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Informationen zur Raumentwicklung

Heft 10.2006 539

Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – Gerhard Bosch


Dieter Rehfeld
Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

1 Die deutsche Bauwirtschaft – Im Mittelpunkt der „Zukunftsstudie Bau-


eine Branche im Umbruch gewerbe Nordrhein-Westfalen“, die vom
Ministerium für Städtebau und Wohnen,
Die Bauwirtschaft befindet sich gegen- Kultur und Sport des Landes Nordrhein-
wärtig in einem tief greifenden Umbruch. Westfalen und den Sozialpartnern finan-
Allen Prognosen zufolge wird die ungüns- ziert und 2003 fertiggestellt wurde, stand
tige Nachfragesituation anhalten und die die Frage, wie eine kompetente und wett-
Bauwirtschaft mittel- und langfristig wei- bewerbsfähige Bauwirtschaft in Nordrhein-
ter schrumpfen. Gleichzeitig stehen die Westfalen aussehen könnte. Letztlich ent-
Unternehmen der Bauwirtschaft vor der scheiden hierüber die Bauunternehmen
Herausforderung, ihre internen und zwi- mit ihren konkreten Strategien. Allerdings
schenbetrieblichen Beziehungen neu zu ge- kann die Entscheidung auf Unternehmen-
stalten, den veränderten Kundenbedürfnis- sebene durch Rahmenbedingungen be-
sen durch neue Marktstrategien Rechnung einflusst werden, die eine nachhaltige, auf
zu tragen und hierbei den Einsatz neuer Kompetenz beruhende Neugestaltung von
Technologien und Organisationskonzepte Unternehmensstrategien unterstützen. Um
zu forcieren. Dabei müssen sie sich auf eine die genannten Herausforderungen für die
Veränderung nahezu aller Rahmenbedin- deutsche Bauwirtschaft angemessen zu ver-
gungen einstellen. Dazu gehören der de- stehen, wurden im Rahmen dieser Studie
mographische Wandel, die weitere Öffnung die untenstehenden sechs Arbeitspakete
der internationalen Märkte, ein wachsen- untersucht.
der Druck auf das für die Bauwirtschaft we- Im vorliegenden Beitrag werden wesent-
sentliche Regulierungssystem wie auch die liche Ergebnisse der Zukunftsstudie zusam-
Finanzierungsbedingungen der Unterneh- mengefasst. Dabei wurden wichtige Daten
men. Auf der Tagesordnung steht nicht al- aktualisiert und auch die Diskussionen
lein eine Neupositionierung der einzelnen bei der Vorstellung der Ergebnisse der Zu-
Betriebe, vielmehr wird sich die Branche kunftsstudie einbezogen.
insgesamt reorganisieren.

Arbeitspakete im Rahmen der „Zukunftsstudie Baugewerbe Nordrhein-Westfalen“

Arbeitspakete und Inhalte Bearbeiter

Arbeitspaket 1: Rahmenbedingungen und Szenarien Jürgen Veser


der künftigen Baunachfrage in Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH (IfS)
Deutschland und NRW Dr. Bernd Bartholmai
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Arbeitspaket 2: Baumanagement
2.1 Baumanagement Prof. C.J. Diederichs
Bergische Universität Wuppertal
Fachzentrum Baumanagement
2.2 Strategien zur Substanzerhaltung Karsten Wischhof
nordrhein-westfälischer Bau- Wischhof, Singhofen und Gergen
unternehmen Gesellschaft für Unternehmensberatung mbH
Arbeitspaket 3: Regulierungssystem Produktmarkt Wolfgang Dürig und Dr. Bernd Lageman
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
Essen (RWI)
Arbeitspaket 4: Die Produktionskette: Fikret Öz
Bauwirtschaft in NRW Institut Arbeit und Technik (IAT)
Prof. Dr. Gerhard Bosch
Arbeitspaket 5: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit Thorsten Kalina
in der Bauwirtschaft Institut Arbeit und Technik (IAT) PD Dr. Dieter Rehfeld
Institut Arbeit und Technik – IAT
Arbeitspaket 6: Die Internationalisierung des Georg Worthmann
deutschen Bauarbeitsmarktes Institut Arbeit und Technik (IAT) Munscheidstraße 14
45886 Gelsenkirchen
Quelle: Bosch, G.; Rehfeld, D.: Zukunftsstudie Baugewerbe Nordrhein-Westfalen: Zusammenfassung der Einzel-Arbeits- E-Mail: bosch@iatge.de
pakete. – IAT, Gelsenkirchen 2003 (www.zib.nrw.de/fachinfo/pdf_doc/einzelgutachten_endbericht_bosch_lang.pdf) rehfeld@iatge.de
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
540 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

Abbildung 1 leistungen – also Architekten, Ingenieur-


Elemente der Wertschöpfungskette „Bauwirtschaft“ und Planungsbüros – und Funktionen wie
Immobilienwirtschaft und Finanzierungs-
Unterstützende Dienstleistungen
einrichtungen. Weiterhin sind die Zulieferer
(Architekten, Ingenieure, Planung,
Management, Immobilien, Finanzierung) zu nennen, also die Hersteller von Baustof-
fen, ebenso die Anbieter von Maschinen
und Werkzeugen. Zur Wertschöpfungskette
zählt schließlich auch ein breites Feld an
Zulieferer: Bildungs- und Weiterbildungseinrichtun-
Maschinen, Bauhauptgewerbe Baustoff- gen, Hochschulen und Forschungsein-
Werkzeuge hersteller richtungen sowie Verbänden, die für die
usw.
Kompetenz der Beschäftigten, die Innova-
tionspotenziale der Betriebe wie auch die
Regulierung der Produkt- und Arbeitsmärk-
Ausbaugewerbe te in der Bauwirtschaft von großer Bedeu-
tung sind.
Bezogen auf die Bundesrepublik stellt sich
dies wie folgt dar: 2004 waren gut 3,5 Mio.
Verbände / Universitäten und Fachhochschulen / Forschungseinrichtungen / Menschen in der auf den Bau bezoge-
Öffentliche Einrichtungen / Transferstellen usw. nen Wertschöpfungskette sozialversiche-
rungspflichtig beschäftigt. Davon entfielen
Quelle: Öz, F.: Die Produktionskette: Bauwirtschaft in NRW. Z. Arbeitspaket 4 der Zukunftsstudie knapp 800 000 auf das Bauhauptgewerbe,
Baugewerbe Nordrhein-Westfalen. – IAT, Gelsenkirchen 2003, S.16 (www.zib.nrw.de/ fast 860 000 auf das Ausbaugewerbe, knapp
fachinfo/pdf_doc/einzelgutachten_4_oez_kurz_lang.pdf)
560 000 auf die Zulieferbranchen (Vorleis-
tungen) und gut 1,3 Mio. auf die mit der
Planung, dem Bau und der Nutzung von
Gebäuden verbundenen Dienstleistungen
2 Ausgangslage: Verschiebungen (vgl. im Detail Tab. 1.3).
in der Wertschöpfungskette der
Zwischen den einzelnen Bereichen der
Bauwirtschaft Wertschöpfungskette haben sich in den
vergangenen Jahren weiterhin erhebliche
Um die Folgen des Strukturwandels in der
Verschiebungen ergeben. Der Anteil der
Bauwirtschaft zu verstehen, genügt es nicht,
Dienstleistungen ist zwischen 1998 und
allein das Bauhauptgewerbe in den Blick zu
2004 von 30 % auf 38 % gestiegen, der An-
nehmen. Der Rückgang der Beschäftigung
teil der Vorleistungen von 13 % auf 16 %.
im Baugewerbe zeigt nur eine Seite des
Entsprechend rückläufig sind die Anteile
Strukturwandels. Gleichzeitig haben sich
in den Kernbereichen: von 29 % auf 22 %
die Branchen im Umfeld des Baugewerbes,
im Bauhauptgewerbe, von 28 % auf 24 %
die Zulieferer und vor allem die Dienstleis-
im Ausbaugewerbe (vgl. Abb. 2). Selbst-
tungsunternehmen, die beim Bauen und
verständlich finden sich innerhalb dieser
im Gebäudemanagement aktiv sind, in
Bereiche Differenzierungen (s. Tab. 1.1,
den vergangenen Jahren deutlich günsti-
1.2), die hier nicht weiter ausgeführt wer-
ger als der Kernbereich der Bauwirtschaft
den sollen. Wichtig ist vielmehr, dass sich
entwickelt. In diesen Verschiebungen drü-
die unterschiedlichen Entwicklungen ge-
cken sich langfristige Veränderungen in der
genseitig bedingen. So werden etwa durch
Baunachfrage aus: Verschiebungen von der
den zunehmenden Einsatz vorgefertigter
Produktion zu den begleitenden Dienstleis-
Komponenten Aufträge und Beschäftigung
tungen, vom Bau selbst zu Instandhaltung
vom Kernbereich zu den Zulieferern verla-
und Wartung, von der direkten Herstellung
gert. Auch innerhalb der Zulieferketten ver-
von Gebäuden in die Vorfertigung von Tei-
schiebt sich die Nachfrage. Es werden z. B.
len usw.
zunehmend Komponenten aus Holz, Stahl
Abbildung 1 stellt alle Funktionen der Wert- und Kunststoff zulasten von Beton einge-
schöpfungskette dar, in der das Bauhaupt- setzt. Das Beschäftigungswachstum bei den
gewerbe nur ein Element ist. Neben diesem Planungs- und Ingenieurbüros hängt mit
und dem Ausbaugewerbe als Kernbereiche dem Outsourcing von Planungsleistungen
gehören dazu die unterstützenden Dienst- aus dem öffentlichen Bereich zusammen.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 541

