technik mit hei
im Ausstellungspalast, die 1897 den matlichen Motiven aus der Natur und
Jugendstil nach Dresden brachte (vgl. zeigten Menschen im Alltag.
Osmar Schindler), entwarf Gol
ler das Glasgemälde „Tänzerin“, für Für die 3. Deutsche Kunstgewer
die Deutsche Kunstausstellung 1899 beausstellung 1906 in Dresden schuf
Fenster für ein Treppenhaus von Max Goller für mehrere Ausstellungsräu
Rose. Ab 1901 arbeitete Goller als me farbige Glasfenster mit Bezügen
Glasmaler unabhängig. zu den Exponaten, beispielsweise für
das Wohnzimmer von Fritz Schu
Goller galt schon früh als genialer macher im Sächsischen Haus, für
Zeichner. Er machte sich einen Na die Friedhofskapelle von Max Hans
men mit karikaturistischen Plakaten Kühne und die Bibliothek von Wil
und entwarf dekorative Innenraum helm Kreis. Diese Ausstellung gab den
118
unter Führung von Stadtbaurat Hans
Erlwein der Dresdner Künstlerverein
„Die Zunft“ gegründet. Die Bildhauer,
Architekten, Maler und Kunstge
werbler entwickelten einen speziellen,
an der Zweckmäßigkeit orientierten
Dresdner Stil im Zusammenwirken
der verschiedenen Kunstformen. Eine
Arbeitsgemeinschaft innerhalb der
„Zunft“, der auch Goller angehörte,
gab die „Dresdner Künstlerhefte“ he
raus. Goller illustrierte zudem für das
„Kunstgewerbeblatt“, die Zeitschrift
des Vereins KunstgewerbeMuseum
zu Leipzig.
119
Zu Gollers wichtigsten Glasmalar
beiten zählten die Verglasungen im
Empfangsraum für Staatsoberhäup
ter im Leipziger Hauptbahnhof (mit
Lossow), Arbeiten für die Neuen
Rathäuser in Dresden, Gera und
Chemnitz sowie das Ständehaus in
Dresden. Während viele seiner Werke
in der Dresdner Innenstadt bei den
Bombenangriffen 1945 verloren gin
gen, wurden die Fenster der früheren
Garnisonkirche, heute St. Martin an
der Stauffenbergallee, wieder rekon
struiert. Zusammen mit der vollstän
digen Ausmalung der Kirche durch
Paul Mohn bilden sie ein beeindru
ckendes Ensemble. Im Chemnitzer
Rathaus wurden im Jahre 2005 zwölf
historische Bilder in Wappenform mit
floralen und kulinarischen Motiven
wieder eingesetzt.
120
Reklamemarken und Postkarten. Auf
der Dresdner Jahresausstellung „Das
Papier“ 1927 führte er ein Schat
tenspiel vor. Sein „Volkstümliches
SchattenspielTheater“ präsentierte
Goller regelmäßig im Kunstsalon
„Kühl und Kühn“. In seinen späten
Dresdner Jahren ist er mehrfach mit
Ölgemälden auf akademischen Kunst
ausstellungen hervorgetreten.
121
im Deutschen Werkbund. Zur Lehrer
schaft gehörten neben bekannten
Künstlern, so der Maler und Bildhau
er Richard Guhr (Goldener Rathaus
mann Dresden, RichardWagner
Denkmal Graupa) und der Maler Carl
Rade (später Lehrer von Gottfried
Zawadzki), auch externe Lehrkräf
te wie Wilhelm Ellenberger, an der
Tierärztlichen Hochschule Dresden
Direktor von Bruno Steglich. Mit
der Kunstgewerbeschule war das
Kunstgewerbemuseum verbunden,
für welches Goller ein Glasmosaik mit
Adler geschaffen hatte. Es ist heute im
Besitz der Staatlichen Kunstsammlun
gen Dresden. 1928, ein Jahr nach dem
Tod seiner Frau, kehrte Goller nach
Die „Deutsche Bauzeitung“ schrieb München zurück.
1919 zu der von Lossow & Kühne
im Jugendstil errichteten Synagoge Der wohl bekannteste Oberlausitzer
Görlitz: „Die von Prof. Goller in Absolvent der Kunstgewerbeschule zu
Dresden entworfenen Glasfenster Gollers Zeit war nach dem Ersten
lassen in ihrer großen Fläche reiches Weltkrieg Paul Sinkwitz. Sinkwitz stu
Tageslicht in das Innere fluten.“ dierte u. a. bei Gollers Schwiegersohn
Arno Drescher. Ab 1931 lehrte er
rung Sachsens mit Ausbildungsange selbst an der nunmehrigen Kunstge
boten in neuen Kunstzweigen und im werbeakademie. Mehrere von Gol
Kunsthandwerk. Mit William Lossow lers Schülern machten sich ebenfalls
wurde 1906 ein Vertreter der jungen einen Namen in der Oberlausitz.
Reformarchitektur zum Direktor Oskar Fritz Beier schuf Bleiglasfenster
bestellt. Die Ideen des Deutschen für die Kirche Wilthen, Max Merbt
Werkbundes fassten in der Dresdner restaurierte die Schlösser Rammenau
Kunstausbildung Fuß. Lossow holte und Neschwitz und entwarf Bildta
nicht nur Josef Goller in den Lehr peten für das Rittergut Schirgiswalde
körper, auch Oskar Seyffert, 1908 und Kurt Fiedler schuf Werbegrafiken
Mitbegründer des Landesvereins für Christoph & Unmack in Niesky
Sächsischer Heimatschutz, Adolf Son und den Görlitzer WaarenEinkaufs
nenschein und Lossows Nachfolger Verein. Karl Heinicke stellte wieder
ab 1914, Karl Groß, waren Mitglieder holt beim Bautzener Kunstverein aus.
122
14. Bd., 1921, S. 345–346; Saur, Künstlerlexi
kon, 2008; Wer ist‘s?, 1905 und 1909; Herold
Hofmeister, Harald Adler: „Leipzig Haupt
bahnhof: Geschichte und Geschichten“. Verlag
Forum, 1994; Heinrich Magirius: „Gottfried
Sempers zweites Dresdner Hoftheater“. Verlag
H. Böhlau, 1985; Ulrike Lorenz: „Dix avant
Dix“. Glaux 2000; Willy Doenges: „Ausstel
lungen – Dresden“. In: Cicerone, 2. Jahrgang,
Nr. 17, 1910, S. 592; Maria Mirtschin: „Garten,
Ota (Otto)“. In: Sächsische Biografie, hrsg.
vom Institut für Sächsische Geschichte und
Die Kunstgewerbeschule von Los- Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schatt
sow & Vieweger wurde während des kowsky; www.christusbote.de; „Katholische
Zweiten Weltkriegs zerstört und da- Pfarrkiche St. Marien in Dresden“. Kunstverlag
nach unter Leitung von Mart Stam Josef Fink, 2007
vereinfacht wieder aufgebaut.
123
Tumba-Deckplatte des Gra-
fen Wiprecht von Groitzsch.
Gipsabguss nach dem Ori-
ginal aus Sandstein in der
Laurentiuskirche zu Pegau.
Die farbige Erscheinung des
Abgusses gibt die Bemalung
und Belegung mit Edelstei-
nen im Rahmen der Restau-
rierung unter Oskar Mothes
(aus der Familie von Bruno
Steglich) und Chr. Zucchi
im Jahre 1871 wieder. Die
Bemalung wurde dort um
1934/35 entfernt. Foto: Ka-
terBegemot (Germanisches
Nationalmuseum, Wikime-
dia Commons), Lizenzen:
CC BY-SA 3.0, GFDL
124
Groitzsch, Wiprecht von
Markgraf von Meißen und der Niederlausitz, Herrscher der Oberlausitz
* um 1050 in der Altmark – 22.05.1124 Pegau
Wiprecht von Groitzsch war eine Wiprechts Großvater Wulf, ein sor
vielgestaltige Persönlichkeit des bischer Adliger aus Pommern, hatte
Mittelalters. Er spielte in den politisch nach dem zwischenzeitlichen erneu
bedeutsamen Auseinandersetzungen ten Vordringen der Slawen nach Wes
zwischen Kaisertum und Papsttum ten nach dem Tod Kaiser Otto II. 983
eine wichtige Rolle. Während der in Rom Grundbesitz in der Altmark
deutschen Expansionsbewegung nach erlangt. Mit der Wiederherstellung
Osten bis in die Oberlausitz organi der deutschen Vorherrschaft entlang
sierte er die Ansiedelung von Bauern der Elbe assimilierte sich die Familie
und Handwerkern, einhergehend mit und erhielt die Grafschaft des Balsam
einer Christianisierung und Assimi gaus. Nach dem Tod des Vaters wurde
lierung der Sorben. Die neuen Mark Wiprecht von seinem Vormund Udo
grafschaften waren heftig umkämpft. von Stade, Markgraf der Nordmark,
Gleichzeitig versuchten die regionalen in Stade und Tangermünde erzogen.
Herrscher, sich gegenüber der deut Udo, der eine Operationsbasis für
schen Zentralgewalt zu emanzipieren. geplante Eroberungen in Ostelbien
Gewalt, wechselnde Allianzen und benötigte, überzeugte ihn um 1070,
gezielte Heiraten trugen dazu bei, den die altmärkische Gaugrafschaft gegen
jeweiligen Herrschaftsanspruch aus Güter im Süden von Leipzig einzu
zudehnen. Dank guter Beziehungen tauschen. Sie befanden sich in einem
nach Böhmen erlangte Wiprecht für unruhigen, gleichzeitig aber chancen
mehr als drei Jahrzehnte die Herr reichen Gebiet in den Marken Zeitz
schaft über die Oberlausitz. Ausein und Merseburg.
andersetzungen mit den Wettinern
endeten mit dem Niedergang seiner Wiprecht ließ auf seinem Besitz
Familie und dem Aufstieg der Wetti Groitzsch eine neue Burg, erstmals als
ner zum Herrscherhaus Sachsens. mörtelgebundenen Steinbau, errich
125
nisse bei der Berufung von Geistli
chen und damit ein Kampf um die
Neuordnung zwischen weltlicher und
geistlicher Macht. Der Papst wollte
die Dominanz der deutschen Reichs
kirche seit Karl dem Großen nicht
mehr hinnehmen und stellte auch den
Herrschaftsanspruch des deutschen
Königs über Italien infrage. Unter
stützung erhielt er vom Hochadel, der
Freigelegte Reste der Wiprechtsburg sich vom König emanzipieren wollte.
Groitzsch bei Leipzig. Foto: Rolo-l Papst Gregor VII. konterte den Ab
(Wikimedia Commons), Lizenzen: dankungsbefehl von Heinrich IV. mit
CC BY-SA 3.0, GFDL dessen Bannung. Heinrich, dessen
ten, deren Rundkapelle der älteste Regentschaft infrage stand, muss
Kirchenbau Sachsens ist. Er wurde te sich beugen und 1077 den Gang
von lokalen Adligen angefeindet, die nach Canossa antreten. Nachdem der
selbst die Grafschaft beanspruchten, zum Gegenkönig ausgerufene Rudolf
und musste deshalb seinen Besitz von von Rheinfelden getötet war, betei
1073 bis 1075 verlassen. Wiprecht ligten sich Vratislav und Wiprecht
schloss sich mit seinen Kriegern am Rachefeldzug gegen den Papst.
Böhmenherzog Vratislav an. Die Wiprecht unterwarf 1081 an der
Böhmen unterstützten König Hein Spitze eines 1000köpfigen Ritterhee
rich IV. im Kampf für die Stärkung res die Lombardei. Drei Jahre wurde
der Zentralgewalt in Deutschland Rom belagert, ehe Wiprecht nach der
gegen abtrünnige Fürstenhäuser, zu Überlieferung als Erster mit 24 Mann
denen insbesondere auch die Sachsen die Mauer erklommen haben soll.
(„Altsachsen“ zwischen Niederrhein Als Dank für seine Hilfe im Kampf
und Unterelbe) gehörten. Am 13. Juni gegen Papst und deutschen Hochadel
1075 besiegte die königliche Allianz belehnte ihn der 1084 im Beisein Wi
in einer Schlacht an der Unstrut die prechts zum Kaiser gekrönte Heinrich
Sachsen. Zum Dank belehnte der IV. mit Colditz, Grimma und Leisnig.
König im Jahre 1076 Vratislav – gegen Auch Geistliche der kaiserlichen Par
den abtrünnigen Egbert II. – mit der tei wie die Bischöfe von Köln, Mainz,
Mark Meißen. Wiprecht vermittelte Halberstadt, Münster und Zeitz sowie
wiederholt zwischen Heinrich IV. und die Äbte von Fulda und Hersfeld
Vratislav. belohnten ihn. Mit Wiprecht wurde
dadurch ein Vertreter des niederen
Im Jahre 1076 begann der Investitur Adels zu einem der mächtigsten Män
streit von König und Papst um Befug ner im östlichen Deutschland.
126
Nach der Heirat mit Prinzessin Judi
tha, Vratislavs Tochter, im Jahre 1084
erhielt Wiprecht die Gaue Budissin
(die spätere Oberlausitz entlang der
Spree um Bautzen) und Nisan (Elbtal
um Dresden) in der Markgrafschaft
Meißen. Die Grenze zwischen Nisan
und Budissin verlief westlich von Stol
pen. Die Oberlausitz wurde dadurch
zu einem von Meißen weitgehend
unabhängigen Territorium im Drei
ländereck mit Polen und Böhmen.
127
Durch Heirat mit Juditha von Böhmen wurde Wiprecht von Groitzsch für
insgesamt fast vier Jahrzehnte zum Herrscher der Oberlausitz.
die Mark Meißen ging an seinen Erschließung eines großen Teils des
Schwager Heinrich I. (von Eilenburg) heutigen Sachsens ist sein größter,
aus dem Hause Wettin, der jedoch die bleibender Verdienst. So konnte er
Herrschaft Wiprechts über Budissin auch die unter Vratislav anfangs nur
und Nisan anerkennen musste. formal bestehende Herrschaft über
Nisan und Budissin festigen. Wi
Wiprecht lud während seiner Herr precht residierte in Bautzen auf der
schaft fränkische und thüringische Ortenburg, in unmittelbarer Nähe
Bauern und Handwerker ein und siedelten sich Handwerker, aber auch
beförderte damit die Besiedlung der Ritter und Edelleute an (Burglehn).
östlichen Gebiete, so zunächst in der In dieser Zeit wurde die Böhmisch
Pegauer Gegend, später auch in der Oberlausitzer Kaiserstraße angelegt
Oberlausitz. Unter Wiprecht sollte bzw. ausgebaut. Wegen der ständi
sich die 150 Jahre zuvor erlahmte gen Auseinandersetzungen um den
Ostexpansion Deutschlands relativ Territorialbesitz war für Vratislav,
friedlich vollenden. Verkehrswege er Wiprecht und dessen Sohn die enge
schlossen das Land, gerodete Wälder Anbindung der Oberlausitz an Böh
machten Platz für Dörfer und Acker men besonders wichtig. Es entstan
land. Sein Beitrag zur systematischen den seinerzeit Waldhufendörfer, die
128
vermutlich heutigen Ortschaften wie Lossprechung vom Bann zu erlangen.
Oppach, Taubenheim, Spremberg Wegen der Zeitzer Kirchenschändung
und Ebersbach entsprachen, auch veranlasste ihn Papst Urban II., nach
wenn diese erst später urkundlich Santiago de Compostella an das Grab
ersterwähnt wurden. Eine massenhaf des Apostels Jakobus, des Namens
te Zuwanderung in die Oberlausitz patrons der zerstörten Kirche, zu
erfolgte aber erst nach Wiprechts wallfahren. Auf Verlangen des Papstes
Tod und dauerte bis in das folgende stiftete Wiprecht auch das 1096
Jahrhundert an. geweihte Kloster Pegau. Das Kloster
und die Burg Groitzsch entwickelten
In zahlreichen Fehden festigte Wi sich zu Zentren der Christianisierung
precht seine Herrschaft. Er ging dabei der Sorben. Als erstes Kloster östlich
äußerst brutal vor. In Zeitz verfolgte der Saale besaß Pegau zudem eine
er 1089 seine Feinde Vicelin von erhebliche Bedeutung als kulturelle
Profen und Hageno von Tubichin, die Institution mit Schule und Bibliothek.
ihn seinerzeit aus Groitzsch vertrie
ben hatten. Sie standen inzwischen in Der Kriegsheld Wiprecht von
Verbindung mit den Bischöfen von Groitzsch erwies sich als Berater des
Merseburg und NaumburgZeitz, um böhmischen Herrscherhauses zu
ihren Machtanspruch durchzusetzen. nehmend auch als vorausdenkender
Wiprecht tötete Videlin und 17 Mann. Staatsmann. Nach Vratislavs Tod 1092
Weil Hageno in der Jakobskirche folgte diesem zunächst ein Bruder,
Zeitz Zuflucht gefunden hatte, ließ dann sein Sohn Břetislav II., ohne je
er die Kirche abbrennen und dem doch den Königstitel wieder erlangen
Gegner beide Augen ausstechen. zu können. Wiprecht war an Kultur
Gegen solch barbarisches Tun, aber und der Verbreitung des Christen
auch gegen Verschwendungssucht tums viel gelegen. Er ließ Kirchen und
und Machtgier, wie sie Heinrich IV. weitere Klöster wie in Lausigk, das er
nachgesagt wurden, richtete sich die dem päpstlichen Stuhl unmittelbar
Propagierung sittlicher Werte durch unterstellte, und Reinersdorf errich
die Papstkirche, die zunehmende ten. Mit seiner wachsenden Religio
Wirkung erzielte. Frömmigkeit und sität entfremdete sich Wiprecht von
Buße als Voraussetzung des ewigen Heinrich IV. Er schloss sich dessen
Seelenheils bestimmten das Denken Sohn Heinrich V. im Kampf gegen
auch vieler weltlicher Herrscher zur den erneut gebannten Vater an. Der
zeit der 1096 beginnenden Kreuzzüge. Sohn hatte erkannt, dass im Reich ein
Bischöfen der päpstlichen Partei in weitverbreiteter Wunsch nach Aus
Magdeburg und Merseburg gelang söhnung mit dem Papst im Investitur
es, Wiprecht 1090 zu einer Pilger streit bestand. Zudem fürchtete er um
fahrt nach Rom zu bewegen, um die seine Thronfolge, zu der es sowieso
129
nach Böhmen wieder an den Rhein
in die Hände des Sohnes führte. Als
Gesandter der Mainzer Fürsten
versammlung und von Heinrich V.
erpresste Wiprecht vom gefangenen
Heinrich IV. zu Böckelheim 1105 die
Herausgabe der Reichsinsignien. Er
gehörte zu den Gesandten um den Bi
schof von Konstanz, die Papst Pascha
lis zur Kaiserkrönung von Heinrich V.
einladen sollten, wobei Wiprecht aber
unterwegs durch Kaisertreue festge
setzt und erst nach Fürsprache des
Bischofs von Bamberg freigelassen
wurde. Mit dem Tod des Markgra
fen der Nordmark, Lothar Udo III.,
erledigten sich die Markgrafschaften
Zeitz und Merseburg und Wiprecht
wurde zu einem bedeutenden Gegen
gewicht gegen die dortigen Bischöfe.
130
zusammen mit Bořivoj 1110 in Hein
richs Gefangenschaft und konnte erst
1112 gegen Abtretung von Budissin
und Nisan und weiterer Besitztümer
befreit werden, mit denen Heinrich V.
seinen engen Gefolgsmann Hoyer von
Mansfeld, den er als Gegenkraft zu
den aufrührerischen Sachsen aufbau
en wollte, belehnte. Der Vater Wi
precht trat nun offen gegen Heinrich
V., seit 1111 Kaiser, auf. Der konnte
aber Wiprecht den Jüngeren auf seine
Seite ziehen, der sogar half, 1113
seinen Vater in Groitzsch zu belagern.
Nachdem dies fehlgeschlagen war
und der Kaiser daraufhin ihm die ver Wiprechts Herrschaft Groitzsch lag
sprochene Belehnung mit Naumburg an der Grenze der Marken Zeitz und
verweigerte, stellte er sich wieder an Merseburg. Die Mark Meißen grenz-
die Seite des Vaters. te im Süden an Böhmen, im Osten
an Polen und im Norden an die
Im Zusammenhang mit Erfolgestrei Niederlausitz (oben: F. W. Putzger‘s
tigkeiten brachen neue Konflikte der historischer Schul-Atlas, 1877). Zu
sächsischen Fürsten mit dem Kaiser Beginn von Wiprechts Herrschaft
haus aus, zudem war der Kaiser vom war dieses Territorium vorwiegend
Papst gebannt, weil auch Heinrich V. von Sorben, z. B. um Bautzen und
auf seinem Investiturrecht bestand. entlang der Elbe, besiedelt (s. un-
Während eines Gefechts in Warnstädt ten). Bis 1300 verzehnfachte sich die
im Jahre 1113 fiel Wiprecht, auf säch Bevölkerung. Wiprecht beherrschte
sischer Seite kämpfend, verwundet nicht das ganze Gebiet um Bautzen.
in die Gewalt des Grafen Hoyer von Teile davon gehörten dem Bischof
Mansfeld. Die Reichsstände in Würz von Meißen (Benno).
Schulatlas von
Lange u. Diercke.
131
Durch Heirat war Wiprecht von Groitzsch mit den Wettinern verwandt, die
ihrerseits aber den mächtigen (alt)-sächsischen Fürsten aus der antikaiserli-
chen Opposition näherstanden.
burg verurteilten ihn zum Tode. Der des Vaters. Der musste aber Groitzsch
Sohn rettete den Vater durch Überga und Leisnig erneut erobern, nachdem
be von Groitzsch und anderer Besit 1116 sein Sohn Wiprecht d.J. gestor
zungen an den Kaiser. Danach muss ben war. Mit dem Kaiser söhnte er
ten sich Wiprechts Söhne einige Zeit sich danach wieder aus, Budissin und
als Raubritter durchs Leben schlagen. Nisan erhielt er um 1118 zurück. In
Wiprecht wurde auf der Reichsfeste den Besitz der ihm zugesprochenen
Trifels in Haft genommen. Der Kaiser Mark Niederlausitz gelangte er gegen
hatte gegen die sächsischen und thü Markgraf Heinrich II. jedoch nicht.
ringischen Fürsten gesiegt. Als er aber Rückhalt gewährten ihm Erzbischof
anlässlich seiner Vermählung 1114 Adelgot von Magdeburg, ein Sohn
Ludwig von Thüringen festnehmen von Wiprechts Schwester Gisela, des
ließ, bildete sich ein neues Bündnis, sen Einsetzung Wiprecht seinerzeit
dem sich auch Wiprechts Söhne erfolgreich betrieben hatte, und auch
anschlossen. Wiprecht der Jüngere Adelgots Nachfolger ab 1119, Rüdiger
erschlug Hoyer am 11. Februar 1115 von Veltheim. So erhielt Wiprecht die
in der Schlacht am Welfsholz. Hein Burggrafschaft Magdeburg und die
rich V. verlor mit dieser Niederlage Vogtei über das Kloster zum Neuen
erheblich an Einfluss. Im weiteren Werke in Halle. 1121 war es vermut
Verlauf eroberten Wiprechts Söhne lich Heinrich V., der an der Grenze
Groitzsch und erzwangen mit der Be zwischen Nisan und Budissin in
lagerung Naumburgs die Freilassung Stolpen eine Burg bauen ließ.
132
Mit der Aussöhnung von Kaisertum Während eines Aufenthalts in seinem
und Papst 1122 im Wormser Konkor Kloster in Halle fing das Stroh von
dat erledigte sich ein lang anhaltender Wiprechts Lager Feuer. Er trat es mit
Loyalitätskonflikt für Wiprecht. Seine bloßen Füßen aus, verletzte sich aber
Tochter Bertha war mit einem Bruder so schwer, dass er kurz danach an den
von Konrad dem Großen verheira Folgen im Kloster Pegau verstarb. Die
tet. Auch Wiprechts zweite Ehefrau unrechtmäßige Aneignung der Mark
entstammte dem Hause Wettin. Die Meißen durch Konrad den Großen
verwandtschaftlichen Bindungen wurde 1127 durch den inzwischen
führten zu Erbfolgestreitigkeiten mit zum König gekrönten Lothar endgül
den Wettinern. Als Markgraf Hein tig anerkannt, die Niederlausitz konn
rich II. 1123 starb, verlieh Kaiser te erst Wiprechts Sohn Heinrich 1131
Heinrich V. Wiprecht die Markgraf von Albrecht zurückerlangen. Konrad
schaft Meißen und erneut die Nie wurde so zum Stammvater des sächsi
derlausitz. Konrad der Große, ein schen Kurfürsten und Königshauses.
Cousin Heinrich II., der schon dessen Nach dem Tod des kinderlosen Hein
Rechtmäßigkeit angezweifelt und sich rich kamen Wiprechts Besitzungen
selbst als legitimen Nachfolger von zumeist an die Wettiner. Sie vollende
Heinrich I. angesehen hatte, besetzte ten, was Wiprecht von Groitzsch von
die Mark Meißen, bevor Wiprecht Thüringen bis zur Oberlausitz begon
sein Amt antreten konnte. Für Kon nen hatte, und schufen ein großes,
rad ergriff Stammherzog Lothar von einheitliches Herrschaftsgebiet.
Sachsen Partei. Einerseits war er mit
diesem verschwägert und es lag damit Quellen: Meyers Großes Konversations
in Lothars eigenem Interesse, ein Lexikon, Bd. 20, Leipzig 1909, S. 681–682;
Erbrecht der Wettiner durchzusetzen. Brockhaus BilderConversationsLexikon, Bd. 4,
Leipzig 1841, S. 741; Ernst Bernheim: „Groitsch,
Außerdem entzündete sich bei dieser Wiprecht von, der Aeltere“. Allgemeine Deut
Gelegenheit erneut der Streit mit sche Biographie, Bd. 9, 1879, S. 711–713; Ro
Kaiser Heinrich V., zu dessen wich land Paeßler: „Die Erbrichter in der Umgebung
tigsten Opponenten er gehörte. Im von Bischofswerda“. In: Mathias Hüsni (Hrsg.):
Schiebocker Landstreicher, H. 3, Burkau 2008,
Bunde mit Albrecht von Ballenstädt S. 8–16; www.genealogiemittelalter.de; T. Fla
(„der Bär“) vertrieben sie Wiprecht, the: „Wiprecht von Groitzsch“. In: Archiv für die
ohne dass die vom Kaiser zu dessen sächsische Geschichte, Bd. 3, H. 1, Leipzig 1864,
S. 82–127; www.genealogie93generationen.eu;
Schutz aufgebotenen Herzöge Vladis
Alexander Dinter: „Wer war eigentlich Wiprecht
lav I. von Böhmen, ein Sohn Vratis von Groitzsch?“, 2011; www.bautzenweb.de;
lavs, und Otto von Mähren ernsthaft Johann Gottfried Theodor Sintenis: „Die Ober
in den Kampf eingegriffen hätten. lausitz: ein belehrendes und unterhaltendes Le
sebuch“. 1812; Joachim Bahlcke: „Geschichte der
Wiprecht zog sich in seinen letzten Oberlausitz: Herrschaft, Gesellschaft und Kultur
Jahren aus der Politik zurück und vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhun
widmete sich verstärkt der Religion. derts“. Leipziger Universitätsverlag, 2001
133
Eduard Heiden, Deutsches Museum München, Archiv (PT Krause-Album
3698), Fotograf: Friedrich Robert Süss, Bautzen.
134
Heiden, Joachim Christian Eduard
Professor, Agrarwissenschaftler in Pommritz
08.02.1835 Greifswald – 20.12.1888 Pommritz
G: Maria (?, bei der Taufe von Heidens Sohn 1871 unverheiratete Zeugin aus Greifswald); E:
1868 Hochkirch, Alma geb. Michels, aus Weitenhagen bei Greifswald, bis ca. 1927 als Witwe in
Greifswald ansässig; K: Alma Louise Emma Johanne (*11.6.1869 Pommritz, um 1930 unver
heiratet in Greifswald ansässig), Eduard Rudolf Erwin Alfred Ludwig (31.10.1871–13.12.1871),
Martha Louise Olga Bertha (3.7.1875–18.8.1875), Albert Eduard Rudolf Prosper (25.6.1877–
22.7.1877)
135
unter den deutschen Versuchsstati te auch die Eignung verschiedener
onen insofern eine Ausnahme, dass GuanoDünger. Anbauversuche für
neben angewandter Forschung auch Getreide und Gemüsesorten wurden
Grundlagenuntersuchungen durch im Hinblick auf deren Eignung für
geführt wurden. Heiden setzte unter die Oberlausitz durchgeführt. Zudem
Lehmann begonnene Arbeiten fort. wurde die Kontrolle von Dünge und
Er verglich wasserlösliche und unlös Futtermitteln ausgebaut. Heiden zähl
liche Phosphorsäure hinsichtlich der te zu den führenden Vertretern der
Fruchtbarkeit der Böden sowie die deutschen Agrikulturchemie, die bis
Wirkung des Zusatzes stickstoffhalti zur Umstrukturierung unter Georg
ger Verbindungen bzw. humusbilden Derlitzki Leitthema in Pommritz
der Substanzen und widerlegte dabei blieb.
Justus von Liebig, indem er den Wert
des Humus für die landwirtschaftliche Heiden setzte die grundlegenden
Pflanzenproduktion nachwies. Schon Untersuchungen seines Vorgängers
früh entwickelte Heiden in Pommritz Julius Lehmann zur Ernährung von
ein neues Arbeitskonzept. Zunächst Schweinen fort und veröffentlichte
erfolgte die strikte Trennung vom Rit 1879 die Ergebnisse langjähriger
tergut, das gewinnorientiert arbeiten Versuche in „Untersuchungen über
sollte. Die Versuchsstation erhielt 2,5 die zweckmäßigste Ernährung des
Hektar Land pachtfrei und konnte im Schweins“. Er analysierte die Wir
Stall acht Schweine unterbringen. Die kung verschiedener Futtersorten (u.
Räumlichkeiten und technische Aus a. mehrerer Getreidearten, Kartoffeln
stattung der Station wurden erweitert und saurer Milch) für unterschiedli
und Heiden bekam einen zweiten che Altersklassen und bewertete die
Assistenten. Sein Hauptaugenmerk Wirtschaftlichkeit des Futters. Daraus
galt der Verbesserung der landwirt wurden Schlussfolgerungen für die
schaftlichen Erträge. Er untersuchte Rasseauswahl und die Zusammenset
langjährig Größe und Zusammenset zung von Futtermischungen gezogen.
zung der Wurzeln und des Oberteils Ähnliche Untersuchungen führte er
verschiedener Kulturpflanzen (Getrei auch für andere Haustierarten durch.
de, Kartoffeln, Klee) in unterschied Heiden war der Erste, der im Rahmen
lichen Entwicklungsstadien, um von Fütterungsversuchen die Mine
Rückschlüsse auf die Nährstoffbilanz ralstoffbilanz (Kalzium, Phosphor)
zu ziehen. Heiden führte Düngungs wissenschaftlich untersuchte, und
und Fruchtfolgeversuche durch, um wird international auch heute noch
„rohen Boden“ fruchtbar zu machen. zu jenen Wissenschaftlern gezählt, die
Er propagierte die Verwertung städ sich besonders um die Grundlagen
tischer Fäkalien zur Erhöhung der forschung zur Ernährung von Schwei
Bodenfruchtbarkeit und untersuch nen verdient gemacht haben.
136
1871 wurde Heiden zum Professor Quellen: Bruno Steglich: „Erinnerungen aus
ernannt, 1873 konnte er sein Lehr meinem Leben“. Dresden, unveröffentlicht,
1927; Jens Klemme: „Entwicklung der Er
buch mit dem 3. Band, „Leitfaden nährungsforschung bei Wiederkäuern im 19.
der gesamten Düngerlehre und Statik Jahrhundert – Fütterungsversuche, Energie
des Landbaues“, vervollständigen. haushalt und Eiweißstoffwechsel“. Dissertation
Sein besonderes Anliegen bestand Tierärztliche Hochschule Hannover, 2003;
Tina König: „Entwicklung der Ernährungs
darin, den Landwirten wissenschaft
forschung beim Schwein (bis 1930)“. Disser
liche Erkenntnisse in verständlicher tation Tierärztliche Hochschule Hannover,
Form nahe zu bringen. 1875 erschien 2004; Theophil Gerber: „Persönlichkeiten aus
Heidens Volksbuch „Die Düngerlehre Land und Forstwirtschaft, Gartenbau und
in populärwissenschaftlicher Dar Veterinärmedizin“. Bd. 1, NORA Verlags
gemeinschaft Dyck & Westerheide, 2004,
stellung“. Viele seiner Bücher, so zur S. 276; Wolfgang Böhm: „Biographisches
Ernährung von Schweinen und zur Handbuch zur Geschichte des Pflanzenbaus“.
Fruchtbarmachung von Boden, wur K.G. Saur München, 1997, S. 105–106; Gisela
den von Cohen & Risch in Hannover Stressmann: „Zur Entwicklung der Auffas
sungen über die Bedeutung des Humus für
verlegt. Zu Heidens Hospitanten bzw.
die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit in
Assistenten an der Landwirtschafts der deutschen landwirtschaftlichen Literatur
schule Bautzen gehörte 1877 Bruno des 19. Jahrhundert“. Tagungsbericht Akad.
Steglich, dem er erste Grundlagen Landwirt.Wiss. DDR, 173, Bd. 5, 1979, S.
im agrikulturchemischen und pflan 41– 45; Register der Bestattungen und Taufen,
Kirchgemeinde Hochkirch; Friedrich Nobbe:
zenphysiologischen Versuchswesen „Eduard Heiden“. Die landwirthschaftlichen
vermittelte. Heidens Pommritzer VersuchsStationen, Bd. 36, 1889, S. 74–79;
Assistent Ernst Güntz aus Malschwitz Jana Fietz: „Nordische Studenten an der
leitete später die Versuchsstation Universität Greifswald in der Zeit von 1815 bis
1933“. Beiträge zur Geschichte der Universität
Danzig. Seine Ergebnisse publizier
Greifswald, Bd. 5, Franz Steiner Verlag, 2004;
te Heiden in den „Mittheilungen Eduard Heiden: „Denkschrift zur Feier des
der Versuchsstation Pommritz“, in fünfundzwanzigjährigen Bestehens der agri
den Jahresschriften „Die landwirth culturchemischen Versuchsstation Pomm
schaftlichen VersuchsStationen“, im ritz“; Friedrich Nobbe: „Statistische Revue
über den Bestand des land und forstwirth
„Chemischen Zentralblatt“, in den schaftlichen Versuchswesens nach 25jähriger
„Jahresberichten über die Fortschritte Entwicklung“. Die landwirthschaftlichen Ver
der Chemie der Pflanze“, in „Fühling‘s suchsstationen, Schönfeld, 1877, S. 176–195;
landwirthschaftlicher Zeitung“ und Brockhaus‘ Konversationslexikon, Leipzig,
Berlin und Wien, 14. Aufl., 1894–1896; Bruno
im „Sächsischen Amtsblatt“. Zum 25
Schöne (Bearb.): „Die Sächsische Land
jährigen Jubiläum des landwirtschaft wirtschaft: ihre Entwickelung bis zum Jahre
lichen Versuchswesens in der Ober 1925, sowie Einrichtungen und Tätigkeit des
lausitz im Jahre 1882 wurde Heiden Landeskulturrats Sachsen zu Dresden“. Verlag
mit dem Ritterkreuz des Sächsischen des Landeskulturrates Sachsen, 1925, 517 S.;
Adressbücher Greifswald
AlbrechtsOrdens erster Klasse ausge
zeichnet.
137
Robert Heller: Stahlstich von Lazarus Sichling (um 1850, Stadtgeschicht-
liches Museum Leipzig). Die Universitätsbibliothek Hamburg bewahrt elf
Briefe und ein Gedicht für die Mutter auf, die Nationalbibliothek Wien
neben dem Stich von Sichling eine Lithografie von Otto Speckter und Karl
Niedorf sowie zwei Theaterstücke.
138
Heller, Wilhelm Robert
Dr. phil., Schriftsteller und Journalist in Leipzig, Frankfurt und Hamburg
24.11.1812 Großdrebnitz – 07.05.1871 Hamburg
V: August Wilhelm (*1786 in Roßwein als Sohn des Lehrers an der Mädchenschule Johann
Christoph Heller, †1.8.1838 Wilschdorf), Lehrer in Großdrebnitz und Wilschdorf bei Stolpen;
M: Johanne Christiane Friederike geb. Schmidt (* in Dresden, Tochter des Händlers Carl
Schmidt, † Februar 1856 Dresden); G: Woldemar (*24.11.1814 Großdrebnitz, †18.2.1856
Dresden, Schüler von Friedrich Wieck, Musiklehrer, Pianist und Komponist), Julius (*14.7.1816
Großdrebnitz), Minna (*17.11.1822 Großdrebnitz, verh. Fiala); E: (1) mit einer Pfarrerstochter
in Leipzig, Scheidung; (2) Ida geb. von Destinon (*17.8.1848 Grönwohld, †1892, ihr Vater Carl
von Destinon Besitzer von Gut Horst in Stolpe am See, 2. Ehe mit Paul Frey)
139
Leipzig als Notar gemeldet, er wid Blum gründete er 1842 in Leipzig den
mete sich aber bald ausschließlich der Literatenverein. Bei Innenminister
Schriftstellerei. Seit dem Studium war Eduard Gottlob von Nostitz
er mit Robert Schmieder befreundet, und Jänkendorf intervenierten sie
der die Abendzeitung ab 1843 heraus vergeblich für Erleichterungen bei der
gab. In Leipzig hatte er vermutlich mit Zensur. Gemeinsam mit Blum schloss
seinem Bruder Woldemar Heller sich Heller dem Freundeskreis um
Kontakt zu dem musikalischen Kreis Johann Peter Lyser an, von dem er
um Friedrich Wieck. In den 1830er sich jedoch später entfremdete. Der
Jahren promovierte Robert Heller 1848 bei Wien hingerichtete Blum sah
zum Dr. phil. Heller immer skeptisch – er war ihm
zu konservativ. Noch 1843 beklagte
Der eigentlich eher unpolitische sich jener bei Schmieder über die
Heller kam um 1840 in Leipzig mit „Tyrannis der Gesinnungsmenschen“
Heinrich Laube zusammen, dem und ihren Liberalismus.
er zeitlebens freundschaftlich ver
bunden blieb. So fand er Anschluss In Leipzig nahm Heller als Autor und
an die literarische Bewegung libe Herausgeber mehrerer Zeitungen,
raler Dichter des Vormärz „Junges Zeitschriften und Taschenbücher
Deutschland“. 1840 beteiligte sich führend am literarischen Leben teil.
Dr. Robert Heller an „Gutenbergs Er schrieb für die von Karl Her
Album“ von Johann Heinrich Meyer loßsohn herausgegebene Zeitschrift
aus Braunschweig zur 400JahrFeier „Der Komet“, die zu den einfluss
der Erfindung des Buchdrucks. Heller reichsten Blättern des Vormärz zählte,
verglich den Buchdruck mit der 1835 einen kritischen Beitrag über
seinerzeit aufstrebenden Eisenbahn Heinrich Heine. 1838 gründete er
und schrieb: „So hoch wir den Geist als Ergänzung zum gleichnamigen
über den Leib stellen, so hoch müssen Taschenbuch die Zeitschrift „Rosen“,
wir den deutschen Gutenberg über die bei Friedrich August Leo sechs
den Schotten Watt stellen: denn die mal wöchentlich erschien und in der
Buchdruckerkunst ist die Eisenbahn Neuigkeiten aus Literatur und Kunst
des Gedankens.“ Ab 1840 bereite besprochen wurden. Diese Zeitschrift
te er mit Robert Blum und Gustav spielte vermutlich eine wesentliche
Kühne die Gründung des Leipzi Rolle, dass sich Heller als Schriftstel
ger „SchillerVereins“ vor, die 1842 ler etablieren konnte, da er durch sie
erfolgte. Später hielt er hier mehrfach regelmäßige Einnahmen erzielte. Als
Vorträge. Mit Laube hatte Heller Herausgeber der „Rosen“ hatte er
Kontakt zu deutschen Schriftstellern, einen entscheidenden Anteil am Be
die sich zwischen 1833 und 1845 im ginn der schriftstellerischen Laufbahn
Schweizer Exil aufhielten. Mit Robert von Friedrich Gerstäcker, indem er
140
die von dessen Mutter eingereichten Heller war Mitglied der „Deutschen
Tagebuchaufzeichnungen aus Ame Gesellschaft zur Erforschung Vater
rika publizierte. 1845 übergab Heller ländischer Sprache und Altertümer
seine Zeitschrift an George Hesekiel. in Leipzig“. Schon in Leipzig rühmte
In dem von ihm 1842 gegründeten man seine exzellenten Kontakte in
Almanach „Perlen“, der von Reclam der Kulturszene. Viele seiner Kollegen
in Leipzig und später der Friedrich besuchten ihn und schlossen dabei
Korn‘schen Buchhandlung Nürnberg wiederum neue Bekanntschaften. Er
verlegt wurde, publizierte Heller vor engagierte sich 1842 für die in Leipzig
rangig eigene Novellen. Hier erschie erschienenen „Leipziger Tage und
nen auch Werke, die sich vermutlich Nächte“ des in Not geratenen Gus
auf seinen Erlebnissen in Kindheit tav Theodor Drobisch und hatte mit
und Jugend gründeten, so 1845 „Un seiner ersten Frau Kontakt zu dem
ter Bauern“ und 1847 „Die Erbtochter in jenem Jahr nach Leipzig gekom
von Lauterbach“. Heller leitete die menen Eduard Maria Oettinger.
„Perlen“ bis 1848, danach übernahm Heller galt als Lebemann, vor allem
Ludwig Bechstein. Ab 1846 gab Heller dem Essen und Trinken zugeneigt,
die „Illustrierte Jugendzeitung“ bei der sehr gerne ganze Gesellschaften
Brockhaus & Avenarius heraus. Nach geistreich unterhielt, wie sich Otto
dem er sich erfolgreich einen Namen von Corvin erinnerte. Er trennte sich
als Belletrist erworben hatte, wagte von seiner Frau, weil sie ihm untreu
Heller 1845 den Versuch, ein Stück war. Statt ihr die juristische Schuld
auf die Theaterbühne zu bringen. am Zerbrechen der Ehe zuzuweisen,
„Der letzte Wille“ erwies sich aber als was für sie erhebliche Folgen gehabt
großer Misserfolg, wobei das Pfeif hätte, verließ er sie und nahm dafür
konzert von Gegnern schon vorher vier Wochen Gefängnis in Kauf, als
verabredet worden war. Allerdings sie ihn verklagte.
gab Heller auch selbst zu, dass sein
Werk technisch nicht den Anforde Im Zusammenhang mit der Deut
rungen eines Bühnenstücks entspro schen Revolution 1848/49 folgte
chen hatte, sondern eher romanhaft Heller als Berichterstatter aus der
aufgebaut war. Paulskirche dem Abgeordneten Laube
nach Frankfurt. Er arbeitete dort in
Hellers Patriotismus trug teilweise na der Nachfolge von Georg Gottfried
tionalistische Züge. Um 1848 gehörte Gervinus bis 1850 als Redakteur bei
er in Leipzig zu den Mitbegründern der „Deutschen Zeitung“. Robert Hel
eines antislawischen Vereins, der das ler war der Autor der zunächst ano
„deutsche Element“ in Polen, Böh nym erschienenen „Brustbilder aus
men und Mähren stärken wollte, und der Paulskirche“. Dieses Werk wurde
er teilte auch antijüdische Vorurteile. vom Publikum mit großem Interesse
141
aufgenommen und stellt heute ein Album“ von Hermann Josef Landau,
bedeutendes Zeitdokument dar. Es Prag 1872). 1860 beurteilte Heller als
enthält biografische Umrisse der Mit erster Kritiker wohlwollend Johan
glieder der deutschen konstituieren nes Brahms in dessen Heimatstadt
den Nationalversammlung. Das Buch Hamburg. Bekannt geworden ist er
schließt mit den Worten: „Der große in dieser Zeit aber auch wegen sehr
einige Gott verleihe uns seinen Segen harscher Kritiken, beispielsweise an
zu einem einigen Vaterlande.“ Aus den Schauspielern Emil Devrient und
der Sicht Hellers und seiner liberalen Bogumil Dawison. 1861 wurde Heller
Gesinnungsgenossen war damit die nach einer solchen Kritik von Dawi
Einführung einer konstitutionellen son beleidigt, den er daraufhin zum
Monarchie gemeint. Mit der fehlge Duell forderte, worauf sich Dawison
schlagenen Revolution verschwanden aber nicht einließ. Diese Vorkomm
auch viele der politischliterarischen nisse belasteten das Verhältnis zu
Magazine, für die Heller so lange Karl Gutzkow zusätzlich, der ehemals
erfolgreich gearbeitet hatte. ebenfalls zum Umfeld von Heinrich
Laube gehört hatte und mit beiden
Nach einer Reise in die Schweiz und Schauspielern befreundet war. Heller
das Rhein und Moseltal sowie einer fand in Hamburg guten Kontakt zur
kurzen Zwischenstation in Berlin als Bürgerschaft, war wegen seines Esp
Kammerreferent bei der „Constitutio rits ein gern gesehener Gesellschafter
nellen ClubZeitung“ wechselte Heller und mit den niederdeutschen Dich
1851 nach Hamburg. Er arbeitete für tern und Schriftstellern Fritz Reuter
die „Hamburger Nachrichten“ und und Klaus Groth freundschaftlich
galt als der führende Literatur, Thea verbunden. Sein Anliegen, Reuter ins
ter und Musikkritiker der Stadt, sein Hochdeutsche zu übersetzen, lehnte
Urteil als „letztes Wort“. Zu Hellers der Autor 1862 jedoch ab. 1865 wurde
weniger bekannten Projekten jener Heller für seine Verdienste um die
Zeit zählt ein Almanach mit Georg „Deutsche SchillerStiftung“ mit dem
Gottfried Gervinus, Carl Welcker u. a. Ritterkreuz 1. Klasse des weimari
über „alle weisen Herrscher der Welt“ schen Falkenordens ausgezeichnet.
(1854). Heller gehörte 1855 zu den
Gründern des Hamburger Zweig Heller gehörte zu den beliebtesten
vereins der „Deutschen SchillerStif Romanschriftstellern des 19. Jahrhun
tung“. 1859 bearbeitete er ein melo derts. Seine Werke, die mehrheitlich
dramatisches Festspiel nach Ludwig während der Leipziger Jahre ent
van Beethoven, op. 114, „Die Ruinen standen sind, als die Schriftstellerei
von Athen“, für den „Philharmoni entscheidend zu seinem Lebensun
schen Verein Hamburg“ (abgedruckt terhalt beitragen musste, zeugen von
im „Ersten poetischen Beethoven einem umfangreichen historischen
142
Wissen. Sie waren angesehen wegen Amerika thematisierte. Internatio
ihres Spannungs und Erfindungs nal bekannt wurde „Der Prinz von
reichtums sowie ihrer erzählerischen Oranien“ von 1843 über Wilhelm I.
Ästhetik und erreichten Leser, die von Oranien, den die zeitgenössische
sich von Literatur gleichermaßen Un Kritik als „lebensvolles Gemälde aus
terhaltung und Bildung erwarteten. dem niederländischen Freiheitskrieg“
Vielfach erschienen sie in mehreren gegen Spanien bezeichnete. Es betraf
Bänden bzw. als Buchserie. In sei jene Zeit im 16. Jahrhundert, als
nem ersten bekannten Roman, „Der die Familie Stöckhardt Flandern
Wende“ von 1837, erzählte Heller verließ und nach Sachsen kam. Der
aus der Zeit der deutschen Ostsied Roman „Die Kaiserlichen in Sach
lung die fiktive Liebesgeschichte vom sen“ von 1845 befasste sich mit dem
Sohn eines sächsischen Markgrafen, Siebenjährigen Krieg von 1756 bis
der in der Gefangenschaft des Wen 1763. Hervorhebenswert ist, dass erst
denherzogs Boguslav in der Nähe mit Hellers gleichnamigen Roman
von Bautzen dessen Tochter kennen von 1848 das öffentliche Interesse am
lernte. Im selben Jahr erschien der Bauernführer Florian Geyer erwachte.
erste Teil einer dreibändigen Novel 1859 schrieb Heller während seiner
lensammlung. Wiederum stand eine Hamburger Zeit „Das Geheimnis
Liebesgeschichte vor einem histori der Mutter“, entstanden anlässlich
schen Hintergrund im Mittelpunkt; eines Besuchs bei Heinrich Laube,
sie handelte von einem Römer und inzwischen künstlerischer Leiter
einer Jüdin während der „Eroberung des Burgtheaters in Wien, und der
von Jerusalem“ durch Kaiser Titus. österreichischen Aristokratie gewid
„Der Schleichhändler“ von 1838 met. In „Hohe Freunde“ (1862), einer
behandelte auch Elektoralschafe. In Novelle aus dem klassischen Weimar,
Rennersdorf bei Stolpen, zwischen schilderte der Autor den positiven
Großdrebnitz und Wilschdorf gele Einfluss Goethes auf Herzog Carl Au
gen, befand sich zu jener Zeit die von gust. Auch dieses Werk beurteilte die
Johann Gottfried Nake geleitete Kritik seinerzeit sehr wohlwollend. In
sächsische Stammzuchtstelle. In „Das „Primadonna“ (1871) wurde die Zeit
schwarze Bret“ erinnerte sich Heller von Kurfürst Johann Georg III. von
an sein Studium in Leipzig und die Sachsen lebendig. Hellers Novellen
Funktion der schwarzen Bretter als und Erzählungen fanden wiederholt
Informations und Kommunikati Aufnahme in Sammelwerke beliebter
onsmittelpunkt. In den „Novellen aus Autoren.
dem Süden“ von 1841 verarbeitete
er seine Italienreise. Es folgte „Eine In Erinnerung geblieben ist auch
neue Welt“, worin der Autor das manche Eigenwilligkeit Hellers. Er
seinerzeit immer populärer werdende hatte in Hamburg in zweiter Ehe die
143
Patriziertochter Ida von Destinon stellerlexikons für Hamburg im Jahre
geheiratet. Später lebte er von ihr 1857.
getrennt in einem Hotel zusammen
mit seinem Kanarienvogel, den er wie Quellen: Tauf und Traubücher der Martinskirche
einen Freund behandelte und des Großdrebnitz; Kneschke: „Robert Heller“. Allge
sen Tod durch einen Unfall er kaum meine Deutsche Biographie, Bd. 11, S. 695–697;
Universität Innsbruck, Institut für Germanistik,
verwinden konnte. Heinrich Laube „Projekt Historischer Roman“, 1991–1997; Bruno
gab im Gedenken an Robert Heller Barthel: „Altes und Neues aus Groß und Klein
dessen „Nachgelassene Erzählun drebnitz“. Friedrich May Bischofswerda, 1907;
Richard Garbe: „Vorarbeiten für eine Dorfchronik
gen“ heraus. Hellers Aufzeichnungen von Großdrebnitz“. Unsere Heimat, Beilage zum
fanden auch Eingang in Vorarbeiten Sächsischen Erzähler, 11.4./18.4.1938; Universi
für eine Großdrebnitzer Dorfchronik, tätsbibliothek Hamburg, Schriftensammlung; J.P.
Jordan, J.E. Schmaler: „Jahrbücher für slawische
über die Richard Garbe berichtete. Literatur, Kunst, Wissenschaft“. Leipzig und
Seine sterblichen Überreste wurden Bautzen, 1848; Antje Gerlach: „Deutsche Literatur
nach 1900 auf den neuen Friedhof im Schweizer Exil“. Arnold Hückstädt: „Fritz
Reuter im Urteil der Literaturkritik seiner Zeit“.
in HamburgOhlsdorf überführt. Hinstorff, 1983; Margrit Arnscheidt: „Wandlungen
Heller fand auf dem Althamburgi in der Auffassung des deutschen Bauernkriegs“.
schen Gedächtnisfriedhof, Sammel 1976; Friedrich Hirth: „Johann Peter Lyser: Der
Dichter, Maler, Musiker“. G. Müller, 1911; Julius
grab 44 (Dichter und Schriftsteller), Elias, u. a.: „Jahresberichte für neuere deutsche
Stelle 6 die letzte Ruhe. Auf dem Literaturgeschichte“. G.J. Göschen‘sche Verlags
handlung, B. Behr‘s Verlag, 1893; Percy Ernst
nachträglich angebrachten Gedenk
Schramm: „Hamburg, Deutschland und die Welt:
stein ist wie in vielen Biografien das Leistung und Grenzen“. Callwey, 1943; Ernst
falsche Geburtsjahr 1814 vermerkt, Gotthelf Gersdorf: „Repertorium der gesammten
Deutschen Literatur“. F.A. Brockhaus, 1837; Julius
in manchen Quellen wird sogar 1813 Stettenheim: „Heitere Erinnerungen“. S. Fischer,
angegeben. Nach den Eintragungen Berlin, 1896; Max Kalbeck: „Johannes Brahms“. Bd.
im Großdrebnitzer Taufbuch trifft 2, 3. Aufl., Deutsche BrahmsGesellschaft Berlin,
1912; Berliner Revue, Bd. 16, Verlag R. Heini
aber 1812 zu, 1814 wurde sein Bruder cke, 1859; Feodor Wehl: „Zeit und Menschen“.
Woldemar Heller geboren. Damit Tagebuch 1863–1884; Alfred Meissner: „Geschichte
korrespondieren auch ein Eintrag meines Lebens“. Prochaska, 1884; „Die Inspekti
onen Großenhain, Bischofswerda und Radeberg“.
im Immatrikulationsverzeichnis der Sachsens KirchenGalerie, Bd. 7; www.geni.com;
Universität Leipzig und ein Eintrag zu Neue Berliner Musikzeitung, 19.3.1856; Dresdner
Woldemar Heller in einem Schulbuch Adressbücher; Helmut Schoenfeld, Mitteilungen
2013; Leipziger Adressbücher; Hamburger Adress
des Lehrerseminars zu Dresden bücher; stolpeamsee.de; Otto von Corvin: „Ein
Friedrichstadt, welcher für jenen das Leben voller Abenteuer“. Frankfurter Societaets
Geburtsjahr 1814 ausweist. Die Ursa Druckerei, 1924; Mittheilungen der Deutschen Ge
sellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache
che der Verwechslung von 1812 und und Alterthümer in Leipzig, 1844; Franz Brümmer:
1814 ist nicht geklärt. Die Angabe „Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten
1814 findet sich auch bei Autoren, die vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegen
wart“. Bd. 3. 6. Aufl. Leipzig, 1913; Lexikon der
in Kontakt mit Robert Heller standen, hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart.
wie die Herausgeber eines Schrift Perthes, 1857; Matrikelbücher Universität Leipzig
144
Bibliografie (Auswahl)
„Gedanken über H. Heines romantische Schule“, in: „Der Komet“, Beilage, Nr. 48,
1835
„Bruchstücke aus den Papieren eines wandernden Schneidergesellen“, 1836, Dro
bisch Leipzig
„Der Wende“, Erzählung, 1837, 226 S., Drobisch Leipzig
„Novellen“, 1837–1840, 3 Bände, u. a. „Die Eroberung von Jerusalem“, „Der Treu
lose“, „Der Bettler“, „Der Finkensteller“, Arnold Leipzig und Dresden
„Alhambra“, spanische Novellen, 1838, Altenburg, Verl. H.A. Pierer
„Der Schleichhändler“, Roman, 1838, 2 Bände, Altenburg, Verl. H.A. Pierer
„Das Schwarze Bret“, 1838, 2 Bände, S. 268+242, Altenburg, Verl. H.A. Pierer
„Eine Sommerreise“, 1840, Reclam Leipzig
„Novellen aus dem Süden“, 1841–1843, 3 Bände, Altenburg, Verl. H.A. Pierer
„Eine neue Welt“, 1843, 2 Bände, Altenburg, Verl. H.A. Pierer
„Der Prinz von Oranien“, historischer Roman, 1843, 3 Bände, S. 298+321+340,
Reichenbach Leipzig, Meyer Amsterdam 1846
„Das Erdbeben von Caracas“, Novelle, 1844
„Der Schwarze Peter“, Roman, 1844, 2 Bände
„Der letzte Wille“, Lustspiel in 5 Aufzügen, Leipzig, Tauchnitz, 1845, 56 S.
„Die Kaiserlichen in Sachsen“, historischer Roman, 1845, 2 Bände, S. 297+348,
Reichenbach Leipzig
„Der Albanese“, um 1845, 2 Bände, Reclam Leipzig, in: Wohlfeile
Unterhaltungsbibliothek für die gebildete Lesewelt
„Eine Steppenreise“, romantische Erzählung, 1846, Reclam Leipzig, in: Wohlfeile
Unterhaltungsbibliothek für die gebildete Lesewelt
„Sieben Winterabende“, Novellen und Erzählungen, 1846, 2 Bände, Wigand Leip
zig
„Schillers Mutter“, Vortrag im Schillerhaus Leipzig, 1846
„Kyselak. Eine Unsterblichkeit des 19. Jahrhunderts“, in: Sächsischer Volkskalen
der auf das Jahr 1847
„Florian Geyer“, Roman, 1848, 3 Bände, S. 398+340+376, Wigand Leipzig
„Brustbilder aus der Paulskirche“, 1849, 2 Bände, Mayer Leipzig
„Der Reichspostreiter in Ludwigsburg“, historische Novelle, 1857, Meidinger
Frankfurt/M., Band 1 von Ausgewählte Erzählungen
„Das Geheimnis der Mutter“, 1859, Meidinger Frankfurt/M., Band 2 von Ausge
wählte Erzählungen
„Hohe Freunde“, Novelle, 1862, 304 S., Thomas Leipzig, Band 3 von Ausgewählte
Erzählungen
„Posenschrapers Thilde“, historischer Roman, 1863, Thomas Leipzig
„Primadonna“, historischer Roman, 1871, 2 Bände, S. 304+284, Janke Berlin
145
Schule und Kirche Großdrebnitz nach einer Zeichnung von Johann Fried-
rich Wilhelm Wegener aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wolde-
mar Hellers Vater lehrte an der Großdrebnitzer Schule von 1811 bis 1823.
Die Taufpaten des Sohnes waren Friedrich Leberecht Fritsche (Pfarrer),
Clara Maria Jacobi (Witwe des Waldheimer (?) Stadtrichters Johann Gott-
helf Jacobi) und Traugott Chrysostomus Stäber (Kantor in Neustadt).
Lizenz: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 4.0
Quellen: Marie Wieck: „Aus dem Kreise WieckSchumann“. Zahn & Jaensch Dresden, 1914;
Cathleen Köckritz: „Friedrich Wieck: Studien zur Biographie und zur Klavierpädagogik“.
Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 44, Olms 2007; Robert Schumann, Erich
Valentin: Zeitschrift für Musik, G. Bosse, 1840, 1853; Louis Kindscher: Niederrheinische Musik
Zeitung für Kunstfreunde und Künstler, 1855, 1856; Rheinische MusikZeitung für Kunstfreun
de und Künstler, 1855; Allgemeine Schulzeitung, Diehl 1836; Neue Berliner Musikzeitung, 19.
März 1856; Kirchenarchiv Großdrebnitz; Didaskalia: Blätter für Geist, Gemüth und Publizität,
Bd. 16, 1856; Allgemeine musikalische Zeitung, Bd. 42, 1840; Neue Zeitschrift für Musik, Bd.
10–11, 1839; Adressbücher der Stadt Dresden; Karl Otto Meyer: „Entwickelung einiger ellip
tischen Funktionen“. Blochmann 1847; Friedrich Wieck: „Klavier und Gesang: Didaktisches
und Polemisches“. Alamire 1853; Ute Bär: „Eine Pianistin im Schatten Clara Schumanns?“ Die
Tonkunst, 2007, Nr. 1, S. 52–54; Christian Traugott Otto: „Die Schule und das SchullehrerSe
minar zu DresdenFriedrichstadt 1785–1835“. Adolf Kohut: „Friedrich Wieck: ein Lebens und
Künstlerbild“. C. Piersson, 1888
146
Heller, Woldemar
Musiklehrer, Pianist und Komponist
24.11.1814 Großdrebnitz – 18.02.1856 Dresden
V: August Wilhelm (*1786 in Roßwein als Sohn des Lehrers an der Mädchenschule Johann
Christoph Heller, †1838 Wilschdorf), 1808 Absolvent des Lehrerseminars in DresdenFried
richstadt, Lehrer in Großdrebnitz und Wilschdorf; M: Johanne Christiane Friederike geb.
Schmidt (* in Dresden, Tochter des Händlers Carl Schmidt, † Februar 1856 Dresden); G: Robert
(*24.11.1812 Großdrebnitz, †7.5.1871 Hamburg, Dr., Schriftsteller und Journalist in Leipzig,
Frankfurt/M. und Hamburg), Julius (*14.7.1816 Großdrebnitz), Minna (*17.11.1822 Großdreb
nitz, verh. Fiala)
Die Familie Heller war bis 1823 jedoch nicht ohne Talent sein und
in Großdrebnitz ansässig und zog schon ziemlich viel Geschick in Be
danach in das nahe Wilschdorf. handlung und Ausführung des Stoffs
Woldemar Heller absolvierte von zeigen“, und die Zeitschrift für Musik
1832 bis 1836 das Lehrerseminar in unter dem Chefredakteur Robert
DresdenFriedrichstadt unter Christi Schumann lobte in Hellers Kompo
an Traugott Otto. Der spätere Hofor sitionen „gesunde Natürlichkeit und
ganist und Johannes PacheLehrer freundlichen Sinn“. Zwischenzeitlich
Theodor Berthold gehörte zu seinen war Heller vermutlich Lehrer am
Mitschülern. Ein von Heller kompo Großherzoglichen FräuleinInstitut
nierter Wechselgesang wurde von den der Amalie Jung in Mannheim.
Schülern anlässlich der Abgangsfeier
vorgetragen. In Leipzig nahm Hel Seit seinem Zuzug um 1840 gehörte
ler danach Unterricht bei Friedrich Heller zu den führenden Klavierleh
Wieck. Der führte ein Leihinstitut für rern Dresdens. Er unterrichtete von
Musikalien und Pianofortes und lehr 1841 bis 1848 als freier Mitarbeiter
te Klavierspiel. Seine Tochter Clara an der Schule von Karl Justus Bloch
war Wiecks berühmteste Schülerin. mann, wo der Maler Ernst Ferdinand
Woldemars Bruder Robert Heller Oehme zu seinen Kollegen gehörte,
begann seinerzeit in Leipzig eine sowie als Privatlehrer unter anderem
Karriere als Schriftsteller. Woldemar von Marie Wieck, einer Halbschwes
Hellers frühe Kompositionen wur ter der berühmten Clara WieckSchu
den im Winterhalbjahr 1839/1840 in mann, die ebenfalls Pianistin wurde.
Leipzig im Musikverein Euterpe auf 1843 debütierte Marie bei einem Kon
geführt. Die Allgemeine musikalische zert von Clara in Dresden, 1844 gab
Zeitung schrieb darüber: „der Kom sie ihr Solodebüt in Bischofswerda.
ponist der Ouverture ist uns gänzlich Auch Bernhard Rollfuß, später Besit
unbekannt, seine Komposizion soll zer einer Dresdner Musikschule, und
147
ten, besonderen Unterricht bei Wieck
gehabt. Zu nennen wären: Woldemar
Heller, einer der ersten Klavierleh
rer Dresdens...“ Ebenfalls zu diesem
Kreis gehörten der Oderwitzer Gustav
Merkel (Organist der Dresdner
Hofkirche), Isidor Seiss (Professor am
Konservatorium Köln), Hans von Bü
low (Hofkapellmeister in München),
der Musikdirektor Friedrich Reichel,
der Friedrich SchneiderSchüler Fritz
Spindler und Karl Riccius (Chordi
Das Friedrich-Wieck-Haus in rektor vom Hoftheater).
Loschwitz war nach dem Zuzug der
Familie Wieck ab 1840 ein Zentrum Ab 1853 veröffentlichte Heller einige
des gesellschaftlichen Lebens in Kompositionen bei renommierten
Dresden. Auch Woldemar Heller ge- Musikverlagen. Die Zeitschrift für
hörte zu den regelmäßigen Gästen. Musik schrieb 1853 über „Deux
Nocturnes pour Piano“: „Die beiden
die Gesangspädagogin Emma Seiler Nocturno‘s sind ansprechende Salon
Diruf gehörten zu Hellers Schülern. stücke, die für die tüchtige Technik
Woldemar Heller stand seinem Lehrer des Componisten sprechen, der mit
Friedrich Wieck sehr nahe und zählte diesem ersten Werke in anständiger
in Dresden zu dessen Freundeskreis. Weise vor die Öffentlichkeit tritt und
Aktuelle und ehemalige Schüler für weitere derartige Arbeiten zu er
kamen im Hause Wieck zusammen, freulichen Hoffnungen berechtigt.“
um Musik zu hören und darüber zu 1855 erschienen bei Breitkopf & Här
diskutieren. Marie Wieck erinnerte tel in Leipzig „Walzer, quasi Mazurka,
sich: „Da wir jedoch zu Hause ein für Pianoforte“ (op. 4), „Tarantelle
echtes Kunstleben führten, war ein in AMoll“ (op. 5), „Jagdszene, ein
fortwährendes Reisen nicht nach Clavierstück“ (op. 6) und „Tarantelle
meinem Sinn. Schüler gingen ein in DMoll“ (op. 7). In der Rheini
und aus. Abends saß gewöhnlich in schen MusikZeitung hieß es dazu:
jeder Ecke irgendein spitzbübischer „Diese Compositionen sind sämmt
junger Mann, der die Urteile und lich hübsch, klar, mitunter sogar ganz
Belehrungen von Wiecks Munde originell und zeichnen sich vor so
ablas. Wieck ließ vorspielen, machte vielen neuen Erscheinungen auch
dabei Bemerkungen über Anschlag durch ihre leicht in die Finger fal
und Ausdruck... Natürlich hatten lende Schreibart sehr vorteilhaft aus.
diejenigen, die sich später hervorta Wir dürfen dieselben allen Pianisten
148
als recht dankbar empfehlen.“ Hellers
Lehrer Friedrich Wieck hatte zu
nächst nach dem System von Johann
Bernhard Logier unterrichtet, das er
jedoch schließlich mit einer eigenen
Methode ersetzte. Sie bestand in einer
natürlichen Haltung der Hand, in der
Ausbildung des Handgelenks und in
von Wieck erfundenen, sehr einfa
chen Fingerübungen sowie einer nach
und nach sich an Kraft steigernden
Fingergelenkigkeit. Wieck schrieb
dazu: „Auch der erfahrenste Künst
ler bleibt immer ein Schüler und das
Lehren der Kunst insbesondere ist ein Louis Kindscher, Niederrheinische
tägliches Lernen.“ Seine Grundsätze Musik-Zeitung für Kunstfreunde
gab er an seine Schüler weiter. Neben und Künstler, 29.3.1856, S. 103–104,
seinen beiden Töchtern Clara und zu op. 7, „Tarantelle in D-Moll“:
Marie hob er Woldemar Heller und „dass es noth thut, mit der Ein-
Ernst Ferdinand Wenzel hervor, die fachheit und gesunden Natur der
seine Lehren mit Leben erfüllten. Mit Outrirt- und Blasirtheit, der allge-
Heller plante er das Buch „Kleine, meinen Unnatur und dem grossen
rhythmisch abgeschlossene Übungen“. Nichts der modernen Salon-Roman-
Es sollte den Lesern „einen guten, tik entweder den Rücken zuzukeh-
technischen Anschlag, ohne Noten ren oder – wie der oben erwähnte
gebrauch“ lehren. Vermutlich ist es zu D-Moll-Accord – kühn und trotzig
diesem Buch wegen des frühen Todes die Spitze zu bieten.“ (s. Abb.) Zu
Hellers nicht mehr gekommen. op. 4 hieß es: „Die Melodien sind im
Ganzen ansprechend und zugleich
Heller wohnte bis 1856 mit seiner in ihrer Verbindung wohl geordnet,
Mutter, die kurz vor ihm starb, in so dass dadurch das Interesse immer
der Dresdner Amalienstraße 2. Die rege erhalten wird.“, und zu op. 5:
Berliner Musikzeitung erinnerte an „Die Melodie hat eigenthümlichen
ihn: „Ein talentvoller Tonkünstler Reiz durch unerwartete pikante
und Komponist hübscher Salonstü Wendungen, die aber doch zugleich
cke.“ Die Didaskalia: Blätter für Geist, so im Fluss, so natürlich erscheinen,
Gemüth und Publizität in Frankfurt/ dass man fast vermuthen möchte,
Main lobten an Hellers Kompositio der Componist habe sie wirklich auf
nen die „Frische ihrer Melodie und italischem Boden abgelauscht.“
Vornehmheit des Styles“.
149
Walther Hempel: Ein weiteres Porträt, von Carl Bantzer gemalt, befindet
sich in der Gemäldegalerie Neue Meister Dresden.
