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Einführung

Gegenstand, Methode und Umfang der Untersuchung

I.
Die Küstenbewohner der Südseeinseln sind oder waren vor ihrem Unter-
gang von wenigen Ausnahmen abgesehen ausgezeichnete Seefahrer und .'
Händler. Einige Stämme hatten sehr gute Typen großer seetüchtiger Ka- .
nus entwickelt, mit denen sie zu weiten Handelsfahrten oder Kriegs- und
Eroberungszügen aufbrachen. Die Papua-Melanesier, die die Küste und
die vorgelagerten Inseln Neuguineas bewohnen, bilden hiervon keine
Ausnahme. Sie sind im allgemeinen wagemutige Seeleute, geschickte
Handwerker und leidenschaftliche Händler. Die Zentren der Herstellung
von so wichtigen Artikeln wie Töpferwaren, Steinwerkzeugen, Kanus,
schönen Körben und wertvollem Schmuck sind auf mehrere Orte verteilt t .
wie es den Fähigkeiten der Einwohner, ihren Stammestraditionen und .
der Gunst der durch die Umgebung gebotenen Umstände entspricht. Von
L. Die Eing~borenenD;a~en und ihre Schreibweise auf dieser und der folgenden Karte dort werden sie über weite Gebiete gehandelt, manchmal über Hunderte
stimmen mit der tradltlOn~llen Nomenklatur überein, wie man sie auf Schaubildern von Meilen.
und alten Karten findet. Die Karten Ill-V zeigen die Eingeborenennamen Wl' '_1. • Zwischen den verschiedenen Stämmen lassen sich entlang ganz bestimm-
erm I'tteIt ba be, lD
. phonetis
. .....
_1. "
er SchreIbweise. , e I ... sie
ter Handelsrouten ~enau festgelegte Formen des Tauschhandels erken-
nen. Eine besonders bemerkenswerte Form des intertribaIen Handels
findet zwischen den Motu von Port Moresby und den Stämmen des Pa- .
pua-Golfs statt. In ihren schweren und plumpen Kanus, lakatoi, die mit
dem charakteristischen »Krebsscheren-Segel« ausgerüstet sind, segeln die
Motu über Entfernungen von mehreren hundert Meilen. Sie liefern den
Golf-Papua Töpfereien und Muschelschmuck - in früheren Zeiten auch
Steinklingen - und erhalten dafür von diesen im Austausch Sago und die
schweren Einbäume, die sie später zum Bau ihrer lakatoi-Kanus be-
nutzen. 1
Weiter im Osten an der Südküste lebt das fleißige, seefahrende Volk der
Mailu, das die Ostspitze Neuguineas durch alljährliche Handelsfahrten
mit den Stämmen der Hauptküste verbindet. 2 Auch die Eingeborenen

1 Die hiri, wie diese Expeditionen in der Sprache der Motu genannt werden, sind
mit großer Detailfülle und sehr klar von Captain F. Barton in C. G. Seligmans The
Melanesians 01 British New Guinea, Carnbridge 1910, Kap. vm beschrieben wor-
den.
t Vgl. B. Malinowski, »ne Mailuc, in: Transactions 01 the R. Sodety 01 S. Aus-
!ralia 1915, Kap. IV, S. 612-629.
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, der Inseln und Inselgruppen, die verstreut vor der Ostküste liegen, stehen discher Redlichkeit, weil sie sich zwar mit ihren Ergebnissen auskennnen,
, untereinander in ständigen Handelsbeziehungen. In Professor Seligmans uns aber diese aus völliger Finsternis heraus vorlegen.
Bericht besitzen wir eine ausgezeichnete Beschreibung der kleineren Han- Mit Leichtigkeit ließen sich hoch geachtete, wissenschaftlich ausgewiese- .•
deisrouten zwischen den verschiedenen von den südlichen Massim be- ne Arbeiten anführen, in denen uns pauschale Verallgemeinerungen vor-:
wohnten Inseln. 3 Es besteht jedoch noch ein anderes sehr weitläufiges, gelegt werden, aus denen wir aber nicht im geringsten erfahren, aufgrund
hochkompliziertes Handelssystem, das in seinen Verästelungen nicht nur welcher tatsächlichen Beobachtungen die Verfasser ihre Schlüsse gezogen
die Inseln vor der Ostspitze Neuguineas einbezieht, sondern auch den haben. Kein besonderes Kapitel, kein Abschnitt ist dem Versuch gewid-
Louisiade-Archipel, die Insel Woodlark, die Trobriand-Inseln und die met, die Bedingungen zu beschreiben, unter denen Beobachtungen ge-
D'Entrecasteaux-Inseln. Es reicht bis in das Inland Neuguineas hinein macht und Informationen gesammelt wurden. Ich bin der Meinung, daß I.
und übt ei~en indirekten Einfluß auf verschiedene andere Gebiete aus, . nur solche ethnographischen Quellen von zweifelsfreiem wissenschaft-.
z. B. die Rossel-Insel und einige Teile der Nord- und Südküste Neugui- lichen Wert sind, in denen klar die Grenze gezogen werden kann zwi-
neas. Dieses Handelssystem, das Kula, soll im vorliegenden Buch aus- schen den Ergebnissen direkter Beobachtung, Berichten und Interpre-"
führlich beschrieben werden; es wird sich zeigen, daß es sich hierbei um tationen der Eingeborenen auf der einen Seite und den SChlußfolgerun-l'
ein ökonomisches Phänomen von beträchtlicher theoretischer Bedeutung gen des Autors, die sich auf dessen gesunden Menschenverstand und sein.
handelt. Es scheint im Stammesleben jener Eingeborenen, die in seinem psychologisches Einfühlungsvermögen stützen, auf der anderen Seite.'"
Umfeld wohnen, von überragender Bedeutung zu sein, und dies ist auch In der Tat scheint mir eine solche übersicht, wie sie das später folgende
den Stammesmitgliedern selbst, deren Vorstellungen, Ambitionen, Wün- Verzeichnis enthält (Vgl. Abschnitt VI dieses Kapitels), hilfreich zu sein,
sche und Eitelkeiten sehr eng mit dem Kula verbunden sind, vollkommen da der Leser auf einen Blick sicher beurteilen kann, wie weit die Bekannt-
bewußt. schaft des Autors mit den von ihm beschriebenen Tatsachen geht, und
eine Vorstellung davon zu gewinnen vermag, unter welchen Bedingungen
die Informationen von den Eingeborenen erlangt worden sind.
11. In den Geschichtswissenschaften wiederum könnte niemand darauf rech-
nen, ernst genommen zu werden, wenn er ein Geheimnis aus seinen
Bevor ich zu dem Bericht über das Kula komme, möchte ich die Metho- Quellen machen und von der Vergangenheit sprechen würde, als ent-
den beschreiben, die bei der Sammlung des ethnographischen Materials stamme seine Bekanntschaft mit ihr göttlicher Eingebung. In der Ethno-
verwendet wurden. In jedem Zweig der Wissenschaft sollten die For- graphie ist der Autor sein eigener Chronist und Geschichtsforscher zu-
schungsresultate redlich und absolut unvoreingenommen dargelegt wer- gleich, obwohl seine Quellen zweifelsohne leicht zugänglich, aber den-
den. Niemandem würde es einfallen, einen Experimentalbeitrag auf den noch schwer erfaßbar und komplex sind: Sie sind nicht in materiellen
Gebieten der Physik oder Chemie zu schreiben, ohne detailliert über alle Dokumenten erstarrt, sondern liegen im Verhalten und im Gedächtnis
Anordnungen der Versuche zu berichten: ohne eine exakte Beschreibung lebender Menschen. In der Ethnographie ist der Weg vom Rohmaterial
zu geben aller benutzten Apparate, der Art und Weise, in der die Beob- - den Informationen, wie sie sich dem Forscher in seinen eigenen Beob-
achtungen zustande kamen; ihrer Anzahl; der Zeit, die auf sie verwendet achtungen, in den Aussagen der Eingeborenen und in der kaleidoskopi-
wurde; und des Grads der Näherung an den exakten Wert bei jeder Mes- schen Vielfalt des Stammeslebens darbieten - bis hin zur endgültigen ge-
sung. In weniger exakten Wissenschaften wie der Biologie oder der Geo- sicherten Vorlage der Ergebnisse oft weit. Der Ethnograph überwindet
logie läßt sich diese Genauigkeit nicht erreichen, aber dennnoch wird sich diese Distanz in den arbeitsreichen Jahren, die zwischen dem Augenblick
jeder Wissenschaftler große Mühe geben, dem Leser alle Bedingungen, liegen, da er den Fuß auf den Strand setzt und erste Versuche unter-
unter denen das Experiment oder die Beobachtungen zustande kamen,
mitzuteilen. In der. Ethnographie, für welche die unvoreingenommene Mit-
teilung solcher Daten vielleicht noch bedeutsamer ist, wurde dies in der 4 Bei dieser methodischen Frage wiederum schulden wir der anthropologischen
Vergangenheit bedauerlicherweise nicht immer mit genügender Sorgfalt Schule von Cambridge Dank dafür, daß sie die wirklich wissenschaftliche Art, dieses
Problem zu behandeln, eingeführt hat. Insbesondere in den Schriften von Haddon,
betrieben, und. viele Autoren benutzen nicht den Scheinwerfer metho- Rivers und Seligman wird die Unterscheidung zwischen Schlußfolgerung und Beob-
achtung stets klar getroffen, und wir können uns ein genaues Bild von den Bedin-
3 A. a. 0., Kap. XL. gungen machen, unter denen die Arbeit geleistet wurde.