Der Zuwachs der Reinigungs- und Verwal- Abbildung 2


tungstätigkeiten steht für die wachsende Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Wertschöpfungskette des
Baugewerbes, Anteile 1998 und 2004
Nachfrage nach Leistungen eines umfas-
senden Gebäudemanagements.  

Trotz ihrer erheblichen Auswirkungen auf


Nachfrage und Beschäftigung werden diese  6ORLEISTUNGEN 
Verschiebungen in der Wertschöpfungskette  "AUHAUPTGEWERBE
!USBAUGEWERBE 
von den Bauunternehmen selten themati-
$IENSTLEISTUNGEN 
siert, wenn sie auf die Frage nach den aktu- 
ellen Problemen der Unternehmen und der
Branche antworten. Die meisten Bauunter- 

nehmen haben – wie bislang auch – nur ihr
traditionelles Kerngeschäft im Auge. Dabei
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
geht der Blick für die strukturellen Ände-
rungen in der Branche insgesamt verloren.
Es wird kaum beachtet, dass sich trotz der
Krise entlang der Produktionskette neue
Wachstumsbereiche zeigen und sich in den
Randbereichen der Produktionskette neue
Unternehmensstrategien entwickeln, die
weit in die Kernbereiche des Baugewerbes
hineinreichen, indem beispielsweise Her-
steller in das Bauen selbst einsteigen.

Tabelle 1
Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Baugewerbe in Deutschland
– 1998 bis 2004
1.1 Bauhaupt- und Ausbaugewerbe

Deutschland Insgesamt: Beschäftigte WZ 2003 1998 2004 Veränderung


Bezeichnung: in %

45,11 Abbruch-, Spreng- und Enttrümmerungsgewerbe, 43.353 27.001 -37,7 %


Erdbewegungsarbeiten
45,12 Test- und Suchbohrung 1.822 1.597 -12,3 %
45,21 Hochbau, Brücken- und Tunnelbau u. ä. 777.563 442.123 - 43,1 %
45,22 Dachdeckerei, Bauspenglerei, Abdichtungen und Zimmerei 200.751 139.762 -30,4 %
45,23 Bau von Straßen, Bahnverkehrsstrecken, Rollbahnen und 103.491 82.485 -20,3 %
Sportanlagen
45,24 Wasserbau 8.463 5.896 -30,3 %
45,25 Sonstiger spezialisierter Hoch- und Tiefbau 125.192 85.527 -31,7 %
Bauhauptgewerbe 1.260.635 784.391 -37,8 %

45,31 Elektroinstallation 268.785 211.907 -21,2 %


45,32 Dämmung gegen Kälte, Wärme, Schall und Erschütterung 68.960 53.696 -22,1 %
45,33 Klempnerei, Gas-, Wasser-, Heizungs- und Lüftungs- 368.775 260.599 -29,3 %
installation
45,34 Sonstige Bauinstallation 10.141 10.161 0,2 %
45,41 Stukkateurgewerbe, Gipserei und Verputzerei 48.385 32.093 -33,7 %
45,42 Bautischlerei und –schlosserei 77.441 56.266 -27,3 %
45,43 Fußboden-, Fliesen- und Plattenlegerei, Raumausstattung 97.684 67.598 -30,8 %
45,44 Maler- und Glasergewerbe 216.283 148.546 -31,3 %
45,45 Baugewerbe, anderweitig nicht genannt 16.538 13.435 -18,8 %
45,5 Vermietung von Baumaschinen und -geräten mit 5.510 5.273 - 4,3 %
Bedienungspersonal
Ausbaugewerbe 1.178.502 859.574 -27,1 %

Baugewerbe insgesamt 2.439.137 1.643.965 -32,6 %


Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
542 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

1.2 Zulieferbranchen und Dienstleistungen

Deutschland Insgesamt: Beschäftigte WZ 2003 1998 2004 Veränderung


Bezeichnung: in %

14,11 Gew.v.Natursteinen u.-werksteinen a.n.g. 18.060 14.119 -21,8 %


14,12 Gew.Kalk-,Dolom.-,Gips-,Anhyd.st.,Kreide 4.724 3.184 -32,6 %
14,13 Gewinnung von Schiefer 1.618 1.140 -29,5 %
14,21 Gewinnung von Kies und Sand 21.696 15.594 -28,1 %
14,22 Gewinnung von Ton und Kaolin 2.180 2.058 -5,6 %
20,3 Herst.Konstr.-,Fertigbauteile aus Holz 85.946 64.226 -25,3 %
25,23 Herst. v. Baubedarfsartikeln a. Kunststoff 42.144 34.045 -19,2 %
26,3 Herst. keram. Wand- u. Bodenfliesen, -platt. 4.284 3.931 -8,2 %
26,4 Ziegelei, Herst. v. sonstiger Baukeramik 20.556 14.284 -30,5 %
26,51 Herstellung von Zement 12.152 7.713 -36,5 %
26,52 Herstellung von Kalk 888 795 -10,5 %
26,61 Herst. Betonerzeugn. f. d. Bau u. Kalksandst. 63.302 42.165 -33,4 %
26,62 Herstellung v. Gipserzeugnissen f. d. Bau 1.175 1.002 -14,7 %
26,63 Herstellung von Transportbeton 13.792 11.142 -19,2 %
26,64 Herstellung von Mörtel 1.682 1.663 -1,1 %
26,65 Herstellung von Faserzementwaren 3.841 1.949 - 49,3 %
26,66 Herst. v. Erzgn. a. Beton, Zement, Gips a.n.g. 9.119 7.367 -19,2 %
26,7 Be- u. Verarbeitung v. Natursteinen a. n. g. 27.113 22.149 -18,3 %
28,11 Herst. v. Stahl-, Leichtmetallkonstruktion 167.193 147.707 -11,7 %
28,12 Herst. Ausbauelem. a. Stahl u. Leichtmetall 33.756 28.922 -14,3 %
28,51 Oberflächenveredlung u. Wärmebehandlung 51.685 59.350 14,8 %
28,62 Herstellung von Werkzeugen 54.846 53.351 -2,7 %
29,52 Herst. v. Bergwerks-, Bau- u. Baustoffmasch. 24.284 21.699 -10,6 %
Zulieferbranchen insgesamt 666.036 559.555 -16,0 %