150
Hempel, Walther Matthias
Professor, Chemiker, Rektor der Technischen Hochschule Dresden
05.05.1851 Pulsnitz – 01.12.1916 Dresden
V: Eduard (1810, †4.12.1872 Dresden), Kaufmann; M: Marie Wilhelmine geb. Jauch (1826–1888),
Dresdner Kaufmannstochter aus einer Pulsnitzer Bandhändlerfamilie; G: Georg Eduard (*17.4.1847
Pulsnitz, †11.10.1904 Ohorn, Stadtverordnetenvorsteher in Pulsnitz, Landtags und Reichstagsabge
ordneter der Deutschkonservativen Partei, bedeutender Kakteensammler, Vizepräsident der Handels
kammer Zittau), Johannes Wilhelm (1849–1865), Carl Constantin (1853–1911); E: 1883 Louisa Delia
geb. Monks (*5.11.1848 Boston, †9.12.1939), Tochter eines irischstämmigen Geschäftsmanns und
der Malerin Delia Smith Hatton (zuletzt in Dresden), Schwester von George Howard Monks (1883
Erfinder von Halma, Medizinprofessor in Harvard) und des Malers Robert Hatton Monks (beide
in den 1880er Jahren in Europa, darunter in Dresden bzw. Paris); K: Robert (1883–1959), Eberhard
(*30.7.1886 Dresden, †16.9.1967 Dresden, Kunsthistoriker, Professor in Graz und Dresden), Elisabeth
Susanne (1888–1969, Übersetzerin), Georg Arthur (1893–1914)
151
tent arbeitete und 1874 der Naturwis spätere Ehefrau kennen lernte. Auch
senschaftlichen Gesellschaft ISIS und dank Hempel genoss die Chemie an
1875 der Gesellschaft für Natur und der 1890 zur Hochschule erhobenen
Heilkunde beitrat. Ab 1876 arbeitete TH Dresden einen ausgezeichneten
er als Assistent von Rudolf Schmitt Ruf. Als Schmitt 1891 die Wahl zum
am Polytechnikum. Zwei Jahre später Rektor nicht annahm, übernahm
habilitierte Hempel sich mit einer Hempel dieses Amt. 1892 und 1902
Arbeit „Über technische Gasanaly wurde er für zwei weitere Amtsperi
se“. Schon hier wurde deutlich, dass oden gewählt. Unter seiner Leitung
er die wissenschaftlichen Untersu erfuhr die chemische Ausbildung eine
chungen eng am praktischen Bedarf große Aufwertung, indem einzel
ausrichtete. In der rasch wachsenden ne Teilbereiche eigene Professuren
chemischen Industrie seiner Zeit erhielten. Fritz Foerster war sein
wurden große Mengen Gase erzeugt bekanntester Schüler. Hempel gilt
bzw. verbraucht, ohne dass geeignete heute als ein Pionier der technischen
Analysemöglichkeiten zur Verfügung Gasanalyse. Er hat die Grundlagen
standen. Mit konstruktivem Geschick technischchemischer Prozesse aufge
und ausgezeichneten Fertigkeiten im klärt. Die von Hempel gelebte Einheit
Glasblasen ausgestattet, entwickelte von Wissenschaft und Praxis vermit
Hempel eine Gasbürette und eine telte er auch an seine Studenten, mit
Gaspipette, mit deren Hilfe Gasgemi denen er regelmäßig Exkursionen in
sche schnell, einfach und sehr präzise Industriebetriebe unternahm. Bei der
analysiert werden konnten. Diese Chemischen Fabrik v. Heyden gehörte
Technologie begründete Hempels er dem Aufsichtsrat an. Hempel
weltweiten Ruf und wurde von ihm bereitete das chemische Wissen für
in den Folgejahren kontinuierlich Probleme des Alltags auf. So arbeitete
weiterentwickelt. 1879 erhielt er in er schon damals an der Erhöhung
der Nachfolge von Wilhelm Stein die der Energieeffizienz von Heizungen
Berufung zum außerordentlichen und und an der Verminderung der dabei
1880 zum ordentlichen Professor für entstehenden Rauchbelastung. Zu
„Technische Chemie“ am Polytech dem untersuchte er Nahrungsmittel.
nikum. Der damalige Rektor, Gustav In seinem Laboratorium erforschten
Anton Zeuner, erfüllte zudem seine Julius Lehmann und Walther Hes
Forderung nach einer Trennung se die Haltbarmachung von Milch.
von organischer und anorganischer Hempel nutzte die Ergebnisse, um auf
Chemie und berief ihn zum Leiter dem Familienbesitz in Ohorn keim
des „Laboratoriums für Anorganische freie „Ohornmilch“ zu produzieren.
und Analytische Chemie“. Hempel Auch nach seiner Pensionierung im
unternahm erste Reisen nach England Jahre 1912 hielt er noch Vorlesungen
und die USA, wo er in Boston seine über „Metallurgie“ und über „che
152
Die Besitzer des Rittergutes Ohorn waren einstmals die „Herren von Puls-
nitz“. 1828 kaufte Walthers Großvater Friedrich August Hempel sen. das
Anwesen. Anschließend befand es sich im Besitz von Walthers Onkel Guido
und von 1895 bis 1904 im Besitz seines Bruders Georg. Von 1939 bis 1945
war Walther Hempels Sohn Eberhard der Besitzer. Jener erlebte hier den
Bombenangriff auf Dresden. Sein Institut an der TH Dresden und das vom
Vater geerbte Haus Altenzeller Straße 44 wurden in dieser Nacht zerstört.
mische Großindustrie“. 1913 unter Karlsruhe und Leipzig ernannten ihn
nahm er mit seinem Sohn Eberhard zum Ehrendoktor und er trug den
Hempel eine Reise zum Stromboli, Titel „Geheimer Hofrat“. In Dresden,
um die Geologie und vulkanische Leverkusen und Pulsnitz sind Straßen
Gase zu untersuchen. Während des nach Hempel benannt.
Ersten Weltkriegs vertrat Hempel
Quellen: F. Foerster: „Walther Hempel †“. Zt. für
zum Militärdienst einberufene Kol Angewandte Chemie, Nr. 1, 1917, S. 1–12; Johannes
legen. Zuletzt widmete er sich der Deichmüller: Sitzungsberichte und Abhandlungen
Isis, 1917; Walther Fischer: „Hempel, Walther Mat
Luftschifffahrt. Für seine Verdienste thias“. Neue Deutsche Biographie, 1969, S. 513–514;
wurde Hempel vielfach geehrt. Die „Walther Hempel, Geheimer Rat und Professor in
Leopoldina berief ihn 1888 zum Dresden, zum Gedächtnis“. Zahn & Jaensch, Dres
den, 1916; Heiner Hegewald: „Zur Entwicklung der
Mitglied und er war Mitglied der Technischen Chemie im 19. Jahrhundert unter be
Königlich Sächsischen Gesellschaft sonderer Berücksichtigung der Chemikerausbildung
der Wissenschaften und ab 1912 an der Technischen Hochschule Dresden und ihren
Vorgängereinrichtungen“. Dissertation, Halle, 2005;
Vizepräsident der Deutschen Chemi ohorn.info; ma.findacase.com; americanancestors.
schen Gesellschaft. Die Universitäten org; wiki.olgdw.de; pulsnitz.de; Portal biorab
153
Paul Hermann als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung
(1848, Foto von Hermann Biow).
154
Hermann, Paul
Dr. jur., Rittergutsbesitzer, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung
17.04.1809 Dresden – 17.08.1862 Weidlitz
155
Vom 18. Mai bis 22. September 1848
vertrat Hermann den Wahlkreis
Bautzen in der Frankfurter National
versammlung. Er gehörte der einfluss
reichen, nationalliberalen Fraktion
„Casino“ vom rechten Zentrum an,
die sich für eine konstitutionelle
Monarchie einsetzte, eine Einheit
Deutschlands mit föderalen Befugnis
sen befürwortete und gegen „Anar
Das Rittergut Weidlitz befand sich chie“ auftrat.
von 1816 bis 1945 im Besitz der
Familie Hermann. Der bekannteste Um die verfügbaren Fördermittel ef
Vorbesitzer war ab 1746 Kabinetts- fektiv einzusetzen, wurden in Sachsen
minister Heinrich von Brühl. 1749 neue Organisationsstrukturen in der
verkaufte er Weidlitz an den Kur- Landwirtschaft benötigt. Ansprech
fürstlich Sächsischen Hof- und Justi- partner der Regierung war ab 1850
zienkanzlei-Sekretär Friedrich Phi- der neu gegründete Landeskulturrat.
lipp Lingke (*1713 Dresden), einen Das Gründungsmitglied Hermann
Urgroßvater von Paul Hermann. hatte hier bis 1856 den stellvertreten
Nach Lingkes Tod 1783 blieben den Vorsitz unter Wilhelm Crusius
Weidlitz und Pannewitz im Besitz von der Leipziger Oekonomischen
seiner Kinder. Als letztes starb am Societät inne. Zuständiger Regie
20.5.1816 seine Tochter Christiane rungskommissar war Theodor Reun
Friederike (*16.8.1741 Dresden), ing, vortragender Rat im Innenminis
verheiratet mit dem Kurfürstlich terium. Als ordentliches Mitglied und
Sächsischen Kammerassistenzrat zuständig für Wissenschaft gehörte
und Obersalzinspektor Johann Za- auch Julius Adolph Stöckhardt dem
charias Hermann (†1802), die ihre Landeskulturrat an.
Besitzungen ihrem Sohn vererbte,
dem Vater von Paul Hermann. Im Um Wissenschaft und Praxis enger zu
Zusammenhang mit der Schlacht verzahnen, wurden landwirtschaft
von Bautzen 1813 kam es in Weid- liche Versuchsstationen gegründet.
litz zu erheblichen Verwüstungen. Sachsen spielte dabei eine führende
Rolle. Die 1852 in LeipzigMöckern
verein Bautzen und den Zweigverein unter Mitwirkung des Landeskultur
„Am Schwarzwasser“. Ab 1849 stand rates gegründete Versuchsstation war
Hermann dem Oberlausitzer Kreis deutschlandweit die erste Einrichtung
verein vor, sein Stellvertreter war ihrer Art. Nach den Erkenntnis
Ernst Theodor Stöckhardt. sen von Justus von Liebig stand die
156
Agrikulturchemie im Mittelpunkt. des „Aktienvereins zur Veredlung der
Hermann beteiligte sich im Landes Viehzucht“ an. Der auf sechs Jahre
kulturrat an der Koordinierung der befristete Vertrag mit der Versuchs
regionalen Landwirtschaftsvereine station Weidlitz sollte um weitere
und organisierte über die Kreisverei sechs Jahre verlängert werden, als
ne den Wissenstransfer in die land Hermann 1862 starb. Er wurde in der
wirtschaftliche Produktion. König Familiengrabstätte auf dem Friedens
Friedrich August II. verlieh ihm am berg nahe der Verbindungsstraße von
7. Juni 1852 für Verdienste um die Weidlitz nach Pannewitz beigesetzt.
Landwirtschaft das Ritterkreuz des
Albrechtsordens. Im Herrenhaus Weidlitz befand sich
eine größere Zahl wertvoller Gemäl
Dem sächsischen Landtag gehörte de, darunter Porträts von Hermanns
Hermann, seit 1842 Stellvertreter, ab Urgroßvater Friedrich Philipp Lingke,
1853 an. Einer seiner Abgeordneten seiner Großmutter Christiane Frie
kollegen war Eduard Gottlob von derike Hermann und seinem Vater
Nostitz und Jänkendorf. Friedrich Wilhelm Hermann. Die
Bilder kamen nach 1945 in den Besitz
1854 schlug Theodor Reuning dem der Staatlichen Kunstsammlungen
hiesigen Kreisverein vor, auch in der Dresden und des Museums Bautzen
Oberlausitz eine landwirtschaftliche und wurden 2010 restituiert.
Versuchsstation einzurichten. Nach
dem das Innenministerium Bautzen Quellen: Gustav Adolf Poenicke: „Album
der Rittergüter und Schlösser im Königreiche
als Standort abgelehnt hatte, stellte
Sachsen“. 1859; Robert Heller: „Brustbilder
Hermann 1857 sein Rittergut Weidlitz aus der Paulskirche“. Mayer Leipzig, 1849;
zur Verfügung. Als wissenschaftli www.zhsf.unikoeln.de; Heinrich Gerd Dade:
cher Leiter wurde Julius Lehmann „Die deutsche Landwirtschaft unter Kaiser
gewonnen. Hermann stand dem Ku Wilhelm II.“ Bd. 2, C. Marhold, 1913; Die
Landwirtschaftlichen VersuchsStationen,
ratorium vor. Mit dem Ziel, Landwirt Schönfeld, 1859; Annalen der Landwirtschaft
schaft und Naturwissenschaften zu in den Königlich Preußischen Staaten, Bd.
verbinden, gründeten die Weidlitzer 33–34, Wiegandt u. Hempel, 1859; Dresdner
Hermann und Lehmann zusammen AdreßKalender, 1837; Schöne: „Die Sächsi
sche Landwirtschaft“. 1925; Mittheilungen des
mit Wissenschaftlern aus Möckern,
Statistischen Vereins für das Königreich Sach
Tharandt und Chemnitz, darunter sen, 1833; Cornelius Gurlitt: „Weidlitz“. Be
Ernst Theodor Stöckhardt, 1858 schreibende Darstellung der älteren Bau und
die renommierte Zeitschrift „Die Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, Bd.
Landwirtschaftlichen Versuchs 32, 1908; Heinz Kurz: „Roscher, Wilhelm Ge
org Friedrich“. In: Neue Deutsche Biographie,
Stationen“. Bis 1860 gehörte Hermann Bd. 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, S.
mit Theodor Reuning und Julius 39–41; Georg Müller: „Paul Hermann“. In:
Adolph Stöckhardt dem Direktorium Sächsische Lebensbilder, Bd. 1, 1930
157
Friedrich Hesse: Erstes deutsches Zahnärztliches Institut vor 125 Jahren in
Leipzig begründet. Pressemitteilung der Universität Leipzig, 22.04.2009,
erschienen beim Informationsdienst Wissenschaft, http://idw-online.de
158
Hesse, Friedrich Ludwig (Louis)
Professor, Zahnmediziner in Leipzig
07.12.1849 Bischofswerda – 22.10.1906 Leipzig
Hesses Vater praktizierte fast drei Friedrich Hesse besuchte zunächst die
Jahrzehnte als Arzt in Bischofswerda. Stadtschule Bischofswerda, wurde zu
Ab 1859 betrieb er am Stadtrand ein hause unterrichtet und wechselte mit
Heim, in dem schwächliche Kinder 13 Jahren auf die Kreuzschule Dres
Gesundheitsbetreuung und Schul den. 1868 begann er – wie schon seine
unterricht erhielten. Das Ehepaar Brüder Richard und Walther zuvor –
Hesse hatte auch viele eigene Kinder. ein Medizinstudium an der Universi
Zusammen mit seiner Frau, einer tät Leipzig. Er unterbrach es, um 1870
Tochter aus der bekannten Tuchma als EinjährigFreiwilliger während
cherdynastie Großmann, legte der Va des DeutschFranzösischen Krie
ter großen Wert auf eine gründliche ges in die Armee einzutreten. Nach
Schulausbildung – mit bemerkens dem Krieg setzte Hesse bei Christian
wertem Erfolg. Vier Söhne wurden Wilhelm Braune das Studium fort
Mediziner, drei Töchter erhielten eine und erhielt nach seiner Approbation
Lehrerinnenausbildung am Freimau 1873 bei Wilhelm His eine Anstel
rerinstitut für Töchter in Dresden. lung als Assistent am Anatomischen
Es war von der Loge zum „Goldenen Institut. 1874 promovierte Hesse bei
Apfel“ gegründet worden. Vater Hesse Professor His mit Untersuchungen
war ab 1857 Mitglied der Dresdner „Ueber die Muskeln der menschlichen
Loge „Zu den drei Schwertern und Zunge“. 1875 wurde er zum Prosek
Asträa zu grünenden Raute“. tor ernannt. Hesse erhoffte sich von
159
der anatomischen Ausbildung, breit einen zweijährigen Studienurlaub
anwendbares Grundlagenwissen zu am New Yorker Dental College, wo
erwerben, v. a. im Hinblick auf eine er 1881 das Examen ablegte. Um
angestrebte Chirurgenlaufbahn. den Aufenthalt zu finanzieren und
Neben Braune und His gehörte auch Mittel für seine berufliche Zukunft zu
der berühmte Physiologe Carl Ludwig erwerben, betrieb er im Hause seines
zu seinen Förderern. Mit ihm führte Bruders eine Zahnarztpraxis. Die
er u. a. Experimente zur Mechanik Kombination von in Leipzig erworbe
der Herzbewegung durch. In einem nen naturwissenschaftlichen Grund
Brief an den Bruder Walther Hesse lagen und Ausbildung an neuesten
schrieb Ludwig später, dass Friedrich technischen Einrichtungen und Ma
Hesse unzweifelhaft die Befähigung terialien in den USA sollte sich später
zu einem Professor der Anatomie als entscheidende Voraussetzung für
habe, er ihn aber trotzdem unter seine Karriere als Zahnmediziner
stützt, diese Laufbahn zugunsten der erweisen. Hesse eröffnete im Februar
eines Zahnarztes aufzugeben. Das 1882 eine erfolgreiche Zahnarztpraxis
Jahr 1877 markierte den Höhepunkt in Leipzig. Bei Dr. Klare bestand er im
der anatomischen Laufbahn Hesses. selben Jahr die deutsche zahnärztliche
Er habilitierte sich zum Privatdozen Prüfung.
ten und unternahm eine Studienreise
nach Paris zu LouisAntoin Ranvier, Im Mai des Jahres 1883 heiratete
bei dem er ein Vierteljahr am College Hesse Agnes Thiersch. Sein Schwie
de France arbeitete, und nach Straß gervater war der bekannte Leipziger
burg zu Heinrich Wilhelm Waldeyer. Chirurg Carl Thiersch (seit 1876
1879 erhielt Hesse eine Studienreise Universitätsrektor), dessen Vater
in die USA. Mit Hilfe seines Bruders wiederum, Friedrich Thiersch, ein
Richard, Arzt in Brooklyn, knüpfte er bekannter Philologe. Die Schwie
Kontakte zu amerikanischen Zahn germutter, Johanna Thiersch, war
medizinern. Besonders beeindruckte die zweitälteste Tochter des Justus
ihn das seinerzeit unvergleichlich von Liebig, eines der bedeutendsten
reichhaltig ausgestattete Medical deutschen Chemiker überhaupt.
Department der Pennsylvanischen Zu Hesses Schwägern gehörten der
Universität. Er beschloss, sich der protestantische Theologe und Kir
Zahnheilkunde zuzuwenden. In chenhistoriker Adolf von Harnack
Abstimmung mit His und Ludwig und der Historiker und Politiker Hans
entwickelte er Pläne für einen wis Delbrück. Carl Thiersch zählte neben
senschaftlichen Zahnheilkundeun Braune, His und Ludwig zu den
terricht in Deutschland. 1880/1881 wichtigsten Befürwortern der Ein
nahm Hesse mit Förderung durch die richtung einer Lehrstätte für Zahn
Albrechtstiftung unter Carl Thiersch ärzte in Leipzig. Im Jahre 1883 erhielt
160
Hesse den Auftrag des Königlichen Zahnuntersuchungen für Volksschü
Ministeriums zur Konzeption von ler eingeführt. Dieses soziale Engage
Status und Etat eines Zahnärztlichen ment führte zu Auseinandersetzun
Instituts an der Universität Leipzig. gen mit den Krankenkassen um die
Es sollte sich – nach amerikanischem Übernahme der Kosten und belastete
Vorbild – finanziell teilweise selbst die Wirtschaftlichkeit seiner Zahn
tragen. Am 16. Oktober 1884 wurde klinik. Hesse legte den Schwerpunkt
es in Leipzig, Goethestraße 5, als ers auf Ausbildung (universitäre Anbin
tes derartiges Institut in Deutschland dung) sowie auf praktische Tätigkeit.
eröffnet. Die Gründung war auch Für eigene wissenschaftliche Arbeit
dank Pfarrer Friedrich Adolph Huth blieb wenig Raum. Er vertrat das
möglich geworden, der dafür in sei (damals bereits unübliche) Prin
nem Testament 15000 Mark gestiftet zip eines einheitlichen Unterrichts,
hatte. Hesse, seit dem 28. April 1884 wonach der gesamte Unterricht der
außerordentlicher Professor, wurde Person des Direktors unterstand. 1898
zum Leiter des Instituts berufen. Das erfolgte die vollständige Übernahme
Institut hatte anfänglich nur 7 Stu durch die Universität. Hesse wurde
denten. Es erhielt zwar Fördermittel, als erster Lehrstuhlinhaber berufen.
befand sich aber nicht in direkter Steigende Studentenzahlen und die
staatlicher Trägerschaft. Zu seinen Notwendigkeit wissenschaftlicher
Patienten zählten vorwiegend Arbei Fundierung, aber auch zu geringe
ter und Gewerbetreibende, die durch Eigenfinanzierung hatten diesen
Studierende für geringes Entgelt bzw. Schritt erforderlich gemacht. Hesse
kostenfrei behandelt wurden. Trotz war von 1890 bis 1906 Vorsitzender
vieler Probleme im Vorfeld war Hesse des „Zahnärztlichen Vereins für das
Leipzig treu geblieben, obwohl ihm Königreich Sachsen“, von 1891 bis
inzwischen ein ehrenvolles Angebot 1900 erster Vorsitzender des „Zen
als Gründungsdirektor eines Berliner tralvereins Deutscher Zahnärzte“ und
Zahnärztlichen Instituts vorgelegen Mitglied des Exekutivkomitees der
hatte. Hesse orientierte auf Zahner „Féderation Dentaire Internationale“.
haltung und Kariesprophylaxe anstel Die Konkurrenzsituation zwischen
le einer reinen Extraktionstherapie. verschiedenen die Zähne behandeln
Erstmals in Deutschland erhielten ab den Berufsgruppen führte zu hefti
1886 Mitglieder einer Ortskranken gen Standesauseinandersetzungen,
kasse konservierende Behandlungen. in denen sich Hesse besonders aktiv
Hesse bemühte sich sachsenweit um engagierte. Jahrelang vergebliche,
die Kariesprophylaxe an Schulen und leidenschaftliche Bemühungen um
den Schutz der Patienten vor über die Gleichstellung der Zahnheilkunde
höhten Honorarforderungen. Schon mit der übrigen Medizin sowie ein
1891 wurden in Chemnitz kostenlose Gerichtsstreit mit „Spezialärzten für
161
Zahn und Mundkrankheiten“ ohne tituts in der Tradition seines Onkels
zahnärztliche Approbation zehrten an und konnte 1921 die Anerkennung
seiner Gesundheit. Die universitären als Universitätsinstitut erreichen.
und staatlichen Stellen gewährten Seit 1994 erinnert ein zweijährliches
ihm dabei nur wenig Unterstützung. wissenschaftliches FriedrichHesse
Hesse wurde depressiv und gab seine Symposium für Studenten und junge
Privatpraxis auf. Am 22. Oktober Wissenschaftler an der Poliklinik für
1906 wählte er den Freitod. Konservierende Zahnheilkunde der
Universität Leipzig an seine bedeu
Hesse erwarb sich große Verdienste tenden Leistungen. Aus Anlass des
um eine optimale theoretische und 125. Jahrestages der Gründung der
praktische Ausbildung und um die UniversitätsZahnklinik wurde im
zahnärztliche Versorgung der Be Jahre 2009 beschlossen, das „Zent
völkerung. 1906 hatte das Leipziger rum für Orale Medizin“ nach Fried
Institut bereits 44 Studierende. Zu rich Louis Hesse zu benennen. Die
Lebzeiten wurde er mit Ehrenmit Arbeiten der Autoren zu den Brüdern
gliedschaften des Zentralvereins Hesse im Biographischen Lexikon der
Deutscher Zahnärzte, der Leipziger Oberlausitz seit 2007, zu Walther
Zahnärztlichen Gesellschaft, des Ver Hesse auch in der Wikipedia und im
eins für Mitteldeutschland und des Stadtwiki Dresden, wurden seither
Vereins Österreichischer Zahnärzte viele 1000 Mal gelesen und haben so
gewürdigt. Nach seinem Tod setzte die Erinnerung an die vergessenen
die Verwirklichung seiner Ziele ein: Söhne Bischofswerdas geweckt. Im
1909 erfolgte die Einführung einer Jahre 2012 widmete ihnen der lokale
neuen Prüfungsordnung mit dem Geschichtsverein an ihrem ehemali
Abitur als Vorbedingung für die Auf gen Wohnhaus eine Erinnerungstafel.
nahme des Zahnheilkundestudiums,
1910 die Einrichtung eines großzü Hesses Geburtshaus in Bischofswer-
gigen Zahnärztlichen Instituts in der da (2. v. l. , Abb. rechts) mit Gondel-
Nürnberger Straße und 1919 erhiel teich und Fronfeste.
ten die Zahnmediziner ein eigenes Quellen: Hannelore Schwann: „Friedrich Louis
Promotionsrecht. Das Vermächtnis Hesse (1849–1906)“. J. A. Barth, Leipzig, 1984; Klaus
Hesses wurde in Leipzig von Theo Kroszewsky: „Friedrich Louis Hesse: zum 100. To
destag am 22. Oktober 2006“. In: Jubiläen, Leipzig,
dor Dependorf und Wilhelm Pfaff 2006, S. 143–148; Paul Schwarze: „Ein Gedenkblatt
fortgeschrieben. Drei seiner Söhne für Friedrich Louis Hesse“. Deutsche Monatsschrift
für Zahnheilkunde, H. 12, 1906, S. 695–700; Marie
schlugen eine medizinische Laufbahn Agnes Möbius (Kleinröhrsdorf, Enkelin von Hesse)
ein, einer davon als Zahnarzt. In Jena und Dr. Dieter Möbius, Mitteilungen; Universität
wirkte Gustav Hesse, ein Sohn von Leipzig, Pressemitteilungen; Gerold Rüdiger He
ckert: „Odontologie im numismatischen Spiegel. Ein
Walther Hesse, von 1907 bis 1945 Beitrag zur Geschichte der Zahnheilkunde“. Inaug.
als Direktor des Zahnärztlichen Ins Diss., JustusLiebigUniversität Gießen, 2006
162
163
164
Hesse, Walther
Dr. med., Bakteriologe und Hygieniker
27.12.1846 Bischofswerda – 19.07.1911 Dresden
165
Blick entlang der historischen Stadtgrenze von Bischofswerda zum heuti-
gen Stadtbad: Links zu sehen ist die Silhouette der Fronfeste am ehemali-
gen Dresdner Tor. Rechts im Bild befindet sich das Wohnhaus der Familie
Hesse. Es wurde von Hesses Vater 1849 einschließlich Garten erworben und
1859 als Heim für schwächliche Kinder eingerichtet.
Später besuchte Walther die Kreuz Ernst L. Wagner. Hesse nahm 1870/71
schule in Dresden. Die drei Schwes als Feldassistenzarzt am Deutsch
tern Elise, Marie und Ida wurden am Französischen Krieg teil, darunter an
FreimaurerInstitut für Töchter in den Schlachten um Gravelotte und
Dresden zu Lehrerinnen ausgebildet. St. Privat. Hier begann sein soziales
Es war von der Loge „Zum goldenen Engagement. Hesse kritisierte die me
Apfel“ gegründet worden. Der Vater dizinische Versorgung der Truppen,
Hesse gehörte seit 1857 der Freimau die hygienischen Bedingungen und
rerLoge „Zu den drei Schwertern machte Verbesserungsvorschläge. Das
und Asträa zu grünenden Raute“ in aktive Eintreten für soziale Fragen
Dresden als Mitglied an, später in blieb charakteristisch für sein weiteres
Zittau der Loge „Friedrich August zu Berufsleben. Die erste international
den 3 Zirkeln“. bekannte Arbeit war ein Ergebnis
seiner Tätigkeit als Schiffsarzt auf der
Walther Hesse ging 1866 wie sein New York Linie. Professor Gavingel
älterer Bruder Richard und zwei Jahre aus Le Havre bezeichnete Hesses Er
später der jüngere Bruder Friedrich kenntnisse zur Seekrankheit als erste
Louis zum Medizinstudium an die wissenschaftliche Arbeit zu dieser
Universität Leipzig. Er meldete sich Thematik überhaupt, die „Zittauer
1867 freiwillig zum einjährigen Mi Medizinische Gesellschaft“ zeichnete
litärdienst und promovierte 1870 am ihn dafür aus. Nach einer Assistenz
Pathologischen Institut bei Professor an der Heil und Pflegeanstalt Pirna
166
arbeitete Hesse von 1874 bis 1877 als
praktischer Arzt in Zittau. Zusam
men mit seinem Vater, dem dortigen
Bezirksarzt, bemühte er sich um die
Schaffung gesunder Lernbedingungen
für Schüler, z. B. durch systematisches
Lüften von Schulräumen. 1874 trat
Hesse der Dresdner FreimaurerLoge
„Zum goldenen Apfel“ bei.
167
Anzeige des Verlags Friedrich Vieweg und Sohn in der Jenaer Literaturzei-
tung Nr. 34, 1879.
168
Rahmen der Zusammenarbeit mit
Härting für die Untersuchung der Ar
beitsbedingungen in den Bergwerken
zuständig. Während seiner Tätigkeit
im Erzgebirge wandte er sich aktiv
gegen die miserablen Arbeits und
Lebensbedingungen der einfachen
Leute. Sein besonderes Augenmerk
galt der Luftqualität, insbesondere
der Belastung mit Kohlendioxid und Rote Blutkörperchen auf Agar-Agar,
Staub. In den Steinkohlebergwerken links mit Staphylokokken infiziert,
des Zwickauer Reviers analysierte rechts mit Streptokokken. Blutagar
Hesse die klimatischen Verhältnisse. ist als Nährboden von Bedeutung
Er unterbreitete Verbesserungsvor für die Diagnostik von Bakterien,
schläge, um die damals noch zur die rote Blutkörperchen durch Hä-
Arbeit herangezogenen Kinder besser molyse zersetzen, wie z. B. Mala-
zu schützen. riaerreger. Quelle: National Cancer
Institute der USA, Bill Branson, Wi-
In seiner ärztlichen Berufspraxis war kimedia Commons, Public Domain.
bei Hesse die Überzeugung gewach
sen, dass Bakterien die Ursache vieler licherweise schon bei Temperaturen
Erkrankungen sein könnten. Bald über 28° – viele Bakterienstämme be
wurde die Bakteriologie zu seinem nötigen aber ca. 37° für ein optimales
Arbeitsschwerpunkt. International Wachstum. Außerdem können viele
zählen Hesse und seine Ehefrau heute Bakterien Gelatine verwerten. Hesse
zu den Wegbereitern der modernen informierte Koch über eine bahnbre
Mikrobiologie. 1881/82 nahm er sich chende Idee seiner Ehefrau. Angelina
während der Schwarzenberger Zeit kannte für ihre Puddings und Gelees
einen Forschungsurlaub am „Kaiser Rezepte, bei denen die für Gelatine
lichen Gesundheitsamt“ bei Robert bekannten Probleme nicht auftraten
Koch. Die Einführung fester Nährbö – sie hatte sie noch in New York von
den für Bakterienkulturen in Kochs einem holländischen Immigranten
Labor gilt als Geburtsstunde der mo aus Java erhalten. Das aus Meeralgen
dernen Mikrobiologie. In Flüssigkul gewonnene AgarAgar geliert nach
turen lassen sich Bakterienarten nicht einmaligem Aufkochen beim Ab
zuverlässig genug trennen. Die von kühlen unter 44° und wird auch bei
Koch zunächst als Nährbodenverfes erneuter Erwärmung nicht wieder
tiger verwendete Gelatine wies jedoch flüssig. Zudem sind die meisten Bak
prinzipielle Nachteile auf: Nährböden terien nicht in der Lage, die Polysac
auf Gelatinebasis verflüssigen sich üb charide des Agar zu verwerten. Die
169
Substrate konnten damit sterilisiert zur quantitativen Bestimmung der
und Bakterienkulturen auch über bakteriellen Belastung von Luft und
lange Zeit reproduzierbar untersucht Wasser, aber auch zu Infektionskrank
werden. Robert Koch zitierte in heiten wie Typhus und Cholera als
seiner berühmten und später seinen bedeutsam. 1885 verfasste er gemein
Nobelpreis mitbegründenden Rede sam mit seinem Bruder Richard,
„Die Ätiologie der Tuberkulose“ von inzwischen Kur und Badearzt in
1882 zur erstmaligen Identifikation Schweizermühle bzw. Rosenthal, die
des Tuberkulosebakteriums gelierte Schrift „Über Züchtung der Bacillen
und speziell präparierte Blutseren des malignen Oedems“.
als Nährböden und erwähnte Agar
nur am Rande, die Hesses gar nicht. 1890 wurde Hesse als Bezirksarzt
AgarAgar erwies sich aber seitdem nach DresdenStrehlen berufen. Zu
als so erfolgreich, dass es aus der seinem Verantwortungsgebiet ge
Bakteriologie nicht mehr wegzuden hörten in den Folgejahren mehrere
ken ist. Die Ideengeberin blieb lange Amtsgerichtsbezirke bis Tharandt und
unbekannt. Radeberg. Ihre Söhne schickten die
Hesses auf das VitzthumGymnasium
Es ist das Hauptverdienst der Hesses, (vgl. Artikel zu Julius Lehmann).
Agar in die bakteriologische Praxis Hesse erwarb sich auch in Dresden
eingeführt zu haben. Von seiner Frau große Verdienste um die moder
unterstützt, setzte Walther Hesse die ne Hygiene und hat weiter zu den
Forschungen auf diesem Gebiet auch Grundlagen der Bakteriologie beige
in den Folgejahren in Schwarzenberg tragen. Er führte Desinfektionsver
fort. Dabei gelten v. a. seine Beiträge fahren ein und förderte das Impfwe
sen. Seine Erfahrungen aus der Praxis
publizierte er vielfach in angesehenen
wissenschaftlichen Zeitschriften und
er hielt Vorträge vor der „Gesellschaft
für Natur und Heilkunde zu Dres
den“. Hesse blieb gegenüber Neuerun
gen stets aufgeschlossen und über
nahm rasch die Petrischale, um die
Bakterien nicht in, sondern auf Agar
zu ziehen. Besonders den Kindern
und ihren Krankheiten galt seine Auf
merksamkeit. Er schrieb: „Unter den
Krankheiten, die Leben und Gesund
Hesses Villa in Dresden-Strehlen, heit der Säuglinge bedrohen, nehmen
Julius-Otto-Straße 11. die Erkrankungen des Verdauungsap
170
Bibliografie
„Ueber das Verhalten des Epithels beim acuten Katarrh des Darmcanals: auf Grund im pathologisch
anatomischen Laboratorium des Herrn Prof. Dr. Wagner angestellter Experimente“, Dissertation,
Universität Leipzig, 1870
„Ein Beitrag zur Seekrankheit“, Archiv für Heilkunde 15, 1873, S. 130
& FH Härting, „Der Lungenkrebs, die Bergkrankheit in den Schneeberger Gruben“, Vierteljahresschr.
f. gerichtl. Med. und öff. Gesundheitswes., 1879
„Tabellen zur Reduction eines Gasvolumens auf 0° Temperatur und 760mm Luftdruck“, Friedrich
Vieweg und Sohn, Braunschweig, 1879
„Bestimmungen des Gewichtes und Messungen der Körperlänge bei einem Kinde im ersten und
zweiten Lebensjahre“, Archiv für Gynäkologie, 1881, H. 1
„Quantitative Staubbestimmungen“, Analytical and Bioanalytical Chemistry, 1882, Springer
„Anleitung zur Bestimmung der Kohlensäure in der Luft, nebst einer Beschreibung des hierzu nöthi
gen Apparates“, Eulenberg‘s Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswe
sen
& Menzel, „Untersuchungen über die klimatischen Verhältnisse in den Steinkohlewerken des Zwi
ckauer Reviers“, Jahrbuch für das Berg und Hüttenwesen Sachsen, 1882
„Über Abscheidungen von Mikroorganismen aus der Luft“, Deutsche med. Wochenschrift, Nr. 2,
1884
& R. Koch, „Zur Bestimmung der in der Luft enthaltenen Mikroorganismen“, Analytical and Bioana
lytical Chemistry, 1885, Springer
& R. Hesse, „Über Züchtung der Bacillen des malignen Oedems“, Deutsche med. Wochenschrift, Nr.
14, 1885
„Ueber Wasserfiltration“, MM&I, 1886, Springer
„Zur quantitativen Bestimmung der Keime in Flüssigkeiten“, MM&I, 1888, Springer
„Unsere Nahrungsmittel als Nährböden für Typhus und Cholera“, MM&I, 1889, Springer
„Ueber Sterilisirung von Kindermilch“, MM&I, 1890, Springer
„Ueber die gasförmigen Stoffwechselproducte beim Wachsthum der Bakterien“, MM&I, 1890, Sprin
ger
„Ein neues Verfahren zur Züchtung anaërober Bacterien“, MM&I, 1892, Springer
„Ueber Aetiologie der Cholera“, MM&I, 1893, Springer
„Ueber den Einfluss der Alkalescenz des Nährbodens auf das Wachsthum der Bakterien“, MM&I,
1893, Springer
„Zur Diagnose der Diphtherie“, MM&I, 1894, Springer
„Die Petri‘sche Doppelschale als feuchte Kammer“, MM&I, 1894, Springer
„Ueber die Beziehungen zwischen Kuhmilch und Cholerabacillen“, MM&I, 1894, Springer
„Ueber Gasaufnahme und abgabe von Culturen des Pestbacillus“, MM&I, 1897, Springer
„Ueber den Bakteriengehalt im Schwimmbassin des Albertbades zu Dresden“, MM&I, 1897, Springer
„Die Typhusepidemie in Löbtau im Jahre 1899“, MM&I, 1899, Springer
„Ein neues Verfahren zur Züchtung des TuberkelBacillus“, MM&I, 1899, Springer
„Ueber einen neuen Muttermilchersatz: Pfund‘s Säuglingsnahrung“, MM&I, 1900, Springer
„Ist der Nährstoff heyden bakterienhaltig?“, European Food Research and Technology, 1901, Springer
„Zur quantitativen Bestimmung der Wasserkeime“, Centralblatt für Bakteriologie, 1902
& Niedner, „Zur Methodik der bakteriologischen Wasseruntersuchung“, MM&I, 1902, Springer
„Ueber die Abtödtung der Tuberkelbacillen in 60° C. warmer Milch“, MM&I, 1903, Springer
MM&I: Medical Microbiology and Immunology, zu Hesses Zeit: „Zeitschrift für Hygiene
und Infektionskrankheiten, medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Virologie“,
gegründet von Robert Koch
171
parates die hervorragendste Stellung Anwendungen, z. B. zur Bestimmung
ein. Die Bedrohung ist um so grösser, der Keimzahl in Trinkwasser und
je jünger die Säuglinge sind.“ Seine Milch. 1901 wurde Hesse Mitglied der
Arbeit „Ueber Sterilisirung von Kin „Naturwissenschaftlichen Gesellschaft
dermilch“ (1890) schuf die Grundlage ISIS“ unter Hempels ehemaligem
zur Einführung der Pasteurisierung Schüler Fritz Foerster. Gustav Hes
von Kindermilch in Pfunds Molkerei. se untersuchte auf Anregung seines
1893 berichtete er in der Festschrift Vaters in Dresden vor der Berufung
anlässlich des 50jährigen Doktorju nach Jena die Herstellung von Nähr
biläums seines Vaters in Zittau „Ueber böden zur Bakterienzüchtung. Hesses
Milchsterilisirung im Grossbetriebe“. Laboratorium an der TH wurde nach
Der Ausbruch von Typhus, Diph seinem Tod aus Angst vor einer bak
therie und CholeraEpidemien in teriellen Verunreinigung abgebrannt.
der Region Dresden ließ Hesse die Die Erben verkauften das Haus in
mikrobiologischen Grundlagen dieser Strehlen um 1918 und Angelina zog
Krankheiten im Labor untersuchen, in die Winckelmannstraße. In der
er analysierte den Bakteriengehalt im nahe gelegenen Lüttichaustraße und
Dresdner Albertbad und verfasste später im privaten „Südsanatorium“
Hygienevorschriften. Zur Thematik in der Schnorrstraße 82 praktizierte
öffentliche Gesundheit unternahm ihr Sohn Friedrich Henry.
Hesse 1899 eine Studienreise nach
Norddeutschland, England und Hesses Leistungen sind mit der
den USA. Dabei galt sein Hauptin Ernennung zum „Geheimen Me
teresse den dortigen Wasser und dizinalrat“ gewürdigt worden. Sein
Abwasseranlagen. Hesse führte seine Vermächtnis wurde durch seine
wissenschaftlichen Untersuchungen Kinder und Enkelkinder fortgeführt,
in seinem Zuhause in der Strehlener von denen viele die ärztliche Berufs
JuliusOttoStraße sowie in einem laufbahn eingeschlagen haben.
ihm zur Verfügung gestellten Labo
ratorium an der Technischen Hoch Das Wandgrabmal der Familie Hes-
schule Dresden durch. Hier und im se (rechts) von Arnold Kramer auf
„Laboratorium für Anorganische und dem Friedhof Radebeul-Ost zeigt
Analytische Chemie“ der TH arbeite die Eltern mit Walther und seinen
te Hesse eng mit Professor Walther 9 erwachsenen Geschwistern. Drei
Hempel zusammen. Er bemühte Grabtafeln, davon eine seitlich an-
sich außerdem gemeinsam mit der gebrachte, erinnern an 14 Familien-
Chemischen Fabrik Heyden Radebeul angehörige, darunter Walther, sein
um eine industrielle Herstellung von Bruder Richard und seine Schwester
AgarAgar, und er entwickelte ver Marie, seine Frau Angelina und die
schiedene Variationen für spezielle beiden Söhne Friedrich und Gustav.
172
Quellen: S. 412 ff. 173
Karl Traugott Kanig (Quelle: Gabriele Hollborn, Ururenkelin von Kanig).
174
Kanig, Karl Traugott
Pfarrer und sorbischer Liederdichter in Klix
auch: Konik, Korla Bohuwjer
29.07.1804 Hochkirch – 24.10.1878 Klix
Kanig wurde als erstes Kind einer Pfarrhaus, während die Bauerngü
alteingesessenen Krämerfamilie in ter in der Umgebung brannten. Um
Hochkirch geboren. Er wuchs im vom später Theologie studieren zu können,
Vater gebauten Haus „GGK 1807“ in ging Kanig nach Bautzen auf das
der Blutgasse auf. Als kleines Kind Gymnasium. Wegen finanzieller Pro
wäre er fast im brennenden Zuhause bleme der Eltern musste er die Schule
ums Leben gekommen, später noch zwischenzeitlich unterbrechen und
mals bei einem Unfall in der Scheu eine kaufmännische Lehre aufneh
ne. Die streng altlutherischen Eltern men. Auf dem Gymnasium begeis
sahen in der knappen Rettung ein terte ihn Rektor Karl Gottfried
Zeichen Gottes, dass er mit dem Kind Siebelis derart für alles Lateinische,
noch Großes plant, was später den dass sich Kanig auch später noch die
Lebensweg des Sohnes entscheidend ser Sprache wiederholt bediente. Von
beeinflussen sollte. Zu den einschnei 1824 bis 1827 studierte er Theologie
denden Ereignissen in jungen Jahren in Leipzig, wo er der Lausitzer Predi
zählte auch der Befreiungskrieg gegen gergesellschaft angehörte.
Napoleon. Wiederholt zogen unter
schiedliche Truppenverbände durch Nach dem Studium begann Kanig
den Ort. So weilte der Kaiser selbst in als Hilfsprediger in seiner Heimatge
der Nacht vom 4. zum 5. September meinde Hochkirch. Hier erwarb sich
1813 in Hochkirch und schlief im zu jener Zeit Pfarrer Michael Möhn
175
väterlichen Freund und Berater.
Kanig wird den „erweckten sorbi
schen Pastoren“ zugerechnet. Die
Erweckungsbewegung, auch Neupie
tismus genannt, der sorbischen
Lutheraner stellte eine spezielle Va
riante des Spätpietismus dar. Kanigs
Heimat, die Gegend um Hochkirch,
war seinerzeit ein Zentrum dieser
sorbischen pietistischen Bewegung,
die sich auch um die Verbreitung
religiöser Schriften im Volke bemüh
te. Als Pfarrer von Uhyst hielt Kanig
sonntagsabends Missionsstunden im
Sinne der Herrnhuter Brüdergemeine
und Gläubige kamen von weit her, um
daran teilzunehmen.
176
Klipphausen und Klix, eine Predigt
von Kanig in Uhyst gehört hatte, bot
er diesem 1834 die vakante Stelle in
Klix an. Diakon war hier der liberale
Handrij Zejler, der Wunschkandidat
der Gemeinde. Kanig ging sein pie
tistischer Ruf voraus und die Klixer
Gemeinde stellte sich zunächst vehe
ment gegen ihn. Nach Kanigs Beru
fung wechselte Zejler als Pfarrer nach
Lohsa. Das Diakonat wurde von Ka Innenaufnahme der Kirche in Klix
nig bis 1840 mit übernommen, weil im 19. Jahrhundert.
nach dem Großbrand von 1830 Geld
gespart werden musste. Dank der Un Missionsfest in Baruth, 1853 vereinig
terstützung der Familie Reuß konnte te er die sorbischen Missionsvereine
Kanig, der mehr als vier Jahrzehnte und 1854 gründete er zusammen mit
in Klix wirken sollte, mit der Zeit das dem Klixer Diakon Johann Rudolf
Vertrauen seiner Gemeinde gewin Richter, später Pfarrer in Kotitz, die
nen. Im August 1834 gehörte er zu Zeitschrift „Missionski Posoł“. Der in
jenen 18 evangelischen Geistlichen, einer monatlichen Auflage von 900
die im Namen von 50000 Sorben bei Stück herausgegebene Missionsbote
der sächsischen Regierung gegen die widmete sich Missionsberichten, Pre
Benachteiligung ihrer Muttersprache digten und Liedern. Kanig übersetzte
protestierten, im Jahr darauf geneh dafür deutsche Choräle in das Sor
migte der Landtag per Gesetz den bische. 1855 verfasste er eine Schrift
Gebrauch der sorbischen Sprache in zu Martin Luther: „Nebo Dr. Merten
einigen Schulfächern. Die tiefgläubige Lutherowe Žiwenje“. Seine Bemühun
Prinzessin Reuß zu Köstritz, spätere gen um die sorbische Sprache gingen
Großherzogin Auguste von Mecklen so weit, dass er die Verordnung zum
burg, erhielt bei Kanig am 6. Oktober stärkeren Gebrauch der deutschen
1838 ihre Konfirmation. Sprache im Schulunterricht von 1860
nicht an die Lehrer seines Aufsichts
Kanig zählte zu den bedeutendsten bezirks weitergab, wofür er von der
sorbischen Liederdichtern und zu Kreisdirektion gerügt wurde. Für den
den aktivsten Vertretern der Inne 1862 von Jaroměr Hendrich Imiš ge
ren Mission unter den Sorben. 1842 gründeten „Wendischen evangelisch
wurde sein „Jesu, Dobry Ljekar lutherischen Buchverein“ mit seinen
jo“ in das „evangelischwendische etwa 1000 Mitgliedern verfasste er für
Gesangbuch“ aufgenommen. 1848 die Jahre 1862–1868 sowie 1870 einen
organisierte Kanig das erste sorbische biblischen Wegweiser: „Bibliski pucz
177
Ein Grabmal an der Außenwand der Kirche zu Klix erinnert noch heute an
Kanig: „Er war vor vielen wie ein Wunder, aber der Herr war seine starke
Zuversicht.“
178
nik wudoty wot serbskejo lutzerdkose Kittlitz). Ein Urenkel, Ernst Kanig,
knihowarso towarstewa“. 1862 betrug erwarb sich große Verdienste als Vi
die Auflage 3000 Stück. Kanig war kar in Ober und Niedercunnersdorf
Mitglied im „Erweiterten Ausschuss“ sowie Löbau und Vorsitzender der
des Buchvereins. Seine 38 Lieder in Sächsischen Missionskonferenz.
„Zionsky Hlosy“ (Zionsstimmen,
Quellen: Siegfried Störzner: „Welche Hei
1868) wurden von Michal Domaska matgedenktage bringt das Jahr 1938 der
als „vom Heiligen Geist getragen“ Bischofswerdaer Pflege und ihrer Umgebung?“
geschätzt. Im neuen evangelischen Unsere Heimat, Beilage zum Sächs. Erzähler,
Gesangbuch ist er mit mehreren Nr. 1, 3.1.1938; Wilhelm Haan: „Sächsisches
SchriftstellerLexicon“. Robert Schaefer‘s Verlag
Übersetzungen und einem Original Leipzig, 1875, S. 153–154; Reinhold Grünberg:
werk vertreten. „Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und
Pfarrer der Ev.luth. Landeskirche Sachsens
Neben seiner Arbeit als Pfarrer und (1539–1939)“. Ernst Mauckisch Freiberg, 1940,
S. 410; Gabriele Hollborn (Weimar, Ururenke
seinen Bemühungen um die Eman lin); Franz Lau: „Herbergen der Christenheit“.
zipation der Sorben nahm Kanig Evangelische Verlagsanstalt, 1980; Zeitschrift
auch am gesellschaftlichen Leben teil. für slavische Literatur, Kunst und Wissenschaft,
1852 spendete er für das von Edu 1862, S. 233; Jakub Wjacslawk: „Wendische
(sorbische) Bibliographie“. 1929; Walter J.
ard Gottlob von Nostitz und Rauch: „Presse und Volkstum der Lausitzer
Jänkendorf in Oppach gegründete Sorben“. Holzner, 1959; K. Jahn: „Auguste,
Rettungshaus. Mit Ernst Theodor Großherzogin von MecklenburgSchwerin:
Stöckhardt von der Landwirt ein Lebensbild“. Ausg. 4, A. Hildebrand, 1865;
Erhard Hartstock: „Die sorbische nationale
schaftsschule im benachbarten Brösa Bewegung in der sächsischen Oberlausitz
stand er in regelmäßigem Kontakt. 1830–1848/49“. DomowinaVerlag, 1977; Neues
lausitzisches Magazin, Bd. 8, 1844, S. 127, Bd.
Karl Traugott Kanig begründete eine 39, 1862, S. 391; Peter Kunze: „Sorbisches
Schulwesen: Dokumentation zum sorbischen
Familientradition, nach der inner Elementarschulwesen in der sächsischen Ober
halb der folgenden 100 Jahre fünf lausitz des 18./19. Jahrhunderts“. Domowina
Nachfahren gleichen Familienna Verlag, 2002; Theodor Birnich: „Die Parochie
mens wiederum Pfarrer in Sachsen Klix“. Neue Sächsische Kirchengalerie, 1904;
Siegmund Musiat: „Sorbische/wendische Ver
wurden. Die bekanntesten darunter eine 1716–1937“. DomowinaVerlag, 2001; Jan
waren Otto Kanig (Lehrer an der Malink (Maćica Serbska), Mitteilungen 2013;
Thomasschule Leipzig, 1874 Diako Ernst Theodor Stöckhardt: „Stammtafel der
Familie Stoeckhardt, Putzkauer und Lauterba
nus und 1875 Gymnasialprofessor in
cher Zweig“. Wagner Weimar, 1883; Leipziger
Bautzen, 1891 Oberpfarrer in Puls Zeitung, 4.7.1852; Deutsches Geschlechterbuch,
nitz) und dessen Sohn Karl Moritz Bd. 143, C.A. Starke, 1967; AmtsBlatt der Re
Gerhard Kanig (*25.11.1875 Bautzen, gierung in Breslau, Bd. 54, 1863; Peter Kunze:
„Jan Arnošt Smoler“. Bd. 10 von Schriften des
†6.7.1958 Klittlitz, 1899–1906 Missi
Sorbischen Instituts, DomowinaVerlag, 1995;
onar in Ukamba/Kenia, später Pfarrer gedbas.genealogy.net; Kirchenarchiv Hoch
in Glauchau, Großolbersdorf und kirch; Matrikelverzeichnisse Universität Leipzig
179
Christian Adolph Klotz, Kupferstich von Johannes Michael Stock, Deutsche
Fotothek, Lizenz: CC BY-SA.
180
Klotz, Christian Adolph
Professor in Göttingen und Halle
13.11.1738 Bischofswerda – 31.12.1771 Halle
V: Johann Christian (*5.3.1701 Höngeda bei Mühlhausen, †2.9.1776 Bischofswerda), 1725 Ma
gister der Philologie, 1727 Habilitation und Adjunkt der philosophischen Fakultät in Wittenberg,
1729 Archidiakonus, 1730 Heirat, 1738 Superintendent in Bischofswerda; M: Christiane Friede
rike geb. Auenmüller (*17.7.1709 Bischofswerda, †3.4.1774 Bischofswerda), Tochter von Gottlob
Auenmüller (Rechtskonsulent, †31.5.1735 als Bürgermeister von Bischofswerda) und Schwester
von Friedrich Gottlob Auenmüller (*1.11.1711 Bischofswerda, †13.7.1776 Braunsdorf, Inspektor
der Porzellanmanufaktur Meißen von 1740 bis 1764 zur Zeit von Heinrich von Brühl und Jo
hann Joachim Kändler, von Prinz Xaver entlassen); G: Christian August (besuchte das Gymna
sium Görlitz, studierte Jura), Christiana Carolina (heiratete am 11.10.1763 den Mittagsprediger
von St. Petri und Paul und Katecheten der Johanniskirche Christian Gottlob Bürger/†13.7.1767
in Zittau), 1 Bruder und 2 Schwestern früh verstorben; E: 1763 Göttingen, Johanna Maria geb.
Sachse (* um 1740, Tochter eines Ratsapothekers); K: 1 Tochter († früh in Göttingen)
Klotz kam schon als Kind von drei Studium nach Wittenberg, wo Johann
Jahren mit dem seinerzeit jugend Christian Klotz von 1727 bis 1729 als
lichen Gotthold Ephraim Lessing Adjunkt der philosophischen Fakultät
zusammen, als sich dieser bei einem wirkte. In der Religion sympathisier
Verwandten, dem Putzkauer Pfarrer te Christian Adolph Klotz mit dem
Johann Gotthelf Lindner, aufhielt Pietismus der Herrnhuter Brüderge
und mit jenem den befreundeten meine. 1757 verfasste er ein Gedicht
Vater Klotz in der Superintendentur auf die Belagerung von Zittau („Thre
in Bischofswerda besuchte. Der Sohn nodia cineri Zittav“).
erhielt zuhause Privatunterricht und
besuchte kurzzeitig die Fürstenschule 1758 bezog Klotz die Universität
St. Afra in Meißen. Leipzig. Zu seinen Förderern zählten
der Strafrechtsreformer Karl Ferdi
1756 wechselte Klotz auf das nand Hommel und der Rektor und
Görlitzer Gymnasium, wo ihn der Professor für Dichtkunst Carl Andre
langjährige Rektor Friedrich as Bel. Auch bei dem Philologen und
Christian Baumeister für die alten Theologen Johann August Ernesti
Sprachen begeisterte. Bei diesem nahm er Unterricht. Klotz verfasste
Wechsel hatte wohl eine Rolle ge 1758 seine philologische Dissertati
spielt, dass sich Klotz‘ Vater und der onen „Pro M. Tullio Cicerone adver
Görlitzer Rektor aus ihrer Witten sus Dionem Cassium et Plutarchum
berger Zeit vermutlich gut kannten. dissertatio“ (in Görlitz mit Baumeister
Friedrich Christian Baumeister bei Fickelscherer) und „Ad virum
wechselte 1729 zum Philosophie doct. I. C. Reichelium epistola, qua
181
Bischofswerda im 18. Jahrhundert: Vor der Kirche (A) befand sich die Su-
perintendentur (N). Möglicherweise war dieses Gebäude sogar das Geburts-
haus von Klotz. Später wirkte hier Gottlob Ernst Ottomar Baumeister, ein
Sohn des Görlitzer Rektors, den Klotz‘ Vater 1767/1768 nach Bischofswerda
zu seiner Unterstützung geholt hatte.
182
1765 wechselte Klotz als Hofrat und Bischofswerda geborenen Karl Fried
Professor für Philosophie und Be rich Bahrdt (1769).
redsamkeit nach Halle. Sein Schüler
Johann Georg Meusel folgte ihm. Klotz war Mitglied der Kaiserlichen
Im selben Jahr kam der Historiker Königlichen KupferstecherGesell
Carl Renatus Hausen nach Halle, den schaft zu Wien, der Kaiserlichen
Klotz schon seit seiner Leipziger Zeit Akademie zu Roveredo, der Kurfürst
kannte. In Halle förderte er Friedrich lichen Mainzischen Akademie der
Justus Riedel und freundete sich mit Wissenschaften, des historischen In
dem Laubaner Gottlob Benedikt von stituts zu Göttingen, der lateinischen
Schirach an. Zu seinen eifrigsten An Gesellschaften zu Jena und Baden, der
hängern zählten auch Johann Georg PhysikalischÖkonomischen Bienen
Jacobi, später erster protestantischer gesellschaft in der Oberlausitz und
Professor in Freiburg, und der Dich der deutschen Gesellschaft in Altdorf
ter Gottfried August Bürger. Fried sowie Kanonikus des Stifts Wurzen.
rich der Große ernannte ihn zum Er war vielseitig belesen und schrieb
jüngsten preußischen Geheimrat, zu den unterschiedlichsten Themen in
als Klotz einen Ruf von Stanislaus II. Literatur, Geschichte, Religion, Kunst
August Poniatowski nach Warschau und Philologie. Klotz zählte zu den
ablehnte. Die von ihm geforderte Mit bekanntesten Autoren der Epoche
Berufung von Carl Renatus Hausen von „Aufklärung“ und „Sturm und
war zunächst bestätigt worden, doch Drang“. Er war rhetorisch begabt
schließlich verzichtete Klotz selbst. und scharte mit seiner Eloquenz eine
Später entzweiten sie sich, weil Klotz breite Anhängerschaft um sich. Klotz
Hausen zunehmend misstraute. Ab gab die seinerzeit bedeutenden litera
1768 leitete Klotz auch die Universi rischen Zeitschriften „Acta litteraria“,
tätsbibliothek. „Deutsche Bibliothek der schönen
Wissenschaften“ und „Neue hallische
Klotz war seit 1763 Mitglied der gelehrte Zeitungen“ heraus. Er gilt
„Akademie der gemeinnützigen Wis zudem als der bedeutendste Dichter
senschaften“ in Erfurt. Als der zustän in lateinischer Sprache seines Jahr
dige (katholische) Mainzer Erzbischof hunderts. In der posthum gedruckten
Emmerich Joseph von Breidbach zu Sammlung „Briefe deutscher Gelehr
Bürresheim Ende der 1760er Jahre die ten an den Herrn Geheimen Rath
in die Krise geratene Erfurter Univer Klotz“ wird deutlich, welch große
sität reformieren wollte, beauftragte Anerkennung Klotz zeitweise genoss.
er damit den Protestanten Klotz. Der
holte neben Christoph Martin Wie Mit seinem Ruhm wuchsen jedoch
land und Friedrich Justus Riedel auch auch der Anspruch von Klotz, sich zu
den skandalumwitterten, ebenfalls in allen Themen seiner Zeit zu äußern,
183
Bibliothek“ wurden zur Zielscheibe
Auszug aus dem Streit von Klotz‘ Kritik. Dessen Schrift
„Über das Studium des Alterthums“
mit Gotthold Ephraim erschien 1766, zwei Jahre nach dem
Lessing Grundlagenwerk der Altertums
wissenschaft „Geschichte der Kunst
Lessing schrieb in „Briefe antiqua des Altertums“ von Johann Joachim
rischen Inhalts“ Bezug nehmend Winckelmann. Es folgten kontrover
darauf, dass Klotz Lessing in seinen se Dispute zwischen Winckelmann,
Rezensionen etwas ironisch immer Klotz, Lessing und Herder, was auch
mit seinem Magistertitel nannte, bei Karl August Böttiger („Kleine
den Lessing nie verwandte: „Was Schriften archäologischen und anti
kann Herr Klotz damit, daß er quarischen Inhalts“) sichtbar wird.
mich, der ich mich nie so nenne, Auf die Erarbeitung eines Buchs zur
stets Herr Magister Lessing nennt, Weltgeschichte verzichtete Klotz auf
anders wollen, als mir den Abstand, Rat von Gotthold Ephraim Lessing
der zwischen ihm als geheimen und schrieb dafür 1767/68 „Beytrag
Rath und mir als Magister Statt fin zur Geschichte des Geschmacks
det, recht fühlbar machen? Allein und der Kunst aus Münzen“ und
ziemt es wohl dem Schmetterling, „Ueber den Nutzen und Gebrauch
so verächtlich auf die Raupe herab der alten geschnittenen Steine und
zublicken, aus der er sich bildete? ihrer Abdrücke“. Klotz widmete sich
Denn ich wüßte in der That nicht, verstärkt der bildenden Kunst und
aus welcher andern Ursache ihn hielt Kontakt zur 1764 gegründeten
sein König zum geheimen Rath Dresdner Kunstakademie, insbeson
gemacht habe, als weil er ihn für dere zu Christian Ludwig von Hage
einen guten Magister gehalten. dorn und Giovanni Battista Casanova.
Auch ist es bloß der Magister, Der Dichter Johann Wilhelm Ludwig
mit dem ich es hier zu thun habe: Gleim war ihm wohlgesonnen.
denn wenn Herr Klotz nicht auch
Magister wäre, so wüßte ich nicht, Von Berühmtheiten wie Lessing und
was ich mit dem geheimen Rath Johann Gottfried Herder wurde Klotz
anfangen sollte; und wehe dem in den letzten Jahren wegen man
Herrn geheimen Rath, wenn ihn cher Oberflächlichkeiten in seinen
sein Magister im Stiche läßt!“ Schriften vernichtend diskreditiert.
Sie reagierten damit auch auf dessen
und seine Neigung, auch berühmte kritische Rezensionen. In „Laokoon
Zeitgenossen kritisch zu hinterfra oder über die Grenzen der Mahle
gen. Vor allem Friedrich Nicolai rey und Poesie“ (1766) hatte Lessing
und dessen „Allgemeine deutsche versucht, bildende Kunst und Litera
184
tur als grundsätzlich verschieden, als Streitlust ebneten den Weg zu einer
die Behandlung von Gegenständen weitgehenden Isolierung von Klotz
versus Handlungen darzustellen. am Ende seines kurzen Lebens. Dies
Dies stand im Gegensatz zu Johann verstellte lange den Blick auf seine
Joachim Winckelmann und Horaz Leistungen. Klotz hatte das Denken
(„ut pictura poesis“, „ein Gedicht ist seiner Zeit mitbestimmt und Interesse
wie ein Gemälde“). Als Klotz ihn in an Literatur und Geschichte geweckt.
„Ueber den Nutzen und Gebrauch der
alten geschnittenen Steine und ihrer Quellen: Conrad Bursian: „Klotz, Christian
Abdrücke“ (1768) kritisierte, erzürn Adolph“. Allgemeine Deutsche Biographie,
te dies Lessing derart, dass er Klotz Bd. 16, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S.
in der Folgezeit wiederholt angriff. 228–231; Carl Renatus Hausen: „Leben und
Charakter Herrn Christian Adolph Klotzens“.
Neben inhaltlichen Aspekten spielten Hemmerde Halle, 1772; „Gotth. Ephr. Lessings
allerdings auch subjektive Faktoren sämmtliche Werke“. Karlsruhe, 1825; Karl
eine Rolle. Lessings Freund Friedrich Wilhelm Mittag: „Chronik der königlich säch
sischen Stadt Bischofswerda“. Friedrich May,
Nicolai stand mit der „Allgemeinen Bischofswerda, 1861; Herbert Jaumann: „Hand
deutschen Bibliothek“ in direkter buch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit“. Bd.
Konkurrenz zu Klotz, und Lessing 1, Walter de Gruyter, 2004, S. 370–371; Johann
selbst war nach dem Scheitern seines Gottfried Herder: „Kritische Wälder oder
Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst
Projekts „Hamburger Dramaturgie“ des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer
unter Druck. Klotz sah in Lessings Schriften“. Herders Sämmtliche Werke, Bd. 3,
Argumenten sophistisches Diskutie Berlin 1878; Manfred Beetz, HansJoachim
ren über Kleinigkeiten – und nannte Kertscher: „Anakreontische Aufklärung“. Bd. 28
von Hallesche Beiträge zur Europäischen Auf
ihn betont „Magister Lessing“. Der klärung, Walter de Gruyter, 2005; „Fortsetzung
Streit zwischen Lessing und Klotz und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Joechers
nahm teils skurrile Züge an. Wenn allgemeinem GelehrtenLexicon“. 1810; Christi
an Adolph Pescheck: „Handbuch der Geschichte
sich jemand Lessing als Verbünde
von Zittau“. Bd. 2, 1837; Friedrich Christian
ten sichern wollte, so der ehemalige Baumeister: „Verzeichniß aller derjenigen Studi
Günstling von Heinrich von Brühl renden, so unter meiner RectoratsVerwaltung
und Leiter des Kupferstichkabinetts von Ao. 1736 bis 1785 in Prima Classe des
Görlitzischen Gymnasii sich als Zuhörer befun
Carl Heinrich von Heinecken in den haben“. Fickelscherer Görlitz; Lausitzisches
seinem Streit mit Christian Ludwig Magazin, 1774; Jan Philipp Reemtsma: „Lessing
von Hagedorn, musste er nur seinen in Hamburg: 1766–1770“. C.H.Beck, 2007; Le
eigenen Gegner als Freund von Klotz ben und Wirken der vorzüglichsten lateinischen
Dichter des XV. – XVIII. Jahrhunderts, sammt
darstellen. Johann Eleazar Zeissig metrischer Uebersetzung ihrer besten Gedichte,
stellte den Streit zwischen Lessing beigefügtem Originaltexte, und den nöthigen
und Klotz bildlich dar (S. 396). Erläuterungen“. J. B. Wallishausser, 1828; Rainer
Rückert: „Biographische Daten der Meissener
Manufakturisten des 18. Jahrhunderts“. Baye
Missgunst und verletzte Eitelkeiten risches Nationalmuseum, 1990; „Historisches
seiner Konkurrenten sowie eigene Taschenbuch“. Brockhaus 1850
185
Norbert Langner erklärt den Teilnehmern eines Frühlingsspazier-
gangs am 2. Mai 2004 die Funktionsweise des Wurfnetzes.
186
Langner, Norbert
Diplomfischwirt
08.05.1940 Attendorf / Schlesien – 30.09.2010 Königswartha
187
Norbert Langner hat die Schönheit
und Schutzwürdigkeit der Oberlausit Bibliografie
zer Heide und Teichlandschaft einer
& P. Dyhrenfurth: „Analyse der Satz
breiten Öffentlichkeit zugänglich ge
karpfenproduktion im VEB Binnenfi
macht. Er leitete eine Vielzahl von Ex scherei Dresden“. Deutsche Fischerei
kursionen, z. B. im Rahmen jährlicher Zeitung, Neumann Radebeul, H. 12,
Frühlingsspaziergänge unter Schirm 1965
herrschaft des sächsischen Ministeri „Intensivierung in den Lausitzer
ums für Umwelt und Landwirtschaft Teichen und die Vogelwelt“. Abhand
und für den Landesverein Sächsi lungen Ber. des Naturkundemuseums
scher Heimatschutz. Auch nach dem Görlitz, 1977, S. 21–22
Eintritt in den Ruhestand unterstützte „Triops und Limnadia – zwei seltene
er mit seinen Erfahrungen seinen Arten niederer Krebse in den Teichen
der Oberlausitz“. Natura lusatica, 1985
Sohn Frank, der seit 1992 die Teich
„Die Fische des Kreises Bautzen“. Na
wirtschaft Langner, bestehend aus tura lusatica, H. 10, 1988, S. 29–41 (mit
den Teichgruppen Entenschenke und Zitaten von Gerhard Creutz, Bruno
Commerau, führt. Über viele Jahre Steglich und Frank Fiedler)
engagierte sich Norbert Langner als „Betrachtungen zum Oberlausitzer
Kirchenvorstand. Die Kirchgemeinde Teichgebiet vom Standpunkt des Teich
Königswartha war in die Christliche wirts“. Ber. der Naturforschenden Ges.
Friedenskonferenz korporiert und der Oberlausitz, Bd. 2, 1993, S. 29–33
Langner gehörte zu den Mitarbeitern & G. Füllner: „War 1992 der „Jahrhun
des Ökumenischen Basisseminars um dertsommer“ für die Teichwirtschaft?“
Fischer & Teichwirt, Bd. 44, H. 1, 1993,
Jan Laser. Er war zudem im Königs
S. 11–13
warthaer Geschichtsverein aktiv und & G. Füllner: „Zahlen zur Binnenfi
er hielt die Schönheit der umliegen scherei im Freistaat Sachsen“. Info
den Oberlausitzer Kulturlandschaft dienst für Beratung und Schule der
in Bildern fest. Zwei Tage vor der Sächsischen Agrarverwaltung, 1995,
Eröffnung seiner FotoAusstellung 1997, 1998, 2004
„Königswarthaer Teichgesichter“ ist & G. Füllner, M. Pfeifer: „Karpfen
Norbert Langner verstorben. Er hin teichwirtschaft. Bewirtschaftung von
terließ seine Ehefrau Annemarie, eine Karpfenteichen. Gute fachliche Praxis“.
Tochter und zwei Söhne. Sächsische Landesanstalt für Landwirt
schaft, 2007
188
Impressionen vom Frühlingsspaziergang in
Königswartha mit Norbert Langner am 2. Mai 2004
Links: Schon mit geringer Vergrößerung wird deutlich, wie viel Leben und
damit welch großes Nahrungsangebot für die Fische im Teichwasser zu fin-
den ist. Rechts: Das Raseneisenerz war als Grundstoff für die Eisenverhüt-
tung einstmals ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Oberlausitz. Sein
Abbau hat wesentlich zur heutigen Gestalt des Teichgebiets beigetragen.
189
Gedenkstein mit Porträtrelief unweit der Riedelmühle in Waldbärenburg.
190
Lehmann, Julius Alexander
Professor, Nestor des landwirtschaftlichen Versuchswesens in der Oberlausitz
04.07.1825 Dresden – 12.01.1894 Dresden
191
Das v. Vitzthum-Blochmann‘sche Gymnasial-Erziehungshaus, gezeichnet
von Ernst Ferdinand Oehme, in Stahl gestochen von J. Fleischmann, um
1830, Lizenz: Deutsche Fotothek CC BY-SA.
1857 erhielt Lehmann die Berufung hier eine Methode, Mehl aus ausge
als Vorstand der landwirtschaftlichen wachsenem Roggen mittels Kochsalz
Versuchsstation im Rittergut Weidlitz zu einem lange haltbaren Brot zu
von Paul Hermann. Wesentlichen backen. Lehmann wies für Brot mit
Einfluss besaß vermutlich Liebigs Salzzusatz eine geringere Schimmel
Empfehlung an Theodor Reuning. bildung nach. Die Versuche wurden
Alternativ hatte sich Lehmann von zunächst in der Bäckerei Techritz und
Liebig Unterstützung für seine dann in der Militärbäckerei Dresden
Bewerbung zum sächsischen Apo durchgeführt. Zudem untersuchte
thekenvisitator erbeten. Lehmanns Lehmann in Weidlitz Pflanzendünger
Aufgabe in Weidlitz bestand darin, und Futtermittel auf ihren Nährstoff
naturwissenschaftliche Erkenntnisse, gehalt. 1858 gründeten Lehmann und
vor allem der Agrikulturchemie, für Hermann in Verbindung mit Ernst
die Landwirtschaft der Oberlausitz Theodor Stöckhardt und Julius
nutzbar zu machen. Zur Wissens Adolph Stöckhardt die Zeitschrift
vermittlung hielt er Vorträge vor „Die Landwirtschaftlichen Versuchs
dem landwirtschaftlichen Verein. Stationen“, die sich der Verbindung
Lehmann verfügte in Weidlitz über von landwirtschaftlicher Praxis und
ein Laboratorium und ein Gewächs naturwissenschaftlichen Grundlagen
haus sowie in Pannewitz über einen widmete.
Versuchsstall. Für das Laboratorium
richtete er mit der Hilfe von Rudolf Die Arbeit der Versuchsstation
Sigismund Blochmann eine kleine Weidlitz hatte sich trotz ungünstiger
Gasanstalt ein. Lehmanns erster Verkehrslage grundsätzlich bewährt,
Assistent war Conrad Wicke, dem sodass der bis 1862 laufende Kon
Dr. Stößner folgte. Für das sächsische trakt um 6 Jahre verlängert werden
Innenministerium entwickelte er sollte, als Hermann starb. Zwei Jahre
192
nach dessen Tod erfolgte 1864 die (1864) und den USA (1865) lehnte er
Verlegung nach Pommritz, wofür das ab. Insgesamt publizierte Lehmann
dortige Rittergut durch die Landstän in den 10 Jahren als Vorstand von
dische Bank der Oberlausitz von den Weidlitz und Pommritz 57 Schrif
Erben des Carl Friedrich Wilhelm ten, darunter zum Nährstoffgehalt
von Zenker für 93000 Taler erworben von Futterstoffen, zur Düngung und
wurde. Die Arbeit der Versuchsstation Analysen zu den Inhaltsstoffen von
Pommritz war anfangs in das Ritter Milch. Auf ihn gehen die ersten wis
gut integriert. 1864 wurde Lehmann senschaftlichen Versuche mit Fleisch
zum Professor ernannt. Seine futtermehl bei Schweinen zurück. Als
Assistenten waren Johann Seyffert, Futtermittelzusatz entwickelte er eine
dann Gerdemann und Kästner und Salzmischung aus phosphorsaurem
schließlich Arthur Petermann und Natron und Chlorkalium. Lehmann
Hugo Weiske. Angebote aus München führte zudem Qualitätsprüfungen von
193
integriert. 1873 starb Justus von
Liebig. Lehmann lehrte bis zu seiner
krankheitsbedingten Emeritierung als
Professor für Agrikulturchemie.
