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Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse
Die Jahrgänge bis 1921 einsch/ifij/ich erschienen im Verlag von Carl Winter, Universitätsbuch-
handlung in Heide/berg, die Jahrgänge 1922-1933 im Verlag Walter de Gruyter & Co. in Ber/in,
die Jahrgänge 1934-1944 bei der Weißsehen Universitätsbuchhandlung in Heide/berg. 1945, 1946
und 1947 sind keine Sitzungsberichte erschienen.
Ab Jahrgang 1948 erscheinen die "Sitzungsberichte" im Springer-Verlag.
Inhalt des Jahrgangs 1967/68:
1. E. Freitag. Modulformen zweiten Grades zum rationalen und Gaußsehen Zahlkörper.
(vergriffen).
2. H. Hirt. Der Differentialmodul eines lokalen Prinzipalrings über einem beliebigen Ring.
(vergriffen).
3. H. E. Suess, H. D. Zeh und J. H. D. Jensen. Der Abbau schwerer Kerne bei hohen
Temperaturen. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
4. H. Puchelt. Zur Geochemie des Bariums im exogenen Zyklus. (vergriffen).
5. W. Hückel. Die Entwicklung der Hypothese vom nichtklassischen Ion. Antiquarisch.
Preis auf Anfrage.
Inhalt des Jahrgangs 1968:
1. A. Dinghas. Verzerrungssätze bei holomorphen Abbildungen von Hauptbereichen auto-
morpher Gruppen mehrerer komplexer Veränderlicher in eine Kähler-Mannigfaltigkeit.
Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
2. R Kiehl. Analytische Familien affmoider Algebren. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
3. R Düren, G.-P. Raabe und Ch. Schlier. Genaue Potentialbestimmung aus Streumes-
sungen: Alkali-Edelgas-Systeme. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
4. E. Rodenwaldt. Leon Battista Alberti - ein Hygieniker der Renaissance. Antiquarisch.
Preis auf Anfrage.
Inhalt des Jahrgangs 1969170:
1. N. Creutzburg und J. Papastamatiou. Die Ethia-Serie des südlichen Mittelkreta und ihre
Ophiolithvorkommen. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
2. E. Jammers, M. Bielitz, I. Bender und W. Ebenhöh. Das Heidelberger Programm für die
elektronische Datenverarbeitung in der musikwissenschaftliehen Byzantinistik. Antiqua-
risch. Preis auf Anfrage.
3. M. Knebusch. Grothendieck- und Wittringe von nichtausgearteten symmetrischen Bilinear-
formen. (vergriffen).
4. W. Raub und K Dittmar. Weitere Untersuchungen an Didiereaceen. 3. Teil. Antiquarisch.
Preis auf Anfrage.
5. P. J. Beger. Über "Gurkörperchen" der menschlichen Lunge. Antiquarisch. Preis auf An-
frage.
Inhalt des Jahrgangs 1971:
1. E. Letterer. Morphologische Äquivalentbilder immunologischer Vorgänge im Organismus.
(vergriffen).
2. J. Herzog und E. Kunz. Die Wertehalbgruppe eines lokalen Rings der Dimension 1.
(vergriffen).
3. W. Maier. Aus dem Gebiet der Funktionalgleichungen. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
4. H. Hepp und H. Jensen. Klassische Feldtheorie der polarisierten Kathodenstrahlung und
ihre Quantelung. Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
5. H. Koppe und H. Jensen. Das Prinzip von d'Alembert in der Klassischen Mechanik und
in der Quantentheorie. (vergriffen).
6. W. Doerr. Wandlungen der Krankheitsforschung. (vergriffen).
7. K Hoppe. Über die spektrale Zerlegung der algebraischen Formen auf der GraBmann-
Mannigfaltigkeit Antiquarisch. Preis auf Anfrage.
Inhalt des Jahrgangs 1972:
1. W. H. H. Petersson. Über Thetareihen zu großen Untergruppen der rationalen Modul-
gruppe. (vergriffen).
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse
Jahrgang 1981, 4. Abhandlung
Shmuel Sambursky
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und daher von jedermann benutzt werden diirften.