51,13 Handelsverm. Holz, Baust. u. Anstrichmitteln 20.195 19.228 - 4,8 %


51,53 GH mit Holz, Baustoffen, Sanitärkeramik 146.688 116.050 -20,9 %
51,82 GH mit Bergwerks-, Bau- und Baustoffmaschinen 11.707 8.673 -25,9 %
52,46 EH mit Metallw., Bau- u. Heimwerkerbedarf 130.001 122.361 -5,9 %
70,11 Erschließung von Grundstücken 28.734 22.521 -21,6 %
70,12 Kauf u. Verkauf v. eig. Grundst., Geb., Wohn. 5.582 4.618 -17,3 %
70,2 Vermiet., Verpacht. eig. Grundst., Gebäude 67.531 71.476 5,8 %
70,31 Vermittlung Grundst., Gebäuden, Wohnungen 41.393 40.579 -2,0 %
70,32 Verwaltung Grundst., Gebäude u. Wohnungen 94.113 97.892 4,0 %
71,32 Vermietung v. Baumaschinen u. –geräten 9.550 9.431 -1,2 %
74,15 Managementtätigkeiten von Holdinggesellschaften 89.530 151.572 69,3 %
74,2 Architektur- und Ingenieurbüros 343.382 326.629 - 4,9 %
74,7 Reinigg. Gebäude, Inventar, Verkehrsmittel 297.891 370.685 24,4 %
Dienstleistungen insgesamt 1.286.297 1.361.715 5,9 %

1.3 Wertschöpfungskette insgesamt

Deutschland Insgesamt: Beschäftigte WZ 2003 1998 2004 Veränderung


Bezeichnung: in %

Zulieferbranchen 666.036 559.555 -16,0 %


Bauhauptgewerbe 1.260.635 784.391 -37,8 %
Ausbaugewerbe 1.178.502 859.574 -27,1 %
Baugewerbe insgesamt 2.439.137 1.643.965 5,9 %
Dienstleistungen 1.286.297 1.361.715 -5,6 %
Baucluster insgesamt 4.391.470 3.565.235 -18,8 %

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen


Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 543

3 Das traditionelle Modell beinhaltet auch, nach den Stärken und


der Bauwirtschaft und seine Schwächen des bisherigen Modells zu fra-
Herausforderungen gen. Wie die Bauwirtschaft künftig struk-
turiert sein wird, ist offen. Denkbar sind
Die Ausführungen zur Wertschöpfungskette verschiedene Szenarien; die Entwicklung
sollten deutlich machen, dass das bisherige, hängt von den Strategien der Unternehmen
stark auf das Bauhauptgewerbe und even- ab. Ebenso wird die Gestaltung der künf-
tuell noch das Ausbaugewerbe fokussierte tigen Bauwirtschaft von den durch Politik
Modell der Bauwirtschaft überdacht wer- und Verbände geschaffenen Rahmenbedin-
den muss. Die Stärken dieses Modells lagen gungen sowie durch die künftige Baunach-
in der Sicherung einer hohen technischen frage beeinflusst.
Qualität, durch ein effektives System der Alle vorliegenden Prognosen und Bran-
beruflichen Ausbildung und Arbeitsmarkt- chenstudien gehen davon aus, dass die
gestaltung und eine Vielzahl auf Qualitäts- Bauwirtschaft selbst nach dem dramati-
sicherung ausgelegter Regulierungen auf schen Personalabbau der letzten Jahre wei-
dem Produktmarkt. terhin schrumpfen wird und es zu einer
Allerdings sind auch die Schwächen dieses weiteren Marktbereinigung kommen muss.
Modell unübersehbar. Sie lassen sich wie Dies zeigen auch die im Rahmen der Zu-
folgt zusammenfassen: kunftsstudie erarbeiteten Prognosen1:
• Das Wachstum der Wirtschaft im Bund
(1) Durch die langjährige Konzentration
wird bis 2015/20 auf durchschnittlich
ausschließlich auf die technische Qualität
1,5 % geschätzt.
der Produkte wurden die Effektivierung der
• Das Wachstum des Bauvolumens wird
Prozesse und die Kundenorientierung ver-
bis 2010 auf 0,5 %, danach auf 0,6 % ge-
nachlässigt. Im Übergang von einem Anbie-
schätzt.
termarkt, der Preisbewusstsein vernachläs-
sigen ließ, zu einem Nachfragermarkt mit • Es wird eine jahresdurchschnittliche
hohem Preiswettbewerb stellt dies die Un- Produktivitätssteigerung von 2 % unter-
ternehmen vor erhebliche Schwierigkeiten, stellt.
Märkte aktiv zu erschließen und Innovatio- • Weiterhin kann aufgrund steigender Be-
nen konsequent umzusetzen. deutung von Erhaltungsinvestitionen
von einer Verschiebung vom Bauhaupt-
(2) Die Kompetenz wurde in der Vergan- gewerbe zum Ausbaugewerbe ausge-
genheit allein über Gewerke gesichert, die gangen werden.
zu einer Vielzahl von Schnittstellen führten.
• Es ist nicht anzunehmen, dass sich die
Das Bewusstsein für die wachsende Bedeu-
Finanzierungsprobleme der öffentlichen
tung zwischenbetrieblicher Prozesse ist in
Hand in den kommenden Jahren lösen
der Branche gering entwickelt. Die Wert-
werden.
schöpfungskette ist unzureichend integriert,
wodurch nicht nur Effektivierungspoten- Ein weiterer Beschäftigungsrückgang ist
ziale, sondern auch die Kundenzufrieden- also vorprogrammiert. In schrumpfenden
heit vernachlässigt werden. Branchen mit Überkapazitäten auf der An-
gebotsseite verschärft sich zwangsläufig
(3) Durch die kleinbetriebliche Struktu-
der Preiswettbewerb. Diesen Wettbewerb
ren des deutschen Baugewerbes wurde die
bei sinkender Auftragsmenge werden viele
notwendige kritische Masse, die Voraus-
der wirtschaftlich schwächeren Betriebe,
setzung für spezialisierte Kompetenz und
die sog. Grenzbetriebe, nicht überleben.
kontinuierliche Lernprozesse ist, oft nicht
Im Unterschied zu den Krisen der Bauwirt-
erreicht. Dies ist einer der Gründe, warum
schaft in der Vergangenheit geht es heute
technische und organisatorische Innovatio-
aber nicht allein um eine quantitative An- (1)
nen nur sehr langsam entlang der Wert- Vgl. Barthomai, B.; Veser, J.:
passung der Kapazitäten an eine sinkende
schöpfungskette diffundieren. Rahmenbedingungen und Sze-
Nachfrage, sondern zugleich um eine um- narien der künftigen Baunach-
Vieles spricht dafür, dass die Probleme der fassende Erneuerung der Branche. Nicht frage in Deutschland und NRW.
Arbeitspaket 1 der Zukunfts-
Bauwirtschaft in Deutschland nicht allein nur auf der Angebots- und Nachfrageseite, studie Baugewerbe Nordrhein-
die Probleme einzelner Unternehmen sind. sondern auch in den politischen Rahmen- Westfalen. – ISF, DIW Berlin
2003 (www.zib.nrw.de/fachinfo/
Eine Neustrukturierung der Branche insge- bedingungen ändern sich fast alle Parame- pdf_doc/einzelgutachten_1_ve-
samt steht auf der Tagesordnung, und dies ter. Das Problem für die Branche liegt we- ser_bartho_kurz_lang.pdf)
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
544 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