194
Das Julius-Alexander-Haus Waldbärenburg (nach 1900).
tiative einer Urenkelin Lehmanns aus Schönfeld, 1877, S. 176–195, 1863, S. 223 ff.;
Walter von Boetticher: „Die Geschichte des
München und des Vereins „Freundes
Oberlausitzschen Adels und seiner Güter“.
kreis Kurort Oberbärenburg“ origi Bd. 3, Oberlößnitz 1919; Neill Busse: „Der
nalgetreu wiederhergestellt. Meister und seine Schüler: Das Netzwerk Justus
Liebigs und seiner Studenten“. Georg Olms
Verlag, 2015; William Shurtleff; Akiko Aoyagi:
Quellen: Meyers KonversationsLexikon, Bd. „History of Soybeans and Soyfoods in Eastern
12, 1908, S. 331–333; „Ueber das Verbacken Europe (Including All of Russia) (17832015):
des Mehls aus ausgewachsenem Getreide“. Extensively Annotated Bibliography and Sour
Polytechnisches Journal, 1859, Nr. LXXVI., S. cebook“. Soyinfo Center, 28.10.2015; Website
309–311; Walther Hempel: „Die Milchunter TU München; Register der Eheschließungen,
suchungen Professor Dr. Julius Lehmann‘s“. Kirchgemeinde Hochkirch; Polytechnisches
Pflügers Archiv, Nr. 10–12, 1894, S. 558–578; Centralblatt, 15. Mai 1857; Friedrich Christian
Tina König: „Entwicklung der Ernährungsfor Paldamus: „Blochmann, Karl Justus“. Allge
schung beim Schwein (bis 1930)“. Dissertation meine Deutsche Biographie, Bd. 2, 1875, S.
Tierärztliche Hochschule Hannover, 2004; 709–711; Sitzungsberichte und Abhandlungen
Joseph Stewart Fruton: „Contrasts in Scien der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis,
tific Style: Research Groups in the Chemical 1886; Peter Salzmann: „Neues Relief über
and Biochemical Sciences“. Memoirs of the verwitterter Inschrift“. SZ Dippoldiswalde,
American Philosophical Soc., Bd. 191, 1990; 15.2.2011; Eduard Heiden: „Denkschrift zur
Friedrich Nobbe: „Statistische Revue über den Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens
Bestand des land und forstwirthschaftlichen der agriculturchemischen Versuchsstation
Versuchswesens nach 25jähriger Entwicklung“, Pommritz“, Adressbücher Dresden; myheri
„Die gegenwärtig in Deutschland thätigen tage.de; Angelika Lasius: „Wandmalereien der
landwirthschaftlichen Versuchsstationen“. Albrechtsburg Meissen: Historienbilder des 19.
Die landwirthschaftlichen Versuchsstationen, Jahrhunderts“. Edition Leipzig, 2000
195
Adolf Lier war ein führender Landschaftsmaler seiner Zeit und ein Weg-
bereiter der Freilichtmalerei in München. Erst Jahre später konnte sich die
Freilichtmalerei mit der Unterstützung des Dresdner Anzeigers (vgl. Leon-
hard Lier) auch in Dresden durchsetzen. Viele seiner Bilder befanden sich
in Privatbesitz, so in der Familie (Rosalie Lier, München; Adolf Leonhard
Lier; Oscar Lier, Apotheker Kinne, Herrnhut; Hermann Lier, Martha Lier,
Berlin) und in der Oberlausitz (Graf von Einsiedel auf Reibersdorf; Walter
von Boetticher). In Dachau ist heute eine Straße nach Adolf Lier benannt,
und in Herrnhut erinnert das Heimatmuseum an ihn.
196
Lier, Heinrich Adolf
Professor, Landschaftsmaler
21.05.1826 Herrnhut – 30.09.1882 Vahrn bei Brixen
Schon als Kind begeisterte sich Lier 1945). Als Lier 1846 bei einer aka
für das Zeichnen und illustrierte seine demischen Kunstausstellung für den
Schulbücher. Mit 11 Jahren wurde „Entwurf zu einem herrschaftlichen,
er auf die Knabenerziehungsanstalt an einem Strom gelegenen Wohnge
der Herrnhuter Brüdergemeine nach bäude“ mit einer kleinen silbernen
Niesky geschickt. Auch hier fanden Medaille ausgezeichnet wurde, fand
seine Zeichnungen nicht immer er Aufnahme im Atelier von Gott
ungeteilten Beifall ob der Orte, wo er fried Semper an der Kunstakademie
sie anbrachte. Noch verstärkt wur und der Weg zum Architekten schien
de seine Neigung zur Kunst durch vorgezeichnet. Kurz nach dem Tod
Besuche bei einer Tante in Dresden. seines Vaters im Jahre 1847 erhielt
Stundenlang verweilte Lier in der Ge Lier das Angebot, in Basel unter
mäldegalerie, tief beeindruckt wollte Leitung von Melchior Berri am dor
er selbst Maler werden. Seinen Vater tigen Museumsbau mitzuwirken. Zu
konnte er davon aber nicht überzeu seinen Pflichten gehörte der Entwurf
gen, denn der machte sich Sorgen um der Decken. In Basel begeisterte sich
die finanzielle Zukunft des Sohnes. Lier für die Revolution. Er schloss
Lier wurde 1840 auf die Baugewer sich Friedrich Hecker auf dessen
kenschule in Zittau geschickt, wo er bewaffnetem Freischaarenzug an, um
auch das Maurerhandwerk erlern in Karlsruhe die badische Regierung
te. Ein Arbeitsunfall beim Bau des zu stürzen. Nach der Niederlage der
Rathauses hätte ihn fast das Leben Revolution entdeckte Lier seine Liebe
gekostet. 1844 wechselte er auf die zur Malerei wieder, wobei er von Carl
Dresdner Baugewerkenschule unter Adolf Mende und Karl Eduard Süffert
Gustav Heine, die lose der Techni unterstützt wurde, der ihn 1849 nach
schen Bildungsanstalt angegliedert München empfahl. Hier lernte Lier an
war. Sie wurde später abgetrennt der Privatschule von Johann Baptist
(1873) und als Ingenieurschule der Berdellé Köpfe und Akte zeichnen.
Zittauer Einrichtung unterstellt (nach Entscheidende Anregungen vermit
197
sich in den Malerkolonien auf der
Fraueninsel im Chiemsee um Max
Haushofer und Christian Ruben und
in Brannenburg auf. Es entstanden
Gemälde wie „Abendstimmung am
Starnberger See“, „Landschaft aus
der Umgebung von Dachau“ und
„Vom Frauenchiemsee“. 1861 un
ternahm Lier eine erste, kurze Reise
„Am Starnberger See bei heran- nach Frankreich, 1864 reiste er ein
ziehendem Gewitter“: Zum bevor- zweites Mal nach Paris. Unter dem
zugten Motiv Liers wurde nicht das Einfluss der dortigen Meister der
Hochgebirge selbst, sondern häufig Landschaftsmalerei um Jules Dupré
die flache Ebene davor mit den Ber- malte Lier Stimmungslandschaften.
gen im Hintergrund. Man lehrte ihn hier einen ganz neuen
telte ihm der aus Zittau stammende Blick auf die Natur, die Intimität der
Richard Zimmermann. Der Schüler Empfindung und eine Natürlichkeit
von Ludwig Richter malte genre des malerischen Ausdrucks („Pay
haft staffierte Landschaften. Auch sage intime“). Im Louvre studierte
Liers Bilder waren später lange reich und kopierte er die alten Meister. Mit
staffiert, mit einem Pfarrer mit rotem Dupré reiste Lier nach IsleAdam an
Regenschirm, oder auch mit Schafen, der Oise. Die spätere Heimreise von
Weidevieh und Hochwild. 1852 ent England führte ihn nochmals kurz
stand als Geschenk für seine Mutter nach Herrnhut. Lier hatte bei Dupré
Liers erstes Ölbild, die „Partie bei gelernt, die Natur durch ihre schlichte
Brixen“. Im Jahre 1853 war er erstmals Einfachheit wirken zu lassen. Dies
auf einer Dresdner akademischen sollte auch seine eigene, koloristi
Kunstausstellung als Maler vertreten sche Schule der Landschaftsmalerei
(„Hohlweg im Walde“, „Heranziehen in München prägen. Davon zeugten
des Regenwetter“). Zum Ende die zuerst „Die Oise in der Gegend von
ser Phase des Suchens und Lernens Paris im Mondschein“ (Gemälde
wurde Liers Malstil zunehmend von galerie Dresden) und die „Partie an
Eduard Schleich und Carl Spitzweg der Elbe bei Pillnitz“. 1867 erhielt
beeinflusst. Mit seiner „Dorfpartie bei er auf der Pariser Weltausstellung
Habach“ für den Münchener Kunst für die „Dorfgasse in England bei
verein gelang ihm 1855 der künst Mondschein mit heimkehrender
lerische Durchbruch. Lier liebte die Schafherde“ eine Goldmedaille. Die
Alpen und die oberbayerischen Seen, Kunstakademie Dresden wählte Lier
die er in vielen Bildern in spätroman 1868 zum Ehrenmitglied. Auf der in
tischer Manier malte. Häufig hielt er ternationalen Kunstausstellung 1869
198
Liers letztes Motiv war die Theresienwiese mit der Bavaria, die er 1882 in
drei Varianten malte. Repro: Cybershot800i (Wikimedia Commons).
in München zeigte er mit großem malte häufig Mondschein, Nebel
Erfolg „Vier Tageszeiten“ und „Isarge und Regenstimmungen. Auch wenn
gend bei München“. Lier hatte seinen er sich in seinen letzten Jahren etwas
künstlerischen Höhepunkt erreicht zurückzog, gehören gerade Gemälde
und gehörte jetzt zu den gesuchtesten aus dieser Zeit zu seinen bekanntesten
Malern. Im gleichen Jahr eröffnete er Werken, wie der „Abend an der Isar“
in München eine private Malschule, (Nationalgalerie Berlin), der „Son
die er bis 1873 erfolgreich führte. Der nenuntergang an der schottischen
in Dresden geborene Hermann Baisch Küste“ (Museum Stuttgart) und „Die
war einer seiner bedeutendsten Schü Theresienwiese mit der Bavaria bei
ler. Liers „Vier Jahreszeiten“ und eine Abendlicht“ (Pinakothek München).
„Landstraße bei München im Regen“ Die Städtischen Sammlungen Gör
wurden auf der Wiener Weltausstel litz besitzen drei Werke von Lier, das
lung 1873 mit einer Kunstmedaille Stadtmuseum Bautzen „Am Kanal“
ausgezeichnet. Ungeachtet beginnen und „Abendlandschaft am See“.
der gesundheitlicher Probleme war er
wieder freischaffend tätig und reiste Quellen: Artikel von Hermann Arthur Lier in:
Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 18, 1883, S.
nach Holland („Am Strand von Sche 631–636 und Sigfried Asche in: Neue Deutsche Bio
veningen“) und 1876 nach Schottland, graphie, Bd. 14, 1985, S. 535 f.; Friedrich von Boetti
cher: „Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts“.
wo die Liers die älteste Tochter des 1891, S. 867–871; Theodor Mennacher: „Adolf Lier
verstorbenen Schwagers in Pflege und sein Werk“. Piloty & Loehnle, München, 1928;
nahmen. Die Münchener Akademie „Die Kunst unserer Zeit“. F. Hanfstaengl, München,
1904; Sächsisches Staatsarchiv Dresden; www.
wählte ihn 1877 zum Mitglied und sophiedrinkerinstitut.de; wiki.olgdw.de; www.n
ernannte ihn 1881 zum Professor. Lier kb.de; Leipziger Zeitung 1854; ISIS Dresden
199
Hermann Arthur Lier (1897), gemalt von Hermann Eduard Mangelsdorf
(Deutsche Fotothek, Lizenz CC BY-SA 4.0).
200
Lier, Hermann Arthur
Professor, Dr. phil., Bibliothekar und Historiker
01.02.1857 Herrnhut – 08.02.1914 Kötzschenbroda
V: Hermann Gustav, Kaufmann, übernahm 1854 das Familiengeschäft; M: Rosine geb. Chodat;
G: Leonhard (*22.3.1864 Herrnhut, †4.1.1917 Dresden, Dr. phil., Chefredakteur des Dresdner
Anzeigers), ? Oscar (ab 1896 Gemeindevorstand in Herrnhut, Namensgeber einer Straße); E:
(1) 5.5.1888 Dresden, Karola Ida Margarethe geb. Graf (*26.8.1869), (2) 17.7.1899 Dresden,
Gertrud geb. Kunitz (28.3.1871–5.7.1922)
201
Leonhard Lier (1906), fotografiert von Erwin Raupp (1863–1931).
202
Lier, Adolf Leonhard
Professor, Journalist, Literaturwissenschaftler
22.03.1864 Herrnhut – 04.01.1917 Dresden
V: Hermann Gustav, Kaufmann, übernahm 1854 das Familiengeschäft; M: Rosine geb. Chodat;
G: Hermann Arthur (*1.2.1857 Herrnhut, †8.2.1914 Kötzschenbroda, Dr. phil., Bibliothekar an
der Königl. Bibliothek in Dresden, Mitarbeiter der Allgemeinen Deutschen Biographie), ? Oscar
(ab 1896 Gemeindevorstand in Herrnhut, Namensgeber einer Straße); E: 7.1.1893 Dresden,
Agnes Johanna geb. Herrmann (*10.12.1870); K: Marie Charlotte Erica (*1.4.1894 Dresden), An
dreas Hermann Leonhard (*1.4.1896 Dresden), Adolf Reinhard Theodor (*17.7.1898 Dresden)
Die Herrnhuter Familie Lier ging auf Werken des Dichters der Aufklärung
den Goldschmied und Kaufmann Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Seine
August Ludwig Lier zurück, Leonhard Studien der Philologie, Germanistik
Liers Großvater. Der Sohn eines Hof und Literaturgeschichte ab 1885 in
kürschners und Ratsherren in Schwe Leipzig und München schloss Lier
rin hatte nach Herrnhut geheiratet. 1889 in Leipzig mit der Dissertation
Ein Sohn aus dieser Ehe war Adolf „Studien zur Geschichte des Nürn
Lier, ein Onkel von Leonhard Lier. berger Fastnachtspiels“ über die
Meistersinger ab. Zu seinen Professo
Lier besuchte die Schule in Herrn ren gehörten Friedrich Zarncke und
hut und das Gymnasium in Zittau. Michael Bernays. Danach arbeitete er
1882/83 leistete er in Dresden seine für die Liegnitzer Zeitung. 1890 holte
Militärpflicht ab. Früh interessierte ihn Hermann Thenius, der Lier schon
er sich für Literatur. Lier gehörte der von der Offenen Loge kannte, zum
1882 gegründeten „Offenen Loge“ Dresdner Anzeiger. Thenius, seit 1878
an, einem berufsständigen Verein der Chefredakteur, setzte die 1869 von
Dresdner Schriftsteller. 1883 berichte Eduard Ferdinand Springer begonne
te er im Neuen Lausitzischen Maga ne Entwicklung der ersten Dresdner
zin über Briefe des Zittauer Dichters Zeitung von einem Inseraten und
Karl Friedrich Kretschmann an Karl Amtsblatt zu einem redaktionellen
August Böttiger in der Königli Nachrichtenblatt fort. Schon vor sei
chen öffentlichen Bibliothek, wo sein nem Amtsantritt gab es die Ressorts
Bruder Hermann Arthur Lier zwei Politik, Wirtschaft, Örtliches und
Jahre zuvor angestellt worden war. Feuilleton. Thenius brachte 1880 die
Auch in anderen Zeitschriften erin Politik auf Seite 1. Für dieses Ressort
nerte er an den brieflichen Nachlass engagierte er Lier, der zudem für das
Böttigers, so im Archiv für Literatur Feuilleton arbeitete. Um 1900 führte
geschichte bei Teubner. 1885 publi der Dresdner Anzeiger politische
zierte er bei Reclam zu ausgewählten Leitartikel ein.
203
Lier war ein wichtiger Kulturrefor aterreferat. Auch auf diesem Gebiet
mer und stand dem „Naturalismus“ war die Zeit reif für Veränderungen.
nahe. Er schrieb in den 1890er Jahren Das Hoftheater brachte Goethe, Schil
viele Beiträge für die Zeitschrift „Der ler und Shakespeare, dagegen stand
Kunstwart“ von Ferdinand Avenari man den jüngeren Dichtern wie Ger
us, die Literatur, Theater, Musik und hart Hauptmann zunächst skeptisch
bildende Kunst thematisierte und sich gegenüber. Lier förderte die junge
zu einem deutschlandweit angesehe Dichtung im Dresdner Anzeiger, aber
nen Blatt der Kulturreformbewegung auch mit Beiträgen in anderen Zei
entwickelte. Zu Liers Themen im tungen und Zeitschriften (Norddeut
Kunstwart gehörten theoretische und sche Allgemeine Zeitung, Münchner
historische Aspekte der Theaterkunst, Allgemeine, Bühne und Welt, Blätter
aber auch Theaterkritik und Zen für literarische Unterhaltung, Wage,
sur. Er war in Dresden Mitglied der Die Grenzboten u.v.m.).
„Litterarischen Gesellschaft“ und im
Dürerbund, der die KunstwartInte Im Jahre 1902 folgte Lier Thenius als
ressenten vereinigen sollte. Die Lit Chefredakteur, das Theaterreferat
terarische Gesellschaft, 1886 aus der übergab er Friedrich Kummer. Der
Offenen Loge hervorgegangen, entwi Dresdner Anzeiger blieb einer der
ckelte sich zu Dresdens wichtigstem entschiedensten Fürsprecher von
Verein für literarisch Interessierte, Gerhart Hauptmann. Die Zeitung
indem sie sich breiten Bevölkerungs verdankte Lier ihren weiteren raschen
schichten öffnete, darunter Frauen, Aufstieg, von 1900 bis 1914 verdop
Juden, Sozialdemokraten. Überall pelte sich die Auflage von 23.500 auf
hier traf Lier mit Paul Schumann zu 46.500 Exemplare. Besondere Unter
sammen. Gemeinsam leiteten sie den stützung gewährte ihm Oberbürger
Verein Dresdner Journalisten. Schu meister Gustav Otto Beutler. Dies war
mann, seit 1884 als Kunstkritiker fest wichtig, weil der Dresdner Anzeiger
beim Anzeiger angestellt, wurde für zwar formal unabhängig war, sich
fast 30 Jahre zu einem engen Mitstrei aber praktisch in städtischem Besitz
ter. Schumann engagierte sich für die befand. Angriffen auf die Pressefrei
deutsche Sprache, den Heimatschutz, heit musste widerstanden werden.
die Freilichtmalerei und die Volksbil Justus Friedrich Güntz hatte 1856
dung, machte sich aber auch durch den Dresdner Anzeiger in die Dr.
vehemente Kritiken an der traditio Güntz‘sche Stiftung eingebracht, die
nellen Dresdner Malerei und an Karl er der Stadt Dresden übereignete
May viele Feinde. 1901 übernahm er mit der Auflage, dass alle Erträge für
die Leitung des Feuilletons. Genauso soziale Zwecke und zur Verschöne
engagiert wie Schumann, häufig aber rung der Stadt eingesetzt werden. Der
diplomatischer arbeitete Lier im The jeweilige Oberbürgermeister Dres
204
dens stand der Stiftungsverwaltung Dresdner Anzeiger eigene Korrespon
vor. Beutler amtierte von 1895 bis denten. Zu den berühmtesten Mit
1915. Zu den wichtigsten Projekten arbeitern zählte Ludwig Munzinger
während Liers Zeit als Chefredakteur (London, 1911).
gehörte neben der Fortführung des
sozialen Engagements (Bürgerheim, Der sächsische König verlieh Lier
Güntzheim, Maternispital) der Bau 1906 anlässlich des 50. Jahrestages
des Neuen Rathauses bis 1910, an der Gründung der Dr. Güntz‘schen
dem sich die Stiftung mit 600.000 Stiftung den Professorentitel. Lier
Mark beteiligte. leitete den Landesverband der säch
sischen Presse und war Vorstands
Der Dresdner Anzeiger unter Lier mitglied des Reichsverbandes. Dem
engagierte sich in besonderer Weise reformorientierten „Verein Bildender
für die im neu erbauten Ausstel Künstler Dresdens“ gehörte er wie
lungspalast stattfindenden Groß sein Bruder Hermann Arthur Lier
Ausstellungen. Die Erste Deutsche als außerordentliches Mitglied an.
StädteAusstellung 1903 wie auch die
Internationale Hygieneausstellung Der Dresdner Anzeiger unterstütz
1911 wurden nicht nur umfassend te die deutsche Kolonialpolitik in
journalistisch begleitet, sondern der Südwestafrika. Als 1914 der Erste
Dresdner Anzeiger unterhielt jeweils Weltkrieg ausbrach, bediente auch der
einen eigenen Pavillon. Lier entwi Dresdner Anzeiger die ganz Deutsch
ckelte aber auch das Zeitungskonzept land erfassende patriotische Begeis
weiter. Sein Hauptaugenmerk galt terung.
der Politik. Lier bemühte sich um
Überparteilichkeit. Er selbst schrieb Quellen: Herbert Zeißig: „Eine deutsche
als Chefredakteur meist nur in den Zeitung. Zweihundert Jahre Dresdner An
„Wochenschauen“. Den Wirtschafts zeiger“. Verlag der Dr. Güntzschen Stiftung,
1930; „Lier, Hermann Arthur“. Wer ist‘s?, Bd.
teil baute er mit einer internationalen 5, Verlag von H.A. Ludwig Degener, 1910;
Börsenberichterstattung aus. 1902 Siegfried Asche: „Lier, Adolf “. Neue Deutsche
gewann er Professor Harry Gravelius Biographie, Bd. 14, 1985, S. 535–536; Gerhard
von der TH Dresden, um erstmals in Kratzsch: „Kunstwart und Dürerbund. Ein
Beitrag zur Geschichte der Gebildeten im
Dresden zeitnahe Wettervorhersagen
Zeitalter des Imperialismus“. Vandenhoeck
anzubieten. In Berlin wurde 1905 eine u. Ruprecht, Göttingen 1969; Dirk Hempel:
eigene Redaktion eingerichtet, um „Literarische Vereine in Dresden. Kulturelle
besser aus dem Reichstag berichten zu Praxis und politische Orientierung des Bür
können. Auch die Auslandsberichter gertums im 19. Jahrhundert“. Walter de Gru
yter – Max Niemeyer Verlag, 2008; Deutsches
stattung wurde intensiviert. In Wien, Biographisches Jahrbuch, Bd. 2, 1917–1920;
Paris, London, St. Petersburg, Rom Leonhard Lier: „Studien zur Geschichte des
und Konstantinopel verpflichtete der Nürnberger Fastnachtspiels“. Dissertation
205
Unter Gustav Loges entwickelte sich die landwirtschaftliche Versuchssta-
tion Pommritz zu einem Zentrum der Dünge- und Futtermittelkontrolle im
Königreich Sachsen. So stieg von 1893 bis 1913 die Anzahl der untersuchten
Düngerlieferungen von 700 auf 3209 im Jahr.
206
Loges, Gustav Adolph
Professor, Agrarwissenschaftler in Pommritz
21.07.1854 Marne (SchleswigHolstein) – 20.03.1919 Pommritz
V: Johann Jacob (*7.8.1800 Marne, †8.3.1871 Marne), Tischlermeister; M: Margarethe geb. Tagge
(*22.7.1809 Westerdeich, †8.11.1865 Marne); G: Anna Christina (*11.6.1845 Marne), Maria
Magdalena verh. Ibs (*23.2.1847 Marne, †28.5.1907 Marne), Carl Theodor (*19.7.1850 Marne,
Tischler in Altona) sowie 5 ältere Halbgeschwister aus der 1. Ehe des Vaters mit Catharina geb.
Peters (Margaretha Catharina, Johann Jacob, Hermann Peter, Wilhelm Hinrich, Julius Friedrich)
Loges besuchte ab 1870 das Chris Sie führten u. a. Analysen von Wasser
tianeum in Altona, wo er ein Sti und Waldböden durch. Loges erwarb
pendium erhielt. Als jüngstes von sich einen wissenschaftlichen Namen
insgesamt neun Kindern der Fami mit Arbeiten auf den Gebieten Kris
lie war er das einzige, das auf eine tallographie und Elektrochemie. Er
höhere Schule gehen konnte. Nach schrieb „Ueber die durch Einwirkung
dem wenige Jahre zuvor die Mutter von Kaliumhydrat auf Traubenzucker
gestorben war, verstarb 1871 auch der entstehende reducirende Substanz“,
Vater. In Altona konnte Loges aber „Ueber die Bildung von Acetol aus
weiterhin auf familiäre Unterstützung Zucker“ und „Bestimmung der Härte
zählen. Zwei Halbbrüder wie auch des Wassers“. Über seine alte Heimat
der Bruder Carl Theodor arbeiteten im Kreis Dithmarschen publizierte
dort als Tischler. Nach dem Abitur er „Die Bezahlung der Zuckerrüben
studierte Loges Chemie in Göttingen. nach Zuckergehalt in der Fabrik zu
Hier promovierte er 1878 mit der St. Michaelisdonn und die Anbauver
Arbeit „Über eine Darstellungsweise hältnisse der Rüben in der Marsch“.
der Nitranilide, über ein Bromnitra Ab 1890 leitete Loges in der Nachfol
cetanilid und ein Bibromnitraceta ge des nach Brasilien gewechselten
nilid“. Referent und Vorsitzender der Carl Brunnemann die landwirtschaft
mündlichen Prüfung in Chemie war liche Versuchsstation Posen.
Hans Hübner (CoDirektor des Allge
meinen Chemischen Laboratoriums 1893 übernahm Loges die Leitung
neben Friedrich Wöhler). Die münd der landwirtschaftlichen Versuchssta
liche Prüfung in Physik legte Loges tion Pommritz in der Nachfolge von
bei Johann Benedict Listing ab. Paul Bretschneider. Hier führte er die
von Julius Lehmann und Eduard
Nach dem Studium arbeitete Loges Heiden begründete agrikulturche
an der landwirtschaftlichen Versuchs mische Tradition weiter. Zu seinen
station Kiel mit deren langjährigem Mitarbeitern zählten Fritz Glaser,
Leiter Adolph Emmerling zusammen. Hugo Neubauer und Arthur Strigel.
207
Loges publizierte seine Arbeiten wiederholt in den jährlichen Schriften des
Verbandes landwirtschaftlicher Versuchs-Stationen (Stand 1898).
208
Die landwirtschaftliche Versuchsstation Pommritz (vor 1920). Unter Gustav
Loges standen wie schon seit der Gründung der Versuchsstation 1864, unter
den Direktoren Julius Lehmann, Cuno Frisch, Eduard Heiden und Paul
Bretschneider, die Agrikulturchemie sowie die Ernährung von Schweinen
im Mittelpunkt. Zu den Aufgaben der Station gehörten zudem die Weiter-
bildung der praktischen Landwirte durch Vorträge in den Vereinen und die
Qualitätsprüfung von Dünge- und Futtermitteln.
licher Fachrichtungen an, so Max Mineralogie“, 1880; Johann Leopold Just: „Just‘s
botanischer Jahresbericht“. Gebr. Borntraeger, 1885;
Neumeister für das Forstwesen und Verein Deutscher Chemiker: „Repertorium der
Bruno Steglich für die Fischzucht. analytischen Chemie“, 1887; „Repertorium der tech
Das landwirtschaftliche Versuchswe nischen JournalLiteratur“, C. Heymann, 1887; Peter
Erasmus Müller, Christian F. Tuxen: „Studien über
sen vertraten von 1872 bis 1889 Julius die natürlichen Humusformen“. Springer 1887; Ru
Adolph Stöckhardt, bis 1904 Friedrich dolf Biedermann: „Technischchemisches Jahrbuch“.
Springer, 1888; Friedrich Nobbe, Oscar Johann Kell
Nobbe, bis 1911 Oscar Kellner und ner: „Die landwirtschaftlichen VersuchsStationen“.
von 1919 bis 1925 Bruno Steglich. 1890, 1894, 1898, 1902, 1912, 1914; Hans Niklas,
Den Vorsitz während Loges‘ Mitglied Albert Hock, F. Czibulka: „Literatursammlung aus
dem Gesamtgebiet der Agrikulturchemie“. Agri
schaft hatte Rudolf Elwir Hähnel auf kulturchemisches Institut Weihenstephan der TH
Kuppritz inne. 1912 wurde Loges für München, 1931; ChemikerZeitung, Bd. 43, 1919;
seine Verdienste um die Landwirt Adressbuch der Stadt Dresden, 1912; Bruno Schöne
(Bearb.): „Die Sächsische Landwirtschaft: ihre
schaft der Titel Hofrat verliehen. Entwickelung bis zum Jahre 1925, sowie Einrich
tungen und Tätigkeit des Landeskulturrats Sachsen
Quellen: Universitätsarchiv Göttingen; The Church zu Dresden“. Verlag des Landeskulturrates Sachsen,
of Jesus Christ of Latterday Saints; Paul Heinrich 1925, 517 S.; Dresdner Salonblatt 1912; Bericht über
von Groth: „Zeitschrift für Krystallographie und das Königliche Christianeum, Altona, 1875
209
Während Marloths Amtszeit von 1860 bis 1875 fanden keine wesentlichen
Umbauten an der Großdrebnitzer Martinskirche statt. Die alte Kirche hatte
bis 1852 zusätzliche bzw. vergrößerte Fenster erhalten, der damalige Kirch-
turm, der mit seiner Spitze nur unwesentlich über das Kirchendach reichte,
Fenster und einen Eingang. Erst 1894 erfolgte der Ausbau des Kirchturms
bis zu seiner heutigen Höhe.
210
Marloth, Carl Julius
Sorbe, Pfarrer, Schriftsteller
24.11.1807 Postwitz – 11.04.1884 Dresden
V: Carl Gottlob (*5.6.1772 Bautzen, †9.12.1833 Postwitz), Pfarrer; M: Friederike Rahel geb.
Martini, Tochter eines Kaufmanns aus Pulsnitz; G: Robert (studierte Jura), Louise; E: 5.11.1837,
Konkordia Wilhelmine geb. Auerswald (6.11.1820–25.10.1894, älteste Tochter des Pfarrers
zu Ponickau, Schwester des Pfarrers und Schriftstellers Oskar Theodor Auerswald, bis zuletzt
in Dresden ansässig); K: Malwina Concordia (*2.10.1838), Julius Richard (*8.12.1840, verh.
7.5.1869 Bernsdorf mit Berta Rosalie Koppelt, Kaufmann), Thrila Johanna (14.1.1842–30.
5.1842), Meta Franziska (*15.10.1843, verh. 5.11.1867 Großdrebnitz mit Friedrich August
Schumann aus Dresden), Maximilian Johannes Balduin (2.8.1845–26.5.1847), Reinhold Otto
mar (*4.8.1848, verh. 1874 Dresden mit Henriette Auguste Elisabeth Schaff, Buchbinder und
Spielwarenhändler), Olga Theodora (*25.5.1850), Anna Margaretha (*18.3.1852, verh. 10.5.1874
Großdrebnitz mit Ernst Hugo Uhlig), Fanny Nathalie (4.8.1853–27.5.1856), Martha Kathinka
(22.10.1855–28.5.1856)
211
und Mädchenschule und mit dem
Diakonat verbunden. Bibliografie
„Praktische Gedächtnislehre, oder die
In Königsbrück entstanden viele Kunst, ein ganz vorzügliches Gedächtnis zu
schriftstellerische Arbeiten, häufig erlangen“. Reichel Bautzen, 1842
unter dem Pseudonym „Lothmar“. „Wunderkuren eines unstudirten Dorfdoc
Die ersten Werke wurden bei Reichel tors. Eine Volksschrift“. Reichel Bautzen,
1844
in Bautzen verlegt. Davon sind die „Die Wünschelruthe. Eine Volksschrift“.
„Praktische Gedächtnislehre“ und Reichel Bautzen, 1844
die „Wunderkuren eines unstudirten „Reisen eines Verstorbenen in Sonne,
Dorfdoctors“ in der British Library Mond u. Sterne. Eine populäre Astrono
mie“. Reichel Bautzen, 1844
nachgewiesen. Viele Werke Marloths „Einige durch Zeitumstände nöthig gewor
galten sozialen und pädagogischen dene Bemerkungen über Verbesserung des
Themen. Sie fanden Eingang in wich Erfinderwesens“. Orthaus Leipzig, 27 S.,
tige Fachbibliografien der Medizin, 1844
Mathematik, Astronomie, Philo „Stimmen über Grab, Tod u. Scheintod.
Eine Volksschrift“. O. Wigand Leipzig,
sophie, Pädagogik und Philologie. 195 S., 1845
Mit seinen theologischen Schriften „Ueber das Lebendigbegraben. Erzählungen
wandte er sich zumeist an spezielle für das deutsche Volk“. O. Wigand Leipzig,
Zielgruppen wie Kranke, Soldaten 1847
„Predigt am Charfreitage“. Teubner Leipzig,
und Auswanderer, denen Marloth 15 S., 1847
geistlichen Beistand leistete. 1847 „Ueber Emancipation der Schullehrer“.
unterstützte er das „Dresdner Album“ Pulsnitz, 12 S., 1848
für die Hungernden im Erzgebirge, „Sittenspiegel für Dienstboten männlichen
im Vogtland und in der Oberlausitz, und weiblichen Geschlechts in der Stadt
und auf dem Lande“. Verlag der Theodor
das insgesamt 1700 Taler erbrachte. Schmidtchen Kunst und Buchhandlung, 93
Im Zusammenhang mit den revolu S. sowie Ferdinand Rühle Dresden, 1851
tionären Ereignissen 1848/49 gibt es „LebensPortefeuille Gaben der Liebe und
Hinweise auf erhebliche persönliche Freundschaft“. Schmid Querfurt, 1853
Manuskripte zu „Biblische Sprüche für Ehe
und berufliche Probleme. So wurde leute“, „Biblischer Wegweiser für Auswan
er noch 1851 als ehemaliger Aktivist derer“, „Biblische Sprüche für die Verhält
der sogenannten „Umsturzpartei“ in nisse des Soldatenstandes“, Sammlung von
Königsbrück polizeilich überwacht: Liedern, Sprüchen und Betrachtungen für
„...Individuen wurden im Jahre 1848 Kranke
„Episoden aus dem Kriegsjahr 1866“. In:
als Führer der Umsturzpartei auch Beilage „Unsere Heimat“ zum „Sächsischen
bemerkbar, sind aber von ihren frü Erzähler“, Nr. 27, 8.6.1926, veröff. von F.
heren Ansichten schon im Jahre 1850 Marloth, Halle/Saale (Enkel von Marloth)
gänzlich abgegangen.“ (Die seinerzeit „Chronik von Groß und Kleindrebnitz“
(1504–1869).
radikale Umsturzpartei gehörte zu
den Vorläufern der Sozialdemokra
212
tie.) Das Verhältnis zum damaligen bezirks Trebista nicht identisch mit
ersten Pfarrer von Königsbrück, Karl einem Ort ähnlichen Namens in
Kirsch, muss schlecht gewesen sein. dieser Gegend gewesen sein muss.
Davon zeugen mehr als kritische Die Chronik wurde am 18. Mai 1869
Vermerke des königstreuen Kirsch in in den Grundstein des neuen Schul
Königsbrücker Kirchenschriften, in gebäudes gelegt. In Bruno Barthel
denen dieser z. B. die schriftstelleri fand Marloth einen würdigen Nach
sche Kompetenz Marloths verneinte, folger als Heimatforscher. Die Grab
deren Anerkennung aber verschwieg. platte in der Martinskirche Großdreb
nitz erinnert noch heute an Marloth.
Von 1860 bis zu seiner Emeritierung
Quellen: Bruno Barthel: „Altes und Neues aus
1875 arbeitete Marloth als Pfarrer Groß und Kleindrebnitz“. Friedrich May Bischofs
in Großdrebnitz. Er war hier wegen werda, 1907; Pf. Sebastian Führer: „Gedenkblatt zur
seines sozialen Engagements hoch Wiedereinweihung der Martinskirche Großdreb
nitz am 4. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juni 2005“;
geachtet. So gründete er 1869 die Martinskirche Großdrebnitz, Pfarrarchiv; Werner
Volksbibliothek und schuf mit seiner Lindner: Auszüge aus dem Seelenregister der Stadt
Chronik wichtige Grundlagen für die Königsbrück; Wilhelm Haan: „Sächsisches Schrift
stellerLexicon“. Robert Schaefer‘s Verlag Leipzig,
Großdrebnitzer Ortsgeschichtsschrei S. 208, 1875; Erhard Hartstock, Peter Kunze: „Die
bung. Der chronologischen Darstel bürgerlichdemokratische Revolution von 1848/49
in der Lausitz“. DomowinaVerlag, S. 248, 1977;
lung ab 1504 vorangestellt hatte Mar Reinhold Grünberg: „Sächsisches Pfarrerbuch. Die
loth den damaligen Kenntnisstand bis Parochien und Pfarrer der Ev.luth. Landeskirche
zurück in die Zeit der Ortsgründung. Sachsens (1539–1939)“. Ernst Mauckisch Freiberg,
1940; Emil Weller, Emil Ottokar Weller: „Lexi
Er berichtete über wiederholte Drang con Pseudonymorum“. Georg Olms Verlag, 1997;
sale der Dorfbevölkerung während Wilhelm Engelmann, Theodor Christian Friedrich
der Kriege, beschrieb aber auch Enslin: „Bibliotheca medicochirurgica et anato
mico“. 1848; Ludwig Adolph Sohncke: „Bibliotheca
Bemerkenswertes aus dem Dorfalltag, Mathematica“. 1854; Johann Samuel Ersch, Chris
z. B. klimatische Besonderheiten mit tian Anton Geissler: „Bibliographisches Handbuch
der philosophischen Literatur“. F.A. Brockhaus,
ihren Auswirkungen auf die örtliche 1850; JeanCharles Houzeau, Albert Lancaster:
Landwirtschaft. Hervorzuheben ist „Bibliographie générale de l‘astronomie“. 1882; Neue
ein Eintrag zur gebräuchlichen Orts Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, B. G.
Teubner, 1842; „Dresdner Album: Zur Unterstüt
angabe in ehemals hiesiger Volksspra zung der Nothleidenden im Sächsischen Erzgebir
che: „in der Drebnitz“ statt „in Dreb ge, im Voigtlande und in den Weberdörfern der
nitz“. Diese Formulierung legt nahe, Oberlausitz“. Verlag Meinhold, 1847; „Die Diöcesen
Bautzen und Kamenz“. Neue Sächsische Kirchenga
dass die Ortsbezeichnung Drebnitz lerie, Verlag Arved Strauch, Leipzig; Neues lausit
aus der Umgebung abgeleitet wurde. zisches Magazin: Zeitschrift der Oberlausitzischen
Gesellschaft der Wissenschaften, Verlag Oettel, S.
Im Zusammenhang mit der strittigen 130f., 1834; Adressbücher der Stadt Dresden; „Ab
Lokalisierung des Castellums Trebis schrift der in dem Grundstein des Schulgebäudes
ta, das 1007 urkundlich ersterwähnt am 18. Mai 1869 gesetzte Kurzgefaßte Chronik von
Groß und Kleindrebnitz, gesammelt und aufgesetzt
wurde, bedeutet dies, dass ein Kastell von Carl Julius Marloth Pfarrer daselbst.“; Lausitzer
als Zentrum des späteren Burgward PredigerGesellschaft zu Leipzig, Jahresbericht 1875
213
August Gottlieb Meißner, Kupferstich von Christian Gottlob Scherf nach
einem Bild von Anton Graff.
Quellen: Franz Schnorr von Carolsfeld: Artikel „Meißner, August Gottlieb“ und „Quandt, Gottlob
von“. Allgemeine Deutsche Biographie; Rudolf Fürst: „August Gottlieb Meißner. Eine Darstellung
seines Lebens und seiner Schriften“. 1900; Walter Weber: „Meißner, August Gotllieb“. Neue Deutsche
Biographie, Bd. 16, 1990, S. 694; Oskar Ludwig Bernhard Wolff: „Encyclopädie der deutschen Natio
nalliteratur“. Bd. 5, O. Wigand, 1840; Brockhaus ConversationsLexikon, Bd. 8, Leipzig 1811, S. 48–49;
Brockhaus‘ Kleines KonversationsLexikon, Bd. 2, Leipzig 1911, S. 160; Woldemar von Biedermann:
„Goethe und Dresden“. Books on Demand, 2012; wiki2.olgdw.de
214
Meißner, August Gottlieb
Professor, Schriftsteller, Begründer der deutschen Kriminalliteratur
03.11.1753 Bautzen – 18.02.1807 Fulda
Meißner zog drei Jahre nach dem historische Schriften zur Geschichte
Tod des Vaters mit seiner Mutter von Englands, dessen gesellschaftliches
Bautzen nach Löbau, wo er bis 1772 System er bewunderte, und Deutsch
das Lyzeum besuchte. Rektor war hier lands heraus.
Johann Gottfried Heinitz, der zuvor
Gotthold Ephraim Lessing in Kamenz Weil sich die Mutter Sorgen um die
unterrichtet hatte. 1773 bezog Meiß wirtschaftliche Zukunft ihres Sohnes
ner die Universität und studierte bis machte, entschied sich Meißner für
1776 in Wittenberg und Leipzig zu eine Beamtenlaufbahn am sächsi
nächst Jura und später auch Rhetorik schen Hof in Dresden, wo er eine
und Geschichte. In Leipzig vermit Anstellung als Geheimer Kanzellist
telte ihm Ernst Platner Grundlagen im Geheimen Konsilium und wenig
der psychosomatischen Medizin, die später am Geheimen Archiv erhielt.
Meißners spätere Kriminalerzählun Seine schauspielerischen Neigungen
gen maßgeblich beeinflussen sollten. lebte er am Societaetstheater aus.
Bereits während des Studiums begeis In Dresden erreichte Meißner den
terte sich Meißner für Theater und Höhepunkt seiner schriftstellerischen
Dichtung und pflegte Umgang mit Laufbahn. Mit Karl Christian Canz
den Mimen Conrad Ekhof, Friederike ler gab er die Quartalsschrift „Für
Sophie Seyler und Ester Charlotte ältere Litteratur und neuere Lectüre“
Brandes. Seine ersten Versuche als heraus. Es entstanden die Romane
Dramatiker wurden von Johann Jacob „Alcibiades“ und „Bianca Capello“,
Engel gefördert. 1776 erschienen die Persönlichkeiten der italienischen
einige erfolgreiche Werke Meiß Renaissance bzw. der griechischen
ners, darunter die komische Oper Antike gewidmet waren, das Singspiel
„Das Grab des Mufti“. Er gab zudem „Alchemist“ und die Schauspiele „Ar
215
te, Joseph Schuster und Franz Seyde
lmann, die mehrere Stücke Meißners
vertonten, dem aus Zittau stam
menden Schriftsteller Karl Friedrich
Kretschmann und der Dichterin Elisa
von der Recke sowie den Malern Jo
hann Eleazar Zeissig und Crescen
tius Jakob Seydelmann. Um die Hand
der Malerin Dora Stock, einer Tante
von Theodor Körner, bemühte er sich
vergeblich. Als Vertreter der Aufklä
rung kritisierte Meißner wiederholt
den Hofstaat. Zwei Söhne von Hein
rich von Brühl, Hanns Moritz und
Alois Friedrich, gehörten trotzdem
zu seinem engen Bekanntenkreis. Seit
1780 war Meißner Mitglied der Ober
Seinen Roman Alcibiades von 1781 lausitzischen Gesellschaft der Wissen
widmete Meißner dem Maler Jo- schaften in Görlitz. Von 1780 bis 1787
hann Eleazar Zeissig (Schenau). gehörte er der von Johann Samuel
Schenau schuf die Zeichnung zum Petermann, einem Sohn von Georg
Titelbild, die von Ephraim Gottlieb Petermann, geleiteten Freimaurer
Krüger gestochen wurde. Loge „Zum goldenen Apfel“ an. Mit
der Loge „Herkules“ in Schweidnitz
sene“ und „Johann von Schwaben“. war er zuvor affiliiert.
Seine Kantate „Das Lob der Musik“
wurde von Hofkapellmeister Joseph 1785 erhielt Meißner die Professur
Schuster vertont. Zudem startete der Philosophie an der Universität
Meißner 1778 seine „Skizzen“ (pro Prag, vermutlich auf Empfehlung
saische Aufsätze, Anekdoten, Erzäh von Ernst Platner. Er übernahm aber
lungen, Fabeln), die schließlich in 14 schließlich die Ästhetik und klassi
Sammlungen erschienen. Sie zeichne sche Literatur. Meißner gab in Prag
ten sich durch eine angenehme Art zu die Zeitschrift „Apollo“ heraus und
erzählen, Einbildungskraft und Witz gründete ein Buchgeschäft. Er ver
aus und begründeten maßgeblich fasste Biografien zur griechischrö
seinen Ruf. Meißner hielt in Dres mischen Geschichte wie „Spartacus“,
den enge Beziehungen zu führenden „Epaminondas“ und „Leben des Julius
Künstlern seiner Zeit, darunter den Caesar“ sowie 1796 als Sammelband
Hofkapellmeistern Johann Gottlieb seine „KriminalGeschichten“. In Prag
Naumann, dessen Biografie er verfass herrschte unter Kaiser Joseph II. ein
216
tolerantes, aufgeklärtes Klima, das
auch die Berufung eines protestanti
schen Professors wie Meißner zuließ.
Mit dem Tod des Kaisers 1790 gewan
nen jedoch an der Universität restau
rative Bestrebungen um den katho
lischen Klerus an Einfluss, die auch
Meißners Lehrtätigkeit erschwerten.
1805 wechselte Meißner nach Fulda
als Konsistorialrat und Direktor des
Gymnasiums. Wie in Prag kam er als
protestantischer Lehrer in ein streng
katholisches Umfeld, in dem erst
1802 die Säkularisierung eingeführt
worden war. Weil Friedrich Wilhelm
von Nassau auf Seiten der Preußen
gekämpft hatte, besetzten nach der
Schlacht von Jena napoleonische
Truppen Fulda. Mit ihnen kam der
Typhus, der Meißner 1807 im Alter
von 53 Jahren, seiner Frau und zwei Clara Bianca von Quandt mit Laute,
Töchtern das Leben kostete. 1820 von Julius Schnorr von Ca-
rolsfeld gemalt. Meißners Tochter
Meißner war seinerzeit einer der heiratete zwölf Jahre nach dem
Lieblingsschriftsteller des Publikums Tod des Vaters in Dresden Johann
und insbesondere bei der weiblichen Gottlob von Quandt. Zu den regel-
Leserschaft angesehen. Seine ausge mäßigen Gästen im Hause Quandt
zeichenten Fremdsprachenkennt gehörten Ernst Rietschel, Gott-
nisse ermöglichten ihm anerkannte fried Semper, Karl August Böt-
Übersetzungen und Bearbeitungen tiger und Gottlob Adolf Ernst
aus dem Französischen, Englischen, von Nostitz und Jänkendorf.
Italienischen, Lateinischen und Grie Quandt übte großen Einfluss auf
chischen. Die berühmten Schriftstel das Kunstgeschehen in ganz Sachsen
ler seiner Zeit wie Johann Wolfgang aus. Er war einer der Mitbegründer
von Goethe und Ludwig Tieck sahen des Sächsischen Altertumsvereins
ihn dagegen kritisch mit Hinweisen und des Sächsischen Kunstvereins
auf sprachliche Mängel und fehlende sowie Mitglied des akademischen
Originalität. Nach Meißners Tod gab Rats an der Kunstakademie und der
Christoph Kuffner dessen gesammelte Dresdner Galeriekommission. 1830
Werke in 56 Bänden heraus. kaufte er das Rittergut Dittersbach.
217
Karl Wilhelm Mittag veröffentlichte mehrere Gedichte im „Sächsischen
Erzähler“.
218
Mittag, Karl Wilhelm
Stadtchronist von Bischofswerda
24.12.1813 Rammenau – 29.04.1864 Langebrück
V: Johann Gottlieb, Häusler in Rammenau; M: Eva Rosina geb. Häntsche (*1.9.1785 Rauschwitz,
†24.11.1840 Rammenau), Tochter eines Freibauern; G: Johann Gottlieb (*24.3.1808 Rammenau,
† nach 1840), Hanne Eleonore (*13.8.1822 Rammenau, † nach 1840); E: 1843, Emilie Paulina
geb. Lommatzsch (Tochter von Karl Gottfried Lommatzsch, Rittergutspächter und Gutsbesitzer
in Burkhardswalde; ? Pferdezüchter Gottfried Leberecht Lommatzsch, *1803 Burkhardswalde)
219
„Religions und Spruchbuch für Detailliert schilderte er historische
evangelischlutherische Volksschulen Ereignisse wie die Einführung der Re
mit Rücksicht auf Dr. Mart. Luthers formation und den großen Stadtbrand
kleinen Katechismus“ von Karl W. von 1813, aber auch die wirtschaft
Lotze, erschienen in der 8. Auflage bei liche Tätigkeit über mehrere Jahr
Klinkicht Meißen. Bei diesem Verlag hunderte. Mittags Chronik von 1861,
publizierte er 1858 auch sein „Hand dem 500. Jahr seit der Erteilung des
buch zur Gewichtsreform in Sachsen: Stadtrechts an Bischofswerda, ging in
Die gesetzlichen Bestimmungen. ihrer Detailtreue und Vollständigkeit
Über Einführung eines allgemeinen weit über ihre Vorgänger hinaus und
Landesgewichts“ im Zusammenhang hat bis heute keinen entsprechenden
mit den Standardisierungsbestrebun Nachfolger gefunden. Diese Chronik,
gen des Deutschen Zollvereins, das deren Erscheinen sich am 30. Juni
sich sowohl an Geschäftsleute wie 2011 zum 150. Mal jährte, ist ein noch
auch an Privatpersonen richtete. heute häufig zitiertes historisches
Werk und wurde inzwischen wieder
Von dem befreundeten Verleger neu aufgelegt.
Friedrich May, seinerzeit kurz vor
dem Eintritt in die Dresdner Frei 1862 ging Mittag als Kirchschullehrer
maurerloge „Zu den drei Schwertern“, nach Langebrück. In seinen letzten
der auch Christian Gottlob Adolph Jahren veröffentlichte er bei May
von Heynitz angehört hatte, ließ sich im „Sächsischen Erzähler“ mehrere
Mittag überzeugen, für Bischofswer Gedichte, darunter im Februar 1864
da eine neue Chronik anzufertigen. zu Ehren seines ehemaligen Lehrers
Die vormalige aus dem Jahre 1713 Johann Gottlob Riedel anlässlich
ging auf den Bischofswerdaer Kan dessen 50jährigen Amtsjubiläums.
tor Christian Heckel zurück. Heckel Schon zwei Monate später mussten
schrieb darin die Arbeit von Michael Riedel und May an gleicher Stelle dem
Pusch, Archidiakonus in Pirna, fort, Freund mit einem Nachruf gedenken.
die dieser in zwei Auflagen 1658
und 1659 in Dresden veröffentlicht Quellen: Kirchenarchiv Rammenau; www.h
hatte. Mittag ergänzte nicht nur die conrad.de (Die Schüler des Lehrerseminars von
letzten anderthalb Jahrhunderte, 1825 bis 1925); „Bischofswerda in der Chronik,
sondern führte eigene umfangreiche Erinnerungen an MittagsChronik, die vor 70
Jahren am 30. Juni erschien“. Unsere Heimat,
Recherchen im königlichsächsischen Beilage zum Sächs. Erzähler, Nr. 26, 29. Juni
Hauptstaatsarchiv, im Meißner Stifts 1931; Allgemeine deutsche naturhistorische
archiv und im geheimen Finanzarchiv Zeitung, Gesellschaft Isis in Dresden, Jg. 1846,
1856; Sächsisches Kirchen und Schulblatt, Bd.
durch und übersetzte vielfach origi
12, Verlag Dörffling und Franke, 1862, S. 112;
nale Urkunden aus dem Lateinischen Der Sächsische Erzähler, Nr. 86/31. Oktober
und dem mittelalterlichen Deutsch. 1863, Nr. 92/21. November 1863, Nr. 13/13. Feb
220
Nachruf im „Sächsischen Erzähler“, Wochenblatt für Bischofswerda, Stol-
pen und Umgegend, Nr. 37/ 7. Mai 1864.
ruar 1864, Nr. 37/ 7. Mai 1864; Carl Ramming: „Ramming‘s Kirchlichstatistisches Handbuch für das
Königreich Sachsen ... Nach handschriftlichen Angaben und amtlichen Quellen bearbeitet‘‘. Ausg. 6,
Ramming‘sche Buchdruckerei, 1859; Franz Otto Stichart: „Jubelchronik der dritten kirchlichen Säcu
larfeier der Einführung der Reformation in Sachsen: zur Erinnerung für das kommende Geschlecht
auf das Jubeljahr 1939“. Grimma, 1841; Wilhelm Haan: „Kirchlichstatistisches Handbuch für das
Königreich Sachsen oder Verzeichnis der in dem Königreiche Sachsen angestellten Geistlichen,
Schulmeister, Schullehrer, Cantoren aller Confessionen‘‘. Bd. 3, Dresden, 1838; Cornelius Gurlitt:
„Beschreibende Darstellung der älteren Bau und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen“. Bd. 41,
1923, Meinhold Dresden; Dresdner Journal. Herold für sächsische und deutsche Interessen. Redigirt
von Karl Biedermann, Bd. 5, Teubner, 1849; Friedrich Adolf Peuckert: „Die ger. und vollk. St. Johan
nisloge zu den drei Schwertem und Asträa zur grünenden Raute im Orient Dresden 1738–1882“.
Bruno Zechel, 1883; Adressbücher der Stadt Dresden
221
Johann Gottfried Nake.
222
Nake, Johann Gottfried
Amtsverwalter und Schafzüchter der Wettiner
06.05.1770 Dresden – 18.04.1855 Kleindrebnitz
Nake verlor früh seinen Vater. Die im Vorwerk Lohmen und ab Dezem
Mutter konnte ihren Kindern den ber 1795 in Rennersdorf, den zwei
noch eine gute Ausbildung ermög sächsischen Stammzuchtstellen für
lichen. In Dresden, wo die Familie Merinoschafe.
das Haus Wilsdruffer Gasse 16 besaß,
besuchte Nake die Kreuzschule. Ab 1796 übernahm Nake das Kammer
1791 studierte er zusammen mit gut Rennersdorf als Administrator
seinem Bruder Christoph Traugott in im Range eines Amtsverwalters. Er
Leipzig Kameralwissenschaften. Da gehörte damit neben dem in Stolpen
nach absolvierte Nake im Kammergut residierenden Justizamtmann Benja
Rennersdorf ein Praktikum. Ab 1794 min August Scheibner und dem Rent
arbeitete er als Wirtschaftsschreiber beamten Johann Gottfried Traugott
223
„Vorwerk“ Kleindrebnitz: Histori-
sche Torausbildung der mit Kreuz-
gewölben gedeckten Hofeinfahrt
(oben); heutige Ansicht (rechts).
224
seine eigenen Felder und die der an
gegliederten Schäferei selbst.“
225
Johann Gottfried Nake kaufte das Erbgericht Kleindrebnitz 1822 von Jo-
hann George Steglich, 1849 verkaufte er es an Carl Gottfried Gnauck. Das
Foto wurde von Uwe Fiedler der Wikipedia zur Verfügung gestellt.
226
Nake bewirtschaftete sein Anwesen Wegen der Bedeutung der Schafzucht
nicht selbst, sondern übertrug dies für Sachsen bestand in den 1820er
einem Vogt. 1822 kaufte er zusätzlich Jahren „Die wegen Veredelung der
das Kleindrebnitzer Erbgericht. Nakes Schäfereien im Königreiche Sachsen
Motive bestanden darin, zum Vor Verordnete Commission“. Sie unter
werk benachbarte landwirtschaftliche stand direkt dem Geheimen Kabinett
Flächen zu erwerben und neben der unter Detlev Graf von Einsiedel und
Schafzucht auch herkömmliche Land wurde von Peter Carl Graf von Ho
wirtschaft betreiben zu können. Eine
Rolle spielte vermutlich aber auch,
dass der Unternehmer in Kleindreb
nitz und hohe königliche Vertreter in
Rennersdorf dadurch zusätzlich Ein
fluss auf die örtliche Gerichtsbarkeit
in Kleindrebnitz erlangte. Zu Nakes
Obliegenheiten gehörte die Organisa
tion der Fronleistungen, die das Dorf
gegenüber Kammergut Rennersdorf
und Amt Stolpen zu erfüllen hatte.
Als „Dungdorf “ war Kleindrebnitz
für die Düngung der königlichen „Dem Elektoralschafe war eigen:
Felder zuständig, man musste Ge eine kleine Figur von feinem Kno-
höftarbeiten leisten, die Flachsfelder chenbau; langer schwacher Kopf,
bearbeiten, Holz und Transportar feiner Hals, hoher scharfer Stock
beiten übernehmen und die Jagden mit schmalem Rücken, schmales
unterstützen. Die Fluren sollten von abgeschliffenes Kreuz; seichte enge
den Schafen des Kammergutes „be Brust mit solchem Bauche; hohe
hütet“ werden. Als Grundbesitzer in Beine mit mageren Schultern und
Kleindrebnitz war Nake Fronpflichti Schenkel; ein feines Fell ohne Falten
ger, als Administrator in Rennersdorf mit schwachem Köder“ (Georg May:
Kontrolleur. Sein Versuch, Ausschank „Das Schaf: seine Wolle, Rassen,
und Beherbergung sowie die Durch Züchtung, Ernährung und Benut-
führung von Versammlungen vom zung, sowie seine Krankheiten“, Bd.
Erbgericht in das Vorwerk zu verle 1, Breslau 1868, S. 181–182; Abb.:
gen, scheiterte am Widerstand der vierjähriges Mutterschaf, Rudolph
Kleindrebnitzer. Damit musste er André 1824). Der in Wilschdorf bei
auch seinen Plan aufgeben, die Erbge Rennersdorf aufgewachsene Ro-
richtsgebäude komplett zu vermieten bert Heller erwähnte die Elek-
und die Flächen ausschließlich vom toralwolle in seinem Roman „Der
Vorwerk aus zu betreiben. Schleichhändler“.
227
Auf dem Territorium des Amtes Stolpen (AS) lebten 1832 etwa 28.500 Men-
schen, davon ungefähr 24.000 in Dörfern.
henthal geleitet. Neben Nake gehörte ein Drittel auf etwa 400.000. Zudem
ihr auch der Lohmener Amtsverwal verursachte die Hochzüchtung der
ter Edmund Sison an. Elektoralschafe Inzuchtprobleme.
Kritiker bemängelten eine einseiti
Nakes private Schafzucht blieb ge Überbetonung der Wollqualität
wirtschaftlich weniger erfolgreich als zulasten eines stabilen Körperbaus.
gehofft. König Friedrich August der Verteidigt wurde Nake von August
Gerechte wollte nach den napoleo Gottfried Schweitzer, der ab 1830 an
nischen Kriegen mit dem kurzfristig der Forstakademie Tharandt eine neu
ertragreichen Export von Zucht geschaffene landwirtschaftliche Ab
schafen die Not im Land lindern, teilung leitete und den Stammzucht
beförderte damit aber gleichzeitig stellen Lohmen und Rennersdorf als
verstärkte Konkurrenz, beispielsweise SchäfereiKommissar vorstand.
aus Australien. Auch in den USA und
Russland waren sächsische Merinos Die 1830er Jahre waren in Sachsen
gesucht. Die immer populärer wer durch tiefgreifende Reformen unter
dende Baumwolle und billige Importe König Anton dem Gütigen und dem
aus England verminderten die Nach neu ernannten Mitregenten Friedrich
frage der Textilindustrie nach Schaf August II. geprägt, die auch die Arbeit
wolle. Der sächsische Schafbestand Nakes beeinflussten. Bruno Barthel
sank in zwei Jahrzehnten bis 1855 um schrieb 1907 in „Altes und Neues aus
228
Groß und Kleindrebnitz“ mit Bezug Nake beteiligte sich seit den 1820er
auf die Wirkungen des von Heinrich Jahren aktiv an der Arbeit mehre
August Blochmann mitverfass rer elitärer Vereine. Wie Gottlob
ten Gesetzes über „Ablösungen und Friedrich Thormeyer und Gott
Gemeinheitsteilungen“, das Sachsens lob Adolf Ernst von Nostitz
Bauern bis 1852 schrittweise von und Jänkendorf gehörte er der
vielen Frondiensten und Abgaben Ökonomischen Gesellschaft im Kö
befreite: „Nachdem alle diese Ablö nigreiche Sachsen an. Mitglied war
sungen geordnet waren, wurden die auch Peter Carl Graf von Hohenthal,
Grundstücksbesitzer hier und an dessen Vater, ein Konferenzminis
dernwärts eigentlich erst freie Herren ter, zu den Gründern gehört hatte.
ihres Eigentums und hatten nun ein Nake beantwortete hier Fragen zu
ganz anderes Interesse an der Verbes Klee und Kohlgewächsen und kom
serung desselben wie früher. Deshalb mentierte Artikel zur Schafzucht.
wurde dadurch auch ein gewaltiger 1823 hatte er in der „Deputation für
Fortschritt in der sächsischen Land landwirtschaftliches Bau und Ma
wirtschaft eingeleitet und damit in schinenwesen“ mit Georg Heinrich
der Hauptsache auch ein erfreulicher von Carlowitz, Gustav von Flotow,
Aufschwung der ganzen wirtschaft Landbaumeister Friedrich Gottlob
lichen Lage unseres Vaterlandes her Röber, Rudolf Sigismund Blochmann
vorgerufen.“ Wenn die Grundbesitzer und Wilhelm Gotthelf Lohrmann
die Ablösesummen nicht aufbringen zusammengearbeitet. Sie bewerte
konnten, erhielten sie von der Land ten die Einrichtung der Ställe und
rentenbank Kredit. Hinsichtlich der Düngerstätten. 1837 nahm Nake an
Verpflichtungen gegenüber dem der ersten Versammlung deutscher
Kammergut Rennersdorf begannen Landwirte in Dresden teil. Zu den
beispielsweise die Rentenzahlungen sächsischen Teilnehmern der von Au
in Großdrebnitz 1838. Das Kam gust Gottfried Schweitzer maßgeblich
mergut Rennersdorf unterstand seit organisierten Veranstaltung zählten
1831 dem neu eingerichteten Finanz auch Nakes Sohn Moritz Theophron
ministerium unter Heinrich Anton aus Kleinwolmsdorf, Julius Gott
von Zeschau. Nake gehörte dem von lob von Nostitz und Jänkendorf
Zeschau geleiteten Verein für Statistik und Heinrich August Bloch
des Königreichs Sachsen an, für den mann. Nakes Ehrenmitgliedschaft
auch Paul Hermann arbeitete und im Sächsischen Altertumsverein ist
dessen Aufgabe darin bestand, mit insofern sehr bemerkenswert, dass
statistischen Erhebungen zur Bevöl sich dieser Verein durch eine erlesene
kerung und Wirtschaft die Regierung Mitgliederschaft auszeichnete. Karl
zu unterstützen. August Böttiger und Gottlob
Adolf Ernst von Nostitz und Jän
229
von Nake durchschnitten. 1849 ver
kaufte er das Erbgericht Kleindrebnitz
an Carl Gottfried Gnauck, den Vater
von Ernst Gnauck. Seit der sächsi
schen Landgemeindereform von 1838
stand Carl Gottfried Gnauck als erster
gewählter Gemeindevorstand dem
Dorf vor.
230
Die ehemals königlich-sächsische Zucht bildet eine der fünf Hauptstamm-
linien der australischen Merinos. Schafe dieser Rasse gelten nach wie vor
als die besten Wolllieferanten. Foto: Steven Walling (Wikimedia Commons,
CC BY-SA 3.0)
nach Neudrebnitz, im selben Jahr, als 2, 1822; Schöne: „Die Sächsische Landwirtschaft“.
1925; Schriften und Verhandlungen der Ökonomi
die Witwe Nake in Kleindrebnitz ver schen Gesellschaft im Königreiche Sachsen, 1828;
storben war. Das Vorwerk befand sich Bruno Barthel: „Altes und Neues aus Groß und
seit 1857 im Besitz von Nakes Enkel Kleindrebnitz“. Friedrich May Bischofswerda,
1907; Amtlicher Bericht Versammlung deut
Ernst Julius von Zenker und wurde scher Land und Forstwirthe in Dresden, 1838;
später als Industriestandort genutzt. Heinrich Janke: „Die Wollproduktion unserer
Erde und die Zukunft der deutschen Schafzucht:
Nebst praktischen Züchtungsregeln“. Joh. Urban
Quellen: Heinrich Nake: „Angehörige der Familien Kern, Breslau, 1864; August Gottfried Schweitzer:
Nake und Schmaltz vom Ausgange des 18. Jahrhun „Ausführlicher Bericht über einen in der königl.
derts bis 1912“; Roland Paeßler: „Zur wechselvollen sächsischen Stammschäferei zu Rennersdorf mit
Geschichte der sächsischen Schafzucht“. In: Aus der Erziehung zweijähriger Kammwolle gemach
Natur und Volksweisheit, hrsg. vom Landesver ten Versuch“. In: Oekonomische Neuigkeiten
ein Sächsischer Heimatschutz, Bautzen 2003, S. und Verhandlungen, Zeitschrift für alle Zweige
201–205; Roland Paeßler: „Nake, Johann Gottfried“. der Land und Hauswirthschaft, des Forst und
Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Säch Jagdwesens im Oesterreichischen Kaiserthum, Bd.
sische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von 39, S. 129–135, Calve, 1835; Mittheilungen des
Martina Schattkowsky, 2006; Roland Paeßler: „Die Statistischen Vereins für das Königreich Sachsen,
Erbrichter in der Umgebung von Bischofswerda“. 1833; Sächsischer Altertumsverein: Mittheilungen,
In: Mathias Hüsni (Hrsg.), Schiebocker Landstrei Ausg. 7–14; Bericht über die Arbeiten des Königl.
cher, H. 3, Burkau 2008, S. 8–16, zusammengestellt Sächsischen Vereins für Erforschung und Erhaltung
und bearbeitet von Dr. Uwe Fiedler; Dresdner Vaterländischer Alterthümer, 1841, 1842; Bruno
Adressbücher, 1799, 1862, 1868; Churfürstlich Barthel: „Die Stolpener Amtsteiche und das Vor
Sächsischer Hof und Staatscalender, 1799, 1826; werk Kleindrebnitz“. Beilage „Unsere Heimat“ zum
Cornelius Gurlitt: „Beschreibende Darstellung der „Sächsischen Erzähler“, Nr. 6–7, 1922; Dr. Klaus
älteren Bau und Kunstdenkmäler des Königreichs Mann, Mitteilungen zur Orgelbauerfamilie Herbrig;
Sachsen“; Wilhelm Adolf Lindau: „Dresden und Erich Barth: „Frondienste für die Burg und das
die Umgegend“. Arnoldische Buchhandlung, Bd. Amt Stolpen“. Stolpner Hefte, H. 9, 2001
231
Max Neumeister (Archiv Fachrichtung Forstwirtschaft Tharandt, TU Dresden).
232
Neumeister, Max Heinrich August
Professor, Forstwissenschaftler in Tharandt
15.05.1849 Kleindrebnitz – 01.12.1929 Dresden
V: Johann Heinrich (*7.9.1819 Baruth, †11.1.1878 Kleinröhrsdorf), Geodät bei der Königl. Lan
desvermessung Wartha, 1844 Absolvent der Forstakademie Tharandt, 1848 Jäger im Altstädter
Revier, 1851 Unterförster in Leubsdorf, 1858 Königl. Sächs. Oberförster in Landesgemeinde,
später Kleinröhrsdorf; M: Auguste Caroline Sophie geb. Geisler (*27.2.1830 Weickersdorf,
†1910 Sebnitz), lebte als Witwe bis 1908 in Dresden; G: Curt Willinwald (*16.9.1851 Leubsdorf,
†8.3.1931 Leubsdorf, 1873 Absolvent der Forstakademie Tharandt, Königl. Förster), Richard
Eugen (*26.12.1852 Leubsdorf, † Cannstatt bei Stuttgart, Sprachlehrer), Arthur Heinrich
(*26.4.1857 Leubsdorf, besuchte die Kreuzschule Dresden), Rosa Concordia (*24.4.1858 Lan
desgemeinde, Technische Zeichnerin), Sophie Elisabeth verh. Stein (*1860, †14.3.1920 Sebnitz),
Ernst Alexander (*17.4.1863 Landesgemeinde, †21.6.1918 Ostrau, Annenschule Dresden, Kö
nigl. Förster), Selma Maria (*10.3.1866 Kleinröhrsdorf); E: 20.10.1876 Dresden, Agnes Owella
Franziska geb. Fincke (*7.1.1852 Schöneck, †13.1.1938 Dresden), Tochter des Rentamtmanns in
Marienberg und vormaligen Bürgermeisters von Schöneck Friedrich Wilhelm Fincke; K: keine
233
Während des Studiums der Forst zu den Voraussetzungen für eine
wirtschaft von 1867 bis 1869 an Laufbahn im höheren sächsischen
der Akademie Tharandt gehörten Staatsforstdienst. Aus dem Jahr
Johann Friedrich Judeich („Sächsi 1871 stammt die erste Publikation
sche Bestandeswirtschaft“) und Max Neumeisters mit Beobachtungen in
Preßler („Bodenreinertragslehre“) Langebrück zu Generationen des
zu Neumeisters wichtigsten Lehrern. Fichtenborkenkäfers. 1872 bestand
Julius Adolph Stöckhardt unterrichte er die Staatsprüfung für den höheren
te Chemie, Friedrich Nobbe Botanik Forstdienst mit Auszeichnung und
und Pflanzenphysiologie. Seit ihrer wurde an der Forsteinrichtungsanstalt
Gründung durch Heinrich Cotta im Dresden angestellt. Entsprechend
Jahre 1816 hat die Forstakademie gehörten Forsteinrichtungsarbeiten
unser heutiges Waldbild entscheidend zu seinen Hauptaufgaben. Neumeister
geprägt: Die ungeplante Bewirtschaf arbeitete in Görlitz, auf den fürstlich
tung des Bauernwaldes, Ursache für reußischen Besitzungen, auf den
den damals verbreiteten Verfall der fürstlichclaryschen Besitzungen in
Wälder, wurde ersetzt durch plan Böhmen und in verschiedenen Staats
volle Aufforstung und Ernte. Ein forstrevieren. 1877 beteiligte er sich
systematisches Wegenetz war für die mit dem Beitrag „Windmantel oder
wirtschaftliche Nutzung des Waldes Waldmantel‘‘ an der Versammlung
besser geeignet als Jagdwege, die sich sächsischer Forstvereine in Zittau.
spinnenförmig von einem Zentrum
ausbreiteten. Seit ca. 1860 verband 1880 vertrat Neumeister den zweiten
die „Sächsische Bestandeswirtschaft“ forstlichen Professor Max Weißwan
wirtschaftliche Kriterien mit wald ge in Tharandt bei Vorlesungen zu
baulichen Aspekten wie Altersklassen Waldbau und Forstschutz. Zu den
und räumliche Ordnung. Aufgabe der Pflichten des zweiten forstlichen Pro
Absolventen war es, das Gelernte in fessors gehörte auch die Verwaltung
die Praxis überzuführen. Für her des Staatsforstreviers Tharandt, das
vorragende Studienleistungen wurde als LehrForstrevier der Verbindung
Neumeister eine Medaille verliehen. von Theorie und Praxis diente. Als
Weißwange nach Tharandt zurück
Nach dem Studium wechselte Neu gekehrt war, trat Neumeister dessen
meister in die Praxis und arbeitete Nachfolge als Forstmeister beim
zwei Jahre im Langebrücker Staats Fürsten Hermann von Hatzfeldt in
forstrevier, benachbart gelegen zum Trachenberg (Schlesien) an. Er leitete
Kleinröhrsdorfer Revier des Vaters. dort das fürstliche Kameralamt und
Diese wie eine einjährige Tätigkeit an wurde Generalbevollmächtigter der
der KöniglichSächsischen Forstein Forstverwaltung. In dieser Funkti
richtungsanstalt Dresden gehörten on vermittelte er vielen sächsischen
234
Die Forstakademie Tharandt, Lithografie von E. Müller, 1850, Lizenz: Deut-
sche Fotothek CC BY-SA.