212513140-543210
Religion und Naturwissenschaft im spätantiken Denken
In den folgenden Ausführungen beschränke ich mich auf die Skizzierung des
Einflusses, den die Naturbetrachtung und die Naturwissenschaft auf die religiöse
Haltung spätantiker griechischer Denker hatten.
Zwei tiefgehende Unterschiede bestehen zwischen der Gedankenwelt unse-
res Zeitalters und derjenigen der griechischen Antike. Die Religion der westli-
chen Welt von heute umfaßt die drei monotheistischen Bekenntnisse, während
ihre Wissenschaft sich in der Folge eines wachsenden Gegensatzes von Mensch
und Natur entwickelt hat, einer stufenweisen Entfremdung beider, die mit der
Renaissance begann und später in FRANCIS BACONS Worten von der »Sezierung
der Natur« ihren prägnanten Ausdruck fand. Im Gegensatz dazu bestand die
Religion der griechischen Antike aus einer komplexen Überlagerung mehrerer
Schichten religiöser Glaubenslehren, einem weiten Spektrum verschiedener und
sogar konträrer Komponenten religiöser Haltung: Polytheismus und Monotheis-
mus, Mystizismus und Rationalismus, Transzendentalismus und Okkultismus.
Andererseits war das wissenschaftliche Denken der Antike - zumindest der
klassischen Antike - von der Überzeugung beherrscht, daß der Mensch ein
Mikrokosmos ist, ein integraler Teil des Universums, des Makrokosmos.
Trotz dieser sehr bedeutenden Unterschiede wurde die religiöse Einstellung
der antiken Denker sowie der Wissenschaftler unserer Zeit in gleichem Maße von
den Errungenschaften der Naturwissenschaft ihres Zeitalters beeinflußt. Die
Erforschung der physikalischen Welt und die großen Entdeckungen, weit
entfernt davon, Arroganz oder Selbstsicherheit zu erwecken, haben sowohl bei
den antiken Naturphilosophen als bei den führenden Physikern im Zeitalter der
Relativitätstheorie und der Quantenmechanik eine Haltung inspiriert, in der
Ehrfurcht und Demut vorwiegen, die notwendigen Voraussetzungen einer
religiösen Einstellung.
Um den Hinweis auf diese Ähnlichkeit der Tendenz nachdrücklicher zu
betonen, möchte ich an den Anfang und das Ende meiner Ausführungen Zitate
zweiergroßer Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts stellen, die ich persönlich
zu kennen das Glück hatte- MAX PLANCK und ALBERT EINSTEIN. PLANCK,
bedeutend nicht nur als Schöpfer der Quantentheorie, sondern auch als Philo-
soph der Naturwissenschaft, hat zwei Vorträge gehalten, die das Verhältnis von
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but der Gottheit mit einem physikalischen Begriff verknüpft war, dem der
Bewegung. Was die Weltseele in PLATONs Timaios charakterisierte, war vor
allem die sich selbst bewegende Bewegung; ARISTOTELES andererseits erklärte
die höchste Intelligenz des unbeweglichen Bewegers als primäres Prinzip des
Universums. Zugleich aber haben die Denker der klassischen Periode auch die
göttliche schöpferische und ordnende Macht zu diesem Prinzip erhoben und
sahen die regelmäßige Bewegung der Gestirne als ihr deutlichstes Kennzeichen
an. In den Gesetzen, PLATONs Alterswerk, heißt es: »Zwei Gründe gibt es, die
uns zum Glauben an die Götter führen [... ]. Das eine ist das, was wir von der
Seele sagten, der die Bewegung ewig strömendes Sein verliehen hat. Das andere
-die Gesetzmäßigkeit, an die sich der Umlauf der Gestirne und der Umlauf alles
dessen hält, worüber sonst noch der Geist gebietet, der das ganze Weltall
geordnet hat« [3]. ARISTOTELES, in seinem Frühwerk Über die Philosophie
führte PLATONs Gedanken weiter aus. Er spricht von der Seele, die dem
Menschen während des Schlafs und in der Todesstunde prophetische Gaben
verleiht und fährt dann fort: »Als die Menschen am Tage den Kreislauf der Sonne
sahen und in der Nacht die wohlgeordnete Bewegung der anderen Sterne,
begannen sie zu glauben, daß es einen Gott geben müsse, der die Ursache solcher
Bewegung und Ordnung ist« [4].
