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Gert Melville - Bernd Schneldmüller - Stefan Welnfurter (Hrsg.

Innovationen durch
Deuten und Gestalten
Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt

Klöster als Innovationslabore Band 1

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tnnovationen durch Deuten und Gestatten
Ktöster im Mittetatter zwischen Jenseits und Wett
Klöster als Innovationslabore
Studien und "Texte

Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften


und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

herausgegeben von
Gert Melville - Bernd Schneidmüller - Stefan Weinfurter

Band 1
SONDERDRUCK AUS

Innovationen durch
Deuten und Gestalten
Klöster im Mittelalter
zwischen Jenseits und Welt

Herausgegeben von
Gert Melville - Bernd Schneidmüller - Stefan Weinfurter

Mit Beiträgen von

Mirko Breitenstein, Stefan Burkhardt, Jacques Dalarun, Thomas Ertl,


David Flood, Timothy J. Johnson, Ulrich Köpf, Christina Lutter,
Gert Melville, Klaus Militzer, Tore Nyberg, Thomas Rentsch, Frank Rexroth,
Hedwig Röckelein, Jens Röhrkasten, Bernd Schneidmüller, Hans-Joachim Schmidt,
Gabriela Signori, Sita Steckei, Matthias Untermann, Steven Vanderputten,
Stefan Weinfurter

SCHNELL f STEINER
Abbildung der vorderen Umschlagseite: Der Dominikaner Vincenz von Beauvais beim Kompilieren.
Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Reg. Lat. 538, fol. Ir.
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana.

Zitiervorschlag: Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und
Welt, hg. von Gert Melville/Bernd Schneidmüller/Stefan Wcinfurtcr (Klöster als Innovationslabore. Studien
und Texte 1), Regensburg 2014.

Dieser Band entstand aus dem Forschungsschwerpunkt »Klöster im Hochmittelaltcr: Innovationslabore


europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle«, einem Gemeinschaftsprojekt der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Er wurde im
Rahmen des gemeinsamen Akademienprogramms von Bund und Ländern (Union der deutschen Akade-
mien der Wissenschaften) mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Ministe-
riums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg gefördert.

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^ ^ DER DEUTSCHEN AKADEMIEN Sächsische Akademie der Wissenschaften
DER WISSENSCHAFTEN zu Leipzig

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten
sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

@ 2014 Verlag Schnell 8c Steiner GmbH, Regensburg


Satz: typegerecht, Berlin
Umschlaggestaltung: Anna Braungart, Tübingen
Druck: Erhardi Druck GmbH, Regensburg

ISBN 978-3-7954-2898-3

Alle Rechte Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet,
dieses Buch oder Teile daraus auf fototechnischem oder elektronischem Weg zu vervielfältigen.

Weitere Informationen zum Verlagsprogramm erhalten Sie unter


www.schnell-und-steiner.de
!nha!t

Vorwort der Herausgeber . 7

Innovation durch »Sezession« - Zur Einführung . 9


! Bändigung der Transzendenz
D<%ArM72

Le corps monastique entre op%s Dei et modernité . 19


Die Verfügbarkeit der Transzendenz:
Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant . 37
7%0772<%i AcTZticA

Transzendenz erleben
Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz - Transzendenz erleben. 57
C/AcA Aöpy
Annäherung an Gott im Kloster . 63
AwZOtAy T ^0^777.5072

Place, Analogy, and Transcendence


Bonaventure and Bacon on the Franciscan Relationship to the World . 83
7bre
Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz - Transzendenz leben . 97

!! individuum und Gemeinschaft


5YcO<?72 V%72de7ywtte7?

The Mind as Cell and the Body as Cloister


Abbatial Leadership and the Issue of Stability in the Early Eleventh Century . 105
AoAAg Æo<Ae/ez7?
Inklusion - Exklusion: weiblich - männlich . 127
CArützTM Zetter
Geistliche Gemeinschaften in der Welt
Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Innen und Außen . 145
GA^AoA VgTzorz
Der »Mönch im Bild«
Das Porträt als klösterliches Erinnerungsmedium an der Schwelle
vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 161
Jezzy Ao'Ar^zZitezz
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern
und Franziskanern . 181
TYzZZZ^/ozZcAzZZZ .ScAzZZzdt

Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität . 199

!!! Weitdeutung durch Wissenskonfigurationen


5zt<% .Steche/

Deuten, Ordnen und Aneignen


Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher
Wissenskompendien . 209
7%OZZZ<%i Lrt/

Pragmatische Visionäre?
Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert . 253

!V Neuordnung der Geseüschaft


AfzZttAzzZ^ GzztcrZZZzZZZZZ

Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen:


Die Baukunst der Bettelorden . 275
Dzzazd F/ood
Franciscans at Work . 291
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Armut, Arbeit, Bettel?
Kommentar zur Sektion Neuordnung der Gesellschaft - Wirkung in die Welt . 301
KAzzzy Æz/ztzez*

Der Aufbau von Landesherrschaften durch Ritterorden,


besonders durch den Deutschen Orden . 307
Frzzzz^ AexrotA
Monastischer und scholastischer Habitus
Beobachtungen zum Verhältnis zwischen zwei Lebensformen
des 12.Jahrhunderts . 317
V Deuten und Gestatten
Gert AfeAz//e
Innovation aus Verantwortung
Kloster und Welt im Mittelalter . 337
Ferzzd 5cAzzezJzzzzt//er
Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation
Ein Schlusswort . 355

Verezzzt ScFezz^ zzz .ScAayezzz^ez*g

Namenregister . 365
Vorwort

Dieser Band präsentiert die Ergebnisse der internationalen Tagung »Innovationen


durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt«,
die vom 04. bis 06. Oktober 2012 im Erbacher Hof in Mainz stattfand. Experten
aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Österreich, Dänemark, der
Schweiz und den USA beschäftigten sich in einem interdisziplinären Diskurs mit
der klösterlichen Welt des Mittelalters als Wegbereiterin der Moderne. Im Mittel-
punkt der Tagung stand die Frage, wie mittelalterliche Klöster im sozialen und reli-
giösen Wandel des 11. bis 13. Jahrhunderts innovative Formen der Lebensgestaltung
und Weltdeutung entwickelten und umsetzten.
Zugleich wurden damit erstmals zentrale Überlegungen und Forschungsinteres-
sen des interakademischen Projekts »Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore
europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle« zur Diskussion gestellt. Es
wurde in den Jahren 2010/2011 von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig mit Forschungsstel-
len in Heidelberg und Dresden eingerichtet. In Verknüpfung von textorientierter
Grundlagenforschung und kulturwissenschaftlicher Betrachtung will das Akade-
mieprojekt monastische Texte untersuchen und edieren, welche normative Struktu-
ren des klösterlichen Lebens formten, abbildeten und reflektierten (Dresden) oder
fundamentale Weltdeutungen und Ordnungsvorstellungen sinnstiftend präsentier-
ten (Heidelberg).
Nach diesen Arbeitsschwerpunkten entwarfen die Mitarbeiter des Akademie-
projekts, Dr. Mirko Breitenstein, Dr. Julia Burkhardt und PD Dr. Stefan Burk-
hardt, das Tagungsprogramm. Für die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge tru-
gen Verena Schenk zu Schweinsberg M.A. und Dr. Julia Burkhardt in Heidelberg
Sorge. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Besonders danken möchten wir den
Autorinnen und Autoren des Bands. Sie ließen sich auf das Experiment ein, das
Mainzer Tagungsformat eines Wechsels zwischen längeren Vorträgen und kürzeren
8 I Vorwort

Kommentaren zu ausgewählten Sektionsschwerpunkten in eine Publikation um-


zusetzen. Auf diese Weise ist ein Band entstanden, der konkrete Einzelanalysen
mit kulturgeschichtlichen Perspektivierungen verknüpft und damit dem zentralen
Anliegen des Akademieprojekts folgt.
Dieses Buch bildet den programmatischen Auftakt für unsere neue Publikati-
onsreihe »Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte«. Sie bietet gleicher-
maßen Raum für Grundlagenforschung und auswertende Analysen. Geplant sind
kritische Editionen zentraler Texte und Untersuchungen zur Lebensgestaltung
und Weltdeutung mittelalterlicher Klöster. Die Einrichtung dieser Reihe im Verlag
Schnell & Steiner wurde durch die freundliche Unterstützung der Akademien in
Heidelberg und Leipzig ermöglicht. Dieser Band wurde im Rahmen der gemein-
samen Forschungsförderung von Bund und Ländern im Akademienprogramm mit
Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Ministeriums
für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg und des
Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst des Freistaats Sachsen erarbeitet.
Ihnen allen sowie dem Verleger Dr. Albrecht Weiland und Frau Elisabet Petersen
M.A. als Lektorin schulden wir aufrichtigen Dank.

Dresden/Heidelberg, im Sommer 2014

Gert Melville - Bernd Schneidmüller - Stefan Weinfurter


innovation
durch »Sezession« -
Zur Einführung

»Klöster im Mittelalter«^ - das ist ein Thema, das heute ein bemerkenswertes Inte-
resse hervorruft. Peter Sloterdijk hat vor kurzem ein voluminöses Buch über das
monastische Lebensmodell veröffentlicht, das den Titel trägt: »Du musst dein Le-
ben ändern«^ Zuvor war eine Studie von Giorgio Agamben über »Altissima Po-
vertä. Regole monastiche e forma di vita«^ erschienen. Sie betont die enorme Kraft,
die aus dem Armutsgedanken erwuchs und Wirkungen hervorbrachte, die bis heute
das gesellschaftliche und politische Denken und Leben beeinflussend Schließlich
hat Gert Melville sein Buch über »Die Welt der mittelalterlichen Klöster« vorgelegt,
das - ich zitiere aus dem Vorwort - deutlich macht, wie die klösterliche Lebensform
»in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und in der geistigen Welt konkrete Wirkungs-
felder fand«. Die Welt der Klöster - ich zitiere weiter - »verstand sich gleichsam als
Relaisstation zwischen Gott und Welt. Durch Gebet, Predigt und Vermittlung von
Wissen wollte sie Gott und die Menschen einander näherbringen. Durch Sorge um
die Kranken, die Armen und die Vergessenen versuchten die Menschen in den Klös-
tern, Christus nachzufolgen und die Botschaft der Nächstenliebe durch ihr eigenes
musterhaftes Beispiel zu verkünden. Die Klöster waren ein effizientes Grundmodul
jener Kultur des Mittelalters, in der die Wurzeln der Moderne liegen.«^

1 Unveränderter Text der Einleitung der Tagung vom 4. bis 6. Oktober 2012 in Mainz (Erbacher Hof).
2 Peter SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotcchnik, Frankfurt am Main 2009, bes.
S. 208 ff.
3 Giorgio ÄGAMBEN, Altissima povertä. Regole monastiche e forme di vita (Homo sacer 4,1), Vicence 2011.
Deutsche Ausgabe: Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensform. Aus dem Italienischen von Andreas
Hiepko, Frankfurt am Main 2012.
4 Siehe aber auch die kritischen Stellungnahmen von Uwe Justus WENZEL in der Neuen Zürcher Zeitung
vom 21. April 2012 und von Valentin GROEBNER in Die Zeit vom 19. April 2012.
5 Gert MELVILLE, Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012,
S. 11 f.
lOlStefanWeinfurter

Die Welt der Klöster, die sich, beginnend in der Spätantike, sodann im Mittel-
alter ausbildete, hat in hohem Maße mit unserer Kultur zu tun - so lauten die Sig-
nale der modernen Forschung. Aussagen dieser Art wurden auch schon in früheren
Jahren von Max Weber oder Ludwig Wittgenstein getroffen. In seinem »Grundriß
der verstehenden Soziologie« vertrat Max Weber die Auffassung, das okzidenta-
le Mönchtum habe einen entscheidenden Beitrag zu Entwicklung der modernen
Kultur geleistet/ Das Innovative sieht er vor allem im wirtschaftlichen, aber auch
im wirtschaftsethischen Bereich. Mönche hätten als erste rational durchorganisierte
Betriebe in Landwirtschaft und Gewerbe aufgebaut. Aber sie hätten auch schon
frühzeitig darauf Wert gelegt, dass für Arbeit und Waren ein gerechter Preis gezahlt
wird - wenn auch nicht immer bereits im Diesseits. Monastische Arbeit war nach
Max Weber ein »asketisches Instrument«^ mit der Folge, dass Arbeit gleichsam ver-
edelt und Klosterwirtschaft zu höchster Effizienz geführt worden seien. Die Klos-
terstifter wiederum hätten sich mit ihren Hausklöstern Sondergut geschaffen, das
für andere kaum angreifbar wurde, das Überschüsse produzierte, an dem der Stifter
in hohem Maße partizipieren konnte und das Möglichkeiten bot, den Adelsnach-
wuchs zu versorgen. Nicht zuletzt hätten Klöster im Gegensatz zu den Kulturen
des Kriegeradels eine fast gleichberechtigte Beteiligung der Frauen erlaubt/ In der
Tat wurde ein Norbert von Xanten um die Mitte des 12. Jahrhunderts mit besonde-
rem Lob bedacht, weil er die Frauen mehr als etwa ein Bernhard von Clairvaux in
seinen Reformstiften berücksichtigt habe/
Auf allen diesen Gebieten wird man Innovationen benennen können, die aus der
klösterlichen Welt hervorgegangen sind. Aber damit halten wir uns weitgehend an
der Oberfläche auf. Im Grunde geht es um viel tiefer greifende kulturelle Prozesse.
Mit ihnen beschäftigt sich vor allem Peter SloterdijkA Er geht von dem Diktum des

6 Max WEBER, Wirtschaft und Geseilschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Ausga-
be, besorgt von Johannes WiNCKELMANN, Studienausgabe, Tübingen 1976, S. 285ff. und 702ff., bes.
S. 705. Vgl. Barbara H. RoSENWEiN, Reformmönchtum und der Aufstieg Clunys. Webers Bedeutung für
die Forschung heute, in: Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums. Interpretation und Kritik,
hg. von Wolfgang ScHLUCHTER (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 730), Frankfurt am Main 1988,
S.276-311.
7 WEBER, Wirtschaft (wie Anm. 6), S. 709.
8 WEBER, Wirtschaft (wie Anm. 6), S. 297.
9 Hériman de Tournai, Les miracles de Sainte Marie de Laon, hg. von Alain SAiNT-DENis (Sources d'histoire
médiévale 36), Paris 2008, lib. Ill, cap. 7, S. 216-221. Vgl. Gertrud NiERMEYER, Die Miracula s. Mariae
Laudunensis des Abtes Hermann von Tournai, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 27,
1971, S. 135-174, hier S. 167-171; Werner BoMM, Anselm von Havelberg, Epistola apologetica - Über
den Platz der >Prämonstratenser< in der Kirche des 12. Jahrhunderts. Vom Sclbstverständnis eines frühen
Anhängers Norberts von Xanten, in: Studien zum Prämonstratcnscrordcn, hg. von Irene CRUSius/Hel-
mut FLACHENECKER (Studien zur Germania Sacra 25/Vcröffcntlichungen des Max-Planck-Instituts für
Geschichte 185), Göttingen 2003, S. 107-183.
10 Wie Anm. 2.
Innovation durch »Sezession«-Zur Einführung I 11

Philosophen Ludwig Wittgenstein aus, der 1949 schrieb: »Kultur ist eine Ordensre-
gel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus«." Überdies, so Wittgenstein weiter,
sei es unmöglich, einer Regel auf private Weise zu folgen. Eine Regelbefolgung sei
nur sinnvoll, wenn es eine Gemeinschaft gebe. Das frühe Mönchtum sei daher in
Nachahmung des »charismatischen Liebeskommunismus« der Urkirche ein üben-
der Lebensmodus für die bestmögliche Gestaltung einer Gemeinschaft gewesen.
Aus den verschiedenen Gemeinschaften heraus seien die vielfältigen Regeln erst
entstanden, nicht umgekehrt.
Aber, so Sloterdijk, die Regeln führten zu der Bereitschaft, »jeden Handgriff mit
Bedachtsamkeit zu tun und jedes Wort mit Besonnenheit zu sprechen«.^ Damit sei
ganz grundsätzlich die Wachsamkeit und Aufmerksamkeit des Menschen gefördert
worden und nicht zuletzt seine Bereitschaft, ganz neue Aufgaben zu übernehmen.
Voraussetzung dafür aber war, dass sich der Mönch von der gewöhnlichen Welt
vollkommen entfernt hatte. Sloterdijk führt hier den Begriff der »Sezession« einA
Der Mönch legte sowohl im Sensorischen wie im Sprachlichen die gewöhnlichen
Konventionen vollständig ab. Erst in der neuen Welt der Sezessionsästhetik konnte
er sich der Beschäftigung mit den primären Formen und Fragen des Lebens und
der Lebensordnung widmen. Hier auch erfuhr er einen ganz neuen Selbstbezug,
eine Art »Selbstinsulierung«A Dadurch fand er zu sich selbst als Individuum. Das
Mönchtum, das aus dem Willen zur Gemeinschaft entstand, brachte auf diese Weise
auch das Gegenteil, das Individuum, zur Geltung - ein Gesichtspunkt, dem auch
Gert Melville groBe Bedeutung beimisst A
Die »Sezession von der Gewohnheitswelt«bot dem Mönch nun ganz neue
Horizonte. Hier entstand die Plattform für das Neue. Hier konnten Innovationen
auf allen Gebieten erwachsen. Im Vergleich mit den »Zurückgebliebenen« wurde
der die Welt Verlassende zum Wissenden, die anderen wurden zu Menschen »von
gestern« V

11 Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachtaß, hg. von Georg Hen-
rik VON WRiGHT, neu bearbeitet durch Alois PiCHLER, Frankfurt am Main 1994, S. 149. Vgl. Thomas
MACHO, »Kultur ist eine Ordensregel«. Zur Frage nach der Lesbarkeit von Kulturen als Texten, in: Les-
barkeit der Kultur. Literaturwissenschaft zwischen Kulturtechnik und Ethnographie, hg. von Gerhard
NEUMANN/Sigrid WEIGEL, München 2000, S. 223-244.
12 SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 214.
13 SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 216 ff.
14 SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 354.
15 Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von Gert MEL-
viLLE/Markus ScHÜRER (Vita Regularis 16), Münster/Hamburg/London 2002.
16 SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 342.
17 SLOTERDIJK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 342.
12lStefanWeinfurter

Neben dem Selbstbezug in den spirituellen Enklaven bildete sich in der monas-
tischen Welt überdies ein neuer Sinn für Zeit und Zukunft aus.^ Damit ist ein ganz
wesentlicher Aspekt des klösterlichen Lebensmodells angesprochen. Jedes Gemein-
schaftsmitglied wurde mit dem Bewusstsein konfrontiert, in eine existenzielle Zeit
einzutreten, nämlich in eine Projektzeit, die eine Bewährung erfordert. Hier tritt
wieder die Kraft der monastischen Lebensordnung hervor.
Mönchtum und Klöster sind freilich im Mittelalter keineswegs eine feste Grö-
ße. Das ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Doch gerade die feinen oder
groben Unterschiede im diachronischen und synchronischen Sinne sind überaus
aufschlussreich, weil sie den prozesshaften Charakter der monastischen Lebensord-
nungen und die jeweiligen Ausprägungen beachtenswerter Innovationen erkennen
lassen. Darauf geht Giorgio Agamben eirU und dieser Aspekt bildet auch einen
besonderen Schwerpunkt im Buch von Gert Melville.-° Die Ordnung der Lrühzeit
der Klöster beruhte auf einer Regel. Die Mönchsregel an sich, die an der Wende
vom 4. zum 5. Jahrhundert in Erscheinung tritt, kann man sogar als eine ganz neue
»Literaturform« bezeichnen. Der karolingische Reformer Benedikt von Aniane ließ
25 verschiedene Mönchsregeln im CoJax sammelnA Sie konnten ganz
kurz sein wie die Augustinusregel (von der verschiedene Versionen überliefert wur-
den^) oder hunderte von Seiten umfassen wie die Sie regelten
das Leben einer Gruppe von Individuen, nicht selten durch strenge Sanktionen und
bis ins kleinste Detail. Sie lenkten Leben und Sitten der Gemeinschaftsmitglieder
sowohl in individueller wie in kollektiver Hinsicht.^
Aber im späten 11. und im 12. Jahrhundert beobachten wir einen fundamentalen
Wandel. Man könnte sagen: Das »Kloster« erwachte und entwickelte eine geradezu
ungeheure Dynamik, zuerst in Lrankreich und Italien, dann auch in Deutschland.
Herbert Grundmann nannte diesen Vorgang »religiöse Bewegungen«.^ Er hätte
auch sagen können: die »Epoche der neuartigen Klosterkultur«. Das Mönchtum
und die wie Mönche lebenden Regularkanoniker verstanden sich und ihren Le-
bensentwurf tatsächlich als etwas Neues. Es ging jetzt darum, und der

18 SLOTERDijK, Du musst dein Leben ändern (wie Anm. 2), S. 379.


19 Wie Anm. 3.
20 Wie Anm. 5.
21 Benedikt von Aniane, Codex regularum monasticarum et canonicarum, in: Patrotogia Latina, hg. von
Jacques-Paul MiGNE, Bd. 103, Paris 1851, Sp. 393-702. Vgl. Gereon BECHT-JÖRDENS, Die Vita Aegil des
Brun Candidus als Quelle zur Fragen aus der Geschichte Fuldas im Zeitalter der anianischcn Reform, in:
Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 42, 1992, S. 19-48, hier S. 42-44.
22 Luc VERHEijEN, La règle de Saint Augustin, 2 Bde., Paris 1967.
23 Adalbert DE VoGÜÉ, La règle du maître, 3 Bde. (Sources chrétiennes 105-107/Séric des textes monas-
tiques d'Occident 14-16), Paris 1964.
24 MELVILLE, Die Welt (wie Anm. 5), S. 16.
25 Herbert GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen, 2. verbesserte und ergänzte Aufl. Hildesheim 1961.
Innovation durch ))Sezession«-Zur Einführung I 13

Mönche oder Regularkanoniker so miteinander zu verschmelzen, dass das Leben


selbst die Regel wurde. VzAz ^ heißt es jetzt in den Texten,^ beide sind fortan
miteinander untrennbar verbunden. In den Quellen ist die Rede von einem ??OT%7?2
gcTzzzs TÜAze, einer »neuen Art zu leben«, so etwa in der Vita des Norbert von Xan-
tenA Christus selbst wurde nun die Regel und das Vorbild war die apostolische
Lebensweise, die das Evangelium selbst vermittelt.
Bei den Franziskanern entwickelte sich dieses Modell zu höchster Vollendung.^
Dies hatte zur Folge, dass die Minderbrüder in Nachfolge des armen Christus auf
jegliches Eigentumsrecht verzichteten, dass sie aber den faktischen Gebrauch für
sich als Ausfluss des Naturrechts gelten ließen. Bei Bonagratia gibt es den berühm-
ten Vergleich mit dem Pferd, das ja auch den Hafer frisst, ohne dass es ein Ei-
gentumsrecht darauf habeA Dieser rechtsfreie Raum der Franziskaner war eine
sensationelle Neuerung und die Päpste versuchten im 14. Jahrhundert, dem entge-
genzuwirken.
Noch prekärer für die Amtskirche war die Forderung der Waldenser, dass nicht
das Amt die Verwaltung der Sakramente gestatte, sondern die Würdigkeit. Nur
wer durch die Nachahmung des apostolischen Lebens herausrage, dürfe die wich-
tigste hierarchische Position in der Kirche vertreten. Nicht das Amt verleihe Au-
torität, sondern das Verdienst des Lebens, das werzZzzw Dieses Ideal griff
weit um sich und man kann gewiss nicht sagen, dass die Bewegung der Waldenser
eine Randerscheinung gewesen seiA Diese Beispiele machen deutlich, dass in der
dynamischen Epoche der Klöster vom 11. bis zum lß. Jahrhundert die monasti-
schen Lebensmodelle auch mit großer Wucht umgesetzt wurden und im Idealfall
zum Vorbild für die ganze Gesellschaft werden sollten. Und die »Gesellschaft« hat
darauf reagiert, vor allem die Amtsträger der Amtskirche. In Traktaten und anderen

26 Franz von Assisi, Regula non bullata, in: Fontes Franciscain, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano ßRUFANi
(Medioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995, S. 185-212, hier S. 185.
27 Leben des hl. Norbert, Erzbischofs von Magdeburg (Fassung A), in: Lebensbeschreibungen einiger
Bischöfe des 10.-12. Jahrhunderts, fibers. von Hatto KALLFELZ (Ausgewählte Quellen zur deutschen
Geschichte des Mittelalters 22), Darmstadt 1973, S. 443-541, hier cap. 6, S. 462/464; Vita Norbcrti ar-
chiepiscopi Magdeburgensis (A), hg. von Roger WiLMANS, in: MGH Scriptores 12, Hannover 1856,
S. 663-704, hier S. 675.
28 Thomas ERTL, Religion und Disziplin. Selbstdeutung und Weltordnung im frühen deutschen Franziska-
nertum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 96), Berlin 2006.
29 Bongratia von Bergamo, Tractatus de Christi et apostolorum paupertate, hg. von Livario OnGER, in:
Archivum Franciscanum historicum 22, 1929, S. 511.
30 Alanus von Lille, De fide catholica contra haereticos, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE,
Bd. 210, Paris 1855, Sp. 305-430, hier Sp. 385.
31 Martin SCHNEIDER, Europäisches Waldensertum im 13. und 14. Jahrhundert. Gemeinschaftsform -
Frömmigkeit - sozialer Hintergrund (Arbeiten zur Kirchengeschichte 51), Berlin 1981; Paul R. TAR-
MANN, Der Armutsbegriff der Waldenser. Eine sozialphilosophische Annäherung, Frankfurt am Main
2010.
14lStefanWeinfurter

Verlautbarungen wurden Meinungen und Argumente ausgetauscht und nicht selten


hart gegeneinander gesetzt. Sie reichten von einfachen Fragen wie zur Kleidung der
Religiösen bis zu grundlegenden Erörterungen über die Weltdeutung. Die Frage
nach der Deutungshoheit war eine zwingende Folge dieser Entwicklung.
So sind wir nun beim Titel und beim Thema unserer Tagung angekommen: »In-
novation durch Deuten und Gestalten«. Wer beanspruchte die Deutungshoheit und
welche Formen, Strategien und Modelle wurden dafür entwickelt. Die Spannweite
und die Dynamik des Themas, so sollten diese Eingangsworte deutlich machen,
greifen weit aus und bieten das denkbar fruchtbarste Feld für das gemeinsame Ein-
dringen in diese Materie.
Bändigung der
Transzendenz
Le corps monastique entre
opus Dei et modernité

Un corps en tension

La doctrine chrétienne a un rapport ambigu au corps.* Deux moments émergent


dans l'Écriture qui l'inspire: Création et Incarnation. Dans le premier récit de la
Création, au sixième jour, Dieu crée l'homme à son image; il le crée sexué (« homme
et femme il les créa>F), l'exhorte à la fécondité et prévoit sa nourriture^ Dans le
second récit de la Création, Dieu modèle le corps de l'homme, puis lui insuffle
le souffle de vie. À partir de la côte de l'homme, il façonne la femme. L'homme y
reconnaît l'os de ses os, la chair de sa chair; et tous deux étaient nus/ S'ensuit la
chute^ qui, très tôt dans l'exégèse, fut identifiée à la tentation de la chair, avec de re-
doutables conséquences pour les filles d'Eve/ Viennent la nouvelle Ève et le nouvel
Adam. Dieu s'est incarné - «Et le Verbe s'est fait chair V - : son Fils unique est né
d'une femme. Il est ressuscité. Aussi le Symbole des apôtres proclame-t-il la foi en
la résurrection de la chair,^ tandis que la passion du Christ - qu'il subit pourtant du
fait d'une condamnation extérieure -, réitérée dans les passions des martyrs, devient
un passage obligé de la

1 Voir Jean-Claude ScHMiTT, La raison des gestes dans l'Occident médiéval (Bibliothèque des histoires),
Paris 1990, pp. 58-79.
2 Genèse 1, 27: m^seztAm et/etvAztm créait eos. Toutes les citations bibliques sont extraites de Biblia sacra
iuxta Vulgatam versionem, éd. Bonifatius FisCHER/Jean GRiBOMONT/Hedley Frederick Davis SPARKS et
al., Stuttgart 1975.
3 Genèse 1,26-31.
4 Genèse 2, 7-25.
5 Genèse 3.
6 Voir Elaine PAGELS, Adam, Eve and the Serpent, New York 1988, trad. Adam, Ève et le serpent, Paris 1989.
7 Jean 1, 14: Et ver^Mm c%ro est.
8 Symbole des apôtres: CreJo A [...] farm's resztrrectioMem («Je crois [...] en la résurrection de la chair»).
9 Voir Marc 8, 34: Et co?zfoc<%t<% t%?A: c%m Jitcip%/z't sttz's Jixit eis/ 'Ni ^%t's tm/tpost me se^Mt, beweget se
zpstzm et to/At ctMcem sM<%m et se^M%tM?* me" («Et ayant convoqué la foule avec ses disciples, il leur dit:
"Si quelqu'un veut me suivre, qu'il se nie lui-même, prenne sa croix et me suive"»). Un tel discours peut
difficilement refléter les paroles du Christ avant sa crucifixion.
20 I Jacques Dalarun

Si la défiance contre la chair affleure dans la tradition chrétienne, elle ne peut


cependant être poussée à bout, en raison de la Création, de l'Incarnation, de l'eu-
charistie - « Car ceci est mon corps »1° -, mais aussi parce que l'Eglise, sur la longue
durée du Moyen Age, a dû se définir en opposition au défi manichéen, réel ou fan-
tasmé. Rejeter indistinctement la chair du côté du mal serait mettre en cause l'unicité
de Dieu. En outre, à la suite de Paul, les chrétiens forment « le corps du Christ»" et
l'Eglise elle-même se pense comme son «corps mystique»A
Dans l'imagerie populaire, le corps du moine est pris entre deux images oppo-
sées: le moine décharné, ennemi de son corps, champion de l'ascèse; le moine gras
et repus, jouisseur et profiteur. Le second a été souvent décrié, dès le Moyen AgeA
Mais le premier a peut-être la vie plus dureA On se remémore les traitements épou-
vantables que Dominique l'Encuirassé, disciple de Pierre Damien, faisait subir à son
corps.^ Or précisément, le saint des Apennins indique ce que le corps monastique

10 Canon de la messe, inspiré de Matthieu 26, 26: Doc est ezzzm corjzzzy wezzm.
11 I Romains 12, 4-5; I Corinthiens 12, 12—13 et 27; I Colossiens 1, 24.
12 Voir Martin MoRARD, Les expressions cortwt wysttCMTTt et perto?M wyVzczt dans l'œuvre de saint Thomas
d'Aquin, dans: Revue thomiste, 95, 1995, pp. 653-664.
13 Voir la description des mauvais religieux dans Sacrum commercium sancti Francisci cum domina Paupcr-
tate, éd. Stefano BRUFANi (Medioevo francescano. Testi 1), Assise 1990, cap. 23, pp. 161-162: Ceperzzzzt
dczzzde zzd zyzzezyzze egy^Vzztczt, <y%e rc/z^McrzzzzZ, zrzzYerrzzzze SMSpmtre et <?%e corde ZTMgzzz/zco cozztempse-
mzzt tMrpzter re^zzzrc^zzzzt. Azcede^mt trzstes tzzYzzzz wzzzzdzzZorKztz Dez et corde zzrzdo zzd z?zzezyzze zzzzzzzzctzz
czzrre^zzzzt. De/zcze^zzzzt szA ozzere etpre zzzopzd spzrztzzs tzzVpoterzzzzt szzspzrztre. Azzm cozrzpzzzzctzo er%t ezs,
cozztrzYzo zzzd/zt, o^edzezztzzz ^dezzzz zzzzzrzTzztre, cogz'tzztz'o zzzzzmzz/zs, /etztzd dzsso/zztzz, pzzsz'dzzzzzzrzzs trzstztzzz,
serzrzo zzzczzzztzzs, rzszts^dczYzs,' zzz t^zz/tzz ^zYzzrztzzs, zzz z'zzcesszz v^zzzzt^s, tzestzs zzzodzs et de/zAztzz, stzzdzose zzz-
czszz, stzzdzoszzzs cozzszztzz, somzzzts zzzzz/tzts, czAzts SMper/?zzzzs, potzzt zzztezrzper^ztzzs. TVzzgzzs et trzz/ds et verAr
^zro/ere^zzzzt zz? tzczztztzzz. AecztzzY'zzzzt^zz^M/zzs, wzttzzY'zzzzt /eges, dzspozze^zzzztprotzzzzczzzs et Yzozrzzzzzzzrz^dctzz
dzYzgezztcr trzzctzz^zzzzt. De exercztzo s^zrztztzz/z zzzzf/zz czzrzz, Mzz/Zzzzzz stzzdzzzw de szz/zzte zzzzzzrze, rzzrzz co/D-
tzo de ce/estzAzzs et eterzzzs te^ezzt deszderzztzrz (trad. François DELMAS-GoYON, dans: François d'Assise.
Ecrits, Vies, témoignages, éd. Jacques DALARUN, Paris 2010, pp. 896-898: « Puis ils commencèrent à sou-
pirer misérablement après ce qu'ils avaient abandonné en Egypte et à rechercher honteusement ce qu'ils
avaient méprisé d'un cœur généreux. Ils avançaient, moroses, sur la voie des commandements de Dieu et
c'est avec un cœur aride qu'ils couraient vers ce qui leur était ordonné. Ils défaillaient sous le fardeau et
pouvaient à peine respirer par manque de souffle. La componction était rare en eux, la contrition nulle,
l'obéissance pleine de murmures, la pensée animale, la joie dissolue, la morosité pleine de petitesse, le
discours inconsidéré, le rire facile. Gaieté sur la figure, vanité dans l'allure; des habits efféminés et raffinés,
à la coupe soignée, encore mieux confectionnés; le sommeil à foison, la chère à profusion, la boisson sans
modération. Ils proféraient des sornettes, des bobards et des paroles en l'air. Ils récitaient des histoires
profanes, changeaient les lois, organisaient les provinces et traitaient avec diligence des affaires des gens.
Ils n'avaient nul souci des exercices de piété, aucun zèle pour le salut de l'âme; leurs entretiens consacrés
aux réalités célestes étaient rares et tiède était leur désir des biens éternels »).
14 Au XVID siècle, à l'abbaye cistercienne de la Trappe réformée par l'abbé de Rancé, il a été établi « qu'un
entrant sur quatre n'avait que deux ans pour se préparer à la mort et que plus de la moitié ne survivait pas
cinq ans»; Alaban John KRAiLSHEiMER, cité par Jean-Maurice DE MoNTRÉMY, Vie et mort des moines
de la Trappe par l'abbé de Rancé (Le temps retrouvé), Paris 2012, p. 39.
15 Petrus Damiani an Papst Alexander IL: schreibt für den Papst die Viten von Rudolf von Gubbio und
Dominicus Loricatus (Juli-August 1064), dans: Die Briefe des Petrus Damiani, Teil 3: Nr. 91-150, éd.
Kurt REiNDEL (MGH Die Briefe der Deutschen Kaiserzeit 4,3), Munich 1989, Nr. 109, pp. 200-223, en
particulier pp. 207-223.
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 21

ordinaire n'est pas, car Dominique est à la fois un ermite, un saint et le produit lit-
téraire d'un auteur engagé dans la réforme dite «grégorienne». L'ermite ou le saint
(y compris le saint fondateur monastique) doivent, au moins pour un temps, se
détacher d'autrui. Leurs comportements héroïques tranchent sur la conduite de la
communauté. L'ascèse érémitique est un excès,^ qui porte la signature du désert;'^
l'ascète n'a pas besoin des autres, si ce n'est comme des champions rivaux à dépasser.
L'hagiographie est un miroir déformant de la vie monastique, car elle n'en montre
que les sommets, voire la limite.^ Quant à la Réforme grégorienne, elle a exacerbé

16 Voir Max WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, vol. 1: Die protestantische Ethik und
der Geist des Kapitalismus, 4^ éd. Tübingen 1947, pp. 1-236, trad. L'éthique protestante et l'esprit du
capitalisme, Paris 1964, 2^ éd. 1967, rééd. 1994, p. 175, note 2: «c'est pourquoi le vérzMMe ascétisme est
toujours "hostile à l'autorité". [...] L'ascétisme czzt^o/z^Me a brisé cette tendance en ce qui concerne les
supérieurs ecclésiastiques au moyen du vœu d'o^ézsMZtce, tout en considérant l'obéissance clic-même
comme un ascétisme». Michel PouCAULT, Sécurité, territoire, population. Cours au Collège de Prance,
1977-1978, éd. Prançois EwALD/Alessandro FoNTANA/Michel SENELLART, Paris 2004, pp. 208-211,
place l'ascétisme au sein des contre-conduites. Il y voit un déh à l'obéissance: l'ascète se lance un déh à
soi-même (déh interne) et est le guide de son propre ascétisme; il lance un déh à l'autre (déh externe) avec
qui il rivalise par ses exploits; il tend à une zzp%z7?ez% qui est maîtrise sur lui-même; il identifie son corps
supplicié à celui du Christ. FoucAULT de conclure que « le christianisme n'est pas une religion ascétique »
et que l'ascétisme, réactivé aux XP-XIP siècles, est retourné contre les structures de pouvoir: «L'ascé-
tisme, c'est une sorte d'obéissance exaspérée et retournée, devenue maîtrise de soi égoïste».
17 J'use ici du terme « signature » au sens où le déhnit Giorgio AGAMBEN, Signatura rcrum. Sul metodo (Terni
174), Turin 2008, trad. Signatura rerum. Sur la méthode (Textes philosophiques), Paris 2008.
18 Thomas de Celano, Memoriale. Editio critico-synoptica duarum redactionum ad hdem codicum ma-
nuscriptorum, éd. Felice ACCROCCA/Aleksander HoROWSKi (Subsidia scicntihca franciscalia 12), Rome
2011, cap. 114, 1-114, 3, pp. 220-222: DzxzY etzzzw zJz^MzZMdo MzzctMS.' «Lnztrz cor^orz czznz JzscretzoMC
J%7?7 est, Me co cowwovezztMr zzcczdzzze. Cf ezzzw zzozz teJezzt t/zsMZTZ tügzYztre et re-ue-
rcMter m OMtz'oMc^crshtcre, to//%t%?* et occzzsz'o WMrzTZMTtzTzdt'. Dzceret czzz'w.' "AtTTze Je/zezo, t%z exercz'tz'z
Mnrz'zMTTz /erre zzozz ^/co". Q%o<7 szjpost^zt^w ^L^czeMtew forzzsset zZMMOMzzw, t<%&z wzzsz'tzzrct, scz'to
^z'gfMTTz ZM??te?2t%772 tTzJz'gere czz/czzrzYzMS, et ZMertem ztse/htm stzAtzz/zzw exyzectztre». Tfocso/o Joezzwezzto
nfzAoTM/hzf wzznzzs zz /z'tzgztzz théâtre szZMCtzAz'wo. Cor^M eMZTTZ szzMW Mtz'^zze ZMMoeezts JZzzge/ïz's et^eMzzrz'z's
szz^z'ge^zzt, wzz/tz^/z'czzMS ez vzz/wem sz'zze ezzztszz. Nzzw et ezz/or s^z'rz'tMS z'tz: zünt (evz'gzz'uerzzt eotyzzs, %t zztzz'wzz
sz'tzeMte ZM Dezzw, sz'tz'ret et ^ztzzw wzt/tzjp/z'ezter ezzro z7/% szzzzctzAzntzz (trad. Dominique PoiREL, dans:
François d'Assise. Ecrits, Vies, témoignages (note 13 supra), pp. 1621-1622: « Le saint dit encore un jour:
"Il faut prendre soin de frère Corps avec discernement, pour empêcher qu'une tempête d'accdie ne se
déclenche de son fait. Pour qu'il ne s'ennuie pas à veiller et à demeurer avec révérence dans la prière, qu'on
lui ôte l'occasion de murmurer. Car il dirait: 'Je défaille de faim, je suis incapable de porter le fardeau de
ton exercice'. Si, après avoir dévoré une ration sufhsante, il grognait de telles choses, sache alors que cette
monture paresseuse a besoin de coups d'éperon et que l'ânon rétif attend l'aiguillon". Sur ce seul ensei-
gnement, la main fut en désaccord avec la langue chez ce père très saint. Il soumettait en effet son corps
absolument innocent aux coups et aux privations, multipliant sur lui des blessures sans cause. Car aussi
la chaleur de l'esprit avait déjà tellement allégé son corps que, comme l'âme était assoiffée de Dieu, cette
chair très sainte en était assoiffée elle aussi de bien multiples façons »). L'ambiguïté de François à l'égard de
son corps est encore plus patente en « Compilatio Assisiensis » dagli scritti di fra Leone e compagni su S.
Francesco d'Assisi. Dal Ms. 1046 di Perugia. II edizione integrale riveduta e corretta con versione italiana
a fronte e varianti, éd. Marino BiGARONi (Pubblicazioni della Biblioteca francescana. Chiesa nuova. Assisi
2), Assisi 1992, cap. 120, pp. 402-406, qui inspire le passage du TfeworzTz/e cité ci-dessus.
22 I Jacques Dalarun

le mépris du corps pour exprimer le mépris du monde et défendre, contre les puis-
sances du siècle, la Elle aussi est un excès critique.^"
Revenons à la norme, avec la Règle qui a le plus profondément marqué le mona-
chisme occidental:^ celle qui est traditionnellement attribuée à saint Benoît.^

19 Robert BuLTOT, Christianisme et valeurs humaines. A: La Doctrine du mépris du monde en Occident de


S. Ambroise à Innocent III. 4: Le XL siècle, vol. 1: Pierre Damien, Louvain 1963.
20 Dans son « Histoire occidentale », écrite entre 1219 et 1226, Jacques de Vitry condamne les deux voies ex-
trêmes du relâchement et de Pascétisme, et célèbre la voie médiane: Jacques de Vitry, Histoire occidentale.
Historia occidentalis (Tableau de l'Occident au XIIL siècle), trad. Gaston DucHET-SucHAux (Sagesses
chrétiennes), Paris 1997, cap. 33, pp. 201-203.
21 L'enquête devrait évidemment être étendue à l'ensemble des Règles et des coutumes monastiques; voir
L'histoire des moines, chanoines et religieux au Moyen Age. Guide de recherche et documents, éd. André
VAUCHEZ/Cécile CABY (L'atelier du médiéviste 9), Brepols 2003, pp. 71-97. Elle devrait remonter aux
modèles orientaux et tenir compte des évolutions historiques du monachisme; voir Giovanni Miccon,
I monaci, dans: L'uomo ntedievale, éd. Jacques LE GoFF (Storia e società), Rome-Bari 1988, pp. 39-80.
Pour une fresque détaillée du monachisme occidental, Adalbert DE VoGÜÉ, Histoire littéraire du mouve-
ment monastique dans l'Antiquité. Première partie: le monachisme latin, vol. 1-12, Paris 1991-2008.
22 Depuis que l'hypothèse en a été lancée (Augustin GENESTOUT, La Règle du Maître et la Règle de S. Be-
noît, dans: Revue d'ascétique et de mystique 21, 1940, pp. 51-112), il a progressivement été établi que la
Règle bénédictine avait pour modèle la Règle du Maître; ce point n'est aujourd'hui plus guère contesté.
Reste à trouver un auteur à l'anonyme Règle du Maître. Si, comme il est aussi généralement admis, ce texte
a été composé quelques décennies avant la Règle bénédictine au sud de Rome, il est tentant de faire de Be-
noît l'auteur des deux Règles: Benoît jeune auteur de la Règle du Maître à Subiaco, Benoît âgé auteur de la
Règle bénédictine au Mont-Cassin. De manière plus ou moins assurée, un certain nombre de savants - et
non des moindres — ont émis ou laissé entendre cette hypothèse: Odo John ZtMMERMANN, The Aeg%/<%
TLtgtst?*?: The Primitive Rule of St. Benedict, dans: The American Benedictine Review 1,1950, pp. 11-36;
Ildefonso Maria GÔMEZ, El problema de la Regia de san Benito, dans: Hispania sacra. Rcvista espanola
de historia eclesiâstica 9, 1956, pp. 1-55; Adalbert DE VoGÜÉ, La Règle du Maître et les Dialogues de
S. Grégoire, dans: Revue d'histoire ecclésiastique 61, 1966, pp. 44-76; Pacià GARRiGA, Subiaco i Mon-
tecassino en la rcdaccio de la Régla de san Benet, dans: Studia monastica 9, 1967, pp. 257-273; Antonio
LiNAGE CoNDE, Una hipotesis en torno a la obra literaria de san Benito, dans: Archivos leonenses 29,
1975, pp. 59-81; Adalbaert DE VoGÜÉ, Structure et gouvernement de la communauté monastique chez
saint Benoît et autour de lui, dans: Atti del 7° Congresso internazionale di studio sull'alto Medioevo:
San Benedetto nel suo tempo. Norcia-Subiaco-Cassino-Montecassino, 29 settcmbre-5 ottobre 1980, 2
vols., Spolète 1982, pp. 563-598, en particulier pp. 563-564; Gregorio PENCO, S. Benedetto puo essere
autore anche della Regula Magistri?, dans: Benedictina 34, 1987, pp. 521-528; Ildefonso Maria GOMEZ,
Regia del Maestro - Régla de San Benito. Edicio Sinoptica, Zamora 1988; Adalbert DE VoGÜÉ, La Re-
gola del Maestro e la Regola di san Benedetto in relazione con i primi monasteri Benedcttini, dans: XV
centenario della venuta di S. Benedetto a Subiaco. Celebrazioni benedettine 1999-2001. Acta, éd. Maria
Antonietta ORLANDi, Subiaco 2002, pp. 127-136; Paolo BERTOLiNi, Dalle fondazioni di Subiaco a quella
di Montecassino: continuità o frattura?, dans: Ibid., pp. 177-191; Adalbert DE VoGÜÉ, Histoire littéraire
(note 21 supra), vol. 8: De la Vie des Pères du Jura aux œuvres de Césaire d'Arles (500-542), p. 349. A
lire ces travaux, on finit même par se persuader que la Règle du Maître est plus conforme que la Règle
dite «bénédictine» à ce qu'on sait de l'expérience monastique de Benoit par le livre II des Dialogues de
Grégoire le Grand. Or les différences, lexicales entre autres, entre Règle du Maître et Règle bénédictine
ont été soulignées, par exemple par Eugène MANNING, Les LegotnetM dans la Règle du Maître,
dans: Archivum Latinitatis Medii Aevi 3, 1963, pp. 17-34; ID., Observations sur la présence de la Aegü/rt
TLtgtsfrt à Subiaco, dans: Recherches de théologie ancienne et médiévale 33, 1966, pp. 338-341. Par une
sorte de renversement historiographique, la question se pose alors de savoir si Benoît est bien l'auteur de
la Règle dite «bénédictine». Peu d'auteurs se sont lancés dans cette voie; pour Jacques FROGER, La Règle
du Maître et les sources du monachisme bénédictin, dans: Revue d'ascetique et de mystique 30, 1954, pp.
275-288, la Règle du Maître est l'œuvre de Benoît, tandis que la Règle bénédictine pourrait en être un
abrégé remanié du premier quart du VIL siècle, peut-être dû à Vettern?! Jtts, premier témoin à mention-
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 23

Le corps monastique dans la Règle bénédictine

La Règle de saint Benoît est un texte éminemment pragmatique.^ Elle ne s'adresse


pas à des anges, mais à des êtres de chair et de sang: «Tandis que [...] nous sommes
en ce corps ».^
Le corps n'est pas l'ennemi par excellence du moine. Dans la description des
périls qui le menacent, la chair et les pensées sont toujours citées de concert.^ Les
anachorètes sont capables de combattre « les vices de la chair et des pensées »,^
tandis que les gyrovagues errent, « servant leurs volontés propres et les plaisirs de la
bouche »T Le moine doit briser « les pensées mauvaises qui viennent à son cœur »;^
conjointement, il doit «ne pas accomplir les désirs de la chair» et «haïr la volon-
té propreIl lui faut se garder «des péchés et des vices, ceux des pensées, de
la langue, des mains, des pieds ou de la volonté propre, mais aussi des désirs de
la chair »d° cités ici au dernier rang. Le principal ennemi de l'homme est bien la

ner, vers 625, une « AegztLz szzrctz AezzeJzctz r^Zrztz's Aozrzezzszs». Jacques FROGER annonce un travail à
venir sur le sujet qui, à ma connaissance, n'a jamais vu le jour. Il n'est pas sûr qu'une démonstration de ce
genre eût été bien accueillie dans l'univers bénédictin de Dont FROGER. Dans les pages qui suivent, par
commodité, nous continuons à appeler «Benoît» l'auteur de la Règle dite «bénédictine».
23 Benoît prend acte de la situation de l'homme en ce monde comme il prend acte de l'attiédissement du
monachisme en son temps ou de la donne climatique: «les choses étant ce qu'elles sont... »; avant d'être
directif ou prescriptif, son texte est descriptif. Nous citons l'édition latine La Règle de saint Benoît, vol.
1-2, éd. Adalbert DE VoGÜÉ/Jean NEUFViLLE (Sources chrétiennes 181-182/Séric des textes monas-
tiques d'Occident 34-35), Paris 1972, pp. 411-675. Pour son commentaire, nous renvoyons à Adal-
bert DE VoGÜÉ, Introduction, dans: Ibid., vol. 1, pp. 27-410; La Règle de saint Benoît, vol. 3, éd. Jean
NEUFViLLE (Sources chrétiennes 183/Série des textes monastiques d'Occident 36), Paris 1972; La Règle
de saint Benoît, vols. 4-6, éd. Adalbert DE VoGÜÉ (Sources chrétiennes 184-186/Séric des textes monas-
tiques d'Occident 37-39), Paris 1971; La Règle de saint Benoît, vol. 7, éd. Adalbert DE VocüÉ (Sources
chrétiennes, hors collection), Paris 1977. Adalbert DE VoGÜÉ fournit en particulier tous les éléments de
contextualisation de l'œuvre de Benoît par rapport à sa source principale, la Règle du Maître, aux Règles
orientales et occidentales. Notre trop rapide étude a pour effet d'absolutiser le texte bénédictin. Mais c'est
bien ainsi - comme une autorité en soi - qu'il a été pratiqué par le monachisme médiéval en Occident, en
particulier après avoir été imposé à tous les monastères de l'Empire en 817. Pour la bibliographie, voir la
collection Regulae Benedicti Studia, Hildesbeim/St. Ottilien, lancée en 1972.
24 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 43, p. 422: Dzzw [...] zzz ûoe corpore szzzrzzs.
25 Le corps est un lieu neutre; la chair est liée aux vices, aux désirs ou aux péchés. Voir Jean NEUFViLLE,
Concordance verbale, dans: La Règle de saint Benoît, vol. 1-2, éd. Adalbert DE VocüÉ/Jean NEUFViLLE
(Sources chrétiennes 181-182/Série des textes monastiques d'Occident 34-35), Paris 1972, vol. 2, pp.
679-860, en particulier p. 699 et 708.
26 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 1, 5, p. 438: vz'tz'% crrrz's ve/ cogztzztzozzzztr.
27 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 1, 11, p. 440: propres vo/zzzzt^tzAzzs et gztzLze zzz/ece/zrzs
serviertes.
28 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 50, p. 460: cogztzztzozzes wztLzs corah szzo zzJvezzzertes.
29 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 59-60, p. 460: JeszJertû czzrrzs zzor ejjdcere, vo/rrtzztezr
proprzzzrz oahre.
30 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, 12, p. 476: ztpecczitts et vztzzs, z J est cogztzztzorzzzr, /irgMzze,
77M77MM772, pe&zrz ve/ vo/zzzztzztz'sproprzûe, se J et Jest'Jerzû czzrrz's.
24 I Jacques Dalarun

«volonté propre »Q qui engendre les désirs. Quant aux désirs de la chair, ils sont
ainsi justifiés: «Dans les désirs de la chair, croyons que Dieu nous est ainsi toujours
présent, puisque le Prophète dit au Seigneur: "Devant toi est tout mon désir" »N
Non seulement le corps n'est pas l'ennemi du moine, mais, dûment discipliné, il
peut devenir l'instrument de son salut. Par l'humilité, il doit lancer vers le ciel une
autre échelle de Jacob: « Cette échelle dressée est notre vie dans le siècle, qui est dres-
sée vers le ciel par le Seigneur quand le cœur s'est humilié. Les montants de cette
échelle, nous disons en effet que ce sont notre corps et notre âme»T Il faut montrer
«une humilité non seulement par le cœur, mais aussi par le corps lui-même» et
c'est bien le corps (tête inclinée, regards à terre) qui signifie l'humilité du cœur.^
«Tandis que [...] nous sommes en ce corps »,^ il est encore temps d'échapper à l'en-
fer et de parvenir à la vie éternelle. « Il faut donc préparer nos cœurs et nos corps à
militer sous la sainte obéissance aux préceptes».^
Telle que la conçoit Benoît, la vie monastique n'est pas tant une expiation qu'une
discipline, qui passe par la domestication du corps - le châtiment n'intervient que
quand il y a refus de la discipline c'est «une école du service du Seigneur».^
La participation aux «passions du Christ»^ se fait sur le mode discret de la «pa-
tience »d°
Extraits ou inspirés de l'Écriture, les principaux préceptes qui impliquent le
corps sont les suivants: « Châtier le corps, ne pas s'adonner aux plaisirs, aimer le

31 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, 19, pp. 476-478: fo/^Mt^tewr *oero proprLtTTt. C'est
pourtant par l'action de sa volonté propre que le moine choisit d'y renoncer. Dans un tout autre contexte,
Hubertin de Casale note que celui qui fait vœu d'obéissance « use de sa volonté propre comme n'étant
pas la sienne »; cité par Giorgio AGAMBEN, Altissima povertà. Rcgole monastiche e forme di vita (Homo
sacer 4,1), Vicence 2011, trad. De la très haute pauvreté. Règles et forme de vie (Homo saccr 4,1), Paris
2011, p. 171. L'ascétisme érémitique a un ressort intrinsèquement pélagien, que doit aussi domestiquer
l'ascèse monastique, aux tonalités semi-pélagiennes. L'annihilation de la volonté propre ouvre l'espace
non seulement de l'obéissance, mais aussi de la grâce. Sur cet aspect essentiel, voir Martine PAGAN, Les
deux traductions en ancien français (XIV^-XV^ siècle) des Cow/erettces de Cassien. Quelles stratégies?
Pour quels enjeux?, dans: Le Moyen Age, Revue d'histoire et de philologie 120, 2014, p. 79-94.
32 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, 23, p. 478: 7% JetfJerzfs vero c^rms zt<% noTus Deztw
crecL?72MS sewper essepr<%esetttew, c%777 ahcttpropAet<% Dozttttzo.' 'Attte te est ozrzMe JesfJerzM??? TTteMm"
La citation provient de Psaumes 37, 10.
33 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, 8-9, p. 474: 5c%/% vero zps% erects ?zostr<2 est vtt% m
s^eett/o, <2%<te AttTTtt/Mto cortfe % Dowmo ertgzttttr c<%e/M7??. L%ter<% ernw ez%s sc%L:e JfczAtzts Ttostrztw
esse corpus et
34 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, 62, p. 488: wo?? so&zrz corJe [...], seJ etMtrz zpso corpore
A/tmt'/tMtew.
35 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 7, pp. 472-490.
36 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 43, p. 422: Dztw [...] w 7?oc corpore sMwzts.
37 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 40, p. 422: Argopr%ep<%r<%?2<3G s%?2t corJ% ttostM et
corpora s<r?2ct<tepMeceptorM7?t o^oeJz'etttMe
38 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 45, p. 422: tfozttttttcf sco/<% serpftn.
39 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 50, p. 424: pittttom^Mt CArtstt.
40 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 50, p. 424: p^tzewtMW.
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 25

jeûne »N « Ne pas être [...] amateur de vin, ni gros mangeur, ni amateur de sommeil,
ni paresseux, ni murmurer »V «Ne pas aimer parler beaucoup, ne pas dire de pa-
roles vaines ou portant à rire, ne pas aimer rire beaucoup et bruyamment. Entendre
volontiers les saintes lectures, s'appliquer fréquemment à la prière »V «Aimer la
chasteté» A
Viennent les prescriptions pratiques. Leur but n'est pas de faire en sorte que le
corps de chaque moine atteigne un degré exceptionnel de privation, comme ce serait
le cas dans l'ascèse érémitique (mais alors, il n'y aurait pas de prescription, puisque
toute normalisation abolit l'exceptionnel en le banalisant)/^ Benoît reconnaît vo-
lontiers que sa Règle est tiède^ par rapport aux exemples des Pères ou à la Règle
de Basile: «Mais pour nous, relâchés, vivant mal et négligents, c'est le rouge de la
confusion»A Le but est d'incorporer chaque individu dans le corps de la commu-
nauté. Le novice qui fait profession abandonnera ses biens, « puisqu'il sait que, de
ce jour, il n'aura pas puissance de son corps »/^ Et cela s'exprime immédiatement
par la prise d'habit: «Dans l'oratoire, qu'on le dépouille donc aussitôt des effets
personnels dont il est vêtu et qu'on le revête d'effets du monastère ».^
L'habit monastique doit être le plus simple possible, adapté au climat et à la taille
de chacun. Il comprend une coule et une tunique (en double pour pouvoir les laver),
un scapulaire, des bas et des chaussures; pour les voyages, des caleçons,^ une coule
et une tunique un peu meilleures qu'à l'ordinaire. Le moine doit disposer du néces-
saire en évitant le superflu. Ce n'est pas la pauvreté de l'habit bénédictin qui importe

41 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 11-13, p. 456: Cor^zzs czzstzgzzre, /e/zczhs tzozt zzw^/ectz,
z'ez'zzzzzzzw zzwzzre.

42 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 35-39, p. 458: Nozz esse [...] vz'tzo/ezztztzrz, zzotz wzz/tzzm
e/zZCeZTZ, ZZOZZ S07727?t/e7!t%77?, 7Z077 pZgrztTTZ, Z2072 wzzrwzzrz'oszzzrz.
43 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 52-56, p. 460: ddzz/tzzw /o^zzz zzozz %??Mre, tzer^zt
<%ZZt rZSttt <%^tzZ ZZOZZ /o<7%Z, rZSMTTZ WZt/tZZZTZ zZZZt exCMSSMTTî ZZOZZ %77!%?T. Lectzozzcs S%7ZCtzZS /z^ezzter %% Jzre,
orzztzozzz/re^zzezzter zzzczzw^ere. Pour le silence, l'abstention du rire, la parole rare, voir aussi La Règle de
saint Benoît (note 23 supra), cap. 6 et 7, pp. 470-490.
44 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 64, p. 462: Chstz'tzztew zzwzzre. On note l'extrême discré-
tion de la Règle sur ce point.
45 Voir ÄGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), p. 87: «Quand on s'interroge sur la relation
entre les moines et la règle, on ne doit pas oublier l'observation de Wittgenstein selon laquelle il n'est pas
possible de suivre une règle de manière privée, puisque se référer à une règle implique nécessairement une
communauté et une habitude».
46 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 18, pp. 528-534.
47 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 73, 7, p. 674: TVo^zs ^zzfezzz desz'/t'osz's et 772%/e tzzVezztz'^zzs
zzt^zze rzeg/egezztz'^zzs rzz^zzr eozz/hvotzz's est.
48 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 58, 25, p. 632: ^ztz/^e zyztz ex zV/o Jze zzee^ro^rz'z cor^orz's
^otest<%te?7z se A<%^z'tzzrzzw sez't.
49 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 58, 28, p. 632: Afox ergo zzz onzforz'o exzzzztzzr re^tts^ro^rzz's
^Mz'^MS vestz'tzzs est et z'wdzzzztzzr re^zzs wowzzsterz'z.
50 Sur l'absence du port de caleçons dans l'enceinte du monastère, voir La Règle de saint Benoît, vol. 6 (note
23 supra), pp. 916-917.
26 I Jacques Dalarun

(à la différence de la corde et des sandales franciscaines), mais son uniformité et le


fait que tout le nécessaire («paillasse, gros drap et couverture et oreiller»/* «coule,
tunique, bas, chaussures, ceinture, couteau, stylet, aiguille, mouchoir, tablettes »")
soit donné par l'abbé «pour que ce vice de ce qui est en propre soit tranché à la
racine»." L'habit est possession commune, comme le devient le corps qu'il revêt."
Cet habit est conservé même pendant le sommeil, qui est pris dans un dortoir
commun," avec un lit pour chacun et une lampe pour tous," en silence." Les repas
sont également préparés et pris en commun." Même si la chair des quadrupèdes
est exclue" et que le régime se durcit en carême/" la nourriture est dispensée en
suffisance: un ou deux repas par jour, deux plats cuits, au choix, pour l'alimentation
quotidienne, plus des fruits ou des légumes, une bonne livre de pain/* une hémine
de vin par jour et par moine." Le moine ne souffre pas de la faim" - d'autant qu'il
faut replacer son régime alimentaire dans le monde de disettes et de famines qu'a
longtemps été le Moyen Age. La Règle est même d'une grande souplesse dès que
la nécessité s'en fait sentir/"* les malades peuvent prendre des bains et manger de la
viande pour refaire leurs forces;" il faut tenir compte de la faiblesse des vieux et des
jeunes;" ceux qui sont de semaine de service à la cuisine doivent boire et manger
du pain avant le repas pour éviter la fatigue excessive" et le lecteur de semaine doit
s'abreuver avant son office, après lequel il prendra son repas avec les semainiers de

51 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 55, 15, p. 620: MgMW et /e?M, et e^pz't^/e.
52 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 55, 19, p. 622: c%c%/L:, t%7MC%, ^edtt/et, c%/zg,%s, ^TttczVe,
CM/te//%77!, gm/%77!, ^CMTTZ,
53 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 55, 18, p. 622: %t Aocuz'tt'Mw^ecM/MrL utJt'cz'tMt <%77t^MtetM7*.
54 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 33, 4, p. 562.
55 C'est là une des révolutions du monachisme occidental par rapport au monachisme oriental qui, ancré
dans ses origines érémitiques, faisait usage de cellules individuelles; voir La Règle de saint Benoît, vol. 5
(note 23 supra), pp. 664-697.
56 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 22, pp. 540-542.
57 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 42, pp. 584-586.
58 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 35, pp. 564-568 et cap. 38-41, pp. 572-582.
59 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 39, pp. 576-578.
60 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 49, pp. 604-606.
61 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 39, pp. 564-568.
62 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 40, pp. 574-580.
63 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 64, 18, p. 652. Le moine est l'ouvrier de Dieu; La Règle
de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 14, p. 416 et cap. 7, 70, p. 490. Or le but d'un patron peut être
d'exploiter son ouvrier, pas de le laisser mourir, pas de le tuer sciemment. La « loi d'airain économique»,
dont Ferdinand Lassallc (1825-1864) assura le succès théorique, consent à l'ouvrier (ne lui consent que,
mais lui consent au moins) le salaire nécessaire à la reconstitution de sa force de travail.
64 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 34, p. 564.
65 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 36, pp. 570-572.
66 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 37, p. 572.
67 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 35, pp. 564-568.
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 27

cuisine;*^ si le travail, le lieu, le temps l'exigent, les rations de nourriture et de vin


peuvent être augmentées, mais sans indigestion ni ivresse.^
Là aussi, c'est l'aspect collectif des repas qui importe, à heure précise, sans lam-
pe/" dans le silence au plus traversé de signes/^ en écoutant la même lecture, qui
devient pensée unique de la communauté se restaurant.^ Cet aspect collectif est si
important qu'un frère en déplacement pour une seule journée ne doit pas manger
hors du monastère^ et que nul ne doit prendre aliment ou boisson en dehors des
repas communs.^ Avant d'en arriver aux châtiments corporels/^ les fautes légères
(comme le fait d'arriver en retard à l'office ou au repas) sont punies par le fait de
manger seul/^ les fautes plus graves par le fait d'être exclu de table et de l'oratoire.^
Pour constituer le corps monastique collectif, il faut couper chaque moine du
corps social, des liens de sang, des distinctions antérieures. La société monastique
selon Benoît n'est pas «égalitaire», elle est indifférente aux différences. L'abbé ne
marquera pas de préférence entre «l'homme libre»^ et «celui qui vient du ser-
vage».^ Les hommes de haute condition et ceux qui n'ont rien peuvent offrir leurs
fils au monastère de la même manière; les premiers promettront de ne jamais rien
donner à l'oblat, mais feront, s'ils le souhaitent, un don au monastère.Une fois
entré, le moine ne peut recevoir lettre ou cadeau de ses parents^ et un frère se gar-
dera bien d'en défendre un autre, même s'ils sont parents.^ Les artisans ne tireront
pas orgueil de leur compétence,^ pas plus que les prêtres de leur sacerdoce, qui
n'influera pas sur leur rang dans la communauté.^ La Règle se montre particuliè-
rement défiante envers les prêtres, de même envers le prieur. On comprend que,
s'il se prend pour un second abbé, le prieur risque de transformer la communauté
en un être monstrueux: un corps à deux têtes. Le moine qui revient de voyage doit

68 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 38, pp. 572-576.


69 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 39, pp. 576-578 et cap. 40, pp. 578-580.
70 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 41, pp. 580-582.
71 Le sitence, en particulier au réfectoire et au dortoir, est encore conséquence du «collectivisme» de la
Régie: un solitaire n'a pas à se taire; voir La Régie de saint Benoît, vol. 5 (note 23 supra), p. 722.
72 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 38, pp. 572-576.
73 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 51, p. 608.
74 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 43, pp. 586-590.
75 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 23, p. 542, cap. 28, pp. 550-552 et cap. 30, p. 554.
76 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 24, p. 544 et cap. 43, pp. 550-552.
77 La Régie de saint Benoît (note 23 supra), cap. 25, p. 546 et cap. 44, pp. 592-594. Voir ÄGAMBEN, De la
très haute pauvreté (note 31 supra), pp. 48-50.
78 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 2, 18, p. 444: mgewMMS.
79 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 2, 18, p. 444: coTwertetztz' ex sertdtz'o.
80 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 49, pp. 604-606.
81 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 54, pp. 616-618.
82 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 69, pp. 664-666.
83 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 57, p. 624.
84 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 60, pp. 634-636 et cap. 62, pp. 640-642.
28 I Jacques Dalarun

subir une sorte de rituel de réintégration et ne rien dire de ce qu'il a vu hors du mo-
nastère.^ Le moine venu d'un autre monastère sera examiné avec grande prudence;
s'il présente le moindre défaut, il ne faut surtout pas « qu'il soit associé au corps
du monastère ».^ Les hôtes de passage sont accueillis avec grand soin, car ils sont
images du Christ, mais avec la nécessaire mise à distance.^
L'organisation du corps monastique évoque l'organisation militaire, si présente
dans l'expérience de Pacôme, qui inaugure le cénobitisme. Mais dans la Règle de Be-
noît, sous l'influence de la Règle du Maître, c'est la métaphore industrielle qui l'em-
porte: le monastère est «un atelier»^ et le moine «l'ouvrier»^ du Seigneur. Toute
l'organisation de la vie monastique découle en effet de l'op%$ Dei qui la justifie et
la structurel" « L'oisiveté est l'ennemie de l'âme et c'est pourquoi, à des moments
déterminés, les frères doivent s'occuper au travail des mains; à d'autres heures dé-
terminées, à la lecture divine».'" Mais en fait, l'emploi du temps qui suit ne fait que
se glisser dans les vides laissés par la fonction essentielle: la liturgie.^
C'est pour être toujours prêts à l'oyw Dez que les moines doivent se coucher
vêtus.^ La célébration liturgique commune, à des heures fixées et annoncées par
l'abbé,^ implique que tout le corps monastique vive exactement au même rythme.
Même le moment des besoins naturels (qui se faisaient dans des latrines communes,

85 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 67, p. 662.


86 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 61, 6, p. 638: socMrz coryort ZTZOMzzsterzz. L'expression est
forte; elle pourrait être la devise de chacun se fondant dans la communauté bénédictine.
87 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 53, pp. 610-616. Voir La Règle de saint Benoît, vol. 6 (note
23 supra), pp. 1262-1279.
88 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 4, 78, p. 464: q/jfzcz?2<%. Voir la formulation encore plus dé-
taillée de la Règle du Maître, cap. 6, 1-2, p. 470, dans: La Règle du Maître, vol. 1, éd. Adalbert DE VoGÜÉ
(Sources chrétiennes 105), Paris 1964, p. 380: O/jfzczzM vero zTzoMzzsZcrzzzzrz est; zz? corJzs
z'zz cor^orz's c&szzr<% re^osz'tzz o^zzs JzVz'zzzze zzrtz's JzYzgezztz czzstoJM/zersevcr^zzJo oyerzzrz'^otest (« L'atelier,
c'est le monastère; les outils du cœur y sont reclus dans la clôture du corps; l'œuvre de l'art divin peut
y opérer en persévérant par un diligent contrôle»). Voir le commentaire d'ÄGAMBEN, De la très haute
pauvreté (note 31 supra), p. 51.
89 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 14, p. 416 et cap. 7, 70, p. 490: o^crzzrzzzw.
90 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 8-20, pp. 508-536.
91 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 48, 1, p. 598: OtzoszAzs zzzzwzczz est ^zzzw^e, et zJeo certzs
tcwyorzAzzs occzyzzzrz z'zz Lz^ore wzzzzzzzzw, ccrZzs zYcrzzzzz ^orzs zzz /ectz'ozze Jz'fz'zzzz. Sur les
usages de Lz^or et o^zzs, voir NEUFViLLE, Concordance verbale (note 25 supra), pp. 764 et 790-791.
92 Voir ÄGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), pp. 38-39: «Alors que la liturgie ecclésiastique
sépare la célébration de l'office du travail et du repos, la règle monastique [...] considère l'œuvre des
mains comme une partie indiscernable de l'opzzs Dez». Ibid-, pp. 39-40: «La spiritualisation de l'œuvre
des mains qui se réalise de cette manière peut être vue comme un précurseur significatif de cette ascèse
protestante du travail, dont le capitalisme, selon Max WEBER, représente la sécularisation».
93 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 22, pp. 540-542.
94 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 47, pp. 596-598.
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 29

comme en témoigne Raoul Glaber^) est fixé par la Règle: Tété, entre vigiles^ et
matines.^
Avec l'office nocturne^ et les sept offices diurnes,^ le tout incluant la récitation
de l'ensemble du psautier en une semaine/"" la liturgie occupe une bonne partie de
la journée monastique.'"' Mais Benoît lui-même a conscience que cela n'a rien d'un
exploit, puisque les Pères récitaient l'intégralité du psautier chaque jour;'"^ il prévoit
la station assise pendant les vigiles.'"" Une fois de plus, c'est l'unanimité du corps
monastique qui importe: l'office doit être chanté d'une seule voix et l'unisson de la
voix doit traduire l'unanimité de l'esprit/"^ une erreur dans la récitation sera l'objet
d'une humiliation immédiate, sous peine d'une correction plus sévère.'""
Le plus frappant est le strict respect de l'horaire, dans un monde qui vivait selon
les heures et les vigiles romaines et avait donc une perception approximative de
l'heure. Tout retard à l'office doit être puni.'"^ On sent bien que le moment le plus
délicat est celui du réveil pour l'office nocturne.^ Le lever se fait à la huitième heure
de la nuit, après un peu plus d'une demi-nuit de sommeil et digestion faite, précise
la Règle.'"^ On se lève encore plus tôt le dimanche, qui est donc loin d'être un jour
de repos.'"^ En cas de réveil tardif, il faut raccourcir l'office et punir le fautif."" Dès
le dortoir, les frères doivent s'encourager contre la somnolence.'"

95 Raoul Glabcr, Histoires, trad, et éd. Mathieu ÄRNOUX (Miroir du Moyen âge), Turnhout 1996, lib. V,
cap. 4 et 6, pp. 276 et 279.
96 Qu'on appelle par la suite l'office de matines.
97 Qu'on appelle par la suite l'office de laudes.
98 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 8-11, pp. 508-516.
99 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 12-16, pp. 516-524. En dehors du dimanche, la célébra-
tion de la messe restait exceptionnelle au monastère; VoGÜÉ, Introduction (note 23 supra), pp. 51-52 et
104-113; AGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), p. 116.
100 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 17-18, pp. 526-534.
101 Quantitativement. Mais qualitativement, c'est la vie entière du corps monastique qui est liturgie; voir
AGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), pp. 8-9: «La grande tentation des moines» a été
«la volonté de construire leur vie comme une liturgie totale et ininterrompue ». Ibid., p. 115: « C'est pour
cette raison qu'il n'y a pas de sens à isoler dans le corps de la règle, comme le fait Vogué, une "section
liturgique", en en soulignant l'amplitude et la méticulosité. [...] C'est cette liturgie ininterrompue qui
constitue la nouveauté et le défi du monachisme, que l'Eglise ne tardera pas à relever en cherchant même
à introduire dans le culte cathédral, certes à l'intérieur de certaines limites, l'exigence totalitaire propre
au culte monastique».
102 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 18, pp. 528-534.
103 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 9, pp. 510-512.
104 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 19, pp. 534-536.
105 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 45, p. 594.
106 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 43, pp. 586-590.
107 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 8, p. 508, cap. 10, p. 512, cap. 11, pp. 514-516, cap. 22, pp.
516-518 et cap. 43, pp. 586-590.
108 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 8, p. 508.
109 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 10, p. 512.
110 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 11, pp. 514-516.
111 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), cap. 22, pp. 516-518.
30 I Jacques Dalarun

C'est le moment critique où Raoul Glaber est, à plusieurs reprises, assailli par un
démon: «Et une des nuits, à l'heure où la cloche sonna les matines, il sembla en
effet à un moine que se tenait près de lui un être repoussant»/^ qui lui demande
pourquoi les moines s'infligent «tant de peines, tant de veilles et de jeûnes, ainsi que
pénitences, psalmodies et bien d'autres humiliations »/^ alors que les hommes du
siècle peuvent fort bien être sauvés sans cela. «Car toi-même aussi», ajoute-t-il, «je
m'étonne de la raison pour laquelle, sitôt tu entends la cloche, tu sors en vitesse de
ton lit et romps le doux repos du sommeil, alors que tu pourrais t'abandonner au
sommeil jusqu'à la troisième sonnerie»."^

Régime monastique et modernité

Les monastères médiévaux sont des laboratoires de la vie sociétale, des microsocié-
tés m ivZvo où le projet unanime d'édifier un autre monde, la coupure et l'enferme-
ment qui en résultent, l'emprise totale (totalitaire?) de la communauté sur l'indivi-
du, corps et âme/^ créent une exacerbation du lien social et une nouvelle définition
du sujet. Il ne s'agit pas de dire que les monastères médiévaux ont engendré à eux
seuls le monde où nous vivons et ne pouvaient en engendrer un autre: la vision
téléologique est à l'opposé de la démarche historienne. Mais il est instructif, à la
manière de l'archéologue, de repérer, sous la surface de notre modernité, les couches
anciennes qu'a sédimentées l'expérimentation monastique. En-deçà de toutes les
transformations qu'ils ont subies, l'école, l'hôpital ou la prison modernes portent
la marque du cloître/^

112 Raoul Glaber, Histoires (note 95 supra), lib. V, cap. 1, p. 272: CzzzJzzzrz zzzzzrz^MC wozMcZzo %?M zzoctzzzw
tusMTT? est, Zzorz: zzgztzHzzw est szgzzzzw, <%J/àzsse szZzz ^zzezzJum teterrzwzzzzz.
113 Raoul Glaber, Histoires (note 95 supra), lib. V, cap. 1, p. 272: tot àz^ores tot vz'gzZz'zzs <%tz?%e zezztzzzu
7zec720?7 zz/^zetzozzes etpszÙTTZoJzzzs^/Mres^Me zùz%s ZzKznzZzzztzozzes.
114 Raoul Glaber, Histoires (note 95 supra), lib. V, cap. 1, p. 272: TVzzzzz et t% z^zse wz'ror Je czzttsu tuzn
to//zcttMt, wox %t zzzzJzs szgTZMTTZ, fe/oczter exsMrgzs % Zeeto rMzzz/zzs^zze JzzZeezrz soztzMz zyzzzetem ezzzrz fosses
zyMzetz zzz JzzZgere tzeZ zzs^zze <% J tertzMz?! szgzzMw.
115 Voir AGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), p. 43: « La méditation, qui peut s'accompagner
de n'importe quelle activité, est, en ce sens, le dispositif technique permettant la réalisation de l'ambition
totalitaire de l'institution monacale».
116 Le rapport entre microcosme monastique et macrocosme social peut être appréhendé de diverses ma-
nières: analogie herméneutique, influence concrète, transfert ciblé, tache d'huile. La relation peut être
perçue comme analogique ou métaphorique: le cloître serait un univers minoritaire concentrant et exa-
cerbant le paradigme du corps social dans son ensemble. Mais entre ces deux mondes, il y eut aussi des
influences concrètes: le clergé séculier a progressivement adopté la norme du clergé régulier, en matière
de chasteté, vie commune (les chanoines), pratique liturgique etc.; les cloîtres ont fourni de nombreux
prélats au clergé séculier (évêques, archevêques, légats et papes); des personnalités tels Bernard de Clair-
vaux ou Pierre le Vénérable ont, par leur prédication, leur correspondance, leurs interventions de toutes
sortes auprès de la hiérarchie cléricale, des puissances laïques et des fidèles, influé sur la marche du
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 31

Notre (trop rapide) lecture de la Règle bénédictine comme laboratoire du corps


a donné raison à Cuthbert Butler^ contre Adalbert de Vogüéd^ le traitement du
corps prôné par Benoit est bien évidemment une ascèse, mais il ne vise pas l'exploit
ascétique:"^ « rien d'âpre, rien de pesant », afbrme l'auteur lui-mêmeN° La discipline
monastique n'en entretient pas moins un lien essentiel avec les prouesses ascétiques
des ermites et des saints: elle est l'ordinaire sur laquelle se détache l'extraordinaire;
elles sont l'exception qui conhrme la Règle. Cette dialectique s'éclaire au regard de
la pratique du sport dans notre monde désenchanté:^* le sportif ordinaire, qui se
contente d'entretenir son corps dans la longue durée, a besoin du modèle excessif et
éphémère que lui offre le sport de compétition. Le traitement monastique des corps
est un régime: le moine doit à la fois alléger et aguerrir son corps par l'abstinence, le
jeûne, la saignée, la chasteté, la privation de sommeil; il doit réprimer toute forme de
distraction qui le détournerait un instant de l'œuvre commune, qui dresserait l'as-
périté de son corps individuel contre le corps collectif dans lequel il doit se fondre.
Mais Benoît ne souhaite jamais mener les moines à l'épuisement, pour la raison que,
dans l'atelier du monastère, ils sont des ouvriers dédiés à l'opMS La Règle ne
vise pas la performance, mais l'efficience.

monde. Il y eut également, sur le mode du marcottage, transfert de la structure monastique à des institu-
tions closes mais, à leur tour, éminemment structurantes, telles que l'école, l'hôpital ou la prison. Enfin,
le modèle monastique a été durablement tenu dans la société entière, y compris chez les laïcs, comme la
forme de vie s'approchant le plus de la perfection (les critiques faites aux mauvais moines découlent de
cette conviction); comme nous le verrons, le protestantisme est, pour Max WEBER, une laïcisation du
modèle monastique qui en étend ainsi l'emprise à l'ensemble de la société occidentale moderne.
117 Cuthbert BuTLER, Benedictine Monachism. Studies in Benedictine Life and Rule, London 1919, pp.
23-45, trad. Le monachisme bénédictin. Etudes sur la vie et la règle bénédictines, Paris 1924.
118 VoGÜÉ, Introduction (note 23 supra), pp. 75-79. L'ouvrage de Dom BuTLER est une apologie de la
Règle bénédictine, dont il souligne les innovations, en particulier la suppression des austérités et l'ab-
sorption de l'individu par la communauté. Grâce à sa connaissance des Règles occidentales précédant
celles de Benoît et grâce, en particulier, à sa démonstration de l'antériorité de la Règle du Maître sur celle
de Benoît, Adalbert VoGÜÉ peut légitimement réduire la part de l'innovation sur ces points. Il serait
donc plus exact de dire que BuTLER a raison dans l'absolu et VoGÜÉ dans la relativité.
119 En ce sens, on pourrait opposer l'ascèse bénédictine à l'ascétisme érémitique; sur cette distinction (et
ses difficultés), voir Joseph DE GuiBERT, Ascèse, ascétisme, dans: Dictionnaire de spiritualité, ascétique
et mystique, doctrine et histoire, ed. Marcel ViLLER/Joseph DE GuiBERT/Lerdinand CAVALLERA et al.,
vol. 1, Paris 1937, col. 936-938.
120 La Règle de saint Benoît (note 23 supra), prologus, 46, pp. 422-424: gnave.
121 Sur le «désenchantement du monde», voir WEBER, L'éthique protestante (note 16 supra), p. 134; Mar-
cel GAUCHET, Le désenchantement du monde. Une histoire politique de la religion (Bibliothèque des
sciences humaines), Paris 1985.
122 Voir AGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31 supra), pp. 32-33: « Nous sommes habitués à associer
la scansion chronométrique du temps humain à la modernité et à la division du travail dans les usines.
[...] Il a rarement été noté, même si Foucault ne manque pas de l'évoquer, que, presque quinze siècles
plus tôt, le monachisme avait réalisé dans ses cénobies, à des fins exclusivement morales et religieuses,
une scansion temporelle de l'existence des moines, dont la rigueur était non seulement sans précédent
dans le monde classique, mais, de par son intransigeance absolue, n'avait peut-être pas été égalée dans
aucune institution de la modernité, pas même l'usine tayloriste». Comme on le verra dans la note sui-
32 I Jacques Dalarun

Uessai de Max Weber, « L'éthique protestante et l'esprit du capitalisme », a été


l'objet de nombreuses critiques. Si le lien généalogique entre puritanisme et capita-
lisme a été infirmé, la phénoménologie instantanée qu'offre Max Weber de la sym-
biose entre puritanisme et capitalisme n'a, à mon sens, rien perdu de sa pertinence.
Et il indique clairement, offrant cette fois-ci une piste généalogique pertinente, que
le rigorisme puritain n'est autre que la discipline monastique qui prend le monde
pour cloître.*^ Le monachisme médiéval n'avait certes pas pour projet de préparer

vante, Giorgio ÄGAMBEN exagère quelque peu sa propre clairvoyance. Il ne s'interroge pas, en revanche,
sur les différences d'évaluation du temps d'un univers à l'autre; voir le plus que quinquagénaire mais
indépassable article de Jacques LE GoFF, Au Moyen Âge: Temps de l'Eglise et temps du marchand,
dans: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 15, 1960, pp. 417-433, réimprimé à plusieurs reprises.
123 WEBER, L'éthique protestante (note 16 supra), p. 136-137, à propos de l'ascétisme chrétien dans l'Oc-
cident médiéval: « L'ascétisme était devenu une méthode de conduite rationnelle visant à surmonter
le à soustraire l'homme à la puissance des instincts, à le libérer de sa dépendance à
l'égard du monde et de la nature, ahn de le subordonner à la suprématie d'une volonté préméditée et de
soumettre ses actions à un contrôle [5ef^s^072tro//e] permanent et à un examen consciencieux de leur
portée éthique. Objectivement, il entraînait ainsi le moine à devenir un ouvrier au service de Dieu tout
en assurant - subjectivement - le salut de son âme». Ibid., p. 140, à propos du Calvinisme: «En fondant
son éthique sur la doctrine de la prédestination, il substituait à une aristocratie spirituelle de moines se
tenant au-dessus de ce monde, l'aristocratie spirituelle - en ce monde - des saints prédestinés par Dieu
de toute éternité». Ibid., p. 143: «Cette systématisation de la conduite éthique, commune à l'ascétisme
du protestantisme calviniste et aux formes rationnelles de la vie monastique catholique ... ». Ibid., p. 184:
« Certes, on avait vu l'ascétisme chrétien, après avoir fui le monde dans la solitude, gouverner ce monde
auquel il avait renoncé, à partir du monastère et par l'Église. Mais, en règle générale, il avait laissé à la
vie quotidienne dans le siècle son caractère naturel et spontané. Après avoir claqué derrière lui la porte
du monastère, voilà qu'il se répandait maintenant sur la place du marché et entreprenait d'imprégner
de sa méthode la routine de l'existence, d'en faire une vie rationnelle en ce monde, mais nullement de
ce monde ou pour ce monde». Ibid., p. 189, à propos de l'ascétisme protestant selon Richard Baxter:
« Ce n'est ni l'oisiveté ni la jouissance, mais l'activité seule qui sert à accroître la gloire de Dieu, selon les
manifestations sans équivoque de sa volonté. [...] Le temps est précieux, infiniment, car chaque heure
perdue est soustraite au travail qui concourt à la gloire divine »; et ibid., note 1: « nous ne devons pas ou-
blier qu'au Moyen Âge, les moines furent les premiers à vivre selon une minutieuse JAhsioM ternes, et
qu'en cela résidait l'utilité des cloches ». Ibid., p. 190-191, sur le même sujet: « En premier lieu, le travail
a dès longtemps fait ses preuves en tant que moyeM et l'Église d'Occidcnt l'a toujours fort
prisé. Cela en opposition non seulement avec l'Orient, mais avec presque toutes les règles monastiques
du monde entier. [...] La continence du puritain diffère dans son degré, non dans son principe fonda-
mental, de la chasteté monastique». Voir encore ibid., pp. 214-217, sur le parallèle entre le paradoxe de
l'économie monastique et l'enrichissement puritain. Iû., Les sectes protestantes et l'esprit du capitalisme,
dans: Ibid., pp. 252-253: «En fait, la discipline des sectes ascétiques était beaucoup plus rigoureuse que
celle de n'importe quelle Église; elle était en cela analogue à la discipline monastique». Max WEBER
manque en revanche le lien lexical entre rationalisation du travail et Del lorsqu'il indique, ibid., p.
82, que « l'occupation continue d'un homme, son travail, qui est aussi (normalement) la source de ses
revenus, le fondement économique durable de son existence, enfin ce que l'on exprime en allemand par
se rend en latin, en dehors de l'incolore op%s ... ». AGAMBEN, De la très haute pauvreté (note 31
supra), p. 117, a esquissé un lien subtil mais profond entre monachisme et protestantisme: «Dans cette
perspective, il serait légitime de considérer la réforme protestante comme la revanche implacable, pro-
mue par un moine augustinien, Luther, de la liturgie monastique contre la liturgie ecclésiastique; et ce
n'est certainement pas un hasard si, du point de vue strictement liturgique, la Réforme se distingue par
la prééminence de la prière, de la lecture et de la psalmodie (formes propres à la liturgie monastique) et
la moindre importance accordée à l'office eucharistique et sacramentel ».
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 33

la révolution industrielle, mais la structuration mentale et physique du monastère


occidental comme corps monastique offrait un modèle d'efficience remarquable
pour toute organisation rationnelle du travail.'^
Dans le cadre limité du présent exercice, je ne m'aventurerai pas plus loin et je
terminerai sur ce qui peut paraître un point de détail. Dans le catalogue des âpretés
de la vie monastique, on s'arrête rarement sur la privation de sommeil. Elle consti-
tue pourtant une contrainte quotidienne, souvent mal vécue par les moines,*^ les
novices en particulier.^ Elle s'inscrit à l'encontre d'un monde environnant qui vi-
vait massivement au rythme de la lumière diurne. Même si l'office nocturne se dé-
roulait dans la semi-obscurité, les activités précédant le lever du soleil impliquaient
une consommation effrénée de cire, produite ou achetée par les moines, reçue par
eux sous forme de redevances ou d'aumônes. Plus que jamais, la culture monastique
s'affirme ici comme contre-nature. D'année en année, notre temps de sommeil ne
cesse de se réduire, signature monastique au sein de la modernité. Le réveil sonne,
brisant nos rêves. L'op%$ nous attend.

The Monastic Body between Opus Dei and Modernity

A body under stress ^


Christian doctrine has an ambiguous relationship to the body. In the first tale of the
Creation, God creates man "male and female." In the second tale, God forms wom-
an from man's rib. The Fall is soon identified with the temptation of the flesh. In
the New Alliance, God has become incarnate, born of a woman. Passion becomes
an obligatory element in the C^r^d. Then, the Church had to define itself
in opposition to the Manichaean challenge. Rejecting the flesh would jeopardize
God's uniqueness. Moreover, Christians are "Christ's body" and Church conceives
itself as His mystical body. In the popular imagination, the monk's body balances

124 C'est bien l'introduction du travail manuel dans le monachisme, due à Benoît, qui explique l'aspect « col-
lectiviste» de l'organisation bénédictine, à commencer par le dortoir commun; VoGÜÉ, Introduction
(note 23 supra), p. 47; La Règle de saint Benoît, vol. 5 (note 23 supra), pp. 670-671.
125 Voir Jacques DALARUN, Relire Raoul Glaber, dans: Moines et démons. Autobiographie et individualité
au Moyen Âge central (VIL-XIIL siècle), éd. Dominique BARTHÉLEMY/Rolf GROSS (École pratique
des hautes études. Sciences historiques et philologiques. V. Hautes études médiévales et modernes),
Genève 2014, pp. 55-83 et 187-192.
126 Assumée, cette contrainte a aussi été vécue comme un moment d'exaltation prodigieux pour les moines.
Sur les jeux de lumière dans l'église cistercienne, voir Georges DuBY, Saint Bernard. L'art cistercien
(Les grands bâtisseurs 1), Paris 1976, rééd. dans: ID., L'art et la société. Moyen Âge-XX^ siècle, éd. Guy
LoBRiCHON, Paris 2002, pp. 385-389.
127 Je remercie vivement Timothy Johnson d'avoir contrôlé mon texte anglais.
34 I Jacques Dalarun

between two contrasting images: the gaunt monk, enemy of his body; and the fat
and sated monk, sensual and profiteer. The first image may be more resistant, but
it is not exact.

The monastic body in the Benedictine Buie


According to St. Benedict's Rule, the enemy of the monk is not the body, but "one's
own will". Body can become the instrument of his salvation. Monastic life is a dis-
cipline more than expiation. It implicates the domestication of the body. The goal is
to incorporate each individual into the body of the community. It is not the poverty
of the Benedictine habit that matters, but its uniformity. The monk does not suffer
from hunger: This is the collective aspect of the meals which is important. In order
to constitute the collective monastic body, each monk must be cut off from the so-
cial body. The structure of the "monastic body" evokes the military organization,
but in the Rule of Benedict, the industrial metaphor prevails: The monastery is a
"workshop" and the monk "a worker" of Lord. The whole organization of monas-
tic life stems indeed from the Def, which justifies, and structures it, creating
the unanimity of the "monastic body". Most striking is the strict adherence to the
timetable. One feels that the most delicate moment is that of awakening for the
night office. This is the critical moment when Ralph Glaber is repeatedly attacked
by a demon.

Monastic regime and modernity


Medieval monasteries are laboratories of social life: The totalitarian hold of the
community on the individual, body and soul, creates a densification of social links
and a new definition of the subject. Modern school, hospital or prison bear the
mark of the cloister. Body treatment prescribed by Benedict does not aim for ascetic
feats, but is a "regime" (a diet and a rule): The monk must lighten and harden his
body by abstinence, fasting, bloodletting, chastity, and sleep deprivation. He must
repress any form of distraction that could divert him for a while from the common
work, and could set the asperity of his individual body against the collective body
in which he must be dissolved. But Benedict never wished to lead the monks to
exhaustion because in the workshop of the monastery, they are workers dedicated
to the Def. The Rule does not aim achievements, but efficiency. The medi-
eval monasticism certainly did not plan to prepare the industrial revolution, but
the mental and physical structure of the western monastery as "monastic body"
offered a remarkable model of efficiency for any rational organization of labor. In
the catalog of the harshness of the monastic life, one rarely stops to consider sleep
deprivation. Yet it is a daily constraint, often badly resented by the monks. It fits
against an external world which lived according to the rhythm of daylight. More
Le corps monastique entre opus Dei et modernité I 35

than ever, here the monastic culture asserts itself as anti-nature. Year after year, our
sleep time continues to decrease, like a monastic signature within the modernity.
The alarm rings, shattering our dreams. is waiting for us.
Die Verfügbarkeit der
Transzendenz: Das Gewissen
der Mönche a!s HeÜsgarant*

Wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verfasste der Benediktiner Petrus
Cellensis (*]'118ß) eine Abhandlung über das Gewissen, De in der er
betonte, dass ein tugendhaftes Gewissen keine Furcht vor dem Jüngsten Gericht
zu haben brauche.* Seine Beständigkeit und seine Keuschheit, sein Mitleid und sein
Gehorsam, seine Demut und sein weises Widerstehen gegen Versuchungen seien
Garantie dafür, dass der Mensch furchtlos dem endgültigen Richterspruch entgegen
sehen könne.- Dieses Postulat des Petrus, der nach Stationen als Abt verschiedener
Klöster seiner Gemeinschaft schließlich zum Bischof von Chartres erhoben wurdet
ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen wird von Petrus hier die
Existenz einer moralischen Instanz im Menschen postuliert. Zudem behauptet er
damit dessen Vermögen, durch eine Habitualisierung tugendhafter Verhaltenswei-
sen sein Leben final mitbestimmen zu können. Schließlich bejaht Petrus damit eine
Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Seelenheil. Ein gutes Gewissen, so
der Benediktiner, ist im irdischen Leben wichtig, weil es das jenseitige garantiert.

* Es handelt sich um die überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung meines Vortrags vom 4.
Oktober 2012. Für kritische Hinweise und Diskussionen danke ich Peggy Breitenstein, Christian Schmidt,
Jörg Sonntag und Karena Weduwen.
1 t/t uzztew cupzzt retor<yzzeuwzzs uz/pezzzzzt/us z/zuzzzz tzzTzorz's et extrezTzz zzzz/zczz, vzt/euwtts ^ztuzzz tcczzru zzz
specie etpzz/cArztzzz/zzzc tu/zh cozzsczczztzu uz/ zzzz/zczzzzzz uezzzüt, zzec zzzopzuztz expuuetcezM propter u/*zzzz-
z/uzztezzt twtzttezT? tzz/jlzczezztzuzT! [...]. Petrus Cellensis, De conscientia, in: Jean PECLERCQ, Fa spiritualité de
Pierre de Celle (1115-1183) (Études de Theologie et d'Histoirc de la Spiritualité 7), Paris 1946, S. 193-230,
hier S. 202. Zur Gewissenskonzeption des Petrus Cellensis vgl. neben den Ausführungen von FECLERCQ
v.a. Ermenegildo BERTOLA, 11 problema della coscienza nclla teologia monastica del XII secolo (II Pensiero
Medioevale, seconda serie 1), Padua 1970, S. 78-102; Philippe DELHAYE, Fe problème de la conscience
moral chez S. Bernard (Analecta Medievalia Namurcensia 9), Namur 1957, S. 105-110.
2 Vgl. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 201.
3 Zur Biographie des Petrus vgl. The Fetters of Peter of Celle, hg. von Julian HASELDiNE (Oxford Medieval
Texts), Oxford 2001, S. xxviii-xxxiii.
38 I Mirko Breitenstein

Ein solches Gewissen stellt jedoch zugleich eine fundamentale Herausforderung


dar: eine Herausforderung für jeden Einzelnen, weil sein Seelenheil unmittelbar mit
seiner eigenen Person verknüpft wird, und eine Herausforderung für jede Gemein-
schaft, weil deren Stellenwert in einer Konzeption wie der des Petrus in Anbetracht
der starken Wertigkeit des Einzelnen neu zu bestimmen war.
Ich möchte im Folgenden der Frage nachgehen, wie denn das menschliche Ge-
wissen formal und qualitativ charakterisiert werden kann, wenn es im Sinne des
Petrus heilssichernd wirken sollte. Damit wird zugleich das Ziel verfolgt, die Ge-
wissenskonzeptionen hochmittelalterlicher Mönche im Sinne des vorliegenden
Bandes sowohl als Kennzeichen einer ganz spezifischen Weltdeutung als auch - und
dies ist parallel zu sehen - als Strategie zur Weltgestaltung vorzustellen. Für diesen
Zweck möchte ich neben der Schrift des Petrus Cellensis auf zwei weitere Texte
zurückgreifen, die versuchen, die Bedeutung des Gewissens für den Menschen zu
klären, und zugleich Anleitungen geben, wie eine solche recAz zu er-
langen sei: die unter dem Namen Bernhards von Clairvaux (J1153) überlieferten
Traktate »Vom Gewissen« (De coTzsczeTZ^Mh und »Vom inneren Haus« (De hz^eriori
Jo?72o)h (Der Traktat »Vom Gewissen« wird aufgrund des unspezifischen Titels im
Folgenden der besseren Unterscheidung wegen nach seinem Incipit auch als PezA
<% me bezeichnet.) Alle drei Werke sind Ausdruck der seit dem 12. Jahrhundert neu
und intensiv artikulierten Forderungen nach Selbsterkenntnis und Übernahme von
Verantwortung. Die Texte stehen dabei zugleich in einem interessanten, aber gegen-

4 Tractatus de conscientia, ad religiosum quemdam ordinis Cisterciensis, in: Patrologia Latina, hg. von
Jacques-Paul MiGNE, Bd. 184, Paris 1854, Sp. 551-560, in leicht abweichender Textgestalt auch in Bd.
213, Paris 1855, Sp. 903-912. Zu diesem Text vgl. die Angaben bei Morton W. BLOOMFiELD/Bertrand-
Georges GuYOT/Donald R. HOWARD u. a., Incipits of Latin Works on the Virtues and Vices, 1100-1500
A.D., including a Section of Incipits of Works on the >Pater Noster<, Cambridge 1979, Nr. 3896; Richard
NEWHAUSER/Istvan BEJCZY, A Supplement to Morton W. Bloomfield u. a. Tncipits of Latin Works on
Virtues and Vices, 1100-1500 A.D.< (Instrumenta Patristica et Mediaevalia 50), Turnhout 2008, Nr. 3896.
In Ergänzung der dort genannten Handschriften ist auf folgende Manuskripte hinzuweisen: Avignon,
Bibliothèque municipale, MS 229, fol. 185-197, vgl. Catalogue général des manuscrits des bibliothèques
publiques de France, Départements 27, Paris 1894, S. 139; Brüssel, Bibliothèque royale, MS 1382-1391
(1706), fol. 176-179, vgl. Joseph VAN DEN GttEYN, Catalogue des manuscrits da la Bibliothèque Royale de
Belgique, Bd. 3: Théologie, Brüssel 1903, S. 98; Cava di Tirreni, Biblioteca della SS. Trinità, Cod. Caven-
sis 11, fol. 153-156v, vgl. die Angaben auf http://manus.iccu.sbn.it//opac_SchedaScheda.php?ID=206272
(zuletzt abgerufen am 14.4.2014); Charleville, Bibliothèque municipale 110, vgl. Catalogue général des
manuscrits des bibliothèques publiques des Départements, Bd. 5, Paris 1879, S. 599; sowie Rom, Biblioteca
Vallicelliana, MS F 49/1-2, fol. 15v-22v, vgl. die Angaben auf http://manus.iccu.sbn.it (zuletzt abgerufen
am 14.4.21014). Gegenwärtig bereite ich eine Edition dieses Textes vor. Zur Gewissenskonzeption des Wer-
kes vgl. BERTOLA, 11 problema (wie Anm. 1), S. 103-119; DELHAYE, Le problème (wie Anm. 1), S. 91-97.
5 Tractatus de interiori domo seu de conscientia aedihcanda, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul
MiGNE, Bd. 184, Paris 1854, Sp. 507-552. Zu diesem Text vgl. Mirko BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom
inneren Haus«. Verantwortung als Ziel der Gewissensbildung, in: Innovation in Klöstern und Orden des
Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRK-
HARDf/Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, S. 263-292.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 39

wärtig noch unklaren Zusammenhang, insofern sich in ihnen auffällige inhaltliche


wie auch textliche Parallelen finden lassen, die auf gemeinsame Berührungspunk-
te in den jeweiligen Ursprungskontexten hindeuten.'' Den heutigen Sprachgepflo-
genheiten Rechnung tragend, werde ich im Folgenden auch den deutschen Begriff
»Gewissen« verwenden/ obwohl dessen Bedeutung nur zum Teil denen des Quel-
lenbegriffs entspricht.

Was heißt »Gewissen«?

In den hier zu untersuchenden Texten wird den begrifflichen Tradi-


tionen entsprechend etymologisch sowohl mit - mitwissen - als auch
mit cordis wAfz/ÄA - das Wissen des Herzens - bestimmt. Die dem Menschen ei-
gene C072scie72ti<% wird dabei - und dieser Aspekt ist von großer Tragweite - als
ein reflexives Wissen der eigenen Person verstanden. Co7?scie?3tM - Gewissen wird
somit zum Ausdruck eines sich entwickelnden Selbstbewusstseins. Ein solches Be-
wusstsein, das den Mönch dazu befähigt, sich selbst zum Gegenstand des eigenen
Nachdenkens zu machen, begegnet in erster Linie als ein Sündenbewusstsein und
wird entsprechend artikuliert. beginnt, wie Petrus Cellensis bemerkt,
mit Angst und ist somit Ausdruck einer ganz individuellen Befindlichkeit/" Aus
der Betrachtung der eigenen Defizienz erwächst das Gefühl von Schuld; die aus
der Wahrnehmung einer Differenz von Sein und Sollen in der eigenen Person er-
wachsene Spannung wird für den Mönch somit zur Voraussetzung seiner Gewis-

6 Einen ersten Hinweis auf diesen Zusammenhang gab Philippe DELHAYE, Dans le sillage de S. Bernard,
trois petits traites >de conscientia<, in: Citeaux in de Ncderlandcn 5, 1954, S. 92-103. Seine Ausführungen
wurden bisher jedoch noch nicht aufgegriffen. Alle drei Texte können wohl aber dem cisterziensischen
Milieu zugewiesen werden: der des Petrus Cellensis durch die Widmung des Werks an Alcher von Clair-
vaux und die anderen beiden durch ihre Herkunft, die höchstwahrscheinlich im Zisterzienserorden zu
verorten ist.
7 Im heutigen Sprachgebrauch ist die moralische Bedeutung des Begriffs »Gewissen« dominierend; vgl.
Christa BujMRiCH/Eduard DÜCKERT/Maria-Elisabeth FRITZE u.a., Handwörterbuch der deutschen
Gegenwartssprache, 2 Bdc., Berlin 1984, hier Bd. 1, S. 484. Zu den je eigenen Begriffsgeschichten von coM-
sHcTttM und »Gewissen« vgl. Uta STORMER-CAYSA, Gewissen und Buch. Uber den Weg eines Begriffes
in die deutsche Literatur des Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte
14), Berlin 1998; Boris HENNiG, »Conscientia« bei Descartes (Symposion 127), Freiburg/München 2006.
8 CoMsUetzlM es! zpsws scfcMtM [...]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 199. [...] t%,
C07MCZMS es Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 24, Sp. 534, vgl. unten Anm. 86. Für die
augustinische Tradition vgl. Johannes STELZENBERGER, >Conscientia< bei Augustinus. Studie zur Ge-
schichte der Moraltheologie, Paderborn 1959, S. 29 f.
9 CoMsctentM es! cor/fs scfeMtM - so bei Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 199 oder auch im
Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 11, 18, Sp. 517.
10 AzcAtMtMr coMsHetztM % t;??2ore [...]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 204.
40 I Mirko Breitenstein

sensbildungV Voraussetzung einer solchen Differenzwahrnehmung ist jedoch ein


konkretes Wissen um den moralischen Wert von Handlungen oder Strebungen im
Sinne der grundsätzlichen Unterscheidung von »gut« und »böse«. Ein aus Angst
erwachsenes Gewissen setzt somit immer den Vergleich des Eigenen mit einem An-
deren voraus; es transzendiert vom Menschen zu einem allgemeinen moralischen
Maßstab. Durch diesen Bezug auf eine gegebene Ordnung kommt dem Gewissen
damit für den Menschen eine sinnstiftende Funktion zu.
Besonders eindrücklich lässt sich dieser Zusammenhang von aus Schuldgefühlen
resultierender Angst und Gewissensbildung im anonymen Traktat De co72s<rze7^M
feststellen: In diesem als Brief formulierten Text betont der Verfasser gegenüber
seinem Adressaten gleich zu Beginn, dass er selbst ein außerordentlicher Sünder
sei, infolgedessen kaum noch Lebenskraft in ihm zu finden wäreV Die co72sUe?2-
tU als solche wird hier unmittelbar mit dem verknüpft, da es geradezu
Kennzeichen einer co?2SC2e72&2 sei, vergangene Sünden zu bestrafen, und davor
zurückzuweichen, etwas Strafwürdiges zu begehen.^ Natürlich kann das Bewusst-
sein der eigenen Sündhaftigkeit allein nicht genügen, um eine co7zscie?2fM zu bilden;
nötig ist zudem der Wille des Menschen, gegen die Sünde anzukämpfen. Jede der
immerhin vier im Text erwähnten Formen der sei daher ein aus dem
Willen entspringender Fluss V
Die fundamentale Bedeutung des Willens für die Entwicklung des Gewissens
kommt auch im Traktat »Vom inneren Haus« deutlich zum Ausdruck: Der gute
Wille sei, so heißt es hier, nicht nur das grundlegende Prinzip der Gewissensbil-
dung, weil mit ihm alles beginne,^ sondern auch das bedeutendste, weil der Mensch
von ihm keinen materiellen Vorteil habe.^ Nach Gegenstand und Intensität des
Wollens lasse sich proportional auch der Verdienst eines Menschen berechnen, wie
der Text weiter ausführt; doch müsse dem Wollen ein Handeln folgen, damit es

11 Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis jetzt Gert MELVILLE, Im Spannungsfcld von religiösem Eifer und
methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster, in: Denkströme. Journal der
Sächsischen Akademie der Wissenschaften 7, 2011, S. 72-92.
12 Pecezztor ezzz'm szzm, et zz/trzz moJzzm jzecezzzzsjzeeczztor, et zztgezzzz vzTzzcz'tzts ztJzzm z'zz me zzozz Übet /oeztm.
Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), Prolog, Sp. 553.
13 ßo?M ZMmzytte cozzscz'ezztM est, <yztzte etjzrzzeterz'tzz jzeeezztzz jzztzzz't, etpzzzzz'ezzJzz commz'ttere re/bgtY [---]-
Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 2, Sp. 554. Identisch auch in Tractatus de intcriori domo (wie
Anm. 5), cap. 9, 16, Sp. 515. Vgl. unten Anm. 45.
14 Tfz szzzzt ^zzzztzzor coMscz'ezztz'zzrzzm rzVz Je vo/zzzttzztzs ezzrrezztes [...]. Tractatus de conscientia (wie
Anm. 4), cap. 5, Sp. 558. Zu den Arten der conscientia vgl. unten bei Anm. 26, 35f.
15 Prz'mzzm est, zytzz'zt zz bozzzz tzo/zzzztzzte bozzzzm omzze z'webozztzzr. Tractatus de intcriori domo (wie Anm. 5),
cap. 2, 6, Sp. 511.
16 Prz'zzez^zz/e est, zyttozzzzzm botzzz To/zzzztzzte zzz'bz/ bomz'wz'bzzs %tz7z'%s Jzztzzr. Tractatus de intcriori domo (wie
Anm. 5), cap. 2, 6, Sp. 511.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 41

verdienstlich wird. Nur ein handlungsleitender Wille also ist auch gut zu nennen.^
Analog beschmutzen unreine Gedanken den Geist des Menschen nur dann, wenn
dieser auch Gefallen an ihnen findet,^ wenn der Mensch also seinen Willen entspre-
chend auf das Schlechte hin orientieren würde.
Das gute Gewissen sei, wie De m7eWorz Jomo in Bezug auf Proverbium 9,1
ausführt, ein aus sieben Säulen errichtetes Haus. Neben dem guten Willen, auf dem
das ganze Gebäude gründet, seien dies das Erinnern der Wohltaten Gottes, ein rei-
nes Herz, von den Sorgen der Welt befreite Gedanken (hmm/zs /z^er), ein richtiger
Geist (spzrhzzs fecDzs), eine demütige Gesinnung (wezzs JcnoA?) sowie eine erleuch-
tete Einsicht (n%7zo z//zz??zz7?<3T<%)N

Die bereits angesprochene Etymologie von cozzsczezzzAz als einer corJzs sczezzzAz
verweist zudem deutlich auf ihren introspektiven Charakter. Ein solches »Wissen
des Herzens« sei, wie es in De zzz^erzorz Jomo heißt, auf zweierlei Weise zu ver-
stehen: einmal als dasjenige, welches sich durch sich weiß, zum anderen als das,
welches außer sich über sich selbst Hinausweisendes aus sich weiß.-° Das Gewissen
wird auf diese Weise als Eern der menschlichen Identität identifiziert: Das Leben
eines Menschen könne nirgendwo anders erkannt werden als in seiner coTZsezeTüzh;
im Spiegel des Gewissens seien der Zustand des äußeren wie auch des inneren Men-
schen zu erfassend* Insofern das Ziel eines solchen Aktes der Selbstbeobachtung die
Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit ist, wird auch hier wieder die unmittelbare
Verknüpfung von cozzsczczzZzü und pecczzZzzm deutlich.
Am eindrücklichsten formuliert ist dieser genetische Zusammenhang im Trak-
tat »Vom inneren Haus«: Nirgendwo anders werde man die Schuld Enden als in
sich selbst.-- Haut für Haut gibt der Mensch für sein Gewissen, schreibt Petrus

17 Qzzzd^zzzd Tzonzo /äöz, ^onzznz e^e non Rötest, nzsz ex ^onzz tzo/nnZzzZe^rocedzzZ. Szne 7*onzz vo/nnZzzZe
OZnnznO ^zzAzZrZ ^MZ^MTn non/?OZe$Z.' CM77Z ^onzZ tZo/nnZzZZe nenZO^erzre^Ote^Z. [...] VoAnZzM AoznznA
e$Z, ^zzzTz t?e//e zn zzo/nnZzzZe ^onzznzs esZ; ez zJeo ZoZnzn znerzZnzn zn vo/zznZzzZe e$Z. QzzzznZnzn ZzznZztnz
nzererzs. Qnzznzzznz cre^czz vo/zznZzts Znzz 7"on%, ZzznZnnz cre^czZ znerzZzzzn Zzznzn. Azzc zgzZzzr znzzgnzzzn ^onnzn
uo/zznZztZenz Zzzzznz, ^z vz7 ^zzz^ere znzzgnnzn znerzZzzzn. [...] Vo/zznZzM Zzzznen ^onzz non e^Z, ^z now o^zerzzZnr
^zzod^zoZe^Z. Tractatus de interior! domo (wie Anm. 5), cap. 2, 6, Sp. 511.
18 CogzZnZzo Znznen zznznnnJn nzenzezn non zn^zzznzzZ czzzn/zzzAzzZ, nzTz czzzn Tzzznc ^zTnper Je/ecZnZzonezn
Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 22, 47, Sp. 532.
19 STz^zentzTz ergo zzedz/zceZ Joznnzn.* erzgnZ co/nznnzu ^epZezn, ^nzTzzz^ ZoZ%/iAüczz znnzZzzZnr. Doznzz^
e^Z consczenZzn.' co/nznnzze ^zznZ ^onn vo/nnZzM, zneznorzTz, $cz7zcet zneznorenz e^e ^ene^czorzzzn Dez; cor
znzzndzzzn, zznz'nzns /zTzer, ^z'rzZn^ rectzzs, zneny dezzoZzz, rnZzo zY/nnzznzzZzz. Tractatus de interiori domo (wie
Anm. 5), cap. 2, 6, Sp. 511.
20 [...] sczenZzn.' z?n%e Jz^Vzczter z'nZe//zgzZzzr; tn Je/z'ceZ zze/ z7D ^zzne ^e novzZ ^zer ^e, ve/ z7/zz zyzzne ^zrzzeZer ^e
eZzTznz zzfzn notzz'z ex ^e. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 11, 18, Sp. 517.
21 Vzt% nnzn^cM^M^^zze non cogno^czZzzr, nz7z zn con^czenZzTz. [...] 7n yzeczz/o con^czenZzTze ^ZzzZzz^ exZerzorz7 eZ
znZerzorz7 /zoznznz7 cogno^czZzzr. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 11, 19-20, 20, Sp. 517.
22 Qzzzzerendo nzzZezn czz/pnzn, nzts^nzzm z7Dnz nz7z zn ^e re^zerznZ. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5),
cap. 12, 20, Sp. 518.
42 I Mirko Breitenstein

Cellensis.^ Sein Ziel, so kann man ergänzen, ist, zum Zentrum der eigenen Person,
zum Selbst vorzustoßen. Als Form der Selbstthematisierung bezeichnet
nicht nur das Zentrum des menschlichen Bewusstseins, sondern zugleich auch das
methodische Verfahren, um zu eben diesem Zentrum zu gelangen. GottsctetttM und
gehen, wie Petrus Cellensis betont, im Gleichschritt.^
Ein so verstandenes Gewissen ist dabei nicht statisch. Es besitzt vielmehr ein
hohes Maß an Dynamik, indem es Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des
Menschen nicht nur thematisiert, sondern beständig versucht, das Verhältnis dieser
Zeitschichten vor dem Hintergrund der angesprochenen Grundspannung von Sein
und Sollen neu zu bestimmen. Es galt, die Erfahrung göttlicher Vollkommenheit
in Bezug zum eigenen, als defizitär verstandenen Status zu setzen^ und die erlebte
Differenz in einer Weise zu bewältigen, die nicht in Resignation führte, sondern
auf das Heil hin orientierte. Als Ort sowohl der Differenzerfahrung als auch von
deren Bewältigung wurde das Gewissen verstanden. Sich auch unter der Voraus-
setzung irdischer Existenz einen Transzendenzbezug zu schaffen, lag somit in der
Verantwortung des Mönchs. Nur so war es ihm möglich, im Streben nach der Voll-
kommenheit seines absoluten Ziels auch in Anbetracht der nur unvollkommenen
diesseitigen Bedingungen nicht nachzulassen. Dies nämlich war nach allgemeinem
Verständnis seine Aufgabe: Verantwortung für die Welt zu tragen, indem er sich
selbst über die Welt erhob.