235
kontrollstation unter Friedrich Nobbe
an die Forstakademie angegliedert
war, und Dresden hinsichtlich
Landwirtschaft unter der Leitung von
Bruno Steglich vereinigt. Neu
meister wirkte in Tharandt zudem als
Stadtrat.
236
hatten vorausschauende Menschen
erkannt, dass nur durch nachhaltige
Bewirtschaftung der Reichtum des
Waldes zukünftigen Generationen
erhalten werden kann. Besonderes
Augenmerk lag bei Neumeister auf
der Minimierung von Sturmschä
den. Quer zur Hauptwindrichtung
verlaufende, lange schmale Schläge
blieben durch Altbestand abge
deckt. Hinter dem Schlag sicherte
ein stufenweise ansteigender, nach
Altersgruppen geordneter Baumbe
stand ein Aufgleiten des Windes. Im
Tharandter Forstlichen Jahrbuch und
in den Berichten zu den Versamm
lungen des sächsischen Forstvereins
erschienen regelmäßig Beiträge von
Neumeister. Seine Arbeiten betrafen
forstmathematische Fragen, aber z.
B. auch die „Laub und Kalkfütte „Die Forsteinrichtung der Zukunft“.
rung des Edel und Rehwildes“. Der Dresden Schönfeld, Sonderabdruck
Preßler‘sche Zuwachsbohrer ist von aus: Thar. Forstl. Jahrb., 50. Jg.,
Neumeister weiterentwickelt worden. 1900, 122 S.
In abgewandelter Form kommt er
noch heute zum Einsatz, um anhand Staaten verliehen ihm hohe Aus
von Jahresringen Zuwachs und Alter zeichnungen, z. B. 1897 die Königin
von Bäumen zu bestimmen, ohne sie Regentin der Niederlande und der
zu fällen. griechische König das Offizierskreuz
des Königlich Griechischen Erlöser
Neumeisters Leistungen sind vielfach Ordens. 1901 bekam er den serbi
gewürdigt worden. 1895 wurde er schen St. AvaOrden und 1903 die
zum Mitglied der Deutschen Akade Ernennung zum Großoffizier des Bul
mie der Naturforscher Leopoldina in garischen Civilverdienstordens. Auch
Halle/Saale gewählt, 1896 erhielt er in Spanien, Norwegen und Rumänien
die Ernennung zum Geheimen Forst erhielt Neumeister hohe staatliche
rat, 1902 zum Geheimen Oberforstrat und forstliche Auszeichnungen.
und 1904 zum Ehrenmitglied der
Sächsischen Gesellschaft für Botanik Die Amtszeit Neumeisters in Tha
und Gartenbau Flora. Verschiedene randt vollendete sich 1904 mit der
237
Erhebung der Forstakademie zur in der insgesamt 31 Jahre währenden
Hochschule. Wie Gustav Anton Zugehörigkeitsperiode von Neumeis
Zeuner an der TH Dresden legte er ter zum Landeskulturrat in diesem
als langjähriger Akademiedirektor Gremium die landwirtschaftlichen
mit der Einführung des Wahlrektorats Versuchsstationen.
sein Amt nieder, das jetzt jährlich
befristet neu besetzt wurde. Auch noch in seiner Dresdner Zeit er
innerte sich Neumeister seiner Ober
Von 1906 bis 1919 leitete Neumeister lausitzer Wurzeln. Als Mitglied des
den Forstbezirk Dresden als Ober sächsischen Eisenbahnrats erreichte
forstmeister. Zu seinem Forstbezirk er im Zusammenwirken u. a. mit dem
gehörte die Dresdner Heide, seit Kleindrebnitzer Gemeindevorstand
1906 auch Moritzburg. Von 1910 bis Ernst Gnauck 1909 die Errichtung
1920 war Neumeister Vorsitzender eines Bahnhofs in Weickersdorf. Aus
des sächsischen Forstvereins und Anlass der 350 Jahre zuvor im Dorf
er leitete das Prüfungsamt für den eingeführten Reformation spendete er
höheren sächsischen Staatsforstdienst. 1909 der Martinskirche Großdrebnitz
1907 beteiligte sich Neumeister mit einen kunstvollen Deckel zum neuen
einem Beitrag zur Dresdner Heide Taufstein. Den hatten die Angehöri
an einem wissenschaftlichen Füh gen der letzten vier Großdrebnitzer
rer durch Dresden. Im selben Jahr Pastorenfamilien, darunter von Carl
erstellte er für den Landeskulturrat Julius Marloth, gestiftet.
ein Gutachten zu einem geplanten
Preisausschreiben für Rauchgas Während des Ersten Weltkriegs
Neutralisierungsanlagen zur Ver verfasste Neumeister ein „Merkblatt
meidung von Schäden in Land und zur Gewinnung von Laubreisigfutter“.
Forstwirtschaft. Der Wettbewerb 1917 leitete er die Hauptversammlung
wurde von den zuständigen Minis des Deutschen Forstvereins, dem
terien grundsätzlich positiv bewer er viele Jahre angehörte, in Erfurt.
tet, obwohl Experten vor einem Bei dieser Gelegenheit befürwortete
absehbaren Scheitern warnten. Die er eine Kriegsbewirtschaftung der
Gutachter, neben Neumeister auch Wälder. Zuletzt wohnte Neumeister in
Bruno Steglich und Oskar Kellner Dresden, Wilhelmplatz 10 (vormals
aus Möckern, empfahlen zwar einen Hermann von NostitzWallwitz).
solchen Wettbewerb mit einem Preis Nach seinem Tod wurde er auf dem
geld von bis zu 20000 Mark, doch Inneren Neustädter Friedhof beige
auch sie warnten vor Erfolgsrisiken. setzt. An seine Verdienste erinnert in
Das schließliche Scheitern gab ihnen Tharandt noch heute ein nach ihm
recht. Gustav Loges und Bruno benannter Wanderweg durch das Tal
Steglich vertraten von 1911 bis 1925 der Wilden Weißeritz.
238
Grabstein für Neumeister und seine Frau auf dem Inneren Neustädter
Friedhof in Dresden.
Quellen: Prof. Dr. Harald Thomasius (1966–1992 Lehrstuhlinhaber Waldbau, 1978–1982 Di
rektor der Sektion Forstwissenschaft der TU Dresden): Unterlagen und Mitteilungen; Geheimer
Forstrat Groß: „Dem Andenken Dr. Max Neumeister“. Tharander Forstliches Jahrbuch, S. 1–5,
1930; Adolf Hinrichsen: „Das literarische Deutschland“. Carl Hinstorf ‘sVerlag, S. 431, 1887;
Ehregott Bruno Barthel: „Die Stolpener Amtsteiche und das Vorwerk Kleindrebnitz“. „Unsere
Heimat“, Beilage zum Sächsischen Erzähler, 5./12.3.1922; Deutsche Akademie der Landwirt
schaftswissenschaften zu Berlin: „Archiv für Forstwesen“. 1966; Kirchenarchiv Großdrebnitz;
Innerer Neustädter Friedhof Dresden, Friedhofsverwaltung; Deutsche Akademie der Naturfor
scher Leopoldina, Mitteilungen, 16.8.2007; Henry Holder Stephenson: „Who‘s who in Sci
ence“. The Macmillan Company, 1912; Sitzungsberichte und Abhandlungen „Flora, Sächsische
Gesellschaft für Botanik und Gartenbau“; Tharander Forstliches Jahrbuch 1844, 1848, 1852,
1891, 1897, 1901, 1903; Dieter Bulling, Kleinröhrsdorf: Mitteilungen, 13.5.2010; Martin Bem
mann: „Beschädigte Vegetation und sterbender Wald: Zur Entstehung eines Umweltproblems
in Deutschland 1893–1970“. Vandenhoeck & Ruprecht, 2012; Ottfried Bloßfeld: „Tharandt um
1900 – ein blühendes Gemeinwesen“; F. Schöne: „Ueber Shaksperes Julius Cäsar mit besonderer
Berücksichtigung des Verhältnisses zur Quelle des Stückes“. Gymnasium zum heiligen Kreuz in
Dresden, 1878; Dresdner Adressbücher; gw.geneanet.org; Schöne: „Die Sächsische Landwirt
schaft“. 1925; „Wer ist‘s?“ Degener, 1908
239
Porträt von Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf, gezeichnet
von Carl Christian Vogel von Vogelstein (1824).
240
Nostitz und Jänkendorf, Gottlob Adolf Ernst von
Dr. E.h., sächsischer Konferenzminister und Schriftsteller
21.04.1765 See (Oberlausitz) – 15.10.1836 Oppach
V: Wolf Gottlob (*30.12.1718 See, †25.1.1768 Moholz), Erb, Lehn und Gerichtsherr auf
Oppach und Moholz; M: Juliane Eleonore Ernestine geb. von Kiesewetter (*13.10.1740 Wanscha,
†20.2.1824 Dresden), 2. Ehe von Nostitz, Tochter des Landesältesten des Görlitzer Fürstentums
Ernst Ludwig von Kiesewetter; G: Ernestine Caroline (*21.2.1761, †21.2.1834 Dresden), Chris
tiane Augusta (*21.10.1767), 2 Halbgeschwister aus 2. Ehe der Mutter; E: 31.5.1786 Schkeuditz,
Henriette Sophie geb. von Bose (*18.2.1769 Oberthau, †3.3.1848 Dresden, Ehrenstiftsdame);
K: Traugott Adolph Karl (*24.3.1787, †1787 Dresden), Elise (*1788, †23.8.1853 Aszod, heiratete
1812 nach Ungarn Karl von Podmanitzky, in erster Ehe mit Julie Charpentier aus Freiberg ver
heiratet, ihre Tochter Julie war Schriftstellerin und musste 1849 mit ihrem Mann Miklos Josika
aus Ungarn fliehen), Therese Clementine (*7.11.1789 Dresden, †21.3.1870 Dresden, verh. mit
Karl Alexander Graf von Rex), Eduard Gottlob (*31.3.1791 Bautzen, †8.2.1858 Oppach, 1836–
1844 sächsischer Innenminister), Theodor (*,† 1792 Bautzen), Lydia Augustina (*18.8.1794 Do
berschau, †17.11.1810 Dresden), Ida Rosalie (*9.1.1796 Bautzen, †28.3.1796 Doberschau), Julius
Gottlob (*12.7.1797 Doberschau, †18.3.1870 Dresden, 1838–1848 und 1849–1864 Gesandter
beim Deutschen Bundestag), Agnes Luise (*10.9.1798 Bautzen, †17.5.1875 Altengottern, verh.
mit Julius von Marschall), Klara Minona (29.12.1799–11.2.1882, verh. mit Viktor Julius von
Bülow, Besitzer von Schloss Beyernaumburg), Klothilde Septimie (*27.1.1801 Bautzen, †1852
Oppach, Dichterin, schrieb auch für Carl Maria von Weber), Heliodora Oktavia (*23.6.1805
Doberschau, †18.2.1871 Dresden, verh. mit Geheimrat Bruno von Schimpff)
Die Nostitz sind eines der ältesten 16. Geburtstag auf die Universität
Oberlausitzer Adelsgeschlechter. Seit Leipzig, wo er Rechts und Staatswis
dem 15. Jahrhundert ist die Familie senschaften studierte. Besonders der
in mehrere Linien verzweigt, der Re Philosoph Ernst Platner gehörte zu
formation schlossen sie sich schon in seinen Förderern. In Leipzig schloss
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sich Nostitz Studentenvereinen an, in
an. Die Linie Nostitz und Jänkendorf denen die Dichtkunst gepflegt wurde.
bildete sich um 1600. Über mehrere Nach seinem Examen erhielt er eine
Jahrhunderte wirkten die Nostitz Anstellung als Auditor am Oberhof
in der Oberlausitz als Hauptleute, gericht, 1785 ging er als Finanzrat
Oberamtsmänner und Landesälteste. nach Dresden.
Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und
Jänkendorf hatte früh seinen Vater 1789 übernahm Nostitz die Ver
verloren. Seine Mutter und sein Stief waltung der Familiengüter in der
vater (seit 1770, Wedig Christoph von Oberlausitz. Das Rittergut Oppach
Kayserling) ließen ihn von August hatte er in 4. Generation von seinem
Wilhelm Hauswald privat unterrich Vater geerbt, Doberschau nach seiner
ten und schickten ihn noch vor dem Heirat erworben. Moholz, See (1791)
241
Gut See bei Niesky, wo Nostitz 1765 geboren wurde.
und das Bautzener Burglehnhaus menversorgungsanstalten in Dörfern“
(1793) verkaufte er. Nostitz wirkte (1801). Lange vor dem von seinem
in der Oberlausitz als Gerichtsbei Sohn Julius Gottlob von Nostitz
sitzer, war Mitglied der Kriminal und Jänkendorf mitverantworteten
KassenDeputation und Beisitzer des Gesetz zu „Ablösungen und Gemein
landständischen Waisenamtes. 1792 heitsteilungen“ erließ er Frondienste
wurde er zum Landesältesten des gegen kleine Geldzahlungen. Der
Kreises Bautzen gewählt, ab 1804 lei Oberlausitzischen Gesellschaft der
tete er die Provinzverwaltung auf der Wissenschaften zu Görlitz, der er seit
Ortenburg als Oberamtshauptmann. 1790 angehörte, stand Nostitz von
In Zittau gründete er nach dem Vor 1795 bis 1817, zwei Jahre nach der
bild von Ludwig Gedike in Leipzig Teilung der Oberlausitz, als Präsident
die erste Bürgerschule. Besonderes vor. Schon in dieser Zeit bemühte er
Augenmerk widmete Nostitz sozialen sich um Kunst und Kultur und zählte
Belangen. Seit 1793 war er Ritter des Friedrich Schiller zu seinen Bekann
St. JohanniterMaltheserOrdens. Auf ten. Mit Karl August Böttiger,
seinem Gut Oppach stiftete Nostitz 1790/91 Direktor des Gymnasiums in
1794 ein Armenhaus und 1799 ein Bautzen, blieb er fast fünf Jahrzehnte
Armeninstitut. Seine Überlegungen freundschaftlich verbunden. Nostitz
beschrieb er in „Versuch über Ar erwarb sich besondere Verdienste
242
um die Förderung der Sorben und Anstalten verordnete Commission“.
übersetzte sorbische Volkslieder ins 1811 initiierte er die Gründung
Deutsche. Seine eigenen Gedichte, einer „IrrenHeilungsanstalt“ auf der
aber auch heimatgeschichtliche Bei vormals königlichen Festung Sonnen
träge („Über die in Königswartha ent stein in Pirna. In ihr gingen frühere
deckten Lausizischen Alterthümer“) sächsische Anstalten in Waldheim
wurden in der „Lausizischen Monats und Torgau auf, in denen wesent
schrift“ gedruckt, mehrere Gedichte lich weniger humane Bedingungen
in Liedertafeln und Oratorien vertont. geherrscht hatten. Die Entscheidung
Aus dem Französischen übersetzte er war aber auch kriegsbedingt, weil
griechische und römische Mythen. Torgau zur Festung erklärt worden
1805 zählte Nostitz zu den Grün war. Insgesamt wurden in der An
dungsmitgliedern des Gesellschafts fangszeit etwa 200 Personen auf dem
vereins „Bautzner Societät“, die 1808 Sonnenstein untergebracht. Unter
sein Stadthaus kaufte. Nostitz‘ Oberaufsicht entwickelte sich
die neue Anstalt zu einer Einrichtung
Am 26. September 1807 kehrte von europäischem Ruf. Während der
Nostitz als Oberkonsistorialpräsident Befreiungskriege ging Nostitz auf
nach Dresden zurück, wo er bis 1815 Distanz zu Napoleon, den er zuvor
im Coselpalais „Hinter der Frauen unterstützt hatte. Sein Sohn Eduard
kirche“ 5 wohnte, wie auch Karl Gottlob von Nostitz und Jän
August Böttiger. In dieser für das kendorf kämpfte sogar mit Theodor
Kirchen und Schulwesen Sachsens Körner in der Lützow‘schen Freischar.
bedeutsamen Funktion überarbeitete
er zusammen mit Oberhofprediger Im nachnapoleonischen Reformstreit
Franz Volkmar Reinhard die Verfas 1817 unterlagen die Konferenzmi
sung der Universität Leipzig. König nister dem Kabinettsminister Detlev
Friedrich August der Gerechte berief Graf von Einsiedel. Statt dass das
ihn 1809 als Konferenzminister ins Geheime Konsilium mit dem Gehei
Geheime Konsilium, den vormaligen men Kabinett vereinigt und damit
und später auch wieder so genann aufgewertet wurde, verblieben dem
ten Geheimen Rat. Als „Wirklicher Geheimen Rat als Nachfolgeeinrich
Geheimrath“ gehörte Nostitz zu den tung des Konsiliums nur beratende
höchsten Vertretern der Staatsver Funktionen und die Vertretung
waltung. Er beteiligte sich in ver ständischer Interessen. Zudem hatte
schiedenen Funktionen bzw. Kom sich Einsiedel mittels Gefolgsleuten
missionen maßgeblich an sozialen die Stimmenmehrheit im Ratscol
und politischen Reformprojekten. legium gesichert. Nostitz organi
Nostitz leitete die „zur Besorgung der sierte Entschädigungsleistungen für
allgemeinen Straf und Versorgungs Lasten aus dem Krieg, bereitete eine
243
Ansicht von Pirna mit Festung Sonnenstein, Ausschnitt eines Gemäldes von
Canaletto (1753–1755).
244
der Gerechte 1827 starb, drängten in sächsischen Verfassung von 1831
Sachsen überfällige Reformen. König unter dem liberalen Kabinettsminister
Anton der Gütige beauftragte neu ein Bernhard von Lindenau beteiligt. Den
gesetzte Kommissionen, Gesetze zur von König Anton unterschriebenen
Abschaffung von Feudallasten („Ab Text zeichnete Nostitz gegen. Die
lösungen und Gemeinheitsteilungen“) Szene wurde von Ernst Rietschel
und eine neue Gewerbeordnung in einem Relief für das Augusteum in
vorzubereiten. Andererseits wurde die Leipzig dargestellt. Erstmals räumten
Zensur verschärft und die polizeiliche die Wettiner ihrem Volk einige Mit
Willkür und die Allmacht des Gehei bestimmungsrechte ein. Anton der
men Kabinetts bestanden fort. Nostitz Gütige wurde zum ersten konstituti
war Mitglied der Ökonomischen Ge onellen Monarchen Sachsens, Nostitz
sellschaft im Königreiche Sachsen, die stand dem neu geschaffenen Staatsrat
sich hauptsächlich der Förderung der als oberster Instanz des Zivilstaates
Landwirtschaft widmete, aber auch vor. Unter der Präsidentschaft von
für die Planungen zur Gründung der Prinz Johann gehörten dem Staatsrat
Technischen Bildungsanstalt im Jahre auch der Leiter des Gesamtministeri
1828 als Vorläufer der heutigen TU ums Lindenau sowie weitere Minis
Dresden verantwortlich zeichnete. ter an. Nostitz erwarb sich den Ruf
Die Initiative dazu ging auf den Ge eines gemäßigten, toleranten und der
heimen Rat um Nostitz zurück. Wohlfahrt, Wissenschaft und Kunst
aufgeschlossenen Schöngeistes. Auf
Anlässlich der 300JahrFeier der seine Anregung hin wurden aber
Augsburger Konfession kam es im auch die ersten landwirtschaftlichen
September 1830 in Sachsen zu Unru Vereine in Sachsen gegründet.
hen, die durch ein tiefes Misstrauen
der überwiegend protestantischen Neben seiner politischen Tätigkeit
Bevölkerung gegen die katholische war Nostitz Schriftsteller unter dem
Obrigkeit geprägt waren. Nostitz Pseudonym „Arthur vom Nordstern“.
gehörte mit Lindenau, Könneritz Die Dichtkunst sah er eher als Hobby
und Zezschwitz zu jenem Minis an, wobei er sich durch dichterische
terquartett, das am 13. September Gewandtheit und Vertrautheit mit
König Anton den Gütigen veranlasste, den Klassikern auszeichnete. Seine
Friedrich August II. als Mitregenten Werke waren überwiegend roman
einzusetzen. Dies, die Entlassung tischer Natur. 1820 übersetzte er
von Detlev Graf von Einsiedel und George Gordon Byron, dem er sich
die Ankündigung einer Verfassung sehr verbunden fühlte. Viele Eindrü
halfen, die Lage zu befrieden. Nostitz cke gewann Nostitz auf einer Reise
war als Vorsitzender des Geheimen nach der Schweiz, Oberitalien und
Rats an der Ausarbeitung der ersten Ungarn („Erinnerungsblätter eines
245
Reisenden im Hochsommer 1822“, Friedrich Kind zusammen. Auf Einla
1824). Seine Werke erschienen ver dung des Freiherrn von Seckendorf
streut in verschiedenen Zeitungen, Zingst trafen sich ab 1814 Künstler,
darunter der Dresdner Abendzeitung Schriftsteller und Beamte bei „Thee
und der Dresdner Morgenzeitung, und Butterbrod“, weswegen der Kreis
sowie in Taschenbüchern wie von zunächst DichterThee hieß. Unter
Johann Friedrich Kind oder wurden Leitung von Nostitz schloss man sich
unter Freunden verteilt. Er schrieb enger zusammen. Man hörte Litera
aber auch für Carl Maria von Weber, tur, Dichtung und Musik und disku
der ihm mit großer Wertschätzung tierte zwanglos darüber. Der Verein
begegnete. Nostitz war zudem maß besaß mit der Dresdner Abendzei
geblich am Entstehen eines elitären, tung ein eigenes Publikationsorgan.
literarischkulturellen Vereinslebens Sie wurde von Johann Christoph
in Dresden beteiligt. Solche Vereine Arnold verlegt und von Theodor Hell
boten seinerzeit wichtige Möglichkei und Johann Friedrich Kind herausge
ten zur Teilhabe am gesellschaftlichen geben. Die Treffen des Liederkreises
Leben. Nostitz kam als Adeligen eine fanden zumeist bei den verheira
wichtige Mittlerrolle zwischen der teten Vereinsmitgliedern statt und
Hofgesellschaft und dem aufstreben Nostitz lud oft in sein Sommerhaus
den Bürgertum zu. Er besuchte wie nach Loschwitz ein. Eine kolorierte
Karl August Böttiger und Ludwig Radierung des Anwesens mit Wein
Tieck den informellen literarischen berg, heutige Plattleite 18, von Carl
Zirkel von Elisa von der Recke und Heinrich Beichling befindet sich im
Christoph August Tiedge. In der KupferstichKabinett. Eng verbunden
Hofgesellschaft um Prinz Johann, wo mit dem Liederkreis war der 1825
sich Adel und Bildungsbürgertum in gegründete Sächsische Altertumsver
Vorträgen und Gesprächen zu Kunst ein. Seine Gründung ging auf einen
und Geschichte näher kamen, traf er Vorschlag von Karl August Bötti
auf Carl Gustav Carus, Theodor Hell ger zurück, den dieser bereits 1819 in
(Winkler) und wiederum Ludwig der Dresdner Abendzeitung publiziert
Tieck. Nostitz leitete den Dresdner hatte. Nostitz gehörte zu den Un
Liederkreis, war Mitglied im Kunst terzeichnern eines Gesuchs an den
verein und im Verein Albina, der in König mit der Bitte um Zulassung des
der Tradition des Liederkreises stand, Vereins.
und gehörte zu den Initiatoren des
Sächsischen Altertumsvereins. In Bautzen war Nostitz Freimaurer
in der Loge „Zur goldnen Mauer“, in
Im spätromantischen Liederkreis Dresden Ehrenmitglied der Logen
kam Nostitz u. a. mit Karl August „Zum goldnen Apfel“, „Zu den drei
Böttiger, Theodor Hell und Johann Schwertern“ und „Asträa zur grü
246
nenden Raute“. Mit den Freimau Ehrenamt des Ordenskanzlers sämtli
rern Gerhard Heinrich Jacobjan cher sächsischer Orden bekleidete er
Stöckhardt und Karl Gottfried später bis zu seinem Tod. Nostitz war
Siebelis stand er auch über die seit 1814 Senior des Hochstifts Merse
Bautzner Societät in Verbindung. burg. 1836 verlieh ihm die Universität
Nostitz leitete in Dresden den sozia Leipzig die Ehrendoktorwürde. Kurz
len Unterstützungsverein „Rath und vor dem Ende seines Lebens gedachte
That“, der 1803 von Carl Graf Bose er dem 1835 verstorbenen Freund
und Oberhofprediger Franz Volkmar Karl August Böttiger mit einem
Reinhard gegründet worden war und Gedicht. Sein Sohn Eduard Gott
den Freimaurern nahe stand. 1815 lob von Nostitz und Jänkendorf
brachte Nostitz ein FreimaurerLie nutzte 1840 als sächsischer Innenmi
derbuch heraus. Die Mitglieder von nister die Vorarbeiten des Vaters als
„Rath und That“, darunter mit Karl Grundlage seiner Armenordnung.
August Böttiger und Theodor Hell
führende Mitglieder von Freimaurer Quellen: Allgemeine deutsche RealEncyclopädie,
Bd. 11–12, Brockhaus, 1825; Franz Brümmer:
Logen, linderten mit Mitgliedsbei „NostitzJänkendorf, Gottlob Adolf Ernst von“.
trägen und gesammelten Spenden ADB Bd. 24, 1886; Neues lausitzisches Magazin,
1836; Gottlieb Friedrich Otto: „Lexikon der seit
die Not wegen Krankheit, Unfällen
dem fünfzehenden Jahrhunderte verstorbenen und
und Alter. Den Bautzener Ortsver jetztlebenden Oberlausizischen Schriftsteller und
ein gründete Gerhard Heinrich Künstler‘‘. Burkhart Görlitz; Robert Luft: „Nostitz“.
Neue Deutsche Biographie, 1998; Hans Mirtschin:
Jacobjan Stöckhardt 1820 auf „Die Gesellschaft Societät zu Bautzen“. Altstadtver
Nostitz‘ Veranlassung. 1823 richtete ein Bautzen, Vortrag 26.10.2010; Sanct Johannis
der Dresdner Verein „Rath und That“ FreimaurerLoge zur goldnen Mauer, Mitglieder
verzeichnisse 1816, 1832; Lausizisches Magazin,
eine Freischule für 300 Kinder ein, die 1775; Friedrich August Schmidt, Bernhardt Fried
evangelisch gebundenen Eltern eine rich Voigt: „Neuer Nekrolog der Deutschen“. Bd.
Alternative zur katholischen Frei 14, Teil 2, 1838; Cornelius Gurlitt: „Beschreibende
Darstellung der älteren Bau und Kunstdenkmäler
schule bot. 1830 wurde Nostitz in der des Königreichs Sachsen“. Bd. 34; Dirk Hempel: „Li
Nachfolge von Heinrich Wilhelm von terarische Vereine in Dresden“. Walter de Gruyter,
Zeschau zum Großmeister der Lan 2008; „Die Freimaurerloge zum goldenen Apfel im
Orient Dresden 1776–1876“. Heinrich Dresden,
desloge Sachsen gewählt. Seine Söhne 1876; Gothaisches genealogisches Taschenbuch der
Eduard Gottlob von Nostitz und briefadeligen Häuser, 1913; August Wilhelm Bern
hardt von Uechtritz: „Diplomatische Nachrichten
Jänkendorf und Julius Gottlob adeliche Familien betreffend“. 1790, 1792; Dresdner
von Nostitz und Jänkendorf Adressbücher; Maria Görlitz: „Parlamentarismus in
gehörten in Dresden der Loge „Zum Sachsen“. LIT Münster, 2011; Lausitzisches Magazin
oder Sammlung verschiedener Abhandlungen
goldenen Apfel“ an. und Nachrichten zum Behuf der Natur, Kunst,
Welt und Vaterlandsgeschichte, der Sitten, und der
Für seine Verdienste erhielt Nostitz schönen Wissenschaften, Bd 1, Fickelscherer, 1768,
Boris Böhm: „...daß es mir gewiß angenehm ist,
1817 das Großkreuz des königlich euch nützlich zu werden...“. ElbhangKurier, H. 9,
sächsischen Civilverdienstordens. Das 2015; Zita Szylagyi, Aszod, Mitteilungen
247
Eduard Gottlob von Nostitz und Jänkendorf wurde mit dem Großkreuz
des sächsischen Civilverdienstordens, des russischen Annenordens und
des sachsen-ernestinischen Hausordens sowie mit dem preußischen roten
Adlerorden ausgezeichnet, Lizenz: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel,
http://www.portraitindex.de/documents/obj/34013970, CC BY-SA.
248
Nostitz und Jänkendorf, Eduard Gottlob von
Sächsischer Innenminister, Rittergutsbesitzer auf Oppach
31.03.1791 Bautzen – 08.02.1858 Oppach
V: Gottlob Adolf Ernst (*21.4.1765 See, †15.10.1836 Oppach), Rittergutsbesitzer auf Oppach,
Konferenzminister, Schriftsteller; M: Henriette Sophie geb. von Bose (*18.2.1769 Oberthau,
†3.3.1848 Dresden); G: Traugott Adolph Karl (*24.3.1787, †1787 Dresden), Elise (*1788,
†23.8.1853 Aszod, heiratete 1812 nach Ungarn Karl von Podmanitzky, dessen erste Ehe mit Julie
Charpentier aus Freiberg), Therese Clementine (*7.11.1789 Dresden, †21.3.1870 Dresden, verh.
mit Karl Alexander Graf von Rex), Theodor (*,† 1792 Bautzen), Lydia Augustina (*18.8.1794
Doberschau, †17.11.1810 Dresden), Ida Rosalie (*9.1.1796 Bautzen, †28.3.1796 Doberschau), Ju
lius Gottlob (*12.7.1797 Doberschau, †18.3.1870 Dresden, 1838–1848 und 1849–1864 Gesandter
beim Deutschen Bundestag), Agnes Luise (*10.9.1798 Bautzen, †17.5.1875 Altengottern, verh.
mit Julius von Marschall), Klara Minona (29.12.1799–11.2.1882, verh. mit Viktor Julius von
Bülow, Besitzer von Schloss Beyernaumburg), Klothilde Septimie (*27.1.1801 Bautzen, †1852
Oppach, Dichterin, schrieb für Carl Maria von Weber), Heliodora Oktavia (*23.6.1805 Dober
schau, †18.2.1871 Dresden, verh. mit Bruno von Schimpff, Zollvereinsbeamter und Kreisdirektor
in Zwickau) E: (1) 27.11.1816 Dresden, Wilhelmine Friederike Erdmuthe geb. von Beschwitz
(*28.1.1796 Sornitz, †17.7.1821 Dresden), (2) 31.5.1824 Merseburg, Therese Freiin von Gut
schmid (*26.12.1797 Merseburg, †19.12.1863 Dresden, Tochter des Stiftskanzlers von Merseburg
Christian Friedrich Freiherr von Gutschmid); K: Marie Amalie (*2.9.1817 Dresden, †1.1.1893
Rom, verh. mit Rudolf von Metzradt auf Zedtlitz und Hermsdorf, nach 1859 Ferdinand von
Platner, Bibliotheca Platneriana des Deutschen Archäologischen Instituts Rom), Wolf Gottlob
Adolf (*23.10.1819 Dresden, †15.6.1874 Taubenheim, Hauptmann, Rittergutsbesitzer auf Tau
benheim, verh. mit Marie Elisabeth geb. von Polenz), Anna (*30.6.1825 Dresden, †21.12.1899
Wiesbaden, verh. mit Hermann von Witzleben, Besitzer des Ritterguts Kitzscher), Fürchtegott
Richard (*1.6.1826, † in Pirna, bis 1862 Rittmeister, danach Kammerherr), Helene Sophie Hen
riette (*3.11.1827 Dresden, †18.8.1891 Dresden, verh. mit General Alban von Montbé), Gottwalt
Arthur (*18.1.1829 Dresden, †21.7.1905 NiederLößnitz, Hauptmann, verh. mit Elisabeth geb.
Freiin von Uexküll, Besitzer des Gotischen Hauses Radebeul), Gotthold Eduard Leo (*15.8.1831
Dresden, †31.7.1871 Pirna, verh. mit Ida geb. von Arnim, Rittergutsbesitzer auf Oppach, Premi
erleutnant, Landtagsabgeordneter), Meta (*10.10.1839 Dresden, †3.10.1880, verh. mit Richard
Freiherrn von Berlepsch, Sohn des Oberlandforstmeisters August Adolph von Berlepsch, Besit
zer des Klosterguts Seebach, heiratete 1882 eine Tochter von Anna verh. von Witzleben)
249
Vater als Oberkonsistorialpräsident
sowohl für die Landesgymnasien wie
beispielsweise Schulpforte als auch
die Universität Leipzig verantwortlich
zeichnete, studierte ab 1809 in Leipzig
und ab 3. Oktober 1811 in Heidelberg
Jura. Der Wechsel war vom Vater
veranlasst worden, um den Sohn
dem Einfluss des Studentenordens in
Leipzig zu entziehen. Die Universität
in Heidelberg galt als „Juristenuni
versität“ mit Schwerpunkt Römi
sches Recht, die Stadt Heidelberg als
Zentrum der Romantik. Seit 1809 (bis
1844) gehörte Nostitz der Freimaurer
Loge „Zum goldenen Apfel“ an.
250
von Thielemann, dem Nostitz als
Ordonnanzoffizier diente, hatte das
sächsische Heer neu organisiert, um
sich an Preußens Seite am Feldzug
gegen Frankreich zu beteiligen. Nach
Kriegsende quittierte Nostitz den Ar
meedienst und schloss sein Studium
an der Universität Wittenberg ab.
251
Nostitz vertrat anlässlich der Eröffnung der Leipzig-Dresdner Eisenbahn
am 7. April 1839 die sächsische Staatsregierung. Er erinnerte in seiner Rede
an die großen Erwartungen, die der König und die Regierung mit dem
Projekt verbinden.
Nach Inkrafttreten der von seinem lob von Nostitz und Jänkendorf
Vater, Gottlob Adolf Ernst von mit Heinrich August Blochmann
Nostitz und Jänkendorf, maßgeb und anfangs Paul hermann). Zu
lich mitgeprägten ersten sächsischen seinem Zuständigkeitsbereich zählten
Verfassung von 1831 ersetzten Fach das Gewerbewesen, die Polizeibe
ministerien die ehemaligen Kollegi hörden, die Zensur, die Amtsärzte,
albehörden. Nostitz arbeitete ab 1832 die Angelegenheiten der jüdischen
als Abteilungsvorstand und Direktor Gemeinden, mehrere Lehreinrich
unter dem Finanzminister Heinrich tungen (Technische Bildungsanstalt,
Anton von Zeschau. die Baugewerkenschulen, Chirur
gischmedicinische Akademie mit
1836 wurde Nostitz zum Minister ThierArzneySchule, v. Vitzthum
des Innern unter dem Vorsitzenden Blochmann‘sches GymnasialErzie
des Gesamtministeriums Bernhard hungshaus) und das Wirken der Ver
von Lindenau bestellt und kraft eine (Gewerbeverein, Gesellschaft für
dieses Amtes Mitglied des Staatsrats. Natur und Heilkunde, Ökonomische
Die Minister wurden vom König Gesellschaft im Königreiche Sachsen,
ernannt, waren ihrerseits aber dem Statistischer Verein, Altertumsverein;
Landtag berichtspflichtig. Nostitz siehe Ernst Rietschel und Johann
unterstanden als permanente Mit Gottfried Nake). Sein ehemaliger
telbehörden die Kreisdirektionen Mitarbeiter Gustav von Flotow war
und Amtshauptmannschaften, aber Vorstand in mehreren dieser Vereine.
auch wichtige temporär eingerichtete Mit weiteren Ministern zeichnete
Kommissionen (Vorbereitung eines Nostitz zudem für das sächsische
neuen Grundsteuersystems, Ablö Kirchenwesen „in Evangelicis“ verant
sungen und Gemeinheitsteilungen wortlich. Einige Verantwortlichkeiten
unter seinem Bruder Julius Gott aus dem Ressort Inneres hatte sich
252
Lindenau vorbehalten (die Kunstaka
demien in Dresden und Leipzig, die
königlichen Sammlungen sowie die
Versorgungs und Strafanstalten, dar
unter die von Gottlob Adolf Ernst
von Nostitz und Jänkendorf in
Pirna und Bräunsdorf gegründeten
sowie die Landeswaisenanstalt in
Großhennersdorf).
1840 wurde die von Gottfried Sem-
Nostitz führte in Sachsen zur Zeit per erbaute Synagoge in Dresden
von König Friedrich August II. eine geweiht (Gustav Täubert, um 1850).
Landgemeindeordnung (1838), eine Als der für Dresden und Leipzig
Armenordnung (1840) und Gesetze zuständige Oberrabbiner Zacharias
zur Teilbarkeit des Grundeigentums, Frankel 1836 nach Sachsen kam,
zum Schutz von künstlerischen und durften die Juden hier ihre Religion
literarischen Werken sowie zu einer noch nicht öffentlich ausüben, die
besseren Rechtsstellung der jüdischen Errichtung einer Synagoge war ih-
Bevölkerung ein. In einer Zeit des nen untersagt. Sie besaßen kein Bür-
wirtschaftlichen Aufschwungs kam gerrecht, ihr Eid keine Glaubwür-
insbesondere den Bereichen Indus digkeit. Die vom Innenministerium
trie, Handwerk, Handel und Verkehr unter Nostitz erlassenen Gesetze
große Bedeutung zu. So betrafen der stellten einen bedeutenden Beitrag
Bau der Eisenbahnstrecke Leipzig zur Emanzipation der jüdischen
Dresden und deren Einweihung 1839 Bevölkerung in Sachsen dar.
sowie die Planungen für die Säch
sischSchlesische Eisenbahn Nostitz‘ als Grundsatz feststellen wird.“) und
Zuständigkeitsbereich. liberaler Tendenzen unter Linde
nau als Innenminister nahm unter
Auch in Sachsen gärte die gesell Nostitz die Zensur wieder zu. Ge
schaftliche Unzufriedenheit des setzentwürfe zur Pressefreiheit traten
Vormärz. Entgegen der vorgesehenen nicht in Kraft. Weil aber verglichen
weitreichenden Pressefreiheit nach mit anderen deutschen Staaten in
der Sächsischen Verfassung („Die Sachsen noch relativ tolerante Rege
Angelegenheiten der Presse und des lungen galten, konnte sich Leipzig
Buchhandels werden durch ein Gesetz zu einem Zentrum liberaler Dichter
geordnet werden, welches die Freiheit und Schriftsteller entwickeln. Der von
derselben, unter Berücksichtigung Robert Heller 1842 maßgeblich
der Vorschriften der Bundesgesetze mitbegründete Literatenverein forder
und der Sicherung gegen Mißbrauch, te vergeblich weitere Verbesserungen
253
ein. Der bereits aus Preußen vertrie Anstalten unter Führung karitativer
bene Arnold Ruge verließ nach der Vereine. 1853 wurden für die Ober
Beschlagnahme einer Ausgabe seiner lausitz in Berthelsdorf für Mädchen
„Deutschen Jahrbücher für Wissen und von Nostitz in Oppach für etwa
schaft und Kunst“ 1843 Sachsen und 20 Jungen solche Rettungshäuser
schloss sich in Paris mit Karl Marx gegründet. Der Gründung in Oppach
zusammen. Sein Mitarbeiter Michail voraus ging 1852 ein Vortrag von
Bakunin ging nach Zürich. Nostitz über „Rettungsanstalten für
arme verwahrloste Kinder insbe
Aus gesundheitlichen Gründen legte sondere auf dem Lande“ vor einer
Nostitz 1844 sein Ministeramt nieder Oppacher Gemeindeversammlung.
und zog sich auf sein Gut Oppach Neben Spenden, beispielsweise von
zurück. Bis 1847 gehörte er dem Karl Traugott Kanig und in
Staatsrat an, bis 1850 war er Richter Dresden von Gustav von Flotow,
am Staatsgerichtshof. Die Familie war flossen in den Fonds auch Einnahmen
von dieser revolutionären Zeit unmit aus dem Druck jenes Vortrags sowie
telbar betroffen. Nostitz‘ Nichte Julie, weiterer Schriften wie des von Nos
eine Tochter seiner Schwester Elise, titz herausgegebenen dichterischen
und ihr Mann, Miklos Josika, waren Nachlasses seiner Schwester Klothil
als Revolutionäre 1849 aus Ungarn de Septimie. Nach dem Vorbild des
geflohen, fanden aber nur kurzzeitig RauheHauses in Hamburg wurden
Aufnahme in Sachsen und emigrier drei Grundsätze verfolgt: Erziehung
ten schließlich nach Brüssel. im Familienleben, zur Religiosität
und Sittlichkeit und zur Arbeit. Das
Um das Schicksal verwahrloster Rettungshaus in Oppach strahlte eine
Kinder zu lindern, entstand im 19. große Vorbildwirkung in die Umge
Jahrhundert deutschlandweit eine bung aus. Von den 26 evangelischen
„Rettungshausbewegung“. Bereits in Rettungshäusern Sachsens im Jahre
seiner Zeit als Minister in Dresden 1895 lagen allein 7 in der Oberlausitz,
war Nostitz mit dieser christlich neben Oppach und Berthelsdorf jene
sozialen Bewegung in Berührung ge in Zittau, Göda, Dittelsdorf, Elstra
kommen, als im Rahmen der Verant und Neukirch.
wortlichkeiten Lindenaus innerhalb
des Ressorts „Inneres“ beispielsweise Nostitz war Kanoniker des Kollegiat
Bräunsdorf und Großhennersdorf stifts in Wurzen (ab 1810), Domherr
als Rettungshäuser genutzt wurden. und Senior des Hochstifts zu Meißen
Neben diesen staatlich organisierten (ab 1828) und Propst des Domcapi
Einrichtungen entstanden in Sachsen tularkollegiums St. Petri in Bautzen
ab 1850 in Stollberg, Lößnitz, Riesa, (ab 1841). Das Hochstift Meißen
Waldkirchen und Schwarzenberg vertrat er Anfang der 1830er und in
254
Nostitz‘ Vater, Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf,
hatte 1786 auf alten Gewölben des Oppacher Niederhofs ein Herrenhaus er-
richten lassen. Eduard Gottlob von Nostitz und Jänkendorf baute das Haus
1844 im neogotischen Stil um.
den 1850er Jahren im sächsischen stellung der älteren Bau und Kunstdenkmäler des
Königreichs Sachsen, Bd. 34, 1910; Gustav Poenicke:
Landtag. Um sich einer besseren me „Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter
dizinischen Behandlung unterziehen und Schlösser“. Bd. 3, 1859; Felix Wilhelm: „Die
zu können, verbrachte Nostitz sein Geschichte des LuttitzNostitzschen Burglehnhau
ses“. Bautzen, 1937; Dresdner Adressbücher 1817,
letztes Lebensjahr in Dresden. Alle 1820, 1822, 1826, 1832, 1837; KöniglichSächsischer
vier Söhne von Nostitz verfolgten eine Hof und StaatsKalender, 1810; StaatsHandbuch
für das Königreich Sachsen, 1843; Zita Szylagyi,
militärische Karriere. Sein Sohn Leo Aszod, Mitteilungen 2016; Leipziger Zeitung, 4.
führte zudem das karitative Engage Juli 1852, 28. Februar 1858; Herbert Zeißig: „Eine
ment des Vaters in Oppach mit der deutsche Zeitung. Zweihundert Jahre Dresdner
Anzeiger.“ Verlag der Dr. Güntzschen Stiftung,
Gründung eines Armenvereins fort. 1930; Christian Ludwig Enoch Zander: „Geschichte
des Kriegs an der NiederElbe im Jahre 1813“. Bd.
Quellen: Bernhard Pfeiffer: „Die Parochie Oppach“. 1, 1839; Immatrikulationsverzeichnisse Universität
Neue Sächsische Kirchengalerie, 1904; Neues Heidelberg; „Die LeipzigDresdner Eisenbahn in
lausitzisches Magazin, 1874; „Genealogisches Ta den ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens“.
schenbuch der uradeligen Häuser“. Perthes Gotha, 1864; „Statistik der evangelischen Rettungshäuser
1903; „Beiträge zur Geschichte des Geschlechtes Deutschlands“. Berlin 1897; René Sternke, Klaus
von Nostitz“. Gressner & Schramm Leipzig, 1876; Gerlach: „Karl August Böttiger – Briefwechsel mit
Cornelius Gurlitt: „Oppach“. Beschreibende Dar Christian Gottlob Heyne“. Walter de Gruyter, 2015
255
Julius Gottlob von Nostitz und Jänkendorf trug den Titel „Wirklicher Ge-
heimrat“. Für seine Verdienste wurden ihm der sächsische Zivilverdienstor-
den, der hannoversche Guelphen-Orden, der württembergische Friedrich-
Orden, der badische Zähringer Löwen-Orden, der kurfürstlich-hessische
Wilhelmsorden, der großherzoglich-hessische Orden von Philipp dem
Großmüthigen, der sächsisch-ernestinische Hausorden, der luxemburgische
Orden der Eichenkrone sowie die Ehrenbürgerschaft Bremens verliehen.
Lizenz: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, http://www.portraitindex.
de/documents/obj/34014839, CC BY-SA.
256
Nostitz und Jänkendorf, Julius Gottlob von
Sächsischer Gesandter beim Deutschen Bundestag
12.07.1797 Doberschau – 18.03.1870 Dresden
V: Gottlob Adolf Ernst (*21.4.1765 See, †15.10.1836 Oppach), Rittergutsbesitzer auf Oppach,
Konferenzminister, Schriftsteller; M: Henriette Sophie geb. von Bose (*18.2.1769 Oberthau,
†3.3.1848 Dresden); G: Traugott Adolph Karl (*24.3.1787, †1787 Dresden), Elise (*1788,
†23.8.1853 Aszod, heiratete 1812 nach Ungarn Karl von Podmanitzky, in erster Ehe mit Julie
Charpentier aus Freiberg verheiratet), Therese Clementine (*7.11.1789 Dresden, †21.3.1870
Dresden, verh. mit Karl Alexander Graf von Rex), Eduard Gottlob (*31.3.1791 Bautzen,
†8.2.1858 Oppach, 1836–1844 sächsischer Innenminister), Theodor (*,† 1792 Bautzen), Lydia
Augustina (*18.8.1794 Doberschau, †17.11.1810 Dresden), Ida Rosalie (*9.1.1796 Bautzen,
†28.3.1796 Doberschau), Agnes Luise (*10.9.1798 Bautzen, †17.5.1875 Altengottern, verh. mit
Julius von Marschall), Klara Minona (29.12.1799–11.2.1882, verh. mit Viktor Julius von Bülow,
Besitzer von Schloss Beyernaumburg), Klothilde Septimie (*27.1.1801 Bautzen, †1852 Oppach,
Dichterin, schrieb auch für Carl Maria von Weber), Heliodora Oktavia (*23.6.1805 Doberschau,
†18.2.1871 Dresden, verh. mit Geheimrat Bruno von Schimpff); E: 31.5.1825 Wurschen, Erdmu
the Charlotte Luise geb. von RexThielau (*20.12.1805 Lautitz, †18.7.1884 Dresden); K: Gottlob
Adolf (*27.5.1826 Bautzen, †4.8.1880 Nadelwitz, Hauptmann, verh. mit Luise geb. Demisch),
Hertha Gertrud Charlotte (*9.11.1827 Bautzen, †17.11.1914 Dresden, verh. mit Carl Alexan
der von Schwerin), Georg Gottlob (*30.1.1829 Lautitz, †10.8.1896 Würzburg, Oberfinanzrat,
beteiligt am Ausbau des Eisenbahnwesens in Sachsen, verh. mit Hedwig Karoline Marie geb. von
Larisch), Margarete Marie (*14.8.1830 Lautitz, Stiftsdame von Joachimstein), Charlotte Dorothee
(*27.1.1832 Lautitz, †16.3.1906 Dresden, verh. mit dem russischen Diplomaten Alexander Baron
von Mengden), Otto Gottlob (*28.3.1836 Lautitz, †19.12.1870 Lagny, Hauptmann), Sophie Elisa
beth (*13.1.1844 Frankfurt/M., Stiftsdame von Joachimstein)
257
Nostitz besaß das Rittergut Lautitz von 1828 bis 1841.
258
ergebnislos. Nostitz unterstützte in
Frankfurt die österreichfreundliche
Politik von Friedrich Ferdinand von
Beust, des sächsischen Gegenspielers
von Otto von Bismarck. Auch im
Zusammenhang mit einer geplanten
Verschärfung des Bundespressege
setzes vertrat Nostitz sehr konserva
tive Positionen. 1855 wurde ihm die
Ehrenbürgerschaft Bremens zuteil.
Die Bürgerschaft hatte es zunächst
verhindern können, dass die fort
schrittliche Verfassung der Stadt nach
dem Scheitern der Revolution wieder
außer Kraft gesetzt wurde. Der kon
servative Senat der Stadt verband sich
jedoch mit dem Deutschen Bundes
tag, die Bürgerschaft wurde aufgelöst
und die Verfassung geändert. Nostitz
war daran als Referent in der zustän
digen Kommission des Bundestags Nostitz wohnte zuletzt in Dresden
beteiligt. „An der Bürgerwiese 15b“ (spätere
Nr. 22) im 1. OG. Der Hauseigentü-
1864 übernahm Carl Gustav Adolph mer, der Naturforscher Otto Stau-
von Bose Nostitz‘ Mandat. Mit dem dinger, betrieb parterre ein Dampf-
preußischösterreichischen Krieg bad.
von 1866 lösten sich Deutscher Bund
cher der Stadt Dresden; Heinz Georg Holldack:
und Bundestag auf. Seit 1864 wohnte „Untersuchungen zur Geschichte der Reaktion in
Nostitz‘ Nichte Julie Josika geb. Pod Sachsen, 1849–1855“. Kraus Reprint, 1965; Joseph
Bernhard Schönfelder: „Urkundliche Geschichte
manitzky, eine Tochter seiner Schwes
des Königlichen Jungfrauenstifts und Klosters St.
ter Elise, mit ihrem Mann, Miklos Marienthal, CistercienserOrdens, in der König
Josika, in Dresden. Julie Josika war lichen Sächsischen Oberlausitz“. Schöps, 1834;
Tobias C. Bringmann: „Handbuch der Diplomatie,
Schriftstellerin und hatte 1849 mit 1815–1963“. Walter de Gruyter, 2001; Zita Szylagyi,
ihrem Mann aus Ungarn fliehen und Aszod, Mitteilungen 2016; Amtlicher Bericht
über Leipzig nach Brüssel emigrieren Versammlung deutscher Land und Forstwirthe in
Dresden, 1838; Gustav Adolf Poenicke: „Album der
müssen. Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen“.
Bd. 3; Richard KohnenVogell: „Pressepolitik des
Quellen: Robert Luft: „Nostitz“. Neue Deutsche Deutschen Bundes: Methoden staatlicher Pressepo
Biographie, 1998; Neues lausitzisches Magazin, litik nach der Revolution von 1848“. 1995; Wilhelm
1835, 1838, 1839; „Genealogisches Taschenbuch der von Bippen: „ Aus Bremens Vorzeit“. BoD – Books
uradeligen Häuser“. Perthes Gotha, 1903; Adressbü on Demand, 2015
259
Hans Volkmann: „Johannes Pache, ein Meister des deutschen Chorliedes“.
Unsere Heimat, Beilage zum Sächs. Erzähler, Nr. 49, 6. Dezember 1937.
260
Pache, Johannes Fürchtegott Jonathan
Dirigent, Komponist, Kantor
09.12.1857 Bischofswerda – 24.12.1897 Limbach
Paches Vater galt als ausgesprochen Lust hätte, antwortete der Sohn zum
tätige Persönlichkeit und gründete Entsetzen des strengen Vaters jedoch:
z. B. den örtlichen Frauenverein und „Nein, nur zur Musik.“ Daraufhin
den Militärverein. Er wollte auch wurde Pache auf das Gymnasium in
seinen Jüngsten, wie dessen Brüder, Bautzen geschickt. Er sang im Schul
auf eine theologische Berufslaufbahn chor, musizierte mit Freunden und
vorbereiten und schickte ihn deshalb verdiente sich etwas Geld als Klavier
1870 auf das Gymnasium in Zittau lehrer. Es entstanden verschiedene
unter Heinrich Julius Kämmel. Hier Kompositionen, die später unverän
zeigte sich schon bald Paches musika dert gedruckt wurden.
lische Begabung. Er übte regelmäßig
Klavier und sang als Solosopranist im Ab 1877 ließ sich Pache in Dresden
Chor von Kantor Paul Fischer, dem bei Hoforganist Theodor Berthold im
er wichtige musikalische Anregungen Orgelspiel und in der Theorie sowie
zu verdanken hatte. Es entstanden bei dem kurz zuvor aus München von
erste Lied und Klavierkompositio Hans von Bülow gekommenen Herr
nen. Darunter litten seine schulischen mann Scholtz im Klavierspiel ausbil
Leistungen. Nachdem er das zweite den. 1879 fand er eine erste Anstel
Mal sitzen geblieben war, wollte ihn lung als Organist und Musikdirektor
der Vater in Dresden am Lehrerse in Herisau bei St. Gallen. Aus privaten
minar anmelden. Auf die Frage des Gründen kehrte Pache schon 1881
Direktors, ob er zum Lehrerberuf nach Dresden zurück. Um seinen Le
261
Blick über den Mühlteich zur Christuskirche Bischofswerda, davor Paches
Geburtshaus (linkes Eckhaus). Das Foto wurde von Uwe Fiedler der Wiki-
pedia zur Verfügung gestellt.
bensunterhalt zu verdienen, arbeitete wirtschaftlich lohnende Tätigkeit
er als Begleiter an der Gesangschule eröffnete ihm einigen künstlerischen
von Augusta Götze, als Lehrer an Freiraum. Pache hatte die Jahre der
der Zillmann‘schen Musikschule und Not in Dresden nie vergessen und un
zeitweise als Liedermeister von sechs terstützte später vielfach Bedürftige.
Vereinen gleichzeitig. Trotzdem litt er
Not und wechselte 1884 nach Leip Pache war ein Meister des deutschen
zig, wo er in Konzerten als Organist Chorliedes und schuf vorwiegend
und Pianist auftrat. Hier entstanden Männerchöre, v. a. in den frühen
vielbeachtete Kompositionen. 1885 Jahren mit sehr romantischem
wechselte Pache als Kapellmeister an Charakter. 1886 entstand z. B. „Ein
das Saisontheater in Naumburg. Er Winzerfest am Rhein“, eine bekannte
gründete hier zudem einen Männer WalzerIdylle für Männerchor mit
gesangverein, der noch lange später Begleitung des Pianoforte (op. 38).
seinen Namen trug. Ab 1886 beriet Opus 169 vereinte den „Waldeszau
er in Leipzig Musikverlage. Diese ber“ (Solo mit Männerchor) mit der
262
Frühlingsbegeisterung in „Lenzwon Um wieder mehr Musik praktizieren
ne“. Sein vokalmusikalisches Schaffen zu können, trat Pache 1889 in Lim
ging jedoch weit darüber hinaus. bach eine Stelle als Kantor und Orga
Neben Frauen und gemischten nist an. Er führte in den wenigen ihm
Chören gehörten dazu auch Sologe verbleibenden Jahren den Kirchen
sänge und Duette. Für gemischten chor zu hoher Blüte und gilt als Be
Chor vertonte Pache „Wohlauf, es gründer der traditionsreichen Limba
ruft der Sonnenschein“ von Ludwig cher Kirchenmusik. Hier entstanden
Tieck (op. 44). Zu den beliebtesten auch verschiedene kirchliche Kompo
Frauenchören zählten „Frau Holle“ sitionen, darunter op. 183 „Nocturne"
(op. 135) als Kupplerin, mit einem für Orgel. Höhepunkt der Limbacher
Text von Otto Hausmann, und die Tätigkeit war die Aufführung seines
märchenhafte „Frau Sage“ mit einem 150. Werkes, des Oratoriums „Ka
Text von Frieda Schanz. Seine durch pernaum“ mit einem Text von Diakon
aus nationalpatriotische Gesinnung Bernhard Dinter, anlässlich seines 35.
wurde deutlich in „Niederwaldfahrt“ Geburtstages. Die Aufführung wurde
und v. a. in „Die Germanenschlacht“ zu einem großen Erfolg – das Werk
(op. 106); diesen Chor widmete Pache blieb aber ungedruckt. In seinen
dem UniversitätsSängerverein zu St. letzten Jahren plante Pache auch eine
Pauli in Leipzig und dessen Diri Oper mit den Hauptpersonen Goethe
genten Hermann Kretzschmar. Das und Friderike von Sesenheim; Anton
bedeutendste Einzelwerk Paches war Ohorn hatte schon begonnen, dafür
sicher seine Oper „Tobias Schwalbe“ ein Textbuch zu schreiben. Der frühe
mit einem Text von ihm selbst nach Tod des Komponisten verhinderte
„Der Nachtwächter“ von Theodor schließlich die Fertigstellung und der
Körner. Zu den Höhepunkten seines Stoff wurde später von Franz Lehar in
instrumentalmusikalischen Schaffens der Operette „Friderike“ behandelt.
zählten Duette für zwei Violinen,
Streichquartette, eine Suite für Klavier In seinem kurzen Leben schuf Pache
und Violine sowie Bearbeitungen eine Vielzahl von Kompositionen, die
von auserlesenen Vortragsstücken seinerzeit sehr erfolgreich waren. Das
berühmter Meister wie Bach, Händel, Gesamtwerk reicht bis op. 185. In vie
Haydn für Harmonium, darunter von len Werken widerspiegelte sich sein
Ludwig van Beethoven: Larghetto aus volkstümliches und lebensbejahendes
der 2. Sinfonie DDur op. 36, Andan Wesen. Wirtschaftlichen Zwängen
te aus der Sonate op. 26 und Andante folgend entstanden auch „leichte“
aus der Sonate FMoll op. 57 (Beetho Musikstücke, die dem damaligen
venHaus Bonn). Zeitgeist entsprachen. Dazu zählten
unterhaltsame Salonstücke unter dem
falschen Namen Johannes Gerdessen
263
bei den deutschen Einwanderern in
den USA beliebt. Die New York Times
berichtete am 25. Juni 1894 auf Seite
1 unter „Prize Singers and Singers
Who Got Only Money and Fame“ von
einem Gesangswettbewerb, für den
u. a. Paches „Waldeinsamkeit“ als
Wettbewerbsstück ausgewählt worden
war. Seine Kompositionen erschie
nen z. B. in New York (Carl Fischer,
1898–1904; unter „Sacred Choruses“
bei H.W. Gray; Schirmer) und in Bos
ton (A.P. Schmidt, Orgelmusik, 1897).
Der Verleger Gamble Hinged Mu
sic Chicago stellte 1936 in „Graded
masterworks for strings“ u. a. Werke
von Edvard Grieg, Charles Gounod
und Pache zusammen. Beim gleichen
Verleger erschien im selben Jahr
auch eine musikalische Partitur zum
Das Pachedenkmal in Limbach steht Thema „Freischütz“ (Carl Maria von
heute unter Denkmalschutz. Weber) mit Beteiligung von Pache.
Einige Musikstücke des Komponisten
(Gerdessen war der Mädchenname befinden sich in der USLibrary of
der Mutter). Pache geriet zuneh Congress. Noch in der ersten Hälfte
mend in Vergessenheit, als sich der des 20. Jahrhunderts wurde Pache in
Geschmack des Publikums wandelte. vielen einschlägigen internationalen
Gesundheitlich von einer Lungen Lexika zitiert.
krankheit schon schwer gezeichnet,
dirigierte er in Bischofswerda in An seiner letzten Wirkungsstätte Lim
seinem letzten Lebensjahr einen bach ist Pache 1902 mit der Einwei
seiner Chöre anlässlich des Bundesge hung eines Denkmals im Stadtpark,
sangsfestes und musste erleben, dass vermutlich nach einem Entwurf des
man sich in seiner Geburtsstadt nicht Wiener Bildhauers Wilhelm Leissring,
mehr zu ihm bekannte. geehrt worden. Es wurde in Sandstein
gestaltet und ist über 3 Meter hoch.
Auch nach Paches Tod gehörten seine Unterhalb des in Erz gegossenen
Chöre noch lange zum Repertoire vie Bildnisses erinnert die Zeile „Der
ler Gesangvereine. Er war nicht nur in liebe Herrgott hält die Wacht“ an ein
Deutschland bekannt, sondern auch Lied von Pache. Für das Denkmal
264
bacher Stadtkirche im Jahre 2014
des berühmten Kreuzkantors Rudolf
Mauersberger gedacht wurde, erklan
gen Werke von Mauersberger selbst,
der Kreuzkantoren Ernst Julius Otto
und Gottfried August Homilius sowie
von Pache.
265
266
Petermann, Georg
Pietistischer Pfarrer in Berlin, der Lausitz und Dresden
auch: Petermannus, Georgius; Petrman, Jiri; Petrmann, György
V: Daniel, Kürschner in Pukanz; G: George (*1709 Pukanz, †12.11.1782 Zibelle, studierte zusam
men mit seinem Bruder in Halle, 1739 Substitut und ab 1751 Pfarrer in Zibelle, verheiratet mit
Elisabeth geb. Zenker, ihr Sohn George, *9.8.1750 Zibelle, Kaufmann in Löbau, verheiratet mit
Johanne Eleonora Rahel geb. Fröhnel, *26.5.1755 Walddorf, †29.12.1794 Löbau, Tochter des Chi
rurgen Johann Gottlieb Fröhnel, ein weiterer Sohn Daniel, *1747 Zibelle, 26.9.1760 Aufnahme
in die Lateinische Schule in Halle); E: (1) †1745; K: Johann Samuel (*1747 Dresden, †1811 Han
nover, Theologe, Hofmeister beim Freiherren von Mengden in Wildenfels, 1776 Gründer der
FreimaurerLoge zum Goldenen Apfel – ab 1781 in Dresden, wo später Karl August Böttiger
Meister vom Stuhl war, ab 1778 Lehrer an der Pagenschule Dresden, ab 1786 Hofmeister beim
Prinzen von MecklenburgStrelitz, ab 1791 Postkommissarius beim Generalpostamt Berlin)
267
auch ohne Pfarrer abgehalten. Geist
lichen Beistand erhielt die Gemeinde Oberlausitzer Wurzeln
vom reformierten Oberhofprediger der böhmischen
von Berlin, Daniel Ernst Jablonsky.
Petermann, der zunächst nur für Gemeinde in Berlin
ein Jahr in Berlin hatte bleiben und
1729 begann der preußische König
danach nach Halle zurückkehren
Friedrich Wilhelm I., in der Fried
wollen, beschränkte sich bald auf
richstadt protestantische Böhmen
seine Aufgaben als Lehrer. Andreas
anzusiedeln. Ein großer Teil der seit
Macher, zuvor Konrektor in Teschen,
etwa 1717 in Großhennersdorf un
übernahm 1735 die Pfarrstelle.
tergekommenen und ursprünglich
Petermann unterrichtete in Berlin
aus den Landkreisen Leitomischl
etwa 70 Kinder. Die Organisation
und Landskron an der Grenze zu
des Schul und Katechismusunter
Mähren stammenden Flüchtlinge,
richts erfolgte nach dem Vorbild des
etwa 500 Personen, wollte 1732
Halleschen Waisenhauses. Von hier
ebenfalls nach Berlin. Sie verließen
besorgte sich Petermann die benö
ihre zwischenzeitliche Oberlausitzer
tigten Schulbücher in deutscher und
Heimat aus Unzufriedenheit über
tschechischer Sprache. Wegen der
die materiellen und rechtlichen
Armut der böhmischen Exulanten bat
Verhältnisse, aber auch aus litur
er Gotthilf August Francke um Hilfe,
gischer Opposition. Ihr Katechet
die dieser auch gewährte. Geeignete
Johann Liberda reichte ihnen zwar
Schüler bereitete Petermann auf ein
beim Abendmahl nach Tradition der
Universitätsstudium vor. Dafür grün
BrüderUnität Brot statt Oblaten,
dete er mit Unterstützung von Adolph
doch der Druck, sich der in Sachsen
Gebhard Manitius eine „Anstalt der
vorherrschenden lutherischen Kir
studierenden Böhmen“. 1737 wurde
che anzupassen, blieb groß. Liber
die in der Tradition der Prager Beth
da war ein Anhänger von August
lehemskapelle des Jan Hus stehende
Hermann Francke in Halle, welcher
Bethlehemkirche der böhmischen
die Fluchtbewegung aus Böhmen
Exulantengemeinde in Berlin ge
förderte und dafür Großhennersdorf
weiht (im Zweiten Weltkrieg schwer
als Stützpunkt auserkoren hatte. Die
beschädigt, in der DDR abgetragen).
Herrin auf Großhennersdorf, Hen
Gemeinsam mit Andreas Macher
riette Sophie von Gersdorff, stand
und dem ehemaligen Großhenners
zwar dem Pietismus nahe, im Unter
dorfer Augustin Schultze verfasste
schied zum benachbarten Herrnhu
Petermann anlässlich der Kirchweihe
ter Nikolaus Ludwig von Zinzendorf
Lobgedichte auf den König („Das
und Pottendorf wollte sie aber an der
kleine Bethlehem als ein geistlich Brot
Leibeigenschaft nicht rütteln
– Haus für hungrige Selen“). Schon in
268
als Pfarrer in Uhyst/Spree an. 1741
und so kam es zum Bruch mit ihren
holte ihn Kabinettsminister Erdmann
Böhmen. Nachdem der preußische
Graf von Promnitz als Archidiakon in
König die Großhennersdorfer Ex
Vetschau und Pfarrer in Missen. An
ulanten zunächst nicht aufnehmen
diesen Wirkungsstätten hatte es der
wollte, siedelte er sie und Glaubens
pietistische Petermann nicht leicht.
brüder aus Zittau auf Vermittlung
In Gebhardsdorf gab es schon unter
von Liberda in NeuCölln und der
seinem Vorgänger theologische Kon
Friedrichstadt an. Obwohl in Berlin
flikte, die wegen der Einführung eines
insgesamt eine größere Toleranz als
neuen Gesangbuchs durch Peter
in Sachsen herrschte, blieben auch
mann erneut aufbrachen, bis sich die
hier Konflikte unvermeidlich.
Gemeinde sogar beschwerte. In Uhyst
wurde er als „Heuchler aus Halle“
dieser Zeit traten Konflikte zwischen diffamiert und auch in Vetschau gab
verschiedenen protestantischen Strö es Anfeindungen und Beschwerden
mungen hervor. Petermann wurde in beim Konsistorium in Lübben.
der Folge wiederholt in Streitigkeiten
zwischen Nikolaus Ludwig von Zin
zendorf und Pottendorf sowie Fran
cke verwickelt, bei denen es z. B. um
Eifersüchteleien im Zusammenhang
mit den Missionen in Amerika ging,
wo sowohl die Herrnhuter als auch
die Lutheraner in Halle die Führungs
rolle beanspruchten.
269
Petermann wurde 1747 zum Prediger bestand zwischen Petermann und
der böhmischen und deutschen Johann Christian Schlipalius, 1746
Gemeinde der Johanniskirche in Katechet und Mittagsprediger an der
Dresden berufen. Die Kirche („die Frauenkirche, 1754 Prediger an der
Böhmische“) befand sich in der Nähe Sophienkirche und 1756 Prediger an
des Pirnaischen Tores am Stadtrand der Kreuzkirche in Dresden.
des alten Dresdens und war seit 1650
nach einer Stiftung von Kurfürst Jo Zur damaligen Zeit war der Kirchhof
hann Georg I. Heimstatt der ab 1620 der Johanniskirche die bevorzugte
massenhaft aus Böhmen geflüchteten Begräbnisstätte des Dresdner Bürger
Protestanten. Auch hier war Peter tums. Die Begräbnisse wurden jedoch
mann wegen seines Pietismus nicht zumeist nicht von den Pfarrern der
unumstritten. Schon seine Wahl wur Johanniskirche durchgeführt, de
de von heftigen Auseinandersetzun nen die Kirchenleitung Calvinismus
gen überschattet. Den ursprünglichen unterstellte, sondern von der Stadt
Kandidaten des Oberkonsistoriums, geistlichkeit. 1752 fand hier Johann
Interimspfarrer Wenceslaus Grego Christoph Knöffel, Architekt der
rius, lehnte die Gemeinde ab. Auf Brühlschen Terrasse und des Barock
Drängen von August III. kam es zu schlosses Rammenau, die letzte Ruhe,
einer Kampfabstimmung, bei der sich 1753 der Orgelbauer Gottfried Silber
Petermann klar gegen Georg Körner mann und 1762 der Zeitungspionier
durchsetzte. Das Oberkonsistorium Johann Christian Crell.
hatte skeptische Gemeindemitglieder
beschwichtigt, bei diesem Petermann Der Siebenjährige Krieg bis 1763
handele es sich nicht um jenen in stellte die böhmische Gemeinde in
Gebhardsdorf und Zibelle missliebig Dresden vor große Probleme. Das
aufgefallenen, bezüglich Gebhards Pfarrhaus war abgebrannt, Kirchenge
dorf offenbar fälschlicherweise. Viele räte und Geldspenden aus Hamburg
Mitglieder verließen die Johannisge gingen verloren. Kollekten in Regens
meinde, aber Petermann konnte auch burg und Lübeck, Beiträge des Ober
viele einflussreiche Persönlichkeiten konsistoriums, aber auch Spenden der
als Besucher seiner Gottesdienste deutschen Gemeinde, bei der Peter
und als Spender gewinnen, was das mann sehr angesehen war, machten
Überleben und den weiteren Ausbau den Wiederaufbau des Pfarrhauses
der Gemeinde sicherte. 1756 gründete 1770 möglich. Petermann blieb bis
die böhmische Gemeinde in Dresden zum Schluss mit den Francke‘schen
Neustadt die Neidesche Stiftsschule, Stiftungen in Halle eng verbunden
zusätzlich zu einer in der Pirnai und sammelte z. B. Spenden für die
schen Gasse betriebenen Schule. Missionen in Indien und Nordame
Ein persönlich gutes Einvernehmen rika.