In den 500 Jahren von PLATON und ARISTOTELES bis zum Beginn der
Spätantike erfuhren die Attribute der Gottheit eine stetige Akzentverschiebung;
ihr Schwerpunkt verschob sich allmählich in die Richtung auf das Schöpferische
hin als eindrucksvollste Manifestation der göttlichen Macht. Der prägnanteste
Ausdruck hierfür ist der großartige Satz des Peripatetikers ALEXANDER von
Aphrodisias (gegen Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr.): »Wenn wir unsere
Blicke auf den Himmel richten und die Ordnung und unsagbare Schönheit
betrachten, gelangen wir zur Vorstellung des göttlichen Schöpfers« [5]. Dieser
Ausspruch erinnert an KANTs berühmte Worte am Schluß seiner Kritik der
praktischen Vernunft [6] oder an Psalm 8: 4.
ALEXANDERs Bewunderung des Himmels, der Ordnung und Schönheit des
Makrokosmos, impliziert offenbar, daß diese Vollkommenheit dem bewundern-
den Menschen nicht eignet, während doch die klassisch-griechische Auffassung
die Verwandtschaft von Mensch und Natur betonte. Die uneingeschränkte
Charakterisierung des Menschen als eines Mikrokosmos geht auf DEMOKRIT
zurück [7], wie wir von einem spätantiken christlichen Neuplatoniker erfahren,
und auch ARISTOTELES deutet wohl auf diese Bezeichnung hin [8]. In der
Spätantike wird zwar diese Gleichsetzung von Mikrokosmos und Makrokosmos
noch aufrechterhalten, aber nicht mehr so unbedingt und mit einschränkenden
Zusätzen. So erwähnt z. B. PRoKLos in seinem Timaioskommentar den demo-
kritischen Vergleich mehrere Male [9], aber mit einem klaren Vorbehalt: »Der
Mensch ist ein Mikrokosmos, in dem dasjenige partiell existiert, was in göttlicher
und vollkommener Form im Universum vorhanden ist.« Die Verwandtschaft von
Mensch und Kosmos besteht, aber nur in bedingter Weise, vielleicht wegen des
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betont die Überlegenheit des Raumes gegenüber der Materie, denn der Raum ist
die aktive Ursache der Kohärenz der Körper; in diesem Zusammenhang benutzt
er Metaphern aus der Bibel und dem Neuen Testament, welche die zusammen-
haltende und stützende Kraft Gottes beschreiben (vgl. Psalm 145:14, Jesaja
11 : 12, Ev. Job. 11: 52) und geht soweit, den Raum als göttliche Wesenheit zu
verherrlichen: Der Raum ist die höchste Ursache, die wir mit Gott zu identifizie-
ren haben, denn er ist das Umfassende, das alle Dinge zusammenhält; er hat die
Form der Einheit und begrenzt die ganze Welt nach einem Maß [15].
Parallel zur göttlichen Natur des Raumes erhoben die Neuplatoniker die Zeit
auf Rangstufen, die sich über derjenigen der physikalischen Realität befinden.
Schon PLoTIN hatte ARISTOTELEs' phänomenologische Definition der Zeit
(>>Die Zeit ist die Zahl der Bewegung in bezug auf das Frühere und Spätere«)
einer vernichtenden Kritik unterzogen und an ihre Stelle seine psychologische
Definition gesetzt: »Die Zeit ist das Leben der Seele, wenn sie von einem
Zustand des Lebens in einen andern übergeht« [16]. JAMBLICHOS erhob die Zeit
auf eine noch höhere Hypostase, der des Intellektuellen, also der Welt des
aktiven Denkens, die sich zwischen der darunterliegenden Realität der Seele und
der darüberliegenden der intelligiblen Welt der Ideen befindet. Damit war die
dualeNaturder wahren Zeit gekennzeichnet, die einerseits nach oben hin auf die
ruhenden Ideen und andererseits nach unten hin auf die fließenden Ereignisse
unserer Welt ausgerichtet ist. Die Zeit muß also nach JAMBLICHOS, ähnlich wie
der Raum, ihrem Wesen nach als Schöpfung interpretiert werden, denn ihr
ruhender Aspekt macht sie zu einer »ordnenden Ordnung«, einer Ordnung, die
die werdenden Dinge leitet. PROKLOS hob die Zeit auf ein noch höheres Niveau,
nahe dem des Einen: »Da die Stunden Göttinnen sind und der Mond ein Gott
ist[ ... ], muß a fortiori die Zeit selber ein Gott sein« [17]. DAMASKIOS, in seiner
Lehre von den Zeitquanten, spricht von den Quanten als von »demiurgischen
Abschnitten« [18].