Arten des Gewissens

Bei den bisher genannten Punkten handelt es sich in erster Linie um solche, die
einer rein formalen Bestimmung der co?M(Te72^<% dienen, ohne dass schon eine Aus-
sage über die Qualität des Gewissens getroffen wurde. Bereits der Umstand, dass
in zwei der drei Texte systematisch je eigene Arten des Gewissens unterschieden
werden, weist darauf hin, dass coTtsctettzAt an und für sich noch nicht gut ist. Was
im Einzelnen unter einer verstanden wurde, möchte ich an dieser
Stelle noch ein wenig zurückstellen und zunächst die in den Quellen benannten
Arten als solche aufzählen.

2ß et OTtzTtM ^%<%e ^7% At Aomo <AAt^ro coMtcteMtM Petrus Cellensis, De conscientia


(wie Anm. 1), S. 196.
24 $ed %e^MÜ letztem M^zetztM et coMteeMtM, Mt 7tM77t^M<%7?t fCMMt MyzezttM tüte
coMtczetztM, 7tM77?<yM<%77t coTMCtetttM swe MpzeTttM. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 196.
25 Vgl. MELVILLE, Im Spannungsfeld (wie Anm. 11), S. 76.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 43

Eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Arten des Gewissens enthält


der Traktat De comcteTzfM (TVAy <% me): Hier werden immerhin vier Typen syste-
matisch voneinander geschieden, wobei zwei Haupteigenschaften kombiniert wer-
den und in ihrer Kombination den Charakter der bestimmen: gut und
schlecht sowie ruhig und unruhig. Mithin unterscheidet der Text eine
^o?2<% e7 7n%?3<yMt7D, eine eine und eine e7
7M?*A%7<%A Gegenübergestellt werden somit zwei positive zwei negativen Gewis-
senstypen, wobei die Ruhe oder Unruhe des guten wie des schlechten Gewissens
als spezifische Differenz fungiert. Das gute und ruhige Gewissen nimmt innerhalb
dieser Hierarchie den höchsten Rang ein, doch ist es, wie der Text anmerkt, unter
irdischen Bedingungen nur selten anzutreffenA Weitaus häufiger findet man hin-
gegen das wohl gute, aber dennoch unruhige Gewissen. Seine Unruhe resultiert aus
eben der Unsicherheit des Menschen, ob er denn wirklich den an ihn gestellten An-
sprüchen genügt. Die täglichen Anfechtungen bewegen das Gewissen, auch wenn
der Mensch ihnen seine Zustimmung verweigert.^ Gott selbst sorgt, wie der Text
weiter ausführt, für Ermutigung: durch die Milch der Salbung und den Wein der
Tröstung - je nach Konstitution des einzelnen Menschen A
Nach den beiden Arten des guten Gewissens, auf die noch näher einzugehen sein
wird, folgt eine Beschreibung der Von den Bildungen des schlech-
ten Gewissens wird zunächst die comczcMtM dargestellt: So wie
es nichts Schlechteres gebe, gebe es auch nichts Unglücklicheres als ein schlechtes
Gewissen, das zugleich ruhig seid" Eine solche co?M(7e?27M fürchtet nicht Gott und
achtet nicht den MenschenA Ihre Ruhe besteht darin, das Glück der Welt zu ver-
spotten, den Sünder zu loben, den Ungerechten zu preisen und überhaupt allem
Schlechten Beifall zu zollenA Als ein solches in höchstem Maße verdorbenes Ge-
wissen nimmt es den alleruntersten Platz ein.

26 CoüsczeMtM zgztztr Azfz et trztü^Mz/M; AzTz ^?o?M et tzzr^zztzz.* zz/zft TüAzz et trz!T!^zzz7/z:; Azü 7%%/% et
tzzrT'zztzz. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 2, 3, Sp. 554.
27 Aztrzz <%w'$ 27! terrzz AM/MSTüoA coTttczeützü.' se<7 ^zzzznto rzzrzor, tzzMto e^zzrzor zz^zA Deztzü. Tractatus de
conscientia (wie Anm. 4), cap. 2, 3, Sp. 555.
28 Vgl. unten Anm. 47.
29 Vgl. unten Anm. 50.
30 $e^M2tM7* 77?A<% et trüTt^ztz/At consczeTztzTz, szczzt zzzAz/^eyzz^ ztzz wzTzz/ est ZM/e^TzTzs. Tractatus de consci-
entia (wie Anm. 4), cap. 4, 6, Sp. 556.
31 TAzec est zAz zyztzze tzec Dezzzü tzzüet, zzec TzoTüZüeü! retzeretztr [...]. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4),
cap. 4, 6, Sp. 556.
32 QztOTÜoJo t7*zZ7!^Ztz7/zZ? CzZTÜ TüMTzdz zz//z!z7zt et z7/zzdzt,' eZZTÜ /zZZzJz!tZZ!*^eeezZtO!* ZT! desz-
derzzs üüZTTMe szzzze, et ztzz^zzzzs ^eüedzcztzzT*,' cMTnyeccztTztzMTn A^o?*, et ^ecczzre wo/ewtzztTü^üTor zzo/ezzs
et do/ens zzrrzdet ez; ezzzü Motz est <yzzz zzrgztzzt, seJ et ^%z zzrgMere^ecczztoreü! rzztdezzt ex ozüüzTzzzs ^%z zzz
ez'reztztzt e;'zts szztzt. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 4, 7, Sp. 556 f.
44 I Mirko Breitenstein

Ein schlechtes und unruhiges Gewissen schließlich ist eines, das bei allem sündi-
gen Tun stets die Entdeckung fürchtet. Im Gegensatz zum ebenfalls unruhigen aber
guten Gewissen gibt die cf jedoch allen Anfechtungen
nach und sich selbst der Sünde hin; die Unruhe entsteht aus eben diesem Wissen
um die eigene SchuldA Aus diesem Bewusstsein heraus mag mancher gar den Weg
zurück und hin zum Heil finden - die Mehrzahl der Menschen aber, hier gibt sich
der Text illusionsfrei, werde sich aus Beschämung über das Begangene eher noch
stärker in der Sünde verstricken als sie zu fliehenA
Eine auf den ersten Blick andere Systematisierung des Gewissens bietet Petrus
Cellensis seinen Lesern. Er unterscheidet ein Gewissen der Weltleute und eines
der Mönche, wobei er nicht von Typen, sondern von Qualitäten der co72s<rze??fM
sprichtA Neben diesen beiden benennt Petrus ein höllisches und ein himmlisches
Gewissen, vergisst jedoch nicht zu erwähnen, dass es noch weitere Formen gebeA
Trotz dieser verschiedenen Begrifflichkeiten lassen sich hier eine Reihe von Ana-
logien zur Systematisierung in PcfA <% me feststellen. Folgt man zum Beispiel der
Beschreibung, die Petrus von der comczcTzfM c/zzzzsfm/zs gibt, so erkennt man die
eben bereits vorgestellte comczeTzfM cf f%rA%f<% des anonymen Traktats »Vom
Gewissen« wieder: Das Gewissen der Mönche ist eines, das beständig Anfechtun-
gen ausgesetzt ist und sich daher stets aufs Neue bewähren muss A Durch die Beich-
te jedoch ist es ihnen möglich, einen Zustand zu erreichen, der als cf fm72^Mz/A%
beschrieben werden kannA
Das Gewissen der Weltleute hingegen wird als per sc schlecht beschrieben. Der-
artige Vorstellungen von Exklusivität sind wohl eines der markantesten Kennzei-
chen einer für das Christentum generell typischen supererogatorischen Ethik, die im
Mönchtum ihre deutlichste Ausprägung erfuhrA Wer in der Welt lebt, sei, so Petrus,
bereits durch diese Ortswahl und das, was er tut, auf einem Weg, der zum Verderben

33 zzzzZcm cozzsczczzZzzz esZ, seJ Z%?AzZzz, zzz zzcZzzpecczzZorzzzzz szzorzzm A/zreAezzJzZzzr ez


AZZZU AYzTTZ ^ZzZSCZ SC Vo/zZ^ZzZtzAzZS CfeJzZ, zZZZXZCZzZZzfzzzS CCzfzZ AZZZZZZZZZZS, /7M JorzAzzs eZ C07z/zAoMzY7MS
rcuerAuzZzt [...] VerA gnzZzYz, zzp^eZzt <yzzzs zzJzz/zerzzzm zzzf tzofzz^zZzzZcm, serf cozzz^re^ezzJzZzzr zA zzzz-
xzcZzzZcm.* eZ TTzAzo TTM/'or esZ zzzzxz'eZzzs <7%%??! vo/zzpZzzs zzJ owzzcm vcreczzzz Jz'zzm cZ zzzzgzzsZz'zzzrz AozzzAzs <y%z
fzom Acm eZ vzTzZ, cZ szz^zZ. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 5, 8, Sp. 557h
34 AJ /z'ceZ ^zzz'Am z'zz z^pszz A^rcfzezzsz'ozze cozzvcrZzzzzZzzr zzJ Donzzzzzzw, wpor Zzzzzzczz esz zzzzwerzzs z'zz z^M
cozzA^ozze^ermzzzzezzZzzzw z'zz^eccrzZo, ^zzzzwpro^ZerpccMZz cozzA^ozzcm exczzzzZz'zzm zz^ccczzZo. Tractatus
de conscientia (wie Anm. 4), cap. 5, 8, Sp. 558.
35 Cozzscz'czzZz'zzrzzm zzzzZew ^zzzz/zZzzZcs sz'c JzTz'JzAzzs. CozzczczzZzYz zzfz'zz esZ cfzzzzsZrzzfAm, zzfzYz szzcczz/zzzzzzm.
Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 220.
36 fzczzz zz/z'zz wzz/c wcrczzZz'zzm ^zzzze zz^e/fzzZzzr z'zzprzzzzA, <%Az ^czze werczzZzzzm ^zzzzc zzomAzzZzzr czzcfesZz's.
Azzz cZ <yzzzzeAw zz/z'zze [...]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 220.
37 Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 3, 4, Sp. 555.
38 Vgl. hierzu unten bei Anm. 79.
39 Vgl. David HEYD, Supererogation. Its Status in Ethical Theory (Cambridge Studies in Philosophy), Cam-
bridge 1982.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant ] 45

führtd° Doch wäre eine solche cozzsczezztM noch nicht verloren: Sie könne neu erblü-
hen, wenn der Mensch sein Leben bessert.^ Die cwMczezzzD szzeczzDrzzzw ist insofern
der eozzsezezzZzzz mzzLt et des anonymen Gewissenstraktats vergleichbar, die
ja, wie beschrieben, ebenfalls noch zum Guten gekehrt werden kann. Folgt man dem
analytischen Muster dieses Texts (Petzs <% we), lassen sich auch die nachfolgend noch
behandelten Typen cozzsczezzzAz zzz/erzzzz/zs und c<%e/esAy mit den entsprechenden At-
tributen von Ruhe und Unruhe beschreiben: So ist das höllische Gewissen als
et Dt%?z^zzz/D zu identifizieren, das himmlische hingegen als et D^zz^zzz/LzV
Der dritte hier behandelte Text, der Traktat »Vom inneren Haus«, enthält keine
vergleichbare Differenzierung verschiedener Arten der cozzsetezttM. Ziel dieses Wer-
kes ist, Anleitung bei der Gewissensbildung zu geben, und das Gewissen, welches
zu bilden ist, ist einzig ein gutes.

Was ist ein gutes Gewissen, und wie eriangt man es?

Wenn das Gewissen als Instanz verstanden wird, die es dem Menschen ermöglicht,
Transzendenzerfahrungen zu bewältigen, dann lässt sich jede Form, die in Anleh-
nung an die Differenzierung von De cozzsczezztzzz (PetL <% zzze) als tnzzz<yzzz//zzs be-
zeichnet werden kann,^ als Ausdruck eines inneren Zustandes begreifen, der von
Gewissheit geprägt ist: Ein ruhiges Gewissen nämlich demonstriert die Gewissheit
darüber, dass der eigene Status unverlierbar ist. Eine solche Sicherheit aber kann für
sich genommen kein Indikator für die moralische Qualität der cozzsczezz^zü sein. Um
diese zu bestimmen, muss vielmehr der Inhalt derjenigen Instanz geprüft werden,
die dem Gewissen als Referenz dient. Für den Mönch als Adressaten aller drei hier
zu diskutierenden Texte war der Bezug eindeutig: Gott und seine Gesetze fungier-
ten als der Maßstab, an dem jede Handlung und jeder Gedanke auszurichten waren.
Ein gutes Gewissen konnte also nur eines sein, das dieser Norm verbunden war.
Hierin sind sich - wenig überraschend - alle drei Texte einig.
Es wurde schon darauf verwiesen, dass es eine wesentliche Aufgabe des guten
Gewissens sei, Sünden zu vermeidend^ Jene, die den Willen hätten, nicht zu sün-
digen, die frühere Vergehen beweinen und bestrafen, die schlechte Gedanken zu-
rückweisen, seien mit einem dreifachen Strick gegürtet, heißt es in De cozzsezezzZzzz

40 Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 227f.


41 AetwesctZ coMscicMtM CMW ewe??vzAt. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 228.
42 Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 228-230.
43 Vgl. oben Anm. 26.
44 Vgl. oben Anm. 13.
46 I Mirko Breitenstein

(PezA <% we) - dieser sei das gereinigte und daher reine Gewissen.^ Die hier zum
Ausdruck kommende Gewissheit lässt sich wohl nur als Gnadengabe begreifen, die
Gott seinen Auserwählten gewährt.
Eine solche Ruhe des Gewissens birgt jedoch stets die Gefahr falscher Sicherheit.
So wie die Sünde des schlechten und ruhigen Gewissens ja gerade darin liegt, nicht
mehr auf die Gnade Gottes zu hoffen, sondern diese grundsätzlich zu bezweifeln,
so birgt die in der oder auch zum Ausdruck
kommende Gewissheit der eigenen Heilssicherheit die Gefahr des Hochmuts. Dass
diese Konstellation in den Texten jedoch weder thematisiert wird, noch die resul-
tierenden Fragen diskutiert werden, hängt wohl in erster Linie mit ihrem Charakter
als Erziehungsschriften zusammen. Als solche sollten sie bei der Gewissensbildung
Anleitung geben. Möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang, in dem es vor
allem auch um die Entwicklung und Verbreitung von Techniken der Introspektion
und Selbsterforschung ging, die Wahrscheinlichkeit als nur gering gesehen, dass
ein Mönch ein gutes und ruhiges Gewissen besah. Denn: Auch wenn sie Gott die
liebste sei, wäre eine solche nur selten anzutreffen, erwähnt schon der
Traktat PezA % we.^
Als das typische gute Gewissen wurde vielmehr eines identifiziert, das trotz
seiner richtigen Orientierung unsicher und daher unruhig ist, weil ihm die Dis-
krepanz von Sein und Sollen, mit der es sich konfrontiert sieht, als unüberbrück-
bar erscheint. Der Mensch wird von Anfechtungen heimgesucht, weshalb ihm das
Leben hart und streng erscheint.^ Das Gewissen jedoch gibt Anstoß dazu, sich
allen Versuchungen zu verschließen und legt sich, statt dem fleischlichen Verlangen
nachzugeben, den Zügel der Gottesfurcht anA Allein: Das Leben mit dem unruhi-
gen Gewissen bleibt eines beständiger innerer Kämpfe - ein Leben, das bewegt und
verwirrt V Doch kämpft der Mensch stets vor den Augen Gottes, der auch Tröstung
und Stärkung bereithält, je nachdem, was dem Einzelnen konkret angemessen istA

45 Porro 2$ t7o/77722<32o772 ^<2^02 72072 pecczZTzJz, e2 c22$2oJ2072Jz/7eJo$ $770$ <2 f<3/7szz; 7?%; oo7727722$$<3 /77*<30to-
7*222 20772/707*7$ e2/7/<377gZ2, 02/77772 72; </22Z 772<3/zg720$ COgz2<3277$ <3^*0072707220$ CoVz $770 V/zJo72&) zzJ C^77*7$ 277772
7*0$/77772.' Aoc 2<377<Z7Z<3772 27*2/7/2Co/77^2C7z/o $27*70277$ CZz/TZe C072$27*7C277$, C072$C20722M773 ^7<Ao2 02 /7777*7^O<32<3777, e2

/7777*<3772. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 2, 3, Sp. 555. Vgl. auch oben Anm. 13.
46 Vgl. oben Anm. 27.
47 C072$C707222<3 ^072<3 0S2, $oJ 277r^<32z2, <277220 72z7 772o//e, 737/^22X27772 feCZ/722, $0o( <2 7727772A <3$/707*g7720 7/27<272Jo
/702e$2 /77*0$$777$ Je207*g72, 72072 2<3772072 772 dTz/coAzze, $etJ Z72 <3777227*Z222 Jz72e 7727z/2<2. D222<3 e72 2 773 O26(o2222* 02 *Z77<3

7*ec2z'o7*, 02 z!77$207*707* *072<2. t/^Z<2770 *Oz Jo2 </77oJ Oz37*72Z JzbpJzOOt.' $eJ 2*e2Z72e2 $e peTZO 2Z7720rZ$ Doz, 02 772 0772727

2e772/7e$2<32e corA$ $7zz 730! Azzzzc <3720^0722772^gz2z27*. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 3, 4, Sp. 555.
48 L^zt/zze *oz Jo2 </zzoal 0727*727 Jzb/z/zoot.* seal 7*0277202 $e pozzo 2277207*2$ D02, 02 Z72 0772722 2e 772/70$2<32e ooVz$ $772 <3o(
A<3720 73720^07*<3772^g227Z7*. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 3, 4, Sp. 555.
49 Co7727720*Oe2777* 207*7*<2, 077772/7000<3207* 0072^202777* e2/70e7272e2; C0722777*^<327zr, C77772 272 C072t7e7*$<32Z0720 <2772<37*7277o(z-

72e772 $77$227ze2. Tractatus de conscientia (wie Amn. 4), cap. 3, 4, Sp. 555.
50 NotzZTZohzTTZ *0e7*0 0$2, 7/22oJ 7/77Z^77$J<3 772 272 7*e/2g2072e *02*0e722Z^77$ T2/7/7072Z2777* /<30 <3 J ^2^072^77772, ^77Z^77$^<3772
e2M772 *OZ7277772.' $eJ 222772072 772r77772 ^77e Jz*0272 77772. AzAzZTZt z7/z /z2C, <Z77Z^77$ 02 *0Zgz7z<30 ^7*0*00$, 02 Oz7?2 J7z/ce$, 02
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 47

In gleicher Weise wie der unbekannte Verfasser von De comczÜTZtM (Pc7p <% me)
berichtet auch Petrus Cellensis von den Anfechtungen, denen das Gewissen des
Menschen ausgesetzt sei, und der immer gegenwärtigen Hilfe Gottes." Drei Dinge
benennt er als wesentlich, um ein gutes Gewissen zu erlangen: gutes Handeln, be-
ständiges Gebet und das Verlangen eben nach Gott. Zu einem guten Gewissen kom-
me man, wie er weiter bemerkt, nur durch ein gutes Leben." Da seine Abhandlung
vor allem auch an den noch wenig Verständigen gerichtet ist, führt Petrus im Folgen-
den umfangreich aus, was unter guten Handlungen zu verstehen sei." Das wichtigs-
te nämlich sei nicht die Handlung selbst, sondern das ihr zugrundeliegende Motiv.
Auch hier wird somit wieder die Bedeutung des guten Willens hervorgehoben.
Für die Reinheit einer Handlung ist folglich die Reinheit des Herzens nötig."
Da diese Reinheit des Herzens - insofern sie zugleich Ausdruck des guten weil rei-
nen Gewissens ist - ihrerseits aber zur Bedingung guten Handelns erklärt wurde,
sieht sich der Leser hier mit einer zirkulären Argumentation konfrontiert: Wer gut
handelt, hat ein gutes Gewissen, und wer ein gutes Gewissen hat, wird gut handeln.
Man kann Petrus an diesem Punkt wohl durchaus unterstellen, dass diese zirkuläre
Konstruktion Ausdruck seiner systemischen Weitsicht ist, in der man durch die
Gnade Gottes zum Heil befähigt ist. Unerlässlich ist hier gleichwohl der bereits
angesprochene gute Wille des Menschen, den auch Petrus ausdrücklich als ersten

DAres zzppetz7?z7z7es, etpzzzrzzz sztzwes tVJezrtMr.' ^zrzTzzrs etzzzzzzpzzrzzzzz est z7/zz J z?zto J zzzzzgzzzzzzz est zzz exercz-
tzzs szzzzetzze eozzverszzrzozzzs. Ezzc ezzzzzz szrzztzzYer TzzTzzYzrr, J^fezYer /zyzzzzrzzr, szzze /zzeszozze, szzze zzzzzzzrzYzz Jzzze.
7r% er zstz zzz szzzzero proposzYo szzzzrzzYer zzzre Jzrzzt, Jzr/ezYer ezzrrMzzr.' szzze Deszozze proprz'zte eozzsezezzrzzze,
szzze zzzzzzzrzYzz Jzzze zt/zezzzze. E/oc ^ztAtproprzMZZZ z?%z De AAt, Mt ez pecczztMzzz SMMZzt JzyJzceztt,
Mt zzfzezzopeeezzto zzozz eozzsezztzzzt, Mtpropter Azzeepeeezztorezzz zzozz Jeserzzt; Mt vzYzMzzz e/MT zzz ^MzzzztMzzz zzz
zpso est, zzozz JzsszzzzM/er; et czzzzz corrzpMerzt, zzozz mszzfret. Eeee JepotM Dctzs.' zzzz Jz Je fzzzz potM. VzzzMzzz
^Mzppe zzsperMzzz est et z'zzsMztve. VzzzMzzz ^zTzMzzt ^zz ^zrz tzzJs vzYzze zzggressz et z'zzgressz, rrz7?MDtzozzz7zMS eor-
porz's et zzzzzzzzzzepzzrzYer eozztor^MezztMr, se J zzozz ee Jzrzzt, zze^zze reee JMZzt zzz rrzTzM/zztz'ozze. [...] Ozzzzzz's ezzzzzz
rz'zzzorzztzz eozzsezezzrz'zz zptzze zz J Dezzzzz rzezzzY, ve/ De z:^ zpso, zze/ vz'zzMzzz ezzzzt, seeMzz JMZzz <^M0 J JzetMzzz est er
trzzct%tMZ?z. Er zzotzz ^zrzzz zzrz*o^z^zze rzz'zzMzzzprzzeposMzY, pro eo sez/zcet z?MO J pMZ zzzzz;'oz*ezzz SMStz'zzetpro Deo
perseverzzzrter rrzTzzz/zzrzozzezzz, zzzzz;'oz*ezzz Tzzz^e^r er zzzeree Jezzz. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap.
3, 5, Sp. 556.
51 Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 194, 212f.
52 [...] z:J eozzsczezztzzzzzz 7*ozzzzzzz zzozz rzezzztMr zzz'sz'per ^ozzzzzzz tzzYzzzzz. Petrus Cellensis, De conscientia (wie
Anm. 1), S. 227.
53 Erz'zz Jezzz^Me z'stzz eozzezzz*z*zzzzr Mt cozzsrztMzzzzr cozzscz'ezzrz'zzzzzpMrzzzzz, szzzzctzzzzz, Jetzotzzzzz er zzztegrMzzz, 7?ozzzz
vzJe/z'eer zzetzo, prorezzM orzztzo er Jesz'JerzMzzz zzrJezzs zzz Dezzzzz. Ezcet zZMtezzzp/zzzzMzzz er ezzz Jezzs szt zyrzzte
szt 7*ozzzz zzerz'o, z^zzzze orzzrzoprorezzM, ^MoJ Jesz'JerzMzzz zzrJezzs, ^zzz'zz tzzzzzezz zzozz sezzszTzMS exerczYzzrz's tzzzz-
rzzzzz, seJ er zzzz'zzMS czzpzzczTzMsprzzesezzs opzrs Jestz'zzzzzzzMS, Je ezrezzzzzzzJz'zzeezzrzTzzzs 7*ozzzze operzztz'ozzz's zz/z'^zzzz
perstrz'zzgzzzzzMS. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 212.
54 AJ^ostrezzTzrrzt ozzzzze z7/zz J zyztoJ zzJ zzzzzzzz/esrzzrz'ozzezzz ^pzYzYzzsperrzzzer, ozzzzze zyztoJ ezzz*zYzzrzY cozzre^rzz-
rz'ozzezzz sz'gzzzY e^zz^zorzzr zzzzzzzzA^rzorzTzzz^ zzz sz'zzzz er zzz grezzzz'o szzo o^zzzF 7*ozzzzzzz. Dr zYzz^zze sz'zzeez*zzzzz
^zY o^7zr$ erpzzrzzzzz, zz^z ozzzzzz cozzspersz'ozze zreterz's/errzterztz czztzezzJzzzzz, zzTz ozzzzzz'przzrzgz'zze zzzzz/z Jesz'Jerzf
rzzzzz^zzzzzzz zz^zzzrz*eJz'zze cor czzsrz'gzzzzJzzzzz, zz /eprzze z'zzzzzzzzzzJzYz'zz eorpzzs re/rezzzzzzJzzzzz est. Petrus Cellensis,
De conscientia (wie Anm. 1), S. 212.
48 I Mirko Breitenstein

Schritt der Gewissensbildung eingeführt hattet So sei auch die


/ztrtVw, selbst wenn sie keine Todsünden zu verantworten habe, gefährdet, weil sie
sich bereits wegen der Unterlassung verwerflichen Tuns sicher wähnt und vergisst,
aktiv zum Guten zu streben.^
Ob er zum Guten strebte, musste der Mönch dabei selbst entscheiden, und hier-
in lag wohl die größte Verpflichtung, die dem Einzelnen auferlegt werden konnte:
die der Verantwortung für die eigene Person. Nötig war, sich seiner selbst bewusst
zu werden, sich selbst zu erkennen, sich selbst zu prüfen und vor allem zu bessern.

Das Gewissen a!s Heiisgarant

In eindrücklicher Weise ist dieser Gedanke der Selbstprüfung im bereits zitierten


Traktat »Vom inneren Haus« präsent, der zur Illustration auf ein Bild zurückgreift,
das in seiner Ausgestaltung auf eine grundlegend neue Konzeption der Gewissens-
bildung verweist: In Anlehnung an das in der Apokalypse beschriebene »Buch des
Lebens«, in welchem die Taten eines jeden vermerkt sind, um anhand dieser Ein-
träge über ihn zu richten, wird auch das menschliche Gewissen ein Buch genannt.
In diesem sei, so führt der Text aus, analog zu jenem Buch des Weltgerichtes alles
vermerkt, was der Mensch getan habe. Jeder nun werde nach dem, was in seinem
Buch geschrieben steht, beurteilt - das Buch des Gewissens wird mit dem Buch des
Lebens verglichen. Der wichtigste Gedanke in diesem Zusammenhang scheint mir
zu sein, dass der Mensch es nicht beim Vergleich belassen, sondern aus diesem auch
die nötigen Konsequenzen ziehen soll: Jeder Mensch sei nicht nur gehalten, bestän-
dig im Buch des eigenen Gewissens zu lesen, sondern auch dieses zu korrigieren
und zu verbessern.^ Selbstprüfung, die Prüfung des eigenen Tuns und Unterlassens,
der allem Handeln zugrundeliegenden Absichten und des Strebens wurde nun - zu-
mindest innerhalb der intellektuellen Elite der Zeit, mithin unter den Religiösen -
zu einer allgemein gebotenen Aufgabe.

55 Vgl. oben Anm. 14.


56 Petrus Ccllcnsis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 214.
57 Dzzzcztzyzze est /t7?er sztzt cozzsczezztzzt; et zt J Atze /zTzrztzzz Jz'sczttz'ezz Jztzzz et ezzzezz Jztzz Jztzzz ozzzzzes Atz zzzvezztz
sztzzt. Azzzzzzzt czzzzz Je corpore egreJzetzzr, zzzt/Azzz ztAzzz^zrzteter cozzsczezztzzte sztzte /z'Atttzz sectttT-z^ortztre
poterzt, ztt^zze ttz z7/o cogzzoscet zytto JeAztt zre, et <y%z J JeAztt reczpere. Ax A7 zyttzte ^erz^tzz erztzzt ztz /zAzs
Tto^trzVMA'c^ATTZztr, et z Jeo scrzAz z7eAtzt secztzzz7ztzzz exezzzyAr ZzAz Atzte; et sz szc scrzptz zzozz sztzzt, Szt/tezzz
corrzgezz Jz szzzzt. Cozz/efztzzzzzs ztzt^zze /zAos zzostros czzzzz /zAo Atzte; et st' t?%zJ zt/zter A Aerz'zzt, corrzgztzz-
tztr, zze zzz z7/tt zz7tzzzzzt co/Atzozze, sz ^zzzzTpzztzzz zt/zter zzz^ezztz Jzz^^Tzt ^zzt^ezztes, zt^yzczztzztMr. Aezttzts Attzo,
<^ztz se ^zotest cogzzoscere et Jespzcere, ^zroAre et zzzz/zroAre. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5),
cap. 15, 24, Sp. 520. Vgl. zu diesem Motiv BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm.
5), S. 274 -278.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant ] 49

Es sollte nunmehr dem Einzelnen obliegen, sein Handeln, seine Äußerungen,


ja seine intimsten Gedanken zu bewerten und die entsprechenden Schlüsse zu zie-
hen - hierin liegt wohl einer der wesentlichen Impulse der neuen Religiosität des
hohen Mittelalters auch für die Moderne begründet. Das erwähnte Buch des Ge-
wissens, über das ein jeder verfüge, wurde zum jederzeit einsehbaren Zeugnis des
eigenen Handelns und gleichzeitig der Bezogenheit des Strebens auf die absoluten
Normen der göttlichen Heilsordnung. Voraussetzung für eine solche Erkenntnis ist
jedoch die Abwendung von allen weltlichen Dingen, um sich stattdessen der Sorge
um sich selbst zu widmen
»Kehre also zu deinem Herzen zurück und prüfe dich sorgfältig selbst. Bedenke,
wohin du gehst, wohin du strebst, wie du lebst, was du tust, worauf du verzichtest,
wie sehr du täglich voranschreitest, und wieviel du zurückfällst; von welchen Ge-
danken du am stärksten angegriffen wirst, welche Leidenschaften dich am häufigs-
ten anrühren, von welchen Versuchungen du angegriffen wirst.«^
Als Begründung hierfür konnte die Mahnung des Apostels Paulus dienen: »Er-
forscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst!« (2. Cor 13, 5) Bereits
für das frühe Mönchtum sind Beispiele nachweisbar, die darauf deuten, dass man
sich diesen Aufruf zu eigen gemacht hattet" Dieses »Wissen von sich selbst«^ ist
ein grundlegender Aspekt des Gewissens. Er ist eng mit der Schriftmetaphorik ver-
knüpft, die das Gewissen kennzeichnet. Nicht wie De hzterzor! als Buch, sondern
als - als Schreibtafel oder Register - bezeichnet Petrus Cellensis das Gewis-
sen. Hier werde alles vermerkt, sodass man im Gewissen sein Leben wieder und
wieder lesen könne.^ Ein solches Lesen des eigenen Lebens stellt für den Mönch
die systematische Beschäftigung mit allen Dimensionen der eigenen Person dar.
Neben das jenseitige Ziel der ewigen Seligkeit trat somit gleichsam als notwendige
Bedingung zu dessen Erreichen das diesseitige der Bewusstwerdung seiner selbst.
Das Zeugnis des Gewissens sei der Ruhm des Menschen, hatte Paulus der Ge-
meinde in Korinth verkündet; es sei der Ausweis eines einfältigen und lauteren
Lebens vor Gott (?M7?2 g/orth coTMcÄTz/Am

58 Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 6, 12, Sp. 513.
59 Ae Jz ergo u J cor tzzzzzzz, et Jz'/zgezztez* JAczzte tezpsitzTt. Cozztz Jetzt %ti Jo zterzA; tyzto tezz JA; <yM077zoJo tzzT A;
zyttzJ ugA; ^zzz'J zzzzzzttA; <^zz^zztzzzzz ^MOtz'Jz'e ^ro/zcA; *^e/ <yztzzzztzzztz Jo/zcA.* ^zzz'Azzs cogz'tzztz'ozzzAzzs ztz^zgA
zzzcztrstzrA; ^zzz'Azzs V^^ozzz'Azzs/re^zzezztz'zzs tzzzzgerA; ve/ ^zzz'Azzs tezztzztzozzzzzzz ztzzzczz/A % ztzzz/z'gzto yzz'rz'tM
zzcrzAs z'zzz^ztgzzzzrA. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 6, 12, Sp. 513.
60 Vgl. BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm. 5), S. 284 f.
61 Vgl. oben Anm. 8.
62 [...] z'zz tz:Azz/A cozzscz'ezztz'zze ro/egA et z'zzte//z'gz't. Atzze zzozz zzzcozzszz/te cozzsczezztzzzzzz et yzectt/o eotzz^zzrzztze-
rz'zzz et tzzAzz/A; yzeczz/o, tyzzz'zz z'zz eo/zzct'et' ex^rettzte te zptzzztz so/o z'zztzzz'tzz oczz/orzzztz z'zzter^retzztttt*; tztAzz/A,
t?ttz'zz otttttes zzzzz'ztzz zzzotzzs tz'tze sotto vocA z'zz zpsz's Jepz'zzgzzzztzzr, et ^zzo J zzzetzzorzzz /zzAz'/z's oA/zTz'ozzzs Jz'/zttJo
/orte zzzzzz'tteret tzzAzz/ztrzzzzz Aette/îcz'o etzzzzzz z'zz tezzz^zorzz szzeczz/zzrz'zzper^etzzzzt. Petrus Cellensis, De cons-
cientia (wie Anm. 1), S. 209 k
50 I Mirko Breitenstein

cZ: jmcczzYz%Z:c Dez [...] ccwuerMtz yzzzwzzy, 2. Cor 1,12). Dies von
sich selbst zu wissen aber hieß, das Buch des Lebens lesen zu können, hieß, sich
vor sich selbst über sich selbst Rechenschaft abzulegen. Jeder Mönch sollte daher
streng - gleichsam mit richterlicher Sorgfalt - jeden Gedanken, jede Tat, jedes Wort
so untersuchen, als wäre es eine göttliche Prüfung; er hatte den Maßstab Gottes an
sich selbst anzulegenD Die zu dieser Zeit entstehende Literatur zur moralischen
Vervollkommnung und religiösen Progression sollte dem Religiösen helfen, hierfür
einen Maßstab zu entwickeln.
Es musste folglich darum gehen, das Eigene soweit wie möglich mit dem Gött-
lichen in Übereinstimmung zu bringen. Die Herausforderung bestand - in der Me-
taphorik des Textes - nicht nur darin, das Buch des eigenen Gewissens zu lesen,
sondern ebenso auch Einblick in das Buch des Lebens zu erhalten. Gemeint war
in beiden Fällen, einen Blick auf und in sich selbst zu werfen, wobei jedoch eine
jeweils andere Perspektive gewählt werden sollte: die eigene und die Gottes. Im Ide-
alfall waren beide deckungsgleich, so wie im Idealfall ja auch beide Beobachtungs-
objekte, /z^er Tzüze und /z7?er cozzsczezzzLze, identisch sein sollten. Eine solche Form
der Selbstreflexion schien offenbar geeignet, die beiden Perspektiven von Fremdheit
und Nähe zu einer einzigen zu verbinden: Beobachtete sich der Mönch zugleich
mit größtmöglicher Distanz als auch mit intimster Kenntnis, erwuchs aus dieser
Beobachtung ein reflektiertes Bewusstsein. Sich selbst vor sich selbst zu beurteilen
hieß, sich zu erkennen.
Diese Bindung des individuellen Seelenheils an sich selbst und die eigene Le-
bensführung bedurfte jedoch einer institutioneilen Absicherung, um den Einzelnen
nicht grundsätzlich zu überfordern. Vor dem Hintergrund des allgemein unterstell-
ten menschlichen Ungenügens und um einer aus übermäßiger Reue erwachsenden
Verzweiflung vorzubeugen, sollte der Mönch das, was er in sich selbst las, nicht
allein für sich behalten. Bevor die geheime Ohrenbeichte durch das Vierte Lateran-
konzil 1215 zu einer allgemeinen Pflicht für alle Gläubigen erklärt wurdet war das

63 /zzdzcM/z omzzezTz cogzZzzZzzm 5MM777, %cZ%77! et ^erzzzozzem <y%%tzz Jzstrzcte zzjzjzezz Jez*e JeAt t*e/t-
gzostts ^ztzk^zte z?MZ Je ozzzzzz vezJm, zzctzz cogztzztzozze, /z^zzzzzz szzspectzzzzz JzTzzzz exztttzzzzzk. Petrus
Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 214.
64 So bestimmt im Kanon 21 des Konzils; vgl. Die Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2: Konzilien
des Mittelalters, hg. von Josef WoHLMUTH, Paderborn 2000, S. 245. Vgl. zum Zusammenhang Mar-
tin OHST, Pflichtbeichte. Untersuchungen zum Bußwesen im Hohen und Späten Mittelalter (Beiträge
zur historischen Theologie 89), Tübingen 1995. Zu den Folgen und der Bedeutung grundlegend: Alois
HAHN, Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse. Selbstthemati-
sierung und Zivilisationsprozess, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34, 1982, S.
407-434, sowie Peter VON Moos, »Herzensgeheimnisse« (OccztAz corJzs). Sclbstbewahrung und Sclbst-
entblößung im Mittelalter, in: DERS., Öffentliches und Privates, Gemeinsames und Eigenes. Gesammelte
Studien zum Mittelalter, Bd. 3, hg. von Gert MELVILLE (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 16),
Berlin 2007, S. 5 -28, v. a. S. 11-24. Zur Frage der Notwendigkeit einer priesterlichcn Absolution vor dem
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant ] 51

Bekenntnis eigener Verfehlungen innerhalb der wA? bereits geübte Praxis A


Das allgemein verstärkte Interesse an entsprechenden Fragen drückte sich dabei
nicht allein in den neuen Beichtsummen aus,*^ sondern fand einen Niederschlag
auch in der monastischen Traktatliteratur. Ein besonders eindrückliches Beispiel
hierfür ist De interior? ^owo in seiner langen Form, die auch bei Migne abgedruckt
istV Hier sind gleich mehrere ursprünglich eigenständige Musterdialoge integriert,
die Gespräche entweder zwischen einem Beichtenden und seinem geistlichen Vater
oder aber Bekenntnisse vor Gott wiedergeben.^
Ohne Sünde könne der Mensch nicht durch sein Leben gehen, heißt es eindrück-
lich im Traktat »Vom inneren Haus«A Der Zweck einer jeden menschlichen Ver-
richtung werde durch eine Verkehrung der mit ihr eigentlich verbundenen Absicht
in sein Gegenteil pervertiert: Essen ohne Hunger, Trinken ohne Durst, Reden ohne
etwas zu sagen zu haben, das Richten der Sinne auf Nichtigkeiten, statt auf die Wahr-
heit - der Mensch in seiner Gesamtheit präsentiert sich als fehlgeleitet/° Es gäbe
keine Sünde, so bekennt der Mönch sowohl Gott als auch dem Beichtvater, mit der
er sich nicht befleckt hätteN Die hier wie in anderen Texten gebotenen Kataloge der
Sünden und Laster sollen, so kann man vermuten, stets auch Anleitung geben, indem
sie den Mönch für die jeweiligen Vergehen sensibilisieren. Der Mönch sollte durch

S. 149-166.
65 Vgl. Isnard Wilhelm FRANK, Artikel »Beichte II: Mittelalter«, in: Theologische Rcalcnzyklopädic, Bd. 5,
Berlinl980,S. 414-421, hier S. 418.
66 Pierre MiCHAUD-QuANTiN, Sommes de casuistique et manuels de confession au moyen âge (XII-XVI
siècles) (Analecta Mediaevalia Namurcensia 13), Louvain/Lille/Montreal 1962.
67 Zu den verschiedenen Redaktionen vgl. BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm. 5),
S. 268.
68 Es handelt sich um folgende Abschnitte: cap. 16-19, cap. 20-22 und cap. 29-41. Der zuletzt genann-
te Abschnitt ist als sogenannte CoTz/e^fo Hz2g072M auch als eigener Text überliefert. Vgl. Barthélemy
HAURÉAU, Les oeuvres de Hugues de Saint-Victor. Essai critique, Paris 1886, S. 180-182. GoY zählt
diesen Text zu den »wahrscheinlich echten Werken« Hugos, vgl. Rudolf GoY, Die Überlieferung der
Werke Hugos von St. Viktor. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichtc des Mittelalters (Monographien
zur Geschichte des Mittelalters 14), Stuttgart 1976, S. 482. Neben den bei GoY genannten Handschriften
ist zu verweisen auf: Avignon, Bibliothèque municipale, MS 229, fol. 86-116 (vgl. Catalogue général,
Départements 27 [wie Anm. 4], S. 137); Dijon, Bibliothèque municipale, MS 582, fol. 124v-156v (vgl.
Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France, Départements 5, Paris 1889, S.
149); Poitiers, Bibliothèque municipale, MS 74 (294), fol. 45-55v (vgl. Catalogue général des manuscrits
des bibliothèques publiques de France, Départements 25, Paris 1894, S. 23) sowie zwei Handschriften aus
Tours: Bibliothèque municipale de Tours, MS 396, fol. 68-76v und MS 488, fol. 68-76v (vgl. Catalogue
général des manuscrits des bibliothèques publiques de France, Départements 37, Paris 1900, S. 310, 392).
69 S2720 722272 ^22<%7?2 fTtmsz're ^702222 [...] Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 17,
28,Sp.522.
70 Vgl. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 17, 28-29, Sp. 522 f.
71 2722207220 ^ecc<%2227?2, <% <^220 72072 S27?2 22/2^220 2720J0 Tractatus de interiori domo (wie
Anm. 5), cap. 19, 33, Sp. 525. 7V22//22772 0722772 272-^07220 ^22222772, % <7220 72072 2rMxe7*2772 VzfyzzoJ 00222^222772. Ebd.,
cap. 20, 37, Sp. 52.
52 I Mirko Breitenstein

die Lektüre dieses und anderer Texte ein Bewusstsein für sein eigenes Fehlverhalten
entwickeln. Ein solches Bewusstsein nun aber war das Gewissen. Die Lektüre über
Sünde, über Laster, über menschliches Fehlen sollte dem Mönch zu einem reflektier-
ten Blick auf sich selbst verhelfen. Er sollte durch den Text zu sich selbst finden. Der
Lektüre von Traktaten wie den vorzustellenden kann daher wohl eine stimulierende
und katalytische Funktion der Gewissensbildung zugesprochen werden.
Der Mönch soll im eigenen Gewissen nachvollziehen, was der Text als Muster
vorgibt. Und so wird das Gewissen auch folgerichtig als Instanz von ebenso ubi-
quitärer Präsenz wie die der Sünde beschrieben: »Wohin ich mich auch wende -
meine Laster folgen mir; und wo auch immer ich gehe - meine verlässt
mich nicht, sondern ist immer dabei und schreibt auf, was ich tue.«^ Wenn aber im
Gewissen alles notiert ist, kann der Mönch - wie schon beschrieben - im Gewissen
sein Leben wieder und wieder lesenV Und diese beständige Lektüre ist die beste
Voraussetzung für das umfassende Bekenntnis aller Verfehlungen. Die Beichte näm-
lich, sofern sie aufrichtig erfolgt, sei, so der Text, nach der Taufe das einzige dem
Menschen verbliebene Heilmittel.^ Alle Hoffnung und jegliche Barmherzigkeit lä-
gen in der Beichte und niemand könne von einer Sünde gerechtfertigt werden, wenn
er diese nicht zuvor gebeichtet habe.^
Die Beichte reinigt den Sünder, wie die Figur des im Traktat
»Vom inneren Haus« auf die Bekenntnisse des Mönches ausführt: Alles nämlich
wird in der Beichte abgewaschen, das Gewissen wird gereinigt, die Bitterkeit hin-
weggenommen, die Sünde geflohen, die Ruhe zurückgegeben, die Hoffnung belebt,
der Geist erheitert A Daher versuche der Teufel, wie Petrus Cellensis als scharfsin-
niger Kenner der mönchischen Psyche zu berichten weih, die Beichte durch seine
Waffen Scham, Angst, Vermessenheit oder Neid zu behindern.^ Gelingt es dem

72 /Viin <^220622772^226 7726 -ue7*lo, vi'iM 777e<% me ie<y2222 72 l227*.' 22/7/622772^226 vu Jo, 6072i6i672lM 72072 772e Jeie?*/!,
16j^7?*22ei6721 Ulllllll, Cf <^22lJ<y22lJAo/o, lOf/Al. /JoiTTO <y2M72<y22H771 /?27772227M 122/7267/22gM372 /22^//oM,
C222772 ^'?iy77*Me 0O72!0i'6722i<%e/22g02*e "072 ^ü/eo. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 18, 30, Sp.
523.
73 Vgl. oben Anm. 62.
74 Poll /722^l2 1 772 22772 7222//22 772 <%/z22 J 720/7/1 6072111222122772 eil 7"6772eJz22772 ^3222772 607l/61lZo21l'l 7*eAg/^^. TraCtatUS de

interiori domo (wie Anm. 5), cap. 21, 43, Sp. 530.
75 07727211 7222772 ^22e 1^761 V672M6 62 7722ieri60rJMe 272 6072^^10726 611, 7ieO^Ol611 <y%Zl ;22^32^6227*1 %^000%20, 72112
^7*2221^^1*11 C072A^%^eCC22t22772. Æx CO 6722772 2272 221<y2221^226 6116 lHOl/W, 0X ^220 $ 22 2 H6622H2lor exill'le-
7*21. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 1, 1, Sp. 509.
76 077272222 616722772 272 607l/6^/o726 /nV2!722227*.' 6072161672ll'i2 7722272JzZlMT*, l277M7*l'l22Jo lo//z'l227*, ^766612 222772 ^^3227*,
I2*n7i^in7/il<%i 7*eJz'l, yiei 7*ev:vii6i2, 2272 2772221 /u7i2?*6i6i'2. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap.
21, 43, Sp. 530. Zum Motiv der Reinigung von Sünden durch Reue, Beichte und Buße vgl. mit reichem
Textmaterial: Meinolf SCHUMACHER, Sündenschmutz und Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der
Sünde in lateinischer und deutscher Literatur des Mittelalters (Münstersche Mittelalter-Schriften 73),
München 1996, S. 433-450.
77 /iTl^eJ/l J6722^226 ^7227*7 l22l6772 6072/2167211! Ve/ 2711e71l2072e771 007l/zl67! Jl, <%%2 772 27l/ecl2072e 1277222/222207221, 72221
J6l7*22726il2l'0726 ITHegrilUlll. Q22//722I g/uJlllf Pl2 Jori'l, 1177207*11, /7ri26!22772^l207221 6l H677222/i22:'o72z'l. PllJoT*
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 53

Mönch jedoch, diese Gefühle aus seinem Herzen zu verbannen, so kann er - durch
die aufrichtige und ehrliche Beichte - in seine cofzwzpzzfM treten.^ Als Di%7?-
lässt sich eine solche coTZWZCfzD'tz mit dem unbekannten Verfasser von PeDj %
we beschreiben.^ In ein solches von allen Sünden durch ihr Bekenntnis gereinigtes
Gewissen trete Gott gern ein und nimmt Wohnstatt im Menschen;^" ein solches
Gewissen sei für Gott wie ein gereinigtes Glas, aus dem er eilig trinktV Die Beichte,
so wird deutlich, schafft Sicherheit; sie ist eine »institutionalisierte Formfen] der
Narration, die die Seele verfügbar« macht.^

Das Gewissen des Einzeinen in der Gemeinschaft

Wenn der Mensch, wie dargestellt, das Buch seines Gewissens nicht nur zu lesen
vermag, sondern gehalten ist, es beständig zu verbessern, bis es schließlich dem des
Lebens gleicht, verweist dies nicht nur auf einen unmittelbaren Transzendenzbe-
zug, in dem derjenige steht, der sich bewusst beobachtet. Insofern die Möglichkeit
zur Selbsterkenntnis vor dem Hintergrund der vom Mönch anzustrebenden Ver-
ähnlichung mit Gott die Verpflichtung zur Reflexion des eigenen Seins impliziert,
resultiert aus ihr immer auch Verantwortung.^ Der Aspekt der Übernahme von
Verantwortung für die eigene Person bringt dabei das innovative Moment dieser
Texte deutlich zum Ausdruck: Vor sich selbst konnte dem Mönch nichts verbor-
gen bleiben. Sein Gewissen zwang den Mönch »zur Auseinandersetzung mit sich
selbst«V Es sei an jedem Einzelnen, schlechte Handlungen zu bessern, sowie die

zzz!zzz<^zze zzzzzpzzZzzZ zzzZesZzzzzz et fereztdzz cozz/estzözzM zzt detmAzzZ Mcrz/zczo Dozzzzzzz, Zzzzzoz* /zzzgzzzzzzz et ^t*%-
eAzzz, pmeszzzzzptzo czzpzzt, zzezzzzz/zzZzopezfes. Petrus CeHensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 221.
78 free sz ^zzzztzzoz* zst<% exc/zzszz pzz3zceps zzzzzzzJzpez* verzzzzz cozzAzzzozzezzz ezzczZzzr A^^- Q%o ezzecto
zzttm^zt cDztstm/zs cozzsczezzZzzzzzz szzzzzzz [...]. Petrus Ccllcnsis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 224.
79 Vgl. oben Anm. 38.
80 Esto zgztzzr Zezzzp/zzzzz Dez, eZ Dezts exce/ttts Äzz^zZzz^zZ zzz Ze. Tractatus de intcriori domo (wie Anm. 5),
cap. 1, 2, Sp. 509. Vgl. auch ebd., cap. 1, 5, Sp. 510. Zum Motiv des Wohnens im Herzen vgl. Friedrich
OHLY, >Cor amantis non angusturm. Vom Wohnen im Herzen, in: DERS., Schriften zur mittelalterlichen
Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 128-155. Zur Metaphorik des »inneren Hauses« vgl. Gert
MELViLLE/Anne MÜLLER, Franziskanische Raumkonzepte. Zur symbolischen Bedeutung des inneren
und äußeren Hauses, in: Revue Mabillon 21, 2010, S. 105-138, hier S. 111-118.
81 7hzzz^zzzzzzz pAt'Vzz z'gztzzz* cozzsez'ezzZM pzzm Deo propz'zzzzt ozzzzzzüz ^ozzzz zzostttz z'zzterz'onz et exterzözn [...]
ttc Dozzzz'zzzzs zzostez* zzcczzrrz'z ztalpotzzzzdzzzzz zzZ eozzsczezzZzzze pzzrz'Zzzte zzze^rzetzzr [...] Petrus Cellensis, De
conscientia (wie Anm. 1), S. 226.
82 Alois HAHN/Herbert WiLLEMS/Rainer WINTER, Beichte und Therapie als Formen der Sinngebung,
in: Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, hg. von Gerd JÜTTEMANN/Michacl SoNNTAG/Christoph
WULF, Weinheim 1991, S. 493-511, hier S. 493.
83 Vgl. BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm. 5), S. 290-292.
84 Gert MELVILLE, Der Mönch als Rebell gegen gesatzte Ordnung und religiöse Tugend. Beobachtungen zu
Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen
54 I Mirko Breitenstein

Ordnung der Körperglieder und die Bewegungen der Seele zu verfügen, heißt es im
Traktat »Vom inneren Haus«^. Weil der Mensch sich selbst bewusst sei (covscms
s/Z?/), könne niemand sich besser kennen als man selbst.^
In einer Konzeption wie der vorzustellenden, vermag der Mönch sein Leben
selbst mitzugestalten. Das Gewissen fungiert hier als moralischer Maßstab und zu-
gleich richtende Instanz, es dient nicht nur der Selbstprüfung, sondern ebenso der
Selbstbeurteilung. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Bedeutung des
Wollens als erster Säule des inneren Hauses erinnertV Es ist genau dieses funda-
mentale Wollen, das die Verantwortung zum Prinzip mönchischen Selbstkonzepts
werden lässt und das dabei doch zugleich auch wesentliche Grundsätze der
regzz/zzrzs in Zweifel zog. Denn: Wenn das gute Wollen am Beginn nicht nur je-
der Handlung, sondern auch jedes Denkaktes steht, ist die Beachtung auch jeder
äußerlichen, satzungsrechtlichen Norm zunächst an die Einsicht von deren legiti-
mer Geltung gekoppelt. Auf diese Weise wird Gehorsam, eine der höchsten mo-
nastischen Tugenden,^ neu kodiert: »Was Du befiehlst«, so spricht der Mönch im
Traktat »Vom inneren Haus« seinen Gott an, »das werde ich demütig, soweit ich es
vermag, gern erfüllen.«^
Damit ist jedoch tendenziell das institutionelle Prinzip zönobitischen Lebens,
das an der Apostelgeschichte orientierte Ideal der cowwzzzzzo nämlich, grundsätz-
lich in Frage gestellt. Denn es könnte der Schluss gezogen werden, dass hiermit ein
Zustand erreicht wurde, der notwendig zur Auflösung gemeinschaftlicher Ordnung
führte, insofern der Mönch sich nur noch zu dem verpflichtet, was er selbst vor dem
eigenen Gewissen zu verantworten in der Lage war: »Dein Gesetz bindet dich«
(/ex fzzzz fe cozzs^rzzzgzY) - heißt es bündig im Traktat »Vom inneren Haus«, - aber
der Text fährt fort und transzendiert dabei die Verantwortlichkeit des Einzelnen
über sich selbst hinaus: »das Urteil, das du anderen auferlegst, trägst Du selbst.«
Eine cozzsczezzAzz rectzz sei eine solche, führt der Text weiter aus, der nicht nur die

und Schriftlichkeit im mittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Gert MELVILLE (Vita regularis 1), Münster
1996, S. 153-186, hier S. 175.
85 Tzzzzw est TTM/e zzctzz corrzgere; tzzzzzzz est z'zz ordz'zze, et o/^ez'o A^zzYzlzzzz zzzewZzrorzzzzz cor/zorzs, et zzzzzVzzze
wotzzzzw dz's/zozzere: Zzzzzw, smgzJorMTTZ zzegotzzz seczzzzzZzzw eow/zetezzZzzzzzz zzssz'gtzzzre. Tractatus de interiori
domo (wie Anm. 5), cap. 14, 23, Sp. 519.
86 TVezzzo ezzzzzz zrzzzgz's sczre/zotest </%z't sz's, sz'cMt tzz, z/ztt' cozzsez'zzs es tz'A. Tractatus de interiori domo (wie Anm.
5), cap. 24, Sp. 534. Vgl. oben Anm. 8.
87 Vgl. oben Anm. 17.
88 Vgl. Oboedientia. Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Rcligiosen-
tum, hg. von Sébastien BARRET/Gert MELVILLE (Vita regularis. Abhandlungen 27), Berlin 2005.
89 QztzA/MZ J /zzsserzs, /zro /zosse zzzeo /letzter deuotzzs z'vz/z/e^zo. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5),
cap. 37, 77, Sp. 546.
Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant I 55

eigenen Sünden missfallen, sondern die auch den Sünden Anderer nicht zustimmU°
Aus der Betonung der individuellen Verpflichtung zur Selbstprüfung folgte somit
eine persönliche Verantwortung auch für den Nächsten. Dem Mönch wurde mit
der Verantwortung für sich selbst auch die für den Anderen übertragen. Ein gutes
Gewissen sucht nicht allein sein eigenes Heil und Wohl, sondern immer auch das
des Nächsten,^ schreibt Petrus Cellensis und fährt fort: »Im eigenen Gewissen wird
das des Nächsten mit aufgebaut.«^
Der Dienst am Nächsten kann durchaus als ein treibender Impuls monastischer
Ethik verstanden werden, insofern mit ihm die Erfüllung des Paulinischen Lie-
besgebots verbunden war. Dieser Aspekt war vor allem auch für die Cisterzien-
ser von Bedeutung,^ denen alle drei Texte zumindest mittelbar zugewiesen wer-
den können.^ Insofern auch das Mab der dem Nächsten zukommenden Fürsorge
unbestimmt blieb, oblag es - über die nur unspezifischen Forderungen der Or-
densgesetzgebung hinaus - auch hier wieder dem Einzelnen zu prüfen, ob er dem
Anspruch des neutestamentlichen Liebesgebotes von Mt. 22,36-40 genügte. Aus
dieser Unbestimmtheit heraus erwuchs eine Verantwortung, der nachzukommen
zweifellos eine heilssichernde Wirkung zugeschrieben wurde.
Weder im eigenen noch im Gewissen des Nächsten sollte das Herz etwas Unrei-
nes dulden: Es weint über das eigene Elend und das des Anderen, es beklagt nicht
allein seine eigenen Sünden, sondern auch die des Nächsten.^ Der Mönch musste
gleichsam vor sich selbst auch Rechenschaft über seine Mitbrüder ablegen und trug
damit tvcc durch sein eigenes Tun auch Verantwortung für das Gewissen sei-
nes Gegenübers. Dies hatte zur Folge, dass der Mönch sein Gedächtnis nicht allein
von den Erinnerungen an eigene Verfehlungen zu reinigen hatte, sondern auch von
solchen an schlechte Handlungen anderer, die ihm nur zugetragen worden waren.^

90 Aect% co7M<rz'e??Z:M est, ezzz szzzzzzz/zecczztzzzzz Jzs/z/zeet, et zz/zezzo zzozz eozzsezztzt [...]. Tractatus de interiori
domo (wie Anm. 5), cap. 9, 16, Sp. 515, vgl. unten Anm. 95.
91 TVozz ergo ^zozzzz eozzsezezztzz: sztzz tzzzztzzzzz <yzzzzerzzt [...] seJ zzzzttzzt7zez*7z/zztezzs7zz*oxzzzzoz*ztzzz ^zozzu exezzzjtzLz
[...]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 216.
92 7z? tztzz ezzzzzz cozztczezztM z:e Jz^zczztzzr zz/terzzzs eozzsezezztzzz [...]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm.
1), S. 216.
93 Vgl. hierzu und zum Folgenden Mirko BREITENSTEIN, Is there a Cistercian Love? Some considerations
on the virtue of charity, in: Aspects of Charity. Concern for ones neighbour in medieval vita religiosa,
hg. von Gert MELVILLE (Vita regularis. Abhandlungen 45), Berlin 2011, S. 55-98.
94 Vgl. oben Anm. 6.
95 Szt^zitt*MZtz, %t zzzAz/ zTZorzzrz z'zztztz se^zzztMtzzrzzzzzfz.' zzeezzzoAezzzzz z^zzzJezzz oAe.zzJzezz/zzzzz to/etzAzYe re^zztet,
%%t zzz eozzsezezztM sztzz, %%t zzz züzezzzz. 5zt zA/ce Jzz/ez res^zozzsz'ozze, szzzztzz zzafzzzozzztzozze, Azzzgtzzz z*ejfzz*e/zezz-
szozze, zzzo Jerzztzz correetzozze. S7t zzzzzzz Jzzzzz, zzt totzzzs zzzzzzzzzzz Jztzzze s^zzzreztzzzs res^zzzezzs, eogztzztzozzzzzzz szczzt
zzetzozzztzzz ^zecczztzz Je^z/orei. De/Zezzt ^zz*o s%zz zzzzserzTz et zz/zezzzz; /zzgezzt zzozz so/zzzzz szzu Je/zctzz, seJ etzTzzzz
%fzezz% [...]. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 4, 8, Sp. 512, vgl. oben Anm. 90.
96 Trzteor o^zerzs zzeA?*z7 zzzzzzzKzzJzs z*eeoz*z7zztzozzz7zzzs zzze szze/ze esse eozzzzzzotzzzzz et zzzeezzszzzzz, zzrz7oz*es
zzozz zzzoJzcos et zzz^zozzestospzzssMzzz.' et zzozz so/zzzzz zzzezzrzzzzz Je/eetzztzozzzzzzz zzzzz/zz zzzezzzorzu et stzz/tzze z*e-
eoz*Jz:tzozzes zzzzTzz zzoezzere; seJ etzfzzzz zz/zorzzzzz zzzzz/eAetzz zzzzTzz zzzzrrzztzz, et^zez* z*eeoz*z7<%tzozzes sorJz'Jzzs zzJ
56 I Mirko Breitenstein

Eine solche Aufgabe erscheint wohl nicht nur aus heutiger Perspektive als eine au-
ßerordentliche Herausforderung, insofern hier die Verantwortung für das Eigene
noch um die für das Ganze erweitert wird V
Das aus dieser Konstellation erwachsende gegenseitige Verpflichtungsverhältnis
war geeignet, nicht nur die Sorge für den Nächsten auf eine verbindliche Ebene
zu heben, sondern mit ihm wurde zugleich ein Netz intensiver sozialer Kontrolle
gespannt. Trotz einer Intensivierung selbstbezogener Verantwortung und einer ver-
stärkten Bedeutung, die dem je eigenen Verständnis allgemein vorgegebener Nor-
men beigemessen wurde, behielt die Gemeinschaft somit wesentliche funktionale
Bedeutung. Sie garantierte als institutioneller Rahmen nicht nur die Voraussetzun-
gen, unter denen jeder Mönch sich seinem Seelenheil widmen konnte und war also
Bedingung seiner Möglichkeit zur Heilssicherung. Indem der Einzelne sein Seelen-
heil ganz wesentlich auch durch Sorge um den Nächsten, durch den Aufbau des
eigenen Gewissens in dem des Nächsten, verdienen musste, kam dieser Reziprozität
die Funktion eines institutioneilen Mechanismus der Heilsgewinnung zu.
Verantwortung für sich und für den Nächsten, so legen es die vorgestellten Texte
nahe, sorgen für ein Innewohnen Gottes im Menschen. Ein Wirken im Sinne des
Gebots der Nächstenliebe bedeutet zugleich auch die Befolgung des höchsten gött-
lichen Gebots und war Ausdruck des mönchischen Bestrebens nach vollkommener
Nachahmung Christi.^ Diese im lebenspraktischen wie auch im gewissensbilden-
den Dienst am Anderen zum Ausdruck kommende zwAcz^zo markierte den Weg
zur Vollendung. Konnte der Mönch vor sich selbst, vor seinem Beichtvater wie
auch vor seinem ewigen Richter bekennen, diesen zter per/büTzozzM bis zur letzten
Konsequenz gegangen zu sein, sprach das für ihn. Hatte er einen solchen Zustand
erlangt, war sein Gewissen durch guten Willen errichtet, und wurde es durch die
Beichte gereinigt, dann brauchte der Mönch, ganz so wie Petrus Cellensis ausführt,
keine Furcht vor dem Jüngsten Gericht zu haben.

mcworHw reJ%cf<%, cor Mon^truo fenewo 77-MCMAperc. Tractatus de interiori domo


(wie Anm. 5), cap. 20, 40, Sp. 529.
97 Der Einfluss dieser Konstruktion eines reziproken Verantwortungsverhältnisses lässt sich ganz offen-
sichtlich bis ins 20. Jahrhundert hinein feststellen, wie die Antwort des Jesuiten Peter BROWE auf die Fra-
ge eines Beichtvaters nach dem eigenen Befinden nahelegt: »Die meiste Reue«, bekennt BROWE, »habe ich
über die Sünden meiner Mitbrüder«. Zitiert nach: Hubertus LuTTERBACH, Peter Browe SJ (1876-1949) -
Kulturgeschichtliche Anstöße aus dem moraltheologischen >Abseits<?, in: Peter BROWE, Die Eucharistie
im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht, hg. von Hubertus
LuTTERBACH/Thomas FLAMMER (Vergessene Theologen 1), 6. Aufl. Münster 2011, S. 1-12, hier S. 2.
98 Vgl. BREITENSTEIN, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm. 5), S. 271-274.
Transzendenz erleben
Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz -
Transzendenz erleben

Der Aufsatz von Herrn Dalarun akzentuiert das ambivalente Verhältnis der christ-
lichen Tradition zum menschlichen Leib in der Spannung zwischen Gottebenbild-
lichkeit und Sündenfall, fleischlicher Versuchung und leiblicher Auferstehung. Die
Kirche musste gegen den gnostisch-manichäischen Dualismus einen überzeugenden
Weg der Vermittlung von Leib und Geist finden und weisen. Sie konnte hier an die
paulinische Konzeption des Christen als Leib Christi anschließen.
Dennoch zeigt sich gerade in den dominierenden populären Bildern und Zerr-
bildern der monastischen Kultur weiterhin eine ganz deutliche Spannung zwischen
dem extremen leibfeindlichen Asketen einerseits, dem schwelgerischen, gutgerun-
deten Mönch andererseits.
Auf diesem Hintergrund untersucht Herr Dalarun die wichtigste okzidentale
Mönchsregel, die des Heiligen Benedikt. Sie ist eminent pragmatisch, ja sie richtet
sich geradezu explizit an das leibliche Wesen Mönch. Sein Leib ist laut Benedikt
keineswegs Feind des Mönchs, so Dalarun. Vielmehr überwindet dieser übermäßige
fleischliche Bedürfnisse, so dient gerade auch der Leib dem Heil. Zudem kommen
die fleischlichen Bedürfnisse und auch Begierden nach Benedikt ja auch zum Be-
wusstsein, sodass eine dualistische Aufspaltung des Menschen gleichsam in zwei
Ontologien ohnehin undenkbar ist. Der gesamte, der ganze Mensch ist im mön-
chischen Leben auf dem Heilsweg, das Herz wie der Leib. Das führt nun zu einer
sehr konkreten Lebensform und Lebenspraxis der Disziplin und Zügelung, der
produktiven Selbsteinschränkung, man könnte auch sagen: der leiblich-geistigen
Konzentration auf das Wesentliche.
Weiterhin geht es Benedikt auf diesem Weg darum, jedes Individuum, jeden Ein-
zelnen der Mönchsgemeinschaft, in den Leib - die leibliche, konkrete Praxis dieser
Gemeinschaft - zu inkorporieren. Dies geschieht symbolisch bereits unmittelbar
beim Eintritt in das Kloster, wenn der Novize die Mönchskleidung anzieht. Die-
se Kleidung ist so einfach wie möglich, nach dem Prinzip: ja zum Nötigen, fort
58 I Thomas Rentsch

mit allem Überflüssigen. Wesentlich für den Habit ist dabei nicht die Armut, die
Ärmlichkeit der Kleidung, sondern ihre Uniformität, die die Inkorporation in die
Gemeinschaft anzeigt. Ferner werden Schlafen und Essen nun koordiniert gere-
gelt, wobei Lebensalter und Gesundheit bzw. Schwäche berücksichtigt werden. Die
Mahlzeiten werden schweigend eingenommen, alle Teilnehmenden hören dabei eine
gemeinsame Lesung. Zuspätkommende werden bestraft.
Die kollektive monastische Gemeinschaft wird noch dadurch prägnant kons-
tituiert, dass sie indifferent bezüglich Differenzen ist, wie Dalarun schreibt. Der
Mönch trennt sich von Familie, Verwandten und früheren Bindungen. Die benedik-
tinische Gemeinschaft ist dabei nicht egalitär, sie achtet eben nur nicht auf für diese
Gemeinschaft irrelevante Ungleichheiten. Besondere Fähigkeiten oder Leistungen
berechtigen nicht zu Stolz.
Dalarun akzentuiert, dass das Organisationsparadigma der Benediktiner nicht
primär militärisch zu verstehen ist, sondern eher handwerklich: Das Kloster ist ein
»workshop« (q/^2C272<%), der Mönch ein Arbeiter, Handwerker des Herrn.
Ja, die gesamte Organisation des mönchischen Lebens entstammt dem Def.
Um ihren Stolz zu besiegen, betreiben die Brüder Handwerk oder sie studieren die
Schrift. Besondere Bedeutung kommt natürlich der Liturgie zu. Dalarun vergegen-
wärtigt eindrücklich, wie stark und streng das mönchische Leben Tag für Tag und
insbesondere auch Nacht für Nacht um die Liturgie organisiert ist. Der gesamte
vergemeinschaftete Leib lebt so nach dem gleichen Rhythmus, bis zum Besuch der
Toilette. Dieser Leib muss, soll mit einer Stimme singen. Und er muss auch des
Nachts stets einsatzfähig sein - sonst droht Strafe.
Abschließend entwickelt Herr Dalarun Überlegungen zum höchst spannenden
Thema des Verhältnisses von Mönchtum und Moderne. Die mittelalterlichen Klös-
ter lassen sich als Laboratorien sozialen Lebens verstehen, als Mikro-Gesellschaften
m TÄro, in denen das Experiment, eine andere, neue Welt zu gründen, das erklärte
Ziel war, in der Individuum und Gemeinschaft, Leib und Geist eine höhere Einheit
bilden. Dalarun, und das ist die zentrale und weitreichende These, hebt hervor,
dass wesentlichen, tragenden sozialen Praxisformen unserer modernen Gesellschaf-
ten, so den Schulen, den Krankenhäuser und den Gefängnissen, unzweifelhaft die
klösterliche Grundstruktur anhaftet. Man könnte ergänzen: Gilt das nicht auch für
die Sportvereine, den Schachclub, das Parlament, die Parteien, die Rechtsinstitute,
Wissenschaft und Forschung - denken wir an die Laboratorien oder das Genfer
Kernforschungszentrum, aber auch an das noch existierende normale mittelstän-
dische hamilienleben. Die überall unverzichtbare Selbstdisziplinierung entspricht
der monastischen konzentriert-verzichtenden Lebensform der Benediktiner, die
auch alle Ablenkung zu vermeiden sucht. Auch diese Lebensform zielt nicht auf
Erschöpfung (heute: »bum out«), sondern auf Effizienz.
Transzendenz erleben I 59

Dalarun bezieht sich nun auf die Webersche Kernthese über die protestanti-
sche Ethik und den Geist des Kapitalismus. Obwohl keine unmittelbare Genealogie
zwischen Puritanismus und Kapitalismus aufweisbar sein mag, so ist nach Dalarun
die These weiterhin relevant. Es ist weiterhin überzeugend, dass die monastische
Lebensform ein, wenn nicht das vormoderne Paradigma für efhzienz-orientierte
soziale Organisation von Arbeitsprozessen darstellt. Sogar die für die Spätmoderne
charakteristische Übersteigerung vieler Stressfaktoren im Arbeitsleben findet ihr
Vorbild im klösterlichen Schlafmangel - mit Dalaruns Worten: body under stress.
Ich knüpfe noch zwei vielleicht weiterführende Überlegungen an die Analyse
von Herrn Dalarun an. Erstens lese ich die Analyse als stark von Ludwig Wittgen-
stein geprägter Philosoph. Und ich stelle fest, dass dessen kritische Hermeneutik in
seiner Spätphilosophie durch die Analysen des mittelalterlichen Mönchstums glän-
zend bestätigt wird: In der Tat erfolgt Bedeutungskonstitution - auch im Blick auf
Leib und Geist - im Kern inmitten der jeweiligen menschlichen Lebensform und
Lebenspraxis. Und inmitten dieser konkreten Praxis haben auch die Sprachpraxen
ihren Sitz und ihren Ort, die jeweiligen Sprachspiele in Wittgensteins Diktion. So
lassen sich die Lesungen, die Gebete, die Liturgie verstehen. Ebenso findet bereits
die biblisch überlieferte Praxis Jesu in diesem Kontext Rezeption und Aufnahme,
ebenso die paulinische Verkündigung. Es gibt kaum ein Paradigma, das diese von
Wittgenstein ins Zentrum gerückte konstitutive Verbindung von Sprachspielen und
Lebensform so prägnant vor Augen führt, wie die mönchische Praxis; und dies viele
Jahrhunderte lang.
Noch weiter geht ein an Wittgenstein orientiertes Verständnis der Analyse. Sei-
ne Hermeneutik von Bedeutung und Gebrauch und des sprachlichen Regelfolgens
führt bekanntlich zum sogenannten Privatsprachenargument, das sich gerade ge-
gen private, subjektive Sprach- und Selbstverständnisse richtet. Solche subjektivis-
tischen Verständnisse sind genau genommen unmöglich und falsch. Und auch hier
ist das gemeinschaftliche, nicht subjektivistische Sprach- und Praxisverständnis der
mönchischen Lebensform mit dieser Analyse auf ausgezeichnete Weise konform.
Was diese Übereinstimmung bedeuten mag, muss ich hier offen lassen. 1st Wittgen-
steins Analyse nicht deskriptiv, die mönchische Lebensform im höchsten Maße nor-
mativ? Nein, Wittgensteins Analyse ist negativ-kritisch gegen falsche Verständnisse
gerichtet, also auch normativ. Was bedeutet die Übereinstimmung für eine kritische
Religionsphilosophie? Ich weise noch darauf hin, dass Wittgenstein eine Zeit lang
den Gang ins Kloster erwog.
Meine zweite Überlegung bezieht sich auf Max Weber. Persönlich bemerke ich,
dass mich als Protestant und Lutheraner seine Protestantismus-Kapitalismus-These
immer geärgert hat, insbesondere, da ich Gottes Gnade und Liebe niemals durch ei-
gene Leistung und Effizienz erreichen kann. Gott würde zur Funktion meiner Leis-
60 I Thomas Rentsch

tungen. Dennoch sehe ich, wie Herr Dalarun, dass die genuin monastische Praxis
eindeutig Potentiale birgt, die in die Moderne weisen. Zunächst ist doch zusätzlich
zu betonen, dass die mönchische Tradition seit ihrem Beginn immer wieder Refor-
mationen und Transformationen ihrer Ordnung unternahm und diese permanente
Veränderungspraxis führte schließlich zum Mönch Luther und zur Reformation.
Ferner: Lässt sich in der Konsequenz der Analyse von Dalarun die paradigmatische
Bedeutung der monastischen Praxis nicht viel weiter fassen als nur bezogen auf
den Kapitalismus im engeren Sinne? Kindergärten, Pflegeheime, Sanatorien, Hilfs-
stationen und Hilfsorganisationen, viele andere soziale Praxisbereiche ließen sich
aufführen, die auch auf Gelingen, auf humane Gestaltungsformen zielen, die Leib
und Geist aussöhnen, ohne dass kapitalistische Effizienz alleiniges Kriterium sein
könnte. Die Moderne ist - trotz oder gerade angesichts der dramatischen Entwick-
lungen, die wir gegenwärtig erleben - ungleich mehr als der bloße Kapitalismus.
Könnte man nicht sagen, dass das untergründige Weiterwirken des Mönchtums
sich auch in den Wohngemeinschaften der Studentenbewegung, wenigstens in ihren
normativ-anspruchsvollen Formen, zeigte? Oder - wem dies nicht behagt -, in den
sich gegenwärtig entwickelnden intergenerationellen Wohnprojekten, in denen Jun-
ge und Alte, Kranke und Gesunde, Behinderte und Nichtbehinderte neue Formen
höherer Gemeinschaft anstreben, in denen Leib und Geist versöhnt werden? Also:
Max Weber ja, aber viel komplexer und ausdifferenzierter.
Herrn Breitensteins Analyse der Bedeutung des Gewissens für die Verinner-
lichung des Transzendenten im Hochmittelalter zeigt, wie die eschatologische
Transzendenzperspektive des Jüngsten Gerichts zu einer existentiellen Radikali-
sierung der Reflexion des Gewissens bei den monastischen Eliten führt. Bei Petrus
Cellensis konzentriert sich dieser Reflexionsprozess deutlich auf den Kernbereich
von Selbsterkenntnis, Moralität, Individualität und Autonomie. Die Transzendenz-
dimension - konkret: das existentielle Verhältnis zum Richtergott - bildet dabei
die sinnkonstitutive Basis dieses Reflexionsprozesses, näherhin die (ich formulie-
re mit Augustinus) unfassbare Nähe Gottes bei gleichzeitiger unendlicher Ferne.
Die Selbsterkenntnis ist somit irreduzibel verbunden mit der radikalen Transzen-
denzreflexion, und deshalb ist ihr paradigmatischer Ort die mönchische Lebens-
form mit ihrem Ziel der Näherhin ist ihr Ort das Gewissen des
einzelnen Christen, sein »inneres Haus«, die »Kammer des Herzens«, so zentrale
Grundbegriffe, die Herr Breitenstein aufzeigt (Blumenberg würde sagen: absolute
Metaphern). Das Innerste der Individualität und Subjektivität wird hier angezielt.
Hier wird der Wille zum Guten oder Bösen verortet, aus diesem Haus, aus dieser
Kammer soll durch Reinigung ein »Tempel Gottes« werden, in dem Gott Wohnung
nimmt. Gut ist allein ein guter Wille - diese Grundthese Kants - ich greife vor - ist
hier klar ausgesprochen (so lautet der erste Satz der »Metaphysik der Sitten«: »Es ist
Transzendenz erleben I 61

nichts gut in der Welt, als allein ein guter Wille.«) Ja ich gehe weiter und behaupte,
dass Kant in der Schrift »Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft« völlig
konform mit den von Breitenstein rekonstruierten Autoren des Hochmittelalters
ebenso lehrt, dass der Akt des Wollens für die fundamental ist und
auf die Verantwortung für die eigene Person verweist, mithin auf die unverzichtbare
(Kant: die »unbedingte«) Notwendigkeit, mir meiner selbst bewusst zu werden,
mich selbst zu erkennen, mich zu prüfen. Kurz: Ich muss ein anderer Mensch wer-
den, sonst gibt es kein Heil. Völlig zurecht betont Breitenstein angesichts dieses
Selbstprüfungsrigorismus der monastischen Eliten, dass hier »einer der wesentli-
chen Impulse [...] auch für die Moderne begründet« wird. Und - auch das ist streng
kantisch - diese unverzichtbare moralische Selbstbewusstwerdung ist nie gänzlich
erreichbar und zum Abschluss zu bringen. Breitenstein sieht hier die kulturelle
Identität Europas im Entstehen begriffen. Ich sehe dies ebenso - das gemeinsa-
me Streben nach dem authentischen guten Leben verbindet dann daraufhin solche
existentiellen und sozialen Lebensformkonzepte wie individuelle Entfaltung der
Persönlichkeit und Fortschritt. Im Blick auf Weber sei bereits angemerkt, dass ka-
pitalistische Effizienz allein eine extreme Engführung dieser Sinntradition darstellt.
Das von Breitenstein aufgewiesene Ringen um existentielle Selbsterkenntnis zeigt
sich auch an der Bedeutung der Beichte und der permanenten Selbstprüfung, so
bei Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von Thierry. Besonders wichtig ist dabei
die Freiwilligkeit der cozz/ejszo. Mit Kant: Moral ist ohne Autonomie nicht möglich
(wohl das Recht) und sie ist konstitutiv verbunden mit der Erkenntnis des »radika-
len Bösen in der menschlichen Natur«.
Breitenstein macht deutlich, dass seine Analyse die von Norbert Elias zur Af-
fektkontrolle als Grundlage des Prozesses der Zivilisation bestätigt. Ferner: Die
Ungewissheit der Selbsterkenntnis, die auch Kant erkenntniskritisch herausarbeitet
(und die schon im sokratischen Nichtwissen gedacht ist), führt zu Luthers Recht-
fertigungslehre und Gnadentheologie (so/<% gn%&z), bei Kant zur Unverzichtbarkeit
der Hoffnungsdimension für die praktische Vernunft. Ja es zeichnen sich in den
skrupulösen mittelalterlichen Reflexionen zur Heilsungewissheit geradezu freudi-
anische Aspekte vor, wenn von nicht begangenen Morden, unterlassener Unzucht,
nicht geäußertem Hass im Buch des Gewissens die Rede ist. Unbewusstes, Angst,
Trieb, Verdrängung, Kompensation - was ist dies anderes? Ich zitiere wiederum
Kant: »Es sei in dem Unglück unsrer besten Freunde etwas, das uns nicht ganz
missfällt«. (»Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft«, AA VI: 33) Ange-
sichts der Frage Schelskys bejaht Breitenstein, dass in der monastischen Tradition
Dauerreflexion zweifellos institutionalisierbar ist. Ich merke hier an: Besagt dies
nicht etwas für die grundlegenden Praxisformen von Neuzeit und Moderne? Ich
denke an Verhandlungen und Rechtsverfahren, an Demokratie und Parlamentaris-
62 I Thomas Rentsch

mus, an den wissenschaftsbegründenden Falsifikationismus, ja an ein Modell wie


die Diskursethik.
Wie Dalarun hebt Breitenstein hervor, dass die rekonstruierte durchaus funda-
mental existentielle Ebene der Selbsterkenntnis gerade mitnichten subjektivistisch-
privatistisch zu verstehen ist. Denn die Moral, nach der das Gewissen ruft, ist auf
Einsicht in Geltung bezogen, und diese ist nur inter- bzw. transsubjektiv überhaupt
möglich. »Dein Gesetz bindet dich« - /ex ;%<% so zitiert er den »Trak-
tat vom inneren Haus«. Autonomie als Selbstgesetzgebung durch den kategori-
schen Imperativ - sie ist mit diesem mittelalterlichen Ansatz höchst kompatibel,
ebenso mit dem Wort des Petrus Cellensis: »Im eigenen Gewissen wird das des
Nächsten mit aufgebaut.«
Die abschließende Kernthese von Breitenstein: In der klösterlichen Gemein-
schaft werde durch ihre Regel die »Freiheit zur Transzendenz« eröffnet, und dies,
»indem die Transzendenz Gottes im Gewissen immanent wurde«, bestätigt, ver-
tieft und radikalisiert die Analyse von Dalarun. Und es zeigt sich in der radikalen
Ernsthaftigkeit der thematisierten innovativen Lebens-, Praxis- und Sprachformen,
dass sich in ihnen Neuzeit, Aufklärung und Moderne auf ausgezeichnete Weise
vorzeichnen, und dies im Modus einer existentiell authentischen Hermeneutik der
genuinen Vernunftpotentiale der christlichen (und in Teilen auch der griechischen)
Tradition. Dafür spricht besonders die von Herrn Breitenstein herausgearbeite-
te Freiheitsperspektive (ich denke hier auch an Luthers »Von der Freiheit eines
Christenmenschen«). Universalität, Autonomie des Individuums und unbedingte
Menschenwürde bestehen bereits mitten im Mittelalter in profilierten Entwürfen
zusammen, weit über das hinaus, was Max Weber sieht. Und - ein letzter philo-
sophischer Kommentar: Wenn Menschen zu sehr unterschiedlichen Zeiten in sehr
unterschiedlichen Kulturen zu gleichen fundamentalen Geltungseinsichten gelan-
gen - zeugt dies nicht von einer Ebene unbedingter Geltung? Von einer Ebene, die
auch wir noch keineswegs in unserer Wirklichkeit erreicht haben?
Annäherung an Gott im Ktoster
U/rzrü

Annäherung an Gott a!s reiigiöses Grundgeschehen

Annäherung an Gott (in einer zunächst sehr weit verstandenen Bedeutung) bildet ein
wesentliches Ziel aller theistischen Religionen. Unterschiedlich sind freilich die Mit-
tel und Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Auch das Christentum hat sich ihm ver-
schrieben, wobei man fragen kann, wie weit es damit tatsächlich der Verkündigung
Jesu entsprochen hat. Das christliche Ideal des Umgangs mit Gott wurde nämlich
schon früh vom Platonismus geformt. Auf dem Boden des griechischen Polytheis-
mus hatte Platon mit seiner in einem Monotheismus des Einen und Guten gipfelnden
Ontologie erstmals den Gedanken der öpoitooLc; Ged) (»Verähnlichung mit Gott« oder
»Angleichung an Gott«) formuliert. Im lässt er Sokrates von der Realität
des Bösen unter den Bedingungen der Sterblichkeit sprechen. Da man in JAsem Le-
ben das Böse nicht vermeiden könne, müsse man danach trachten, aus der irdischen
in die transzendente Welt zu fliehen. Solche Flucht aber sei eine Verähnlichung mit
Gott, und sie bestehe konkret darin, mit Einsicht gerecht und fromm zu werden.
Platon ist freilich weit davon entfernt, eine Einswerdung des Menschen mit Gott
anzustreben. Bezeichnenderweise spricht er von einer opoitomq Oed) Kara tö öuvcrröv,
einer »Verähnlichung mit Gott, so weit das möglich ist«.' Diese Einschränkung ist
in der weiteren Geschichte des Platonismus weggefallen. Plotin, der Erneuerer der
platonischen Tradition im 3. Jahrhundert, der mit seinem Denken die Annäherung
an den einen, jenseitigen Gott und die Vereinigung mit ihm (gvü)6fjvcn) anstrebte, soll
dieses Ziel nach dem Bericht seines Schülers Porphyrios in den sechs Jahren, in denen
er mit ihm zusammen war, wohl viermal erreicht haben, während der Biograph be-
kennt, nur einmal selbst dem Gott nahegekommen zu sein und sich mit ihm vereint
zu habend
64 I Ulrich Köpf

In der Theologie der Alten Kirche lebte dieser Gedanke einer öpoküotq fort: zwi-
schen dem schwächeren, biblisch begründeten einer Nachfolge Christi (ÜKoXouOelv
sc^zzz) und dem stärkeren einer - meist sakramental gedachten - »Vergottung«
(deoTtoLELchcu Jez/zct?rz). Hier können die altkirchlichen Anschauungen nicht näher
dargelegt werden. Doch die drei genannten Möglichkeiten lassen wenigstens die
Breite ahnen, in der sich die Vorstellungen einer Annäherung an Gott bewegen,
wobei in der östlichen Christenheit besonders der Gedanke einer sakramentalen,
wesensmäßigen Einung fortlebt, im Abendland jedoch der einer willensmäßigen
Annäherung und Einung dominiert.

Die Mönche des Mittelalters als Erben der philosophischen Lebensform der Antike^
haben das Ideal einer Nachfolge Christi mit dem platonischen Modell der ogokootq
6eö) verbunden, auch wenn sie sich seines Ursprungs in der vorchristlichen Antike
gewiss nicht immer bewusst waren. Ihre Bemühung um Annäherung an Gott war
überhaupt selten theoretisch reflektiert. Diese Annäherung war für sie das höchste
Ziel einer Lebenspraxis, deren elementare Vollzüge zumeist ihre ganze Zeit und
Kraft in Anspruch nahmen. Die klösterliche Lebenspraxis besteht seit ihren Anfän-
gen im Wesentlichen aus zwei großen Komplexen: dem gemeinsamen Gebet und
der individuellen Askese, zu der auch die Arbeit zählt. Diese soll nicht nur den Le-
bensunterhalt sichern, sondern zugleich vor schädlichem Müßiggang schützen. Die
jahrhundertelange Erfahrungen zusammenfassende Benediktsregel teilt die heilsa-
me Tätigkeit der einzelnen Mönche in Arbeit mit den Händen (D^or wzzzzzzzzw)
und die regelmäßige geistliche Lektüre (Attzo tAfzzzrz) ein/ Wie deutlich hier auch
das Lesen unter dem Vorzeichen einer der Trägheit und Lässigkeit entgegenwirken-
den Beschäftigung steht, zeigt sich einerseits daran, dass es für die QzzrzJrzzgcFzwz:
(die vierzigtägige Lastenzeit vor Ostern) in besonderer Weise vorgeschrieben wird^
und dass denen, die dazu nicht willens oder fähig sind, irgendeine andere Tätigkeit
aufgetragen werden soll, die ihren Müßiggang verhindert/' Alles, was der Mönch
tut, steht nach der Regel in Beziehung zu Gott. Wie das gemeinsame liturgische
Gebet der Horen ein Dienst an Gott (Opzzj Dez) im wörtlichen Sinne ist, so for-

Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften. Text, Übersetzung, Anmerkungen (Philoso-
phische Bibliothek 215c), Hamburg 1958, cap. 130f., S. 54.
3 Vgl. z.B. Jean LECLERCQ, Etudes sur le vocabulaire monastique du moyen âge (Studia Anselmiana 48),
Rom 1961, besonders S. 39-70.
4 Regula Benedicti cap. 48, 1, S. 144. Ich benutze die Ausgabe: Regula Benedicti. Die Bcnediktusregel. La-
teinisch/Deutsch, hg. von Basilius STEiDLE, 2. Aufl. Beuron 1975.
5 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 14-16, S. 144/146.
6 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 23, S. 146.
Annäherung an Gott im Kloster I 65

men besonders die /ectzo JzVz?2<% und alle übrigen Tätigkeiten des einzelnen Mönchs
sein Verhältnis zu Gott. Außerdem sieht die Benediktsregel neben dem gemeinsa-
men Op%s Dez ausdrücklich auch das individuelle Beten vor/ das ebenfalls als ein
bezeichnet wird/ Es soll ein stilles Gebet sein, am besten mit angespanntem,
aufmerksamem Herzen (zzzfczzFozzc corJA) und unter Tränen, dem körperlichen
Ausdruck der Bußgesinnung. Wie die ältere monastische Tradition verbindet die
Benediktsregel das Beten eng mit dem Weinen. Es gehört zu ihren grundlegenden
Forderungen, der Mönch solle die von ihm begangenen Sünden unter Tränen oder
Seufzen täglich im Gebet Gott bekennen/ Ganz besonders während der QzA%<At%ge-
jz?77<% solle er auf das Gebet unter Tränen, auf die Lesung, auf die Zerknirschung des
Herzens und auf Enthaltsamkeit Mühe verwenden/" Daneben bietet die tägliche
Actzo JzVz?z<% reichlich Gelegenheit zu einer individuellen Frömmigkeitspflege, die
im Übrigen vom Abt als dem Lehrer seiner Mönche," aber auch durch die Beichte
vor dem Abt oder einem anderen geistlichen VateF- gelenkt werden kann.
So sorgfältig das monastische Lebenskonzept der Benediktsregel durchdacht ist
und so wichtig darin bestimmte Verhaltensweisen gegenüber Gott sind, so wenig
ist dabei das Geschehen einer Annäherung an Gott beschrieben. Eingehendere Re-
flexionen auf diesen Vorgang finden sich erst im Mönchtum des 12. Jahrhunderts -
bezeichnenderweise gleichzeitig mit der Frühscholastik, deren bedeutendster Ver-
treter Petrus Abaelardus den Blick auf das menschliche Innere lenkt, wenn er das
ethische Urteil nicht mehr einfach von der Handlung, sondern von der zzz^zzFo
des Handelnden, der Ausrichtung seines Willens, abhängig machtV Im Folgenden
werde ich mich deshalb auf das Reformmönchtum des 12. Jahrhunderts konzen-
trieren, genauer: auf Zisterzienser und Kartäuser, die in ihrer Gründungszeit nicht
nur durch gleichartige Bestrebungen, sondern auch durch persönliche Beziehungen
miteinander verbunden waren. Beide haben unter Rückbesinnung auf das altkirch-
liche Wüstenmönchtum eine in hohem Maße asketische, durch anachoretische Nei-
gungen geprägte Lebensform entwickelt.

7 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 3f., S. 150.


8 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 5, S. 150.
9 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 4, 57, S. 74.
10 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 49, 4, S. 146/148.
11 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 2, 11-15, S. 64 u.ö.
12 Regula Benedicti (wie Anm. 4), prologus, 50, S. 60; cap. 7, 44-48, S. 86; cap. 46, 5f., S. 142.
13 Peter Abaelard's Ethics, hg. von David Edward LuscOMBE (Oxford medieval texts), Oxford 1971, z.B.
S. 40, Z. 9-11: zzozz /zzzzt, ^zzzzzzz ztzzzmo Jzzzzzt zz/zezz/zZ, zzcrzzcz'Zer z'zz
z'zzZezzZz'ozzc Mostrtt rczzZzzw^czzMZ et zzcro z'zz/z'cz'o czz/pzzw ex%77?z'?Mf; S. 44, Z. 26f.: io/zztzz ^zzz/^e zzzzz'wMW
z'zz reTTZMTzerntzoTze /zozzz wzz/z, zzozz cJ/ecZzz o^erzzztz, Dezzs zzAew/zzZ.
66 I Ulrich Köpf

Voraussetzungen einer Annäherung an Gott

Annäherung an Gott setzt im Mönchtum herkömmlicherweise eine - primär räum-


liche - Trennung von der »Welt« voraus, die zwar ursprünglich reine
Schöpfung Gottes war, aber seit dem Fall den Schauplatz eines Ringens unterschied-
licher, ja gegensätzlicher Mächte um den Menschen bildet. Der Religiose ist zwar
durch seine monastische ccw&erFto von den Angehörigen dieser Welt
geschieden; aber er wird auch in seiner monastischen Existenz fortwährend durch
die feindlichen Mächte der »Welt«, des eigenen Fleisches und des Teufels angefoch-
tenN Um sich wenigstens gegen äußere Einflüsse zu schützen, umgibt die religiöse
Gemeinschaft ihren Lebensbereich mit einer Trennwand, gewöhnlich einer Mauer,
die sie gegen Einflüsse von außen abschirmt, aber auch die einzelnen Mitglieder
an unerwünschten Kontakten mit der »Welt« oder gar am unerlaubten Verlassen
des Klosters hindertV Nach der Benediktsregel soll sich alles Lebensnotwendige
(Wasser, Mühle, Garten, Werkstätten) nach Möglichkeit in dem abgegrenzten Klos-
terbezirk befinden, sodass die Mönche sich nicht außerhalb dieses Bezirks aufhal-
ten müssen, was ihren Seelen nicht zuträglich wäreT Der abgegrenzte Bereich des
Klosters und das beständige Ausharren in der Gemeinschaft
w C072g7*eg<%^2072e) bilden die Voraussetzungen, unter denen die Mönche
ihre Aufgabe erfüllen könnenV
Die Vorstellungen der Benediktsregel wie älterer Mönchsregeln vom idealen
monastischen Leben lassen sich am ehesten in Klöstern verwirklichen, die in einer
gewissen Ferne von menschlichen Ansiedlungen liegen. Die Nähe zur Stadt oder
gar die Lage in einer Stadt - in Rom, Konstantinopel und den übrigen alten Städten
des ehemaligen Römischen Reichs - schuf neben gewissen Vorteilen auch manche
Probleme, veränderte aber auf jeden Fall die Lebenssituation der Mönche. In den
vielen dünn besiedelten Gegenden des Frühmittelalters oder gar an den Rändern der
Zivilisation, etwa am Fuße der Alpen oder in den noch unbesiedelten europäischen
Mittelgebirgen, war es im Frühmittelalter tatsächlich noch möglich, Klöster in Dis-
tanz zur bewohnten Welt zu gründen. Doch brachten die vielfältigen Verflechtun-

14 Vgl. z.B. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum, in: Ders., Sämtliche Werke iatei-
nisch/deutsch, hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bdc., Innsbruck 1990-1999, Bd. 5 und 6, hier Bd. 5, sermo
1, cap. 9, S. 62, Z. 5 -7.
15 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 67, 6, S. 180.
16 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 66, 6 h, S. 178: AfoTMStertMm MMtew, A^otAt^zerz, zAz JeAt cozzstz'tMz',
Mt 077Î72M MecetMfM, zA est <%<yMM, wo/ezz JzzzMzzz, ^ortMm ve/ Mftes dzAers^s zzztm wozzzzsterzMW exerceztzz-
tM?*, Mt ZZOZZ At ZZeceSSZtzZS ZZZOZZztcAzt fMgzZZZ Jz/o7*Ü, zyMZzZ OZ7ZZÏZZZO MOZ! eX^eJzt MZZZZZZzZ^MS eOfMZZZ.