270
Bibel heraus. Schon 1775 publizierte
Petermann beim IntelligenzComp
toir (ehemals Siegmund Ehrenfried
Richter) die theologische Streit
schrift „Erlaubte Beleuchtung“ gegen
bibelkritische Abhandlungen des
Engländers Eduard Harwood, wobei
er auch auf Antithesen des Berliner
Oberkonsistorialrats Wilhelm Abra
ham Teller zurückgriff.
Die aus Holz gebaute Johannis- Quellen: Christian Adolph Pescheck: „Die
kirche (Zeichnung Moritz Krantz, böhmischen Exulanten in Sachsen“. Hierzel,
Leipzig 1857; Franckesche Stiftungen zu Halle
Deutsche Fotothek, CC BY-SA 4.0) (Saale): Datenbank zu den Einzelhandschrif
musste 1784 abgerissen werden. Die ten in den historischen Archivabteilungen;
Gottesdienste fanden danach in der Digitalisierte „Bergmann‘sche Exulanten
nahen Waisenhauskirche statt. sammlung“, in Zusammenarbeit der Ludwig
MaximiliansUniversität München und des
Hauptstaatsarchivs Dresden; Paul Flade:
1784 gründete sich unter Petermanns „Neue Sächsische Kirchengalerie, Ephorie
Leitung eine Dresdner Partikularge Dresden 1“. 1906; Christian Gottlieb Jöcher,
sellschaft aus mehreren „erweckten“ Johann Christoph Adelung, Heinrich Wilhelm
Pfarrern. Zuletzt war Petermann Rotermund: „Allgemeines GelehrtenLexicon“.
Gleditsch, 1816; Gottfried Lebrecht Richter:
Senior des geistlichen Ministeri
„Allgemeines biographisches Lexikon alter
ums. 1789 begann unter Leitung von und neuer geistlicher Liederdichter“. 1804;
Ratsbaumeister Christian Heinrich Lausitzisches Magazin“. Bd. 25, Fickelscherer
Eigenwillig der Neubau der Johan 1792; Karl Gottlob Dietmann: „Die gesamte
niskirche. Ihre Weihe im Jahre 1795 der ungeänderten Augsp. Confeßion zuge
thane Priesterschaft in dem Churfürstenthum
erlebte Petermann nicht mehr. Sachsen und denen einverleibten, auch einigen
angrenzenden Landen“. Bd. 1, 1752; Website
Petermann verfasste in seiner Dresd JohannesKantorei; www.apfelloge.de; www.
ner Zeit eine Reihe theologischer genbo.de; Ursula Bach: „Auszug und Ankunft.
Der Weg der Evangelischreformierten Beth
und sprachwissenschaftlicher Bücher.
lehemsgemeinde durch drei Jahrhunderte“;
Unter seinen Werken ragen das böh Thomas Keller: „Das tolerante Brandenburg/
mische Gesangbuch von 1748 („Ho Preußen? Toleranzpolitik am Beispiel der
spodina Srdcem y Rty Chwáleni“), böhmischen Exulanten in Brandenburg/Preu
eine böhmische Grammatik sowie ßen“. GRIN Verlag, 2007; Frank Metasch: „Die
Einwanderung und Integration von Exulanten
ein Buch mit böhmischen Postillen in Dresden während des 17. und 18. Jahrhun
von 1783 („Krestanske Wjry Základ“) derts“. Dissertation TU Dresden, 2006; www.
hervor. Er gab zudem eine böhmische uhyst.de; Lausitzisches Magazin, 15.12.1782
271
Titelblatt von Richters Zeitung (später „Dresdner Anzeiger“) aus dem Jahre
1752. Diese Gestaltung blieb gültig bis 1760. Der Druck erfolgte in Löbau.
272
Richter, Siegmund Ehrenfried
Buchdrucker in Görlitz, Verleger in Dresden
16.03.1711 Bautzen – 01.06.1762 Dresden
Richter stammte aus einer Bautzener David Hollaz und Christoph Hay
Buchdruckerfamilie. Sein Großvater mann mit Schriften zur Religions
Andreas Richter (1639–1719) hatte geschichte sowie Gymnasialdirektor
1676 die Familientradition mit der Friedrich Christian Baumeister.
Übernahme der Buchdruckerei von 1745 ergänzte er sein Geschäft um
Christoph Baumann begründet. einen Buchhandel, indem er sich
1707 übergab er das Geschäft seinem mit Johann Friedrich Fickelscherer
Sohn Gottfried Gottlob Richter. Dem verband. Die Görlitzer Firma Richter
folgte 1738 dessen jüngerer Sohn Karl & Co. ging nach Richters Tod in den
Gottfried Richter. Richters Buch alleinigen Besitz Fickelscherers über,
druckerei ist insbesondere für eine der das Geschäft bis 1794 fortführte
Vielzahl von Drucken in sorbischer und u. a. das „Lausitzische Magazin“
Sprache bekannt geworden. Siegmund und die „Lausizische Monatsschrift“
Ehrenfried Richter, der ältere Sohn der Oberlausitzischen Gesellschaft
von Gottfried Gottlob Richter, lernte der Wissenschaften herausbrachte.
bis 1729 beim Vater und ging dann
nach Altdorf, Würzburg und Augs 1746 nahm Richter in Dresden eine
burg. 1734 nahm er eine Stelle in der Stelle als Hoffaktor an. Hoffaktoren
Druckerei von Christoph Zipper & wurden an Fürstenhäusern mit der
Söhnen in Görlitz an, 1736 übernahm Regelung finanzieller Angelegenhei
er die Druckerei. Auf sein Erbrecht ten betraut. Dazu zählte inbesondere
an der Familiendruckerei in Bautzen die Beschaffung von Geldmitteln für
verzichtete er. Richter hat 66 Schrif Luxusgüter – während der Regent
ten produziert, die für ihren klaren schaft von August III. mit seinem
Druck sowie für schöne Initial und Minister Heinrich von Brühl eine
Finalstöcke und Zierleisten gerühmt besonders anspruchsvolle Tätigkeit.
wurden. Zu seinen Autoren zählten Am 25. Januar 1749 stellte Richter in
der Historiker Christian Knauth, die Dresden ein Gesuch an August III.
Theologen Karl Gottlob Dietmann, um Erteilung des Privilegs für das
273
AdreßComptoir, einer Vermittlungs sprüngliche Verbote. Damit machte er
anstalt zu Produkten, Dienstleistun seinerseits Crell und dessen „Dresd
gen und Informationen, und dem ner Merkwürdigkeiten“ Konkurrenz.
damit verbundenen Anzeigenblatt. Er druckte auch Preislisten und
Weder die Erben des wirtschaftlich kirchliche Nachrichten neben Fami
erfolglosen Vorbesitzers Gottlob lien, Stellen und Gerichtsanzeigen
Christian Hilscher noch dessen und Wohnungsangeboten. Die „Ge
ehemaliger Konkurrent Johann lehrten Anzeigen“ richteten sich an
Christian Crell wollten die 1730 Wissenschaftler, die ihr Wissen und
gegründete, erste Zeitung Dresdens ihre Gedanken auf unterhaltsame Art
fortführen. Andererseits wuchs mit einem breiten Leserkreis nahebringen
der zunehmenden Bevölkerung und wollten. Neben Theologie, Jura, Me
wirtschaftlichen Aktivität der Bedarf dizin, Wirtschaft, Naturwissenschaf
daran. Die landesherrliche Zustim ten, Landwirtschaft und Geschichte
mung beinhaltete die Übertragung fand sich auch Raum für Poesie und
der Hilscher‘schen Konzession, ohne Literatur. Richter selbst beteiligte sich
den Abdruck von Kirchennachrichten mit einigen Gedichten. In der Hoch
zu gestatten. Die strikte Trennung von zeit der Kleinstaaterei bildeten Artikel
Anzeigenblättern, politischen Zei über das Münzwesen einen gewissen
tungen und speziellen Nachrichten Schwerpunkt. Ein solcher Beitrag
zetteln wie jenen der Kirchner wurde erregte 1752 das Missfallen des Hofes,
eifersüchtig verteidigt. Bei Richter der sich bei der Zensur, also dem
erschien das Anzeigenblatt ab dem 1. Stadtrat, beschwerte. Der Autor hatte
Juli 1749 wöchentlich. Es sollte bis zur Sachsen zwar gegen Kritiken in einer
Gründerzeit vorrangig ein Inseraten Berliner Zeitung wegen der Qualität
und Amtsblatt bleiben, bis es ab 1869 sächsischer Münzen verteidigt, somit
die Redakteure Eduard Ferdinand aber publik gemacht, dass es eine
Springer, Hermann Thenius und solche Kritik gab. Richter redete sich
Leonhard Lier zu einer führenden damit heraus, dass er das Manuskript
Zeitung heutigen Zuschnitts machten. anonym erhalten habe. Den Autor
Bereits Richter hatte aber das Konzept konnte oder wollte er nicht nennen.
der Zeitung erweitert. Als Neuerung Die Recherche in der Druckerei in
gab es die „Gelehrten Anzeigen“ als Löbau nach dem Originalmanuskript
Beilage. Zudem tauchten unter „Ver blieb erfolglos. Richter weitete auch
mischtes“ aktuelle Nachrichten auf. den Vertrieb aus, allerdings musste
Richters Credo bestand darin, „Vielen er die meisten Ausgabestellen, wie in
zu nutzen, einen jeden zu vergnü Berlin, Breslau, Hamburg und Wien,
gen und niemanden zu beleidigen“. wieder schließen. Neben Leipzig
Er publizierte lokale und regionale verblieben nur Görlitz und Löbau.
Nachrichten und ignorierte dabei ur Letztere waren naheliegend, weil die
274
Produktion der Zeitung in der Löbau Christoph Arnold verwickelt waren.
er Zweigstelle von Richters eigenem Verschiedene Anwartschaften wurden
Druckhaus in Görlitz erfolgte. Mit für den Fall des Ablebens oder des
seinem erweiterten Zeitungskonzept Wegzugs der Witwe Richter zugesagt.
hatte Richter das Anzeigenblatt zum Gültig blieb jene für Breitkopf, der
Mittelpunkt des geistigen Lebens in den Anzeiger inzwischen druckte und
Dresden gemacht. Mit Beginn des der die Anwartschaft 1790 zusammen
Siebenjährigen Krieges 1756 stand mit Buchhandlungen in Dresden,
er vor einer neuen Herausforderung. Görlitz und Bautzen (Drachstedt)
Wechselnde Besatzungsmächte be an Carl Christian Richter weiterver
dienten sich der Zeitung für ihre Ver äußerte. Mit dem Tod von Richters
lautbarungen, Friedenssehnsucht und Witwe trat die Option in Kraft, wobei
Kriegsberichterstattung musste Raum dies Carl Christian Richter nicht
gegeben werden. Richter rief in seinen mehr erlebte. Johann August Tode,
Gedichten göttliche Hilfe gegen die ein Verwandter der Witwe Siegmund
Schrecken des Krieges an. Durch den Ehrenfried Richters, wurde mit der
Beschuss mit Kanonen während der Administration beauftragt. Aber erst
Belagerung Dresdens durch preußi mit dem Verkauf im Jahre 1837 durch
sche Truppen im Jahre 1760 wurde Carl Christian Richters Enkelin,
auch das Domizil von Richters Zei der Freiin von Schlichten, an Justus
tung in der Landhausstraße zerstört, Friedrich Güntz für 17.000 Taler kam
die daraufhin auf das Areal der spä die inzwischen „Dresdner Anzeiger“
teren Kunstakademie zog. Nachdem genannte Zeitung in ruhigere Bah
sich die Lage etwas beruhigt hatte, nen. Nach Güntz‘ Stiftung im Jahre
dokumentierte man den Ablauf der 1856 ging der Anzeiger in städtischen
Kampfhandlungen und deren Folgen Besitz über und die Erträge wurden
ausführlich. Den Hubertusburger fast 100 Jahre lang für die Wohlfahrt
Friedensschluss von 1763 hat Richter und die Verschönerung Dresdens
nicht mehr erlebt. Wenige Tage nach eingesetzt. Richters großer Verdienst
seinem Tod wandte sich die Witwe bestand darin, die Zeitung zu einem
an den Hof mit dem Appell, ihr das wirtschaftlich gesunden Unterneh
Anzeigerprivileg zu übertragen, auch men geführt zu haben.
im Hinblick auf die wirtschaftlichen
Quellen: J. Braun: „Richter, Andreas“. Allgemeine
Folgen des anhaltenden Krieges. Deutsche Biographie, Bd. 28, 1889, S. 446–447;
Dem Gesuch wurde am 23. Juni 1762 Herbert Zeißig: „Eine deutsche Zeitung. Zwei
hundert Jahre Dresdner Anzeiger“. Verlag der Dr.
stattgegeben. Damit begann eine Zeit Güntzschen Stiftung, 1930; Gottlieb Friedrich Otto:
heftiger Auseinandersetzungen, in die „Lexikon der seit dem 15. Jahrhundert verstorbenen
auch renommierte Druck und Ver und jetztlebenden Oberlausizischen Schriftsteller
und Künstler“. Görlitz, 1800 ff.; Christian Friedrich
lagshäuser wie die von Johann Gott Gessner u. a.: „Der so nöthig als nützliche Buchdru
lob Immanuel Breitkopf und Johann ckerkunst und Schriftgiesserey“. 1741
275
Ernst Rietschel, im Bild porträtiert von seinem Studienfreund Julius Thae-
ter, war ein Bildhauer von internationalem Rang. Zusammen mit Ernst
Hähnel gilt er heute als Begründer der bedeutenden Dresdner Bildhauer-
schule. Rietschel hat maßgeblich den Übergang vom Klassizismus zum
Realismus geprägt und wurde für sein Schaffen vielfach ausgezeichnet. So
war er Mitglied einer Vielzahl von nationalen und internationalen Kunst-
akademien.
276
Rietschel, Ernst Friedrich August
Professor, Bildhauer
15.12.1804 Pulsnitz – 21.02.1861 Dresden
277
selbstständige Arbeit schuf er die seiner oft weinerlich ängstlichen
NeptunStatue für den Marktbrunnen Ausdrucksweise konnte von mir
in Nordhausen. 1828 gewann Riet eigentlich nur schwer als Bildhau
schel den Wettbewerb für ein Reise er begriffen werden; doch da nicht
Stipendium nach Italien, konnte unähnliche Eigenschaften mich schon
den Preis als Nichtpreuße aber nicht bei Schnorr nicht abgehalten hatten,
erhalten. Er wurde ihm stattdessen diesen als gewaltigen Maler aufzufas
1830 von der sächsischen Regierung sen, so gelang mir die Befreundung
ausgezahlt. Zuvor besuchte er zusam mit Rietschel um so mehr, als ich an
men mit Rauch München, wo er am diesem keinerlei Affektation wahr
Monument von König Maximilian I. nahm und eine seelenvolle, zärtliche
Joseph mitwirkte. Wärme mich immer geneigter zu ihm
hinzog. Von ihm entsinne ich mich
1831 kehrte Rietschel aus Italien nach auch zuerst sehr warme, ja begeis
Deutschland zurück. Er begann in ternde Anerkennung meines Wesens,
Rauchs Atelier mit Arbeiten an der namentlich auch als Dirigent gehört
kolossalen Statue von König Friedrich zu haben. Trotz aller Kollegialität
August dem Gerechten für Dresden. unseres reichen Künstlerkreises kam
Das Denkmal ging auf die Initiative es sonst nämlich niemals zu dem, was
eines Vereins um Prinz Johann, Karl ich hier meine, und es war im Grunde
August Böttiger, Gottlob Fried genommen eigentlich immer, als ob
rich Thormeyer und Johann Gott keiner etwas von dem andern hielte.“
lob von Quandt zurück, die eigentlich
Rauch gewinnen wollten, der jedoch Ab 1832/33 lehrte Rietschel als außer
Rietschel empfahl. Als Kabinetts ordentlicher Professor der Kunstaka
minister Detlev Graf von Einsiedel demie Bossier und Modellierkunst
nach den Unruhen des Jahres 1830 an der Technischen Bildungsanstalt
sein Amt verlor, schien der Auftrag unter Wilhelm Gotthelf Lohrmann.
zunächst gefährdet. Rietschels erstes Diese hatte ihren Sitz zunächst in
großes Werk konnte schließlich 1843 einem Pavillon auf der Brühlschen
im Zwingerhof eingeweiht werden.
Für die musikalische Umrahmung Das Denkmal für König Friedrich
der Festveranstaltung waren Richard August den Gerechten auf dem
Wagner und Felix Mendelssohn Schloßplatz in Dresden ist das
Bartholdy verantwortlich. Seit 2008 heute am häufigsten gesehene Werk
steht das Denkmal auf dem Dresdner Rietschels (Foto rechts). Es steht ne-
Schloßplatz zwischen Hofkirche und ben der Freitreppe zur Brühlschen
Brühlscher Terrasse. Richard Wagner Terrasse von Gottlob Friedrich
erinnerte sich später an Rietschel: Thormeyer. Der Sockel des Denk-
„der krankhafte bleiche Mann mit mals stammt von Gottfried Semper.
278
279
Ab 1834 lehrte Rietschel als Professor
für Bildhauerkunst an der Kunstaka
demie unter Heinrich Carl Graf Vitz
thum von Eckstädt, seinem früheren
Lehrer Ferdinand Hartmann (künstle
rische Leitung) und Theodor Winkler
(Hell) für die Expedition, blieb aber
zunächst zusätzlich an der Tech
nischen Bildungsanstalt tätig. Der
Kunstakademie gehörten seinerzeit
Karl August Böttiger und Franz
Pettrich als Mitglieder an. Schon kurz
nach Rietschels Amtsantritt geriet
die Kunstakademie in eine Krise. Der
Landtag stellte sogar ihre Existenz
in Frage. Hartmann verteidigte sie
schließlich erfolgreich mit dem Hin
weis auf die Kunst als Staatsaufgabe.
Zudem unterbreitete er Vorschläge,
Der Gartenpavillon auf der Brühl-
wie die Arbeit effektiver zu gestalten
schen Terrasse wurde von Johann
sei. Ab 1836 wurden der Atelierunter
Christoph Knöffel 1747 erbaut (im
richt eingeführt, die Generaldirektion
selben Jahr von Canaletto gemalt).
aufgelöst und ein Akademischer Rat,
1828 erfolgte hier die Gründung der
dem auch Rietschel angehörte, als
Technischen Bildungsanstalt, der
Leitungsgremium berufen. In dieser
heutigen Technischen Universität.
Funktion zeichnete Rietschel mitver
Nach dem Wegzug der Bildungsan-
antwortlich für die Weiterentwicklung
stalt gehörte der Gartenpavillon zur
der Kunstakademie. So wurden aus
Kunstakademie, die seit 1791 in der
Düsseldorf die Maler Julius Hübner
umgebauten Brühlschen Bibliothek
und Eduard Bendemann geholt, die er
(im Bildhintergrund) angesiedelt
schon aus seiner Berliner Zeit kannte,
war. Rietschel, der selbst an der
und Julius Schnorr von Carolsfeld,
Kunstakademie studiert hatte, besaß
mit dem er seit seinem Aufenthalt in
im Gartenpavillon sein Atelier.
München freundschaftlich verbunden
Terrasse gegenüber der Brühlschen war. Bekannteste Schüler in Rietschels
Bibliothek, wo die Kunstakademie Atelier für Bildhauerei waren Johan
untergebracht war, zog jedoch noch nes Schilling (1842), Gustav Adolf
1833 in die Rüstkammer am Jüden Kietz (nach 1844), Adolf Donndorf
hof. (1853) und Robert Henze (1858).
280
Prägend für Rietschels Karriere Rietschel war ein Meister der
war das ambivalente Verhältnis zu baubezogenen Plastik. In Bautzen
dem Architekten Gottfried Semper, erinnert daran der Rietschelgiebel
seit 1834 Professorenkollege an der am Puppentheater des Deutsch-
Kunstakademie. Mit ihm arbeitete sorbischen Volkstheaters auf der Or-
Rietschel nach dem Denkmal für tenburg. Es handelt sich dabei um
Friedrich August den Gerechten auch die Figuren des Orestgiebels („Alle-
beim Hoftheater (1838–1841) und gorie der Tragödie“, Orestie-Trilogie
der Gemäldegalerie (1847–1855, nach von Aischylos) des 1869 abgebrann-
Sempers Flucht aus Dresden fertigge ten Semper‘schen Hoftheaters in
stellt) zusammen. Bei beiden Vorha Dresden. Das Werk befand sich ab
ben schuf Rietschel den Bildschmuck 1905 am Bautzener Stadttheater am
gemeinsam mit Ernst Hähnel. Semper Lauengraben, fand aber nach dessen
sah in den zwei Bildhauern die ideale Abriss 1969 keine Verwendung. Die
Ergänzung, um seine Anschauung Figuren kamen nach Quatitz und
vom Zusammenwirken der Künste Nadelwitz. Seit der Eröffnung des
zu realisieren. Beim Hoftheater hatte Burgtheaters im Jahre 2003 ist das
er Hähnel ausdrücklich empfohlen. Werk, durch Glas geschützt, am
Rietschel schmückte am Hoftheater heutigen Standort zu sehen. Neben
zwei Giebel mit einer „Allegorie der der Ausschmückung von Hoftheater
Tragödie“ bzw. der Musik auf dem und Gemäldegalerie von Gottfried
Rücken eines Adlers emporgetra Semper in Dresden schuf Rietschel
gen, und schuf die beiden sitzenden Reliefs und Statuen für das Haupt-
Figuren Schillers und Goethes (heute gebäude der Universität Leipzig
am Eingang der Semperoper). An der (Augusteum), das Giebelfeld an der
Ausschmückung der Gemäldegalerie Berliner Oper, die Quadriga für das
war auch der RietschelSchüler Jo Braunschweiger Schloss und Plasti-
hannes Schilling beteiligt. Hier hatte ken für das Logenhaus der Dresdner
Rietschel jedoch zunächst die Calber Freimaurer.
lasche Zuckersiederei von Gottlob
281
Friedrich Thormeyer Sempers
NeubauEntwurf vorgezogen. Der
Fassadenschmuck der Gemäldegalerie
erinnerte an bedeutende Vertreter
der Künste. Von Rietschel stammte
der Entwurf der Nordseite, für die
er u. a. die Statuen des Perikles und
Phidias, von Holbein, Dürer, Giotto
und Goethe sowie zahlreiche Reliefs
schuf. In den 1840er Jahren wechsel
te Gustav Adolph Kietz von Semper
zur Bildhauerei bei Rietschel. Sem
per und Rietschel gehörten zu den
Gründungsmitgliedern des Dresdner
GewerbeVereins und bemühten sich
dort um die Gründung einer Gewer
beschule für junge Handwerker.
282
widerspiegelte sich aber auch hier die Eduard Bendemann, die ebenfalls
Aufbruchstimmung des Vormärz, so mehreren dieser Vereine angehörten,
im Kreis um Julius Mosen. Im Säch wohnte er in einem Haus. Die Söh
sischen Kunstverein mit seinen etwa ne der drei Künstler lernten an der
2000 Mitgliedern besaß Rietschel, der Schule von Karl Justus Blochmann,
dem Direktorium angehörte, wesent einem Bruder von Heinrich August
lichen Einfluss auf die Förderung der Blochmann, die für ihre naturwis
bildenden Kunst und der Künstler senschaftliche Ausbildung bekannt
in Sachsen. Der Verein organisierte war. In seinem Haus erlebte Rietschel
Ausstellungen und kaufte Kunst auf. hautnah den erbitterten Streit zwi
Rietschel gehörte den ebenfalls eher schen Hübner und Julius Schnorr von
unpolitischen Albina und Sächsischer Carolsfeld als Vertreter der Düssel
Altertumsverein an, war aber auch dorfer bzw. Münchner Malschule in
Mitglied im Literarischen Museum Dresden – ihm kam wiederholt eine
und der Montagsgesellschaft. Erst als Vermittlerrolle zu.
es hier im Zusammenhang mit der
Revolution von 1848/49 für ihn zu Im Unterschied zu Semper sah Riet
politisch zuging, blieb er fern. Mit schel die revolutionäre Entwicklung
den befreundeten Julius Hübner und in Deutschland eher skeptisch. Er
gehörte wie Bendemann und Hübner
dem Deutschen Verein an, der sich
am 11. April 1848 gegründet hatte. Sie
strebten grundsätzlich ein „einiges,
freies und starkes Deutschland“ an,
standen aber weiterhin zu einer kon
stitutionellen Monarchie in Sachsen,
die sie auf eine breite demokratische
Grundlage stellen wollten. Eine wirk
liche Revolution lehnte man ab. Dem
radikaleren Vaterlandsverein trat
Rietschel nicht bei. Als es am 3. Mai
1849 die ersten Toten gab, verteidigte
er zusammen mit seinem Schüler
Kietz in der Akademischen Legion
der Bürgerwehr das Rathaus der Stadt
gegen „Militär und Proletariat“.
283
Friedrich Wilhelm IV. geschaffene Pi strebenden Schiller die Hand auf die
età für die Friedenskirche in Potsdam. Schulter. Drei Jahre später wurde in
Vom Protestantismus geprägt, stellte Dresden das Denkmal für Carl Maria
der Künstler nicht mehr nur eine Ver von Weber enthüllt. Wegen der Flucht
herrlichung der Gottesmutter Maria von Richard Wagner als einem der
mit dem in ihrem Schoße ruhen wichtigsten Fürsprecher hatte es hier
den Leichnam Christi dar, sondern Verzögerungen gegeben.
betonte die Verehrung des heiligen
Leichnams selbst, indem er ihn auf Als letztes Hauptwerk entwarf Riet
den Boden legte und Maria neben schel in Worms ein monumentales
ihm niederknien ließ. Danach schuf Reformationsdenkmal. Es erinnert
Rietschel mit der Statue für Gotthold an das Erscheinen Luthers vor dem
Ephraim Lessing in Braunschweig Reichstag in Worms im Jahre 1521,
ein für seine realistische Darstellung um vor Kaiser Karl V. seine Thesen zu
gerühmtes Werk. Dieser Realismus verteidigen. Um die Gestalt Luthers
prägte auch das 1857 eingeweihte Mo gruppierte Rietschel Laien und Pries
numentalwerk für Johann Wolfgang tervertreter sowie Stätten der Refor
von Goethe und Friedrich Schiller mation. Mit diesem Ensemble wollte
in Weimar. Rietschel setzte sich bei er „eine feste Burg“ des Glaubens
diesem Auftrag gegen seinen früheren symbolisieren. Rietschel selbst schuf
Lehrer Rauch durch, dessen Entwurf, neben dem Entwurf der Gesamtan
die beiden Dichter in einem anti lage auch die Lutherfigur und die
ken Kostüm darzustellen, abgelehnt Statue des John Wiclef, eines Wegbe
wurde. Das DoppelMonument sollte reiters der Reformation aus dem 14.
ebenso realistisch werden wie die Jahrhundert. Die anderen Bildwerke
LessingStatue in Braunschweig und wurden nach Rietschels Tod von sei
so fiel die Wahl auf Rietschel. Der nen Schülern Adolf Donndorf (Savo
war sich ob seines Entwurfs selbst narola, Friedrich der Weise, Reuchlin,
nicht sicher und schickte Gustav Petrus Waldaus, Magdeburg), Gustav
Adolph Kietz mit den Modellen nach Adolph Kietz (Hus, Philipp der Groß
München in die Erzgießerei, weil er mütige, Melanchthon, Augsburg) und
die Kritik des bayerischen Königs Johannes Schilling (Speyer) entwor
fürchtete. Am 3. September 1857, fen. Beteiligt war zudem der Architekt
dem 100. Geburtstag von Großherzog Hermann Nicolai, Sempers Nachfol
Karl August, wurde sein Goethe ger als Professor für Baukunst an der
SchillerDenkmal enthüllt. Rietschel Kunstakademie Dresden. Rietschel
stellte die beiden Dichter gleichrangig selbst ist in Worms mit einem Porträt
nebeneinander, ein in sich ruhender an der rechten Ecke des Reichstagsre
Goethe legt dabei als Zeichen seiner liefs dargestellt.
Freundschaft dem jüngeren, voran
284
Vor allem mit seinen monumentalen
Hauptwerken hat Rietschel Identi
fikationsfiguren des Strebens nach
deutscher Einheit verewigt. Dane
ben schuf er eine große Anzahl von
kleineren Plastiken, so von Karl
August Böttiger (s. Seite 65) und
dem berühmten Mineralogen Abra
ham Gottlob Werner. Die Abgüsse
seiner Werke wurden zunächst im
RietschelMuseum, um das sich nach
seinem Tod Hermann Hettner, Julius
Schnorr von Carolsfeld, Carl Gustav
Carus und Ernst Hähnel maßgeblich
bemüht hatten, im Palais im Großen
Garten gezeigt. Das repräsentative
Palais beherbergte seit 1841 im Unter
geschoss den Sächsischen Altertums
verein, dem auch Rietschel angehörte.
Der Verein präsentierte hier sakrale
Bildwerke. 1869 wurde das Rietschel
Museum im Obergeschoss unterge
bracht, wo es bis 1889 verblieb. Seit
Das Luther-Denkmal vor der 1861 hatte ein Komitee zur Gründung
Dresdner Frauenkirche stammt vom eines solchen Museums eine nahezu
Rietschel-Schüler Adolf Donndorf.
Es lehnt sich am Vorbild des großen
Reformationsdenkmals seines Leh-
rers in Worms an. Der Kopf Luthers
beim Dresdner Denkmal geht auf
einen Entwurf von Rietschel selbst
zurück. Das Wormser Luther-Denk-
mal wurde häufig, teilweise nach
abweichenden Entwürfen Rietschels,
nachgegossen. Zu den bekanntesten Martin Luther steht im Zentrum des
Luther-Denkmalen nach Rietschel Wormser Reformationsdenkmals
gehören neben jenem an der Frau- mit einer Bibel im Arm (siehe auch
enkirche Monumente in Washing- Abb. links). Die Lutherfigur hat
ton und in Görlitz. Für die Walhalla Ernst Rietschel geschaffen, der Kopf
schuf Rietschel eine Büste Luthers. stammt von Adolf Donndorf.
285
vollständige Sammlung von Modellen Gipsabgüssen. 1990 wurde der Ernst
zu Rietschels Bildwerken zusam RietschelKulturring gegründet, der
mengetragen. Aus Worms kamen als alle zwei Jahre einen von Rietschels
Geschenk die Modelle zum dortigen Nachfahren gestifteten Kunstpreis
Reformationsdenkmal. König Johann für Bildhauerei vergibt, und im Jahre
stellte die Räumlichkeiten im Palais 2000 öffnete in Rietschels Geburts
zur Verfügung. Das Museum stand haus eine Galerie.
unter der Leitung von Hermann Hett
ner. Heute befinden sich Rietschels
Werke in der Dresdner Skulpturen
sammlung.
286
Das Denkmal für Ernst Rietschel
auf der Brühlschen Terrasse wur-
de von dessen Schüler Johannes
Schilling 1876 an der Stelle seines
ehemaligen Ateliers errichtet. Hier
befand sich zunächst die Technische
Bildungsanstalt, später übernahm
die Kunstakademie den Pavillon.
Rietschels Schüler haben mit ihren
Bildwerken den „Balkon Europas“
maßgeblich geprägt. Von Schilling
stammen an der Freitreppe vom
Schloßplatz die Plastiken „Abend“
und „Nacht“ (unten) und „Morgen“
und „Mittag“ (oben), das Denkmal
für Gottfried Semper in der Nähe
des Albertinums und die vergolde-
te „Saxonia“ auf einem Turm des
Oberlandesgerichts. Schilling und
Robert Henze schufen kunstvolle
Figuren bzw. Reliefs für die Kunst-
akademie. Von Henze stammt auch
die Figur der Fama auf deren Spitze.
Quellen: Richard Muther: „Rietschel, Ernst“. ADB, Bd. 28, 1889, S. 596–602; Bärbel Stephan:
„Rietschel, Ernst Friedrich August“. NDB, Bd. 21, 2003, S. 613–614; Andreas Oppermann: „Ernst
Rietschel“. Brockhaus, 1863; www.ernstrietschel.com; Meyers KonversationsLexikon, Bd. 16,
Leipzig 1908, S. 930; Paul Schumann: „Dresden“. Berühmte Kunststätten, Bd. 46, E. A. Seemann,
Leipzig 1909; Dirk Hempel: „Literarische Vereine in Dresden. Kulturelle Praxis und politische
Orientierung des Bürgertums im 19. Jahrhundert“. Walter de Gruyter, 2008; Christiane Thei
selmann: „Das Denkmal Friedrich August I. von Sachsen von Ernst Rietschel“. Zeitschrift für
Kunstgeschichte, Bd. 53, H. 1, 1990, S. 1–24; Max Georg Mütterlein: „Gottfried Semper und des
sen Monumentalbauten am Dresdner Theaterplatz“. Dissertation, TH Dresden, 1913; Friedrich
von Boetticher: „Malerwerke des 19. Jahrhunderts“. Dresden, 1898; „Allgemeine Betrachtungen
über die Pilze und chemische Beiträge zur näheren Kenntniss derselben von Dr. Julius Lehmann“.
Blochmann und Sohn, 1855; Adressbücher der Stadt Dresden, 1833, 1834, 1837.1861; Kunstchro
nik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe, 22.10.1869, E.A. Seemann Leipzig, S. 1–2 ; Max
Maria von Weber: „Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild“. Ernst Keil Leipzig, 1866; Carl Fried
rich Glasenapp: „Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern“. Band 2, Breitkopf & Härtel Leipzig,
1905; Wilhelm Kaulen: „Freud‘ und Leid im Leben deutscher Künstler: ihren mündlichen Mit
teilungen nacherzählt“. Winter Frankfurt, 1878; www.worms.de; Ekkehard Mai: „Die deutschen
Kunstakademien im 19. Jahrhundert: Künstlerausbildung zwischen Tradition und Avantgarde“.
Böhlau Verlag Köln Weimar, 2010; Kunstakademie Dresden – Studentenordnung 1778–2012
287
Quelle Bildzitat:
Lebenslauf des Ma
lers Osmar Schindler,
Maschinuskript ohne
Datum, vermutlich
verfasst von Pfarrer
Semm (1924–1935 in
Bischofswerda),
digitalisiert, leicht
bearbeitet und mit
Anmerkungen versehen
von Pfarrer Dr. Tobias
Mickel Bischofswerda,
im April 2005, http://
www.christusbote.de
Schindler war während des Studiums auch von dem bekannten Bildnisma-
ler Leon Pohle geprägt worden. Sein „Bildnis eines Bildhauers“ wurde 1888
bei einer Ausstellung von Studienarbeiten an der Dresdner Kunstakademie
mit einer Großen Silbernen Medaille ausgezeichnet. Nach dem Studium
verdiente sich Schindler seinen Lebensunterhalt als Porträtmaler. Bedeu-
tende Persönlichkeiten wie Christian Otto Mohr (Professor am Polytech-
nikum und der TH Dresden), Hermann Prell (Professor an der Kunstaka-
demie) und Wilhelm von Rueger (Vorsitzender des Gesamtministeriums)
ließen sich später von ihm porträtieren. Ein frühes Damenbildnis (1891,
ehemals Heimatmuseum Bischofswerda) gehört wie neun weitere Bilder
Schindlers zum Bestand der Gemäldegalerie Neue Meister Dresden.
288
Schindler, Osmar Heinrich Volkmar
Professor, Maler in Dresden
21.12.1867* Burkhardtsdorf – 19.06.1927 DresdenWachwitz
(* lt. Grabstein auf dem Friedhof DresdenLoschwitz abweichend: 22.12.)
V: Carl Friedrich Julius (†20.6.1878 Bischofswerda, Kaufmann); M: Emilie Auguste geb. Arnold
aus Bischofswerda (1827–27.11.1903); G: 2 Brüder (Ottomar, Oskar); E: 1906 Emma Minna geb.
Arnold (26.5.1866–9.11.1939); K: Ernst Arnold (*1906, †1906), Heinrich Erhard (*5.4.1908,
vermisst April 1945)
289
len, sondern auch Ausstellungskunst
zu zeigen, durch die Art der Ausstel-
lung, durch architektonische und
dekorative Anregungen künstlerisch
zu wirken und anzuregen.“ (Paul
Schumann: „Dresden“. Berühmte
Kunststätten Bd. 46, 1909) Auf sei-
nem Ausstellungsplakat, das heute
zum Bestand des Kupferstichkabi-
netts Dresden gehört, stellte Schind-
ler einen „siegkündenden olympi-
schen Wettstreiter“, umrahmt von
einem Goldmosaik, dar. Mit der
Wahl des Motivs erinnerte er an die
in der Öffentlichkeit begeistert auf-
genommenen ersten Olympischen
Spiele der Neuzeit 1896 in Athen,
ein Gleichnis für die Aufbruch-
stimmung in Dresdens Kunstleben.
„Die erste internationale Kunstaus- Gleichzeitig steht Schindlers Werk
stellung zu Dresden im Jahre 1897 für den Aufstieg der Plakatgestal-
muß als epochemachend für Dres- tung zu einer eigenständigen Kunst-
den bezeichnet werden. Hier wurde richtung, als „Kunst für die Straße“.
zum ersten Male der Grundsatz Die „Plakatwelle“ ging Anfang des
betont und in die Tat umgesetzt, 19. Jahrhunderts von den damali-
daß es sich nicht um einen gro- gen Zentren der Industrialisierung
ßen Kunstmarkt, sondern um eine und Kunst, London und Paris, aus.
Eliteausstellung handeln dürfe, und Schindlers Plakat gehörte zu den
daß es auch nicht bloß gelte, diese ersten bedeutenden Arbeiten dieser
ausgewählten Kunstwerke auszustel- Kunstrichtung in Dresden.
290
Gotthardt Kuehl, Carl Bantzer, Otto zudem das Talent von Hanns Georgi
Gussmann und Eugen Bracht Vertre und ließ ihn während dessen Ausbil
ter moderner Stilrichtungen an die dung am Fletcher‘schen Lehrersemi
Kunstakademie. Sie lösten schrittwei nar in seinem Atelier arbeiten. Mit
se Schindlers Lehrer, als Vertreter des dem aufkommenden Expressionismus
Kolorismus traditionell geprägt, im und später der Neuen Sachlichkeit
Leitungsgremium der Akademie, dem sowie dem Aufstieg solcher Maler wie
akademischen Rat, ab. Insbesondere Otto Dix schwand jedoch Schind
Kuehl, ein ehemaliges Gründungsmit lers Reputation. Als Künstler ist er,
glied der Münchner Sezession, nahm selbst ein tiefgläubiger Christ, durch
großen Einfluss auf die Gestaltung Monumental und Altarbilder in
der I. Internationalen Kunstausstel Kirchen hervorgetreten. Sie werden
lung in Dresden, in der sich nach dem für ihre Harmonie in Farbe und
Vorbild der Münchner Sezessionisten Form gerühmt. Das Wandaltarbild in
Einflüsse von Impressionismus und Klotzsche (1905–1907) zeigt, in Kas
Jugendstil widerspiegelten. Auch einfarben direkt auf Putz gemalt, die
Schindler schuf in jener Zeit Gemäl Kreuzigung Christi. Viele von Schind
de, die diesen Stilrichtungen, teilweise lers Gemälden sind volkstümlich
in gemischten Formen, zuzuordnen gestaltet. Das Altarbild in der Luther
sind. Aus der verbliebenen bzw. kirche Chemnitz (1908) zeigt Jesus
wieder gewachsenen Distanz zum Im inmitten einfacher Menschen – den
pressionismus entwickelte er später, Kirchenbesuchern im gutbürgerlichen
wie der Bautzener Hans Unger, einen Lutherviertel oblag es, das Bild zu
eigenen neorealistischen, farbintensi deuten. Die „Emmausjünger“ (1915)
ven Malstil. Vor allem der Dresdner in der Kirche FreitalPotschappel
Anzeiger, unter dem Kunstredakteur tragen die Kleidung von Stahlarbei
Paul Schumann ein Fürsprecher der tern. Auch in Otterwisch, Jahnsbach
Avantgarde, gehörte zu den Kritikern. und Bischofswerda finden sich noch
heute Schindlers Kirchengemälde, das
Im Jahre 1900 erhielt Schindler eine Altarbild der Dresdner Annenkirche
Anstellung an der Kunstakademie, wurde 1945 zerstört. Ein christliches
drei Jahre später erfolgte die Beru Motiv zeigt zudem das monumentale
fung zum Professor. Bis 1924 bildete Wandbild im heutigen Evangelischen
er Generationen von Kunststudenten Gymnasium Annaberg.
aus. Schindler lehrte in der Mittel
klasse (Gipssaal) und der Oberklasse Schindler ließ sich von seinen Reisen
(Aktsaal, Malsaal). Zu seinen namhaf („Am Gardasee“), von der Sagen
testen Schülern zählten George Grosz, welt („Siegfried“) und der deutschen
Karl Hanusch, Bernhard Kretzschmar Geschichte („Schiller, aus Don Carlos
und Paul Wilhelm. Er entdeckte vortragend“) inspirieren, nahm aber
291
„Im Kumtlampenschein“ (oben), „David und Goliath“ (unten).
292
worden war, ebenfalls zum Bestand hier lebte noch lange seine Mutter.
der Gemäldegalerie Neue Meister, Die Mutter malte er, wie sie vom
wurde aber 1998 an die Alteigentü Fenster des Wohnhauses, die Bibel
mer zurückgegeben. Trotz seiner gro lesend, den Blick über Bischofswerdas
ßen Arbeitsbelastung an der Akade Dächer streifen ließ. Die nach ihm
mie und durch Auftragsarbeiten war benannte Straße erinnert noch heute
Schindler mehrfach auf bedeutenden an Osmar Schindler.
Kunstausstellungen vertreten, z. B.
mit „Im Kumtlampenschein“ 1901 in Quellen: Falk Drechsel, ZwönitztalKurier,
24.2.2007; Gernot Werner: „Er schuf Gemälde, auf
Dresden (Kleine Goldene Medaille), denen Ross und Reiter bekannt sind: vor 75 Jahren
„David und Goliath“ auf der Weltaus verstarb Osmar Schindler“. Dresdner Neueste
Nachrichten, 12 (2002), 10.6., S. 7; Ortsverein
stellung St. Louis 1904 und „Verspot
Pillnitz e.V.: „Künstler am Dresdner Elbhang“. Teil
tung Christi“ mit großem Erfolg in 1, ElbhangKurierVerlag, 1999, S. 145; Heike Bie
Berlin 1909. Letzteres Bild, im Besitz dermann u. a.: „Osmar Schindler in der Dresdner
Galerie“. Sandstein Verlag Dresden, 2011; Friedrich
der Kirche Fischerhude, wird heute von Boetticher: „Malerwerke des 19. Jahrhun
wegen vermeintlich antijudaistischer derts“. Bd. 2, 1898, S. 562; Adressbücher der Stadt
Tendenzen kontrovers diskutiert. Dresden, 1892, 1904, 1913; Johannes Weber: „Aus
der Geschichte meiner Heimat“. Unveröffentlichte
Chronik von Bischofswerda, 1977, S. 100; Websites
Auch wenn Schindler Bischofswerda der Kirchen Bischofswerda, Klotzsche, Potschappel
schon in jungen Jahren verlassen hat und Chemnitz; Paul Schumann: „Dresden“. Be
rühmte Kunststätten Bd. 46, Verlag E.A. Seemann
te, blieb er der Stadt doch verbunden. Leipzig, 1909; Kataloge der Kunstausstellungen St.
Hier war sein Vater begraben und Louis, Dresden und Berlin
293
Johann Gottlob Schneider war einer der bekanntesten Orgelvirtuosen seiner
Zeit. Die Dresdner nannten ihn „Orgel-König“.
294
Schneider, Johann Gottlob
Hoforganist in Dresden
28.10.1789 Altgersdorf – 13.04.1864 Dresden
V: Johann Gottlob (*1.8.1753 Waltersdorf, †3.5.1840 Altgersdorf), Sohn des armen Häuslers
und Zwillichwebers Johann Christoph Schneider, der durch sein Musiktalent weit über seinen
Heimatort Waltersdorf hinaus bekannt war, musste in seiner Jugend am Webstuhl arbeiten,
lernte trotzdem Klavier und Violine, 1774 Organist, 1779 zusätzlich Unterschulmeister in
Waltersdorf, 1787 Hauptlehrer und Organist in Alt und Neugersdorf, 1832 Civilverdienstor
den; M: Anna Rosina geb. Hänisch (*5.1.1762 Jonsdorf, †9.1.1832 Altgersdorf), Bleichnerin;
G: 1 vor seiner Geburt verstorbener Halbbruder, 1 Halbschwester (18.3.1774–1808, verh. 1792
mit Karl Gottlieb Krause aus Neusalza) aus der 1. Ehe des Vaters, Johann Christian Friedrich
(*3.1.1786 Waltersdorf, †23.11.1853 Dessau, 1798 Gymnasium Zittau, sang im Kirchenchor und
wirkte als Chorpräfekt, 1805 humanistische Studien an der Universität Leipzig, in der Musik bei
Johann Gottfried Schicht, unterrichtete ab 1806 Orgel und Gesang an der Ratsfreischule, 1807
Organist der Paulinerkirche, 1807 FreimauerLoge „Balduin zur Linde“, 1810 Musikdirektor
der Operngesellschaft von Joseph Seconda, 1813 Organist an der Thomaskirche, 1816 Leitung
der Singakademie, 1817 Musikdirektor am Stadttheater Leipzig, 1820 „ElementarHandbuch
der Harmonie und Tonsetzkunst“ bei Peters, 1822 Hofkapellmeister in AnhaltDessau, leitete
zahlreiche überregionale Musikfeste, 1829 Gründung der Musikschule Dessau, komponierte 16
Oratorien, darunter „Das Weltgericht“ in 3 Teilen für Soli, Chor und Orchester (1820), sowie 6
Opern und 23 Sinfonien, Mitglied, Ehrendoktor bzw. Ehrenmitglied der Universitäten Halle und
Leipzig, der Konservatorien Paris und Stockholm sowie der Oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften), Johann Gottlieb (*19.7.1797 Altgersdorf, †4.8.1856 Hirschberg, besuchte das
Gymnasium Zittau, Studium in Leipzig, 1815 Musiklehrer in Bautzen, 1817 Organist in Sorau,
1825 Organist an der Kreuzkirche in Hirschberg), 4 früh verstorbene Geschwister; E: 12.11.1812
Julie Friederike Auguste geb. Weidisch (5.8.1789–21.6.1856), Tochter eines Zittauer Stadtrichters
Schneider war der Sohn eines Lehrers als Posaunenbläser auf. Seinen Vater
und Organisten in Alt und Neugers musste er gelegentlich an der Orgel
dorf. Den ersten Musikunterricht vertreten. 1801 kam Schneider auf
erhielt er im Alter von fünf Jahren wie das Gymnasium in Zittau, wo er wie
zuvor sein älterer Bruder Friedrich zuvor sein Bruder Friedrich musika
und später der jüngere Bruder Johann lisch sehr gefördert wurde. Er sang als
Gottlieb vom Vater. Neben dem Or Sopran im Chor der Johanniskirche
gelspiel lernte Schneider auch Klavier, unter Johann Gottlieb Schönfeld, trat
übte viele Orchesterinstrumente mit Soli in Konzerten in Görlitz und
(Violine, Viola, Oboe, Klarinette, Löbau auf und wirkte als Präfekt des
Fagott, Horn, Trompete und Posaune) Chores. Orgelunterricht erhielt er
und war insbesondere ein talentierter von Johann Gottlieb Unger. 1810 gab
Cellist. Im Alter von zehn Jahren trat Schneider in Zittau ein Klavierkon
er in Rumburk bei einem Konzert zert.
(„Die Schöpfung“ von Joseph Haydn)
295
Das Geburtshaus von Johann Schneider, heute Neugersdorf, Rudolf-Breit-
scheid-Straße 4, wurde von der Familie 1788 bezogen. Das Umgebindehaus
steht unter Denkmalschutz. Foto: Matej Batha (Wikimedia Commons,
Lizenz CC BY-SA 3.0)
Nach einem kurzen Studium der 1812 kehrte Schneider als Organist
Rechte an der Universität Leipzig an der Görlitzer Hauptkirche St. Peter
im Jahre 1810 bei Christian Gottlieb und Paul mit ihrer Sonnenorgel in
Haubold widmete sich Schneider die Oberlausitzer Heimat zurück.
ganz der Musik und interpretierte als Er studierte die Orgelbaukunde, um
Organist an der Paulinerkirche vor Orgeln selbst prüfen und reparieren
zugsweise Johann Sebastian Bach. Die zu können, lehrte Orgel, Klavier und
Stelle hatte er 1811 in der Nachfolge Gesang und gründete einen Gesang
seines Bruders Friedrich erhalten. verein. Georg Ottomar Baumeister
Im selben Jahr wurde er zudem als gehörte zu seinen Schülern. Ab 1816
Gesanglehrer an der Ratsfreischule gab Schneider Orgelkonzerte, die ihn
unter Karl Gottlieb Plato angestellt. weit über die Grenzen der Oberlausitz
Wichtige musikalische Anregungen hinaus führten, beispielsweise nach
verdankte er Thomaskantor Johann Altenburg, Dessau, Freiberg, Gotha,
Gottfried Schicht. Gefördert wurde er Leipzig, Liegnitz und Weimar. Man
aber auch vom Universitätsprofessor rühmte sein Improvisationsvermögen
Ernst Platner. und die Interpretationen von Johann
296
Sebastian Bach. In Görlitz organi
sierte er Musikfeste, so 1820 mit dem
„Weltgericht“ seines Bruders Fried
rich. Mit dem Musikdirektor seiner
Kirche, Johann August Blüher, veran
staltete er Konzerte, in denen Schnei
der dirigierte, sang oder Klavier
spielte. Bei einem Gastspiel in Dres
den begeisterte er Heinrich Vitzthum
von Eckstädt, seinerzeit Direktor von
Hofkapelle, Hoftheater und Kunstaka
demie, und Theodor Winkler (Hell)
derart, dass man ihm die Stelle des
Hoforganisten an der katholischen
Hofkirche in der Nachfolge von An
ton Dreyssig (aus Leutersdorf, einem
Nachbarort von Neugersdorf) anbot,
die er aber nicht annahm.
Die Görlitzer Sonnenorgel von Eu-
Bei einem Auftritt in der Dresdner genio Casparini mit einem Prospekt
Sophienkirche überzeugte Schneider von Johann Conrad Buchau wurde
Oberhofprediger Christoph Friedrich 1703 fertiggestellt und seit 1827
Ammon und anlässlich der Orgelprü mehrfach umgebaut. Ihren Namen
fung der Silbermann’schen Orgel in verdankt sie den 16 Sonnen, um die
der katholischen Hofkirche im Jahre herum die Orgelpfeifen wie Sonnen-
1825 Carl Maria von Weber, die ihn strahlen angeordnet sind. Foto: Za-
als Hoforganisten an die evangelische iron (Wikimedia Commons, Lizenz
Sophienkirche empfahlen. Auch an CC BY-SA 3.0)
anderen Orten wurde er wiederholt
zu Rate gezogen, um Orgelprüfungen Gütigen sowie bei privat organisierten
vorzunehmen. So spielte er 1825 auf Aufführungen wie von Carl Gustav
der von ihm geprüften neuen Orgel Carus.
in Bischofswerda. Am 12. Dezember
1825 trat Schneider die Nachfolge des Schneider war seit dem 2. November
evangelischen Hoforganisten Fried 1815 Freimaurer in der Görlitzer Loge
rich George Kirsten in Dresden an. „Zur gekrönten Schlange“ und ab
Er konzertierte in der Sophienkirche dem 9. Februar 1827 in Dresden in
und der Kreuzkirche, wirkte als Inst der Loge „Zum Goldenen Apfel“, in
ruktor der evangelischen Kapellkna der er auch als Musikdirektor wirkte.
ben und spielte vor König Anton dem Logenbrüder waren seinerzeit u. a.
297
1830 übernahm Schneider die Direk
tion der Dreyssig’schen Singakade
mie, mit der er viele öffentliche Auf
tritte hatte. Als Lehrer für Orgelspiel
war er so anerkannt, dass die Schüler
von weit her zu ihm kamen. Theodor
Berthold, Edmund Kretschmer und
Gustav Adolf Merkel gehörten zu sei
nen bekanntesten Dresdner Schülern.
Felix Mendelssohn Bartholdy war
mehrfach bei Schneider in Dresden
und empfahl diesen den Schülern des
Leipziger Konservatoriums. Auch
Robert Schumann nahm Stunden.
Zudem bildete Schneider Schüler
des Friedrichstädter Lehrerseminars
zu Organisten aus. 1832 wurde die
JehmlichOrgel in der Kreuzkirche
durch Johann Schneider und Kreuz
kantor Ernst Julius Otto eingeweiht.
298
Tonkünstlerverein, die Liedertafel von
Ernst Julius Otto und Orpheus. Die
Organisten Dresdens und ehemalige
Kapellknaben gründeten eine Johann
SchneiderStiftung, die elternlosen
Lehrersöhnen Stipendien für eine
Orgelausbildung gewährte.
299
Das alte Bautzener Gymnasium auf
der Schulbastei am Kornmarkt (bis
1868, Lithographie um 1840, oben,
mit Porträt).
300
Siebelis, Karl Gottfried
Magister, Pädagoge und Philologe in Bautzen
10.10.1769 Naumburg – 07.08.1843 Bautzen
Siebelis verlor früh seine Eltern und Pöschmann, später Professor für Ge
wurde von den (Stief)Großeltern schichte in Dorpat.
Kießling aufgezogen. Der Stiefgroßva
ter stammte aus Löbau in der Ober Im Jahre 1788 begann Siebelis in
lausitz und besaß in Naumburg eine Leipzig ein Studium der Theologie,
Strumpffabrik, verstarb aber noch Philosophie und Philologie, wobei
während Siebelis‘ Schulzeit, sodass ihm sein Erbteil und Stipendien aus
dieser in Kost und Logis gegeben Naumburg und Zeitz zugute kamen.
werden musste. Am Rathsgymnasium Er freundete sich mit seinem Studi
Naumburg wurde Siebelis von seinem engenossen Gottfried Hermann an.
Lateinlehrer Friedrich Wilhelm Zu seinen Lehrern zählten neben
Döring gefördert, vor allem aber von Christian Daniel Beck auch Samuel
Rektor Müller. Befreundet war er mit Friedrich Nathanel Morus, Wolfgang
seinem Mitschüler Georg Friedrich Reiz, Karl August Gottlieb Keil, Ernst
Aus dem
Abgangs-
zeugnis.
301
Platner und Johann Georg Rosen anstalten. Siebelis war sozial engagiert
müller. Nach dem erfolgreichen und stets bescheiden: Er förderte Kin
Abschluss der Magisterarbeit riet der aus wenig bemittelten sorbischen
ihm August Wilhelm Ernesti, sich zu Familien, wie z. B. Handrij Lubjensky
habilitieren. Doch Siebelis ging das und Bjedrich Adolf Klin, und grün
kleine ererbte Vermögen aus und er dete 1810 zwei Armenschulklassen.
musste seinen Lebensunterhalt als Die Schrecken des napoleonischen
Hauslehrer verdingen. Trotzdem fand Krieges 1813 erlebte Siebelis hautnah.
er Aufnahme in der „Societas Philo Mehrfach wurden französische und
logica Lipsiensis“ seines Professors russische Truppen im Gymnasium
Beck, der auch Gerhard Heinrich und in seiner Wohnung einquartiert.
Jacobjan Stöckhardt angehörte. 1814 führte Siebelis neue Lehrbücher
Siebelis‘ angegriffener Gesundheitszu nach der Grammatik von Philipp Karl
stand verhinderte danach Anstellun Buttmann ein.
gen als Lehrer in Halle bzw. Eisleben.
1798 wurde Siebelis auf Vermittlung Siebelis gehörte seit 1816 zu den Frei
seines ehemaligen Naumburger maurern der Loge „Zur goldnen Mau
Rektors Müller zum Conrektor an er“, die sich besonders sozialen Zielen
die Stiftsschule in Zeitz berufen. Für verpflichtet fühlte. Schon 1819 war er
den Schulgebrauch schuf er hier 1800 in den dritten Rang und zum zwei
sein bekanntes Werk „Hellenica“. Zur ten Redner unter dem Meister vom
Berufswahl als Lehrer sagte Siebelis Stuhl Gerhard Heinrich Jacobjan
selbst im Rückblick auf sein Leben: Stöckhardt befördert worden, des
„So wurde ich, was ich wünschte, sen Söhne Robert Stöckhardt und
praktischer Schulmann und noch Ernst Theodor Stöckhardt zu
jetzt im Greisenalter bereue ich es seinen bekanntesten Schülern zähl
nicht, sondern danke Gott, dass er ten, wie auch der spätere Philologe
mich hat Schulmann werden lassen.“ Karl Friedrich Ameis, Karl Trau
gott Kanig und Eduard Gottlob
Siebelis trat am 30. Januar 1804 am von Nostitz und Jänkendorf. Mit
Gymnasium in Bautzen das Rekto Stöckhardt, Gottlob Adolf Ernst
renamt in der Nachfolge von Lud von Nostitz und dem katholischen
wig Gedike an. Den Tipp sich zu Bischof Franz Lock gehörte Siebelis
bewerben hatte ihm der befreundete dem Gesellschaftsverein „Bautzner
Friedrich August Carus aus Bautzen Societät“ an.
gegeben, inzwischen Philosophie
professor in Leipzig. Das Bautzener Im Jahre 1817, nach der Gründung
Gymnasium entwickelte sich unter des Landständischen Seminars, er
Leitung von Gedike und Siebelis zu hielt das Gymnasium den Status einer
einer der führenden deutschen Lehr höheren Lehranstalt zum Zwecke der
302
Vorbildung für die Universität. Es insbesondere Kritiken nicht mehr,
herrschte jedoch akuter Lehrerman dass Siebelis‘ strikte Orientierung am
gel. 1826 wurden von 6 Lehrern in klassischen Humanismus vermeint
4 Klassen 270 Schüler unterrichtet, lich zulasten der deutschen Sprache
wovon innerhalb eines Jahres 36 auf und praktischer Ausbildung ginge.
die Universität gingen. Ab 1827 konn Im Jahre 1835 gelang es Siebelis, das
te Siebelis – nachdem das Bautzener Gymnasium zeitgemäß umzuorgani
Gymnasium neben kommunaler auch sieren: In diesem Rahmen wurde die
staatliche Unterstützung erhielt – Prima in drei Klassen aufgeteilt. Sie
schrittweise den Lehrkörper erwei bildeten zusammen mit der ehema
tern. ligen zweiten Klasse das eigentliche
Gymnasium; die neuen Quinta und
Seit 1826 war Siebelis Mitglied der Sexta bildeten das Progymnasium.
Oberlausitzischen Gesellschaft der Katholische und protestantische
Wissenschaften. Außerdem berief Schüler lernten bei ihm in Eintracht
ihn die Lateinische Gesellschaft zu und Siebelis versuchte, seine Schüler
Jena zum Ehrenmitglied. Im Jahre für das Sammeln sorbischer Kostbar
1829 gründete er anlässlich seines keiten (Volkslieder, Märchen, Sagen,
25jährigen Amtsjubiläums die Sprichwörter) zu begeistern. 1832
Stiftung des „Stipendiums Siebeli hatte er den sorbischen Sprachunter
sianum“, das bis weit nach seinem richt eingeführt und 1839 gestattete er
Tode einem Primaner für die beste die Gründung des Vereins „Societas
prosaische oder poetische Behand Slavica Budissinensis“ zur Pflege der
lung eines gegebenen Themas in sorbischen Sprache und Kultur.
lateinischer Sprache gewährt wurde.
Zum Amtsjubiläum erhielt Siebelis Regelmäßig zu Ostern publizierte
u. a. eine von Hofgraveur Reinhard Siebelis seine Schulschriften, in denen
Krüger geschaffene Medaille. Nicht er das Programm des Bautzener
immer wurde er aber so geehrt: Als Gymnasiums darlegte. Hierin gab er
es darum ging, einen Teil der Stiftung wissenschaftlichen Diskussionen den
von Gregorius Mättig für die Grün Vorrang vor Selbstdarstellung. Sein
dung einer Bürgerschule in Bautzen ehemaliger Schüler Robert Heller
zu verwenden, zog sich Siebelis vermerkte dazu: „Die Ehre seiner
breiten Unwillen zu. Er beschwerte Schule, der sittliche Wohlstand und
sich erfolgreich beim König, dass dies der wissenschaftliche Fortschritt
nicht den Statuten der MättigStiftung seiner Zöglinge ging ihm über alles“.
entspräche, die nur die Förderung der Siebelis zeichnete eine breite Gelehr
hiesigen evangelischen Schule, inzwi samkeit aus, und er war ein bedeu
schen zum Gymnasium geworden, tender Kritiker und Erklärer des
vorsähe. Seit jener Zeit verstimmten Altertums. Insgesamt gehen auf ihn
303
54 Schriften zurück. Siebelis publi len berechnen läßt, und nach dem
zierte in den Schulschriften eigene Reichthum, der noch größeren Vor
Arbeiten zu philologischen und his theil versprechende Unternehmungen
torischen Themen, aber auch Werke unterstützen soll, wird die Achtung
mit pädagogischem und theologi gegenüber des Menschen hohe Würde
schem Inhalt. 1811/12 ergänzte und ... in den Hintergrund gedrängt.“
vollendete Siebelis die vom Gothaer
Professor Carl Gotthold Lenz begon Siebelis emeritierte am 6. April 1841.
nene Bearbeitung von Bruchstücken Für seine Verdienste wurde er zum
verschiedener Geschichtsschreiber Ritter des Königlich Sächsischen Ci
über Attika. 1813 erörterte er die vilverdienstordens ernannt. Er galt als
Vorbildwirkung von Johannes von einer der bedeutendsten Pädagogen
Müller, einem Schweizer Geschichts seiner Zeit, machte sich auch interna
schreiber und Publizisten aus dem tional einen Namen. Siebelis war ein
Umfeld von Johann Gottfried Herder, Lehrer aus Passion und bekannte sich
auf Gymnasiasten. Große Beach zur Liebe zur jungen Generation. Sein
tung fand 1817 „Die Bibel, die beste ehemaliger, ihn verehrender Schüler
Grundlage der Erziehung unserer Ameis schilderte in einem Nachruf
Kinder“ anlässlich der 300JahrFeier die segensreiche Wirkung auf das
der Reformation. Nachdem Carl Bautzener Gymnasium, aber auch
Ludwig Fernow, Johann Heinrich für die Weiterentwicklung deutscher
Meyer und Johannes Schulze bis 1820 Schulprogramme im Sinne des klassi
schon 7 Bände zu den Werken des schen Humanismus, und seine Erzie
bedeutenden Kunsthistorikers Johann hungsprinzipien fern von autoritärem
Joachim Winckelmann herausgege Diktat: Nichts war in den Augen von
ben hatten, wurde Siebelis gebeten, Siebelis schlimmer als „ängstliche
für den achten Band ein umfassendes und erniedrigende Aufseherei“. Er
Register anzufertigen, wozu er mit verteidigte stets die humanistische
Karl August Böttiger in Kontakt Bildung, denn sie entfremde die
stand. Mit der „kritischexegetischen“ Schüler keineswegs dem christlichen
Ausgabe des griechischen Schriftstel Glauben, sondern trage im Gegenteil
lers Pausanias in 5 Bänden von 1822 zu seiner Weckung bei.
bis 1828 schuf er sich selbst ein Denk
Quellen: Carl Friedrich Ameis: „Der Gym
mal. In „Stimmen aus den Zeiten der nasiallehrer in seinem edlen Berufe und als
alten griechischen und römischen Mensch, als Blätter der Erinnerung an Karl
Classiker“ (1832) schrieb Siebelis Gottfr. S.“. Hennings‘sche Buchhandlung Go
die zeitlosen Worte: „Durch das jetzt tha, 1845; Richard Hoche: „Siebelis, Karl Gott
fried“. In: Allgemeine Deutsche Biographie,
überall vorherrschende, wetteifernde Bd. 34 (1892), S. 168; Wilhelm Pökel: Philolo
Streben nach unmittelbarem Nutzen gisches SchriftstellerLexikon. A. Krüger, 1882;
und Gewinn, der sich durch Zah Allgemeine deutsche RealEncyklopädie. F.A.
304
Brockhaus Verlag Leipzig, 1847; Johann Georg Meusel: „Das Gelehrte Teutschland“. 1825; Sanct
Johannis FreimaurerLoge zur goldnen Mauer, Mitgliederverzeichnisse 1816, 1819, 1832, 1834,
1842; E. F. Wüstemann, Jahrbücher für Philologie und Paedogogik. B. G. Teubner, 1829 und 1846;
Dr. Schubart: „Zur Geschichte des Gymnasiums in Budissin“. Gedr. bei E.M. Monse, 1863; Peter
Kunze: „Siebelis, Karl Gottfried“. In: Sächsische Biografie, Institut für Sächsische Geschichte und
Volkskunde, bearb. von Martina Schattkowsky; Otto, G. F.: Lexikon d. OL Schriftst. u. Künstler,
Görlitz 1800 ff; Hans Mirtschin: „Die Gesellschaft Societät zu Bautzen“. Vortrag vor dem Altstadt
verein, Bautzen, 26.10.2010
Bibliografie (Auswahl)
„Diatribe de Aeschyli Persis“, Leipzig, 1794
„Hellenika seu antiquissimae Graecorum historiae res insigniores usque ad primam olympia
dem“, Barth Leipzig, 1803 und 1815
„Symbolae criticae et exegeticae“, 1803
„Übersetzung des Anfanges der Schrift des Seneca über die Wohlthaten“, Bautzen, 1806
„Einige Worte über die beiden unteren Classen des Bautzener Gymnasiums“, Bautzen, 1807
„Ueber Amtstreue, vorzüglich in Beziehung auf den Schulmann“, Bautzen, 1807
„Trauergedicht an Karl Gottfried Siebelis in Bautzen bey dem Tode seiner Gattin“, Bruder
Leipzig, Februar 1810
„Wie müssen Jünglinge auf gelehrten Schulen studiren?“, Bautzen, 1811
„Philochori fragmenta“, Schwickert Leipzig, 1811
„Phanodemi, Demonis, Clitodemi atque Istri fragmenta“, Car. Gottl. Lenz et. S., 1812
„Johannes von Müller, ein Muster für studirende Jünglinge“, Bautzen, 1813
„Vier Schulschriften“, Dresden, 1817
„Wie Johannes v. Müller über die griechischen und römischen Classiker und ihr Studium
urtheilte“, Bautzen, 1817
„Die Bibel, die beste Grundlage der Erziehung unserer Kinder“, Zittau und Leipzig 1817,
Bautzen 1834
„Haben denn auch die Gelehrtenschulen unsers Vaterlandes Ursache, an der frohen Feyer des
RegierungsJubiläums des Königs Antheil zu nehmen?“, Monse Bautzen, 1818
„Register zu Winckelmann‘s Werken“, Heinrich Meyer und Joh. Schulze (Hrsg.), Walther‘sche
Hofbuchhandlung Dresden, 1820
„Einige Gedanken von Luther über die alten Sprachen und Classiker, und über die Schulen
und Städte, in welchen das Studium betrieben und befördert werden soll“, Bautzen, 1822
„Pausanias“, 5 Bände, Leipzig, 1822–1828
„De Strabonis patria, genere, aetate“, Bautzen, 1828
„Disputationi de Rhiano subjuncta est brevis horum solemnium et rerum scholasticarum
hujus anni narratio“, Bautzen, 1829
„Stimmen aus den Zeiten der alten griechischen und römischen Classiker“, Bautzen, 1832
„Kleines griechisches Wörterbuch in ethymologischer Ordnung“, Leipzig, 1833
„Disputationes quinque, quibus periculum factum est. Stimmen aus den Zeiten der alten
griechischen und römischen Classiker“, ergänzte Schrift, Leipzig, E. Kummer, 1837, 196 S.
„Additamenta ad disputationes quinque, quibus periculum factum est ostendendi, in
veterum Graecorum Romanon que doctrina religionis ac morum plurima esse, quae cum
Christiana consentiant amicissime etc.“, Leipzig, 1842
„Lebensbeschreibung“, Weller Bautzen, 1843
305
Bruno Steglich (Quelle: Christa Haensel, München).
306
Steglich, Carl Bruno Max
Professor, Agrarwissenschaftler in Dresden
09.02.1857 Kleindrebnitz – 28.01.1929 Dresden
307
Nach dem Tod des Vaters leitete die Mutter das Erbgericht Großdrebnitz
mit einem Verwalter, bis es 1887 an die Familie Hilmes verkauft wurde.
Bruno Steglich besuchte in Großdreb die jener seinerzeit leitete. Es ent
nitz die Schule und erhielt Privat wickelte sich bei Steglich ein starkes
unterricht. Von 1867 bis 1871 ging Interesse am agrikulturchemischen
er in Bautzen auf die Bürgerschule und pflanzenphysiologischen Ver
und das Realgymnasium, von 1871 suchswesen. Während eines Volonta
bis 1876 besuchte er in Dresden die riats auf dem Rittergut Deutschbase
„Dreikönigschule“, eine Realschule I. litz (1876–1877, Verwalter: Bernhard
Ordnung. Das Rüstzeug für die späte Müller, Eigentümer: Friedrich Theo
re Laufbahn in der Agrarwissenschaft dor von Zezschwitz) erlernte Steglich
erwarb sich Steglich bereits in seiner die Teichwirtschaft. 1878/79 leistete
Oberlausitzer Heimat, nachdem er er in Bautzen im 4. Königlichen
ursprünglich Ingenieur werden woll Sächsischen Regiment Nr. 103 seine
te. Im elterlichen Erbgericht hatte die einjährige freiwillige Militärpflicht
Arbeitspferdezucht Tradition. Wäh ab. Steglichs Ausbildung fiel dank der
rend der Hospitanz und Assistenzzeit positiven Wirkungen des von Hein
an der Landwirtschaftsschule Bautzen rich August Blochmann mitver
(1877–1878) bei Eduard Heiden fassten Gesetzes über „Ablösungen
konnte er auch Erfahrungen in der und Gemeinheitsteilungen“ in die
Versuchsstation Pommritz sammeln, Zeit eines großen Aufschwungs der
308
sächsischen Landwirtschaft. Begin Oktober 1887 in Chemnitz. Beson
nend in LeipzigMöckern wurde das ders Rochlitz wurde zu einer wich
landwirtschaftliche Versuchswesen in tigen Lebensstation. 1884 heiratete
Deutschland aufgebaut. Dieser Ent er Margaretha Therese geb. Ledig.
wicklung Rechnung trug auch eine Deren Mutter, Olga geb. Mothes,
Umgestaltung der wissenschaftlichen entstammte der Juristendynastie
Ausbildung in Sachsen. 1869 erfolgte des Advokaten Dr. August Ludwig
die Loslösung der Landwirtschaftsleh Mothes (15.5.1794–19.1.1856, Frei
re von der Forstakademie Tharandt maurer „Minerva zu den drei Pal
und die Etablierung als eigenständige men“, Namensgeber einer Straße in
Fachrichtung im Sinne von Justus Leipzig). Steglichs Schwiegervater, Dr.
von Liebig unter Leitung von Adolph Karl Hermann Ledig (17.10.1828–26.