niger in einzelnen Veränderungen – damit ringern. Umgekehrt werden mittel- und


musste man schon in der Vergangenheit osteuropäische Arbeitnehmer und Unter-
fertig werden –, sondern in deren Vielzahl nehmen Zugang zum deutschen Baumarkt
und Gleichzeitigkeit. bekommen. Durch die Übergangsvorschrif-
ten zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und zur
Im Einzelnen sind neben dem intensiveren
Dienstleistungsfreiheit – letzte betrifft die
Preiswettbewerb infolge rückläufiger oder
in der Bauwirtschaft so wichtigen Entsen-
stagnierender Nachfrage folgende Heraus-
dungen von Arbeitskräften – kann die völ-
forderungen zu bewältigen (s. a. Abb. 3):
lige Öffnung des deutschen Baumarkts um
bis zu sieben Jahre hinausgeschoben wer-
• Demographische Entwicklung
den. Nach Ablauf der Übergangsfrist muss
Ab 2006/07 wird die Zahl der jugendlichen der Strukturwandel in der deutschen Bau-
Ausbildungsplatzbewerber stark zurück- wirtschaft so weit fortgeschritten sein, dass
gehen. Die Baubranche wird mit anderen deutsche Bauunternehmen mit heimischen
Branchen um die Jugendlichen konkurrieren Arbeitskräften gegen die ausländischen
und hat wegen ihres momentan schlechten Wettbewerber bestehen können.
Images auf dem Arbeitsmarkt ungünstige
Ausgangsvoraussetzungen in diesem Wett- • Illegale Beschäftigung
bewerb.2 Davon werden wegen der ver-
muteten hohen Arbeitsplatzunsicherheit Noch stärker als durch die legalen Entsen-
insbesondere kleinere Baubetriebe betrof- dungen wird der Wettbewerb aber durch
fen sein. Der Branche droht so mittel- und die illegalen Beschäftigungsformen ver-
langfristig ein Fachkräftemangel; die Rege- zerrt, die teilweise zu einem ruinösen Preis-
neration des Unternehmensbestands ist vor wettbewerb führen. Illegale Beschäftigung
allem im Bauhandwerk durch Nachwuchs- war in der Bauwirtschaft auch schon vor
mangel bedroht. Angesichts des aktuellen der Internationalisierung weit verbreitet;
Personalüberhangs auch von qualifizierten mit dieser haben sich deren Praktiken und
Kräften droht jedoch dieses für viele Be- Bedeutung aber gewandelt. Das bestehende
triebe existenzgefährdende Langfristprob- Kontroll- und Sanktionsdefizit verhindert
(2) eine effektive Umsetzung von Regelungen.
Vgl. Kalina, T.: Berufsausbildung lem im kurzfristig ausgerichteten betriebli-
und Fachkräftebedarf in der chen Alltag in den Hintergrund zu geraten. Über illegal tätige internationale Netzwerke
Bauwirtschaft. Arbeitspaket 5a aus Haupt- und Nachunternehmern und
der Zukunftsstudie Baugewer-
be Nordrhein-Westfalen. – IAT, • Internationalisierung des Formen der organisierten Kriminalität, die
Gelsenkirchen 2003 (www.zib. Bauarbeitsmarkts Milliarden Euro am Staat vorbei „erwirt-
nrw.de/fachinfo/pdf_doc/einzel-
schaften“, wird auch die Arbeitsmarktge-
gutachten_5_kalina_kurz_lang. Auf dem deutschen Bauarbeitsmarkt wird
pdf) staltung ausgehebelt.
mit ungleichen Voraussetzungen konkur-
(3)
Vgl. Worthmann, G.: Die Inter-
riert, da die Bruttolöhne von in Deutsch-
• Druck auf Deregulierung
nationalisierung des deutschen land eingesetzten qualifizierten Werkver-
Bauarbeitsmarktes. Arbeits- tragsnehmern aus EU-Mitgliedstaaten trotz Die Bauwirtschaft ist ein hochregulierter
paket 6 der Zukunftsstudie
Baugewerbe NRW. – IAT, Gel- des durch das Arbeitnehmer-Entsendege- Wirtschaftszweig, deren Regelungen sowohl
senkirchen 2003 (www.zib.nrw. setz eingeführten Mindestlohns oft noch den Produkt- als auch den Arbeitsmarkt
de/fachinfo/pdf_doc/einzelgut-
achten_6_worthmann_kurz_ immer deutlich unter den deutschen Löh- betreffen 4: Der Markteintritt ist an Quali-
lang.pdf); Bosch, G.; Worth- nen liegen.3 Dies gilt noch stärker für aus fikationsanforderungen gebunden (Hand-
mann, G.; Zühlke-Robinet, K.:
Das deutsche Baugewerbe
Mittel- und Osteuropa entsandte Arbeits- werksordnung). Für die Produkte gelten
im europäischen Wettbewerb. kräfte, die im Rahmen von Werkvertrags- zahlreiche Qualitätsstandards. Der Wettbe-
In: Die ökonomische Analyse abkommen auf deutschen Baustellen tätig werb wird durch die Verdingungsordnung
des Arbeitsrechts. Hrsg.: Sa-
dowski, D.; Walwei, U.; Institut sind. In diesem Zusammenhang bietet die für Bauleistungen (VOB) gestaltet. Preise
für Arbeits-markt- und Berufs- EU-Osterweiterung neben großen Chan- werden durch die Honorarordnung für Ar-
forschung. – Nürnberg 2002,
S. 107–143 cen für deutsche Bauunternehmen auch chitekten und Ingenieure (HOAI) und Löh-
Risiken: Für größere Unternehmen erge- ne durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
(4)
Vgl. Dürig; W. Lagemann, B.: ben sich Marktchancen in den neuen Mit- mitbestimmt. Der Arbeitsmarkt ist durch
Regulierungssystem Produkt- gliedstaaten, deren bauliche Infrastruktur die Allgemeinverbindlichkeit der Abgaben
markt. Arbeitspaket 3 der Zu-
kunftsstudie Baugewerbe NRW. erneuert werden muss. Langfristig kann die für die Sozialkassen strukturiert. Einige die-
– RWI, Essen 2003 (www.zib. Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa ser Regulierungen müssen an europäische
nrw.de/fachinfo/pdf_doc/einzel-
gutachten_3_d%FCrig_kurz_ dazu beitragen, den zu erwartenden Fach- Richtlinien angepasst werden, andere wer-
lang.pdf) kräftemangel in der Bauwirtschaft zu ver- den durch das europäische Wettbewerbs-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 545

recht infrage gestellt. Auf nationaler Ebene Abbildung 3


werden die bauspezifischen Regulierungen Herausforderungen für die Bauunternehmen
kritischer als in der Vergangenheit betrach-
tet und immer weniger als eine branchen-

Der

I
Dru

el I
interne Angelegenheit der Bauwirtschaft

egu
auf rung

Bas
ck
angesehen. Im günstigsten Fall werden Re-

lie
gulierungen auf den Prüfstand gestellt und Be I -
sc lleg nz
auf ihren Nutzen überprüft; im schlechtes- hä al ie ng
fti e f fiz eru
gu E ig
ten Fall geht man pauschal davon aus, dass ng st
e
Deregulierungen von Vorteil für die Wirt-
e
schaft als Ganzes sind. Die Bauwirtschaft In ert
nat ter- r änd en-
io Ve
wird auf jeden Fall die positiven externen sie nali- nd e
run Ku rfniss
g d ü
Effekte ihrer Regulierungen nachweisen b e
und sich gegebenenfalls auch zu Reformen
Bau-
bereit zeigen müssen. Neue
Demo- unternehmen
Technologien
graphischer
und
• Basel II Wandel
Baustoffe