17 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 4, 78, S. 76: 0/j(zcz'zM vero, M^z Azzec ozzzzzzA Jz'/z'gezzter o^zerezzzMZ*,
rAzMttrz: SMZzt zzzozzzzsterz'z et stzzMz'tzzt z'zz cozzgregMtzozze.
Annäherung an Gott im Kloster I 67

gen mit Königtum und Adel, Politik und Wirtschaft das benediktinische Mönchtum
von Anfang an in allzu große räumliche und dann auch innere Nähe zur übrigen
Welt. Seit dem frühen 11. Jahrhundert entwickelte sich eine Gegenbewegung, die
sich an der Tradition der Wüstenväter orientierte: eine neue Form des Eremiten-
tums, die anachoretische Tendenzen des Rückzugs aus der bewohnten Welt auch
konsequent auf Koinobien anzuwenden suchte.
Am eingehendsten reflektierten die Zisterzienser auf geeignete Klosterorte. In
ihren normativen Gründungsberichten beschreiben sie den Ort des Mutterklosters
CzVerUM??? (Citeaux) als eine von Menschen gemiedene, nur von Tieren bewohnte
Einöde.^ Sie bemühen dafür die Charakterisierung der Wüste als »Ort des Schre-
ckens und einer weiten Einöde« aus dem Gesang Moses (Dt. 32, 10)V Es ist längst
erkannt worden, dass es sich bei dieser Schilderung um ein Ideal, um einen literari-
schen Topos, handelt, der schon in früheren Klostergründungsberichten begegnet.
Wie weit ihm die tatsächliche Situation einzelner Klosterorte entsprach, lässt sich
heute vor allem mit Hilfe archäologischer Untersuchungen feststellen, die meist
ernüchternde Ergebnisse zu Tage fördern. Die Beziehungen zu Stiftern und weitere
politische Voraussetzungen für die Ansiedlung, konkrete Lebensbedürfnisse und
anderes - nicht zuletzt die bereits von der BenediktsregeP° gebotene und auch von
den Zisterziensern gepflegte Gastfreundschaft^ -, verhinderten eine Isolierung der
Gemeinschaften gegen die »Welt«. Aber die Vorstellung vom idealen Klosterort und
die auch von Außenstehenden bezeugte »Liebe zur Wüste«^ zeigen doch, unter
welchen äußeren, räumlichen Bedingungen sich nach Meinung der Zisterzienser
die Annäherung an Gott am besten vollziehen kann. Das dem ExortAVm
inserierte Prwz/egzMW Paschalis II. für Citeaux von 1100 spricht von der mo-
um deretwillen der Ort des Klosters gewählt worden seiA Um die Distanz
zur Welt mit ihren Ablenkungen zu sichern, haben die Zisterzienser in ihren frühes-
ten Verfassungsdokumenten nicht nur den Verzicht auf alle wirtschaftlichen Ver-

18 Exordium parvum, in: Les plus anciens textes de Citeaux. Sources, textes et notes historiques, hg. von
Jean DE LA CROIX BouTON/Jean Baptiste VAN DAMME (Citeaux - Commentarii Cistcrcienses. Studia et
documenta 2), Achel 1974, S. 54-86, cap. 3, 3, S. 59 f.: /oc%s m epzscop%t% C^^zYonensz et pro
neworü spm^rMW^Me tewporü op%öt<%te AontwMW wso/ÜMS, % so(z's pris.
19 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula, in: Les plus anciens textes de Citeaux. Sources,
textes et notes historiques, hg. von Jean DE LA CROIX BouTON/Jean Baptiste VAN DAMME (Citeaux -
Commentarii Cistercienses. Studia et documenta 2), Achel 1974, S. 110-125, hier Exordium Cistercii, cap.
1,7, S. 111: Cütercwm At^enerMut, /ocMW tMucsö/zcetAorrorü etv%st%etoAtMA'?zA.
20 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 53, S. 150-154.
21 Jutta Maria BERGER, Die Geschichte der Gastfreundschaft im hochmittelalterlichcn Mönchtum. Die Cis-
tercicnser, Berlin 1999.
22 Exordium parvum (wie Anm. 18), cap. 5, 3, S. 62: moTMcA AerentMW AYfgentet; dazu der in cap. 6, S. 63
eingefügte Brief Papst Urbans IE: AremMm
23 Exordium parvum (wie Anm. 18), cap. 14, 5, S. 74.
68 I Ulrich Köpf

Hechtungen gefordert,^ sondern in manchen Regionen sogar durch Vertreibung der


bäuerlichen Bevölkerung künstliche Einöden geschaffen.^ Schon früh wurde vom
Generalkapitel verboten, in größeren und kleineren Ansiedlungen Niederlassungen
zu errichtend^ Auch die Kartäuser strebten bei ihren Niederlassungen ursprünglich
nach Siedlungsferne und bezeichneten ihr Klostergebiet grundsätzlich als »Wüste«
A Ihre ältesten verbieten jeden Besitz außerhalb der Gren-
zen ihres Klosterareals, um allen Kontakt mit der Umgebung zu vermeidend^ Dass
sich die ursprünglichen Vorstellungen - vor allem bei den Zisterziensern - nicht
sehr lange aufrecht halten ließen, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es in
erster Linie um die Ideale der Frühzeit, des 12. Jahrhunderts.
Wichtiger noch als die räumliche und strukturelle Abgrenzung gegen die Welt
ist für die Entfaltung individueller Frömmigkeit die interne Regelung des Gemein-
schaftslebens. Hier fragen wir zuerst nach den Gelegenheiten, bei denen, und insbe-
sondere nach den Orten innerhalb des Klosters, an denen sich der einzelne Mönch
um Annäherung an Gott bemühen kann. Im frühmittelalterlichen Mönchtum schei-
nen die Ansätze zur Pflege einer individuellen Frömmigkeit, die wir bereits in der
Benediktsregel beobachten konnten, gegenüber kollektiven Verhaltensweisen zu-
rückzutreten. Doch mag dieser Eindruck auf einem Mangel an Quellen beruhen.
Aus der großen Zahl von Klöstern mit zahlreichen Mönchen gibt es kaum persönli-
che Zeugnisse, am ehesten von Äbten; aber auch in ihnen ist vieles stilisiert A Wenn
man von Konventen wie dem Clunys liest - mit Hunderten von Chormönchen
und der intensiven Pflege eines quantitativ immer weiter ausgedehnten Chorgebets,
das schließlich den ganzen Tag ausfüllte -, dann mögen wir uns fragen, wie unter
solchen Bedingungen neben dem ritualisierten Umgang mit Gott überhaupt Raum
und Gelegenheit für eine individuelle Annäherung an ihn blieben. Das Leben im
Zisterzienserkloster wirft ähnliche Fragen auf. Wann und wo hatten Zisterzienser
Gelegenheit, sich um persönliche Annäherung an Gott zu bemühen? Wie konnte

24 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cistcrciensis ordinis,
cap. 23, 2, S. 124: fcc/esMt, VtztrzYt, tej7%/t%%zs, Jeczw<ts zz/zezzz AArzs tA zzzztrzAezztz, vz'Azs, tYAmos,
terrzzrzzw eezzszzs, Aftzorzzzzt ve/ wo/ezzJz'zzorzzw reJJz'tzzs et Metern Azt szAzYzYz z^ozz^stz'c^ejzzzrz'tzztzTzJtzer-
MMtM zzostrz et zzozztz'zzz's et orJz'zzz's excA Jz't z'zzstz'tzztz'o.
25 Besonders auffällig im dicht bevölkerten England; vgl. Robin Arthur DoNKiN, The Cistercians: Studies
in the Geography of Medieval England and Wales (Studies and Texts 38), Toronto 1978.
26 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cistcrciensis ordinis
cap. 9, 3, S. 121: At ezTz't^tzAzzs c<%ste//z't vz'A's zzzz/A eozzstrzzezz Jzt esse coezzoY-M.
27 Guigues B', Coutumes de Chartreuses (Sources chrétiennes 313/Série des textes monastiques d'Occident
52), Paris 1984, cap. 23, 1, S. 214, Z. 4; cap. 74, 1, S. 280, Z. 4f.: in den Professformcln.
28 Guigues R', Coutumes (wie Anm. 27), cap. 41, 1, S. 244, Z. 5-8: stzztzzzwzzs, zyzMtzzzzzs /oez /zzzzzts AZ?zt<%-
tores extr<% stzzze terztzz'zzos /zereztzz zzzeAzY oztzzzz'zzo jzossz'Jezzzzt. A est zzozz %gros, zzozz vz/zezzs, zzozz ortos, ztotz
eee/esMS, zzozz ez'ztzz'tterM, ztozz o/zAtz'ozzes, zzozt JeczzTMS, et ^ztztecztztt^zze /zzzzzzszzzoJz.
29 Eine hervorragende Ausnahme bildet im 11. Jahrhundert Otloh von St. Emmeram mit seinen autobiogra-
phischen Schriften TzAer Je tewjzt^tzöztzAzzs rttztts J<%?7Z woztzzeAz und TzAer f z'szozzzzzzz.
Annäherung an Gott im Kloster I 69

sich im Kloster überhaupt eine religiöse Intimität entwickeln, wenn sich das ganze
Leben des normalen Mönchs Tag und Nacht in der Gemeinschaft abspielte? Wie
es die Benediktsregel vorschreibtA schliefen auch die Zisterzienser zunächst in ei-
nem gemeinsamen Schlafsaal. Erst später gingen sie dazu über, diesen Schlafsaal
durch Vorhänge oder gar durch hölzerne Trennwände gewissermaßen in Kabinen
aufzuteilen, die zwar die gegenseitige Sicht, aber nicht das Hören und die dadurch
verursachten Störungen verhinderten.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Pflege des persönlichen Umgangs mit
Gott bildet unter solchen Umständen das Schweigen der Mitbrüder. Auch dafür ist
die Benediktsregel grundlegend, die ein kurzes Grundsatzkapitel der Schweigsam-
keit widmet^' und zusätzlich in verschiedenen Kontexten Stillschweigen fordert, am
nachdrücklichsten für die Zeit nach der KompletV Die Nachtruhe bietet also zum
einen Gelegenheit zu stillem Gebet und Meditieren. Eine zweite Möglichkeit stellt
die /ettzo Jzïtzzzzz dar, für die in der Regel reichlich Zeit eingeräumt ist und die vor
allem im Kreuzgang stattfindetA Diese Lesung soll durch ältere Brüder überwacht
werden, die dafür sorgen sollen, dass sie nicht durch Müßiggang oder gar durch
Schwatzen unterbrochen wird V Schließlich besteht auch während der Mittagsruhe
auf den Betten die Erlaubnis zum Lesen; doch soll still gelesen werden, sodass kein
Mitbruder dadurch gestört wird V Da geistliche, in der Regel biblische Bücher gele-
sen werden, bietet die Lesung von vornherein auch die Anregung zum persönlichen
Verkehr mit Gott.
Schließlich bietet sich auch im Rahmen des gemeinsamen Gebets im Chor Ge-
legenheit zu individuellem Umgang mit Gott. So ist bereits durch die Benediktsre-
gel innerhalb des Dez eine individuelle orzzfzo vorgesehen, die in Reinheit des
Herzens und zerknirschtem Weinen stattfinden sollA Nach dem opzzj Dez sollen
alle Mönche in tiefem Schweigen den Chor verlassen, um den, der für sich allein
beten will (jz^z ^eezz/zzzrz^er orzzre), nicht dabei zu störenA Außerdem ist es jedem
erlaubt, allein das Oratorium aufzusuchen, um dort in der Stille, unter Tränen und
aus inbrünstigem Herzen zu betenA

30 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 22, 3, S. 108: $Aotest^zeA, owwe^ A /oco JorwAzzZ.
31 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 6, S. 78-80: De t%cz't%?*7Mt<%te.
32 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 42,1, S. 134: OmA tempore UezzzAw JeAMtztzzJere woTMcA, 7?M-
xzAe tarnet! TzoctMrTA /zotA; cap. 42, 8, S. 136: exezzzzte^ <% Cozzz^z/ezorzA ?zzz/A tz't /zcezzZzä Jezzzzo czzz^zzzzzzz
/o^zzz Az/yttzA.
33 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, S. 144/146.
34 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 17f., S. 146.
35 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 5, S. 144.
36 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 20, S. 106.
37 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 2f., S. 150.
38 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 4, S. 150: 5ez/ et sz' Az'ter vzz/t tz'A A?*te $ecretz'zzt ontre, zz'zzz^/zcz'Zer
zzztxeZ et oret, zzozt A cAzzzotzz voce, zez/ zzz /zzcrzzzzzt et zzzzezztzozze cozuA.
70 I Ulrich Köpf

Konkrete Aussagen über den Ort der Annäherung an Gott sind in der monasti-
schen Literatur selten. Umso aufschlussreicher ist, was Bernhard von Clairvaux in
einer seiner Hoheliedpredigten über ein Erlebnis im persönlichen Gebet berichtet. In
diesen Predigten beschreibt er einmal bis in physiologische Einzelheiten eine Erfah-
rung, die er dem biblischen Bild des heiligen Kusses zwischen Bräutigam und Braut
vergleicht. »Während die Braut über den Bräutigam redet, ist jener plötzlich anwe-
send. Er entspricht ihrem Verlangen, gibt ihr einen Kuss und erfüllt in ihr das Schrift-
wort: Was ihr Herz ersehnt, hast du ihr gewährt, und den Wunsch ihrer Lippen hast
du ihr nicht versagt (Ps. 20, 3). Das beweist er am Anschwellen ihrer Brüste. Der
heilige Kuss wirkt nämlich so stark, dass die Braut, sobald sie ihn empfängt, durch
ihn schwanger wird, wobei zum Beweis ihre Brüste anschwellen und gleichsam von
Milch strotzen.« Durch dieses Bild verdeutlicht er eine geläufige Erfahrung: »Wer
sich häufig um das Gebet bemüht, der hat erfahren, was ich sage. Oft treten wir mit
lauem und trockenem Herzen vor den Altar und geben uns Mühe, zu beten. Während
wir aber dabei beharren, wird plötzlich Gnade in uns gegossen, schwillt unsere Brust
an und überschwemmt eine Flut von Liebe unser Inneres, und wenn jemand es drü-
cken sollte, wird es nicht zögern, die Milch der empfangenen Süße auszuschütten.«^
An dieser singulären Stelle sagt Bernhard sehr präzise, wo das Ereignis stattfindet:
beim Gebet vor dem Altar, also im Chor - das heißt aber nicht bei der Messfeier, die
in Bernhards Reden über religiöse Erfahrung ohnehin nur eine ganz unbedeutende
Rolle spielt/" sondern entweder im Zusammenhang mit dem Chorgebet oder beim
individuellen stillen Gebet, wie es die Benediktsregel vorsiehtV
Bei der Pflege des geistlichen Lebens sind die Kartäuser noch in ganz anderer
Weise innovativ als die Zisterzienser. Sie sehen in ihren Klöstern von Anfang an
einzelne Zellen vor, in denen die Mönche den größten Teil ihrer Zeit verbringen.
Auch sie haben ein Gemeinschaftsleben, in dessen Mittelpunkt das o/jfzct-
M77? steht. Aber einen Teil ihrer Stundengebete absolvieren sie in den Zellen. Die
Messe wird bei ihnen nur selten gelesen, weil sie ihre Aufgabe darin sehen, gemäß
Jer. 15, 17 in der Stille und Einsamkeit der Zelle ihr Leben zu verbringen.^ Die Zelle
ist der Garant für andauerndes Stillschweigen.^ Je länger man sich darin aufhält,

39 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 9, cap. 7,
S. 140, Z. 16-26.
40 Vgl. Ulrich KÖPF, Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux (Beitrage zur histo-
rischen Theologie 61), Tübingen 1980, S. 233. Diese Untersuchung ist für meine Ausführungen über
Bernhard grundlegend.
41 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 4, S. 150.
42 Guigues IT Coutumes de Chartreuses (wie Anm. 27), cap. 14, 5, S. 196, Z. 21-24: A<rro Aie mÜM
MTHtMr, stM^wm et^ro^ositMW nostrum est, si/eMtio et so/ttMthm ce/Je v%c<%re, i%%t%
z'AerewMe, dedeAt so/z't^rzMS, et t<%ce^z't.
43 Guigues IT Coutumes de Chartreuses (wie Anm. 27), cap. 7, 2, S. 176, Z. 4.
Annäherung an Gott im Kloster I 71

umso lieber wird man hier lebend Wilhelm von St. Thierry, der langjährige Abt ei-
nes Benediktinerklosters, der die letzten zwölf Jahre seines Lebens als Zisterzienser
zugebracht hat, trägt in seiner an die Mönche der Kartause Mont-Dieu in den fran-
zösischen Ardennen gerichteten das Hohe Lied der Zelle vor: In
der Zelle finde ein intensiverer Umgang mit dem Göttlichen statt als in der Kirche,
in der die Sakramente gelegentlich sichtbar und gestalthaft ausgeteilt werden.^ Wer
in der Zelle lebe, der habe eigentlich die irdische Zelle hinter sich gelassen und lebe
in Wirklichkeit schon zusammen mit Gott im Himmel; denn wie in ihren Namen
und cctc/ttw, so seien Zelle und Himmel auch in ihrem Wesen miteinander
verwandt. Beide scheinen nämlich ihren Namen vom Wort ceLnr (»verbergen«)
zu haben. Was im Himmel verborgen sei oder getan werde, das werde auch in der
Zelle verborgen oder getan: das Freisein für Gott und der intensivste Umgang mit
Gott (/Uh Deo)N Die Zelle sei gleichsam der Mutterleib des Kartäusers. Sie wärme,
sie ernähre, sie umschließe den Mönch als den Sohn der Gnade wie die Frucht ihres
Leibes und führe ihn zur Fülle der Vollkommenheit, mache ihn würdig der Zwie-
sprache mit GottN »Der nämlich, bei dem Gott ist, der ist niemals weniger allein
als wenn er allein ist.«^ Die Zelle sei demnach heiliges Land und ein heiliger Ort,
wo der Herr und sein Diener oft freundschaftlich miteinander sprechen, wo sich
die gläubige Seele häufig mit dem Wort Gottes verbinde, die Braut zum Bräutigam
geselle, Göttliches mit Menschlichem vereine.^ Wilhelm kann auch zwischen einer
äußeren und einer inneren Zelle unterscheiden: Die äußere sei das Haus, in dem der

44 Guigues IT Coutumes de Chartreuses (wie Anm. 27), cap. 31, 1, S. 232, Z. 7f.
45 Vgl. dazu Michaela Pi EH ER, Wilhelms von Saint-Thierry Goldener Brief und seine Bedeutung für die
Zisterzienser, in: Analecta Cistercicnsia 50, 1994, S. 3-250; und in: Analecta Cisterciensia 51, 1995,
S. 3-109; auch separat: Michaela PFEIFER, Wilhelms von Saint-Thierry Goldener Brief und seine Be-
deutung für die Zisterzienser (Pontihcium Athenaeum S. Anselmi de Urbe. Facultas Sacrae Theologiae,
Thesis ad Lauream 169), Rom 1995.
46 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre aux frères du Mont-Dieu (Lettre d'or), hg. von Jean DÉCHANET
(Sources chrétiennes 223/Série des textes monastiques d'Occident 45), 2. Aufl. Paris 1985, cap. 36, S. 172:
Et A tew^z/o ezzzw et A ce/A JzvAzz twct^zztzzr, seJ cre/zrAs b? ce/A.
47 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 31, S. 168-170: secztztJzzw/orwzzw jMro^osztz
festrz, ZwAtziMtes A c^ze/zs ^otAs zyiMw A ce Jzs, excAso % vo As toto s%eczt/o, totos tw AcAszstzs czzw
Deo. Ce/Ae szz?Mz Jew et czze/z ZzzzAAtz'o cog?z%t%e szzzzt; <y%A szczzt czzeAw <%c ce/A % J AAcew tzz'Jetztzzr
Zzzt/zere zz/z^ztzzw cogzzzztzozzew zzow Azs, sz'c etAw ^zzetzztzs. A ceAzz Jo etzzw et c<zeA w et ce/A zzowezz Az-
Z?e?*e AJent^r. Et zyzto J ceAtzzr A c^ze/zs, Zzoc et A ce JA; <yzzo J gerztzzr A czze/zs, Z?oc et A ce//zs. Qzzz Jtzzzw
Zzoc est/ VJc%re Deo, /hü Deo.
48 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 34, S. 170: Ez/Aw ezzzw gwtAe,/rzzctzzw fetztrzs
sztz ce/A/otzet, TZMtrzt, ^zw^/ectztztr et ^J^AzzztKJAew^ez/e^AzzA^erJzzczt et coJo^zzzo Dez Jzgzzztw
e//zczt.
49 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 30, S. 168: Czzw ^zzo ezzzw Dezzs est, zzzzw<yzzzzw
wAzts est soAs, ^ztzzw czzw soAs est.
50 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 35, S. 172: Ce/A terw s^zzzctzz et /oczzs szzzzctzzs est,
A zyttzz DowAzzs et sertws e/zzs szze^ze co//oczzzztzzr, szczzt Ar ^z J ^zwz'czzw szzzzw; A cre/zro^ Je/zs zzztzwzz
Ver/zo Dez cozz/Kzzgztzzr, spozzszz s^zozzso socAtzzr, terrezzzs ce/estA, /zzzw<zzzzs JzTA^z zzzzAzztzzr.
72 I Ulrich Köpf

Mensch mit Leib und Seele wohne, die innere das Gewissen, in dem unser Allerin-
nerstes, nämlich Gott, zusammen mit unserem Geist wohneA Auf wenigen Seiten,
aus denen nur einige Ausschnitte zitiert wurden, ist hier eine ganze Theologie der
Zelle als des Ortes des Umgangs mit Gott entwickelt - nicht von einem Kartäuser,
sondern für Kartäuser und zugleich für Zisterzienser von einem Zisterzienser, der
offenbar von einem Leben als Kartäuser träumt.

Strukturen der Annäherung an Gott

In der monastischen Literatur, mit der wir uns befassen, wird der Umgang des
Menschen mit Gott auf vielfältige Weise beschrieben. Alle Autoren sind sich aber
über die Grundstruktur einer Annäherung an Gott einig: Es handelt sich nicht um
eine horizontale Bewegung wie die zwischen Mensch und Mensch, im Kloster zwi-
schen Mitbruder und Mitbruder, sondern um eine vertikale Bewegung von unten
nach oben. Allerdings vollzieht sich dieser Vorgang gewöhnlich nicht in der Art der
Himmelfahrt des Propheten Elia (2. Reg. 2, 11) oder gar Jesu (Mk. 16, 19; Lk. 24,
51; Act. 1, 9), sondern gleichsam als Aufstieg auf den Stufen einer Treppe oder auf
den Sprossen einer Leiter nach dem Vorbild der Jakobsleiter (Gen. 28,12). Johannes
Klimakos, ein Sinaimönch des frühen 7. Jahrhunderts, stellt in seiner
(»Leiter zum Paradies«) den Weg zu Gott in 30 Stufen (nach den 30 Lebensjahren
Jesu bei seiner Taufe) dar, die zunächst auf 15 Stufen zum tiefsten Punkt des Lasters
hinab- und von hier wieder auf 15 Stufen zurückführt bis zur höchsten Tugend der
Liebe, aus der die Schau Gottes im Licht hervorgeht A Während sich der Aufstieg
zu Gott allmählich und unter Mühen vollzieht, kennt die christliche Tradition auch
das Phänomen einer plötzlichen Entrückung nach dem Vorbild des Apostels Pau-
lus (2. Kor. 12, 2-4), das - wie sich noch zeigen wird - in einem letzten Schritt des
Weges zu Gott gelegentlich zu erfahren ist.
Doch wenden wir uns jetzt den Autoren des 12. Jahrhunderts zu. Das wichtigste
Aufstiegsschema, das sie gebrauchen, stammt ebenfalls aus der Alten Kirche und be-
steht aus den drei Schritten der Reinigung (pM?*g<%7fo), der Erleuchtung
und der Vollendung (per/ettz'o) in der Beschauung (co^7cwp/^7zo). Vor allem Bern-
hard von Clairvaux gebraucht es ausgiebig. In seinen Hoheliedpredigten entwickelt

51 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 105, S. 226: A/zä ce/Az Zzzzt exZerzor, AzA zzzterzor.
Exrerz'or est Jowztt z'zz zyzzzt AzzAz'tzzt zzzzz'wzz tzzzz CM??? corpore tzzo; zzzterzor est eozzsczezztz'zz tzzzz, ^ztzzw z'zzAz:-
Az'tzzre JeAet owMz'zzw z'zzterz'orzzw tzzorzzzv z'zzterz'or Dezzs, ctm spzrz'tzz tzzo.
52 Vgl. Walther VÖLKER, Scala paradisi. Eine Studie zu Johannes Climacus und zugleich eine Vorstudie zu
Symeon dem Neuen Theologen, Wiesbaden 1968.
Annäherung an Gott im Kloster I 73

er es aus der Vorstellung von drei möglichen Küssen, zu der ihn das Bild Cant. 1, 1
me o^ctt/o oWs FMz) anregt: Fußkuss, Handkuss und MundkussV Diese
drei Arten von Küssen sollen auf einen dreifachen Fortschritt der Seele, drei Stufen
der religiösen Entwicklung, hinweisend die den natürlichen Entwicklungsstufen
des Menschen entsprechen: Anfänger, Fortgeschrittene und Vollkommene.^ Der
erste Schritt besteht in unserer Umkehr (ccwueTAto), in Reue und Selbstanklage.^
In einem zweiten Schritt werden wir aus den Niederungen aufgerichtet, in die uns
die Buße hinabgedrückt hat, und sollen nun die Früchte der Buße ernten: die Wer-
ke der LiebeA Erst im dritten Schritt erreichen wir das Ziel und den Höhepunkt
dieser fortschreitenden Annäherung an Gott, an dem wir die Gegenwart unseres
Gönners und Wohltäters schauen^ und sogar in einem heiligen Kuss ein Geist mit
ihm werdenV Für Bernhard ist die Annäherung an Gott also ein Vorgang, in dem
sich der Mensch nach Kräften bemüht, die Vollendung in der Kontemplation zu
erreichen, die er allerdings nicht methodisch herbeiführen oder gar erzwingen kann.
Hier ereignet sich ein Geschehen, das Bernhard in Anlehnung an das Erlebnis des
Apostels Paulus mit einem reichen Vokabular des Entrücktwerdens (excels, mpt,
mpYtm u.a.) beschreibt/" An anderer Stelle weist er ausdrücklich darauf hin,
die Entrückung des Paulus sei nicht das Ergebnis eines Aufstiegs gewesen/^ Ein

53 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 3, S. 76-82.
54 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 4, cap. 1, S. 84,
Z. 5f.: Yrz/Acezzt <yzzeztJz:w zzzzzwzzepro/ectzzzzz szzA zzozzzzzze trzzzrn o$CM/or%7?t sermo Aesterzzzzs com^z/exzzs
est; S. 86, Z. 1 k: S'zzzzt ergo At très ^Mtmttrttm V/cctzzs stve^rq/ecttzs, ex^zertzs z/zzmt^xzzt s^ztzs tzotz et ??M-
zzz/ettz.
55 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 4, cap. 1,
5. 84, Z. 9-11: Atprtwo szzzzejfzrzzzzordzYz JezYzctzzztttr zzostnze cotzverszozzzs, seczzwzYzzw ^zztezzz^zro/czetztzAzzs
zzzzYzz/getzzr, porro tertzzzzzz soAz ex^zerzetzzr et r%r%^e?Ac^o.
56 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 3, cap. 5, S. 82,
Z. 6-8: Przwo zzJpezYes^zroczJzzzzzzs et/z/ortzmzzs cortzzzz Dozzzzzzo, ^zzz/ec/t zzos, ezz t^zzzze/eözzzzzs zzos.
57 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 3, cap. 4, S. 80,
Z. 17-24.
58 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 4, cap. 1, S. 86,
Z. 3-5.
59 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 3, cap. 5, S. 82,
Z. 12f.
60 Z.B. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 18, cap.
6, S. 262, Z. 18: rtzptzzzz et ^tztzsz ttzA ^zzodtzzzz corzzsctzzzzzzze scztztzYAzAze frzzzzsezzzztzs; Bd. 6, sermo 41, cap.
3, S. 74, Z. 21 f.: Czzzzz tzzztezzz zYztzz'zzz zz/z^zzz/Y nz^tzm et ve/zztz zzz fe/oeztztte corzzscz /zzzzzzzzzs zzzter/zzxerzt
zzzezztz, s^zz'rz'tzz exceJetttz; Bd. 6, sermo 62, cap. 4, S. 330, Z. 4: $z ^ttztttdo^ez* excesszzzzz ttz^tt' z'zz tYAztzz [sc.
zzzzzz'estzztezzz Dez] cozztz'zzgzzt; Bd. 6, sermo 85, cap. 1, S. 644, Z. 3: [uzzzzzzzz] z'zzterzYzzzzz excezYz'tzzr et seceJz'tzzr
etzYzzzz % cor^orezt sezzszAzzs, zzt sese zzozz sezztzYzt, <^zzzze VerAzzzzz sezztzt. AYoc/t, czzzzz zzzezzs zzzeAzAzYz VerAz
zY/ectzz zYzz/cedzzze ^zzodtzzzzzzzozYo se szAz/zzfzttzzr, zzzzzzzo rtz^zztzzr tzt^zze e/tzAztzzr zz sez/szz, zzt VerAo /rzztztzzr.
61 Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugeniam papam, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/
deutsch, hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, Bd. 1, S. 625-827, hier lib. V, cap. 3,
S. 778, Z. 3f.: excesszzs, zzozz zzscezzszzs, zztzzzz rzzptzzzzpotz'zzs/zzü^c ^zztzzzz tzscezzzYzsse z/se se^zerAzAet.
74 I Ulrich Köpf

solcher Höhepunkt der Annäherung ist freilich nach seiner Erfahrung, wenn er
überhaupt erreicht wird, nur ganz selten und von kurzer Dauert
Auch Wilhelm von St. Thierry kennt das Schema der drei Stufen religiöser Ent-
wicklung. In seiner EpMfo/t? wendet er es nach dem Lob der Zelle auf deren
Bewohner an und leitet sie zur Annäherung an Gott an. Wie sich ein Stern vom
andern durch seinen Glanz unterscheidet (1. Kor. 15, 41), so unterscheide sich Zelle
von Zelle nach der Lebensführung ihrer Bewohner. Die Stufe »Verfassung«)
der Anfänger sei elementar sinnlich, die der Fortgeschrittenen verstandesmäßig, die
der Vollkommenen geistlich.*^ Wilhelms Absicht ist es, in seinem Lehrbrief Mönche
durch Ratschläge für ihr Verhalten und durch religiöse Übungen zu einem Aufstieg
auf diesen drei Stufen bis zur Begegnung mit Gott anzuleitenA Dafür empfiehlt
er zunächst dem Anfänger ohne konsequente Abfolge und strenge Systematik:
heilige Einfalt,^ vollkommenen Gehorsam/*" Askese/'' körperliche und geistliche
Übungen^ als Schutz gegen Müßiggang/^ tägliche Rechenschaft über das eigene
Verhalten/" das regelmäßige, aber maßvolle Gotteslob/^ die geistliche Betrachtung/^
die tägliche planmäßige Lesung der Heiligen Schrift^ verbunden mit häufiger Wie-
derholung (das charakteristische monastische »Wiederkäuen«)/^ Auch
bei den Mahlzeiten soll man sich innerlich durch Meditation, zumindest aber durch
Erinnerung an geistliche Erfahrung oder die Heilige Schrift erquicken/^ Diese For-
derung lässt sich leichter in der Zelle verwirklichen als im Refektorium, wo die

62 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 6, sermo 85, cap. 13,
S. 646, Z. 8: DrJce conüüercfMü!, seal TüOTneütMTü er exyerf?üe?!t%7ü rürüw/; Bd. 5, sermo 23, cap.
15, S. 344, Z. 20: Serf, Zzorr: et7?tor%/
63 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 41, S. 176: 77oc %%tew wotfo, sicMt stef/% <% ste/D
rfz/fert ztr cDrftüte, sic cef/<% % ce/D ft! cowuers^tiotze, mcfpfetrrfMtü scf/fcet, /trq/zcietüiMtü et^7etA<^o?-Mtü.
/t!cipiet!ti%tt! st%t%s Jici^otestüüittM/is, ^rq/zcieMtiMt?! n2tio!M/is,ye?A<7vt*%!t! syiritM%/is,' cap. 44, S. 178:
Pritntts st<%t%s cfrcü cotytts se ArzAt, secMMtAs cfrc<% üüitüMtTt se exercer, rerrfzzs trot! wfsf ft! Deo re^üfett!

64 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 195, S. 304.


65 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 49, S. 184: s%t!Ct% sittyt/icitüs.
66 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 53, S. 186; cap. 68, S. 196/198.
67 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 70 L, S. 198/200; cap. 126, S. 242: s^iritM%/M trot!
itü^ealiMt!!, serf ürf/ü^rtüt, si c%tt! r<%riot!e er Jiscreriotte/üttr; cap. 127, S. 242/244; streng gegenüber dem
Schlafbedürfnis: cap. 135, S. 248: S%spect% res est sotüttMS er ex t?z<%gtMy<%rte efzrfetütf sitüifis.
68 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 83 f., S. 208; cap. 109, S. 230.
69 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 81 f., S. 206f.; cap. 109, S. 230.
70 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 108, S. 230.
71 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 110, S. 230; cap. 114, S. 234.
72 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 115, S. 234; cap. 174, S. 282/284.
73 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 120, S. 238.
74 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 122, S. 240.
75 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 131, S. 246: Tr c%?ü 7?M7!<Ac<%s, 7ter?%rtry%r!7ü tot%s
TTMMtAces, serf corpore t%o s%<%77! re/ectioTteTü/zrocMrrrüte wens woü owüfwo szMTü üegffgüt, serf rfe me-
TüorM SM^fit^tis DoTüfwf rze/ ScriptMr<%rM7ü %fit?Mitf, ^%otf erüü^<%sc<%t werfftüürfo vef s^ftew ntenronüttfo
sec%?ü rMTüfrzet et rffgeret.
Annäherung an Gott im Kloster I 75

Benediktsregel eine regelmäßige Tischlesung vorsiehtA Eine besonders wichtige


Rolle kommt in Wilhelms Anweisungen von Anfang an dem Gebet zu, in dem man
sich Gott nähert, damit Gott einem nahekommtV Das Gebet^ hat je nach dem
Bedürfnis des Betenden verschiedene Gestalten, zu denen man angeleitet werden
mussV Bei allen Fortschritten, die man von einer Stufe zu einer höheren macht,
muss immer bedacht werden, dass die Weisheit nach Sap. 6, 14 denen zuvorkommt,
die sie suchen. Mit Worten, die an die Lehre vom »Unbewegten Beweger« in Me-
taphysik A des Aristoteles erinnern, beschreibt Wilhelm, wie Gott den, der ihn
anschaut, bewegt und voranbringt und wie die Schönheit des höchsten Gutes den
anzieht, der es betrachtet.^" Kennzeichnend für den christlichen Autor ist freilich,
wie er die Rolle der Gnade bei der Annäherung des Menschen betont.^ Die ein-
gehenden anthropologischen und psychologischen Überlegungen, die Wilhelm in
diesem Zusammenhang anstellt, können hier nicht dargestellt werden. Doch soll
noch ein Blick auf die Vollendung der Annäherung an Gott geworfen werden. An
einem gewissen Punkt, wenn der Wille des fortschreitenden Menschen zur Liebe
wird, ergieße sich durch Vermittlung der Liebe der Heilige Geist in ihn und füh-
re ihn zur höchsten geistlichen Erfahrung.^ Gleichgerichtetes Wollen mache den
Menschen Gott ähnlich.^ Darüber hinaus spricht Wilhelm aber auch deutlich von
einer willensmäßigen, durch Liebe (tAAc/io) bewirkten Einung des Menschen mit
GottV Neben der Ähnlichkeit mit Gott könne der Mensch durch Einwirkung des
Heiligen Geistes eine Einheit mit Gott erreichen, die mehr sei als eine Einheit des
gleichen Wollens: vielmehr auch eine des Vermögens die eine Einheit des
Geistes darstelle.^ In immer neuen Anläufen beschreibt Wilhelm diese Einung, die

76 Regula Benedict! (wie Anm. 4), cap. 38, S. 128/130.


77 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 169, S. 278: Jocezz Azs est etzzzzyz <%72Z77M/zs zTzczpzeTzs
et CArz'stz tyrztTzezz/zzs Deo zzppropzTz^ztzzre, %t et Dezts <tppropz72zyzzet ez.
78 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 179, S. 288: Orzztzo uero est /zoznzTzzs Deo zzJTzzz-
erezztzs V/Küo et A^tYzArzs ^ztzzeJzzw etpz/z <%//oc%tzo et stzttzo zY&zrzzzzzzt^e zzzezztzs Deo
zytMTMt/zM /z'eet.
79 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 176-186, S. 286-294.
80 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 195, S. 304: A ezzzzzz Dezzs 'uzz/tzz szto se
ZMtzzezttew, wovet etprowovet, et ztttnzA't speezes sztwmz Azzz se cozztewyD^^w.
81 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 196, S. 304: Czz772^zze TUtzoprq/zczeTzJo z'zz zzworew
SMfSMTM zzseewJz't et zzTTZzZTZtz et Jeszz/erztzttz gTtztz'zz cozzJeseezzJzt, ztzzztw szzeye^zMzzt, zyzzzze Azos z7/os stzztzzs
e/At'%Mt, zyttzte SMMt ttztz'o et zzznor, et <^zzzte ex ez's e/Az'%73t%y*, sczYz'cet szzpz'ezztM et sezentzh.
82 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 249, S. 342.
83 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 258, S. 348.
84 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 257, S. 348.
85 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 262, S. 352/354: ezzzTz^t Aomo zzzzzzTTZ cztw Deo,
M72MS S/7Z7*z'tMS, 72072 tzZTZtMTTZ MTZZtzZte z77eTT2 To/eTZt/z, $e<7 e%p7*ettZ07*e zyMzuAzTTZ verz'tzzte VZ7*tMtZS, SZCMt ;/z772
Jz'ctM772 est, zz/z'zzz/ ve//e 72072 vzz/eTtJz.
86 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 263, S. 354.
76 I Ulrich Köpf

von Seiten des Menschen vor allem durch die Liebe zu Gott bewirkt werde.^ Der
Mensch Gottes werde zwar nicht Gott, aber er werde durch Gnade das, was Gott
von Natur aus ist.ss
Gegen Ende seiner den Mönch in schwindelerregende Höhen führenden speku-
lativen Darlegungen gebraucht Wilhelm für den Aufstieg des Menschen aber auch
noch eine weit elementarere Formulierung auf der Erkenntnisebene: Der Mensch
beginne, sich selbst vollkommen zu erkennen, durch die Selbsterkenntnis voran-
zuschreiten und zur Erkenntnis Gottes aufzusteigenN Mit der Formulierung des
Zusammenhangs zwischen Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis greift Wilhelm
einen Gedanken auf, der weit in die Antike zurückgeht,aber durch Bernhard von
Clairvaux in besonderer Weise vertieft und zu einem systematischen Strukturprin-
zip seines theologischen Denkens gemacht wurde A In der Auslegung von Cant. 1,7
entwickelt Bernhard in den eng miteinander zusammenhängenden fünf Hohelied-
predigten 34 bis 38^ die spannungsvolle Beziehung zwischen Selbsterkenntnis und
Gotteserkenntnis.^ Selbsterkenntnis sei die notwendige Bedingung für Gotteser-
kenntnis, die wiederum Voraussetzung für einen Aufstieg zu Gott bis zur unmit-
telbaren Begegnung, der Erfahrung Gottes im Schmecken seiner Süße (Ps. 33, 9),
sei. Mit diesem Vorgang auf der Erkenntnisebene ist eine monastische Grundtu-
gend aufs engste verbunden: die DemutN Bezeichnenderweise lässt Wilhelm von
St. Thierry seine Schilderung des Aufstiegs zu Gott in der elementaren Forderung
nach Demut enden. Voraussetzung für die Schau Gottes, des Unaussprechlichen,
sei das reine Herz eines demütig LiebendenN Wir seien zwar ganz und gar unfähig,
Gott durch unser Denken zu begreifen; aber Gott habe Nachsicht mit uns, die wir

87 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 275, S. 364: Czzz ^ozzo, zzzzzore z^szzzs Azzz, szc se
zzztezzJzt^zzzs 7?o?3 sc h? Je revocet, Jozzec zzzzzzzzz tze/ zzzzzzs czzzrz eo yzzrztzzs JztcrJ e^ectzzs.
88 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), 263, S. 354: czzm moJo zzzeAä/J/z, zzzcogzüzA/z, Jzerz
weretzzr Aozzzo Dez zzozz Dezzs, se J tzzwezz zyzzoJ est Dezzsz Zzomo ex gr^tzä, zyzzo J Dezzs ex zzzztzzm.
89 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 289, S. 376: zzt zzzcz^zhr /zozrzo^zer/ecte zzosse sezp-
szzzrz et^er cogzzzYzozzerzz szzzyzrq/zczezzJo, zzscezz Jere zzJ cogzzoscezzJzzztz Dezzm.
90 Pierre CouRCELLE, »Connais-toi toi-même« de Socrate à Saint Bernard, 3 Bde., Paris 1974/1975.
91 Da Bernhard die Hohcliedpredigten 34-38 bald nach der Rückkehr von seiner dritten Romreise 1138, mit
Sicherheit aber bereits längere Zeit vor den 1143 entstandenen Predigten 65-66 verfasst haben dürfte, hat
Wilhelm sie vermutlich von ihm in die 1144 vollendete Epistola aurea (Jean DÉCHANET in: Guillaume de
Saint-Thierry, Lettre [wie Anm. 46], Introduction, S. 26) übernommen.
92 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, S. 538-590.
93 Knappe Analyse bei Ulrich KÖPF, Einleitung, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke lateinisch/
deutsch, hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, Bd. 5, S. 27-47, hier S. 39f.
94 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 34, S. 538-
544.
95 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 296, S. 382: Doc ergo zzzeAJ^Je, czzm ZZOMZZZSZ
zzzeAz^JJer w'Jezztzzr, z?zzz vzz/t fz'Jere cor ZTZzzzzJet; zyzzz/z zzzzAz cor^orzs szzTzz/z'tzz Jzzze Jorwzezztz, zzzz/Lz
cor^zorez: sneeze tzz'gzDzztz, zzzzAz rzztzozzzs zzzJzzgzzze, zzzsz mzzzzJo cor Je /zzzzTzzVzter zzzzzzzzztzs vzJerzJzotest ve/
zz^preAzzJz.
Annäherung an Gott im Kloster I 77

ihn heben und zugleich bekennen, nicht über ihn reden und nachdenken zu können.
Durch seine Liebe und unsere Gegenliebe werden wir zum Reden und Nachdenken
über ihn veranlasst.^ Doch im Wissen um seine Schwäche müsse der Mensch sich
selbst demütigen und auch in der Kontemplation, am Höhepunkt seines Aufstiegs
zu Gott, sich selbst gering werdenV
Mit der Demut stoben wir auf eine grundlegende monastische Tugend, der in der
Benediktsregel ein eigenes, umfangreiches Kapitel gewidmet ist und deren Ideal im
Übrigen die ganze Regel durchzieht. In Kapitel 7 der Regel wird sie in zwölf Ge-
stalten als Aufstiegsschema mit zwölf Stufen aus dem Bild der Jakobsleiter entwi-
ckelt. Die aufgerichtete Leiter sei unser Leben in der »Welt«, das durch Gott selbst
zu einem Aufstieg in den Himmel gemacht werde, wenn unser Herz demütig sei.^
Dieser Aufstieg finde statt über die Stufen von Gottesfurcht, Aufgabe des Eigenwil-
lens, Gehorsam gegenüber dem Oberen, Gehorsam auch gegenüber unangenehmen
Aufträgen, Offenbarung aller Gedanken gegenüber dem Abt, Zufriedenheit selbst
mit dem Geringsten, innere Überzeugung von der eigenen Wertlosigkeit, Handeln
allein nach der Regel und dem Vorbild der Älteren, Schweigsamkeit, Zurückhal-
tung mit Lachen, kurzes und bescheidenes Reden und schließlich Demut nicht nur
im Herzen, sondern auch im gesamten Verhalten. Diese Aufzählung bildet zwar
keineswegs eine systematische, hierarchisch geordnete Stufenfolge von Verhaltens-
weisen, sondern stellt einfach verschiedene Aspekte nebeneinander. Auf jeden Fall
meint aber die Regel, wenn der Mönch alle genannten Stufen erstiegen habe, gelan-
ge er zu einer Liebe zu Gott (c<%yA<%.y DH), in der er seine Pflichten nicht mehr aus
Furcht vor der Hölle, sondern in der Liebe zu Christus (ttwor C^tAH) aus guter
Gewohnheit und Freude an den Tugenden erfülle.^ Ziel der Annäherung an Gott
auf den Stufen der Demut ist für die Regel also die Vollendung in der Liebe.
Bernhard von Clairvaux hat in seiner frühesten Schrift De gntAAtts
/A et $%pe?ÄMe^°° von 1124 in gewisser Weise einen weiterführenden Kommentar
zu Kapitel 7 der Benediktsregel verfasst. Darin fügt er einem ersten Teil über den
Aufstieg auf den Stufen der Demut im allgemeinen, über seine Voraussetzungen
und Bedingungen (Kap. 1-26) einen zweiten über den Abstieg auf den Stufen des

96 Guitlaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 299, S. 384: Ad z?Mod cogztM72dM7rz 0272722720 2772pM-
ret sed zgTzotczt <yMe272 <2777<%772Ms et de dzg?2e 720s 72072 potse *ae/ dzeere *&e/ cogzAtre eoTt^ztezrzMr,'
et tz2722e72 Mt dzC%272MS, Mt COg2t%222MS, <%7720re e7MS Ve( %7720re <277207*M ejMtprO'&OCMTTZMr et tfAtTTZMT*.

97 Guittaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 299, S. 384: CogztzzTZtzs ergo ett 272 ozrztzAMt
AMTTzdMre $e2ptM7?2 et g/orz/zc%re Az sezpso D0272272M22Z DeMtzz sMMzzz; z?2 cozzteTTzpDtzoTze Dez td/etcere tzYd.
98 Reguta Bencdicti (wie Anm. 4), cap. 7, 8, S. 80: fero zpM erectzz 720itr% est tdtzz 272 tzzecM/o, ^Mzze
^MTrzzYzzzZo eorde <% D07722220 erzgztMr %d czze/Mzzz.
99 Reguta Bencdicti (wie Anm. 4), cap. 7, 67-70, S. 88.
100 Bernhard von Ctairvaux, De gradibus humiiitatis et superbiae, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/
deutsch, hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, Bd. 2, S. 38-131.
78 I Ulrich Köpf

Stolzes, des Gegenteils der Demut, an (Kap. 28-56). Das Scharnier zwischen beiden
Teilen bildet Kapitel 27, in dem der Verfasser unter Berufung auf die Bewegung
der Engel auf der Jakobsleiter darlegt, dass Aufstieg und Abstieg dieselbe Struk-
tur haben und dieselben Stufen benutzend^ Deshalb beschreibt er im zweiten Teil
die wohlbekannten Stufen des Stolzes so, dass der weniger bekannte Aufstieg in
der Demut leicht daraus abgeleitet werden kannd°^ Im Übrigen verbindet er das
Aufstiegsschema der Benediktsregel mit den drei natürlichen Stadien der religiösen
Entwicklung: den Stufen der Anfänger, der Fortgeschrittenen und der Vollkomme-
nen.^ Die Vollkommenen leben in der Kontemplation; die Vollendung des Weges
der Demut vollzieht sich in der Erkenntnis der Wahrheit bei Gottd°^ Dadurch ver-
bindet Bernhard den Aufstieg auf den drei Entwicklungsstufen zugleich mit dem
Weg zur Wahrheit, in dessen Mittelpunkt für ihn unter verschiedenen Aspekten die
Selbsterkenntnis steht - jene Selbsterkenntnis, die in ihrer unlösbaren Verbindung
mit der Gotteserkenntnis ein zentrales systematisches Element seiner monastischen
Theologie bildet. So kann die Annäherung an Gott geradezu durch eine von Demut
geprägte Selbsterkenntnis geschehen, die sich grundlegend von dem aristotelisch
geprägten Erkenntnisweg der Scholastik unterscheidet. Ein zweiter Weg geht über
den Affekt, der den Menschen zur Einfühlung in die Wahrheit im Nächsten führt,
ein dritter schließlich zur Betrachtung der Wahrheit in ihrem Wesen die
in der Entrückung, dem erreicht wirdd^ Diese sublime
Verbindung verschiedener Aufstiegsschemata zeigt den Zisterzienser als spekula-
tiven Theologen.
Doch Bernhard kennt auch noch andere Gestalten des Aufstiegs als Weg zu
Gott, die hier nur kurz erwähnt werden sollen. In seiner späten Schrift De co?z-
für Papst Eugen 111.'°^ formuliert er eine Anleitung zur Betrachtung
(cowz als einem angespannten Nachdenken zum Aufspüren der Wahrheit.^
Als Gegenstände dieser Betrachtung empfiehlt er dem Empfänger vier Themen:
erstens den Betrachtenden selbst, seine natürliche Beschaffenheit, seine Person und

101 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 27, S. 86, Z. 12-15: zzJezTZ wzzt
Z2SCC72 Je72t222772 272 So/z22722 et Jesce72t(e72t222722, et e<! Je272 Vz'% %CCeJe72t2%772 <3 J C2f2t<2te7?2 et 2*eceJe72t2M 772, et

2272 22722 OttZ22722 ett 272 g7*ezie72t 222772 Jo77222772 et eg7*eJe72t222722. Per 2272<%772 Je722 ^22e 5C%/<!772 <%tce72;ie72tet <272ge/z

et JeteettJezttet P%co^7 ztp^MT'tzerzzTzt.


102 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 57, S. 128-130.
103 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 4f., S. 50-52.
104 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 5, S. 50, Z. 24; S. 52, Z. 3f.: Deztz^zte szezzt
^zzzz't /egz's C^7*z'tt22t, AztTzzzYz't^tzY cogzzz'tz'o -ue7*z't^tzY.
105 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 5, S. 50, Z. 22- S. 52, Z. 6; cap. 19, S. 74.
106 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), S. 625-827.
107 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. II, cap. 5, S. 414, Z. 7f.: eoztszJer^tzo
<222te772 272te72M VettZgzZTttizZTTZ COgZtzZtZO fe/ 272te72S20 <27227722 î7eSt2g<272tM Ve7*22772.
Annäherung an Gott im Kloster I 79

sein sittliches Verhalten,'^ zweitens das, was unter ihm, drittens was neben ihm
und viertens was über ihm ist.'°^ Der Denkhgur von Selbsterkenntnis und Gottes-
erkenntnis entsprechend beginnt der Weg bei der Selbstbetrachtung, die sich zu ein-
gehenden Anweisungen über die Amtsführung des Papsts ausweitet."° Er endet in
der Betrachtung dessen, was über ihm ist, also des göttlichen Bereichs. Dabei unter-
scheidet Bernhard drei Arten der Betrachtung: eine verwaltende (dispeeine
abschätzende und eine beobachtende In der letzteren
sammelt sich die Betrachtung in sich und macht sich von menschlichen Dingen frei,
um Gott anzuschauen (<%J Dettw).'" Bei der Betrachtung Gottes
und der Engel unterscheidet Bernhard wiederum eine zu seiner Zeit geläufige,
auf Platon'^ zurückgehende Abfolge von drei abgestuften Weisen rationalen Zu-
griffs: Meinung, Glauben und Einsicht, wobei sich die Einsicht auf die Vernunft,
der Glaube auf Autorität, die Meinung aber auf bloße Wahrscheinlichkeit stützt."^
Eine andersartige, emotionale Weise der Annäherung an Gott beschreibt Bern-
hard in seiner Abhandlung De Deoö^ Hier entwirft er eine Hierarchie
von vier Stufen der Liebe, eines der vier natürlichen Affekte:'"' 1. die fleischli-
che Liebe, mit welcher der Mensch vor allem sich selbst um seiner selbst willen
liebe,2. die Liebe zu Gott, aber nicht um Gottes, sondern vorerst um seiner selbst
willen,"s ß. die reine, uneigennützige Liebe zu Gott um Gottes willen, in welcher

108 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. II, cap. 7, S. 670, Z. 5f.
109 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. II, cap. 6, S. 668, Z. 10-12.
110 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. II, cap. 8-lib. Ill, cap. 23, S. 670-772.
111 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. V, cap. 4, S. 778, Z. 10-17.
112 Vgl. z. B. Hugo von St. Victor, De sacramentis Christianae hdei, hg. von Rainer BERNDT (Corpus Victo-
rinum. Textus historici 1), Münster 2008, lib. I, pars 10, S. 226, Z. 14-16: Jz Jet Jz^zzztzzr. tz <y%ztjJezzzzw
ztcgezzew/ew Jz^zttttfozzew^Jez tzgzzzzre zto&erzt Jzcerepotett. Jz Jew ette eertztzzJzzzew zyzzzzzzJzzw zzzzzwz
Je re^ztt zz^tezttzJzztt. tzt^m opzAzozzew eZ zzzA? tezerztzTzw cozzttztMütw.
113 Bei Platon ist die Abfolge der Erkenntnisweisen allerdings viergestuft; vgl. Platon, Politeia 511d-e oder
533e-534a, in: Platonis opera, hg. von John BuRNET, Bd. 4, Oxford 1957.
114 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. V, cap. 5, S. 780, Z. 16-22: [Dezzt] et
z?%z cttw eo tzzzzt T*e%tz t^z'rz'tzzt, trzAzzt wo Jz't, tze/zztz tdz't totz'Jew, ztottw tzzzzt cozztz'Jewtzozze vettzgzzzz Jz,
ojzzzzzozze, Jz Je, z'zzteF/ectzz. Qztorztw z'wte/JectMt wtz'ozzz ztzzzz'tz'tzzr, Jz Jet zzzzetorz'tzztz, ojzzzzzo to/zz tzerz tz-
wz'/z'tzzJz'zze te tzzetzzr. TAzAzzt z'Az Jzto certzzw tzerz'tzztew, teJjzJet e/ztzztzzw et zzzvo/zttzzw, z'zzte//zgezztzä
zzzzJzzw et wrzzzz/e^tzzw,* ceterzzw o^zzzzzo, certz ztz'Az/ ^zz^ezzt, tzerzzwjzer verz tzwi/zä ^zzzzerz'tpotz'zzt ^ztzzw
zz^reAezzJz't.
115 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. von Ger-
hard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, Bd. 1, S. 74-145.
116 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo (wie Anm. 115), cap. 23, S. 112, Z. 6: Awor ett zzAbetz'o
ztzztzzw/z't %ZM Je ^ztzztztor. Zu Bernhards Auffassung der Affekte vgl. Ulrich KÖPF, Die Leidenschaften
der Seele im Werk Bernhards von Clairvaux, in: Passiones animae. Die »Leidenschaften der Seele« in der
mittelalterlichen Theologie und Philosophie, hg. von Christian ScHÄFER/Martin THURNER (Veröffent-
lichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie
53),2.Aufl. Berlin 2013, S. 91-133.
117 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo (wie Anm. 115), cap. 23, S. 112, Z. 13 f.
118 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo (wie Anm. 115), cap. 26, S. 116, Z. 16f.
80 I Ulrich Köpf

der Mensch koste, wie süß der Herr istß^ und 4. eine höchste Stufe, auf welcher der
Mensch sich selbst allein um Gottes willen liebe und trunken von göttlicher Liebe
sich selbst vergesse und mit Gott ein Geist werde. Eine solche Erfahrung werde
dem Menschen in diesem Leben selten oder nur einmal zuteil, ganz rasch und kaum
einen Augenblick langA°
Hat Bernhard in seinen verschiedenen Aufstiegsschemata versucht, das gesamte
religiöse Leben in einer Reihe von Stufen zu erfassen, so soll zum Schluss noch
das Schema eines bereits auf hohem Niveau beginnenden Wegs zu Gott vorgestellt
werden. Guigo IL, der neunte Prior der Grande Chartreuse, beschreibt in seiner in
den späten siebziger oder frühen achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts entstande-
nen Je oder das geistliche Leben des
Menschen in den vier Stufen der /ec/io, meJzAtAo, on%7to und die er
in den folgenden Kapiteln mehrfach definiert. So bezeichnet er etwa die /ettio als
sorgfältige, engagierte Durchsicht der Heiligen Schrift, gewissermaßen einer festen
Nahrung, die von der mcJtAtAo gleichsam gekaut und zerkleinert und vom Gebet
geschmeckt werde, während die Kontemplation im Genuss der geschmeckten Süße
bestehe.^ In einer späteren stellt Guigo noch einmal dar, wie die
vier Stufen miteinander Zusammenhängen: Der Aufstieg beginne mit der Lesung
als Grundlage; sie biete uns Stoff und führe uns zur Meditation über ihn. Diese un-
tersuche sorgfältiger, was erstrebt werden solle, und finde und zeige gleichsam den
ergrabenen Schatz, könne ihn allerdings nicht festhalten. Das Gebet, das sich mit
allen Kräften auf Gott richte, erreiche den ersehnten Schatz, während die Kontem-
plation die verlangende Seele mit dem Tau der himmlischen Süße reichlich tränke.
Die Lesung als äußere Übung entspreche der Stufe der Anfänger, die Meditation
als innere Einsicht der Stufe der Fortgeschrittenen, das Gebet als ein Sehnen der
Stufe der Frommen und die Kontemplation, die alle Sinne übersteige, der Stufe der
Seligen.Guigo II. schiebt also in das klassische dreistufige Entwicklungsschema

119 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo (wie Anm. 115), cap. 26, S. 118, Z. 3-27.
120 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo (wie Anm. 115), cap. 27, S. 120, Z. 18-20: Et sz zyMzJem e
ztzortzz/AMS <yMzspAw zzt/ z7AJ rzzptzA AterzAm, Mt JzetMzrz est, et %<7 wozTzezztMW MzAzzttztMr, SMAto
AA<7et t%eCM7M77Z 7?e<yM<37?2.

121 Guigues II le Chartreux, Epistola de vita contemplativa (Scala claustralium), in: Lettre sur la vie contem-
plative (L'échelle des moines). Douze méditations, hg. von Edmund CoLLEDGE/James WALSH (Sources
chrétiennes 163/Série des textes monastiques d'Occident 29), Paris 1980, S. 82-123, hier cap. 2, S. 82-84.
122 Guigues II le Chartreux, Epistola de vita contemplativa (wie Anm. 121), cap. 3, S. 84/86: Eeetzo pMMSZ
So/z/A??? Cz7*MZ7Z OfZ MppOTZZt, TTZeJztMtZO 77MStZC<2t etOrzZtZO SzZpOreZTZ ^C^MZrz't, COTZteWpAtZO est ZpSM
zA7ceJo, ^MMe^'ocMTznGt et re/zezt. Eeetzo A cortzce, meJztzttzo A %Jzpe, or%tzo A z/esAerzzpostMAtzozze,
eozztezrzpAtzo A ^Aeptzze zA/ceJAzs z/e/ect^tzone.
123 Guigues II le Chartreux, Epistola de vita contemplativa (wie Anm. 121), cap. 12, S. 106/108: 7/t ergo
^MMe Jz^AsAs Jzctzz SMMt szAM/7Mzzet<% me/As tu/AzzntMr, pr%eJzctorM77z SM7?z?72%77z rec%pztMA?Ao co//zg%-
7?2Ms. SzcMt Apr^ezTzzsszspweMotzztMT^ est exemp/zs. tzzJere potes zyMomoJoprzzeJzctz gr%zAs szA AArem
coTzMerezzzzt; etszcMt tezTzporzz/zter, zt% et c%MS%/ztersepr%eceAz72t. Eeetzo ezzzA ^M^sz/M^^^^tztMZTZprz-
Annäherung an Gott im Kloster I 81

vor die letzte Stufe mit der dcro/fo eine weitere Stufe ein, die es ihm erlaubt, die An-
näherung an Gott differenzierter zu betrachten. Die höchste Stufe führe schließlich
zur Schau Gottes in Zion (Ps. 83, 8).^

Rückbiick

An einer Reihe von Modellen der religiösen Entwicklung und des Aufstiegs bis zur
Schau Gottes und der Einigung mit Gott haben wir gesehen, wie sich das Reform-
mönchtum des 12. Jahrhunderts vor dem Hintergrund traditioneller Entwürfe die
Annäherung an Gott vorstellt. Dabei handelt es sich freilich um theologische Dar-
legungen, deren Bezug zur gelebten Wirklichkeit im Kloster schwer abschätzbar ist.
Echte Erfahrungsberichte finden wir dabei selten, auch bei Bernhard von Clairvaux,
der so viel von Erfahrung spricht und gelegentlich auch auf gemachte Erfahrungen
zurückgreift, die ihn mit seinen Mitbrüdern verbinden. Allerdings liegt der größte
Schatz an Erfahrungen, aus dem er schöpft, in der Heiligen Schrift. Er weiß auch
vom Versagen des Mönchs in einem durch die Benediktsregel vorgegebenen Tages-
lauf, der trotz aller Regelungen genügend Raum für die Entfaltung persönlicher
Eigenarten und damit auch für Abweichungen von den geistlichen Aufgaben und
dem höchsten Ziel einer Annäherung an Gott lässt. Wenn der Kartäuser Guigo E
in seinen zur Gotteserkenntnis in der Zelle anleitet,dann sind ihm
doch die Grenzen dessen bewusst, was Menschen erreichen könnend^ Trotz die-
ser Einschränkungen lässt sich feststellen, dass man sich im Reformmönchtum mit
allen Mitteln, die sich aus der Benediktsregel wie aus einer innovativen Gestaltung
des monastischen Lebensform durch die Kartäuser ergaben, durch verschärfte As-
kese und durch differenzierte Anleitung zum Aufstieg, höchst aktiv um eine An-
näherung an Gott bemüht hat. Dennoch bleibt trotz aller Metaphorik des freund-
schaftlichen Gesprächs und bräutlichen Umgangs mit Christus bis hin zu Bildern

77222 066227*22, 62 77222267*272 772 2 2 22 2 7205 72t/ 772e2/227222072e772. AfedzAzno 272222/ T2pp626722/22772 522 2/2/2g67722225
272 ^2227*22, 62 2722225/ 6^02/26725 2/76522227*22 772 2 72 27e 72 2 2 e2 052e722//2,' 5et/ 622772 p67* 56 o/72272e7*6 72072 2772/6722, 772 2 2 27 2

7205 222/ 0722220726772. 07*2222 0 5 6 20225 2727*2/7225 222/ De2277Z e7*2g6725 2772^7627*222 2/76522227*22772 2/6522/67*^/72 /6772, 60722-

6772p/222207225 5227227222226772. Pf7266 722/ï767226725 ^77*%e2/2C20 7*22772 27*222772 /22/707*6272 2*6772227267*222, 2/22722 606/65225 7*076

2/27/C62/22225 7272 7 772T2772 522267226772 2726/77*2722. P66220 e52 56622722/22772 ex2e?*222 5 eX67*622222272, 77262/2272220 5e622722/22772

272267207*6772 2722e//e6222772, 0772220 56622722/22772 2/6522/67*222772 , 60722e 772p/72220 522^77*72 0772726772 5672522772. P7*2772225 g7*72-

2/225 e52 272677726722222772, 56622722/225 ^77*0^626722222772, 267*22225 2/eV0207*M772 , <722727*222 5 /7eT2207*22772.

124 Guigues II le Chartreux, Epistola de vita contemplativa (wie Anm. 121), cap. 14, S. 114, Z. 377-380.
125 Z.B. Guigues 1^ Prieur de Chartreuse, Les méditations (Recueil de penseés) (Sources chrétiennes 308/
Série des textes monastiques d'Occidcnt 51), Paris 1983, meditatio 373, S. 242.
126 Guigues 1^ Prieur de Chartreuse, Les méditations (wie Anm. 125), meditatio 329, S. 214: Set/ 72e 772 0
e22772 [56. D622272] 0772722720 2722027202/0 62 ^227272222772 t/e/?62 7277272T*ep02e52, 72252 2722Z e22 772 <72272/25 e2 ^227272 2 22 5 652

2767^6622552772 6 720^6722. -Set/ Z?06 /âc?Y 72e7720 72252 2p5e.


82 I Ulrich Köpf

der Vereinigung nach Meinung aller Autoren der letzte Schritt der Annäherung
unverfügbar. Diesen Schritt müssen Christus oder Gott auf den Menschen hin tun,
»das Wort« muss zu ihm kommen, muss in ihn eintreten, während er schweigend
auf dieses Ereignis wartet.^

127 Vgl. z.B. Bernhard von Clairvaux, Corpus epistolarum, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/deutsch,
hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, Bd. 3, epistola 228, 2, S. 238, Z. 19-21:
$ede^o et szYe^o, si experMr, de pfe7?it%dwe btttTTMe s%%tdt<ttz's s%73ct%s Prop^et% er%ct%t.*
ßo7!%77! est, 27t<7%ie7tt, expectore DowzMrtm m sdeMtio (Thren. 3, 26).
Place, Analogy, and Transcendence
Bonaventure and Bacon on the Franciscan Relationship to the World

"Since everything that is in motion is moved in some place, it is obvious that


one has to grant priority to place, in which that which causes motion or is
acted upon will be. Perhaps thus it is the hrst of all things, since all existing
things are either in place or not without place.

This text from the Neo-Platonic philosopher Simplicius' (6^ century CE) commen-
tary on Aristotle's "Categories" reflects the view of Archytas (5^ century BCE), a
contemporary of Plato, on place. Referred to as the "Archytian Axiom" in contem-
porary literature^ this dictum maintains the inseparability of being from place, and
the subordinate significance of space. To be out of place or to be without a place is
to be non-existent, and therefore without identity. This abstract philosophical lan-
guage may seem to be "out of place" when analyzing transcendence and innovation
in medieval religious communities, especially with regard to the "Minorites" or
"Poor Men from Assisi." Nevertheless, this essay contends that place, or /oc%s in
Latin, is essential to understanding Franciscan identity in the world and the efforts
of Bonaventure and Bacon to elucidate their innovative perspectives vis-à-vis tran-
scendence through differing positions regarding analogical reasoning.

1 Quoted in Edward S. CASEY, Getting Back into Place. Toward a Renewed Understanding of Place-World
(Studies in Continental thought), Bloomington 2009, p. 14. For the translation, see Simplicius, In Aristo-
telis Categorias Commentarium, as translated (in part) in: The Concept of Place in Late Neoplatonism,
cd. Shmuel SAMBURSKY, Jerusalem 1982, p. 37. On the various interpretations of topos and <r^ô?t2 in early
Greek thought, see Keimpe ALGRA, Concepts of Space in Greek Thought (Philosophia antiqua 65), Leiden
1995. For late antiquity and the early medieval period see L. Michael HARRINGTON, Sacred Place in Early
Medieval Neoplatonism (The New Middle Ages), New York 2004. Casey's intellectual project aims to re-
trieve the ancient-medieval primacy of place, in contradistinction to the modern-contemporary privileging
of space and time in contemporary phenomenology. For a concise summary of the hermeneutic, see Edward
S. CASEY, Getting from Space to Place in a Fairly Short Stretch of Time in: Getting Back into Place. Toward a
Renewed Understanding of Place-World (Studies in Continental thought), Bloomington 2009, pp. 317-348.
2 CASEY, Getting Back into Place (note 1 above), p. 313.
84 I Timothy J. Johnson

Francis of Assisi rejected the prevailing monastic practice of /ocz as a


defining characteristic of religious life, but he clearly evinced a deep appreciation
for /ocMi. Variations of the word appear fifty-two times in his writings but the term
for space, is absent/ Many of his references to are linked to hermit-
ages and other dwellings of the brothers, but it is striking that numerous texts also
concern the location and veneration of the Eucharist and Sacred Scripture. When
speaking of these touchstones of transcendence he notes, "For we have and see
nothing bodily of the Most High in this world except His Body and Blood, His
names and words through which we have been made and redeemed from death to
life."'* Francis encountered and embraced the in-breaking of the divine in the ma-
teriality of bread, wine, and written words, which are grounded by the immanency
of specific places. In the presence of this divine condescension, Francis urged his
brothers to follow the footsteps of the poor Christ, who is revealed among them
as poor, and enflesh a humble stance of obedient service toward the entire material
world, animate and inanimate creatures alike/ Matter mattered for Francis, not
abstract, reified matter in space and time, but each, particular, material creature that
reflects the divine creator in a specific /oc%$. His magnificent m/z/
for example, boldly proclaims "Praised be You, my Lord, with all Your creatures,
especially Sir Brother Sun, Who is the day and through whom You give us light.
And he is beautiful and radiant with great splendor; and bears a likeness of You,
Most High One.
This essay will briefly explore how two thirteenth-century confreres of Francis,
Bonaventure of Bagnoregio and Roger Bacon, approach the question of transcend-
ence that is foregrounded in differing interpretations of and the nuanced ap-
plication of what may be considered the "analogical imagination."*^ Although Paris
is indeed far afield from Assisi, it is still possible to hear echoes of the Poverello's
passion for God's creation in these two Parisian masters, as well as perceive the
trajectory of his longing for the Most High in the writings of the Doctor 5er<%p^zcMJ
and the Doctor AfmzMzV

3 Opuscula sancti Francisci, Scripta sanctae Clarae, ed. Jean-François GoDET/George MAiLLEUX, in: Cor-
pus des Sources Franciscaines, vol. 5 (Informatique et étude de textes 6,5), Louvain 1975, pp. 147f.
4 First Letter to the Clergy, in: Francis of Assisi, Early Documents, cd. Regis J. ARMSTRONG/John A. Wayne
HELLMANN/William J. SHORT, vol. 1: The Saint, New York/London/Manila 1999, p. 52.
5 Timothy J. JOHNSON, Francis and creation, in: The Cambridge Companion to Francis of Assisi, ed. Mi-
chael J. P. ROBSON, Cambridge 2012, pp. 144-146.
6 The Canticle of the Creatures, in: Francis of Assisi, Early Documents, ed. Regis J. ARMSTRONG/John A.
Wayne HELLMANN/William J. SHORT, vol. 1: The Saint, New York/London/Manila 1999, p. 113.
7 David TRACY, The Analogical Imagination. Christian Theology and the Culture of Pluralism, New York
1989, p.429.
Place, Analogy, and Transcendence I 85

Bonaventure of Bagnoregio (c. 1217-1274)

In medieval Christianity, place, analogy, and transcendence are inseparable from


the doctrine of creation ex mTh/o. While Genesis presents a story that echoes other
ancient accounts of the divine fashioning existing chaos into ordered homogeneity/
theologians in the early and medieval church such as Bonaventure insisted on a cre-
ation narrative that affirmed the cosmos emerging from nothing through the power
of a transcendent God/ No sustained, practical credence was given to Aristotelian
teaching regarding the eternity of the world, and the first cannon of the Fourth La-
teran Council confirmed the ex principle as doctrine. Consequently creatures
are utterly dependent on the Creator at the level of being and continually face the
fear of reverting back into non-being; furthermore, any attempt to speak of crea-
tures in relationship to the Creator must acknowledge that the two are more dis-
similar than similar.'" This ontological divide between creature and Creator, which
is further aggravated throughout creation by human iniquity, is bridged alone in the
kenotic love of Christ, through whom all that exists came to being and in whom
all of creation is afforded reconciliation with God on the journey to the heavenly
Jerusalem.
According to Bonaventure, the creation of the orAs or highest heavens
heralds the appearance of Emplacement thus uniquely distinguishes each
creature, and following Aristotle's 7%yAc<%, a particular place contains, preserves,
measures, and defines the boundaries of the individual. There is, however, another
element of that Bonaventure notes in the CommcT^fM h? that
is crucial when considering the question of transcendence. At issue is Augustine's
assertion in De trhnAtte that the mind leaves the world when considering eter-
nity and the Dionysian teaching in the De JAhms where the soul is
described as being drawn by God out of the world into eternity. Faced with the
claim that these revered masters of theology are proposing a route to transcendence
that dismisses the centrality of material emplacement in the contemplative process,

8 Claus WESTERMANN, Genesis 1-11: A Continental Commentary, trans. John J. Scullion, Minneapolis
1994, pp. 110-122. This question continues to generate scholarly debate, see Mary-Jane RuBENSTEiN,
Cosmic Singularities. On the Nothing and the Sovereign, in: Journal of the American Academy of Reli-
gion, 80/2, 2012, pp. 485-517.
9 The problematic nature of Aristotle's proposal had a dramatic impact on Bonaventure as a young student
in Paris; see Bonaventure of Bagnoregio, Collationes de decern praeceptis, in: S. Bonaventurae Opera
Omnia, vol. 5: Opuscula varia theologica, Quaracchi 1891, pp. 505-532, here collatio 2, n. 28, p. 515a-b.
10 Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in Evangelium Iohannis, in: S. Bonaventurae Opera Omnia,
vol. 6: Commentarii in sacram scripturam, Quaracchi 1893, pp. 327-532, here cap. 1, n. 8, p. 248.
11 Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in 1. Librum Sententiarum, in: S. Bonaventurae Opera Om-
nia, vol. 1: Commentaria in quatuor libros sententiarum magistri Petri Lombardi. In primum librum
sententiarum, Quaracchi 1882, distinctio 44, articulus 1, quaestio 4, p. 788b.
86 I Timothy J. Johnson

Bonaventure maintains that this reading is true neither of the corpus or the tzzzzwtz
given the nature of /o<r%s:

"It must be said, that place has the nature of containing and resting. There-
fore to be in this world is twofold: either as to truth and containment or rest.
Augustine does not speak in the first way such that the soul and body leave
this world when the mind grasps God, but he understands this in respect to
rest because the affection of the soul does not rest in temporal realities, which
it passes over, but in the eternal realities. Dionysius understands this. And
the second reason is understood, that the one loved draws, not by changing
location, but by conforming oneself, since the lover is transformed into the
beloved, and the one who knows is conformed to the thing known.

Simply stated, /oc%3 grounds transcendence; the encounter with the divine is re-
vealed and sustained in a particular place which defines the individual person. The
contemplative journey unfolds as a person's affective power undertakes the trtmsAMS
from temporal to eternal concerns, and in the process, the individual is conformed
to God in love and knowledge. This is precisely the outline of Bonaventure's classic,
the 7A?2ef<%7V%7?2 hz Dcztw. What distinguishes this text as innovative from
numerous other mystical treaties is the decision to introduce Francis of Assisi as
the archetype for pilgrims on the road to the Jerusalem on high and Bonaventure's
appeal to his personal experience as a /oczzs zAeo/ogzc%s. While traveling through
central Italy in the fall of 1259, Bonaventure altered his route north and sought out
the /ocMT?? of Mount La Verna where Francis had gone to pray and fast
in the fall of 1224A Ruminating on the transformative, albeit mystery-shrouded
encounter of the Poverello with the Crucified Seraph, Bonaventure discerns in the
Seraph's six wings the six stages or steps of illumination leading in and through crea-
tures upward into God. These steps are taken only by those who are consumed by
a searing love of the Crucified Christ, and Francis, who bore the marks of Christ's

12 Dzeezz Jzzzzz, <7%o J /oczzs ^zz^et zzzztzzrzzzzz cozztzzzezztzs et ^zzzetzzzztzy. Esse ergo zzz ^oc zrzzzzz Jo est JM^z/zczter.*
zzzzt ^zzzzzztzzzrz ^ f erztzztezzz et cozztzzzezztzzzzzz, zzzzt <yzzzzzztzzzzz % J zyzzzetezzz. Azzgzzytzzzzzy zzzztezrz /o^zzztzzr zzozz
przzzzo wo Jo, zyzzo J zzzzzzzzzz et cor^zzy fere egreJzzzzztzzr ^zzzzc zzzzzzz Jzzzzz, Jzzzzz zzzezzte czz^zzt Dezzzzz, ye J zzzte/-
/zgzt ^zzzzzztzzzzz zz J zyzzzetetzz, jzzzzz zzj/ectzzy zzzzzttzzze zzozz re^zzz'eyczt z'zz tezzz^zorzzEEzzy, z^zzzEzzt tzz^ezA^zzr, ye J
zzz zzeterzzzy, et zyzzzzzztzzzzz zz J ^?oc zzzteJzgzt Dzozzyyzzzy. Et yeczzzz Jzz rzztzo zzzteJzgz'tzzr, <yzzo J zzzzzzztzzzzz trzzAzt,
zzozz /oezz/zter zzzzztzzzz Jo, ye J yzEz eozz/ofzzzzzzz Jo, <7% Jz zzzzzzzzzy trzzzzy/ofzzzzztzzr z'zz zzzzzzztzzzzz, et cogzzoycezzy cozz-
/ofzzzzztzzr oogzzzto. Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in 1. Librum Sententiarum (note 11 above),
distinctio 15, pars 2, dubiurn 5, p. 275a-b. Ail translations are by the author unless otherwise noted.
13 Bonaventure of Bagnoregio, Itincrarium mentis in Dcum, in: S. Bonaventurae Opera Omnia, vol. 5:
Opuscula varia tbeologica, Quaraccbi 1891, pp. 293-316, prologus, n. 2, p. 295a-b.
Place, Analogy, and Transcendence I 87

passion in his own broken body, exemplifies this affection and the resulting trans-
formation into the image of the beloved.

"There is no other way but through the most ardent love of the Crucified,
which so /Z/Zer/ Paul up mfo ^Ziz/ Z7e<wp?2 and transformed him into
Christ that he said: WZ^/? C^tisf 7 ??<%Z/e<7 Zn crosy Zi 7 /we
izow, C/u*Zs^ w we; which indeed so absorbed the soul of Francis
that spirit appeared in flesh when, two years prior to his death, he carried the
most sacred stigmata of the passion in his body."*4

With this opening reference to the stigmatized flesh of Francis, Bonaventure shifts
the historical horizon of mystical ascent in Christianity. Earlier writers in the
Christian East and West appealed to biblical figures like Moses (Origen/Gregory
of Nyssa) or Rachel (Richard of St. Victor) as contemplative archetypes. With his
striking epistemological claim regarding a contemporary figure from a small town
in Umbria - an individual many in Europe and the Middle East had known and
some still vividly remembered - Bonaventure introduces Francis to readers as a
tangible touchstone of transcendence for his followers now and, as time will tell, as
a stumbling block to his would-be detractors.^
In the 7^men%r/MW Bonaventure identifies the departure point for the reader's
ascent as w /oco, From this place, identified here as the desert of the
world, the would-be contemplative sets out on a six stage transcendent journey
through the wilderness upward into God. The destination is the Tabernacle of the
Most High in the heavenly Jerusalem. Poor by nature since personal existence rests
entirely on the divine choice to create ex m^Z/o, the sojourner, in the company
of fellow travelers, first considers the vestiges or footprints of the Creator in and
through the material universe.^ This visible world of material creatures is a macro-
cosm, and it initially enters the microcosm of the soul through the five senses in the
act of apprehension. As Bonaventure notes, these material creatures are shadows,

14 Vzh zwlent MOM esl Mzsz Jzer MrJcMlzsszMZMZM MworeM? CrMCz/zxz, zy^z PzzM/zzM! lerlzzzM! czze/zzM!
MplMMt h? C^tZSlMZM, Ml dzcerel.' C/zrzslO COMjzXMS SMM! CTMCZ, fZfO zZMleMZ, MM! MOM ego;
tuTzl vero ZM M!0 CAfZSlMS; ^MZ elMM! zzdeo M!CMlCM! FAzMCZSCZ zzZwrZzMZl, <y%oJ MteMS ZM CMfMepMlMZl, dz!M!
MCMlzsszMM pMSSZOMZs slz'gMMM ZM corpore 5%o zzMle ZMorlezM per Zzz'oMMZMZM JeporMtu'i. Bonaventure of
Bagnoregio, Itincrarium (note 13 above), prologus, n. 3, p. 295b.
15 On Bonaventure's view of Francis, transcendence, and the world, see Timothy J. JOHNSON, Dream Bodies
and Peripatetic Prayer. Reading Bonaventure's /izMerzzrzMM! with Certeau, in: Modern Theology, 21/3,
2005, pp. 413-427; ID., Prologue as Pilgrimage. Bonaventure as Spiritual Cartographer, in: Miscellanea
Francescana, 106-107, 2006-2007, pp. 445-464.
16 Bonaventure of Bagnoregio, Itincrarium (note 13 above), cap. 1, n. 1, p. 296a-b.
17 Bonaventure of Bagnoregio, Itincrarium (note 13 above), cap. 2, n. 11-13, pp. 302b-303a.
88 I Timothy J. Johnson

echoes, and pictures; they are sensible signs signifying the invisible realities of God
since the Creator is the origin, exemplar, and terminus for all that exists.
Leaving the physical world behind, the pilgrim ascends into the Holy of Holies
of the soul where the divine signs are located in the natural powers of memory,
intelligences, and will.^ These are more than vestiges; they are either images or
similitudes. As images, memory, intelligence and will signify the Triune God or as
similitudes the soul transformed by the three theological graces of faith, hope, and
love. Having arrived where a creature is most exalted and introduced to Christ, the
sojourner becomes a temple of the Holy Spirit. Only two ascending steps remain.
In the presence of the two Cherubim before the Ark, God as Being and then God
as Love are contemplated.^ This two-fold reflection suggests the journey of tran-
scendence is seemingly over, yet, there is still the possibility of a transitus. This is
not a stage identifiable with the six wings of an angel; instead, it is the (Acs
Steps are not taken; rather the contemplative is taken up with Francis of Assisi into
an intimate encounter with the Crucified Seraph. Quoting Dionysius, Bonaventure
urges the reader, "[...] leaving everything and separated from all things, you will
ascend to the super-essential ray of divine darkness [...]"F° To do so is to enter into
the unitive conflagration of Christ's fiery passion, where death leads to life, here the
contemplative at long last may enjoy the peace of Jerusalem and leave this world in
the ret&ciho to the Father.
The transcendent path to the heavenly Jerusalem marked out by Bonaventure in
the requires viewing the world as and appreciation of God as
First of all, can be understood simply as a picture or as an image.
The former fosters a deviation on the journey because the beauty of each crea-
ture can become the beginning and end of contemplation, while the later allows
this beauty to be ascribed ultimately to God, the artisan of creation. Indeed, all
noble qualities found in creatures are attributed to the Creator in contemplation.
This manner of transcendence is grounded in analogy, not univocity. Correlating
distinctions between the creature and the Creator necessitate analogy.^ Absolute
or complete knowledge is impossible for equality of being is nonexistent between

18 Bonaventure of Bagnoregio, Itinerarium (note 13 above), cap. 3, n. 1, p. 303a-b; cap. 4, n. 1-2, p. 306a-b.
19 Bonaventure of Bagnoregio, Itinerarium (note 13 above), cap. 5, n. 2, p. 308b; cap. 6, n. 1, p. 310b.
20 [...] SMperessentM/ew dz'vmzzrMW teMe^nzr%?7? r<% JzMTTt, ommü ct zA <%Ao/zztzM,
rendes. Bonaventure of Bagnoregio, Itinerarium (note 13 above), cap. 7, n. 1, p. 313a.
21 Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in I. Librum Scntentiarum (note 11 above), distinctio 3, pars
1, articulus unicus, quaestio 2, conclusio, pp. 72a-73b.
22 For a discussion of analogy as z:nz:/ogMpdez and zznn/ogM entzs in Bonaventure, see Ulrich Gottfried
LEiNSLE, Res et signum. Das Verständnis zeichenhafter Wirklichkeit in der Theologie Bonavcnturas

losophie. Neue Folge 26), München 1976, pp. 96-101.


Place, Analogy, and Transcendence I 89

creatures and Creator.^ The only certain knowledge of God possible is acquired by
apprehension, not comprehension.^ The contemplative is Def - capable of
knowing God - inasmuch as humanity is made in the divine image and can appre-
hend m /oco, the divine exemplar by means of analogy. Comprehen-
sion, however, is the knowledge proper to the embrace of the object which occurs
only when the subject and object are in a relationship of equality.

Roger Bacon (c. 1214-1294)

The journey to the heavenly Jerusalem in the of Roger Bacon takes a


remarkably different, albeit equally fascinating path than that offered by Bonaven-
ture in the is of paramount import in Bacon's writings because it
offers the possibility of developing a true perspective on the world accompanied by
reasoned understanding of where a person is situated in relationship to the physical
world, and thus to the heavenly spheres and God. For Bacon, talk of transcend-
ence is impaired since humanity does not understand where it presently stands
in the world, much less where it eventually wants to travel when ascending from
this world. When speaking of Mathematics and Geography the Doctor TfmxMry
appeals to Porphyry, a student of Plotinus to articulate the crucial role of place and
knowledge:

"Since then the knowledge of places in the world is of maximum utility,


therefore there must be a different description of them, for the things of
this world cannot be known except through the knowledge of the places in
which they are contained. Place is the principle of the generation of things, as
Porphyry says, because the diversity of things is according to the diversity of
places, and that not only natural, but of the moral and scientific, as we have
seen in men that according to the diversity of the regions they have diverse
customs and occupy themselves in diverse arts and sciences. Since philosophy
concerns itself with the things of the world, much is still missing among the
Latins since they have no assurance of places in the world. However, this
assurance resides in the knowledge of the length and the breadth of each
place; and then we should know under which stars each place is, how far from

23 Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in 1. Librum Sententiarum (note 11 above), distinctio 7, ar-


ticulus unicus, quaestio 4, conclusio, p. 143a-b.
24 Bonaventure of Bagnoregio, Commentarius in 1. Librum Sententiarum (note 11 above), distinctio 3, pars
1, articulus unicus, quaestio 1, responsio ad 1, p. 69a.
90 I Timothy J. Johnson

the path of the sun and the planets, and which planets and signified places
they control. All these make for the diverse characteristics of places, which if
know, a man would be able know the characteristics of all the things of the
world and the nature and properties they acquire by virtue of the place.

According to Bacon, the ability to understand the world is directly tied to the
knowledge of particular places, and the lack of evidence in this matter impedes
anyone who travels. Study of places also includes celestial entities as Scripture main-
tains that the faithful will ultimately pass from this world corporeally into heaven
for all eternity.^ Unfortunately there is paucity of reliable data regarding matters
terrestrial and celestial. This epistemological lacuna is detrimental to those who
look to the Sacred Scriptures as the authoritative guide on the path to the heavenly
Jerusalem.^ Not only is the biblical text suspect given recent corrupted manuscripts
circulating in Paris, there is little recognition of the literal significance of biblical
places. However, those who know the locations, distances, heights, and depths of
individual terrestrial places, and experience their diversity in heat, dryness, cold,
humidity, fertility, sterility and numerous other characteristics, will have a firm
grasp of history, and ascend easily from the literal and grasp the spiritual meaning
of Sacred Scripture.
Bacon utilizes a nuanced utilization of /ocMS to clarify the relationship between
place and transcendence and distinguishes himself from Bonaventure by under-
scoring rather than "[...] for place has the property of ter-
minating local motion and the rational of containing; and therefore the knowledge
of these places renders a literal meaning, and as stated, prepares ways for spiritual
meanings to be understood [...]"ds Place has agency, and produces multiple stages

25 Q%077M 772 ZgZtttf /0C07*M77? TTZZtTzJz COgZZZtZOZZZS TTZzZXZTTZzZ ZZtzYztzZS est, tJeO zz/z'zZZZZ deSCrZptZOMeW O^Ortef
zz/ferrz. Nzztn res zzzzzzz Jz sczrz zzozz posszznt nzsz ^?er notztzzzzn /ocortzzn zn zytttPtts contznentzzr. Loezzs est
^rzTzczjpz'z/TTZ gezzerzznozzzJ rerzznz, zzt dzczt Por^y^T' zyzzz'zz seczzn Jzzm dzversztzztenz /oeorzzzn est dz'fer-
sztzztzs rerzznz; et non so/ttnz nzztzzrzz/zzzzn, sed nzorzz/zzznz et sez'entzzz/zzznz, zzt fz'denzzzs zn AoznznzPzzs zyztod
sectznJtznz dztzersztzztezn regzozzzzw ^zz^ent nzores Jz'versos et occzyzzzzziC se zn zzrtzPzzs et sczentzzs Jzverszs.
Qzzzz: zgztzzrp^zYosop^z'zz zntronzzttzt se zn re^zzs znzzndz, nzzz/tzznz ez deest zzd^zzze zz^zzzd Pzztznos, /zost^zzzzzn
non ^zz^et eertz^ezztzonenz /ocorzznz nzzzndz. ied ^zz:ec certz^ezztzo stzzt zn cogzzozzozze /ozzgzYzz JzzzzJ et /zztz-
tzz Jznzs czzJzzs^^et /oez; tzznc enznz sczrenzzzs szz^z nzzz^zzs ste//zs est ^zzz7z7zet foczzs, et <^zzzzntzznz zz f zzz so/zs et
p/zznetzzrzznz, et ^^orzznz^/zznetztrzzzn et ^zgzzorzzzTZ /oezz recz/zzzzzzZ donzznz'zzzn, <yzzzze owzzzzz AczJzzzZ dzf erszzs
eoznp/exzones (ocorzznz; <yzzzze sz sezente, ^osszt ^zozno sczre conz^z/exzones onznz'zznz rerzznz nzzzndz et nzztzzrzz
et^ro^rzetzztes zz vz'rtzze /ocz contr^zzTzzznt. Roger Bacon, Opus majus, ed. John Henry BRIDGES, vol.
1, London 1900, pp. 300f. Republished in three volumes by Elibron Classics. All translations are by the
author unless otherwise noted.
26 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, pp. 180 f.
27 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, pp. 183 f.
28 [...] zyzzozzzzzTTZ /oczzs ^zz^etpro^rzetzztenz terntznJzznJz nzotzznz /oczz/ent et rzztzozzew eozztzzzezztzzze; et tJeo
zstorztTTZ /ocorztTTZ cognztzo et /zterzznz Actzzzzz est, znte//zgz, et tzz'zzs ^zzzrzzt zzd zntePzgentzzzs s^zzrz't-
zzzz/es [...]. Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, p. 184.
Place, Analogy, and Transcendence I 91

of comparative meaning, which encompass this world and the next. What can be
stated with regard to the material can be said in relationship to the spiritual, but to
do so in the service of the faith demands that the physical be clarified and laid out
with precision with the assistance of the sciences. Here Bacon's unique view emer-
ges as the swift movement upward of transformation through and above creatures
into God, which Bonaventure highlights in the AmowvMm, is now bracketed or
rendered temporarily "immobile" so to speak so a clearer perception of the material
world may be acquired. In particular, a firm grasp of the physical geography of the
regions around Jerusalem is crucial if the literal sense of the Sacred Scriptures is to
open up to a moral, allegorical, and anagogical reading. Bacon states, "And in these
provinces all the sacred places are found where the holy patriarchs and the prophets
first walked, followed by the Lord himself, his Mother, and his holy apostles [...]
[sacred places in which] greater mysteries are contained than the ear is capable of
hearing or the human mind to understand [.. .]" A At the center stands the holy city
of Jerusalem, which signifies the desire for peace; it is interpreted according to the
moral sense as the soul, allegorically as the Church militant, and anagogically as the
Church triumphant.^" Regardless of when the pilgrimage begins - from birth, at the
dawn of reason, or in old age of life's evening - the first step of the spiritual journey
for pilgrims is to leave the world behind, that is, Jordan where Jericho is found. The
next steps are to ascend the Mount of Olives through prayer and contemplation and
cross over the Valley of Jehoshaphat in humility. Once within Jerusalem, the soul
rests in the peace of the Church Militant and by the grace of God, receives a vision
of the heavenly Jerusalem at death.
When studying this relationship between physical and spiritual realities, the
Doctor at times favors analogical language, but rejects the
and offers a theory unlike any other scholastic position of the mid-thirteenth cen-
turyA He maintains there is univocity at the level of and M72M772, but analogical
reasoning is equivocal. As a result, references to dissimilarity give way to equivoca-
tion that allows for the comparison of existing beings. While Bacon acknowledges
the Greek idea of analogy as propo?Ao, he appeals to Cicero, to assert that analogy

29 Et m jzwumcnt rejzerz/mtMT* OTrrnM /oc<% GtCwerMTZt yrwto M72ctz'j7<%trMrcZ?<2e


me, Jem Je DoTTtmMt ipte et ACter e/Jt et ztpottoE vtcmtz [...] m TyMzJms 772 77-zysterm co72tme72tM7*
zyzMTTZ TTtorm/t't jzostz't ^mJz're zmt 772 e72t mte/Jge7*e [...]. Roger Bacon, Opus majus (note 25
above), voi. 1, p. 335.
30 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, pp. 185 f.
31 Alain DE LiBERA, Roger Bacon et la logique, in: Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays,
ed. Jeremiah HACKETT (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 57), Leiden/New York/
Köln 1997, pp. 118-121 and Jeremiah HACKETT, Maimonides and Roger Bacon. Did Roger Bacon Read
Maimonides?, in: Medieval Philosophy and the Classical Tradition in Islam, Judaism, and Christianity,
ed. John iNGLis, London 2002, pp. 297-299.
92 I Timothy J. Johnson

also means cowp<%r<%2ToA When describing roadways, for example, he notes that
physical roads are obviously similar to spiritual roads, and physical places signify
where spiritual roads terminate.^ Nowhere is this analogical language more visible
than when he examines the physical properties of the human eye via the science of
perspective or optics.^ Everything said about the corporeal eye has spiritual signi-
ficance by way of similitude. What Bacon intends by similitude is not the propor-
tional understanding of the term Bonaventure employs in the and else-
where, but rather, comparative, since spiritual truths are revealed when the physical
qualities and activities of the eye are examined.^ Psalm 16,8 cries out, "Lord, guard
us as the pupil of your eye." This prayer is unintelligible without a firm grasp of
how the eye might be protected on the literal-physical level. According to the sci-
ence of optics, there are seven physical entities safeguarding the pupil, or even eight
if eye lashes are included. These can be compared, for example, to the seven virtues,
the seven gifts of the Holy Spirit and the eight beatitudes of Matthew's Gospel.
Bacon's innovative interest in optics far exceeds analogical comparison of the
literal and spiritual levels of meaning; it is centered on the overriding significance
of vision and physical representation in the quest for transcendence. In addition
to a study of languages, the literal understanding of the Scripture requires that the
sacred text be pictured with precision through the expert utilization of geometric
perspective A In the Op%s 777<%/%s, Bacon pleads for accurate depictions of the sacred
mysteries found in the biblical text so that:

"[...] with Ezekiel in the spirit of exultation, we could behold in the senses
what he only perceived spiritually, so that with Ezra and Nehemiah after
the restoration of the new Jerusalem we might enter in a greater house dec-
orated with fuller glory. Certainly this sensible vision would be beautiful,
but more beautiful when we would see the figure of our truth face to face,
and most beautiful to be sure when, contemplating the spiritual and literal

32 Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, ed. Thomas S. MALONEY (Studien und Texte zur
Geistesgeschichte des Mittelalters 20), Leiden 1988, p. 118. This perspective also plays out in linguistics and
semiotics, where equivocation is linked to Bacon's understanding of signs, see: Stephan MEiER-OESER,
Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der
frühen Neuzeit (Quellen und Studien zur Philosophie 44), Berlin 1997, pp. 64 f. Bonaventure and Bacon
part company when dealing with the meaning and interpretation of signs, see Costantino MARMO, La
semiotica del xiii secolo. Tra arti liberali e teologia (Studi Bompiani), Milano 2010, pp. 16, 82.
33 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, p. 184.
34 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, p. 159-166. Klaus BERGDOLT, Der Sehvorgang als
theologisches Analogon. Augenanatomie und Physiologie bei Roger Bacon, in: Sudhoffs Archiv 75,1991,
pp. 1-20.
35 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, pp. 162f.
36 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, pp. 210 f.
Place, Analogy, and Transcendence I 93

understanding of Scripture, we would rejoice, excited by the visible means,


because we know that everything now in the church of God, which sensible
bodies would display for our eyes, was complete."^

This artistic representation of Scriptural wisdom, which requires geometric exact-


ness, includes an understanding of as the place from which any particular
scene is viewed.^ Place itself generates linear perspective and the possibility of the
accurate knowledge that grounds the spiritual ascent into GodA As a consequence
of this innovative proposal, visual expressions such as frescoes become touchstones
of transcendence not because they point to the divine beyond like an icon, but be-
cause they embody a physical vision of the heavenly Jerusalem.^ While Bacon no
doubt would agree with Bonaventure that God is the divine of the world
considered as the Doctor shifts the emphasis towards human art-
istry and the undeniable importance of corporeal verisimilitude. These difficult yet
necessary depictions of Scripture by masters of the visual arts, when combined with
a humble receptivity to divine grace, could literally move Christians to a renewal
of the to Jerusalem. As Bacon says, to see correctly is to secure
salvation on highA

Condusion

As confreres of Francis of Assisi, Bonaventure and Bacon shared his profound ap-
preciation for Creation, but offered decidedly different and innovative approaches
to the question of transcendence from within the Franciscan community. Each Mi-
norite initially embraced the prevailing thirteenth-century Aristotelian definition
of and the accompanying epistemological contention that the physical body

37 [...] CM??? EzecAze/e z'zz y z'rz'tM ex<% Aztz'ozzL zt J sezMMw z'zzfzzcrcwzzr, ^zzo J z)w tzzwtzzw y z'rz'tzzzz/z'ler zzzteAx-
z't, zzt tzzzz Jew re^zzwtz: zzofzz JerziM/ew czzw EsJw et NeAewzh zWwrew%$ wzz/'orew Jowzzw /Jem'orz
g/orzh JecowzzJzzw. Certe zpvz vzA'o sezzsz'Az'A e^ezyzJcAnz, $eJ^zJcArz'or yiztzzJo Ay?*z:w zzostwe -perz-
tzztz's tEJerewMs^re^eTzAt/zter, pzJcAerrz'wzz vero ytzw Jo $c?*zpt%we z'zzte/(ectzzw yz'rz'tzzzz/ew et /z'terzJew
cozztew^Azzte^ Jerewzts tAzAzA'Am z'zz^trzzwezzA exez'tzztz, ^zzoJ ^ez'wzzs owzzzfz zzzzzze z'zz eceGz'zz E)ez
e^e cow^Jetzz, ^zzzze zjpM eoyow ^eM^zAz'/zh zio^trL oczz/z's exAz'Aerezzt. Roger Bacon, Opus majus (note 25
above), vol. 1, pp. 211 f.
38 On place, perspective, and line of sight, see Roger Bacon, Opus majus, ed. John Henry BRIDGES, vol. 2,
London 1900, pp. 94-97.
39 On Bacon and art, with reference to the Giotto cycles in the Arena Chapel and Basilica of Saint Francis,
see Samuel Y. EDGERTON, The Mirror, the Window, and the Telescope. How Renaissance Linear Perspec-
tive Changed Our Vision of the Universe, Ithaca 2009, pp. 14-20.
40 On this dynamic, see Suzannah BiERNHOFF, Carnal Relations. Embodied Sight in Merleau-Ponty, Roger
Bacon and St Francis, in: Journal of Visual Culture 4, 2005, pp. 41-43.
41 Roger Bacon, Opus majus (note 25 above), vol. 1, p. 161.
94 I Timothy J. Johnson

is the ground of knowledge; however, they soon parted ways on the path to the
heavenly Jerusalem. In the ensuing centuries, philosophers and theologians would
push further until transcendence itself would be eclipsed, only to be replaced by
transcendental categories.^
Bonaventure maintains that the Poverello's stigmatized body provides a histor-
ically situated for transformation in the desert of this world. This dynamic
promotes the analogical ascent from the exterior world through the interior world
of the soul, upward into the darkness of the divine mysteries in the Holy of Holies.
Often critiqued as making Francis inaccessible to his confreres by raising him up
as an exemplar beyond reach, the Seraphic doctor does the opposite with poetic
creativity and theological acumen. Circumscribed by the physical setting of Mount
La Verna and burdened by the pressing weight of pastoral concerns, he offers his
brothers a familiar and familial figure whom some had even encountered in the
flesh. Distant figures from the past, which were the common guides on the ascent,
were replaced by a poor man from the Umbrian town of Assisi. An analogical as-
cent is accessible to all since the proportional stages are the same for everyone and
God's grace is universal. The /oc%s of transcendence draws nearer when depicted
against the horizon of a known, commonly shared history. If a well-known brother
- no matter how gifted - can ascend on high, why not another brother, neighbor,
friend, or spouse? Is this a step toward the democratization, domestication, or per-
haps even disappearance of transcendence on the cusp of modernity?
For his part, Roger Bacon maintained that the accurate depiction of history, es-
pecially with the assistance of the visual arts, called for an appreciation of the phys-
ical world as /oc%s. Place contains and generates comparison and perspective. The
path to the heavenly Jerusalem is opaque at best if not displayed for human eyes
in the material corporality of the world. To see correctly requires a proper viewing
position and, and to ascend on high, a place below must be confirmed. Those who
refuse to take up the sciences such as languages, geometry, astronomy, and geog-
raphy risk never finding the /oc%s of transcendence, and will remain "out of place"
forever. Now the analogical ascent is accessible to all since the sciences allow the
comparison of physical realities with their spiritual counterparts. This emphasis
on securing a place eventually yields to the conception of place as the means by
which distance is measured between points on a grid. Is this intense consideration
by Bacon of the divine footsteps in the physical world a precursor of modernity's
movement away from a reflection on who (God) left the imprint and where they
lead (heaven), to the precise physical representation of the footsteps (art and geome-

42 Oliver BouLNOis, Etre et représentation. Une généalogie de la métaphysique moderne à l'époque de


Duns Scot (XIIU-XIV^ siècle), Paris 1999.
Place, Analogy, and Transcendence I 95

try) and the accurate measurement of the space, at times seemingly infinite, between
them (mathematics and astronomy)?
Are we nevertheless now out of place and lost in space ... ? Perhaps Pascal feared
just such a reality, when he claimed, "The eternal silences of these infinite spaces
terrifies me."^

Epiiogue

Steeped in the Franciscan traditions of Bonaventure and Bacon, Christopher Co-


lumbus is one of many figures who mark the transitus to modernity/^ Selected
echoes of his claim ring with a certainly familiarity:

"I have had commerce and conversation with knowledgeable people of the
clergy and the laity, Latins and Greeks, Jews, and Moors, and with many
others of different religions. Our Lord has favored my occupation and has
given me an intelligent mind, He has endowed me with a great talent for
seamanship; sufficient ability in astrology, geometry and arithmetic; and the
mental and physical dexterity required to draw spherical maps of cities, rivers
and mountains, islands and ports, with everything in its proper place. During
this time I have studied all kinds of texts: cosmography, histories, chronicles,
philosophy, and other disciplines."^

While other echoes are no longer seem intelligible:

"Through these writings, the hand of Our Lord opened my mind to the pos-
sibility of sailing to the Indies and gave me the will to attempt this voyage.
With this burning ambition I came to your Highnesses. Everyone who heard
about my enterprise rejected it with laughter and ridicule. Neither all the
sciences that I mentioned previously nor citations I have drawn from them
were of any help to me. Only Your Highnesses had faith and perseverance.
Who could doubt that this flash of understanding was the work of the Holy
Spirit as well as my own?"^

43 From the Pewsees and quoted in CASEY, Getting Back (note 1 above), p. x.
44 On Columbus, the Franciscans, and the New World, see Timothy J. JOHNSON, The Apocalypse in St.
Augustine. Christopher Columbus, Religion, and the New World, in: The Cord, 63/3, 2013, pp. 209-233.
45 The "Book of Prophecies" edited by Christopher Columbus, ed. Ruberto RuscONi/trans. Blair SuLLi-
VAN (Repertorium Columbianum 3), Berkeley 1997, p. 67.
46 The "Book of Prophecies" (note 45 above), p. 67.
Kommentar zur Sektion
Bändigung der Transzendenz -
Transzendenz [eben
Tore

Beim Kontakt des Menschen mit einer Wirklichkeit, die die Erfahrungen der fünf
Sinne »übersteigt«, bildet sich eine eigene Sprache aus, die, verglichen mit der Um-
gangssprache des Alltags, besondere Merkmale aufweist. Die Erfahrungen der Men-
schen bei den Versuchen, mit diesem Transzendenten umzugehen, offenbaren das
Bedürfnis nach einer Sprache, die geeignet sei, beim Umgang mit solchen Erfah-
rungen auch Schlussfolgerungen und Konsequenzen aus ihnen ziehen zu können.
Dabei stellt sich heraus, dass die Begegnung mit Transzendentem anderen Gesetzen
folgt und deshalb auch anderswie, verglichen mit den Erfahrungen des Alltags und
der entsprechenden Umgangssprache, beschrieben werden muss. Kurzum, Trans-
zendenz und die darauf folgende Beschreibung von Erfahrungen der Transzendenz
unterliegt eigenen Gesetzen. Der Mensch ist aufgefordert, sich mit diesen Gesetzen
auseinanderzusetzen, ohne deren Normen oder deren Inhalt genau beschreiben zu
können. Andere Wege zum Kontakt mit außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung
begründeten Bewusstseinsinhalten müssen also geprüft werden.
Bei der heutigen Konferenz handelt es sich unter anderem um den Versuch, den
Zugang zu Transzendentem wenigstens so weit zu beschreiben, dass eine Teilhabe
an früheren Erfahrungen von Transzendentem möglich ist. Herr Timothy Johnson
hat in seinem Vortrag für das Suchen nach einem zuverlässigen Zugang zu diesem
Transzendentem auf den hingewiesen, der das Sprechen davon mitteilsam
macht. Jedes besondere Ding oder Verhältnis, das sich als Tor oder Eingang anbie-
tet, wenn der Mensch den Weg hinweg von dem Vernehmbaren beschreitet, nimmt
einen bestimmten Platz ein. Dieser Platz, sagt unser Kollege, ist nicht mit Raum,
gleichzusetzen, sondern ist schon als metaphysischer Begriff auf-
zufassen, weil er die Abgrenzung jeden Dinges gegenüber seiner Umwelt voraus-
setzt. Ausgehend von dem Platz als Berührungs- und Begegnungsstätte zwischen
dem täglichen Leben und der Welt der transzendenten Erfahrungen, treten wir im
Kloster als einem solchen Platz in unmittelbare Berührung mit der Erfahrung zahl-
98 I Tore Nyberg

loser Menschen durch die Geschichte hindurch. Weil der Platz als Ausgangspunkt
noch viel weiter als in der konkreten und physischen Erscheinungsform der Klöster
reicht - man denke z.B. an Zeit als Zeitpunkte und Zeiträume, als Plätze in einer
Chronologie, als Punkte oder Spuren einer zeitlichen Abfolge - so ist der begriff-
liche Ausgangspunkt /oc%s gut geeignet, um Aussagen zu den Bedingungen des
Transzendenten und des Sprechens von Transzendentem zu machen.
Ist nun der Mensch immer auf besondere Plätze angewiesen, an denen eine Öff-
nung zu einer Erfahrungswelt nach anderen Gesetzen, oder ohne erkennbare Ge-
setze, möglich ist, so wird es darum gehen, die Kennzeichen solcher Plätze, ihre
Erkennungsmerkmale und die Wege, um die Kenntnis davon anderen zu vermit-
teln, festzustellen. Hier ist ein gewichtiges Moment beim Antreten des Weges zur
Gottesverbindung zu berücksichtigen. Das Transzendente präsentiert sich gewis-
sermaßen schon in der empirischen Welt der alltäglichen Wahrnehmungen durch
Menschen, Gebäude, Worte und Zeichen, die ihm eigen sind. Dieses Eigene muss
schon hier erkennbar sein, damit der Weg geöffnet und Hindernisse entfernt wer-
den können. Bei einer solchen Kennzeichnung muss es sich um etwas handeln,
das aufhorchen lässt und seh-, hör- und fühlbar als Signal wirkt, wenn auch vor
allem für denjenigen, der sich schon beim Suchen darum bemüht. Als solches Sig-
nal, auf Plätze und Wege zum Transzendenten aufmerksam zu machen, würde ich
die Paradoxie hervorheben, eine hinreichend bekannte Öffnung der menschlichen
Vorstellung für etwas unmittelbar Widersprechendes und Widerspruchsvolles mit
dem Ziel, eine höhere Wahrheit zu bestätigen. Die Paradoxie kann als Signal und
Kennzeichnung des Ortes herhalten, an dem das Antreten der Wanderung des Su-
chenden hin zum »normlosen« Zustand möglich ist oder früher war. Paradoxes
Denken wurde schon in der zweiten Generation des Christentums als ein solcher
Wegweiser zur Kennzeichnung benutzt - man denke z. B. an das Johannesevangeli-
um Kapitel zehn, einen Text ohne Parallelen bei den Synoptikern, wo der Verfasser
zuerst Jesus sagen lässt: »Ich bin der gute Hirt« und danach ohne Übergang ihn sich
noch als »Ich bin die Tür« präsentieren lässt. Zugleich ein guter Hirt und eine Tür
zu sein, das ist ein Paradox, das aufhorchen lässt. Paradoxien wurden in der christ-
lichen Verkündigung schnell verbreitet - eine der zentralsten darunter ist wohl die
des Essens von Fleisch und des Trinkens von Blut, um zum Heil zu gelangen, was ja
auch keinen normalen Sinn hat. Mit Hilfe von Paradoxien werden Plätze markiert,
an denen eine Öffnung zur »normlosen« Welt der Transzendenz möglich ist. Was
über das dort Erlebte hinaus gesagt werden kann, hängt von der Möglichkeit des
Menschen ab, die Richtung dorthin zu Enden, um nachfolgend in der täglichen Welt
darüber sprechen zu können.
Die Warnung von Herrn Kollege Köpf vor der seiner Meinung nach irrtümli-
chen Vorstellung, das Transzendente lasse sich »bändigen«, hängt soweit ich sehe
Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz - Transzendenz leben I 99

von einem Missverständnis ab. Eine »Bändigung« des Transzendenten im Sinne


einer Verfügbarkeit des Individuums über das, was außerhalb der Wahrnehmung
durch die fünf Sinne erlebt und erfahren wird, kann in dem Begriff dieser »Bändi-
gung« nicht gegeben sein. Schon eine anfängliche Kennzeichnung des Platzes, an
dem durch die Paradoxie die Spur der Transzendenz geahnt wird, offenbart, dass
das menschliche Ich keinesfalls damit rechnen kann, in der »normlosen« Welt der
Transzendenz irgendein Besitzrecht über das Erfahrene für sich zu beanspruchen;
denn fest steht hier das ?zo?2 - es ist uns nicht gegeben zu wissen, was mit dem
Ich und der Individualität des Menschen geschieht, wenn er sich dazu ansetzt, den
durch die Paradoxie vorgemerkten Weg weg von der wahrgenommenen Welt der
Naturgesetze zu beschreiten. Soweit man über eine »Bändigung« des Transzenden-
ten sprechen will, so kann sich das lediglich auf die Bereitstellung der Plätze bezie-
hen, an denen der Anlauf zur Transzendenz sich üblicherweise abzuspielen pflegt.
Dort kann die Richtung versuchsweise beeinflusst werden, dort lässt der Adept los,
um in der »normlosen« Welt des Andersartigen sich heimisch und vertraut bewegen
zu können.
Für das Kloster als Platz des Ansatzes zur Wanderung ist hier also in zweierlei
Hinsicht Vorsicht geboten. Ein Kloster selbst kann an sich als ein ungeheuerlicher
Selbstwiderspruch betrachtet werden, als eine Institution, die zu nichts führt, was
den normalen Gesetzen gehorcht - man denke an den immer wieder plakatierten
Mythos des Klosters als die tote Hand in wirtschaftlicher Betrachtung. Wenn aber
der Einzelne im Rahmen des klösterlichen Lebens durch die Tür geht, die zugleich
der gute Hirt ist, dann treten neue Bedingungen des Ich auf, die denen unseres, an
die Wahrnehmungen der fünf Sinnen gebundenen Erdendaseins nicht gleichen und
vielleicht nicht einmal damit vergleichbar sind. Die Frage ist, was dabei mit dem
Individuum, dem Ich, passiert. Beim Hinüberschreiten ist das Individuum sicher
eine für sich abgetrennte Größe. Nachher aber, wenn der Mensch versucht, tran-
szendierende Erfahrungen oder Eindrücke anderen zu vermitteln, bleiben dann -
muss man sich fragen - die so gewonnenen Einsichten nur seine eigenen, wären sie
anderen gar nicht vermittelbar? Die Antwort ist wohl, dass die Einzelerfahrungen
der Transzendenz dem Kloster als Ganzem dienen, teils durch das angesetzte Ziel
der Wanderung und teils durch den nachträglichen Diskurs unter den Zurückge-
kehrten. Für die Beschreibung von Existenzformen außerhalb der Wirklichkeit der
fünf Sinne entsteht so die neue Sprache. Das Individuum tritt zurück und das Zu-
sammenfügen von zunächst individuellen Erfahrungen zu einem neuen Sichtbild
wird zu der Innovation, die wir dem Klosterwesen zuschreiben und die von nun an
der Gemeinschaft in gegenseitigem Austausch zugänglich wird. Die Erfahrungen
der Transzendenz bleiben nicht individueller Besitz, sondern werden Gemeingut
im Kloster und von dorther Eigentum der Menschheit. Ungeachtet aller Versuche
100 I Tore Nyberg

mitwirkender Beichtväter, individuelle mystische Erfahrungen einem besonders


auserwählten Beichtkind zuschreiben zu wollen, liegt das Innovative doch eher
darin, solche Erfahrungen dem Kollektiv, der Gemeinschaft der Mönche oder der
Nonnen, auszuliefern und damit für eine neue, wahrnehmbare Wirklichkeit eine
Sprache zu schaffen. Darin liegt m.E. das Innovative des Klosterwesens als Ermög-
lichung zur Teilhabe an Erfahrungen mit der Transzendenz.
individuum und
Gemeinschaft
The Mind as Ce!) and
the Body as Cioister
Abbatial Leadership and the Issue of Stability
in the Early Eleventh Century

Around the turn of the first millennium AD, there emerged in the former Caro-
lingien empire a generation of abbots that came to be remembered as one the most
influential in the history of Western monasticism. In his universal chronicle, written
towards the end of the eleventh century, Sigebert of Gembloux sang their praises:

"at that time [c. 1027] the monastic observance flourished through [the ac-
tion of] notable abbots: in France and Burgundy Odilo of Cluny, notable for
his piety, and William of Dijon, honorable for his severity; in Lotharingia
Richard of Verdun, notable for his pious gravity and grave piety, Poppo of
Stavelot, Heliand of Cologne, Olbert [of Gembloux] and Stephen of Liège,
and Berno of Reichenau.