Blomeyer an der Universität Leipzig. 9.1864), war bei Mothes zeitweise Re
Steglich studierte von 1879 bis 1883 ferendar und übernahm nach dessen
bei Blomeyer und Friedrich Anton Tod die Praxis. Zu den Geschwistern
Zürn. Seit dieser Zeit war er Mitglied von Steglichs Schwiegermutter gehör
der „AkademischLandwirtschaftli ten der Architekt und Kunstschrift
chen Verbindung Agronomia“, für die steller Dr. Oskar Mothes (27.12.1828–
er das Wappen entworfen hatte und 4.10.1903) und der Rittergutspächter
der er zeitlebens verbunden blieb. Hugo Mothes in Stötteritz, mit dem
1882 reichte Steglich seine Disser Druckereibesitzer und Verleger Otto
tation „Über den Mechanismus des Dürr und dem Kaynaer Pfarrer Hein
Pferdehufes“ ein, die mit „magna cum rich Trübenbach, ehemals Hauslehrer
laude“ bewertet wurde. Als schrift bei Mothes, war sie verschwägert.
liche Examensarbeiten verfasste er Pfarrer Trübenbach führte die Trau
„Genaue Information über ein Land ung von Steglich und Margaretha
gut (Rittergut Großzschocher) mit Therese an der Nikolaikirche Leipzig
Entwerfung das den Verhältnissen am durch. Zu den angeheirateten Cousins
besten entsprechenden Wirtschafts von Steglich gehörte August Mothes,
planes und Begründung desselben“ Jurist in Leipzig, mit dem enge Kon
und „Die Bedeutung des Wassers für takte bestanden. In Rochlitz wurden
die Lebensvorgänge der Pflanzen“. Mit beide Töchter des Ehepaars Steglich
dem „Großen Examen“ in Landwirt geboren. An der landwirtschaftlichen
schaft, Botanik und Tierheilkunde Schule in Rochlitz schrieb Steglich
von 1883 erwarb er die Berechtigung, 1884 mit seiner „Anleitung zum Plan
die landwirtschaftlichen Fachdiszipli und Situationszeichnen“ zu einem
nen als Lehrer zu vertreten. Thema, das zu jener Zeit an allen
landwirtschaftlichen Lehranstalten
Ab 1883 lehrte Steglich an der land gelehrt wurde. Das Buch erschien
wirtschaftlichen Schule Rochlitz, ab bei dem renommierten Landwirt
309
schaftsverlag von Paul Parey in Berlin. unter Oscar Drude einzurichten und
Zur Landwirtschaftsschule Rochlitz als Vorstand zu leiten. Er war damit
gehörte auch eine Fischzuchtanstalt. praktisch VersuchsKulturobergärtner
In Steglichs Rochlitzer Zeit fielen die Franz Ledien gleichgestellt. Die neue
Untersuchungen des Sächsischen Versuchsstation ergänzte die seit 1862
Fischereivereins zu den Fischereiver an der Tierärztlichen Hochschule
hältnissen von Zschopau und Mulde, Dresden bestehende Einrichtung zur
die in den Folgejahren auf weitere Untersuchung des Stoffwechsels von
Gewässersysteme ausgedehnt wurden. Haustieren und die 1869 von Fried
Vermutlich hat diese Arbeit unter rich Nobbe in Tharandt gegründete
dem Protektorat von Prinz Georg, „Pflanzenphysiologische Versuchs
Herzog von Sachsen, einen wichtigen und Samenkontrollstation“ an der
Einfluss auf Steglichs spätere Karri Forstakademie. Die enge Abstim
ere gehabt. In seiner bekanntesten mung und Zusammenarbeit mit Tha
Publikation, „Die Fischwässer im randt wurde durch ein gemeinsames
Königreiche Sachsen“ (1895), fass Kuratorium unter Johann Friedrich
te er die 10jährigen, etappenweise Judeich überwacht. Während in Tha
durchgeführten Untersuchungen des randt mikroskopische und chemische
Sächsischen Fischereivereins in einer Untersuchungen sowie Vegetations
nahezu lückenlosen Übersicht über versuche im Gewächshaus im Mittel
die fischereiliche Nutzung sächsischer punkt standen, wurden in Dresden
Gewässer zusammen. Steglich selbst Anbauversuche im Freien durchge
hatte die Untersuchungen zur Wei führt. Dafür standen zwei Hektar zur
ßen Elster und Pleiße sowie mit den Verfügung. Steglichs Hauptaufgaben
Schwerpunkten geologische Beschaf bestanden in der Organisation und
fenheit, Wasserqualität und Fließ Durchführung von Arbeiten zur
hindernisse zur Elbe durchgeführt. Verbesserung landwirtschaftlicher
Wichtigster Mitarbeiter war Adolf Nutzpflanzen, in der Hauptsache
Endler, der weitere Gewässersysteme verschiedener Getreidesorten, durch
untersuchte und später die Landwirt Züchtung und zur Ertragssteigerung
schaftsschule in Meißen leitete. durch Düngung. Die von Steglich
1896 initiierte und angeleitete Pir
Steglich war 1887 in Chemnitz der naer Saatzuchtgenossenschaft erhielt
Deutschen LandwirtschaftsGesell für den „Pirnaer Roggen“ auf der
schaft (DLG) beigetreten. Zum 1. Weltausstellung in Paris 1900 eine
April 1890 erhielt er den königlichen Goldmedaille. Steglich widmete sich
Auftrag, eine landwirtschaftliche Ver mit Kursen für Landwirte zudem
suchsstation in Dresden als Abteilung frühzeitig der Wissensvermittlung.
einer „Versuchsstation für Pflan 1901 wurde ihm der Professorenti
zenkultur“ am Botanischen Garten tel verliehen. 1904 erfolgte die Zu
310
station zu Dresden“. Die Samenkon
trollstation ging dabei in Steglichs
landwirtschaftlicher Abteilung auf.
Dem gemeinsamen Kuratorium stand
zu jener Zeit Max Neumeister vor.
Die Dresdner Versuchsstation führte
Samen und Sortenprüfungen durch
und beriet die praktischen Landwirte.
Es galt, wissenschaftliche Grundlagen
für die heimische Landwirtschaft und
den Obstbau zu schaffen und dafür z.
B. auch dendrologischphänologische
Beobachtungsstationen im Erzgebir
ge zu betreiben. Auf Anregung der
„Kaiserlichen biologischen Anstalt
für Land und Forstwirtschaft“ zu
Dahlem wurde nach Vorschlag und
Begutachtung durch den Landeskul
turrat, zufolge Ministerialverordnung
Steglichs wichtigstes Werk (1895). vom 23. September 1904, im König
sammenführung der Dresdner und reich Sachsen die Organisation des
Tharandter Einrichtungen in der Pflanzenschutzdienstes unter Leitung
„Pflanzenphysiologischen Versuchs von Steglich gegründet. Angegliedert
311
waren landesweite Meldestellen. In rung von Samen und Sortenprüfun
ternational fanden Steglichs Arbeiten gen sowie beim Verkauf. Steglich war
zu Pflanzenzüchtung, Pflanzenschutz in der Ökonomischen Gesellschaft
und Obstbau in den USA und Skan Mitglied im Gesellschaftsausschuss
dinavien Beachtung. Im Jahre 1904 und Obmann im Sonderausschuss
unternahm er mit Unterstützung der für landwirtschaftliche Erzeugnisse
Julius Adolph StöckhardtStiftung und Hilfsstoffe. Als Vorstandsmitglied
und der sächsischen Regierung eine verfasste er 1914 eine Festschrift zum
Studienreise nach Skandinavien, die 150jährigen Bestehen der Schwes
ihn auch in die bekannte Saatzucht tergesellschaft Ökonomische Societät
anstalt Svalöf (Schweden) führte. in Leipzig – sein Schwiegergroßvater
Besondere Verdienste erwarb sich Ludwig Mothes hatte die umstritte
Steglich um den Ausbau des Feld ne Abtrennung der Ökonomischen
versuchswesens in Sachsen durch Gesellschaft mit Sitz in Dresden
Einrichtung zahlreicher, nach klima seinerzeit als Syndikus der Leipziger
tischer Lage und Bodenbeschaffen Societät begleitet. Steglich engagierte
heit ausgewählter Anbaustationen. sich im Landeskulturrat als Verant
Um 1910 arbeitete er auch mit dem wortlicher für Fischzucht und ab 1919
Rittergut Schmölln des August für das landwirtschaftliche Versuchs
Schmatz zusammen. Auf 183 Hektar wesen, in der Deutschen Landwirt
wurden Schmöllner Gebirgsweizen, schaftsGesellschaft (Hochzucht
Gelbhafer, Hannagerste und Oberlau kommission für landwirtschaftliche
sitzer Thimotheegras angebaut. Die Pflanzenzuchten, Kommissionen für
Samenkörner dieses ertragreichen Saatenanerkennung, Sortenversuche,
und wertvollen Futtergrases unter Flachs, Obst und Weinbau), im Ver
schieden sich in Schwere und Größe band landwirtschaftlicher Versuchs
vorteilhaft von den marktüblichen stationen unter Leitung von Friedrich
Sorten und wurden im Rahmen eines Nobbe im Ausschuss für Pflanzenpro
Samenpreiswettbewerbs der Deut duktion und Pflanzenschutz sowie im
schen LandwirtschaftsGesellschaft Sächsischen Fischereiverein. Unter
mit einem ersten Preis ausgezeichnet. seinem langjährigen Vorsitz stand
Zahlreiche Vorträge vor der Ökono insbesondere der Besatz der Gewässer
mischen Gesellschaft im Königrei im Vordergrund. Grundlage hierfür
che Sachsen dienten einer schnellen war eine Verbreitung der künstlichen
Verbreitung der wissenschaftlichen Fischzucht, v. a. von Forelle, aber auch
Erkenntnisse. Die Ökonomische Ge Lachs, Schnäpel und Felchen. Unter
sellschaft gewährte den praktischen der Leitung des Fischereivereins wur
Landwirten seinerzeit vielfältige de die Regenbogenforelle in Sachsen
Unterstützungsleistungen, neben der eingeführt. Besonders erfolgreich war
Weiterbildung auch zur Durchfüh die Tätigkeit des Vereins in der Teich
312
wirtschaft. Neben seinem Wirken in
der Versuchsstation lehrte Steglich
von 1912 bis 1921 als Professor für
Land und Volkswirtschaft an der
Tierärztlichen Hochschule Dresden
unter Wilhelm Ellenberger. Steglich
war Mitglied in der Gesellschaft
deutscher Naturforscher und Ärzte, in
der Deutschen Botanischen Gesell
schaft, in der Naturwissenschaftlichen
Gesellschaft ISIS Dresden (seit 1890),
schriftwechselndes Mitglied bei FLO
RA – Sächsische Gesellschaft für Bo
tanik und Gartenbau (seit 1900), und
er interessierte sich für geschichtliche
Belange. So war er Mitglied im Verein
für die Geschichte Dresdens und im
Sächsischen Altertumsverein.
313
anstalten, neben Dresden in Pomm Klavierunterricht erhielt und wo die
ritz unter der Leitung von Georg Eltern eine Vielzahl von Nachdrucken
Derlitzki und in Möckern unter berühmter Gemälde besaßen. Vom
Gustav Fingerling. Steglich führte Hofmaler Ludwig Otto befanden
die Dresdner Versuchsanstalt bis sich eine Großdrebnitzer Ansicht
zu seiner Versetzung in den Ruhe und ein Porträt von Steglichs Sohn
stand im November 1923 zu großem Carl Christian im Besitz der Familie
Ansehen für ihre Leistungen bei der Bruno Steglich. Ludwig Otto hatte die
Erforschung und Verbreitung der jüngste Tochter Marie des ehemaligen
wissenschaftlichen Grundlagen der Großdrebnitzer Pfarrers Carl August
Landwirtschaft und des Obst und Rüdiger – eine Freundin von Steglichs
Gartenbaus in Deutschland. Für seine Schwester Clara – geheiratet und kam
Verdienste um die sächsische und häufig ins Dorf, um hier zu malen.
deutsche Landwirtschaft wurden ihm Auch im Dresdner Verein „Harmo
hohe staatliche und wissenschaftliche nie“ (Palais Hoym) bestanden vielfäl
Auszeichnungen zuteil. 1901 erhielt tige gesellschaftliche Kontakte. Robert
er das Albrechtskreuz, 1908 verlieh Sterl schuf ab 1907 insgesamt sechs
ihm König Friedrich August III. das Porträts von Mitgliedern der Familie
Ritterkreuz erster Klasse, 1912 wurde Wiede von Steglichs Tochter Else. Das
er zum Regierungsrat ernannt und Bildnis von Else Wiede aus dem Jahre
1914 verlieh ihm der König die Krone 1925 befindet sich heute ebenso in
zum Ritterkreuz des Albrechtsordens. der Gemäldegalerie Neue Meister wie
Die DLG ehrte ihn mit der „Großen die von Ludwig Otto 1918 gemalten
Silbernen EythDenkmünze“ (1910), Porträts von Else und ihrem Mann
der Landesobstbauverein (1899), Johannes Wiede. 1912 entwarf Karl
der Landwirtschaftliche Kreisverein Schulz ein Kirchenfenster in Trebsen,
Dresden (1915) und der Deutsche das u. a. Steglichs Tochter und Enkel
Fischereiverein (1919) jeweils mit zeigt und durch die Glasmalanstalt
der silbernen Verdienstmedaille. Die Bruno Urban aus Dresden realisiert
Ökonomische Gesellschaft zu Dres wurde.
den und der Sächsische Fischereiver
ein ernannten Steglich zum Ehren Nach der Pensionierung bis zu sei
mitglied. nem Tod wohnte Steglich in Dresden,
Blochmannstraße 21. Nach der Ein
Bemerkenswert in seinem persön segnungsfeier auf dem Trinitatisfried
lichen Leben war die Bekanntschaft hof wurde er nach Trebsen überführt.
mit namhaften Künstlern seiner Zeit. Hier erinnert noch heute ein 1930
Die musische Aufgeschlossenheit von Georg Wrba geschaffenes Grab
Steglichs ging bis in die Zeit im Groß mal an ihn. An seinem Geburtsort
drebnitzer Erbgericht zurück, wo er geriet er jedoch in Vergessenheit.
314
Kirchenfenster in Trebsen mit Georg Wrba schuf: Grabmal Bruno
Steglichs Tochter Else, Schwieger- Steglich (1930, oben), Büste Johan-
sohn und Enkel. nes Wiede (1932), Halbreliefs von
Bruno Steglich (unten) und Mar-
Lediglich in den Vorarbeiten von Ri garetha Steglich (je 1932), Grabmal
chard Garbe für eine Dorfchronik Wiede in Trebsen (1934), Büsten für
von 1938 findet sich ein Vermerk. Da Johannes Wiede und Else Wiede (je
ran änderte selbst ein auszugsweiser 1935).
Nachdruck aus Steglichs unveröffent
lichtem Manuskript „Erinnerungen
aus meinem Leben“ in den Großdreb
nitzer Kirchenbriefen 1995 nichts, da
dies nur unter dorfgeschichtlichen
Aspekten erfolgte, ohne die Bedeu
tung des Autors zu erkennen. Die
Wiederentdeckung geht auf Frank
Fiedler zurück, der etwa im Jahre
2000 bemerkte, dass jener Bruno
Steglich aus dem Großdrebnitzer Kir
chenbrief mit dem Autor der „Fisch
wässer im Königreiche Sachsen“
identisch ist. 2004 erschien in den
„Sächsischen Heimatblättern“ eine
erste Biografie von Frank Fiedler und
Mathias Hüsni, basierend auf dem
Nachruf von Walter Baunacke und
eigenen Recherchen in Großdrebnitz, landwirtschaftlichen Versuchswesens
Dresden und Trebsen. Der Wert jener in Dresden erstmals eine ausführliche
Arbeit bemaß sich v. a. darin, dass 75 Würdigung erschien. Im selben Jahr
Jahre nach dem Tode des Nestors des zitierte Theophil Gerber ihn in „Per
315
sönlichkeiten aus Land und Forst und war 1977 in Pullach verstorben.
wirtschaft, Gartenbau und Veterinär In München und Umgebung wohnen
medizin, Biographisches Lexikon“, auch heute noch Nachkommen und
Band 2, mit einem kurzen Artikel (S. Verwandte von Steglich. Im „Schie
743–744). Das Institut für Sächsische bocker Landstreicher“ erschien 2010
Geschichte und Volkskunde der TU von Uwe Fiedler der Artikel „Zwei
Dresden beauftragte Frank Fiedler Professoren aus einem kleinen Dorf “,
danach, einen Beitrag zu Steglich für der Steglich und Max Neumeister
die „Sächsische Biografie“ zu schrei gemeinsam gewidmet war. Zudem
ben. Die Recherchen wurden dadurch ist Uwe Fiedler federführend an den
erschwert, dass einerseits Steglichs Artikeln zu Steglich in der Wikipedia
Lebenserinnerungen nach ihrem teil und im Stadtwiki Dresden beteiligt.
weisen Nachdruck in Großdrebnitz
verschollen blieben, andererseits gab Quellen: Walter Baunacke: „Regierungsrat Prof.
Dr. S. †“. Die kranke Pflanze 6/1929, H. 3, S. 37
es lange keine Hinweise auf heuti
f.; Fr. Schäfer: „Wissenschaftlicher Führer durch
ge Nachkommen, selbst in Trebsen Dresden“. v. Zahn & Jaensch, Dresden, 1907; P.
nicht. Kurz vor dem Erscheinen 2006 Hillmann: „Die deutsche landwirtschaftliche
des mit Uwe Fiedler gemeinsam ver Pflanzenzucht“. Berlin, 1910; Christa Haensel:
Familiennachlass Wiede/Haensel/Steglich, Mün
fassten OnlineArtikels in der Säch
chen, mit B. Steglich: „Erinnerungen aus meinem
sischen Biografie konnte der Kontakt Leben“, Dresden 1927, Günter Kloss: „Georg Wrba
zur Familie hergestellt werden, was (1872–1939): ein Bildhauer zwischen Historismus
viele wesentliche Erkenntnisse er und Moderne“. Imhof, 1998, Hermann Pieper:
Nachruf Prof. Bruno Steglich, 1929; Universi
möglichte. Steglichs erste Tochter Else tätsarchiv Leipzig; Kirchenarchiv Großdrebnitz,
war in Trebsen mit dem Papierfabrik Kirchenarchiv Trebsen; EvangelischLutherisches
besitzer Johannes Wiede, einem Sohn Pfarramt St. Nikolai – St. Johannis Leipzig; Säch
des bedeutenden sächsischen Firmen sisches Staatsarchiv Leipzig; Arbeitsgemeinschaft
für mitteldeutsche Familienforschung; Stadtarchiv
gründers Anton Wiede, verheiratet Dresden; Archiv des Rochlitzer Geschichtsver
gewesen. Nach der Enteignung nach eins; Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft
dem Zweiten Weltkrieg hatte sie noch Dresden; Friedrich W. Rach, Pressereferent DLG
einige Zeit in Halle gelebt. Gestor Frankfurt/M.; Dr. Klaus Schmiedel, Königstein;
Roland Paeßler: „Ahnenlinie der „oberen“ Bauern
ben ist sie 1973 in Kochel am See, Steglich in Kleindrebnitz, mit Anmerkungen zur
also nicht in Bad Tölz, wie man in Verbreitung der Familie Steglich in Kleindrebnitz
Trebsen nach einem zu DDRZeiten und Großdrebnitz und einer Zuarbeit von Frank
abschlägig beschiedenen Umbet Fiedler“. 2004; Richard Garbe: „Vorarbeiten für
eine Dorfchronik von Großdrebnitz“. Unsere
tungsantrag vermutete. Identität und Heimat, Beilage zum Sächsischen Erzähler,
Verbleib der zweiten Tochter, Lotte, 11.4./18.4.1938; Dr. Karl Steinmüller: Wiede
waren bis vor kurzem unbekannt. Sie Chronik mit Stammtafel Steglich, 1939; Die
landwirthschaftlichen Versuchsstationen, G.
hatte einen Sohn des Chemikers und
Schönfeld, 1890, S. 472–476; Dresdner Adress
Fabrikanten Heinrich Gustav Haensel bücher 1892–1929; Schöne: „Die Sächsische
(Ehrenbürger von Pirna) geheiratet Landwirtschaft“. 1925
316
Bibliografie (Auswahl)
„Über den Mechanismus des Pferdehufes unter besonderer Berücksichtigung der Hufrotationsthe
orie des Prof. Dr. Lechner in Wien“, Dissertation, Universität Leipzig, Julius Klinkhardt, 1883
„Anleitung zum Plan und Situationszeichnen: für Landwirte und landwirtschaftliche Lehranstal
ten“, Parey, Berlin, 1884
„Schematische Darstellung des Zahnwechsels beim Pferd zur Altersbestimmung aus dem Gebiß:
für Landwirthe, Offiziere, Sportsmen und Pferdebesitzer“, Voigt, Leipzig, 1885
„Einrichtung, Ziel und Aufgaben der Versuchsstation für Pflanzenkultur zu Dresden“, Mitteilungen
der Ökonomischen Gesellschaft im Königreiche Sachsen, 1890/91
„Über Verbesserung und Veredelung landwirtschaftlicher Kulturgewächse durch Züchtung“, Mit
teilungen der Ökonomischen Gesellschaft im Königreiche Sachsen, 1892/1893
„Die Fischwässer im Königreiche Sachsen: Darstellung der gesammten sächsischen Fischereiver
hältnisse“, hrsg. vom Sächsischen FischereiVerein, Schönfeld, Dresden, 1895, 290 S.
„Sortenauswahl und Züchtung des Getreides“, Mitteilungen der Ökonomischen Gesellschaft im
Königreiche Sachsen, 1895/96
„Das Nährstoffbedürfnis der Obstbäume“, Sitzungsberichte und Abhandlungen FLORA, 1898
„Über die Züchtung des Pirnaer Roggens und Untersuchungen auf dem Gebiete der Roggenzüch
tung im allgemeinen“, Jahrbuch der DLG, S. 198–210, 1898
„Beschaffenheit und Gewinnung guter Braugerste“, Mitteilungen der Ökonomischen Gesellschaft
im Königreiche Sachsen, 1898/1899
& v. Langsdorff, „Illustrierter landwirtschaftlicher Vereinskalender“, 1899
„Neuere Anschauungen und Erfahrungen über die Anwendung und Wirkung der künstlichen
Düngemittel“, Mitteilungen der Ökonomischen Gesellschaft im Königreiche Sachsen, 1903
„Einrichtung u. Tätigkeit der Saatzuchtanstalt Svalöf in Schweden und Fortschritte auf dem Gebiet
d. Pflanzenzüchtung“, Reichenbach, Leipzig 1905, 27 S.
„Kurze Anleitung zu Anbau und Behandlung des Flachses“, Heinrich, Dresden, 1905, 15 S.
„Organisation des Pflanzenschutzes im Königreiche Sachsen“, Sächs. Landw. Zeitschr. 54,
S. 581–587, 1906
& H. Degenkolb und M. Barth, „Statik des Obstbaues“, Deutsche LandwirtschaftsGesellschaft und
Parey, Berlin, 1907, 147 S.
„Bearbeitung von Selektions und Zuchtverfahren für Roggen“, Jahrbuch der DLG, 1907
„Förderung und Hebung der Rentabilität des Pflanzenbaues durch Organisation der Pflanzenzüch
tung“, Mitteilungen der Ökonomischen Gesellschaft im Königreiche Sachsen, 1908
„Über Düngungsversuche mit Kalkstickstoff, Stickstoffkalk und Kalksalpeter“, Verhandlungen der
Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, F.W.C. Vogel, 1908
„Das Auftreten der Bisamratte in Sachsen und ihre Bekämpfung“, Schriften Sächs. Fischereiver., 49,
S. 34–44, 1919
„Ergebnisse zwölfjähriger Düngungsversuche in der Gutswirtschaft des Herrn Richard Kirchner in
Grünbach b. Wilsdruff “, Arbeiten aus dem Gebiet der Sächsischen Landwirtschaft, H. 6, 1920
& Fingerling, G. Derlitzki, „Neuorganisation der landwirtschaftlichen Versuchsstationen in Sach
sen und ihre Aufgaben“, Mitteilung der Ökonomischen Gesellschaft im Freistaat Sachsen, H. 47,
Dresden, 1921
„80 Jahre ohne Stalldünger“, Berichte über Düngungsversuche auf dem Staatsgute Wingendorf im
Freistaate Sachsen, Jahrbuch der DLG, S. 18–28, 1921
„Die Bedeutung der Phosphorsäurefrage für die Intensivierung der Bodenproduktion“, Schriften
der Ökonomischen Gesellschaft im Freistaat Sachsen, Reichenbach, Leipzig, 1922
„Zweck und Ziele des Pflanzenschutzes und dessen Organisation im Freistaate Sachsen“, Arbeiten
aus den Gebieten der sächs. Landwirtschaft, H. 9, S. 10–16, 1922
& Pieper, „Vererbungs und Züchtungsversuche mit Roggen“, Fühling‘s Landw. Zeitung, 71, 1922
„Die Einwanderung, Ausbreitung und Lebensweise der Bisamratte, ihre wirtschaftlichen Gefahren
und ihre Bekämpfung in Sachsen bis zum Jahre 1922“, Korresp.Bl. f. Fischzüchter, 30 u. 31, S.
66–70 und 7–11, 1925
Mitarbeit bei B. W. Schöne, „Die Sächsische Landwirtschaft – ihre Entwicklung bis zum Jahre
1925, sowie Einrichtungen und Tätigkeit des Landeskulturrats Sachsen zu Dresden“, Dresden, 1925
„Erinnerungen aus meinem Leben“, unveröffentlichtes Manuskript, Dresden, 1927
317
Porträtbüste des Steudner-Denkmals im Görlitzer Stadtpark.
318
Steudner, Carl Julius Theodor Hermann
Dr. phil. h.c., Botaniker, Mediziner und Afrikaforscher
01.09.1832 Greiffenberg (Gryfów Śląski) / Schlesien – 10.04.1863 Wau / Afrika
319
Görlitz, damit er auf eines der be kopierkurs“ sowie Lehrveranstaltun
rühmtesten Gymnasien Schlesiens, gen bei Franz von Rinecker und Al
das Augustum im ehemaligen Fran bert von Kölliker. Außerdem hörten
ziskanerkloster, gehen konnte. 1846 sie BotanikVorlesungen bei August
wechselte Steudner auf die Realschule Schenk, unternahmen mit ihm
Görlitz, wo er 1850 das Abitur ableg botanische Exkursionen und arbei
te. teten an dessen Herbarium. Aus der
Würzburger Zeit stammen Exponate
Steudner studierte ab 1850 Natur des Flechtenherbars des Senckenberg
wissenschaften in Berlin, wobei sein Museums für Naturkunde Görlitz. Im
hauptsächliches Interesse der Bota Februar 1854 wurde Steudner wegen
nik galt. Eigentlich hatte er Medizin Trunkenheit und Widerstands gegen
studieren wollen, tatsächlich belegte die Staatsgewalt zu einer dreimonati
er aber neben Botanik bei Alexan gen Festungshaft verurteilt.
der Braun, Nathanael Pringsheim,
Carl Jessen und Karl Koch, der sich Steudner kehrte im Herbst 1854 nach
seinerzeit in Berlin habilitierte, Berlin zurück. Nach Ableistung seiner
auch Naturgeschichte, Mineralogie, Militärpflicht widmete er sich wis
Geognosie, Versteinerungskunde, senschaftlichen Studien. Das Erbe des
Zoologie, Chemie und vergleichende Vaters sicherte ihm finanziellen Spiel
Physiologie bei bedeutenden Lehrern raum. Er schloss sich in Berlin Karl
wie Christian Gottfried Ehrenberg Koch an. Koch war am Botanischen
(Begründer der Mikropaläontologie), Garten angestellt und Generalsekre
Heinrich Wilhelm Dove (Begründer tär des „Vereins zur Beförderung des
der wissenschaftlichen Meteorologie Gartenbaues im Preußischen Staate“.
und Wettervorhersage) und Carl Rit Die Verbindung von Koch und Steud
ter (Wegbereiter einer wissenschaft ner bestand wohl zum gegenseitigen
lichen Geographie). 1852 begann Vorteil, denn Koch litt mit seiner
Steudner ein Medizinstudium in vielköpfigen Familie in Berlin lange
Würzburg. Hier lernte er Rudolf Vir Not, da ihm die angestrebte Professur
chow kennen, der wegen seiner Betei zunächst verwehrt blieb und er sich
ligung an der Märzrevolution Berlin mit befristeten und schlecht bezahl
hatte verlassen müssen und von 1849 ten Anstellungen zufrieden geben
bis 1856 in Würzburg lehrte. Steudner musste. Seine fachübergreifenden
war mit dem späteren „deutschen Arbeiten zu Botanik und Gartenbau
Darwin“, Ernst Haeckel, befreundet. fanden wenig Anerkennung. Steudner
Sie besuchten Virchows Vorlesung arbeitete in der Berliner Zeit an einer
zur „allgemeinen pathologischen umfassenden PflanzenGeographie.
Anatomie“ und dessen berühmten Dazu unternahm er Exkursionen in
„pathologischanatomischen Mikros alle deutschen Gebirge, in die öster
320
Nachweis der Alge „Ulothrix variabilis Kützing“ durch Steudner in
einem Brunnen in Biesnitz am Fuß der Landeskrone. Ludwig Rabenhorst
schrieb: „Der meist quadratische Zellenkern ist hier sehr charakteristisch.“
Abbildung: University of Michigan (Lizenz CC BY-NC)
reichischen Alpen und die Lombar aus Muskau an einer von Carl Ritter
dei. 1857 stellte er in einem Katalog gegründeten Stiftung zur Förderung
des Botanischen Gartens Berlin die der Geographie. Dessen Nachfolger
dort vorhandenen Arten von Thalia als Präsident der Gesellschaft für
L. nach der – umstrittenen – Eintei Erdkunde, Heinrich Barth, weckte in
lung von Koch zusammen. Ludwig Steudner das Interesse am „Schwar
Rabenhorst publizierte einen Algen zen Kontinent“. Steudner meldete
nachweis Steudners aus Görlitz. Vor sich für die von Ernst II., Herzog von
dem Gartenbauverein berichtete jener SachsenCoburg und Gotha, initiier
über Gartenbauausstellungen in der te Expedition in die Nilländer. Das
Oberlausitz. 1860 wurde Steudner in Ziel der Expedition bestand in der
Berlin in die „Gesellschaft Naturfor Aufklärung des Schicksals des Afri
schender Freunde“ gewählt und er kaforschers Eduard Vogel aus Leipzig,
knüpfte Kontakte zur „Gesellschaft der seit 1855 als verschollen galt. Es
für Erdkunde“ um seine früheren wurde vermutet, dass er in das für
Professoren Dove und Ehrenberg. Europäer gesperrte Sultanat Wadai
(heute östlicher Tschad) eingedrun
Steudner beteiligte sich wie Hermann gen war.
Ludwig Heinrich Fürst von Pückler
321
Als Vorbereitung für die vom be route einen Umweg über Abessinien.
rühmten Afrikareisenden Theodor Die Erforschung und kartografische
von Heuglin geleitete Expedition Erfassung unbekannter Landstriche
lernte Steudner die arabische Spra stellte aber nur ein Nebenziel der
che. Seine Dissertation zum Thema Expedition dar. Die Reise führte von
Pfeilwurzgewächse („Marantaceae“) Kairo nach Suez [4] und gemeinsam
reichte er an der Universität Jena kurz mit MekkaPilgern auf einem Dampf
vor der Abreise nach Afrika ein. Die schiff nach Dschidda [5] (heute
Promotionsurkunde „Doctoris Phi SaudiArabien), bevor man auf einer
losophiae Honores“ ist auf den 9. Mai Barke über das Rote Meer nach Mas
1861 datiert. Burkard Wilhelm Leist saua [6] (Eritrea) übersetzte, das am
und Carl Nipperdey vertraten dabei 17. Juni 1861 erreicht wurde. Auf dem
die Universität. Während der Anfahrt nahen DahlakArchipel [7] führten
über Wien und Triest informierte sich sie ornithologische und botanische
Steudner in Wien bei Theodor Kot Studien durch. Aus dem Land der
schy über die von ihm und Wilhelm Bogos kommend, dem nächsten Ziel,
Schimper in Ostafrika gesammelten stieß der Ethnograph Werner Mun
Pflanzen. zinger hinzu. Auf Maultieren und
Kamelen erreichte die Gruppe über
Nach der Ankunft am 4. März 1861 in Keren [8] auf ihrer Reise durch das
Alexandria [1] besuchte er zunächst raue Hochland Abessiniens am 14.
die Hafenstadt Rosette [2] im Nil November 1861 Adua [9]. Steudner
delta und erforschte die Umgebung interessierte sich neben der Flora v. a.
Kairos [3]. Er beabsichtigte, in Kairo für die afrikanische Naturmedizin. In
den Freimaurern beizutreten. Man Adua wurden sie schon von Wilhelm
vermutete davon Vorteile bei der Auf Schimper erwartet. Auch Schimper
nahme in Arabien. Neben Steudner empfahl der Expedition, statt direkt
als Botaniker und Geologe gehörten nach Khartum zu reisen, zunächst
auch der Astronom und Meteorologe beim abessinischen Kaiser Tewodros
Gottlob Theodor Kinzelbach und als freies Geleit zu erbitten. Der führte
Präparator der spätere österreichische Krieg gegen abtrünnige Stämme in
Honorarkonsul in Khartum Martin der südlich gelegenen GallaProvinz.
Hansal zur Gruppe, die ebenfalls Auf der Suche nach dem Kaiser
Freimaurer waren bzw. wurden. Um kamen Heuglin und Steudner zuerst
ungünstigen klimatischen Verhält nach Gonder [10] und über Gaffat
nissen zur Reisezeit in Khartum, dem bei Debra Tabor [11] am 15. März
eigentlichen Ausgangspunkt der Su 1862 zur Festungsstadt Magdala [12].
che in Wadai, aus dem Weg zu gehen Nachdem sie den Kaiser im Kriegs
und mehr Zeit zur Akklimatisierung lager auf der Hochebene Edschebet
zu gewinnen, wählte man als Reise bei den KolloBergen erreicht hatten,
322
323
Eine Gruppe mit Heuglin, Steudner und dem Jäger Schubert bestieg Ende
September 1861 den Zad‘-Amba. Sie trafen auf Mönche, selbst Gemsjäger
nahmen den beschwerlichen Weg kaum auf sich: „Mit Händen und Füßen
uns anklammernd, oft durch das dicht verwachsene Gestrüpp auf dem Bau-
che kriechend, bald durch schachtähnliche Felsenrisse wie Schornsteinkeh-
rer senkrecht hinaufklimmend...“ (Steudner in Mitteilungen an H. Barth)
324
kers Theodor Kotschy zunächst eine
dreiwöchige Reise nach Kurdufan.
Sie erhofften sich von dem angeneh
meren Klima auch gesundheitliche
Besserung.
325
botanischer, mineralogischer und Görlitz. Steudners Beobachtungsgabe
faunistischer Studien sowie kartogra sind bemerkenswerte Entdeckun
fische Arbeiten durchgeführt werden gen zu verdanken. An ihn erinnern
konnten. Sie hatten eigenverantwort die Namen vieler Pflanzenarten
lich entschieden, die aussichtslose („Steudneri“; „Steud“ ist dagegen dem
Suche nach Vogel abzubrechen und Botaniker Ernst Gottlieb von Steudel
dafür den wissenschaftlichen Unter zuzuordnen) sowie der Zwergwüs
suchungen den Vorrang zu geben. tengecko („Tropiocolotes Steudneri“,
Die Expedition wurde v. a. von Alfred 1869 von Wilhelm Peters beschrie
Brehm verteidigt. Es sei vermerkt, ben). Karl Koch hatte schon 1862 die
dass Steudner mit privaten Mitteln Gattung „Steudnera K. Koch“ aus der
von 500 Talern pro Jahr die Reise erst Familie der Aronstabgewächse nach
mit ermöglicht hatte und auch dieser Steudner benannt. Wilhelm Stricker
Beitrag nach der Routenänderung erinnerte im „Archiv für pathologi
gesperrt wurde. sche Anatomie und Physiologie und
für klinische Medicin“ von Rudolf
Steudner leistete unter ungünstigen Virchow im „Ärztlichen Nekrolog
klimatischen Verhältnissen und von 1863“ an ihn. Die von Steudner
Krankheiten geplagt in der Kürze der gesammelten Pflanzen befinden sich
ihm zur Verfügung stehenden Zeit heute in international bedeutenden
mit seinen Expeditionskameraden Herbarien, darunter in der Sammlung
wichtige Pionierarbeit. Er gehörte afrikanischer Gewächse im Bota
zu den ersten Opfern der deutschen nischen Museum BerlinDahlem,
Afrikaforschung des 19. Jahrhunderts. in den Kew Royal Botanic Gardens
Die von ihm verfassten Berichte in London, im Natural History Museum
der „Zeitschrift der Berliner Gesell London, Muséum national d‘histoire
schaft für Erdkunde“ und der „Zeit naturelle Paris, Swedish Museum of
schrift für allgemeine Erdkunde“ Natural History Stockholm und South
besaßen große Bedeutung, weil viele African National Biodiversity Institu
der bereisten Gebiete von keinem Bo te, National Herbarium Pretoria. Die
taniker vor ihm erforscht worden wa gefundenen Gesteine hatte Steudner
ren. Er schilderte auf lebendige Weise an Alexander Sadebeck gesandt,
jedoch nicht nur die Natur, sondern der sie der Deutschen Geologischen
zudem Land und Leute, sodass die Gesellschaft zugänglich machte. Eine
Berichte auch einen hohen ethnologi Insektensammlung ging an das Zoo
schen Wert besitzen. Karl Koch wurde logische Museum Berlin.
von Heuglin gebeten, Steudners
Aufzeichnungen und Sammlungen Steudner hatte nie die Bindungen
auszuwerten. Ein Teil der natur nach Görlitz verloren. Er war Eh
historischen Sammlung ging nach renmitglied der Naturforschenden
326
xen. Die später angebrachte Bronze
büste fiel im Zweiten Weltkrieg dem
Metallbedarf der Rüstungswirtschaft
zum Opfer. Der Obelisk blieb erhalten
und trägt noch immer seinen Namen.
Die Reste des Denkmals stehen heute
an der westlichen Friedhofsmauer.
327
Der Turm der Putzkauer Kirche wurde von 1701 bis 1707 zu Johann Hein-
rich Stöckhardts Amtszeit errichtet.
328
Stöckhardt, Johann Heinrich
Magister, Philologe und Pfarrer in Putzkau
13.07.1657 Miltitz – 14.08.1711 Putzkau
V: Johann Gerhard (*um 1626 Dresden, †1691 Brinnis), Pfarrer in Miltitz und Brinnis; M:
Martha geb. Schütze (*2.10.1632 Friedrichswalde), Pfarrerstochter; G: David (*3.10.1658 Miltitz,
† jung), Esther Catharina (*19.11.1661 Miltitz, †1744, verh. mit Christian Laurentii, Pfarrer
in Papstdorf und Wehlen, deren Tochter Esther Christiana verh. mit Pfarrer Johann Gottfried
Metzner in Neukirch), Gottlieb (*5.4.1664 Miltitz, †1742, Pfarrer in Lauterbach, verh. mit Do
rothea geb. Metzner aus Neukirch); E: 16.10.1683 Putzkau, Margareta Elisabeth geb. Hentschel
(*1662 Putzkau, †1709 Putzkau); K: Johann Jacob (*1684 Putzkau, †1721, ab 1711 Pfarrer in
Putzkau), Johanna Margaretha (*1685 Putzkau, verh. mit Christian Jentsch, Archidiakonus in
Bischofswerda), Johann Gerhard (*28.7.1686 Putzkau, †19.4.1745 Schwarzbach, Pfarrer in Dob
ra, Thierbaum und Schwarzbach), Henriette Catharina (*1688, verh. mit Christoph Friedrich
Faber, Pfarrer in Klix), Esther Martha (*1693, † jung), Johann Gottfried (*1697/1698 Putzkau,
†2.10.1759 Saaleck, Pfarrer in Saaleck), Johanna Catharina (*1700, verh. mit Johann Balthasar
Lange, Pfarrer in Reichwalde und Neschwitz)
330
Stöckhardt, Gerhard Heinrich Jacobjan
Magister, Pastor, Philologe und Freimaurer
28.03.1772 Schwepnitz b. Königsbrück – 28.10.1830 Bautzen
V: Johann Gottrau (*4.10.1717 Putzkau, †15.5.1791 Schwepnitz), wuchs bei seinem Stiefvater
Jacob Barthel in Bischofswerda auf, Gymnasium Freiburg und 1731–1737 Bautzen, Universität
Leipzig, 1741 Hospitalprediger und Mädchenlehrer in Königsbrück, 1742 Pfarrer in Schwepnitz
mit Kosel und Grüngräbchen; M: Johanna Sophia geb. Hoffmann (*1734, †7.9.1820 Klitz
schen), Pfarrerstochter aus Glaubitz; G: Halbgeschwister (1. Ehe des Vaters) Esther Johanna
Christiana (*2.12.1754 Schwepnitz, †6.12.1754 Schwepnitz), Gerhard Samuel (*28.9.1756
Schwepnitz, †17.6.1758), Schwester (2. Ehe des Vaters) Esther Theodora (*14.10.1763 Schwep
nitz, †18.3.1813, verh. mit Pfarrer Carl Gottlob Meyer in Klitzschen); E: (1) 9.7.1799 Oelsnitz,
Johanna Juliane Theophila geb. Pinder (*27.4.1772 Oelsnitz, †16.3.1811 Bautzen, Tochter des
Bürgermeisters Johann Christoph Pinder in Adorf), (2) 1812 Bautzen, Erdmuthe Wilhelmine
geb. von Leonhardi (*1.4.1778 Weida, †4.3.1820 Bautzen, Tochter des holländischen Flottenka
pitäns und ehemaligen Gouverneurs von Ceylon Commodore von Leonhardi und Stieftochter
von George Leonhard von Sperl auf Gräfendorf), (3) 29.4.1821 Pirna, Henriette geb. Wintruff
(*1793 Weida, †12.10.1834 Pirna, Tochter des Advokaten Daniel Christoph Wintruff); K: (1.
Ehe, 4 Söhne und 1 Tochter) Gerhard Julius (*20.12.1800 Glauchau, †1.6.1825 Bautzen, Mitglied
der Lausitzer Predigergesellschaft, designierter Bürgerschullehrer und Freimaurer in Bautzen),
Heinrich Robert (*11.8.1802 Glauchau, †10.10.1848 St. Petersburg, Professor für römisches
Recht), Hermann Eduard (*24.10.1803 Glauchau, †24.12.1845 Lichtenstein, Gymnasium Baut
zen, Kaufmann in Glauchau, Bautzen, Waldenburg und Lichtenstein), Gustav Albin (*20.2.1805
Bautzen, †11.2.1855, Dr. med., Gymnasium Bautzen, Lehre an der Ratsapotheke Bautzen,
Medizinstudium in Leipzig, Assistent bei Carl Gustav Carus, Verdienste als praktischer Arzt in
Glauchau während der CholeraEpidemie 1848), Aurora (1807–1809 Bautzen), (2. Ehe, 4 Söhne)
Ernst Hermann (*1812 Bautzen,† früh), NN († früh), Hermann Constanz (*7.10.1814 Bautzen,
†8.11.1875 Dresden, Gutsverwalter, Versicherungsinspektor in Mannheim, Wien, Pest und Dres
den), Ernst Theodor (*4.1.1816 Bautzen, †27.3.1898 Bautzen, Agrarwissenschaftler)
331
Aufklärung. Böttiger lehrte Stöck ger und der aus Kamenz stammende
hardt die englische Sprache. In dieser Johann Friedrich Burscher in der
Zeit erwachte auch sein Interesse an Theologie. Stöckhardt schloss sich
allem Italienischen. Die Anregungen der „Societas Philologica Lipsiensis“
dazu erhielt er von Johann Gottlieb von Christian Daniel Beck an, wo er
Cober, von 1762 bis 1792 Konrektor Karl Gottfried Siebelis kennen
in Bautzen. Cober war als vormaliger lernte. Durch seinen Vater geprägt,
Hauslehrer noch lange in Verbin der selbst noch in sorbischer Sprache
dung zum ehemaligen sächsischen gepredigt hatte, gehörte Stöckhardt
Gesandten in Rom Johann Ludwig der Lausitzer Predigergesellschaft als
Graf von Bianconi geblieben und galt außerordentliches Mitglied an. 1793
als ausgewiesener Philologe. Für ihn verteidigte er seine Magisterarbeit
verfasste Stöckhardt 1797 den Nach „Commentatione de poësi cum philo
ruf „Canzone alla morte di Cobero“. sophia arctissime coniuncta“ bei Karl
Für seine schulischen Leistungen August Gottlieb Keil. Anschließend
erhielt Stöckhardt eine Ratsmedaille. wollte sich Stöckhardt als Privatdo
Mit Friedrich Wilhelm Ehrenfried zent für Philosophie, Philologie und
Rost, Philosophieprofessor in Leipzig Kunsttheorie habilitieren. Zudem
und Sohn des Bautzener Schulrektors, predigte er an der Thomaskirche und
blieb er auch später noch in Kontakt, der Paulinerkirche. Auch der damals
ebenso mit Karl August Böttiger. berühmte Literaturkritiker Giralomo
Tiraboschi war schon auf ihn auf
Kurz nach dem Tod des Vaters im merksam geworden. Sie korrespon
Jahre 1791 begann Stöckhardt sein dierten regelmäßig und Tiraboschi
Studium an der Universität Leipzig. vermittelte 1793 Stöckhardts Aufnah
Durch Vermittlung des späteren me in die „Societa de' Volschi“.
Ministers von Burgsdorff und seines
Professors Christian Gottlieb Seyd 1794 berief Graf Carl Heinrich von
litz erhielt er dafür ein königliches Schönburg auf Empfehlung Dindorfs
Stipendium. Zu seinen Lehrern Stöckhardt zum Privatlehrer der ein
zählten neben Seydlitz Ernst Platner, zigen Tochter des Hauses, Renate Au
Karl Adolf Caesar und Karl Heinrich guste Louise Henriette (1783–1859),
Heydenreich aus Stolpen in der Phi nach VorderGlauchau/Wechselburg.
losophie, Christoph Friedrich Loes Stöckhardt verzichtete daraufhin auf
ner in der Philologie sowie Samuel die Fortsetzung seiner universitären
Friedrich Nathanel Morus, Gottlieb Karriere. Sein Werdegang verlief
Immanuel Dindorf, Karl August Gott damit ähnlich wie der eines Cousins
lieb Keil, Christian Gottlieb Kühnöl, seines Vaters, des fast 40 Jahre als
Karl Christian Palmer, Johann Georg Diakon in Glauchau und Pastor in
Rosenmüller, Gottlieb Samuel Forbi Gesau wirkenden Gottfried Gerhard
332
Stöckhardt (1721–1788). Dieser war Franz Georg Lock zusammen. Im
ebenfalls nach seinem Studium in Dom St. Petri wurden während des
Leipzig zunächst beim Grafen von napoleonischen Kriegs 1813 Verletzte
Schönburg Hauslehrer, und er war versorgt und Kriegsgefangene festge
gleichfalls schriftstellerisch tätig. Mit halten. Stöckhardt half wiederholt als
den Schönburgs hielt sich Gerhard Dolmetscher. Anlässlich der Feier zu
Heinrich Jacobjan Stöckhardt oft seiner 25jährigen Amtseinführung
in Dresden auf und er nutzte diese im Jahre 1824 wurde seine „Begeis
Gelegenheiten, um seine Italienisch terung für alles Heilige auf dem Weg
Kenntnisse zu vertiefen. Zudem durchs irdische Leben“ hervorgeho
wurde er häufig mit der Korrespon ben. Stöckhardt erwarb sich große
denz des Grafen in Französisch und Verdienste um seine Gemeinde mit
Englisch betraut. Zu Schönburgs en der Ausarbeitung des neuen Gesang
gen Bekannten gehörte dessen vorma buches („Sammlung alter und neuer
liger Hofmeister Christian Gottfried geistlicher Lieder“, 1826) und um den
Körner. Vermutlich durch Schönburg theologischen Nachwuchs mit der
und Körner kam Stöckhardt erstmals Einrichtung einer „Uebungsanstalt
mit der Freimaurerei in Berührung. in theologischen Wissenschaften“ für
In dieser Zeit erwarb er sich mit die Mitglieder des Predigerkollegiums
der Herausgabe und sachkundigen im Bautzener Bezirk (1828): „...mit
Kommentierung italienischer Lesebü einem zweckmässigen Plane zur Er
cher von Giovanni Boccaccio („Scelta richtung solcher Anstalten, wodurch
delle migliori novelle di Boccaccio die Candidaten des Predigtamtes in
con annotazione“, 1794) und Ludovi der Oberl. zur Führung geistlicher
co Ariosto („Le commedie in prosa, Aemter zweckmässig vorbereitet wer
l‘erbolato e le lettere di Lodovico den können ...“. Dem Magistrat der
Ariosto“, 1798) einen Namen als Stadt Bautzen diente Stöckhardt um
Philologe. 1799 wurde Stöckhardt 1829 als geistlicher Schulinspektor.
zum Archidiakonus in Glauchau und
Pastor an die Filialkirche in Gesau Eine bedeutende Rolle in Stöckhardts
bestellt. Leben spielte die FreimaurerLoge
„Zur goldnen Mauer“. Sie war 1802
Im Jahre 1804 kehrte Stöckhardt als auch als Bildungsstätte für das auf
Pastor Secundarius und Mittagspredi strebende Bautzener Bürgertum vom
ger an der Hauptkirche St. Petri nach damaligen Rektor des Gymnasiums,
Bautzen zurück. Pastor Primarius Ludwig Gedike, gegründet worden.
war hier Friedrich Wilhelm Janson Die Logenbrüder bemühten sich stets
Sartorius. Vertrauensvoll arbeitete um das Allgemeinwohl; sie waren
Stöckhardt an der Simultankirche St. mildtätig und gründeten ein Privat
Petri mit dem katholischen Bischof seminar zur Ausbildung von Volks
333
Der Dom in Bautzen.
schullehrern. Unter dem Meister vom Mitglieder zu entnehmen, zu denen
Stuhl August Gotthilf Taube wurde beispielsweise Karl Siegmund Borne
Stöckhardt 1805 in die Loge aufge mann (Direktor der Bürgerschule),
nommen. Schnell stieg er auf, wurde Friedrich August Adolph von Gers
schon 1806 in den 3. Rang befördert dorf (OberamtsRegierungsPräsi
und stand ihr nach Taubes Tod 1816 dent), Heinrich Gottlob Gräve (Histo
für mehr als 13 Jahre als Meister vom riker), Ernst Friedrich Hartz (späterer
Stuhl vor. Die große Bedeutung der Bürgermeister), Ernst Gottlob Monse
Freimaurer für das Bautzen des 19. (Druckereibesitzer), Gottlob Heinrich
Jahrhunderts ist den Namen ihrer Ohle (Medizinprofessor in Dresden),
334
Karl Benjamin Preusker (Bibliotheks sie 1827 Hilfe für die Geschädigten
gründer), Karl Gottfried Siebelis, des Stadtbrandes organisierten. Ab
Friedrich August Treutler (Professor 1827 gaben Seminardirektor Pomsel,
der Naturgeschichte in Dresden) Zeichenlehrer von Gehrsheim und
sowie die späteren Professoren für Schlossapotheker Eduard Paeßler
römisches Recht bzw. Agrarwissen Handwerkslehrlingen in einer Sonn
schaft, Stöckhardts Söhne Heinrich tagsschule unentgeltlich Unterricht.
Robert Stöckhardt und Ernst Diese Schule wurde zur Keimzelle für
Theodor Stöckhardt gehörten. die Bautzener Industrie und Gewer
Besonders bekannt wurde die Frei beschule, der Verein „Rath und That“
maurerloge „Zur goldnen Mauer“ für die KinderArbeitsschule und die
– noch zu Taubes Zeiten – während Kinderbewahranstalt.
der Befreiungskriege gegen Napoleon.
Obwohl Sachsen auf der Seite Napo Von den vielen Schriften, Überset
leons stand, empfing man Gebhard zungen sowie Gedichten Stöckhardts
Leberecht von Blücher und August sind die 1811 erschienene „Sprachleh
Neidhardt von Gneisenau im Septem re für ItalienischLehrer mit Lesebuch
ber 1813 festlich: Die beiden Führer für Schüler“ und das ab 1801 mehr
der Schlesischen Armee gehörten der fach aufgelegte DeutschItalienische
nationalen Mutterloge „Zu den drei Wörterbuch „Dizionario portatile,
Weltkugeln“ an. Blücher hielt bei die italiano – tedesco, e tedescoitaliano“
sem, seinem zweiten Besuch in Baut hervorhebenswert. Die Sprachlehre
zen in einem Jahr die berühmte, von wurde seinerzeit gerühmt, wie gewis
Vaterlandsliebe und humanitärer Ge senhaft der Verfasser bemüht war,
sinnung zeugende Rede. Zum Schluss seine Theorie mit der Anwendung
trank man auf das Wohl der beiden zu verbinden. Noch 1838 schrieb
(gegnerischen) Könige. Im Jahre 1820 Felix Mendelssohn Bartholdy an den
gründete Stöckhardt auf Veranlassung Verlag, um ein Exemplar des Wörter
des Repräsentanten der Freimaurer buchs zu erhalten. Seine Kenntnisse
Landesloge und späteren Landesgroß des Italienischen brachte Stöckhardt
meisters Gottlob Adolf Ernst von auch anlässlich von Festlichkeiten
Nostitz und Jänkendorf zusam zur Verherrlichung der sächsischen
men mit Bischof Lock den freimau Königsfamilie zur Geltung. Die von
rernahen Ortsverein „Rath und That“, Friedrich August dem Gerechten in
der sich der sozialen Fürsorge und öf Auftrag gegebene Kantate „Albino
fentlichen Wohlfahrt verpflichtet sah. und Tajo“ wurde anlässlich der Ver
Dem Verein gehörten anfangs 25, ein mählung von Maria Josepha Amalia
Jahr später 126 Mitglieder an. Großes von Sachsen mit dem spanischen
Ansehen erwarben sich die Bautze König Ferdinand am 29. August 1819
ner Freimaurer unter Stöckhardt, als im großen Königlichen Konzertsaal
335
aufgeführt. Die Übersetzung des alle Quellen: Nekrolog im Neuen Lausitzischen
gorischen Stücks mit Bezug zur Elbe Magazin, IX, S. 435–443; Lindner und Hersch
(Bearb.): „Das Gelehrte Teutschland, oder Lexi
stammte von Theodor Hell, die Musik kon der jetzt lebenden Gelehrten Teutschlands“
von Hofkapellmeister Francesco Mor (17. Nachtrag zur 4. Ausg.). Lemgo, Verlag der
lacchi und den königlichen Kammer Meyerschen HofBuchhandlung, 1825; Gottlieb
Friedrich Otto: „Lexikon der seit dem fünfze
sängern um Sassaroli und Benincasa.
henden Jahrhunderte verstorbenen und jetzt
Stöckhardt schrieb zudem für die lebenden Oberlausizischen Schriftsteller und
Jenaische allgemeine Literaturzeitung, Künstler‘‘. Burkhart Görlitz, Bd. 3, S. 336–337,
die Leipziger Literaturzeitung und das 1803; Hermann Arthur Lier: „Gerhard Heinrich
Jacobian Stöckhardt“. Allgemeine Deutsche
Neue Lausitzische Magazin.
Biographie, Bd. 36, S. 287–288; Reinhold Grün
berg (Bearb.): „Sächsisches Pfarrerbuch. Die
Für seine Verdienste wurde Stöck Parochien und Pfarrer der Ev.luth. Landes
hardt 1826 mit der Aufnahme in kirche Sachsens (1539–1939)“. Verlagsanstalt
Ernst Mauckisch Freiberg, 1940; Allgemeine
die Oberlausitzische Gesellschaft LiteraturZeitung, Nr. 66, S. 526–527, Januar
der Wissenschaften geehrt. Er war März 1799; Jenaische allgemeine Literatur
außerdem Ehrenmitglied der Großen Zeitung, Nr. 42, S. 329–336, 27. Februar 1812;
Landesloge von Sachsen sowie der Nr. 203, S. 1620–1621, 1825; S. 214, März 1831;
„Stammtafel der Familie Stoeckhardt, Putzkau
nationalen Loge „Zu den drei Weltku er und Lauterbacher Zweig, den Verwandten zu
geln“. Vom 25. bis 27. Juni 1830, we Lieb zusammengestellt und mit Erläuterungen
nige Monate vor seinem Tod, konnte auf Grund handschriftlicher Mittheilungen
Stöckhardt noch an den Feierlichkei und sonstiger QuellenNachweise versehen von
Prof. Dr. Ernst Theodor Stoeckhardt“. Wagner
ten in Bautzen zum 300. Jahrestag der Weimar, 1883; The Church of Jesus Christ of
Augsburger Konfession teilnehmen. Latterday Saints; Karin Stöckhardt, Mitteilun
Am zweiten Tag predigte er: „Wie wir gen; Dr. Schubart: „Zur Geschichte des Gymna
unsere Kinder zum Festhalten an der siums in Budissin“. E.M. Monse, 1863; Martin
Reuther: „Oberlausitzer Forschungen: Beiträge
evangelischen Lehre ermuthigen sol zur Landesgeschichte“. Koehler & Amelang,
len“. Heinrich Robert Stöckhardt 1961; Richard Wilhelm: „Die Glocken der Stadt
verfasste einen Lebenslauf seines Bautzen“. 1917; Katalog der Gemäldesamm
Vaters, der im Neuen Lausitzischen lung Stadtmuseum Bautzen, 1954; Leipziger
Zeitung, 25.9.1820; Michael Wetzel: „Carl
Magazin als Nekrolog gedruckt wur Heinrich III., Graf von Schönburg“. Sächsische
de. Hermann Arthur Lier erinnerte Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische
an ihn in der Allgemeinen Deutschen Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von
Biographie. Gerhard Heinrich Jacob Martina Schattkowsky; Archivverbund Bautzen,
Stadtarchiv, 66001 Verein Rat und Tat, lfd.
jan Stöckhardt ist namentlich auf der Nr.; Morgenblatt für gebildete Leser, Bd. 13,
großen Glocke des Domes St. Petri Cotta‘sche Buchhandlung, 1819; „Beschreibung
verewigt. Das Stadtmuseum Bautzen der Feierlichkeiten, welche am dritten Jubelfeste
besitzt ein von Friedrich Freiherr von der Augsburger Confession den 25., 26. und 27.
Juni 1830 im Königreich Sachsen stattgefunden
Gersheim gemaltes Porträt. haben: nebst einigen Jubelpredigten und Anga
be der zu diesem Feste in Sachsen erschienen
Schriften“. J.F. Glück, 1830
336
Ihrem vollendeten Meister
Gerhard Heinr. Jacobjan
Stöckhardt. Die Brüder der
Loge zur goldnen Mau-
er, E. G. Monse Bautzen,
1.11.1830.
337
Der Jura-Professor Robert Stöckhardt war auch ein talentierter Musiker
und Komponist.
338
Stöckhardt, Heinrich Robert
Professor, Jurist in St. Petersburg
11.08.1802 Glauchau – 10.10.1848 St. Petersburg
Robert Stöckhardt kam als Zweijäh Gymnasium unter dem Rektor Karl
riger zusammen mit den Eltern und Gottfried Siebelis, mit dem der
seinem älteren Bruder Gerhard Julius Vater auch über die Freimaurerloge
nach Bautzen, wo der Vater, Ger „Zur goldnen Mauer“ verbunden
hard Heinrich Jacobjan Stöck war. Besonders die musischen Fächer
hardt, eine Anstellung als Pastor sowie die Sprachen begeisterten den
Secundarius und Mittagsprediger an Jungen. Freie Phantasien am Flügel
der Hauptkirche St. Petri erhalten zeugten von seiner hohen musi
hatte. Nach wenigen Jahren verstarb kalischen Begabung. Während der
die Mutter. Zu den Halbgeschwistern Schulzeit stand Stöckhardt seinem
aus der zweiten Ehe des Vaters gehör Bruder Gerhard Julius so nahe, dass
te der spätere Agrarwissenschaftler Siebelis die ihnen zuerkannte, aber
Ernst Theodor Stöckhardt. In nur einmal vorhandene Ratsprämie
Bautzen besuchte Stöckhardt das unter ihnen verloste. Zu Stöckhardts
339
Seine Habilitationsschrift von 1826 widmete Stöckhardt Gottlob Adolf
Ernst von Nostitz und Jänkendorf.
340
Dresden (Elise von der Recke, Chris er kritisierte standesabhängige Urtei
toph August Tiedge). Im Hause der le. Seinen jüngeren Brüdern erteilte
Witwe Voigt in Naumburg lernte er er Unterricht in Sprachen und Musik,
seine spätere Frau Emilie kennen. Die mit dem Konrektor des Gymnasiums
Familie Voigt war sehr kunstsinnig. Friedrich Gotthelf Fritsche war er
Stöckhardts Schwager Carl Friedrich befreundet. Bald merkte Stöckhardt
Eduard Voigt gehörte zu den Förde jedoch, dass ihn das Leben in Baut
rern des Leipziger GewandhausOr zen beruflich nicht ausfüllen konnte.
chesters und zum Bekanntenkreis von Sein ausgezeichneter Ruf drang bis
Robert Schumann. nach St. Petersburg. Im damaligen
Russischen Reich wurde Römisches
Stöckhardt hatte schon in jungen Recht gelehrt, das seinerzeit in vielen
Jahren viel persönliches Leid erfah europäischen Staaten als maßgebliche
ren. Nach seiner Mutter war 1820 Rechtsquelle galt. Stöckhardt erhielt
auch seine erste Stiefmutter, Erdmu 1831 die Berufung als Professor an
the Wilhelmine geb. von Leonhardi, das Pädagogische Hauptinstitut in St.
frühzeitig verstorben, 1825 sein Petersburg, wo die zukünftigen Lehrer
geliebter Bruder Gerhard Julius. Als höherer Schulen studierten. Zu seiner
der Vater wegen Krankheit seinen Familie gehörten im Jahr des Umzugs
baldigen Tod voraussah, holte er zwei kleine Kinder, die in Bautzen
seinen nunmehr ältesten Sohn nach geborenen Clara und Reinhold.
Bautzen zurück, um die Familie
zu unterstützen. Stöckhardt erhielt Stöckhardt wurde in St. Petersburg
1828 eine Anstellung als Königlicher zum Kaiserlichen Hofrat ernannt.
Sächsischer RechtsConsulent. Von Fürst Christoph von Lieven, ein
1824 bis 1831 gehörte er den Bautze Ratgeber von Zar Nikolaus, unter
ner Freimaurern an. Aus dieser Zeit richtete ihn in der russischen Sprache.
stammen zwei der bedeutendsten Stöckhardt arbeitete in der Gesetzge
wissenschaftlichen Arbeiten Stöck bungskommission mit und lehrte ab
hardts. Die „Tafeln zur Geschichte 1835 als Professor an der Kaiserlichen
des Römischen Rechts“ begründe Rechtsschule. 1837 schrieb er als
ten seinen Ruhm. In der folgenden Lehrbuch für die juristischen Einlei
Analyse zum Unterschied zwischen tungswissenschaften die „Allgemeine
Zivil und Strafrecht („Dolus civilis“ juristische Fundamentallehre“. Für
und „Dolus criminalis“) konnte er seine großen Verdienste um den Auf
auf diese umfangreichen historischen bau einer modernen Juraausbildung
Studien zurückgreifen. Stöckhardt und Gesetzgebung in Russland wurde
diskutierte u. a. die Resozialisierung er zum Staatsrat ernannt, in den
von Straftätern als Ziel der Bestra russischen Adelsstand erhoben und
fung, deren Erfolg er bezweifelte, und mit dem Annen, dem Wladimir und
341
1842 dem StanislausOrden 2. Klasse sche. Nachdem sie mit Mutter und
ausgezeichnet. Stöckhardt bemühte Geschwistern nach Weimar überge
sich in St. Petersburg zudem um den siedelt war, ließ Clara sich zur Male
wissenschaftlichen und kulturellen rin ausbilden. Geprägt wurde sie von
Austausch zwischen Russland und Friedrich Preller d.Ä. (Direktor der
Deutschland. Beispielsweise übersetz Fürstlich freien Zeichenschule) sowie
te er 1833 einen von Unterrichtsmi Carl Hummel und Max Schmidt von
nister Sergei Semjonowitsch Uwarow der Weimarer Malerschule. Clara
vor der Russischen Akademie der malte bevorzugt Landschaften und
Wissenschaften gehaltenen Vortrag Architektur in Öl und Aquarell. Mit
zu Johann Wolfgang von Goethe ins ihren Werken konnte sie zum Le
Deutsche. Im Jahre 1844 organisierte bensunterhalt der Familie beitragen.
er einen Auftritt von Clara Schumann Verschiedene ThüringenMotive, bei
während ihrer Russlandreise. Für spielsweise „Ilmufer mit Goethes Gar
die St. Petersburger Zeitung schrieb tenhaus“, zeigte sie von 1870 bis 1877
Stöckhardt als Musikreferent und er auf Berliner akademischen Kunst
war Korrespondent von Robert Schu ausstellungen. 1871 starb Robert
manns „Neuer Zeitschrift für Musik“. Stöckhardts Witwe, 1872 übernahm
Schumann zählte ihn zu „seinen“ sein Bruder Ernst Theodor Stöck
auswärtigen „Davidsbündlern“. Als hardt in Weimar einen leitenden
seine Gönner Lieven und Uwarow Posten im Staatsministerium. Clara
wegen des steigenden Einflusses der Stöckhardt besuchte in Weimar oft
altrussischen Partei ihre Stellungen ihren Onkel. Die Geschwister waren
verloren, blieb davon auch Stöckhardt inzwischen selbstständig. So konnte
nicht unberührt. Gefälligkeitsempfeh sie sich verstärkt ihren eigenen künst
lungen bei der Besetzung von Profes lerischen Ambitionen widmen und
suren widerstrebten ihm. Stöckhardt reiste zu Studienaufenthalten nach
gab 1847 die Juraausbildung ab und Italien. Auf Dresdner akademischen
vertrat bis zu seinem Tod Philologie Kunstausstellungen zeigte sie 1876
und lateinische Literatur. und 1877 mehrere Aquarelle und
Ölbilder mit ItalienMotiven. 1880
Stöckhardt wurde in St. Petersburg heiratete sie den italienischen Offizier
beigesetzt, sein Herz aber nach Gino Cantoni.
seinem Wunsch nach Naumburg
überführt. Die Ehefrau kehrte hierher Clara Stöckhardt hatte maßgebli
mit sieben Kindern zurück. Die neun chen Anteil, dass ihren Geschwistern
zehnjährige Clara erteilte als ältestes – ganz im Sinne des verstorbenen
der Geschwister den jüngeren Unter Vaters – die Begeisterung für alles
richt. In Naumburg knüpfte sie Kon Schöne vermittelt wurde. Ihr Bruder
takt zur Familie von Friedrich Nietz Reinhold blieb auch während seiner
342
Robert Stöckhardts Familie war nach seinem Tod mehrere Jahre in Weimar
ansässig. Seine Tochter Clara malte hier „Ilmufer mit Goethes Gartenhaus“.
343
Das vermutliche Porträt von Ernst Theodor Stöckhardt befindet sich im
Archiv des Deutschen Museums München. Es wurde dort zunächst Julius
Adolph Stöckhardt zugeordnet (PT_03590_01_01). Zum Zeitpunkt der Be-
schaffung durch das Museum im Jahre 1928 war nur der Nachname Stöck-
hardt vermerkt. Der dokumentierte Aufnahmeort Jena spricht für eine
Abbildung von Ernst Theodor Stöckhardt.
344
Stöckhardt, Ernst Theodor
Professor, Landwirtschaftslehrer in Brösa, Chemnitz und Jena
04.01.1816 Bautzen – 27.03.1898 Bautzen
345
sierte sich Stöckhardt als Schüler für
die Reformationsgeschichte und die
hebräische Sprache, die Karl Friedrich
Ameis, selbst noch ein Schüler, lehrte.
Befreundet war er mit Johannes
Siebelis, gute Beziehungen bestan
den aber auch zu dem etwas älteren
Robert Heller, dessen Urteil in
sprachlichen Dingen gefragt war.
Schloss Milkel.
Krankheitsbedingt musste Stöckhardt
als Meister vom Stuhl der Freimau 1832, zwei Jahre nach dem frühen
rerloge „Zur goldnen Mauer“. Die Tod des Vaters, das Gymnasium vor
Bautzener Freimaurer machten sich zeitig verlassen. Unterstützung erhielt
seinerzeit um ihre Mitbürger verdient, er vor allem von seinem Vormund
indem sie beispielsweise unentgeltlich Johann Friedrich Schulze, gleichzeitig
naturkundlichen Unterricht erteil Nachfolger des Vaters als Pastor am
ten. Es wurde auch für den Sohn zur Petridom. Der Vater seines Schul
Mission, einer breiten Bevölkerungs freundes Robert Pohlenz, ein Inspek
schicht fundiertes Fachwissen zu ver tor der Herrschaft Milkel im Besitz
mitteln. 1838 trat er in die Bautzener von Georg Graf von Einsiedel, bildete
Freimaurerloge ein. den Jungen in der Landwirtschaft aus.
Von 1834 bis 1842 arbeitete Stöck
Stöckhardt sollte zunächst wie sein hardt als Verwalter auf verschiedenen
Vater eine theologische Berufslauf Rittergütern in der Umgebung Baut
bahn einschlagen. Er besuchte das In zens, bis 1837 in Jessnitz, danach in
stitut des Freimaurers Karl Siegmund Lippitsch (im Besitz der Familie von
Bornemann in Bautzen, ab 1826 das Damnitz) und ab 1839 in Purschwitz,
Gymnasium unter dem Rektor Karl
Gottfried Siebelis und er erhielt
von seinem Vater Unterricht in Italie
nisch und Französisch. In der Familie
wurde zudem die Hausmusik gepflegt.
Von Anfang an bestand ein sehr enges
Verhältnis zu seinem wenig älte
ren Bruder Hermann Constanz. Sie
durchliefen die Schulen gemeinsam
und später unterstützte Ernst Theodor
den Bruder durch Vermittlung beruf Ortsansicht von Purschwitz um
licher Kontakte. Besonders interes 1840.
346
das sich damals im Besitz der Stadt Rittergut Brösa: Zur Lehranstalt ge-
Bautzen befand. In Purschwitz konnte hörten ein Laboratorium, mineralo-
er erstmals mit größerer Eigenver gische und botanische Sammlungen
antwortung agieren. 1840 heiratete und eine Bibliothek. Ein Kurs um-
er eine Tochter des dortigen Pfarrers fasste zwei Wintersemester Theorie.
Wilhelm Mitschke. Im nahen Bautzen Im Sommersemester konnte zusätz-
besuchte er den Gesellschaftsverein lich ein Praxiskurs belegt werden.