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nimmt, mit den Eingeborenen in Berührung zu kommen, und der Zeit, Arbeit zu gehen. Um auf einem Gebiet zu beginnen, das kein Mißtrauen
in der er die endgültige Version seiner Ergebnisse niederschreibt. Ein erweckt, fing ich an, zuerst Technologie zu »lernen«. Einige Eingeborene
kurzer Abriß der leidvollen Prüfungen eines Ethnographen, wie ich sie wurden ermuntert, den einen oder anderen Gegenstand herzustellen. Es
selbst durchlebte, vermag dieses Problem besser zu beleuchten, als eine war einfach, dem zuzuschauen und sich die Namen einiger Werkzeuge
lange abstrakte Abhandlung dies könnte. anzueignen, ja sogar einige technische Ausdrücke für die Verrichtungen
zu erhalten, aber damit war die Sache zu Ende. Man bedenke, daß das
Pidgin-Englisch ein sehr unvollkommenes Instrument ist, um die eige-
III. nen Vorstellungen auszudrücken; zudem beschleicht einen, fehlt noch
die übung, Fragen zu formulieren und Antworten zu verstehen, das
Versetzen Sie sich in die Situation, allein an einem tropischen Strand, ungute Gefühl, daß die freie Kommunikation mit den Eingeborenen nie
umgeben von allen Ausrüstungsgegenständen, nahe bei einem Eingebo- zu erreichen sein wird. Ich war nicht in der Lage, mit ihnen eine detail-
renendorf abgesetzt zu sein, während die Barkasse oder das Beiboot, das liertere oder explizitere Unterhaltung zu führen als die zu Beginn. Mir
Sie brachte, dem Blick entschwindet. Wenn Sie Ihre Wohnung in der war klar, daß hiergegen am besten das Sammeln konkreter Daten helfen
Niederlassung eines benachbarten weißen Mannes genommen haben, würde, und ich nahm deshalb eine Zählung der Dorfbevölkerung vor, '
eines Händlers oder Missionars, bleibt Ihnen nichts weiter zu tun, als un- erstellte Stammbäume, zeichnete Pläne und stellte Verwandtschaftsbe-
verzüglich mit Ihrer ethnographischen Arbeit zu beginnen. Stellen Sie zeichnungen zusammen. Aber all dies blieb totes Material, welches das
sich des weiteren vor, daß Sie Anfänger sind ohne vorhergehende Er- Verständnis für die Mentalität und das Verhalten der Eingeborenen nicht
fahrung, ohne irgendeine Anleitung und jemanden, der Ihnen hilft; denn weiter vertiefte, da ich weder eine gute Interpretation dieser Punkte
besagter Weißer ist zur Zeit abwesend oder sonstwie nicht in der Lage durch die Eingeborenen erhalten konnte, noch hinter das kam, was man
oder unwillig, seine Zeit an Sie zu vergeuden. Genau dies beschreibt mei- Stammesleben nennen könnte. Beim Versuch, ihre Vorstellungen über
ne ersten Schritte in der Feldforschung an der Südküste Neuguineas. Ich Religion, Magie, ihren Glauben an Zauberei und Geister in Erfahrung
erinnere mich gut der langen Besuche, die ich den Dörfern während der zu bringen, ergaben sich lediglich einige oberflächliche Kenntnisse der
ersten Wochen abstattete. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Ver- Folklore, verstümmelt durch den Zwang, sie im Pidgin-Englisch auszu-
zweiflung nach vielen unbeirrten, aber vergeblichen Versuchen machte drücken.
es mir völlig unmöglich, in eine wirkliche Berührung mit den Einge- Informationen, die ich von in der Gegend wohnenden Weißen erhielt,
borenen zu kommen oder mich mit irgendwelchem Material zu versor- waren, so wertvoll sie für sich genommen sein mochten, in bezug auf
gen. Ich erlebte Perioden der Mutlosigkeit, während derer ich mich im Ro- meine Arbeit noch entmutigender als alles andere. Hier gab es Menschen,
manIesen vergrub, ähnlich einem Mann, der im Anfall tropischer De- die jahrelang am Ort wohnten, denen es ständig möglich war, die Einge-
pression und Langeweile zu trinken beginnt. borenen zu beobachten, sich mit ihnen zu unterhalten, und die dennoch
Nun stellen Sie sich vor, Sie betreten zum ersten Mal alleine oder in kaum etwas von ihnen wirklich zuverlässig wußten. Wie konnte ich daher
Begleitung Ihres weißen Fremdenführers das Dorf. Einige Eingeborene hoffen, sie in einigen Monaten oder in einem Jahr einzuholen, sie zu
scharen sich um Sie, besonders wenn sie Tabak riechen. Andere, die wür- überholen? Zudem entsprach die Art und Weise, in der meine weißen
devolleren und älteren, bleiben auf ihren Plätzen. Ihr weißer Begleiter Informanten über die Eingeborenen sprachen und ihre Meinungen äu-
hat seine routinierte Art, die Eingeborenen zu behandeln, und er wird ßerten, natürlich der von Laien; sie waren es nicht gewohnt, ihre Ge-
weder die Art verstehen, in der Sie als Ethnograph sich den Eingebore- danken auch nur annähernd zusammenhängend und präzise zu äußern.
nen nähern müssen, noch wird er sich dafür interessieren. Der erste Be- Zum größten Teil hegten sie, was nicht verwundern kann, einseitige und .
such hinterläßt in Ihnen den hoffnungsvollen Eindruck, daß alles leichter vorurteilsvolle Meinungen, die beim durchschnittlichen Mann der Praxis
sein wird, wenn Sie all eine zurückkehren. Zumindest war dies meine unvermeidlich sind, sei er Verwalter, Missionar oder Händler, und die
Hoffnung. dennoch auf den, der sich um eine objektive, wissenschaftliche Sicht der
Zur gegebenen Zeit kam ich wieder und versammelte schon bald einen Dinge bemüht, stark abstoßend wirken müssen. Die Angewohnheit, mit
Zuhörerkreis um mich. Einige Komplimente in Pidgin-Englisch auf bei- selbstzufriedener Frivolität zu behandeln, was dem Ethnographen wirk-
den Seiten, etwas Tabak, der von Hand zu Hand ging, schufen eine At- lich ernst ist, die Mißachtung dessen, was ihm ein wissenschaftlicher
mosphäre gegenseitiger Freundlichkeit. Sodann versuchte ich, an die &hatz ist, d. h. der Kultur der Eingeborenen, ihrer charakteristischen

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geistigen Eigenarten und ihrer Unabhängigkeit, dies alles, uns wohl ter eines weißen Mannes ist, sehnt man sich selbstverständlich, nachdem
bekannt aus den unbedeutenden Amateurarbeiten, fand ich in der Gei- man mehrere Stunden mit ihm gearbeitet hat, ihm bei der Gartenarbeit
steshaltung der Mehrheit der weißen Bewohner.5 zusah oder sich von ihm Einzelheiten der Folklore erzählen ließ oder
Tatsächlich gelangen mir bei meinen ersten ethnographischen For- seine Bräuche besprach, nach Umgang mit der eigenen Art. Wenn man
schungsarbeiten an der Südküste Fortschritte erst, als ich allein war und sich aber in einem weitab gelegenen Dorf alleine aufhält, macht man eben
entdeckte, worin das Geheimnis effektiver Arbeit im Feld liegt. Worin einen einsamen Spaziergang von vielleicht einer Stunde und sucht dann
besteht denn diese wunderbare Kraft des Ethnographen, die es ihm er- bei der Rückkehr ganz selbstverständlich die Gesellschaft des Eingebo-
möglicht, den wahren Geist der Eingeborenen zu beschwören, das un- renen, diesmal aber als Linderung der Einsamkeit, so wie man jede an-
verfälschte Bild des Stammeslebens? Gewöhnlich stellt der Erfolg sich dere Gemeinschaft wünschte. Aufgrund dieses natürlichen Umgangs
nur durch die geduldige und systematische Anwendung einer Reihe von lernt man ihn besser kennen und wird mit seinen Bräuchen und seinem
Regeln des gesunden Menschenverstandes sowie wohlbekannter wissen- Glauben weit besser vertraut, als wenn er ein bezahlter und oft genug
schaftlicher Prinzipien ein, nicht aber durch die Entdeckung einer wun- langweilender Informant wäre.
derbaren Abkürzung, die mühelos zu den gewünschtell__ prgebnissen Der ganze Unterschied besteht zwischen dem sporadischen Eintauchen
II führt. Die methodischen Prinzipien lassen sich unter,.drei
'
Rubriken"ord- in die Gesellschaft der Eingeborenen und dem wirklichen Kontakt mit
:1 nen: Zuerst muß der Forscher natürlich wirklich wissenschaftliche Zie- ihnen. Was bedeutet letzteres? Von Seiten des Ethnographen heißt dies,
'!I'le haben und die Kriterien und Wertmaßstäbe moderner Ethnographie daß sein Leben im Dorf, das zuerst ein eigenartiges, manchmal unlieb-
kennen. Zweitens sollte er sich gute Arbeitsbedingungen scli'affen, das sames, manchmal auch höchst interessantes Abenteuer ist, bald in Har-
I heii3'dlauptsächlich, er sollte ohne andere Weiße 9i.rili.Jmte[deJJEjn&.e~ monie mit seiner Umgebung einen ganz natürlichen Lauf nimmt.
l, borenen leben. Schließlich muß er eine Reihe besondererJ4~!!IoQ~!L<!~s Bald schon, nachdem ich mich in Omarakana (Trobriand-Inseln) nieder-
I 'SäiniileIns, Aufbereitens und ,.Sicherns seines Belegmaterials anwenden. gelassen hatte, nahm ich auf bestimmte Weise am Dorfleben teil, indem
I über diese drei Grundsteine der Arbeit im Feld muß noch einiges gesagt ich erwartungsvoll den wichtigen oder festlichen Ereignissen entgegen-
werden. Mit dem zweiten, dem wichtigsten, möchte ich beginnen. sah, am Klatsch und an der Entwicklung der kleinen Dorfbegebenheiten
persönlich Anteil nahm und jeden Morgen zu einem Tag erwachte, der
sich mir mehr oder weniger so darstellte wie den Eingeborenen. Ich kom-
IV. me unter meinem Moskitonetz hervor und finde um mich herum das
Dorfleben, wie es sich zu regen beginnt oder wie die Leute in ihrer Arbeit
Angemessene Bedingungen ethnographischer Arbeit. Hauptsächlich be- schon fortgeschritten sind, je nach Tages- und auch Jahreszeit, denn sie
stehen diese, wie bereits gesagt, darin, daß man sich aus dem Umgang stehen auf und beginnen ihre Arbeiten früh oder spät, wie die Arbeit
mit anderen Weißen herauslöst und in möglichst engem Kontakt mit dies fordert. Wenn ich meinen Morgenspaziergang durch das Dorf mach-
den Eingeborenen bleibt. Dies ist nur dann wirklich zu erreichen, wenn te, konnte ich intime Details des Familienlebens sehen, Toilettemachen,
man direkt in ihren Dörfern zeltet (Abb. 1 und 2). Es ist sehr schön, auf· Kochen, Essen. Ich konnte die Erledigungen der Tagesarbeit beobachten,
dem Grundstück eines Weißen einen Versorgungsstützpunkt für die limte, die mit ihren Besorgungen begannen oder Gruppen von Männern
Vorräte zu besitzen und zu wissen, daß es ein Refugium gibt für Zeiten üild Frauen, die mit irgendwelchen Handarbeiten beschäftigt waren
der Krankheit und des überdrusses an den Eingeborenen. Es muß jedoch (Äbb. 3). Streitigkeiten, Scherze, Familienszenen - Ereignisse, die ge-
weit genug entfernt liegen, damit sich kein ständiges Milieu entwickeln ~öhnlich trivial, manchmal dramatisch, aber immer bedeutsam waren,
kann, in dem man lebt und aus dem man nur zu bestimmten Stunden auf- bildeten die Atmosphäre meines täglichen Lebens wie auch des ihren.
taucht, »um sich mit dem Dorf zu beschäftigen«. ,'ISs muß daran erinnert werden, daß die Eingeborenen, weil sie mich je-
Es sollte nicht einmal so nahe liegen, daß man es jederzeit zur Erholung tten Tag sahen, aufhörten, aufgrund meiner Gegenwart interessiert oder
aufsuchen könnte. Da der Eingeborene nicht der natürliche Gesellschaf- beunruhigt zu sein oder sich ihrer selbst bewußt zu werden. Ich war nun
hicht länger ein Störfaktor in dem Stammesleben, das ich studieren woll-
5 Ich möchte sogleich darauf hinweisen, daß es dabei einige erfreuliche Ausnahmen
te und das sich durch meine bloße Ankunft zu verändern begann, wie es
gab; erwähnt seien nur meine Freunde Billy Hancock auf den Trobriand-Inseln, M. bei einem Neuankömmling in jeder unzivilisierten Gemeinschaft ge-
Raffael Brudo, ein anderer Perlenhändler, und der Missionar M. K. Gilmour. Schieht. Als sie wußten, daß ich meine Nase in alles stecken würde, sogar