Der Baseler Akkord zwingt die Bauunter-


nehmen, sich hinsichtlich ihrer spezifischen
Risikopotenziale auf den Prüfstand zu stel-
len, die vorhandenen Risiken zu verringern, Reorganisation der Branche
um damit ihre Kreditwürdigkeit zu erhö-
Quelle: eigene Darstellung
hen. Nur wenige Bauunternehmen führen
gegenwärtig ein solches Risikomanagement
durch, und gerade kleine Betriebe tun sich
in der Regel schwer, sich den Ratinganfor-
derungen zu stellen. Hinzu kommt, dass
gerade Bauunternehmen mit ihrer ohne- Projekterfahrungen lernen, Aufwand und
hin unterdurchschnittlichen und durch die Zeit bei neuen Aufträgen realitätsnah kal-
Baukrise weiter ausgedünnten Eigenka- kulieren sowie verlustbringende Aufträ-
pitaldecke von Basel II stärker als Betriebe ge frühzeitig erkennen und ablehnen zu
in anderen Branchen betroffen sein werden. können. Eine solche Effizienzorientierung
Auch wenn die konkreten Regeln und Um- ist die Voraussetzung für die strategische
setzungsbedingungen von Basel II noch im- Profilierung von Unternehmen auf dem
mer umstritten und unklar sind, ist für die Markt. Denn nur eine mit genauen Daten
meisten Bauunternehmen ein verändertes unterlegte Klassifizierung und Typisierung
Finanzierungsverhalten der Banken bereits von gewinn- und verlustbringenden Akti-
heute spürbar. vitäten ermöglicht eine Bestimmung des
eigenen Profils. Die Instrumente einer Ef-
fizienzverbesserung, etwa zum Unterneh-
• Effizienzsteigerung
menscontrolling, seiner datentechnischen
In einem Markt, in dem sich Mängel im Pro- Fundierung sowie Einbettung in die Unter-
zessmanagement nicht mehr über Preisstei- nehmensorganisation, sind weitgehend be-
gerungen auf den Kunden abwälzen lassen, kannt.5 Die üblichen Muster des Technolo-
gewinnen die Planung der Abläufe, Kosten gietransfers wie Technologieberatung oder (5)
Vgl. Diederich, C.J.: Bauma-
und des Einsatzes von Arbeitskräften und die Entwicklung übertragbarer Modelllö- nagement. Arbeitspaket 2a der
Maschinen sowie das Unternehmenscont- sungen funktionieren in Branchen mit mitt- Zukunftsstudie Baugewerbe
NRW. – Wuppertal Universität
rolling zunehmend an Bedeutung. Die An- leren und größeren Betrieben, haben aber 2003 (www.zib.nrw.de/fachin-
forderungen an das Prozessmanagement in der Bauwirtschaft mit ihren Klein- und fo/pdf_doc/einzelgutachten_
2a_diederichs_kurz_lang.pdf);
erhöhen sich zusätzlich, wenn man in ver- Kleinstbetrieben kläglich versagt. In diesen
Wischhof, K.: Strategien zur
längerten Wertschöpfungsketten oder in Betrieben gibt es keine ausdifferenzierten Substanzerhaltung nordrhein-
Kooperationen mit anderen Unternehmen Funktionen für Technologie oder Aus- und westfälischer Bauunternehmen.
Arbeitspaket 2b der Zukunfts-
(z. B. Handwerkerkooperationen) Termin- Weiterbildung. Wenn alle diese Funktionen studie Baugewerbe NRW. – IAT,
treue und Qualität garantieren will. Ein auf wenige Schlüsselpersonen konzentriert Gelsenkirchen 2003 (www.zib.
nrw.de/fachinfo/pdf_doc/einzel-
effektives Prozessmanagement ist auch sind, wird deren Aus- und Weiterbildung gutachten_2b_wischhof_kurz_
Voraussetzung dafür, aus vergangenen zur entscheidenden Innovationsgröße. lang.pdf)
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
546 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

• Veränderte Kundenbedürfnisse in Forschung und Entwicklung, sie ist eher


Nur auf Aufträge zu warten, genügt in Käu- Technologieanwender als Technologiepro-
fermärkten für Bauunternehmen nicht duzent. Da Bauen künftig aufgrund verän-
mehr, sondern diese müssen versuchen, derter Kundenbedürfnisse elektronischer
die besonderen Bedürfnisse der Kunden zu und umweltorientierter sein wird, vergrö-
identifizieren und die Kunden langfristig an ßert sich der Kreis der für die Bauwirtschaft
sich zu binden. Was Kundenorientierung relevanten Technologieproduzenten be-
heißt, wird im Einzelnen sehr stark von der trächtlich. Zum Teil lösen sich durch neue
strategischen Positionierung der Unterneh- Technologien (z. B. Trockenbau) herkömm-
men im Markt abhängen. Für Subunter- liche Spezialisierungsmuster auf. Durch die
nehmen sind die Termintreue und Qualität wachsende Konkurrenz der Werkstoffe (z. B.
gegenüber dem Generalunternehmer von Holz, Stahl, Beton, Kunststoff) steigen die
zentraler Bedeutung. Bauunternehmen auf Anforderungen an die Baubetriebe. Schon
„Dauerbaustellen“ in Großunternehmen in der Vergangenheit mangelte es nicht an
werden ihre Dienstleistungsorientierung extern angestoßenen Innovationen, die
auch in der Arbeitszeitflexibilität zeigen Probleme lagen bei der Umsetzung. Mit
müssen. Die Endnachfrager erwarten eine der Zunahme der technologischen Anfor-
deutliche Verringerung der Schnittstel- derungen droht dieses Umsetzungsdefizit
len und mehr Leistungen aus einer Hand. zuzunehmen. Branchenübergreifende Ko-
Durch Rahmenverträge zur Instandsetzung operationen, Investitionen in die Kompe-
und das Eingehen auf neue Kundenbedürf- tenzentwicklung sowie Neuzuschnitte bzw.
nisse (Umweltschutz, altersgerechtes Woh- Weiterentwicklungen von Berufsbildern
nen etc.) können neue Kunden gefunden sind mögliche Ansatzpunkte.
und an das Unternehmen gebunden wer- Alle bislang genannten Herausforderungen
den. Den wenigsten Bauunternehmen ist werden dazu führen, dass sich die Muster
bisher die Umstellung von der klassischen der betrieblichen Spezialisierung ebenso
Bereitstellung technischer Bauleistungen wie die bisher dominierenden Formen der
auf Baudienstleistungen gelungen. Kooperation bei bauwirtschaftlichen Ak-
tivitäten grundlegend ändern. Die Unter-
• Neue Technologien und Baustoffe
nehmen müssen innerhalb dieser erwei-
Bauen ändert sich kontinuierlich durch terten Wertschöpfungskette auf der Basis
neue Baustoffe und Bauverfahren. Die von Kompetenzanalysen ihren Standort
meisten technologischen Innovationen ka- bestimmen und sich positionieren (Strate-
men bislang von außen, von den Bauma- gieorientierung). Auf die unterschiedlichen
schinen- und den Baustoffherstellern. Die Möglichkeiten dazu wird im Folgenden ein-
Bauwirtschaft selbst investiert nur wenig gegangen.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 547

Szenarien für die


Fragmentierung Kompetenzentwicklung
Entwicklung der
Wertschöpfungskette
Dominierende Marktstrategie Kosten Qualität und Kosten

Innerbetrieblich Verzettelung Optimierung der Produkte und Prozesse

Zwischenbetrieblich Kostenkonkurrenz, Fragmentierung Kooperation, Innovationsnetzwerke

Struktur der Produktionskette Subunternehmen, Generalunter- Kompetenznetzwerke, Generalunterneh-


nehmen, ausländische Anbieter men, Spezialisten, Handwerkernetzwerke
und Kooperationen

Unternehmensgrößen Wachsende Zahl von Klein- und Ausgewogener Mix von Groß-, Mittel-
Kleinstbetrieben, Polarisierung und Kleinbetrieben mit stabilem Mittel-
zwischen Groß- und Kleinbetrieben stand

Kompetenz/Personal Kompetenzverlust; fehlendes Fach- Weiterbildung, Kompetenzentwicklung


personal

Innovation Überwiegend in Vor- und nachge- Innovationsnetzwerke innerhalb der


lagerten Bereichen, Leitunternehmen, Produktionskette
steigendes Umsetzungsdefizit

Leistungserstellung Kompetenz über Gewerke Integrierte Systemproduktion und hoch-