„Societät“. Stöckhardt vervollkomm Das Mindestalter betrug 16 Jahre.
nete im Selbststudium seine landwirt Die Landwirtschaftsschule Brösa
schaftlichen Kenntnisse. Als die Stadt war die erste ihrer Art in Sach-
Bautzen das Rittergut Purschwitz sen, als erste Einrichtung in ganz
aus finanziellen Gründen verkaufen Deutschland war 1818 die Acker-
musste, pachtete er 1842 das Ritter bauschule in Hohenheim gegründet
gut Brösa aus dem Besitz des Grafen worden. Die landwirtschaftliche
SchallRiaucour, wobei sich Stöck Ausbildung in Sachsen begann 1830
hardt zunächst vergeblich um das an der Forstakademie Tharandt
Rittergut Putzkau bemüht hatte. mit einem eigenen Lehrstuhl, den
August Gottfried Schweitzer über-
Am 18. Oktober 1847 eröffnete Stöck nahm. Die Bedeutung der landwirt-
hardt in Brösa ein privates landwirt schaftlichen Abteilung in Tharandt
schaftliches Lehrinstitut. Er hatte nahm stetig zu. 1847 begründete
Bildung als Voraussetzung für eine Julius Adolph Stöckhardt einen
Steigerung der Produktion erkannt Lehrstuhl für Agrikulturchemie.
und wollte den angehenden Landwir Kleinere Ausbildungseinrichtungen
ten das theoretische wie praktische gab es in Schullwitz und – von
Rüstzeug für ihr Berufsleben vermit Heinrich August Blochmann
teln. Als Lehrer der Naturwissen gegründet – in Wachau. Größere
schaften holte Stöckhardt Emil von Bedeutung erlangte die landwirt-
Wolff nach Brösa, einer seiner Schüler schaftliche Abteilung an der Gewer-
war Friedrich von Boetticher, später beschule Chemnitz ab 1850 unter
sein Schwager und in Dresden ein Ernst Theodor Stöckhardt.
bedeutender Kunsthistoriker. Anläss
347
lich des Maiaufstandes 1849 brachte ministerium in Brösa besucht hatte,
jener Stöckhardt in Schwierigkeiten. die Berufung zum Professor und zum
Boetticher war zum Barrikadenbau Aufbau einer landwirtschaftlichen
nach Dresden gereist, zwar rechtzeitig Abteilung an der Gewerbeschule
zurückgekehrt, doch auch Stöckhardt in Chemnitz. Er folgte hier seinem
wurden jetzt Sympathien für die Re Cousin Julius Adolph Stöckhardt
volution unterstellt. (4. Grades, aus dem Lauterbacher
Zweig), der in Chemnitz von 1838 bis
Stöckhardt war zuerst Sekretär und 1847 gewirkt hatte und inzwischen
später Vorsitzender des 1844 gegrün an der Forstakademie Tharandt die
deten Klixer landwirtschaftlichen Agrikulturchemie zu hoher Blüte
Vereins, der sich neben praktischen führte. Jener gehörte über viele Jahre
Fragen der Landwirtschaft auch der zu den wichtigsten fachlichen Bezugs
Ausbildung sowie dem Obstbau und personen von Ernst Theodor Stöck
der Teichwirtschaft widmete, und hardt, mit dem auch enge familiäre
er beteiligte sich am „Land und Beziehungen gepflegt wurden. Beide
forstwirthschaftlichen Wochenblatt zählten in den Folgejahren zu den
des sächsischen Markgrafthums Schrittmachern des landwirtschaftli
Oberlausitz“. Im landwirtschaftlichen chen Versuchswesens in Deutschland,
Kreisverein Bautzen wirkte er als dessen Ziel in der Vermeidung von
Stellvertreter von Paul Hermann. Zu Hungerkrisen wie 1847/48 durch
Stöckhardts Bekanntenkreis während Steigerung der landwirtschaftlichen
der Brösaer Zeit zählten der Bautze Produktion bestand. Der Brösaer
ner Organist Carl Eduard Hering und Wolff wurde 1852 zum Gründungsdi
Pfarrer Karl Traugott Kanig aus rektor der ersten landwirtschaftlichen
dem benachbarten Klix. Versuchsstation Deutschlands in
LeipzigMöckern bestellt, die Julius
Stöckhardts Leistungen machten ihn Adolph Stöckhardt initiiert hatte.
schnell auch außerhalb der Oberlau
sitz bekannt. 1849 gehörte er einer Ernst Theodor Stöckhardt war ein
Kommission zur Erörterung der Wegbereiter der Landwirtschaftsaus
Grundsteuerverhältnisse im Erzgebir bildung in der Oberlausitz und ganz
ge an. Dabei wurde Julius Ambrosius Sachsen. In Chemnitz entstanden
Hülße auf ihn aufmerksam, seinerzeit wichtige Schriften, so „Bemerkungen
Direktor der Königlichen Gewer über das landwirtschaftliche Unter
beschule in Chemnitz, später des richtswesen“ (1851), das „Lehrbuch
Polytechnikums in Dresden. Im Jahr über Drainage“ (1852) und wenig
darauf erhielt Stöckhardt auf Hülßes später das gemeinsam mit Julius
Empfehlung, der ihn zusammen mit Adolph Stöckhardt überarbeitete
Albert Christian Weinlig vom Innen Standardbuch „Der angehende Pach
348
Stöckhardts Credo, vom Titelblatt seines Lehrbuchs über Drainage.
349
Stöckhardt wurde 1861 an die forscher und Ärzte an. Stöckhardt
Universität Jena als Direktor des leistete in Jena Bahnbrechendes. Die
landwirtschaftlichen Lehrinstituts mit ihm eingeführte Personalunion
berufen. Sein Vorgänger, Friedrich vom Direktor der Lehranstalt und
Gottlob Schulze, hatte hier 1826 das Leiter der Versuchsstation erwies sich
erste universitäre landwirtschaftliche als Erfolgsmodell, denn sie verbesser
Institut in Deutschland gegründet. te die materiellen Möglichkeiten der
Diese Lehrtradition fortsetzen zu Studentenausbildung. Der Lehrplan
dürfen, war für Stöckhardt eine große wurde stetig erweitert und umfasste
Auszeichnung. In Chemnitz hinter auch naturwissenschaftliche Grund
ließ er eine spürbare Lücke. Nahezu lagen. Stöckhardt gewann solche
parallel zu seinem Wechsel nach Jena bekannten Wissenschaftler wie Karl
kam von dort Friedrich Nobbe als Snell und Ernst Abbe für die Lehre.
Lehrer nach Chemnitz. Er entwickelte Eine Zusammenarbeit gab es zudem
sich später in Tharandt, wo ihn Julius mit Ernst Haeckel, für dessen Theorie
Adolph Stöckhardt förderte, zu einem von der Vererbbarkeit erworbener
international bedeutenden Samen Eigenschaften Stöckhardt Indizien
kundler. Ernst Theodor Stöckhardt lieferte. Im Nachfolgestreit um die
gründete 1862 in Jena eine landwirt LeopoldinaPräsidentschaft nach Ca
schaftliche Versuchsstation, die er bis rus‘ Tod 1869 stellten sich die Jenaer
1872 leitete. Gleichzeitig war er Di hinter Wilhelm Friedrich Georg Behn
rektor der Ackerbauschule Zwätzen, und gegen Ludwig Reichenbach.
die unter seiner Leitung verstaatlicht
wurde, Vorstand des landwirtschaft Die zunächst steigenden Studenten
lichen Vereins und der Wander zahlen in Jena ebneten den Weg für
versammlung Thüringer Landwirte weitere universitäre Landwirtschafts
sowie von 1863 bis 1872 Herausgeber institute, z. B. von 1869 bis 1872 in
der „Landwirtschaftlichen Zeitung für Leipzig, Gießen und Göttingen – die
Thüringen“. deutsche Agrarwissenschaft und mit
ihr die landwirtschaftliche Produk
1862 wurde Stöckhardt in die Deut tion erlebten einen großen Auf
sche Akademie der Naturforscher schwung. Dank Stöckhardt war die
Leopoldina aufgenommen. Deren Landwirtschaftswissenschaft inzwi
Sitz wechselte im selben Jahr von Jena schen eine gleichberechtigte Disziplin
nach Dresden, nachdem Carl Gustav in Jena. Kriegsbedingt und mit der
Carus die Nachfolge von Dietrich wachsenden Konkurrenz, z. B. durch
Georg von Kieser als Präsident ange Julius Kühn in Halle, sanken die Stu
treten hatte. Ernst Theodor und Julius dentenzahlen in Jena aber wieder.
Adolph Stöckhardt gehörten zudem
der Gesellschaft Deutscher Natur
350
1872 ernannte das Weimarer Staats
ministerium Stöckhardt zum Refe
renten und Vortragenden Rat für
Landwirtschaft und Gewerbe und
gleichzeitig zum Finanzkommissar
der Universität Jena. In diesen Funkti
onen initiierte er die Gründung einer
Gewerbekammer für das Großher
zogtum Sachsen. Ab 1872 gehörte
Stöckhardt zudem als Gründungs
mitglied dem deutschen Landwirt
schaftsrat an. Er war maßgeblich an
der Vorbereitung von internationalen
und nationalen landwirtschaftlichen
Ausstellungen beteiligt, beispiels Die Bautzener Freimaurerloge „Zur
weise anlässlich der Weltausstellung goldnen Mauer“ wurde 1802 von
in Wien 1873, bei der Stöckhardts Ludwig Gedike gegründet. Von
Neffe Reinhold, der älteste Sohn von 1816 bis zu seinem Tod 1830 leitete
Robert Stöckhardt, die Präsenta sie Stöckhardts Vater, Gerhard
tion des Deutschen Reiches leitete. Heinrich Jacobjan Stöckhardt,
Stöckhardts Verdienste wurden mit als Meister vom Stuhl. Mitglieder
der Ernennung zum Großherzoglich waren auch Karl Gottfried Sie-
Sächsischen Geheimen Regierungsrat belis, Gottlob Adolf Ernst von
und von der Universität Jena mit dem Nostitz und Jänkendorf und
Ehrendoktortitel gewürdigt. Robert Stöckhardt. Ernst Theo-
dor Stöckhardt wurde 1838 in die
In Weimar wohnte die Nichte Marie Loge im I. Rang aufgenommen und
von Boetticher, die spätere Ehefrau stieg 1840 bzw. 1842 in den II. bzw.
des Weimarer Oberbürgermeisters III. Rang. Von 1889 bis 1897 leitete
Karl Pabst, zeitweise bei den Stö er sie als Meister vom Stuhl.
ckhardts. Die ebenfalls in Weimar
wohnende Nichte Clara, eine Tochter In Chemnitz besuchte Stöckhardt
von Robert Stöckhardt und Malerin, die Freimaurer-Loge „Harmonie“.
besuchte Onkel und Tante häufig. Auch während seiner Zeit in Thürin-
gen engagierte sich Stöckhardt bei
Die Lehrjahre in der Landwirtschaft den Freimaurern. So leitete er das
der Oberlausitz hatten Stöckhardt „Maurerkränzchen“ der Weimarer
nachhaltig geprägt. Er erkannte die Loge „Amalia“.
große Bedeutung einer systemati
schen Ausbildung von Landwirten für
351
die Hebung des Wohlstands der Men dern der ComeniusGesellschaft zur
schen. Die Tätigkeit als Landwirt Pflege von Wissenschaft und Volks
schaftslehrer wurde zu seiner Passion. bildung.
Die Verbindung von Ausbildung und
Praxis war ihm wichtiger als eigener Stöckhardt wohnte in Bautzen zuletzt
wissenschaftlicher Ruhm. Stöckhardt Albertstraße 8 (heutige AugustBebel
vergaß dabei nie seine Wurzeln. Die Straße). Er wurde in der Familien
Oberlausitzische Gesellschaft der gruft in Jena bestattet.
Wissenschaften zu Görlitz berief
ihn 1862 zum korrespondierenden Quellen: „Stammtafel der Familie Stoeck
hardt, Putzkauer und Lauterbacher Zweig, den
Mitglied. Nachdem er 1888 in den Verwandten zu Lieb zusammengestellt und
Ruhestand getreten war, kehrte Stö mit Erläuterungen auf Grund handschriftli
ckhardt nach Bautzen zurück, um in cher Mittheilungen und sonstiger Quellen
seiner Geburtsstadt den Lebensabend Nachweise versehen von Prof. Dr. Ernst
Theodor Stoeckhardt“. Wagner Weimar, 1883;
zu verbringen. Er war weiterhin sehr
Walter Boetticher: „Ernst Theodor Stoeck
aktiv und führte historische For hardt“. Leopoldina, H. 34, 1898, S. 88–91;
schungen zur Freimaurerei und zur Theophil Gerber: „Persönlichkeiten aus Land
Oberlausitzer Adelsfamilie von Dam und Forstwirtschaft, Gartenbau und Veteri
nitz durch, in einer Übersicht stellte närmedizin“. Bd. 2, NORA Dyck & Westerhei
de, 2004, S. 753; Neues lausitzisches Magazin,
er die aus der Lausitz und Schlesien Bd. 40, 1863; Gustav Adolf Poenicke: „Album
stammenden Wissenschaftler in der der Rittergüter und Schlösser im Königrei
Leopoldina zusammen. che Sachsen“. Bd. 3, 1859; Stephan Luther:
„Von der Kgl. Gewerbschule zur Technischen
Universität“. Chemnitz, 2003; Joachim Har
Ab 1889 leitete Stöckhardt die Baut
tung, Andreas Wipf: „Die Ehrendoktoren der
zener Freimaurerloge „Zur goldnen FriedrichSchillerUniversität in den Berei
Mauer“ als Meister vom Stuhl. In der chen Naturwissenschaften und Medizin“. hain
NationalMutterloge „Zu den drei Verlag, 2004; Wieland Berg, Michael Kaasch:
Weltkugeln“ war er ebenso Ehren „Halle als Sitz der Leopoldina. Zufall oder
glückliche Fügung?“ Leopoldina, H. 5, 2010, S.
mitglied wie bei „Amalia“ in Weimar, 293–330; Ernst Haeckel: „Generelle Morpho
„Carl zu den 3 Adlern“ in Erfurt, logie der Organismen“. Reimer, 1866; Karin
„Carl August zu den 3 Rosen“ in Jena, Stöckhardt; Sanct Johannis FreimaurerLoge
„Friedrich August zu den 3 Zirkeln“ zur goldnen Mauer, Mitgliederverzeichnisse
1808, 1819, 1840/42, 1852/53; Schöne: „Die
in Zittau, „Zur gekrönten Schlange“
Sächsische Landwirtschaft“. 1925; Nekrologe
in Görlitz, „Zum goldenen Apfel“ in ComeniusGesellschaft und FreimaurerZei
Dresden, „Apollo“ in Leipzig, „Bru tung; Cornelius Gurlitt: „Schwepnitz“. In: Be
derkette zu den drei Schwanen“ in schreibende Darstellung der älteren Bau und
Zwickau, „Zur Harmonie“ in Chem Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. 35.
Heft: Amtshauptmannschaft Kamenz (Land).
nitz, „Zu den ehernen Säulen“ in C. C. Meinhold, Dresden 1912; Olaf Bastian
Dresden und „Isis“ in Lauban. 1891 u. a.: „Oberlausitzer Heide und Teichland
gehörte er zu den Gründungsmitglie schaft“. Böhlau, 2005, S. 75
352
Ernst Stöckhardt hat sich um die Erinnerung an seine Familie mit einer
kommentierten Stammtafel verdient gemacht.
353
Porträt Thormeyers, gezeichnet von Carl Christian Vogel von Vogelstein am
25. Juni 1813 in Rom, das später mit Vogelsteins Sammlung in den Besitz
des Kupferstichkabinetts Dresden überging.
354
Thormeyer, Gottlob Friedrich
Hofbaumeister in Dresden
23.10.1775 Dresden – 11.02.1842 Dresden
Thormeyer lernte schon als 10Jäh Nach dem Studium ließ sich Thor
riger an der Dresdner Kunstakade meyer als Architekt in Dresden nie
mie. Zunächst wurde er an der darin der, bekannt wurde er aber zunächst
integrierten Akademie für Malerei, durch seine Architekturzeichnungen.
Bildhauerei und Kupferstecherei von Er schuf Ansichten vom Dom Meißen
den Unterlehrern Christian Gott (1794), von Leipzig und vom Schloss
lieb Mietzsch und Christian Gottlob Pillnitz (1801), die von Christian
Fechhelm im Zeichnen unterrichtet. August Günther gestochen bzw. von
Bei ihnen kopierte er nach Origina François Aubertin radiert wurden.
len von Giovanni Battista Casanova, 1799 unternahm er eine Studien
CoDirektor neben Johann Eleazar wanderung durch Sachsen, Sachsen/
Zeissig. Später wechselte Thormeyer Anhalt und Thüringen. Es entstanden
zur parallelen Akademie für Baukunst Aquarelle und Deckfarbenbilder von
zu Friedrich August Krubsacius. Von den Parks in Wörlitz, Weimar und
1791 bis 1795 prägte ihn hier Gott Dieskau. Thormeyer beteiligte sich
lob August Hölzer im Sinne eines am „Ideenmagazin für Liebhaber von
barocken Klassizismus. Zeichnen, Gärten, Englischen Anlagen und für
Perspektive, Risse und Säulenordnung Besitzer von Landgütern“ des Leip
unterrichtete Johann Alexander Da ziger Philosophieprofessors Johann
vid Friedrich. Hölzer und Krubsacius Gottfried Grohmann, das von 1796
waren maßgeblich am Wiederaufbau bis 1806 erschien. 1808 war er mit
der 1792 geweihten Kreuzkirche, zu 11 Zeichnungen, die u. a . Christian
deren Gemeinde die Familie Thor Gottlob Hammer gestochen hatte,
meyer gehörte, in einem Gemisch in dem Buch „Dresden mit seinen
von Spätbarock und Klassizismus Prachtgebäuden und schönsten Um
beteiligt. gebungen‘‘ vertreten.
355
Johann Andreas Schubert, später
Konstrukteur der „Saxonia“, vermit
telte er eine Anstellung.
356
Die Freitreppe zur Brühlschen Terrasse von Thormeyer ist heute ein vielge-
nutzter Aufgang zum „Balkon Europas“. Mit ihrer Hilfe wurde der ehemali-
ge Brühlsche Garten der Öffentlichkeit zugänglich. Seit 1791 war hier in der
Brühlschen Bibliothek die Kunstakademie ansässig, wo Thormeyer zu jener
Zeit Architektur studierte. Im Gartenpavillon gegenüber wurde 1828 unter
Thormeyers früherem Mitarbeiter Wilhelm Gotthelf Lohrmann die heuti-
ge TU Dresden gegründet. Der Figurenschmuck der Treppe stammt vom
Ernst Rietschel-Schüler Johannes Schilling.
ten in der Völkerschlacht zu Leipzig die Repnin der Allgemeinheit zu
sowie in der Gefangenschaft des gänglich machen wollte. Das Ober
sächsischen Königs Friedrich August militärbauamt, dem Thormeyer jetzt
I. („der Gerechte“) in Preußen mün angehörte, stand unter der Leitung
deten. Sachsen stand danach unter von Johann August Le Coq. Repnins
einem russischpreußischen „Gene Berater war Johann Gottfried Körner,
ralgouvernement der Hohen Verbün Meister vom Stuhl der Freimaurerloge
deten Mächte“. Nach seiner Rückkehr „Zu den drei Schwertern“. Ebenfalls
nach Dresden erhielt Thormeyer 1814 1814 entwarf Thormeyer die Denk
vom russischen Gouverneur Nikolai male für die Helden der Freiheits
Grigorjewitsch RepninWolkonski, kriege Theodor Körner in Wöbbelin
einem Freimaurer, Aufträge für Tor (im Auftrag des befreundeten Vaters)
häuser am Großen Garten und für die und JeanVictor Moreau (im Auftrag
Freitreppe zur Brühlschen Terrasse, Repnins, zusammen mit dem Bild
357
1815 veröffentlichte Thormeyer den
„Vorschlag zu einem Denkmahle der
Wiederkehr Sr. Majestät des Königs
von Sachsen etc. Friedrich August
nach Dresden am 7. Juni 1815, nebst
zwey Abbildungen in Steindruck“.
Pläne für ein monumentales Denkmal
in Form eines Sandsteinobelisken
anlässlich des 50jährigen Thron
jubiläums im Jahre 1818 lehnte der
Blick auf Dresden von Thormeyers Monarch selbst ab. Nach dem Tod
Moreau-Denkmal auf der Räcknitz- des beliebten Königs gründete sich
höhe. ein Denkmalverein um Thormeyer,
Karl August Böttiger und Johann
hauer Christian Gottlieb Kühn) auf
Gottlob von Quandt. Thormeyer
der Dresdner Räcknitzhöhe. Wegen
gehörte später dem Komitee an, das
der vielen Toten während des Kriegs
Ernst Rietschel den Zuschlag für
von 1813 wurde in Dresden ein neuer
ein Skulpturdenkmal gab, der damit
Friedhof benötigt. Thormeyer erhielt
seinen ersten großen Auftrag erhielt.
den Auftrag, die später Trinitatis
Rietschel realisierte den Auftrag bis
friedhof benannte Begräbnisstätte am
1835 für den Zwinger, der Sockel
damaligen Stadtrand zu projektieren,
stammte von Gottfried Semper. Seit
die er schließlich – aus Kostengrün
2008 steht das von Thormeyer maß
den einfacher gestaltet – bis 1816
geblich geförderte Denkmal auf dem
fertigstellte.
Schloßplatz nahe seiner Freitreppe
zur Brühlschen Terrasse.
358
Das Rathaus von Bischofswerda um 1900. Thormeyer hat das Antlitz der
Stadt mit ihrem klassizistischen Markt nachhaltig geprägt. Laut der Disser-
tation von Gero Schilde (1922) und nach einer unveröffentlichten Chronik
von Johannes Weber (1977) würdigte die Kirchgemeinde die Verdienste
Thormeyers 1818 mit dem Bürgerrecht.
359
Zur Weihe am 30. Oktober 1818 der seit 1816 nach Thormeyers Plänen
errichteten Marienkirche (heutige Christuskirche) in Bischofswerda er-
klang Musik von Hofkapellmeister Francesco Morlacchi. Nach Thormeyers
Entwürfen wurden auch der Taufstein und der Kronleuchter gefertigt.
360
1818 zu Ehren des Königs aufgestellte Ab April 1817 wurden die Rückbau
Denkmal soll nach einer unveröffent arbeiten an der ehemaligen Dresdner
lichten Chronik von Johannes Weber Stadtbefestigung unter einer von
von ihm entworfen sein. Thormeyer geleiteten „Demolitions
kommission“ fortgesetzt. Die Pläne
dafür reichten bis in das vorange
gangene Jahrhundert zurück. Erste
Arbeiten ab 1809 unter dem 1813
verstorbenen Johann Gottlob Haupt
mann, an denen Thormeyer als des
sen Mitarbeiter im Hofbauamt sicher
schon beteiligt gewesen war, zielten
darauf ab, Verkehrsbehinderungen
als Hemmnis der wirtschaftlichen
Entwicklung zu beseitigen. Außerdem
sah Napoleon, auf dessen Befehl dies
Heinrich Conrad Wilhelm Calberla erfolgte, damals keinen Sinn mehr
gründete neben dem Italienischen in der Dresdner Stadtfestung. Schon
Dörfchen elbwärts vom Zwinger die 1812 wurden die Arbeiten wegen der
erste sächsische Zuckersiederei. Der
Bau von Thormeyer (1817/20) war
eines der ersten Industriegebäude
Dresdens. Von Beginn an hatte
die Freimaurerloge „Zu den drei
Schwertern“ einen Flügel angemie-
tet, später war die Loge „Asträa zur
grünenden Raute“ ebenfalls hier an-
sässig. Thormeyer war wie Gottlob
Adolf Ernst von Nostitz und
Jänkendorf Ehrenmitglied der Von 1822 bis 1824 wurde im Westen
Loge „Asträa zur grünenden Raute“, der Altstadt nach Plänen von Thor-
mit dem Logenmitglied Friedrich meyer der Antonsplatz im Bie-
Anton Serre war er befreundet. dermeier-Stil als Handelszentrum
Nach Calberlas Tod 1836 wurde die angelegt. Er hieß zunächst „Demo-
Fabrik aufgegeben, die Freimau- litionsplatz“ und wurde 1828 nach
rer bauten sich zusammen mit der dem regierenden König Anton dem
Apfelloge ein eigenes Logengebäude Gütigen benannt. 1846 errichtete
und die ehemalige Zuckersiederei hier die Polytechnische Schule, die
diente nach einem Umbau ab 1853 heutige TU Dresden, einen Neubau
als erstes „Hotel Bellevue“. (Zeichnung: Thormeyer, 1826).
361
Von 1822 bis 1824 baute Thormeyer den Turm der Annenkirche.
362
zusammen mit Hofgärtner Carl
Adolf Terscheck gestaltete, über die
Brühlsche Terrasse bis zu dem neuen
Botanischen Garten entstand ein grü
ner Ring. Der sternförmig mit einem
Kranz von Radialstraßen angelegte
Albertplatz auf Neustädter Seite (frü
her Bautzner Platz) gehörte zu den
schönsten Plätzen Deutschlands. Die
nahe Antonstadt (Äußere Dresdner Das Leipziger Tor beim Japanischen
Neustadt) plante Thormeyer in einem Palais mit den beiden Wachhäusern
Stilgemisch aus Klassizismus und von Gottlob Friedrich Thormeyer
Biedermeier. In diesen Jahren errich (Aquarell von Johann Carl August
tete er auch die „Calberlasche Zucker Richter, um 1830). Die vorherigen
siederei“ anstelle einer alten Elbbastei Torhäuser am Platz waren Teil der
an der Augustusbrücke und den Dresdner Befestigungsanlage und
Turm der Annenkirche. Thormeyer wurden von Thormeyer durch rein
unterbreitete zudem Vorschläge, wie klassizistische Bauten ersetzt. Die
die Straßen und Plätze zu bepflastern Ruine des südwestlichen Torhau-
seien, um eine langfristige Haltbar ses wurde 1969 abgebrochen, das
keit zu gewährleisten. In den 1820er nordöstliche Torhaus 2014 teilweise
Jahren stand Thormeyers Hofbauamt restauriert.
unter der Leitung von Johann Chris
tian Schuricht, einem Freimaurer der Mitteln fehlte, um repräsentative
Schwerterloge. Die von 1827 bis 1829 Großaufträge zu vergeben. Trotzdem
gebauten Torhäuser am Weißen Tor gelang es Thormeyer, noch unter dem
nahe dem Japanischen Palais anstelle Einfluss der französischen Revoluti
niedergerissener Festungsanlagen onsarchitektur, einen charakteristi
waren Thormeyers letzte bedeutende schen, geradlinigen Klassizismus zu
Arbeiten in Dresden. Um 1829/1830 entwickeln.
war die Entfestigung abgeschlossen.
Sie stellte einen Meilenstein in der Um 1830 begann die Umgestaltung
Entwicklung Dresdens von einer des Theaterplatzes zwischen Resi
barocken Residenzstadt zu einer denzschloss/Hofkirche, Zwinger
modernen Metropole dar. Diese Zeit und dem kleinen Komödienhaus am
fiel aber in eine architekturhistorisch Italienischen Dörfchen. Thormey
relativ unbedeutende Periode Dres er war fast 20 Jahre maßgeblich an
dens, weil es nach den Zerstörungen den Planungen für das Hoftheater
in der Schlacht von Dresden vom 26. beteiligt gewesen, das aber schließ
und 27. August 1813 an finanziellen lich von Gottfried Semper realisiert
363
wurde. 1816 hatte Thormeyer einen der Thronbesteigung durch Friedrich
ersten Entwurf zum Umbau des alten August II. im Jahre 1836 änderte sich
Hoftheaters von Matthäus Daniel die Situation. Auf Empfehlung von
Pöppelmann am Zwinger eingereicht. Karl Friedrich Schinkel ließ man die
Die Umbaukosten sollten bei 1150 Umbauplanungen zugunsten eines
Sitzplätzen 21154 Taler betragen. In kompletten Neubaus ab 1838, des ers
spätere Planungen war er als Berater ten Semper‘schen Hoftheaters, fallen.
eingebunden. Es schien zunächst so, Zudem hatte Semper ein ganzheitli
dass seine besser an die Zwingerum ches Konzept entwickelt, bestehend
gebung angepasste Überarbeitung der aus Hoftheater, dem Denkmal für
Entwürfe von Theodor Ottmer und Friedrich August I. und der Ergän
Joseph Thürmer aus dem Jahre 1829 zung des Zwingers mit einer Gemäl
realisiert werden würde. Der General degalerie. Der Historismus löste den
intendant des Hoftheaters, Wolf Adolf Klassizismus ab. 1839 wurde Thor
August von Lüttichau, unterstützte meyer mit Ernst Rietschel in eine
Thormeyers Pläne, die jedoch an der Kommission berufen, die verschiede
Finanzierung scheiterten. Da weiter ne Standorte für die zuvor im Stallhof
hin Handlungsbedarf bestand, auch untergebrachte Gemäldegalerie prü
weil das verfügbare Platzangebot im fen sollte. Den Auftrag erhielt später
Theater die Nachfrage nicht deckte, wiederum Semper; Rietschel hatte
wurden die Planungen 1834 wieder für eine Nutzung der von Thormeyer
aufgenommen. Thormeyer hatte nach erbauten Zuckersiederei, für die von
Schurichts Tod im Jahre 1832 noch den Erben Calberlas nach einer neuen
kurz unter Anton Ludwig Blaßmann Nutzung gesucht wurde, plädiert. Der
im Hofbauamt gearbeitet, war danach Dresdner Kunstverein organisierte
aber zum Oberlandbaumeister ohne hier Ausstellungen.
Bezug auf das Hofbauamt berufen
worden. Zu den Planungen des Hof Der Schwiegersohn eines sächsischen
theaters zog man Otto von Wolframs Hofgärtners gehörte 1828 zu den
dorf vom Hofbauamt und Carl Gott Begründern der „FLORA – Sächsi
hard Langhans hinzu, zudem wurden sche Gesellschaft für Botanik und
Neubaupläne diskutiert. Langhans Gartenbau“. Neben Thormeyer und
legte auf der Grundlage der bisheri dem Initiator Ludwig Reichenbach
gen Vorschläge einen neuen Entwurf zählten auch Karl August Böt
zum Umbau des Pöppelmann‘schen tiger, Oberhofprediger Christoph
Hoftheaters vor. Er sollte die ästhe Friedrich Ammon, der Pädagoge Karl
tische Leitung, Thormeyer die öko Justus Blochmann, Hofmarschall
nomische übernehmen. 1835 erhielt Carl Graf von Bose und Kammerherr
Thormeyer den Auftrag für konkrete Georg von Carlowitz zu den Stif
Pläne und er fertigte Stiche an. Mit tungsmitgliedern. Exklusivität war
364
ein Merkmal der Vereinsgründungen
im Dresden des frühen 19. Jahrhun
derts, und die Botanik war unter der
Regentschaft von Friedrich August
I. zu hohem Ansehen gelangt. Erst
später traten der Gesellschaft mit Carl
Adolf Terscheck und Jakob Seidel
auch Gärtner bei. Die Publikationen
der FLORA erschienen zunächst als
Beilage der „Dresdner Abendzeitung“
von Theodor Hell. Zu den prominen
ten Mitgliedern im Laufe der Zeit
gehörten auch Carl Gustav Carus,
Heinrich Cotta, Oscar Drude, Max
Neumeister und Bruno Steglich.
Schon 1820 hatte Reichenbach im
Zusammenwirken mit Terscheck
und mit Thormeyers Unterstützung Das Schweizerhaus auf der Bastei,
den Botanischen Garten in den alten von Hermann Krone 1857 foto-
Befestigungsanlagen gegründet. Thor grafiert. Besonders Maler wie die
meyer besuchte zudem literarisch und Schweizer Adrian Zingg und An-
künstlerisch geprägte Gesellschaften. ton Graff, Lehrer an der Dresdner
So zählte er wie Carl Gustav Carus, Kunstakademie zur Studienzeit
Theodor Hell und Ernst Rietschel Thormeyers und Namensgeber der
zu den häufigen Gästen beim Major Sächsischen Schweiz, erwarben sich
und Mäzen Friedrich Anton Serre. große Verdienste um deren touris-
Wie Gottlob Adolf Ernst von tische Propagierung. 1826 entstand
Nostitz und Jänkendorf gehörte nach Plänen von Thormeyer das ers-
Thormeyer zu den ersten Mitgliedern te feste Gaststättengebäude auf der
der „Ökonomischen Gesellschaft im Bastei, in dem Gäste auch übernach-
Königreiche Sachsen“. Sie war Fra ten konnten. Die Bastei wurde in der
gen der Volkswirtschaft und dabei Folgezeit zum Hauptausflugsziel der
besonders der Landwirtschaft ge Sächsischen Schweiz. Das Schwei-
widmet und stand unter der Leitung zerhaus von Thormeyer wurde 1894
von Kabinettsminister Detlev von bedeutend erweitert.
Einsiedel. 1827 war sie maßgeblich an
den Vorbereitungen zur Gründung Blochmann. 1831 übernahm Gustav
der Technischen Bildungsanstalt, der von Flotow die Leitung der Ökono
heutigen TU Dresden, beteiligt. Das mischen Gesellschaft, die Thormeyer
Konzept erarbeitete Rudolf Sigismund zu ihrem Ehrenmitglied ernannte.
365
ansehnlichen Vermögen zeugte.
Thormeyer hatte früh seine Ehe
frau verloren. Sie fanden mit ihren
Töchtern in einer von Thormeyer
entworfenen Grabstätte neben dem
Grab seiner Eltern auf dem Dresdner
Eliasfriedhof die letzte Ruhe. Ihre
Enkelinnen Sophie Adelheid Wagner
verh. Salles und Charlotte Elise Wag
ner verh. Parrot de Puyroche lebten
als Malerinnen in Frankreich.
366
„Villa Thormeyer“, zwischen Albertplatz und Albertbrücke gelegen.
Bischofswerda“. May Bischofswerda, 1861; Christi schen Fürst Nikolai Grigorjewitsch RepninWolkon
ane Theiselmann: „Das Denkmal Friedrich August ski“. 2009; Bastian Wienrich: „Die Querbebauung
I. von Sachsen von Ernst Rietschel“. Zeitschrift der Elbe am Beispiel der Stadt Dresden: Inwieweit
für Kunstgeschichte, Bd. 53, H. 1, 1990, S. 1–24; wirkte der ästhetische Aspekt bei der Bebauung bzw.
Arthur Weichold: „Wilhelm Gotthelf Lohrmann „Nichtbebauung“ des Dresdner Elbabschnittes“.
17961840“. J.A. Barth, 1985; Rudolph Zaunick: GRIN Verlag, 2007; Günter Jäckel: „Dresden zur
„Gründung und Gründer der Naturwissenschaftli Goethezeit: 1760–1815“. Dausien, 1988; Dresdner
chen Gesellschaft ISIS vor hundert Jahren“. Sitzungs Geschichtsverein (Hrsg.): „Dresden: die Geschichte
berichte und Abhandlungen der naturwissenschaft der Stadt von den Anfängen bis zur Gegenwart“.
lichen Gesellschaft Isis, 1934, S. 9–49; Allgemeine Junius, 2002; Petra Listewnik, Michael Schäfer, Jörg
Literaturzeitung, Bd. 1, Nr. 50, 1809; Zeitung für die Ludwig: „Wirtschaft und Staat in Sachsens Indus
elegante Welt, Bd.12, Janke, 1812; Andrea Dietrich: trialisierung, 17501930“. Bd. 3 von Beiträge zur
„Zwischen Tradition und Modernität: König Johann Wirtschaftsgeschichte, Leipziger Universitätsverlag,
von Sachsen 18011873“. Schriften zur sächsischen 2003; Friedrich Adolf Peuckert: „Die ger. und vollk.
Geschichte und Volkskunde, Bd. 8, Leipziger St. Johannisloge zu den drei Schwertem und Asträa
Universitätsverlag, 2004; Klaus Jan Philipp: „Um zur grünenden Raute im Orient Dresden 17381882:
1800: Architekturtheorie und Architekturkritik in Ein Beitrag zur Geschichte der Freimaurerei in
Deutschland zwischen 1790 und 1810“. Edition Axel Dresden und Sachsen. Nach archivalischen Quellen
Menges, 1997; Max Georg Mütterlein: „Gottfried bearbeitet“. Bruno Zechel, 1883; „Die Freimau
Semper und dessen Monumentalbauten am Dresd rerloge zum goldenen Apfel im Orient Dresden
ner Theaterplatz“. Dissertation, TH Dresden, 1913; 1776–1876“. Heinrich Dresden, 1876; Adressbücher
Thomas Kantschew: „Die städtebauliche Entwick der Stadt Dresden; Ursula Müller geb. Thormeyer,
lung Dresdens im 19. Jahrhundert“. FU Berlin, 1996; Mitteilungen 2015; Gero Schilde: „Gottlob Friedrich
www.eliasfriedhofdresden.de; Miriam Liese: „Die Thormeyer, ein spätklassizistischer Architekt Sach
Eröffnung der Brühlschen Terrasse durch den russi sens‘‘. Dissertation 1922
367
Gottfried Unterdörfer in Milkel. Foto: Burkhard Unterdörfer, Mitte der
1960er Jahre.
368
Unterdörfer, Max Gottfried Rudolf
Dichterförster in Uhyst/Spree
17.03.1921 Zschornau b. Kamenz – 09.09.1992 Uhyst
369
hautnah, als allein in seinem Revier
ca. 1/3 des Waldes verloren ging. Sein
Engagement für den Naturschutz
wurde zur Hoffnung für viele Gleich
gesinnte, brachte Unterdörfer in der
DDR aber wiederholt in Konflikt mit
dem Staat. Er unterstützte die kirchli
che Umweltarbeit, und der Kummer
über die angerichtete Naturzerstörung
und den Heimatverlust für viele
Menschen kommt in mehreren seiner
Werke zum Ausdruck. Auch wenn
die ökonomischen und politischen
Zwänge schier übermächtig waren,
hatte sein stetes Bemühen manchen
Erfolg. Mit Generationen von Uhyster
370
Schülern wurden von ihm und seinen eine junge Ringelnatter, die aufgeregt
Mitarbeiterinnen 500 Nistkästen auf auf einzelne losschoss, aber abdreh
gehängt, mehr als 50 wilde Müllplätze te, weil die Schüler hoch sprangen.
beseitigt und hunderttausende Kie Schließlich sprang eines der Kinder
fernsämlinge gepflanzt. In Erinnerung zur Seite – und die Ringelnatter ward
an den gemeinsamen Kampf um die nicht mehr gesehen. Ein paar Tage
Erhaltung der Natur stellten Freunde später besuchte der Förster erneut die
an eine alte gerettete Eiche im März Gruppe und bot ihr eine „Kuhteich
2000 einen Stein mit dem aus seinem rundfahrt“ mit einem Fischerkahn.
Buch „Wege und Wälder“ stammen
den Spruch: „Wanderer, deinen Augen Zu Unterdörfers Lebzeiten erschie
Glück.“ nen 10 Bücher in zum Teil mehreren
Auflagen. Sie waren in der DDR
Frank Fiedler ist eine Exkursion häufig nur schwer zu erhalten und
mit Bischofswerdaer Ferienschülern für innige Naturverbundenheit, die
durch das Uhyster Forstrevier im poetische Beschreibung der Oberlau
Jahre 1964 mit vielen Einzelheiten in sitzer Heimat und die Liebe zu deren
Erinnerung geblieben. Ohne Zögern Menschen, aber auch für die Ver
war Unterdörfer der Bitte gefolgt, die mittlung christlicher Werte bekannt.
Exkursion zu leiten. Was die Kinder Unterdörfer bezog sich in seinem
erlebten, überstieg alle Erwartungen. Wirken auf die Bekennende Kirche
Haubentaucher trugen ihre Jungen und Dietrich Bonhoeffer. Er wollte
huckepack, Zwergrallen liefen auf den stets für Andere da sein. Vielfach
Schwimmblättern des Laichkrautes basierten seine Werke auf autobiogra
im Ochsenteich und Raubvögel flogen fischen Erinnerungen: die Schrecken
über das Gelände. Nachts im Zeltla des Krieges, Erlebtes und Gesehenes
ger erklang ein Schmatzen aus dem im Kreis von Familie und Kirchge
Röhrichtgürtel – es waren die Karp meinde. Besonders beeindruckend
fen, die unter der Wasseroberfläche in seinem dichterischen Schaffen ist,
den Bewuchs an den Schilfhalmen mit welch feiner Beobachtungsgabe
abweideten. Unterdörfer sorgte für er selbst dem Unscheinbaren in der
weitere Höhepunkte. Er holte die Natur Sinn und Bedeutung verleihen
12 bis 14jährigen Schüler ab und konnte. Hier wird der christliche
führte sie durch sein Revier. Keiner Hintergrund des Dichters deutlich,
hatte bis dahin etwas von Schellenten für den auch scheinbar unbedeutende
gehört, die in Schwarzspechthöhlen Tiere und Pflanzen schön sind und
hoch in Altbuchen brüten und deren ein Lebensrecht besitzen. Unterdörfer
noch nicht flugfähige Jungen aus bis ging davon aus, dass der Einzelne kei
zu 15 Metern hinabspringen. Auf dem nen Einfluss auf das „große“ Weltge
Heimweg „umzingelten“ die Schüler schehen nehmen kann, sondern sich
371
stattdessen darum bemühen muss, frühen Uhyster Jahren Pfarrer Da
an seinem Platz das Bestmögliche zu niel Hoffmann kennen gelernt hatte,
tun. Das Schöne im Alltäglichen zu gehörte damit zu den Begründern
erkennen, ist dafür eine wesentliche einer Tradition, die auch heute noch
Voraussetzung, wie Unterdörfer ver im „Uhyster Lesewinter“ lebt. Es war
mitteln wollte. Mit seinen Werken hat zudem für ihn selbstverständlich, sich
er vielen seiner Zeitgenossen wieder für die Belange der sorbischen Mit
zur Heimatorientierung verholfen. menschen einzusetzen. Das Ehepaar
Dazu trugen auch häufige Schriftstel Unterdörfer verband eine langjäh
lerlesungen und Lesegottesdienste in rige Freundschaft mit der Witwe
Uhyst bei. Unterdörfer, der in seinen Jutta Baudert, Schwiegertochter des
372
Gedenkstein an Gottfried Unterdörfer, auf private Initiative gesucht, ange-
fertigt und aufgestellt an der Straße zwischen Mönau und Lieske.
373
nen er die Liebe zur Oberlausitz und
die christliche Weltanschauung teilte.
Dies galt besonders für Gottfried
Zawadzki, mit dem Unterdörfer seit
der Schulzeit befreundet war. Mehr
fach schrieb er Beiträge in Büchern
von oder über Johannes Lebek. Aber
auch Hanns Georgi, Maler in Sebnitz,
weilte oft bei den Unterdörfers.
374
„Ich möchte einen Kranich sehen.“ Unterdörfer beschrieb sein Bemühen,
die beeindruckenden Vögel zu beobachten. In den Jahren 2014 und 2015
waren sie regelmäßig in der Nähe von Unterdörfers ehemaligem Forsthaus
zu sehen, teilweise nur wenige hundert Meter entfernt.
Uhyst. 50 Jahre nach Beginn seiner Unterdörfer Episoden aus seinem Le
Arbeit im Forst trat Unterdörfer im ben, Kindheitserlebnisse, Geschehnis
Sommer 1987 in den Ruhestand. Er se in der Familie und die Arbeiten an
war zeitlebens ein Verfechter, die einem Dorfbuch für Uhyst. Er beglei
nachhaltige Entwicklung von Natur tete die neue Zeit durchaus kritisch,
und Landschaft nicht kurzfristigen warnte aber schon damals vor einer
wirtschaftlichen Interessen zu opfern. Verklärung der DDRVergangenheit
Dieses Vermächtnis wird heute im und erinnerte an deren Militarismus.
UNESCOBiosphärenreservat Ober Der letzte Eintrag, einen Tag vor sei
lausitzer Heide und Teichlandschaft nem Tod, ist charakteristisch für sein
bewahrt, welches sich in unmittel Weltbild: Er versprach den Hornissen
barer Nachbarschaft zu Unterdörfers in seinem Garten, sie zu beschützen.
früherem Revier befindet. Entsprechend seinem Wunsch wurde
Unterdörfer in Thyrow/Brandenburg
In seinem Nachlasswerk „Ich möch beigesetzt, wo 15 Jahre zuvor schon
te einen Kranich sehen“, mit einem sein literarisches Vorbild Heinrich
Titelbild von Zawadzki, wird der Alexander Stoll zur letzten Ruhe
Reichtum innerer Werte besonders gebettet worden war.
deutlich. Das Tagebuch seiner letzten
Monate enthält viele Begebenheiten Quellen: Heinz Pacholke: „Biographie
aus dem Alltag, erzählt mit Humor Gottfried Unterdörfer“. Internetpublikation
und Weisheit. Dazwischen reflektiert und Begleittext zu einem Lichtbildervor
375
Das Ehepaar Unterdörfer hatte ein besonderes Verhältnis zu der östlich des
Forsthauses einsam im Wald gelegenen Neuteichgruppe (Foto: 2012). Sie
nutzten Badegelegenheit und Kahnfahrtmöglichkeiten im Kahn der Teich-
wirtschaft auch mit Sohn, Enkel oder Gästen. Hier fand Unterdörfer die
Ruhe zum Ausspannen oder zur Beobachtung bemerkenswerter Vogelarten
wie Rohrweihe, Rohrdommel, Kranich und Seeadler, aber auch Freude an
seltenen Pflanzenarten des Teichufers. Sein „Tagebuch“ weist für annähernd
ein Dreiviertel des Jahres 1992 mit 20 Einträgen auf den Neuteich hin.
Darunter befindet sich der Hinweis, dass dort die Anregung erfolgte für die
Erzählung „Die Nacht am See“ aus „Dem Holzhaus gegenüber“ (1963).
376
Bibliografie
„Du lebst vom Du“. Gedichte, Union Verlag Berlin, 1959 und 1962
„Dem Holzhaus gegenüber‘‘. Erzählungen, Union Verlag Berlin, 1960 und
1963
„Ich will den Bogen setzen“. Gedichte, Union Verlag Berlin, 1964
„Von Abend zu Abend“. Neun Liebesgeschichten, Union Verlag Berlin, 1965
und 1967
„Nicht die Bäume allein“. Erzählungen und Skizzen, Union Verlag Berlin,
1968 und 1971
„Regenzeit und Reiherruf “. Erzählungen und Betrachtungen, Evangelische
Verlagsanstalt Berlin, 1971
„Wildtaubenruf “. Erzählungen und Gedichte, Union Verlag Berlin, 1973
und 1976
„Jahresringe“. Geschichten unter Bäumen, Union Verlag Berlin, 1981
„Weltreise in das lange Holz“. Ausgewählte Prosa, Union Verlag Berlin, 1984
„Wege und Wälder“. Kleine Prosa, Union Verlag Berlin, 1986
„Ich möchte einen Kranich sehen“. Erzählungen, Gedichte und ein Tage
buch, hrsg. vom Uhyster Heimatverein e. V., Lusatia Verlag Dr. Stübner &
Co. KG Bautzen, 2001
„Als die Sümpfe blühten“. Erzählungen, Lusatia Verlag Dr. Stübner & Co.
KG Bautzen, 2010
weitere Mitwirkungen, Auszüge bzw. Manuskripte (Auswahl):
„Kleines Wasserrad und andere ernsthafte Geschichten“. Mit anderen Auto
ren, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1963 und 1964
Dorfklub Uhyst (Hrsg.): „Uhyst und Umgebung“. September 1965
„Begegnungen mit Hanns Georgi“. In: Begleitheft zur Ausstellung zum 80.
Geburtstag von Hanns Georgi, Gemälde, Aquarelle, Illustrationen, S. 4–6,
Veranstalter: Rat der Stadt Sebnitz, August 1981
„Der Teich“. Mit Holzschnitten von Johannes Lebek, 120 Exemplare Privat
druck, Druck und Einband von R. Walter Göttingen, 1983
„Häuser der Kindheit“. Original Holzschnitte von Johannes Lebek, als Pri
vatdruck herausgegeben von Hubert Wegner, Druckerei Küster Hannover,
1984
„Förstertagebuch“. Manuskript, 1985
„Ein Lebensweg in Bildern“. In: Johannes Lebeck: „Der Holzschneider Jo
hannes Lebeck. Leben und Werk“. RudolfSchneider Verlag München, 1988
Johannes Lebek: „Holzschnittfibel‘‘. Mit einem Beitrag von Gottfried Unter
dörfer, Verlag der Kunst Dresden, 1991
Gemeindeverwaltung Uhyst (Hrsg.): „Uhyst an der Spree“. 1992
Gottfried Zawadzki: „Malerei – Grafik – Kirchenraum – Glasbild“. Mit
einem Vorwort von Gottfried Unterdörfer, Lausitzer Druck und Verlagsge
sellschaft Bautzen, 1993
377
Es ist überliefert, dass Hermann Vetter (Porträt um 1908) in seiner Jugend
an seinen Geburtsort zurückgekommen sein soll, um auf der Herbrig-Orgel
zu spielen. Pfarrer in Großdrebnitz bis 1875 war Carl Julius Marloth.
378
Vetter, Friedrich Hermann
Professor am Dresdner Konservatorium
09.07.1859 Großdrebnitz – 21.05.1928 Dresden
379
einschließlich Kompositionslehre für
Dirigenten, Instrumentalisten, Sänger
und Musiklehrer, (2) Ausbildung in
Einzelfächern sowie (3) Elementar
unterricht für einzelne Instrumente
oder Gesang. Der Sitz des Konserva
toriums befand sich langjährig in der
Landhausstraße 6 bzw. 11. 1887 über
nahm Heinrich Pudor die Leitung
von seinem Vater. Weil Pudor mit
seinem Konzept, ausschließlich auf
deutsche Musik zu setzen, auf heftige
Kritik stieß, verkaufte er das Kon
servatorium 1890 an Eugen Krantz.
Nach dessen Tod führten die Söhne
Johannes Krantz und Curt Krantz das
Konservatorium bis zur Verstaatli
chung 1937 weiter. Sie entwickelten
das Profil einer Hochschule der Ton
kunst mit verbundener Theaterschule
und staatlichem Musiklehrerseminar.
Das Konservatorium trug den Bei
namen „Hochschule für Musik und
Theater“. Zudem wurden Kirchenmu
Das Palais Hoym, Landhausstraße
siker ausgebildet und es bestand eine
11, war schon vor der Gründung
Volksmusikschule.
des Konservatoriums ein kulturelles
Zentrum. Der Dresdner Gesell-
Vetter machte sich als Autor und He
schaftsverein Harmonie hatte hier
rausgeber von Musikdrucken einen
seinen Sitz. Robert Schumann gab
Namen. Seine „Technischen Studien“
Konzerte, Gottfried Semper, Ernst
von 1899 wurden von Eugen d'Albert
Rietschel und später Bruno
ausdrücklich für den Klavierunter
Steglich gingen hier ein und aus.
richt empfohlen. Sie bestanden aus
vier Heften. Zwei hatte Vetter bereits Doppelgriffspiel“. Weitere der zumeist
1894 veröffentlicht: „Uebungen mit bei Friedrich Hofmeister in Leipzig
fortrückender und stillstehender erschienenen Vortrags und Studien
Hand in kontrapunktischer Zwei werke Vetters für Klavier waren: „Die
stimmigkeit“ und „Der Fingerwechsel ersten Musikstückchen für Anfänger
bei unterbrochner, sowie ununter im Klavierspiel“ (1897, neun melo
brochner Tonwiederholung und im dische, instruktive und progressive
380
Vortragsstücke), „24 melodische von Grund bis Hochschulklassen
KlavierEtüden für gleichmässig in Musiktheorie, an Tasten, Streich
fortschreitende Ausbildung beider und Blasinstrumenten sowie in den
Hände, sowie des Vortrags“ (1900, Fächern Gesang und Bühne. Allge
drei Hefte für die drei Stufen des mein Musikinteressierte konnten sich
ElementarUnterrichts) und „Das Stu als Hörer einschreiben. 1908 erschien
dium der Tonleitern, Arpeggien und bei Hofmeister in Leipzig Vetters
Doppelgriffstonleitern für Klavier zu bekanntestes Werk, „Zur Technik des
2 Händen“ (1905). Daneben gab Vet Klavierspiels“. Weil die Ausbildung an
ter Musikdrucke bekannter Klavier den vielen konkurrierenden privaten
virtuosen wie Johann Baptist Cramer Musikschulen häufig mangelhaft war,
(„66 ausgewählte KlavierEtüden“), gehörte Vetter als Vorstandsmitglied
Franz Liszt („12 Etüden op. 1“), Vic des Musikpädagogischen Vereins zu
tor Alphonse Duvernoy („Vorschule den Initiatoren einer Prüfungsord
der Geläufigkeit für Pianoforte. 20 nung für Musikschullehrer, die 1913
EtudesExercices sans Octaves“) und in Kraft trat. Der Erste Weltkrieg und
Friedrich Burgmüller („12 brillante seine Folgen prägten einen großen
und melodische Etuden“) heraus. Teil seiner Direktoriumszeit. 1922
unterrichtete er kurz vor seiner Pen
Das Konservatorium berief Vetter sionierung die spätere New Yorker
1907 zum Professor und Direktori Pianistin Irma WolpeRademacher.
umsmitglied. Dem Direktorium ge
hörten seinerzeit auch die Professoren Quellen: E. W. Fritzsch: „Musikalisches Wochen
blatt“. 1897, 1899; Hermann Abert, Rudolf Gerber:
Karl Heinrich Döring und Felix Drae „Illustriertes Musiklexikon“. J. Engelhorns nachf.,
seke, die Kammermusiker Maximi 1927; Rudolf Maria Breithaupt: „Die natürliche
lian Gabler und Albert Wolfermann Klaviertechnik“. 1927; Hofmeisters Handbuch der
Musikliteratur, 1934; Emil Breslaur, Anna Morsch:
sowie Konzertmeister Henri Petri an. „Der Klavierlehrer“. Peiser Verlag, 1895; S. Freitag:
Klavierunterricht erteilte neben Vetter „Richard Kaden (1856–1923)“; lexm.unihamburg.
die bekannte Konzertpianistin Laura de; Asher (Hrsg.): „Das Unterrichtswesen im
Deutschen Reich aus Anlass der Weltausstel
RappoldiKahrer. Das Konservatori lung in St. Louis unter Mitwirkung zahlreicher
um arbeitete stark gewinnorientiert; Fachmänner“. Berlin 1904; Horst Gersdorf:
der „Kunstwart“ von Ferdinand Ave „Kultur im 770jährigen Bischofswerda“. Zwischen
Wesenitz und Löbauer Wasser, 1997, H. 2, S.
narius hatte schon 1904 hinterfragt, 8–21; Stadtarchiv Bischofswerda, Auszug aus dem
dass eine solche Schule als könig Taufbuch Großdrebnitz (korrigierte und ergänzte
liche Einrichtung auftreten durfte Angaben von Christfried Marschner, Ortschronist
von Großdrebnitz, 26.10.2007); M. Hesse: „Das
und für Freistellen auch finanzielle Neue Musiklexikon“. Nach: Arthur Eaglefield Hull,
Unterstützung erhielt. Mehr als 100 Alfred Einstein: „Dictionary of Modern Music and
Lehrkräfte unterrichteten Anfang des Musicians“, 1926; Der Kunstwart: Rundschau über
alle Gebiete des Schönen, Bd. 17/2, 1904; Dresdner
20. Jahrhunderts am Konservatorium Adressbücher; Friedhofsverwaltung St. Pauli Dres
etwa 1300 Schülerinnen und Schüler den; Bert Wawrzinek, Lauterbach, 2016
381
Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und
Mainz, hält eine Messe in der Stiftskirche Halle ab (Albrecht Dürer, 1523).
Einer der anwesenden Geistlichen war sicher Georg Winckler.
382
Winckler, Georg
Bacc. jur., Prediger, Märtyrer der Reformation
* um 1490/1495 in Bischofswerda oder Goldbach – 23.04.1527 im Spessart bei
Aschaffenburg
383
Bischofswerda um 1623 mit der 1497 unter Bischof Johann VI. geweihten
Marienkirche. Die vorherige, vermutlich 1076 von Benno von Meißen ge-
stiftete Kirche war 1469 abgebrannt (Blick von Osten nach Westen).
384
für das Studium an einer der drei Zu Wincklers Kommilitonen ge
höheren Fakultäten (Theologie, Jura, hörte der 1497 in Leipzig geborene
Medizin) gelegt wurden. Man unter Christoph Kruschwitz, genannt
richtete beispielsweise Metaphysik, Türk. Nach dem Baccalaureat an der
Poesie, Grammatik und mathemati Artistischen Fakultät 1516 ging er
sche Grundlagen. Seit der Gründung zum JuraStudium nach Italien. 1521
einer konkurrierenden Universität in wurde er an die Juristische Fakultät
Wittenberg (1502) im Zusammen in Leipzig berufen. Winckler erlangte
hang mit der Landesteilung durch die seinen Abschluss als bacc. jur. 1522 an
Wettiner bemühte sich Herzog Georg der Juristischen Fakultät bei Ludwig
der Bärtige um zeitgemäße Reformen Fachs auf dem Gebiet des kanoni
in Leipzig. Die Hauptvorlesungen an schen Rechts.
der Artistischen Fakultät waren da
nach kostenlos. Im Sommersemester Wincklers Studienzeit wurde theo
1509 stand diese Fakultät unter der logisch durch die beginnende Re
Leitung des Dekans Arnold Wöste formation von Martin Luther im
feld. Voraussetzung für eine Gra nahen Wittenberg geprägt. Jener
duierung an einer der drei höheren brandmarkte 1517 mit seinen 95
Fakultäten war im Allgemeinen ein Thesen den Ablasshandel, mit dessen
artistischer Magistergrad, wobei jener Hilfe Albrecht von Brandenburg,
aber nicht den selben Stellenwert wie als Erzbischof von Magdeburg ein
der Magister (Promotion) an einer Vorgesetzter Luthers, finanziellen
der drei höheren Fakultäten besaß. Verpflichtungen gegenüber dem
Den Übergang von der Artistenfakul Papst im Zusammenhang mit der
tät auf eine der drei höheren schaff Berufung in seine Ämter nachkam.
te nur eine kleine Elite. Die große Der Berliner Kurfürstensohn Alb
Mehrzahl der Studenten verblieb an recht, 1513 mit 23 Jahren Erzbischof
der Artistischen Fakultät, ohne je eine von Magdeburg und Administrator
Graduierung zu erlangen. Studenten, von Halberstadt geworden, seit 1514
die es sich leisten konnten, wechselten Erzbischof und Kurfürst von Mainz,
für ihr Jura oder Theologiestudium residierte ab 1514 in Halle auf der
häufig die Universität. Der Wert der Moritzburg. 1518 wurde er Kardinal.
mittelalterlichen Graduierungen lag Diese Ämterhäufung war aber nicht
weniger auf wissenschaftlichem Ge nur Ausdruck seines persönlichen
biet, es ging vielmehr darum, neues Ehrgeizes, sondern auch von Interes
Lehrpersonal für die Universität zu senskonflikten zwischen dem Mainzer
rekrutieren. Die Magisteruniversität Domkapitel und dem Kurfürstenhaus
des Mittelalters war mehr auf Weiter Brandenburg einerseits und dem
gabe des vorhandenen Wissens als auf Kurfürstentum SachsenWittenberg.
neue Erkenntnisse ausgelegt. Vor allem die Zugehörigkeit von
385
Leipziger Disputation von 1519 (von Julius Hübner) mit Johannes Eck
(links) und Martin Luther (rechts), in der Mitte sitzend Herzog Barnim von
Pommern als Ehrenrektor und Herzog der Bärtige von Sachsen.
386
Nach dem Studium in Leipzig trat Wissenschaft im Erzstift Magdeburg,
Winckler als Kanoniker und Kaplan es war sogar die Gründung einer
in die Dienste von Erzbischof Alb Universität geplant. Um 1523 ging
recht, vermutlich von Beginn an in Albrecht zunehmend auf Distanz zur
Halle. Albrecht hatte hier 1520 ein Reformation. Als Bollwerk gegen ihr
neues Collegiatstift eingerichtet. Er rasches Ausbreiten baute er in Halle
war den Werten von Humanismus eine Stiftskirche, den heutigen Dom.
und Bildung aufgeschlossen und Albrecht benötigte zudem für seine
übergab dem „Neuen Stift des hei riesige Reliquiensammlung, die zuvor
ligen Moritz und der Seligen Maria in der SanktMaria Magdalenenkapel
Magdalena zum Schweißtuch des le auf der Moritzburg untergebracht
Herrn“ die Verantwortung für die war, einen geeigneten Aufbewah
Halle, im 16. Jahrhundert mit Moritzburg und Dom abgebildet, war kir-
chenpolitisch von großer Bedeutung für die Reformation. Hier residierte
mit dem Erzbischof von Magdeburg und Mainz, Kardinal Albrecht, der
nach dem Papst ranghöchste kirchliche Würdenträger im „Heiligen Rö-
mischen Reich Deutscher Nation“ und gleichzeitig einer der wichtigsten
Gegner Luthers. Halle war aber dank des Reichtums aus dem Salzhandel
auch ein Ort mit großer bürgerlicher Tradition. Erst Streitigkeiten zwi-
schen den Handwerkerinnungen und den Pfännern (Salzsiedern) hatten
dafür gesorgt, dass 1478 die Stadt nach 200-jähriger Selbstständigkeit in
erzbischöflichen Besitz gelangte. Erzbischof von Magdeburg war seit 1476
mit Ernst von Sachsen ein Wettiner. Ernst ließ in Halle mit der Moritzburg
eine neue Residenz errichten. Nach Ernsts Tod 1513 übernahm Albrecht
von Brandenburg das Erzbistum.
387
hen. Nicolaus Demuth, auch Propst
im Kloster Neuwerk, verließ am 14.
April sein Amt, um zu heiraten und
sich der Reformation anzuschließen.
Im selben Jahr wirkte Thomas Münt
zer für einige Monate in Glaucha bei
Halle. 1524 wurde der konservative
Kruschwitz Kanzler des Erzbistums
Magdeburg.
388
mit Hallenser Bürgern verhandeln. So
kam es in Halle zu keinem Aufstand
wie in anderen Städten. Albrecht trat
nach der Niederschlagung der Bauern
1525 in Frankenhausen dem antilu
therischen Dessauer Bund bei und
vertrat zunehmend radikalere Positi
onen gegen die Reformation. Als sich
Winckler immer offener zu Luther
bekannte, wurde er zunächst für drei
Monate suspendiert, ohne dass er sich
umstimmen ließ.
389
Luther, obwohl von kursächsischer
Seite zur Zurückhaltung gedrängt,
richtete am 17. September 1527 ein
Trostschreiben an die Christen zu
Halle, in welchem er über den Mord
berichtete. Luther gab Erzbischof Al
brecht zwar keine direkte Schuld, wies
jedoch daraufhin, dass Winckler auf
dessen Befehl hin erschienen sei, und
forderte Albrecht auf, den Mörder zu
bestrafen. Damit schrieb Luther dem
Erzbischof indirekt eine Mitverant
wortung zu, die Philipp Melanchthon
dagegen ausschloss. Gegner der Re
formation wie der sächsische Herzog
Georg der Bärtige erwiderten Luthers
Schrift heftig. Am 26. April 1528
erneuerte Luther seine „Trostschrift
an die Christen zu Halle“, die er zur
Standhaftigkeit aufrief. Martin Luther: „Tröstung an die
Christen zu Halle über Herrn Geor-
Vehement gegen Luthers Trostschrift gen, ihres Predigers, Tod“. 1527:
trat auch Johannes Cochläus auf. „Ich habe mir längst vorgenommen,
Während des Bauernkriegs war er meine Lieben Herrn und Freunde,
zeitweise nach Mainz, dann nach eurer Liebe zu schreiben eine Ver-
Köln geflohen. Seit 1526 war er mahnung und Trost wider den Un-
Kanonikus auf dem St. Victorsberg fall, so euch der Satan zugefügt hat
bei Mainz. Cochläus verteidigte die durch den Mord, welchen er began-
Mainzer Domherren und lenkte statt gen hat an dem guten und frommen
dessen den Verdacht auf die adlige Mann, Magister Georgen, und euch
Verwandtschaft von Wincklers Frau. also eures treuen Predigers und Got-
1529 berief Herzog Georg der Bärti tes Wort beraubet. Es hat mich aber
ge Cochläus als Privatsekretär nach allezeit verhindert, sonderlich mei-
Dresden. ne Schwachheit; und wiewohl ich
noch nicht recht heraus bin, kann
Von Winckler ist heute überliefert, ich doch nicht länger verziehen.
dass er christliche Lieder gesam Und wenn wir uns gleich in diesem
melt und auch selbst verfasst habe. Fall nicht trösten wollten, so wäre es
Michael Vehe, nach Wincklers Tod doch unbillig, solchen schändlichen,
vom Erzbischof als Propst nach Halle verräterischen Mord...“
390
geholt, um die Stiftskirche wieder Quellen: Adolf Brecher: „Winckler, Georg“.
Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 43, 1898,
im katholischen Sinne zu führen,
S. 365; Karl Wilhelm Mittag: „Chronik der
wird teilweise unterstellt, dass sein königlich sächs. Stadt Bischofswerda‘‘. May Bi
historisch bedeutsames, katholisches schofswerda, 1861; Michael Pusch: „Episcopoli.
Liedbuch „Ein New Gesangbuechlin Graphia Historica. Das ist: Wahrhafftige Histori
sche Beschreibung der Churf. Sächsischen Stadt
Geystlicher Lieder vor alle gutthe Bischoffswerda“. Wolfgang Seyffert Dreßden,
Christen nach ordenung Christli 1659; Michael Pusch, Christian Heckel: „Histo
cher kirchen“ (1537) auf Wincklers rische Beschreibung der Stadt Bischoffswerda.
Sammlung zurückgehen solle. Quelle vormahls durch Michael Puschen; continuirt/
vermehret/ und an vielen Orten/ wo man nötig
hierfür ist Johann Christoph Oleari befunden/ geändert und verbessert nebst einem
us, ein Historiker des evangelischen Anhang von der Bischoffswerdischen Diöces /
Liedschatzes, mit seiner „Hymnologia durch Chriatian Heckel. Harpetern Dreßden,
1713; Georg Pilk. „Die Amtsdörfer bei Bischofs
Passionalis“ (1707). Olearius wies werda im Jahre 1559“. Unsere Heimat, 9.6.1925;
dem Lied „Da Jesus an dem Kreutze Matrikel und Promotionsverzeichnis Univer
stunde“ aus Vehes Sammlung eine sität Leipzig; Adolf Laube, Ulman Weiss: „Flug
Autorenschaft Wincklers zu, dem schriften gegen die Reformation (1525–1530)“.
Akademie Verlag, 2000, S. 525; Johann George
demnach auch „Die Propheten seind Kirchner: „Historische Nachricht von dem Mär
erfüllet“, „Zu Tisch dieses Lämmleins tyrertode der ersten Lutherischen Blutzeugen
so rein“, „Lobsinget mit Freuden alle Jesu Christi“. Waisenhaus Halle, 1755; „Martin
Rechtgläubigen“, „Vater im Himmel, Luthers Kritische Gesamtausgabe“. Böhlau, 1933;
Nicole Kuropka: „Philipp Melanchthon – Wis
wir Deine Kinder bitten durch Christ senschaft und Gesellschaft“. Spätmittelalter und
das ewige Kind“ zuzuordnen wären. Reformation, Bd. 21, Mohr Siebeck, 2002; Otto
Bei Vehe ist tatsächlich die Mitar Michaelis: „Protestantisches Martyrerbuch“. J.F.
Steinkopf, 1932; Norbert Böhnke: „Renaissance
beit eines G.W. vermerkt, was heute Halle“. 2001; Armin Stein: „Die Stadt Halle a.
aber eher auf Georg Witzel bezogen d. Saale“. Eugen Strien Halle, 1901; Hallisches
wird unter Hinweis auf dessen „Odae patriotsches Wochenblatt, Bd. 2, in Commission
christianae: Etliche christliche Gesen der Buchhandlung des Waisenhauses, 1841;
Enno Bünz, Franz Fuchs. „Der Humanismus
ge, gebete vnd Reymen, für die Gots an der Universität Leipzig“. Otto Harrassowitz
förchtigen Läyen“ (1541). Witzel hatte Verlag, 2009; Johann Christian Gueinz: „Memo
sich seinerzeit wieder von Luther ria Georgii Winckleri, veritatis divinae contra
offucias Romanae curiae apud Hallenses saeculo
abgewandt. Andererseits publizierte
post Christum natum XVI testis integerrimi, re
Vehe deutschsprachige Liedtexte, wie novata interprete M. Io. Christ. Gueinzio“. Halle
es Martin Luther propagierte. Olea 1729; Werner Freitag: „Mitteldeutsche Lebens
rius interpretierte das missverständ bilder: Menschen im späten Mittelalter“. Böhlau
2002; Gottfried Lebrecht Richter: „Allgemeines
liche Zitat eines Liedautors G.W. bei biographisches Lexikon alter und neuer geistli
Vehe mit persönlichem Neid, aber cher Liederdichter“. Martini 1804; Paul Redelin:
auch mit politischer Vorsicht wegen „Cardinal Albrecht von Brandenburg und das
der Missliebigkeit des lutherischen Neue Stift zu Halle. 1520–1541“. F. Kirchheim,
1900; „Vehe, Michael“ und „Witzel, Georg“ in
Predigers Winckler im katholisch der Allgemeinen Deutschen Biographie
beherrschten Halle jener Tage.
391
Johann Eleazar Zeissig (Stich von Christian Friedrich Stölzel).