Demonstrating a model of monastic leadership that combined personal devotion


to prayer and asceticism, successful institutional government, and a keen interest in
promoting monastic virtues to secular society, these and other abbots subsequently
gained a reputation for excellence and virtue that was unparrallelled among most
of their early medieval predecessors. Some came to be venerated as saints, and their

Research for this paper was carried out with the generous support of the Humboldt-Foundation and the Re-
search Foundation-Fianders. I intend to publish a more extensive version as part of a monograph tentatively
entitled /wzzgzMZMg re/zgzozzs /ezzdersAzy zzt tAe ezzr/y e/etzezztA cezztzzry; my thanks to the participants of the
Mainz conference for their comments on the oral presentation and Melissa Provijn for reviewing the final
version.
1 Sigebert of Gembloux, Chronicon, ed. Ludwig Conrad BETHMANN, in: MGH Scriptores 6, Hannover
1844, pp. 300-374, here p. 356: AoreAt Ac tenzyore zzecc/eszzzttzczz re/zgzo yer AAtes MOTTZZTMAet,' zzz
AzzzzcM ^zzz'denz et RzzrgzzzAAyer OdzYoMezn C/zzMMcezttenzyzetzzte zzztzgzzew, yer GzzzYeAzzzn DzVz'oyten-
$e7?z setzerz'tzzte retzerezzdzznz; A LotArzzzgAyer Rz'cArJzzzzz Vz'rdzzzzezzsezzz, yz'<% gnzttz't<%te et grzztzz'yz'et^te
dzkcretzzzzz, yerPoyozzezzz StzAtt/eztseztz, yer Ae/Azzz Co/ozzz'ezztezzz,yer O/Artztzzz et AeyAzzzzzzz Leodz'cett-
ses, yer Rerzzozzezzz Hzzgz'ezztezzz.
106 I Steven Vanderputten

graves were promoted as sites for pilgrimage;^ others lived on primarily in the col-
lective memory of the institutions they had been involved with, and in the writings
of medieval chroniclers and antiquarian historians of the early modern age. Collec-
tively, they also became the subject of a narrative tradition that represented them
as advocates of peace and justice in a world governed by political unrest and social
anarchy, and as 'saviors' or 'restorers' of Benedictine monasticism. Jean Mabillon
(J 1707), one of the fathers of modern historical scholarship, described their contri-
bution to monastic history as follows:

"through the invasions of the barbaric people and internal wars, which in-
fested Gaul as the Carolingian dynasty was declining, monastic discipline in
many monasteries had been corrupted to the point that it had almost van-
ished, were it not for the fact that God had spurred into action men of signifi-
cance, who restored it through their own care and labour."^

Long regarded as a more or less objective if florid assessment of abbots' histori-


cal significance, these comments loudly resonated in nineteenth- and early-twenti-
eth-century surveys of monastic history. Catholic historians, in particular Benedic-
tine monks writing the history of their order, appreciated both the supposedly heroic
aspect of abbots' agency and the implied argument that, by saving monasticism from
a state of terminal decline, they had laid the foundations of the future Benedictine
Order. While many other scholars found it difficult to see much merit in celebrating
the hagiographie aspects of these individuals' memory, they did rely on the idea of
a 'restoration' of Benedictine monasticism in the tenth and eleventh centuries to
frame the achievements of the aforementioned abbots in the emergence and blos-
soming of a phenomenon known as 'reform monasticism'd 'Reform monasticism'
was defined as a movement that, for the first time, aimed to enable monks to fully

2 Such was the case with Odilo of Cluny (see, among others, Dominique IoGNA-PRAT, Panorama de l'ha-
giographie abbatiale Clunisienne (v. 940-v. 1140), in: Manuscrits hagiographiques et travail des hagio-
graphes, ed. Martin HEiNZELMANN (Francia. Beihefte der Francia 24), Sigmaringen 1992, pp. 77-118 and
Poppo of Stavelot (Philippe GEORGE, Un réformateur lotharingien de choc: l'abbé Poppon de Stavelot
(978-1048), in: Revue Mabillon. N.S. 10, 1999, pp. 89-111).
3 Front Mabillon's introduction to the Vita Richardi, ed. Lucas D'AcHÉRY/Jean MABiLLON/Thierry Rui-
NART, in: Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti, vol. 6,1, Paris 1701, p. 515: Rzzr^zzrorzzz?? zzzcKZSZOMzJ'MS
<%c ZMtestzMz's z'zzc/z'zzzzzzte C^ro/otzz'zzgz'orzzm stz'rjze zzz/est<%f eMzzt, Jz'sczjJz'zM moTMStz'oa
zz Jeo erzzt z'zz jz/erz's^zze TTZofMsZwz'z's, zzt Je ezz jzrorsMS zzctzzw /hissed, zzz'sz Dezzs z'zzsz'gMes twos
SMsez'tzzsset, ^%z ezzw szzz's czzrz's zzc Az^orz'^zzs restzzwzzsseW.
4 The two most influential publications in this respect are Ernst SACKUR, Die Cluniacenser in ihrer kirchli-
chen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, 2 vols., Halle an der
Saale 1892-1894 and Kassius HALLiNGER, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischcn Lebensformen und
Gegensätzen im Hochmittelalter, 2 vols. (Studia Anselntiana 22-25), Rome 1950-1951, anastatic reprint
Graz 1971.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 107

pursue the spiritual and institutional goals set in St Benedict's sixth-century Rule.
Essential to this departure from earlier medieval realities were three fundamental
shifts in monastic institutionalism: emancipation from lay lords' and bishops' con-
trol; progressive homogenization of monastic customs and government; and cre-
ation of structures, first informal then increasingly institutionalized, of legislation
and supervision. Although ideologically coherent, reform monasticism in all other
respects was far from unified: different regions of Western Europe saw the emer-
gence of different reform movements, the methodology and development of which
were determined by local patronage, institutional legacies from earlier periods, and
other contextual constraints.^ The geographical distribution of these movements or
Types' of reform monastisticim roughly corresponded with the political division
of the former empire, and each movement's customs and organization reflected the
regional elites' expectations regarding monasticism's service to society. According to
this interpretation of the monastic past, the aforementioned abbots' significance as
historical figures derived from the fact that they had functioned either as the princi-
pal founders, or as the principal figureheads, of these movements and of the (semi-)
institutionalized, hierarchically-organized networks of reformed monasteries that
resulted from these movements' agency. In these studies, abbots' religious charisma
was typically downplayed in favor of their pragmatic attitudes in promoting reform
and their ability to navigate the troubled political waters of that period.
Beginning in the 1960s, specialist discussions gradually moved away from trying
to reconstruct Types' of reform monasticismT Distinguishing between the rheto-
ric of apologetic commentators concerning the necessity and outcomes of reform
(be they spiritual or institutional) and the institutional and disciplinary realities at
reformed monasteries, scholars successfully challenged the notion that the reform
movements of the tenth and early eleventh centuries succeeded in homogenizing
monastic discipline and government in particular regions of Western Europe. Also
jettisoned was the idea that we can envisage all instances of reform as being the
implementation of a pre-conceived, reformist 'program' conceived in abstraction

5 For a discussion of this iiterature I refer to Joachim WoLLASCH, Monasticism. The First Wave of Reform,
in: The New Cambridge Medieval History, vol. 3: c. 900-c. 1024, ed. Timothy REUTER, Cambridge 1999,
pp. 163-185 and Elmar HoCHHOLZER, Die Lothringische ("Gorzer") Reform, in: Die Reformverbände
und Kongregationen der Benediktiner im Deutschen Sprachraum, cd. Ulrich FAUST/Franz QuARTHAL
(Germania Benedictina 1), St. Ottilien 1999, pp. 43-87.
6 The bibliography on reform is extremely abundant. For a see the volumes Monastische
Reformen im 9. und 10. Jahrhundert, ed. Raymund KoTTjE/Helmut MAURER (Vorträge und Forschun-
gen/Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 38), Sigmaringen 1989; Mittelalterliche Orden
und Klöster im Vergleich. Methodische Ansätze und Perspektiven, cd. Gert MELViLLE/Anne MÜLLER
(Vita regularis. Abhandlungen 34), Berlin/Münster 2007 and Ecclesia in medio nationis. Reflections on the
Study of Monasticism in the Central Middle Ages - Réflexions sur l'étude du monachisme au moyen âge
central, ed. Steven VANDERPUTTEN/Brigitte MEijNS (Mcdiaevalia Lovanicnsia 42), Leuven 2011.
108 I Steven Vanderputten

of institutional realities/ This trend in scholarship has certainly been helpful to


demythologize the aforementioned reformers of the early eleventh century; but it
has also made them more enigmatic, and scholars nowadays seem unsure what to
think of them. The cause of this confusion in current historiography is the fact that
scholars have failed to appreciate that the primary objective of the reformers of the
early eleventh century was not to reform institutional monasticism, or monastic
discipline, but to incarnate a new conception of monastic leadership. Looking at the
behavior of Richard, abbot of Saint-Vanne (*j* 1046)/ I want to argue that reflections
on the issue of stability, on the moral self-sufficiency of ascetic and on
interactions with the secular world occupied a central position in the development
of this new abbatial ideology. Not abbots' physical absences from their main insti-
tutions bear relevance to these discussions, but the way in which they represented
their mobility as an instrument of self-perfection and universal salvation.

Monastic teadership and the Gregorian diaiectic

As a former disciple of the cathedral school at Reims/ Richard had the same ed-
ucational background as a host of dignitaries who would contribute decisively to
the ecclesiastical and secular history of the early eleventh century, and to the de-
velopment of dogmatic and political thought.'" Among these were the future King
Robert, the son of Hugh Capet; up to three sons of King Lothar, most notably
Arnulf, archbishop of Reims; Archbishop Leotheric of Sens; Bishops Fulbert of
Chartres, Bruno of Langres, Roger of Châlons-sur-Marne and Gerard of Cam-
brai; Ingomen, abbot of Saint-Martin in Massay and Saint-German in Paris; and
Constantine, scholaster at Fleury and then abbot of Micy near Orléans; others,
like Abbot Abbo of Fleury and Bishop Adalbero of Laon came to Reims to re-

7 As recently argued in Steven VANDERPUTTEN, Monastic Reform as Process. Realities and Representa-
tions in Medieval Flanders, 900-1100, Ithaca/London 2013.
8 On Richard, see in first place Hubert DAUPHIN, Le Bienheureux Richard, abbé de Saint-Vanne de
Verdun J* 1046 (Bibliothèque de la Revue d'histoire ecclesiastique 24), Louvain/Paris 1946 and Frank
G. HiRSCHMANN, Klosterreform und Grundherrschaft. Richard von St. Vanne, in: Grundherrschaft -
Kirche - Stadt zwischen Maas und Rhein während des hohen Mittelalters, ed. Alois HAVERKAMP/Frank
G. HiRSCHMANN (Trierer historische Forschungen 37), Mainz 1997, pp. 125-170.
9 Hugh of Flavigny, Chronicon, ed. Georg Heinrich PERTZ, in: MGH Scriptores 8, Hannover 1848, pp.
280-503, here p. 368.
10 On the Reims school, see in hrst place Pierre RiCHÉ, Gerbert d'Aurillac. Le pape de Pan Mil, Paris 1987,
pp. 35-56; Charles Stephen JAEGER, The Envy of Angels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medie-
val Europe 950-1200, Philadelphia 1994, pp. 56-62 and 75-83; and Jason GLENN, Politics and History
in the Tenth Century. The Work and World of Richer of Reims (Cambridge Studies in Medieval Life and
Thought 4,60), Cambridge/New York 2004, pp. 54-69.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 109

ceive a form of advanced education.^ All of these individuals were trained to be


as proficient in their understanding and practice of the norm of religion (?2or7?2<%
re/igioTMs) as in those of worldly ethics (??7M?2(Az7M They shared the con-
viction that, whatever position they held in the Church or in the world, they were
supposed to simultaneously broadcast an aura of spiritual detachment and an at-
titude of involvement with the world. According to one contemporary commen-
tator, Adalbero distinguished himself from his contemporary peers by his belief
in the need to broadcast through his own behavior the fundamental attitudes he
wished to propagate to his ecclesiastical subjects. The key source of inspiration for
this, so his biographer implies, was the Rule of the Pastor by Gregory the Great A
Gregory's handbook thematizes the dialectic between action and contemplation in
ecclesiastical office, outlining the four stages of learning required of a good pastor:
understanding of Christ through knowledge of the Scriptures and contemplation;
experience in life; experience through suffering; and experience in discerning the
needs of the Church and its subjects.^ Adalbero himself during his tenure as arch-
bishop in equal measure represented himself as a figure of moral authority and as
a church leader and a statesman, with each aspect of his public persona providing
the legitimizing foundation for the other. Relying for authority upon his reputation
of moral rectitude, Adalbero considered himself qualified - and obliged, in order
to fuhll the purpose of his office - to intervene in secular and ecclesiastical affairs.
He aggressively pursued the creation of a new, unified Western Empire; within the
ecclesiastical structures, he not only aimed to set a moral example based upon his
personal devotion and penchant for prayer, but also projected an image of himself as

11 GLENN, Politics (note 10 above), pp. 65 f.


12 JAEGER, The Envy (note 10 above), p. 59, with reference to Hugh of Flavigny, Cbronicon (note 9 above),
p. 368, where it is claimed that the Reims school transmitted to its students a "model of the virtuous life
and of proper behavior" (Joftzzzz ^ozzeste vz'dczzdz recte^Me cozzverMZzdz).
13 The anonymous chronicler of Mouzon deals extensively with Adalbero's ecclesiology, devoting much of
book 2 to this subject. Chapter 6 is of particular importance, and includes a quote from Gregory's Rule
of the Pastor, book 2, chapter 7: MY rector zzzterzzorKZTZ czzrzzm [in] exterzorMW occzzpzztzozze zzozz wzzzzzezzs,
exferzorzzw provzdezztMtzz zzz zzzterzzorzzzTz so//zczY% Jzzze zzozz re/zzz^zzezzs; zze zzzzt exterzorzAzzs dcdzYzzs
ZMfZTTZZS corrztzzf, %%fso/zY zzzterzorzY?MS occzzpzztzzs <yzzz:e/o^Y de^etproxzzzzzs zzozz zzTzpezz&zt; Chronique ou
livre de fondation du monastère de Mouzon. Chronicon Mosomense seu Liber fundationis monasterii
sanctae Mariae O.S.B. apud Mosomum in dioecesi Remensi, ed. Michel BuR, Paris 1989, pp. 166f.; see
also BuR's introductory comments at pp. 43-45.
14 I refer to Hanspeter HEINZ, Der Bischofsspiegel des Mittelalters. Zur Regula Pastoralis Gregors des
Groben, in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Universität Augsburg für Bischof Josef Stimpflc zum 75. Geburtstag, ed. Anton ZiEGENAUS,
Sankt-Ottilien 1991, pp. 113-135, here pp. 116f.; Silke FLORYSZCZAK, Die „Regula Pastoralis" Gregors
des Groben. Studien zu Text, kirchenpolitischer Bedeutung und Rezeption in der Karolingerzeit (Studien
und Texte zu Antike und Christentum 26), Tübingen 2005; also Phyllis JESTICE, Wayward Monks and the
Religious Revolution of the Eleventh Century (Brill's Studies in Intellectual History 76), Leiden/Boston
1997, pp. 191-193.
110 I Steven Vanderputten

an exemplary church leader, addressing pastoral discipline and liturgical practices,


and promoting Benedictine monasticism's emphasis on seclusion from the outside
world as the ideal context for contemplation and divine service.
To what extent Adalbero's vision of ecclesiastical office was adopted by disci-
ples of the Reims school is best made evident through the example of Gerard, the
future bishop of Cambrai (1012-1051) and a close friend of Richard's. Following a
career as canon and later archdeacon at Reims cathedral, and a prestigious tenure
as chaplain at the imperial chapel, Gerard was appointed bishop of Cambrai/Arras
in 1012A Having assumed his new episcopal function, Gerard famously instigated
the production of a rich body of historiographical, hagiographical, epistolary and
synodal texts, all of which focussed on the defense of episcopal authority and the
promotion of a discourse that presented the bishop as sole mediator between God
and humanity, communicating divine will to the faithful and redeeming sin through
the instruments of excommunication and penance. Throughout his career, he de-
veloped a public discourse which broadcast these ideas, not just through preaching,
but also through action; like Adalbero, he aimed to embody the pastoral ideal he
was promoting. Gerard saw the legimitate distribution of the sacraments and teach-
ing of Christian belief as both grounded in the personal behavior of the clergy, and
several authors involved in the promotion of his ideas relied on Gregory's text when
projecting Gerard's vision of episcopal leadership.^ His experience in suffering, and
his ability to embody Christian virtues, was thematized most explicitly in the Deeds
of the bishops of Cambrai, where a decades-long conflict with Walter of Lens, cas-
tellan of Arras, is represented as a test of the bishop's patience and steadfastness in
defending the prerogatives of his office A His famous oration on the three orders
in society, preserved in the same text, is more or less contemporary to Adalbero of
Laon's poem to King Robert, and constitutes a staunch defense of episcopal author-
ity, and of the significance or penance to the maintenance of public order. ^ Greg-

15 The bibliography on Gerard is vast; see the references in Steven VANDERPUTTEN/Diane REILLY, Rec-
onciliation and Recordkeeping: Heresy, Civic Dissent and the Exercise of Episcopal Authority in Elev-
enth-Century Cambrai, in: Journal of Medieval History 37, 2011, pp. 343-357.
16 See in first place Bruno JuDic, La diffusion de la Regula Pastoralis de Grégoire le Grand dans l'Eglise de
Cambrai, une première enquête, in: Revue du Nord 76, 1994, pp. 207-230. Allusions to, and quotations
from, the Liber Pastoralis are woven through Gerard's Acta Synodi Attrebatensis, ed. Lucas D'AcHÉRY,
in: Spicilegium sive collectio veterum aliquot scriptorum qui in Galliae bibliothecis dclitucrant, vol. 1,
Paris 1723, for instance at p. 623; and especially the contemporary Vita Gaugerici or Life of Bishop Géry
of Cambrai, ed. Jean-Baptiste Du SoLLiER/Joannes PiNius/Guilielmus CuPERUS et al., in: Acta Sancto-
rum Augusti, vol. 2, Antwerp 1735, col. 681.
17 See VANDERPUTTEN/REiLLY, Reconciliation (note 15 above) with further references.
18 Theo RiCHES, Bishop Gerard I of Cambrai-Arras, the Three Orders, and the Problem of Human Weak-
ness, in: The Bishop Reformed. Studies of Episcopal Power and Culture in the Central Middle Ages, ed.
John S. OTT/Anne Trumbore JONES, Aldershot 2007, pp. 127-145.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 111

ory's influence in these and other discourses is self-evident, as his works crucially
determined the vocabulary and conceptual toolset of tenth- and eleventh-century
attempts to describe and analyze society, especially among clerical authors with
conservative views.^
What we know about Richard suggests that, he too, regarded Gregory's ideas
on ecclesiastical office and the dialectic between action and contemplation as con-
stituants of his identity. In a sense this is hardly surprising. After becoming a priest
at Reims, he was promoted to the function of (according to Hugh of Flavigny)
archdeacon or (according to the VfAz AfcAmA) deacon and procantord" and ac-
cording to the testimony of the Miracles of St Gengoul was assigned to care for the
cathedral s relics A This career path, which probably took him into his early thirties,
reveals that Richard was originally destined for a life in secular ecclesiastical office,
and thus is likely to have regarded his education of the Rule of the Pastor to be as
relevant to himself as to fellow students Adalbero of Laon and Gerard of Cambrai.
If Hugh of Flavigny's claim that Richard had been a at the cathedral school
is correct, it is even likely that he relied upon Gregory's text during his teaching,
and that his knowledge of that text was very intimated' What his biographers also
confirm - even though it is easy to see a hagiographie subtext in this argument - is
that his religious identity had been established prior to his conversion to the mo-
nastic life, which took place at Saint-Vanne, in July 1004. Already as a cleric Richard
had excelled through his devotion to prayer, reciting the entire psalter daily, fifty
bent over with his hands to the ground, fifty in an upright position, and fifty in a
prostrate oneA Neither did the focus of his religious experience change: prior to
his conversion, he had developed a particular devotion to the suffering Christ - a
subject treated further in this paper - and according to Hugh of Flavigny this went

19 Bruno JuDic, La tradition de Grégoire le Grand dans l'idéologie politique carolingienne, in: La royauté et
les élites dans l'Europe carolingienne (début IX^ siècle aux environs de 920), ed. Régine LE JAN (Collec-
tion "Histoire et littérature régionales" 17), Villeneuve d'Ascq 1998, pp. 17-57; and Iû., Décrire la société
féodale à l'aide de Grégoire le Grand?, in: Regards croisés sur l'oeuvre de Georges Duby. Femmes et
féodalité, ed. Annie BLETON-RuGET/Marcel PACAUT/Marcel RuBELLiN et al., Lyon 2000, pp. 169-178.
20 Respectively Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 369 and Vita Richardi (note 3 above), p. 519.
21 Gozo of Florennes (attributed), Miracula Gangolfi Florinensis, ed. Godefridus HENSCHENtus/Daniel
VAN PAPENBROECK, in: Acta Sanctorum Maii, vol. 2, Antwerp 1680, col. 649.
22 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 369. See John R. WILLIAMS, The Cathedral School of
Rheims in the Eleventh Century, in: Speculum 29, 1954, pp. 661-677, here p. 662, who argues that the
sources for Richard's role as magister at Reims are unreliable. On the decline of the Reims school in the
final years of the tenth century, see Ibid., p. 663.
23 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 369. The complete recitation of the psalter was not
uncommon for the spiritually ambitious, like John of Gorze and the hermits of Fontanevallae; see the
discussion in DAUPHIN, Le Bienheureux Richard (note 8 above), pp. 55 f. and Diane REILLY, The Art of
Reform in Eleventh-Century Flanders. Gerard of Cambrai, Richard of Saint-Vanne and the Saint-Vaast
Bible (Studies in the history of Christian traditions 128), Leiden/Boston 2006, pp. 94f.
112 I Steven Vanderputten

so far as to bring Richard to give away all of his possessions, in order to "follow
Christ naked, and imitate the poor Christ as a poor man."^ Accepting the monastic
habit was merely the next step in his C/n*M^z, a physical withdrawal from
the world to a "poor place" where "the divine honor and the rigor of
the Rule were preserved, and where they (i.e. Richard and his companion, Count
Frederic of Verdun) could exercise themselves as lovers of the new Christian pover-
ty, and ultimately instruct others in the exercise of spiritual warfare".^ "Ultimately"
turned out to be a relative term, though, for just four months into his new monastic
existence, Richard was ordained as Saint-Vanned new abbot. Hugh's account of the
circumstances of this appointment, a turbulent phase in which the of
the community had opposed the novices and younger members, even suggests that
Richard may have acted as of the novices in those short months prior to
his ordination.-^ Upon first inspection, this seems to be in contradiction with the
same author's reference to the fact that Abbot Fingen had initially refused to accept
Richard, because of his suspicions that the latter was not ready for a life of seclu-
sion and contemplation.^ But Richard's understanding of his own virtuosity may
indeed have been such that he felt entitled to teach et exemp/o the principles
of religious virtue without actually undergoing the customary, lengthy training of
ordinary monks, and this may have also caused a certain degree of wariness, or
resentment, among his future colleagues. So Hugh refers to Richard's intention at
his conversion to instruct others in "the exercise of spiritual warfare", and quotes a
comment supposedly made by Odilo of Cluny that it was no use Richard entering
his abbey "since no one would benefit from your teachingsWhile it is haz-
ardous to draw any definite conclusions from these references, it is at least worth
remarking that they do confirm the notion that Richard had entered the monastic

24 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 369: Cepzt z'gz'tzzr /<%rg<% zztzzzzzz z^zzzze czrczz sc erzzzzt Jztpezz-
vtrepztzzperz/zzzs, et /zeet ztprzzzzzs zzztzzzs cozzp^sszozzzs zzz eo opérez c/zzrzzerzzzt, tzzzzzezz ^zzo ztzztp/zzzs zztzserM
seczz/z et/V/^x ezzzt gr%tM cozztezzzptteAtzzr, eo zzzzzgzs zzzstzz At zzzzserzcorz/zzze operzAs, zzt zzzzdzzs C/zrzstzzzrz
sez?ztz, etpzzzzperpztzzperezzz zzzzztzzrz v<%/eret, ^zzzpropter zzos zzzzzzorzztzzspzzzz/zz/zzzzt %/? zzzzge/zs t/ep%MperZZ7%t
ZMsez et zzzprzzetepzo rec/tzMrz tzo/zzzt, zzt essetpzorzzzzz czArzzt zzzzzzozztorzzzzz.
25 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 370: Decretzzzzz est z'gz'tzzr cozzzzvzzzzz voto, et ex sezztezztzh
zttrzzTz^zte de/z/zerzttzzzzz est, zztpzzzzper <yztz7z'At /oczzs e/zgeretzzr, zzz zytzo Zzozzor Dez et rzgor regzz/zze cozz-
sertzztretzzr, zzA zzoA e/zrzstzzzzzzzepzzzzpertzztzs zzzzz^ztores exercer/, et szc dezzzzzzzz zz/zos zzz spzrztzzzz/zs tyroezzzzz
exercz'tz'o z'zzstrzzere pottezzt.
26 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 372.
27 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 370: F/zzc szzzze czztzz se coz^erre destz'zzznz/ssezzt, ud /zoe
tzzzzzezz exp/orzztzzrz cozztzezzerzzzzt, zzt opzzzzozzz zzzzzzzzs credzz/z oczz/zs zzttezzderezzt, sz eo se coezzo/z/o rec/zz-
Ferezzt. When the archbishop of Reims intervened because Richard had not asked for dispensation, Ab-
bot Fingen dismissed the latter, only to accept him again when the issue with the archbishop had been
resolved. Hugh suggests having seen Arnulfs approbatory note; Hugh of Flavigny, Chronicon (note 10
above), p. 371.
28 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), pp. 371 f.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 113

life with the express intention of not only withdrawing from the world, but of also
carrying out the Gregorian ideal of pursuing the conversion of others. As we shall
see further, this included the laity.
It may seem paradoxical to argue that precisely these attitudes made Richard
an excellent candidate for abbatial office at Saint-Vanne. Like his fellow alumnus
Gerard of Cambrai, Richard saw the monastery not just as a place for worship - their
secular ecclesiastical backgrounds had them value other contexts just as much
but as a 'professionalized' exercise ground for spiritual perfection. For most monks,
the spiritual and mortihcatory goals the reformers were setting were unattainable
unless pursued in an environment hermetically sealed off from the temptations of
the worldA What was needed, therefore, were religious vhTMOsi whose ascetic qual-
ities were so highly developed that they did not need the rigours and regularity of
life in the cloister to enable them to observe the monasticproposz^MW, and who were
able to reach out to lay society without the risk of being compromised, morally or
otherwise.^ As early as the first half of the tenth century, abbots, most notably at
Cluny, had been trying to come to terms with the tense relation between
/ocz and good abbatial behavior. The necessity of actively engaging with the outside
world, among others to manage the monastic estate, interact with secular donors,
and weave the intricate web that comprised the abbots' network in this period, led
to a situation where it was an abbot's ex duty not to observe the virtue of
The solution to this problem was thematized in Cluniac abbatial ideolo-
gy, which represented the office of abbot as the monks' sole between
themselves and the worldA Abbatial itinerancy was the key instrument to promot-

29 This distinguished him from his contemporary Abbo of Fleury, who emphatically rejected the Pseu-
do-Ambrosian's and Adalbero of Reims' view of society as tripartite (bishops - rulers and princes - 'or-
dinary people') and considered the monastic onA to stand above the clerical one, with bishops acting as
mediators between the cloister and secular society; George Huntston WILLIAMS, The Golden Priesthood
and the Leaden State. A Note on the Influence of a Work Sometimes Ascribed to St. Ambrose: the .Serwo
tfe in: The Harvard Theological Review 50, 1957, pp. 49f. and Marco MosTERT,
The Political Theology of Abbo of Fleury. A Study of the Ideas about Society and Law of the 10^-Cen-
tury Monastic Reform Movement (Middeleeuwse studies en bronnen 2), Hilversum 1987, pp. 98-100.
Richard, so it seems, did not share these ideas; his focus was on the as individual.
30 JESTICE, Wayward Monks (note 14 above), pp. 172 f. For monks, especially those who had converted as
adults, acting like Thierry of Saint-Hubert did according to his biographer, displaying total obedience and
humility in thought and behavior, practicing mortification, incessant prayer and study of the Scriptures,
would have been impossible unless they lived in a state or total seclusion from the outside world; Vita
Theoderici abbatis Andaginensis, ed. Wilhelm WATTENBACH, in: MGH Scriptores 12, Hannover 1856,
pp. 36-57, here pp. 41-43.
31 JESTICE, Wayward Monks (note 14 above), p. 173.
32 Isabelle RosÉ, Construire une société seigneuriale. Itinéraire et ecclésiologie de l'abbé Odon de Cluny
(hn du IX^-milieu du X^ siècle) (Collection d'études médiévales de Nice 8), Turnhout 2008, p. 561. The
presence and use of Gregory's works in monastic contexts is well attested. Odo of Cluny (927-942) for
instance used several of the former's texts, including the Rule of the Pastor, in his own writings, and relied
114 I Steven Vanderputten

ing monastic interests and making sure that ordinary monks could pursue their
spiritual goals in splendid isolation whilst providing a valid service to society. The
abbot also attracted new converts, and transferred them personally from a secular
state to that of a novice, and then monk; he did likewise for gifts, which he helped
transform from worldly goods (fe??7po?*<%A%) into spiritual ones Abbots'
absence from the cloister also served a broader purpose: it helped promote monas-
tic virtues to secular audiences, for instance by enabling the abbot to show charity
towards the poor - a virtue often represented as a redistribution of aristocratic
wealth A Individuals like Odo of Cluny and William of Dijon thus functioned as
'active extraworldly ascetics', leaving the cloister to simultaneously assume a posi-
tion of moral dominance in the world and present themselves as mediators with the
divine. However, Odo's and William's ideology, even though it contributed to the
sanctification of the world, was focussed primarily on the traditional concerns of
a regular abbot, the nature of power networks in this period (based upon personal
exchanges between individuals) and on the appropriation of Carolingian models of
aristocratic lordshipA
Richard hardly found himself in a similar position as regards secular lordship
over any of the institutions he subsequently helped reform. By all accounts he saw
the office of abbot as legally subordinate to that of the bishop, and recognized
monasteries' function as representative institutions of episcopal authority and/or
dynastic identity.^ But as regards his own person, I contend that he did not, at any
point from 1004 onwards, conceive of himself as in the first place as a monk or an

on Gregory's ecclesiology to justify his involvement in the promotion of monastic virtues to non-monas-
tic audiences (Ibid., p. 89); see also, more generally, JESTICE, Wayward Monks (note 14 above), pp. 68-75
and 190-195. The library of Gorze also contained two copies of the as well as several
other manuals for use by bishops; see Anne WAGNER, Gorze au XT siècle. Contribution à l'histoire du
monachisme bénédictin dans l'Empire (Atelier de Recherches sur les textes médiévaux 1), Turnhout 1996,
pp. 124-126 and 145.
33 Isabelle RosÉ, Circulation abbatiale et pouvoir monastique de l'époque carolingienne au premier âge
féodal (IX"-XT siècle), in: Des sociétés en mouvement: migrations et mobilité au Moyen Age. XL" con-
grès de la SHMESP (Nice, 1-6 juin 2009), ed. Société des historiens médiévistes de l'Enseignement
supérieur public (Publications de la Sorbonne. Série histoire ancienne et médiévale 104), Paris 2010, pp.
251-266, here pp. 260f.
34 RosÉ, Construire une société seigneuriale (note 32 above), p. 561 and RosÉ, Circulation abbatiale (above
note 33), p. 265, with reference to IoGNA-PRAT, Panorama (note 2 above), pp. 113-117.
35 Contrary to his contemporaries Odilo and William, Richard did not refuse to promise obedience to the
o?Yp7M?*2MS (on William, see Neithard BuLST, Untersuchungen zu den Klosterreformen Wilhelms von Di-
jon (962-1031) (Pariser historische Studien 11), Bonn 1973 and ID., La filiation de St-Bénigne de Dijon au
temps de l'Abbé Guillaume, in: Naissance et fonctionnement des réseaux monastiques et canoniaux. Actes
du 1er Colloque International du C.E.R.C.O.M., Saint-Etienne, 16-18 septembre 1985 (C.E.R.C.O.R.
Travaux et recherches 1), Saint-Etienne 1991, pp. 33-41). He is recorded as having done so upon his
election at Saint-Vanne (Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 372), and at no point during his
subsequent career did he challenge this episcopal prerogative.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 115

abbot, but as a religious Entering the monastery had been a transitional


act intended to facilitate pursuit of his spiritual goals in a state of detachment from
worldly concerns; at the same time, the incremental growth of his virtuosity bore
in itself the responsibility to transcend the monastery as a secluded environment,
and carry out a mission of converting both his own subjects (turning them into
ideal, ascetic monks) and the world at largeA Resisting his authority, and denying
his behavior as an example of virtuous piety, was to reject the salvatory virtues he
was himself embodying through his conduct.^ According to Hugh, Richard was

"of pious expression, venerable in his way of walking, severe against miscre-
ants, tender to those of good will [...] extremely fervent in the observance of
the Rule, extremely prudent in the correction of vices, extremely competent
in chastity, and absolutely perfect in demonstrating good works.

Importantly, Richard's own observance of these virtues was grounded not in his
formal vows as monk or obedience to an ecclesiastical superior, but in his desire to
emulate Christ A Thus he dissolved the traditional boundaries between secular cler-
ical and monastic contexts, demanding from the religious leadership a degree of de-
tachment that made the institutional context in which they carried out their mission
irrelevant. As such, he embodied the closing gap between conceptions of monastic
asceticism and those regarding clerical behavior, presaging the discussion over the
purity of the priesthood that would erupt in the mid-eleventh century.^" No longer
was it truly important whether one was a clerical leader or an abbot: what mattered
was one's mission in life, which was to convert oneself by converting others.

36 I refer to Anne WAGNER, De l'humilité de l'abbé Richard, in: Autour de la congégation de Saint-Vanne et
de Saint-Hydulphe, l'idée de réforme religieuse en Lorraine (Journées d'études meusiennes (2-3 octobre
2004; Verdun, Saint-Mihiel)), ed. Noëlle CAZiN/Philippe AziN, Bar-le-Duc 2006, pp. 11-14.
37 Hugh writes how, shortly after his election, Richard and Frederic travelled to Emperor Henry's CMfM;
once there, Frederic was given a suitable place of honor at the emperor's side; to everyone's surprise, he
abandoned his place in favor of Richard; Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 372.
38 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 376: [...] w severe
COMt7*<% 7Tj7?*O^OS, <2cAo?2e COWjzoSZfMS, SCWjzer AoWCStMW
terrore, % vero it? reg%/%e ^
corrigea Jzs ficzA prMaletttfsszAtMS, w cAeMtzAmtMS, m exzAztzoMC
77!MS.

39 See WAGNER, De l'humilité (note 36 above), pp. 11-14.


40 For a discussion of this debate, see Rachel FuLTON, From Judgment to Passion. Devotion to Christ and
the Virgin Mary, 800-1200, New York 2002, p. 106 onwards.
116 I Steven Vanderputten

Richard's Life of Roding

Richard was preoccupied by the need to justify these attitudes, for his understanding
of virtuosity and its inherent obligation to convert the world, by default constituted
a criticism of older visions of priesthood and abbatial office. Valuable information
in this regard can be found in his or Life of St Roding, patron saint
of the abbey of Beaulieu, also known as Vaslogium, a minor institution situated in
the Argonnes regionV Besides celebrating the sanctity and achievements of Roding,
the Life encapsulated Richard's vision of monastic leadership, and in that sense its
significance to our understanding of the man is greater than his better-known Life
of St Vanne, which he wrote in support of the cult of his main institution's patronV
It is also far more layered discursively than the latter narrative, refers to more inter-
esting textual antecedents, and concerns issues that can be shown to be of immediate
relevance to his conduct as abbot.
To anyone familiar with Richard, his conduct and his career, reading or listen-
ing to the text must have been an eerie experience, for many of its passages echo
the latter's own leadership of Saint-Vanne. Like Richard's, Roding's leadership at
Tholey and, later on, Beaulieu, is geared to creating a suitable environment for
the contemplative existence of his brethren, and entails the construction of new
buildings for worship (something Richard had actually done at Beaulieu and other
institutions), the acquisition of important privileges and relics, the attraction of
pilgrims and patrons, and the promotion of redemptive donations from the lai-
ty. Roding's relations with the episcopal leaders of Trier and Verdun are excellent,
and with Bishop Paul he achieves ayhymYLzW^ not unlike that which Richard had
with Haimo of Verdun and Gerard of Cambrai. As an individual with exceptional
spiritual and ascetic capabilities, the textual Roding also develops in much the same
way as Richard appears to have done in real life. Like Richard, Roding is educated
for, and initially pursues, a career in the secular clergy. Once professed at Tholey,
he is noted early on for his exceptional qualities and quickly assumes the office of
abbot. In relations with his brethren, he exhorts them through admonitions and

41 Richard of Saint-Vanne, Vita Rodingi, ed. Luc D'AcHÉRY/Jcan MABiLLON, in: Acta Sanctorum Ordinis
Sancti Benedicti, vol. 4, Paris 1680, cap. 532-538. Regarding the attribution of this text to Richard, see
Wolfgang HAUBRiCHS, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomastische und chro-
nologische Untersuchungen (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung 15), Saarbrücken 1986, p. 98 onwards, and Guy PmLiPPART/Anne WAGNER, Hagi-
ographie des diocèses de Metz, Toul et Verdun 920-1130, in: Hagiographies, ed. Guy PmLiPPART, vol. 4,
Turnhout 2006, pp. 698-700.
42 Richard of Saint-Vanne, Vita Sancti Vitoni Virdunensis/Libellus de miraculis sancti patris nostri Vitoni,
ed. Hubert DAUPHIN, in: ID., Le Bienheureux Richard, abbé de Saint-Vanne de Verdun *}* 1046 (Biblio-
thèque de la revue d'histoire ecclésiastique 24), Louvain/Paris 1946, pp. 360-378.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 117

his own, strenuous observance of monastic discipline. His special capacities justify
his seeking new spiritual challenges and new institutional environments, conduct
that receives endorsement from the bishop of Verdun. Thus, Roding can pursue a
spiritual path that is distinct from that of his monks, yet can continue to exercise
his role as abbot - significantly, Richard in the 1030s would do exactly the same,
retreating from Saint-Vanne to a hermitage near Remiremont but retaining all his
rights over the four institutions he headed as abbotV Finally, despite the fact that
Richard's dying hours and burial would be organized differently from those de-
scribed in Roding's Life, the designated locus of the latter's grave - in front of the
altar of St John the Evangelist - also echoes Richard's personal preferences. When
Richard was buried in the crypt of Saint-Vanne's abbatial church, it was in front of
an altar devoted to Saint Mary and John the Evangelist.^
Thus, in the VA<% AoJmgz, Richard - or another author closely affiliated to him -
presented his audience with a thinly disguised commentary on his own monastic
leadership, and on the behavior that entitled him to this position. But his abbacy of
Saint-Vanne and several other monasteries covered but part of his identity; revealing
in this sense are the texts he used to compile the Life, and the specific vision they
project as regards religious leadership. In the introduction, Richard briefly quotes
the Life of Bishop Paul (']* 648); and for the traditional 'catalogue of virtues' he
reworked the one found in the Life of St Madalveus (J774)V His reliance on these
episcopal hagiographies, in particular Madalveus' Life, is interesting not just for the
fact that he borrowed specific sentences or, in the latter case, a previous author's
version of a literary topos. First, it is not hard to imagine that he wanted to ac-
knowledge Bishop Haimo's role in initiating the reform of Beaulieu, and to under-
score the fact that his own agency as reformer was always subject to episcopal ap-
proval. Second, given his antecedents at Reims, Richard is also likely to have taken a
personal interest in episcopal role models; as we have seen, in the Life he argued that
Roding himself came from a secular ecclesiastical background before entering the
monastery. And third, Madalveus' biography strikingly brings forward elements of
the saint's devotional practices and religious leadership that closely match what we
know about the 'non-typically monastic' aspects of Richard's life.

43 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 402; Vita Richardi (note 3 above), pp. 526 f. DAUPHIN, Le
Bienheureux Richard (note 8 above), p. 302, speculates that Richard's absence from the active life lasted
from c. 1033 to c. 1039.
44 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 405.
45 On this and quotations from the Lives of Madalveus and Magneric, see HAUBRiCHS, Die Tholeyer Abts-
listen (note 41 above), p. 98 (with references to previous publications).
118 I Steven Vanderputten

In the Life of Madalveus, which was written probably sometime in the late tenth
or early eleventh century, certainly prior to Richard's discovery of his remains,^ the
saint is represented as a man devoted to meditation and prayer, charity, humility,
obedience, and mortification through vigils and fasting. He is particularly praised
for his apostolic conduct, his justice, and his promotion to the laity of penance
(urging his subjects to give alms, perform acts of penance, and fear the torments
of hell) A Another significant passage concerns his pilgrimage to Jerusalem, during
which he visits Rome, journeys on to Constantinople, and finally reaches the Holy
Land, where he visits the Holy Sepulchre and is received by the patriarch.^ The re-
markable matches between the VzAt TGJnAez and Richard's own biography surely
are not a coincidence, and are suggestive of its relevance to Richard's mode of life
and behavior as abbot. It is known that Madalveus was of exceptional significance
to Richard: of all the remains of bishops of Verdun that were discovered at the
abbatial church of Saint-Vanne during Richard's abbacy, those of Madalveus were
the only ones to be reburied inside the crypt, close to the altar of Saint Mary and,
eventually, Richard's own grave.
Further insight into what arguments Richard was drawing upon can be gained
by looking at a third text he used when writing the AoJmgi, and at the spe-
cific context in which this narrative originated. Chapter 1 of the Life relies on the
TLtgTzerzc? or Life of Magneric, the sixth-century bishop of Trier, to confirm
Roding's acquaintance with Columbanus and Gallus.^ The Life of Magneric, like
that of Madalveus, ascribes attitudes and actions to the saint that echo Richard's
own behavior as abbot; but Magneric had the added advantage of being both a
monk and a cleric, just like Richard himself. In Chapter 1, Magneric is described as
a monk exceptionally inclined towards prayer and meditation, as a great preacher;
his is tested by his abbot. Chapters 2-3 show him as highly regarded by
the secular rulers of his world, and describe how he assists them "for the common
good" regm conduct that is echoed in Richard's involve-
ment in the proclamation of the Peace of God and in other interventions discussed
in Chapter V of this book. Chapters 4-5 deal with the diversity of religious life in
the region around the city of Trier, highlighting how communal cenobitism and

46 Anne WAGNER, Les collections de reliques à Verdun. Essai d'organisation d'un espace urbain au XL siè-
cle, in: Reliques et sainteté dans l'espace médiéval, ed. Jean-Luc DEUFFic (Pecia. Ressources en médiévis-
tique 8/11.2005), Saint-Denis 2006, p. 508.
47 Vita sancti Madalvei, in: Les manuscrits hagiographiques de Charleville, Verdun et Saint-Mihicl, avec
plusieurs textes inédits, cd. Joseph VAN DER STRAETEN (Subsidia hagiographica 56), Brussels 1974, pp.
191-194, 199.
48 Vita sancti Madalvei (note 47 above), pp. 195-198.
49 Vita sancti Magnerici, ed. Jean-Baptiste Du SoLLiER/Joannes PiNius/Guilielmus CuPERUS et al., in: Acta
Sanctorumjulii, vol. 6, Antwerp 1729, col. 183-191.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 119

more eremitical ways of life existed alongside each other, and how individuals from
both environments became saints. The Life celebrates those hermits who were de-
voted to prayer, vigils, and fasting; but at the end of chapter 5, the saint convinces
one such man to enter the monastery. Here too, the echoes of Richard's own life
resonate loudly.
Even though the literal borrowing from the Lives of Madalveus and Magneric is
limited, the mere reference in the 7?o Jhzgf to these texts is revealing. In addition
to helping him paint a picture of the ideal abbot, by drawing on the bishops' Lives
Richard was able to augment this narrative project with discussions of the ideal re-
ligious leader's involvement in the conversion of the secular world, and the struggle
of a religious to achieve what one might call spiritual self-sufficiency. The
Life of Madalveus focuses on its subject's virtues, his hankering for seclusion, and
his devotion to the figure of Christ; in addition, it highlights his apostolic agency,
justice, and promotion of penance. Magneric's biography, while equally laudatory
of his inclination towards prayer and asceticism, is more concerned with its sub-
ject's position of moral authority among the highest of secular rulers, and explicitly
addresses the issue of the relationship between eremitism and cenobitism as two
different means of achieving religious perfection.
It seems reasonable to think that the implicit references to these texts are sugges-
tive of the fact that Richard was aiming to construct a discourse that transcended
the significance of St Roding, and related to Richard's own life and thinking. The
same is true for the assumption that Richard was more preoccupied by the ques-
tion of how to be an ideal religious leader and than how to be an abbot.
Considered togheter, his Life of Roding, and the arguments found in the three bish-
op's lives he used to compile it, suggest that he saw no fundamental contradiction
between secular ecclesiastical leadership and its monastic counterpart, and in fact
regarding one fundamental attitude, the pursuit of spiritual perfection, as legitimiz-
ing the exercise of both functions.

Stages of withdraws!

Given the problematic dating of the Vzha Äorfmgf - between c. 1015 and Richard's
death in 1046^° - and of several of the texts used to compile it, it is hazardous to
speculate on whether Richard first theorized his own behavior and then carried
out these ideas, or saw the writing of the Life of Roding as an extension of his reli-

50 Especially HAUBRiCHS, Die Tholcyer Abtslisten (note 41 above), p. 98 and 167.


120 I Steven Vanderputten

gious and ecclesiastical leadership through preaching and action. It is nevertheless


important to reflect upon these issues, for the 1020s marked a significant transition
in Richard's life. His gradual withdrawal as abbot from various institutions in Cam-
brai (in the early 1020s) and Liège (early 1030s, with conflicts with the local bishops
starting presumably as early as the mid-1020s), his pilgrimage to the Holy Land in
1026-1027, and his eremitical phase in the 1030s, all indicate that the exercise of ab-
batial office did not fully satisfy his spiritual needs. This is significant, for as we have
seen, the Æoafwgz takes an ambiguous position in the debate over which form
of withdrawal - eremitism or cenobitism - offered the best chances for spiritual per-
fection. Likewise, we do not know exactly when one of the key sources of the
ÄoJmgz, the Tf<%gzzerz<rz, which also comments on these issues, was composed.
But we do know its author, a monk named Eberwin, a personal acquaintance of
Richard's who combined the abbacies of Saint-Martin in Trier and perhaps also that
of Saint-Paul in Verdun, with that of Tholey, and is attested in the primary evidence
from c. 1018 to c. 1036. Eberwin's most notable achievement is the creation of a
body of texts which all concerned Saint-Martin's historical antecedents: the
TLzgTzerzcz, a treatise entitled Calamities of the abbey of Saint-Martin in Trier, and
antiphons and responsories for the feast of St Magneric. The Life of Magneric, itself
modeled on the Life of St Paul, sketches the history of the abbey up to the Mero-
vingian age, arguing that it had been a Benedictine institution from its inception,
and underscoring the monks' cordial relations with saintly hermits, several of whom
subsequently converted to a cenobitical existence.^ If Haubrichs' tentative dating of
post-1024 for the works devoted to Magneric and Saint-Martin is correct, then the
THgTzerzcz's composition took place near a time of intensive contact between
Eberwin and Richard, for in 1026-1027, Eberwin joined Richard on his pilgrimage
to the Holy LandV In addition to the experiences they shared on this journey, the
two men were both particularly interested in the tension between eremitism and
cenobitism as competing ways of pursuing moral perfection and spiritual self-suf-
ficiency, and in finding ways to justify both existences as equally valid. Eberwin,
although he was a Benedictine abbot, promoted saintly hermits, as indicated in
the TLzgTzerzci (in the person of St Wolfilaic)," but particularly so in his Vzt<%
SymeozzL, which documents an extreme case of a man constantly wavering between
both worlds without yet losing his spiritual integrity.^ In the text, pilgrimage and

51 HAUBRICHS, Die Tholeyer Abtslisten (note 41 above), pp. 164-166.


52 HAUBRICHS, Die Tholeyer Abtslisten (note 41 above), pp. 167f.
53 In the Life, Magneric convinces Wolhlaic to enter the monastery (Vita sancti Magncrici (note 49 above),
pp. 189f.).
54 Eberwin of Tholey, Vita sancti Symeonis, ed. Godefridus HENSCHENius/Danicl VAN PAPENBROECK, in:
Acta Sanctorum Junii, vol. 1, Antwerp 1685, col. 89-95.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 121

- spiritual and physical wandering are explicitly represented not as


breaches of the monastic virtue of stability, but as acts supporting spiritual with-
drawal from the world. The fact that Symeon was actually a contemporary of Eber-
win and Richard's, and that both men had actually been closely involved with him,
makes the relevance of this latter narrative all the more acute to our understanding
of how thinking about seclusion and eremiticism evolved in Richard's circle during
the crucial years between c. 1025 and the early 1030s.
The origins of the VE<% .SymeoTZM are well documented. During their journey,
Eberwin and Richard made the acquaintance of Symeon of Syracuse, a man whose
life so far had seen a constant alternation between the emeritical and the cenobitical.
Symeon eventually traveled to Francia, passing through Normandy and Verdun
(where he was received by Richard), and ending his journeys in Trier. In 1027 or
1028-1030, he acted as guide to Archbishop Poppo of Trier's pilgrimage to Jerusa-
lem; upon his return, Symeon withdrew as a hermit to the Porta Nigra, the former
Roman gatehouse of Trier. There, he died in June 1035. In the same year, Eberwin
drafted a biography, which he intended to use as evidence towards the man's can-
onization. In Eberwin's original account, at the beginning of his monastic/eremitical
career Symeon - like Eberwin and Richard in 1026-1027 - visits the holy places of
the Passion, Resurrection and Ascension; he then joins a man living as a hermit in
a tower alongside the river Jordan, but is rejected because he Erst needs to acquire
the discipline of living in a monastery. Symeon enters a monastery, then moves to
another one, and eventually retires to a cave near a river. From there, he remains in
contact with his former community, and returns from time to time. Crowds of vis-
itors make him decide to rejoin the monastery, which he then abandons, only to re-
turn again, living a life of strict abstinence. After resuming his eremitism once again,
he is once again recalled by his abbot. In Antiochia, he meets Richard, "whom he
adopts as a father". Subsequent parts of the VE<% recount his travels to Francia,
Verdun, and eventually Tholey; his journey to Trier with Poppo; and his death and
a handful of miracles.
Richard's near-contemporary and critic Peter Damiani (*j* 1072/1073), also a for-
mer cleric, challenged the notion that the monastery was the best environment to
pursue mimicry of Christ, judging that hermits were better suited to operate a form
of self-judgement by subjecting himself to voluntary acts of extreme self-denial. In
contrast, Eberwin states that the monastic discipline in Symeon's last community
before leaving the Near East was such, that "he who wished to fast was not pro-

55 Many of Richard's monastic contemporaries interpreted pilgrimage similarly; see Giles CONSTABLE,
Monachisme et pèlerinage au Moyen Age, in: Revue historique 258, 1977, pp. 5-27, here pp. 12 f.
122 I Steven Vanderputten

hibited of doing so".^ This probably was exactly how Richard imagined the ideal
monastic community, where there was room for private mortification and devo-
tional practice. For the majority of monks, though, life in the monastery remained
a permanent condition to maintain one's observance of the virtues of obedience
and humility; but the most talented were not bound for life to monastic stability,
and could indeed rely on their spiritual steadfastness to withdraw from communal
life and engage with the outside world. For real thtlMOF? like Symeon and Richard,
cenobitical life was just a transitional phase in one's progressive withdrawal from
the world, and indeed just a stage towards an even greater form of detachment.
Assuming that this interpretation applies to the real-life Richard, we may specu-
late that his embarking on the 1026-1027 pilgrimage and subsequent withdrawal as
a hermit were intended as indicators of his ability to transcend the confines of the
cloister in pursuit of perfection, an extension as it were of the spiritual justification
of his abbatial itinerancy. Eberwin revealingly writes that "Symeon understood that
no-one could excel in the eremitical life, unless he had first learnt to subject himself
[to others] in the monastery; and that no-one could be perfect in the contemplative
life, unless he had been trained in an active one."^ Contrary to the reluctant Peter
Damiani, this withdrawal did not conflict with, but enhanced, Richard's prerogative
to contribute to the conversion of the world. Thus Richard did not go on a private
pilgrimage, but took along great numbers of pilgrims; and when he retired as a her-
mit, he continued to exercize his function as abbot. Like Symeon, he saw himself
going through stages of withdrawal, from which he could emerge, each time closer
to his ideal of imitating Christ, but never discharged from his obligation to teach,
and correct. Eventually, in the later 1030s, he returned to Saint-Vanne, to resume the
care of his subjects and perform an ultimate act of self-sanctification.

Imitating Christ as a universal act of redemption

In the Aotfmgz, Richard relied on an ambiguous discourse, sourced from hagi-


ographie and patristic narratives, to construct his religious leadership and his iden-
tity as "zh?7M0J0. His intensive study of the Lives of Madalveus and Magneric, his
engagement with like-minded abbots like Eberwin, and the events and decisions

56 Eberwin of Tholey, Vita sancti Symeonis (note 54 above), cob 90: Regzz/zz zzzztew zwowzz^terz'z' tzz/z's zzt
Mow ^77*0AAretwr, <yzzzczzzw<yzze yeyzzwzzre
57 Eberwin of Thoiey, Vita sancti Symeonis (note 54 above), col. 89: 7wte//exzY zzzz//wzw z'w eremo ^z^z/zo^e
wzszyrzzzs z'w wzoMzMterz'o Jz'Jz'cerzY zz/z'<yzzzZMz/o^ z'w cowtezw^/zztzVe, zyzzz
exerczYwtzzs wowhz wctzVw vz'tzz.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 123

that shaped his self-conception as abbot in the 1020s and 1030s, are suggestively
reflected in his Life of Roding. Indeed, considered together with the sources on
which it relied, the latter text may be regarded as his spiritual autobiography. But as
I suggested earlier, it was not just through literary means that Richard demonstrated
his involvement in the Gregorian dialectic: He also developed modes of behavior,
including some devotional, that he considered specific to a select group of -
regardless of their actual status as clerics or monks - and that sometimes conflicted
with those behaviors he promoted to his subjects and his lay audience. According
to his biographers, from before his appointment as abbot of Saint-Vanne, Richard
had adopted a habit of each day reciting the entire psalter before a crucifixA Hugh
claims that

"Richard steadfastily recalled the Passion of Christ, which took up almost all
of this thoughts. What else was the purpose of his entire life, than to want to
suffer for Christ, to be slaughtered for him and to be buried, so that he could
give himself through Christ and gloriously resurrect with him?"^

Richard's personal devotion undoubtedly lay at the origins of a legend, according


to which the figure of the crucified Christ responded to his incessant weeping by
blessing him/° Naturally such stories, which were committed to writing many years
after his death, should be treated circumspectly;" but there is a possibility that they
echo oral traditions that referred to actual practices of devotion and, importantly,
preaching.
There was nothing unusual about Richard's interest in the suffering Christ, and
certainly he was not a pioneer in this respect. Since Late Antiquity, an extensive
literature, both poetic and exegetic, devoted to the cult of the Cross had been been
popular with monastic and clerical audiences/- and several of Richard's contempo-
raries added to this body of texts. This new literature, as well as the relatively scarce
iconography of the Cross from the later tenth and early eleventh century/^ suggest
that the focus of thinking about the spiritual significance of the crucified Christ was
shifting from Christ as divine being, triumphant over death, to that of Christ as a

58 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 369.


59 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 396.
60 Vita Richardi (note 3 above), p. 533.
61 DAUPHIN, Le Bienheureux Richard (note 8 above), pp. 298 f.
62 Joseph SzôvÉRFFY, 'Crux hdelis ...' Prolegomena to a history of the Holy Cross hymns, in: Traditio 26,
1966, pp. 1-41.
63 See Jean-Marie SANSTERRE, Le moine et le "miles" exaltés par l'humilité du Crucifié: à propos de deux
miracles racontés au XL siècle, in: Revue belge de philologie et d'histoire 77, 1999, pp. 831-842, with
references to further literature on pp. 831 f.
124 I Steven Vanderputten

human, suffering for humanity's redemption. Writing for a monastic audience, John
of Fecamp found in the exploration of the details of Christ's suffering the ultimate
means of pursuing spiritual union with the divine;*^ so did Petrus DamianiA Several
key hgures in Richard's closer circle of ecclesiastics broadcast similar views. In his
famous discourse against a group of heretics which had sprung up in Arras, written
shortly after 1025, his contemporary and friend Gerard of Cambrai countered the
heretics' objections against the use of images and specifically defended representa-
tions of Christ's passion and deaths And we should also not forget that Richard's
appointer, Bishop Haimo of Verdun, like his master Notger of Liège and, to a more
limited extent, Gerard of Cambrai, at the time were reorganizing their respective
urban landscapes in view of creating a new GolgothaA Richard undoubtedly also
did some broadcasting in favor of venerating the suffering Christ/^ One anecdote,
recorded in the Miracles of St Solemnis, has Richard celebrating mass and preaching
in a church in Blois during his return journey from a visit to the shrine of St Martin
in Tours. The subject of his sermon was the Passion of Christ, and the lance; as the
abbot was discussing these things, the crucifix was bathed in heavenly light, and
christal clear water began to flow from the wounds on the crucifix which hung in
the church.^ More reliable evidence, preserved in a letter from 1012/1013, is Rich-
ard's own account of a vision experienced by a monk of Saint-Vaast, in which an
angel revealed the meaning of Christ's suffering/"
Richard nonetheless also relied on his devotion to the suffering Christ as means
of demonstrating his virtuosity, grounded in his personal identification with Christ's
suffering/^ As various authors have noted, an ambiguous subtext ran through his
organisation of the pilgrimage to the Holy Land. Even though different accounts

64 On John of Fecamp, see especially FuLTON, From Judgment (note 40 above), esp. pp. 89-106, who
comments on a growing sense of urgency in this devotional culture.
65 André WiLMART, Les prières de S. Pierre Damien pour l'adoration de la Croix?, in: Revue des sciences
religieuses 9, 1929, pp. 513-526.
66 Acta Synodi Attrebatensis (note 16 above), p. 622. See FurroN, Front Judgment (note 40 above), pp.
83-87.
67 Frank G. HIRSCHMANN, Stadtplanung, Bauprojekte und Grossbaustellen im 10. und 11. Jahrhundert.
Vergleichende Studien zu den Kathedralstädtcn westlich des Rheins (Monographien zur Geschichte des
Mittelalters 43), Stuttgart 1998.
68 As did many of his contemporaries; see SANSTERRE, Le moine (note 63 above).
69 Miracula Sancti Solemnis, ed. Lucas D'AcHÉRY/Jcan MABiLLON/Thierry RuiNART, in: Acta Sanctorum
Ordinis Sancti Benedicti, vol. 6,1, Paris 1701, col. 534.
70 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), pp. 383 f.: Ange/ns; Dzco tzèz, tnne dzeet &/v<%tor.' O omnes
gentes. Ange/z, <%rc/M72ge/z, zzposto/z, O omnes gentes, vzdete do/ores meos,*pn/pnte et vzdete; vz/etepns-
szonem menm. mztntts mens; szent/hf zn erzzee propter vos, stc tttm comm vo/w's. O omnes gentes, won
nzzrztm et nrgentnm propter vos dedz, nec zz//zzm ^omznem, sed corpus mezzm. O omnes gentes, ego nmn
vzvos, trnJzdz corpzzs mezzm propter vos. vzJete do/ores meos. Anz'mn; O Domine, zyzttJ respondeizzznt
tzzncf Ange/zzs/ Omnzn opern vestrn responde^zzntproptervos.
71 Compare with FuLTON, From Judgment (note 40 above), p. 75 onwards.
The Mind as Cell and the Body as Cloister I 125

speak of up to seven hundred participants, Richard apparently organized it in such


a way so as to focus attention on his person.^ In particular the timing of his visit to
Jerusalem was well-chosen, in that he could enact an much like Christ's,
and celebrate the Holy Week there. According to Hugh, Richard arrived on Palm
Sunday; on White Thursday he washed the feet of the poor; on Holy Friday, he
spent the day in mortification and the night in prayer; on Saturday, he attended
the office and various other liturgies at the Holy Sepulcher. On Easter Sunday, he
received communion, and spent the afternoon with the patriarch.^ Richard also
visited the /z'e%x Je wemozre of the suffering Christ; and if we are to believe the
AzcAzrJz, he also visited the river Jordan.^
Richard s C^rMfz was heavily charged with emotions, and called for a
devotion driven by compassion of the suffering Christ.^ But his behavior, if ac-
curately represented by Hugh, also suggests that he wished to convey a message
that his actions derived from the single, ultimate goal of actually participating in
the Savior's redemptive agency. Revealing as to how significant this idea was to
his self-conception is what happened to several relics associated with the Passion
that he brought back from the Holy Land. In 1028, shortly after his return, he
sold several of his abbey's relics to relieve a hunger crisis, and called upon other
ecclesiastical and secular lords to follow his example.^ But the Passion relics re-
mained, and contrary to the many other relics he handled as abbot appear to have
been his private property. On his deathbed, Richard held on to them closely, while
he listened to some of his monks reading the Passion stories and appropriate ex-
cerpts from Gregory's Dialogues.^ At one point, he slowly passed the relics over
his entire body, self-administering a ritual act of cleansing, mirroring, both in act
and in meaning, the salvatory unction. He also arranged for his burial in the reor-
ganized crypt of Saint-Vanne, in front of the altar of Mary and John the Evangelist,
recreating as it were the scene at Golgotha. This final preparation constituted the

72 Hugh's account of Richard's pilgrimage can be found in his Chronicon (note 9 above), pp. 393-396.
On the pilgrimage, see DAUPHIN, Le Bienheureux Richard (note 8 above), pp. 281-296 and 306-308,
and Richard LANDES, Relics, Apocalypse, and the Deceits of History. Adcmar of Chabannes, 989-1034
(Harvard historical studies 117), Cambridge, Ma./London 1995, p. 157. Several of Richard's associates
undertook pilgrimages to the Holy Land that were rather less auspicious affairs; for Poppo, see Onulph
and Everhelm, Vita Popponis, ed. Wilhelm WATTENBACH, in: MGH Scriptores 11, Hannover 1853, pp.
291-316, here pp. 295 f.
73 DAUPHIN, Le Bienheureux Richard (note 8 above), pp. 291-293.
74 Vita Richardi (note 3 above), p. 529.
75 LANDES, Relics (note 72 above), p. 158.
76 Hugh of Flavigny, Chronicon (note 9 above), p. 400.
77 For a discussion of Richard's death, and the representative strategies at play in the organization of his
death rituals and funeral, see Steven VANDERPUTTEN, Death as a Symbolic Arena: Abbatial Leadership,
Episcopal Authority and the 'Ostentatious Death' of Richard of Saint-Vanne (d. 1046), in: Viator 44,
2013, pp. 29-48.
126 I Steven Vanderputten

apotheosis of his identification with Christ; but it also underscored the notion that
his virtuosity was essentially beyond reach for others.
The inherent 'ostentatiousness' of these final acts and decisions in Richard's life
starkly contrasts with the behavior of others, most notably his contemporary Wil-
liam of Dijon, who chose to die an eremitical death, away from the gazes of all
but their closest associates.^ But rather than seeing them as the self-aggrandizing
gestures of an overinflated ego, we should think of them as logical expressions of a
form of religious leadership that relied heavily on teaching through word and deed
the attitudes that underlay one's own behavior. Richard had turned his entire life
into a representative account of ecclesiastical leadership and virtuosity, and relied
upon his dying moments to provide a final, demonstrative act of how his agency as
tvylMOFO was geared not just at personal spiritual fulfillment, but like that of Christ
himself, carried a universal redemptive meaning.

Conclusions

In this paper I have argued that Richard thought of himself in first place as a mem-
ber of a universal reform movement, the members of which could assume different
institutional identities in pursuit of Pope Gregory's ideal of ecclesiastical office.
The legitimizing essence of his religious leadership lay in his ability to transcend
collective morality, and attain spiritual unity with Christ through his own means.
Admittedly Richard's ideas about the specific ways in which abbots could pursue
these goals were subject to evolution; but fundamental to this reflection is that he
regarded his office as abbot as belonging to a broad spectrum of functions within
the Church to which the Gregorian dialectic applied. In a sense this was both a
revolutionary and a conservative approach, for his virtuoso agency, while rejec-
ting the apostolic monopoly of the clergy, nevertheless did respect the institutional
boundaries set by tradition. Monks were to remain inside the cloister; only those
able to attain a state of absolute moral self-sufficiency could transcend its limits.

78 Regarding the secluded deaths of eleventh-century hermits, see Patrick HENRiET, La parole et la prière
au Moyen Age. Le verbe efficace dans l'hagiographie monastique des XL et XIL siècles (Bibliothèque du
Moyen Age 16), Bruxelles 2000, pp. 353-378.
Inklusion - Exklusion:
weibiich - männlich

Prolegomena

inc/usio - exc/usio; Sozio/ogie versus monast/sche Sicht


Die Einschließung gehört zu den konstituierenden Merkmalen des christlichen
Mönchtums/ Mönche und Nonnen schotten sich von der Welt ab, um sich auf das
Gebet, die Meditation, das Gespräch mit Gott zu konzentrieren. Sie leben in einer
liminalen Zone zwischen Diesseits und Jenseits, in einem »himmlischen Jerusalem
auf Erden«.2 Mit ihren Gebeten und den Almosen vermitteln sie zwischen der Im-
manenz und der Transzendenz. Wie die Heiligen streben sie nach Christiformitas,
nach der Ähnlichkeit und Gleichheit mit Christus/ Asketische und spirituelle Tech-
niken sowie karitative Handlungen unterstützen sie auf diesem Weg.
Die Formen des Zusammenlebens und die Intensität der Klausurierung können
bei den Asketen, je nachdem, ob es sich um Koinobiten, Eremiten oder Inklusen/
Reklusen handelt, sehr verschieden aussehen. Gegenstand meiner Untersuchung
sind weder die radikalen Inklusen noch die Eremiten - auf sie trifft eine Reihe
meiner folgenden Aussagen nicht zu -, sondern koinobitisch organisierte Männer
und Frauen.
Aus der Sicht der Systemtheorie, die ich hier als theoretisches Fundament heran-
ziehen will, zeigt Inklusion den Grad der Integration eines Individuums oder einer
sozialen Gruppe in die Gesellschaft an/ Aus dieser Sicht ist Exklusion pejorativ
besetzt, repräsentiert sie doch einen asozialen Zustand, der revidiert werden kann

1 Jean LECLERCQ, La clôture. Points de repère historiques, in: Collectanea Cisterciensia 43,1981, S. 366-376.
2 Victor TuRNER/Edith TURNER, Pilgrimage as a Liminoid Phenomenon, in: Image and Pilgrimage in Chris-
tian Culture. Anthropological Perspectives, hg. von DENS., Oxford 1978, S. 1-39, hier S. 4 kategorisieren
die monastischc Absonderung als »sacralized enclosure or
3 Alois HAHN/Cornclia BoHN, Partizipative Identität, Selbstexklusion und Mönchtum, in: Das Eigene
und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von Gert MELViLLE/Markus
SCHÜRER (Vita regularis 16), Münster/Hamburg 2002, S. 3-25, hier S. 13.
4 Cornelia BoHN/Alois HAHN, Patterns of Inclusion and Exclusion. Property, Nation and Religion, in:
Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 8, 2002, S. 8-26, hier S. 13 f.
128 I Hedwig Röckelein

und sollte.5 Monastisch Inkludierte sind nach dieser Definition aus der Gesellschaft
Ausgeschlossene. Niklas Luhmann, der erste Überlegungen zur Inklusion und
Exklusion in stratihzierten Gesellschaften, zu denen ständische und insbesondere
die europäischen Gesellschaften des Mittelalters zu rechnen sind, angestellt hat,
betrachtet den Mönch als Paradigma der freiwilligen Exklusion/ Nach seiner An-
sicht sind Inklusion und Exklusion fluide und interdependente Prozesse zwischen
Innen und Außen/ Cornelia Bohn und Alois Hahn haben Luhmanns skizzenhafte
Überlegungen vertieft^ auf sie werde ich mich daher im Folgenden beziehen. Es
soll nicht verschwiegen werden, dass an dem Luhmann'schen Verständnis der In-
klusion im Mittelalter Kritik geäußert wurde und zwar von Peter von Moos,^ der
anstelle des systemtheoretischen Ansatzes das von Mead ins Gespräch gebrachte
Spiegelverhältnis zwischen Individuum und sozialer Gruppe sowie das von Charles
Taylor konstruierte dialogische Modell von sozialer Zuschreibung/Prägung und
persönlichem Feedback für adäquater hält.
Kehren wir zur Systemtheorie zurück und hören wir Hahn und Bohn: »Die Se-
mantik (!) des Mönchtums lässt sich als Beispiel für Selbstexklusion in einer stratih-
zierten Gesellschaft lesen, als Exklusion aus der Inklusion in den Stand.</° Mönche
und Nonnen des Mittelalters nehmen unter den Exkludierten eine Sonderstellung
ein, denn sie unterwarfen sich freiwillig diesem Status; manche kehrten von dort
auch wieder in die Gesellschaft zurück." Wie bereits angedeutet, wird die Rück-
kehr von Mönchen oder Nonnen in die Gesellschaft aus soziologischer Sicht positiv
bewertet, da die Exkludierten dadurch in die Gesellschaft reintegriert werden. Aus
der Sicht mittelalterlicher Mönchsregeln hingegen war die Rückkehr eines Mönchs/
einer Nonne in die Welt ein möglichst zu verhindernder Betriebsunfall. Wir kon-
statieren also zwei entgegengesetzte Perspektiven und Bewertungen von Inklusion -

5 Michel FouCAULT, Les anormaux, Paris 1999, bewertet die Asketen als negativ und defizitär, als Deviante
und Abnormale. Rudolf STICHWEH, Inklusion und Exklusion. Studien zur Gescllschaftstheorie, Bielefeld
2005, S. 187-189 und 192 setzt auf die Reversibilität der Exklusion.
6 Niklas LuHMANN, Soziologische Aufklärung, Bd. 6: Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995,
Kapitel 11: Inklusion und Exklusion, S. 237-264, bes. S. 243-245.
7 LuHMANN, Soziologische Aufklärung (wie Anm. 6), S. 241: »>Inklusion< bezeichnet [...] die innere Seite
der Form, deren äußere Seite >Exklusion< ist.«
8 Cornelia BoHN, Inklusionsindividualität und Exklusionsindividualität, in: Sinngcncratorcn. Fremd-
und Selbstthematisierung in soziologisch-historischer Perspektive. Alois Hahn zum 60. Geburtstag, hg.
von Cornelia BoHN/Herbert WiLLEMS (Theorie und Methode: Sozialwissenschaftcn), Konstanz 2001,
S. 159-176, hier S. 162f.; BoHN/HAHN, Patterns (wie Anm. 4); HAHN/BoHN, Partizipative Identität (wie
Anm. 3), Kapitel 4 und 5.
9 Peter VON Moos, Vom Inklusionsindividuum zum Exklusionsindividuum. Persönliche Identität in Mit-
telalter und Moderne, in: Annali di sociologia/Soziologisches Jahrbuch 16, 2002/2003, S. 253-265.
10 HAHN/BoHN, Partizipative Identität (wie Anm. 3), S. 16.
11 BoHN, Inklusionsindividualität (wie Anm. 8), S. 162, und BoHN/HAHN, Patterns (wie Anm. 4), S. lOf.
verweisen hier auf Max Weber.
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 129

Exklusion mittelalterlicher Mönche und Nonnen. Aus der Sicht der monastischen
Regeln sind die Exkludierten inkludiert in die Gemeinschaft Gleichgesinnter.^
Einschließung, Klausurierung heißt in den lateinischen Regeltexten daher
nicht Die Eingeschlossenen lebten in einem eigenen Kosmos, in religiöser
und ökonomischer Autonomie, in einer von der Gesamtgesellschaft akzeptierten
Parallelgesellschaft. Dort galten andere Regeln als im Rest der Gesellschaft.
Aus dieser Sondergemeinschaft konnte man wieder austreten oder aufgrund ei-
nes Vergehens temporär oder auf Dauer ausgeschlossen werden. Dieser Vorgang
wird in den mittelalterlichen Quellen als bezeichnet. Der Abt bzw.
die Äbtissin als oberste Autorität und Strafinstanz der Kommunität beschloss die
Exklusion nach mehrfacher Mahnung des Delinquenten und nach Beratung mit
den erfahrenen Mitbrüdern oder -Schwestern. Exkommunikation zog die Separa-
tion und Segregation von der Gemeinschaft nach sich: zunächst die Isolation in
einer Zelle, die Trennung von der Gemeinschaft bei Mahlzeiten und der Arbeit,
bei nachhaltiger Renitenz die endgültige und unwiderrufliche Verstoßung aus der
monastischen Gemeinschaft.

Die monastische inclusion ais soziale Tatsache


Obwohl die Soziologie den Begriff der Exklusion antithetisch zur monastischen
Terminologie auffasst, sind deren Modelle dennoch erkenntnisleitend für das Ver-
ständnis mittelalterlicher Normen und Vorstellungen.^ Die klausurierten Asketen
lebten getrennt von ihrem angestammten sozialen Umfeld, von ihrer Familie, ihren
Verwandten und Freunden. Und sie trennten sich vom anderen Geschlecht. Diese
zweifache Separation machte sie zu esoterischen Asozialen in einer Gesellschaft,
deren Zusammenhalt primär auf der Familie, der Genealogie, der Fortpflanzung
und dem Erbe basierte. Die leibliche Familie wurde im Kloster durch eine geistliche
Familie ersetzt.^

12 Die deutsche Klosterforschung im Umfeld der Freiburg-Münsteraner Schule sprach von »Person« und
»Gemeinschaft«, die Dresdener Schule benutzt die Termini »Individuum« und »Gemeinschaft«.
13 HAHN/BoHN, Partizipative Identität (wie Anm. 3), S. 14: »Die Doppelheit des Status des Menschen,
[...] einerseits als konkretes Mitglied einer Familie ganz aufgehend in seiner partizipativen Identität, an-
dererseits aber als unsterbliche Seele unverwechselbar singuläre Person [...] wird im Mönch symbolisch
überwunden: So wie das Kloster in der Welt außerhalb ihrer ist, so ist der Mönch der esoterische
Mensch im exoterischen Menschen.«
14 Klaus SCHREINER, Consanguinitas - Verwandtschaft als Strukturprinzip religiöser Gemeinschafts- und
Verfassungsbildung in Kirche und Mönchtum des Mittelalters, in: Beiträge zu Geschichte und Struk-
tur der mittelalterlichen Germania Sacra, hg. von Irene CRUSius (Veröffentlichungen des Max-Planck-
Instituts für Geschichte 93/Studien zur Germania Sacra 17), Göttingen 1989, S. 176-305. Donald Dee
HoCHSTETLER, The Meaning of Monastic Cloister for Women According to Caesarius of Arles, in:
Religion, Culture and Society in the Early Middle Ages. Studies in Honor of Richard E. Sullivan, hg. von
Thomas F.X. NoBLE/John H. CoNTRENt, Kalamazoo 1987, S. 27-40, hier S. 32: »It was the nun's duty
130 I Hedwig Röckelein

Je stärker das Individuum in die geistliche Gemeinschaft integriert war, desto


schwächer wurde die Bindung an die Laiengesehschaft außerhalb der Klostermau-
ern. Der Grad der Abschließung hing vom Regelwerk, von den Ordensstrukturen,
von politischen und ökonomischen Faktoren ab. Doch trotz aller baulichen Hin-
dernisse, trotz aller Konzentration auf das Spirituelle blieben Mönche und Nonnen
immer auf Unterstützung durch die Welt angewiesen.^
Die Asketen stilisierten und ritualisierten den stufenweisen Übergang von der
Gesellschaft in die Abschließung. Jeder Eintrittswillige musste einen langwierigen
Prozess der Vorbereitung und Prüfung seiner Tauglichkeit bis zur endgültigen Auf-
nahme durchlaufen cap. 58-60). Durch Verzicht und Abschlie-
ßung erlangten die Mönche und Nonnen einen elitären Status unter den Christen,
der sie bereits zu Lebzeiten in den Rang der Heiligen hob. Dieses elitäre Bewusst-
sein stand allerdings im Widerspruch zum christlichen Postulat der Gleichheit al-
ler Menschen und zur Doktrin von der Erlösung aller Menschen durch Christus.
Demnach stand allen Menschen unabhängig von ihrem Stand der Weg zur Erlösung
offen, nicht nur denjenigen, die sich durch ein vorbildliches Leben oder die Abson-
derung im Diesseits auszeichneten. ^

Was leistete die ink/usion - für das Individuum, die institution,


die Gesellschaft?
Die monastische Inklusion wurde durch drei Variablen konstituiert: das Individu-
um, die Institution und die Gesellschaft.
1) Was leistete die Inklusion für das Individuum? Die freiwillige Exklusion pro-
vozierte gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Sie lenkte den Blick auf das Besondere,
das aus der Gesellschaft ausgeschlossene Individuum sowie die exkludierte Ge-
meinschaft. Auf dem Sonderstatus als Exkludierte beruhte die korporative Identi-
tät der Asketen. Dem Kollektiv wie dem Individuum erwuchs soziales Prestige aus
der Gebetsleistung und der Sorge für das Seelenheil der Laien in der Gesellschaft.
Die Asketen gewannen Charisma durch ihre Nähe zum NuminosenA durch die
Einhaltung strikter Reinheitsdoktrinen, durch den Verzicht auf den Kontakt zur
Gesellschaft wie zum anderen Geschlecht. Sie verwandelten sich in sakrale Körper,

to sever her emotional ties to parents, sisters, and brothers, and to develop new ties to the monastic life
and to her monastic superiors.«
15 HAHN/BoHN, Partizipative Identität (wie Anm. 3), S. 16 f.; Die Interdependenz und den Kontakt der
monastischen Klausurierten zur Umwelt betonen auch TuRNER/TuRNER, Pilgrimage (wie Anm. 2), S. 4:
»as the history of monasticism has shown, the orders become decreasingly liminal as they enter into
manifold relations with the environing economic and political milieus.«
16 Vgl. dazu auch die Überlegungen bei BoHN/HAHN, Patterns (wie Anm. 4), S. 15.
17 BoHN/HAHN, Patterns (wie Anm. 4), S. 11 und 14.
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 131

in Medien, die zwischen Diesseits und Jenseits hin und her wanderten. Der Preis für
das Leben in der Liminalität war hoch: Ihre Reinheit, Jungfräulichkeit, Sexualität
und Mobilität standen unter permanenter Außenkontrolle durch den Abt, durch
die Mitbrüder und durch eigens eingesetzte Kontrolleure.
2) Was leistete die Inklusion für das Mönchtum und das Kloster? Sie legitimierte
beide Institutionen. Die im Kloster Eingeschlossenen wurden Christus gleich und
akkumulierten einen Gnadenschatz, einen T^cMzzrzzi gnzzAzr/ZTTzN Durch ihre Le-
bensführung, durch die Werke der Caritas, durch das Gebet häuften sie Verdienste
(werzYzz) an, die letztlich den Laien zugute kamen. So verschafften sie sich Ansehen
und Autorität in der Gesellschaft. Die Laien vertrauten den Eingeschlossenen Tei-
le ihres ererbten Vermögens an. Die monastischen Gemeinschaften häuften diese
Schenkungen und Stiftungen über Jahrhunderte an und stiegen so zu den reichsten
Institutionen der mittelalterlichen Gesellschaft auf.
3) Was leistete die Inklusion für die Gesellschaft? Die Inkludierten sicherten die
christliche Identität der Gesellschaft. Die Laien profitierten von der Gebetsleistung
der Asketen für ihr Seelenheil im Jenseits und ihren Weg zur Erlösung.

Norm und Realität der Klausur in männiichen und weiblichen


Gemeinschaften des 6. und 12. Jahrhunderts

Die theoretischen Leitlinien zur Inklusion und Exklusion mögen nun als Basis für
die Befragung der historischen Situation dienen, und zwar einerseits für die Nor-
men, andererseits für die Praxis.

Semantik, männlich - weiblich. Norm - Realität


In den frühmittelalterlichen Regeln und bei Isidor von Sevilla gibt es zwar den Be-
griff c/<%zz$zzn%, aber nicht den der zzzc/zz^zo. Der Begriff zzzc/zzszo findet sich erstmals
um 1100 im Lippoldsberger Nonneneid. Dort wird er synonym für zzzc<%rcenz^zo
gebraucht. In der Frühzeit des Mönchtums lässt sich die Inklusion nur indirekt an
pragmatischen Vorschriften ablesen, die sich auf reale Räume, rituelle Handlungen
(cLzzztAre), auf die aktive (yAzN/zAM, FAzMz's, ^g^rz, exzre) wie die passive Klausur
(cozztzztzzzzTTZ, jlÜTTZz/zztrztzts, ^OFpztes, <%perzre, zzztzzzre) beziehen. Die Regeln, Statu-
ten und CozzjzzetzzJzzzes legen die Konditionen des Eintritts in das Kloster dar. Sie
beschreiben die architekturalen Elemente der Klausurierung (c/zzzzs^rzzw, zzz^erzor
Twozzzz^erzz), der Durchlässigkeit zwischen innen und außen (por Az), des inne-

18 HAHN/BoHN, Partizipative Identität (wie Anm. ß), S. 23.


132 I Hedwig Röckelein

ren Gemeinschaftslebens und der Separation innerhalb des Klosters (ce//<%.


Sie benennen die Kontrollinstrumente des Verhaltens innerhalb und
außerhalb des Klosters Sie beschreiben grob oder penibel, un-
ter welchen Bedingungen der Abt/die Abtissin, der Mönch/die Nonne das Kloster
verlassen dürfen, ob und wie befreundete oder übergeordnete Geistliche, säkulare
Verwandte und Freunde im Kloster empfangen werden dürfen. Wenn wir dies im
Folgenden untersuchen, so muss stets geprüft werden, ob sich die Vorschriften für
männliche Asketen hinsichtlich der Klausur von denen für weibliche Asketen un-
terscheiden, und ob die Normen in der Praxis tatsächlich umgesetzt wurden. So hat
Schulenburg bereits 1984 festgestellt, dass zwischen den kanonischen Vorschriften
und der Praxis in den Frauenkonventen des Frühmittelalters eine beachtliche Dif-
ferenz bestand.^

Fa//be;spt'e/e.' Benedikt und Caesarius, Hirsau und Lippo/dsberg


Das empirische Material diskutiere ich in zwei synchronen Schnitten und vergleiche
jeweils eine repräsentative Norm für Männer mit einer für Frauen, die Normen
beider zudem mit der Praxis. Das erste Vergleichspaar sind zwei Regelwerke aus der
ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, zwei Prototypen-" des Coenobiums für Männer
und Frauen: die Regel des Benedikt von Nursia (um 480-550/560) und die Aeg%A%
tdfgmej des Caesarius von Arles (um 470-542, Bischof seit 502). Beide besitzen
repräsentativen Charakter, da sie lange im Gebrauch waren - die Aeg%/<% BffzeJzcd
seit dem späten 8. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die Aeg%/<% tdrgmey vom
6A bis zum 13A Jahrhundert -, da sie mehr als einer monastischen Gemeinschaft
als Norm galten und da sie in späteren Regelwerken rezipiert wurden.
Den zweiten Schnitt setze ich an das Ende des 11. Jahrhunderts, in das Zeitalter
der Kirchenreform. Die FAr$<%%gA?2jes mögen hier die Männerseite
repräsentieren, der sog. »Lippoldsberger Nonneneid« die Frauenseite. Abt Wilhelm
stellte die Hirsauer Konstitutionen zwischen 1084 und 1091 unter Rückgriff auf die
Gebräuche von Cluny und auf die Benediktsregel zusammen. Lippoldsberg über-
nahm die Gewohnheiten des Reformklosters St. Agnes in Schaffhausen, das seiner-
seits der Hirsauer Konstitution verpflichtet war.

19 Jane Tibbetts SCHULENBURG, Strict Active Enclosure and Its Effects on the Female Monastic Experience
(ca. 500-1100), in: Medieval Religious Women, Bd. 1: Distant Echoes, hg. von John Aldcn NiCHOLs/
Lillian Thomas SHANK (Cistercian Studies Series 71), Kalamazoo 1984, S. 51-86.
20 Für die Caesarius-Regel hat dies formuliert Cyrille LAMBOT, Le prototype des monastères cloîtres de
femmes. L'abbaye Saint-Jean d'Arles (VF""= siècle), in: Revue liturgique et monastique 23, 1938, S. 169-174.
21 Die erste Fassung promulgierte Caesarius im Jahr 512; die Schlussredaktion datiert in das Jahr 534.
22 Die Frauenregel des Caesarius wurde bis ins 13. Jahrhundert kopiert und Teile davon in andere Regeln
übertragen. Vgl. dazu Césairc d'Arles, Œuvres monastiques, Bd. 1: Œuvres pour les moniales, hg. von
Adalbert DE VoGÜÉ/Joël CouRREAU (Sources chrétiennes 345), Paris 1988, cap. 3, S. 129-145.
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 133

Die Ac72c^2cfF^ setzt in allem auf das mittlere Maß statt auf radikale
Askese. Sie verlangt von den Mönchen zwar den Rückzug aus der Welt (cap. 4, 20:
r2cf2^22$ Fe <2/2^7222772) und einen festen Wohnsitz (cap. 4, 78: O^C272<2
vero [...] c/<222$fz<2 $2272f 772072<2$fP7*22 cf $^<2/72/2^$ 272 co72g7*cg<2f2072c), aber sie lässt Gäste
in bestimmten Bereichen des Klosters zu. Auf die Gastfreundschaft, das <7022272772*22272,
legt sie großen Wert. Sie macht detaillierte Vorschriften, wie die Gäste freundschaft-
lich zu empfangen und zu bewirten seien (cap. 53; 58, 4). Allerdings duldet sie diese
nur im äußeren Bereich des Klosters, den Zutritt zum Inneren verwehrt sie ihnen
(cap. 53). Geschenke und Briefe dürfen die Mönche nur mit Zustimmung des Abtes
annehmen, auch wenn jene von Verwandten gesandt sind (cap. 54).
Zwar sollten die Mönche das Kloster möglichst nicht verlassen (cap. 66, 7: 22f 72077
$2f 72CCP$$2f<2$ 272022<2c/72$ T7<2g<2726/2/o7*2$, <y222<2 0772722720 72072 <%72 2772<%^225 607*22777),^

dennoch zieht die ße72e<Att2 in Betracht, dass Mönche tagsüber auf den
Feldern außerhalb des Klosters arbeiten. Sie weist diese an, wie sie beten (cap. 50)
und essen (cap. 51) sollen, wenn der Weg zu weit ist, um dafür ins Kloster zu-
rückzukehren. Wenn die Mönche im Auftrag des Abtes auf Reisen gehen, sollen
sie entsprechend gekleidet (cap. 55, 13-14) und rituell entlassen werden (cap. 67);
nach ihrer Rückkehr gebührt ihnen ein formeller Empfang. Unterwegs sollen sie
die Gebetszeiten einhalten (cap. 50, 4). Was sie außerhalb des Klosters gesehen und
gehört haben, darüber sollen sie nach ihrer Rückkehr schweigen (cap. 67). Fremde
Mönche solle man erst nach kritischer Prüfung aufnehmen (cap. 61), könnten sie
doch Gyrovagen, Unruhestifter oder Häretiker sein (Aeg%/<% cap. 1, 1-10,
cap. 61). Die Gyrovagen seien $0272/707* 77<2g/ of 7222772^22^772 $222^2/0$ (cap. 1, 1-10). Sie
ließen sich 3-4 Tage von einem Kloster beherbergen und zögen dann zum nächsten
weiter. Seit den Reformsynoden des Bonifatius im 8. Jahrhundert polemisierten Bi-
schöfe und Äbte regelmäßig und heftig gegen vagierende Mönche (und Kleriker)7^

23 Benedicti Regula. Editio altera emendata, hg. von Rudolf HANSLiK (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum
Latinorum 75),Wien 1977.
24 Gisela MuscmoL, Von Benedikt bis Bernhard - Klausur zwischen Regula und Realität, in: Neunter In-
ternationaler Regula-Benedicti-Kongreß, Rom, 9.-14. September 1996 (Regulae Benedicti Studia 19), St.
Ottilien 1997, S. 27-42, hier S. 27 hält cap. 66 hinsichtlich der Klausur für das Schlüsselkapitel der RcgM/<t
ßeTteJicü.
25 Charles Anselm BOLTON, The Gyrovags or Wandering Monks, in: The American Benedictine Review
18,1967, S. 389-392. Auch in späteren Jahrhunderten beschäftigte das Problem die benediktinische Welt.
Die Annales Augustani ad a. 1075 behaupten, die Gyrovagen würden Zwietracht (JücorJM) unter den
Mönchen säen (Willehelmi abbatis constitutiones Hirsaugienses, hg. von Pius ENGELBERT/Candida EL-
VERT, 2 Bde. (Corpus consuetudinum monasticarum 15/1-2), Siegburg 2010, hier Bd. 1, S. XVI). Zum
Gyrovagenproblem in den hochmittelalterlichen Reformorden der Benediktiner vgl. Thomas FÜSER,
Mönche im Konflikt. Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktionen bei den Cisterziensern
und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert) (Vita regularis 9), Münster 2000.
134 I Hedwig Röckelein

Und dies, obwohl die angelsächsischen und irischen Missionare sich selbst am Ideal
der proper orientierten und es propagierten.
Die härteste Strafe, die die ßpTzeJÄtz verhängt, ist die Ausstoßung aus
der Gemeinschaft. Die Exklusion wird in Raten vollzogen (cap. 23-30): Isolation
in der Zelle, Ausschluss vom gemeinsamen Essen und Arbeiten sowie Verweigerung
des Grußes durch die Mitmönche. Bei geringfügigen Delikten kann der Abt den
Delinquenten rekonziliieren, sofern sich dieser reumütig und demütig zeigt und
eine Buße geleistet hat (cap. 43-46).
Die Adaptionen der Benediktsregel auf Frauenklöster - belegt in der hand-
schriftlichen Überlieferung und den Mischregeln des Frühmittelalters - veränder-
ten diese meist nur geringfügig.-^ Die wenigen Modifikationen betreffen aber be-
zeichnenderweise die Vorschriften über das Reisen (cap. 67) und den Besuch von
außen: den Empfang der Gäste (cap. 53), der Handwerker (cap. 57), der Priester und
fremden Mönche (cap. 60-62). Im Hochmittelalter scheinen geistliche Frauen die
Benediktsregel wegen deren liberaler Klausurregeln den radikalen Reformkonsti-
tutionen vorgezogen zu habend?
Die Regel des Caesarius für die Frauen^ war zwar nicht die am weitesten ver-
breitete Regel in frühmittelalterlichen Frauenklöstern,aber sie bietet sich für einen
Vergleich mit der von Caesarius erlassenen Regel für Männer^ an. Caesarius hielt es
für sinnvoll und notwendig, für beide Geschlechter eine adäquate Regel auszuarbei-
tend* Hinsichtlich der Klausur scheint er einen deutlich höheren Regelungsbedarf
bei den weiblichen Jungfrauen gesehen zu haben als bei den männlichen, denn in 19

26 Vgl. dazu Katrinette BoDARWÉ, Eine Männerregel für Frauen. Die Adaption der Bcncdiktsregel im 9. und
10. Jahrhundert, in: Female >vita religiosa< between Fate Antiquity and the High Middle Ages. Structures,
developments and spatial contexts, hg. von Gert MELViLLE/Anne MÜLLER (Vita rcgularis. Abhandlungen
47), Berlin 2011, S. 235-272; Fazare DE SEiLHAC, F'utilisation de la Règle de Saint Benoît dans les mo-
nastères féminins, in: Atti del 7° Congresso internazionalc di studi sull'alto mcdioevo, Norcia - Subiaco -
Cassino - Montecassino, 29 settembre - 5 ottobre 1980, Spoleto 1982, Bd. 2, S. 527-549.
27 MusCHiOL, Von Benedikt (wie Anm. 24), S. 30 nennt Frauenkonvente in Gubbio. Weitere Beispiele bei
Katherine GiLL, .SAwA:/;?: controversis concerning and women's religious communities in late
medieval Italy, in: Christendom and its discontents. Exclusion, persecution, and rebellion. 1000-1500,
hg. von Scott F. WAUGH/Peter D. DiEHL, Cambridge 1996, S. 177-203, hier S. 187-191.
28 Edition: Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22).
29 Die Regel des Waldebert wurde anscheinend häufiger kopiert, vgl. dazu Gisela MuscmoL, Famula Dei.
Zur Fiturgie in merowingischen Frauenklöstern (Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des
Benediktinertums 41), Münster 1994, S. 72 - 74. Zu Klausurvorschriften in anderen frühmittelalterlichen
Frauenregeln vgl. Hedwig RÖCKELEIN, Hierarchie, ordre et mobilité dans le monachisme féminin, in:
Hiérarchie et stratification sociale dans l'Occident médiéval (400-1100), hg. von François BouGARD/Do-
minique IoGNA-PRAT/Régine FE JAN (Haut Moyen Âge 6), Turnhout 2008, S. 205-220, hier S. 214-216.
30 Edition: Sancti Caesarii episcopi Arelatensis opera omnia nunc primum in unum collecta, hg. von Ger-
main MoRiN, Bd. 2, Maredsous 1942, S. 149-155.
31 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 2, S. 180: Et 77?%/^% m
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 135

der 73 Kapitel der J vzrgmei spricht er dieses Thema direkt oder indirekt
anA Darüber hinaus äußert er sich zur Klausur und zu den Kontakten zwischen
den Nonnen und ihren Verwandten in diversen Mahn- und Konsultationsbriefen
(Verlor), in Bitten an diverse Päpste und in seinem Testament A
Das Verhältnis von innen und außen zieht sich wie ein roter Faden durch seine
Frauenregel und seine Adhortationsbriefe. Caesarius wollte die geistlichen Frau-
en hermetisch von der Außenwelt abschotten. Nach ihrem Eintritt sollten sie das
Kloster nie wieder verlassen. Er duldete nur einen einzigen Zugang zum Konvent:
die Tür zur Basilika (cap. 2). Alle anderen Öffnungen ließ er zumauern (cap. 73)A
Wäre ein Feuer ausgebrochen, hätten die Nonnen nicht fliehen könnenA
Dem Zutritt von Verwandten und kirchlichen Amtsträgern widmet Caesarius
zahlreiche Kapitel. Er sieht hier eine strikte Überwachung durch die Äbtissin, die
Priorin und die Pförtnerin (por7<%W<%) vor. Deren Aufgabe ist es auch, eingehende
Geschenke und Briefe zu kontrollieren (cap. 25; 30; 43; 54). Prinzipiell verbietet
Caesarius allen Laien, Männern (cap. 36; 37) wie Frauen (cap. 37), den Zutritt zum
Konvent. Schon der Austausch eines Blickes mit einem Mann sei - hier beruft er
sich auf die Konkupiszenzlehre Augustins - der Vorbote der Schamlosigkeit (cap.
23: oc%/os comA est
?2M72tf%s). Der Kontakt mit Männern solle ganz unterbleiben oder auf das Aller-
notwendigste beschränkt werdend^ Dem Bischof, dem Provisor sowie den Pries-
tern - den Diakonen, Subdiakonen und Lektoren, die für die Messliturgie benötigt
werden (cap. 36) - gewährt Caesarius den Zutritt zum Oratorium (cap. 38). Daher
solle die Tür zur Basilika zu bestimmten Zeiten geöffnet werden (cap. 59). Sind
Reparaturen notwendig, so sollen die Handwerker und deren Gesellen nur unter
der Aufsicht des Provisors eintreten (cap. 36). Die Äbtissin darf - anders als die
Nonnen - Besucher empfangen, allerdings nur in Anwesenheit von zwei bis drei
Schwestern (cap. 38). Caesarius verbietet den Nonnen, Gastmähler für Bischöfe,
Äbte, Mönche, Kleriker sowie männliche und weibliche Laien auszurichten; selbst

32 Vgl. dazu MuscHiOL, Famula Dei (wie Anm. 29), S. 72 - 74. Zur Handhabung der Klausur in anderen
frühmittelalterlichen Klöstern vgl. RÖCKELEIN, Hierarchie (wie Anm. 29), S. 214-216.
33 Alle Texte ediert von DE VoGÜÉ/CouRREAU, in: Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22).
Die c%Vz7<%$ wird fast ausschließlich in den Briefen thematisiert. Zur Klausur, zur Rolle der Äbtissin und
des Bischofs sowie zur Ökonomie vgl. HoCHSTETLER, The Meaning (wie Anm. 14).
34 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 73, S. 272: Ft ^tttTz^ro^Ver
CMVoJzTzm 77?07z<%Verzz oVzTz vue zz? ueterz 7*zzgtzsterzo, vue zzz tcoAt ue/ zzz textrzwo ue/ b? tzzrre zzzxtz!
^ozzzerzzzw cFzMtt %t<y%e zfzzmzzzzuz, zzzz//zzs z7/% zzm^Mzzw szA ^zzzz/zTzet %tz7z7<%ft7 specie ztgerzre^rzzeszzwzzt.
35 Einen solchen Vorfall beschreibt die Vita Caesarii episcopi Arelatensis libri duo, in: Passiones vitaeque
sanctorum aevi Merovingici et antiquiorum aliquot, hg. von Bruno KRUSCH (MGH Scriptores rerum
Merovingicarum 3), Hannover 1896, lib. II, cap. 26, S. 494.
36 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Brief Nr. 3, S. 206: Fzzwz7z7zrz7z:tes uz'rorztnz, ^zzzzzz-
tMw^oteV, MrzMt [...] /zz A^z^Mn7z:te ^ero zzsszTfzt^ zzee/zzzez %z7z;yM<%tz2 zzecre/zgzosz wzpMzztMr.
136 I Hedwig Röckelein

für die Verwandten der Äbtissin und der Sanktimonialen schließt er dies aus (cap.
39). Nur die Bewirtung religiöser Frauen, die von außerhalb in die Stadt kommen,
erlaubt er (cap. 40).
Für die strikte Trennung der Jungfrauen von der Außenwelt nennt Caesarius
mehrere Gründe: die Jungfrauen hätten sich Christus zu widmen und für alle Men-
schen zu beten;^ ihr guter Ruf, ihre Ehre, ihre Reinheit und Jungfräulichkeit^ und
ihre Ruhe^ müssten gesichert werden. In einem seiner Mahnschreiben schildert
Caesarius drastisch den täglichen Kampf um die Keuschheit und sagt den Jung-
frauen am Ende der Tage den Sieg voraus/" So wie die die Kirche nicht
verlassen dürften, um profanen Handlungen zu dienen, so schicke es sich nicht, dass
die Sanktimoniale mit ihren Eltern und Verwandten verstrickt seiV Der Kontakt
zur Familie bringe nur Unordnung (morJmttüo, JzkcordM)
unter die Sanktimonialen und gefährde ihre Sicherheit (sec%rA<%s), ihre Eintracht
(co72C07Y&d und ihre Würde (JtgmA%s)V Hochstetler meint, die Vorschriften zur
Klausur, die autoritative Rolle der Äbtissin und die Bemühungen um die ausrei-
chende ökonomische Ausstattung des Nonnenklosters seien Anzeichen dafür, dass
Caesarius den Sanktimonialen ein hohes Maß an Autonomie gegenüber den Fami-
lien und dem Bischof habe sichern wollen.^
Caesarius bestimmt, dass die Monialen - Frauen wie Männer - nicht in Einzel-
zellen leben, sondern am Gemeinschaftsleben teilhabenN Die Einzelzelle bleibt den

37 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 40, S. 222: zyttzh sztzzetzze
Tz'rgzzzes et Jeo Jevotzze zzzzzgzs C^rzsto weites pro zzzzzversopopzz/o Jehezzt orztre.
38 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Brief Nr. 3, S. 306: sz zzztegrzzznpzzrztzztezzz czzstztzztzs
ezzstoJzre JeszJerzzzzt; czzsto Jzz: czzstztzztzs, cozzsertzzztzo fzrgzzzztzztzs. Die Passagen über die Castitas finden
sich ausschließlich in den Adhortationsbricfcn, wo sich Caesarius meist auf Ps.-Cyprian stützt. In der Æe-
gzz/z! geht Caesarius nicht darauf ein. Cordula NoLTE, Rlosterleben von Frauen in der frühen Merowin-
gerzeit. Überlegungen zur Regula ad virgines des Caesarius von Arles, in: Interdisziplinäre Studien zur
Geschichte der Frauen im Frühmittelalter: Methoden - Probleme - Ergebnisse, hg. von Werner AEFELDT/
Annette KuHN (Frauen in der Geschichte 7/Geschichtsdidaktik: Studien, Materialien 39), Düsseldorf
1986, S. 257-271 sieht in der weiblichen Schwäche und der Virginität den Hauptgrund der Einschließung
der Frauen.
39 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 73, S. 272: ^zzohjh^zze ve/
^zzzetz szzrze z'zzeozzgrzzzzzzz esse eogzzosczzzzt.
40 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Brief Nr. 10, bes. S. 334 und 336: przze/zh czzstztzztzs,
eertzzzzzezz, eotzJzzzzzzzpzzgzzz:.
41 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Brief Nr. 5, S. 314 und 316: Szczzt ergo vzzszt szzzze-
tzz ZzzzTTtztTzzs zzsAzzs serthtztrzt zze posszzzzt zze Je^ezzt Je ece/eszzz revoezzrz, sz'c re/zgzoszzzrz ^zzezrz^zzzzzrz zzozz
oportet, 7Z07Z Jecet, zzozz expeJztpzzrezztzzzzz szzorzzzzz zzzzz/tzs oZ/z'gzztz'oztz/zztt z'zzp/zezzrz zzzzt ^zzorzzzrzezzzzz^zze
extrzzzzeorzznzperzzzczoszz Jzz^Jürztzzte eozzstrzzzgz.
42 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Brief Nr. 9, S. 328 und 330.
43 HOCHSTETLER, The Meaning (wie Anm. 14), S. 27 und 37.
44 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 9, S. 186 und 188: TVzü/z
/zeezzt senzotzznz e/zgere zzzzzzzszozzezzz, zzec AztAAt czzAczz/zznt tze/zzrzzzzzrzo/zzzzz zzzzt zz/zzyzzz J ^zzzzzsnzoJz, ^zzoJ
peezz/zzzrzzzs e/zzzz Jz posszt; Caesarius, Régula monachorum, in: Sancti Caesarii episcopi Arelatensis opera
omnia nunc primum in unum collecta, hg. von Germain MoRiN, Bd. 2, Maredsous 1942, S. 149-155, hier
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 137

Delinquenten Vorbehalten.^ Dorthin werden diejenigen zur Buße und Korrektur


verbannt, die vorübergehend aus der monastischen Gemeinschaft ausgeschlossen
und exkommuniziert worden sind.
In den meisten Frauenkonventen, die die J des Caesarius über-
nahmen, dürfte die radikale Klausur nie oder nur vorübergehend praktiziert wor-
den sein.^ Obwohl Königin Radegund, die Gründerin des Heilig-Kreuz-Klosters
in Poitiers, persönlich eine Kopie der Caesarius-Regel besorgen ließ A lebten weder
sie noch die Äbtissin Agnes in strenger Klausur. Radegund ging auf Reisen, um An-
gelegenheiten ihres Klosters mit den Bischöfen abzustimmen und ihren Einfluss auf
die Politik geltend zu machen. Im Kloster empfing sie häufiger ihren Freund, den
Dichter Venantius Fortunatus. Leubovera, die zweite Äbtissin des Heilig-Kreuz-
Klosters, gestattete den Nonnen, Verlobungsfeiern für ihre Verwandten im Kloster
auszurichten A Nach dem Tod der Radegund probten die Nonnen den Aufstand; sie
forderten die Lockerung der Klausurvorschriften und die Beachtung der sozialen
Rangunterschiede A
Vergleicht man die mit der Frauenregel des Caesarius, so sind
erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Klausur, den Kontakt zur Welt und die
Keuschheit unübersehbar. Manches mag sich aus der Lage der Klöster erklären: Die
Benediktinerklöster befanden sich auf dem Land, das Frauenkloster St. Jean in der

S. 150: Ce//zzzzzpeczz/zzzrezzz, zzzztzzzzzzzz*z'oAzzz, ^ztzttrz/zAt c/zzzzszzz*zzzzz zzzz/As AztAztt; zzz zzzzzz sco/zz ozzzzzes
ZZZzZZZCzZZZt.

45 Césaire d'Arles, Œuvres monastiques (wie Anm. 22), Regula ad virgines, cap. 65, S. 250 und 252: Ai sz
/orte [...]/zzerzt zz/z^zzzz A/zAz/zzzs zzosirzs tzzzzzperTzztzzx zzzzzzzzo, zyzzzte Zzzzzzzs regzz/zze reczzpztzz/zztz'ozzezzz
sVzArzier ei seczzzzJzzzzz zzzstzYzztzozzezzz szzzzctorzzzzz pzztfzzzzr scrzptzzzzz zzzp/ez*e cozziezzzpzzzti, zz szzzzeizze cozz-
gz*egzzizozzzs vesirzte cozzzzezzizz ezzzzi zzccezzszze ze/o szzzzeiz spzrzizzs z*eztzoveie; ei izzzzzdzzz zzz eeAzz sztAiztiorz'z
szi rezzzoizz, ^zzzzzzz Jzzz Jzgzzzzzzz pzzezzziezzizzzzzz zzgezzs AzzzzzzYzier vezzzzzzzz peizzi; ei Jozzec zzz/ regzz/zze zzzsizizzizz
se eozTZgzzi, zzzizzs zzozz z*egz*e<Yzzzizzz*. Caesarius, Regula monachorum (wie Anm. 44), S. 154: Qzzzpro zz/z^zzzz
ezz/pzz exeozzzzzzzzzzzczzizzi/zzent, zzz zzzzzz ee//zz z*ee/zzzz Jzzizzz*.
46 Vgl. Anne-Marie HELVÉTIUS, L'organisation des monastères féminins à l'époque mérovingienne, in: Fe-
male >vita religiosa< between Late Antiquity and the High Middle Ages. Structures, developments and
spatial contexts, hg. von Gert MELViLLE/Anne MÜLLER (Vita regularis. Abhandlungen 47), Berlin 2011,
S. 151-169.
47 Venantius Fortunatus, Vita s. Radegundis, in: Venantius Fortunatus, Opera Pcdcstria, hg. von Bruno
KRUSCH (MGH Auctores antiquissimi 4,2), Berlin 1885, S. 38-54, hier cap. 24b, S. 45, und Gregor von
Tours, Libri Decern Historiarum, hg. von Bruno KRUSCH/Wilhelm LEVISON (MGH Scriptores rerum
Merovingicarum 1,1), Hannover 1951, lib. IX, cap. 40, S. 464-466. Vgl. dazu René AiGRAiN, Le voyage
de sainte Radegonde à Arles, in: Bulletin philologique et historique du Comité des travaux historiques et
scientifiques, 1926/1927, S. 119-127.
48 Gregor von Tours, Libri Decern Historiarum (wie Anm. 47), lib. IX, cap. 39, S. 460-463.
49 Ausführlich geschildert und kommentiert bei Gregor von Tours, Libri Decem Historiarum (wie Anm.
47), lib. IX, cap. 39-43; lib. X, cap. 15-17, 20, S. 501-509, S. 513.Vgl. dazu Georg ScHEiBELREiTER,
Königstöchter im Kloster. Radegund (*j"587) und der Nonnenaufstand von Poitiers (589), in: Mitteilungen
des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 87, 1979, S. 1-37; Martina HARTMANN, »Reginae
sumus.« Merowingische Königstöchter und die Frauenklöster im 6. Jahrhundert, in: Mitteilungen des
Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 113/1-2, 2005, S. 1-19.
138 I Hedwig Röckelein

belebten Innenstadt von Arles. Das erklärt aber nicht alles. Anscheinend schätzten
Benedikt und Caesarius den Einfluss der Außenwelt, der Verwandten und Freunde
auf die Mönche und Nonnen unterschiedlich ein.
Kommen wir zum zweiten Epochenschnitt in der Reformperiode des Hochmit-
telalters. Als Abt Wilhelm die Konstitutionen für das im Schwarzwald gelegene Be-
nediktinerkloster Hirsau^ abfasste, stützte er sich auf die Vorschriften von Cluny,
die er von seinem Freund und Weggefährten Ulrich von Zell erhalten hatteA Sein
Regelwerk zeichnet sich durch rigorose disziplinarische Vorschriften und perfide
Kontrollmechanismen aus. Zur Bewachung und Aufsicht der Mönche stellte er cA-
c<%^ore.s ab. Für deviante Mönche sah er abgestufte Strafen vor, die von Schlägen bis
zur Exkommunikation reichten. Wenn Wilhelm von AcAtArc und spricht,
dann meint er nicht die Klausur, sondern die Ac<%zccR%^o als Sanktion für schwere
Vergehen wie die Rebellion gegen den AbtA Der Kerker (career) ist eine TTMftA-
%72C%A [...] %A .sy/jAAf ^omAA^ und fensterlos. Uber die
Klausur verliert Wilhelm indes nur wenige Worte und behandelt sie eher indirekt
cA%<Are, cAiA). Lediglich den Besuch der Gäste (/?o^Acj) bespricht er
ausführlich.
Als Vergleichsbeispiel des weiblichen Monastizismus dient in der Reformperio-
de das Benediktinerinnenkloster Lippoldsberg in Nordhessen. Es wurde von dem
reformorientierten Erzbischof Ruthard von Mainz (1089-1109) an einem für das
Hochstift strategisch bedeutsamen Flussübergang an der Weser gegründet.^ Aus
dem sog. Nonneneid, einer um 1100 entstandenen Urkunde,^ geht hervor, dass die
Nonnen und die Äbtissin eidlich beschworen, sich nach dem Vorbild der Sankti-
monialen von St. Agnes in Schaffhausen einschließen zu lassenA Das Frauenkloster

50 Willehelmi abbatis constitutiones Hirsaugienscs (wie Anm. 25). Vgl. auch: Hirsau St. Peter und Paul
1091-1991, Bd. 2: Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters, bearb. von Klaus
SCHREINER (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2),
Stuttgart 1991.
51 Die Konstitutionen entstanden in einem längeren Prozess, der sich an der Handschrift Zürich, Zentralbi-
bliothek, Rh 54, aus dem 11. Jahrhundert ablcscn lässt.
52 Willehelmi abbatis constitutiones Hirsaugienses (wie Anm. 25), Bd. 2, lib. II, cap. 12 und lib. II, cap. 4.
53 Willehelmi abbatis constitutiones Hirsaugienses (wie Anm. 25), Bd. 2, lib. II, cap. 3, S. 25.
54 Zur Geschichte vgl. Jochen DESEL, Lippoldsberg, in: Die bcnediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster
in Hessen, bearb. von Friedhelm JÜRGENSMEiER/Franziskus BÜLL/Regina Elisabeth ScHWERDTFEGER
(Germania Benedictina 7), St. Ottilien 2004, S. 741-767, zum Gründungsvorang bes. S. 741 f.
55 Sog. Eid der Nonnen von Lippoldsberg, um 1100. Original: HStA Marburg, Urkunden Lippoldsberg
[1095-1101]. Edition: Mainzer Urkundenbuch, Bd. 1: Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts
I. (1137), bearb. von Manfred STIMMIG (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hes-
sen), Darmstadt 1932, Nachdruck 1972, Nr. 405, S. 310-312.
56 Mainzer Urkundenbuch (wie Anm. 55), Nr. 405, S. 310-312: Die Nonnen: Mos sororesprowzttenJo
LtM&tTTZMt die Abtissin: zTtc/MÜoTzem so/zAtTH. [...] szc%t Azteteztzts Z?;A%e?*%72t
$e?ttet M72CÜ77?07M<%/es; et 272/A Z?<%72c meAttowew zAzz'tzzrt et oAertwe, ht <yzMMt%77zpots%77z%t, orJzztew
et consztetMz/zzzet /TzrsotfezzszMzzz wozzzzc/?orztw. Zu den Lippoldsberger Klausurbestimmungen vgl. Ur-
Inklusion-Exklusion: weiblich-männlich I 139

St. Agnes war als Doppelkloster dem benediktinischen Männerkonvent Allerheili-


gen in Schaffhausen unterstellt. Beide gehörten zur Hirsauer Observanz und waren
von der Familie der Grafen von Nellenburg gegründet worden, der Frauenkonvent
um 1082A
Die Lippoldsberger Urkunde liefert - wie bereits erwähnt - den ältesten Beleg
für den Begriff 222C/22J20 im monastischen Kontext. Die Nonnen bezeichnen sich als
Dies ist insofern irritierend als beim Kloster zwei Inklusen im herkömm-
lichen Sinn lebten. Sie treten bei der Beurkundung als Zeuginnen auf: Ego ßZ<% et
J22/?JC7*2pJ2772223.