Die Einstellung der Neuplatoniker zur Materie, dem dritten Grundbegriff
der Naturwissenschaft, kann an Hand ihrer Interpretation von PLATONs geome-
trischer Theorie der Atome im Timaios illustriert werden, wo er die vier
Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer mit vier der vollkommenen Körper
identifiziert, oder genauer mit den vollkommenen Polygonen, welche diese
Körper begrenzen [19]. Am klarsten ist SIMPLIKIOS' Diskussion des Problems,
die von der bekannten Frage ausgeht, ob die Polygone, aus denen die Oberflä-
chen der Körper zusammengesetzt sind, zwei Dimensionen, also Länge und
Breite, oder auch Dicke haben, also dreidimensionale, materielle, und nicht
mathematische Dinge sind [20].
Der christliche Rivale von SIMPLIKIOS, der alexandrinische Neuplatoniker
JOHANNES PHILOPONos, behauptete, die Polygone müßten körperlicher Natur
sein, denn die dreidimensionale Materie könne nicht durch zweidimensionale
Größen erklärt werden [21]. Demgegenüber sagt SIMPLIKios: »Materie ist durch
Formen und Zahlen geprägt« [22]. Das letzte Wesen der Materie ist also
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immateriell; dies ist nach SIMPLIKIOS die eigentliche Bedeutung von Platons
geometrischem Atomismus. In diesem Sinne betonte schon JAMBLICHOS, daß
diese »auf Formen basierende Naturwissenschaft« symbolisch, nicht wörtlich zu
nehmen sei [23]. An einer andern Stelle erklärt SIMPLIKios, daß die Pythagoreer,
DEMOKRIT und PLATON in ihrer Lehre von den Prinzipien »das Quantitative
höher als die Qualitäten bewerteten, die Form höher als die Qualität, und im
Gebiete der Formen sahen sie diejenigen als die Elemente der Körper an, die von
Prinzipien der Ähnlichkeit und Symmetrie beherrscht sind und so der Lehre von
den Ursachen Genüge tun« [24].
SIMPLIKios' Deutung der Materie als einer abstrakten Gegebenheit, eines
Behälters von Formen und Zahlen, die sich als Symmetrien und Proportionen
kundgeben, erinnert an die neuesten Entwicklungen der Quantenmechanik und
der Lehre von den Elementarteilchen. Auch hier ist das letzte Wesen dieser
Partikeln kein materielles; sie sind vielmehr durch Quantenzahlen und ihre
Kombinationen definiert. Damals wie heute hat die Materie einen Prozeß der
Vergeistigung durchgemacht- sie hat sich in Form oder Gestalt aufgelöst, in
Zahlen und symbolische Konfigurationen. Die Vergeistigung von Raum, Zeit
und Materie durch die Philosophie der letzten Neuplatoniker war ein inhärenter
Teil des ganzen Zugangs der Spätantike zur Naturwissenschaft und Kosmologie.