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in Dinge, bei denen ein wohlerzogener Eingeborener nicht im Traum auf ändern und sie großzügig lalleIl zu !!is,se,n unter dem Druck der Zeug-
die Idee käme zu stören, kamen sie schließlich dahin, mich als Bestand- ~und Belege, dann ist seine Arbeit offenkundig wertlQs ...Aber je mc:hr
teil ihres Lebens zu betrachten, als ein notwendiges, durch Tabakschen- Probleme er mit sich ins Feld nimmt, je mehr er sich bemüht,~e,():
kungen gemildertes übel oder Ärgernis. '"1te1Laefi}:;:~kten entspre.ch~nd umzuformeI\' und die Fakten in ihrer Aus-
Im weiteren Tagesverlauf spielte sich alles, was geschah, in meiner un- ~ auf die Theorie zu sehen, desto besser ist er auf seine Arbeit
mittelbaren Nähe ab, es war unmöglich, daß etwas meiner Aufmerksam- vorbereitet. YQr&.~~~t~.JQ~e,!!, sind in jedem wissenschaftlichen Werk
keit entging. Aufregung wegen der Ankunft des Zauberers am Abend, !fh~lich~ während ein ~ wo ~tQblem.e, liegen, zur 9nmd..:>
ein oder zwei wirklich ernste Streitigkeiten und Spaltungen innerhalb der ausrü~tl:lng eines wissenschaftlichen Denkers gehört, und diese Probleme
Gemeinschaft, Krankheitsfälle, Heilungsversuche und Todesfälle, ma- ~ sich dem Beobachter zuerst durch seine theoretischen Studien.
gische Riten, die notwendig wurden, auf all dies mußte ich nicht aus In der Ethnologie haben die früheren Bemühungen Bastians, Tylors,
Angst, etwas zu versäumen, Jagd machen, denn es fand direkt vor mei- Morgans und der deutschen Völkerpsychologen die älteren, unbearbei-
nen Augen statt, sozusagen vor meiner eigenen Türschwelle (Abb. 4). teten Informationen von Reisenden, Missionaren etc. umgeformt und uns
Es muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es, weim etwas gezeigt, wie wichtig es ist, präzise Begriffe einzuführen und oberfläch-
Dramatisches oder Bedeutsames vorfällt, darauf ankommt, dies unmittel- liche, irreführende Begriffe über Bord zu werfen. 6
bar in der Zeit des Geschehens zu untersuchen, weil die Eingeborenen Der Begriff Animismus verdrängte die beiden sinnlosen Ausdrücke »Fe-
dann nicht umhin können, darüber zu reden; sie sind zu aufgeregt, um tischismus« und »Teufelsanbetung«. Das Verständnis des klassifikatori-
sich zurückzuhalten, aber auch zu interessiert, um in aller Ruhe Einzel- schen Systems der Verwandtschaftsbeziehungen bahnte den brillanten
heiten berichten zu können. Ich verletzte auch immer wieder die guten modernen Untersuchungen zur Eingeborenensoziologie in der empiri-
Sitten, worauf mich die Eingeborenen, die mit mir vertraut waren, schnell . schen Arbeit der Cambridge-Schule den Weg. Die psychologische Ana-
hinwiesen. Ich mußte lernen, wie ich mich zU verhalten hatte, und er- lyse durch deutsche Denker erbrachte aufgrund der Resultate der jüng-
warb mir bis zu einem gewissen Grad ein »Gefühl« für die guten und sten deutschen Expeditionen nach Afrika, Südamerika und in den Pazi-
schlechten Sitten der Eingeborenen. Hierdurch und durch die Fähigkeit, fik eine Fülle höchst wertvoller Informationen, während die theoreti~
mich ihrer Gesellschaft zu erfreuen und an einigen ihrer Spiele und Ver- sehen Arbeiten Frazers, Durkheims und anderer schon jetzt und zweifels~
gnügungen teilzunehmen, begann ich zu spüren, daß ich tatsächlich Kon- ohne noch für eine lange Zeit die im ethnographischen Feld Arbeiten-
takt zu den Eingeborenen hatte, und dies ist gewiß die Vorbedingung, den inspirieren und zu neuen Ergebnissen führen werden. Der empirisch
um eine erfolgreiche Arbeit im Feld betreiben zu können. Forschende stützt sich völlig auf die Anregungen der Theorie. Natürlich
kann auch er ein Theoretiker sein und aus sich selbst Anregungen emp-
,fangen. Dennoch sind diese beiden Funktionen voneinander getrennt
V. und müssen während der eigentlichen Forschungsarbeit zeitlich und in
bezug auf die Arbeitsbedingungen getrennt werden.
Aber der Ethnograph muß nicht nur sein Netz am rechten Ort auswer,.. ,Wie es immer geschieht, wenn wissenschaftliches Interesse sich einem
fen und auf das warten, was sich darin fängt. Er muß aktiver Jäger sein, Feld zuwendet, das bisher nur von der Neugierde der Amateure durch-
das Wild in sein Netz hineintreiben und ihm in seine unzugänglichen forscht wurde, und dort zu arbeiten beginnt, hat auch die Ethnologie
Verstecke folgen. Dies führt uns zu den ~:v_erellM~fuoden, ethnogra- Gesetz und Ordnung ins scheinbar Chaotische und Unberechenbare
phische Zeugnisse zu erlangen. Am Ende von Abschnitt In wurde er- eingeführt. Sie hat uns die aufsehenerregende, ungezähmte, unerklärliche
örtert, daß der Ethnograph sich von den modernsten Resultaten der -Welt der »Wilden« in eine Anzahl gut geordneter Gemeinschaften ver-
wissenschaftlichen Forschung, ihren Prinzipien und Zielen anregen lassen wandelt, die von Gesetzen, Verhaltensweisen und einem Denken be-
soll. Ich möchte diesen Punkt nur mit einer Bemerkung vertiefen, um herrscht werden, die alle zusammenhängenden Prinzipien folgen. Das
Mißverständnisse zu vermeiden. Verfügt man über eine gute theoretische
Ausbildung und die Kenntnis der neuesten Resultate, so bedeutet das
• Einer nützlichen terminologischen Unterscheidung entsprechend gebrauche ich das
nicht, daß man sich mit »vorgefaßten Ideen« belasten würde. Wenn je- Wort Ethnographie für die empirischen und deskriptiven Ergebnisse der Wissen-
1mand eine Expedition durchführt und dabei entschlossen ist, seine Hy- schaft vom Menschen und das Wort Ethnologie für spekulative und vergleichende
Ipothesen zu beweisen, wenn er unfähig ist, ~eständig seine Ansichten zu Theorien.