Die Urkunde disponiert - ähnlich einer Constitutio - die Vorschriften für den
Eintritt und das Verlassen des Konvents. Die Abtissin darf den Konvent nicht ver-
lassen, außer wenn es wirklich notwendig ist und auch dann nur mit Erlaubnis
(/<%22<io 272c/22J2072P772 Jo/A<%772 [...], 72072 eg7*C(A 72 2S2p7*0 272<%X2772<% 72ece$S2ü%te Ct ^70C 72072

J2720 test27720722o). Niemals darf ein Mann die Klausur betreten, auch nicht der Vater
der Äbtissin, außer in dringenden Fällen und dann nur in Begleitung des geistli-
chen Vaters (7222772 ^22<%772 S272 C7*e 272/71% p7*eJ2Ct<%772 2720/22^20720772 272 t7127*e 222<%JC22/22772 720C

2p$22772 p<%t2*0272 <%A^220 772<%g72<% 720C0^2t22t0 Ot S0772p07* C22772 t0St277207220 272t7*072t Ot CXP-

<%72t, 7222772 ^22<%772 S2720 $p27*2t22<%/2p<%t7*o). Auch dieser darf die Klausur nur im Ausnah-
mefall betreten, nämlich wenn er Kranke besucht oder Gäste einführt. Die Gäste
sollen sich im Kloster nicht hinsetzen, sondern nur durchlaufen und das 0/2222^^7*22772
schnell wieder verlassen. Nur im Kapitelsaal dürfen sie sich hinsetzen und sprechen,
so lange es die Angelegenheit erfordert. Wenn eine Verhandlung von allgemeinem
Nutzen ist, dann darf sie außen, vor dem Fenster des Kapitelsaales (0x^07*222^ <%72te
/o720Stn%772 (22/72/22/2) geführt werden. Was für die Ernährung der Nonnen notwendig
ist, soll durch das Küchenfenster gereicht werden (po7*/o720J^7*22772 00^22272^ 272/^722/227*).

ban KÜSTERS, Formen und Modelle religiöser Frauengemeinschaften im Umkreis der Flirsauer Reform
des 11. und 12. Jahrhunderts, in: FUrsau St. Peter und Paul 1091-1991, Bd. 2: Geschichte, Lebens- und
Verfassungsformen eines Reformklosters, bearb. von Klaus SCHREINER (Forschungen und Berichte der
Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2), Stuttgart 1991, S. 195-220, hier S. 218.
57 Reinhard FRAUENFELDER, St. Agnes in Schaffhausen, in: Frühe Klöster, die Benediktiner und Benedikti-
nerinnen in der Schweiz (Helvetia Sacra Abt. 3/1.3), Bern 1986, Teil 3, S. 1941-1951; Elisabeth ScHUDEL,
Allerheiligen in Schaffhausen, in: Ebd., S. 1490-1535. Aus dem Kloster St. Agnes ist keine Stiftungsur-
kunde erhalten. Über die Frühzeit des Konventes berichtet nur eine spätmittclaltcrliche, volkssprachliche
Gründungserzählung.
58 Bei Jan Frederik NiERMEYER/Co VAN KiEFT, Mediae Latinitatis lexicon minus, 2 Bde., Leiden 2002, Bd.
1, S. 522, wird der Lippoldsberger Nonneneid als einziger und frühester Beleg für wcAs/o angeführt!
Zu den zahlreichen Inklusen und Eremitinnen im Umfeld der Hirsauer Männerklöster und zu den Dop-
pelklöstern in der Hirsauer Observanz vgl. KÜSTERS, Formen und Modelle (wie Anm. 56), und Hedwig
RÖCKELEIN, Frauen im Umkreis der benediktinischen Reformen des 10. bis 12. Jahrhunderts. Gorze,
Cluny, Hirsau, St. Blasien und Siegburg, in: Female >vita rcligiosa< between Late Antiquity and the High
Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts, hg. von Gert MELViLLE/Anne MÜLLER (Vita
regularis. Abhandlungen 47), Berlin 2011, S. 275-327, zur Hirsauer Observanz bcs. S. 292-296, Tabelle
S. 315-318 und Karte S. 325.
140 I Hedwig Röckelein

Die Schlüsselwächter (CLwey -rero ^zzzzzzy zzze/zzyzozzz'y z//z'yperyozzz'y <rzzy7oz7zhzz7zzr)


werden gemeinschaftlich vom geistlichen Vater und der Congregatio gewählt. Ganz
ähnliche Bestimmungen wie in Lippoldsberg finden sich auch in den Vorschriften
der Nonnen von Admont, die zusammen mit ihrem assoziierten Männerkonvent
ebenfalls dem Hirsauer Reformkreis angehörtenV
Die Lippoldsberger Nonnen und ihre Priorin unterstanden der Aufsicht eines
geistlichen Vaters (ypzrz/zzzz/zy pzzter), der von fünf benachbarten Äbten bestimmt
werden sollte. Schon bald nach der Gründung trat die Propsteiverfassung in Kraft,
sodass an Stelle einer Äbtissin nur noch eine rangmindere Jowzzzzz und eine Priorin
den Konvent leiteten. Als Grund für die strenge Klausur entfällt mithin hier die
Autonomie der Nonnen und der Äbtissin.
Die Lippoldsberger Urkunde liefert eine andere Begründung für die Inkarzerie-
rung und Inkludierung der Nonnen: die Sündhaftigkeit der Frauen (zzoy mzz/zerey
propecc<%7z's zzoyDÄ zzzcztrcerzzZy). Hier wird also weder die Schutzbedürftigkeit noch
die Sicherung der Keuschheit als Grund für die Einschließung namhaft gemacht,
sondern die Bereitschaft zur Buße. Die zmT'eczY/zAzy yexzzy, die weibliche Schwäche,
wird zwar angeführt, aber nicht als Begründung für die Klausur, sondern, um die
rigorosen Fastenvorschriften zu erleichtern (Verzzzzz <yzzzzzpro yexzzy zzoytrz zzzz^eez/Zz-
Az7e tzzJezzzzzr <%<7 rzgorezzz zezzzzzzz zzoyDp zzzzzzzzy yzz^zcere [...]). In Lippoldsberg
ist mithin erstmals nördlich der Alpen ein Reflex auf die oberitalienische Bußbewe-
gung zu erkennen; verbunden ist das Votum überdies mit einer Verehrung der Bü-
ßerin Maria Magdalena, deren Fest mit einer Fastenvorbereitung besonders feierlich
begangen werden sollte/"
Da sich die Nonnen aufgrund der Klausurierung nicht in der Lage sahen, die
Vorschriften der Aegzz/zz AezzeJzctz zur Handarbeit zu erfüllen, versprachen sie, in
diesem Punkt den Bestimmungen des Hl. Hieronymus zu folgern^ An dieser Stelle

59 Vgl. dazu Christina LuTTER, Klausur zwischen realen Begrenzungen und spirituellen Entwürfen. Hand-
lungsspielräume und Identihkationsmodelle der Admonter Nonnen im 12. Jahrhundert, in: Virtuelle
Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter. Akten des 10. Symposiums des Me-
diävistenverbandes, Krems, 24.-26. März 2003, hg. von Elisabeth VAVRA, Berlin 2005, S. 305-324, und
Ingrid RoiTNER, .Sorores wc/zzMe. Bistumspolitik und Klosterreform im Geist von Cluny/Hirsau in der
Diözese Salzburg, in: Revue Mabillon N.S. 18 = 79, 2007, S. 73-131.
60 Mainzer Urkundenbuch (wie Anna. 55), Nr. 405, S. 310-312: [...] leiMTMre m vzgzYzA [...]
dEzgAz/ezz^. Die Eremitin Paulina, die das Kloster Paulinzella in Thüringen gründete, weihte die
dortige Kapelle zwischen 1102 und 1105 ebenfalls Maria Magdalena. Paulina kam über ihren Onkel,
Bischof Werner von Merseburg, mit der Hirsauer Reform in Kontakt. Vgl. dazu KÜSTERS, Formen und
Modelle (wie Anna. 56), S. 201.
61 Mainzer Urkundenbuch (wie Anna. 55), Nr. 405, S. 310-312: zyzzzzt ojws zzzzzzzzzzzzzz, <yzzoJ szzzzctzzs
ßeTzeJzctzzs in regzzLz tzzEz'sprcccjzzZ, zzos TTZzJz'eresjzro jzecczztz's tzosZrA ZTZczzrcerzzZ^ z'zTzjz/ere TzoTzjzosszzzTtzzs,
zY/zzJ zyztoJ OJ7C7T 77M72ZZZ2772 MTZCtZZS /CEOTZZTTZZZS M72ZZ772072M/z7zzZSp7"eCCpZZ [...] Z72 ^ZZzZTZZZZTTZ/70SSZZ77ZZZS,
zzJz772p/e7*e J77*0772ZZZZ772ZZS.
Inklusion - Exklusion: weiblich - männlich I 141

wird eine der indirekten Folgen der Klausur angedeutet, die später bei den Zister-
zienserinnerN und noch mehr in den Bettelorden deutlicher zutage treten sollte.
Durch das Leben in strenger Klausur war es den geistlichen Frauen unmöglich,
dieselben wirtschaftlichen Wege zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes einzuschla-
gen wie den Männern. Weder die Grangienwirtschaft inklusive der Anbindung an
den städtischen Markt noch das Betteln war für die Frauen eine Option. Ihnen blieb
nichts anderes übrig, als das aus dem Frühmittelalter geläufige Abgabensystem der
Grundherrschaft beizubehalten.
Obwohl der Lippoldsberger Konvent kurz nach seiner Gründung entsprechend
den Gewohnheiten der Hirsauer Observanz zum Priorat und die Äbtissin zu einer
Jo77Ä?2<% degradiert sowie die Leitung einem übertragen worden war, eman-
zipierten sich die Nonnen von der strengen Klausur. Der Hamerslebener Augus-
tinerchorherr Gunthar, der in Lippoldsberg das Amt des Priors von 1138 bis 1161
innehatte, räumte den geistlichen Frauen gröbere Freiheiten ein als die Statuten der
Gründungszeit. Er verteidigte ihren Besitz gegen eigennützige Vögte, er richtete
ihnen eine Bibliothek und ein Skriptorium ein und er versorgte sie mit der neuesten
Literatur aus den nordfranzösischen KathedralschulenN Durch ihn erhielten die
Nonnen Zugang zu einem fortschrittlichen Reformnetzwerk, das die Bischöfe von
Hildesheim und Halberstadt rund um den Harz errichtet hatten/''

Fazit

Es ist offensichtlich, dass die repräsentativen Frauenregeln sowohl des 6. Jahrhun-


derts wie der Reformzeit des Hochmittelalters der Klausur entschieden mehr Auf-
merksamkeit schenkten als die zeitgleichen Männerregeln. Dies ist keine grund-

62 Maria Magdalena RÜCKERT, Die Auswirkungen der Klausur auf die Wirtschaftsweise der Cisterciense-
rinnen im Mittelalter, in: Analecta Cisterciensia 61, 2011, S. 145-167.
63 Julie HoTCHiN, Women's Reading and Monastic Reform in Twelfth-Century Germany. The Library of
the Nuns of Lippoldsberg, in: Manuscripts and Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-Cen-
tury Germany, hg. von Alison 1. BEACH (Medieval church studies 13), Turnhout 2007, S. 139-189. Dass
Gunthar den Neubau der Klosterkirche in Lippoldsberg nach dem Vorbild der Hamerslebener Kirche
errichten lieb, wie in der Literatur häufig zu lesen, widerlegen neuere, bislang unpublizierte kunsthistori-
sche Untersuchungen. Ich danke Herrn PD Dr. Jens REICHE, Universität Göttingen, für diesen Hinweis.
64 Vgl. dazu Hedwig RÖCKELEIN, Die Auswirkung der Kanonikerreform des 12. Jahrhunderts auf Kano-
nissen, Augustinerchorfrauen und Bencdiktinerinncn, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert
Melville zum 65. Geburtstag, hg. von Franz Josef FELTEN/Annctte KEHNEL/Stefan WEiNFURTER, Köln/
Weimar/Wien 2009, S. 55-72.
142 I Hedwig Röckelein

stürzend neue Erkenntnis; Christina Lutter*^ und Gisela MuschioH kamen anhand
anderer Textcorpora bereits zu demselben Ergebnis. Diese Übereinstimmung le-
gitimiert uns indes dazu, diese Aussage zu verallgemeinern. Das heißt für künfti-
ge Forschung, die monastische Klausur mitsamt ihren sekundären Auswirkungen
nicht geschlechtsneutral zu behandeln.
Männer- und Frauenregeln unterscheiden sich hinsichtlich der Klausurbestim-
mungen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Die aktive wie die passive
Klausur wird bei den Nonnen stets restriktiver gehandhabt als bei den Mönchen.
Die Nonnen dürfen den Konvent auf keinen Fall verlassen. Nur der Äbtissin wird
eine Ausnahme gestattet, sofern ein besonderer Grund vorliegt. Sie muss dafür aber
die Erlaubnis des Abtes einholen und darf nur in Begleitung reisen. Gastfreund-
schaft ist für die geistlichen Frauen obsolet, selbst die Einladung von Verwandten.
Nur für geistliche Frauen aus anderen Konventen macht Caesarius eine Ausnahme.
Männer- und Frauenregel stimmen nur dort überein, wo es um die Kontrolle der
Geschenke und Briefe durch den Abt/die Äbtissin und den Pförtner/die Pförtnerin
geht.
Mönche und Nonnen erlebten Klausur auf verschiedene Weise. Während die
Mönche mit der Einschließung den Karzer als Ort der Strafe und Buße verbanden,
bezeichneten sich die Lippoldsberger Nonnen gesamtheitlich als Inkarzerierte. Sie
stilisierten sich kollektiv zu einer Gemeinschaft von Inklusen, die nur über Fenster^
nach draußen kommunizierten, ganz nach der Gewohnheit solitär lebender Inklu-
sen, obwohl sie koinobitisch lebten.
Welches sind die Motive und Begründungen für die stärkere Klausurierung der
Frauen? Diese Frage ist schon oft gestellt und meist mit der Schutzbedürftigkeit
der Frauen beantwortet worden. Die Antwort mag für die unruhigen Zeiten des
6. Jahrhunderts durchaus überzeugen. Als weiteres Argument hat Hochstetler vor-
gebracht, die strikte Klausur sei der Preis für die weitgehende soziale, finanzielle
und politische Unabhängigkeit der Nonnen von ihren Verwandten und vom Bi-
schof gewesen. Doch die Autoren der Regeln nennen andere Gründe. Caesarius
glaubte den Jungfrauen durch die Klausur das ungestörte Gebet und die Keusch-
heit zu sichern, mithin die Cozz^zo der Effizienz ihres Gebetes, wie Hieronymus

65 LuTTER, Klausur (wie Anm. 59), S. 306: »Während Frauenkonventen meist strenge Klausur vorgeschrie-
ben war, thematisieren die Quellen diese Frage für Männerklöster grundsätzlich wenig, und zwar auch
dort, wo es ansonsten durchaus strenge Regeln hinsichtlich der monastischen Askese gab.«
66 MusCHtOL, Von Benedikt (wie Anm. 24), S. 31: »Für Frauen erscheint Klausur als das konstituierende
Element klösterlichen Lebens schlechthin, während es für Männer wohl erwähnt wird, aber eher als eine
Bedingung unter vielen.«
67 Das Fenster wird nachgerade zum Symbol der Inklusen/Reklusen, vgl. den Titel von Paulette DHERMiTE-
LECLERCQ, La femme à la fcnestrelle du reclusoir, in: La femme au moyen âge, hg. von Michel RouCHE,
Maubeuge 1990, S. 49-68.
Inklusion - Exklusion: weiblich - männlich I 143

meinte.^ Caesarius sah nicht nur die Keuschheit der Frauen durch die feindliche
Umweh bedroht, sondern auch die der Männer durch die weibliche Sexualität.
Triebhaftigkeit unterstellte er sowohl Männern als auch FrauenA Da sich Männer
ebenso wenig selbst kontrollieren könnten wie Frauen, müssten diese hinter Klos-
termauern verschwinden, um jene nicht in Versuchung zu führen, so seine Logik.
An diesem Punkt weicht Caesarius von der Mehrheitsmeinung der Kirchenväter ab.
In der Patristik überwiegt die Auffassung, nur Frauen könnten sich aufgrund ihrer
natürlichen Schwäche nicht selbst kontrollieren und müssten daher von Männern
beaufsichtigt werden;?" Männer hingegen könnten sich aufgrund ihrer natürlichen
Stärke selbst kontrollieren.
Die Lippoldsberger Nonnen führen für die Abschließung eine ganz neue Be-
gründung ein, nämlich die ihrer eigenen, pauschalen Sündhaftigkeit. Sie schließen
sich der oberitalienische Bußbewegung an und nehmen die Doktrin der Reuerin-
nen vorweg, einer Bewegung, die sich ausgehend von Deutschland erst Anfang des
13. Jahrhunderts in Europa verbreiten sollte.
Die weitere Entwicklung der in den europäischen Klöstern geht in den
folgenden Jahrhunderten in ganz andere Richtungen. Als die radikalste Innovati-
on - um den Titel des Symposiums aufzugreifen - darf die generelle Unterbringung
der Mönche und Nonnen in Einzelzellen angesehen werden. Man muss sich fragen,
wie dieser Ort, der über Jahrhunderte der Isolation und Strafe von Delinquen-
ten gedient hatte und daher im kollektiven Gedächtnis der Religiösen ein Ort des
Schreckens gewesen sein dürfte, zum regulären Aufenthaltsort mutieren konnte,
der das Gemeinschaftsleben im Refektorium und im Dormitorium, den symboli-
schen Orten der commMmy ab- und auflöste. Um diesen Raum positiv umzu-
deuten, war ein eminenter mentaler Wandel erforderlich. Das Leben in der Zelle
führte zweifelsohne zu einer Individualisierung des Gebets und der Meditation, des
Gesprächs mit Gott. Der Klosterleitung erschwerte sie indes die Kontrolle über die
Mönche und Nonnen.
Bekanntlich verzichteten die Mendikanten anfänglich ganz auf das
ihr Platz war weder im Kloster noch in der Klausur, sondern in der Welt. Dort
predigten sie, dort bettelten sie für ihren Lebensunterhalt oder gingen sie einem

68 Hieronymus, Adversus Helvidium, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd. 23, Paris
1845, Sp. 193-206, hier cap. 22, Sp. 206. Vgl. dazu RÖCKELEIN, Hierarchie (wie Anm. 29), S. 205h mit
weiteren Verweisen.
69 Vgl. Cordula NoLTE, Klosterleben (wie Anm. 38), S. 267h; MuscHiOL, Famula Dei (wie Anm. 29),
S. 79 f.
70 Vgl. dazu Hedwig RÖCKELEIN, Gender, Religion and Identity, in: Religiosità e civiltà. Idcntita delle
forme religiose (secoli X-XV). Atti del Convegno Internazionale, Brescia, 9-11 settcmbre 2009, hg. von
Elisabetta FiLiPPiNi/Giancarlo ANDENNA (Le Settimane internazionali dclla Mcndola, Nuova Serie
2007-2011), Milano 2011, S. 29-46, bes. S. 31-33. So auch LuTTER, Klausur (wie Anm. 59), S. 307.
144 I Hedwig Röckeiein

Handwerk nach. Den Frauen, die sich der Mendikantenbewegung anschlossen,


wurde das Leben in der Weh verwehrt: Ihnen wurde verboten, zu betteln und zu
predigen; sie wurden hinter Klostermauern verbannt und strikt klausuriert.^ Wie
schon vor ihnen die Zisterzienserinnen, so mussten die Mendikantinnen auf das
überkommene System der Grundherrschaft zurückgreifen, um ihren Lebensunter-
halt zu sichern. Erst spät fanden sie den Weg zum städtischen Rentenmarkt.
Die klausurierten Frauen kompensierten den Mangel an Mobilität durch spiri-
tuelle Reisen. Die realen Reisen der Mönche imitierten sie im Gebet. Der Ulmer
Dominikaner Felix Fabri, der selbst zweimal an die heiligen Stätten in Palästina ge-
pilgert war, verfasste 1492 für klausurierte Nonnen eine geistliche Pilgerfahrt nach
Jerusalem.^ Abschriften des »Sionpilgers« fand man bei den Dominikanerinnen
zu Ulm und Maria Medingen. Die Augsburger Dominikanerinnen ließen sich die
Stationen der Pilgerfahrt nach RonW von renommierten Künstlern der Zeit für
teures Geld als Wanddekoration malen. Diese visuellen Animationen sollten ihre
Phantasie während des Gebetes zur Imitation einer Romfahrt stimulieren.

71 Vgl. dazu RÖCKELEIN, Gender (wie Anm. 70), S. 32f.; Engelbert GRAU, Die Klausur im Kloster S. Dami-
ano zu Lebzeiten der Heiligen Klara, in: Studia Historico-ecclesiastica, Festschrift Luchesius G. Spätling,
hg. von Isaac VASQUEZ, Rom 1977, S. 311-345. Zu den entsprechenden Passagen in den Konstitutionen
der Dominikanerinnen und Klarissen vgl. Carola JÄGGI, Frauenklöster im Spätmittelalter. Die Kirchen
der Klarissen und Dominikanerinnen im 13. und 14. Jahrhundert (Studien zur internationalen Architek-
tur- und Kunstgeschichte 34), Petersberg 2006, S. 185 f., zu den architektonischen Elementen der strengen
Klausur, wie Drehladen, Sprechfenstern, ebd., S. 186-189. Anschließend diskutiert JÄGGI ausführlich die
eingeschränkt öffentlich zugänglichen Bereiche der Frauenklosterkirchen, insbesondere die der Kirchen
und der Grablegen der Stifter.
72 Felix Fabri, Die Sionpilger, hg. von Wieland CARLS (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit
39), Berlin 1999.
73 Vgl. dazu Katharina KRAUSE, Stationäre Romfahrt und Repräsentation der Familie. Die Basilikenbilder
und andere Stiftungen im Augsburger Katharincnkloster, in: Frauen - Kloster - Kunst. Neue Forschun-
gen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom 13.-16. Mai
2005 anlässlich der Ausstellung »Krone und Schleier«, hg. von Jeffrey F. HAMBURGER/Carola jÄGGi/
Susan MARTI u. a. in Kooperation mit dem Ruhrlandmuseum Essen, Turnhout 2007, S. 265 -274; Magda-
lene GÄRTNER, Die Basilikabilder des Katharincnklosters in Augsburg als frühe Stellvertreterstätten für
die Sieben-Kirchen-Wallfahrt, in: Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit. Wirtschaft,
Kultur und Pilgerfahrten, hg. von Klaus HERBERs/Pcter RÜCKERT (Jakobus-Studien 18), Tübingen 2009,
S. 61-94.
Geistiiche Gemeinschaften
in (der Weit
Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft -
innen und Außen

Otto Gerhard Oexle hat anhand zentraler früher Regeltexte - der frühesten Regel
für das koinobitische Zusammenlebens des Pachomius (292-348), der PiTzecepAz
des Augustinus (354-430), sowie des monastischen Entwurfs des Johannes Cassian
(360-435) - gemeinsame Aspekte der Vorstellungen und der Praxis spätantik-früh-
mittelalterlichen monastischen Lebens in diesen normativen Modellen herausgear-
beitet.' Allen drei Regeln gemeinsam war demnach die Bedeutung der urchristlichen
vzAz cozzzwzzzzzk im Sinn der Apostelgeschichte, deren wesentliche konzeptionelle
Elemente die Gemeinsamkeit und Gleichheit ihrer Mitglieder sowie gemeinsamer
statt individuellem Besitz darstellten. Sowohl bei Johannes Cassian als auch bei
Pachomius wird allerdings, stärker als bei Augustinus, neben dem Leitbegriff des
gemeinschaftlichen Lebens dessen Eigenschaft als coezzoAoAzrzzTTZ <Yzwzp/z?z<% (Cas-
sian) bzw. als orJo Jzwzp/zzzzzc (Pachomius) hervorgehoben, d.h. als gemeinsame,
geregelte und disziplinierte Lebensführung, die von - wenn auch maßvoller - Aske-
se geleitete, ortsgebundene und habituelle Gemeinsamkeit von Arbeit, Tisch, Gebet
und Liturgie. Roinobitische Askese ist Arbeit, Methode und Technik; asketische
exerczYzYz bezeichnen ein spirituelles Handwerk, dessen Objekte Körper und Seele
sindd Als gemeinsam praktizierte Techniken zur Kontrolle der Affekte durch den
Willen begründen sie eine dauerhafte Haltung, einen Habitus.
Ausgehend von Max Webers Unterscheidung in »weltflüchtige« und »innerwelt-
liche« Askese argumentiert Oexle anhand seiner Lektüre dieser frühen Regeltexte,

1 Otto Gerhard OEXLE, Koinos bios: Die Entstehung des Mönchtums, in: Die Wirklichkeit und das Wis-
sen. Mittelalterforschung - Historische Kulturwissenschaft - Geschichte und Theorie der historischen
Erkenntnis, hg. von Andrea VON HÜLSEN-EscH/Bernhard JussEN/Frank REXROTH, Göttingen 2011,
S. 470-495.
2 Etwa Jean LECLERCQ, L'Amour des lettres et le Désir de Dieu. Initiation aux auteurs monastiques du
moyen âge, Paris 1957; vgl. auch Albrecht DiEM, Das monastische Experiment. Die Rolle der Keuschheit
bei der Entstehung des westlichen Klostcrwesens (Vita regularis. Abhandlungen 36), Münster 2000.
146 I Christina Lutter

dass es diese monastischen Gruppen seien, die »mit ihrer rationalen, methodischen,
disziplinierten Lebensführung die geschichtlichen Leistungen und Wirkungen des
Mönchtums hervorgebracht haben«. Nicht eremitische Askese, so Oexle, son-
dern eine spezifische, religiös begründete Form des Gemeinschaftslebens in sei-
ner Auseinandersetzung mit der Welt war für diese Lebensform konstitutiv, nicht
zuletzt weil die in diesen Regeln skizzierten Entwürfe eng mit der die spätantiken
Klöster umgebenden merkantilen Stadtkultur verflochten warend Diese wichtigs-
te Gemeinsamkeit, das Zusammenleben in sozialen Gruppen, bezieht Oexle mit
Weber ausdrücklich auf die Frage nach den langfristigen kulturellen Leistungen
der monastischen Lebensform in der Welt: Denn wie wolle man diese Leistungen
begreifen, wenn die Lebensform selbst auf dem genau gegenteiligen Prinzip eines
vollständigen Rückzugs aus der Welt beruhe? Hier geht es also um eine der maß-
geblichen Fragen auch dieser Tagung und des ihr zu Grunde liegenden Projekts
nach der Qualität von Klöstern als »Innovationslabore[n] europäischer Lebensent-
würfe und Ordnungsmodelle« sowie jener nach den gesellschaftlichen Langzeit-
wirkungen der monastischen Lebensform im mittelalterlichen Europa, also um die
Wechselwirkungen von Vorstellungen und Praxis von Gemeinschaft im Kloster und
die Kohärenz und Nachhaltigkeit von sozialen Gruppen in der Weltd
So sehr die Abschließung des monastischen Raums nach außen bzw. die
seiner Mitglieder für das koinobitische Religiosentum konstitutiv ist, wie Hedwig
Röckelein unterstreicht^ so grundlegend äußert sich die Vorstellung einer Integ-
ration von Innen und Außen, von Mensch und Gesellschaft im europäischen Mit-
telalter in der Vorstellung der neutestamentarischen thA? <%po^o/?c<%, der Gemein-
schaft aller Christen. Trotz, oder gerade aufgrund der vor diesem Hintergrund von
den Kirchenvätern differenzierten Konzeption einer moralischen, mit der sozialen
korrespondierenden Ständeordnung wird der spirituelle Weg als ein gemeinsamer
aufgefasst - die Stärkeren helfen den Schwächeren, Heilige den Sündern, geistlich
lebende Menschen den Laien durch Gebetsleistungen, spirituelle Verdienste und
karitative Handlungen sowie nicht zuletzt durch Heilsvermittlung.^ Die Dialek-

3 OEXLE, Roinos bios (wie Anm. 1), S. 471-473 zur Forschungsgeschichte; S. 474-476 die zentralen Fragen;
S. 479 das Zitat; S. 492 zur spätantiken Stadtkultur; DERS., Max Weber und das Mönchtum, in: Max Webers
Reiigionssoziologie in interkultureller Perspektive, hg. von Hartmut LEHMANN/Jean Martin OuÉDRAO-
GO (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 194), Göttingen 2003, S. 311-334.Vgl.
Hans-Jürgen DERDA, Vita communis. Studien zur Geschichte einer Lebensform in Mittelalter und Neu-
zeit, Köln/Weimar/Wien 1992, mit einer eingehenden Diskussion der einzelnen erwähnten Regehexte,
ebenso wie der St. ReMeJzctz und deren Rezeption im europäischen Mittelalter, besonders Teil II,
S. 59-182.
4 Vgl. die Beiträge der Herausgeber.
5 Dazu v. a. den Abschnitt »Prolegomena« im Beitrag von Hedwig RÖCKELEIN in diesem Band, S. 127-131.
6 Arnold ANGENENDT, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 4. Aufl. Darmstadt 2009; Otto Gerhard
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 147

tik von Grenzziehungen zwischen Kloster und Weh einerseits, und andererseits
die Austauschprozesse und Wechselbeziehungen zwischen dem innermonastischen
Raum und der Welt außerhalb seiner materiellen und imaginären Grenzen sind da-
her auch ein konstanter Gegenstand der Auseinandersetzung in der Geschichte des
christlichen Religiosentums. In Reformbewegungen werden diese ideellen Gren-
zen, die sich in der Praxis oft eher als Kontaktzonen darstellen, in Rückbindung an
weiter reichende religiöse und gesellschaftliche Wandlungsprozesse neu verhandelt
und konzipiert/ In den regional und zeitlich jeweils unterschiedlich ausgeprägten
geistlichen Reformen im Europa des 11. bis 13. Jahrhunderts, denen sich dieser
Band widmet, lassen sich dieser prozessuale Charakter von Reformen und deren
nachhaltig die Gesellschaft verändernden Aspekte nicht zuletzt aufgrund der kon-
tinuierlich wachsenden Überlieferung besonders gut fassen/
Dieses Spannungsverhältnis sprechen die Beiträge von Steven Vanderputten und
Hedwig Röckelein anhand von unterschiedlichen Gegenständen und Schwerpunkt-
setzungen an. Vanderputten nähert sich der Frage gleichsam induktiv und nimmt
exemplarisch die Komplexität religiöser Lebensformen und Reformmodelle am
Beispiel des Reformabtes Richard von St. Vanne (']* 1046) zum Ausgangspunkt, um
nach den konkreten Effekten von Reformdiskursen auf spezifische Bereiche monas-
tischen Lebens zu fragen. Röckelein geht deduktiv vom Modell der »Inklusion« als
konstitutiv für geistliche Männer- und Frauengemeinschaften aus und problemati-
siert das Verhältnis von Theorie und Praxis der monastischen Inklusion am Beispiel
von früh- und hochmittelalterlichen Regeltexten anhand der terminologischen Dif-

thodische und inhaltliche Probleme, hg. von Frantisck GRAUS (Vorträge und Forschungen 35), Sigmaringen
1987, S. 65-117; Klaus SCHREINER, Mönchsein in der Adelsgesellschaft des hohen und späten Mittelalters.
Klösterliche Gemeinschaftsformen zwischen spiritueller Selbstbehauptung und sozialer Anpassung, in:
Historische Zeitschrift 248, 1989, S. 557-620.
7 Zur Verwendung des Begriffs Kontaktzone in diesem Zusammenhang vgl. Christoph DARTMANN, Kom-
mentar, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Be-
griffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhandlungen
48), Berlin 2012, S. 65-71, hier S. 67; mit Verweis auf Mayke DE JoNG zu karolingischen Reformvorstellun-
gen: Mayke DE JoNG, Carolingian Monasticism. The Power of Prayer, in: The New Cambridge Medieval
History, Bd. 2. c. 700-900, hg. von Rosamond McKiTTERiCK, Cambridge 1995, S. 622-653. Grundle-
gend ist Peter BROWN, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity A.D. 200-1000, Oxford
1996.
8 Giles CONSTABLE, The Reformation of the Twelfth Century, Cambridge 1996; DERS., Religious Com-
munities, 1024-1215, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 4.1. c. 1024-c. 1198, hg. von David
LuscOMBE/Jonathan RiLEY-SMiTH, Cambridge 2004, S. 335 -367. Für die hier verfolgten Fragestellungen
mit weiter führenden Literaturverweisen Stefan WEINFURTER, Innovation in Klöstern und Orden des
hohen Mittelalters. Zusammenfassung, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters.
Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/Julia DÜCKER
(Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, S. 297-306; zum kontextspezifischen sowie prozessualen
Charakter von Reformen vgl. den Beitrag von Steven VANDERPUTTEN in diesem Band, S. 105-126, be-
sonders S. 107f. sowie die umfassende Fallstudie von DEMS., Monastic Reform as Process: Realities and
Representations in Medieval Flanders, 900-1100, Ithaca/London 2013.
148 I Christina Lutter

ferenz zu soziologischen Kategorien: Was »monastisch« gedacht Inklusion meint,


ist soziologisch formuliert Ausschluss aus der Gesellschaft. Zugleich lässt sich die
monastische Semantik systemtheoretisch auch als »Selbstexklusion in einer strati-
hzierten Gesellschaft lesen, als Exklusion aus der Inklusion auch in den Stand«.^
Aber was bedeutet das jeweils für die Praxis - und zwar sowohl für jene der
Verhandlung von Reformvorstellungen und ihrer Umsetzung in normative Vor-
schriften als auch für jene der jeweils kontextspezifischen religiösen Lebensfor-
men? Beide Beiträge setzen sich anhand unterschiedlicher Uberlieferungsformen
mit dieser Frage auseinander. Ein Kernaspekt des Verhältnisses zwischen Klos-
ter und Welt ist für koinobitisch lebende Menschen ihre Bindung an das Kloster,
praktisch gewandt in die Bestimmungen zur Klausur, die für Männer und Frauen
unterschiedlich bewertet wurded° Die Aspekte der ortsgebundenen gemeinsamen
spirituellen und sozialen Praxis zur Einübung und Perfektionierung von monasti-
schen Tugenden betonen beide Beiträge. Aber - um die Eingangsfragen Röckeleins
aufzunehmen - was leistet Inklusion für die betroffenen Personen, Institutionen
sowie für die Gesellschaft? Und wie entsteht aus einer Gruppe von Menschen, die
sich aus vergleichbaren, aber auch unterschiedlichen Motiven, mehr oder weniger
freiwillig für ein Leben im Kloster entschieden haben, eine geistliche Gemeinschaft?
Oder anders gefragt: Wie kann der soziale Raum »Kloster« Rahmen dafür werden,
dass soziale Gruppen zu Gemeinschaften werden und als solche nachhaltig Bestand
haben?^ Generell wird man davon ausgehen dürfen, dass nicht nur Inklusion bzw.
Exklusion an sich, sondern vor allem die regelmäßige Praxis des täglichen gemeinsa-

9 Alois HAHN/Cornclia BoHN, Partizipative Identität, Sclbstexklusion und Mönchtum, in: Das Eigene
und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von Gert MELViLLE/Markus
SCHÜRER (Vita regularis. Abhandlungen 16), Münster 2002, S. 3-25, hier S. 16.
10 Grundsätzlich Jean LECLERCQ, La clôture. Points de repère historiques, in: Collectanea Cisterciensia 43,
1981, S. 366-376; Gisela MuscmoL, Von Benedikt bis Bernhard. Klausur zwischen Regula und Realität,
in: 9. Internationaler Regula-Bencdicti-KongreE, Rom, 9.-14. September 1996 (Regulae Benedicti Studia
19), St. Ottilien 1997, S. 27-42. Zur rezenten Diskussion vgl. die gesammelten Aufsätze von Franz Josef
FELTEN, Vita religiosa sanctimonialium. Norm und Praxis des weiblichen religiösen Lebens vom 6. bis
zum 13. Jahrhundert, hg. von Christine KLEINJUNG, Korb 2011; die Beiträge in: Female >vita religiosa<
between Late Antiquity and the High Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts, hg.
von Gert MELViLLE/Anne MÜLLER (Vita regularis. Abhandlungen 47), Berlin 2011; weitere bibliografi-
sche Angaben im Beitrag von Hedwig RÖCKELEIN in diesem Band.
11 Grundlegend zur Konzeption des Begriffs der sozialen Gruppen ist Otto Gerhard OEXLE, Soziale Grup-
pen in der Ständegesellschaft: Lebensformen des Mittelalters und ihre historischen Wirkungen, in: Die
Repräsentation der Gruppen. Texte - Bilder - Objekte, hg. von DEMS./Andrea VON HÜLSEN-EsCH, Göt-
tingen 1998, S. 9-44. Vgl. zum Verhältnis von Gruppen und Gemeinschaften Christina LuTTER, Social
Groups, Personal Relations, and the Making of Communities in Medieval wAt ??20?2<%sAc%, in: Making
Sense as Cultural Practice. Historical Perspectives, hg. von Jörg RoGGE (Mainzer Historische Kulturwis-
senschaften 17), Bielefeld 2013, S. 45-61. U. a. diesen Fragen widmet sich auch mein Forschungsprojekt
»Social and Cultural Communities in High and Late Medieval Central Europe« im Rahmen des vom
österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten SFB 42 VIS-
COM »Visions of Community« siche http://www.univie.ac.at/viscom/ (zuletzt abgerufen am 4.3.2014).
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 149

men Lebens, des Gebets, des liturgischen Handelns und der Tischgemeinschaft für
das Entstehen einer ideellen affektiven wie kulturellen Gemeinschaft im Sinn einer
gemeinsamen Lebensweise maßgeblich und konstitutiv ist. Deren Bedeutung, nicht
zuletzt aus Gründen der Kontrolle ihrer einzelnen Mitglieder, betonen alle frühmit-
telalterlichen Regeln für Männer wie Frauen, allen voran die SY. ßefzeJürh.
Aus den Personen, die im Kloster zusammen kommen und eine Gruppe bilden, die
sich bestimmten Vorstellungen des Lebens in Gemeinschaft unterwirft, wird in der
spirituellen und sozialen Praxis eine Gemeinschaft.^
Abte und Äbtissinnen als Führungspersönlichkeiten und Träger charismatischer
Autorität spielten in diesem Prozess eine zentrale Rolle und befanden sich gleich-
zeitig in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Aufgaben, das in den Reform-Dis-
kussionen, etwa der ersten Hälfte des 11. Jahrhundert thematisiert wird, mit denen
sich der Beitrag von Vanderputten beschäftigt: Setzte /ocz die Anwesenheit
des Abtes im Kloster zur Gewährleistung seiner Vorbild-, Verantwortungs- und
Aufsichtsfunktionen voraus, machten es andererseits seine politischen, ökonomi-
schen und pastoralen Aufgaben geradezu zwingend notwendig, gleichsam ex
das $Az7ü/zA%wGebot nicht einzuhalten. Demgemäß war die Dialektik zwischen der
und im Sinn der Gregors des Gro-
ßen ein maßgeblicher Gegenstand der Reformdebatten des 11. JahrhundertsV Be-
sonders das Verständnis einer Reform, die nicht nur den geistlichen Stand, sondern
die gesamte Gesellschaft erneuern sollte, steigerte die Ansprüche an die moralische
Autorität geistlicher Führungspersonen in der Welt ebenso wie an ihre Funktion als
Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits und erhöhte damit die Spannung zwi-
schen der Forderung nach Rückzug aus der Welt und Engagement in ihr und für
sieV
Vanderputten stellt den Lebensentwurf des Richard von St. Vanne als Binde-
glied zwischen diesen aus der Reformpraxis resultierenden Modellen für ein neues
Amtsverständnis des Abtes als Führungsfigur vor, dessen spirituelles Verständnis
wie seine geistliche Karriere die Heterogenität von und die fließenden Übergänge
zwischen monastischen Modellen gemeinschaftlichen Lebens, aber auch darüber

12 Klaus SCHREINER, Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Ge-
meinschaften in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Gert MELVILLE
(Vita regularis. Abhandlungen 53), Berlin 2013. Zur Performativität spiritueller Praxis vgl. z.B. die Bei-
träge in Understanding Monastic Practices of Oral Communication (Western Europe, Tenth-Thirteenth
Centuries), hg. von Steven VANDERPUTTEN (Utrecht Studies in Medieval Literacy 21), Turnhout 2011.
13 Steven VANDERPUTTEN in diesem Band, S. 109-111.
14 Stefan WEiNFURTER, Die Macht der Reformidee. Ihre Wirkkraft in Ritualen, Politik und Moral der
spätsalischen Zeit, in: Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spät-
mittelalter, hg. von Jörg RoGGE (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 2),
Korb 2008,S. 13-39.
150 I Christina Lutter

hinaus weisenden geistlichen Lebensformen sichtbar machen. Entscheidend ist im


Kontext einer Reform mit universalem Anspruch nicht zuletzt ein Klima der spiri-
tuellen und pastoralen Professionalisierung, in dem Mönche wie Kleriker im Rah-
men einer »Optimierungsoffensive« (Weinfurter) für die Heilschancen sowohl des
individuellen Seelenheils als auch der Gemeinschaft aller Christen tätig wurden V
Richards vornehmste Aufgabe der in diesem umfassenden Sinn
macht es ihm sowohl theoretisch wie praktisch unmöglich, sein Tun auf den Rah-
men koinobitischer Tugenden zu beschränken. Diese sind zwar ein wichtiger Teil
seines Selbstverständnisses; seine gesamte Laufbahn mit Stationen an der Kathedral-
schule von Reims über sein Abbatiat bis zur Entscheidung für ein Leben als Eremit
in der Nähe von Remiremont aber zeigt, dass ümAttzo für den »religiösen
Virtuosen«, als den Steven Vanderputten Richard von St. Vanne idealtypisch vor-
stellt, weit mehr impliziert als die Leitung einer monastischen Gemeinschaft. Letzt-
lich transzendieren er und seinesgleichen die Grenzen zwischen Kloster und Welt,
partizipieren an beiden und verändern sie gerade durch diese Grenzüberschreitung.
Dafür aber muss ihre spirituelle Virtuosität derartig ausgeprägt sein, dass sie ohne
Gefahr für ihre eigenen Heilschancen auf die Regelmäßigkeit des Klosterlebens mit
seiner gemeinsamen asketischen Praxis zumindest temporär verzichten können.
Die spirituelle Selbstperfektionierung, das Wachsen über die Grenzen des eigenen
Selbst hinaus findet seine Entsprechung im Verlassen des monastischen Raums zur
Heilsvermittlung in der Welt, die so ihrerseits Teil der spirituellen Perfektionie-
rung wirdV Umgekehrt werden an den Biographien der herausragenden Vertreter
des Reformkreises um Richard aber auch die fließenden Übergänge nicht allein
zwischen klerikalen und koinobitischen Lebensformen, sondern auch - gleichsam
komplementär - jene zwischen Pormen der monastischen und der eremitischen As-
kese sichtbar. Auch das Modell des totalen Rückzugs aus der Welt zur persönlichen
spirituellen Perfektion des Leidens in der Nachfolge Christi ist ein maßgeblicher
Bestandteil der im Reformkreis um Richard diskutierten Modelle V
Solche Pormen der Perfektionierung sind selbstverständlich ein Elitenprogramm,
das nicht jedem geistlichen Menschen zumutbar ist - das thematisieren Richard und
seinesgleichen auch selbst. Ebenso wird von den früh- und hochmittelalterlichen

15 Vgi. WEINFURTER, Innovation (wie Anm. 8), S. 299-304, der Begriff auf S. 300.
16 Vgl. den Beitrag von Steven VANDERPUTTEN in diesem Band, besonders S. 112-115.
17 Zur wachsenden Vielschichtigkeit und Heterogenität religiöser Lebensmodelle und der zeitgenössischen
Auseinandersetzung mit dem eremitischen Lcbcnsmodcll aus zeitgenössischer kanonistischer Perspekti-
ve vgl. Ernst-Dieter HEHL, Prozesse von Abstrahierung und Differenzierung im
12. Jahrhundert, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik
eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stcfan BuRKHARDT/Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhand-
lungen 48), Berlin 2012, S. 21-38, hier S. 25.
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 151

normativen Regeltexten für Männer und Frauen, von denen Hedwig Röckelein je
zwei für Männer und für Frauen einander vergleichend gegenüberstellt, bis hin zu
den pastoralen Handbüchern und paränetischen Traktakten des Hoch- und Spät-
mittelalters nicht nur die Notwendigkeit der Ortsgebundenheit bzw. Klausur, son-
dern auch jene des Maßhaltens bei der individuellen Askese betont. Denn wenn
die asketische Leistung übertrieben wird, der Selbsterhebung dient und dadurch
Hochmut begründet, verkehrt sich die Tugend in das Laster der ^zzpcr^zh. Bereits
Johannes Cassian begründete hochmütiges Verhalten mit der Absonderung des
Einzelnen von der monastischen Gemeinschaft.^
Auch die Bandbreite der geistlichen Lebensstationen eines Richard war wohl
eher Ausnahme als Regel. Nichtsdestoweniger verweist die Legitimation durch die
»virtuose«, also elitäre, ZTZZzAztzo C^rLtz auf die Möglichkeit eines letztlich egalitären
Überschreitens jeglicher ordo-Zuschreibung - d.h. auf einen wesentlichen Aspekt
christlichen Reformdenkens in seiner Hinwendung zur Welt -, die ja in zahlreichen
zeitgenössischen Reformdebatten in jeder Hinsicht standesübergreifend konzipiert
wurde.^
Doch inwieweit sind solche Vorstellungen repräsentativ und für langfristig er-
folgreiche Lebensformen maßgeblich? Während Steven Vanderputten spirituelle
exzellente Vertreter innerhalb von geistlichen Eliten fokussiert, lenkt Hed-
wig Röckelein den Blick auf die Ebene darunter, selbst wenn die Überlieferung auch
hier zumindest bis ins lß. Jahrhundert ebenfalls mehrheitlich Angehörige von Eliten
sichtbar macht. Bei ihrer Diskussion von Regeln und reformorientierten Lebensmo-
dellen im Vergleich zwischen Mönchen und Nonnen hebt sie dabei zu Recht hervor,
dass in den mittelalterlichen Klosterregeln nicht nur die Vorschriften für weibli-
che Religiösen in Hinblick auf FAzMzAz.y /ocz und Klausur durchgehend deutlich
strenger waren, sondern in Reformkonventen auch mit dem Selbstverständnis der
Sanktimonialen als Gemeinschaft von Inklusen, mehr noch als wzz/zcrc^ bzw. 3ororeF
zzzcrZfcetuAze korrespondierten. Maßgeblich sind die programmatischen Begründun-
gen in den Reformtexten, die allerdings von jenen der normativen Vorgaben der
Regeln oft abweichen: Hier, so argumentiert Röckelein, ist weniger von weiblicher
Schwäche als solcher, von Schutzbedürftigkeit oder von Gefährdung der Keusch-

18 Johannes Cassian, De institutis coenobiorum. De incarnatione contra nestorium, hg. von Micheal PET-
SCHENiNG/Gottfried KREUZ (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 17), Wien 2004, hier lib.
XII, cap. 30, S. 228f. Vgl. Conrad LEYSER, Authority and Asceticism from Augustine to Gregory the
Great, Oxford 2000.
19 Alfred HAVERKAMP, Neue Formen von Bindung und Ausgrenzung. Konzepte und Gestaltungen von
Gemeinschaften an der Wende zum 12. Jahrhundert, in: Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit
Heinrichs IV und Heinrichs V, hg. von Bernd ScHNEiDMÜLLER/Stefan WEiNFURTER, Darmstadt 2007,
S. 85-122; WEiNFURTER, Innovation (wie Anm. 8), S. 303 f.
152 I Christina Lutter

heit als Grund für die »Inklusion«, mehr noch: für die »Einkerkerung« die Rede.
Im Vordergrund steht die explizit gebrauchte Figur der Schwäche des Geschlechts
vielmehr als Motivation des Rückzugs aus der Welt zum Zweck der umfassenden,
kollektiven und stellvertretenden Buße angesichts der Sündhaftigkeit der WeltA°
Vergleichbare Vorstellungen artikuliert der Brief des Reformkanonikers Gerhoh
von Reichersberg aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts gegenüber jenen
w C^7?vsü3 soroTV^MS, bei denen es sich wahrscheinlich um die Sanktimonialen des
benediktinischen, an den Hirsauer orientierten Reform- und »Dop-
pelklosters« Admont in der Salzburger Kirchenprovinz handelte.^ In seinen ein-
leitenden Ausführungen zum Modell des vorbildlichen Lebens als Bräute Christi
verknüpft Gerhoh einige der für den Reformdiskurs maßgeblichen Bilder in auf-
schlussreicher Weise. Er präsentiert die exemplarische der Sprüche Sa-
lomos als Vorbild für seine Adressantinnen und setzt ihre Exegese in Bezug zu jener
der Braut des HoheliedesA Die biblischen Figuren verkörpern zentrale Tugenden
der monastischen Lebensform: Vor allem Shulamit wird von Gerhoh (in Anleh-
nung an Rupert von Deutz) als exemplarische Jungfrau und Rollenmodell für die
Gefangenschaft (<r<%^ZT7zAz.s) der Sanktimonialen im Kloster präsentiert, welche die
monastischen Kardinaltugenden der Demut und des Gehorsams (o^oe-
verkörpert. Auch Irimbert, der Seelsorger der Admonterinnen zu dieser
Zeit, spricht in seiner Darstellung des reformorientierten Lebens der Frauen von
ihrer freiwilligen Gleichzeitig aber repräsentiert die biblische
Shulamit die Integration von geistlichem und weltlichem Kampf für den Glauben,
der im Prinzip der nicht nur im ritterlichen und klerikalen, sondern
auch im monastischen Milieu geführt werden sollte, und dies durchaus in Über-
schreitung geschlechtsspezifischer Rollenmodelle.^

20 Vgl. Hedwig RÖCKELEIN in diesem Band, S. 138-141 am Beispiel des Reformklosters Lippoldsberg.
21 Christina LuTTER, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische Reform-
gemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsfor-
schung 43), Wien 2005; DiES., Sünderinnen und Bräute Christi. Kulturelle Muster und
spirituelle Symbolik in mittelalterlichen Geschlcchtcrkonzeptcn, in: Das Geschlecht des Glaubens, hg.
von Monika MoMMERTZ/Claudia OPITZ, Frankfurt am Main 2007, S. 51-70.
22 Epistola Gerhohi ad quasdam sanctimoniales, hg. von Peter CLASSEN, in: Gerhohi Praepositi Reichers-
bergensis, Opera inedita, Bd. 1: Tractatus et libelli. Acccdunt Gerhohi epistolae très, hg. von Damian und
Odulph VAN DEN EYNDE/Angelini RijMERSDAEL (Spicilegium pontiheii Athenaei Antoniani 8), Rom
1955, S. 366-376, sowie in: LuTTER, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 230-234; zum Folgenden
ebd., S. 231, mit Bezug auf Prov. 7 und 31, 10-31 sowie Cant. 3,6; 8,5; 4,1. Weitere handschriftliche
Überlieferung, Regest und ältere Literatur ebd. sowie bei Peter CLASSEN, Gerhoch von Reichersberg.
Eine Biographie. Mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chro-
nologie, Wiesbaden 1960, S. 403f., n. 160.
23 LuTTER, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 80-92, besonders S. 84, sowie Anhang 1, S. 222-225,
hier Abschnitt VIII, S. 223.
24 Weitere Beispiele bietet die Überlieferung etwa der Salzburger Benediktinerinnen auf dem Nonnberg, des
Hirsauer Reformklosters Petershausen in Konstanz, aber auch der Hortes Je/zcM?*%7?7 der Herrad von
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 153

Die fmzAzAo im Sinn einer stellvertretenden Buße solcher sororej m-


verbindet sich hier mit dem monastischen orJo-Ideal der jungfräulichen
Bräute Christi zu einem Selbstverständnis, das die Besonderheit dieser Frauen als
»Inklusen« zum Ausdruck bringt, nicht zuletzt durch die programmatische Stren-
ge ihrer Gefangenschaft, die dieses Modell durchaus in die Nähe der männlichen
Virtuosen monastischer Reform-Askese rückt, die nicht ohne Grund auch die ere-
mitische Lebensform zumindest temporär in ihr spirituelles Repertoire integrierten.
War das Gebot der jAtNYzAM für Frauen auch in ihrem eigenen Selbstverständnis
rigoroser (und selbst hier gibt es eine Reihe von Ausnahmen), bot das spirituelle
Modell der Braut Christi (das auch für Männer galt) und das Vorbild der Mutter
Gottes als Fürsprecherin Himmelskönigin im Gegenzug für weibliche Religi-
ösen eine Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten der Identifikation, die an weltliche
Lebensmodelle anknüpfen und im monastischen Raum neu definiert und gesteigert
werden konnten.-^
Die Dialektik zwischen »innen« und »außen« ist aber nicht nur eine Frage der
Optimierung spiritueller Höchstleistungen mit universalem Erlösungsanspruch
und pastoraler Aufgaben zur Heilsvermittlung. Sie setzt sich schon allein aufgrund
des rechtlich-ökonomischen Gründungsaktes durch geistliche oder weltliche Große
fort und, damit verbunden, aufgrund der Einbindung geistlicher Menschen sowohl
in die neue des Klosters wie auch in ihre weltlichen Herkunfts- und Be-
ziehungsverbände - jene Trägergruppen, deren Mitglieder geistliche Institutionen
durch vielfältige Stiftungen unterstützten.^ Die räumliche Trennung unterbindet
diese Beziehungen eben nicht, sondern verlängert und modifiziert sie, auch wenn
Regelentwürfe und Reformdokumente auf besondere Strenge in diesem Punkt, und
hier wieder besonders für Frauen, Wert legen.
Die Praxis dürfte allerdings vielfach komplexer ausgesehen haben, wie selbst das
Beispiel virtuoser sorores wie der Admonterinnen nahe legt. In ihrem

Hohenburg im Eisass, Hildegards von Bingen OrJo thrtMtMW oder der Briefwechsel zwischen Petrus
Venerabilis und Héloise, vgl. LuTTER, (wie Anm. 21), S. 55-57.
25 Grundlegend sind Klaus SCHREINER, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Münchcn/Wien 1994 und
Gabriela SiGNORi, Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt. Hagiographischc und historiographi-
sche Annäherungen an eine hochmittelalterliche Wunderpredigt, Sigmaringen 1995.
26 Bereits Klaus SCHREINER, Consanguinitas - Verwandtschaft als Strukturprinzip religiöser Gemein-
schafts- und Verfassungsbildung in Kirche und Mönchtum des Mittelalters, in: Beiträge zu Geschichte
und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, hg. von Irene CRUSius, Göttingen 1989, S. 176-305;
aktuell z.B. Michael BoRGOLTE, Stiftung und Memoria, hg. von Tillman LoHSE (Stiftungsgeschichten
10), Berlin 2012; Michael MiTTERAUER, Geistliche Verwandtschaft im Kontext mittelalterlicher Ver-
wandtschaftssysteme, in: Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Karl-Heinz SpiESS
(Vorträge und Forschungen/Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 71), Sigmaringen
2009, S. 171-195; zur Bedeutung der Stifterbeziehung in dem hier relevanten Zusammenhang auch HEHL,
/zzno-u^tz'o/Aezzovzztzo (wie Anm. 17), S. 21.
154 I Christina Lutter

Fall gibt es zwar keine Gründungsurkunde wie in Lippoldsberg, wohl aber eine
Dotationsurkunde aus dem Jahr 1130, in der auf die Konsequenzen der strengen
Klausur für die Bedürfnisse des täglichen Lebens eingegangen wird: Detailliert wer-
den die Einkünfte der Frauen aus den reichen Admonter Besitzungen aufgezählt,
für deren Verwaltung eine eigene Kammer eingerichtet wurde; die Materialien, die
sie für die Handarbeiten im Kloster benötigten, aber ebenso Kleintiere, bewegliche
Güter und nicht zuletzt weibliche Dienstboten, welche die Frauen, von denen vie-
le - so betont die Überlieferung mehrfach - aus den besten Familien der näheren
und weiteren Umgebung stammten, mitnehmen durften V Der hier belegte Lebens-
stil liegt in einigen Aspekten quer zur Reformrhetorik der reichen übrigen Über-
lieferung, etwa den Predigten des Admonter Abtes bzw. Seelsorgers Irimbert, der
Beteiligung der Admonterinnen an der Handschriftenproduktion und wohl auch
an der diese begleitenden intellektuell-spirituellen Auseinandersetzung mit Fragen
des »richtigen« geistlichen Lebens.^ Wie in der Frage der Ausstattung legen auch
erhaltene Briefe aus dem Kloster an Verwandte und Vertraute nahe, dass das Streben
nach einem an strengen Reformzielen orientierten und daher »abgeschlossenen«
Leben in einer neuen Gemeinschaft ernst genommen wurde, dass aber bestehende
soziale Bindungen und Zugehörigkeiten nicht nur weiter bestanden, sondern dass
versucht wurde, sie auch in die ideellen neuen Lebensmodelle zu integrieren.^
Die Bedeutung gerade auch weiblicher Religiösen als Spezialistinnen für Gebet
und wemorü und damit als Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits wie zwi-
schen monastischer Jkwf/M und weltlichen Verwandtschafts- und Wirtschaftsver-
bänden wird in der Forschung seit geraumer Zeit betontd° Spirituelle und materi-
elle Ökonomie sind zwei Seiten derselben Medaille. In diesen Aspekten ist unser

27 Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark, 3 Bdc., hg. von Josef ZAHN, Graz 1876, Bd. 1, S. 170, n. 171
sowie Jakob WiCHNER, Das ehemalige Nonnenkloster O.S.B. zu Admont, in: Wissenschaftliche Studien
und Mittheilungen aus dem Benedictincr-Ordcn mit besonderer Berücksichtigung der Ordensgeschichte
und Statistik 2,1881, S. 75-319, Beilage I, S. 304; mit weiteren Belegen diskutiert bei LuTTER, Geschlecht
und Wissen (wie Anm. 21), S. 197-200. Zur Lippoldsberger Gründungsurkunde vgl. den Beitrag von
Hedwig RÖCKELEIN in diesem Band, S. 139f. Grundlegend ist Franz Josef FELTEN, Zum Problem der so-
zialen Zusammensetzung von den Benediktinerklöstern und Konventen der neuen religiösen Bewegung,
in: Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld, hg. von Alfred HAVERKAMP, Bingen am Rhein/
Mainz 2000, S. 189-235.
28 Alison F BEACH, Women as Scribes. Book Production and Monastic Reform in 12^-Century Bavaria,
Cambridge 2004; Ingrid RoiTNER, Das Admonter Frauenklostcr im 12. Jahrhundert. Ein Musterkloster
des Ordo Hirsaugiensis, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und sei-
ner Zweige 116, 2005, S. 190-289.
29 Alison F BEACH, Voices from a Distant Fand. Fragments of a Twelfth Century Nun s Fetter Collection,
in: Speculum 77, 2002, S. 34 — 54; PuTTER, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 178-220.
30 Patrick GEARY, Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium,
Princeton 1994; Elisabeth VAN HouTS, Memory and Gender in Medieval Europe 900-1200, Fondon
1999; Gabriela SiGNORi, Wanderer zwischen den »Welten«. Besucher, Briefe, Vermächtnisse und Ge-
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 155

Wissen über religiöses Gemeinschaftsleben und geistliche Reformbewegungen im


mittelalterlichen Europa in den vergangenen Jahrzehnten Dank Initiativen wie der
Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte oder des Projekts der Veran-
stalter der heutigen Tagung enorm gewachsen.^ Dennoch wissen wir immer noch
deutlich mehr über die früh- und hochmittelalterlichen Entwürfe monastischen
Lebens als über ihre prozessuale Verhandlung und Umsetzung in der Praxis. Das
hängt nicht zuletzt mit der Überlieferung zusammen, die mit wenigen Ausnah-
men - Admont ist eine solche - meist bis ins 12. Jahrhundert auch in jenen Klöstern
mit besonders gut erhaltenen Quellenbeständen überschaubar ist. Das ändert sich
ab dem 13., jedenfalls aber dem 14. Jahrhundert mit dem enormen Anstieg und der
ebenso großen Diversifizierung des Quellenmaterials. Es erlaubt uns Einblicke in
die Formen der eingangs erwähnten Rückbindung des Lebensmodells Kloster an
weltliche Gruppen - und nicht nur an ihre Spitzen - und die Einschätzung ih-
rer Bedeutung für einen nachhaltigen Erfolg des Lebensmodells Kloster. Bereits
vorhandene Studien zu spätmittelalterlichen monastischen Gemeinschaften lassen
außerdem vermuten, dass das Verhältnis von Normen und Formen der gelebten
religiösen Praxis im Licht der Ausdifferenzierung von Quellenmaterial und darin
reflektierten Lebensformen nochmals zu relativieren sein wird.
Aus der Fülle der Überlieferung möchte ich diesen Punkt anhand monastischer
Frauengemeinschaften unterschiedlicher Ordenszugehörigkeit in verschiedenen
geographischen Räumen verdeutlichen: Eva Schlotheuber konnte anhand eines an
der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert entstandenen »Konventstagebuchs« einer
namentlich nicht bekannten Nonne des Zisterzienserinnenklosters Heilig-Kreuz
bei Braunschweig im Vergleich mit den reformierten Benediktinerinnen von Lüne
und Ebstorf mittels einer Fülle zeitgenössischer Überlieferungsformen (von Re-
geltexten, Reformstatuten und -berichten bis hin zur urkundlichen Überlieferung)
zeigen, wie sehr die Familien der Nonnen in diesen geistlichen Gemeinschaften die
Stadt- und Regionalpolitik mitbestimmt haben - hier in den Auseinandersetzungen
zwischen der Stadt Braunschweig, dem Herzog und dem niederen Adel sowie dem
Bischof von Hildesheim seit dem 13. Jahrhundert - und in welchen Weisen ihr je-
weiliger sozialer Status und ihre politische Bedeutung in Wechselwirkung mit dem
spirituellen Selbstverständnis der Konventualinnen als »Bräute Christi« standen.

Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepub-
lik Deutschland, Bonn und dem Ruhrlandmuseum Essen, München, 2005, S. 130-141.
31 Mittelalterliche Orden und Klöster im Vergleich. Methodische Ansätze und Perspektiven, hg. von Gert
MELViLLE/Anne MÜLLER (Vita regularis. Abhandlungen 34), Berlin/Münster 2007, darin v. a. Franz Josef
FELTEN, Wozu treiben wir vergleichende Ordensgeschichte?, S. 1-51; Innovation in Klöstern und Orden
des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan
BuRKHARDT/Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012.
156 I Christina Lutter

Schlotheubers differenzierte Untersuchung der jeweils unterschiedlichen Praxis von


Schriftlichkeit belegt zudem die Notwendigkeit, die traditionell übliche Trennung
von materiellen und spirituellen Aspekten des Ordenslebens von Frauen, d.h. von
Fragen nach den gesellschaftlichen Funktionen spätmittelalterlicher Frauenklöster
und jenen nach Lebenswelt, Spiritualität und Selbstverständnis der Betroffenen zu
überwindend^
Ähnlich konnten die beiden vergleichenden Mainzer Dissertationen von Chris-
tine Kleinjung zu den Wormser Frauenklöstern unterschiedlicher Ordenszuge-
hörigkeit und die Längsschnittstudie von Gordon Blennemann zu den Metzer
Benediktinerinnen feststellen, wie sehr bürgerliche und adelige Stiftungen an die
Gemeinschaften verwandtschaftlich begründete Handlungen darstellten, die gleich-
zeitig die fließenden, durch unterschiedliche Beziehungsformen begründeten Über-
gänge zwischen adeligen und bürgerlichen Eliten unterstreichen.^ Beide betonen
je kontextspezifisch die Eigenschaft dieser Frauenklöster als Zentren der Kommu-
nikation und die Vielfalt der Möglichkeiten spirituellen, sozialen und ökonomi-
schen Handelns, welche die Konventualinnen selbst im Rahmen ihrer geistlichen
Gemeinschaften, und zwar in Rückbindung an jene ihrer Herkunftsfamilien hatten.
Bemerkenswert ist dabei vor allem, in welchem Ausmaß verwandtschaftliche Bin-
dungen im Kloster fortgesetzt bzw. erneuert wurden, etwa durch die Weitergabe
von Legaten zwischen Schwestern, Tanten und Nichten, über Geschenke, Seelgerä-
te und Stiftungen. Auch hier erweisen sich spirituelle und materielle, religiöse und
ökonomische Aspekte dieses Handelns als konsequent aufeinander verwiesen und
als integrale Faktoren mittelalterlichen Gemeinschafts- und Heilsverständnisses.
Im äußersten Südosten des Heiligen Römischen Reichs, in den österreichischen
Ländern an den Grenzen zu Böhmen und Ungarn lässt sich eine vergleichbare so-
zio-politische Rolle der Zisterzienserinnen von St. Niklas vor den Stadtmauern von
Wien feststellen: Die Konventualinnen der dem Heiligenkreuzer Männerkonvent
unterstellten Gemeinschaft werden in der urkundlichen Überlieferung seit dem
14. Jahrhundert nicht nur als Mitglieder der maßgeblichen regionalen Führungs-
gruppen sichtbar, von denen wiederum Personen beiderlei Geschlechts Träger der
zeitgenössischen Stiftungspraxis waren. Darüber hinaus und wohl in enger Wech-

32 Eva ScHLOTHEUBER, Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter.
Mit einer Edition des »Konventstagebuchs« einer Zisterzienserin von Heiligkreuz bei Braunschweig
(1484-1507) (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 24), Tübingen 2004; pointiert auch SiGNORi,
Wanderer zwischen den Welten (wie Anm. 30) mit weiteren Beispielen.
33 Christine KLEINJUNG, Frauenklöster als Kommunikationszentren und soziale Räume. Das Beispiel
Worms vom 13. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschich-
te des Mittelalters 1), Korb 2008; Gordon BLENNEMANN, Die Metzer Benediktinerinnen im Mittelalter.
Studien zu den Handlungsspielräumen geistlicher Frauen (Historische Studien 498), Husum 2011, jeweils
mit umfangreichen bibliographischen Angaben zu weiteren Fallstudien.
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 157

selwirkung damit war das Kloster im späten 13. Jahrhundert Ort der politischen
Re-Integration in und nach den langwierigen politischen Auseinandersetzungen
seit dem Ende der babenbergischen Herrschaft, den hegemonialen Bestrebungen
des Böhmenkönigs Premysl Otakar und dem letztlich dauerhaften politischen Er-
folg der Habsburger im Herzogtum, die nicht zuletzt über die Förderung des Kon-
vents von St. Niklas an die zeitgenössischen sozialen Eliten anknüpfen konntenA
Aber auch der ehemalige Seelsorger der Frauen, Gutolf von Heiligenkreuz
machte in seiner SY. einer historiograhsch-hagiograhschen
Beschreibung der Ereignisse, das Frauenkloster zum Mittelpunkt der Narration.
Er dürfte dabei als Bindeglied zwischen unterschiedlichen Gruppen gewirkt und
mit seinem Text nicht zuletzt versucht zu haben, sich auf diese Weise selbst in der
Nähe der sozio-politischen Elite der Region zu positionieren, ebenso wie in jener
der neuen Herrscher. Eines seiner maßgeblichen Argumente für die Notwendig-
keit, angesichts der politischen Wirren einen besser gesicherten Ort für die Non-
nen innerhalb der Stadt zu finden, ist der klassische Klausurtopos, man könne die
vorbildlich lebenden geistlichen Frauen im Fall der Zerstörung des Klosters doch
nicht schütz- und orientierungslos umherirren lassen. Als dieser Fall dann doch im
Zuge der Auseinandersetzungen Premysl Otakars mit den Ungarn eintrat und das
Kloster von ungarischen Überfällen betroffen war, kamen die Frauen - offenbar
recht rasch - auf den festen Sitzen und Burgen ihrer Verwandten in der Umgebung
unterA
Die Benediktinerinnen im steirischen Admont in der Erzdiözese Salzburg, die
gemeinsam mit ihren geistlichen Brüdern im »Doppelkloster« in den Kanoniker-
und koinobitischen Reformen des 12. Jahrhundert eine herausragende soziale wie
geistig-geistliche Rolle gespielt hatten, scheinen diese - zumindest legt das der Be-
fund der Überlieferung nahe - ab dem 13. Jahrhundert verloren zu haben. Etwa
gleichzeitig verlor der ideell am apostolischen Reform-Modell der
und konkret an der Kanonikerreform orientierte Salzburger Gebetsverbund, an

34 Überblick bei Christina LuTTER, »Locus horroris et vastae solitudinis«? Zisterzienser und Zisterziense-
rinnen in und um Wien, in: Historisches Jahrbuch 132, 2012, S. 141-176. Im Detail Ferdinand OPLL, St.
Maria bei St. Niklas vor dem Stubentor, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 50, 1994,
S. 13-81. Ähnliches kann für die Zisterzienserinnen von St. Bernhard bei Horn vermutet werden, einer
Gründung des einflussreichen Ministerialengeschlechts der Kuenringer, die ihrerseits den Zisterziensern
von Zwettl, des ersten Tochterklosters von Heiligenkreuz, unterstellt war: St. Bernhard und die Zisterzi-
enser. Neue Forschungen zu Geschichte und Kunst, hg. von Ralph ÄNDRASCHEK-HoLZER/Meta NiE-
DERKORN/Barbara ScHEDL (Beiträge zur Kirchengeschichte Nicdcröstcrreichs 8/Geschichtliche Beilagen
zum St. Pöltner Diözesanblatt 25), St. Pölten 2001; Doris SCHILLER, Das Zisterzienserinnenkloster St.
Bernhard bei Horn, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg. Neue Folge 19, 2004, S. 7-186.
35 Des Gutolf von Heiligenkreuz 7r<%72sL:Ao S/mcMe DüzcMMzze, hg. von Oswald REDLiCH/Anton E.
SCHÖNBACH, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist.
Klasse 159/2, 1908, S. 1-38.
158 I Christina Lutter

dem die gesamte geistliche und weltliche Elite der Erzdiözese (so auch Admont)
teilhatte, mit den kirchenpolitischen Eingriffen Friedrich Barbarossas an Integrati-
onspotentialA Diese Koinzidenz ist wohl kaum zufällig, sondern unterstreicht ein-
mal mehr die Bedeutung politischer und verwandtschaftlicher Beziehungsgeflechte,
in die geistliche Gemeinschaften durch und über ihre Trägergruppen eingebunden
waren.

Die Südtiroler Benediktinerinnen auf der Sonnenburg ebenso wie die Klarissen
von Brixen und ihre Familien spielten im 15. Jahrhundert in den Auseinanderset-
zungen mit den Bischöfen von Brixen und Trient vor dem Hintergrund der Melker
Reform eine ähnlich einflussreiche Rolle wie die Admonterinnen im 12. und die
Wiener Zisterzienserinnen im 13. Jahrhundert. Politisch wirksam wurde besonders
der Widerstand der Sonnenburgerinnen unter ihrer Äbtissin Verena von Stuben ge-
gen die durch den päpstlichen Legaten Nicolaus Cusanus initiierten Reformbestre-
bungen in ihrem jahrelangen und erbittert ausgefochtenen Konflikt mit diesemA
Überall ging es um das Verhältnis von und um »gro-
ße« Politik und Reform, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen: Berief sich
Admont ausdrücklich auf die Hirsauer Reform, mehr noch: gehörten die dortigen
Mönche und Nonnen zu ihren maßgeblichen Trägern, waren die Südtiroler Frau-
enklöster 300 Jahre später - durchaus mit geistlichen Argumenten sowie mit Be-
rufung auf die althergebrachte Tradition, die ccwsMefMtifmes des Klosters - explizite
Reformgegner. Es ist unbestreitbar, dass in den ideellen Entwürfen der meisten Re-
geln für weibliche Religiösen, in den Schriften von Seelsorgern und besonders von
Reformern der Frage der Klausur eine herausragende Bedeutung zugemessen wur-
de, im Rahmen derer gerade auch verwandtschaftliche Beziehungen unterbunden
oder zumindest streng kontrolliert werden sollten. Bei der Einschätzung zeitgenös-
sischer Reformrhetorik ist aber jedenfalls immer Vorsicht geboten, zumal solche
Forderungen in der gesellschaftspolitischen Praxis, welche die Überlieferung seit

36 Stefan WEiNFURTER/Bernd SCHNEIDMÜLLER, Ordnungskonhgurationen. Die Erprobung eines For-


schungsdesigns, in: Ordnungskonftgurationen im hohen Mittelalter, hg. von DENS. (Vorträge und For-
schungen 64), Sigmaringen 2006, S. 7-18, hier S. 9; WEINFURTER, Die Macht der Reformidee (wie
Anm. 14).
37 Wilhelm BAUM, Sonnenburg, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und
Südtirol, bearb. von Ulrich FAUST OSB/Waltraud KRASSNiG, hg. von der bayerischen Benediktineraka-
demie München in Verbindung mit dem Abt-Herwegen-Institut Maria Faach (Germania Benedictina
3,3), München 2002, S. 604-702; Eva CESCUTTi, »Et clausa est janua«. Maria von Wolkenstein, Nicolaus
Cusanus und das »richtige« Klosterleben, in: Fromme Frauen. Devozione femminile, hg. von Siglin-
de CLEMENTi (Geschichte und Region 12/2), Innsbruck/Wicn/Münchcn u.a. 2004, S. 114-140; Meta
NiEDERKORN-BRUCK, Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen (Mitteilungen des Instituts für
Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 30), Wien 1994; sowie die ungedruckte Diplom-
arbeit von Melanie LEOPOLD, Untersuchungen zu benediktinischen Frauenklöstern in Österreich und
Südtirol im Kontext der Melker Reform, Wien 2012, die erstmals alle relevanten Daten zu Überlieferung
Geistliche Gemeinschaften in der Welt I 159

dem lß. Jahrhundert deutlich besser sichtbar macht, durch das komplexe Bündel
von individuellen, familiären und ökonomischen Interessen der einzelnen Frauen
und der Träger- wie Stiftergruppen der Klöster relativiert werden. Spirituelle und
sozioökonomische Motive können - je nach Intention der Überlieferung - als Ge-
gensatz interpretiert werden, wie das in Reformschriften oft genug geschieht, aber
ebenso als aufeinander verweisend verstanden werden.^
Offensichtlich ist: Monastische Gemeinschaften entstehen aus Personen und
Gruppen. Das Spannungsverhältnis, das in stärker oder schwächer »inklusiven«
bzw. »exklusiven« Modellen der comwMTZM zum Ausdruck kommt, ist also
ebenso ein integraler Bestandteil der (ständischen) Welt außerhalb monastischer
Gemeinschaften. Mehr noch: »Die Welt« trägt über die Angehörigen sozialer Grup-
pen, die Mitglieder von monastischen Gemeinschaften werden, im europäischen
Mittelalter sowohl ständisch-hierarchische Vorstellungen in diese Gemeinschaften
hinein, wie auch solche, die mit horizontalen Beziehungsgeflechten und einer ent-
sprechenden Ressourcen-Okonomie verbunden sind, wie sie umgekehrt das insti-
tutionell-organisatorische Potential religiöser Gemeinschaften nutztA Die wenn
auch regional sehr unterschiedliche Entwicklung der Städte im 11. und 12. Jahrhun-
dert spielt bei der Ausdifferenzierung solcher Modelle ebenso wie die zunehmende
Reglementierung, Verschriftlichung und rechtliche Fixierung von Formen des ge-
meinschaftlichen Zusammenlebens seit dem 12. und 13. Jahrhundert eine wichtige
Rolled"
Somit stellt sich die Frage, ob diese Verbindungen zwischen den geistlichen Ge-
meinschaften und den außermonastischen Gruppen, aus denen sie entstehen, nicht
ebenso konstitutiv für den längerfristigen Bestand der als Gemeinschaft organi-
sierten Gruppen im Kloster sind wie deren interne Regeln des Zusammenlebens.
Ermöglichen sie darüber hinaus nicht erst Transfer und Übersetzung von kultu-
rellen Leistungen zwischen inner- und außermonastischem Raum, und sind damit

38 Zahlreiche Beispiele etwa in den erwähnten Studien von Eva ScHLOTHEUBER, Christine KLEINJUNG und
Gordon BLENNEMANN (wie Anm. 32 und 33). Vgl. außerdem die Beiträge in Frauen - Kloster - Kunst.
Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom
13.-16. Mai 2005 anlässlich der Ausstellung »Krone und Schleier«, hg. von Jeffrey F. HAMBURGER/Caro-
la jÄGGi/Susan MARTI u.a. in Kooperation mit dem Ruhrlandmuscum Essen, Turnhout 2007, besonders
die Abschnitte »Kloster und Welt«, S. 211-274 und »Patrone«, S. 275-311, sowie die Literaturübersicht
bei Gudrun GLEBA, Klöster und Orden im Mittelalter, 4. Aufl. Darmstadt 2011, besonders S. 140f. und
S. 144.
39 OEXLE, Koinos bios (wie Anm. 1); zum Begriff Ressourcenökonontic vgl. die methodologischen Über-
legungen von Gabriele JANCKE und Daniel ScHLÄPPi, Ökonomie sozialer Beziehungen. Wie Gruppen
in frühneuzeitlichen Gesellschaften Ressourcen bewirtschafteten, in: L'Homme. Europäische Zeitschrift
für Feministische Geschichtswissenschaft 22/1, 2011, S. 85-97.
40 WEiNFURTER, Innovation (wie Anm. 8), besonders S. 300-305; HAVERKAMP, Neue Formen (wie
Anm. 19).
160 I Christina Lutter

auch für sein Potential maßgeblich, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen


wie auch solchen zu begegnen?
Innovation zeigt sich dabei, wie Hedwig Röckelein betont, oft gerade auch im
Umgang mit den normativ vorgegebenen Lebensbedingungen. Das Repertoire aus
Normen, Wertvorstellungen, Handlungsmustern und Praktiken steht eben nicht
ein für allemal fest und wird als solches weitergegeben, sondern es wird - trotz
retrospektiver Wertung als handlungsleitendes »Vermächtnis« - in der Praxis des
Zusammenlebens verhandelt, mündlich und schriftlich kommuniziert, tradiert
und dabei sowohl bestätigt wie auch verändert. Dabei spielen gemeinsame Orte
ebenso wie unterschiedliche materielle, soziale und symbolische Ressourcen eine
Rolle. Sie werden an diesen Orten, aber auch über sie hinausreichend geteilt und
getauscht und konstituieren so einen spezifischen, aber gleichzeitig elastischen so-
zialen Handlungs-Raum.
Die nachhaltig innovative Leistung monastischer Lebensformen in ihrem Wech-
selverhältnis mit der Welt scheint mir gerade in der Fähigkeit des Lebensmodells
Kloster zu liegen, weiträumig und langfristig gültige Normen in Anerkennung ihrer
»zeitlosen« Geltung zu aktualisieren und mit zeitlich und räumlich spezifischen
Besonderheiten zu integrieren, etwa grundlegende egalitär orientierte spirituelle
Gemeinschaftsvorstellungen mit der ständisch differenzierten Gruppenstruktur zu
vereinbaren. Der Blick aus dem Spätmittelalter zurück legt nicht nahe, dass die
Menschen damals weniger um das richtige Verhältnis zwischen Norm und Praxis
gerungen hätten als zuvor. Wohl aber erweitert die umfangreichere und heteroge-
nere Überlieferung die Kategorien möglicher Motive, mögliche Formen geteilter
Zugehörigkeit und gemeinsamer Identifikationsmodelle und nicht zuletzt unsere
Möglichkeit der Erkenntnis derselben.
Der »Mönch im Bi!d«
Das Porträt als klösterliches Erinnerungsmedium an der Schwelle
vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit

GtArAA AgTZoA

Anfang Januar 1484 stürmten unter Einsatz von Waffengewalt die Ratsknechte der
Stadt Ulm das vor den Stadttoren gelegene Klarissenkloster Söflingend Kaum wa-
ren sie ins Klosterinnere vorgedrungen, machten sich die Eindringlinge daran, die
Klosterzellen nach regelwidrigen Objekten - Sachgüter und Schriften - zu durch-
forsten und das Vorgefundene in einem nach Zellen geordneten Inventar zu ver-
zeichnen. Die Ausbeute war insgesamt jedoch eher mager und für sich genommen
wenig spektakulär: Man stieß auf Send- und Rentenbriefe, die auf den Namen von
Klosterinsassinnen ausgestellt oder an sie adressiert warenp aber auch auf regel-
widrige Kleidungsstücke wie Mieder, Schnabelschuhe, Gürtel und anderes modi-
sches BeiwerkP Für etwas mehr Überraschung sorgten eAAA /AJ/A, A JA weA
sowie zwei Männerporträts, auf die die Reformkräfte in den Zellen der

1 Max MiLLER, Die Söflinger Briefe und das Klarissenkloster Söflingen bei Ulm an der Donau im Spät-
mittelalter, Würzburg 1940, S. 38; DERS., Der Streit um die Reform des Barfüßerklosters in Ulm und des
Klarissenklosters in Söflingen und seine Beilegung 1484-1487, in: Aus Archiv und Bibliothek. Studien aus
Ulm und Oberschwaben. Max Huber zum 65. Geburtstag, hg. von Alice RÖSSLER, Weissenhorn 1969,
S. 175-193; Karl Suso FRANK, Das Klarissenkloster Söflingen. Ein Beitrag zur franziskanischen Ordens-
geschichte Süddeutschlands und zur Ulmer Kirchengeschichte (Forschungen zur Geschichte der Stadt
Ulm 20), Ulm/Stuttgart 1980, S. 74-110.
2 Zu den Briefen vgl. Gabriela SiGNORi, Wanderer zwischen den »Welten«. Besucher, Briefe, Vermächtnisse
und Geschenke als Kommunikationsmedien im Austausch zwischen Kloster und Welt, in: Krone und
Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bun-
desrepublik Deutschland, Bonn und dem Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, S. 130-141; DiES., Irdi-
sche Gaben oder himmlische Früchte? Geschenk und Brief in Frauenklöstern und -stiften des ausgehenden
15. Jahrhunderts, in: >A Place of Their Own.< Women Writers and Their Social Environments 1450-1650,
hg. von Anne BoLLMANN (Medieval to Early Modern Culture), Frankfurt am Main 2010, S. 179-191.
3 Ähnliches wurde schon im 14. Jahrhundert in den Zellen von Kosterfrauen gefunden vgl. unter anderem
Robert SwANSON, Episcopal visitation of religious houses in the diocese of Lichfield in the early fourteenth
century, in: Studia monastica 29, 1987, S. 93-108. Vgl. Eva ScHLOTHEUBER, Best Clothes and Every-
day Attire of Late Medieval Nuns, in: Fashion and Clothing in Late Medieval Europe, hg. von Rainer
Christoph ScHwiNGEs/Rcgula ScHORTA, Basel 2010, S. 139-154.
4 Vgl. Arne HoLTORF, Ncujahrswünsche im Liebesliede des ausgehenden Mittelalters, zugleich ein Beitrag
zur Geschichte des mittelalterlichen Ncujahrsbrauchtums in Deutschland (Göppinger Arbeiten zur Ger-
manistik 20), Göppingen 1973, S. 251-254.
162 I Gabriela Signori

Helena und der Magdalena von Suntheim gestoßen waren. Auf dem einen sei
Beim andern handle es sich um

Uber Jakob Plancken ist weiter nichts bekannt/ Besser unterrichtet sind wir
über Jodokus Wind, der zunächst das Amt des Villinger, dann des Ulmer Guardians
ausgeübt hatte. Ja, kurzfristig war Wind 1480 sogar zum Kustos der Ordenspro-
vinz Schwaben avanciert/ Wind war Magdalena von Suntheim, der Besitzerin seines
Konterfei, auf vielfache Weise verbunden. Über mehrere Monate hinweg hatten die
beiden in regelmäßigen Abständen Briefe ausgetauscht/ denen zu entnehmen ist,
dass sie sich auch regelmäßig gesehen hatten/ Jodocus Wind spricht Magdalena
mit dem freundschaftlichen Du an und bezeichnet sie im Stil des älteren deutschen
»Mystikerbriefs« als /yercze?? my?? /ze^Z°
Männerporträts im Privatbesitz von Klosterfrauen mag - in Gegenwart und Ver-
gangenheit - die Phantasie antiklerikaler Gemüter beflügeln." Andere spornt der
auf Anhieb ungewöhnliche Fund bzw. Befund dazu an, über den privaten Bildge-
brauch im Kloster auch jenseits seiner häufig beschriebenen Funktion als Andachts-
bild nachzudenken, ein Themenfeld, mit dem sich bislang weder Kunstgeschichte
noch Geschichte systematisch, über das Einzelporträt hinausweisend befasst ha-
ben/- Von Interesse ist die private Bildpraxis im Kloster insofern, als sie ein un-

5 MiLLER, Die Söflinger Briefe (wie Anm. 1), S. 119b; FRANK, Das Klarissenkloster Söflingen (wie Anm.
1), S. 98.
6 FRANK, Das Klarissenkloster Söflingen (wie Anm. 1), S. 47 und 89.
7 Über seinen Werdegang informieren die Papiere, die er in der Zelle der Magdalena von Suntheim depo-
niert hatte, vgl. MiLLER, Die Söflinger Briefe (wie Anm. 1), S. 95—99.
8 Marc MÜNTZ, Freundschaften und Feindschaften in einem spätmittelalterlichen Frauenkloster. Die so-
genannten Söflinger Briefe, in: »Meine in Gott geliebte Freundin«. Freundschaftsdokumente aus klöster-
lichen und humanistischen Schreibstuben, hg. von Gabriela SiGNORi (Religion in der Geschichte 4), 2.
Aufl. Bielefeld 1998, S.lll-120.
9 MiLLER, Die Söflinger Briefe (wie Anm. 1), Nr. 25, 26, 28, 30. Mehr als die Briefe waren die Besuche aus
Sicht der Reformer unerwünscht.
10 MiLLER, Die Söflinger Briefe (wie Anm. 1), Nr. 24, S. 162-165. Vgl. Deutsche Mystikerbriefe des Mittel-
alters, 1100-1550, hg. von Wilhelm OEHL, München 1931, S. vii-xxxii.
11 So die ältere Forschung, die sich mit den Söflingener Liedern befasst hat: Anton BiRLiNGER, Amores
Söflingenses, in: Alemannia 3, 1875, S. 86-88 und 140-148, vgl. Helga ScHÜPPERT, Söflinger Briefe und
Lieder, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 9,2. Aufl. Berlin 1995, Sp. 13-16.
12 Zum Andachtsbild vgl. Sixteen RiNGBOM, Devotional Images and Imaginative Devotions. Notes on the
Place of Art in Late Medieval Private Piety, in: Gazette des Beaux-Arts 73, 1969, S. 159-170; DERS., Icon
to Narrative: The Rise of the Dramatic Close-up in Fifteenth-Century Devotional Painting, 2. Aufl.
Doornspijk 1984; Horst APPUHN, Das private Andachtsbild. Ein Vorschlag zur kunstgeschichtlichen und
volkskundlichen Terminologie, in: Museum und Kulturgeschichte. Festschrift für Wilhelm Hansen, hg.
von Martha BRiNGEMEiER/Paul PiEPER/Bruno ScHiER u.a. (Schriften der volkskundlichen Kommissi-
on für Westfalen 25), Münster 1978, S. 289-292; Adolf SPAMER, Das kleine Andachtsbild vom XIV. bis
zum XX. Jahrhundert, 2. Aufl. München 1980; Daniel ARASSE, Entre dévotion et culture: fonctions de
Limage religieuse au XW siècle, in: Faire croire. Modalités de la diffusion et de la réception des messages
religieux du XIP au XV^ siècle (Collection de PÉcolc française de Rome 51), Rom 1981, S. 131-146; Su-
Der »Mönch im Bild« I 163

gewohntes Licht auf das wandelbare Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der
Gemeinschaft wirft, über das nachzudenken mich Gert Melville ja auch eingeladen
hatV Auf den teleologisch überlasteten Begriff des »Individuums« möchte ich an
dieser Stelle verzichten. Im Sinne der jüngeren Kulturtheorie ziehe ich das neut-
rale Konzept der »Subjektkultur« als ein offenes Set an zeit- und gegebenenfalls
milieuspezifischen Praktiken vor, über sich selbst nachzudenken und sich unter
anderem mittels Kleider, Schrift, Buchbesitz oder Bild ins Szene zu setzenA Auf
einer untergeordneten Ebene tangiert die Subjektkultur auch die zeitgenössischen
Reformkonzepte, wenngleich es fraglich ist, ob Einzelporträts der eingangs skiz-
zierten Art wirklich per se der Welt der verbotenen Objekte zugehörten. Als zweit-
rangig schätze ich die Frage insofern ein, als die Paragone der spätmittelalterlichen
Ordensreform - in unserem Fall wörtlich - über die Köpfe der Klosterbrüder und
-Schwestern hinweg dekretierten. Ihnen ging es mehr denn je um Uniformität als
um Spiritualität, auch bei der Bilderfrage.^ Nach Stellungnahmen über das Porträt
und seine vielseitigen Gebrauchsformen suchen wir in den Reformschriften dem-
entsprechend vergeblich.
Das Porträt ist eine schwierige Bildgattung. Wie keine andere Bildform hebt es
zumindest idealiter die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Porträtierten
hervorA Aus der historischen Vogelperspektive betrachtet bedeutet Unverwechsel-

sanne BÄUMLER, Studien zum Adorationsdiptychon. Entstehung, Frühgeschichte und Entwicklung eines
privaten Andachtsbildes mit Adorantendarstellung. Mit einem Katalog, Diss. München 1983; Ronald
G. RECKS, Madonna und Kind. Das häusliche Andachtsbild im Florenz des 15. Jahrhunderts (Frank-
furter Forschungen zur Kunst 15), Berlin 1988, S. 11-34; Karl SCHADE, Andachtsbild. Die Geschichte
eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996; Peter JEZLER, Mittelalterliche Andachtsbilder im privaten
Raum, in: Die Vielfalt der Dinge. Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur. Gedenkschrift in
memoriam Harry Kühnei (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen
Neuzeit. Diskussionen und Materialien 3), Wien 1998, S. 237-261; Brigitte ZiERHUT-BöscH, Ikono-
grafie der Mutterschaftsmystik. Interdependenzen zwischen Andachtsbild und Spiritualität im Kontext
spätmittelalterlicher Frauenmystik, Freiburg im Breisgau/Berlin/Wien 2008.
13 Vgl. Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von Gert
MELVILLE (Vita regularis. Abhandlungen 16), Münster 2002.
14 Andreas RECKWITZ, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjcktkulturen von der bürgerlichen Mo-
derne zur Postmoderne, Weilerswist 2006, S. 9-96.
15 Zur Bilderfeindlichkeit der spätmittelalterlichen Klosterreform, vgl. Margarete HAUSNER, Die Visitation
des Aegidius von Viterbo im Kloster der Augustinereremitinnen zu Memmingen 1516, in: Memminger
Geschichtsblätter 1974, S. 5-92, sowie Thomas LENTES, Bild, Reform und CMM WOMM/MW. Bildverständ-
nis und Bildgebrauch im Buch der Reformacio Predigerordens des Johannes Meyer (1485), in: Domini-
cains et dominicaines en Alsace, XIIU s. Actes du Colloque de Guebwiller, 8-9 avril 1994, hg. von Jean-
Luc EICHENLAUB, Colmar 1994, S. 177-195; Conrad RuDOLPH, The »Things of Greater Importance«.
Bernhard von Clairvaux's Apologia and the Medieval Attitude Toward Art, Philadelphia 1990; Helmut
FELD, Konrad Summenhart. Theologe der kirchlichen Reform vor der Reformation, in: Rottenburger
Jahrbuch für Kirchengeschichte 11,1992, S. 85—116. Es fragt sich allerdings, ob die Bilderfeindlichkeit so
vieler Reformer im späten Mittelalter nicht eine deutsche Eigenheit darstellt.
16 Vgl. Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hg.
von Peter VON Moos (Norm und Struktur 23), Köln/Weimar/Wicn 2004.
164 I Gabriela Signori

barkeit aber keineswegs, dass Darstellung und Dargestelltes automatisch konver-


gierten. Die Eindeutigkeit des Porträts ist eine Illusion. Das Bild allein reicht nicht
aus, um Identihzierbarkeit zu garantieren. Dies zeigen unter anderem die vielen,
schon für den zeitgenössischen Sachverwalter namenlos gewordenen Porträts im
Besitz der Regentin Margaretha von Österreich (1480-1530) V Um über Raum und
Zeit hinweg Identihzierbarkeit zu gewährleisten - sofern dies überhaupt erwünscht
war - bedarf das Porträt zwangläuhg zusätzlicher Techniken der Authentihzierung
in Gestalt von Wappen, Devisen, Initialen, Namen oder anderes, der Identifizierung
zuträgliches Beiwerk V Aber selbst die Techniken der Authentihzierung versagen
bei den Bildern häuhg ihre sonst so bewährten Dienste. Denn selbst Wappen, In-
itialen oder Devisen lassen sich nicht immer problemlos identihzieren. Viel enger
als jede andere Bildgattung ist die Lesbarkeit des Porträts letztlich mit dem für den
Bildbetrachter unsichtbaren Adressaten verbunden, für den es hergestellt wurde
und mit dem es als Stellvertreter auf die eine oder andere Weise kommunizierte.^
Und so lässt sich allein auf der übergeordneten Gattungsebene festhalten, dass das
Porträt seit dem 14. Jahrhundert gehäuft als Medium der Vergegenwärtigung und
der Erinnerung in der Welt des Hochadels als Diplomatengeschenk oder - eine
Spielart der Diplomatie - der (fürstlichen) Brautwerbung dienteh° Darauf heben

17 Dagmar EiCHBERGER, Margaret of Austria's portrait collection. Female patronage in the light of dynastic
ambitions and artistic quality, in: Renaissance Studies. Journal of the Society for Renaissance Studies 10,
1996, S. 259-279.
18 Zu den Wappen als Identitätsgaranten von Bildern vgl. Hans BELTING, Bild-Anthropologie. Entwürfe
für eine Bildwissenschaft (Bild und Text), München 2001, S. 115-142; Daniel SPANKE, Porträt - Ikone -
Kunst. Methodologische Studien zum Porträt in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst, Mün-
chen 2004, S. 68-71, zu den Namen Evelyn WELCH, Naming names. The transience of individual identity
in fifteenth-century Italian portraiture, in: The Image of the Individual. Portraits in the Renaissance, hg.
von Nicholas MANN/Luke SYSON, London 1998, S. 91-97.
19 Einfacher zu erschließen sind Porträtserien (Genealogie, Äbtereihen und Ähnliches) vgl. den methodi-
schen Überblick von Christian DE MÉRINDOL, Portrait et généalogie. La genese du portrait réaliste et
individualisé, in: Population et démographie au Moyen Age, hg. von Olivier GuYOTjEANNiN, Paris 1995,
S. 219-248.
20 Anne Hagopian VAN BuREN, Thoughts, old and new, on the sources of early Netherlandish painting, in:
Simiolus 16,1986, S. 93-112, hier S. 97-102; Joanna WooDS-MARSDEN, »Ritratto al naturale«. Questions
of realism and idealism in early Renaissance portraits, in: Art Journal 46,1987, S. 209-216; DtES., Portrait
of the Lady, 1430-1520, in: Virtue and Beauty. Leonardo's Ginevra de' Benci and Renaissance Portraits of
Women, hg. von David Alan BROWN, Princeton 2001, S. 63-87; Lome CAMPBELL, Renaissance Portraits.
European Portrait-Painting in the 14'*\ 15'^ and 16^ Centuries, New Haven/London 1990, S. 193-225,
Maximiliaan Pieter Jan MARTENS, Some Reflections on the Social Function of Diptychs, in: Essays in
Context. Unfolding the Netherlandish Diptych, hg. von John Oliver HAND/Ron SPRONK, Cambridge/
New Haven/London 2006, S. 84-91; Women and Portraits in Early Modern Europe. Gender, Agency,
Identity, hg. von Andrea PEARSON, Aldershot 2008; Jennifer FLECHTER, Das Porträt der Renaissance -
Funktion, Verwendung und Zurschaustellung, in: Die Porträt-Kunst der Renaissance. Van Eyck, Dürer,
Tizian ..., hg. von Lome CAMPBELL/Philip ATTwooD/Louise RiCE, Stuttgart 2008, S. 46-65; Everett
FAHY, The Marriage Portrait in the Renaissance, or Some Women Named Ginevra, in: Art and Love in
Der »Mönch im Bild« I 165

auch Leon Battista Alberti (j* 1472) und andere spätmittelalterliche »Kunsttheoreti-
ker« abA Von den Höfen wanderte das Porträt schnell in andere Gesellschaftsbe-
reiche, aber nicht allein als Distanzmedium, sondern auch als Medium der Selbstre-
flexion und der Kommunikation mit seinen Adressaten, so auch im Kloster.
Die meisten Religiosen-Porträts, die sich die Jahrhunderte hinüber zu retten
vermochten, ordnet die Kunstgeschichte dem weit gefassten Bereich des Andachts-
bildes zu, sei es in Gestalt von Einzeltafeln oder als Diptychon, die den Rahmen
bilden, in den das Zwiegespräch zwischen Gott und dem Menschen eingefasst ist A
Allzu scharfe Gattungsgrenzen (etwa zum Stifterbild) sollten aus funktionalen
Gründen aber besser nicht gezogen werden.^ Die Quellenbasis ist aus Gründen,
auf die ich noch zurückkommen werde, schmal: Erhalten haben sich alles in allem
bloß rund ein Dutzend Porträts von Mönchen und Nonnen. Die Zahl an sich ist
aber wenig aussagekräftig, lassen Dokumente wie das Söflinger Inventar doch ver-
muten, dass es im späteren 15. Jahrhundert auch im Kloster ungleich gebräuchlicher
gewesen sein muss, in den eigenen Räumlichkeiten neben Heiligenbildchen Porträts
von Freunden, Bekannten oder Verwandten aufzustellen oder aufzuhängen. Nur,
wer war daran interessiert, diese für den Privatgebrauch konzipierten Erinnerungs-
stücke nach dem Tod derer aufzubewahren, für die sie entworfen worden waren?
Oder, anders formuliert, wer war nach dem Tod des ursprünglichen Besitzers daran
interessiert, die Erinnerung an die Porträtierten wachzuhalten?

21 Edouard POMMIER, Théories du portrait. De ia Renaissance aux Lumières, Paris 1998, S. 40-43. Vgl.
Gustav KÜNSTLER, Vom Entstehen des Einzclbildnisses und seiner frühen Entwicklung in der flämi-
schen Malerei, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 27, 1974, S. 20-64; Enrico CASTELNUOVO, Das
künstlerische Portrait in der Gesellschaft. Das Bildnis und seine Geschichte in Italien von 1300 bis heute
(Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 11), Berlin 1988; CAMPBELL, Renaissance Portraits (wie Anm.
20); The Image of the Individual (wie Anm. 18); Die Porträt-Kunst (wie Anm. 20); Stephen PERKiNSON,
The Likeness of the King. A Prehistory of Portraiture in Late Medieval France, Chicago 2009.
22 Zum Porträt als Andachtsbild vgl. Prayers and Portraits. Unfolding the Netherlandish Diptych, hg. von
John Oliver HAND/Catherine A. METZGER/Ron SpRONK, New Haven 2006; Essays in Context (wie
Anm. 20).
23 Zu den Stifterbildcrn vgl. unter anderem Elisabeth HELLER, Das altniederländische Stifterbild (Tuduv-
Studien 6), München 1976; Elisabeth VAVRA, Kunstwerke als religiöse Stiftung. Überlegungen zum Stif-
terbild in der deutschen Tafelmalerei des Spätmittelalters, in: Artistes, artisans et production artistique au
moyen âge, Bd. 2: Commande et travail, hg. von Xavier BARRAL i ALTET, Paris 1987, S. 257-272; DiES.,
Kunstwerke als Massenquellen. Möglichkeiten und Grenzen einer EDV-unterstützten Auswertung, in:
>Pictura quasi hctura<. Die Rolle des Bildes in der Erforschung von Alltag und Sachkultur des Mittelalters
und der frühen Neuzeit, hg. von Gerhard JARITZ (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittel-
alters und der frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien 1), Wien 1996, S. 191-206; Alarich RooCH,
Stifterbilder in Flandern und Brabant. Stadtbürgerliche Selbstdarstcllung in der sakralen Malerei des 15.
Jahrhunderts (Kunst - Geschichte und Theorie 9), Essen 1988; Brigitte DEKEYZER, For Eternal Glory and
Remembrance. On the Representation of Patrons in Late Medieval Panel Paintings in the Southern Low
Countries, in: The Use and Abuse of Sacred Places in Late Medieval Towns, hg. von Marjan DE SMET
(Medievalia Lovaniensia. Studia 1/38), Leuven 2006, S. 71-101; Johanna SCHEEL, Das altnicdcrländischc
Stifterbild. Emotionsstrategien des Sehens und der Selbsterkenntnis (Neue Frankfurter Forschungen zur
Kunst 14), Berlin 2013.
166 I Gabriela Signori

Abb. 1 Hugo van der Goes (t 1482), Porträt eines


Benediktinermönchs (?),um 1478,25,1 x18,7 cm,

22.60.53

Nur in Ausnahmefällen lässt sich die Geschichte der spätmittelalterlichen Port-


räts, die auf verworrenen Wegen in die Museen der modernen Welt gelangt sind, bis
zu ihren ursprünglichen Besitzern oder Auftraggebern zurückverfolgen. Die meis-
ten Porträts wurden im Zuge der Säkularisation, ja, häufig sogar früher, aus ihrem
Entstehungskontext und - oft auch wörtlich - aus ihrem Rahmen herausgerissen, in
lukrative Einzelteile zerlegt und so in der ganzen Welt verstreut (Abb. 1)A Zu wel-
chem Anlass und für wen die Bildnisse hergestellt worden sind, entzieht sich also
zumeist unserem Wissen. Lind so ist es bei vielen Porträts gar nicht mehr möglich,
das Abbild mit einem realen Vorbild in Bezug zu setzen. Ungeachtet der Schwie-
rigkeiten, Porträtierte und Adressaten zu identifizieren, möchte ich im Folgenden
sieben »Mönchsporträts« - fünf Männer- und zwei Frauenköpfe - etwas detaillier-
ter vorstellen. Im Blickpunkt meiner Aufmerksamkeit steht die Bildpraxis bzw. der
Bildgebrauch verstanden als Teil einer spezifisch klösterlichen Subjektkultur, die
sich an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert durchsetzte. Vieles muss demnach
zwangsläufig spekulativ bleiben.