392
Zeissig, Johann Eleazar (Schenau)
Professor, Maler, künstlerischer Leiter der Kunstakademie Dresden
07.11.1737 Großschönau – 23.08.1806 Dresden
V: Elias (Damastweber); M: Anna Elisabeth geb. Paul; G: 10, wobei Zeissig während seiner Kind
heit der einzige Sohn neben fünf Schwestern war
393
te Lehreinrichtung gegründet worden
war, bestehend aus einer Akademie
für Malerei, Kupferstecherei und Bild
hauerei und einer Akademie für Bau
kunst in Dresden sowie einer Aka
demie für Zeichnerei, Malerei und
Architektur in Leipzig, suchte man
in ganz Europa nach renommierten
Lehrern. Mit ihnen sollte nach dem
Siebenjährigen Krieg der Ruf Dres
dens als Kunstmetropole aufpoliert
werden. Als sich Zeissigs Zeit in Paris
dem Ende neigte, nahm er Kontakt
mit der Dresdner Kunstakademie
394
auf. 1767 sandte er zwei allegorische
Zeichnungen nach Dresden: „Die
Erziehung oder Minderjährigkeit des
Durchlauchtigsten Fürsten“ und „Die
Frohlockung oder Aufmunterung
der Musen“. Sein Aufnahmestück für
die Kunstakademie, bereits 1768 von
Zeissig angekündigt, „Priamus bittet
Achill um die Leiche Hektors“, galt
einem historischen Thema. Es wurde
von der Kritik sehr negativ beurteilt
und den offiziellen Gutachtern wurde
unterstellt, dass Zeissigs Aufnahme
sowieso schon beschlossene Sache
gewesen wäre. Die kurfürstliche Familie im Jahre
1772 (Gemäldegalerie Alte Meister):
Die ersten Pläne zur Gründung einer Karl von Sachsen (Bruder), Marie
Kunstakademie in Dresden gingen Amalie von Pfalz-Zweibrücken
auf August III. zurück. Standen da (Ehefrau), Kurfürst Friedrich Au-
mals auf Vorschlag von Carl Hein gust der Gerechte, Maria Antonia
rich von Heinecken noch Louis de Walpurgis (Mutter), Maria Anna
Silvestre und die Maler der Hofkirche von Sachsen (Schwester), Maria
Stefano Torelli und Anton Raphael Amalia von Sachsen (Schwester),
Mengs (der mehr als Italiener galt) als Maximilian von Sachsen (Bruder),
Gründungsdirektoren zur Diskussion, Anton der Gütige (Bruder und
entschied man sich später, unter dem Nachfolger als sächsischer König),
Prinzregenten Xaver und der Witwe Prinz Xaver (Onkel und vormaliger
von Kurfürst Friedrich Christian, Ma Prinzregent).
ria Antonia Walpurgis, bewusst dafür,
die Kunstakademie mit Christian Giovanni Battista Casanova sowie der
Ludwig von Hagedorn unter die Lei Architekt Friedrich August Krubsaci
tung eines Deutschen zu stellen. Der us und der Bildhauer Johann Gott
Professorenschaft gehörten sieben fried Knöffler. 1766 holte Hagedorn
deutsche, fünf italienische und zwei noch den Bildnismaler Anton Graff
französische Lehrer an, darunter die und den Landschaftsmaler Adrian
Maler Charles Hutin, der als einziger Zingg aus der Schweiz, die sich später
aus dem ehemaligen Lehrkörper der als Propagierer der Sächsischen
Malerakademie verblieben war und Schweiz einen Namen machten. 1768,
die künstlerische Leitung inne hatte, im Jahre der Thronbesteigung Fried
Bernardo Bellotto (Canaletto) und rich August des Gerechten, wurde
395
Zeissig auf Empfehlung von Johann
Georg Wille, auswärtiges Mitglied der
Dresdner Kunstakademie, ebenfalls
zum Mitglied gewählt. Die Kunst
akademie bezog im gleichen Jahr das
Fürstenberg‘sche Haus gegenüber der
Hofkirche. Christian Wilhelm Ernst
Dietrich, den Zeissig in Paris kopiert
hatte, und Adam Friedrich Oeser,
Direktor des Leipziger Zweigs der
Kunstakademie, lehrten hier. Ende
1769 kam Zeissig selbst nach Dres
den, ein Jahr später stellte er erstmals
vier Gemälde aus. Sie zeigten im
Auftrag von Maria Antonia Walpurgis
eine Epoche ihrer Genesung. Schon
um 1771 entdeckte Zeissig das Talent
des damals 12jährigen Christian
Leberecht Vogel (später berühmt für
In seiner allegorischen Darstellung seine Kinderbildnisse), der daraufhin
auf Gotthold Ephraim Lessing ein Stipendium erhielt.
nimmt Zeissig Bezug auf dessen
Streit mit Christian Adolph Die PorzellanManufaktur Meißen
Klotz. Germanien hängt Lessings stand wegen der Folgen des Sieben
Porträt am Tempel der Unsterblich- jährigen Kriegs und stärkerer inter
keit auf, wo sich auch die Bilder von nationaler Konkurrenz seinerzeit
Shakespeare, Sophokles und Moliere vor großen Herausforderungen. Mit
befinden. Die Tragödie lehnt sich der Gründung der Kunstakademie
auf die Urne ihres Lieblings und Dresden wurde 1764 in Meißen eine
blickt auf Lessings Antlitz. Die Muse Zeichenschule eingerichtet, um die
des Lustspiels verdeckt ihr Gesicht Ausbildung zu verbessern, und unter
und die Feder entsinkt ihrer Hand. eine gemeinsame Generaldirektion
Der sitzende Genius der Antike im mit der Kunstakademie von Hage
Vordergrund hat Klotz‘ Buch über dorn gestellt. Das Direktorium der
die Münzen verächtlich hinter sich Manufaktur um Freiherrn Maximili
geworfen und vergleicht Lessings an Robert von Fletscher bemühte sich
Schrift über Laokoon mit einer zudem um eine neue künstlerische
kleinen Figur. Daneben enthüllt die Ausrichtung. Aus Paris wurde 1764
Fabel ihren Schleier, auf den einige Michael Victor Acier geholt und dem
von Lessings Fabeln gewebt wurden. berühmten Modellmeister des Barock
396
Das Kunstgespräch (1777, seit 1948 Gemäldegalerie Alte Meister, Leinwand
80 x 63,5): Der Mäzen Thomas Freiherr von Fritsch (rechts) im Gespräch
mit Christian Ludwig von Hagedorn (links), im Hintergrund v.l.n.r. Adrian
Zingg, Johann Eleazar Zeissig und Anton Graff. Die neue Kunstakademie
musste sich der öffentlichen Diskussion stellen und über Kunst aufklären.
397
Paris kannte, verhalf er mit Unterstüt
zung von Marcolini in Meißen dem
Klassizismus französischer Prägung
zum Durchbruch. In der farblichen
Gestaltung übernahm man das „Bleu
du roi“ aus Sèvres. Vielfach lieferte
Zeissig die zeichnerischen Vorlagen
zu Aciers Plastiken, so bei „Die gute
Mutter“ oder den „Devisenkindern“.
398
Nach dem Tod Hutins übernahm er
ab 1777 als ordentlicher Professor die
künstlerische Leitung der Akademie
für Malerei, Bildhauerei und Kupfer
stecherei alternierend mit Giovanni
Battista Casanova, einem Bruder des
Giacomo Casanova. Canaletto blieb
in jenen Jahren auswärtiges Akade
miemitglied, Graff und Zingg lehrten
weiterhin, neu geholt wurde der Ma
ler Crescentius Jakob Seydelmann.
399
im Grünen Gewölbe zu Dresden.
Beteiligt waren Johann Carl Schön
heit und Christian Gottfried Jüchzer
sowie der Juwelier Johann Christian
Neuber. Zu Zeissigs Mitarbeitern bzw.
Schülern in Meißen gehörten auch
Carl Gotthelf Starcke sen./jun. aus der
Familie der Ehefrau von Gottlob
Friedrich Thormeyer.
Tisch auf den Frieden von Teschen
im Louvre Paris: Kaiserin Maria 1786 kam es zum „Dresdner Ge
Theresia und Friedrich August mäldekrieg“ zwischen Zeissig und
der Gerechte schenkten den Tisch Casanova, der vor allem durch deren
Louis-Auguste de Breteuil für seine Anhänger ausgetragen wurde. Anlass
Vermittlung zwischen Preußen und war ein euphorisches Lob für Zeissigs
Österreich während des Bayerischen
Erbfolgekrieges 1779. Der Tisch
wurde von Johann Christian Neuber
geschaffen und von Zeissig mit fünf
Medaillons aus Meißner Porzellan
versehen. Foto: Tangopaso (Wiki-
media Commons, Public Domain).
400
das er auf eigene Kosten malte, weil
der ursprünglich beauftragte August
Christoph Kirsch, ein Schüler Casa
novas, 1787 verstorben war.
401
die Kunstakademie und die jungen
Maler große Verdienste erworben
habe. Seine eigenen jüngeren Arbei
ten wurden dagegen kritisiert (Dresd
ner Abendzeitung, 30.8.1806). Das
Lexikon von Georg Kaspar Nagler
schrieb: „Schenau hatte zwar Phan
tasie und Geschick zur Komposition,
seine Zeichnung ist aber nicht selten
unrichtig, seinen Figuren fehlt es an
wahrem Leben und Ausdruck, und
die Färbung ist bunt, selbst in den
Schatten noch glühend. Er scheint
hierin den Rubens missverstanden
zu haben.“ Zeissig wurde auf dem
Dresdner Johannisfriedhof beigesetzt,
1854 aber wegen dessen Einebnung
„Zwei Frauen und drei Männer beim nach Großschönau umgebettet. Eine
Kartenspiel“, Metropolitan Museum Vielzahl von seinen Werken befindet
of Art New York, Open Access for sich heute im Besitz von Oberlausit
Scholarly Content (OASC). zer Museen, so in Bautzen („Mädchen
mit Tauben“, „Unterzeichnung des
verbleibenden Jahren holte Zeissig zu Ehevertrages“), in Görlitz („Ehepaar
sammen mit Camillo Graf Marcolini in der Laube“, „Familienszene“), in
weitere namhafte Künstler nach Dres Zittau („Bildnis eines jungen Man
den, so 1799 den Porträtmaler Joseph nes“, „Christus am Ölberg“) und eine
Grassi. 1803 erhielt Adrian Zingg die größere Anzahl Bilder im Deutschen
lange verwehrt gebliebene Professur. Damast und Frottiermuseum Groß
Dominierten am Beginn von Zeissigs schönau. Zeissigs Werke finden sich
akademischer Laufbahn in Dresden aber auch im Metropolitan Museum
noch Historienmalerei und Klassizis of Art New York und der National
mus, so begann unter seiner Leitung Gallery of Art Washington. Die Staat
eine Erneuerung. Insbesondere Zingg lichen Kunstsammlungen Dresden
wurde zu einem Wegbereiter der Ro besitzen neben den Ölgemälden „Die
mantik, die später unter Caspar David kurfürstliche Familie“, „Das Kunstge
Friedrich in Dresden zum Durch spräch“ und „Bildnis des sächsischen
bruch gelangte. Kurfürsten und Königs Friedrich
August des Gerechten“ vor allem
Als Zeissig starb, attestierte die zeit mehrere Porzellane „mit dem grünen
genössische Kritik, dass er sich um Band“ nach Zeissigs Entwürfen.
402
Unterzeichnung des Ehevertrages (1802). Katalog der Gemäldesammlung
Stadtmuseum Bautzen (1954), von Dr. Eva Schmidt: „Seine Familienbild-
nisse gehören durch ihren malerischen Reiz und die unkonventionelle
Auffassung zu seinen besten Leistungen.“ Inventarnummer 3630
Quellen: Hyacinth Holland: „Schenau, Johann Vogt: „Von Kunstworten und werten“. Bd.
Eleaz Zeißig genannt“. Allgemeine Deutsche 32 von Wolfenbütteler Studien zur Aufklä
Biographie, Bd. 31, 1890, S. 36–37; Gottlob rung, Walter de Gruyter, 2010; SKD Online
Friedrich Otto: „Lexikon der seit dem 15. Collection; Taschenbuch der Freimaurer, Bd.
Jahrhundert verstorbenen und jetztlebenden 6, 1803; Willy Doenges: „Meissner Porzellan:
Oberlausitzischen Schriftsteller und Künst seine Geschichte und künstlerische Entwick
ler“. Görlitz, 1800–1803; Paul Schumann: lung“. W. Jess Dresden, 1921; Heinrich Keller:
„Dresden“. Seemann Leipzig, 1909; „Professor „Nachrichten von allen in Dresden lebenden
Johann Eleazar Zeissig, genannt Schenau“ Künstlern“. 1788; Pauline Gräfin von Spee:
(www.kirchegrossschoenau.de); Kai Wen „Die Klassizistische Porzellanplastik der
zel: „Zeissig, Johann Eleazar, gen. Schenau Meissener Manufaktur von 1764 bis 1815“.
(Schönau)“. Sächsische Biografie, hrsg. vom Dissertation, Bonn 2004; Neue Bibliothek der
Institut für Sächsische Geschichte und Volks schönen Wissenschaften und freyen Künste.
kunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky; Bd. 27,1, 1782; gw.geneanet.org; Barbara
Adressbücher der Stadt Dresden; Staatliche Marx, Christoph Oliver Mayer: „Akademie
Kunstsammlungen Dresden: „Gemäldegalerie und/oder Autonomie: akademische Diskurse
Dresden Alte Meister“. 20. Aufl., 1978; Margrit vom 16. bis 18. Jahrhundert“. Peter Lang, 2009
403
Frank Fiedler, 1944 gezeichnet von seinem Vater.
404
Autobiografische Retrospektive von Frank Fiedler
Lehrer a. D., Heimatforscher
*29.11.1930 Dresden
405
bekannten Architekten und späteren heit gestaltet. So befand sich beidsei
Dozenten an der Hochschule für Bil tig alter Baumbestand der natürlichen
dende Künste, und dessen jüdischer Hartholzaue mit vorwiegend ein
Ehefrau Fanny. Ich wurde dadurch heimischen Baumarten (Spitzahorn,
schon frühzeitig mit den politischen Ulme, Hainbuche, Esche). Diese
Konflikten der Nazizeit konfrontiert. naturnahe Gartengestaltung wurde
Weil mein Onkel lieber ins Arbeitsla später zum Vorbild, um im eigenen
ger ging, als sich scheiden zu lassen, Garten Lebensräume für Wildbienen
und mein 1945 an der TH Dresden (regelmäßige Bruten), Bergmolche
beschäftigter Vater Ausweisdokumen (regelmäßig anwesend), Haselmäuse
te fälschte, überlebte meine Tante als (zeitweise anwesend), verschiedene
eine der wenigen jüdischen deutschen Vogelarten (z. B. die regelmäßigen
Mitbürger den Holocaust in Dres Bruten der Tannenmeise im Laub
den. Zu den Hausbewohnern jener holzbestand) und seit einigen Jahren
Zeit zählte auch Götz Heidelberg, besonders erfolgreich für die Wald
später maßgeblicher Erfinder der eidechse zu schaffen.
TransrapidTechnik. Hauseigentümer
waren Avenarius‘ Stiefsohn Wolf Nachdem ich frühzeitig die Mutter
gang Schumann und dessen Ehefrau verloren hatte, verließ ich das Gymna
Eva. Sie lebten während der Nazizeit sium und bewarb mich um eine Aus
zeitweise im Exil; Eva Schumann bildung zum Neulehrer. Um meine
wurde in der DDR zur Ehrenbürgerin Chancen trotz des jugendlichen Alters
von Freital ernannt. Unser Wohnhaus zu erhöhen, trat ich auch der SED bei.
fiel den Bombenangriffen des 13./14. Dabei spielte zudem eine Rolle, dass
Februar 1945 zum Opfer. Wir hatten in der Familie zunächst eine durchaus
jedoch Glück im Unglück, überlebten positive Einstellung zum Sozialismus
vollzählig und fanden Aufnahme in bestand. Mein Vater, ein ehemali
Eichbusch, der Heimat meines Vaters. ges SPDMitglied und zeitweilig als
FranzösischDolmetscher in einem
Mein lebenslanges Interesse an gewäs Kriegsgefangenenlager eingesetzt,
serkundlichen Themen geht auf jene hatte mir eindringlich von den
Kindheitstage in Blasewitz zurück. Verbrechen der Nazis berichtet. Es
Meinem Vater und dem im Haus war meinem Vater zu jener Zeit noch
wohnenden Oberlehrer i. R. Minkert nicht möglich, in der zunehmenden
verdankte ich vielfältige Anregungen, „Kaltstellung“ als künstlerischer
mich mit der Natur, z. B. der Fauna Mitarbeiter der SEDLandesleitung
der nahen Elbe, zu beschäftigen. Der zugunsten eines Gegenspielers aus
Garten des Blasewitzer Wohnhauses der ehemaligen KPD das kommende
war ganz im Sinne der vom Dürer System zu durchschauen.
bund propagierten Naturverbunden
406
Unmittelbar nach dem Krieg hatte Lehrer für Biologie und Sport in Stei
ich begonnen, mich für Fossilien zu nigtwolmsdorf (1950). In Großdreb
interessieren. Aus dieser Zeit stamm nitz (ab 1952) lernte ich meine spätere
ten ca. 10 Fundstücke aus der Kreide Frau kennen. In dieser Zeit legte ich
des Rathsteinbruches bei Freital, auch das Staatsexamen im Fernstu
darunter eine große Austernschale dium ab. Es folgten Anstellungen an
und ein Stein mit mehreren Seeigel verschiedenen Schulen Bischofswer
stacheln. Für die Examensarbeit von das (ab 1961) und zeitweise in Burkau
1957 entstand eine Sammlung von (1969–1973). Aus gesundheitlichen
Samen tertiärer Laubgehölze vom Gründen (wegen zwei Hüftoperati
Hasenberg bei Wiesa. Zusammen onen) schied ich 1991 vorzeitig aus
mit ca. 8 großen Stücken aus dem dem Schuldienst aus.
Karbon von ZwickauOelsnitz, einem
Geschenk des dortigen Steigers Kurt Außerhalb des Schulunterrichts leitete
Beier, der Examensarbeit und ei ich verschiedene SchülerArbeits
ner Sammlung wertvoller Literatur gemeinschaften zu Biologie, Natur
(darunter Bestimmungsbücher: „Die schutz und Landeskultur. Weniger
Laubgehölze der Braunkohlezeit“, ein erfreulich entwickelten sich die poli
Buch der UraniaReihe zu den Fossili tischen Umstände. Als Klassenlehrer
en der Schreibkreide von Rügen und versuchte ich, insbesondere christlich
ein antiquarisches Bestimmungsbuch gebundene Schüler, die sich aus Glau
zu versteinerten Mollusken) habe ich bensgründen dem System nicht völlig
diese Fundstücke Anfang der 1990er unterordnen wollten (z. B. Teilnahme
Jahre dem Museum der Westlausitz an der Jugendweihe), vor Schikanen
Kamenz (z. Hd. Ursula Rathner) als zu bewahren. Als Sportlehrer kam ich
Geschenk übergeben. von 1971 bis 1973 sowie von 1978 bis
1986 als Rettungsschwimmer Stufe
I zum Einsatz. Auch nach meinem
Ruhestand war ich gerne behilflich,
wenn sich Schüler im Rahmen ihrer
Belegarbeiten mit Fragen zu natur
kundlichen Themen an mich wand
ten.
407
ich von 1953 bis 1961 Leichtathle Auch wenn das besondere Interesse
tik und war v. a. im Speerwurf im der Gewässerfauna gilt, entstanden
Raum Ostsachsen relativ erfolgreich. zudem Publikationen zu Beobachtun
Zwischen 1957 und 1967 spielte ich gen auf anderen Gebieten der heimi
in Bischofswerda aktiv Handball, schen Fauna, v. a. der Ornithologie,
von 1972 bis 1986 stellte ich mich als sowie botanische Nachweise. 1994
ehrenamtlicher Übungsleiter dem verlieh mir der Landkreis Bischofs
Bischofswerdaer Handballnachwuchs werda anlässlich dessen Vereinigung
zur Verfügung. mit dem Landkreis Bautzen eine
Silberne Gedenkmünze für Verdiens
Nach dem Umzug in die Oberlausitz te um den Naturschutz. Viele meiner
hatte sich bei mir eine innige Ver Arbeiten wurden in Bibliografien der
bundenheit zur hiesigen Heide und Sächsischen Landes und Universi
Teichlandschaft entwickelt. Sowohl tätsbibliothek Dresden, des Muse
Gerhard Creutz (schon seit dessen ums für Tierkunde Dresden und der
Dresdner Zeit), mit dem ich zur Senckenbergischen Naturforschenden
Thematik Fischotter zusammenge Gesellschaft Görlitz übernommen.
arbeitet habe, als auch Gottfried Besonders die Arbeiten zum Fisch
Unterdörfer zählte ich zu meinen otter fanden auch außerhalb Sach
Bekannten. Meine biologischen sens Beachtung, wie verschiedene
Arbeiten beziehen sich schwerpunkt Anfragen aus dem In und Ausland
mäßig – direkt oder indirekt – auf die sowie die Bitte um Unterstützung bei
Gewässerfauna. Beobachtungen in Arbeiten zu einer Promotion an der
der Natur und historische Recherchen Universität NürnbergErlangen (Lia
werden ergänzt durch Erfahrungen, na Geidezis) zeigen.
die ich als Angler, Aquarianer und
langjähriger UTPLehrer („Unter Die heimatgeschichtlichen Arbei
richtstag in der Produktion“) in der ten sind vorwiegend historischen
landwirtschaftlichen Variante sowie Persönlichkeiten aus dem Raum
als nebenberufliche Aushilfskraft in Bischofswerda gewidmet, vor allem
der Binnenfischerei von Kleindrebnitz aus dem heutigen Ortsteil Großdreb
sammeln konnte. In den Jahren 1972 nitz, wohin ich auch nach meinem
und 1984 beteiligte ich mich an der beruflichen Weggang noch lange
„Aktion Fischotter“ der MartinLu enge familiäre und freundschaftliche
therUniversität Halle unter Feder Bindungen besaß. Es gelang mir mit
führung von Professor Michael Stub einer Arbeit aus dem Jahre 1990, die
be. Bis 1989 war ich als langjähriges Verdienste des bereits in Vergessen
Mitglied im Kreisvorstand Bischofs heit geratenen Kirchschullehrers und
werda des Deutschen Anglerverban Heimatforschers Bruno Barthel
des zuständig für Kultur und Bildung. wieder in das Bewusstsein des Dorfes
408
Viele meiner heimatgeschichtlichen Arbeiten zu Großdrebnitz betrafen die
hiesigen Pfarrer (Richard Garbe, Carl Julius Marloth) bzw. Kirch-
schullehrer (Bruno Barthel, Willy Sorber). Der langjährige Pfarrer von
Großdrebnitz Sebastian Führer gewährte mir dafür stete Hilfe.
409
zu rücken. Als Beitrag zu einer aus Roland Paeßler angemessene Berück
gewogenen Erinnerung an verdienst sichtigung fanden. Die Sichtung und
volle Großdrebnitzer Persönlichkei Sicherung des Nachlasses meines
ten entstanden in den Folgejahren Vaters, Kurt Fiedler, gehört aktuell
Arbeiten für die Sächsische Biografie zu meinen wichtigsten Aufgaben.
zu dem Agrarwissenschaftler Bruno So habe ich dem Museum in Niesky
Steglich und dem Pfarrer Richard Werbegrafiken für die Fa. Christoph
Garbe. Viele weitere Arbeiten zur & Unmack übergeben. Über seine Ar
Heimatkunde von Bischofswerda und beiten für den WaarenEinkaufsverein
Umgebung betrafen Biografien von Görlitz wurde im Stadtwiki Dresden
verdienstvollen Natur und Heimat berichtet. Die Spur meiner Vorfah
forschern wie Wilhelm Winkler, Ernst ren konnte ich bis in die Oberlausitz
Emil Wustmann, Johannes Weber, zurückverfolgen. Mein Ururgroßvater
August Leppelt und HansWerner Karl Traugott Johne war Zimmer
Otto, aber auch solche Themen wie mann und stammte aus Rammenau,
die Stieleichen des Lutherparks mit ein anderer Zweig reicht demnach bis
ihren in der Stadtgeschichte Bi zur Familie Klippel aus Sohland.
schofswerdas teilweise ignorierten
Beziehungen zur früheren teichwirt
schaftlichen Nutzung sowie die Gar
tenanlage „Am Hunger“. Umfassend
wurde die historische Entwicklung
von Nutzung und Fauna dieses außer
gewöhnlichen Gartenareals im Süden
der Stadt dargestellt. Im Rahmen
einer neu aufgelegten heimatkund
lichen Schriftenreihe habe ich mich
zudem bemüht, dass der Stadtchro
nist des 20. Jahrhunderts Johannes Erholung finden meine Frau und ich
Weber und der Heimatforscher in unserem Garten „Am Hunger“.
Bibliografie
„Die Fische des Kreises Bischofswerda“, Bischofswerdaer Land 4, S. 36–42, 1986*
„Beobachtungen des Baumfalken“, Der Falke, Heft 8, S. 272–273, 1986
„Der Fischotter, Lutra lutra L., im Kreis Bischofswerda“, Bischofswerdaer Land 5, S. 41–48,
1987
„Bemerkenswerte Gehölze in Bischofswerda, Die Stieleichen des Lutherparkes“, Bischofswer
daer Land 6, S. 78–82, 1988 (seitens Herausgeber vertauschte Werte in Tabelle)
„Erfahrungen mit Otocinclus spec.“, Aquarien Terrarien, Heft 6, S. 194–197, 1988
„Der Sperber im Neubaugebiet BischofswerdaSüd“, Der Falke, Heft 4, S. 123–124, 1989
„Ehregott Bruno Barthel: Lehrer, Kantor und Heimatforscher“, Bischofswerdaer Land 8, S.
97–98, 1990
*durch Hrsg. verschuldete, sinnentstellende Vertauschung von Passagen zu Gründling u. Döbel
410
„Wasserqualität im Aquarium – Erfahrungen mit mehreren Arten tropischer Zierfische“,
Aquarien Terrarien, Heft 2, S. 65–66, 1990
„Zum Rückgang des Fischotters in Sachsen in den Jahren 1884–1919 – Berichte in den
Schriften des Sächsischen FischereiVereins“, Abh. Ber. Naturkundemus. Görlitz, Bd. 64, Nr.
10, 1990
„Beobachtungen an Querungen von Otterwechseln mit Verkehrswegen im Landkreis Bi
schofswerda“, Veröffentlichungen Museum der Westlausitz 16, Kamenz, S. 60–66, 1992
„Zum Vorkommen des Fischotters im Landkreis Bischofswerda“, Ber. Naturforsch. Gesell
schaft Oberlausitz, Görlitz, H. 2, S. 35–39, 1993
„Zur Fischotterbekämpfung in Sachsen bis zum Jahr 1920“, Sächsische Heimatblätter 5, S.
304–308, 1993
& O. Zinke: „Beobachtungen zu Biologie und Verhalten des Fischotters, Lutra lutra L“, Veröf
fentlichungen Museum der Westlausitz 17, Kamenz, S. 66–77, 1993
„Abriß der historischen Verbreitung bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts“, Freistaat Sachsen,
Landesamt für Umwelt und Geologie, Artenschutzprogramm Fischotter, S. 7–9, 1996
„Historische Teichwirtschaft im Raum Bischofswerda“, Zwischen Wesenitz und Löbauer
Wasser 3, S. 41–49, 1998
„Zeugnisse früherer wirtschaftlicher Tätigkeit am Laufe des Weickersdorfer Wassers“, Zwi
schen Wesenitz und Löbauer Wasser 4, S. 3–7, 1999
„Das Jahr 1900 in den Gemeinden Groß und Kleindrebnitz“, Zwischen Wesenitz und Lö
bauer Wasser 5, S. 52–58, 2000
& H.W. Otto: „Der Hunger im Süden der Stadt Bischofswerda, einst und jetzt“, Zwischen
Wesenitz und Löbauer Wasser 6, S. 69–80, 2001
„Zu den Veränderungen der Fischfauna in der ehemaligen Äschenregion der Wesenitz
(1591–1989)“, Sächsische Heimatblätter 2, Klaus Gumnior Chemnitz, S. 127–133, 2003
& M. Hüsni: „Regierungsrat Prof. Dr. Bruno Steglich (1857–1929) – ein bedeutender Wissen
schaftler Sachsens“, Sächsische Heimatblätter 2, Klaus Gumnior Chemnitz, S. 176–180, 2004
& H.W. Otto: „Ernst Emil Wustmann (1864–1923). Ein Bischofswerdaer Lehrer erforschte
die „niedere“ Tier und Pflanzenwelt von Bischofswerda“, Veröffentlichungen Museum der
Westlausitz 25, Kamenz, S. 41–50, 2004
„Zu Biologie und Verhalten ausgewählter Fischarten in den SteinbruchRestgewässern des
Klosterberggebietes bei DemitzThumitz“, NABU Landesverband Sachsen e.V.: Jahresschrift
für Feldherpetologie und Ichthyofaunistik in Sachsen, H. 8, S. 100–111, 2006
„Johannes Weber zum 100. Geburtstag – Ein bedeutender Chronist Bischofswerdas“, Schie
bocker Landstreicher, Nr. 1, S. 9–10, Burkau 2006
„Erinnerungen an die historische Verbreitung des Wolfes in der Umgebung von Bischofswer
da“, Schiebocker Landstreicher, Nr. 1, S. 44–48, Burkau 2006
„August Leppelt – Ein Wegbereiter naturkundlicher Heimatforschung nach dem 2. Welt
krieg“, Schiebocker Landstreicher, Nr. 2, S. 43–46, Burkau 2007
„Seltenes altes Ackergerät aus dem ehemaligen Erbrichtergut Belmsdorf “, Schiebocker Land
streicher, Nr. 2, S. 55–56, Burkau 2007
„Zum 75. Geburtstag von HansWerner Otto“, Schiebocker Landstreicher, Nr. 3, S. 17–20,
Burkau 2008
„Naturerlebnisse auf den Spuren des Dichterförsters Gottfried Unterdörfer“, Schiebocker
Landstreicher, Nr. 3, S. 73–78, Burkau 2008 (seitens Hrsg. Fehler in Überschrift, Bild, Tabelle)
& U. Fiedler: „Zwischen Dürerbund und Kulturbund – Aus dem Leben des Dresdner
Grafikers Kurt Fiedler“, Sächsische Heimatblätter, Jg. 55, 1/09, Klaus Gumnior Chemnitz, S.
10–18, 2009
„Zum Salzfuhrwesen in Großdrebnitz in den Lebenserinnerungen von Prof. B. Steglich“,
Schiebocker Landstreicher, Nr. 4, S. 55–56, Burkau 2009
„Erfahrungen mit der Waldeidechse (Zootoca vivipara (JACQUIN, 1787)) in einem Garten
gelände im Süden der Stadt Bischofswerda“, NABU Landesverband Sachsen e.V.: Jahresschrift
für Feldherpetologie und Ichthyofaunistik in Sachsen, H. 11, S. 11–17, Leipzig 2009
„Beobachtungen zum Verhalten der Waldeidechsen (Zootoca vivipara (JACQUIN, 1787))
in einem Gartengelände und Maßnahmen zu ihrem Schutz“, NABU Landesverband Sachsen
e.V.: Jahresschrift für Feldherpetologie und Ichthyofaunistik in Sachsen H. 14, S. 24–29,
Leipzig 2012
411
Weitere Quellen
(sofern nicht in den Artikeln aufgeführt)
412
Max Ludwig Derlitzki (1889–1958)“. IAMO, ASM News, 58: 425–428, 1992; MarieAgnes
Institut für Agrarentwicklung in Mittel und Möbius, Mitteilungen; Peter G. Hesse: „Wal
Osteuropa, Discussion Paper No. 58, 2004; ther Hesse“. Neue Deutsche Biographie, Bd. 9,
Christa Ladusch: Hochkircher Kulturnach Duncker & Humblodt Berlin, S. 22–23; Uni
richten, April 2000 und August 2001; Theophil versity of Wisconsin, Madison – Microbiology
Gerber: „Persönlichkeiten aus Land und Textbook; Adressbücher der Stadt Dresden,
Forstwirtschaft, Gartenbau und Veterinär 1904, 1931, 1936; Hubertus Averbeck: „Von
medizin“. Bd. 1, NORA Verlagsgemeinschaft der Kaltwasserkur bis zur physikalischen The
Dyck & Westerheide, S. 129–130, 2004; rapie“. Books on Demand, 2013; „Lebenslauf
Wolfgang Böhm: „Biographisches Handbuch von Medicinalrath Dr. Friedrich Wilhelm Hes
zur Geschichte des Pflanzenbaus“. K.G. Saur se, von ihm selbst erzählt“, Autobiographie,
München, S. 48–49, 1997; Roland Paeßler: gedr. 1899, C. Rich, Gärtner´sche Buchdru
persönliche Mitteilungen, 2.8.2007; fami ckerei Dresden
lytreemaker.genealogy.com; cataloguspro
fessorumhalensis; Schöne: „Die Sächsische
Stöckhardt, Johann Heinrich
Landwirtschaft“. 1925
Reinhold Grünberg: „Sächsisches Pfarrerbuch.
Gnauck, Ernst Die Parochien und Pfarrer der Ev.luth.
Landeskirche Sachsens (1539–1939)“. Ver
Gemeindebuch KleinDrebnitz, Protokolle der lagsanstalt Ernst Mauckisch Freiberg, 1940;
Gemeinderatssitzungen 10.2.1887–22.3.1919; Christian Gottlob Lorenz: „Grimmenser
Bruno Barthel: „Die Stolpener Amtsteiche Album: Verzeichniss sämmtlicher Schüler der
und das Vorwerk Kleindrebnitz“. In: Unsere königlichen Landesschule zu Grimma von
Heimat, Beilage zum Sächsischen Erzähler, ihrer Eröffnung bis zur dritten Jubelfeier,“.
5./12.3.1922; Roland Paeßler: „Die Gnauck’s Verl.Comptoir, 1850; The Church of Jesus
in Goldbach und Weickersdorf “. Manuskript, Christ of Latterday Saints; Konrad Händel:
1977; Roland Paeßler: „Nachkommen des „Die Vorfahren der Geschwister Paul, Elisa
Bauern und Salzfuhrmanns Martin Gnauck“. beth, Margarete und Johanna Händel, Nach
Manuskript, 1989; Roland Paeßler: „Her dem Forschungsstande vom 1. Mai 1939“. In
kunft und Verbreitung der Familie Gnauck“. Auszügen neu herausgegeben und mit einer
Manuskript, 26.3.2001; Bruno Barthel: Einleitung und Ergänzungen versehen von
Tagebuch „Erlebtes und Gesammeltes“; Bruno Bernhard Pabst, 2. Aufl. Berlin 2008; „Putz
Steglich: „Bericht über die neunte Braugers kau feiert den 300 Jahre alten Kirchturm“.
ten Ausstellung in Dresden“. Mittheilungen Sächsische Zeitung, Bischofswerda und
Oekonomische Gesellschaft im Königreiche Umgebung, 22.6.2007, S. 17; Willy Richter:
Sachsen, Ausgaben 811, S. xxviii; Hans von „Die Matrikel der Kreuzschule: Gymnasium
Polenz: „Als noch die Milchzüge fuhren ...“. zum Heiligen Kreuz in Dresden“. Teile 1–3,
In: Oberlausitzer Hausbuch, 2010, S. 63–65; Bd. 17 von Genealogie und Landesgeschichte,
Datenbank der Kirche Jesu Christi der Heili Verlag Degener, 1967; Bernd John: „Aus der
gen der Letzten Tage; Mitteilungen des Stadt Geschichte der Putzkauer Kirche“. In: Wer
archivs Bischofswerda und der Christuskirche begemeinschaft Bischofswerda e.V. (Hrsg.),
Bischofswerda (zum Kirchenbuch Goldbach) Bischofswerda 2009, Blatt März; Pfarrer i.R.
Friedrich August Lange: „Unser Putzkau“. In:
Heimatstimmen, 1927; Thomas Schaffhirt,
Hesse, Walther
Potsdam, Mitteilungen 2011; Ernst Theodor
Stoeckhardt; „Stammtafel der Familie Stoeck
Wolfgang Hesse: „Walther and Angelina
hardt, Putzkauer und Lauterbacher Zweig“.
Hesse – Early Contributors to Bacteriology“.
Wagner Weimar, 1883
413
Abbildungsverzeichnis
Seiten
Foto Uwe Fiedler 19, 33, 42, 46, 51, 57, 66 o, 69–70, 76, 90,
100u–104, 106, 116, 120–121, 127, 151, 163,
166, 170, 173, 176, 178, 186, 189–190, 224r,
226, 236, 239, 242, 250, 262, 265, 269, 279,
281–282, 285 l, 286–287, 289, 293, 298, 328,
334, 346 o, 357, 358u, 360, 362, 367, 370 l,ru,
372–376, 399, 407, 409
Grafik Uwe Fiedler 114–115, 323, 353; Montage, Vorlagen PD: 22,
300
Bildarchiv Frank Fiedler 16, 21, 66u, 92, 98 o, 107–113, 123ru, 153,
194–195, 198, 209, 228, 233, 237, 264, 283,
285r, 292 o, 308, 311 o, 315 l,ro, 324, 343,
346u–347, 354, 358 o, 359, 361, 363, 370 ro,
384, 387, 396, 405, 410, 419, 421, 423
Kurt Fiedler 2, 404
414
John Moser 24, 26, 34, 36, 40 o
Metropolitan Museum of Art New York 402
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 154
Niederrheinische MusikZeitung 149
Dr. Rudolf Otto (†) 128
Roland Paeßler (†) 93, 222, 337, 351, 418
Österreichische Nationalbibliothek Wien 88, 266
Sachsens KirchenGalerie f. 177, 211, 251
Sächsischer Erzähler 260
Wilfried Schmid 325
Schriften des Verbandes landwirtschaftlicher 208
VersuchsStationen
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig 138
Stadtarchiv Bischofswerda 218, 221
Staatliche Museen zu Berlin 8
Karin Stöckhardt 338
Universitätsbibliothek Trier 425
University of Michigan 321
Burkhard Unterdörfer 368
www.kirchbau.de 389
Wikimedia Commons, Flickr (ccLizenz) 11–12 o, 31, 41, 53, 87, 100 o, 118, 124, 126,
231, 296–297, 366, 400r, 407
Wikimedia Commons/ Wikipedia/ Wikisour 12u, 15 l, 20, 39, 48, 54, 56, 62, 96, 98u, 100 o,
ce (gemeinfrei) 119, 130–131, 156, 169, 182, 193, 199, 214, 225
l, 240, 252, 255, 258–259, 276, 290, 292u, 327,
330, 356, 380, 384, 386, 392, 394–395, 397,
400 l, 426
Gemeinfrei aus öffentlichen Quellen (books. 14, 30, 35, 47, 58, 61, 65, 67, 99, 149, 216, 227,
google.com, archive.org, hathitrust.org) 301, 340, 349, 361, 363, 365, 382, 384, 386,
390, 398, 401 l
zeno.org 81, 94, 105, 123 lo, 148, 217, 244, 253, 280,
299, 365, 382, 388
415
1872 bis 1873 das Annenrealgym Volksschule und danach drei Jahre
nasium in Dresden und bis 1879 das im benachbarten Braunau (Broumov)
Kreuzgymnasium unter Friedrich die Bürgerschule. Erst 1936 erhielt er
Hultsch. Nach Ableistung der Militär eine Lehrstelle in einer Kunstlederfa
pflicht studierte er Geschichte, Geo brik, zwei Jahre später erlebte er den
graphie und alte Sprachen von 1881 Einmarsch der Soldaten Hitlers. 1939
bis 1882 in Tübingen und danach in wurde Leppelt selbst eingezogen.
Leipzig. 1887 wurde er als Probeleh
rer am Wettiner Gymnasium in Dres Im Sommer 1945 kam er aus ameri
den unter dem Rektor Otto Meltzer kanischer Kriegsgefangenschaft frei.
angestellt, wo er bis 1891 Geschichte Er hielt sich kurze Zeit in Sohland auf
und Geographie unterrichtete. Nach und besuchte 1946 in Bautzen einen
einer kurzen Tätigkeit als Vikar an Neulehrerlehrgang. Arbeitsorte waren
der Realschule Plauen ging er 1892 ab 1946 die Lutherschule Bautzen,
als Lehrer an die Realschule Leisnig. ab 1948 die Grundschule Bischofs
Gnauck war Vorstandsmitglied im werda und ab 1949 die Grundschule
Geschichts und Altertumsverein Schmölln. Ab 1949 leitete er eine Ar
Leisnig, dessen Archiv aus seinem beitsgemeinschaft der Jungen Natur
Nachlass eine wertvolle Sammlung forscher, die über einen Zeitraum von
alter Landkarten, Chroniken, Porträts mehr als 30 Jahren Bestand hatte. Im
und Städtebilder als „Gnaucksamm mer neue Teilnehmer pflanzten und
lung“ übernahm. Sein bekanntestes pflegten Wald und Obstbäume. Die
Werk war „Odorich von Pordenone, Pappeln am Sportplatz und die Obst
ein Orientreisender des 14. Jahrhun anlage am Mühlteich in Schmölln
derts“ (1895). Mit der Königlichen erinnern daran. Leppelt, der selbst die
Bibliothek in Dresden (vgl. Hermann Schmetterlingsfauna erforschte, leitete
Arthur Lier) stand er langjährig in zudem junge Imker oder allgemein
brieflichem Kontakt. an Insekten interessierte an. Jährlich
führte er mit wenigen eingearbei
Leppelt, August teten Helfern gemeinsam für die
* 29.10.1919 in Heinzendorf (Hynčice) Schulen Schmölln, Rothnaußlitz und
† 26.09.1988 in Bischofswerda DemitzThumitz in den Sommerferi
en naturkundliche Spezialistenlager
Leppelts Kindheit war überschattet durch, meist in Commerau bei Klix.
von wirtschaftlichen Schwierigkeiten Zeitweise nahmen daran auch Schü
wegen der mehrjährigen Arbeits ler und Lehrer aus anderen Schulen
losigkeit des Vaters als Folge der teil, beispielsweise Frank Fiedler aus
Weltwirtschaftskrise und dessen Bischofswerda. 1958 wurde Leppelt
frühzeitigem Tod. Der Sohn besuchte als pädagogischer Mitarbeiter an die
an seinem Heimatort fünf Jahre die Station Junger Naturforscher und
416
Techniker in Bischofswerda versetzt, brachte den Beweis, dass dort der
am 1. Januar 1962 übernahm er die Wechsel von Ottern zwischen dem
Leitung der Station. 1970 kehrte er an Horkaer Teich (Bischofswerda) und
die Schmöllner Schule zurück. dem Silberwasser (Kynitzsch) verlief.
Dabei handelt es sich um einen der
Nach Ausbildung und Prüfung bei seltenen bekannten Landwechsel,
Gerhard Creutz in Neschwitz die große Gewässersysteme über die
begann Leppelt 1960 mit der Vogel Wasserscheide verbinden: Wesenitz
beringung. Seine Beringungsliste (Horkaer Teich) und Schwarze Elster
weist 262 Einträge auf, darunter (Silberwasser). Im Jahr 1979 erlitt
Gebirgsstelze, Drosselrohrsänger, Leppelt während des Schulunterrichts
Gartengrasmücke, Gartenrotschwanz, einen Infarkt und musste invalidisiert
Heckenbraunelle, Sumpfmeise, werden. Soweit es ihm gesundheitlich
Teichrohrsänger, Trauerfliegen möglich war, unterstützte er trotzdem
schnäpper und ein Kuckuck. In seiner auch weiterhin SchülerArbeitsge
Wirkungszeit hatte der Niedergang meinschaften.
der Fischotterpopulation in fast ganz
Europa ein bedrohliches Ausmaß Literatur
erreicht. In der DDR stand die Art Frank Fiedler: „August Leppelt – Ein
unmittelbar vor dem Aussterben. Im Wegbereiter naturkundlicher Heimat
Jahr 1969 erhielt Leppelt Kenntnis forschung nach dem 2. Weltkrieg“. M.
vom Verkehrstod eines Otters bei Hüsni, A. Mikus (Hrsg.), Schiebocker
Großharthau. Er erreichte, dass das Landstreicher, H. 2, Burkau 2007, S.
davon gefertigte Standpräparat an das 43–46
Museum in Schmölln kam. Es handel
te sich um den ersten nachgewiesenen Paeßler, Roland
Verlust eines Otters in der Umgebung * 28.02.1928 in Belmsdorf
von Bischofswerda nach rund 50 † 23.01.2016 in Bühlau
Jahren. Dieser Totfund erregte auch
dank Gerhard Creutz in der Fach Paeßler stammte aus dem Erbrichter
welt beträchtliche Aufmerksamkeit und Freigut Belmsdorf. Nach 1945
(irrtümliche Datierung 1971). Einige war er als Landwirtschaftslehrer und
Jahre später konnte Leppelt selbst den selbstständiger Landwirt tätig. Zwi
Fund eines solchen Verkehrsopfers schenzeitlich floh er in die Bundesre
sichern. Am 7. August 1985 wurde ein publik. Nach einem Fernstudium an
männlicher Otter von 106 cm Länge der Universität Leipzig von 1959 bis
und einem Gewicht von 9 kg östlich 1964 bei Kurt Rauhe leitete Paeßler
der Ortsverbindungsstraße Bischofs genossenschaftliche Landwirtschafts
werdaSchmölln gefunden. Systemati betriebe. Von 1970 bis 1990 vertrat
sche Spurensuche durch Frank Fiedler er die Demokratische Bauernpartei
417
Spuren unserer Vorfahren. Der
Heimatforscher Roland Paeßler feiert
am 28. Februar seinen 75. Geburts
tag“. Wochenkurier, Bischofswerda,
26.02.2003, S. 1
Frank Fiedler: „Seltenes altes Acker
gerät aus dem ehemaligen Erbrichter
gut Belmsdorf “. M. Hüsni, A. Mikus
(Hrsg.), Schiebocker Landstreicher,
H. 2, Burkau 2007, S. 55–56
Erbrichtergut Belmsdorf. Roland Paeßler: „Die Erbrichter in
der Umgebung von Bischofswerda“.
Deutschlands als Kreistagsabge Mathias Hüsni (Hrsg.), Schiebocker
ordneter. Paeßler war Mitglied der Landstreicher, H. 3, Burkau 2008, S.
Kreisfachgruppe Heimatgeschichte 8–16, zusammengestellt und bearbei
/ Ortschronik Bischofswerda und tet von Dr. Uwe Fiedler
1981 Gründungsvorsitzender der Roland Paeßler: „Der Salzhandel und
Gesellschaft für Heimatgeschichte des das Salzfuhrwesen im ehemals Stol
Kreises Bischofswerda. Bei der Erar pener Gebiet“. Mathias Hüsni (Hrsg.),
beitung der Sächsischen Verfassung Schiebocker Landstreicher, H. 4,
von 1992 war sein Rat gefragt. Paeßler Burkau 2009, S. 52–55
schuf wichtige heimatkundliche
Arbeiten zur Geschichte der Ritter Familie
güter, zur deutschen Ostsiedlung, Roland Paeßler war ein Nachfahre
zur sächsischen Schafzucht und zu von Johann Gottfried Nake in der
den Freimaurern, mehrere Ortschro 5. Generation; 1. Generation: dessen
niken und Beiträge zur Sächsischen Tochter Auguste Wilhelmine Nake,
Biografie, beispielsweise zu Johann verheiratet mit Ernst Traugott von
Gottfried Nake, sowie Ahnenta Zenker (Rittergutsbesitzer auf Stei
feln, z. B. zu den Familien Steglich nigtwolmsdorf und Ringenhain); 2.
und Gnauck und zum Ahnenverbund Generation: Alwine Constanze von
lokaler Erbrichterfamilien mit dem Zenker, verheiratet mit Carl Bern
Philosophen Johann Gottlieb Fichte hard Paeßler (Sohn des Bautzener
und der Großindustriellenfamilie Schlossapothekers Eduard Paeßler,
Bayer. Paeßler erhielt für besondere Verwalter des Familienguts Schmölln,
Verdienste um den Landkreis Bautzen Gutsbesitzer in Belmsdorf, Bezirks
das Ehrenzeichen in Silber. Friedensrichter, 24 Jahre Mitglied des
sächsischen Landtags, Mitglied der
Literatur Oberlausitzischen Gesellschaft der
Ina Riedel, Frank Fiedler: „Auf den Wissenschaften, Auszeichnung mit
418
dem Albrechtsorden 1. Klasse); 3. mit dem er auch Operetten aufführte.
Generation: Carl Paeßler (Freigutsbe Mit Schulkindern wurden Singspiele
sitzer in Belmsdorf); 4. Generation: aufgeführt. Sorber war zwar Mitglied
Carl Ernst Paeßler (Gutsbesitzer in der NSDAP, ging jedoch zum Regime
Belmsdorf) zunehmend auf Distanz. Deshalb
wurde er 1937 zunächst für ein halbes
Sorber, Willy Jahr suspendiert. Schon während
* 07.09.1884 in Hohnstein seiner Zeit als Direktor hatte Sorber
† 1954 in Großdrebnitz sich an der Großdrebnitzer Ortsge
schichtsschreibung beteiligt. Aller
Sorber besuchte das Königliche dings konnte er bei den Nazis nicht
Lehrerseminar in Pirna. Nach einer publizieren. Erste Vorarbeiten für eine
Anstellung als Hilfslehrer wurde er neue Dorfchronik veröffentlichte der
1910 Lehrer in Gaußig, 1921 wechsel mit Sorber verbundene und ebenfalls
te er nach Neukirch. Die Erfahrungen nazikritische Pfarrer Richard Garbe
der Inflation prägten ihn nachhaltig. 1938. Ein Jahr später erhielt Bürger
In Großdrebnitz engagierte er sich meister Otto Heinrich den Auftrag,
ab Oktober 1923 als Schulleiter und eine Dorfchronik im nationalsozialis
Kantor für soziale und kulturelle tischen Sinne nach der Anleitung des
Belange. Unter seiner Leitung erhielt „Dorfbuches“ anfertigen zu lassen. Er
die Schule eine moderne Wasserver führte dieses Vorhaben jedoch nicht
sorgung und er leitete den Männer aus. Heinrich hatte die Verbindungen
chor, später den gemischten Chor, zu den in Ungnade gefallenen Sorber
Willy Sorber (links) mit Großdrebnitzer Schülern 1927 auf dem Valtenberg.
Vierte Schülerin von links in der hinteren Reihe ist Luise Gnauck, eine En-
kelin von Ernst Gnauck.
419
und Garbe nicht abreißen lassen. Es entstand eine umfangreiche Über
Es ist zu vermuten, dass der 1939 sicht über die Geschichte der Erbhöfe
im „Sächsischen Erzähler“ anonym des Dorfes. Heinrich schrieb seine
erschienene Beitrag „Das Drebnitzer Chronik schließlich erst nach dem
Schulhaus erzählt“ auf Sorber zurück Tod Sorbers und bedauerte, dass die
geht. ser sein Werk nicht mehr hatte vollen
den können, da er dafür viel besser
Auf Sorbers Strafversetzung nach geeignet gewesen wäre als Heinrich
Sacka folgte eine Verkettung tragi selbst. Sorbers Arbeiten sind durch
scher Ereignisse. Erst verlor er seine ein Missgeschick in der Familie bis
Frau. Als sich von einer Gruppe auf eine Notizensammlung verloren
Schüler mehrere Kinder unerlaubt gegangen. Der Wert seines heimatge
entfernten, kam zu einem tödlichen schichtlichen Schaffens misst sich so
Unfall. Ohne dass Sorber unmittelba v. a. im Einfluss, den er auf Garbe und
re Schuld trug, war er jedoch verant Heinrich hatte, und schließlich in der
wortlich, ein willkommener Anlass Wertschätzung des kulturellen Erbes
für weitere Maßregelungen. Schließ von Groß und Kleindrebnitz.
lich brannte auch noch die Schule in
den letzten Kriegstagen aus und er Familie
verlor sein Hab und Gut. Großdreb Sorbers jüngste Tochter, Lieselot
nitz erinnerte sich seiner und holte te Grützner verw. Lenzmann, war
ihn nach dem Zweiten Weltkrieg Mitbesitzerin der Fa. Lenzmann
zurück. Er erhielt auf Vermittlung im Kleindrebnitzer Vorwerk (siehe
von Pfarrer Richard Garbe eine Johann Gottfried Nake). Unge
Wohnung in einem Nebengebäude klärt ist, ob ein verwandtschaftlicher
der Schule und eine Anstellung als Zusammenhang bestand zu Oscar
Kantor. Hier begann Sorber, an einer Sorber, Mitarbeiter der Heilanstalt
Chronik des Dorfes zu schreiben. Sonnenstein in Pirna, Mitglied der
Zudem unterstützte er den späteren Oberlausitzischen Gesellschaft der
Bischofswerdaer Stadtchronisten Wissenschaften und Autor der Bücher
Johannes Weber, der zu jener Zeit „Geschichte der Stadt Schandau“
als Lehrer in Großdrebnitz das Dorf (1876) und „Sagenklänge aus dem
fotografisch dokumentierte. Zur Sachsenlande“ (1894).
Motivation der damaligen Arbeiten
von Sorber und Garbe verwies Otto Steudtner, Karl Hermann
Heinrich später darauf, dass Bruno * 23.01.1855 in Neugersdorf
Barthel die Bauerngüter als Träger † 13.12.1940 in Bischofswerda
des dörflichen Lebens nicht behandelt
hatte. Genau dies wurde zum Haupt Steudtner ging in Leutersdorf und
gegenstand der Arbeiten von Sorber. in Zittau zur Schule. In Zittau prägte
420
Oskar Friedrich nachhaltig das Inter Kenntnisse bei dem Naturforscher
esse des Jungen für die Naturwissen Michael Rostock, seinerzeit Volks
schaften. Steudtner wohnte zu jener schullehrer in Dretschen. Mit Rostock
Zeit im Hause Karl Gottlob Moráwek, verband ihn später eine langjährige
bei dem der Heimatforscher Johann Freundschaft. Nach seiner Lehrer
Gottlieb Korschelt, der Bibliothekar ausbildung in Bautzen bekleidete
Carl Anton Tobias, Gymnasialdi Steudtner Dienststellen in Sohland
rektor Heinrich Julius Kämmel und (ab 1876) und an der Bürgerschule
der Heimatforscher Alfred Mosch Bischofswerda (ab 1878). In Bischofs
kau ein und ausgingen. Moráwek werda gab er auch Unterricht an der
weckte nicht nur sein Interesse an Fortbildungsschule. Steudtner lehrte
historischen Fragen, als Landschafts Religion, Deutsch, Rechnen, Geo
gärtner konnte er dem Jungen auch graphie, Naturgeschichte und Schön
viel botanisches Wissen vermitteln. schreiben, an der Fortbildungsschule
Auf Ratschlag eines Lehrers vertiefte auch Zeichnen, wofür er sich 1882 bei
Steudtner ab 1872 seine botanischen Adolf ClausonKaas weiterbildete.
Die Schule an der Kirchstraße (im Bild mit dem heutigen Goethepark) ist
eng mit dem Wirken der ehemaligen Bischofswerdaer Lehrer Hermann
Steudtner, Johannes Weber, Friedrich Wilhelm Winkler und Frank Fiedler
verbunden. Max Otto Gnauck, August Leppelt, Roland Paeßler und Johan-
nes Weber gingen hier zu Schule.
421
Besonders in Bischofswerda erwarb wird (z. B. Feldlerche „massenhaft“,
sich Steudtner einen guten Namen Nachtschwalbe „regelmäßig“, Wachtel
als Natur und Heimatforscher. Seine „häufig“). Bemerkenswert ist seine
detaillierten Aufzeichnungen besitzen Beschreibung des seinerzeit gemein
große Bedeutung für das Erkennen samen Auftretens von Nebel und
von Veränderungen in der Flora und Rabenkrähe in und um Bischofswer
Fauna der Oberlausitz. Von Steudt da. Es wird aber auch deutlich, dass
ners Belegen im Oberlausitzherbar die Greifvögel an Individuen sowie
des Senckenberg Museums für Natur Artenzahl seither gewonnen haben.
kunde Görlitz betreffen etwa die Hälf
te das Stadtgebiet von Bischofswerda Steudtner war Mitbegründer des
und die unmittelbar benachbarten örtlichen Lehrervereins, in dessen
Dörfer. Das regelmäßige Sammel Vorstand er ab 1883 für 24 Jahre mit
gebiet reichte aber bis Bautzen mit arbeitete, des Bischofswerdaer Obst
Schwerpunkten am Valtenberg, im bauvereins und eines Naturheilvereins
Wesenitztal, in Gaußig und Göda. Er sowie Mitglied des Landesobstbau
bearbeitete vorrangig Gefäßpflanzen vereins. Am 10. Juli 1895 gründete
und Pilze. der Großdrebnitzer Kirchschullehrer
Bruno Barthel den Bezirksverein
Neben den pflanzenkundlichen Bischofswerda des Deutschen Lehrer
Dokumentationen sind auch die vereins für Naturkunde, den Steudt
Arbeiten zur Fisch und Vogelfauna ner viele Jahre leitete. Anlässlich des
hervorzuheben. In Beiträgen zur 25jährigen Gründungsjubiläums
Fischfauna der Wesenitz beschrieb hielt er als Vorsitzender einen vielbe
Steudtner deren Verarmung infolge achteten Vortrag zu Bakterien. 1899
der Industrialisierung. Er stellte 15 gründete Steudtner den Naturwis
Arten fest. Die Arbeiten zur Karpfen senschaftlichen Verein. Er verfasste
teichwirtschaft in Bischofswerda sind wichtige Beiträge zur Stadtgeschichte
wertvolle Literatur zur ehemaligen von Bischofswerda, darunter eine
Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs. unvollendete Fortschreibung der
Hervorzuheben sind seine prakti Stadtchronik, und erwarb sich beson
schen Hinweise für Karpfenteich dere Verdienste um die Bewahrung
wirte. Eine Folge von Beiträgen im des Andenkens an den Heimatfor
Jahre 1921 wies Steudtner als soliden scher Ernst Emil Wustmann und an
Kenner und aufmerksamen Beobach den Komponisten Johannes Pache,
ter der heimischen Vogelwelt aus. Er dessen Vater, Emil Pache, sein Leh
nannte 102 Arten mit ausführlicher rerkollege in Bischofswerda gewesen
Beschreibung des Vorkommens, war. Als jahrzehntelanges Mitglied
wodurch das Ausmaß der heutigen im Bischofswerdaer Promenadenaus
Verarmung der Vogelfauna erkennbar schuss beteiligte sich Steudtner an der
422
Gestaltung des heutigen Goetheparks
unter Leitung des Dresdner Gar
tenkünstlers Max Bertram. Ein Teil
seines Nachlasses befindet sich im
Stadtarchiv Bischofswerda.
Literatur
Frank Fiedler: „Historische Teichwirt
schaft im Raum Bischofswerda“. Zwi
schen Wesenitz und Löbauer Wasser
3, 1998, S. 41–49
An der Schule in Großdrebnitz
Frank Fiedler: „Zu den Veränderun
(links von der Kirche) lehrten Bru-
gen der Fischfauna in der ehemaligen
no Barthel, Willy Sorber, Johan-
Äschenregion der Wesenitz (1591–
nes Weber und Frank Fiedler.
1989)“. Sächsische Heimatblätter 2,
Verlag Klaus Gumnior Chemnitz, mit dem Schwerpunkt Bischofswerda.
2003, S. 127–133 Ab 1970 verfasste Johannes Weber auf
der Grundlage seiner reichhaltigen
Weber, Johannes Materialsammlung das vierbändi
* 11.11.1905 in Dresden ge Werk in dreifacher Ausführung.
† 02.02.1982 in Bischofswerda Umfang und Gehalt der Arbeit stellen
ihn in eine Reihe mit den bekannten
Weber war der Sohn eines Bahn Chronisten der Stadt Bischofswerda,
angestellten. Die Familie kam in wie beispielsweise Karl Wilhelm
seinem sechsten Lebensjahr nach Mittag. Neben lokalhistorischen
Bischofswerda, als der Vater hierher Themen schrieb Weber auch Beiträge
versetzt wurde. Der Sohn besuchte zur Regionalgeschichte (z. B. „Die
die Volksschule und anschließend das Oberlausitzer Grenzurkunde von
Lehrerseminar. Nach einer elfjährigen 1241“, „Zur 4. Deutschen Kunstaus
Tätigkeit an der Dorfschule in Rackel stellung in Dresden“, „Die Schifffahrt
bei Bautzen kehrte er als Lehrer an auf der Elbe“). Er war Redaktions
die Schule in Bischofswerda zurück. mitglied und regelmäßiger Autor
Weitere Stationen seines Berufslebens der von 1956 bis 1962 erschienenen
waren Großdrebnitz und bis zum heimatgeschichtlichen Monatsschrift
Erreichen des Rentenalters 1970 die „Der Spiegel – das kulturelle Leben
Sonderschule Bischofswerda. Beson im Kreis Bischofswerda“. Weber war
dere Beachtung in seinem heimat vielseitig interessiert und begabt. Er
geschichtlichen Schaffen verdient erstellte umfangreiche Fotodokumen
die maschinengeschriebene Chronik tationen als Diareihen, beispielsweise
„Aus der Geschichte meiner Heimat“ zu Bischofswerda mit einer speziellen
423
Reihe zum Napoleonstein, Geiß betrieblicher Arbeitsgänge in der
mannsdorf, Rammenau, Großdreb Tuchfabrik GroßmannHerrmann.
nitz und zum Klosterberg, schrieb In vielen Arbeiten thematisierte er
Gedichte, löste gern mathematische das Leiden der einfachen Menschen
Probleme, spielte Klavier und kom im Krieg. Beispielsweise beschrieb er
ponierte zur eigenen Freude. Auf die Carlowitz’sche Fehde im Zusam
Initiative von Frank Fiedler wurden menhang mit dem Testament des
mehrere seiner Arbeiten im „Schiebo Bischofs Nicolaus II. von Meißen, in
cker Landstreicher“ gedruckt. dessen Folge das Amt Stolpen 1559 in
den Besitz des Kurfürsten August von
Literatur Sachsen gelangte und das damit die
Frank Fiedler: „Johannes Weber zum Reformation übernahm. Darüber hin
100. Geburtstag – Ein bedeutender aus sind mehrere Arbeiten Winklers
Chronist Bischofswerdas“. M. Hüsni, im „Gebirgsfreund“ in Zittau erschie
A. Mikus (Hrsg.), Schiebocker Land nen. In Bischofswerda arbeitete er im
streicher, H. 1, Burkau 2006, S. 9–10 Naturwissenschaftlichen Verein und
im hiesigen Bezirksverein des Deut
Winkler, Friedrich Wilhelm schen Lehrervereins für Naturkunde
* 24.01.1863 in Jahnshorn mit. Winklers Heimatverständnis
† 21.03.1918 in Bischofswerda wird deutlich in dem Zitat: „Doch
ob reich oder arm an Schönheit oder
Winkler war der Sohn eines einfachen Fruchtbarkeit deine Heimat sei, habe
Bauern. Er gehörte neben Bruno sie lieb und halte sie wert. Sie ist ein
Barthel und Hermann Steudtner Heiligtum mit dem großen Zeltdach
zu jenen Lehrern im Bischofswerdaer des Himmels darüber und das Stück
Land, die sich um 1900 um die hei chen Erde, das deine Eltern und dich
mat und naturkundliche Forschung trägt und ernährt.“
besonders verdient gemacht haben.
Seine bekanntesten Arbeiten sind in Literatur
dem Lesebuch „Unsere Heimat – die Frank Fiedler: „Unvergessen – dank
Lausitz“ zu finden. „Ein Schreckens seiner Beiträge in einem heimatkund
tag für Bischofswerda“, der sich auf lichen Lesebuch. Dem Bischofswer
das Wüten einer kroatischen Heer daer Oberlehrer Wilhelm Wink
schar am 7. Oktober 1631 bezieht, ler zum Gedenken“. Sächsische
wurde am 5./6. Oktober 1991 in der Zeitung, Ausgabe Bischofswerda,
Sächsischen Zeitung nachgedruckt. 9./10.01.1993, S. 11
Weitere Schriften betrafen den Uwe Fiedler: „Winkler, Friedrich,
Stadtbrand von 1813, die „Lage und Wilhelm“. Mathias Hüsni (Hrsg.),
Gründung der Stadt Bischofswerda“, Schiebocker Landstreicher, H. 3, Bur
die Botanik und eine Beschreibung kau 2008, S. 145–146
424
Die Oberlausitzer Familie Baumeister
Pädagogen, Theologen, Juristen, Mediziner und Militärs in Görlitz, Bautzen,
Bischofswerda, Breslau, Glogau, Barby, Bunzlau, Dresden, Herrnhut, Hirsch
berg, Kleinwelka, Niesky, Reibersdorf, Taubenheim, Uhyst und Zittau
425
Bischofswerda im 18. Jahrhundert: Vor der Kirche (A) befand sich die
Superintendentur (N). Hier wirkten der Vater von Christian Adolph
Klotz und Gottlob Ernst Ottomar Baumeister.
(2.1) Christian Friedrich Baumeister Standartenjunker im kursächsischen
(12.6.1737–30.9.1798) besuchte das Kürassierregiment, von Kaiser Franz
Görlitzer Gymnasium seines Vaters. II. 1792 in den Adelsstand erhoben),
Das Studium seit 1756 an der Uni Karl Friedrich (* 26.4.1778), Ernst
versität Leipzig schloss er 1760 als Friedrich (* 26.8.1785).
Dr. med. mit der Arbeit „de therapia
perjucunda“ bei Anton Wilhelm Plaz (2.2) Gottlob Ernst Ottomar Bau-
ab. 1772 wurde er Landesphysikus meister (* 12.1.1739 Görlitz, †
für Görlitz, Zittau und Lauban. Er 11.5.1797 Bischofswerda) besuchte
redigierte medizinische Beiträge für das Görlitzer Gymnasium seines
die Lausizische Monatsschrift und Vaters und studierte ab 1758 Theo
war Mitglied der Oberlausitzischen logie und Philologie an der Univer
Gesellschaft der Wissenschaften. sität Leipzig, u. a. bei Johann August
Seit 1770 war er verheiratet mit der Ernesti. 1762 wurde er Hofmeister in
Arzttochter Christiane Friederike Eisleben, 1767/1768 kam er als Sekre
geb. Geißler. Sie hatten fünf Kin tär von Superintendent Johann Georg
der: Ottomar (12.2.1771–8.8.1773), Klotz nach Bischofswerda. 1769 wur
Christiane Friederike (* 29.1.1774, de er hier Diakon, 1777 Archidiakon,
verh. mit Hanns Salomo Friedrich 1788 Pfarrer und Superintendent. Er
Lingke, Oberamtsadvokat in Gör war verheiratet mit Rahel Christiane
litz), Friedrich Ottomar (* 29.7.1776, geb. Hofmann.
426
(2.3) Karl August Baumeister (* † 24.01.1828 Glogau) besuchte das
21.8.1741 Görlitz, † 8.8.1818 Herrn Gymnasium Görlitz. 1794 promovier
hut) besuchte das Görlitzer Gymna te er an der Universität Leipzig bei
sium seines Vaters und studierte ab Christian Gottlob Biener. Im April
1761 in Wittenberg und ab 1763 in 1796 wurde er als Advokat in Görlitz
Leipzig Theologie. Ab 1764 war er zugelassen und im Dezember dessel
Hauslehrer in Königsberg bei einer ben Jahres als Aktuar am kurfürstli
mit der Brüdergemeine verbundenen chen Amt in Görlitz angestellt. Am
Familie. 1769 kam er nach Görlitz 25. März 1799 heiratete er in Bautzen
zurück, wo er am Gymnasium unter Antonie Juliane geb. Petschke († nach
richtete. 1774 wurde er Hilfsprediger 1802), eine Tochter des Oberamts
in Taubenheim, 1779 Schlossprediger kanzlers Karl Ehrenreich Petschke.
und Lehrer sowie 1782 Inspektor im In zweiter Ehe war er mit Charlotte
Seminar der Brüdergemeine in Barby, Gottliebe geb. Petschke († 1849)
1789 Prediger in Niesky und 1792 verheiratet. Seit 1804 war er Mitglied
Prediger in der Brüdergemeine Klein der Oberlausitzischen Gesellschaft
welka. Seit 1779 war er mit Johanne der Wissenschaften. 1807 diente er als
Elisabeth geb. Claviere (* 13.2.1744 AmtVizeSekretarius unter Amts
Genf, † 9.11.1801 Kleinwelka) ver hauptmann Ernst August Rudolph
heiratet. Sie hatten drei Töchter. 1797 von Kyaw. 1808/1810 war er Sekretär
wurde er zum Direktor des Pädago der OLGdW, 1813 Sekretär im Amt
giums in Uhyst berufen. 1801 ging Görlitz. 1815 kam Görlitz von Sach
er als Prediger nach Herrnhut, 1814 sen zu Preußen. Bei seinem Wechsel
wurde er dort Bischof. 1817 als Oberlandesgerichtsrat nach
Glogau schenkte er dem Görlitzer
(2.4) Samuel Gottfried Baumeister Gymnasium 2000 in der Oberlausitz
(* 12.9.1750 Görlitz) besuchte das gesammelte und nach Linnés System
Görlitzer Gymnasium seines Vaters geordnete Pflanzen sowie 300 Mine
und studierte ab 1770 in Leipzig ralien. Seinem Sohn Georg Ottomar,
Jura. Ab 1774 war er Amtsassessor später ein bekannter Klaviervirtuose,
in Reibersdorf. 1777 promovierte er erteilte er den ersten Musikunterricht.
in Erfurt zum Doktor beider Rechte Jener folgte ihm wie ein weiterer Sohn
(weltlich und kanonisch, Doctor iuris an das Oberlandesgericht Glogau.
utriusque). Ebenfalls 1777 wurde er
zum Amtsdirektor in Reibersdorf er (3.2.2) Ernst Ferdinand Baumeis-
nannt. 1796 legte er sein Amt nieder ter (* 5.4.1779 Bischofswerda, †
und praktizierte in Zittau. 28.6.1849 Dresden) besuchte die
Gymnasien Görlitz und Bautzen
(3.2.1) Friedrich Wilhelm Ottomar und studierte Jura an der Universität
Baumeister (* 1774 Bischofswerda, Leipzig, wo er als Sekretär der Lau
427
sitzer Predigergesellschaft wirkte. Ab C. G. Förster in Breslau. 1826 erhielt
1801 war er Advokat, 1802 Aktuar am er eine Anstellung als Oberlandesge
Stadtgericht und 1808 Stadtschreiber richtsassessor in Glogau, 1829 wurde
in Görlitz, wo er auch der Freimau er Direktor des Land und Stadtge
rerLoge „Zur gekrönten Schlange“ richts Hirschberg, 1832 Oberlan
angehörte, 1810 Sekretär am Ober desgerichtsrat in Breslau und 1846
amt der Oberlausitz in Bautzen, 1812 Mitglied des Oberzensurgerichts.
VizeKanzler und 1821 Oberamtsre Zusammen mit Christian Friedrich
gierungsrat in Bautzen. 1818 nahm Koch gab er das „Schlesische Archiv
er an der Weihe der von Gottlob für die praktische Rechtswissenschaft“
Friedrich Thormeyer errichteten heraus. 1872 trat er als Wirklicher
Kirche in Bischofswerda teil. 1830 Geheimer Oberjustizrat in Breslau in
wurde er zum Hof und Justizrat in den Ruhestand. Sein Sohn Ottomar
Dresden und 1831 zum Geheimen studierte an der Landwirtschaftlichen
Justizrat am sächsischen Justizmi Akademie Proskau.
nisterium unter Julius Traugott von
Könneritz ernannt. 1838 erhielt er (4.2.1.2) Gustav Maximilian Bau-
den sächsischen Civilverdienstorden. meister (* 17.1.1802 Görlitz, † nach
Er war seit 1804 verheiratet mit einer 1852) besuchte unter Carl Gottlieb
Tochter von Stadtrichter Christian Anton das Gymnasium Görlitz,
Matthäus Friedrich Giese, einer Tante war Oberlandesgerichtsreferendar
von Ernst Giese. Ihre Tochter Marie in Glogau, 1827 Stadtgerichtsasses
heiratete Major von Gößnitz. sor in Bunzlau, 1830 Assessor und
Aktuar am Inquisitoriat Görlitz und
(4.2.1.1) Georg Ottomar Baumeister damit zuständig für Görlitz, Lauban,
(* 27.10.1800 Görlitz, † nach 1872 Rothenburg, 1834 (bis 1840) Mitglied
Breslau) besuchte unter Carl Gottlieb der Oberlausitzischen Gesellschaft
Anton das Gymnasium Görlitz. In der Wissenschaften (Abteilungen
Görlitz erhielt er von seinem Vater Rechtswissenschaften, Geschichte),
auch den ersten Musikunterricht. 1835 Kriminalrichter, 1836 Inquisito
Johann Gottlob Schneider un riatsdirektor, 1837 Land und Stadt
terrichtete ihn ebenfalls. 1815 kam gerichtsrat in Görlitz, 1840 Kriminal
Görlitz von Sachsen zu Preußen. richter am Inquisitoriat Breslau.
Während des JuraStudiums in Bres
lau ab 1818 freundete er sich mit Carl (4.2.1.3) Paul Friedrich Hugo Fer-
Schnabel an und beteiligte sich an dinand von Baumeister (* 4.7.1821
dessen Winterkonzerten. 1821 wurde Glogau, † 24.7.1887 Bad Reinerz) war
er in Berlin Mitglied der Singaka Major und wurde nach dem Krieg
demie von Carl Friedrich Zelter. Er 1870/1871 in den erblichen preußi
publizierte eigene Kompositionen bei schen Adelsstand erhoben.
428