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Wort »Wi1der~, welche R~d~J.tt1!P.g man auch immer ursprünglich mit Irrelevanten auszusondern. Das starre Skelett des Stammeslebens muß !
'ihm verbunden haben mag: ist verknüpft mit Vorstellungen von grenzen- zuerst ermittelt werden. Dieses Ideal bringt an erster Stelle die Verpflich-
. loser Frf~ip.eit, von RegellQ~igkeit und von etwas höchst Wunderlichem. tung mit sich, eine _"ollstän~ige übersi~t über die Phänomene zu geben
Im populären Verständnis stellen wir uns vor, daß die Eingeborenen und I.ili;ht .das.S~nsationell~J1E-cl13iI1zjgartige, schon gar nicht das Lustige
mehr oder weniger nach Lm;t!,lD.c:tLa.lme_.a.IDI;Ju~~IlQeLNatur l~be!'!l als und Wunderliche herauszylesen. Die Zeiten, als wir Berichte tolerieren
,.9..Qt~CJ',bnonner, phantasmagorischer CJI~u.b~nsvorstellungen und Auf- konnten, die uns die· EIngeborenen als verzerrte, kindische Karikaturen
I fass,ungen, Im Gegensatz hierzu zeigt die moderne Wissenschaft, daß ihre des Menschen präsentierten, sind vorbei. Dieses Bild ist falsch und wurde
1 sozialen Institutionen sehr klar umrissene Organisationen darstellen, daß wie so viele andere Unwahrheiten durch die Wissenschaft gelöscht. Der
\ sie sich in ihren öffentlichen und persönlichen Beziehungen von Autori- Feld-Ethnograph muß ~t und nüchJ~!Il den ganzen Umfang der Phä-
\ tät, Recht und Ordnung leiten lassen, wobei übrigens die persönlichen ~~~__~_~!cl.~~~!Isul!!l-!, dieer·stuellert-, beIi!,*sich-
\ Beziehungen höchst vielschichtig der Kontrolle durch Verwandtschaft ~1!, und darf nicht unterscheiden zwischen dem, was alltäglich, lang-
lund Clan unterliegen. Wir sehen sie in der Tat verstrickt in ein Netz von weilig oder gewöhnlich ist, und dem, was ihm als erstaunlich und unge-
Pflichten, Funktionen und Privilegien, die einer entwickelten Stammes-, wöhnlich auffällt. Zugleich muß das ganze Gebiet der Stammeskultur in
Gemeinschafts- und Verwandtschaftsorganisation entsprechen (Abb. 4). all seinen Aspekten i.!!ßie .lIDJ~rj_!lfhung miteinfließen. Der innere Zu-
Ihrem Glauben und ihren Gebräuchen mangelt es in keiner Weise an sammenhang, Gesetz und Ordnung, die sich in jedem Aspekt durchsetzen,
Folgerichtigkeit, und ihr Wissen um die Außenwelt genügt, um sie bei verlangen auch ihre Vereinigung zu einem zusammenhängenden Gan-
vielen ihrer anstrengenden Unternehmungen und Aktivitäten zu führen. zen.
Auch ihren künstlerischen Erzeugnissen kann man weder Bedeutung Ein Ethnograph, der sich vornimmt, nur die Religion oder nur die Tech-
noch Schönheit absprechen. nologie zu studieren oder nur die soziale Organisation, schneidet sich
Von der berühmten Antwort eines repräsentativen Fachmanns auf die ein künstliches Untersuchungsfeld heraus und wird ernstlich in seiner
Frage, was Sitten und Gebräuche der Eingeborenen seien: »Sitten keine, Arbeit behindert sein.
Gebräuche tierisch« führt ein langer Weg bis zur Position des modernen
Ethnographen! Letzterer belegt mit seinen Tabellen der Verwandtschafts-
bezeichnungen, Genealogien, Landkarten, Plänen und Diagrammen die VI.
Existenz einer ausgedehnten und großen Organisation; er zeigt den Auf-
bau des Stammes, des Clans und der Familie und entwirft uns ein Bild Nachdem diese sehr allgemeine Regel aufgestellt wurde, wollen wir zur
der Eingeborenen, wie sie einem strikten Verhaltens- und Sittenkodex mehr ins Detail gehenden Erörterung der Methode fortschreiten. Der
unterworfen sind, demgegenüber das Leben am Hofe von Versailles Ethnograph hat, entsprechend dem oben Gesagten, die Pflicht, alle Re-
oder Escorial frei und leicht gewesen sein muß. 7 geIn und ~!~.äßigk:eiten des Stammeslebens, alles was von Dauer ist
Daher ist es Jias e~!~ und J~ru!ldlegende Ideal der ethnographischen Ar- und feststeht, aufzuzeichnen, eine Anatomie . ihrer.Kultu!....~~ und
beit im Feld, den sozialen Aufbau klar und fest zu umreißen und die- den ~ufbau Jbxer GeselI~<!t~-2lLy~r~!l~~aul~en. Diese Dinge sind
Gesetze und ~~geimäi.3igkeiten aller kulturellen Phänomene aus dem •. aber, obwohl fest geformt und feststehend, nugendwo formulißrt. Es exi-
stiert kein geschriebener oder ausdrücklich erklärter ~!()~.t!x., ihre
ganze Stammestraditipn, die vollständige Stmktur. . U;m~r (}~sellschaft ist
1 Die legendäre »althergebrachte Lehrmeinung«_ welche die Eingeborenen nur für in jenem Material verkörpert, das am schwersten zu erfassen ist, im
bestialisch und sittenlos hielt, wird von einem modernen Autoren noch übertroffen, Menschen. Aber selbst im menschlichen Bewußtsein oder Gedächtnis
der über die Südlichen Massim, mit denen er über viele Jahre hin »in engem Kon,
takt« gelebt und gearbeitet hat, sagt: l> ••• Wir bringen gesetzlosen Menschen den fus~en siCh diese Gesetze nicht in klarer Form vorfinden. Die Eingebo-
Gehorsam bei, grausamen Menschen die Liebe und wilden Menschen die Verände- renen gehorchen den Zwängen und Vorschriften des Stammeskodex,
rung.« Und auch: »In seinem Verhalten ausschließlich von seinen Instinkten und ohne sie zu verstehen, genau wie sie ihren Instinkten und Impulsen fol-
Neigungen geleitet und beherrscht von seinen unkontrollierten Leidenschaften ... « gen, aber k:~in einzelnes G.e~~!z der PsychologIe- angeben !.öDJJ~Q., Die
»Gesetzlos, grausam und wild!« Ein krasseres Fehlurteil über den tatsächlichen Regelmäßigk~iten in den Institutionen der EIngeborenen sind das un-
Sachverhalt könnte auch in einer Parodie des missionarischen Standpunktes nicht
erfunden werden. Zitiert nach Rev. C. W. Abel von der London Missionary Society, willkürliche Ergebnis des Zusammenspiels zwischen den geistigen Kräf-
Savage Life in New Guinea, 0.1. ten der Tradition und den materiellen Bedingungen der Umgebung.