24 Um solche Einzelteile handelt es sich beispielsweise bei dem Hugo van der Goes (t 1482) zugeschriebe-
nen, um 1478 entstandenen Porträt eines Benediktinermönchs, das sich seit 1921 im Metropolitan Muse-
um of Art, New York, befindet, Hugo van der Goes, A Benedictine Monk, 25,1 x 18,7 cm (Inventar-Nr.
22.60.53), oder beim Porträt eines Zisterziensers aus dem 15. Jahrhundert, 21,5 x 40,5 cm (Inventar-Nr.
253) aus den Beständen des königlichen Museums für Schöne Künste in Antwerpen.
Der »Mönch im Bild« I 167

Das wohl berühmteste Mönchsporträt und gleichsam dasjenige, um das sich am


meisten Rätsel ranken, ist das Bildnis eines dem Kartäuserorden angehörigen, un-
bekannten Laienbruders - das Porträt eines sogenanntendas sich
heute im Besitz des New Yorker Metropolitan Museum befindet (Abb. 2). Sicher ist
einzig, wer das Bild gemalt hat. Denn der Trompe-Poeil-Rahmen trägt die In- bzw.
Aufschrift: C/??Atz me/etA rzrnzo 7446.^ Mit 29,2 cm Höhe und 20,3 cm Brei-
te ist das Bild in etwa so groß wie eine DIN A4 Seite. Auf dem gemalten Rahmenteil
sitzt eine Fliege, die zwischen Rahmen und Darstellung irgendwie zu vermitteln
scheint. Die Fliege irritiert; ihr soll André Pigler zufolge apotropäische Kraft in-
newohnend Aber wer, bitte, soll hier vor wem geschützt werden?^ Die Rahmen-
inschrift erweckt den Eindruck, bei diesem Bild seien der Künstler und seine mi-
metischen Fertigkeiten wichtiger als der zur Darstellung gebrachte Laienbruderd
Wen das Bild porträtiert und zu welchem Zweck bzw. Anlass es angefertigt wurde,
wissen wir nicht. Ingrid Alexander-Skipnes meint, es handle sich um eine Spielart
des wahren Antlitz Christid Christus wiederum könnte uns als Namensspiel zum
Künstler zurückführen. Weshalb aber trägt Christus bzw. Petrus Christus (*j* 1473)
ausgerechnet das Gewand eines Laienbruders aus dem Kartäuserorden?
Die Fragen müssen allesamt offen bleiben. Die Inspirationsquelle des Porträts
dürfte jedoch in der Kartause Gnadental in Brügge zu suchen sein, für die Petrus
Christus auch anderweitig tätig ward" Rund vier Jahre nach dem Porträt des Laien-

25 Metropolitan Museum of Art, Jules Bache Collection, 1949, vgl. Petrus Christus. Renaissance Master of
Bruges, hg. von Maryan Wynn AiNSWORTH/Maximiliaan Pieter Jan MARTENS, New York 1994, Nr. 5,
S. 92-95.
26 Zur Fliege vgl. Andre PiGLER, La mouche peinte. Un talisman, in: Bulletin du musée hongrois des Beaux-
Arts 24, 1964, S. 47-64.
27 Uber die Lukian-Rezeption verbeitete sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein anderes, positives Bild der
Fliege, deren Darstellung in der antiken Kunst als besondere künsterliche Herausforderung vestanden
wurde, Margarethe BiLLERBECK/Christian ZuBLER, Das Lob der Fliege von Lukian bis L. B. Alberti.
Gattungsgeschichte. Texte, Übersetzungen und Kommentar (Sapheneia 5), Bern/Berlin/Brüssel u.a. 2000,
S. 54f.
28 Die Kunstgeschichte sieht darin eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Porträts des Jan van
Eyck. Vgl. Joel Morgan UPTON, Petr&s .xju. mejeüt.' The Transformation of a Legacy, in: Petrus Christus
in Renaissance Bruges. An Interdisciplinary Approach, hg. von Maryan Wynn AiNSWORTH, Turnhout
1995, S. 53-63.
29 Ingrid ALEXANDER-SniPNES, Northern Realism and Cartusian Devotion. Bergognone's Christ C%r-
rymg Cross for the Certosa of Pavia, in: Cultural Exchange Between the Low Countries and Italy
(1400-1600), hg. von DERS., Turnhout 2007, S. 145-159, hier S. 152, sowie John Oliver HAND, Vt/ve
s%7!<rt% Jbü^s: Some Thoughts on the Iconography of the >Head of Christ< by Petrus Christus, in: Metro-
politan Museum Journal 27, 1992, S. 7-18. Zur Kartause vgl. Jean-Pierre EsTHER/Jan DE GRAUWE, Het
kartuizerklooster Genadedal in Brugge, in: Spiegel historiael 19, 1984, S. 294-300.
30 Die engen Verbindungslinien zwischen Petrus Christus und der Kartause Gnadcntal aufgedeckt hat als
erster der Kartäuserforscher Hendrik Jan Joseph ScHOLTENS, Petrus Cristus en zijn portret van een
168 I Gabriela Signori

Abb. 2 Petrus Christus (t 1475/1476), Porträt eines

29,2x20,3 cm, New York Metropolitan Museum of Art,


Jules Bache Collection, 1949, Inventar-Nr. 49.7.19

bruders malte er für den dortigen Prior Jan Vos (*f 1462) die sogenannte »Exeter Ma-
donna«. Der Auftraggeber tritt auf der heraldisch rechten Bildseite in Erscheinung,
auf Augenhöhe mit dem restlichen Bildpersonal, der heiligen Barbara und Maria
mit dem Jesuskind (Abb. 3) A Mit 19,5 auf 14 cm ist die »Exeter Madonna« ausge-
sprochen klein. Das Stifterbild ist demnach in die Dimensionen eines Andachtsbilds
gefasst. Es handelt sich um eine für den privaten Gebrauch erfolgte Umarbeitung
der sogenannte »Frick-Madonna« (aber ohne die heilige Elisabeth), die Vos kurz
nach seiner Wahl zum Prior der Kartause Gnadental in den Jahren zwischen 1441
und 1443 gestiftet bzw. in Auftrag gegeben hatte (Abb. 4)A Uber Konsekration
und liturgischen Gebrauch der »Frick-Madonna« sind wir Dank Henrik Scholtens'

kartuizer, in: Oud Holland 1960, S. 59-72. Die Studie scheinen aber nicht alle Kunsthistoriker, die sich
mit Petrus Christus befassen, zur Kenntnis genommen zu haben, vgl. Joel Morgan UPTON, Petrus Chris-
tus. His Place in Fifteenth-Century Flemish Painting, University Park, Pennsylvania/London 1990, der
Scholtens Studie nicht kennt, wie die falschen Datierungen der Frick und der Exeter Madonna nahclegen.
31 Exeter Madonna, Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, 19,5 x 14 cm, vgl. Petrus Christus
(wie Anm. 25), Nr. 7, S. 102-106. Hugo VAN DER VELDEN, Diptych Altarpieces and the Principle of
Dextrality, in: Essays in Context. Unfolding the Netherlandish Diptych, hg. von John Oliver HAND/
Ron SPRONK, Cambridge/New Haven/London 2006, S. 124-155. VAN DER VELDEN führt die in der
flämischen Tafelmalerei häufig verwendete anti-heraldische Positionierung des Stifters zur rechten von
Maria und anderen Heiligen auf Formatsfragen zurück. Das überzeugt aber wenig.
32 Jan van Eyck (j* 1441), Frick Madonna, 1422-1441, 72,4 x 85,6 x 6,4 cm, New York, Frick Collection,
Inventar-Nr. 1954.1.161, vgl. Petrus Christus (wie Anm. 25), Nr. 2, S. 72-78.
Der »Mönch im Bild« I 169

Abb. 3 Petrus Christus (t 1475/1476), Exeter


Madonna, um 1450, 19,5x 14 cm, Berlin, Staatliche

Abb. 4 Jan van Eyck (f 1441), Frick Madonna, 1422-1441, 72,4 x 85,6 x 6,4 cm, New York, Frick Collection,
Inventar-Nr. 1954.1.161
170 I Gabriela Signori

minutiöser Archivarbeit ausnehmend gut informiert.^ Welchen Zweck hingegen


die vier Jahre jüngere Kopie der Altartafel, also die »Exeter Madonna«, erfüllen
sollte, ist schwieriger zu bestimmen. Es scheint, als habe sie Jan Vos anfertigen
lassen, als er im Jahr 1450 in die Kartause Nieuwlicht bei Utrecht überwechsel-
te. Vos nahm das kleinformatige Duplikat mit, das ihn nicht nur an sein früheres
Priorat (1441-1450) erinnern sollte, sondern auch an das von ihm für die Kartause
Gnadental gestiftete Bild und folglich auch an seine eigene Bildstiftung. Wie dem
auch sei, in der Kartause Gnadental fand Petrus Christus auf jeden Fall das vor, was
er für das Porträt des Laienbruders brauchte: lebendige Konversen mit wuseligen
Bärten und Mönchskutten mit dem für Laienbrüder spezifischen Zuschnitt, Laien-
brüder, die der Künstler zum Anlass nahm, über sich selbst und über Christus zu
reflektieren.

Zu den ältesten nicht fiktiven Mönchsporträts in Form eines Diptychon zählt das
Bildnis eines unbekannten Franziskaners, das sich heute in der National Gallery
von London befindet (Abb. 5)A Die Zuschreibung zum Franziskanerorden muss
allerdings insofern fraglich bleiben, als dem Brustbild stichhaltige »Indizien« wie die
Franziskanerkordel fehlen. Ebenso irritiert die wenig regelkonforme Frisur. Auf-
fallend ist mit 18,7 auf 11,7 cm bemalter Bildfläche abermals das handliche Klein-
format des Porträts. Dentrochronologische Analysen erlauben es, die Holztafel in
die Jahre 1445-1450 zu datieren.^ Mittels Stilvergleich haben die Kunsthistoriker
beachtliche Zeit und Energie darauf verwendet herauszufinden, welcher Werkstatt
das Tafelbild entstammt.^ Darüber einig ist sich die Forschung aber nicht. Für wen
und zu welchem Anlass das Porträt gemacht wurde, die Frage scheint für die Kunst-
historiker hingegen von zweitrangiger Bedeutung zu sein. Und so bleibt bis heute

33 ScHOLTENS, Petrus Cristus (wie Anm. 30), S. 64 f.


34 London, National Gallery, Inventar-Nr. 6277,22,7 x 15,3 cm (mit Originalrahmen). Stil und Bildstruktur
führen Felix THÜRLEMANN, Robert Campin. Eine Monographie mit Werkkatalog, München/Berlin/
London u.a. 2002, S. 327f. zur Annahme, dass das Mönchsporträt Teil eines Diptychon gewesen sein
muss. Es irritiert allerdings, dass der Mönch rechts der Marienszene platziert ist.
35 THÜRLEMANN, Robert Campin (wie Anm. 34), S. 327. Vgl. Peter KLEIN, Dendrochronologische Un-
tersuchungen an Gemäldetafeln der Gruppen Meister von Flemalle und Rogier van der Weyden, in: Der
Meister von Flemalle und Rogier van der Weyden, hg. von Stephan KEMPDERDicu/Jochen SANDER,
Ostfildern 2008, S. 161-179.
36 Vgl. Martin DAVIES, A Portrait by Campin, in: Burlington Magazine 108, 1966, S. 622; Lome CAMP-
BELL, Campin's Portraits, in: Robert Campin. New Directions in Scholarship, hg. von Susan FoiSTER/
Susie NASH, Turnhout 1996, S. 123-133; Albert CHÂTELET, Robert Campin - Le Maître de Flemalle. La
fascination du quotidien, Anvers 1996, S. 329.
Der »Mönch im Bild« I 171

kaners, 1445-1450, 22,7 x 15,3 cm, London,

merkwürdigerweise ungeklärt, welche Bedeutung der Papierrolle zukommt, die der


Ordensbruder in seiner rechten Hand hält. Ein Brief ist es mit Sicherheit nicht,
denn den hätte der Künstler mit dem Akt des Lesens verbunden. Eine Besitzur-
kunde macht keinen Sinn. Vielmehr dürfte es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit
um eine um eine Professurkunde handeln. In diesem Sinne wäre
das Porträt des unbekannten Mönchs als selbstreflexives Erinnerungsmedium zu
begreifen, das auf die Profess als biographische Zäsur fokussiertA Dass es zugleich
als Andachtsbild fungierte, steht mit Blick auf die Marienszene, mit der das Porträt
ursprünglich verbunden war, außer Zweifel. Nur ist die Andacht nicht die Ursache
seiner Entstehung und auch nicht seine alleinige Bestimmung.

37 Vgl. Enno BÜNZ, Unbekannte Professurkunden aus Benediktbcurcn. Zeugnisse der spätmittelalterlichen
Melker Klosterreform in der Dombibliotbek Hildesheim, in: Die Dombibliothck Hildesheim. Bücher-
schicksale, hg. von Jochen BEPLER/Thomas ScHARF-WREDE, Hildesheim 1996, S. 305-351; DERS.,
Bursfelder Gewohnheiten in Münsterschwarzach und Theres. Zum Zusammenhang von Mönchsprofess
und Klosterreform vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: Bcnediktinischcs Mönchtum vom 12. bis zum 17.
Jahrhundert. Zum 400. Todestag des Münsterschwarzacher Abtes Johannes IV. Burckhardt (1563-1598),
hg. von Elmar HOCHHOLZER (Münsterschwarzacher Studien 48), Münsterschwarzach 2000, S. 151-177.
172 I Gabriela Signori

til

Eines der wenigen Mönchsporträts, das uns explizit darüber informiert, wer darauf
abgebildet ist, befindet sich in den Beständen des Westfälischen Landesmuseums
in Münster. Dank Aufschrift wissen wir in diesem Fall nämlich mit Sicherheit, das
es sich um die aus Brüssel stammende Katharina van der Stoct handelt (Abb. 6)A
Überdies lässt sich der Aufschrift entnehmen, dass das Bild anlässlich der Profess
entstanden ist, die Katharina am 24. Juni 1520 abgelegt hatte: Soror tvm
der SYoct, pro/esde ?307Z72e, <%7?7zo XT.xx, die xxdd<% Ami. Stimmt die von Paul Pie-
per, dem langjährigen Custos des Landesmuseums, vorgenommene Identifizierung,
dann war Katharina Drittordensschwester im Elisabethenspital von Brüssel.^
Auf der Vorderseite des Porträts befindet sich formgleich eine als Brustbild
konzipierte Verkündigungsszene, die in der gewählten Form ein ikonographisches
Unikat darstellt: die Jungfrau Maria im Dreiviertelporträt vor einem Gebetstisch
mit einem rot-schwarz beschriebenen Gebetszettel in der Hand, den Blick auf den
Bildbetrachter gewendet. Auf dem Gebetstisch liegt ein geschlossenes Buch mit
Goldschnitt. Auf der heraldisch rechten Seite - auf der Höhe ihres Ohrs - nähert
sich im Flug die Taube des Heiligen Geistes/"
Was wir beim Porträt des unbekannten Franziskaners aus der National Gallery
in London über die Urkundenrolle vermittelt letztlich nur vermuten können, ist
hier dank Inschrift gesicherter Befund: Das Porträt sollte seinen Besitzer oder Be-
sitzerin an die als biographische Zäsur erlebte und gefeierte Profess der Katharina
van der Stoct erinnern. Ob das Erinnerungsbild für Katharina oder für ihre Familie
bestimmt war, wissen wir nicht A Doch scheint die Verkündigung auf der Rückseite
des Bildes - lesbar auch als Sinnbild der comempüAtvz - einen selbstreflexiven
Gebrauch des Porträts durch die Porträtierte nahezulegen.

38 Die deutschen, niederländischen und italienischen Tafelbilder bis um 1530, bearb. von Paul PiEPER (West-
fälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster. Bestandskataloge), Münster 1990,
S. 490-493. Das Format des Bildes ist mit 34 auf 18,5 cm ähnlich bescheiden wie bei Petrus Christus*
Porträt des ArAfMS.
39 Die deutschen, niederländischen und italienischen Tafelbilder (wie Anm. 38), S. 493.
40 Vgl. David Metheney ROBB, The Iconography of the Annunciation in the Fourteenth and Fifteenth
Centuries, in: The Art Bulletin 18, 1936, S. 480-526; Anton MAYER-PFANNHOLZ, Mariae Verkündigung
im Wandel der Kunstgeschichte, in: Das Münster 9-10, 1948, S. 257-272; Wilhelm MESSERER, Verkün-
digungsdarstellungen des 15. und 16. Jahrhunderts als Zeugnisse des Frömmigkeitswandels, in: Archiv
für Liturgiewissenschaft 5, 1958, S. 362-369; Gert DuwE, Die Verkündigung an Maria in der niederlän-
dischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/Berlin/Bern u.a. 1994.
41 Vgl. Diane Owen HUGHES, Representing the Family. Portraits and Purposes in Early Modern Italy, in:
Journal of Interdisciplinary History 17, 1986, S. 7-38.
Der »Mönch im Bild« I 173

bild der Katharina van der Stoct, 1520, 34 x 18,5 cm,

IV

Wie das Porträt des unbekannten Franziskaners ist auch das in seiner Zeit berühmte
Porträt des Christian de Hondt (1495-1509), Abt der Zisterzienserabtei Ten Dui-
nen im belgischen Koksijde, nicht als Einzeltafel, sondern als Diptychon konzipiert
(Abb. 7).^ Fertig gestellt wurde es zwar erst im Jahr 1499, dennoch scheint es wie
die »Frick Madonna« in Auftrag gegeben worden zu sein, um seinen Besitzer an sei-
ne Wahl zum Abt von Ten Duinen zu erinnern.^ Das Porträt ist reich an Zitaten aus
den Werken der frühen Flamen. In dem Sinne muss offenbleiben, ob der dargestellte
Raum mit Christians Abtsstube identisch ist oder ob es sich um einen fiktiven Klos-
terinnenraum handelt. Institution und Person zu identifizieren ermöglichen die bei-

42 Prayers and Portraits (wie Anm. 22), S. 140-149.


43 Zur Abtei vgl. De Duinenabdij te Koksijde. Cisterci'enzers in de Lage Landen, bg. von Dirk VANCLOOS-
TER, Lannoo 2005.
174 I Gabriela Signori

Abb. 7 Das Porträt des Christian de Hondt (t 1509), Abb. 8 Das Porträt des Robbrecht de Clercq (1519-

Schöne Künste, Inventar-Nr. 255-256-530-531 Schöne Künste, Inventar-Nr. 255-256-530-531

den Wappen an den hinteren Schlusssteinen der Deckenbalken sowie Christian de


Hondts Initialen auf dem dritten Schlussstein, während Inful und Abtsstab - an ex-
ponierter Stelle im Vordergrund des Bildes und links neben dem Kamin - Hondt in
seiner Eigenschaft als Abt repräsentieren. Zugleich informiert das Bild selbstreflexiv
über seinen Gebrauch, wie das Diptychon zeigt, das am Vorhangsteil angebracht
ist, der die hintere Betthälfte umrandet. De Hondts Nachfolger, Abt Robrecht de
Clercq (1519-1557), übernahm das Porträt genauso wie de Hondts Stundenbuch,
funktionierte es aber um, indem er sich auf der Rückseite des Porträts, kniend im
Gebet vor dem Stundenbuch seines Vorgängers verewigte (Abb. 8).^

44 Dagmar EiCHBERGER, Leben mit Kunst, Wirken durch Kunst. Sammelwesen und Hofkunst unter Mar-
garete von Österreich, Regentin der Niederlande (Burgundica 5), Turnhout 2002, S. 208-220.
Der »Mönch im Bild« I 175

Auch das heute in Privatbesitz befindliche Porträt des Kartäusers Willem van Bibaut
(*j* 1535) dokumentiert dessen Werdegang bzw. klösterliche Karriere (Abb. 9).^ Ent-
standen ist es, schenken wir der später zugefügten Aufschrift Glauben, anlässlich
seiner Wahl zum Primas des Kartäuserordens.
orJwzs M23, vermeldet die in Goldbuchstaben geformte Aufschrift
auf dem unteren Rahmenteil. Auf der Rückseite befindet sich ein Andachtsbild mit
den fünf Wunden Christi, abermals eine bemerkenswert idiosynkratische Motiv-
wahl aus dem Umfeld der Passionsikonographied^ Zu einem späteren Zeitpunkt
wurde das Porträt mit einer zweiten Bildtafel verbunden, auf der Maria mit dem

45 Prayers and Portraits (wie Anm. 22), S. 156-163.


46 Zur Ikonographie vgl. James H. MARROW, Passion Iconography in Northern European Art of the Late
Middle Ages and Early Renaissance. A Study of the Transformation of Sacred Metaphor into Descriptive
Narrative (Ars neerlandica 1), Kortrijk 1979; Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmit-
tclalters, hg. von Walter HAUG/Burghart WACHiNGER (Fortuna vitrea 12), Tübingen 1993; Tobias A.
KEMPER, Die Kreuzigung Christi. Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passions-
traktaten des Spätmittclalters (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mit-
telalters 131), Tübingen 2006.
176 I Gabriela Signori

Jesuskind abgebildet istT Im linken bzw. rechten Bildrahmen festgehalten ist das
Todesdatum des Primas: O^zz; Grrz^zzzzzo^o/z zzzzzzo 7373. Beide Daten sind falsch:
Die Wahl erfolgte 1521 und als Todesdatum gilt das Jahr 1535. Ursprünglich war
Bibauts Porträt also nicht als Diptychon konzipiert. Erst im Nachhinein wurde es
zu einem solchen gemacht und durch die Aufschrift gleichsam der Geschichte der
Grande Chartreuse einverleibt, in deren Besitz es sich befunden haben dürfte, bevor
es in unbekannte private Hände überging.

VI

Ähnlich konzipiert wie Bibauts Porträt ist schließlich auch das Porträt eines unbe-
kannten Franziskaners aus dem Jahr 1522, das heute im Spitalmuseum von Brügge
aufbewahrt wird (Abb. 10). Zugeschrieben wird das Diptychon dem in Brügge täti-
gen Maler Jean Provoost (c. 1465-1529)7^ Auf dem gegenüberliegenden Bildteil ist
Christus (als Brustbild) mit dem Kreuz darstellt, umrahmt von vier »sprechenden«
Köpfen: heraldisch links die Schächer, heraldisch rechts Maria und Johannes Evan-
gelista.^ Die Rahmenaufschrift, die die beiden Bildteile (50 x 40 cm) miteinander
verbindet, verrät, dass der Mönch zum Zeitpunkt, als er das Bild in Auftrag gegeben
hatte, 54 Jahre alt war: Azzzzo Jozzzzzzz vtz xxz/ JzzczTzzzz zzzzzzoz*zzzzz /zzzz. Das Alter des
Porträtierten scheint in diesem Fall wichtiger gewesen zu sein als sein Name. Die
Aufschrift im oberen Rahmenteil festigt den inhaltlichen Bezug zwischen Christus,
Franziskus und dem dargestellten Franziskanermönch. Sie lautet: Ffztzzcz'wz c^oiYÜz
fz*zzvz7 zz J w y/%z*zz7?zz coz*dzz (»Die Kordel des Franziskus hat viele Herzen an sich
gezogen«). Uber die Herkunft des Porträts ist nichts bekannt. Auch die Zuordnung
zu Jean Provoost erfolgte allein über Stilmerkmale7° Sollte etwa auch dieses Porträt
an die Profess oder präziser an die Konversion des unbekannten Mönchs erinnern?
Oder sollte das Porträt, wie das Konterfei seines eingangs erwähnten Ordensbru-

47 Marc Rudolf DE Vmj, The Master of Willem van Bibaut, His Alleged Origin and His Place in the Studio,
in:Pantheon 56, 1998, S. 186-191.
48 Prayers and Portraits (wie Anm. 22), S. 210-213.
49 Robert SuCKALE, Arma Christi. Überlegungen zur Zcichcnhaftigkcit mittelalterlicher Andachtsbilder,
in: Stadel-Jahrbuch. Neue Folge 6, 1977, S. 177-208; Arma Christi. Bilder und Werke für die Andacht.
Katalog zur Ausstellung des Museums im Kloster Grafschaft, 9. Oktober-29. November 1998, hg. von
Otmar PLASSMANN, Smallenberg 1998. Vgl. dazu aber auch die weiterhin grundlegende Zusammenstel-
lung von Rudolf BERLINER, Arma Christi, in: Münchener Jahrbuch für bildende Kunst. 3. Folge 6, 1955,
S. 157-238; Rossell Hope RoBBiNS, The Arma Christi Rolls, in: The Modern Language Review 34, 1939,
S. 415-421.
50 Prayers and Portraits (wie Anm. 22), S. 213.
Der »Mönch im Bild« I 177

(Sint-Jans-Hospitaal), Inventar-Nr. SJ0191.I

ders Jodokus Wind, gar für eine befreundete Ordensschwester oder einen Ordens-
bruder bestimmt gewesen sein?

V!)

Ein solcher Entstehungszusammenhang liegt dem Diptychon zugrunde, auf dessen


Rückseite sich das Porträt der Äbtissin Jeanne de Boubais (J 1534), Äbtissin des
Zisterzienserklosters Flines in der Nähe von Douai, befindet (Abb. 11)A Auf der
Innenseite des heraldisch linken Flügels ist das Konterfei eines Zisterziensermönchs
abgebildet, den der heilige Bernhard der (heraldisch rechts) gegenüberliegenden
Jungfrau mit Kind präsentiert bzw. empfiehlt (Abb. 12). Andrea G. Pearson hat
vorgeschlagen, in dem Mönch Guillaume von Brüssel, den Beichtvater des Klosters,
zu sehenA Die Identifizierung scheint insofern plausibel, als Äbtissin und Beicht-

51 Pittsburgh, Frick Art and Historical Center, Jungfrau und Kind auf der heraldisch rechten Seite, Zister-
zienserzermönch mit dem heiligen Bernhard auf der heraldisch linken Seite. Auf dem Revers das Porträt
der Äbtissin (40,4 x 27,7 cm), vgl. Prayers and Portraits (wie Anm. 22), S. 30-35.
52 Andrea G. PEARSON, Nuns, Images, and the Ideals of Women's Monasticism. Two Paintings front the
Cistercian Convent of Flincs, in: Renaissance Quarterly 54, 2001, S. 1356-1397.
178 I Gabriela Signori

Abb. 11 Jean Bellegambe (t 1535/1536), Das Porträt Abb. 12 Jean Bellegambe (t 1535/1536), Das Porträt
der Jeanne de Boubais (t 1534), um 1513, 40,4 x 27,7 cm,

vater auch auf der sogenannten Cellier-Tafel gemeinsam als Stifter in Erscheinung
treten (Abb. 13)A In diesem Fall würde Guillaumes Porträt in die Jahre zwischen
1506 bis 1513 datieren, als er in Flines als Beichtvater tätig war. Oder das Bildnis
sollte, was mir naheliegender erscheint, Guillaumes Weggang dokumentieren und
deswegen präziser in der Zeit um 1513 entstanden sein. In diese Richtung deutet
auch die Ausgestaltung des Bildhintergrundes. Das Porträt des Mönchs nämlich
öffnet sich auf eine hügelige Landschaft mit Burgen. Das Porträt der Äbtissin hin-
gegen ist in einen oratoriumsähnlichen Gebetsraum gestellt, der sich im Hinter-
grund auf ihr Schlafgemach öffnet. Thematisiert werden im Bildhintergrund zum
einen geschlechtsspezifisch divergente Handlungsräume (offene Landschaft versus
Klausur), zum anderen aber auch die gegensätzlichen Perspektiven desjenigen, der
weggeht und derjenigen, die bleibt. Ich komme zum Schluss.

5ß PEARSON, Nuns (wie Anm. 52), S. 1396 f.


Der »Mönch im Bild« I 179

Abb. 13 Jean Bellegambe (t 1535/1536), Cellier-Tafel, 1509, Mitteltafel: 101,6 x 61 cm, New York, Metropolitan

1. Der in der spätmittelalterlichen Tafelmalerei praktizierte neuartige »Natura-


lismus« fasziniert die Betrachter - Laien und Kunstexperten gleichermaßen -
über die Generationen hinweg. Dementsprechend ausufernd ist Literatur, die
sich speziell mit der flämischen Tafelmalerei befasst. Dessen ungeachtet ist über
die Geschichte der einzelnen Bildwerke, bevor sie im Verlauf des 19. und 20.
Jahrhunderts in den Besitz der Museen und privater Kunstliebhaber gelangten,
insgesamt bemerkenswert wenig bekannt. Das scheint mir die logische Folge zu
sein, wenn Gebrauchsgegenstände früh zu kostbarsten Sammlerobjekten mu-
tierten.
2. Mit den Mönchporträts befasst hat sich die Kunstgeschichte bislang vornehm-
lich in ihrer Eigenschaft als Andachtsbilder. Die Gebrauchsformen des Porträts
180 I Gabriela Signori

waren im ausgehenden 15. Jahrhundert jedoch ungleich vielfältiger und ungleich


vielschichtiger dementsprechend auch die Bedeutungsebenen, die sich nicht in
dem erschöpfen, was zur bildlichen Darstellung gelangte: Bald ließen sich - un-
angesehen der Geschlechtszugehörigkeit - mit dem Porträt über die Kloster-
mauern hinweg Freundschaftsbande knüpfen oder zementieren. Bald erscheint
das Porträt als Erinnerungsbild, das autobiographisch selbstreflexiv an die eigene
Profess, das eigene Mönchsjubiläum oder die spätere Wahl zum Prior, Abt oder
Ordensvorsteher erinnert. Dass Profess, Jubiläum oder Amtsantritt eine bio-
graphische Zäsur markieren ist trivial. Die Praxis aber, die Erinnerung an diese
Zäsur im Bildmedium fest- und gleichsam präsent zu halten, ist um die Mitte des
15. Jahrhunderts ein Novum.
ß. Elnd was, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, sagen die Por-
träts nun über den Bezug zwischen dem einzelnen Mönch bzw. Nonne und der
Gemeinschaft aus, in der sie lebten? Die Antwort ist bestechend einfach. Im
Porträt tritt der einzelne Mönch aus der Gemeinschaft heraus und reflektiert
im Zwiegespräch mit Gott, sich selbst und anderen über das eigene klösterli-
che Sein und das eigene klösterliche Werden. Diese autobiographisch-selbstre-
flexive Gebrauchsform des Selbstbildnisses scheint mir eine Besonderheit von
Klosterbrüdern und -Schwestern darzustellen. Der Einzelne offenbart sich im
Bild aber nicht als letztlich unergründbares Individuum, sondern als Subjekt,
dass sich über Praktiken definiert, abgrenzt und anderen mitteilt. Der private,
autobiographisch-selbstreflexive Bildgebrauch zeigt schließlich, dass sich der
Bezug zwischen dem einzelnen Mönch und der Mönchsgemeinschaft an der
Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert radikal verändert hatte. Fortan bestanden
die Mönchsgemeinschaften aus einer Vielzahl solcher multimedial selbstrefle-
xiver Subjekte. Im normativen Schrifttum finden diese radikalen Neuerungen
der monastischen Subjektkultur keinen Widerhall. Der Fortgang der Geschichte
aber zeigt, dass sich die Praktiken zu einem dauerhaften Bestandteil der früh-
neuzeitlichen Mönchskultur entwickeln sollten. In den folgenden Jahrhunderten
nimmt die Zahl der Porträts von Mönchen und Nonnen kontinuierlich zu, sys-
tematisch erschlossen sind jedoch auch diese klösterlichen Selbstzeugnisse noch
nicht A Das scheint mir eine logische Konsequenz der bis heute vorherrschenden
ordensgeschichtlichen Perspektivierung der Untersuchungsgegenstände zu sein,
in der die Person von der Institution verschluckt wird.

54 Auf die Bedeutung des Porträts für das 17. und 18. Jahrhundert hat summarisch schon Siivia EvANGELis-
Ti, Nuns. A History of Convent Life, Oxford 2007, S. 169-173, hingewiesen, allerdings ohne näher auf
die Frage des (unterschiedlichen) Bildgebrauchs einzugehen.
Ordensdiszipiin und Konformität
bei den
Dominikanern und Franziskanern

Die Ziele religiöser Gemeinschaften sowie Wege und Methoden, diese zu erreichen,
waren in Normen definiert und festgelegt, deren Verbindlichkeit von den Religiö-
sen bei ihrer Profess anerkannt wurde. Die Normkonformität der Ordensleute war
einmal eine Voraussetzung dafür, sich spirituellen Idealen soweit wie möglich zu
nähern, und man kann darüber hinausgehend sagen, dass sie die Gemeinschaft über-
haupt erst konstituiertet Sie sorgte durch die Vereinheitlichung von Lebensweise
und religiöser Praxis sowie durch die Harmonisierung von Wirtschaftspraktiken
und Verwaltungsprozessen dafür, dass die Ordensgemeinschaft nach außen hin als
Einheit wahrnehmbar war und sicherte ihre Funktionsfähigkeit. Die Disziplin der
Religiösen war ein wichtiger Bestandteil der für das individuelle Seelenheil not-
wendigen Lebensweise und sicherte kollektiv die der Gemeinschaft im
kirchlichen wie auch im weltlichen Kontext.
Sowohl die Dominikaner wie auch die Franziskaner schufen Strukturen, deren
Aufgabe es war, die Disziplin der einzelnen Ordensbrüder zu sichern und die Kon-
formität von Gruppen, d.h. einzelnen Konventen, Gruppen von Konventen oder
ganzen Ordensprovinzen, dauerhaft und gleichmäßig zu garantieren. Dazu musste
zunächst einmal eine geographische Gliederung vorgenommen werden, die ein Be-
standteil der Ausbreitung beider religiöser Gemeinschaften wurde und ein Teil ihrer
inneren Entwicklung war. Bei den Dominikanern wurde 1221 auf dem zweiten Ge-
neralkapitel beschlossen, acht Ordensprovinzen einzurichtenß Die Franziskaner,

1 Zur Terminologie allgemein: Giancarlo ROCCA, Disciplina, in: Dizionario degli Istituti di Pcrfczione, Bd.
3, hg. von Guerrino PELLicciA/Giancarlo RoccA, Rom 1973, Sp. 714-715; Félix CATHERiNET, Con-
formité à la volonté de Dieu, in: Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mystique. Doctrine et histoire, Bd.
2, hg. von Marcel ViLLER/Joseph DE GuiBERT/Ferdinand CAVALLERA. Paris 1953, Sp. 1441-1469; Jean
LECLERCQ, Disciplina, in: Ebd., Bd. 3, Sp. 1291-1302.
2 Daniel Antonin MORTIER, Histoire des Maîtres Généraux de l'ordre des Frères Prêcheurs, 7 Bde., Paris
1903-1914, Bd. ), S. 78, 120, 129-130; Marie-Humbert ViCAiRE, Histoire de saint Dominique, 2 Bde.,
Paris 1982, Bd. 2, S. 291.
182 I Jens Röhrkasten

die zunächst von Umbrien aus in andere Teile Italiens, dann aber auch in entfern-
tere Regionen gesandt wurden, scheinen zunächst regelmäßig wieder nach Assisi
zurückgekehrt zu sein, wo sie sich auf ihren Kapiteln trafen, doch ab 1219 wurden
zuerst in Italien Ordensprovinzen eingerichtet, deren Zahl mit der Entwicklung
des Ordens zunahmd Entsprechend dem Aufbau der beiden Orden wiesen die auf
dieser Unterteilung aufbauenden Strukturen deutliche Parallelen auf; sie bestan-
den aus regelmäßigen Konventskapiteln, Provinzial- und Generalkapiteln, in denen
Normen schärfer definiert oder Konstitutionen modifiziert werden konnten. Dazu
kamen bei den Franziskanern die Kapitel der Kustodiend Damit verbunden waren
die in ihrer Praxis weitgehend unabhängigen Visitationen, die als weitere Kontroll-
instanz fungierten. Bei den Dominikanern wurden sie noch vom Ordensgründer
eingesetzt, bei den Franziskanern sind sie seit 1229 nachweisbar.^ Konformität und
Disziplin wurden im Extremfall mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt, die sich
in beiden Orden in Anlehnung an die Praktiken des traditionellen Mönchtums zu
einem tief gestaffelten Spektrum von Maßnahmen entwickelten, in denen auch die
Inhaftierung von Religiösen oder sogar ihre Entfernung aus der Gemeinschaft vor-
gesehen war. Die Amtsführung sowie die Lebensführung und Disziplin aller Pri-
oren und Minister sowie ihrer Stellvertreter unterlag ebenfalls der Kontrolle, die
es Vorgesetzten oder Gremien ermöglichte, sie zu maßregeln oder gegebenenfalls
sogar zu suspendieren oder abzusetzerU

3 Max HEiMBUCHER, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche, 2 Bde., Paderborn 1907, Bd.
2, S. 328; Provinciale Ordinis Fratrum Minorum vctustissimum secundum codicem Vaticanum Nr. 1960,
hg. von Konrad EuBEL, Quaracchi 1892, S. 5-8; Girolamo GOLUBOVICH, Series provinciarum Ordinis
Fratrum Minorum saec. XIII et XIV, in: Archivum Franciscanum Historicum 1, 1908, S. 1-22; Andrew
George LiTTLE, The Constitution of Provincial Chapters in the Minorite Order, in: Essays in Medieval
History Presented to Thomas Frederick Tout, hg. von Andrew George LiTTLE/Frederick Maurice Pow-
iCKE, Manchester 1925, S. 249-267.
4 Georgina Rosalie GALBRAITH, The Constitution of the Dominican Order 1216 to 1360, Manchester 1925,
S. 40-109; William HiNNEBUSCH, The History of the Dominican Order. Origins and Growth to 1500,
Bd. 1, New York 1966, S. 176-187, 346f.; Heribert HOLZAPFEL, Handbuch der Geschichte des Franziska-
nerordens, Freiburg im Breisgau 1909, S. 157f., 185-190; Simon TuGWELL, The Evolution of Dominican
Structures of Government. 1: The First and the Last Abbot, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 69,
1999, S. 5-60; DERS., II: The First Dominican Provinces, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 70, 2000,
S. 5 -109; DERS., Ill: The Early Development of the Second Distinction of the Constitutions, in: Archivum
Fratrum Praedicatorum 71, 2001, S. 5-183; DERS., IV: Election, Confirmation and .Absolution' of Superi-
ors, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 72, 2002, S. 26-159; DERS., V: Terminology, Nomenclature and
ordo of Dominican Provinces, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 75, 2005, S. 29-94.
5 GALBRAITH, The Constitution (wie Anm. 4), S. 142; Azzzzo Dowzzzz 7229/rzzter/oAzzzzztes Azzg/zczzs^rz'ztzzts
Htztzztor zrz TTzezztozzzzzm est wzsszts. Chronica Fratris Jordani, hg. von Heinrich BoEHMER (Collection
d'Etudes et de Documents 6), Paris 1908, cap. 56, S. 49; John MOORMAN, A History of the Franciscan
Order, Oxford 1968, S. 98.
6 Zur Autorität der Diffinitoren im dominikanischen Provinzialkapitel: St zzzztetzt, ^tzod zz^szt, ztzeorrzgzTtzYzs
extzterzt, zA%??z zzs^zte zzJ ezzpztzt/tztrt getzerzz/e sMs^etz&znt zz^ o^zeto ^rzorzztzzs, ^rzorezzz /ocz, czt^z-
tzz/zzw ^rovzzzezzz/e ee/e^rzztzzr, /oco ezzts SM^stztMezztes, et exeessMtrz eztts ztd ezz^ztzt/zzzzz rejefzzzzt getzerzz/e
stricto eotzztzzzztzz'ter szgz7/zzto. Antoninus Hendrik THOMAS, De oudste Constituties van de Dominicanen
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 183

Neben diesen strukturellen Parallelen zwischen beiden Orden gab es auch in-
haltliche und entwicklungshistorische Gemeinsamkeiten, denn im Zuge ihrer
schnellen Expansion galt es jeweils, neben einer räumlichen Gliederung auch Ver-
fahren zu entwickeln, die sowohl den Zusammenhalt wie auch die Gleichförmig-
keit sichern sollten. Bei der Lösung disziplinarischer Fragen waren beide Orden
vor identische Aufgaben gestellt, etwa beim Umgang mit Apostaten, bei dem den
Gemeinschaften durch den z%p03Y<%A2?w772 JzscMrsMW Schaden entstehen
konnte/ Andere Bereiche waren der Umgang mit Nonnen und weiblichen Laien,
die Standardisierung der Kleidung, die Festlegung architektonischer Charakteristi-
ka der Ordensbauten - vor allem der Kirchen - , die Forderung nach Kenntnis der
Normen, besonders der häufigen Veränderungen unterliegenden Konstitutionen,
der Schutz des Ordens vor externen Einflüssen und Eingriffen oder die Geheimhal-
tung interner Kenntnisse sowie die Verteidigung der Privilegien/ Die dogmatische

(Bibliothèque de la Revue d'Histoire Ecclesiastique 42), Löwen 1965, S. 342; Zu den Difhnitorcn im Gen-
eralkapitel: DzA?zztot*es^z*eJt'ctt' excesszzzzz zzzzzgz'sZrz seorszzzzz zzztez* se corrzgzzzzZ et ezzzezzJezzt. 5z zzzztezzz zzi
Zzzzztzzzzz excessez*zt, zyzzoJ rezzzotzez*z Je^ezzt, Zzzzzc zzozz ^zzzsszzzz et zzz JzA^ezzZez*^zz*oceJzzzzZ, seJ ezzzzZe/zz zzzzzxz'zzzzz
et zzz^zzzYzZzozze JzYzgezzZzsszzzzzz. Eh zzozz Je^zozzzzZzzr zzzsz ^zro ^zeresz, zzzsz ^ro crzzzzzzze tU /zro zt/zo crzzzzzzzzz/z
/zecczzto, zyztoJ zzozz ^zosszt sz'zze zzzzzgzzo sczzzzJzz/o orJzzzzs Zo/ez*zzz*z, Je ^zzo etzYzzzz sz /egztzzzze cozzvz'eZzzs A^fzY
ve/ eozzA^M^, tU sz zz Jeo Aez*zY zzeg/zgezzs, zzzzzZzYzs et z*ezzzzssszzs, ^zzz orJzzzzs Jzsso/zzZzozzezzz et JesZz'zzcZzozzezzz
zzz JzzczzZ. Ebd., S. 346. Bei den Franziskanern Endet sich das Verfahren des Absetzung des Generalministers
bereits in den Fragmenten der Praenarboncnses: $z zzez*o^zezzzZzzs zzzzzovezzJzzs, ^reJzctz très Jzs<yzzzsz'zores
ez Jezzz, revoczzZo seorszzzzz eZ secreto, ^zrzzzs szzzz JezzzzZ zzo&zzZzzrzzzzzz cesszozzezzz eZ, sz zzzcozzZzzzezzZz zzozz eesserz'z,
Y?zzY*ezzZzzr zzze^zYozzzzzzzzs ^ro zzzzzoto. Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum, hg. von Cesare
CENCi/Roman MAiLLEUX (Analecta Franciscana, Nova series 13,17. Documenta et studia 1,5), Grotta-
ferrata 2007-2010, Bd. 1, S. 6; Wiederholung in den Narboncnses XI, 20, ebd., Bd. 1, S. 20. Das Verfahren
der Suspendierung des Provinzialministers in den Narbonenses X, 21: Qzzz, sz zzzcorrzgzYzzYzs A^rzZ, zpszzzzz
zU oAezYzzzz zzzzzzzsZrz szzs^zezz JzzzzZ et szzze JzYzzZzozze ezzzzszzzzz szzspezzszozzzs sztze zzzcorrzgzYzzYzZzzZzY^zez* ezz^zZzz/zzzzz

zz^ro^zztzzzzz, szz^ szgzY/o vz'czzrz'z et ezzsZoJzs zzzzzzzsZz*o szgzzz^zcezzZgezzez*zz/z. Ebd., Bd. 1, S. 97.
7 Acta Capitulorum Generalium Ordinis Praedicatorum, hg. von Benedikt Maria REICHERT, 4 Bde. (Monu-
menta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica 3, 4, 8, 9), Rom 1898-1901, Bd. 1, S. 149, Generalkapitel
von Paris, 1269. Das Thema wurde immer wieder behandelt, so auf den Generalkapitcln von Bologna 1238,
1242, 1244, ebd., Bd. 1, S. 10, 24, 28, 29; 1245 in Köln, ebd., Bd. 1, S. 31; 1246 in Paris, ebd.. Bd. 1, S. 34;
1252 in Bologna, ebd., Bd. 1, S. 63; 1255 in Mailand, ebd., Bd. 1, S. 73 oder 1260 in Straßburg, ebd., Bd. 1,
S. 103. Bei den Franziskanern waren die Kustoden und die Provinzialprioren zuständig, Narbonenses VII,
19: Czz-uezzzzZ zzzztezzz zzzz'zzz'sZrz et ezzstoJes <yzto J zzozz^zez*zzzzZZzzzzZ zzpostzztzzs, szüe szzzze szVe Zz/Zerzzzs^zz-Ofzzzezzze,
zzz sezzzz Jzz/zzzzz orJzzzzs evztgztrz. Constitutiones generales (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 88. Auf dem Generalkapitel
von Assisi 1279 wurde das Anathem als Strafe vorgesehen, ebd., Bd. 1, S. 131.
8 Diese Themen kamen in beiden Orden immer wieder zur Sprache: Narbonenses VII, 12, Constitutiones
generales (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 87; Statuta generalia Ordinis édita in Capitulis generalibus celebratis Nar-
bonae an. 1260, Assisii an. 1279 atque Parishs an. 1292, hg. von Michael BiHL, in: Archivum Franciscanum
Historicum 34, 1941, S. 13-94, 284-358, hier S. 52f., Nr. 21b, 22a, 22e. So etwa auf dem Generalkapitel
von Mailand 1278: ProAzYzezzzzzs Jzstrzcte. zze secretzz orJzzzzs et zzzzzxzzzze eozzA^zozzzzzzz A^^es zzostrz zzee
Jzz*ecte nee zzz JzrecZe zzzzZzz ve/ szgzzo zzzz JezzzzZ t*e-&e/zit*e. et <yttz cz'rczz Y?oc zzzzzezzZz Ae^zYzZ c%A%^tYes et z'zzczzzz-
Zz. zzerzzzs^zzzzzzzzzzZzzz*. Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 198; Auf dem Generalkapitel von Köln, 1301: Vofzzzzzzzs
et zzzzzzz Jzzzzzzzs. zyzto/ trzzzzsgreJz'ezztes eozzsZz'Zzzez'ozzezzz Je zzozz reve/zzzz Jo seeretzz orJz'zzz's extrzzzzez's. ^retez*
/zezzzzzzz zz eozzsZzZzzez'ozze z'zzAc^zzzz. grzzzzz's ezz/pe szz^zYzcezzzzZ. etztJ ezzzzz AezezzJzzzzz zz szzzY/zro^z'zzez'zz/zYzzzs
cozzz^zeJzzzzZzzz*. Ebd., Bd. 1, S. 306.
184 I Jens Röhrkasten

und intellektuelle Konformität musste ebenso gewährleistet werden wie die Kon-
trolle und Beschränkung des Zugangs zur Kurie, der Instanzenzug innerhalb der
eigenen Organisation oder die Pflicht der Rechenschaftslegung durch die Prioren
und Minister. Für den Betrachter stellt sich dabei zuweilen die Frage, ob derartige
Maßnahmen situationsgebunden waren, wie etwa die 1282 in den des
Straßburger Generalkapitels enthaltenen Warnungen vor zzov opzmozzej, die
im Kontext des Vorgehens gegen Petrus Johannis Olivi zu sehen sind, oder ob es
sich bei solchen Versuchen der Vereinheitlichung um grundsätzliche strukturelle
Veränderungen handeltet
Auch in der Entwicklung gab es Parallelen. Die Schaffung und Strukturierung
von Provinzen verlief langsam, äußere Grenzen wie auch innere Gliederungen blie-
ben lange Zeit fließend und konnten erst mit dem Ende der Gründungsphase der
Konvente genauer definiert werdend" Beide Gemeinschaften mussten eine Liturgie
entwickeln und durchliefen dabei verschiedene Stufen. Bei den Franziskanern be-
gann dies vermutlich mit einfachen Riten, bestehend aus Gebeten, vielleicht auch
Liedern, die auf Franziskus zurückgingen; eine strukturierte Liturgie wurde erst
1223 mit der eingeführt und scheint sich nur sehr allmählich durch-
gesetzt zu haben, um dann von Haymo von Faversham wieder modifiziert zu wer-
den." Bei den Dominikanern scheinen sich mit der Entsendung der ersten Brüder
aus Toulouse in andere Teile Europas im Sommer 1217 regionale Unterschiede ent-
wickelt zu haben, die mindestens bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts bestanden und
dann erst in mehreren Reformansätzen harmonisiert werden konntenV
Diese strukturellen und inhaltlichen Entsprechungen lassen erwarten, dass die
Entwicklung der beiden Orden gleichförmig verlaufen ist, doch dieser Eindruck
trügt, denn erstens waren die Parallelen zwischen den beiden großen Gemeinschaf-

9 Gerold FusSENEGGER, Dehnitiones Capituli Generalis Argentinae celebrati anno 1282, in: Archivum
Franciscanum Historicum 26, 1933, S. 127-140, hier S. 130, 137; MOORMAN, A History (wie Anm. 5),
S. 190; Constitutiones generales (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 75, 295.
10 GRATiEN DE PARIS, Histoire de la fondation et de Pévolution de l'ordre des Frères Mineurs au XIIP
siècle, Paris 1928, S. 41; Grado Giovanni MERLO, Nel nome di san Francesco. Storia dei frati Minori e
del francescanesimo sino agli inizi del XVI secolo, Padua 2003, S. 76.
11 Leone BRACALONi, Il primo rituale francescano nel Breviario di S. Chiara, in: Archivum Franciscanum
Historicum 16, 1923, S. 71-88; Stephen VAN Dijn/Joan Hazelden WALKER, The Origins of the Modern
Roman Liturgy. The Liturgy of the Papal Court and the Franciscan Order in the Thirteenth Century,
London 1960, S. 288-312; Stephen VAN DijK, The Liturgical Legislation of the Franciscan Rules, in:
Franciscan Studies 12, 1952, S. 176-195, 241-262; DERS., Ursprung und Inhalt der franziskanischen
Liturgie des 13. Jahrhunderts, in: Franziskanische Studien 51, 1969, S. 86-116, 192-217.
12 William Raymond BoNNiWELL, A History of the Dominican Liturgy 1215-1945, 2. Aufl. New York
1945, S. 20; Ansgar DiRKS, De evolutionc liturgiac dominicanae, in: Archivum Fratrum Praedicatorum
50, 1980, S. 1-21, hier S. 8-18; Philippe GLEESON, The Prc-Humbcrtian Liturgical Sources Revisited, in:
Aux origines de la liturgie dominicaine: le manuscript Santa Sabina XIV L 1, hg. von Leonard BoYLE/
Pierre-Marie Gy (Collection de l'École française de Rome 327), Rom 2004, S. 99-112, hier S. 102f., 110,
111; Archdale KiNG, Liturgies of the Religious Orders, Bonn 2005, S. 331-335.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 185

ten der Mendikanten nicht so weitreichend, wie eine einfache Auflistung der Über-
einstimmungen vermuten lässt, wie schon ein Blick auf die grundlegenden Normen
sichtbar macht. Die Dominikaner hatten z.B. bereits in ihren Konstitutionen von
1228 detaillierte Bestimmungen über die Höhe ihrer Gebäude, über die Platzierung
von Gewölben sowie über die Bautätigkeit.^ Da die Franziskaner noch fünf Jahre
zuvor in ihrer päpstlich approbierten Regel jegliches Eigentum ausschlossen (Eh%G
rej JzA' <%pproprtÜ72f zzcc zYowttw zzcc /ocztw 7zcc rem)A waren derartige
Überlegungen folgerichtig gar nicht notwendig. Als das Thema dann in den frühen
Konstitutionen nicht mehr zu vermeiden war, verbot man zwar die
CMZz'oszAtj, konkrete Richtlinien, auch in der Frage der Größe der Gebäude, fehlten
jedoch. Auch die Narbonenses, in denen das Thema wieder aufgegriffen wurde,
boten keine genauen Anhaltspunkte.^ Die Dominikaner hingegen behielten bei der
Diskussion ihrer Konstitutionen, etwa auf den Generalkapiteln von 1252 oder 1258,
immer die konkreten Vorgaben zur Höhe der Konventsgebäude bei A Wichtiger
noch ist zweitens anzumerken, dass der Grad der Konformität innerhalb der beiden
Orden nicht so hoch war, wie es manche Normen erscheinen lassen, die von den
Predigern regelmäßig ab 1231 in Form der Generalkapitelsakten vorliegen, bei den
Minoriten jedoch erst nach der Amtsentsetzung des Elias 1239 wieder als Konsti-
tutionen ausgearbeitet wurden. Dominikanischer Pragmatismus stand franziska-
nischen Unsicherheiten bei der Regelinterpretation gegenüber, die zu vier großen
päpstlichen Interventionen führten, die bei den Predigern ganz unbekannt waren,
den Bullen Qtzo c/ozzgtzZz (1230), OrJmem f (1245), AxüY (1279)
und ExAü (1312) V Auch die Frauenklöster der beiden Orden entwi-
ckelten sich nicht gleichförmig. Die nach den Institutionen des Dominikanerordens
lebenden Nonnen waren dem Generalprior des Ordens unterstellt und 1257 be-
auftragte Papst Alexander IV. Humbert von Romans coTzszAttczozzes mcmm/mm
onAms &%7zcfz Twezzcmm seczzzzJzzm orJüzM mszAttAz Mzzz/orwzZttZcw
TTtAzcere [...] Die mehr als zwanzig Konvente der Franziskanerinnen, die

13 THOMAS, De oudste Constitutes (wie Anm. 6), S. 366 f.


14 Franz von Assisi, Regula bullata, in: Fontes Franciscani, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano BRUFANi
(Medioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995, S. 169-181, hier cap. 4, S. 175.
15 Constitutiones generales (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 9 (Fragmenta, 34); Statua generalia (wie Anm. 8), S. 48:
C%7?t ^Mtew CMtdoWzM et SM^erJittit^s directe o^-tde7?t^%%^7ert<tti, ordzTMWMs <y%od ,%edi/iciorM77t CMrzosi-
t<%$ tM ^;'ct%rA, c<%eAtt%rA, Je^estris, co/MTTtm't et <%%t in /oTzgz'tMdzMe, /^titMdme et
VtitMdtMe, secMMtütTTt /oct coMdz'tioHem, %rctt'%t etdtet%r.
16 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 64, 93, dort: wo?! JäcMTtt edi/zci% tzAz et znediocr^, et secMMdztm
/bfTTMm COMStttMcioTMS.
17 Herbert GRUNDMANN, Die Bulle ,Quo elongati' Gregors IX., in: Archivunt Franciscanum Historicum
54, 1961, S. 3-25; MOORMAN, A History (wie Anm. 5), S. 116f., 179, 181, 203f.
18 Ungedruckte Dominikanerbriefe des 13. Jahrhunderts, hg. von Heinrich FiNKE, Paderborn 1891, S. 53,
Nr. 5.
186 I Jens Röhrkasten

Ende der 1220er Jahre eingerichtet worden waren, sollten zwar alle nach der 1219
von Honorius III. zugewiesenen Regel leben, doch diese wurde von Clara als un-
genügend abgelehnt, der Beginn einer Entwicklung, die zur Herausbildung unter-
schiedlicher Normen führte, sodass die Angehörigen des weiblichen Zweiges des
Ordens schließlich verschiedenen Lebensformen folgten.^
Wenn es auch hier nicht möglich ist, auf die grundsätzliche Frage einzugehen,
welches Maß von Konformität in Strukturen überhaupt erreicht werden kann, in
denen Individualität eine so große Rolle spielte wie im mittelalterlichen Ordens-
wesen, das durch einen beträchtlichen Abstand zwischen Zentrum und Peripherie
gekennzeichnet sein konnte und dem Einfluss eines weiten Umfeldes unterlag, er-
scheint doch die Spannung zwischen den beiden Polen Konformität und Individu-
alität als plausible Erklärung für Divergenzen in der Praxis, die durchaus akzeptiert
oder sogar in den Normen sanktioniert waren. Thomas von Eccleston beschreibt
nicht ohne Stolz Unterschiede in der englischen Ordensprovinz zwischen den
Kustodien Oxford, Cambridge, York und Salisbury, da sie den Glaubenseifer der
frühen Franziskaner bewiesen, der sich auch immer wieder in außergewöhnlichen
Entbehrungen oder Verzichtsleistungen manifestierte.-" Diesen Spielraum für Ei-
geninitiative bot selbst die Aegzz/zz ^zJ/zzAz. In ihren Fastenvorschriften wurde ein
Zeitraum in der Vorweihnachtszeit festgesetzt, es blieb jedoch offen, ob einzelne
Brüder auch vor Ostern Abstinenz üben wollten: <yzzz vo/zzzzAzrze [...] zcz'zzzzzzzzt ^e-
zzcz^zctz Vzzf <% Dozzzzzzo, ^zzz zzo/zzzzZ zzozz VzzZ In Zeiten der Not galten die
Fastenbestimmungen gar nicht, ohne dass diese Zeiten zzzzzzzz/cjAze zzecejJzAztzj klar
definiert wurden.-* Wichtiger als die Konformität waren in diesem Fall also die Pra-
xis der individuellen Frömmigkeit und die Rücksicht auf regionale Wirtschaftsent-
wicklungen. Eine ähnliche Flexibilität wies die Acgzz/zz ^zJ/zzAz in den Vorschriften
zur Bekleidung der Brüder auf, in denen die /oc<% ^czzzpoz*zz ef /rzgz&zs regzozzes
mit berücksichtigt wurden. Im Einklang damit stand es den einzelnen Minoriten

19 Eduard LEMPP, Die Anfänge des Clarissenordens, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 13, 1892, S. 181-
245; MOORMAN, A History (wie Anm. 5), S. 38f. Maria Pia ALBERZONi, L'ordine di S. Damiano in
Lombardia, in: Chiara e il secondo ordine. 11 fenomeno francescano femminile ncl Salento. Atti del Con-
vegno di Studi in occasione delPVIII centenario della nascita di Santa Chiara (Nardo, 12-13 novembre
1993), hg. von Giancarlo ANDENNA/Benedetto VETERE, Galatina 1997, S. 117-157, hier S. 117f.; Theresia
MAIER, Forma vitae. Eine Interpretation der Ordensregel der heiligen Klara von Assisi, in: Klara von
Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum. Beiträge zur neueren deutschsprachigen Klara-
Forschung, hg. von Bernd SCHMIES (Franziskanische Forschungen 51), Münster 2011, S. 327-371, hier
S. 346. Einen Überblick über die Forschung bietet: Maria Pia ALBERZONi, Le Congregazioni monastiche:
le Damianite, in: Dove va la storiograha monastica in Europa? Tcmi c metodi di ricerca per lo studio della
vita monastica e regolare in età medievale alle soglic del terzo millcnnio. Atti del Convegno internazionalc
Brescia-Rodengo, 23-24 marzo 2000, hg. von Giancarlo ANDENNA, Mailand 2001, S. 379-401.
20 Fratris Thomae vulgo dicti de Eccleston Tractatus de Adventu Fratrum Minorum in Angliam, hg. von
Andrew George LiTTLE, Manchester 1951, S. 34-36.
21 Franz von Assisi, Regula bullata (wie Anm. 14), cap. 3, S. 174 f.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 187

frei, um eine zweite ^zzzzzctz zu bitten, özc ctzpzztzo ty%z fo/tterztzt Az^ere.^ Diese
Überlegungen stellten jedoch die Notwendigkeit der Uniformität des franziskani-
schen Habits nicht in Frage, denn die Brüder mussten sich nicht nur untereinander
erkennen können, sondern sie sollten auch in der Öffentlichkeit als Angehörige
ihres Ordens wahrgenommen werden. Missbrauch durch Unbefugte - man denke
an Salimbenes Geschichte der Müller von Reggio, die in der Fastenzeit singend im
Franziskanerhabit durch die Straßen zogen et sic OrJAz A sctzzz JtzAw et A afetie-
CMS redüttttüret oder an Elias, der den exkommunizierten Kaiser e^AAzzAo und A
AzAAt orJAzj begleitete - konnte sehr schädlich seinA Die Gefahr durch Nach-
ahmer erschien als so gravierend, dass Gregor IX. im März 1238 allen Personen,
die dem Orden nicht angehörten, verbot, den Habit zu tragen.^ Eine Erweiterung
dieser Bestimmung im November 1243 schloss auch solche Kleidung ein, die dem
Habit der Franziskaner ähnlich warN Obwohl diese in den 1240er Jahren mehrfach
wiederholten päpstlichen Privilegien wohl auf Bitten des Ordens zustande kamen,
trug sicher auch die Praxis im Orden zum Problem bei, denn der von Salimbene
genannte Bonuscompagnus von Prato, der immer nur einen alten Habit wollte, war
sicher nicht der einzige Minorit, der die Bestimmungen der AcgzzA ^AAttz ernst
nahm, dadurch aber auch die Uniformität in der äußeren Erscheinung der Ordens-
brüder in Frage stellte.^ In den frühen franziskanischen Konstitutionen wurde ver-
sucht, einen gewissen Grad der Standardisierung zu erreichen, indem man auf die
Ärmlichkeit der Stoffe verwies und zu dunkle oder zu helle Farbtöne ausschlossN
In den Narbonenses wurde diesem Thema ein eigener Abschnitt gewidmet, De
^zztz/Atz^c AAAts, in dem nun auch Form, Schnitt und Länge der Oberbekleidung
der Religiösen geregelt wurde, doch erst in den Konstitutionen von 1316 wurde die
MTZz/orwAzs des Habits gefordert.^ Zu diesem Zeitpunkt war der franziskanische
Habit nicht mehr nur ein Symbol für eine Ordenszugehörigkeit, sondern signali-
sierte innerhalb des Ordens auch die religiöse Ausrichtung, wobei die Spiritualen

22 Servus GiEBEN, Per la storia dell'abito francescano, in: Collectanea Francescana 66,1996, S. 431-478, hier
S. 435; Franz von Assisi, Regula bullata (wie Anm. 14), cap. 2, S. 172 f.; cap. 4, S. 175.
23 Salimbene de Adam, Cronica, 2 Bde., hg. von Giuseppe ScALiA (Scrittori d'Italia 232), Bari 1966, Bd. 1,
S. 234; Bd. 2, S. 915.
24 Bullarium Franciscanum, 4 Bde., hg. von Johannes SBARALEA, Rom 1759-1768, Bd. 1, S. 234f.
25 Bullarium Franciscanum (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 317f.
26 Salimbene de Adam, Cronica (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 416: zpse msf et tAtm vcterem f o/eAt %cct-
pere.
27 Constitutiones generales (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 25, Nr. 39-43.
28 MOORMAN, A Flistory (wie Anm. 5), S. 149, 185; Statua generalia (wie Anm. 8), S. 42-44; Constitutiones
generales (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 63: Ft owztes/r<%tres, ^4 tAorew, co/orem, /oMgztMdmew et
At;'t% tAtew t<%m At cttpMczorMW et wttTtz'cttrttw, ttTtt/bn?? Attern Jecenter o Aervettt, dejor-
7?At%tzAMS, sAgMArzttttAMS, pretzostttttAtts et szzjzeAzzz'ttttAzzspezzz'tzts reseezztzs.
188 I Jens Röhrkasten

das der Franziskusreliquie nachempfundene kürzere Ordenskleid trugen.^ Spätes-


tens mit dem Pontifikat Johannes' XXII. wurden die kurzen oder auch engen oder
schmutzigen Ordenskleider der Spiritualen, die sich vom Habit der Mehrheit des
Ordens unterschieden, zum PolitikumA
Obwohl die Bedeutung des Habits für die Dominikaner nicht minder wichtig
war, traten derartige Probleme in ihrem Fall nicht auf. Konformität war hier aus
zwei Gründen eher möglich, denn erstens fehlten die externen Nachahmer und
zweitens waren die Bestimmungen der Konstitutionen hinsichtlich der Länge des
Habits, der Unterbekleidung und des Schuhwerks eindeutig. Die auf den General-
kapiteln folgenden Beratungen über dieses Thema betrafen pragmatische Fragen
wie die Modifizierung des Ordenskleides auf Reisen, die Sichtbarmachung der Sta-
tusunterschiede zu den Konversen oder die Beschaffung oder Wiederverwendung
der Textilien.^ Eine Störung dieses Bereiches der Konformität wird erst auf dem
1290 in Ferrara gehaltenen Generalkapitel zur Sprache gebracht, als sich innerhalb
der Ordensgemeinschaft soziale Unterschiede auftaten. Die Prioren mussten nun
ermahnt werden, auch die unbemittelten Brüder mit Kleidung zu versorgend^
Diesem Bemühen der Dominikaner um Konformität in ihrem Auftreten nach
außen hin steht ein hoher Grad an Flexibilität in anderen Bereichen gegenüber.
Beide Möglichkeiten - Konformität wie auch Flexibilität - waren in den Normen
vorgesehen, wenn es darum ging, die Funktionalität des Ordens zu gewährleis-
ten. Dies reichte vom Erlernen von Fremdsprachen (und zwar derer des jeweili-
gen Umfeldes), tV/oTwm. propw<y%zT bis hin
zu einer Vielzahl von Sonderbestimmungen, die sowohl die Ordensorganisation
wie auch die Außenbeziehungen der Prediger betrafen. Im täglichen Ordensleben
ermöglichten Lizenzen und Dispense einen hohen Grad von Variabilität.^ Aller-
dings wurde ihre Vergabe geregelt und auf die Amtsträger innerhalb der Konvente

29 MOORMAN, A History (wie Anm. 5), S. 311.


30 »Quorundam exigit«, in: Corpus Iuris Canonici, 2 Bde., hg. von Aemiiius FRIEDBERG, Leipzig 1879-
1881, Bd. 2, Sp. 1220-1224.
31 THOMAS, De oudste Constituties (wie Anm. 6), Distinctio I, cap. 19, S. 329; Acta (wie Anm. 7), Bd. 1,
S. 12, 87, 92,109, 124.
32 A JwozzcwMt. Mt JU^z'^MS zzz JzgeMtzJ?Ms etpetezztz/zM^. preLztzprofzJere Je vestzAMs TzecesMrzzs tezzcMzztMr.
et trMZ!sgretsoresperprzore^provz'?zcz'z:/e^ ve/ eorzzzzz thczzrzo^ seM twzt%tore$. McrzMspMzzMMtMr. Acta (wie
Anm. 7), Bd. 1, S. 256.
33 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 9. Dies schloss Arabisch ein, Generalkapitel von 1259, ebd.. Bd. 1, S. 98.
Im September 1290 lehnte der gerade zum englischen Provinzialprior gewählte William of Hotham die
Ernennung zum Bischof von Llandaff auch deshalb ab, weil er der walisischen Sprache nicht mächtig sei,
Roy Martin HAINES, William of Hotham (c. 1255-1298), in: Oxford Dictionary of National Biography,
online verfügbar unter: http://www.oxforddnb.com/view/article/13857 (zuletzt abgerufen am 2.3.2014).
34 Ein - auch in anderen Regeln bekanntes — Beispiel ist der Dispens vom Flcischverbot für kranke Brüder,
Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 16.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 189

oder der Provinzen beschränkt.^ Weitere Flexibilität, etwa im Studiensystem oder


bei der Entwicklung einzelner Provinzen, wurde durch die Generalkapitel ermög-
licht oder beraten, etwa dem von 1241, als man die Freiheit einführte, seine bis zu
diesem Zeitpunkt zwischen Paris und Bologna alternierenden Tagungsorte frei zu
wählend^ So konnte die Visitationspflicht der Provinzialprioren delegiert und den
Visitatoren die Vorgehensweise vorgegeben werdend'" Es war eine Mindestzahl von
vier Visitatoren vorgesehen, die aber nach Bedarf erhöht werden konnte.^ Obwohl
der Generalminister oder das Generalkapitel bei der Genehmigung neuer Konvente
auch deren Lozierung bestimmen konnte, wurde diese Entscheidung in zahlreichen
Fällen den Provinzialprioren und Diffinitoren des Provinzialkapitels überlassen.^
Eine angesichts der strengen Kontrolle des Zugangs zur Kurie bemerkenswerte
Initiative des Generalkapitels von 1257 sah vor, dass es jeder Provinz freigestellt
war, eigene Repräsentanten nach Rom zu schickend" In Paris wurde auf dem Ge-
neralkapitel von 1269 angeregt, eine Modifizierung der Fastenvorschriften je nach
der Arbeitsbelastung der einzelnen Brüder zu ermöglichen, ein Vorschlag, der die
notwendigen drei aufeinanderfolgenden Generalkapitel durchlief/!
Gut zu beobachten bei den Dominikanern sind planmäßige und kontrollierte
Nonkonformität auf der einen Seite, die die Effektivität der Gemeinschaft erhöhen
sollte und die nicht oder kaum zu beeinflussenden Variablen in Politik, Wirtschaft,
Kultur und Gesellschaft auf der anderen, die lokale oder regionale nonkonforme
Strukturen und Abweichungen bedingten, die der Orden sich allerdings zu korri-
gieren bemühte. Dazu gehörten Ungleichheiten in der Studienorganisation, deren
Aufbau in der Teutonia wegen des Fehlens einer Infrastruktur verzögert wurde,
während ein bereits bestehendes System in Toulouse durch die Vertreibung der
Dominikaner aus der Stadt 1235 als Maßnahme des Widerstands gegen die Inquisiti-
onstätigkeit der Brüder zum zeitweiligen Zusammenbruch der Strukturen führte.^

35 Generalkapitel von 1246, Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 36, TVAAs At AeneAs A Anto. tAtjAor fe/
syyyrior fe/ Ae A ordA^ferit.
36 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 20 (1241), S. 23 (1242).
37 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 6 (1236), S. 16 (1240).
38 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 23 (1242), S. 25 (1243), S. 28 (1244).
39 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 18 (1240), S. 154 (1270), S. 205 (Lombardei 1279), S. 214 (Lombardei 1250),
S. 229 (1285), S. 263 (1291).
40 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 88 (1257).
41 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 146 (1269), S. 151 (1270), S. 156 (1271).
42 Dieter BERG, Armut und Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Betteiorden im
13. Jahrhundert, Düsseldorf 1977, S. 94-102; Maura O'CARROLL, The Educationa) Organisation of the
Dominicans in Engiand and Wales 1221-1348: a Multidisciplinary Approach, in: Archivum Fratrum Pra-
edicatorum 50,1980, S. 24-62, hier S. 28-31; Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 99, 100 (1259), 109, 110 (1261),
126 (1265); auch: Cnnt ApersAts AfenAtMr Aj^rof AeA A /ectorMm scr%tAA [...], S. )95 (1278). C%7?t
st% Antes t<2??7 A'enigene ^Mrtnt AAgene. non sAtA z'nynrA AAennA monentns priores j?rofAeA/es
et coMfeTttMiAt. A ^MorMtn proAncA et consentions genern/A stndA figent. Mt t<%?n A necessnriis
190 I Jens Röhrkasten

Da die Belastungen des Generalstudiums in Paris eine wirtschaftliche Krise des


Konvents nach sich zog, versuchte die englische Provinz, der die Ordensleitung
1248 die Gründung eines Generalstudiums in Oxford auftrug, sich dieser Maßnah-
me zu widersetzenN Unabhängig von den institutioneilen Differenzen gab es auch
Unterschiede in der Zielsetzung, etwa die Einrichtung eines auf
der iberischen Halbinsel, und den inhaltlichen Schwerpunkten, etwa in der Fra-
ge der Aristotelesrezeption/4 Mit Hinblick auf kulturelle Unterschiede wurde auf
dem Generalkapitel von 1252 angeregt, dass auf Reisen befindliche Ordensbrüder
ihre Fastenpraxis den örtlichen Gegebenheiten angleichen sollten.^ Zum Ende des
13. Jahrhunderts hin traten auch soziale Unterschiede zwischen den Religiösen auf,
die sich u.a. in der Qualität ihrer Kleidung äußerten/*" Diese Differenzen in der
Versorgung, aber auch in der Erscheinung der Brüder sollten durch die Konvents-
prioren und ihre Vikare ausgeglichen werden Jowz/j wie
es auf dem Generalkapitel von 1289 formuliert wurdeV Schwieriger war die koor-
dinierte Reaktion auf externe Faktoren, die zeitweilige oder länger währende Aus-
nahmesituationen hervorriefen, etwa die vom Orden nicht akzeptierte Einschrän-
kung mendikantischer Freiheiten in Straßburg, die 1287 die mehrere Jahre dauernde
Schließung des Klosters zur Folge hatte, oder der hohe Grad der Unabhängigkeit
der englischen Ordensprovinz im 13. und 14. Jahrhundert, der durch die Nähe der
führenden Brüder zur englischen Krone bedingt wurdet
Diese Detailbetrachtungen ermöglichen es, auf fundamentale Unterschiede zwi-
schen den beiden Orden hinzuweisen, die trotz struktureller Parallelen und der

exAzAzzAs. zzz %/zzk cozz^oAczozzezzz eorzzzzz specZzzzzZ/As. exZrzzzzeoy szczzf e; Mzos. ozrztzzZwepe?*-
ZrzzcZrzzf. et JA^zzt A AzApertrtzct%z'z'. Ebd., Bd. 1, S. 218 f. (1282).
43 Andrew George LiTTLE, Educational Organisation of the Mendicant Friars in England (Dominicans and
Franciscans), in: Transactions of the Royal Historical Society, New Series 8, 1894, S. 49-70, hier S. 61;
BERG, Armut und Wissenschaft (wie Anm. 42), S. 99.
44 BERG, Armut und Wissenschaft (wie Anm. 42), S. 101; O'CARROLL, The Educational Organisation (wie
Anm. 42), S. 31; Beryl SMALLEY, Robert Bacon and the Early Dominican School at Oxford, in: Transac-
tions of the Royal Historical Society, Fourth Series 30, 1948, S. 1-19, hier S. 15.
45 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 62 (1252), S. 74 (1254).
46 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 209f. (1280); Acta capitulorum provinciae Lombardiae (1254-1293) et Lom-
bardiae inferioris (1309-1312), hg. von Thomas KÄPPELi, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 11,1941,
S. 138-172, hier S. 164: zzzzz/tz'A^^re^ zzot^^z/ezzz pezzzzzAzzz pzzczzzzztzzz^ fo/zzzzzzzs et zztzzzzzAzzzzzT ozzzzzz-
Atprzoz*zAs A ve$tt'A$ zzecesMrzA 3tzAe<%zztpz*0TzzJere et tzz/zter orJzzzezzt tzz/tezzz
zts^zte A AzAezttztzzz AA%zzt/Azre.! zzece^MrA zzz Azzzezztzz.
47 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 253.
48 Andreas RÜTHER, Bettelorden in Stadt und Land. Die Straßburger Mendikantenkonvente und das Elsaß
im Spätmittelalter (Berliner Historische Studien 26/Ordensstudien 11), Berlin 1997, S. 229-235. Beryl
FoRMOY, The Dominican Order in England Before the Reformation, London 1925, S. 20, 77f.; Jens
RÖHRKASTEN, Die englischen Dominikaner und ihre Stellung zur Krone im 13. Jahrhundert, in: Vita
Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hg. von Franz-Josef FELTEN/
Nikolas JASPERT (Berliner Historische Studien 31/Ordcnsstudien 13), Berlin 1999, S. 483-502.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 191

Ähnlichkeit der Voraussetzungen, mit denen sich die Gemeinschaften konfrontiert


sahen, zu unterschiedlichen Entwicklungen führten. Beide Orden waren - man darf
annehmen im gleichen Grade - mit Disziplinlosigkeiten und Abweichungen einzel-
ner Brüder bis hin zur Apostasie konfrontiert.^ Wie auch im Fall anderer religiöser
Gemeinschaften wurden sie als immanente menschliche Schwäche geradezu voraus-
gesetzt, es war ja die Hauptaufgabe der Ordnungsstrukturen, sich des Phänomens
der individuellen menschlichen Verfehlungen anzunehmen. Beide Orden verfügten
über sehr ähnliche Mechanismen, die auch für Konformität und damit den Zusam-
menhalt der Gemeinschaft sorgen sollten. Bei den Dominikanern wurde dieses Sys-
tem durch Devianz nicht in Frage gestellt, selbst wenn etwa ein Johann von Reading
1275 zum mosaischen Glauben konvertierte, eine Jüdin heiratete und fortan unter
dem Namen Haggai zu erreichen war oder Thomas Waleys 1333 den Papst in Avi-
gnon öffentlich zu kritisieren wagteV Die Dominikaner konnten Konformität und
Nonkonformität so steuern, dass sich der Orden ganz auf seine zentrale Aufgabe,
die Predigt, konzentrieren konnte, eine Verbindung von Propositum und Flexibili-
tät, die Gert Melville als »Systemrationalität« definiert hatA
Im Gegensatz dazu bestanden bei den Minoriten Zweifel an der Art der Durch-
setzung und der Durchsetzbarkeit ihrer Ideale. Diese Spannungen zwischen Reali-
tät und einem immer schwerer erreichbaren Ordensideal führten zu Unsicherheiten
in der Regelinterpretation, deren Beilegung sowohl innerhalb des Ordens formell
durch die Konstitutionen und informell durch die Kommentare einer Reihe pro-
minenter Brüder wie auch außerhalb des Ordens durch die Kurie versucht wurde.
Als auslösendes Moment in diesem Prozess zog dabei die Definition und die Re-
alisierung der religiösen Armut die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen wie auch
der modernen Forschung auf sichA Die franziskanische Armutsfrage war jedoch

49 Don LoGAN, Runaway Religious in Medieval England c. 1240-1540, Cambridge 1996, S. 70, 241-246;
Ungedruckte Dominikanerbriefe (wie Anm. 18), S. 82f., Nr. 51, S. 108-110, Nr. 87, 88, S. 122f., Nr. 101,
S. 150f., Nr. 135, S. 151 f., Nr. 136.
50 The Chronicle of Bury St Edmunds 1212-1301, hg. von Antonia CRANSDEN, London 1964, S. 58 (1275):
EoMdoMMS A ordme PredzcWorMW PoArtMS de PedzMgge^redzMfor /zM-
g%%<y%e EfArM erzzdz'tz'^z'wzzs ^ostzzzzzd et te %d /Md^z'swzzw coiMzoüzzzt Zztde<%??2 dzzcens Mxorew
te cz'rczzwcz'dz %t^%e AggeMw/e^ nowz'zz^rz. Qz^ezn ^ccern'tMm et eoMtrzt /egem CAttttTMTM %%<Acter et
/7%Az'ce dzktereMtew rex ^re^te^Mco^o cowwewdzzzzz't CzzzztMzzrz'orzzw. Simon TuGWELL, Thomas Waleys,
in: Oxford Dictionary of National Biography, online verfügbar unter: http://www.oxforddnb.com/view/
article/28554 (zuletzt abgerufen am 2. 3. 2014).
51 Gert MELVILLE, Systemrationalität und der dominikanische Erfolg im Mittelalter, in: Norm und Krise
von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Für Peter von
Moos, hg. von Alois HAHN/Gert MELViLLE/Werner RÖCKE (Geschichte Forschung und Wissenschaft
24), Berlin 2006, S. 157-171.
52 Adolf VON HARNACK, Das Mönchtum. Seine Ideale und seine Geschichte, Gießen 1921, S. 51, 56. Einen
Überblick über neuere Literatur zum Thema bieten die Beiträge zu den Franziskanern im Mittelalter in:
Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegen-
wart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Annette HiLSEBEiN/Bernd ScHMiES u.a., Paderborn 2012.
192 I Jens Röhrkasten

nur das Symptom eines grundsätzlicheren Problems, nämlich der Mechanismen der
franziskanischen Obedientia. In diesem Bereich bestanden wichtige Unterschiede
zwischen den beiden Orden, wie in einem kurzen Vergleich gezeigt werden kann.
Die Professformel der Dominikaner zeigt, dass der Gehorsam der Brüder einer klar
strukturierten Hierarchie geschuldet wurde: an erste Stelle Gott, dann der hl. Ma-
ria und schließlich dem GeneralmagisterA Diese Grundverpflichtung wurde durch
drei Zusätze qualifiziert, die Erwähnung der Regel des Hl. Augustinus (keczzTzz&m
regzz/zzw der Normen und Gewohnheiten der Dominikaner (zzz^z-
^zzczozzei/kz^rzzw 07Y&3M Prezfzczz^orzzzzz) und einer Wiederholung, in der die zentrale
Bezugsperson, die den Gehorsam konkret einfordern kann, noch einmal genannt
wird: der Generalminister (<yzzodf ero o^ez^zezzi fz^z fzzz^zze .yzzccevmrz^zzs zz^^zze zzJ
7??ortf7?2)A Ohne Einschränkung der Gehorsamspflicht gegenüber Gott waren es
in der Praxis die Anordnungen des Generalmagisters und indirekt aller Prioren,
denen unbedingt Folge geleistet werden musste, denn jeglicher Widerstand (cozz-
^pznz^zozzczzz ve/ cozzzzziTz^zozzew ue/ per zzzzz/z^zoMW cozzcorzjfzzzw <%<Aze?vzzj przorczzz
ve/ pre/zz^ .szzo$) und sogar der einfache Widerspruch wurde als schwere Sünde
geahndetA Dadurch wurde die Autorität der Prioren zwar absolut, doch die Fülle
ihrer Macht wurde durch ein von unten her wirkendes Kontrollsystem begrenzt,
das Beschwerden über ihre Amtsführung zuließ und Sanktionen selbst gegen die
höchsten pre/zz/f des Ordens vorsah A Von Bedeutung innerhalb dieses Systems war
der bereits erwähnte Gebrauch des Dispenses, der einen hohen Grad an Flexibilität
ermöglichte und die Trennung von Schuld und Sünde. Die Trennung von Schuld
und Sünde unterwarf eine Normenübertretung zwar der Strafe, sie stellte aber -
wenn sie nicht in willentlicher Missachtung geschehen war - keine Sünde darA Die-
ses Prinzip wurde auf dem Generalkapitel von Paris 1236 bestätigt und auch später
nicht modihziertA Die Konventsprioren wurden im Gegenteil 1280 ermahnt, ihre
Anweisungen nur in Ausnahmefällen als precep^zzm zu formulieren, weil es nämlich
jzYperzczz/ojzzzzzpreczpz^zzre/kz^re^pcrprecep^zz.^

53 THOMAS, De oudste Constituties (wie Anm. 6), Distinctio I, cap. 16, S. 326 f. Vgl. die Pflicht der Novizen
22o/M72Z<2Ze/7re^zz' s%2, oAJz'eTZZMW dz 0772722^%$ voJ%72Z<%rM7?2 oAerzwe.
54 HiNNEBUSCH, History of the Dominican Order (wie Anm. 4), S. 130 f.
55 THOMAS, De oudste Constituties (wie Anm. 6), S. 335, 337.
56 THOMAS, De oudste Constituties (wie Anm. 6), S. 340-347.
57 MELVILLE, Systemrationalität (wie Anm. 51), S. 163; HiNNEBUSCH, History of the Dominican Order
(wie Anm. 4), S. 131.
58 Co72p7*772% 772MZ A<%72C C072Zt2tMCZ072e 772. 272 C072SZ2Z22C20722^22S JzCZZMT*. M^Ogter %72z't<%t2 eZ^7^C2 CZC.
T7o/M772MZ eZ decAtMTTZMZ %Z C072SZ2ZMC2072eZ 720SZre 72072 0^/zgC72Z 720S C2z/p^722. SCZ ^dgC7222772. TZZZZgrO^ZCT*
C072ZC772^Z22772 ve/^recepZM772. Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 8.
59 Acta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 210.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 193

Die Situation bei den Franziskanern war komplizierter. Ihr Propositum war we-
niger deutlich formuliert, denn es ging auch um die Lebensweise der Brüder, die
Afmoywm wie am Anfang der gesagt wird. Der Gott
geschuldete Gehorsam umfasste für die Minoriten das $2272ct23272 EV<%72ge/222772 o/?je2*-
37222*0, einen Text, aus dem die frühe Regel der Brüder geschöpft worden war. Das in
seiner Entstehung komplexe franziskanische Normenwerk wurde von Franziskus
in seinem Testament mit dem Evangelium assoziiert, sodass bereits früh die Frage
auftrat, woraus die Normen denn eigentlich beständen und wie sie in die Realität
umzusetzen seien, um der angestrebten Lebensweise auch zu entsprechen/" Wei-
terhin wurde Gehorsam unterschiedlichen Autoritäten geschuldet, einerseits dem
Evangelium und der aus ihm abgeleiteten Regel, andererseits einer Ämterhierar-
chie, die aus dem Papst - ein wichtiger Unterschied zu den Dominikanern - und
dem Generalminister bestand. Dieses Prinzip befand sich sowohl in der
72072 wie auch in der päpstlich approbierten Regel von 1223N Zusätzlich
werden im Text der /?%//2it22 noch zwei weitere Autoritäten genannt. Dies
waren innerhalb des Ordens die Provinzialminister, denen bei der Aufnahme von
Postulanten, der Versorgung der Brüder, bei der Wahl des Generalministers, bei
der Aufrechterhaltung der Disziplin und der Auswahl von Missionaren bestimmte
Aufgaben Vorbehalten waren und die Kustoden, die an der Wahl des Ordensober-
hauptes beteiligt sein sollten, deren Verantwortungsbereich jedoch nicht weiter de-
finiert wird. Außerhalb der Gemeinschaft waren es die Kardinalprotektoren, die die
Orthodoxie und die Beachtung der Ideale garantieren sollten:

22t pOt2272t 22 t/o772272 0 ^>22^722 227222772 Jo $2372Ct230 Ao7722372230 EccAjMC 0237*^27222/2^22$,

2?222 S2t g22/707*7223tO7; ^77*0t0Ct07* Ot C07*7*0Ct07* 2$t222$y723t07*722t23t2$, 22t $0772^07* J22/?t/2t2

Ot $22 /72CCt2 0222$3/o772 $23720t220 Ecc/o$2230 Jtrt^f/es 272 C22t/7o/2C23 ^2222-


^707*t23t0772 et /7227722/2 t23t0772 et $2372Ct22772 OT72372go/222772 Do7722722 720$t7*2 /e$22 C/?7*2$t2,

<y220t/^7*7722te7* j&7*02722S277222S, o/7S07*370 77222$. ^

Im zehnten Kapitel der ^0^22/22 Z?23//22 t23 wurde die Art des geschuldeten Gehor-
sams dann näher definiert, eine Bestimmung, die einen weiteren klaren Unterschied

60 Franz von Assisi, Testamentum, in: Fontes Franciscani, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano ßRUFANi (Me-
dioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995, S. 225-232, hier S. 228: zpse reveAAt mz'A,
JeArem twere Etz<%MgeA. Et ego vertA et tAp/AFer scrz'A et
cow/rwzuzz't wzEz.
61 Franz von Assisi, Regula bullata (wie Anm. 14), S. 172; Franz von Assisi, Regula non bullata, in: Fontes
Franciscani, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano ßRUFANi (Medioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995,
S. 183-212, hier S. 185.
62 Franz von Assisi, Regula bullata (wie Anm. 14), S. 181.
194 I Jens Röhrkasten

zu den dominikanischen Normen darstellt. Diese Definition qualihzierte die Ge-


horsamspflicht und schränkte sie ein: m
Dowmo et zzozz eozztnzrM et reg%A%e zzo^tn^e.
Diese normativen Vorgaben führten bei den Franziskanern zwei Variablen ein, die
es bei den Dominikanern nicht gab, erstens das Problem der Verwirklichung der
franziskanischen Lebensform nach den Normen, d. h. es musste erst einmal fest-
gelegt werden, was als preceptztw, was als anzusehen war und zweitens
die Auffächerung der Autoritäten Evangelium - Regel - Papst - GeneralministerA
Das individuelle Verhalten der Brüder wurde so zu einer Gewissensentscheidung
und führte zu der Frage, woran sich Normkonformität eigentlich orientieren solle.
Dieses Zustandes war man sich im Orden zwar bewusst, doch weder die päpstlich
sanktionierten oder die informellen Regelerklärungen der vier Magister und füh-
render Intellektueller im Orden noch die Gesetzgebung der Generalkapitel konnten
grundsätzlich Abhilfe schaffen, sodass der Orden schon in der ersten Phase seiner
Existenz in eine Krise gerietN Als Ursache dieser Krise wird in der Forschung oft
das Problem der Interpretation der Armut gesehen, doch grundlegend war eine an-
dere Frage. Mit ihrer Profess schlossen die franziskanischen Novizen - wie andere
Religiose - einen Vertrag zwischen sich und Gott, der auf Lebenszeit Gültigkeit
hatteA Dabei bestand für die Franziskaner die Verpflichtung in der Beachtung der
Evangelien, ohne dass die päpstliche approbierte Regel definierte, wie denn deren
Forderungen zu erfüllen seiend Die oben erwähnten päpstlichen Regelinterpreta-
tionen e7o?2g<%A (1230), OrJmew (1245), ExhY (1279) und
ExAz (1312) sollten dieses Problem lösen und dabei gleichzeitig auch
für Konformität innerhalb des immer weiter expandierenden Franziskanerordens
sorgen. Dies wurde bis in das 14. Jahrhundert hinein immer wieder versucht, die
Tatsache, dass die Komplexität der Bestimmungen dabei ständig zunahm, deutet je-
doch bereits auf die Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen hin. Dabei repräsentierte der

63 Jens RÖHRKASTEN, >Obedientia< in the Early Franciscan Order, in: Canterbury Studies in Franciscan
History, Bd. 3, hg. von Jens RÖHRKASTEN, Canterbury 2011, S. 93-130.
64 GRATiEN DE PARIS, Histoire (wie Anm. 10), S. 226, 235; MOORMAN, A History (wie Anm. 5), S. 111,
180, 188-204; MERLO, Nel nome (wie Anm. 10), S. 244-248.
65 Ludwig HERTLiNG, Die Professio der Kleriker und die Entstehung der drei Gelübde, in: Zeitschrift für
Katholische Theologie 56, 1936, S. 148-174, hier S. 172; Joachim WoLLASCH, Das Mönchsgelübdc als
Opfer, in: Frühmittelalterliche Studien 18, 1984, S. 529-545, hier S. 534.
66 Ernst BENZ, Ecclesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation,
Stuttgart 1934, S. 65. Es wurde sogar versucht, die Gruppe der in Frage kommenden Evangelientexte
weiter einzuengen, Karl BEYSCHLAG, Die Bergpredigt und Franz von Assisi (Beiträge zur Förderung
christlicher Theologie, 2. Reihe: Sammlung wissenschaftlicher Monographien 57), Gütersloh 1955, S. 11,
69.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 195

Inhalt der betreffenden Bullen im lß. Jahrhundert die Position der Kommunität V
War 1230 in Qzto e/ozzgtz^z noch bestimmt worden vos J <%/z<% cozz^zYzzz evtzzzge/zz zzozz
^ezzerzper regzz/tzzzz zzzsz zzd e<%, zzzY ryzze vos oMzgzzs^zs zzz zgszz, ohne auf die Gebote und
Verbote der Regel weiter einzugehen,^ so wurde dies innerhalb des Ordens bereits
wenige Jahre später als nicht mehr ausreichend empfunden. In der 1241-1242 da-
tierten Exposzfzo QzzzzfMor dfzzgzsfrorzzzTZ szzper Aegzz/zzw Enz^rzzzzz Tfzzzorzzzzz wurde
die Auslegung Gregors IX. zwar reflektiert, die vier Magister gingen jedoch weiter
und unterschieden zzzsfrzzctzo undprzzecep^zzw der Regele Folgerichtig wurde 1245
in OrJzzzezzz ves^rzzw auf Gebote und Verbote hingewiesen, allerdings wieder ohne
den Zusatz detaillierter Anweisungen, die zu einer eindeutigen Auslegung des Re-
geltextes angeleitet hätten/" Das Thema wurde 1279 in Exzzt zyzzz semzzzzzf, der Re-
aktion auf die Angriffe gegen die Mendikanten, sehr viel ausführlicher behandelt.
Hier wurde argumentiert, die Regel verweise nicht nur auf die drei evangelischen
Räte der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit, sondern enthalte auch Er-
mahnungen, Ratschläge und Hinweise zur Lebensführung der Religiösen: et zzzAz-
/owzzzzzy zz/zü zzozzzzzz//zz ^zz^zzectztpmeczpzezz^o, pro^z^ezz^o, cozzjzz/ezzzYo, TtzozzezzJo,
^orAzzt JoU Die Notwendigkeit der Befolgung aller in den Evangelien niedergeleg-
ten Grundsätze wurde ausgeschlossen, da dies nicht möglich sei und daher nur das
Seelenheil derjenigen gefährden würde, die ein solches Versprechen ablegten. Eine
genauere Beschreibung der durch die Profess begründeten Pflichten erfolgte durch
eine Unterscheidung zwischen pnzecepAz und cozz^zYztz, die aber nur gemäß ihrer
Wertung im Text der Aegzz/zz bindend sein sollten/^ Da auch diese Interpre-
tation nicht zu einer Lösung des Problems führte, wurden im vierten der großen
päpstlichen Regelkommentare konkrete Beispiele gebracht. In dieser Bulle wird
davon ausgegangen, dass eine Befolgung aller evangelischen Räte weder möglich
noch vom Ordensgründer beabsichtigt worden sei. Dennoch sei die Verpflichtung
der Franziskaner nicht auf Armut, Gehorsam und Keuschheit beschränkt, sondern

67 Duncan NiMMO, Reform and Division in the Medieval Franciscan Order. From Saint Francis to the
Foundation of the Capuchins (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 33), Rom 1987, S. 55.
68 GRUNDMANN, Die Bulle (wie Anm. 17), S. 21.
69 Expositio Quatuor Magistrorum super Rcgulam Fratrum Minorum (1241-1242), hg. von Livarius ÖLI-
GER (Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi 30), Rom 1950, S. 125, 127.
70 Bullarium Franciscanum (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 400: % J e<% JtztttZztxztZ Æ-u^ztge/z'z eoztszhJ Zettezttzztz, <ytMe
ht tpM Regzz/zz^rztecepZorz'e, z'zthzhzZorze sztttZ expresse.
71 Bullarium Franciscanum (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 406.
72 AJ ozttztM <%zzZeztt, ht zpt% Regula coztZzzteztZztr Zzzttt ^?*<%ece^t<%, <y%<%??t coztszhJ, zyzztzztt ezzetent, ex
voZoproJesszotth hz/MSTTtoJz ztozt <%hter ZezteztZzzr <^zt^ztt eo tttoJo, ztt Regula zpt% ZrzzJzzztZzzr, %t sez/zeeZ
ZeztezttzZMf % J eofMTTZ ohseruzzztZzJztt, ^%%e ztt e<% Jetzt Regula zpsts stzh verhzz oh/zgttZorzzs zzt JzzezzztZzzr.' czze-
Zerorztttt uero ohseruztztZzztztt, ^Mzze szzh uerhzs tttottzZorzh, exhorZtzzorzh, zztJofzttztZorhs, sezz ^zzzhzzseztttt^zze
zt/zzs cotzZzttetzZttt* e<%Zett%t zttztgzs eott JeceZ Je hotto et zze^tto eos ^rose<yztz, ^zzo ztttzZ^Zores ZztttZz PztZrzs
ChrzsZz setttzZtzs ztreZzzzs e/egerzzttZ. Bullarium Franciscanum (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 407.
196 I Jens Röhrkasten

erstrecke sich auch auf andere Bereiche, die allerdings von unterschiedlicher Be-
deutung seien, tpjorttw ex th TetAt wor^/z'j,
et ^zzo^J <yzz<%eJ<%z?z <%/z% zzozz/^ Auch diese päpstliche Intervention führte nicht zu
einem Ausgleich zwischen den verfeindeten Gruppierungen im Orden oder zu ei-
nem höheren Grad an Konformität, sodass im Pontifikat Johannes' XXII. versucht
wurde, die Gegensätze gewaltsam zu lösenO
Zwischen den Dominikanern, einer Klerikervereinigung, deren Konstitutionen
die M77z/of7?2Zt<%j der Gemeinschaft gleich mehrfach forderten,^ und den Franziska-
nern, einer Laienbewegung, die den Gedanken der Einheit und Einheitlichkeit in
den grundlegenden normativen Quellen nicht erwähnt und deren Brüder zum Teil
noch lange in Eremitorien lebten, bestanden wichtige grundsätzliche Unterschiede,
die über die bekannten unterschiedlichen Auslegungen des Armutsideals hinaus-
gingen: Erstens eine klare Orientierung auf das Propositum hin bei den Predigern
gegen die Notwendigkeit einer Definition der angestrebten Lebensweise bei den
Minoriten; zweitens die Vermeidung des preeeptzzw bei den Dominikanern gegen
die Notwendigkeit der präzisen Unterscheidung zwischen preceptzzm und weniger
verbindlichen Aussagen bei den Franziskanern sowie drittens eine klare Hierarchie
des Gehorsams bei den Dominikanern gegen ein sehr differenziertes Wechselspiel
von Pflichten und Verantwortlichkeiten bei den Franziskanern. Einheit mit dem
Ziel der Funktionalität wird z. B. im Regelkommentar des Humbert von Romans
gefordert, denn Uneinigkeit führe zum Verlust der Effektivität wie bei Seefahrern
auf einem Schiff, die verschiedene Häfen ansteuern wollten.^ Auch in einer ande-
ren Schrift des fünften Generalpriors der Dominikaner - De o^zezM orJzzzz^ - geht
es um Effizienz durch klar definierte Aufgabenbereiche: zzzz//zz^ tzAerzAs occttpttref
o^zezzzw, zzee JMZzz?z zzeg/zgereü* Fzc orJzzz<%^zzzi et eozzzp/etzzz^ gereizt zzzzzverMN
Demgegenüber geht es bei der eozz/orwzt<%s wezztzzzw der ersten Gefolgsleute des
Franziskus, von der Thomas von Celano in der Vzt<%prz??2<% spricht, um eine Einheit

73 Corpus Iuris Canonici (wie Anm. 30), Bd. 2, Sp. 1194.


74 MOORMAN, A History (wie Anm. 5), S. 313-319; NiMMO, Reform and Division (wie Anm. 67), S. 134-
138, 190-201. Neuere Literatur: Patrick NoLD, Pope John XXII and his Franciscan Cardinal. Bertrand
de la Tour and the Apostolic Poverty Controversy, Oxford 2003; Susanne CONRAD, Gehorsam und
Widerstand im Franziskanerorden. Bertrand de la Tour und die rebelles im Jahr 1315, in: Oboedientia.
Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Rcligiosentum, hg. von
Sebastien BARRET/Gert MELVILLE (Vita regularis. Abhandlungen 27), Münster 2005, S. 409-422.
75 THOMAS, De oudste Constituties (wie Anm. 6), S. 311 f.: zznz/orzzzes tn oAeruttntM etznonzee re/zgzonzs; zzt
zznt'tzztz etpzzcz totz'zzs orzfznz's^rotzzzfenzzzzzs, zzzzA?t*nzz'tzzs exterz'zzs serutztzz zn morz'Ats.
76 B. Humberti de Romanis Opera de vita regulari, 2 Bde., hg. von Joachim Joseph BERTHiER, Turin 1956,
Bd. 1, S. 71: IzoznzMes zyttz tenzfzznt JzTerszz so/ent z'nterJzznz JzTerszJzezzrz tn zzctzonzAzzs et fo/ttMttztz'lzMS,
sz'czzt st' existentes z'zz Ttttvz tenzferezzt tzzf JzTersos^ortzzs.
77 B. Humberti de Romanis Opera (wie Anm. 76), Bd. 2, S. 179.
Ordensdisziplin und Konformität bei den Dominikanern und Franziskanern I 197

im Glauben.^ Später forderte Bonaventura keine organisatorische Einheitlichkeit,


sondern eine spirituelle coTt/ormtAM mit Christus, die auch auf Gehorsam basiere
und Bestandteil der sei A Die Nachfolge Christi forderte An-
gelo Clareno in seinem Regelkommentar mit gleicher Intensität, führte dabei jedoch
aus, dass der Gehorsam dabei Gott eher als den Menschen geschuldet werdet In
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts steht der Gedanke der Christusnachfolge
des Ordensgründers im Zentrum des Werkes des Bartholomäus von PisaN
Es stellt sich abschließend die Frage, welche Konsequenzen sich aus diesen Un-
terschieden für das hier behandelte Thema der Konformität und Disziplin ergaben.
Hier liegt sicher einer der Gründe für die Stabilität des Predigerordens. Abwei-
chungen von den Normen waren möglich, wenn es dem Erreichen der Ziele diente.
Beratungen über die Entwicklung der Gemeinschaft waren auf den Provinzial-,
vor allem aber auf den Generalkapiteln verankert. Sie haben die Existenz oder den
Charakter des Ordens ebenso wenig in Frage gestellt wie Devianzen im Bereich
der Disziplin. Dagegen bestanden bei den Franziskanern deutliche Unsicherheiten
über die Orientierung des Ordens, die bis hin zu Abspaltungen unter Cölestin V
führten und das Potential hatten, die Gemeinschaft zu zerstören.^ Bemühungen um
Konformität konnten hier prinzipielle Grundfragen nach den Idealen des Gründers
und der Lebensweise der Brüder aufwerfen. Die relative Stabilität des Ordens trotz
dieser latenten Reibungsverluste ist darauf zurückzuführen, dass die konkreten
Auswirkungen regional begrenzt blieben, während sich die theoretischen Überle-
gungen auf die intellektuelle Elite der Gemeinschaft begrenzten.

78 $z'c eztzzzz eot re^z/euerzzt Mztctzz szwp/zcztzzs, szc eos zzzzzocezztzzz uztzze Joee^zzt, tzc eos corJzsgztrztzzs^'os-
szJe^zzt, zzt zfM^(zcztzzteztz zzztzwzpeztztzzs zgzzorzzrezzt, zyztz'zz szczzt ztnzZjMet, ztzz zzzzzzs s^zrztzzs erzzt zzz ezt, zzwzz
Vo/zZZZtzZS, ZZMzZ C^zZrZtzZS, zZ7tZ77!0r%7?Z CoAzZerezztZzZ setTZper, 7720?*%?7Z COMCOrJzzZ, VZrt%t%77! eZt/tZZS, COZzAtWZtzZS

wezztzzznz cf ^zzetzzs zzetzoztzzw. Thomas von Celano, Vita prima, in: Fontes Franciscani, hg. von Enrico
MENESTÖ/Stefano BRUFANi (Medioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995, S. 275-424, hier S. 320, cap.
17, Nr. 46.
79 Bonaventura von Bagnoregio, Quaestiones de perfcctione evangelica, in: S. Bonaventurae Opera Omnia,
Bd. 5: Opuscula varia theologica, Quaracchi 1891, S. 185: Zteztz, conformitas ad Christum est eoztsotzzz^er-
/ectzoTtz etzzZMge/zczte,' teJ C^rzstMt merz: /zArzz/ztzzte szz^zeczt se ^oztzzzzz, Ezzczze tecttztJo.* Et erat subditus
illis: ergo te z)zszzm zz/terz tzz^zzcere/Aü CArzsto cozz/o^^cw. ^eJ ^zoc nzzzxzTTte Ager o^eJzezttzzze tzotzzw.
80 Expositio super Régulant Fratrum Minorum di Frate Angelo Clareno, hg. von Giovanni BoccALi, Assisi
1995, S. 224: ^zttz^eret et Je/es C^rz'stz seruz, zzt szzo ezzpz'tz cozz/o^^^^^F ^Jzzez'zz/zter zzgetzt et^er wor-
tem tzz'tzzw merezztztes eterzzzzw obedire Deo magis quam hominibus.
81 Bartholomäus von Pisa, De conformitate vitae beati Francisci ad vitam dornini Iesu, 2 Bde. (Analecta
Franciscana4,5), Quaracchi 1906-1912.
82 Peter HERDE, Coelestin V. 1294 (Päpste und Papsttum 16), Stuttgart 1981, S. 111-114, 199.
Kommentar zur Sektion
tndividuum und Gemeinschaft-
!nstitutiona!ität

Keine andere Lebensform als das monastische Gemeinschaftsleben strebte nach ei-
ner so streng ausgeübten Disziplin und nach einer so rigiden Befolgung von Regeln
und von Anweisungen. Der gesamte Tagesablauf, die Abfolge von Gebet, Medita-
tion, Arbeit und Gespräch, von Essen und Fasten, von Wachen und Ruhen, war
minutiös reglementiert - in zeitliche Abschnitte aufgeteilt, von vorgeschriebenen
Gesten geprägt, in feststehende Worte eingefasst. Schriftliche Texte, von Gründer-
gestalten verfasst oder auf sie sich berufend, sollten die Einheitlichkeit der Praxis
über die Unterschiede von Zeiten und Räumen hinweg garantieren. Der Einzelne
war einer totalen Institution unterworfen. Die Reglementierung und Normierung
war erstaunlich, bestand doch das Christentum - anders als Judentum und Islam* -
nicht auf einem rigiden Bestand von Geboten und Verboten, die das Alltagsleben
festlegten. Es fehlten Speisevorschriften, Fastengebote, Pflichten zu Pilgerfahrten,
Anweisungen zum Tagesablauf, festgelegte Zeiten des Gebets, Quantifizierungen
der Mildtätigkeit. Das ethische Ideal der Nächstenliebe war anspruchsvoll, beruhte
aber nicht auf einer Katalogisierung von Pflichten. Das Neue Testament berich-
tet vom Widerwillen Jesu, Regeln zu oktroyieren und zu akzeptieren. Gebote zu
befolgen kann durchaus dazu führen, den Willen Gottes zu missachten (Matt. 15,
1-9; Mark. 7, 1-13). Im Römerbrief war den Christen die Befreiung vom Gesetz
versprochen; so wie die Ehegattin nach dem Tod ihres Mannes der Pflichten gegen
ihn enthoben sei, so nun die Christen nach dem Kreuzestod Jesu nicht mehr an ge-
setzliche Regeln gebunden seien (Röm. 7, 1-6). Diente die rigide Verhaltensnormie-
rung in den Klöstern dazu, die mangelnde Lebensregulierung im Neuen Testament
zu kompensieren?