wertige Spezialistentätigkeit
Quelle: eigene Zusammenstellung

nagement optimiert sowie strategische und


4 Kompetenzentwicklung – operative Vorteile der Kooperationen voll
Szenarien und Leitbilder ausgeschöpft, um Wirtschaftlichkeit und
Synergieeffekte und somit die Qualitätspro-
Die zukünftige Entwicklung der Bauwirt- duktion zu erzielen. Innovationsnetzwerke
schaft wird in der Zukunftsstudie in zwei tragen zur Entstehung und Umsetzung der
Szenarien idealtypisch zusammengefasst; Innovationen bei, wobei eine enge Zusam-
sie sind nebenstehend kurz skiziert. Das menarbeit im Vorfeld stattfindet, um die
hier nicht weiter erläuterte Szenario „Frag- Umsetzungsprobleme zu überwinden.
mentierung“ beschreibt die Fortsetzung
des bisherigen Kurses. In ihm reagieren die Aus- und Weiterbildung spielen zuneh-
Unternehmen auf die dargelegten Heraus- mend eine wichtige Rolle in der Kompe-
forderungen nur unzureichend und bleiben tenzentwicklung. Integrierte Systempro-
so dauerhaft mit erheblichen Problemen duktion breitet sich vor allem bei komple-
konfrontiert. xeren Bauvorhaben aus. Dabei steht statt
der bisherigen Konzentration auf einzelne
Im Rahmen der Diskussion als künftiges Bereiche mit vielen Schnittstellen die Op-
Leitbild angesehen wurde das zweite Sze- timierung des Gesamtprozesses im Vorder-
nario „Kompetenzentwicklung“. Es wurde grund. Komplexe Bauvorhaben werden ent-
bereits in einigen Unternehmen und Markt- weder durch die Kooperation qualifizierter
segmenten ansatzweise realisiert und setzt Spezialisten aus verschiedenen Gewerken
auf qualitätsorientierte Strategien, die es realisiert, die zudem – wie das Handwerk
ermöglichen, den genannten Herausforde- bislang – weiterhin regionale Märkte direkt
rungen erfolgreich zu begegnen. bedienen werden, oder durch Generalisten,
die eine integrierte Leistung erbringen.
„Kompetenzentwicklung“ beinhaltet in
diesem Szenario sowohl technische Qua- Die Chancen für eine Realisierung dieses
lität wie auch Kundenorientierung. Letzte zweiten Szenarios hängen in erster Linie
stellt Kundennutzen, Schnittstellenreduzie- von den Strategien der Unternehmen ab,
rung und integrierte Nutzungskonzepte in doch können Politik und Verbände die Rah-
den Mittelpunkt. Neben Qualität spielt die menbedingungen hierfür beeinflussen. Die
Effizienz eine große Rolle, die auf die folgenden Handlungsempfehlungen rich-
Optimierung der Prozesse und Produkte ab- ten sich daher sowohl an Unternehmen wie
zielt. Dabei werden betriebsinterne Abläufe an Politik und Verbände und werden von
verbessert, die Bauprozesse zunehmend der Zielsetzung geleitet, eine Entwicklung
standardisiert und modularisiert, das inner- in Richtung dieses Szenarios anzustoßen
und zwischenbetriebliche Schnittstellenma- und zu unterstützen.
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
548 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

5 Handlungsempfehlungen gration erfolgt, kommt in der Bauwirtschaft


zum einen wegen der erforderlichen Nähe
Auf der Basis der Analysen wurden in zum Kunden und zum anderen wegen der
der Zukunftsstudie Handlungsempfehlun- geringen Unternehmensgröße eine zweite
gen an unterschiedliche Akteure formuliert. Dimension hinzu: die regionale Positionie-
Die Empfehlung zur Reorganisation der rung. Die Bauunternehmen können sich an
Unternehmen richten sich an die Unter- lokalen, regionalen, nationalen und inter-
nehmen, die zur Veränderung der Rahmen- nationalen Märkten orientieren. Von daher
bedingungen an den Staat und die Sozial- ergibt sich für die künftige Verortung in der
partner und die zur Stärkung der staatlichen Bauwirtschaft kein so einfaches Bild wie
Bauinvestitionen an den Staat. etwa die pyramidenförmige Anordnung der
Zulieferer in der Automobilindustrie, son-
Reorganisation und strategische dern ein wesentlich differenzierteres.
Ausrichtung der Unternehmen
Abbildung 4 stellt die wichtigsten denkba-
Eine strategische Ausrichtung der Unter-
ren strategischen Entscheidungen hinsicht-
nehmen erfordert als erstes, die eigenen
lich des Spezialisierungsgrads und der regi-
Kompetenzen im Vergleich mit den Kompe-
onalen Reichweite dar. Vor allem wird auch
tenzen der anderen Unternehmen der Bran-
erkennbar, wie unterschiedlich die Strate-
che, mit denen man im direkten Wettbewerb
giewahl in Klein-, Mittel- und Großunter-
steht, sowie unter Berücksichtigung der vor-
nehmen verlaufen kann.
und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen
zu definieren. Dieser Ansatz ist in anderen Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass
Branchen mittlerweile weit verbreitet, je- die Entscheidung für das Ausmaß der Spe-
doch lassen sich deren Konzepte nicht ohne zialisierung bzw. der Systemangebote und
weiteres auf die Bauwirtschaft übertragen. die regionale Ausrichtung miteinander ver-
Während die strategische Ausrichtung der bunden sind. Die Spezialisierung etwa auf
Unternehmen in anderen Branchen entlang hochwertige Baustoffe oder elektronische
der Pole hohe Spezialisierung – Systeminte- Vernetzungen ebenso wie die Ausdehnung

Abbildung 4
Die Zukunft der Globale Märkte
Unternehmenslandschaft
in der Bauwirtschaft Großunternehmer
Projektentwickler
Global players

Systemanbieter Regionale Märkte

Regional
Spezialanbieter
verankerte,
qualifizierte
Mittelunternehmen
Arbeitskräfteverleiher

Regionale
Projektentwickler

Lokale Märkte

Quelle:
Kleinunternehmen
Syben, G.: Die Baustelle der
Bauwirtschaft. Unternehmensent- Nischenunternehmen
wicklung und Arbeitskräftepolitik
auf dem Weg ins 21. Jahrhundert.
– Berlin 1999, S. 33
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 549

der Aktivitäten auf der Wertschöpfungs- le mit anderen Unternehmen verfügen, die
kette etwa in Richtung Vorfinanzierung von bisher nicht ausgeschöpft wurden. Es wird
Bauvorhaben und/oder Betreiben von in- künftig um die breite Diffusion von Innova-
frastrukturellen Großprojekten rechnet sich tionen gerade in die kleinen und mittleren
nur ab einer bestimmten Auftragsmenge, Unternehmen der Branche gehen. Hierbei
die mit positiven Skaleneffekten verbunden ist wichtig, den Besonderheiten der Bran-
ist. Solche Skaleneffekte sind oft nur im glo- che Rechnung zu tragen. Der traditionelle
balen und nationalen, bestenfalls in einem Technologietransfer über Beratung oder
weiten regionalen Rahmen erreichbar. den Aufbau unternehmensinterner Trans-
fermechanismen läuft angesichts der nied-
Für Unternehmen, die nur auf lokalen rigen durchschnittlichen Betriebsgröße in
Märkten tätig sind, ist es durchaus denkbar, der Bauwirtschaft leer. Die Innovationsfor-
dass sie stärker als bisher vorgelagerte Pla- schung hat gezeigt, dass in Klein- und Mit-
nungs- oder nachgelagerte Wartungsleis- telbetrieben die Qualifikation der betrieb-
tungen als Paket anbieten, wenn sie sich für lichen Schlüsselpersonen die kritische Grö-
eine Strategie als Systemanbieter entschei- ße im Innovationsgeschehen ist. Die Dif-
den. Sofern sie sich für die Spezialisierung fusion von Innovationen muss in der Bau-
entscheiden, ist die Ausrichtung auf spezi- wirtschaft daher vor allem über Fort- und
fische Ausbauarbeiten oder Komponenten Weiterbildung erfolgen.
sinnvoll, eventuell in Kooperation mit an-
deren Unternehmen. Die Verwirklichung eines auf Kompetenz-
entwicklung ausgerichteten Szenarios setzt
Auch wenn kleine und mittlere Unterneh-
eine entsprechende Neuausrichtung aller
men sicher nur begrenzt in der Lage sein
Beteiligten voraus. Es kann nicht oft ge-
werden, ihr Produktions- bzw. Leistungs-
nug betont werden, dass eine kompetente
spektrum entlang der Wertschöpfungskette
Bauwirtschaft gut ausgebildete Fachkräfte
zu erweitern, werden sie in Zukunft im-
voraussetzt, die auf dem Stand der Tech-
mer mehr mit der Situation konfrontiert
nik sind und für die auch Dienstleistungs-
sein, dass andere Unternehmen bereits
orientierung selbstverständlich ist. Nur sie
eine Integration verschiedener Funktionen
sind in der Lage, die Innovationspotenziale
anbieten und damit zunehmend Wettbe-
entlang der Wertschöpfungskette zu erken-
werbsvorsprünge entwickeln. Von daher
nen und zu nutzen. Hier spielen Aus- und
ist zwar auch für lokale Unternehmen eine
Weiterbildungseinrichtungen eine beson-
Ausweitung ihres Angebots entlang der
dere Rolle, aber auch die Entscheidungs-
Wertschöpfungskette möglich. Allerdings
träger in Verbänden sowie die Medien der
darf dabei eine kritische Mindestgröße der
Branche. Eine Schlüsselrolle kommt auch
Unternehmen nicht unterschritten werden,
den Unternehmensberatern bzw. den IT-
da nur dann die Potenziale eines verbesser-
Anbietern zu, die deutlich stärker als bisher
ten Prozess- und Innovationsmanagements
die Tauglichkeit ihrer Angebote gerade für
genutzt werden können. Unterhalb dieser
Klein- und Mittelbetriebe überprüfen und
Größe bleibt nur die Rolle des selbständi-
neu ausrichten sollten. Nicht zuletzt wird
gen Anbieters von Teilleistungen.
immer wieder zu überlegen sein, ob und
Unabhängig von der Strategiewahl stellt wann es sinnvoll ist, bei neuen Technolo-
sich für jedes Unternehmen der Bauwirt- gien oder neuen Organisationskonzepten
schaft die Aufgabe, die internen Prozesse entsprechende Innovationsdialoge mit al-
und Schnittstellen zu optimieren. Jedes len Akteuren der Branche politisch anzu-
Unternehmen muss sich dabei mit den vier stoßen und zu begleiten.
strategischen Bezugspunkten Kompetenz-
entwicklung, Kundenorientierung, Schnitt- Rahmenbedingungen: Neujustierung
stellenmanagement und Innovationsma- der Bauregulierungen
nagement auseinandersetzen.
Die Bauwirtschaft arbeitet in einem dich-
Die Konzepte für einen erfolgreichen Um- ten Netz von Regulierungen, die sowohl
gang mit einer Optimierung der betrieb- den Produkt- als auch den Arbeitsmarkt
lichen Abläufe und Schnittstellen sind betreffen. Es ist kein Zufall, dass gerade sie
bekannt und in Modellprojekten erprobt. so viele Regelungen zu befolgen hat. Ihre
Hierbei hat sich gezeigt, dass auch kleine Produkte gestalten Landschaft und Stadt-
Unternehmen über Kooperationspotenzia- bilder und sind in hohem Maße für den
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
550 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