Das Problem der Materie bei PLATON und den Neuplatonikern hat noch
einen andern Aspekt, der uns zu dem schon besprochenen Thema des Menschen
als Mikrokosmos zurückführt und zugleich die Einstellung der neuplatonischen
Religion ~um Problem des Todes beleuchtet. Platon erzählt im Timaios von der
Erschaffung des Menschen durch die Söhne des Demiurgen: »Nachdem der
Demiurg dies alles geordnet hatte,[ ... ] bedachten seine Kinder die Anordnung
des V;:.ters und borgten sich vom Weltganzen Teile des Feuers, der Erde, des
Wassers und der Luft aus, mit der Absicht, sie später wieder zurückzuerstatten,
und fügten diese zum Menschen zusammen« [25]. Hierzu bemerkt PRoKLos in
seinem Timaioskommentar: »Aus dem Wort >Sich ausborgen< geht klar hervor,
daß das Weltganze einen größeren Anteil an unserem Körper hat als wir selber.
Wenn dem so ist, warum jammern die Menschen darüber, daß sie sterben
müssen? Was ist denn so furchtbar an der Auflösung? Es ist doch bestimmt in der
Ordnung, daß das Universum das zurückerhält, was es entliehen hat« [26].
PRoKLos' Bemerkung ist ein schönes Beispiel für die antike Auffassung des
menschlichen Mikrokosmos als eines integralen Teiles des Universums, die beide
ein einheitliches Ganzes bilden. Dabei fällt auch die positive Einstellung zum
Tode auf, deren Herkunft vom Pantheismus der Stoiker unverkennbar ist. Sie
steht in scharfem Kontrast zur jüdisch-christlichen Auffassung. Der Satz in
Genesis 3 : 18 - »denn von Staub bist du und zu Staub wirst du zurückkehren« -
beschließt ja den Fluch Gottes, der dem Sündenfall folgt, und seine Assoziatio-
nen sind offenkundig pessimistischer Natur.
Nunmehr möchte ich zum Ende der Spätantike übergehen und wähle einen
Abschnitt aus SIMPLIKios' Vorrede zu seinem Kommentar zu Aristoteles' Physik
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PLA.TON uns zeigt, der von den physikalischen Bewegungen ausging und die sich
selbst bewegende Wesenheit sowie die intellektuelle und göttliche Realität
entdeckte, und ARISTOTELES, der in diesem seinem Werke von der Ewigkeit der
Kreisbewegung ausgehend das Unbewegte erforschte, das die Ursache aller
Bewegung ist. Dieses Werk wird auf das höchste von der Verehrung der
göttlichen Hoheit durchglüht und führt uns von der gründlichen Betrachtung des
von Gott Geschaffenen zum Wunder und der Größe des Schöpfers. Auf diese
Bewunderung aber folgen mit Gewißheit die Liebe zu Gott, der Glaube und die
Hoffnung. Aus diesem Grunde muß man vor allem Naturwissenschaft studieren«
[27].
Der Schwung dieser von tiefer Religiosität getragenen Worte, welche die
Wandlung beschreiben, die in dem Menschen vor sich geht, wenn er der Natur
gegenübersteht und sich ihrer Erhabenheit bewußt wird, erinnert an eine
moderne Parallele von ähnlicher poetischer Kraft, an RILKEs Gedicht Torso des
archäischen Apollo. Der Dichter betrachtet ein großes Kunstwerk, dessen
Schönheit auf ihn ausstrahlt und von ihm im einzelnen beschrieben wird; seine
Reaktion darauf ist in der Schlußzeile ausgesprochen: »Du mußt dein Leben
ändern.«
An den zitierten Passus aus SIMPLIKios' Vorrede, diesem bedeutenden
Dokument einer religiösen Weltanschauung, möchte ich einige Bemerkungen
anschließen. SIMPLIKIOS führt die dreifache Bedeutung der Naturwissenschaft in
einer Reihenfolge an, die für die Einstellung der antiken Griechen bezeichnend
ist. Er beginnt mit der niedrigsten Stufe, der Anwendung der Wissenschaft auf
das praktische Leben. Die angewandte Wissenschaft, einschließlich der Technik,
stand bei den Griechen aller Perioden der Antike in geringer Schätzung, wie wir
es aus berufendstem Munde, von ARISTOTELES, erfahren, der das Wissen um
seiner selbst willen als die vornehmste Beschäftigung des geistigen Menschen
ansah und von Nutzanwendungen nicht viel hielt. So sagt er z. B. in seiner
Metaphysik: »... Und als man mehr mechanische Künste erfand, manche, die
den Notwendigkeiten des Lebens dienen, und andere zur Erholung, so wurden
die Erfinder der letzteren stets für weiser gehalten als die anderen, weil ihre
Wissenszweige nicht dem Nutzen dienen« [28]. Aus der hellenistischen Literatur
geht hervor, daß die Griechen damals zwar wesentliche technische Leistungen
aufzuweisen hatten, die jedoch in ihrer eigenen Wertschätzung unbedeutender
waren als ihre reine Wissenschaft. Ein beredtes Zeugnis dafür sind die schriftlich
überlieferten Werke von ARCHIMEDES, dem größten Mathematiker und Physi-
ker der Antike. Nur seine rein wissenschaftlichen Schriften wurden der Nachwelt
überliefert, während die Ergebnisse seiner nicht weniger bedeutenden techni-
schen Forschungen kaum aufgezeichnet wurden.