1 Joseph SCHACHT, An Introduction to the Islamic Law, Oxford 1964; Hans-Jochen BoECKER, Recht und
Gesetz im Atten Testament und im Alten Orient, 2. Aufl. Neukirchen-Vlujn 1984.
200 I Hans-Joachim Schmidt

Nichtsdestotrotz bot das Neue Testament durchaus Anknüpfungen für ein mo-
nastisches Leben. Es ging um die Flucht in die Wüste und das sich Absondern von
den Menschen, um das Streben nach größerer Vollkommenheit, das nur wenigen
Vorbehalten sei (Matt. 4, 1-11; Mk. 1, 12-lß; Luk. 4, 1-13), um die Nachfolge Jesu,
die den Aposteln und Jüngern aufgetragen war (Matt., 4,18-21; Mk. 1, 16 -20; Luk.
5, 1-11), der Verzicht auf Eigentum (Matt. 6, 19-21; 19, 16-19; Mark. 10, 17-31;
Luk. 12, 33-34; 18, 18-30), die Abwendung von der Familie (Matt. 10, 34-39;
Luk. 12, 51-53; Luk. 14, 26-27), vor allem aber um ein gemeinschaftliches Leben,
das Menschen vereinigte, die »ein Herz und eine Seele« seien und ihre Güter mit-
einander teilten, wie es die Apostelgeschichte von den frühen Christengemeinden
berichtete (Ap. 2, 42-46).
Bedurften aber solche Gemeinschaften einer Reglementierung, einer Institution,
einer Disziplin? Die Antwort war eindeutig ja: Eine Fülle von Regeln sind im Laufe
der Geschichte geschaffen worden, die Handlungen und ihre zeitliche Abfolge in
ein Programm pressten, das Abweichungen nur dann duldete, wenn sie von einer
institutionalisierten Instanz des Befehlens, also üblicherweise des Abtes, des Priors
oder - bei institutionalisierten Ordensverbänden - des Generaloberen und des Ge-
neralkapitels, gebilligt wurden. Abweichungen vom verlangten Verhalten wurden
bestraft. Die Brutalisierung der Lebensordnung, wie sie Kolumban (der Jüngere)
in seinen Klöstern vorsahj war durchaus konsequent, gleichwohl nicht zukunfts-
trächtig, da die seit dem beginnenden 9. Jahrhundert im okzidentalen Europa vor-
gesehene Standardregel, die von Benedikt von Nursia, Adaptationen an klimatische
und regionale Bedingungen des jeweiligen Klosters und an körperliche Beschaffen-
heiten des Mönches vorsah und die Strenge von Strafen milderte, ohne freilich die
Machtfülle des Abtes abzuschwächen. Weil die Differenzierung des Ordenswesens
seit dem 12. Jahrhundert Aufgaben spezialisierte (in den Hospitalorden, Ritteror-
den, Seelsorgeorden, Orden zum Loskauf von Gefangenen, genuinen Frauenorden
u. a.), musste die individuelle freiwillige Opferbereitschaft mit den Erfordernissen
der sozialen Funktionen kombiniert werden, welche außerhalb des Klosterbereichs
verwiesen. Gleichwohl, die Androhung und Anwendung von Strafen, das Einker-
kern, die Rationierung der Speise, der zeitweilige Ausschluss aus der konventualen
Gemeinschaft blieben Mittel, um die institutioneile Konformität sicherzustellen.
Gleichwohl, Klöster waren auch die Orte der Freiheit, weil sie die Orte waren,
an denen Menschen sich von den Pflichten und Zwängen entfernen konnten, die als
Ublichkeiten im Sinne von Odo Marquard Verhalten einbahnten. Die Alternative,
die das Kloster bot, war eine Herausforderung. ExJe Je Jtwe war die Auffor-

2 Adalbert DE VoGÜÉ, Saint Columban, Régies et pénitentiels monastiques, Bellefontaine 1989.


Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität I 201

derung, die Bernhard von Clairvaux an all diejenigen richtete, die in den Verbind-
lichkeiten des Lebens in der Stadt gefangen waren/
Bezeichnenderweise war es Joachim von Fiore, der in seinem Kommentar zur
Benediktregel die Freiheit der Mönche herausstellte, die eigentlich keiner Institu-
tion bedürften, weil sie bereits in vollkommener Harmonie mit ihren Mitbrüdern
und mit dem Willen Gottes lebten. Es mag paradox erscheinen, dass Mönche, also
Christen, die den rigidesten Anforderungen an disziplinierter, regulierter und sogar
sanktionierter Lebensführung unterlagen, nach Meinung von Joachim von Fiore die
Promotoren der Entdisziplinierung, der De-Regulierung und der Entinstitutiona-
liserung der Christenheit sein sollten/ Das ausgeprägte Elitenbewusstem der Mön-
che machte eine Anbindung an Regeln, Gesetze, Institutionen und Befehle entbehr-
lich. In ähnlicher Weise und nicht weniger chiliastisch aufgeladen stellte Otto von
Freising die Existenz der Mönche als Präfiguration der himmlischen Glückseligkeit
dar. Disziplin muss ihnen nicht auferlegt werden; sie wachen über sich selbst; falls
sie doch einer Schwäche verfallen sollten, bekennen sie demütig ihre Verfehlung,
die ihnen von den Mitbrüdern in gegenseitiger Liebe vergeben wird/ Liebe macht
Institution entbehrlich.
Die Ambivalenz von Zwang und Freiheit sind uns in den beiden Vorträgen die-
ser Sektion gezeigt worden. Wenn Institution definiert werden kann als die durch
Normen verlangte Wiederholung von Verhalten, bedarf es der Medien, um über
unterschiedliche Zeiten und unterschiedliche Räume hinweg diese Wiederholung
zu gewährleisten. Ziel war dabei Uniformität des Verhaltens und Konformität an
die Normen. Ziel war nicht Originalität. Diese wurde anscheinend nur den Grün-
dergestalten zugestanden und auch noch den Reformern, die indes ihr innovatives
Anliegen unter den Leitgedanken der Uniformität und Konformität kaschieren
mussten. Abweichungen vom ursprünglichen Ideal waren vorgesehen, aber nicht
als Schaffung von Alternativen, sondern als Modifikationen an unterschiedliche
Umstände (Klima, Krankheit, Aufgaben, Not etc.). Neuerer waren verdächtig, sie
gaben sich als Erneuerer aus. Das Leben im Kloster kannte Differenzierungen, so-
wohl innerhalb der einzelnen Gemeinschaft in der Form von Arbeitsteilungen und
darauf aufbauend einer Ämterorganisation als auch zwischen den Gemeinschaften
und den Orden, die unterschiedliche Aufgaben wahrnahmen. Weil es Aufgaben-
teilung gab, musste sie koordiniert werden, was durch regulierte Beziehungen und

3 Bernard von Clairvaux, Opera, Bd. 2: Sermones super cantica canticorum: 36-86, hg. von Jean LECLERCQ/
Charles Hugh TALBOT/Henri-Marie RocHAis, Rom 1958, S. 112.
4 Joachim von Fiore, Opera omnia, Bd. 4,4: Tractatus in expositione vite et régule beati Bcncdicti, hg. von
Alexander PATSCHOVSKY (Fonti per la storia dell'Itaiia medievale. Antiquitates 29), Rom 2008.
5 Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. von Adolf HOFMEISTER (MGH Scrip-
tores rcrum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 45), Hannover 1912, S. 456 f.
202 I Hans-Joachim Schmidt

Abläufe gestaltet wurde. Die Entstehung von Hospital-, Ritter-, Seelsorge-, Pre-
digerorden u.a. förderte funktionale Regulierungen, die nicht mehr allein durch
das Gründungsideal, durch asketische Ambitionen, sondern zunehmend durch den
Aspekt der Nützlichkeit bestimmt waren. Effizienzsteigerung verlangte in höhe-
rem Ausmaß als die Nachfolge eines Vorbildes nach Regulierungen, die, sofern sie
schriftlich hxiert wurden, räumliche und zeitliche Permanenz sichern sollten und
Grundlagen abgaben für Kontrolle und Evaluation der Aufgabenerfüllung. Aber
die Rückbesinnung auf die Ursprünge erwies sich dabei aber stets als Korrektiv zur
Institutionalisierung und ermöglichte stets erneute Schübe zur Geltung des Cha-
rismas, sodass aus dem Korsett starrer Regelungen Ausbrüche erfolgen konnten,
die aber - ein Kontinuum in der Ordensgeschichte - erneut durch Normen ein-
gefangen wurden, die wiederum Konflikte heraufbeschworen. Aus diesem Grund
sperrte sich individuelles Vollkommenheitsstreben gegenüber einer institutionellen
Verstetigung und Wiederholung von Verfahren, die aber auf der anderen Seite ge-
rade dieses Vollkommenheitsstreben perpetuieren sollten. Einzigartigkeit individu-
eller asketischer Höchstleistung spornte zur Nachahmung und zur Nachfolge an,
stieß sich aber zugleich an Standardisierungen.
Daher ist das Problem, das uns Frau Signori vorstellte, so schwierig zu lösen:
Konnte es sein und konnte es geduldet werden, dass individuelle Vorlieben, ge-
sonderte Beziehungen zu Menschen ausserhalb des regulierten Verhaltens und gar
ausserhalb kodifizierter Erinnerungsmedien im Kloster bestanden, die eine - wie
sie es nannte - »Subjektkultur« hervorbrachten? Denn es ging meines Erachtens
ja nicht so sehr um die teilweise Öffnung der klösterlichen Klausur und um die
Beziehung zur Aussenwelt, sondern um die individuelle Aneignung von Beziehun-
gen. Wenn Bilder Medien von Freundschaftsbanden waren, so gab es ein Problem.
Bilder waren im Privatbesitz und Bilder repräsentierten private Beziehungen. Die
waren aber nicht mehr zu uniformieren. Sie liessen sich zwar instituti-
onalisieren, d.h. in ein normativ gelenktes Verhalten überführen, dann aber durch
Verfahren des Interessenausgleichs, die darauf achten würden, dass der Zugang zu
Ressourcen von materiellen und immateriellen Gütern, das Anknüpfen von Kom-
munikationen und die Oktroyierung des eigenen Willens durch Kompromisse und
Machtkämpfe ausgefochten würden. Damit wäre aber die Dichotomie von Unifor-
mität und Originalität innerhalb eines Klosters nicht mehr harmonisierend aufzu-
heben gewesen und eine Institution, die darauf verzichten würde, wäre nicht mehr
mit dem mönchischen Ideal zu vereinbaren. Die Willkürlichkeit bei der Vergabe
des Gnadenschatzes schloss prinzipiell Verteilungskämpfe aus. In der Praxis waren
aber die Verfügung über materielle Güter und das Knüpfen persönlicher Freund-
schaften nicht ausgeschlossen und waren die Quelle von Absonderungen und von
Konflikten.
Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität I 203

Wenn das Problem auf die Ebene eines ganz Europa umfassenden Ordens trans-
poniert wird, erscheint das Problem, wie hergestellt werden kann, noch
viel mehr schier unlösbar. Die ausgefeilten Verfahren von Partizipation und Kont-
rolle bei Franziskanern und Dominikanern, auf die Herr Röhrkasten hingewiesen
hat, sind institutionalisierte Superformen, die in den Dienst der Harmonisierung
gestellt sind. Weil Originalität kein Ideal darstellte, sollte die Institution divergente
Interessen, differierende Auffassungen oder divergierende Ziele nicht in eine Ver-
fahrensordnung überführen, sondern diese sollte sie gar nicht erst auftreten lassen.
Weil sie aber entstanden und entstehen mussten, weil ohne individuelles Streben
nach Vollkommenheit ein religiös begründetes und praktiziertes Gemeinschafts-
leben schlechterdings nicht möglich ist, lieb sich zwar durch Adaptation an varia-
ble Umstände eine praktikable Lösung finden, aber im Grundsätzlichen blieb der
Konflikt bestehen. Zu lösen wäre er durch die Verpflichtung zum Gehorsam; aber
auf ihn allein zu setzen, war nicht selten illusorisch und überdies prinzipiell kontra-
intentional im Hinblick auf die individuelle Berufung. Die Ausdifferenzierung in
unterschiedliche Lebensformen und unterschiedliche Normierungen war durch den
Gehorsam nicht aufzuhalten, gerade wenn er - durch das mönchische Gelübde be-
gründet und absolut gesetzt - nicht entkräftet werden konnte, aber zugleich durch
eine Berufung auf Gottes Anweisung menschlicher Verfügung entzogen werden
durfte, sodass das Ideal des Gehorsams in paradoxer Wirkung in Richtung einer
De-Insitutionalisierung wirken konnte und die persönliche Perfektion in den Vor-
dergrund schob. Der Weg, den die Dominikaner und Franziskaner beschritten,
bestand in einer Abschwächung befehlsgebender Instanzen, die nicht mehr wie
im klassischen benediktischen Mönchtum als Instanzen der väterlichen Autorität
gedeutet wurden; vielmehr war in einer partizipativen Brüderlichkeit die Last des
Ermahnens, Befehlens und Kontrollierens auf viele Schultern verteilt. In zeitlicher
Rotation waren die Aufgaben begrenzt.
Vielleicht konnte am ehesten die <%77AcAM eine harmonisierende Lösung hervor-
bringen. Aber auch sie war, wie Aelfred of Rievault in seinen Dialogen ausführte,
einem Normierungsdruck ausgesetzt und stand einer allein personenbezogenen
Relation entgegen, die einzig aufgrund individueller Entscheidungen herbeigeführt
würde. Und gänzlich ungelöst ist die Diskrepanz zwischen Konformität und Indi-
vidualität, wenn es um die JVZre des Klosters geht, um das einzigartige und
von jeder Person einzeln errungene oder gewährte ewige Seelenheil, also um den
Weg zu Gott, auf den nie eine Gemeinschaft Ü7 toto, sondern immer nur ein Indivi-
duum schreiten konnte. Die Aufforderung, sein Leben zu ändern und Christus, den
Aposteln und den Heiligen der Kirche nachzufolgen, war nicht auf ein Kollektivum
abzuschieben, sondern forderte stets den Einzelnen. Aber nur durch die Einbin-
dung in ein Kollektiv konnte die Änderung des Lebens gelingen, weil das Kollektiv
204 I Hans-Joachim Schmidt

sicherstellte, dass die Versuchungen der Welt dem Einzelnen erspart blieben oder
zumindest erspart bleiben sollten.
Die institutioneile Perfektionierung ist gefährlich für die - wie Frau Signori sich
ausdrückte - ursprüngliche Spiritualität. Deswegen auch die von ihr deutlich be-
schriebene Zwanghaftigkeit einer allein auf Regeltreue abzielenden Reform. Ohne
die durch die Institutionalisierung herbeigeführte Gleichartigkeit der Lebensfor-
men kann aber klösterliches Leben nicht verwirklicht werden.
Freiwilligkeit und Zwang sind Teile der monastischen Institutionalität, aber
beide sind nicht widerspruchsfrei miteinander zu kombinieren, auch nicht durch
die Selbstverpflichtung jedes einzelnen Mönches und jeder einzelnen Nonne, d.h.
durch die Profess. Denn die Selbstverpflichtung konnte nicht individuell gestal-
tet, gar ausgehandelt werden. Sie war prinzipiell starr. Bestrebungen, Normen zu
ändern, galten bei den Religiösen mehr als bei anderen Personen als verwerfliche
Bestrebungen, deren Sanktionierung religiös begründet wurde. Aber zugleich war
die persönliche Berufung Voraussetzung für die monastische Existenz. Unterwer-
fung und Auflehnung, Gehorsam unter die Autoritäten und Erfindungsreichtum im
asketischen Virtuosentum, Flucht aus der Welt und Einwirkung auf sie, institutio-
neile Exklusivität im Arkanum des Klosters und Nutzen für alle Gläubigen sind die
Dichotomien, denen Mönche und Nonnen nicht entweichen konnten.
Ich muss meine Überlegungen also mit nicht aufgelösten Dilemmata schließen.
Als Kommentator sei mir dies gestattet. Eine co72corJ<%?z^<% JzscorrÜTzAMm wird
vielleicht die weitere Forschung erbringen können. Das vorläufige Fazit zeigt dem-
gegenüber eine widersprüchliche Fülle von unterschiedlichen Strategien und Re-
sultaten, die in Klöstern und Orden erprobt, verworfen, erneuert und verwirklicht
wurden, sodass die Vielzahl von Lebensentwürfen und Regulierungen nicht allein
den unterschiedlichen Aufgaben geschuldet waren, sondern auch auf den tastenden
Versuchen einer Nachahmnung Christi beruhten. Die Gefahr, dass diese Vielzahl
eine Konfusion erzeugen könnte, wurde durchaus wahrgenommen und im vierten
Laterankonzil von 1215 deutlich benannt/ Durch päpstliche Interventionen, konzi-
liare Gesetze und kirchenrechtliche Bestimmungen/ welche vor allem seit dem 12.
und 13. Jahrhundert Wirkung zeigten, war eine neue Stufe der Institutionalisierung
erreicht, die die kloster- und ordensinternen Normen allgemeinen kirchlichen Be-
stimmungen unterwarfen, sodass eine Spannung zwischen beiden entstand, die die

6 Constitutiones concitii quarti Lateranensis una cum commcntariis glossatorum, hg. von Antonio GARCIA
Y GARCIA (Monumenta iuris canonici. Series A: Corpus glossatorum 2), Vatikanstadt 1981, S. 62.
7 Gert MELVILLE, Ordensstatuten und allgemeines Kirchenrecht, in: Proceedings of the 9^ International
Congress of Medieval Canon Law (Monumenta iuris canonici. Series C 10), hg. von Peter LANDAU, Vati-
kanstadt 1997, S. 691-712.
Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität I 205

Komplexität und den regulatorischen Aufwand deutlich erweiterte und zusätzliche


Widersprüchlichkeit erzeugte. Die extra-monialen Regulierungen und Regulie-
rungsinstanzen drohten die Autonomie der regulären Gemeinschaften auszuhöh-
len. Hinzu kamen die weltlichen Normensetzungen, die besonders bei den spät-
mittelalterlichen Observanzen verstärkte Interventionen weltlicher Obrigkeiten
in die Klöster und Orden rechtfertigten und auslösten.s Es entstanden zusätzliche
Institutionen, in die Mönche, Nonnen, Klöster und Orden eingebunden waren und
die Exklusivität klösterlicher Normen aufhoben. Institutionalisierung des regulären
Lebens betraf also nicht allein die monastischen Gemeinschaften, sondern war
eingebettet in den Vorgang forcierter Rationalisierung und Bürokratisierung. Die
»Ordnung der Dinge« verengte individuelle Spontanität, erregte aber zugleich Wi-
derspruch, der wiederum zum Impuls religiöser Innovationen wurde.

8 Bernhard NEiDiGER, Stadtregiment und Klosterreform in Basel, in: Reformbemühungen und Observanz-
bestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Kaspar ELM (Berliner Historische Studien
14/Ordcnsstudien 6), Berlin 1989, S. 539-567.
Weitdeutung durch
Wissenskonfigurationen
Deuten, Ordnen und Aneignen
Mechanismen der Innovation in der Erstellung
hochmittelalterlicher Wissenskompendien

Steche/

Innovatives Wissen im Kloster?


Orientierungen auf einem problematischen Forschungsfeld

Wo es um die Geschichte gelehrter Wissenskulturen geht, gelten Klöster, oberfläch-


lich betrachtet, zunächst als Horte der Tradition. Ihnen wird zwar gern und bereit-
willig die Bewahrung wichtiger antiker Wissensgüter über die Wirren der »dunklen«
Übergangszeit zwischen Antike und Frühmittelalter zugeschrieben. Doch können
wir sie auch als Experimentierfelder für Neuerungen in Wissensdingen verstehen,
und gar im Hochmittelalter?
Die Frage wird in der Fachwissenschaft zwar üblicherweise bejaht. Doch auffal-
lend häufig werden zu ihrer Beantwortung Beispiele bemüht, die Probleme bergen.
Zum /ocMi cüsifcMF ist etwa der Wortes geworden, die umfängliche en-
zyklopädische Wissenssammlung, die Abtissin Herrad von Hohenburg (j* c. 1196)
wohl in den 1170er Jahren in einem illustrierten Prachtcodex für die Kanonissinnen
ihres Stifts zusammenstellte. Wir kennen diesen intellektuellen Lustgarten zwar
heute nur noch aus Rekonstruktionen, da das Original 1870 verbrannte.' Doch wird
er oft und gern zum Schlagwort »Wissen im Kloster« angeführt, und zwar zumeist
in einer Haltung des besonderen Erstaunens.
Das klösterliche Wissensbuch des FfotVMS Jc/fcürMW zielt in seiner geschichts-
theologischen Anordnung - von Gott und Schöpfung über den Menschen und die
Natur zu den letzten Dingen - vor allem auf die weltabgeschiedene Kontemplation
und die Verinnerlichung heilsrelevanten Wissens ab. Es enthält aber gleichzeitig die
neueste Theologie der Zeit - vor allem eine Wissensform, die man gemeinhin Scho-
lastik nennt und typischerweise mit Innovationen der nordfranzösischen Schulen
assoziiert. Äbtissin Herrad stellte für ihre Kanonissinnen nicht nur Väterautoritäten
zusammen, sondern verarbeitete unter anderem Petrus Lombardus (*]*1160), also
den Schultheologen schlechthin, sowie die brandaktuelle des

1 Vgi. Herrad of Hohenbourg, Hortus Deliciarum, hg. von Rosalie GREEN/Thomas Julian BROWN/Kenneth
LEVY, 2 Bdc. (Studies of the Warburg Institute 36), London 1979, hier Bd. 2: Commentary.
210 I Sita Steckei

Peter Comestor (*j* 1178). Katharina Ulrike Mersch hat erst kürzlich Herrads Ver-
wendung des in Paris tätigen Hugo von St. Viktor ('}* 1141) als besonders innovativ
hervorgehoben7
Der Hinweis hat allerdings eine lange Tradition: Die überraschend »unklös-
terliche« Wissensauswahl Herrads wurde seit der Rekonstruktion des zerstörten
durch Green und andere 1979 vielfach aufgegriffen und stets als
besonders innovativ beurteilt. Der Philosophiehistoriker Loris Sturlese bezeichnete
Herrad etwa schon 1993 liebevoll als »Biene im Lustgarten der Scholastik«. Mit
nicht zu verhehlendem Stolz wies 2005 Fiona Griffiths darauf hin, dass Herrad das
neue Sentenzenwerk des Lombardus schon zitierte, bevor es ein halbes Jahrhundert
später zum Standardwerk der entstehenden Universität wurdet
Dieses Verständnis von wissenshistorischen Innovationen im Kloster regt daher
auch zum Nachdenken an: Der armen Herrad von Hohenburg wird ja eigentlich
nur eine sekundäre Innovativität zugewiesen. Sie besteht darin, die eigentlichen,
primären Neuerungen der Schulen zu rezipieren. Wo bleibt dabei die klösterliche
Innovativität? Diese Frage liegt nahe, führt aber sehr schnell in eine Sackgasse -
denn mit der Idee einer spezifisch klösterlichen Innovativität ist das für Laien offen-
bar faszinierende, für Fachwissenschaftler jedoch höchst unangenehme Begriffspaar
von »Schule und Kloster« auf dem Tisch, von »Scholastik und Monastik«/
Dieser Gegenüberstellung liegen, wie wir mittlerweile wissen, bestimmte Meis-
ter- oder Meta-Erzählungen des 20. Jahrhunderts zugrunde.^ Sie erzählten entweder
von »Renaissance« und »Humanismus« in den Schulen des Hochmittelalters - oder
andererseits vom Aufblühen klösterlicher Kultur, die wesentlich von Jean Leclercq
als »monastische Theologie« gegen die Tradition der Schulen positioniert wurdet

2 Vgl. Katharina Ulrike MERSCH, Innovationen auf der Grundlage von Traditionen. Kanonikerreform,
Selbstreflexivität und Konventsgeschichtc im Miniaturenprogramm des Hohenburger Hortus Deliciarum,
in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg.
von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/Julia DüCKER (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin
2012, S. 225-245.
3 Vgl. Loris STURLESE, Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen,
München 1993, hier S. 220-228; Fiona J. GRIFFITHS, The Garden of Delights: Reform and Renaissance
for Women in the Twelfth Century, Philadelphia 2007, S. 72-75.
4 Vgl. mit einer pointierten Kritik zuletzt Cedric GiRAUD, Per verba magistri. Anselme de Laon et son école
au XIL siècle (Bibliothèque d'histoire culturelle du Moyen Age 8), Turnhout 2010, S. 11-15.
5 Vgl. zum Konzept der Meistererzählungen Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen
und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, hg. von Frank REXROTH (Beihefte der His-
torischen Zeitschrift 46), München 2007; DERS., Das Mittelalter und die Moderne in den Meistercrzählun-
gen der historischen Wissenschaften, in: Erfindung des Mittelalters, hg. von Wolfgang HAUBRiCHs/
Manfred ENGEL (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 151), Stuttgart 2008, S. 12-31; Die
Deutschen und ihr Mittelalter - Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg.
von Gerd ALTHOFF, Darmstadt 1992, darin bes. Otto Gerhard OEXLE, Das Entzweite Mittelalter, S. 7-28.
6 Vgl. zu den entsprechenden Forschungsparadigmen hier nur Charles Homer HASKINS, The Renaissance
of the Twelfth Century, Cambridge 1927; Richard William SOUTHERN, Scholastic Humanism and the
Deuten, Ordnen und Aneignen I 211

Heute erweist sich die zwischen »Kloster« und »Schule« vorgenommene Aufteilung
des Forschungsfeldes jedoch als hinderlich. Längst ist deutlich geworden, dass die
älteren Ansätze gelehrte Innovation in genauso »normativer« wie »teleologischer«
Weise beurteilten - wie Christian Hesse und Klaus Oschema hervorheben, eines der
Hauptprobleme in der Erforschung von Innovationen in der Vormoderne/
Nach den typischen Erzählungen einer stark modernisierungstheoretisch den-
kenden Forschung kam es in Wissensdingen im Hochmittelalter zu einer Art Para-
digmenwechsel ü /<% Thomas S. Kuhn, also einer wissenschaftlichen »Revolution«:^
Zwar waren die Klosterschulen des frühen Mittelalters für die europäische Kultur
wichtig gewesen und eine sogenannte »Monastik« erscheint somit als alte, über
Jahrhunderte tradierte Wissenskultur. Die »Scholastik« wird dagegen als jüngeres
Wissenschaftsparadigma angesehen, herausgewachsen aus der unwiderstehlichen
Idee der Rationalisierung gelehrter Wissensbestände und der Ordnung und Sys-
tematisierung des Wissens, sogar des Wissens über das Heilige. Sie setzte sich in

Unification of Europe, 2 Bdc., Oxford 1995 und 2001; ferner DERS., The Making of the Middle Ages, Lon-
don 1953; DERS., Medieval Humanism and Other Studies, Oxford 1970; DERS., Western Society and the
Church in the Middie Ages, Harmondsworth 1970; Jean LECLERCQ, Wissenschaft und Gottvcrlangcn. Zur
Mönchstheoiogic des Mitteiaiters, Düsseidorf 1962 (ursprünglich französisch als L'amour des lettres et lc
désir de Dieu. Initiation aux auteurs monastiques du moyen âge, Paris 1957); Jean LECLERCQ, The Renewal
of Theology, in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, hg. von Robert Louis BENSON/Giles
CONSTABLE, Oxford 1982, S. 68-87; DERS., L'humanisme bénédictin du VUE au XIH siècle, in: Analecta
Monastica 1/Studia Anselmiana 20, Rom 1948, S. 1-20. Zur Einordnung Leidulf MELVE, »The Revolt
of the Medievalists«. Directions in Recent Research on the Twelfth-Century Renaissance, in: Journal of
Medieval History 32, 2006, S. 231-256; Marcia L. CoLiSH, Haskins' Renaissance Seventy Years Later:
Beyond Anti-Burckhardtianism, in: Haskins Society Journal 11, 1998 (erschienen 2003), S. 1-15; Rodney
Malcom THOMSON, Richard Southern and the Twelfth-Century Intellectual World: Essay Review of R. W.
Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Vol. 1: Foundations, Vol. 2: The Heroic
Age, in: Journal of Religious History 26/3, 2002, S. 264-273; George FERZOCO, The Changing Face of
Tradition: Monastic Education in the Middle Ages, in: Medieval Monastic Education, hg. von George FER-
zoco/Carolyn MuESSiG, London/New York 2000, S. 1-6; Constant J. MEWS, Virginity, Theology and
Pedagogy in the HrgmM???, in: Listen, Daughter. The SpecMAw thrgi?!%77i and the Formation of
Religious Women in the Middle Ages, hg. von DEMS., New York/Basingstoke 2001, S. 15-40, hier S. 3f.;
Ulrich RöPF, Scholastische und monastische Theologie, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der
Moderne, hg. von Dieter Richard BAUER/Gotthard FucHS, Innsbruck/Wien 1996, S. 96-135.
7 Vgl. Christian HESSE/Klaus OsCHEMA, Aufbruch im Mittelalter - Innovation in den Gesellschaften der
Vormoderne. Eine Einführung, in: Aufbruch im Mittelalter - Innovationen in den Gesellschaften der Vor-
moderne. Studien zu Ehren von Rainer C. Schwinges, hg. von DENS., Ostfildern 2010, S. 9-33, hier S. 18
und 21. Zum Phänomen der Innovation vgl. weiterhin Innovation in Klöstern und Orden des Hohen
Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/
Julia DüCKER (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, bes. Stefan WEiNFURTER, Innovation in
Klöstern und Orden des Mittelalters. Zusammenfassung, S. 297-305; Innovationsräume. Woher das Neue
kommt - in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von Rainer Christoph ScHWiNGEs/Paul MESSERLi/Tama-
ra MÜNGER, Zürich 2001.
8 Vgl. Thomas Samuel KuHN, The Nature and Necessity of Scientific Revolutions, in: Knowledge. Critical
Concepts, hg. von Nico STEHR/Reiner GRUNDMANN, Bd. 5: Sociology of Knowledge and Science, Lon-
don/New York 2005, S. 89-100.
212 I Sita Steckei

heftigen »Entscheidungsschlachten«^ wie dem berüchtigten Zusammenstoß von


Bernhard von Clairvaux (J1153) und Peter Abaelard (J1142) sozusagen als neues
Paradigma, als neue »Normalwissenschaft« durch. »Monastische« Autoren und Au-
torinnen wie Rupert von Deutz (j*1129), Bernhard von Clairvaux oder Hildegard
von Bingen (J 1179), die sich zu neuen theologischen Tendenzen kritisch stellten, er-
schienen als konservative Verweigerer, während die Tätigkeit der neuen schulischen
Elite mit Prozessen der Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Verschriftlichung
in Verbindung gebracht wird. Jüngere Varianten der zugrundeliegenden Meta-Er-
zählung sind teils abweichend akzentuiert, etwa sozioökonomisch ausgerichtet wie
die Überlegungen Richard E Moores zu einer europäisch identitätsbildenden »First
European Revolution«.*" Doch erscheint Religiosität - nicht zuletzt offenbar auf
den Spuren der »Renaissance«-Idee des 19. Jahrhunderts - als Hemmschuh und
»Anderes« moderner Wissenschaftlichkeit.
Diesen Fahrrinnen auf dem traditionsreichen Forschungsfeld ist nur zu ent-
kommen, wenn man die Engführungen bewusst macht. Die alte Frage nach der
Bedeutung hochmittelalterlicher Wissensproduktion für gesamtgesellschaftliche
Transformationsprozesse scheint etwa durchaus weiterhin legitim und interessant.
Genauso legitim ist jedoch die Frage nach der Rolle spezifisch klösterlicher oder
religiöser Wissensproduktion, die bislang wegen des Fokus auf säkularen Themen
zu wenig gestellt oder zumindest nicht im selben Atemzug diskutiert wurde. Dies
scheint nicht zuletzt dem gedanklichen Rahmen eines »Paradigmenwechsels« von
älterer »Monastik« zu neuer »Scholastik« geschuldet, der sehr deutlich als Einen-
gung moderner Wahrnehmungen hervortritt. Er ist jedoch längst hinderlich für die
Erforschung hochmittelalterlicher Wissenskulturen geworden. Genau wie das Eti-
kett der »Renaissance« hat er sich überlebt, denn mehrere mit ihm einhergehende
Ausgangsannahmen haben Geltung verloren und ihren bestehenden forschungs-
pragmatischen Nutzen eingebüßt.**
In vorderster Linie betrifft dies das Verständnis von Religion und von Wissen
(-schaft). Teile der älteren Forschung nahmen implizit oder explizit an, dass hoch-

9 Vgl. SOUTHERN, Scholastic Humanism (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 115.


10 Vgl. Robert Ian MOORE, Die erste Europäische Revolution. Gesellschaft und Kultur im Hochmittelalter,
München 2001 (englisch 2000).
11 Für differenziertere Überlegungen vgl. in diesem Band den Beitrag von Frank REXROTH sowie bereits
Sita STECKEL, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und
Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39), Köln/Weimar/Wien 2011, bes. S. 51-75 sowie DiES.,
Säkularisierung, Desakralisierung und Resakralisierung. Transformationen hoch- und spätmittelalterli-
chen gelehrten Wissens als Ausdifferenzierung von Religion und Politik, in: Umstrittene Säkularisie-
rung. Soziologische und historische Analysen zur Differenzierung von Religion und Politik, hg. von
Karl GABRiEL/Christel GÄRTNER/Detlef POLLACK, Berlin 2012, S. 134-175, hier S. 146. Ich hoffe, in
der Zukunft nochmals genauer auf die Forschungsgeschichte zu »Schule« und »Kloster« zurückkommen
zu können.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 213

mittelalterliche Verwissenschaftlichungsprozesse von profanen Motivationen getra-


gen würden, da Säkularisierung als Teil von Modernisierung gesehen wurde. Wenn
man die Motivationen der gelehrten Akteure nicht im konkreten Streben nach Kar-
riere in neuen städtischen, höfischen und kirchlichen Milieus des Hochmittelalters
suchte (wie Peter Classen oder der Großteil der anglophonen und frankophonen
Welt), so suchte man sie (wie Herbert Grundmann) in der Vorstellung eines wis-
senschaftsbegeisterten, aber offenbar profan gedachten <27720?* wA?26(?V Heute geht
man hingegen auch im Rahmen weltanschaulich neutral gedachter Geschichts- und
Religionswissenschaft davon aus, dass Religiosität eine kulturproduktive Kraft sein
kann, nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. »Religiöses
Wissen« kann daher auch schon für die Vormoderne als dynamisches Element einer
auf Wissen als Ressource gestützten Gesellschaft angenommen werden.^ Leclercqs
Gedanken, dass mittelalterliche Gelehrte Wissenschaft oft aus »Gottverlangen«
heraus betrieben,^ darf man somit getrost aufgreifen, muss deswegen aber keine
irgendwie abgrenzbare monastische Theologie postulieren. Im Gegenteil gilt es,
historische Formen von Religiosität und Sakralität und ihr Verhältnis zu Wissen
neu zu bestimmen.
Eine flexibilisierte Sichtweise könnte dann erlauben, bekannte Befunde und Pro-
bleme der Forschung aufzugreifen und zu einem neuen Gesamtbild zusammenzu-
fügen. Interessanter als das Postulieren von idealtypischen Wissensorten wie »Schu-
le« und »Kloster« erschiene eine systematische Untersuchung ihrer - bislang meist
ausgeblendeten - Zusammenhänge. Wo sehen wir konkrete Kommunikationszu-
sammenhänge, in denen sich innovative Übergänge und Adaptationen zwischen
Produktions- und Nutzungskontexten gelehrten Wissens vollziehen? Die Verbin-
dungen zwischen französischen Schulen und klösterlichen Konventen sind, wie
wir längst wissen, etwa äußerst eng, gerade wenn man sich auf die handschriftliche
Überlieferung einlässt: Dutzende von Studien, unter anderem von Valerie J. Flint,
Alison 1. Beach, Christina Lutter, Volkhard Huth, Ralph M. W. Stammberger und

12 Vgl. Peter CLASSEN, Die hohen Schuicn und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert, in: DERS., Studium und
Gesellschaft im Mittelalter, hg. von Johannes FRIED (Schriften der MGH 29), Stuttgart 1983, S. 1-26;
Herbert GRUNDMANN, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, in: DERS., Ausgewähltc Aufsätze,
Bd. 3: Bildung und Sprache (Schriften der MGH 25,3), Stuttgart 1978, S. 292-342.
13 Vgl. so für die Vormoderne mit vielen wichtigen Überlegungen Andreas HOLZEM, Die Wissensgesell-
schaft der Vormoderne. Die Transfer- und Transformationsdynamik des religiösen Wissens, in: Die Ak-
tualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität, hg. von Klaus RiDDER/
Steffen PATZOLD (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik
23), Berlin/New York 2013, S. 233-265, bes. S. 258-260; für die Moderne: Religionsproduktivität in
Europa. Markierungen im religiösen Feld, hg. von Jamal MALiK, Münster 2009; Vgl. auch die Beiträge
in Moderne und Religion: Kontroversen um Modernität und Säkularisierung, hg. von Ulrich WiLLEMS/
Detlef PoLLACK/Helcnc BASU u.a., Bielefeld 2012.
14 Vgl. den Titel von LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen (wie Anm. 12).
214 I Sita Steckei

Constant J. Mews, haben mittlerweile den von Peter Classen bereits 1959 gemach-
ten Befund wiederholt, dass »scholastische« Handschriften nicht nur in Schulen,
sondern mit Vorliebe auch in »monastischen« Zentren gelesen wurden.^ Immer
wieder hat man sich dabei wie bei Herrads Hortes Je/AMLMW stolz erstaunt über
die Innovativität klösterlicher Leser und Leserinnen gezeigt. Es gälte aber, über das
topische Erstaunen hinauszugelangen und den Befund ernstzunehmen: Gehören
Klöster und Stifte vielleicht gar zu den wichtigsten Abnehmern gelehrter Wissens-
produktion im Hochmittelalter?^ Müssten wir die längst vorliegenden Forschun-
gen nicht einmal unter diesem Gesichtspunkt in Zusammenschau bringen, um so
die mittelfristig angelegte, generationenübergreifende Dynamik des Aufkommens,
der Verbreitung und der Festigung innovativer wissensgeschichtlicher Tendenzen
in den Blick zu bekommen?
Das Beispiel der klösterlichen Weltenzyklopädie Herrads von Hohenburg
könnte vor diesem Hintergrund auch anders auf die Innovation der Schulen bezo-
gen werden: Interessant ist an ihm nicht nur, dass ein »neues« Wissen der Schulen
rezipiert wird. Aufschlussreich erscheint schon die Form des kompendiösen Über-
blicks, der sich offenbar einem bestimmten Bedarf verdankte. Ziel der Wissensan-
eignung im Stift Hohenburg war jedoch nicht etwa eine theologische Spezialaus-
bildung, sondern offenbar die christliche Vervollkommnung und Heilsgewinnung

15 Vgl. Peter CLASSEN, Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern, in: DERS., Ausge-
wählte Aufsätze, hg. von Josef FLECKENSTEiN/Carl Joachim ÖLASSEN/Johannes FRIED (Vorträge und
Forschungen 28), Sigmaringen 1983, S. 279-306. Classen bezog sich besonders auf Süddcutschland, doch
sind mittlerweile vergleichbare Befunde auch für norddeutsche Gemeinschaften gemacht worden, vgl.
etwa Nathalie KRUPPA, Reform und Bildung. Die Klosterreformen der Hildesheimer Bischöfe im 12.
Jahrhundert am Beispiel der Regularkanonikerreform, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen
Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stcfan BuRKHARDT/
Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, S. 39-64. Vgl. zu den süddeutschen Klös-
tern Valerie Irene Jane FuNT, The »School of Laon«: A Reconsideration, in: Recherches de théologie
ancienne et médiévale 43, 1976, S. 89-110; Alison 1. BEACH, Women as Scribes. Book production and
Monastic Reform in Twelfth-Century Bavaria, Cambridge 2004; Manuscripts and Monastic Culture.
Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von DERS. (Medieval Church Studies 13), Turn-
hout 2007; Christina LuTTER, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische
Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Ge-
schichtsforschung 43), Wien/München 2005; Volkhard HuTH, Staufische »Reichshistoriographie« und
scholastische Intellektualität. Das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von
regionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-Forschungen 14), Ostfildern 2004; Ralf
Max Willi STAMMBERGER, The Works of Hugh of St. Victor ad Admont: A Glance at an Intellectual
Landscape in the Twelfth Century, in: Schrift, Schreiber, Schenker. Studien zur Abtei Sankt Viktor in
Paris und den Viktorinern, hg. v. Rainer BERNDT SJ (Corpus Victorinum. Instrumenta 1), Berlin 2005, S.
233-261.
16 So in Ansätzen schon FLINT, The »School of Laon« (wie Anm. 15); expliziter Constant J. MEWS, Scho-
lastic Theology in a Monastic Milieu in the Twelfth Century: The Case of Admont, in: Manuscripts and
Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von Alison 1. BEACH (Medie-
val Church Studies 13), Turnhout 2007, S. 217-239.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 215

der Rezipientinnen. Wie die Anordnung des Je/icMrMW als historisches


Gesamtbild der Welt von der Schöpfung bis zur Endzeit zeigt, suchte man das Heil
nicht (oder nicht allein) in wissenschaftlicher Erörterung, sondern im Verständnis
umfassender Ordnungen.
Der Versuch, Wissensbestände zu vervollständigen, zu systematisieren, in ihnen
nach Deutungsmustern zu forschen und diese verständlich darzubieten, ist jedoch
nicht nur Herrads eigen. Er findet sich in vielen Wissenskom-
pendien, die in Klöstern, in Schulen oder an Höfen erstellt wurden. Ein eher sel-
tenes Merkmal ist dagegen der im Hortes als »enzyklopädisch« zu bezeichnende
Anspruch auf umfassende Darstellung eines geordneten Wissensbestandes.^ Er
muss selbst als hochinteressante Neuerung gewertet werden: Wie Christel Meier
herausgestellt hat, sind Veränderungen der stark mit Ordnungsvorstellungen aufge-
ladenen Gattung der Enzyklopädie immer als Indikatoren unterliegenden sozialen
Wandels zu werten V Doch auch solche kompendiösen Wissenssammlungen, die
den Kriterien enzyklopädischer Vollständigkeit und Anordnung nicht gerecht wer-
den, lassen sich in einen ähnlichen Kontext einordnen. Die mit dem Hochmittelalter
neu einsetzende Produktion von Wissenskompendien gibt Einblicke in die Entste-
hung unterschiedlicher Nutzungskontexte gelehrten Wissens. Sie soll im Folgenden
daher an wenigen, exemplarischen Texten verfolgt werden, um ein flexibleres Bild
hochmittelalterlicher Innovationstendenzen zu zeichnen. Dazu sollen an verschie-
denen wissensorganierenden oder enzyklopädischen Texten, die religiöses Wissen
enthalten - anhand von Einzelfällen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - drei
spezifische innovative Dynamiken und ihre Kontexte diskutiert werden. Sie werden
hier aufeinanderfolgend geschildert, treten zwischen c. 1050 und 1250 aber auch
gleichzeitig auf. Es soll zunächst nach der Produktion von Wissen für neue gesell-

17 Zur Begriffsbestimmung des »Enzyklopädischen« im Mittelalter vgl. Christel MEIER, Grundzüge der
mittelalterlichen Enzyklopädik. Zu Inhalten, Formen und Funktionen einer problematischen Gattung,
in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposium Wolfenbüttel
1981, hg. von Ludger GRENZMANN/Karl STACKMANN (Germanistische Symposien. Berichtsbände 5),
Stuttgart 1981, S. 467-500, hier S. 470. Zur Gattung DiES., Enzyklopädischer Ordo und sozialer Ge-
brauchsraum. Modelle der Funktionalität einer universalen Literaturform, in: Die Enzyklopädie im Wan-
del vom Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit, hg. von DERS. (Münsterschc Mittelalter-Schriften 78),
München 2002, S. 511-532 (sowie die weiteren Beiträge ebd., bes. Christel MEIER, Einführung, S. 11-24);
DiES., Uber den Zusammenhang von Erkenntnistheorie und enzyklopädischem Ordo in Mittelalter und
Früher Neuzeit, in: Frühmittelalterliche Studien 36, 2002, S. 171-)92; DIES., Wissenskodifikation und
Informationsbedarf in der vormodernen Gesellschaft. Neue Forschungsansätze zu einer pragmatischen
Gattungsgeschichte der mittelalterlichen Enzyklopädie, in: Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher
Schriftkultur. Akten des Internationalen Kolloquiums 26.-29. Mai 1999, hg. von DERS. (Münstersche
Mittelalter-Schriften 79), München 2002, S. 191-210; Michael BALDZUHN, Schulunterricht und Ver-
schriftlichungsprozeß. Forschungsansätze und Forschungsergebnisse, in: ebd., S. 161-175.
18 MEIER, Einführung (wie Anm. 17), S. 18.
216 I Sita Steckei

schaftliche Problemstellungen, dann nach Sammlung und deutender Ordnung von


Wissen, schließlich nach der selektiven Anpassung an veränderte Benutzungskon-
texte gefragt werden.

Antworten auf neue Fragen: Honorius Augustodunensis


und die Kontexte seines Erfolges

Interessante Schlaglichter auf wissensgeschichtliche Innovationen des 11. Jahrhun-


derts wirft eines der von Herrad im genutzten Werke - das E7%-
des gelehrten Benediktiners und späteren Einsiedlers Honorius Augus-
todunensis (*j* nach 1150)A
Das Leben dieses biographisch kaum fassbaren, aber ungeheuer produktiven
Autors führt zunächst vor Augen, dass sich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhun-
derts und dem früheren 12. Jahrhundert in Europa verschiedene reformorientierte
Kirchen- und Klosterlandschaften bildeten, beispielsweise ein anglo-normanni-
sches und ein süddeutsches Reformnetzwerk.^° Honorius könnte möglicherweise
sein erstes Lebensdrittel (* um 1080) in den teils klerikalen, teils benediktinischen
Netzwerken des anglo-normannischen Raumes verbracht haben. Das
verfasste er als eines seiner ersten Werke, wohl um 1100. Einige Jahre nach 1100 ist
Honorius aber in Süddeutschland zu lokalisieren. Er scheint den letzten Teil seines
Lebens als Inkluse bei Weih St. Peter in Regensburg verbracht zu haben.

19 Zu Honorius Augustodunensis vgl. den Überblick bei Dagmar GoTTSCHALL, Das »Elucidarium« des
Honorius Augustodunensis. Untersuchungen zu seiner Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte im
deutschsprachigen Raum mit Ausgabe der niederdeutschen Übersetzung (Texte und Textgeschichte ßß),
Tübingen 1992, hier S. 8-12. Valerie Irene Jane FLINT, The Career of Honorius Augustodunensis: Some
Fresh Evidence, in: Révue Bénédictine 82, 1972, S. 6ß-86; DtES., The Chronology of the Works of Ho-
norius Augustodunensis, in: Révue Bénédictine 82, 1972, S. 215-242. Eine Edition des Textes bei Yves
LEFÈVRE, L'Elucidarium et les lucidaires. Contributions par Fhistoire d'un texte à l'histoire des croyances
religieuses en France au Moyen Âge (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome 108),
Paris 1954 (Edition S. 559-479). Zum Kontext Valerie Irene Jane FLINT, The »Elucidarius« of Honorius
Augustodunensis and Reform in Late Eleventh-Century England, in: Révue bénédictine 85,1975, S. 179-
188; DiES., The Place and Purpose of the Works of Honorius Augustodunensis, in: Révue bénédictine
87, 1977, S. 97-118. Vgl. zu Honorius ferner auch Robert LuFF, Wissensvermittlung im europäischen
Mittelalter. »Imago mundi«-Werke und ihre Prologe (Texte und Textgeschichtc 47), Tübingen 1999, bes.
S. 20-57; Josef Anton ENDRES, Honorius Augustodunensis. Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebens
im 12. Jahrhundert, Kempten/München 1905.
20 Vgl. in Ermangelung vergleichender Literatur exemplarisch zum anglo-normannischen Raum Richard
William SOUTHERN, Saint Anselm. Portrait in a Landscape, Cambridge 1990; zu Süddcutschland Ian
Stuart ROBINSON, The Friendship Network of Gregory VII, in: History 6ß, 1978, S. 1-22; zu Flandern
jetzt Steven VANDERPUTTEN, Monastic Reform as Process. Realities and Representations in Medieval
Flanders, 900-1100, Ithaca, NY 201ß.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 217

Das nordfranzösisch-normannische Mönchtum hatte schon zu Beginn des


11. Jahrhunderts stark an einem gesteigerten religiösen Interesse partizipiert, das
sich unter anderem in klösterlichen Neugründungen wie dem vom Ritter Herluin
gegründeten kleinen Kloster Bec und in religiös motivierten Wanderungen nieder-
schlugA Die beiden intellektuellen Führungsfiguren des Klosters Bec, Lanfranc von
Bec und sein Schüler Anselm, waren »Einwanderer« aus Italien, die ein strenges
religiöses Leben verwirklichen wollten, gleichzeitig aber ausgeprägte intellektuelle
Interessen pflegten und diese Ziele in der Normandie verwirklichen zu können
glaubten. In der Lebenszeit der beiden italienischen Mönche, die einander schließ-
lich als Erzbischöfe von Canterbury ablösten (Lanfranc 1070-j* 1089, Anselm
1093 -*j* 1109), verdichtete sich der anglo-normannische Herrschaftsraum erheblich,
nicht zuletzt mit der Eroberung Englands 1066. Enge Kontakte zum Reformpapst-
tum sorgten für eine Weiterführung und Adaptation von Reformansätzen. Eines
von mehreren regionalen Reformnetzwerken in Europa entstand, im Falle der Nor-
mandie zunächst mit einer starken Prägung durch benediktinische Klöster, zu de-
nen bald Neugründungen von Regularkanonikerkonventen traten.
Ähnlich verhält es sich in Süddeutschland, wo die adelige Unterstützung für
Kirchenreform und Reformpapsttum nicht nur zum Widerstand gegen Heinrich IV.
führte, sondern auch die Gründung von Regularkanonikerstiften wie Rottenbuch
und Marbach und ein Aufleben des reformorientierten benediktinischen Mönch-
tums etwa um Siegburg, Hirsau und Sankt Blasien zu verzeichnen sindA Auch
hier diskutierte man die mit der Kirchenreform auftretenden Streitfragen. In den
süd- und westdeutschen gregorianischen Zirkeln wurden Streitschriften zum In-
vestiturstreit, insbesondere aber auch zur Sakramententheologie produziert, etwa
von Bernold von Konstanz ('fllOO)A Die Werke des Honorius Augustodunensis

21 Vgl. zu Bec, Lanfranc und Anselm von Bec Herbert Edward John CowDREY, Lanfranc. Scholar, Monk
and Archbishop, Oxford 2003; Sally N. VAUGHN, Archbishop Anselm 1093-1109: Bec Missionary, Can-
terbury Primate, Patriarch of Another World (The Archbishops of Canterbury Series), Farnham/Bur-
lington, Vt. 2012; SOUTHERN, Saint Anselm (wie Anm. 20); Sally N. VAUGHN, The Abbey of Bec and the
Anglo-Norman State, 1034-1136, Woodbridge, Ma. 1981.
22 Vgl. Klaus SCHREINER, Hirsau und die Hirsauer Reform. Lebens- und Verfassungsformen einer Reform-
bewegung, in: Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, hg.
von Ulrich FAUST/Franz QuARTHAL, St. Ottilien 1999, S. 89-124; Monica SiNDERHAUF, Die Reform
von St. Blasien, in: ebd., S. 125-140; Josef SEMMLER, Die Klosterrcform von Siegburg (11. und 12. Jahr-
hundert), in: ebd., S. 141-151. Mit Überlegungen zur Wissensvermittlung besonders Constant J. MEWS,
Monastic Educational Culture Revisited: The Witness of Zwiefalten and the Hirsau Reform, in: Medieval
Monastic Education, hg. von George FERZOCO/Carolyn MuESSiG, London/New York 2000, S. 182-197.
23 Vgl. zu Bernolds Schriften Ian Stuart ROBINSON, Bernold von Konstanz und der gregorianische Reform-
kreis um Bischof Gebhard III., in: Freiburger Diözesan-Archiv, 109, 1989, S. 155-188; Heinrich WEis-
WEiLER, Die vollständige Kampfschrift Bernolds von St. Blasien gegen Berengar: De veritate corporis et
sanguinis domini, in: Scholastik 12, 1937, S. 59-93.
218 I Sita Steckei

dürften bei seiner Übersiedlung nach Süddeutschland also auf vergleichbare Inter-
essen gestoben sein.^
Sein E/MczJ<%7VM7?2, ein umfassender Lehrdialog zu theologischen Fragen, erfreute
sich höchster Popularität und wurde noch im 12. Jahrhundert übersetzt, im Verlauf
der Jahrhunderte sogar in mehrere Volkssprachen. Was war der Hintergrund dieses
Erfolges? In sehr einfachem Latein werden im E/McüDnMm in Form eines Lehrer-
Schüler-Dialogs theologische Grundfragen in einer allgemein verständlichen Weise
erläutert. In drei grob heilsgeschichtlich geordneten Büchern De Je Ec-
<Je$Ez, Je werden zunächst die Beschaffenheit Gottes, Menschwer-
dung Christi und Erlösung besprochen, dann werden Sünden und Heilschancen
des Menschen bzw. verschiedener Statusgruppen, schließlich die letzten Dinge, Tod
und Jenseits behandelt. Das E/%<JJ<%?JM7-?7 reduziert die komplexen Materien jedoch
auf einprägsame Happen und bietet zu den vom Schüler gestellten Fragen einfache,
leicht vermittelbare und memorierbare Antworten.
Mit dieser Ausrichtung illustriert das E/^AJ^rmw, dass im Zuge verschiedener
Reformbewegungen des 11. Jahrhunderts auch weniger Gebildete ein gesteigertes
Interesse an christlichen Lehren über Gott und die Welt entwickelten.^ Einen Kern
des Werks bildet beispielsweise das zweite Buch des E/%cztürmm mit ausführlichen,
für die Seelsorge nutzbaren Darlegungen zu Sünde, Buße und Heilserwartung. Der
dritte Teil mit einer überaus plastischen, wie Marcia Colish akzentuiert, geradezu
»synästhetisch«^ farbigen Darstellung von letzten Dingen, Weitende und Weltge-
richt illustriert einen Kontext der intensivierten Religiosität und Heilssuche. Die
Suche nach Gottesnähe erweist sich ganz unmittelbar als Motivation der Produk-
tion und Rezeption von Wissen.

24 In anderen Regionen und bei stärkerem Bezug auf das gelehrte Recht im Zusammenhang mit der Kir-
chenreform wären hier zusätzliche Entwicklunslinien einzubezichcn. Sie können hier nicht einbezogen
werden, vgl. aber exemplarisch für jüngere Forschungen Florian HARTMANN, Ars dictaminis. Briefsteller
und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts (Mittelal-
ter-Forschungen 44), Ostfildern 2013; Kriston R. RENNiE, Faw and Practice in the Age of Reform. The
Fegatine Work of Hugh of Die (1073-1106) (Medieval Church Studies 17), Turnhout 2010; Christof
RoLKER, Canon law and the letters of Ivo of Chartres (Cambridge Studies in Medieval Fife and Thought.
4& gering 76), Cambridge/New York 2009; Chris WiCKHAM, Courts and conflict in Twelfth-Century
Tuscany, Oxford 2003.
25 Vgl. zur Einteilung die Zitate in GOTTSCHALL, Das »Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 9.
26 Vgl. Johannes FAUDAGE, Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für
Kulturgeschichte 22), Köln/Wien 1984; DERS., Gregorianische Reform und Investiturstreit (Erträge der
Forschung 282), Darmstadt 1993; Wilfried HARTMANN, Der Investiturstreit (Enzyklopädie Deutscher
Geschichte 21), München 1996, S. 79-83; Hans-Werner GoETZ, Gott und die Welt. Religiöse Vorstel-
lungen des frühen und hohen Mittelalters, Bd. 1: Das Gottesbild (Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten
des Mittelalters 13), Berlin 2011, S. 241-252.
27 Vgl. Marcia F. CoLiSH, Peter Fombard, 2 Bde. (Brill's Studies in Intellectual History 41), Feiden/Boston
1994, hier Bd. 1,S. 40.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 219

Fragt man nach Hintergründen und Verbreitung des im 12. Jahr-


hundert, werden jedoch zusätzliche Kontexte seines Innovationserfolgs deutlich:
Wie in der Forschung vielfach erwähnt wurde, popularisierte Honorius die Schrif-
ten Anselms von Canterbury (J 1109) und anderer gelehrter Autoren sehr stark.
Man hat ihm aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht eine »Banalisierung Anselms«
attestiert und ihn etwas abwertend als bloßen Handbuchautor und »vulgarisateur«
bezeichnet.^ Der einfache, popularisierende Duktus des und seine
Betonung von Sünde und Buhe dürften sich jedoch einem Wunsch nach Vermitt-
lung an ein Laienpublikum verdanken. Wie wir dank der Forschungen Flints und
anderer sagen können, wurde das zwar offenbar zur Belehrung und
Erbauung von englischen und süddeutschen Reformbenediktinern geschrieben und
abgeschrieben. Entstehungshintergrund war jedoch der heftige Druck auf englische
Mönche, sich in der Seelsorge nützlich zu machenA Die Form der Wissenskompi-
lation des Honorius Augustodunensis wuchs so offensichtlich aus einem unmittel-
baren pastoralen Bedarf heraus.
Beim Durchblättern des E/MczJnrmw fallen zudem weitere Einflussfaktoren
auf einen steigenden Bedarf an bestimmten Wissensbeständen auf: Der Text gibt
offensichtlich nicht nur auf allgemeine Fragen zum christlichen Leben Antwor-
ten, sondern informiert auch zu spezifischen, kontrovers diskutierten Themen des
11. Jahrhunderts, auf die man mittlerweile in der Seelsorge besonders achtete. Sehr
ausführlich wird im ersten Buch des beispielsweise die Frage disku-
tiert, ob der Empfang der Sakramente bei unwürdigen, da verheirateten oder simo-
nistischen Priestern unwirksam sei oder den Gläubigen schade^" - ein Thema, das
im Rahmen der Kirchenreform breit diskutiert worden war, die Kirche in ihren
wesentlichsten Grundlagen betraf und äußerste politische und soziale Sprengkraft
besaß. Direkt vor den entsprechenden Passagen behandelt das auch
knapp die Natur der Eucharistie, um deren Charakter es zwischen 1049 und 1079
intensive Diskussionen zwischen verschiedenen gelehrten Netzwerken gegeben
hatteA Die hohe Offentlichkeitswirkung des Themas hing ebenfalls daran, dass die

28 Vgl. für die (zumeist eher negativen) Einschätzungen des Honorius Augustodunensis die Zusammen-
fassung bei GoTTSCHALL, Das »Eiucidarium« (wie Anm. 19), S. 12-13; STURLESE, Die deutsche Phi-
losophie (wie Anm. 3), S. 119-129; Christine BiscHOFF, Le Texte, in: Herrad of Hohenbourg, Hortus
Deliciarum, hg. von Rosalie GREEN/Thomas Julian BROWN/Kenneth LEVY, Bd. 2: Commentary (Studies
of the Warburg Institute 36), London 1979, S. 37-62, hier S. 46.
29 Vgl. pLiNT, The »Elucidarius« (wie Anm. 19).
30 Vgl. Honorius Augustodunensis, Eiucidarium (wie Anm. 19), lib. I, cap. 185-192, S. 395-397. Zum
Kontext vgl. Robert Ian MooRE, The War on Heresy, Cambridge, Ma. 2012, hier S. 71-86.
31 Vgl. jeweils mit weiteren Verweisen STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 886-923; Charles
M. RADDiNG/Francis NEWTON, Theology, Rhetoric, and Politics in the Eucharistic Controversy, 1078-
1079. Albcric of Monte Cassino against Berengar of Tours, New York 2003.
220 I Sita Steckei

Eucharistie buchstäblich alle Christen anging und ein für die Seelsorge wichtiges
und gleichzeitig höchst diffiziles Thema war. Nicht zuletzt dürften die Diskussi-
onen aber auch von der Angst befeuert gewesen sein, dass Zweifel an der Realität
der Eucharistie zu einer Geringschätzung des darin liegenden Sakraments führen
könnten - ähnlich wie dies bei einigen der seit der Jahrtausendwende vermehrt
auftretenden häretischen Gruppen konstatiert wurdeA
Gleich zu Anfang des hauptsächlich mit Gott befassten ersten Buches wird zu-
dem der Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn (/z/zo^Mc) erwähntA
Dies war einer der Streitpunkte zwischen römisch-lateinischer und byzantinisch-
orthodoxer Kirche, die im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und
Rom im 11. Jahrhundert neu aufgelegt wurden A In der Diskussion von Erbsünde
und Heilsplan wird schließlich die Frage angeschnitten, warum Christus als Mensch
inkarniert wurde und nicht als Prophet oder Engel zur Rettung der Menschen
auftrat, was auf die sich intensivierende Polemik zwischen Christen, Juden und
Muslimen verweistA In den im E/zzczJtzrzzzzz behandelten Fragen lassen sich also
immer wieder Kontroversen identifizieren, die sich im 11. Jahrhundert aus neuen
kommunikativen Verdichtungen ergeben hatten und die in einer situativ entste-
henden, teils überregionalen Debattenöffentlichkeit Resonanzraum gewannen A
Auf der Basis sozioökonomischen Aufschwungs traten neue, an Religiosität inter-
essierte und genauso stiftungs- wie reformfreudige adelige Eliten etablierten poli-
tischen Führungsgruppen entgegen, verbündeten oder verfeindeten sich, während
sich gleichzeitig mit neuen Kontakten zum Mittelmeerraum wie nach Nord- und
Osteuropa viele Konfliktlinien ergaben. In Aufnahme verschiedener Ansätze zur
Religionsgeschichte und Religionssoziologie kann man diese Prozesse theoretisch
als Neuordnung des religiösen und intellektuellen Feldes in der lateinischen Chris-
tenheit fassen. ^

32 Vgl. Malcolm LAMBERT, Medieval Heresy. Popular Movements from the Gegorian Reform to the Reforma-
tion, 3. Aufl. Malden, Ma./Oxford 2002, hier S. 3-52; MoORE, The War on Heresy (wie Anm. 30), S. 13-71.
33 Vgl. Honorius Augustodunensis, Elucidarium (wie Anm. 19), lib. I, cap. 6, S. 362.
34 Vgl. Bernd OBERDÖRFER, Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen
2001, S. 165-234.
35 Vgl. Honorius Augustodunensis, Elucidarium (wie Anm. 19), lib. I, cap. 116-120, S. 382-383. Zur reli-
giösen Polemik in dieser Zeit Anna Sapir ABULAFIA, Christians and Jews in Dispute: Disputational Li-
terature and the Rise of Anti-Judaism in the West (c. 1000-1150) (Collected Studies Series 621), Ashgate
1998; Christoph AuFFARTH, Die Anbetung Mohammeds. Bilder von den Muslimen im europäischen
Mittelalter, in: Religiöser Pluralismus im Mittelalter? Besichtigung einer Epoche der Europäischen Reli-
gionsgeschichte, hg. von DEMS. (Religionen in der pluralen Welt 1), Münster 2007, S. 79-102.
36 Vgl. zur Rolle des Investiturstreits für hochmittelalterliche Kommunikationsstrukturen ausführlich Lei-
dulf MELVE, Inventing the Public Sphere. The Public Debate during the Investiture Contest (c. 1030-
1122), 2 Bde. (Brill's Studies in Intellectual History 154), Leiden/Boston 2007.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 221

Derartige Verschiebungen erscheinen als wichtiger Erklärungshintergrund für


den Erfolg des Honorius Augustodunensis. Sie durchkreuzen eine naive Vorstel-
lung von »Innovationen« als guten Ideen, die sich wegen ihres Erfolges überregio-
nal durchsetzen. Elonorius' Erfolg kam keineswegs allein dadurch zustande, dass er
»besseres« oder neues Wissen anzubieten hatte. Man hatte im Gegenteil einen brei-
ten, überregional gegebenen Bedarf für die Lösungen, die er anbot - Fragen nach
der Reinheit der Priester, der Wirklichkeit der Eucharistie oder der Inkarnation
Christi wurden im ganzen lateinischen Europa und an seinen Grenzen diskutiert.
Eher erwies sich die von Honorius gebotene einfache, leicht vermittelbare Form
als überlegen und machte eine breite Rezeption möglich - denn Antworten auf
die Fragen und Probleme hätte es anderswo in Europa auch in abstrakterer oder
gelehrterer, genauer argumentierender Form gegeben. Der Inhalt der Werke des
Honorius dürfte seinen Erfolg jedoch in einer anderen Weise begründen: Honori-
us' gewissermaßen »lokale« Theologie erwies sich als überregional nutzbar, da sie
Interessen entsprach, die im Hochmittelalter überregional vertreten wurden - die-
jenigen der reformorientierten geistlichen Eliten, die im Zusammenhang mit dem
Reformpapsttum standen.
Ihr Bedarf sollte sich im Zeichen der Kirchenreform in ganz Europa exponentiell
vermehren. Neben reformorientierte Klöster und Klosterverbände wie Cluny, die
anglo-normannischen Netzwerke oder die Hirsauer traten bald die neuen Regular-
kanonikerobservanzen, die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts einen intensiven Auf-
schwung erlebtenA Sie bildeten gewissermaßen einen alternativen, etwas jüngeren
Kanal des intensivierten religiösen Interesses und Reformwillens des 11. Jahrhun-
derts. Stärker noch als das eher aus Tradition in lokale Pfarreistrukturen einbezo-
gene Benediktinertum waren sie auf die Seelsorge ausgerichtet, wurden zumeist in

Field. Legal Conflicts over Religion as Struggles over Blurring Borders, in: Journal of Religion in Europe
2, 2009, S. 1-20; Volkhard KRECH, Dynamics in the History of Religions - Preliminary Considerations
on Aspects of a Research Programme, in: Dynamics in the History of Religions between Asia and Europe:
Encounters, Notions and Comparative Perspectives, hg. von DEMS./Marion STEiNiCKE (Dynamics in the
History of Religions 1), Leiden 2011, S. 15-70.
38 Vgl. zu den Regularkanonikern im Hochmittelalter (mit Verweisen auf weitere Literatur) Julian FÜH-
RER, König Ludwig VI. von Frankreich und die Kanonikerreform (Europäische Hochschulschriften,
Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 1049), Frankfurt am Main 2008, bes. S. 15-43; Alfred
WENDEHORST/Stefan BENZ, Verzeichnis der Augustiner-Chorherren und Chorfrauen, in: Jahrbuch für
fränkische Landesforschung 56,1996, S. 1-110; Julian FÜHRER/Stefan WEiNFURTER, Funktionalisierung
und Gemeinschaftsmodcll. Die Kanoniker in der Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Die
Stiftskirche in Südwestdeutschland. Aufgaben und Perspektiven der Forschung, hg. von Sönke LoRENz/
Oliver AuGE (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 35), Leinfelden/Echterdingen 2003, S. 107-
121; Josef SiEGWART OP, Die Chorherren- und Chorfrauengemeinschaften in der deutschsprachigen
Schweiz vom 6. Jahrhundert bis 1160 (Studia Friburgensia. Neue Folge 30), Freiburg, Schweiz 1962;
Charles DEREiNE, Chanoines (des origines au XIIH siècle), in: Dictionnaire d'histoire et de géographie
ecclésiastiques, hg. von Roger AuBERT/Alfred BAUDRILLART, Bd. 12, Paris 1953, Sp. 353-405.
222 I Sita Steckei

unmittelbarem Zusammenhang mit kirchenreformerischen Anliegen eingerichtet.


Ihr Auftreten ließ unter anderem Konflikte darüber aufbrechen, ob Mönche sich
noch in der Seelsorge engagieren durften oder ob das nicht dem regulierten oder
weltlichen Klerus Vorbehalten bleiben sollte A Im Folgenden gilt es jedenfalls, die
Chronologie eines durch solche neuen Zentren gesteigerten Bedarfs im Auge zu
behalten: Wiewohl reformierte monastische Gemeinschaften und Regularkanoni-
ker seit dem 11. Jahrhundert verstärkt eingerichtet wurden, erlebten sie auch nach
1100 mit größeren Verbänden wie den Prämonstratensern oder der Kongregation
von St. Viktor noch intensive Zuwächse und Konsolidierungsprozesse. Viele der
neuen, in überregionale Netzwerke eingebundenen Stifte hatten nicht nur einen
erhöhten Bedarf an hochwertiger Ausbildung für ihre Insassen, sondern waren auch
in der Seelsorge mit der Wissensvermittlung an Laien befasst. Auch Frauengemein-
schaften entstanden in großer Zahl und die ließ weiteren Bedarf
nach Wissenssammlungen entstehend" Die Reformwellen des 11. Jahrhunderts, die
kurz vor der Jahrhundertwende auch noch die Zisterzienser als wiederum stärker
klösterlich-zönobitisch orientierten Reformorden hervorbrachten, setzten sich im
12. Jahrhundert nicht nur in weiteren Gründungen fort, sondern auch in Prozessen
der Konsolidierung und Ausstattung relativ junger Klöster und Stifte. Ein Wis-
senskompendium wie das des Honorius Augustodunensis war also
noch lange Zeit aufgrund eines erheblich gesteigerten Bedarfs an gut vermittelbarem
theologischem Grundwissen äußerst stark nachgefragtA

39 Zu Streitigkeiten um die Rolle der Mönche in der Seelsorge im Hochmittelalter vgl. Giles CONSTABLE,
Monastic Tithes: From Their Origins to the Twelfth Century (Cambridge Studies in Medieval Life and
Thought. New Series 10), Cambridge 1964; FLINT, Place and Purpose (wie Anm. 19), S. 98; John VAN
ENGEN, Rupert of Dcutz (Publications of the UCLA Center for Medieval and Renaissance Studies 18),
Berkeley 1983, hier S. 299-335; ferner Michel PBUCHMAURD, Le pretre ministre de la parole dans la thé-
ologie du XIL siècle: Canonistes, moines, et chanoines, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale,
29, 1962, S. 52-76; Phyllis G. jESTiCE, Wayward Monks and the Religious Revolution of the Eleventh
Century (BrilPs Studies in Intellectual History 76), Leiden/Boston 1997.
40 Vgl. zu Frauengemeinschaften Franz FELTEN, Frauenklöster und -stifte im Rheinland im 12. Jahrhundert.
Ein Beitrag zur Geschichte der Frauen in der religiösen Bewegung des hohen Mittelalters, in: Reformidee
und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich. Vorträge der Tagung der Gesellschaft für Mittel-
rheinische Eirchengeschichte, 11.-13. September 1991, Trier, hg. von Stefan WEiNFURTER/Hubertus SEI-
BERT (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 189-300;
Thomas SCHILP, Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemcinschaften im Frühmittelalter. Die Institu-
tio Sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkom-
munitäten (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 137), Göttingen 1998; LuTTER,
Geschlecht & Wissen (wie Anm. 15); GRIFFITHS, The Garden of Delight (wie Anm. 3); sowie viele Beiträge
in Listen, Daughter. The and the Formation of Religious Women in the Middle Ages,
hg. von Constant J. MEWS, New York/Basingstokc 2001, bes. Julie HoTCHiN, Female Religious Life and
the Cura Monialium in Hirsau Monasticism, 1080 to 1150, in: ebd., S. 59-85; Elisabeth Bos, The Literature
of Spiritual Formation for Women in France and England, 1080 to 1180, in: ebd., S. 201-220.
41 Vgl. so auch LuTTER, Geschlecht & Wissen (wie Anm. 15), S. 43; LuFF, Wissensvermittlung (wie Anm.
19), S. 50-57.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 223

Die Betrachtung der Entstehungs- wie der Nutzungskontexte des


führt somit einen graduellen Prozess des 11. und 12. Jahrhunderts vor Augen: Spe-
zifische gesellschaftliche Tendenzen förderten ein gesteigertes Interesse für neue ge-
lehrte Lösungsentwürfe und begünstigten so die Entstehung und Verbreitung neuer
Formen von Expertise. Klösterliche Gemeinschaften werden dabei in verschiedenen
Rollen sichtbar: Das alte, hauptsächlich benediktinische Mönchtum war oftmals
wie der Klerus in die Seelsorge eingebunden, hatte aber in vielen Fällen gegenüber
dem Lokalklerus einen erheblichen Vorsprung kultureller Ressourcen. Ein gestei-
gerter Bedarf und intensivierte religiöse und intellektuelle Ansprüche gingen zudem
von reformierten monastischen Gründungen und den neuen Regularkanonikerver-
bänden des 11. und frühen 12. Jahrhunderts aus, die einen wesentlichen Faktor im
Prozess der inneren Verdichtung und Zentralisierung der römischen Kirche und im
Zusammenwachsen europäischer Regionen darstellten. Klösterliche und kanonika-
le Zentren und Netzwerke wurden also gleich in dreierlei Hinsicht bedeutend für
neue gesellschaftliche Normen und gelehrte Konfliktlösungen: (1) Teils waren sie
aufgrund vorhandener Ressourcen Wissensproduzenten und sozusagen »Labore«,
die Neues bereitstellten. (2) Teils waren sie wegen des gesteigerten Bedarfs gleich-
zeitig die »Experimentierfelder« wie die Abnehmer des neuen Wissens aus alten
Versatzstücken. (3) Darüber hinaus bildeten sie durch Verbandsbildungen oder
durch personale Vernetzung oftmals die Kommunikationsnetzwerke, in denen neue
Lösungsmodelle verbreitet wurden und wichtige Resonanzen erfuhren.

Anseim von Laon und Rupert von Deutz:


Sammiung und Ordnung neuen Wissens

Wenn man den Blick über Honorius Augustodunensis und seine unmittelbar klös-
terlichen Kontexte hinaus ausweitet, zeigt sich schnell, dass das Hinzutreten von
»Schulen« die bislang beschriebenen Transformationsprozesse religiösen Wissens
zwar veränderte - aber vielleicht doch nicht in der oft imaginierten revolutionären
Weise. Großenteils waren Gelehrte an Kathedralschulen, die seit dem späten 9. Jahr-
hundert vor allem als Ausbildungsorte für kirchliche und höfische Eliten hervor-
getreten waren,^ in ähnlichen Rollen an den diversen Debatten und Reformen des

42 Vgl. zu Kathedralschulen des Hochmittelalters grundlegend Charles Stephen JAEGER, The Envy of An-
gels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe, 950-1200, Philadelphia 1994; DERS., Scho-
lars and Courtiers: Intellectuals and Society in the Medieval West (Variorum Collected Studies Series 753),
Aldershot 2002; STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 689-862; Mia MÜNSTER-SwENDSEN,
Regimens of Schooling, in: The Oxford Handbook of Medieval Latin Literature, hg. von Ralph HEXTER/
David TowNSEND, New York 2011, S. 403-421.
224 I Sita Steckei

11. Jahrhunderts beteiligt wie exponierte Akteure aus religiösen Gemeinschaften.


Zudem sehen wir im 11. Jahrhundert und noch um 1100 nur ganz graduell Texte
entstehen, die praktisch oder konzeptuell gegeneinander abgegrenzte Nutzungs-
kontexte illustrieren. Zwar grenzten sich neue religiose Lebensformen nun sehr
deutlich von ihrer Umgebung ab und brachten teils neue Arten von Schriften her-
vor, wie etwa Anselm von Canterburys Gebete oder die Schriften Wilhelms von
St. Thierry zur Kontemplation und Gottesliebe.^ Doch gelehrte Diskussion im
Rahmen kirchlicher oder klösterlicher Schulen und Gelehrtenzirkel, kontempla-
tive Meditation über die Gotteserkenntnis oder praktische Erläuterung der christ-
lichen Lehre vor Laien blieben zunächst noch eng verschränkte Anwendungsfäl-
le des Umgangs mit der schriftlichen Tradition. Auch unterschiedliche materiale
Gestaltungen der entsprechenden Texte lassen sich daher interessanterweise nur in
Ansätzen finden: Eine frühe Kopie des besitzt beispielsweise offen-
bar von Honorius Augustodunensis selbst stammende genaueste Quellenangaben
und Verweise auf theoretische Diskussionen Anselms von Canterbury und anderer
Theologen, die Flint mit Fußnoten verglichen hatV Man konnte das
also als Ausgangsbasis für eine gelehrte Auseinandersetzung mit Textproblemen
verwenden. Spätere Kopisten konnten darauf aber anscheinend verzichten und lie-
ßen die »Fußnoten« weg - wodurch der Text seinen Gebrauchscharakter veränder-
te. Eine Differenzierung unterschiedlicher Nutzungen und Adressatenkreise stand
gewissermaßen latent im Raum, hatte aber noch wenig konkrete, an der Materialität
der Texte sichtbare Folgen.
Nicht nur im 11. Jahrhundert, sondern auch zwischen c. 1100 und c. 1140 bleibt
diese enge Verflechtung verschiedener sozialer Räume und geographischer Regionen
in der gelehrten Wissensproduktion sichtbar. Doch die wachsende Nutzungsorien-
tierung gelehrter Wissensvermittlung, die bereits bei Honorius Augustodunensis
auffiel, wirkte bald auf die Institutionalisierung der Ausbildung zur Seelsorge zu-
rück. Sie intensivierte sich nicht nur in den neuen Konventen der reformorientier-
ten Klöster und Regularkanonikerkonvente, sondern auch in einigen der bereits
länger bestehenden Kathedralschulen. Schon seit dem Frühmittelalter hatten eini-
ge dieser Schulen typischerweise Fatein, das Wissen der mit Fese-,
Schreib- und Rechenfähigkeit, darüber hinaus auch für den kirchlichen und poli-
tischen Alltag nützliche Rhetorik und Handlungswissen sowie zunehmend Werte

43 Vgl. zu Anselm SOUTHERN, Saint Anselm (wie Anm. 20), S. 91-108; zu Wilhelm von St. Thierry beispiel-
haft Guillelmus a Sancto Theodorico, Opera Omnia, Bd. 5: Opuscula adversus Petrum Abaelardum et De
hde, hg. von Paul VERDEYEN (Corpus Christianorum. Continuatio mcdiaevalis 89A), Turnhout 2007.
44 Vgl. FLINT, The »Elucidarius« (wie Anm. 19), S. 187.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 225

und Praktiken kirchlicher, aber auch höhscher Moral und Ethik vermittelt.^ Nun
vollzogen sich Spezialisierungen: Zu einem schon mit dem beginnenden 11. Jahr-
hundert steigenden Bedarf an rechtlicher Expertise trat die Notwendigkeit einer
umfassenderen Ausbildung in Fragen der christlichen Lehre. Einige Kathedralschu-
len wurden daher Knotenpunkte der Erarbeitung und Vermittlung spezialisierteren
Wissens über die kirchlichen Überlieferungen.
Den exemplarischen Fall der Transformation bietet die Schule von Laon unter
Anselm von Laon (*j* 1117), einem Zeitgenossen Anselms von Canterbury und Ho-
norius' Augustodunensis, dem man den Ehrentitel eines »Vaters der Scholastik«
und »Lehrer zukünftiger Lehrer« beigelegt hatÄ Anselm von Laon ging wie eine
Handvoll von Vorgängern des 11. Jahrhunderts wohl um 1080 dazu über, nicht
nur die Arfej sondern auch die Bibel in seinem Unterricht zu lesen und
zu kommentieren. Ähnlich wie bei Honorius Augustodunensis war eines der An-
liegen Anselms von Laon die Erarbeitung von gelehrten Erläuterungen, die in der
Seelsorge nutzbar waren. Teils verwendete er sogar spezifische Quellen, die auch
von Honorius verarbeitet wurden V In langen Jahren des Unterrichts produzierten
jedoch weder Anselm von Laon selbst noch sein Bruder und Mitarbeiter Radulf
(*j*H31/llßß) ein Überblickswerk, wie es Honorius vorgelegt hatte. Tatsächlich
muss man Vorsicht walten lassen, wenn man Anselm von Laon überhaupt Werke
zuschreibt: Wie besonders Cédric Giraud in seiner klärenden Studie zu Anselm
gezeigt hat, existieren zwar Wissenssammlungen, die ihm zugeschrieben werden.
Doch resultierte seine Arbeit nicht in einem festen Textkorpus, sondern war gro-

45 Vgl. die Literatur oben bei Anm. 42.


46 Vgl. zu Anselm GiRAUD, Per verba magistri (wie Anm. 4); Cédric GiRAUD/Constant J. MEWS, Le ZdAr
p^Mcrz'szs, un florilège des pères et des maîtres modems du XlP siede, in: Arcbivum latinitatis medii aevi
65, 2007, S. 145-191; Cédric GiRAUD, Pervert La langue des maîtres théologiens au premier
XIL siècle, in: Zwischen Babel und Pfingsten. Sprachdifferenzen und Gesprächsverständigung in der
Vormoderne (8.-16. Jahrhundert). Akten der 3. deutsch-französischen Tagung des Arbeitskreises »Gesell-
schaft und Individuelle Kommunikation in der Vormoderne« (GIK) in Verbindung mit dem Historischen
Seminar der Universität Luzern, Höhenscheid (Kassel) 16. 11.-19. 11. 2006, hg. von Peter VON Moos,
Wien/Zürich/Berlin u. a. 2008, S. 357-374; sowie zuletzt Alexander ANDRÉE, Anselm of Laon Unveiled:
The G/oMC /oAztMTzem and the Origins of the Gfoss<% orA?M?"M on the Bible, in: Mediaeval Studies
73, 2011, S. 217-260. Aus der älteren Forschung vgl. FLINT, The »School of Laon« (wie Anm. 15); Marcia
L. CoLiSH, Another Look at the School of Laon, in: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen
âge 61, 1986, S. 7-22. Die zitierten Epitheta bei Martin GRABMANN, Die Geschichte der scholastischen
Methode. Nach den gedruckten und ungedruckten Quellen, Bd. 1: Die Scholastik von ihren ersten An-
fängen bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts, Berlin/Karlsruhc/München 1909, S. 258 und SOUTHERN,
Scholastic Humanism (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 25.
47 Der Hinweis auf Ähnlichkeiten zwischen den Anliegen Anselms von Laon und Honorius' Augustodcnsis
bereits bei Franz Plazidus BuEMETZRiEDER, L'Oeuvre d'Anselme de Laon et la littérature théologique
contemporaine. I. Honorius d'Autun, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 5, 1933, S. 275-
291; Dokumentation identischer Quellen bei FuNT, The »Elucidarius« (wie Anm. 19), S. 180-181. Zur
Anlage GOTTSCHALL, Das »Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 16-17.
226 I Sita Steckei

ßenteils autoritative Meinung, »Wort des Meisters«, das tradiert und weiterdisku-
tiert wurdet
Doch kennen wir mit der ihm zugeschriebenen Vorform der G/os$<%
fM ein Wissenskompendium anderer Art, das sowohl einen neuen, spezialisierten
Nutzungskontext für traditionelle Wissensbestände wie eine neue materielle Gestalt
zeigt. Die später G/o$.M genannte Glossierung der gesamten Bibel mit
den wichtigsten patristischen Autoritäten gilt als spezifisch »schulisches« Produkt
und gleichzeitig als eine der wichtigsten gelehrten Innovationen des Hochmittelal-
ters, die tatsächlich eine geradezu atemberaubende Verbreitung fand.^ Sie illustriert
jedoch auch den Zusammenhang klösterlicher und außerklösterlicher Milieus, da
Anselm und Radulf von Laon besonders deutlich auf vorhandene, im Ursprung
klösterliche Ressourcen zurückgriffen, um neuen Herausforderungen gerecht zu
werdend"
In der Forschung ist häufig davon die Rede, dass Anselm von Laon und seine
Mitarbeiter und Fortsetzer ein großes Werk der Sammlung und Systematisierung
durchführten: Sie begannen, die patristischen Erläuterungen zu allen Büchern der
Bibel zusammenzustellen und systematisch miteinander in Verbindung zu bringen.
Diese Arbeit erscheint - sicher nicht zu Unrecht - als wichtiger Aufbruch zu einem
neuartig systematischen Denken. Wo allerdings die Systematisierungsleistung und
der innovative Impuls der Arbeit an der G/o^<% liegt, kann schnell miss-
verstanden werden. Sogar ein Experte für die Glossenhandschriften wie Christo-
pher de Hamei scheint beispielsweise zu suggerieren, dass es im früheren Mittelalter
nur eine Art Notizen von Gelehrten zur Bibel gab und dass dann erst Gelehrte
des 11. Jahrhunderts wie Lanfranc von Bec, der Lehrer Anselms von Canterbury,
»Reaching copies' of biblical books crammed with marginal and interlinear notes«^
besessen hätten. Die Arbeit Anselms stellt sich De Hamel vor als »extracting frag-
ments of patristic exegesis and arranging them as short notes between the lines of
biblical text and as longer notes down the margins.«^
Doch wie die erst in jüngster Zeit substantiell vorangeschrittene inhaltliche Er-
forschung der G/ojM orü&2<%U<% gezeigt hat, ist diese Idee nicht ganz richtig. Anselm
und seine Mitarbeiter begannen keineswegs ein großes Werk des Sammelns und

48 Vgl. GiRAUD, Per verba magistri (wie Anm. 4), S. 495 f.


49 Vgl. Christopher DE HAMEL, Glossed Books of the Bible and the Origins of the Paris Booktrade, Wood-
bridge/Dover 1984, S. xiiiff.; grundlegend zur Erforschung der G/osM oUzTMfM jetzt Lesley Janette
SMITH, The Glossa Ordinaria: The Making of a Medieval Bible Commentary, Leiden/Boston 2009.
50 Als »Brücke zwischen monastischer Vergangenheit und scholastischer Zukunft« erscheint die Schule An-
selms schon bei SOUTHERN, Scholastic Humanism (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 43 ff., allerdings aus anderen
Gründen.
51 DE HAMEL, Glossed Books (wie Anm. 49), S. 1.
52 DE HAMEL, Glossed Books (wie Anm. 49), S. 1.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 227

Vervollständigens der textuellen Überlieferung und kopierten sozusagen aus ver-


schiedenen aufgeschlagenen Werken das wichtigste zusammen.^ Fast das Gegenteil
ist der Fall: Wie Lesley Smith auf den Spuren Beryl Smalleys festgestellt hat, wurden
über weite Strecken die längst vorliegenden frühmittelalterliche Bibelkommentare
zusammengekürzt, etwa Werke Bedas (*j*7ßl), Alkuins (j*804), des Hrabanus Mau-
rus (*]*856) oder des Haimo von Auxerre (*j* c. 878). Die fortlaufende Glossierung
war also keine neue Zusammenstellung, sondern funktionierte vor allem als Ab-
kürzung und Neuordnung durch die Gelehrten als g/o^MC. Nur wenige
Bücher, etwa die Psalmen, wurden Gegenstand intensiver neuer Durcharbeitung.
Wie Smith formuliert:

»It does not seem to be the case that any glossator worked surrounded by a
dozen different texts from which to draw his own commentary or make his
extracts. Rather, it is striking how limited the range appears to be. [...] for a
number of books, for example Chronicles or Proverbs, the glossator seems
to have done little more than divide Rabanus' commentary on that text into
lemmata and have it copied out around the Vulgate translation. Rabanus'
work may have been shortened somewhat, but little more has been done to
change it.«^

Einige Zentren, aus denen die wichtigsten Textbestände in der Frühphase der Arbeit
an der Glossierung bezogen wurden, die Schulen der Kathedralen von Laon und
Auxerre, zeigen den indirekten Konnex zur frühmittelalterlichen Wissensproduk-
tion - beide Kathedralen, aus deren Bücherschätzen Anselm von Laon und sein
Fortsetzer Gilbertus Universalis schöpften,^ waren besonders gut mit dem Erbe
der karolingerzeitlichen klösterlichen Gelehrten Hrabanus Maurus, Paschasius
Radbertus sowie Haimo, Heiric und Remigius von Auxerre ausgestattetA

5ß So DE HAMEL, Glossed Books (wie Anm. 49), S. 1.; vgl. als weitere Beispiele dieser Vorstellung aber
auch die ansonsten äußerst nuancierte Zusammenfassung bei Joachim EHLERS, Das westliche Europa
(Die Deutschen und das europäische Mittelalter ß), München 2004, S. 289-290. Ältere Forschungen,
insbesondere die Beryl SMALLEYS, die spezifisch nach Vorläufern der Arbeitstechnik der Glossierung
und Sentenzenerstellung suchte, widersprechen dem tendenziell, verfolgten aber meist andere Fragen,
vgl. Beryl SMALLEY, La Glossa Ordinaria. Quelques prédécesseurs d'Anselme de Laon, in: Recherches
de théologie ancienne et médiévale 9, 19ß7, S. ß65-400.
54 Vgl. SMITH, The Glossa Ordinaria (wie Anm. 49), S. 54, insgesamt zu den Quellen der G(oss<% orJzTMfM
und dem Forschungsstand dazu ebd., S. ß-6, 41-44; mit dem häufigen Hinweis auf Hrabanus Maurus
ebd., S. 45-54.
55 Vgl. SMITH, The Glossa Ordinaria (wie Anm. 49), bes. S. 2ßf. mit Verweis auf die karolingerzcitliche
Bibliothek von Laon, S. 29-ßl für die Benutzung von Paschasius Radbertus und die karolingerzcitliche
Bibliothek von Auxerre durch den Glossator Gilbertus Universalis.
56 Vgl. SMITH, The Glossa Ordinaria (wie Anm. 49), S. ßl.
228 I Sita Steckei

In der konkreten Arbeit am Text der Bibelglossierung zeigt sich intellektuel-


le Neuerung somit nicht als Systematisierung im Sinne der Vervollständigung be-
stimmter Textkorpora. Gerade der Traum vom Vollbesitz der patristischen Überlie-
ferung hatte bereits frühmittelalterliche Gelehrte umgetrieben, die in einer Klöster,
Höfe und Kathedralen umfassenden kirchlichen Wissenskultur den Plan zur Kom-
mentierung der gesamten Bibel überraschend weit vorantriebenA Veränderungen
sind eher in den oben beschriebenen neuen Interessensschwerpunkten sowie in ei-
ner bald hochfrequenten Routinisierung des Umgangs mit der Bibel zu suchen: Was
im Frühmittelalter Teil gelegentlicher, vermutlich nicht öfter als wöchentlich abge-
haltener Lesekreise war, für die man sich notfalls ein Leben lang Zeit nehmen konn-
te, wurde in der Schule von Laon Gegenstand täglichen Unterrichts. Ihn wollten
angehende Kleriker (die ansonsten an Kathedralschulen die Artes /zAeru/ej gelernt
hätten, um sich auf eine Tätigkeit in kirchlichen und fürstlichen Verwaltungen vor-
zubereiten) möglichst ohne größere Verzögerungen und Kosten absolvieren, indem
man die wichtigsten Teile der Bibel und der kirchlichen Lehre innerhalb weniger
Jahre durchging. In der Entstehung der frühen Formen der G/o$s<% sehen
wir ältere klösterliche Praktiken also sozusagen aufs äußerste beschleunigt.
Gleichzeitig wurde die hermeneutische Offenheit und Ambiguitätstoleranz
frühmittelalterlicher Bibelexegese^ durch Vereindeutigung kanalisiert. Angesichts
drängender, nunmehr politisch aufgeladener Fragen der Kirchenreform reichte das
Ansehen eines Gelehrten nicht zur Begründung seiner Überlegungen aus - es muss-
ten einheitliche, verbindliche und überregional anwendbare Antworten gegeben
werden. Man suchte zu Sachfragen also begründete Urteile von Exper-
ten. In der Schule Anselms von Laon konnte man daher in einem zunehmend rou-
tinisierten Unterricht lernen, die möglichen biblischen und patristischen Begrün-
dungen für bestimmte Normen durchzuarbeiten, um selbst begründete Antworten
(w7?Zv7?2h%e) zu finden oder die Implikationen vorliegender Lösungen abzuschätzen.
Dies ließ auch »Methodik« hervortreten, die nun wichtiges Element der Be-
gründung für die oftmals neuen und kontroversen Normen wurde. Der typische

57 Vgi. dazu etwa Guy LoBRiCHON, La relecture des Pères chez les commentateurs de la Bible dans
l'occident lagin (IX-XII siècle), in: Ideologie et pratiche del reimpiego nell'alto mcdioevo (Settimanc di
Studio del Centro Italiano di Studi sulPalto Medioevo 46), Spoleto 1999, S. 253-282; Marc-Aeilko ÄRts,
Nostrum est citare testes. Anmerkungen zum Wissenschaftsverständnis des Hrabanus Maurus, in: Kloster
Pulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, hg. von Gangolf ScHRiMPF (Fuldaer Studien 7), Frankfurt
amMainl996,S. 437-464.
58 Vgl. für den Begriff der Ambiguitätstoleranz und seine Implikationen demnächst Christel MEIER, »Un-
usquisque in suo sensu abundet« (Rom 14, 5). Ambiguitätstolcranz in der Theologie des lateinischen
Westens?, in: Abrahams Erbe. Konkurrenz — Konflikt - Koexistenz im Mittelalter, 15. Symposium des
Mediävistenverbandes in Heidelberg, 3. bis 6. März 2013, hg. von Ludger LiEB, Berlin 2014 (in Vorberei-
tung).
Deuten, Ordnen und Aneignen I 229

Verweis der Forschung auf die »Dialektik« als neues Arbeitsinstrument erklärt
aber letztlich wenig, denn neue Techniken betrafen verschiedene Ebenen gelehrter
Arbeit am Text. Begrifflich klärendes und logisch argumentierendes Vorgehen im
Abgleich der Autoritäten, die Anselm bekanntlich als 720?z rmUcLM ansah,
war schon mit den Ressourcen der Karolingerzeit möglich gewesen. Berengar von
Tours und Bernold von Konstanz hatten jeweils unabhängig voneinander Autori-
tätenhierarchien formuliert, was sich im 12. Jahrhundert weiter fortsetzen sollte.
Obwohl Anselm selbst dazu keine eindeutigen schriftlichen Zeugnisse hinterlieb,
wurden in der Schule von Laon die praktischen Probleme einer Hierarchisierung
von Autoritäten im Wesentlichen erkannt und durch bestimmte Strategien gelöst.^
Seit dem späten 11. Jahrhundert wurde zudem mit verschiedenen spezifischen Ter-
minologien experimentiert, da die sprachliche Gestalt der heiligen Schriften in den
Vordergrund trat A Man fragte etwa, wie man den Begriff permit? in Anwendung
auf die Trinität einsetzen konnte. Diese Versuche bildeten jedoch keineswegs eine
neue, einheitliche Sprache theologischer Wissenschaft, sondern blieben zunächst
experimentell und lokal unterschiedlich.^' Schon aus der Schule Anselms von Laon
heraus wurden allerdings wichtige Fortbildungen in diesen Methodenfragen erar-
beitet. Sein Schüler Gilbert von Poitiers (*f 1154), der zur G/ovM wichtige
Beiträge leistete und einen eigenen, intensiv systematisierenden Psalmenkommentar
verfasste, entwickelte etwa ein starkes Problembewusstsein in den angesprochenen
Fragen.^ Er fokussierte im Laufe seiner weiteren Karriere vor allem das Problem
der sprachlichen Überlieferung göttlicher Wahrheit in der Bibel und der zu ihrer
Untersuchung nötigen, selbst wiederum der Wahrheit notwendigerweise nur an-
genäherten Terminologien. Im Umgang mit den eigentlich für profane Texte ent-
wickelten hermeneutischen Techniken reflektierte er zudem die epistemologischen

59 Obwohl aus dem Umkreis Anselms von Laon im Gegensatz zu Berengar von Tours, Bernold von Kon-
stanz oder Peter Abaelard keine explizite Stellungnahme zu den Kriterien der Hierarchisierung von Au-
toritäten überliefert ist, wurde die Methode in Laon durchaus angewendet, vgl. bes. CoLiSH, Another
Look (wie Anm. 46), S. 12-13.
60 Vgl. Toivo J. HoLOPAiNEN, Dialectic and Theology in the Eleventh Century (Studien und Texte zur
Geistesgeschichte des Mittelalters 54), Leiden/New York/Köln 1996; CoLiSH, Peter Lombard (wie Anm.
27), Bd. 1, S. 91-96.
61 Vgl. als Beispiel etwa Constant J. MEWS, St Anselm and Roscelin of Compiègne: Some New Texts and
Their Implications II: A Vocalist Essay on the Trinity and Intellectual Debate c. 1080-1120, in: Reason
and Belief in the Age of Roscelin and Abelard, hg. von DEMS. (Variorum Collected Studies Series 730),
Aldershot/Burlington, Ve. 2002, S. 39-90.
62 Vgl. zu Gilbert von Poitiers mit Verweisen auf die weitere Literatur STECKEL, Kulturen des Lehrens
(wie Anm. 11), S. 1098-1124, sowie bes. Theresa GROSS-DiAZ, The Psalms Commentary of Gilbert of
Poitiers. From Lectio to the Lecture Room (Brill's Studies in Intellectual History 68), Leiden/
New York/Köln 1996; Lauge Olaf NiELSEN, Theology and Philosophy in the Twelfth Century: A Study
of Gilbert Porreta's Thinking and the Theological Expositions of the Doctrine of the Incarnation during
the Period 1130-1180 (Acta Theologica Danica 15), Leiden 1982.
230 I Sita Steckei

Unterschiede zwischen rein innerweltlich argumentierenden Disziplinen und einer


Wissenschaft, die auf transzendente Wahrheit bezogen war.
Innovative Resultate der Arbeit schon im Umkreis Anselms waren jedoch neue
materielle Formen kompendiöser Wissensspeicherung, voran die G/osj<%
in ihrer typischen Form. In der kürzenden Bearbeitung der alten Bibelkommentare
adaptierte man das g/oM^j-Layout, also die Darstellung von Text und Kommen-
tar auf derselben Seite mit »Haupt«- sowie umlaufenden »Rand«-Kolumnen und
Interlinearglossen (möglicherweise allerdings erst nach dem Tod Anselms). Diese
Technik war bislang eher für andere Zwecke bekannt gewesen, etwa die kontempla-
tive PsalmenlektüreA Offenbar noch nicht in abschließender Form kodifiziert, aber
in verschiedenen lockeren Reihungen verbreitet wurden zudem die Musterlösungen
Anselms und seiner Schüler für pastorale und exegetische Probleme, die
die in verschiedenen sogenannten Sentenzensammlungen tradiert wurdenA Wäh-
rend die Glossierung der gesamten Bibel für verschiedene Zwecke nutzbar war,
zeigen insbesondere die Sentenzensammlungen, dass man einerseits eine zuneh-
mend professionalisierte gelehrte Klärung der christlichen Lehre, andererseits aber
eine Nutzbarmachung der Autoritätenbestände für den spezifischen Kontext der
Seelsorge anstrebte.^
Was ihre Überlieferung betrifft, illustriert die gelehrte Wissensproduktion der
Schule Anselms von Laon einen Transferprozess, der durch enge Verknüpfungen
klösterlicher, klerikaler und schulischer Milieus unterstützt wurde: »Schulische«
Wissensvermittlung kam letztlich zustande, indem man ältere Praktiken der Bibel-
interpretation sozusagen aufs äußerste beschleunigte und klösterliche Traditions-
bestände, die wiederum wichtige Ressourcen bildeten, filterte und zuspitzte. Was
die Verbreitung und die Nutzung von Wissen betrifft, treten dagegen einerseits
Schulen, andererseits wiederum reformorientierte Klöster und Konvente hervor, die
sowohl die wie die Sentenzensammlungen nicht nur abschrieben,
sondern offenbar auch »konsumierten«.

63 Vgl. Margaret Templeton GiBSON, Carolingian glossed psalters, in: The Early Medieval Bible. Its Pro-
duction, Decoration and Use, hg. von Richard GAMESON (Cambridge Studies in Palaeography and Cod-
icology 2), Cambridge 1996, S. 78-110.
64 Vgl. zu ihnen GiRAUD, Per TTMgWri (wie Anm. 46), S. 185 -240; Franz Plazidus BLiEMETZRiEDER,
Anselms von Laon systematische Sentenzen (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters.
Texte und Untersuchungen 8), Münster 1919; Gillian Rosemary EvANS, Sententia, in: Tatin Culture in
the Eleventh Century. Proceedings of the Third International Conference on Medieval Latin Studies.
Cambridge, September 9-12 1998, hg. von Michael Wayne HERREN/Cristopher James McDoNOUGH/
Ross Gilbert ARTHUR, 2 Bde. (Publications of the Journal of Medieval Latin 5), Turnhout 2002, Bd. 1,
S. 315-323.
65 Vgl. für die Spannbreite der diskutierten moralischen Probleme GiRAUD, Per verba magistri (wie Anm. 4),
S. 241-337.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 231

Denn tatsächlich können die bislang kontroversen Forschungsmeinungen zu


Anselm von Laon sich kaum anders vereinbaren lassen als durch die ausdrückli-
che Annahme unterschiedlicher Leser- und Hörerschaften, die gelehrt-schulische,
kirchlich-pastorale oder klösterliche Orientierung aufweisen können: Wie einlei-
tend kurz bemerkt, hatte Valerie Flint (teils auf den Spuren Peter Classens) her-
vorgehoben, dass frühe Handschriften der G/o^rt or<A?2<%rÄ% und der Sentenzen
Anselms von Laon nicht zuletzt aus klösterlichen Bibliotheken im westeuropäi-
schen- und deutschsprachigen Raum überliefert sind.^ Die Bedeutung dieses Be-
fundes wurde dann kontrovers diskutiert, nicht zuletzt, weil auch die Innovativität
Anselms umstritten war. Flint überlegte, ob die deutlich in den klösterlichen Be-
reich verweisende Überlieferung nicht als Zeichen gewertet werden müsse, dass
es gar keine weiterwirkende Schultradition in Laon gegeben habeV Dies lieb sich
mit dem Befund in Übereinstimmung bringen, dass Anselm von Laon offenbar
sehr viel stärker biblisch orientiert blieb als die auf ihn folgenden Theologen, die
eine dialektisch-logische Begriffsbildung bevorzugten.*^ Doch hat Cédric Giraud
in seiner Studie Anselms ganz ausdrücklich gezeigt, dass Anselms mündliche wie
schriftliche Arbeitsweise eine starke schulische Tradition in Frankreich begründete,
der mehrere Sentenzensammlungen zuzuweisen sind.*^ Sie verdanken sich offenbar
einem in dieser Generation letztlich neuen, spezifisch schulischen Traditionsstrang,
vorrangig Schülern Anselms, die selbst Lehrer wurden.
Der Inhalt der Sentenzensammlungen macht deutlich, warum diese Über-
lieferungsbefunde sich gut zusammen denken lassen, sobald man »Kloster« und
»Schule« nicht länger als Gegensätze versteht: Die stark auf die Erläuterung der
Glaubensgrundsätze und besonders der Sakramente zugeschnittene Diskussion
verschiedenster Probleme, im thematischen Umfang dem viel knapperen
des Honorius Augustodunensis nicht unähnlich, war für höhere Schulen
genauso relevant wie für alte und neue Konvente, die mit Seelsorge für Laien oder
auch nur für eigene Insassen befasst waren.
Offenbar darf man um 1100 trotz zunehmend unterschiedlicher Interessen und
Zugänge keinen Gegensatz schulischer oder klösterlicher Wissensvermittlung an-
setzen. Eine knappe Betrachtung polemischer Auseinandersetzungen um gelehr-
te Wissensvermittlung im 11. Jahrhundert ergibt überraschenderweise sogar ganz
andere Verwerfungen: Neben beginnenden Auseinandersetzungen um gelehrte

66 Vgl. die Literatur oben bei Anm. 15.


67 Vgl. FLINT, The »School of Laon« (wie Anm. 15). Ein Überlieferungsschwerpunkt, der zumindest in der
großen Sammlung des sogenannten vertreten ist, liegt bei zisterziensischen Klöstern, vgl.
GiRAUD/MEWs, Le (wie Anm. 46).
68 Vgl. dazu zuletzt ANDRÉE, Anselm of Laon (wie Anm. 46).
69 Vgl. GiRAUD, Per verba magistri (wie Anm. 4), S. 389-435.
232 I Sita Steckei

Methodenfragen in und zwischen regionalen Netzwerken - etwa zwischen dem


Reformbenediktiner Anselm von Canterbury und dem Kanoniker Roscelin von
Compiegne^° - fällt besonders im römisch-deutschen Reich eine Frontstellung
reformorientierter Mönche und Regularkanoniker wie Otloh von St. Emmeram,
Petrus Damiani oder Manegold von Lautenbach gegen höfrsch akzentuierte Aus-
bildungsformen auf/*
Doch traten Angehörige religiöser Gemeinschaften tatsächlich einerseits als
»Abnehmer«, andererseits aber bald auch als Kritiker und Konkurrenten der stark
auf die Seelsorge orientierten schulischen Wissensproduktion auf. Die schulischen
Entwürfe provozierten Gegenentwürfe und in sich innovative GegenbewegungerD
in klösterlichen Kontexten, was zunächst einmal unterstreicht, wie eng verschiede-
ne gelehrte Milieus verknüpft waren. Ein äußerst interessantes Beispiel abwehren-
der »Gegeninnovation« findet sich im Werk des Benediktinermönchs Rupert von
Deutz (*f 1129), der mehrere große Wissenskompendien vorlegte, die in rheinländi-
schen und süddeutschen Reformnetzwerken verbreitet wurden/^
Ruperts umfangreiche Schriften zeigen den Einfluss des Investiturstreits genau-
so wie die Konkurrenz zu anderen religiösen wie klerikalen Gruppen. Während
die ältere Forschung sein Werk in Rückschau einem monastischen, reformbenedik-
tinischen Kontext und einem der Scholastik gegenüberstehenden »Symbolismus«

70 Vgl. MBWS, St Anselm (wie Anm. 61).

des Mittelalters 8), Weimar 1972; zu Damiani HoLOPAiNEN, Dialectic (wie Anm. 60), S. 6-43; Hed-
wig RÖCKELEIN, Hochmittelalterliche Autobiographien als Zeugnisse des Lebenslaufs und der Reflexi-
on über Erziehung. Das Beispiel Otlohs von St. Emmeram und Guiberts von Nogent, in: Vormoderne
Lebensläufe - erziehungshistorisch betrachtet, hg. von Rudolf Willy RECK/Erhard WiERSiNG (Beiträge
zur historischen Bildungsforschung 12), Köln 1994, S. 151-186; STECKEL, Kulturen des Lchrcns (wie
Anm. 11), S. 826-829.
72 Vgl. mit ausführlicheren Überlegungen zu solchen Dynamiken bereits STECKEL, Säkularisierung (wie
Anm. 11), bcs. S. 159-166; HoLZEM, Die Wissensgesellschaft (wie Anm. 13), S. 259f.
73 Vgl. zu Rupert von Deutz insgesamt VAN ENGEN, Rupert of Deutz (wie Anm. 39); Rupert von Deutz -
Ein Denker zwischen den Zeiten?. Internationales Symposium 20. bis 22. September 2007. Tagungsband,
hg. von Heinz FiNGER/Harald HoRST/Rainer KLOTZ (Libelli Rhenani 31), Köln 2009, hierin bes. John
VAN ENGEN, Wrestling with the Word. Rupert's Quest for Exegetical Understanding, S. 185 -199; Christel
MEIER, Ruperts von Deutz Befreiung von den Vätern. Schrifthermeneutik zwischen Autoritäten und
intellektueller Kreativität, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 73/2, 2006, S. 257-
289; DiES., Ruperts von Deutz literarische Sendung. Der Durchbruch eines neuen Autorbewußtseins
im 12. Jahrhundert, in: Aspekte des 12. Jahrhunderts. Freisinger Kolloquium 1998, hg. von Wolfgang
HAUBRiCHs/Eckart Conrad LuTz/Gisela VoLLMANN-PROFE (Wolfram-Studien 16), Berlin 2000, S. 29-
52; DiES., Von der »Privatoffenbarung« zur öffentlichen Lehrbefugnis. Legitimationsstufen des Prophe-
tentums bei Rupert von Deutz, Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau, in: Das Öffentliche
und Private in der Vormoderne, hg. von Gert MELViLLE/Peter VON Moos (Norm und Struktur 10),
Köln/Weimar/Wien 1998, S. 97-123; Jay DiEHL, The Grace of Learning: Visions, Education and Rupert
of Deutz's View of Twelfth-Century Intellectual Culture, in: Journal of Medieval History 39/1, 2013,
S. 20-47.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 233

zugeordnet hat, sah er sich selbst offener: Rupert ging offenbar davon aus, in einen
Kommunikationsraum der »Kirche« eingebunden zu sein, zu dem andere Gruppen
ebenfalls gehörten. Zunächst im Kloster St. Laurent in Liège ansässig und offenbar
exzellent ausgebildet, stand Rupert mit Kanonikern aus Liège in Kontakt, die ihre
Ausbildung bei Anselm von Laon erhalten hatten. Er entwickelte in einigen Jahren
des französischen Exils während des Investiturstreits auch selbst Kontakte zu den
französischen Schulen. Einen Förderer fand er schließlich in Kuno, dem ehemaligen
Abt des Reformklosters Siegburg und Bischof von Regensburg (1126-']* 1132), über
den er nach Siegburg gelangte und schließlich Abt im Kloster St. Heribert in Deutz
vor den Toren Kölns werden konnte. Dort kam er mit einem Prediger wie Norbert
von Xanten (*j* 1134) und seinen Anhängern genauso in Kontakt wie mit den frühen
Zisterziensern.
Nicht zuletzt die hohe Dichte religiöser Zentren in den Großstädten Liège und
Köln begünstigte Prozesse des Transfers, die im Fall Ruperts jedoch zu Konflikten
wurden: Er geriet mit Akteuren aus fast allen konkurrierenden Wissensgemein-
schaften in Streit. Er wurde aber offenbar gerade dadurch zur Vorlage eigener Wer-
ke angeregt, die andere Entwürfe zu überbieten versuchten.
Mit der auf Wortbedeutungen und Klärung einzelner Passagen der Bibel fokus-
sierten Arbeitsweise der Schule Anselms von Laon konnte Rupert beispielsweise
offenbar wenig anfangen.^ Dies lag freilich nicht an Unverständnis, sondern an
einer mangelnden Einbindung in die westeuropäischen Netzwerke, in denen man
bereits seit einer Generation über bestimmte Terminologien und Arbeitsweisen in
der Bibelauslegung verhandelte. Rupert schien die auf einzelne Wortlaute konzen-
trierte Auslegung Stückwerk zu sein - er wollte die Offenbarung in ihrem tieferen
Sinn verstehen und fokussierte stärker auf das zeichenhafte Wirken Gottes in der
Welt, die Heilsgeschichte, als deren Teil er auch die schriftliche Niederlegung der
Evangelien einordnete. Nach einer Messerläuterung und anderen kleineren Werken
legte Rupert daher eine heilsgeschichtlich angeordnete Gesamtdurchdringung der
Bibel vor, in der er die biblische Geschichte danach zusammenstellte, inwiefern
sich in ihr das Wirken der drei Personen zeigte. Der Grundgedanke dieser Schrift
De TrwzAzte et operf^%j ez%j sollte selbst eine erhebliche Karriere machen,
die über Joachim von Fiore weit in Spätmittelalter und Frühe Neuzeit vermittelt
wurde.
Rupert zerlegte also den Text der Bibel nicht problem- und sprachorientiert in
Einzelbedeutungen, sondern wollte übersprachliche, ja übermenschliche Prinzipien

74 Vgl. zur Interpretation der Arbeitsweise Ruperts VAN ENGEN, Rupert of Deutz (wie Anm. 39), S. 56 -134;
VAN ENGEN, Wrestling with the Word (wie Anm. 73); DiEHL, Grace of Learning (wie Anm. 73).
234 I Sita Steckei

und Ordnungen verstehen/^ Sein De czzzs zeigt jedoch ebenfalls


einen systematisierenden und vereinheitlichenden Zugriff - er ist Anselms Methode
der Harmonisierung der Väterautoritäten, die (Aueiwz, zzozz <% waren, letztlich
verwandt. Rupert war sogar anspruchsvoller, da er die Bibel und das Weltgesche-
hen insgesamt deuten wollte. Die für die systematisierende dialektische Theologie
herausragende Bedeutung des biblischen Wortlauts und dessen möglicher Inter-
pretation hatte Rupert zudem durchaus verstanden. Er lehnte aber die argumentie-
rende Sprache der Schüler Anselms ab und bestand in der Tradition süddeutscher
Reformer wie Manegold von Lautenbach darauf, dass man eine biblische Sprache
und biblische Begründungen nutzen sollte, um Argumente abzustützen. In Paralle-
le zu Autoren wie Bernold von Konstanz, Peter Abaelard oder Gilbert von Poitiers
entwickelte Rupert jedoch im Verlauf seiner weiteren Arbeit die Meinung, dass die
Kirchenväter nur eingeschränkte Autorität haben könnten und ihre Aussagen wei-
ter diskutiert werden mussten. Während die Schule von Laon aus den patristischen
Sammlungen also die autoritative G/ossrz onAzMrM kondensierte (und damit die Au-
torität der Kirchenväter letztlich neu festschrieb), fing Rupert an, selbst innovative
Deutungen der Bibel zu entwickeln. Er schrieb sich dazu nach Berufungserlebnis-
sen eine existenzielle Autorisierung zu, die ihm, wie Christel Meier formuliert, eine
»Befreiung von den Vätern« erlaubte/*"
Aus heutiger, auf eine Differenzierung von Religion und Wissenschaft orien-
tierter Sicht tritt in den Werken Ruperts damit eine Berufung auf gelehrte Metho-
den mit der Berufung auf religiöses Charisma in direkte Konkurrenz. Dies leis-
tet einer dichotomischen Unterscheidung religiöser »klösterlicher« und säkularer
»schulischer« Gelehrsamkeit einigen Vorschub. Für Rupert war diese Alternative
allerdings nicht gegeben/^ Eine Gegenüberstellung menschlichen und göttlichen
Wissens scheint zwar in seinen pointiertesten und polemischsten Bezugnahmen auf
Gegner auf, etwa wenn er behauptete, ihm sei Christus lieber als zehn menschliche
Lehrer. Doch war man selbstverständlich auch in der Schule Anselms von Laon,
die Rupert indirekt angriff, an religiösem Wissen interessiert. Es konkurrieren also
nicht religiöse und säkulare Entwürfe, sondern mehrere religiöse Entwürfe mitei-
nander/^ Rupert sah sich zudem von Christus ausdrücklich zum Schriftsteller für
die Gesamtkirche (eccAjz<%) berufen und verortete seine Art der Erkenntnis als Pri-

75 Vgl. insbesondere VAN ENGEN, Wrestling with the Word (wie Anm. 73).
76 Vgl. MEIER, Ruperts von Deutz Befreiung (wie Anm. 73).
77 Vgl. so zuletzt spezifisch DiEHL, Grace of Learning (wie Anm. 73), S. 4 und öfter.
78 Vgl. ähnlich die Überlegungen von John D. CoTTS, Monks and Clerks in Search of the Beata Schola, in:
Teaching and Learning in Northern Europe, 1000-1200, hg. von Sally N. VAUGHN/Jay RuBENSTEiN
(Studies in the Early Middle Ages 8), Turnhout 2006, S. 255-278.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 235

vileg »apostolischer« Personen und nicht etwa als Privileg des Mönchtums.^ Eine
Beschränkung auf ein klösterliches Publikum lag ihm durchaus fern. Wie jüngst Jay
Diehl argumentiert, scheint Rupert sogar eine Schule geplant zu haben, die seine
Art der Bibelinterpretation vielleicht weiter etabliert hättet"
Es deutet sich jedoch an, dass eine massive Bibeldeutung wie Ruperts De
ef und seine folgenden, meist ebenso umfangreichen Werke
rein praktisch nur für ein Publikum von gebildeten Klosterinsassen gedacht sein
konnten, das einige Muße für die Lektüre mitbrachte. Dieses Publikum sollte es
auch sein, das ihm neben punktuellem Widerstand (er geriet in Streit mit dem Zis-
terzienser Wilhelm von St. Thierry und mit Norbert von Xanten)^ erhebliche An-
erkennung und eine breite Rezeption seiner Werke bescherte. Ruperts Schriften
wurden vor allem in den reformorientierten Klöstern und Regularkanonikerkon-
venten des Reichs rezipiert, meist vermittelt über Zentren, denen er selbst nahe-
stand, namentlich Köln und Regensburg, Sitz seines Patrons Kuno. Sein Publikum
blieb somit offenbar zumeist auf klösterliche und regulierte Milieus beschränkt.
Ruperts innovatives Werk zeigt, dass diese klösterlichen Netzwerke nicht nur als
typische »Abnehmer« innovativer neuer Wissensformen gesehen werden dürfen,
sondern auch weiterhin aktive Produzenten gelehrten Wissens hervorbrachten.