Umweltschutz, die Lebensqualität und die die Auswirkungen von Veränderungen sollte
Sicherheit der Bürger verantwortlich. Zu- man stärker mit Realexperimenten in Form
dem sind Bauverträge unvollständige Ver- von Modellversuchen experimentieren. Vor
träge, so dass es Regelungen zur Vertrags- allem Eingriffen in das Bauordnungsrecht,
gestaltung und zum Konsumentenschutz in technische Regelwerke, die Handwerks-
geben muss. Die Arbeitsmärkte in der hoch ordnung und die Honorarordnung für Ar-
turbulenten Bauwirtschaft tendieren zur chitekten und Ingenieure sollten Wirkungs-
Unterinvestition in Aus- und Weiterbildung, analysen vorausgehen.
so dass zur Sicherung und Herausbildung
eines Fachkräftestamms Regelungen zur Empfehlung 2: Einführung von Quali-
Bekämpfung dieses Marktversagens gefun- fizierungsverfahren für Unternehmen
den werden müssen. All diese Regelungen bei öffentlichen Ausschreibungen
sind aus guten Gründen geschaffen wor-
den. Im Zusammenspiel mit anderen zu- Um Anreize für Investitionen in Qualifi-
sätzlich geschaffenen Regulierungen kann zierung und die Kompetenzentwicklung
sich ihre Wirkung ändern. Es ist notwendig, von Unternemen zu fördern, sollte – wie in
den hinter den Regulierungen stehenden anderen Ländern – der Zugang zu öffent-
Zielkatalog regelmäßig zu überprüfen sowie lichen Ausschreibungen an den Nachweis
ihre Wirkungen zu evaluieren und die Regu- der technischen, wirtschaftlichen und per-
lierungen gegebenenfalls zu ändern. sonellen Leistungsfähigkeit gebunden wer-
den. Gegenstand eines solchen Qualifizie-
Nicht sinnvoll sind hingegen empirisch rungsverfahrens für Unternehmen wären
nicht fundierte De-Regulierungsstrategien, auch die tatsächlich durchgeführten Perso-
die derzeit viele Anhänger haben, weil es nalqualifizierungen, die in Beziehung zum
fast keine mit Fakten unterlegte Evaluierung Umsatz, zur Zahl der Mitarbeiter oder einer
der Bauregulierungen gibt. Ausgehend von anderen geeigneten Bemessungsgrenze ge-
diesen Überlegungen waren die Experten in setzt werden. Diese Qualifizierungskosten
der Diskussion rund um die Zukunftsstudie würden durch die Zugangsberechtigung
mit ihren folgenden Empfehlungen zur Ver- zu Ausschreibungen honoriert. Allerdings
änderung von Regulierungen auch relativ macht ein solches Qualifizierungsverfah-
vorsichtig: ren nur Sinn, wenn es gleichzeitig gelingt,
Qualitätsbewusstsein als Kultur bei allen
Empfehlung 1: Veränderung von Regulie- Akteuren in der Branche zu verankern. Dies
rungen auf Basis von Wirkungsanalysen gilt auch und vor allem für die öffentlichen
Nachfrager, die in den vergangenen Jahren
Der Bauproduktmarkt ist hoch reguliert. angesichts der Haushaltsprobleme immer
Diese Regulierungen haben ganz unter- stärker den Kostenaspekt auf Kosten der
schiedliche Funktionen, die vom Umwelt- Qualität in den Vordergrund gestellt haben.
schutz über die Sicherheit und das Erschei- Es wäre nicht glaubwürdig, wenn seitens
nungsbild von Gebäuden, die Schaffung der Politik Qualitätsstandards von den Un-
gleicher Wettbewerbsbedingungen bis hin ternehmen gefordert werden, die dann in
zur Qualitätssicherung reichen und histo- der Praxis von öffentlichen Nachfragern
risch und in bestimmten Kontexten ent- unterlaufen werden.
standen sind. Darüber hinaus sind sie ad-
ditiv gewachsen und ist unklar, ob sie im
Empfehlung 3: Stabilisierung
Kontext mit anderen Regulierungen die ur-
der Sozialkassen
sprünglich zugedachten Funktionen noch
erfüllen. Es gibt in Deutschland anders als Der Bauarbeitsmarkt ist aus verschiedenen
in den USA keine empirisch fundierte Wir- Gründen ein besonderer Arbeitsmarkt: Bau-
kungsforschung zu den bestehenden Re- arbeit ist aufgrund der hohen konjunkturel-
(6)
Vgl. Bosch, G.; Philips, P. gulierungen. Daher stützt sich die begon- len und saisonalen Nachfrageschwankun-
(Hrsg.): Building chaos: an in- nene De- und Re-Regulierung oft vor allem gen instabil. Arbeitskräfte müssen häufiger
ternational comparison of de-
regulation in the construction
auf durch Sonderinteressen eingefärbte als in anderen Branchen den Arbeitgeber
industry. – London 2003 Einschätzungen. Dies birgt die Gefahr er- wechseln und dabei auch Perioden der Ar-
(7) heblicher Fehlsteuerungen. In einem zu- beitslosigkeit in Kauf nehmen. Wegen der
Vgl. Bosch, G.; Zühlke-Robinet, nehmend integrierten europäischen Markt durchschnittlich kurzen Betriebszugehörig-
K.: Der Bauarbeitsmarkt: So-
ziologie und Ökonomie einer muss eine Wirkungsforschung vergleichend keit ist es nicht sicher, dass ausbildende Be-
Branche. – Frankfurt/M. 2002 angelegt sein. Bei großer Unsicherheit über triebe von ihren Ausbildungsinvestitionen
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006 551