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Ebenso ~ ein bescheidenes ~d irgendeiner modemen l!!stitution, ~geübte Verstand die Forschung entlang relevanter Linien vor-
ob es sich um den Staat, die Kirche oder die Armee handelt, diese zwar- <"antreibt, auf Ziele hin, die wirklich Bedeutung besitzen. In der Tat ist
nach außen vertritt und zugleich in ihr ist, aber keine Vorstellung von ieS Gegenstand wissenschaftlicher Ausbildung, den empirischen Forscher
der Q~~a..~i.wirkung des Ganzen besitzt und noCh weniger dazu maer '9n it einer geistigen Landkarte auszurüsten, die es ihm ermöglicht, Or-
Lage ist, einen Bericht über dessen Aufbau zu liefern, ebenso wäre es ltungen vorzunehmen und den Kurs festzulegen.
aussichtslos, einen Eingeborenen in abstrakten, soziologischen Begriffen t~ehren wir zu unserem Beispiel zurück: Eine Reihe erörterter Einzel-
befragen zu wollen. Der Unterschied liegt darin, daß jede Institution 'älle wird dem Ethnographen die soziale Maschinerie der Bestrafung of-
: unserer Gesellschaft ihre intelligenten Mitglieder besitzt, ihre Historiker, .;{enlegen. Diese ist ein Teil, ein Aspekt der Stammesautorität. Man stelle
ihre Archive und Dokumente, wohingegen eine Gesellschaft von Einge- ~sich nun vor, daß er durch eine ähnliche Methode der Schlußfolgerung
borenen Über nichts dergleichen verfügt. Wenn man dies festgestellt hat, aus bestimmten Daten zum Verständnis der Führerschaft im Krieg, bei
gilt es, einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit zu finden. Für einen Eth- ökonomischen Unternehmen und Stammesfesten gelangt - so verfügt er
nographen besteht dieser im Sammeln von konkretem Belegmaterial, auf einmal über all die Daten, die notwendig sind, um die Frage nach der
aus dem er für sich generalisierende Schlüsse zieht. Dies scheint unmit- Hertschaftsorganisation des Stammes und nach der so~ialen Autorität zu
telbar einleuchtend zu sein, wurde aber erst entdeckt oder zumindest beantworten. Bei der tatsächlichen Arbeit im Feld wird der Vergleich
praktiziert, als in der Ethnographie Wissenschaftler mit der Feldfor- solcher Daten, der Versuch, sie zusammenzufügen, oft Abgrunde und
schung begannen. Es ist zudem nicht leicht, bei der Umsetzung in die Klüfte in der Information aufdecken, die zu weiteren Forschungen hin-
Praxis konkrete Anwendungen dieser Methode zu ersinnen, oder sie führen.
systematisch und zusammenhängend durchzuführen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß ein Problem oft so lange
Obwohl wir einen Eingeborenen nicht nach abstrakten, allgemeinen Re- gelöst erschien, daß alles so lange feststand und klar war, bis ich begann,
geln fragen können, ist es doch immer möglich, sich danach zu erkundi- einen vorläufigen Entwurf meiner Resultate niederzuschreiben. Erst dann
gen, wie ein gegebener Fall behandelt werden würde. Daher wäre es, sah ich die enormen Mängel, die mir zeigten, wo neue Probleme lagen,
wenn man wissen will, wie sie Verbrechen behandeln oder bestrafen und die meiner Arbeit eine neue Richtung gaben. Tatsächlich brachte ich
würden, !!Uc!ttlos, einem Eingeborenen eine so allgemeine Erag~ wie mehrere Monate zwischen meiner ersten und zweiten Expedition und
diese zu stellen: »Wie,bellandelt lInd bestraft ihr einen Kriminellen?«, üb~r ein Jahr zwischen dieser und der folgenden damit zu, mein ganzes
denn es lassen sich weder in der Eingeborenensprache noch im Pidgin .Ma~Iial durchzugehen und Teile davon jedesmal fast bis zur Veröffent-
Worte finden, um dies auszudrücken. Ein a~~~aci:I.ter Fall aber oder, lichung-iertigzust'elIen, obgleich ich wußte, daß ich es jedesmal umzu-
noch besser, eine wahre Begebenheit werden einen Eingeborenen dazu ~!.~ hätte. Eine solche 'Yechselseit~ge Befn:.cht':1~~ von ko~­
anregen, seine Meinung'zu· sagen ';'~d reichhaltige Informationen beizu- tiver Arbeit und Beobachtung empfand Ich als hochst wertvoll, und Ich
steuern. Ein wia<Üch~r Fall wird bei den Eingeborenen tatsächlich eine glaube nicht, daß ich ohne sie echte Fortschritte gemadifli],"fte. Ich be-
Welle von J)is1.c1.!,s~sionen auslösen, ~u~~!iicke. der Empörung hervorru- richte über diesen Ausschnitt aus meiner eigenen Geschichte bloß, um
fen und sie Partei ergreifen lassen - ~es, was gesprochen wird, enthält, zu zeigen,ßaß das bisher Gesagte kein leeres Programm ist, sondern das
wahrscheinlich eine Fülle von f\nsichtel1 und morJ!lischen Urteilen und ~su.ltai:lp,~sö~licher Erfahrung='In diesem Buch wird die Beschreibung
wird außerdem die sozialen. Mechanismen erhellen, die durch das be- ei~er großen Instiiution gegeben; die mit sehr vielen dazugehörigen Ak-
gangene Verbrechen' in Bewegurlg' gesetZt wurden. Von hier aus wird tivitäten verbunden ist und viele verschiedene Aspekte aufweist. Für
es leicht fallen, sie dazu zu bewegen, über ähnliche Fälle zu sprechen, jeden, der sich mit diesem Gegenstand auseinandersetzt, wird es klar
sich ande~ aktueller Vorfälle zu erinnern oder sie in all ihren Folge- sein, daß Informationen über ein so hoch komplexes und dicht verzweig-
erscheinungen und Aspekten zu diskutieren. Aus diesem Material, das tes Phänomen nicht annähernd exakt und vollständig erlangt werden
Fakten aus einem möglichst großen Be.t~ich abdecken sollte, g~langt können ohne ein ständiges Zusammenspiel konstruktiver Bemühungen
m~mdurm einfache:Induktion zu Schlußfolgerungen. Qie wissenschaft- und empirischer überprüfung. Tatsächlich habe ich ein halbes Dutzend
liche Bearbeitung. unterscheidet. sich von der I11it dem guteIf' gesunaen mal während der Zeit im Feld und zwischen den Expeditionen eine über-
M~nschenveistand zuerst ~d.adurch, paß der Wissenschaftler die Vollstän- sicht über die Institution des Kula niedergeschrieben. Jedesmal zeigten
digkeit und Sorgfalt seiner~Qntersuchung...mit pedantischer Systematik sich neue Probleme und Schwierigkeiten.
und f\4ethodik viel \\leiter treibt, und zweitens dadurch, daß der ~ Das Sammeln konkreter Daten über einen weiten Bereich von Tatsachen \
34 35
, I,~, ,
ist daher ein wesentlicher Punkt der Feldmethode. Die Forderung be- Eine Gene;alogie ist nichts weiter als die synoptische Karte einer Anzahl
steht nicht darin, einige wenige Beispiele aufzuzählen, sondern soweit zusammenhängender verwandtschaftlicher Beziehungen. Ihr Wert als Un-
, als möglich alle erreichbaren Fälle auszuschöpfen, und auf dieser Suche tersuchungsinstrument liegt darin, daß sie dem Forscher erlaubt, Fragen,
nach Hillen wird der Forscher den größten Erfolg haben, dessen geistige ,~ltie er für sich in abstracto formuliert, nun konkret an den eingeborenen
Karte am klarsten ist. Aber immer, wenn es das Material dieser Forschun- 'Jnformanten richten zu können. Als Dokument besteht ihr Wert darin,
gen ,zuläßt, sollte diese geistige Karte in eine wirkliche überführt wer- .,ine Anzahl authentischer Daten in ihrer natürlichen Anordnung zu .
den;, sie sollte in einem Diagramm, einem Plan, einer erschöpfenden, zeigen. Die gleiche Funktion erfüllt eine synoptische Karte der Magie.
synoptischen Liste der Fälle Gestalt annehmen. Seit langem erwarten }Js Unter~uchungsinstrument habe ich sie zum Beispiel benutzt, um die
wir in aUen leidlich guten, modemen Büchern über Eingeborene eine Vorstellungen vom Wesen der magischen Kraft zu ermitteln. Mit einer
, vollständige Liste oder Tabelle der Verwandtschaftsbezeichnungen, die Karte vor mir konnte ich leicht und bequem einen Punkt nach dem an-
alle damit zusammenhängenden Daten enthält und eben nicht einige deren durchgehen und die in ihnen enthaltenen einschlägigen Praktiken
fremdartige und anomale Beziehungen und Ausdrücke auswählt. Bei und Glaubensvorstellungen festhalten. Die Antwort auf mein abstraktes
der Erforschung der Verwandtschaftsverhältnisse führt das Verfolgen Problem konnte ich dann dadurch erhalten, daß ich aus allen Fällen ei-
einer Beziehung nach der anderen in konkreten Fällen ganz natürlich zur nen allgemeinen Schluß zog. Dieses Vorgehen wird in den Kapiteln
Aufstellung genealogischer Tafeln. Diese Methode, die bereits die besten XVII und XVIII erläutert. 9 Ich kann hier nicht weiter auf die Diskus-
frühen Autoren anwandten, z. B. Munzinger, und, wenn ich mich recht sion dieser Frage eingehen; sie würde weitere Unterscheidungen not-
erinnere, Kubary, ist in den Werken von Dr. Rivers zur höchsten Voll- wendig machen, etwa die zwischen einer Karte mit konkreten, aktuellen
endung gebracht worden. Untersucht man zum anderen nun die konkre- Daten, z. B. einer Genealogie, und einer Karte, die die Umrisse eines ",
ten Daten ökonomischer Transaktionen in der Absicht, die Geschichte Brauchs oder eines Glaubens zusammenfaßt, wie dies bei der Karte eines
eines Wertgegenstandes zu verfolgen und das Wesen seiner Zirkulation magischen Systems der Fall wäre
zu ergründen, so führen die Prinzipien der Vollständigkeit und Gründ- Kehren wir noch einmal zur Frage der !!1ethodischenJJ!JYQr.(!iQgt':l1~I,11:_
lichkeit zur Erstellung von Tabellen der Transaktionen, wie wir sie in der menheit zurück, die bereits im Abschnitt I~wurde; ich möchte
Arbeit von Professor Seligman finden.8 Indem ich Professor Seligmans ~da-;auf hinweisen, daß das Verfahren, konkrete und tabellarisierte
Beispiel in dieser Sache folgte, war ich in der Lage, bestimmte schwieri- :Oat~nJorzulegen, zuerst auf das Ausgangsmaterfa:f des-Ellfiiögrapnen
gere und speziellere Regeln des Kula festzustellen. Die Methode, Infor- .selbst angewandt werden sollte. Das heißt, ein Ethnograph, der wünscht,
mationen, wenn möglich auf Karten oder synoptische Tabellen zu redu- daß man ihm y'::trauen ent~~:!1.,~Ei,!!gt, muß in tabellarischer Form klar
zieren, sollte auf qas Studium praktisch aller Aspekte des Eingebore- und bündig zeigen, wässei'iie direkten Beobachtungen und was die indi-
nenlebens ausgedehnt werden. Alle Formen ökonomischer Transaktio- rekten Informationen sind, auf die sich sein Bericht stützt. Die folgende
nen können dadurch untersucht werden, daß man zusammenhängenden Tabelle dient als Beispiel für dieses Vorgehen und soll dem Leser dieses
aktuellen Fällen nachgeht und diese in einer-un<:lpJi~~h.~!1, Karte. auf- Buches dabei helfen, sich eine Vorstellung von der Glaubwürdigkeit jener
~ei~!l~t; alle Qahen,.YRsLG~~e, die in einer bestimmten Gesell-' Aussagen zu machen, die er gerne überprüfen möchte. Mit Hilfe dieser
sdlaft gebräuchlich sind, sollten in einer Tabelle aufgezeichnet werden, Tabelle und der vielen über den ganzen Text verstreuten Hinweise dar-
die die ~~x,,' ~~r,emollielle und ökonomische Definition_j~.des aUf, wie, unter welchen Umständen und mit welchem Grad von Genauig-
gsge,.Q~~t1Q~,s enthält. Auch könnten Systeme der Magie, Abfolgen von keit ich zu einer gewissen Erkenntnis gelangte, wird, so hoffe ich, nicht
Zeremonien und Rechtshandlungen alle tabellarisch dargestellt werden, (tie geringste Unklarheit über die Quellen dieses Buches zurückbleiben.
so daß man jedes Stichwort synoptisch unter einer Anzahl von Rubriken
bestimmen könnte. Außerdem dienen natürlich als grundlegendere Do- t~ In diesem Buch wird der Leser, abgesehen von der folgenden Tabelle, die nicht
~eigentlich zu der Klasse von Dokumenten gehört, übel' die ich hier spreche, nur einige
kumente der ethnographischen Forschung die sorgfältig durchgeführte Beispiele für Übersichtstabellen finden, etwa die Liste von Kula-Partnern, die im
genealogische Zählung jeder Gemeinschaft sowie umfassende Karten, "kapitel XIII, Abseh. II angeführt und analysiert wird; die Liste der Gaben und Ge-
Pläne und Diagramme, die die Besitzverhältnisse an Gartenland, Jagd- ~enke im Kapitel VI, Abseh. VI, die nieht tabellarisch, sondern nur beschreibend
und Fischprivilegien etc. erläutern. ]st; die Übersieht über die Daten einer Kula-Expedition im Kapitel XVI und die
Tabelle de~ Kula-Magie im Kapitel XVII. Ich habe hier den Bericht nicht mit Tabel-
len usw. überladen wollen, ich habe es vielmehr vorgezogen, sie bis zur vollständigen
8 Z. B. die Tabellen über die Zirkulation der wertvollen Axtklingen, a. a. 0., S. 531 f. Publikation meines Materials zurückzustellen.

36 37
Chronologische Liste der Kula-Ereignisse,
die der Verfasser miterlebt hat

Erste Expedition, August 1914 - März 1915


März 1915. Im Dorf Dikoyas (Woodlark-Insel) eWIge zeremonielle
Geschenke gesehen. Vorläufige Informationen erlangt.

Zweite Expedition, Mai 1915 - Mai 1916


Juni 1915. Ein Kabigidoya-Besuch trifft von Vakuta kommend in Ki-
riwina ein. Zugegen während des Ankerns in Kavataria und die Männer
in Omarakana gesehen, dort Informationen gesammelt.
Juli 1915. Mehrere Gruppen von Kitava landen am Strand von Kaulu-
kuba. Die Männer in Omarakana befragt. In diesem Zeitabschnitt viele
Informationen gesammelt.
September 1915. Erfolgloser Versuch, mit To'uluwa, dem Häuptling
von Omarakana, nach Kitava zu segeln.
Oktober - November 1915. Die Abreise dreier Expeditionen von Kiri- l,.;"Das Zelt des Ethnographen an der Küste von Nu'agasi
wina nach Kitava beobachtet. Jedesmal bringt To'uluwa eine Ladung Diese Abbildun~ veran~chaulicht die Lebensweise unter den Eingeborenen, wie sie
auf S. 28 beschneben WIrd. Man beachte (mit Bezug auf die Kap. IV und V) den aus-
mwali (Muschelarrnreifen) heim. ,ehöhlten Stamm für ein großes Kanu neben dem Zelt und das masawa-Kanu das
November 1915 - März 1916. Vorbereitungen für eine große übersee- Unks unter Palmenblättem auf dem Strand liegt. '
Expedition von Kiriwina zu den Marshall-Bennett-Inseln. Bau eines Ka-
nus; Erneuerung eines anderen; Segel machen in Omarakana; Stapel-
lauf; tasasoria am Strand von Kaulukuba. Zur gleichen Zeit wurden
Informationen über diese und damit verbundene Themen gesammelt. Ei-
nige Zaubertexte zum Kanubau und zur Kula-Magie erhalten.

Dritte Expedition, Oktober 1917 - Oktober 1918


November 1917 - Dezember 1917. Inland-Kula; einige Daten in Tuk':'
waukwa erhalten.
Dezember 1917 - Februar 1918. Gruppen von Kitava treffen in Wawela
ein. Informationssammlung über yoyova. Magie und Zauberspruche der
Kaygau erhalten.
März 1918. Vorbereitungen auf Sanaroa; Vorbereitungen auf den Am-
phlett-Inseln; die Flotte der Dobu trifft auf den Amphlett-Inseln ein. Der
uvaluku-Expedition aus Dobu nach Boyowa gefolgt.
April 1918. Ihre Ankunft; ihr Empfang in Sinaketa; die Kula-Transak-
tionen; die große Versammlung der Stämme. Einige magische Formeln
Häuptlings-fisiga (persönliche Hütte) in Omarakana
bekommen. ,
Mai 1918. Gruppe von Kitava in Vakuta gesehen. . der gegenwärtige Häuptling, steht im Vordergrund (vgl. Kap. rr, Abseh. V).
ZWIschen den Palmen, befindet sieh das Zelt des Ethnographen (siehe S. 28).
Juni, Juli 1918. Information über Kula-Magie und -Bräuche in Omara- Gruppe von Eingeborenen hockt davor auf dem Boden.