Die reine Erkenntnis der physikalischen Welt steht auch für SIMPLIKIOS auf
einer höheren Stufe als die angewandte und wird von ihm mit den spirituellen
Leistungen der Theologie, der Wissenschaft von den göttlichen Dingen gleichge-
setzt. Auf die höchste Rangstufe aber stellt er den ethischen Aspekt der
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Noten
1. Max Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaften (Leipzig 1942) S. 30
2. Max Planck, Religion und Naturwissenschaft (Leipzig 1937) S. 27
3. Platon, Gesetze 966d-e
4. Aristoteles, bei Sextus, adv. math. IX 20-22
5. Alex. Aphr., In metaph. 1, 17f.
6. »Zwei Dinge erfüllen das Gemüt« etc.
7. David, Proleg. phil., 38, 18
8. Arist., Phys., 252b24ff.
9. Prokl., In Tim. I 5, 7; 33, 23; 202, 25; II1 172, 8; 355, 7
10. Prokl., a. a. 0. I 20,27-22,28
11. Klaud. Ptolem., Syntaxis mathem., Vorwort
12. [Arist.], De mundo, Kap. 5 und 6
13. Simpl., In categ. 362,7-364,6
14. Simpl., Inphys. 639,25-36
15. Simpl., In categ. 363,32-364,6
16. Plotin., Ennead. III 7, 11,43
17. Prokl., In Tim. III 32,7-33,1
18. Damask., Dub. et sol. II 242,10
19. Platon, Tim. 53c-57d
20. Simpl., In de caelo 563,26-566,16; 638,14-641,13
21. Philop., In de gener. et corr. 210, 12-14
22. Simpl., In de caelo 564,2-3
23. Simpl., a.a.O. 564,10-14
24. Simpl., a.a. 0. 565,33-566,4
25. Platon, Tim. 42e ff.
26. Prokl., In Tim. III 319, 28ff.
27. Simpl., Inphys. 4,17-5,21
28. Arist., Metaph. 981b16
29. 1. Cor. XII, 13
30. Siehe E. R. Dodds, Pagan and Christian in anAge ofAnxiety (Cambridge 1965) p. 123
31. Porph., Ad Marcellam 24
32. Prokl., In Tim. I 212, 21
33. Prokl., a.a. 0. II 109,1-113,14
34. Prokl., a.a.O. 110,2-3
35. Am Schluß seines Essays über Goethes »Wahlverwandtschaften«
36. A. Einstein, Aus meinen späten Jahren (Stuttgart 1979) S. 41-47
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Sitzungsberichte
der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse
Jahrgang 1981
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung
nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären
und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Satz-, Druck- und Bindearbeiten: Beltz Offsetdruck, HemsbacbiBergstraße
212513140-543210
Inhalt
Jahrgang 1981
F. K!RCHHEIMER
Die Medaillen der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften 1
s. BERKING
Zur Rolle von Modellen in der Entwicklungsbiologie . . . . . . . . . . . . 33
TH. WIELAND
Modeme Naturstoffchemie am Beispiel des Pilzgiftstoffes Phalloidin . . . . 73
s. SAMBURSKY
Religion und Naturwissenschaft im spätantiken Denken . . . . . . . . . . 99