profitieren. Gleichzeitig kann man in der bestimmte Merkmale der Bauproduktion


Konkurrenz um Aufträge gezwungen sein, wie das unübersichtliche Baustellengefüge
die Angebote auf Kosten von Zukunftsin- und zahlreiche Verschleierungsmöglichkei-
vestitionen zu senken. Internationale Ver- ten erschwert.
gleiche haben gezeigt, dass in unregulierten
Möglich sind folgende Ansatzpunkte zur
Bauarbeitsmärkten zu wenig in Aus- und
Bekämpfung illegaler Beschäftigung: (1)
Weiterbildung investiert wird 6 und vor allem
Qualitätssicherung im Bauprozess, (2) prä-
Fachkräfte wegen der hohen Unsicherheit
ventive Maßnahmen, (3) Verbesserung der
in andere Branchen abwandern, was in die-
Kontrollmöglichkeiten sowie (4) Verbesse-
sem beruflich strukturierten Arbeitsmarkt
rung der Sanktionsmöglichkeiten (Abb. 5).
zu erheblichem Fachkräftemangel führt. In
Dabei lässt sich illegale Beschäftigung nicht
Deutschland werden durch die Umlagefi-
allein durch nachgelagerte Kontrollen und
nanzierung der beruflichen Erstausbildung
Sanktionen bekämpfen; auch bei der drin-
die Kosten in die Marktpreise internalisiert
gend gebotenen verbesserten Kooperation
und wird damit für einen ausreichenden
aller Kontrollinstanzen wird das Kontroll-
Fachkräftenachwuchs gesorgt. Die Sozial-
defizit nicht zu beheben sein. Der Zwang
kassen helfen zudem, den Facharbeiter-
zur Legalität muss daher auch durch die
stamm u. a. über eine Kofinanzierung des
Sicherung der Qualität im Bauprozess
Schlechtwettergelds, die Übernahme des
selbst integriert werden und beim Auftrag-
Urlaubsgelds und eine zusätzliche Alters-
geber ansetzen. Das Problem liegt ähnlich
vorsorge an den Betrieb und die Branche
wie beim Umweltschutz, wo man mit „End-
zu binden.7
of-the-pipe“-Kontrollen oder Schadensbe-
seitigungen nur begrenzt weiter kommt.
Empfehlung 4: Effektive Bekämpfung der Praktiziert werden sollten daher neue For-
illegalen Beschäftigung im Baugewerbe men der Qualitätssicherung (z. B. über ver-
Wichtiger noch, als vorhandene Regulie- längerte Haftung) und gläserne Baustellen.
rungen zur Lohngestaltung von Werkver- Das Potenzial der Informationstechnolo-
tragsnehmern auszudehnen, ist es, die be- gien ist hier noch lange nicht ausgeschöpft
stehenden auch umzusetzen. Wie die Er- – für obligatorische Abzugsverfahren von
fahrungen bei der Kontrolle bestehender Steuern und Sozialbeiträgen beim Haupt-
Gesetze und Sanktionierung von Verstößen bzw. Generalunternehmen sowie für Re-
zeigen, können Regelungen häufig nicht gister über „unzuverlässige“ Unternehmen
effektiv umgesetzt werden. Die Kontrol- und für verpflichtende Prüfungen von
le wird gerade in der Bauwirtschaft durch Submissionsunterlagen durch den Auftrag-

Abbildung 5
Qualitätssicherung Zentrale Maßnahmen zur
• Sicherung Bekämpfung illegaler Be-
• Verlängerte Haftung schäftigung im Baugewerbe
• „Gläserne Baustelle“

Prävention Sanktionierung
• Abzugsverfahren für Umlagen • Strafbestand für schwere Verstöße
und Beiträge Bekämpfung • Andere „existenzbedrohende“
• Register über „unzuverlässige“ illegaler Sanktionen
Unternehmen Beschäftigung • Zusätzliche Rechtsmittel-
• Verantwortlichkeit von Auftrag- abkommen
gebern • Steuerabzug als „Faustpfand“

Quelle:
Kontrolle Worthmann, G.: Die Internatio-
• Informationspool für Kontroll- und Sanktionsbehörden nalisierung des deutschen Bau-
• Keine Freistellungsmöglichkeiten beim Steuerabzugs- arbeitsmarktes. Arbeitspaket 6
verfahren der Zukunftsstudie Baugewerbe
• Unterstützung für öffentliche Auftraggeber bei Tarif- Nordrhein-Westfalen. – IAT, Gelsen-
treueprüfung kirchen 2003, S. 102
Gerhard Bosch, Dieter Rehfeld:
552 Zukunftschancen für die Bauwirtschaft – neue Erkenntnisse aus der Zukunftsstudie NRW

geber bzw. Hauptunternehmer auf eine re- Auf die Einzelheiten einer solchen Wirt-
alistische Kalkulation unter Anwendung der schaftspolitik, die nicht ohne Makro-Im-
vorgeschriebenen Tarifnormen. pulse auskommen kann, kann hier nicht
eingegangen werden. Auf einen zentralen
Selbstverständlich werden die Generalun-
Punkt muss allerdings hingewiesen wer-
ternehmer hier stark belastet. Wenn man
den: Die Schwäche der öffentlichen Bau-
Illegalität aber ernsthaft bekämpfen will,
nachfrage hat zu einer Unterinvestition in
muss man an den Quellen des Geldflus-
zentralen Bereichen der gesellschaftlichen
ses ansetzen. Die Streichung von Freistel-
Infrastruktur geführt, die auch ein Grund
lungsmöglichkeiten würde dazu beitragen,
für die gegenwärtige Wachstumsschwäche
dass alle Unternehmen gleich behandelt
Deutschlands ist. Man denke hier nur an
werden. Da sich für den Staat und die So-
Schulen, Hochschulen oder die Verkehrs-
zialversicherung solche Abzugsverfahren
infrastruktur.
rechnen, sollten die Generalunternehmen
für den zusätzlichen bürokratischen Auf- Ein wesentlicher Grund für den Einbruch
wand durch Abzüge bei den Steuern und der öffentlichen Investitionen ist die Fi-
Sozialversicherungsbeiträgen kompensiert nanzkrise der Gemeinden, dem Haupt-
werden. investor auf Seiten der öffentlichen Hand.
Seit 1994 haben sich die Investitionen der
Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik Gemeinden um 30 % in nominalen und
und Verstetigung der öffentlichen Nachfrage mehr als 40 % in realen Preisen verringert.8
Wie kaum in einem anderen Wirtschafts- Eine Reform der Gemeindefinanzen und
zweig ist die Nachfrage nach Bauleistungen dabei vor allem eine Stärkung ihrer Inves-
von der gesamtwirtschaftlichen Lage abhän- titionskraft ist nicht nur eine Vorausset-
gig. Bauprodukte sind langlebige Güter, de- zung der Stärkung gesamtwirtschaftlicher
ren Anschaffung bei schlechter wirtschaftli- Wachstumsimpulse, sondern auch eine Vo-
cher Lage hinausgeschoben wird. Aufgrund raussetzung für die Wiederbelebung und
der hohen konjunkturellen Ausschläge der Stabilisierung der Baunachfrage. Im Unter-
Baunachfrage kann eine längere tiefe wirt- schied zu antizyklischen Konjunkturpro-
schaftliche Krise sogar dazu führen, dass grammen, die nur zeitweise wirken würden,
die Kapazitäten der Bauwirtschaft stärker käme es zudem zu einer Verstetigung der
(8)
einbrechen, als es langfristig notwendig sein Nachfrage. Zudem könnte der in den Pro-
Vgl. Bosch, G.; Rehfeld, D.:
müsste. Zieht dann die Nachfrage wieder gnosen vorausgesagte starke Einbruch der
Zukunftsstudie Baugewerbe
Nordrhein-Westfalen: Zusam- an, kommt es zu Engpässen. Von daher ist öffentlichen Baunachfrage gemildert wer-
menfassung der Einzel-Arbeits- den. Schließlich wirkt der Staat durch eine
pakete. – IAT, Gelsenkirchen eine Stabilisierung der Baunachfrage durch
2003, S. 48 (www.zib.nrw.de/ eine wachstumsorientierte Wirtschaftspoli- Verstetigung seiner Bauinvestitionen auch
fachinfo/pdf_doc/einzelgutach-
tik eine Basis für die Regeneration der Bau- stabilisierend auf die private Baunachfrage.
ten_endbericht_bosch_lang.
pdf) branche. Wenn die öffentliche Investitionsfähigkeit
wieder hergestellt wird, dann kann auch die
Qualität in der Auftragsvergabe wieder an
Bedeutung gewinnen.

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