38 39
kan a überprüft und erweitert, besonders in bezug auf die östlichen Zwei-
ge des Kula.
August, September 1918. Magische Texte in Sinaketa erhalten.
Oktober 1918. Informationen von einer Reihe von Eingeborenen auf De-
bu und dem Südlichen Massim-Gebiet erhalten (überprüft in Samarai).

Um die erste, entscheidende Frage der Methode noch einmal zusammen-


zufassen, möchte ich sagen, daß jedes Phänomen möglichst umfassend
in seinen konkreten Erscheinungen und durch eine eingehende über-
prüfung ausführlicher Beispiele untersucht werden sollte. Wenn mög-
lich sollten die Ergebnisse tabellarisch in einer Art synoptischer Karte
angeordnet werden, die zum eine!l-.als.JJ);l,~ersuchungsinstrument dienen
und zum anderen als e~hn2!~.gisclJ.es Dokument vorgelegt werden kann.
Mit der Hilfe solcher Dokumente und der Untersuchung tatsächlicher
Zustände kann der Aufbau der Kultur der Eingeborenen im weitesten
Sinne des Wortes und die Beschaffenheit ihrer Gesellschaft in klaren
Umrissen gezeigt werden. Diese Methode könnte als Methode statisti-
3. Straße von Kasana'i (in Kiriwina, Trobriand-Inseln) scher Dokumentation durch konkrete Zeugnisse bezeichnet werden.
Eine alltägliche Szene, die Menschengruppen bei ihren gewöhnlichen Beschäftigun.
gen zeigt. (Siehe S. 29.)
VII.

In dieser Hinsicht muß nicht hinzugefügt werden, daß die wissenschaft-


liche Feldforschung weit über den Leistungen selbst des besten Ama-
lfeurs steht. Trotzdem gibt es einen Punkt, in dem letzterer sich oft aus-
1eichnet. Ich meine die Darstellung der ganz persönlichen Berührung
1Uit dem Eingeborenenleben und die Fähigkeit, uns jene Aspekte dieses
~bens vor Augen zu führen, mit denen man9.YT ).Pl direkten Kontakt
. . den E.i.tlgel;lorenen über lange Zeit irgend wie vertraut wird. Bestimm:-
'ilb Ergebnisse '"WIssenschaftlicher Tätigkeit, besondersdieSogenannten
,.tTherblicke«, haben uns gewissermaßen ein vorzüglidles Skelett der
"5tammesorganisation geliefert, aber ihnen fehlt Fleisch und Blut. Wir .=,
'\i:inen ,viel überpen Bau ihrer Gesellschaft, aber die Wirklichkeit
, lichen Lebens können 'wir darin nicl,.t' ~ahmehmen oder uns
" , stellen: den gleichförmigenFIuß alltäglicher Ereignisse, den gelegent-
en Wellenschlag der Aufregung über ein Fest, eine Zeremonie oder
! h ,".i , "

.gendein besonderes Vorkommnis. Wenn wir die Regeln und Ordnun-


'~ der Eingeborenenbräuche herausarbeiten un,d, aus den gesammelten
~~n WidA.1.lßerungtm der Fmgeborenen genaue Formeln ßble.!ten, so
'erke1lnen Wir, daß diese Exaktheit dem wirklichen Leben fremd ist, das
4. Szene in Yourawotu (Trobriand-Inseln) ..iQemals starr irgendwelche Regeln befolgt. Sie muß ergänzt werden
Ein komplexer, aber genau festgelegter Akt einer saga;'i (ze:emonielle yerteilung) ist '~rch die Beobachtung der Art und Weise, in der ein b~!immter Brauch
im Gange. Diesen scheinbar verworrenen Vorgängen hegt em klar umnssc:nes Systelll
soziologischer, ökonomischer und zeremonieller Prinzipien zugrunde. (Siehe S. 30.) 'ausgeführt wird, durch die Beobachtung
~, ..
des Verhaltens der Eingebe-

40 41
i \
renen beim Befolgen der vom Ethnographen so genau formulierten Re· teit beobachtet werfen müssen. Nennen wir sie die~mponder(l~i!je~ des,,'
geln und durch die Beachtung der wirklichen Ausnahmefälle, die in fl{Fr;tlche --lt..e.~!:..'J§.' Hierzu gehören Dinge wie der Aolauf des Arbeits·
soziologischen Phänomenen fast immer auftauchen. gs emes Mannes, die Einzelheiten seiner Körperpflege, die Art der
Wenn alle Folgerungen sich ~inz!g ~uf die Äußerungen von Informanten Nahrungsaufnahme und deren Zubereitung, die Stimmung des geselligen
stützen oder aus objektiven Dokumenten' äbgeleitet sind, ist es natürlich lÜld sozialen Lebens rund um die Dorffeuer, die Existenz enger Freund~
!1Qmöglich, sie mit,tatsächlichen Beobachtungen des wirklichen Verhai· jthaften oder Fejndschaften, vorübergehender Sympathien oder Abnei·
tens zu ergänzen. Dies ist der Grund, warum bestimmte Arbeiten orts· gungen unter den Leuten, die flüchtige, aber unmißverständliche Art,
ansässiger Amateure, die lange Zeit dort wohnen, wie zum Beispiel gebil· in der sich persönliche Anmaßungen und Ehrsucht im Verhalten des
dete Händler und Pflanzer, Ärzte und Beamte und zu guter Letzt die einzelnen und in den emotionalen Reaktionen seiner Umgebung wider·
wenige~ intelligenten und vorurteilsfreien Missionare, denen die Ethno· spiegeln. ~AI.le_ diese Tatsachen können und sollten wissenschaftlich for·
graphie so viel verdankt, die meisten rein wissenschaftlichen Berichte muliert und aufgezeich,net :werden, aber es ist notwendig, daß dies ~icht
an Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit übertreffen. Wenn es aber dem 1ii Form der ,Registtierung oberflächlicher Einzelheiten geschieht, WIe
spezialisierten Feldforscher gelingt, sich die oben beschriebenen Lebens· ungeübte Beobachter dIes gewöhnlich anstellen, sondern in dem BemU·
bedingungen zu eigen zu machen, ist er weit besser in der Lage, wirklich hen, in die gei~tes?altung einzudringen, die in ihnen ihren Ausdruck
in Berührung mit den Eingeborenen zu kommen als jeder andere orts· findet:-Aus diesem Grund,so grauoe ich, wird die Arbeit wissenschaftlich '
ansässige Weiße. Denn keiner von ihnen lebt richtig im Eingeborenen· geübter Beobachter, haben sie sich erst einmal ernsthaft mit der Unter-
dorf, es sei denn für eine kurze Zeit, und jeder von ihnen hat seine eigene . Suchung dieses Aspektes befaßt, Ergebnisse von außerordentlichem Wert
Beschäftigung, die einen erheblichen Teil seiner Zeit in Anspruch nimmt. hervorbringen. Bis jetzt ist dies nur von Amateuren und deshalb im
Wenn er außerdem als Händler, Missionar oder Beamter aktive Bezie· großen und ganzen nur oberflächlich getan worden.
hungen zu dem Eingeborenen aufnimmt, wenn er ihn bekehren, beein· Wenn wir bedenken, daß diese unwägbaren und doch allesamt bedeut-
flussen oder ausnutzen muß, wird dadurch eine wirkliche, unvoreinge· samen Tatsachen des wirklichen Lebens Teil der realen Substanz des
nommene und unbefangene Beobachtung unmöglich; eine uneinge~ sozialen Gebäudes sind, daß in ihnen die unzähligen Fäden gesponnen
schränkte Aufrichtigkeit wird zumindest im Falle der Missionare und ~erden, die Familie, Clan, Dorfgemeinschaft und Stamm zusammen-
Beamten verhindert. mlten, wird ihre Bedeutung in der Tat klar. Die festeren Bande sozialer
Lebt man im Dorf mit keiner anderen als der Beschäftigung, dem'Leben 13ruppenbildung, wie etwa das bestimmte Ritual, die ökonomischen und
der Eingeborenen zu folgen, so sieht man immer und immer wieder ihre ~tlichen Verpflichtungen, die Verbindlichkeiten, zeremoniellen Ga-
Gebräuche, Zeremonien und Geschäfte,
. man erhält Beispiele ihres Glau- Wo und formalen Ehrenbezeigungen, werden, obwohl gleich wichtig
bens, .wie sie ihn unmittelbar erleben, und das Fleisch und Blut des tat-
sächlichen Eingeborenenlebens füllt bald das Skelett abstrakter Kon-
ttr den Wissenschaftler, von dem einzelnen, der sich nach ihnen richten
. , weniger stark empfunden. Wir alle wissen, daß, überträgt man
struktionen aus. Das ist der Grund, warum der Ethnograph, indem er iUt~s auf uns selbst, »Familienleben« zuallererst die Atmosphäre eines Zu-
unter Bedingungen wie den zuvor beschriebenen arbeitet, in der Lage ist, .ses bedeutet, all die kleinen Handlungen und Aufmerksamkeiten, in
zum bloßen Umriß des Stammesaufbaus etwas Wesentliches hinzuzu· 8i:rien sich die Zuneigung, das gegenseitige Interesse, die kleinen Bevor-
fügen und ihn durch all die Einzelheiten des Verhaltens, der Situation li1gungen und kleinen Antipathien ausdrücken, die Vertrautheit erzeugen.
und der kleinen Vorfälle zu ergänzen. Er ist in der Lage, in jedem Ein- :Die Tatsache, daß wir von dieser Person vielleicht etwas erben und
zelfall festzustellen, ob eine Handlung öffentlich oder privat ist, wie eine hlnter dem Leichenwagen jener hergehen sollen, gehören zwar soziolo-
öffentliche Versammlung sich verhält und wie sie aussieht; er kann darüber 'fls<n zur Definition von »Familie« und »Familienleben«, stehen aber bei
urteilen, ob ein Ereignis gewöhnlich oder aufregend und einzigartig ist, l\Ier persönlichen Einschätzung dessen, was uns Familie wirklich bedeu·
ob die Eingeborenen ihm viel Aufrichtigkeit und Ernßt entgegenbringen "et, normalerweise sehr weit im Hintergrund.
oder es im Spaß ausführen, ob sie etwas oberflächlich tun oder mit Eifer ;>(}enau das gleiche gilt für die Eingeborenengemeinschaft, und wenn der
und überlegung. lEthnograph seinen Lesern ihr wirkliches Leben erklären will, darf er i
Es existiert mit anderen Worten eine Reihe sehr wichtigeri>bänomene, flies auf keinen Fall vernachlässigen. Keiner der beiden Aspekte, der
die möglictierweise nicht durch B~frag~g oder Auswertung von' Dg~­ ~tsönIiche ebensowenig wie der gesetzmäßige, sollte hinweggedeutet .
'menten in Erfahrung zu bringen sind, sondern in ihrer vollen Wirklich- "Werden. Noch immer gibt es in ethnographischen Berichten in der Regel

42 43
nicht beide, sondern entweder den einen oder den anderen, und der Unterhaltung und der Arbeit. immer wieder feststellen lassen, sollten sie
persönliche Aspekt v,.urde bis heute kaum jemals angemessen behandelt. sofort notiert werden. Es ist aber auch wichtig, daß diese Tätigkeit des ;~
r
I
In allen sozialen Beziehungen, in den FamiIienbeziehungen und auch '""Sammelns und Festhaltens von Eindrücken .!ichon früh im Verlauf der
in den Beziehungen zwischen bloßen Stammesmitgliedern und darüber Bearbeitung eines Gebietes einsetzen sollte,denn bestimmte unschein- l;
hinaus zwischen feindlichen oder freundlichen Mitgliedern verschiede- ,~.
. bare Eigentümlichkeiten, die so lange a.u.f.f.a.l.l.e.n. si.e.neu sind, werden
ner Stämme, die sich bei irgendeiner sozialen Betätigung treffen, findet nicht mehr wahrgenommen, so~~l~.si~_y.ert!'!'!-1J geWQiden 'sm!:l Andere
man diese vertrauliche Seite, die sich in den typischen Einzelheiten des wiederum können.E.!lr mit einer ~aueren Kenntn~ der örtlichen Ve!- 11
Umgangs und in der Stimmungslage ihres Verhaltens in Gegenwart des ~~ be rkt werden. Für diese Art der Unter~uchung wäre ein ~th= ,Y
anderen. ausdrückt. Diese Seite unterscheidet sich von der bestimmten, ~ographisch~S Ta ebuch das s~tisch währe1!(Lg~~"Ranzen Verlaufs}
festgefügten gesetzmäßigen Ordnung der Beziehungen und muß für sich er Arbeit eines Forschers. iI}~in~n:LneIirer~hrt wird, das "ideale ln-I
untersucht und in ihrer Eigengesetzlichkeit dargelegt werden. Strll~ We~~'der'EiImograph neben dem Norn:i'ruenüna Typischen
Genauso sollte beim Studium der augenfälligen Handlungen des Stam- aeSsen geringfügigen und ausgeprägten Abweichungen sorgfältige Beachl
meslebens, der Zeremonien, Riten, Festlichkeiten etc., dieAPgabe. von tung schenkt, wird es ihm möglich sein, die beiden Extreme zu markie'
Einzelheiten undßer.Gestimmtheit des VerJ;li'dt~ns_ neben dem Umriß des ren, zwischen denen sich das Normale bewegt.
"E'felgnisses nicht fehlen. Das folgende Beispiel mag die Bedeutung dieses Bei der Beobachtung von Zeremonien oder anderen Stammesereignissen,
Gesichtspunktes unterstreichen. Viel ist über das Fortleben alter Bräuche wie zum Beispiel der in Abbildung 4 wiedergegebenen Szene, ist es erfor-
gesagt und geschrieben worden. Aber die Eigenart des Fortlebens einer derlich, nicht nur jene Vorkommnisse und Einzelheiten aufzuschreiben,
Handlung drückt sich nirgendwo so gut aus wie im begleitenden Verhal- die nach Tradition und Brauch den wesentlichen Ablauf der Handlung
ten, in der Art, in der sie ausgeführt wird. Man nehme nur irgendein Bei- bilden, sondern der Ethnograph sollte außerdem die H~..m:l.bm.g~.n der
spiel aus unserer eigenen Kultur, sei es der Pomp und Prunk einer Staats- ~,~~e .Y!ld-der_~,!!~c.Qa\ler eine nach der anderen sorgfältig und präzise
zeremonie oder ein von Straßenbengeln aufrechterhaltener Brauch: sein !e~ij@.e::. Vergißt er für einen Moment, daß er die Struktur dieser Zere-
»Umriß« sagt einem nicht, ob der Ritus noch im Herzen derer, die ihn monie, deren grundlegende dogmatische Vorstellungen, kennt und ver-
ausüben oder an seiner Ausübung beteiligt sind, in voller Blüte steht oder steht, so könnte er versuchen, sich in die Lage dieser Menschenansamm-
ob sie ihn als fast tot, nur um der Tradition willen am Leben erhalten, lung zu versetzen, die sich bedächtig oder heiter, in ernster Konzentration
betrachten. Beobachtet man aber ihr wirkliches VerhaItenund zeichnet es oder gelangweilter Oberflächlichkeit verhält, die er entweder in dersel-
auf, so wird das Maß der Lebendigkeit jener Handlung klar hervortreten. ben Stimmung wie an jedem Tag oder aber auf eine hohe Stufe der Er-
Zweifellos kommt aus dem Blickwinkel der soziologischen oder psycho- regung getrieben vorfindet und so weiter und so fort. Indem er seine Auf-
logischen Analyse und in bezug auf Fragen der Theorie der Art und dem merksamkeit ständig auf diesen Aspekt des Stammeslebens richtet und
Typ des bei der Ausführung einer Handlung beobachteten Verhaltens ständig bemüht ist, ihn festzuhalten und mit Hilfe wirklicher Tatsachen
größte Bedeutung zu. Das Verhalten ist eine Tatsache, eine relevante auszudrücken, findet eine große Menge zuverlässigen und aussagekräfti-
Tatsache, eine, die aufgezeichnet werden kann. Der Mann der Wissen- gen Materials ihren Weg in seine Aufzeichnungen. Der Ethnograph wird
schaft wäre töricht und kurzsichtig, der eine ganze Gruppe von Phäno- in der Lage sein, die Handlung an der ihr zukommenden Stelle im Stam-
menen, bereit gespeichert zu werden, nicht beachtete und verloren gehen mesleben »einzuordnen«, d. h. zu zeigen, ob sie gewöhnlich oder außer-
ließe, auch wenn er den theoretischen Nutzen, den sie besitzen könnten, ordentlich ist, ob die Eingeborenen sich in ihr normal verhalten oder ob
momentan nicht erkennt! das Verhalten der Eingeborenen in ihr verändert ist. Ebenso wird es ihm
In bezug auf die eigentliche Methode der Beobachtung und Aufzeich- möglich, all dies seinen Lesern klar und überzeugend zu vermitteln.
nung dieser/rnponderabJlien des wirklichen._Lebens und des typischen
j Verhaltens in der Feldforschung steht ohne Zweifel fest, daß die tu~rsön-

1 lichen. Beobachtungsfehler des Forschers sich hier $täd{~rl:t\l~.wirken als


Andererseits nützt es bei dieser Art von Arbeit dem Ethnographen,
manchmal Kamera, Notizbuch und Bleistift zur Seite zu legen und sich
selbst am Geschehen zu beteiligen. Er kann an den Spielen der Eingebo-
I
. b~lde; 'SimmiiingTeststehender ethnographischer Daten. Aber -aum hier renen teilnehmen, er kann sie auf ihren Besuchen und Reisen begleiten
muß das~~n sein, die Ta!~a~~.Jü~8icl!.l.tlQ§LSprecheJl zu und sich zu ihnen setzen, zuhören und sich an ihrer Unterhaltung beteili-
~SC!.!h.~ sich auf der täglichen Runde (furch das Dorf bestimmte gen. Ich bin mir nicht sicher, ob dies für jedermann gleich einfach ist -
kleine .y'ql:f~1~2 charakteristische Formen der Nahrungsaufnahme, der vielleicht ist das slawische Wesen plastischer und von Natur aus wilder als

44 45
das der'Westeuropäer -, aber auch wenn das Ausmaß des Erfolgs unter- ter ins Feld allgemeiner Methodologie zu begeben, ich möchte vielmehr
schiedlich sein mag, so ist der Versuch doch jedem möglich. Aus diesem direkt die Frage nach den praktischen Mitteln, einige der hiermit verbun-
Eintauchen in das Leben der Eingeborenen - das ich häufig betrieben denen Schwierigkeiten zu überwinden, aufgreifen.
habe, nicht nur um der Forschung willen, sondern weil jeder menschliche Zuerst müssen wir uns klar machen, daß wir es hier mit stereotypen For-
Gesellschaft braucht - habe ich das klare Gefühl gewonnen, daß ihr Ver- men des Denkens und Fühlens zu tun haben. Wir sind als Soziologen
halten, ihre Wesensart in allen Stammesangelegenheiten durchsichtiger nicht daran interessiert, was A oder B als Einzelwesen im zufaIIigen Ver-
und besser verständlich wurden, als sie zuvor waren. Alle diese methodo- lauf ihrer eigenen persönlichen Erfahrung empfinden - uns interessiert
logischen Bemerkungen wird der Leser dann in den folgenden Kapiteln ~
nur, was sie als Mitglieder
~-~.
einer bestimmten
. ' .. . .." .. _...
~.~._ •._. .
Gemeinschaft
._-~_._
denken oder\i
••.•- - - " -.•.•_ - - . - 'I
veranschaulicht finden. ~mE@~en. J.Il~meser Eigenschaft nun erfährt ihr GeiSles~ustand eine be-)I
stimmte Prägung durch die In~titutionen, in denen sie leben, durch den I
9influß yonNdiiiQii'li"nd Folklore und durch das eigentliche Vehikel;
VIII. des pen~~!ls, die Spradte, werden sie ceinllei11ü;!.t.g.e.fp..rmt. R~~_...soziatJ
l~g~Jru'!!.~!~I!~~U1D:~~~u!l~' in der sie sich bewegen, zw.i,!1gt sie, in einer l
Wir wollen schließlich zum dritten und letzten Ziel wissenschaftlicher bestimmten At:t zu oeriKen und zu fühlen. So kllnri ein Mann, der in einer I
Feldforschung übergehen, zum letzten Typus von Phänomenen, die auf- polyandrischen Gesellschaft lebt, nicht dieselben Gefühle der Eifersucht
gezeichnet werden sollten, um ein vollständiges und adäquates Bild der empfinden, wie ein strenger Monogynist, obwohl er über die Grundlage
. Eingeborenenkultur zu geben. Neben dem festen Umriß des Stammes- zu diesen Gefühlen vielleicht verfügt. Wer in der Sphäre des Kula lebt,
aufbaus und den sich herauskristallisierenden Einzelheiten der Kultur, kann zu bestimmten unter seinen Besitztümern keine dauerhafte, gefühls-
die das Skelett bilden, neben den Daten des Alltagslebens und dem nor- betonte Bindung entwickeln, trotz der Tatsache, daß er sie am allermei-
malen Verhalten, die sozusagen sein Fleisch und Blut ausmachen, muß sten schätzt. Dies sind nur ein paar grobe Beispiele, aber im Text dieses
noch der Geist aufgezeichnet werden - die ~sc!t~,IDl.ng~n,Meinungen Buches werden sich bessere finden lassen.
i und Ä~ß~~.!l.s.~Il.ßes Eingeborenen. Denn in jeder Handliinfdes'stam- Das dritte Gebot der Feld-Arbeit lautet also: Ermittele die typischen
meslebens gibt es zuerst den durch Brauch und Tradition vorgeschriebe- Formen des Denkens und Fühlens, die den InstiTutionen"lliiö der Kultti'r
nen Ablauf, sodann die Art und Weise der Ausführung und schließlich ~. bes.ilm~ten3j~m.~i~~fL?1l&ehörenu.nd formuliere die Ergeb-
den zugehörigen Kommentar in den 1Jedanken des Eingeborenen. Ein ~~~in...d~lji.rut~~!J.:gc~ng~!~lljVeise. Wie wird da zu verfahren sein? Die
Mensch, der verschiedenen aus dem Brauch erwachsenden Verpflichtun- besten ethnographischen Autoren -' auch hier nimmt die Cambridge
gen unterworfen ist und einem traditionellen Handlungsablauf folgt, Schule mit Haddon, Rivers und Seligman unter den englischen Ethno-
wird dabei von bestimmten Motiven getrieben, von bestimmten Gefühlen graphen den ersten Rang ein - haben immer versucht, bestimmte Aus-
begleitet und von bestimmten Vorstellungen geleitet. Diese Vorstellun- sagen von entscheidender Bedeutung 'C:qrt1Y9I1U.M zuziti~rel,h. Außerdem
gen, gefühl~Jlllcl..Itp~e sind von der Kultur, in der wir sie 'vorfiri<i"en, führen sie Begriffe aus der Klassifikation der Eingeborenen an, soziolo-
geformt und bedingt und stellen daher eine ethnische Besonderheit dieser gische, psychologische und gewerbliche termini technici, und die aJ;:~ch­
bestimmten Gesellschaft dar. Es muß deshalb der Versuch unternommen liche Kontur des Denkens der Eingeborenen haben sie immer so prärlse'
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werden, sie zu studieren und.aqfzuzeichnen. WIe möglich wiederzugeben versucht. Auf diesem Weg kann der Ethno-
Ist dies ab~;;ögiicli?Sind di~;-'siibjektiven Zustände nicht zu flüchtig graph einen Schritt weiter gehen, der sich Kenntnisse der Eingeborenen-
und gestaltlos? Selbst wenn man voraussetzt, daß die Menschen norma- ~c!!~.~~irbt un,d. d!ese als FOrsch~gsinstrumenr ~ nutzen verst:h~.,
lerweise bei der Ausführung bestimmter herkömmlicher Handlungen be- Wenn Ich m aerKmwma-Sprache arbeItete, empfand Ich doch stets eml";;
stimmte psychische Zustände empfinden, denken oder erfahren, wird ge Schwierigkeit, eine Aussage direkt in Obersetzung niederzuschreiben,'
doch die Mehrheit von ihnen nicht in der Lage sein, diese Zustände zu was ich zuerst beim Festhalten meiner Notizen versuchte. Die Oberset-i'I
formulieren, sie in Worte zu fassen. Sicherlich muß dieser letzte Punkt zung raubte dem Text oft alle seine bezeichnenden Eigentümlichkeiten -\
erst einmal in Rechnung gestellt werden, und vielleicht bildet er den ei- schliff alle hervorstechenden Eigenschaften ab -, so daß ich nach und I
gentlichen Gordischen Knoten beim Studium sozialpsychologischer Tat- nach dahin gelangte, bestimmte wichtige Redewendungen gerade so zu
bestände. Ich möchte hier nicht versuchen, diesen Knoten zu lösen oder notieren, wie sie gesprochen worden waren, nämlich in der Eingeborenen-
zu durchschlagen, d. h. das Problem theoretisch zu klären, oder mich wei- JJ?r~clt~. In dem Maße, in dem meine §prachken:r:EI!s~.~ zunahmen;'no-

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tierte ich mehr und mehr in der Kiriwina-Sprache, bis ich mich zuletzt in rakteristischen Erzählungen, typischen Äußerungen, von Einzelheiten der
der Lage sah, ausschließlich in dieser Sprache zu schreiben und rasch Folklore und magischen Formeln aufgestellt werden als ein corpus in-
Wort für Wort.$derAussage zu notieren. Kaum hatte ich diesen Punkt scriptionum, als Dokument der Mentalität der Eingeborenen.
errelcht;··a1s~·1clt b~~erkie~"d~ß ich auf diese Weise ein reichhaltiges lin- Diese drei Zugangsweisen führen zu dem Endziel, das der Ethnograph
guistisches Material und eine Reihe ethnographischer Dokumente er- nie aus ,dem Blick verlieren sollte. Das Ziel besteht, kurz gesagt, darin'll
warb,. die über ihre Verwendung in meinem Bericht hinaus so wiederge- den Standpunkt des Eingeborenen, seinen Bezug zum Leben zu verstehen 1
geben' werden sollten, wie ich sie festgehalten hatte. 10 Dieses corpus in- und sich seine Sicht seiner Welt vor Augen zu führen. Unsere Aufgabe \
scriptiomim Kiriwiniensium kann nicht nur von mir, sondern von allen, ist es, Menschen zu studieren, wir müssen das untersuchen, was sie am
die wegen ihrer tieferen Einsicht und Interpretationsfähigkeit Punkte unmittelbarsten betrifft, nämlich ihre ~~t~n Lebens1!ß1stände. In je-
finden könnten, die meiner Aufmerksamkeit entgehen, genutzt werden, der Kultur weichen die Werte geringfügig voneinander ab;äieMenschen
~ ähnlich wie bei den anderen corpora, die die Grundlage für die verschie- streben unterschiedliche Ziele an, folgen verschiedenartigen Impulsen
denen Interpretationen alter und prähistorischer Kulturen bilden. Nur und sehnen sich nach unterschiedlichen Formen des Glücks. In jeder Kul-
sind diese ethnographischen Inschriften alle entzifferbar und klar, sind tur finden sich andere Institutionen, in denen die Menschen ihren lebens-
fast vollständig übersetzt und mit erklärenden Kommentaren der Einge- wichtigen Interessen nachgehen, andere Bräuche, durch die sie ihre Sehn-
borenen oder scholia, geschöpft aus lebendigen Quellen, versehen. süchte befriedigen, und andere Gesetzes- und Moralkodizes, die ihre Tu-
Weitere Erläuterungen hierzu erübrigen sich, da im folgenden ein ganzes genden belohnen und ihre Verfehlungen bestrafen. Wer die Institutionen,
Kapitel (Kap. XVIII) diesem Gegenstand undseiner Erklärung an Hand Bräuche und Kodizes oder das Verhalten und die Mentalität ohne den
mehrerer Eingeborenentexte gewidmet ist. DaS"C191:j2US, wird zu einem subjektiven Wunsch studiert, zu erspüren, wodurch diese Menschen le-
späteren Zeitpunkt natürlich gesondert veröffentlicht werden;", ben, und ohne die Substanz ihres Glücks wahrzunehmen, der muß meiner
Meinung nach auf die größte Belohnung, die wir uns vom Studium des
Menschen erhoffen können, verzichten.
IX. Der Leser wird diese allgemeinen Feststellungen in den folgenden Kapi-
teln illustriert finden. Dort werden wir den Wilden sehen können, wie er
Unsere überlegungen zeigen somit, daß man sich dem ~g.~~~1:~i- sich bemüht, seine Sehnsüchte zu erfüllen, seine Wertvorstellungen zu
J~!,.fJl~~_ auf drei Wegen nähern muß:.. .. realisieren und seinem sozialen Ehrgeiz zu folgen. Wir werden ihn erle-
1:: Die OrgamsatlOn des Stammes und die AnatomIe semer Kultur mussen ben, wie er von einer Tradition magischer und heroischer Heldentaten
in festem, klarem Umriß aufgezeichnet werden. Die Methode konkreter, zu gefährlichen und schwierigen Unternehmungen verlockt wird, wie er
statistischer Dokumentation ist das Mittel, durch das ein solcher Urnriß dem Reiz seiner eigenen Abenteuererzählungen folgt. Wenn wir von
zu erreichen ist. 'diesen fremdartigen Bräuchen lesen, mag sich vielleicht ein Gefühl der
2. Dieses Schema muß mit den Imponderabilien des wirklichen Lebens Solidarität mit den ehrgeizigen Absichten und Bemühungen dieser Einge-
und dem spezifischen Typus von Verhalten ausgefüllt werden. Beides . borenen einstellen. Vielleicht wird sich uns' ihre Mentalität offenbaren
muß durch minuziöses, detailliertes Beobachten mit Hilfe eines ethno- und uns in einer bisher unbekannten Weise näherrücken. Indem wir die
graphischen Tagebuches gesammelt werden, was durch den engen Kon- menschliche Natur in einer für uns entfernten und fremden Gestalt wahr-
takt mit den Eingeborenen möglich wird. nehmen, fällt vielleicht auch auf unsere eigene Natur etwas Licht. Nur
3. Es muß eine Sammlung von ethnographischen Aufzeichnungen, cha- wenn dies der Fall ist, dürfen wir mit Recht sagen, daß sich unsere Mühe
gelohnt hat, diese Eingeborenen, ihre Institutionen und Bräuche zu ver-
stehen, und daß wir aus dem Kula einen Gewinn gezogen haben.
10 Bald nachdem ich diesen Weg beschritten hatte, erhielt ich von A H. Gardiner,
dem bekannten Ägyptologen, einen Brief, worin er mir gerade dies nahelegte. Aus
seiner Sicht als Archäologe sah er natürlich die enormen Möglichkeiten für einen
Ethnographen, eine ähnliche Sammlung schriftlicher Quellen zusammenzutragen,
wie sie uns von alten Kulturen erhalten sind, wobei obendrein noch die Möglichkeit
besteht, sie durch die persönliche Kenntnis des vollen Lebens jener Kultur zu er-
läutern.

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