Adaptation und Differenzierung: Neue Wissenskompendien zwischen


enzykiopädischem Anspruch und wissenschaftlicher Spezialisierung

An den Werken Ruperts von Deutz deutet sich an, dass die Ordnungen, die einzelne
Autoren und Autorinnen ihren groben Wissenssammlungen gaben, nicht nur epis-
temologische Grundannahmen spiegelten, sondern auch stark identitätsstiftend sein
konnten. Die Konkurrenz, in der Rupert sich sah, speiste sich dabei offenbar aus
der Wahrnehmung, selbst in einem die Gegner einbeziehenden, umfassenden Kom-
munikationsraum zu handeln. Im voranschreitenden 12. Jahrhundert sollten sich
derartige Konflikte häufen, da eine wachsende Zahl von »Wissensgemeinschaften«
(»communities of learning«, »textual communities« etc.)^ in Nachbarschaft zuein-

79 Vgl. VAN ENGEN, Wrestling with the Word (wie Anm. 73), S. 196.
80 Vgl. DiEHL, Grace of Learning (wie Anm. 73); eine weitere Publikation Jay DiEHLS ist in Vorbereitung.
81 Vgl. mit Verweisen SrECKEL, Kulturen des Lehrcns (wie Anm. 11), S. 1073 f., 1051.
82 Zum Konzept der Wissensgemeinschaften vgl. die verschiedenen Ansätze bei Constant J. MEWS,
Communautés de Savoirs. Ecoles et collèges à Paris au XIIE siècle, in: Revue de Synthèse 129/4, 2008,
S. 485-507; Communities of Learning. Networks and the Shaping of Intellectual Identity in Europe,
1100-1500, hg. von DEMS./John Newsome CROSSLEY (Europa Sacra 9), Turnhout 2010; Brian STOCK,
The Implications of Literacy. Written Language and Models of Interpretation in the Eleventh and Twelfth
236 I Sita Steckei

ander traten, sich gegenseitig als relevant wahrnahmen und innovative Prozesse von
Abgrenzung und Transfer in Gang setzen.
Symptome dieses letztlich über das gesamte lange 12. Jahrhundert ablaufenden
intellektuellen, politischen und religiösen Verdichtungsprozesses waren zunächst
wiederholte, oftmals katalytisch wirksame Konflikte, da die meisten gelehrten Ak-
teure ihren Entwürfen übergreifende Gültigkeit zuzusprechen suchten.^ Doch
setzten die auftretenden Reibungen ihrerseits verschiedene Schübe gesellschaft-
licher Binnendifferenzierung in Gang, in denen gelehrtes Wissen zunehmend auf
neue Gebrauchssituationen zugeschnitten wurde. Dies äußerte sich teils in neuen
Sammlungen gelehrten Wissens, allmählich auch in weiteren Anpassungen der ma-
teriellen Darbietung der Texte an spezifische Rezipientengruppen. Gerade wo Me-
thoden und Ziele strittig wurden, führte das wachsende Ordnungs- und Legitima-
tionsbedürfnis aber auch dazu, neue gelehrte Unternehmungen im Angesicht von
Gegnern genauer zu erläutern und theoretisch-argumentativ zu verteidigen. Die
Entwicklung neuer theoretischer Ordnungen des Wissens gewinnt daher grund-
sätzliche Dynamik aus einer immer deutlicher werdenden Spannung zwischen dem
Versuch, Wissen möglichst umfassend zu sammeln und dem entgegenlaufenden Be-
mühen, Einzelthemen unter Bezug auf gestiegene methodische Ansprüche vertieft
zu diskutieren.
Ein faszinierender Fall einer innovativen »Klosterenzyklopädie«, deren Ord-
nung freilich noch implizit und experimentell blieb, illustriert die erstere Tendenz:
Zwischen 1112 und 1121 verfasste der Kanoniker Lambert von St. Omer eine um-
fassende Wissenssammlung für seine Gemeinschaft, das Kanonikerstift St. Mari-
en in St. Ornera Wie der langjährige Erforscher des Albert Dero-
lez, festgestellt hat, lag die Anregung zu Lamberts Werk (wie schon bei Honorius
Augustodunensis) in Impulsen der Kirchenreform und der Fleilssuche. Lamberts
genaue, religiös unterfütterte Beobachtung des (Heils-)Geschehens in seiner Um-
gebung verbindet ihn mit mehreren monastischen Geschichtsschreibern des Hoch-

Centuries, Princeton 1983 (mit dem Konzept von »textual communities«); STECKEL, Kulturen des Leh-
rens (wie Anm. 11), S. 871.
83 Vgl. mit einigen Fällen STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 886-1176.
84 Albert DEROLEZ, The Autograph Manuscript of the Liber Floridus: A Key to the Encyclopedia of Lam-
bert of Saint-Omer (Corpus Christianorum. Autographa Mcdii Aevi 4), Turnhout, 1998 (vgl. dort S. 28
zur Datierung); DERS., Lambertus Qui Librum Fecit: Een Codicologischc Studie van de Liber Floridus-
Autograaf (Gent, Universiteitsbibliotheek, Handschrift 92) (Verhandclingen van de Koninklijke Acade-
mie voor Wetenschappen. Letteren en schone Künsten van België. Klasse Der Letteren 89), Brussel 1978;
Liber Floridus Colloquium. Papers Read at the International Meeting Held in the University Library
Ghent on 3.-5. September 1967, hg. von DEMS., Gent 1973. Nicht zugänglich war mir leider Jean-Charles
BÉDAGUE, Naissance et affirmation d'une collégiale. Notre-Dame de Saint-Omer, du début du IX^ au
début du XIIL siècle, Paris 2009.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 237

mittelaltersN Lambert erlebte sozusagen vor seiner Tür die Eroberung Englands
1066 und den Aufstieg der Grafen von Flandern, interessierte sich aber auch für
den weit entfernten ersten Kreuzzug und das Handeln der Reformpäpste, da er
die Geschichte insgesamt apokalyptisch zu deuten versuchte. Lambert wollte also
zunächst offenbar umfassend historisches Wissen sammeln, um die Konflikte seiner
Welt zu deuten und zu erklären.^
Um das von ihm angesammelte Wissen zu organisieren, zu vervollständigen und
für seine Gemeinschaft zugänglich zu machen, nahm er jedoch formale Anregungen
aus einer vorliegenden Gattung der Wissensorganisation auf: Wie Derolez wahr-
scheinlich macht, erhielt Lambert Anregungen von Isidors Lüymo/ogMf ^ und von
einer heute nur noch in Fragmenten erhaltenen Enzyklopädie aus dem benach-
barten, großen und traditionsreichen Benediktinerkloster St. Bertin.ss Sehr spät im
Kompilationsprozess erhielt er zudem Kenntnis von Hrabanus Maurus' De rer^w
einer Adaptation der grundlegenden Natur- und Weltenzyklopädie Isi-
dors.^ Lambert kreuzte also die bei ihm offenbar angesammelte Menge historischer
und lokalhistorischer Texte mit stärker auf Naturwissen ausgerichteten Texten.
Doch er wollte den Insassen seines Stifts offenbar auch noch weiteres Wissen
zugänglich machen, was darauf hindeutet, dass er sein großes Werk als eine Art
Bibliotheksersatz verstand. Er bediente sich also bei zeitgenössischen Schriftstellern
zu bestimmten theologischen Fragen, unter anderem bei Anselm von Laon, dessen
Schüler Wilhelm von Champeaux, aber auch Anselm von Canterbury.^" Insgesamt
versammelte Lambert Informationen zu Schöpfung, Heilsgeschichte, Natur und
Geographie, zu kanonischem Recht, zu den Wissensdisziplinen der Antes
/es, zur Theologie und aktuellen Streitfragen wie dem Umgang mit Juden. Zudem
fügte er differenziertes und geographisch breit gestreutes Geschichtswissen über
Flandern, Frankreich, England und das heilige Land zusammen, endete schließlich
mit einem eschatologisch-apokalyptischen Teil. Aufgrund dieser Kombination ei-
nes spezifischen Gebrauchskontextes sowie einer offenbar als umfassend gedachten

85 Vgl. mit diversen Beispielen z.B. Antonia GRANSDEN, Historical Writing in England: c. 500 to c. 1307,
London 1996.
86 Dass die Erstellung einer umfangreichen und teuren Enzyklopädie zumeist mit bewusstem Willen zur
Innovation vor sich ging, betont schon MEIER, Einführung (wie Anm. 17), S. 16. Vgl. ebd. zur »Bestands-
aufnahme, in der das Vorhandene unter verstärktem Interesse an weiträumiger Überschau gesammelt und
geordnet wird«, als Motiv des zwölften Jahrhunderts.
87 Vgl. DEROLEZ, The Autograph Manuscript (wie Anm. 84), S. 30.
88 Vgl. DEROLEZ, The Autograph Manuscript (wie Anm. 84), S. 30.
89 DEROLEZ, The Autograph Manuscript (wie Anm. 84), S. 170.
90 Vgl. DEROLEZ, The Autograph Manuscript (wie Anm. 84), S. 162-170.
238 I Sita Steckei

Wissenssammlung erscheint der als erstes Beispiel einer neuen enzy-


klopädischen Tendenz des Hochmittelalters.^
Was die materielle Gestaltung angeht, zeigt sich Lamberts vor allem als ex-
perimentelles, im Wesentlichen ja ohne Vorbilder entstandenes Werk. Es ist wegen
seiner inneren Inkonsistenzen als Nachschlagewerk höchstens in Ansätzen brauch-
bar. Der ZüZer dürfte aber in der großformatigen und aufwendig illustrierten Fas-
sung vor allem zur Einzellektüre und didaktischen Kontemplation der Konvents-
mitglieder gedacht gewesen sein. Gegenüber gleichzeitigen oder späteren prächtig
illustrierten Wissenskompendien schneidet der LzAer teils schlechter ab,
da Lambert weniger Ressourcen zur Verfügung standen als etwa den Schreibern in
St. Bertin mit seinem gut ausgestatteten Skriptorium: Der selbst als Kopist tätige
/etA hatte nicht genügend Pergament zur Verfügung. Er
bastelte deswegen sein umfassendes Wissensbuch von über 500 Folio am Ende teils
aus nach und nach hinzugefügten Einzelseiten, Bifolien und sogar aus Konzepten
zusammen. Er wird in der Forschung als talentierter Maler und Autor angesehen,
doch setzten die materiellen Umstände seiner Kompilationstätigkeit Grenzen.^
Doch Lambert strebte offenbar dennoch eine Verbesserung der Ausbildung in
seinem Konvent an. Da er sich an einer in St. Bertin vorhandenen Enzyklopädie
des älteren Naturbuchtyps ausrichtete und ihr gegenüber aktualisiertes Wissen ver-
arbeitete, erscheint seine Blütenlese nicht zuletzt wiederum durch Kontakte und
Konkurrenzen angeregt - er versuchte ja eine Überbietung vorliegender Wissens-
kompendien. Wie im Falle Ruperts von Deutz erweist sich wiederum die Stadt als
entscheidender Ort innovativer gelehrter Tätigkeit - und zwar nicht nur, da sie Ort
neuer bürgerlicher und kirchlicher Eliten war, wie dies in der Forschung betont
wird. In den Städten trafen spätestens mit der Reform- und Gründungswelle des
11. und beginnenden 12. Jahrhunderts zumeist mehrere aktive religiöse Zentren
aufeinander, im Falle St. Omers etwa das etablierte Großkloster St. Bertin und das
neuerdings reformierte Marienstift. Die intensivierte Wahrnehmung solcher neu-
en unmittelbaren Nachbarn provozierte nun Imitation und Transferleistungen.
Während die Wissenserzeugung in makrohistorischer Hinsicht auf den bereits ge-
schilderten neuen gesellschaftlichen Strukturen und Interessen aufruhte, wurde die
Gestalt konkreter Neuentwürfe von der Ebene solcher lokaler Akteure und ihrer
Netzwerke geprägt.
Neben der Tendenz zur enzyklopädischen Wissenssammlung lässt sich in die-
sem Kontext auch ein entgegengesetztes Streben nach Spezialisierung feststellen.
Während Lambert von St. Omer noch assoziativ gesammelt und ergänzt hatte und

91 MEtER, Enzyklopädischer Ordo (wie Anm. 17), S. 523.


92 Vgl. so den Tenor von DEROLEZ, The Autograph Manuscript (wie Anm. 84).
Deuten, Ordnen und Aneignen I 239

Rupert von Deutz in fortgesetztem Ringen mit den heiligen Schriften immer grö-
ßere Ordnungsentwürfe vorlegte, wurde zunehmend auch Wissen ausgegrenzt.
Gerade im allmählich stark umstrittenen Bereich der Sakramententheologie und
der Christologie wurde dies nicht mehr nur als praktisches, sondern zunehmend
auch als theoretisches Problem gesehen. Vor oder neben die bloße Anordnung von
Traditionsbeständen in thematischen oder historischen Zusammenhängen wurden
zunehmend theoretische Reflexionen gestellt, die dem ausgewählten Wissen Auto-
rität verleihen sollen.
Als paradigmatischen Fall derartiger Positionierung kann man die Selbstab-
grenzungen diskutieren, die Gilbert von Poitiers, der Schüler Anselms von Laon,
vorlegen sollte. Sie verdankten sich wesentlich den intensiven, für zwei Generati-
onen zwischen c. 1100 und 1150 sehr kämpferischen gelehrten Debatten in der am
stärksten verdichteten Schullandschaft Europas, in Nordfrankreich. Nicht zuletzt
aufgrund von Angriffen gegen Einzelargumentationen entwickelte der in Laon,
Chartres und schließlich Paris tätige Gilbert,^ wie erwähnt, ein äußerst klares Be-
wusstsein »disziplinärer« Grenzen - nämlich der Grenze zwischen dem hermeneu-
tischen Umgang mit profanen Texten oder andererseits mit der heiligen Schrift. Für
diese Unterscheidung griff er auf die letztlich aristotelische, durch Boethius vermit-
telte Unterscheidung von Einzelwissenschaften zurück, unter denen die
als Wissenschaft mit spezifischen Regeln einzuordnen seiN Heftigen Anfeindungen
ausgesetzt, verwies Gilbert in seinem Kommentar der boethianischen Werke dann
pointiert darauf, dass für die Theologie teils schwierig zu verstehende Prinzipien
gälten und sie daher nur von einigen wenigen Gelehrten betrieben werden dürfe,
die sich der Regeln im Umgang mit theologischen Fachbegriffen bewusst seienV Er
grenzte also einen Wissensbereich theologischer Expertise ab. Seine Werke blieben
hochspezialisiert und auf Detailanalyse von Texten fokussiert. Eine übergreifende
Ordnung gelehrten Wissens gewann er jedoch aus der aristotelischen Idee einer
Wissenschaftseinteilung. Dieser Gedanke wurde in den Schulen in den folgenden
Dekaden stark entfaltet und bildete die Grundlage mehrerer Enzyklopädien, die
entlang eines orJo strukturiert waren.^

93 Zu seinem Leben vgl. GROSS-DiAZ, The Psalms Commentary (wie Anm. 62), S. 1-25; NiELSEN, Theo-
logy and Philosophy (wie Anm. 62), S. 25-189.
94 Vgl. ausführlicher Markus ENDERS, Zur Bedeutung des Ausdrucks tAo/ogM im 12. Jahrhundert und sei-
nen antiken Quellen, in: What is »theology« in the Middle Ages? Religious cultures of Europe (ll'*'-15^
centuries) as reflected in their self-understanding, hg. von Mikolaj OLSZEWSKI (Archa Verbi. Subsidia 1),
Münster 2007, S. 19-38.
95 Vgl. The Commentaries on Boethius by Gilbert of Poitiers, hg. von Nikolaus M. HÄRING (Studies and
tcxts/Pontihcal Institute of Mediaeval Studies 13), Toronto 1966, bes. Prologus primus, S. 53-56, sowie
zur theologischen Expertise S. 184.
96 Vgl. MEIER, Enzyklopädischer Ordo (wie Anm. 17), S. 516 f.
240 I Sita Steckei

Im Spannungsfeld dieser einander teils entgegenlaufenden Gebrauchskontexte


und Ordnungsprinzipien entfaltet sich in den folgenden Generationen eine Viel-
zahl von wissenorganisierenden Texten. Ihre Spannbreite reicht von zunehmend
spezialisierten Texten in Form von Kommentaren, von Behandlungen von Einzel-
disziplinen und schließlich von alphabetischen Repertorien^ bis zum enzyklopä-
dischen Kompendium, das typischerweise als Bibliotheksersatz für eine spezifische
Gruppe gedacht wurde und eine für diese Gruppe intendierte, (welt-)deutende
Ordnung vorgab. Innerhalb des vorhandenen Spektrums lassen sich bestimmte
Anordnungstypen ausmachen - wie Meier herausarbeitet, sind der eher von Welt
und Natur ausgehende or^o rerMW, der eher von wissenschaftstheorischen Ge-
sichtspunkten beeinflusste orJo oder schließlich alphabetische Ordnungen
anzutreffen.^
Erst unter diesen Bedingungen ist nun - vor allem seit dem zweiten Drittel des
12. Jahrhunderts - eine Spezialisierung festzustellen, die schulisch, klösterlich oder
beispielweise höfisch orientierte Wissenskompendien auseinandertreten ließ. Doch
erweist es sich schnell als müßig, Anordnungstypen einem einzelnen »schulischen«
oder »klösterlichen« Kontext zuordnen zu wollen. Gelehrte Wissensentwürfe aus
Klöstern, aus Regularkanonikerkonventen verschiedener Observanzen oder aus
Hoch- oder Stiftskirchen und gar »freien« Schulen wurden offensichtlich nicht
entscheidend von solch allgemeinen institutioneilen Zugehörigkeiten geprägt. Viel-
mehr erweist sich im hier betrachteten Bereich neben individuellen Prohlbildungen
verschiedener Gelehrter die Verknüpfung klösterlicher, kanonikaler, schulischer,
städtischer und höfischer Kommunikationsnetzwerke sowie religiöser, pastoraler
und didaktischer Intentionen als entscheidend. Fünf Beispiele seien knapp ange-
sprochen.
Ein schulischer, stark spezialisierter Gebrauchskontext prägt etwa eines der
wichtigsten hochmittelalterlichen Wissenskompendien, die Sentenzen des Petrus
Lombardus (*j* 1160), der als Kanon der Kathedrale von Paris und Schulgelehrter
keinem klösterlichen Kontext zuzurechnen ist. Doch steht sein Werk durchaus
stark in der pastoral ausgerichteten Tradition der früheren Sentenzensammlungen,
die im Paris der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und darüber hinaus gepflegt
wurde. Wie auch schon Honorius Augustodunensis entwickelten sie ihre Themen
meist entlang eines or&) von Gott zum Menschen. Auch Petrus Lombardus
ordnet christliche Lehrfragen auf diese Weise. Gegenüber der heilsgeschichtlichen

97 Vgl. zu ihrer Bedeutung Mary RouSE/Richard Hunter RouSE, Statim Invenire: Schools, Preachers, and
New Attitudes to the Page, in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, hg. von Robert Louis
BENSON/Giles CONSTABLE, Cambridge, Ma. 1982, S. 201-225.
98 Vgl. MEIER, Enzyklopädischer Ordo (wie Anna. 17), S. 512-519.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 241

Deutungsrichtung, die bei Honorius Augustodunensis oder Rupert von Deutz


stärker durchschlug, bevorzugte er jedoch eine lockerere, stärker problemorien-
tierte Reihung der Themen und räumte spekulativen Fragen einigen Platz ein.^
Ausgangsüberlegung ist bei Petrus Lombardus nicht die Heilsgeschichte, sondern
(gewissermaßen auf abstrakterer Ebene) die Überlegung Augustins, dass die Welt
in und geordnet sei und diese erklärt werden müssten. Ein strikt historisch
ordnendes Prinzip gibt er daher zugunsten einer thematischen Struktur auf, die
er allerdings für schnelles Nachschlagen einzurichten suchted°° Die Sentenzen des
Lombardus erscheinen also als neue Form eines spezialisierten, auf den schulischen
Gebrauch zugeschnittenen Wissenskompendiums.
Ganz anders akzentuiert erscheinen jedoch zwei Entwürfe, die ebenfalls aus dem
Kontext der Pariser Schulen stammen, aber von einem Regularkanoniker vorge-
legt wurden - Hugo von St. Viktor (*}* 1141). Wie Gilbert von Poitiers und Petrus
Abaelard stand dieser Gelehrte mit der Schultradition Anselms von Laon in Ver-
bindung. Obwohl im Reich ausgebildet, trat Hugo in das von Wilhelm von Cham-
peaux, dem Schüler Anselms von Laon, 1111 gegründete neue Regularkanonikerstift
St. Viktor ein.i°t In diesem florierenden Konvent, der enge Kontakte zur Vielfalt der
städtischen Schulen wie übrigens auch zum Königshof unterhielt und kanonikale
Spiritualität mit pastoraler Orientierung kombinierte, zeigt sich eine dichte Verqui-
ckung mehrerer Gebrauchskontexte. Eines der heute beliebtesten Werke Hugos,
das Df(de /egeyzdf),^ zeigt sozusagen die ganze Ambivalenz der
Zeitgenossen zwischen Spezialisierung und Gesamtdeutungsversuchen: Hugo legte
mit diesem gern als »Studienführer« bezeichneten Werk kein Wissenskompendium
im bislang behandelten Sinn vor - es war letztlich bereits unmöglich, das in den pro-
fanen und theologischen Textkorpora enthaltene Wissen knapp zusammenzufassen.
Hugo behalf sich daher mit einer systematischen Beschreibung der Gesamtheit des
Wissens und schrieb schlicht eine wissenschaftstheoretische Einleitung die umfas-
send auf die vielen möglichen Studiengebiete hinleitete. Neben den »Bibliotheks-

99 Vgl. CoLiSH, Peter Lombard (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 78-79.


100 Vgl. Philipp W. RoSEMANN, Peter Lombard (Great Medieval Thinkers), Oxford 2004, hier S. 57-61;
CoLiSH, Peter Lombard (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 79-84; RouSE/RouSE, Statim invcnirc (wie Anm. 97),
S. 206.
101 Vgl. zur Gründung mit Verweisen Constant J. MEWS, William of Champeaux, the Foundation of
Saint-Victor (Easter, 1111), and the Early Career of Abaelard, in: Arts du langage et théologie aux con-
fins des XF/XIL siècles. Conditions et enjeux d'une mutation, hg. von Irène RosiER-CATACH (Studia
Artistarum 26), Turnhout 2007, S. 83-104.
102 Vgl. die deutsche Übersetzung Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon De Studio Legendi. Studienbuch.
Lateinisch - Deutsch, übers, und eingeleitet von Thilo OFFERGELD (Fontes Christiani 27), Freiburg/
Basel/Wien u. a. 1997.
242 I Sita Steckei

ersatz« der Sentenzensammlung trat in Paris also der »Studienführer« als wissens-
organisierende Gattung.
In den 1130er Jahren legte Hugo nach einer Phase der Spezialisierung auf den
Bibeltext zudem noch ein großes Uberblickswerk zur Sakramententheologie vor,
das die Tradition der pastoralen Sentenzensammlungen weiterführte. In seinem De
wurde - wiederum ähnlich wie in Honorius' Augustodunensis E7%-
chDrzM??? und einigen früheren Sentenzensammlungen - ein Überblick über Gott,
Schöpfung und kirchliche Praxis gegeben.^ Doch zeigt sich in Hugos Werk dar-
über hinaus noch ein gesteigerter Deutungsanspruch,^ der ihn eher in die Nähe
Ruperts von Deutz rückt: Auch Hugo nahm an, dass Gott sich zeichenhaft äu-
ßerte, wobei er neben den biblisch überlieferten Ereignissen der Heilsgeschichte
auch das »Buch der Natur« einbezog. An Augustinus anschließend stellte er daher
der Schöpfung (op%s co?3<AAo73Ü) den Heilsplan (opMJ gegenüber, der
nach und nach den Menschen Sakramente als verweisende Zeichen gabd°^ Ähnlich
wie Anselm von Laon und seine Schule bzw. sogar über sie hinaus war Hugo von
St. Viktor aber am Wortlaut der Bibel, vor allem des alten Testaments, interessiert,
da er ein klares, analytisch gesichertes Verständnis der biblischen Geschichte selbst
als äußerst wichtige Grundlage einer weitergehenden kontemplativen Auseinander-
setzung ansah. Die an einem Kreuzungspunkt klösterlicher, klerikaler, schulischer
und höfischer Netzwerke stehende Schule von St. Viktor zeigt somit in Hugo auch
eine Verknüpfung der pastoralen Praxisorientierung, der wissenschaftstheoretisch-
didaktischen Fundierung sowie der historischen und religiösen Gesamtdeutung
gelehrten Wissens.
Eine ähnliche Überlagerung verschiedener Kontexte und Intentionen darf man
dem TfortMS De/ADr^m Herrads von Hohenburg attestieren, der als einer von we-
nigen Texten des 12. Jahrhunderts ebenfalls Tendenzen zur Spezialisierung mit dem
Anspruch auf kompendiöse Gesamtdarstellung verbindet. Herrads Auswahl von

103 Vgl. mit Verweisen auf die ältere Literatur Hugo von St. Viktor. Über die Heiltümer des Christlichen
Glaubens, übers, von Peter K.NAUER, Einleitung, Apparate, Bibliographie und Register von Rainer
BERNDT (Corpus Victorinum - Schriften 1), Münster 2010. Zu Ähnlichkeiten zwischen Hugo von St.
Victor und Honorius Augustodunensis vgl. Elucidarium (wie Anm. 19), S. 205; GOTTSCHALL, Das
»Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 21 f.
104 Vgl. zu Hugos Theologie insgesamt Jochim EHLERS, Hugo von St. Viktor (Frankfurter Historische Ab-
handlungen 7), Wiesbaden 1973 sowie zuletzt die Beiträge in Bibel und Exegese in der Abtei Saint-Victor
zu Paris. Form und Funktion eines Grundtextes im europäischen Rahmen, hg. von Rainer BERNDT
(Corpus Victorinum. Instrumenta 3), Münster 2009; Matthias Martin TISCHLER, Die Bibel in Saint-Vic-
tor zu Paris. Das Buch der Bücher als Gradmesser für wissenschaftliche, soziale und ordensgeschicht-
liche Umbrüche im europäischen Hoch- und Spätmittelalter (Corpus Victorinum - Instrumenta 6),
Münster 2014.
105 Vgl. etwa Hugo von St. Viktor, Über die Heiltümer (wie Anm. 103), Vorwort des ersten Buches, S. 44-
49, hier S. 45.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 243

Wissensbeständen bleibt zwar großenteils implizit, ja muss teils aus dem Bildpro-
gramm des rekonstruiert werden/"*" Doch zeigen die vorliegen-
den Interpretationsansätze, dass die Innovativität Herrads gerade nicht nur in ihrer
Rezeption der Theologie der Schulen liegt, die bei Autoren und Autorinnen klös-
terlicher Wissenskompendien letztlich sowieso Standard ist. Herrads Innovation
liegt auch in einer sehr eigenständigen Selektion möglicher Wissensbestände, die sie
in eigener Weise kombiniert und anordnet.
Mit ihrer bildlichen Darstellung der Ar^es die Anleihen bei der Wis-
senschaftstheorie Hugos von St. Viktor macht, legte Herrad etwa ihrem Werk eine
theoretische Fundierung unter/"^ Sie verwies auf die Philosophie und deren Teil-
disziplinen als ordnendes Prinzip und machte so deutlich, in selektiver Weise nur
Wissen einschließen zu wollen, das zum Ranon wissenschaftlichen Wissens gehörte.
Die an sich nützlichen, aber unwissenschaftlichen Dichter (pocMe) blieben in ihrer
bildlichen Darstellung außerhalb des Kreises der Die derart bildlich
angedeutete, von Herrad souverän durchdachte Wissensordnung zeigt sich auch
in den Details ihrer Textauswahl. Wie die Studien von Griffiths, Green und an-
deren zeigen, ersetzte Herrad etwa just die theologischen Passagen des Honorius
Augustodunensis, die veraltet waren (vor allem die Eucharistielehre) mit dem neu-
esten Stand des Petrus Lombardus/"^ Sie tilgte außerdem den Namen Bernhards
von Clairvaux, obwohl sie ihn zitierte. Wie Griffiths herausstellt,^ dürfte dies ein
Einfluss der Kanoniker von Marbach sein, unter denen mit Hugo von Honau ein
Schüler Gilberts von Poitiers und Gegner Bernhards von Clairvaux saß - zwischen
letzteren beiden Gestalten hatte es 1147/1148 einen heftigen Konflikt gegeben.""
Man kann den Abgrenzungsvorgang aber auch noch genauer nuancieren: Obwohl
der erwähnte Hugo von Honau eine richtiggehende Kampagne zur Verbreitung der
Werke Gilberts von Poitiers betrieb, zitierte Herrad auch ihn nicht prominent/"
Sie hielt sich damit aus dem Konflikt Hugos von Honau sozusagen heraus und
erweist sich in ihrer Auswahl als durchaus selbständig gegenüber schulischen Ide-
engebern. Darin zeigt sich nicht zuletzt wohl der relativ breite Handlungsspiel-
raum, der sich für das gut vernetzten Elsässer Stift ergab, das mit den schulischen
Netzwerken Nordfrankreichs, mit lokalen kanonikalen Verbänden und schließlich
über die benachbarten Pfalzen mit höfischen Kreisen in Verbindung stand."- Doch

106 Vgl. dazu bes. MERSCH, Innovationen (wie Anm. 2).


107 Vgl. MERSCH, Innovationen (wie Anm. 2), S. 234-238.
108 Vgl. BiscHOFF, Le Texte (wie Anm. 28), S. 50f.
109 Vgl. GRIFFITHS, The Garden of Delights (wie Anm. 3), S. 78.
110 Vgl. mit Verweisen auf die Literatur STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 1098-1124.
111 Vgl. GRIFFITHS, Garden of Delights (wie Anm. 3), S. 78-80.
112 Vgl. allgemein LfuTH, Staufische »Reichshistoriographie« (wie Anm. 15), bes. S. 123-147.
244 I Sita Steckei

ist der Dc/zcMzzzw gleichzeitig stark seinem Nutzungskontext eines relativ


jungen und ausstattungsbedürftigen Kanonissenstifts angepasst: In seiner materi-
ellen Ausstattung und seiner kunstvollen Verknüpfung der visuellen und textuel-
len Elemente war der Prachtcodex zur kontemplativen Lektüre der Kanonissinnen
gedacht. Er enthält neben dem »schulischen« Wissen aus neueren theologischen
Kompendien selbstverständlich auch Versatzstücke von Autoren wie Rupert von
Deutz oder Honorius Augustodunensisd" Für die Kanonissinnen war diese Ge-
samtschau aktueller gelehrter Deutungsversuche ähnlich wie Lamberts J?o-
dann teils Bibliotheksersatz. Wie dieser folgt der ZZo?V%s Jc/zcMrzzw zudem
einer heilsgeschichtlichen Anordnung, die sich dem Zweck individueller meditati-
ver Lektüre und Heilsgewinnung zuordnen lässtd" Andere Wissenskompendien
für weibliche Religiösen, insbesondere das Spcczz/Mw -uzrgzzzMW aus der Mitte des
12. Jahrhunderts, das Mersch dem Kontext der Regularkanoniker von Springiers-
bach zuordnet, zeigen dagegen eine ähnlich stark auf das Zusammenwirken von
Bild, Text und Musik ausgerichtete materielle Einrichtung."^ Das ürgz-
das sein Wissen ebenfalls in Form eines Lehrdialogs darbietet, kommt jedoch
ohne enzyklopädischen Anspruch, ohne Gesamtordnung und ohne den Einschluss
aktualisierten Schulwissens über Gott und die Welt aus. Es blieb viel stärker auf den
Erwerb individueller Tugenden fokussiert, der den spezifischen Bedarf weiblicher
Religiösen bildete.
Zur Vervollständigung des weiten Panoramas hochmittelalterlicher Wissens-
kompendien könnte man eine ganze Reihe weiterer Exemplare diskutieren, die
auffallend häufig den Grundstock von Honorius' Augustodunensis E/%czd<%rz%77?
weiterentwickeln und so ihre Wurzeln in der neu auf die Seelsorge ausgerichteten
Kirchenreform des 11. Jahrhunderts offenbaren. Als in Ansätzen enzyklopädisches
Wissenskompendium, das sowohl historisches, theologisches wie philosophisch-
naturkundliches Wissen für höfische Kontexte aufbereitete, kann man etwa das
P<%??zAeo72 des staufischen Hofkaplans Gottfried von Viterbo (*j* um 1191) aus den
1180er Jahren erwähnen."*' Weitere, teils erweiternde Übersetzungen des

113 Vgl. GRIFFITHS, Garden of Delights (wie Anm. 3), S. 64-72.


114 Vgl. MEIER, Enzyklopädischer Ordo (wie Anm. 17), S. 523 f.; GRIFFITHS, Garden of Delights (wie
Anm. 3), S. 164-193.
115 Vgl. zum Speculum virginum die Beiträge in Listen, Daughter (wie Anm. 39); Katharina Ulrike MERSCH,
Soziale Dimensionen visueller Kommunikation in hoch- und spätmittclalterlichen Frauenkommuni-
täten. Stifte, Chorfrauenstifte und Klöster im Vergleich (Nova Mediaevalia 10), Göttingen 2012, hier
S. 145-169.
116 Vgl. knapp STURLESE, Die deutsche Philosophie (wie Anm. 3), S. 228-244; Maria Elisabeth DoRNiN-
GER, Gottfried von Viterbo. Ein Autor in der Umgebung der frühen Staufer (Stuttgarter Arbeiten zur
Germanistik 345), Stuttgart 1997; Friederike BoocKMANN, Studien zum Pantheon des Gottfried von
Viterbo, Diss. masch. München 1992.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 245

rmw in verschiedene Volkssprachen, großenteils schon im 13. Jahrhundert, entwi-


ckeln ebenfalls Profile, die auf Laien zielen.^ Als erste Enzyklopädie, die ausdrück-
lich auf politisch tätige Laien zielt, sind Brunetto Latinis Livree aus den
1260er Jahren zu nennen.^ In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts resultiert aus
einer hochinnovativen Verknüpfung von pastoralen und didaktischen Absichten
dann eine Reihe neuer, ganz auf die Seelsorge zugespitzter Enzyklopädien, zumeist
stark auf die Predigt ausgerichtetd^ Sie gehen meist nach einer sachlichen und histo-
rischen Ordnung vor - noch das des Vinzenz von Beauvais (J c.
1264) ordnet etwa die Natur nach Schöpfungstagen an. Doch waren diese gewaltigen
neuen Kompendien durchaus zum schnellen Benutzen da, zur schulischen Konsul-
tation oder als Hilfsmittel für die Predigt. Schon ab dem endenden 12. Jahrhundert
begannen diese Wissenskompendien auch ganz buchstäblich, ihr Gesicht zu verän-
dernd-" Das Layout der Seiten wurde auf schnelles Nachschlagen eingerichtet. Die
Bibel entwickelte eine Kapitelzählung; alle großen Wissenskompendien von Petrus
Lombardus über die Bibel bis zu Aristoteles erhielten bis 1250 einen Sachindex und
ausführliche Auch zur Kompilation dieser und weiterer Hilfsmittel, die
in sich wiederum einen stark veränderten Umgang mit Wissen bedingten, brauchte
man aber sowohl Organisationsstärke wie eine religiöse Disziplin, die jahrelange
Teamarbeit ermöglichte: Sie wurden bekanntlich großenteils von Angehörigen der
Bettelorden hergestellt, die nunmehr die Kombination von monastischem Leben
und Seelsorge in neuer Form institutionalisierten.

117 Vgl. GoTTSCHALL, Das »Elucidarium« (wie Anm. 19), passim; STURLESE, Die deutsche Philosophie
(wie Anm. 3), S. 250-263 zum deutschen Henning DüwELL, Eine altfranzösische Überset-
zung des EAÜ6ÜÜM772 (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 7), München 1974; Fried-
rich SCHMITT, Die mittelenglische Version des Elucidariums des Honorius Augustoduncnsis, Diss. Uni-
versität Würzburg 1909; Monika TÜRK, »Lucidaire de Grant Sapientie«. Untersuchung und Edition
der altfranzösischen Übersetzung 1 des »Elucidarium« von Honorius Augustoduncnsis (Beihefte zur
Zeitschrift für Romanische Philologie 307), Tübingen 2000.
118 Vgl. Brunetto Latini, Li Livres dou Tresor, hg. von Francis James CARMODY (University of California
publications in modern philology 22), Berkeley/Los Angeles, Ca. 1948, Nachdruck Genf 1975; vgl.
dazu Christel MEIER, Cosmos politicus. Der Funktionswandel der Enzyklopädie bei Brunetto Latini,
in: Frühmittelalterliche Studien 22, 1988, S. 315-356.
119 Vgl. MEIER, Enzyklopädischer Ordo (wie Anm. 17), S. 525 f.
120 Vgl. für das Folgende nach wie vor die Überlegungen bei RouSE/RouSE, Statim invenire (wie Anm.
97) sowie Heinz MEYER, Die Enzyklopädie des Bartholomäus Anglicus. Untersuchungen zur Überlie-
ferungs- und Rezeptionsgeschichte von »De Proprietatibus Rerurn« (Münsterschc Mittelalter-Schriften
77), München 2000; DERS., Ordo Rerum und Registerhilfen in Mittelalterlichen Enzyklopädiehand-
schriften, in: Frühmittelalterliche Studien 25, 1991, S. 315-339.
246 I Sita Steckei

Schlussüberlegungen. Vom Paradigmenwechsel zur Differenzierung


gelehrter Wissensformen

Die hier erörterten, skizzenhaften Überlegungen legen insgesamt nahe, dass der
Blick auf die bodenständige Gattung überblicksartiger Wissenskompendien die äl-
tere Forschung in interessanter Weise ergänzt und ihre eng auf intellektuelle Hö-
henflüge eingeschränkte Perspektive erweitert. Die Entwicklung neuer, innovativer
und zunehmend differenzierter Formen gelehrten und religiösen Wissens für un-
terschiedliche Gebrauchskontexte erweist sich keineswegs als eindimensionale oder
geradlinige Angelegenheit - und wie erwartet, kann es kaum angehen, das lange
12. Jahrhundert auf eme Innovation reduzieren zu wollen. Wie sich auch an anderen
Gattungen als den hier verfolgten theologischen Wissenskompendien zeigen ließe,
beobachten wir vielmehr mehrere, einander chronologisch überlappende Innovati-
onstendenzen und Experimente.
Eine eingängige Alternative zum Denkmodell des »Paradigmenwechsels« ist
nicht leicht zu formulieren In abstrakter Formulierung lässt sich jedoch festhalten,
dass die erhebliche Verdichtung des intellektuellen und religiösen Felds im westli-
chen Europa des Hochmittelalters Prozesse der Neuaushandlung von Wissen und
Religiosität anregte. Sie brachten neue Formen der Wissensspeicherung für neue,
zunehmend gegeneinander abgegrenzte Gebrauchskontexte hervor, die sich in viel-
fältigen Innovationsdynamiken gegenseitig beeinflussten.
Im Einzelnen fielen hier drei Befunde und Thesen auf, die für zukünftige For-
schungen festgehalten werden können.
1. Theoretisch betrachtet, sehen wir in den Dekaden um 1100 keinen geradlini-
gen Paradigmenwechsel - tatsächlich entstehen in wissensgeschichtlicher Hinsicht
offensichtlich noch nicht einmal mehrere einheitliche, innovative »Strömungen«,
die neuen Bedarfslagen für säuberlich abgrenzbare Bereiche wie Klöster, Kirchen
und Schulen entgegenkämen. Vielmehr lassen sich an einzelnen gelehrten Entwür-
fen wie denen Anselms von Laon und seiner Schule, Lamberts von St. Omer oder
Ruperts von Deutz kleine und kleinste Wissensgemeinschaften beobachten, deren
Konzepte von Wissen und Wissenssammlung sich quer zu institutionellen Zugehö-
rigkeiten gegenseitig beeinflussten und überlagerten. Die Vielfalt solcher Gruppen
und Gemeinschaften bewirkt jedoch eine erhebliche, im Ergebnis äußerst kreative
Dynamik.
Vor diesem Hintergrund sind die bekannten gelehrten Konflikte des langen
12. Jahrhunderts anders zu bewerten: Die dramatischen Zusammenstöße von Ak-
teuren wie Peter Abaelard und Bernhard von Clairvaux erschienen bislang als Sym-
ptome des Paradigmenwechsels, an denen eine Gegenüberstellung von alter monas-
tischer und neuer schulischer Gelehrsamkeit ikonisch verdichtet wurde. Längst ist
Deuten, Ordnen und Aneignen I 247

jedoch deutlich, dass sie in einem viel breiteren Kontext stehen. Zwischen c. 1050
und 1200 stritten nicht nur Vertreter der »neuen Schulen« mit Protagonisten des
Mönchtums, sondern in Wissensdingen eigentlich alle mit allen - etwa auch Mön-
che mit Höflingen, schulische Magister mit ihren Kollegen oder Regularkanoniker
untereinander^-^ Um die Dichotomie von »Schule und Kloster« aufrechtzuerhal-
ten, wurden diese Unterschiede bislang stets nivelliert. Doch wissen wir eigentlich,
dass die Reihung von »Schule« und »Kloster« zu kurz greift. Neben verschiedenen
Arten von Schulen sowie Klöstern, Regularkanonikerkonventen und Kanonissen-
stiften als Orten hochmittelalterlicher Wissensvermittlung und Wissensprodukti-
on stehen beispielsweise auch noch klerikal-höfische Milieus, die man mit Stephen
Jaeger schon seit dem 10. Jahrhundert als wissensgeschichtlich innovative Kontexte
ausweisen mussd-^ Auch die so wichtigen Städte wurden bislang fast reflexartig mit
den »Schulen« amalgamiert, könnten aber stärker in ihrer Funktion als kommuni-
kative Knotenpunkte ernstgenommen werden: Im hier verfolgten Kontext erwiesen
sich Städte insbesondere als Orte, an denen klösterliche Gelehrte auf ihre Gegen-
über trafen, seien diese nun Kleriker der lokalen Kirche oder Angehörige konkur-
rierender klösterlicher Neugründungen. Dies trifft ausdrücklich nicht nur für die
Großstadt Paris zu, sondern lässt sich auch im kleinen St. Omer, in Köln, in Liège
und zwischen Laon, Reims und Paris beobachten.
2. Religiöse Motivationen gaben für die Dynamisierung gelehrter Wissensbe-
stände im Hochmittelalter wichtige Anreize - in Form individueller Impulse zur
Heilssuche und religiös akzentuierten gelehrten Erkenntnisstrebens, aber auch in
Form eines institutionell verankerten pastoralen und didaktischen Engagements
zur Belehrung von Laien oder Mitgliedern eigener religiöser Gemeinschaften. Dass
Gelehrte des Mittelalters zumeist religiöse Überzeugungen pflegten, versteht sich
von selbst und muss hier nicht betont werden. Doch könnte sich die Forschung
durchaus noch stärker der Tatsache bewusst werden, dass die Heroen der zumeist
säkular gedachten Wissenschaftsgeschichte selbstverständlich ebenfalls von religiö-
sen Impulsen motiviert wurden und oft genug ihre Gelehrtenrolle unter dem Druck
steigender Konkurrenz zu sakralisieren suchten.^ Gelehrte aus klösterlichen und
regulierten Kontexten wurden im Gegenspiel selbstverständlich von gelehrtem Er-

121 Vgl. STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), Kap. VI; Clare MoNAGLE, Orthodoxy and Cont-
roversy in Twelfth-Century Religious Discourse. Peter Lombard's Sentences and the Development of
Theology (Europa Sacra 8), Turnhout 2013; Constant J. MEWS, Philosophy, Communities of Learning
and Theological Dissent in the Twelfth Century, in: The Medieval Paradigm. Religious Thought and
Philosophy. Papers of the International Congress (Rome 29 October-1 November 2005), hg. von Giulio
D'ONOFRio, Turnhout 2012, S. 309-326.
122 JAEGER, The Envy of Angels (wie Anm. 42), passim.
123 Vgl. mit Nachweisen STECKEL, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 1077, 1080h, 1162, 1184.
248 I Sita Steckei

kenntnissstreben gelenkt und entwickelten eigene Konzepte von Erkenntnis, Er-


bauung und Ausbildung.^ Auf einer strukturellen Ebene macht sich die Dynamik
religiöser Erneuerung und Reform im IE und 12. Jahrhundert jedoch ebenfalls
bemerkbar, und dies erscheint im vorliegenden Kontext weit bedeutender: Nicht
nur die kommunikative Verdichtung des sozioökonomisch zusammenwachsenden
euro-mediterranen Raums, sondern auch das steigende Interesse breiterer laika-
ler Kreise an Religion produzierten einen steigenden Bedarf an religiösem Wissen.
Nicht nur abstrakter <%wor und nicht nur das Streben nach Karrieren in
Kirche, Hof und Stadt wurden historisch wirksam, wie dies Grundmann und Clas-
sen akzentuierten.^ Auch die Intensivierung der Seelsorge für die Bevölkerung
und der Schub der Reform und Neueinrichtung von Klöstern und Regularkano-
nikerkonventen im 11. und 12. Jahrhundert wirkten sich auf mehreren Ebenen auf
Produktion und Rezeption gelehrten Wissens aus.
Nicht nur traten Gelehrte aus klösterlichen Kontexten fortgesetzt mit neuen
gelehrten Schriften und didaktischen Entwürfen hervor, wobei oftmals das frühmit-
telalterliche klösterliche Erbe als kulturelle Ressource fruchtbar gemacht werden
konnte. Klösterliche Verbandsbildungen und reformorientierte Netzwerke wirkten
auch als Verbreitungswege für wissensorganisierende Literatur und neue Konzep-
te der Ausbildung. Schließlich, hier am wichtigsten, traten die Insassen von Klös-
tern und Regularkanonikern sowohl für ihren eigenen Bedarf wie als Vermittler an
breitere, laikale Kreise als »Konsumenten« neuer Wissenskompendien hervor. Im
Zusammenspiel dieser drei Rollen, als Produzenten, Multiplikatoren und Konsu-
menten hochmittelalterlicher Wissenssammlungen, erweisen sich ordensgebundene
Gelehrte als wichtiger, bislang aber nur marginal einbezogener Wirkfaktor auf ins-
titutioneile Wachstumsprozesse. Gerade der Prozess der gegenseitigen Inanspruch-
nahme zwischen Produzent/innen und Rezipient/innen neuer gelehrter Entwürfe
in Klöstern, Schulen, Kirchen und reformierten Konventen bewirkte über längere
Zeiträume aber womöglich eine erhebliche Ausweitung des Leser- und Rezipien-
tenkreises für religiöses Wissen - ein Faktor hochmittelalterlicher Transformation,
den jüngst etwa John van Engen hervorgehoben hatd^
3. Insgesamt verweist die Entstehung von übergreifenden oder enzyklopädischen
Wissenskompendien religiösen Zuschnitts daher auf chronologische und regionale
Zusammenhänge, die bislang meist getrennt voneinander untersucht wurden. Uber

124 Vgl. so etwa nachdrücklich DiEHL, Grace of Learning (wie Anm. 73); MEIER, Ruperts von Deutz Be-
freiung (wie Anm. 73), für Rupert von Deutz.
125 Vgl. oben bei Anm. 12.
126 Vgl. John VAN ENGEN, Reading, Reason and Revolt in a World of Custom, in: European Transfor-
mations: The Long Twelfth Century, hg. von Thomas F. X. NoBLE/John VAN ENGEN (Notre Dame
Conferences in Medieval Studies), Notre Dame, Ind. 2012, S. 17-44.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 249

die gesamte zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts hinweg erscheint der Austausch von
Wissen und Wissenssammlungen zwischen klösterlichen, kanonikalen und klerika-
len Zentren außerordentlich eng gewesen zu sein. Weder zeigten sich unüberwind-
bare Schwellen zwischen Klöstern und Außenwelt, noch lassen sich in größerem
Umfang Gattungen auffinden, die schon auf einen rein klösterlichen oder einen
rein schulischen Gebrauchskontext bezogen erscheinend^ Erst nach einer Phase
intensivierter gegenseitiger Wahrnehmung verschiedener Wissensgemeinschaften in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in der Austausch, Transfer, anverwandeln-
de Abwehr und Debatte neuer gelehrter Entwürfe an der Tagesordnung waren,
ändert sich dies Bild. In Ansätzen schon seit c. 1100, deutlicher aber erst seit der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts brachte die Positionierung unterschiedlicher
Gemeinschaften zu Fragen der Ausbildung stärker unterschiedene, Wissen nur
noch selektiv aufnehmende Kompendien hervor, die sich sowohl inhaltlich wie in
ihrer materiellen Gestalt auf differierende Gebrauchskontexte beziehen lassen. Was
gelehrte Mönche und Schulmänner betrifft, scheinen übrigens Abgrenzungen vor
allem punktuell in den 1120er bis 1140er Jahren sowie etwas später aufzutreten - zu
einem Zeitpunkt, als sich beide Gruppen offenbar noch als relevant füreinander
empfanden und alle Beteiligten um die Gesamtordnung von Wahrheitserkenntnis
und Wissensvermittlung konkurrierten. Doch nach diesem Zeitpunkt setzt eine
multilaterale Abgrenzung ein.
Wenn sich diese unterschiedlichen Phasen intensiver Verknüpfung und zuneh-
mender Ausdifferenzierung zwischen verschiedenen Gebrauchskontexten gelehr-
ten Wissens weiter herausarbeiten lassen, könnte uns das eine veränderte Wahr-
nehmung der Transformation gelehrten Wissens im Hochmittelalter ermöglichen.
Zunächst fällt in jedem Falle die Notwendigkeit fort, sich entweder für »Schulen«
oder für »Klöster« als Räume gelehrter Innovation zu entscheiden. In zweiter Linie
dürfte ein Aufbrechen der letztlich sehr künstlichen Kategorie »Monastik« auch
den Blick für weitere Zusammenhänge zwischen Schulen, Klöstern, Kirchen und
Reformkonventen freimachen. Vor allem können die vielfältigen Observanzen und
Verbände von reformorientierten Mönchen und Religiösen sowie von Regularka-
nonikern aus dem Schatten der großen »monastischen« Autoren heraustreten.
Angesichts der hier verfolgten Uberlieferungszusammenhänge drängt sich zu-
dem eine deutliche Vermutung auf: Die über den gesamten Zeitraum zwischen c.
1050 und 1200 neu entstehenden oder neu reformierten religiösen Gemeinschaften
waren über mehrere Generationen wesentliche Abnehmer von Wissenssammlungen.
Mutmaßlich nutzen gerade jüngere Männer- und Frauenkonvente überblicksartige

127 Wohl aber erscheint dies für höfische und städtische Kontexte gegeben, denen man beispielsweise die
Ars zuschreiben muss, vgl. HARTMANN, Ars dictaminis (wie Anm. 24).
250 I Sita Steckei

Kompendien als »Bibliotheksersatz« für ihre neueingerichteten und ausstattungs-


bedürftigen Konvente.^ Wie vielfach nachgewiesen ist, waren die von Männern
besetzten Konvente auch stark in die Seelsorge und die pastorale Betreuung von
Frauengemeinschaften einbezogen. Der oben angesprochene gesteigerte Bedarf an
pastoralem Wissen lag also nicht nur beim Diözesanklerus, sondern auch bei ihnen.
Wenn man diesen Befund mit den eher langsam ansteigenden Schülerzahlen an den
entstehenden »höheren« Schulen seit dem endenden 11. Jahrhundert in Abgleich
bringt, könnte man ihnen hypothetisch eine ganz entscheidende Funktion für das
Entstehen der scholastischen Wissenskultur zuweisen: Das nach Handschriftenlage
nicht unwesentlich aus Mönchen, Nonnen, Kanonikern und Kanonissinnen beste-
hende »Anfangspublikum« des neuen religiösen Wissens dürfte entscheidend dazu
beigetragen haben, dass die schulische Analyse der heiligen Schriften und in ihrem
Gefolge die Professionalisierung und Systematisierung neuer Expertisebereiche ins
Rollen kam. Gemäß modernisierungstheoretischen Annahmen wird zwar immer
wieder auf die säkularen Kontexte der Städte, Höfe und kirchlichen Verwaltungen
verwiesen, um den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Experten im 12. Jahr-
hundert zu erklären - von Peter Classens einschlägigen Überlegungen von 1966 bis
zu Robert I. Moores Darstellung von 2000 hat sich dabei wenig verändert. Doch
genau genommen war ein wesentliches Publikum vieler höherer Schulen zunächst
das extrem zahlreiche und ständig weiter anwachsende klösterliche Publikum in
reformorientierten monastischen oder kanonikalen Konventen. Bis zur zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts dürfte diese institutioneile Verdichtung der mittelalter-
lichen Kirche einen entscheidenden »Anschub« für das Entstehen neuer gelehrter
Expertengruppen geleistet haben.
Gerade angesichts der Frage nach langfristiger Innovation, nach der Durch-
setzung und Auf-Dauer-Stellung von neuen Formen der Gelehrsamkeit erscheint
dieser Gedanke wichtig. Zwar bleiben die hier angestellten Überlegungen zu über-
prüfen.
Auch wurde in selektiver Weise vor allem auf den Kontext religiösen Wissens
eingegangen, während die so wichtigen, praxisnahen Ausbildungsbereiche des
Rechts und der Rhetorik ausgeblendet blieben, die sich stärker im Kontext älterer
höfischer und städtischer Ausbildungsformen entwickelten. Sie müssten in weiteren
Forschungen enger mit den hier nachgezeichneten Entwicklungslinien verknüpft
werden. Doch gerade diejenigen Forschungen, die bislang am stärksten an Moder-
nisierungsdynamiken im Hochmittelalter interessiert waren, neigten am deutlichs-
ten dazu, religiöse Akteure auszublenden und ihre Rolle zu minimieren. Gerade

128 Dies legen insbesondere Studien wie die von LuTTER, Geschlecht & Wissen (wie Anm. 15); Manuscripts
and monastic culture (wie Anm. 15); HuTH, Stauhschc »Reichshistoriographie« (wie Anm. 15) nahe.
Deuten, Ordnen und Aneignen I 251

für sie könnte es interessant sein, hochmittelalterlicher Klöster und Konvente als
»Konsumenten« neuen gelehrten Wissens ernstzunehmen. Zwar zeigt sich immer
wieder, dass wissenschaftlicher und gelehrtes »Gottverlangen« sich aus
heutiger Perspektive kaum trennen lassen und auch in der mittelalterlichen Praxis
verknüpft aufgetreten sein dürften. Was die sozialen Hintergründe hochmittelalter-
licher wissensgeschichtlicher Umwälzungen betrifft, wird man jedoch gerade des-
wegen die typischen Innovationsräume von Schule, Hof und Stadt um das Kloster
als ersten, den anderen chronologisch meist sogar vorausgehenden Raum erweitern
müssen.
Pragmatische Visionäre?
Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert

Eine mendikantische Sicht der Welt hat es nie gegeben, zumindest nicht im en-
gen Wortsinn. Die weiblichen und männlichen Mitglieder der groben und kleinen
Bettelorden kamen zwar zu einem beträchtlichen Teil aus einer ähnlichen sozialen
Schicht: eher städtisch als ländlich, eher bürgerlich als adelig, eher besitzend als
mittellosd Bildungsgrad, Motivation des Ordenseintritts, Ziele des mönchischen
Lebens sowie individuelle Ansichten und Persönlichkeit variierten jedoch zwischen
und innerhalb von Ländern, Konventen und Generationend Diese grobe innere
Diversität ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, in welcher Geschwindigkeit
sich vor allem die beiden groben Bettelorden im lß. Jahrhundert ausbreiteten und
damit zur Heimat von Tausenden von Laien und Klerikern wurdend Trotz einer
zunehmenden Klerikalisierung und Standardisierung der Novizenausbildung wird
man auch in späteren Jahrhunderten nicht von einer intellektuellen Gleichschal-
tung der Bettelmönche sprechen könnend Die inneren Spannungen und Spaltungen

1 Zur gehobenen sozialen Herkunft vieler Mitglieder des Franziskanerordens vgl. Williel THOMSON, Friars
in the Cathedral. The First Franciscan Bishops, 1226-1261, Toronto 1975, S. 150f.
2 Zu Franziskus selbst vgl. Kaspar ELM, Franziskus und Dominikus. Wirkungen und Antriebskräfte zweier
Ordensstifter, in: DERS., Vitasfratrum. Beiträge zur Geschichte der Eremiten- und Mendikantenorden des
zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Festgabe zum 65. Geburtstag, hg. von Dieter BERG, Werl 1994,
S.121-142.
3 John MOORMAN, A history of the Franciscan order from its origins to the year 1517, Oxford 1968, S. 155-
176; Jacques LE GOFF, Apostolat mendiant et fait urbain dans la France médiévale: l'implantation géo-
graphique et sociologique des ordres mendiants (XIT-XW s.), in: Revue d'histoire de l'église de France
54, 1968, S. 69-76; Rosalind B. BROOKE, La prima espansione francescana in Europa, in: Espansione del
Francescanismo tra Occidente e Oriente nel secolo XIII. Atti del VI Convegno internazionale, Assisi,
12-14 ottobre 1978 (Atti del convegno internazionale/Società internazionale di studi Francescani 6), Assisi
1979, S. 123-150.
4 Zur Klerikalisierung vgl. Lawrence LANDiNi, The Causes of the Clericalization of the Order of Friars
Minor (1209-1260) in the Light of Early Franciscan Sources, Chicago 1968. Zur Entwicklung des Novi-
ziats Mirko BREITENSTEIN, Das Noviziat im hohen Mittelalter. Zur Organisation des Eintrittes bei den
Cluniazensern, Cisterziensern und Franziskanern (Vita regularis. Abhandlungen 38), Münster 2008. Zu
Gehorsam vgl. Oboedientia. Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen
254 I Thomas Ertl

des Franziskanerordens bis in die Frühe Neuzeit hinein sind nur das deutlichste
Zeichen für die kontroversen Vorstellungen und Einstellungen, die innerhalb der
Gemeinschaft existierten/
Dennoch bildeten die Mendikantenorden auch eine gewisse Form von Einheit,
getragen von einem gemeinsamen Selbstverständnis, das zunächst den jeweils ei-
genen Orden umfasste,darüber hinaus aber das Mendikantentum insgesamt um-
schloss und auch von außen - beispielsweise von Testatoren - so wahrgenommen
wurde. Es lässt sich darüber streiten, ob dieses Selbstverständnis stärker durch Ide-
en und Vorstellungen aus dem Inneren der Gemeinschaften oder durch die Ab-
grenzung gegenüber Kritik und Angriffen von außen geformt wurde/ Vermutlich
lassen sich beide Felder nicht voneinander trennen/ Entscheidend scheint mir die
Tatsache, dass sich die Bettelbrüder stark über ihr Anderssein gegenüber Mönchen,
Weltklerikern und Laien dehnierten und dadurch auch ihre besondere Lebensform
legitimierten/ Die Sichtweisen und Argumente, die seit dem Pariser Universitäts-
streit für und wider die Mendikanten vorgebracht wurden, müssen an dieser Stel-
le nicht wiederholt werden. Uber das umfangreiche Repertoire an Invektiven und
Apologien wird in der Mendikantenforschung seit über hundert Jahren viel ge-

Religiosentum, hg. von Sébastian BARRET/Gert MELVILLE (Vita regularis. Abhandlungen 27), Münster
2005.
5 Einen Überblick über die spannungsreiche Geschichte des Ordens im Mittelalter bietet Duncan NiMMO,
Reform and Division in the Medieval Franciscan Order. From Saint Francis to the Foundation of the
Capuchins (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 33), Rom 1987.
6 Dieter BERG, Vita minorum. Zum Wandel des franziskanischen Selbstverständnisses im 13. Jahrhundert, in:
Wissenschaft und Weisheit 45, 1982, S. 157-196; DERS., Geschichtsschreibung und historisches Bewusst-
sein. Zur Entwicklung der franziskanischen Historiographie im Hohen und Späten Mittelalter, in: Fratre
Francesco d'Assisi. Atti del XXI Convegno internazionale, Assisi 14-16 ottobre 1993 (Atti dei Convegni
della Societä Internazionale di Studi Franccscani e del Centro Interuniversitario di Studi Francescani, Nuo-
va Serie 4), Spoleto 1994, S. 221-248.
7 Zur Außenwahrnehmung vgl. Gert MELVILLE, D%o ccwuerMAoTtzs or/wes. Zur Wahrnehmung der
frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in:
Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosen-
tum, hg. von Gert MELViLLE/Jörg OBERSTE (Vita regularis. Abhandlungen 11), Münster 1999, S. 1-23;
André VAUCHEZ, Les reactions face aux ordres mendiants dans les chroniques rédigées en France au XIIR
siècle, in: Finances, pouvoirs et mémoire. Mélanges offerts à Jean Favier, hg. von Jean KERHERVÉ/Al-
bert RiGAUDiÈRE, Brest 1999, S. 539-548; Ramona SiCKERT, Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern
werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert (Vita regularis.
Abhandlungen 28), Berlin 2006.
8 Zum Prozess der Identitätsbildung durch Selbstvergewisserung und Abgrenzung exemplarisch Christian
JÖRG/Kenneth Scott PARKER/Nina PLEUGER u.a., Soziale Konstruktion von Identität. Prozesse christli-
cher Selbstvergewisserung im Kontakt mit anderen Religionen, in: Integration und Desintegration der
Kulturen im europäischen Mittelalter, hg. von Michael BoRGOLTE/Julia DÜCKER/Marccl MÜLLERBURG
u.a. (Europa im Mittelalter 18), Berlin 2001, S. 17-102.
9 Zur Lebensform vgl. Kaspar ELM, Vita franciscana, in: DERS., Vitasfratrum. Beiträge zur Geschichte der
Eremiten- und Mendikantenorden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Festgabe zum 65. Geburt-
stag, hg. von Dieter BERG, Werl 1994, S. 143-154.
Pragmatische Visionäre? I 255

schrieben.Ich will lediglich darauf hinweisen, dass diese Konflikte zweifellos zur
Festigung und Sichtbarmachung mendikantischer Identität beigetragen haben. Für
die hier zu erörternde Fragestellung entscheidend ist vor allem die These, dass auch
die mendikantische Sicht der Welt eine Reaktion auf diese Zuschreibungen von
innen und außen darstellt. In der Vergangenheit wurde stärker die Selbstwahrneh-
mung der Mendikanten als ihre Weitsicht diskutiert, wenngleich auch diese Frage
schon mehrfach direkt oder indirekt behandelt worden istV Ich will versuchen, in
das Thema exemplarisch anhand der Weitsicht eines Franziskaners des 13. Jahr-
hunderts einzuführen und anschließend einige allgemeine Schlussfolgerungen zur
Diskussion zu stellen.

SaÜmbenes Weit

Als Fallbeispiel dient mir Salimbene de Adam. Salimbene stammte aus einer wohl-
habenden Parmeser Familie und trat um 1238 mit sechzehn Jahren dem Franziska-
nerorden bei. Bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr war Salimbene viel unterwegs,
zog von Konvent zu Konvent, meist in Mittel- und Norditalien, gelegentlich auch
in Südfrankreich. Dabei traf er auf prominente Gelehrte und Würdenträger seines
Ordens, erhielt die Priesterweihe, eignete sich eine solide Bildung an und nahm
teil an den Diskussionen über das Geschehen im Orden und in der Welt. In seinen
letzten Lebensjahren scheint er im Konvent Montefalcone, im Apennin in den ita-
lienischen Marken gelegen, seine Cromc<% verfasst zu haben, bevor er 1288 starb.^
Es handelt sich bei dieser Chronik um eine umfangreiche Geschichte des Fran-
ziskanerordens, verwoben mit persönlichen Erinnerungen und ausgewählten po-
litischen Ereignissen.^ Die positive Darstellung des eigenen Lebensweges sowie

10 MOORMAN, A history of the Franciscan order (wie Anm. 3), S. 339-349; Penn R. SziTTYA, The antifra-
ternal tradition in medieval literature, Princeton 1986, S. 11-122; Michel-Marie DuEEiL, Guillaume de
Saint-Amour et la polémique universitaire parisienne 1250-1259, Paris 1972.
11 Jurgen MiETHRE, Die Franziskaner und ihre politische(n) Theorie(n). Eine Übersicht in Vogelschau, in:
I Francescani e la politica. Atti del Convegno internazionale di studio Palermo 3-7 dicembre 2002, 2
Bde., hg. von Alessandro Musco (Franciscana 13), Palermo 2007, Bd. 2, S. 709-722.
12 Salimbene Parmensis, Cronica, 2 Bde., hg. von Giuseppe ScALiA (Corpus Christianorum, Continuatio
mediaevalis 125), Turnholt 1998/1999. Deutsche Übersetzung: Die Chronik des Salimbene von Parma.
Nach der Ausgabe der Monumenta Germaniae bearb. von Alfred DoREN (Die Geschichtschreiber der
deutschen Vorzeit 93-94), Leipzig 1914. Zu Autor und Werk vgl. Mariano D'ALATRi, La cronaca di
Salimbene. Personaggi e tcmatiche (Bibliotheca seraphico-capuccina 35), Rom 1988; Jacques PAUL/Ma-
riano D'ALATRi, Salimbene da Parma. Testimone e cronista, Roma 1992; Olivier GuYOTjEANNiN, Salim-
benc de Adam. Un chroniqueur franciscain, Turnhout 1995.
13 Zuletzt zur Chronik Alison WILLIAMS LEWiN, Salimbene de Adam and the Lranciscan Chronicle, in:
Chronicling history. Chroniclers and historians in medieval and Renaissance Italy, hg. von Sharon DALE/
Alison WiLHAMS LEWiN/Duane J. OsHEiM, University Park 2007, S. 87-112.
256 I Thomas Ertl

eine Apologie des Franziskanertums im Speziellen und des Mendikantentums im


Allgemeinen bilden die wichtigsten Ziele des Autors. Eine geschlossene und kohä-
rente Sicht der damaligen Welt und Gesellschaft liefert die Chronik nicht. Sie dient
auch keinem erzieherischen Programm.^ Zu sehr ist Salimbene mit der Aneinan-
derreihung von Geschichten, Exempla und Anekdoten beschäftigt, um sich der sys-
tematischen Gesellschaftsanalyse zu widmen. Gegen den Strich gelesen offenbart
der Text dennoch die Umrisse des Weltbildes eines Franziskaners des ausgehenden
13. Jahrhunderts.
An der Spitze der Christenheit steht aus Salimbenes Sicht der Franziskaner-
orden, sowohl in moralischer als auch in intellektueller Hinsicht.^ Der Orden ist
Teil des göttlichen Heilplans und für die Rettung der Kirche unerlässlich. In einer
Vision lässt Salimbene Jesus Christus erscheinen und aus der Ordensregel zitie-
ren. Die höchste theologische Autorität wird damit zur Legitimierung des Ordens
herangezogen. Zusätzlich sieht Salimbene die Vorrangstellung der Franziskaner in
Textstellen der Bibel präfiguriert. Selbst die Dominikaner, die Salimbene ansonsten
als Verbündete im Kampf gegen die alten Mönchsorden und säkulare Kleriker in
Schutz nimmt, stehen dahinter zurück.^ Es ist für ihn kein Zufall, dass die Franzis-
kaner vor den Dominikanern gegründet und Franziskus vor Dominikus heiligge-
sprochen worden war. Eine Folge davon ist es auch, dass sich die größten Gelehrten
der Zeit dem Franziskanerorden angeschlossen haben. Die wenigen Taugenichtse
innerhalb der Gemeinschaft bestätigen als Ausnahme die Regel. Aus der einzigar-
tigen Stellung der Franziskaner ergibt sich die besondere Aufgabe des Ordens: Die
Franziskaner müssen an die Stelle der ungebildeten und verweltlichten Säkularkle-
riker treten und der Christenheit den Weg zum Heil weisen. Alle diese Argumente
entstammen dem üblichen Repertoire apologetischer Argumente. Sie sind Bausteine
nicht nur des franziskanischen Selbstverständnisses, sondern auch der franziskani-
schen Sicht auf die Welt.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Bettelmönchen und
dem Rest der Welt glaubt Salimbene im jeweiligen Bildungsgrad zu erkennen V
Zwar versucht er an keiner Stelle seiner Chronik, systematisch einen Bildungska-

14 Vgl. dagegen über den Dominikaner Vinzenz von Beauvais und sein Werk Astrik L. GABRIEL, Vinzenz
von Beauvais. Ein mittelalterlicher Erzieher, Frankfurt am Main 1967.
15 Edith PÄSZTOR, L'esperienza francescana nclla »Cronica« di Salimbene, in: La presenza francescana tra
medioevo e modcrnitä, hg. von Mario CHESSA/Marco PoLi, Firenze 1996, S. 85-92.
16 Ludovico GATTO, Domenico di Guzman e I Domcnicani nella Cronaca de Salimbene, in: DERS., Dalla
parte di Salimbene. Raccolta di ricerche sulla Cronaca e i suoi personaggi (Medioevo 13), Roma 2006,
S. 355-394.
17 Ingeborg BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis im Duecento. Saba Malaspina und Salimbene da
Parma, 2 Bde. (Grundlagen der Italianistik 12), Frankfurt am Main/Berlin/Bern u. a. 2010, Bd. 2, S. 102-
116.
Pragmatische Visionäre? ] 257

non zu definieren, aber durch seine Hinweise auf die praktische Tätigkeit eines /zY-
erfahren wir, dass zu den Gebildeten gehört, wer die /zÄen%/es studiert
hat, die lateinische Sprache beherrscht, theologische Kenntnisse besitzt, Bibelexe-
gese betreibt, sich mit philosophischen Fragen beschäftigt, im Kirchenrecht bewan-
dert ist oder Predigten verfasstA Zwar gebe es auch unter den Laien Personen mit
Bildung, gebildete Bürger etwa wie Richter, Notare oder Ärzte, ja ausnahmsweise
sogar adelige Herren, die kriegerischen Mut und Bildung in sich vereinenA In der
Regel sei Bildung jedoch dem geistlichen Stand Vorbehalten.
Allerdings existiere auch innerhalb des geweihten Standes eine Hierarchie: Unter
den säkularen Klerikern gebe es einige mit und einige mehr ohne Bildung,^ unter
den Mendikanten im Allgemeinen gebe es viele mit und einige ohne, unter den
Franziskanern jedoch gebe es sehr viele mit und sehr wenige ohne Bildung. Zudem
überrage die Bildung der Franziskaner auch in ihrem Umfang und ihrer Tiefe die
aller anderen weltlichen und geistlichen Gemeinschaften. Mit Stolz preist Salimbe-
ne die Gelehrsamkeit seiner Mitbrüder, die geistliche Lieder komponieren, kluge
Bücher verfassen, eine schöne Schrift besitzen, an einer Universität lehren sowie
Meister der Disputation und Überredungskunst sindA
Unter allen anderen menschlichen Gemeinschaften dominieren die zZ/ztenzzY. Bil-
dungsferne muss zwar nicht immer ein Schaden sein - von einem armen Gerber
erzählt Salimbene, er sei von reinem Herzen gewesen, aufrichtig, gottesfürchtig,
ungebildet zwar, aber mit erleuchtetem Verstand, sodass er prophetische Schriften
habe deuten können A In der Regel habe den Laien allerdings nicht nur die Bildung
gefehlt, sondern auch diese Form der Erleuchtung oder mystischen Einsicht. Daher
spricht sich Salimbene gegen den Einfluss der Laien innerhalb des Franziskaneror-
dens aus und verteidigt den Prozess der Klerikalisierung des Ordens. Eine beson-
dere Gefahr stellt in seinen Augen eine mangelhafte Bildung bei den Angehörigen
des geistlichen Standes dar. Dumme und ungebildete Kleriker seien nämlich nicht
in der Lage, die ihnen anvertraute Herde auf den richtigen Weg zu führenA Salim-
bene war bewusst, dass sich seine hohe Wertschätzung der Bildung als Instrument
der Seelenführung und gesellschaftlichen Hierarchisierung von mancher Äußerung

18 Zu den Belegen BRAiscH, Eigenbild (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 104, Anm. 204 und 205.
19 Zum Bild des gebildeten Ritters Sabine KRÜGER, »Verhöflichte Krieger« und miles illittcratus, in: Curia-
litas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hg. von Josef FLECKENSTEIN (Veröffentli-
chungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1991, S. 326-349.
20 BRAiscH, Eigenbild (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 105 mit Anm. 207.
21 BRAiscH, Eigenbild (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 106.
22 BRAiscH, Eigenbild (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 108 f.
23 Zu Unbildung bei Laien, Weltgeistlichen und in den Orden bei Salimbene vgl. BRAiscH, Eigenbild (wie
Anm. 17), Bd. 2, S. 108-112.
258 I Thomas Ertl

des Franziskus weit entfernt hattet Seine Erklärung dafür war simpel: Man dürfe
nicht an für eine Situation geschaffenen Bestimmungen festhalten, die so nicht mehr
existiere.
Salimbenes Welt war hierarchisch streng gegliedert und erinnert an ältere funk-
tionale Deutungsmodelle der christlichen Gesellschaft,^ wobei bei ihm eine Drei-
teilung der Christenheit in Franziskaner, Weltklerus und Laien das Bild bestimmte.
Trotz dieser konventionellen Deutungsmethode steht Salimbene mit beiden Beinen
im 13. Jahrhundert und interpretiert seine Gegenwart mit zeitgemäßen Begriffen
und Maßstäben.^ Die Art und Weise, wie Salimbene die Begriffe CMTM/iVcMTM/ÜTtj
verwendet, scheint mir diese Modernität besonders deutlich zu veranschaulichen.
Im 12. Jahrhundert kam dieser Begriff in Mode und entwickelte sich in der höfi-
schen Dichtung zum Sammelbegriff aristokratischer Tugenden und Verhaltenswei-
sen, in der deutschsprachigen Dichtung wurde er als wiedergegebenA
Seine Wurzeln hatte dieser Tugendkatalog vermutlich in einem gelehrten Bildungs-
und Verhaltenskonzept, das von gelehrten Klerikern an den Domschulen des hohen
Mittelalters unter Rückgriff auf antike Texte propagiert worden war.^ Bei Salimbe-
ne erweitert sich die zu einer Eigenschaft, die alle Menschen, also Adlige
und Nicht-Adlige, Kleriker und Laien, Männer und Frauen besitzen oder anstreben

24 Zur Entwicklung von Bildung und Studium im Orden vgl. Dieter BERG, Armut und Wissenschaft. Bei-
träge zur Geschichte des Studienwesens der Bettelorden im 13. Jahrhundert (Bochumcr Historische Stu-
dien 15), Düsseldorf 1977; Bert RoEST, A history of Franciscan education (c. 1210-1517) (Education
and society in the Middle Ages and Renaissance 11), Leiden 2000. Zur Wahrnehmung mendikantischer
Gelehrsamkeit vgl. SiCKERT, Klosterbrüder (wie Anm. 7), S. 147-158.
25 Otto Gerhard OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der »Gesellschaft« bei Adalbero von Laon. Deutungs-
schemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 12, 1978,
S. 1-54.
26 Zum Charakter der Chronik als »at once traditional and innovative« vgl. WILLIAMS LBWiN, Salimbene
(wie Anm. 13), S. 87.
27 Zum Begriff Peter GANZ, curialis/hövesch, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, Höfische Lebensfor-
men um 1200, hg. von Gert KAiSER/Jan-Dirk MÜLLER (Studia humaniora 6), Düsseldorf 1986, S. 39-56;
Peter GANZ, hövesch/hövescheit im Mittelhochdeutschen, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der
höfisch-ritterlichen Kultur, hg. von Josef FLECKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts
für Geschichte 100), Göttingen 1991, S. 39-54. Zum Begriff bei Salimbene BRAiscH, Eigenbild (wie
Anm. 17), Bd. 2, S. 11-19.
28 Charles Stephen JAEGER, Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter
(Philologische Studien und Quellen 167), Berlin 2001. Kritisch zu diesem Zusammenhang von klerikalem
Erziehungsprogramm und vulgärsprachlicher Dichtung Walter HAUG, Gibt es einen Zusammenhang
zwischen dem klerikalen Konzept der Curialitas und dem höfischen Wcltentwurf des vulgärsprachlichen
Romans?, in: DERS., Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften, hg. von Ulrich BARTON,
Tübingen 2008, S. 108-123. Mit etwas anderen Akzenten Josef FLECKENSTEIN, Miles und clericus am
Königs- und Fürstenhof. Bemerkungen zu den Voraussetzungen, zur Entstehung und zur Trägerschaft
der höfisch-ritterlichen Kultur, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hg.
von Josef FLECKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen
1991, S. 302-325; Karlheinz STiERLE, Cortoisie. Die literarische Erfindung eines höfischen Ideals, in:
Poetica 26, 1994, S. 256-283.
Pragmatische Visionäre? I 259

sollen. Ein Mönch kann sein und dennoch ein apostolisches Leben
führen. Der bereits erwähnte Gerber ist ein Beispiel für eine nicht-adli-
ge, arme und ungebildete Person, die dennoch besitzt und ein frommes
Leben führt. Salimbene hat diese Umwertung des Begriffs nicht »erfunden« oder
erstmals verwendet.^ Die Anfänge der Beschäftigung des Klerus mit dem rech-
ten Verhalten des Pürsten und den Kategorien höfischen Verhaltens reichen bis ins
frühe Mittelalter zurück.^ Noch im späten Mittelalter blühte die literarische Gat-
tung des Pürstenspiegels, in denen noble Zurückhaltung und höfisches Benehmen
zentrale Begriffe tugendhaften Verhaltens bliebenA Zudem ist auch bei Pranziskus
selbst und der ersten Generation der Franziskaner der Einfluss höfischer Dich-
tung feststellbar.^ Salimbene hat den Begriff in seiner Chronik also nicht erstmals
verwendet, er hat ihn allerdings besonders umfassend für seine Beschreibung der
Gesellschaft des 13. Jahrhunderts eingesetzt.^
Tugendhaftes Handeln und Leben ist aus dieser Perspektive nicht mehr dem
Adel Vorbehalten, sondern hat sich demokratisiert und auf alle sozialen Schich-
ten ausgebreitet A handelt, wer einen Gast freundlich willkommen heißt
und bei sich aufnimmt. Von seinen eigenen Reisen wusste Salimbene um den Wert
der Gastfreundschaft. Im Minoritenkonvent konnte diese Form der Höflichkeit
aus seiner eigenen Erfahrung so weit gehen, dass ein Mönch einem ankommenden
Bruder die Füße wusch und mit ausgewählten Getränken und Speisen versorgte. In

29 GANZ, curialis/hövesch (wie Anm. 27), S. 50-55; Tony HuNT, »Monachus curialis«. Gautier de Coinci
and Courtoisie, in: Courdy Literature and Clerical Culture. Höfische Literatur und Klerikerkultur. Lit-
térature courtoise et culture cléricale, hg. von Christoph HuBER/Henrikc LÄHNEMANN (Selected papers
from the tenth triennial congress of the International Courtly Literature Society 10), Tubingen 2002,
S.121-135.
30 Wilhelm BERGES, Die Fürstenspiegel des Hohen und Späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für
Altere Deutsche Geschichtskunde 2), Leipzig 1938.
31 Rosalind BROWN-GRANT, Mirroring the Court: Clerkly Advice to Noble Men and Women in the Works
of Philippe de Mézières and Christine de Pizan, in: Courtly Literature and Clerical Culture. Höfische Li-
teratur und Klerikerkultur. Littérature courtoise et culture cléricale, hg. von Christoph HuBER/Henrike
LÄHNEMANN (Selected papers from the tenth triennial congress of the International Courtly Literature
Society 10), Tübingen 2002, S. 39-56.
32 Lise BATTAIS, La courtoisie de François d'Assise. Influence de la littérature épique et courtoise sur la pre-
mière generation franciscaine, in: Mélanges de l'Ecole française de Rome. Moyen-Age, Temps modernes
109,1997, S. 131-160.
33 Zur parallel fortbestehenden klerikalen Hofkritik und zur Unvereinbarkeit von und
im hohen und späten Mittelalter Klaus SCHREINER, Hof (curia) und höfische Lebensführung
(vita curialis) als Herausforderung an die Theologie und Frömmigkeit, in: Höfische Literatur, Hofgesell-
schaft, Höfische Lebensformen um 1200, hg. von Gert KAiSER/Jan-Dirk MÜLLER (Studia humaniora 6),
Düsseldorf 1986, S. 67-138, hier S. 90-98. Zur Verwendung des Begriffs für »a certain type of familiaris
regis« Ralph V. TURNER, Toward a definition of the C^rH/ü: Educated court cleric, courtier, administ-
rator, or »new man«?, in: Medieval prosopography 15, 1994, S. 3-33.
34 Zu CMTM/ü und CMTM/füM als »internationale Modewörter« im 12. Jahrhundert GANZ, curialis/hövesch
(wie Anm. 27), S. 55. Zum breiteren Raum des Begriffsfeldes in der »religiösen Bildsprache des 13. Jahr-
hunderts« SCHREINER, Hof (wie Anm. 33), S. 130.
260 I Thomas Ertl

semantischer Verknüpfung mit dem Wort wird die CMTM/zAM ganz allgemein
zur Nächstenliebe und zur Hilfsbereitschaft. Wer ist, hilft den Armen und
Schwachen, tut seinen Mitmenschen Gutes, erhört die Bitten seiner Untergebenen
und stellt seine besondere Begabung in den Dienst der Allgemeinheit. Stets ist eine
solche Person höflich und freundlich gegenüber anderen Menschen, gleich welchen
Rang sie bekleiden. Die Tugend der ist zudem eng verknüpft mit der /i-
der Freigebigkeit, der der städtisch-feinen Lebensform,^ sowie
der - bereits genannten - der Nächstenliebe.^ Bemerkenswert sind auch die
gegensätzlichen Begriffe, mit denen Personen oder Gruppen beschrieben werden,
welche die oben genannten positiven Eigenschaften nicht besitzen. Es sind dies
vor allem die das ungehobelte Benehmen, sowie die der Geiz,
Hauptlaster der theologischen Sündenlehren des späten MittelaltersA
Das semantische Feld der liefert m. E. deutliche Hinweise darauf, wie
sich Salimbene erstens eine tugendhafte und fromme Christenheit vorstellte und
zweitens wie sich die Realität zu diesem Ideal seiner Meinung nach verhielt.^ Zum
Ideal: Salimbene übertrug die ursprünglich exklusiv dem Adel zugeschriebene rit-
terlich-höfische Tugend der cMTM/zAH auf die städtische Gesellschaft Norditaliens
und Südfrankreichs. Wenn in der Vergangenheit das tugendhafte und gesittete Ver-
halten dem Adel Vorbehalten war, so hatten die Bürger dieser stark urbanisierten
Regionen daran nun ebenfalls Anteil. Ehemals aristokratische Werte haben sich in
den Städten ausgebreitet bzw. demokratisiert. Zur städtischen Sozial-, Rechts- und
Wertegemeinde gehörten im 13. Jahrhundert auch die säkularen Kleriker sowie die

35 Zu diesem Zusammenhang vgl. GANZ, curialis/hövesch (wie Anm. 27), S. 52; Thomas ZoTZ, Urbanitas.
Zur Bedeutung und Funktion einer antiken Wcrtvorstcllung innerhalb der höfischen Kultur des hohen
Mittelalters, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hg. von Josef FLE-
CKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1991, S. 392-
451, hier S. 409-435. Zur Ausweitung des Gebrauchs von auf nichtadelige Personen
seit dem 13. Jahrhundert vgl. ebd., S. 436-447. Zum Fehlen einer »spezifisch städtischen Konnotation«
ebd., S. 443f.
36 Zu diesem Zusammenhang heißt es in den Fioretti di S. Francesco (I Fioretti di San Francesco, hg. von
Giovanni GETTO, Milano 1946), cap. 37, S. 119: V2pp7,/r%^ c<%rAswio, cAe cortesM è %?M propri-
été tA Dz'o, A Aé A so/e % A piepe % gA%$A e %gA AigzAsA, per eortesM, e<7 è cortetM AroccAA:
tief At cttrité. At c%%/e spegzte AotAo e coTMerM i'%77tore. Zur crtrArtt in der franziskanischen Tugendlehre
vgl. Krijn PANSTERS, Franciscan Virtue. Spiritual Growth and the Virtues in Franciscan Literature and
Instruction of the Thirteenth Century (Studies in the History of Christian Traditions 161), Leiden 2012,
S. 45-68.
37 Richard Gordan NEWHAUSER, Avaritia und Paupertas. Zur Stellung der frühen Franziskaner in der Ge-
schichte der Habsucht, in: DERS., Sin: Essays on the moral tradition in the Western Middle Ages, Al-
dershot 2007, Teil X, S. 31-49. Zur ^t^rAA: als Todsünde Morton W. BLOOMFIELD, The seven deadly
sins. An introduction to the history of a religious concept, with special reference to medieval English
literature (Studies in language and literature), East Lansing 1967, S. 203-243.
38 Zur franziskanischen Vorstellung von Tugend (tArtus) im 13. Jahrhundert vgl. PANSTERS, Franciscan
Virtue (wie Anm. 36).
Pragmatische Visionäre? I 261

Mitglieder der Bettelorden, die durch einen beginnenden Prozess der »Verbürgerli-
chung« in die städtische Gesellschaft integriert wurden und sich so der Stellung der
weltlichen Mitglieder der Bürgergemeinschaft annäherten.^ Eine Art »Prozess der
Zivilisation« erfasste die städtische Bürgerschaft und mit ihr die urbane Geistlich-
keit, als sich höfische Tugenden und Praktiken zum allgemeinen bürgerlichen Wer-
tesystem entwickelten. Ergänzt wurde der Verhaltenskatalog der durch
Tugenden, die einerseits eine lange theologische Tradition hatten wie die
oder in spätmittelalterlichen Diskursen über soziale Fragen einen neuen Stellen-
wert erlangten wie die Diesem modernen Denken im 13. Jahrhundert
entsprach auch die Verwendung von und als Hauptlaster. In der
Idealgesellschaft, wie sie Salimbene vorschwebte, war dieser Tugendkatalog zur all-
gemeinen Richtschnur christlichen Verhaltens geworden. Erreichbar war dieses Ziel
freilich nur, wenn die Mendikanten von den Päpsten und Bischöfen privilegiert und
beschirmt voranschritten und der Christenheit den Weg wiesen - allen voran die
Franziskaner.
Die Realität war jedoch weit vom Ideal entfernt. Das blieb Salimbene nicht
verborgen. Dennoch wurde seine Sicht der Gesellschaft nicht von negativen oder
pessimistischen Tönen beherrscht. Daran kann auch seine Rezeption der eschato-
logischen Visionen des Joachim von Fiore nichts ändernd" Salimbene stammte aus
einer wohlhabenden italienischen Bürgersfamilie, die er durch seinen Ordensein-
tritt zwar verlassen hat, ihr aber Zeit seines Lebens verbunden blieb. Er war so
stolz auf einzelne Mitglieder seiner Familie und ihre Taten, dass er in seinem Ge-
schichtswerk ausführlich von ihnen berichtete.^ Weder in diesem noch in anderen
Zusammenhängen distanziert sich Salimbene von der urbanen, dem Leben und dem
Profit zugewandten Lebensform seiner Mitmenschen. Das Leben in der geschäfti-
gen Großstadt, aus der Franziskus geflüchtet war, bleibt bei Salimbene die selbst-
verständliche Norm menschlichen Zusammenlebens^ und natürlich Tätigkeitsfeld

39 Bernd MOELLER, Kleriker als Bürger, in: DERS., Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische
Aufsätze, hg. von Johannes SCHILLING, Göttingen 1991, S. 35-52, hier S. 37-44.
40 Delno C. WEST, Jr., The reformed church and the Friars Minor. The moderate Joachite position of Fra
Salimbene, in: Archivum franciscanum historicum 64, 1971, S. 273-284; Ludovico GATTO, II gioachi-
mismo nclla tcstimonianza salimbeniana, in: DERS., Dalla parte di Salimbene. Raccolta di ricerche sulla
Cronaca e i suoi pcrsonaggi (Medioevo 13), Roma 2006, S. 615-652; WILLIAMS LEWiN, Salimbene (wie
Anm. 13), S. 91-100.
41 Olivier GuYOTjEANNiN, Lignage et mémoire généalogique en Emilie au XIIL siècle: L'exemple de Salim-
bene de Adam, in: Media in Francia. Recueil de mélanges offert à Karl Ferdinand Werner à l'occasion
de son 65e anniversaire par ses amis et collègues français, Maulévrier 1989, S. 225-241. Zu Salimbcnes
positiver Haltung gegenüber der Herkunft seiner Ordensbrüder »aus gutem Hause« vgl. James Matthew
PowELL, Mendicants, the communes, and the law, in: Church History 77/3,2008, S. 557-573, hier S. 569.
42 Ludovico GATTO, 1) sentimento cittadino nella Cronaca di Salimbene, in: DERS., Dalla parte di Salimbe-
ne. Raccolta di ricerche sulla Cronaca e i suoi personaggi (Medioevo 13), Roma 2006, S. 151-170; Maria
262 I Thomas Ertl

franziskanischer Aktivität.^ An keiner Stelle äußert er eine generelle Kritik an den


Lebensformen seiner Zeit - vielmehr scheint er zunehmend die Freuden eines geho-
benen urbanen Lebensstils geschätzt zu habenA Der Sog der Kommerzialisierung,
der nicht nur über die Marktplätze Italiens brauste, war ihm kein Stachel im Fleisch,
sondern Normalität, ja die materielle Grundlage, auf der die frommen Christen ein
Leben nach den Grundsätzen der verwirklichen konntenA Und wieder
könnte man hinzufügen: Um in der Stadt des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich er-
folgreich und gottesfürchtig zugleich leben zu können, war nicht eine Umwälzung
der Gesellschaftsordnung nötig, sondern lediglich die ungehinderte Tätigkeit jener
Ordensgemeinschaft, der sich Salimbene als junger Mann angeschlossen hat.

Mendikantische Weitsicht

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Salimbenes Blicke auf die Welt ziehen?
Keine, könnte man sagen mit Verweis auf die oben gemachte Behauptung, dass es
ein kohärentes franziskanisches oder mendikantisches Weltbild nicht gegeben habe.
Ohne von dieser These gänzlich abrücken zu wollen, geben Salimbenes Vorstel-
lungen doch einige unter Mendikanten weit verbreitete Sichtweisen exemplarisch
wieder - nicht ohne Gegenstimmen und konträre Positionen allerdings. Ich will
mich auf einige Punkte beschränken, nämlich die Selbstwahrnehmung des Ordens,
die Deutung der Gesellschaft des 13. Jahrhunderts sowie die Einwirkung der Men-
dikanten auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Zum ersten Punkt: Die Bettelmönche waren keine altruistische Friedensbewe-
gung, sondern eine intellektuelle Elitetruppe, die zunehmend von gebildeten Kle-
rikern getragen wurde und elaborierte Vorstellungen sittlichen Lebens und gesell-
schaftlicher Ordnung entwickelte.^ Salimbene betrachtete sich als Mitglied dieser
Gemeinschaft, die nach einer im Orden verbreiteten Anschauung durch göttliche
Beauftragung und intellektuelle Bildung über dem Rest der Christenheit stand und

Consiglia DE MATTEis, La coscienza comunale neila Cronica di Salimbene de Adam, in: La presenza
francescana tra medioevo e modernita, hg. von Mario CHESSA/Marco PoLi, Florenz 1996, S. 167-176.
43 Felice AcCROCCA, Guerra e pace nelle città italiane del Duecento. Il ruolo dci Frati Minori secondo la
testimonianza di Salimbene da Parma, in: I Francescani e la politica. Atti del Convegno internazionale di
studio Palermo 3-7 dicembre 2002, 2 Bde., hg. von Alessandro Museo (Franciscana 13), Palermo 2007,
Bd. 1, S. 1-13.
44 WILLIAMS LEWiN, Salimbene (wie Anm. 13), S. 90.
45 Zu Salimbenes positiver Sicht laikaler Frömmigkeit vgl. Mariano D A.LATRI, La rcligiosita popolare nella
cronaca di fra Salimbene, in: Collectanea Franciscana 60, 1990, S. 175-190; GATTO, II sentimento (wie
Anm. 42), S. 155 L
46 Thomas ERTL, Selbstdeutung und Weltordnung im frühen deutschen Franziskancrtum (Arbeiten zur
Kirchengeschichte 96), Berlin/New York 2006.
Pragmatische Visionäre? I 263

eine heilsgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen hatteV Allerdings deuteten mendikan-


tische Autoren und auch Salimbene diesen Führungsanspruch niemals als »Willen
zur Macht«, wie dies die Gegner der Bettelmönche häufig taten. Die Minderen Brü-
der interpretierten ihre exponierte Stellung vielmehr als eine drückende Last der
Verantwortung, die geschultert werden musste, um die Kirche vor dem Untergang
zu bewahren und die Christenheit in eine bessere Zukunft zu geleitend^ Abhängig
jeweils von Form, Inhalt und Ziel ihrer Schriften, widmeten mendikantische Auto-
ren dieser heilsgeschichtlichen Aufgabe und der damit verbundenen Führungsrolle
in der Welt mehr oder weniger viel Raum. Eine Chronik ist als Literaturgattung für
Diskussionen dieser Art weniger prädestiniert als ein theologischer oder hagiogra-
phischer Text. Dennoch kam auch Salimbene immer wieder auf dieses Thema zu
sprechen.
Bei der Legitimierung ihrer Führungsaufgaben spielte das Thema der Bildung
und der pastoralen Kompetenzen häufig eine zentrale RolleV Auf die umfangrei-
che Literatur zur Bildungsfrage im Franziskanerorden muss ich nicht eingehen.
Unstrittig scheint mir, dass die Brüder seit der Frühzeit des Ordens nach pastoraler
Verantwortung strebten - sehr schnell taten sie dies mit dem Hinweis auf ihren
Bildungsvorsprung. Das geflügelte Wort »Wissen ist Macht« (Ahm
est) wird dem frühneuzeitlichen Philosophen Francis Bacon zugeschrie-
ben, hätte aber ohne weiteres von einem Bettelmönch stammen können - wäre da
nicht die allzu offenkundige Verknüpfung mit Macht und Autorität im irdischen
Sinn, welche die Bettelmönche zumindest in ihren Schriften immer ablehntend°
Die gesellschaftliche Funktion von Bildung musste Salimbene nicht erörtern; zu
selbstverständlich war ihm die Vorstellung von der Erhabenheit des eigenen Or-
dens. Hinsichtlich dieser Überzeugung von der eigenen Bedeutsamkeit glichen die
Franziskaner trotz aller inneren Divergenzen einer commMmPy, die aus ei-

47 Anton RoTZETTER, Eschatologie und Utopie im franziskanischen Denken. Die utopischen Vorstellungen
der ersten Franziskaner, in: Franziskanische Studien 67, 1985, S. 107-113.
48 Ernst BENZ, Ecclesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation,
Stuttgart 1934.
49 Zur Funktion der Bildung im Franziskanerorden vgl. Bert RoEST, Converting the Other and Converting
the Self: Double Objectives in Franciscan Educational Writings, in: Christianizing Peoples and Conver-
ting Individuals, hg. von Guyda ARMSTRONG/Ian Nicholas WOOD (International Medieval Research 7),
Turnhout 2000, S. 295-302. Zur Bedeutung der Seelsorge vgl. Michael ROBSON, A ministry of preachers
and confessors. The pastoral impact of the friars, in: A History of Pastoral Care, hg. von Gillian Rosema-
ry EvANS, Fondon 2000, S. 126-147.
50 Zur kritischen Außenwahrnehmung vgl. Thomas ERTL, Franziskanische Armut in der Kritik. Anti-men-
dikantische Wahrnehmungsmuster im Wandel (13.-15. Jahrhundert), in: Gelobte Armut. Armutskon-
zepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter
HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bernd ScHMiES u. a., Paderborn 2012, S. 369-392, hier S. 369-392.
264 I Thomas Ertl

nem gemeinsamen Repertoire von Texten schöpfend einen starken Korpsgeist aus-
bildete und über Generationen hinweg vertrat."
Es waren bekanntlich bewegte Zeiten, in denen die Bettelorden entstanden. Kul-
turelle und sozioökonomische Prozesse hatten die Welt verändert, ja der Wandel
der Welt hatte sich für die Zeitgenossen merklich beschleunigt:

Die Welt ist allenthalben / voll von Unfreundlichkeit.


Die einst mit mir gespielt, / sind jetzt müd und alt,
erweitert ist das Feld, / abgeholzt der Wald."

Im Jahr 1228 beklagte Walther von der Vogelweide wehmütig auf ein bewegtes
Leben zurückblickend die dramatischen Veränderungen, die er miterlebt hatte. Es
war dies mehr als eine toposhafte Elegie, denn die westliche Christenheit erlebte in
den Dezennien um 1200 tatsächlich eine Form beschleunigter Diversifizierung."
Eine Ursache für die Unruhe, von der die Gesellschaft in weiten Teilen des west-
lichen Europa in den Jahrzehnten um 1200 erfasst wurde, lag in wirtschaftlichen
und sozialen Wandlungsprozessen, deren deutlichster Ausdruck die Expansion der
Städte und protokapitalistische Wirtschaftsformen war. Eine vorwiegend agrarische
Gesellschaft verwandelte sich im Laufe dieses Prozesses in eine protostädtische Ge-
sellschaft, die sich immer stärker des Mediums der Schrift bediente." In manchen
Gegenden Europas vollzog sich diese Entwicklung schneller und nachhaltiger als
in anderen; die Peripherie wurde bis ans Ende des Mittelalters kaum davon berührt.
Dennoch kann der Weg zum entfalteten Städtewesen mit all seinen Implikationen
als der vielleicht wesentlichste Ausgleichsprozess, den das mittelalterliche Europa
durchlebte, betrachtet werden, vor allem dann, wenn man ihn mit der dafür unent-
behrlichen Bevölkerungsvermehrung im agrarischen Milieu verbunden sieht." Die
sozioökonomischen Veränderungen strahlten auf andere Lebensbereiche aus. Die
Formen politischer Flerrschaft waren davon ebenso betroffen wie soziale Prak-
tiken und religiöse Überzeugungen. Die überlieferten Traditionen lieferten keine

51 Zum Begriff vgl. Brian STOCK, Listening for the text. On the uses of the past, Baltimore 1990.
52 Walther von der Vogelweide, Sämtliche Lieder. Mittelhochdeutsch und in neuhochdeutscher Prosa. Mit
einer Einführung in die Liedkunst Walthers, hg. von Friedrich MAURER (UTB 167), München 1972,
S. 263 f. (Elegie).
53 So die These von Wolfdieter HAAS, Welt im Wandel. Das Hochmittelalter, Stuttgart 2002. Zum hohen
Mittelalter als Forschungsgegenstand vgl. Michael BoRGOLTE, Einheit, Reform, Revolution. Das Hoch-
mittclalter im Urteil der Modernen, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 248, 1996, S. 225-258.
54 Michael T. CLANCHY, Front memory to written record. England 1066-1307, 2. Aufl. Oxford 1993.
55 Peter MoRAW, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäi-
schen Mittelalter, in: Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer,
3 Bdc., hg. von Uwe BESTMANN/Franz IRSIGLER, Trier 1987, Bd. 2, S. 583-622, hier S. 599.
Pragmatische Visionäre? I 265

befriedigenden Antworten mehr. Dies zeigte sich am Erfolg, den häretische Grup-
pierungen in jenen Regionen Europas hatten, in denen sich die größten Städtekon-
zentrationen befanden.
Die etablierte Kirche tat sich schwer mit der Integration neuer urbaner Lebens-
formen.^ Zu sehr blieben große Teile von Klerus und Mönchtum traditionellen
Vorstellungen verhaftet, hatte sich ihr Leben in Pfarre, Stift oder Kloster im Ge-
gensatz zu jenem der Kaufleute, Handwerker und freien Scholaren doch weniger
stark verändert. So konnten die Mendikanten eine wichtige Rolle dabei spielen, der
Kirche Autorität und Überzeugungskraft zurückzugewinnen, indem die neuartigen
bürgerlichen Lebenswelten mit der Kirche versöhnt und »verchristlicht« wurden/*'
Waren es im hohen Mittelalter die Ritter gewesen, die als ihren Platz
in der Kirche gefunden hatten, so empfingen nun die nichtadligen Bürger den kirch-
lichen SegenA Die Bettelmönche begleiteten und förderten diese Entwicklung.^
Da sie selbst zu großen Teilen aus der städtischen Mittelschicht stammten, erschien
ihnen diese Haltung vermutlich nicht als innovatives Programm, sondern als not-
wendige und alltägliche Auseinandersetzung mit der Welt, aus der sie stammten und
die sie kannten/" Die mendikantische Pastoraltheologie war so gesehen nichts ande-
res als ein Spiegelbild der Ängste und Hoffnungen einer Gesellschaft im Wandel/*
Salimbene setzte sich auf seine eigene Art mit dieser Gesellschaft auseinander. In
seiner Chronik verfolgte er nicht das Ziel, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhal-
ten. So entwarf er keine geschlossene Weitsicht, sondern beschrieb und bewertete
nur einzelne Personen und ihre Taten. Sein Wertesystem offenbarte dennoch ein
soziales Denken, wenn auch nur durch den Umweg über Begriffe und semantische
Leider. Andere Mendikanten wählten andere Wege, um über die Gesellschaft nach-

56 Zur Lebensform als »geschichtlich eingeübtefr] sozialefr] Verhaltensweise« vgl. Arno BORST, Lebensfor-
men im Mittelalter (Ullstein Taschenbuch 26513), 2. Aufl. Frankfurt am Main/Berlin 1999 (Erstausgabe
1973), S. 14 und 19.
57 Giulia BARONE, L'ordine dei predicatori e la cittä. Teologia e politica ncl pensiero c nell'azione dei predi-
catori, in: Mélanges de l'école française de Rome. Moyen age - temps modernes 89/2, 1977, S. 609-618.
58 Von einer »urban spirituality« sprach Lester LiTTLE, Religious Poverty and the Profit Economy in Me-
dieval Europe, Ithaca 1978, S. 171.
59 LiTTLE, Religious Poverty (wie Anm. 58), S. 184-217.
60 Zur Identifizierung der Franziskaner mit ihren Herkunftsstädten vgl. Robert BRENTANO, Do not say
that this is a man from Assisi, in: Beyond Florence. The Contours of Medieval and Modern Italy, hg. von
Paula FiNDLEN/Michelle M. FoNTAiNE/Duane J. OsHEiM, Stanford 2003, S. 72-80. Zur Verflechtung
der Mendikanten mit ihrem städtischen Umfeld vgl. exemplarisch Jens RÖHRKASTEN, The Mendicant
Houses of Medieval London, 1221-1539 (Vita regularis. Abhandlungen 21), Münster 2004.
61 Zur widersprüchlichen Wahrnehmung der städtischen Lebensweise der Mendikanten vgl. SiCKERT, Klos-
terbrüder (wie Anm. 7), S. 206-210. Zum Widerstreit von »istanze vecchie e nuove« in der Weitsicht
Bertholds von Regensburg vgl. Concetta GiLiBERTO, La rappresentazione dclla socictä tcdesca del XIII
secolo nci sermoni in volgare di Bertoldo da Ratisbona, in: I Francescani e la politica. Atti del Convegno
intcrnazionale di Studio Palermo 3-7 dicembre 2002, 2 Bde., hg. von Alessandro Museo (Franciscana
13), Palermo 2007, Bd. 1, S. 523-542, hier S. 542.
266 I Thomas Ertl

zudenken. Gemeinsam ist den meisten mendikantischen Texten eine grundsätzlich


positive Sicht der abendländischen Christenheit und insbesondere des städtischen
Bürgertums.^ Das heißt nicht, dass franziskanische Priester und Prediger in der
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht die Übel der Zeit geißelten und zur Um-
kehr aufriefen, aber sie taten dies in ihrer Mehrheit nicht als Gegner der vorherr-
schenden Sozialordnung. Verdammt wurden nur die Auswüchse des modernen
Lebens, nicht dieses selbst. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mendikanten aus
genau dieser Welt stammten und weiterhin auf vielfältige Weise mit ihr verflochten
blieben, ist das nicht verwunderlich.^
Allerdings hatte die Akzeptanz der Verhältnisse auch klare Grenzen. Denn zur
frommen Gemeinschaft der Christenheit zählten die Mendikanten zwar die Kauf-
leute und Handwerker und die übrigen Bewohner der Städte, die bei den Theolo-
gen bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts häufig in ein kritisches Licht gerückt
worden warenM Die Erweiterung des pastoral betreuten und umsorgten Personen-
kreises ging jedoch mit einer strikten Abgrenzung gegenüber jenen Personengrup-
pen einher, die außerhalb der religiösen und sozialen Grenzen dieser urbanen oder
zumindest teilweise urbanisierten Christenheit lebten. Für Sünder, Randgruppen,
Ketzer, Juden und Heiden war in diesem Denken nicht nur kein Platz, sondern
die Ausgrenzung und Bekämpfung erreichte eine neue Intensität.^ Bei Salimbene
taucht diese Haltung nur am Rande auf, etwa wenn er für die Verurteilung und
Bekämpfung der Apostoliker eintritt.*^ Diese religiöse Gemeinschaft scharte sich
ab 1260 um den Kaufmann Gerardo Segarelli. Mit diesem Mann teilte Salimbene
die Herkunft aus Parma, ansonsten hatten die beiden wenig gemein. Während der
Franziskanerchronist mit der Realität des 13. Jahrhunderts keine Probleme hatte,
forderte Gerardo einen radikalen Umsturz der kirchlichen und sozialen Verhält-
nisse/''

62 François FossiER, La ville dans l'historiographie franciscaine de la fine du XIIL et du début du XIV^
siècle, in: Mélanges de l'école française de Rome. Moyen age - temps modernes 89/2, 1977, S. 641-655;
Hans-Joachim SCHMIDT, Arbeit und soziale Ordnung. Zur Wertung der städtischen Lebensweise bei
Berthold von Regensburg, in: Archiv für Kulturgeschichte 71, 1989, S. 261-296.
63 Zur engen Verflechtung der Franziskaner mit den städtischen Eliten des 13. Jahrhunderts sowie zu einer
»gentriheation« des Ordens in dieser Zeit vgl. PowELL, Mendicants (wie Anm. 41), S. 557-573 passim
und S. 569 (Zitat). Zu den Wirkungsfeldern der Mendikanten in den Städten vgl. SiCKERT, Klosterbrüder
(wie Anm. 7), S. 217-221.
64 Hans-Joachim SCHMIDT, Societas christiana in civitate. Städtekritik und Städtclob im 12. und 13. Jahr-
hundert, in: Historische Zeitschrift 257, 1993, S. 297-354.
65 Jeremy COHEN, The Friars and the Jews. The Evolution of Medieval anti-Judaism, Ithaca 1982.
66 Grado Giovanni MERLO, Salimbene e gli apostolici, in: Société e storia 39, 1988, S. 3-21.
67 Brian Robert CARNiELLO, Gerardo Segarelli as the anti-Francis: Mendicant rivalry and heresy in medie-
val Italy, 1260-1300, in: The Journal of Ecclesiastical History 57, 2006, S. 226-251.
Pragmatische Visionäre? I 267

Andere Mendikanten gingen bei diesem Versuch einer »Säuberung der Chris-
tenheit« weiter als Salimbene. Die Mitwirkung der Dominikaner,*^ aber auch der
Franziskaner bei der Ausgrenzung, Verurteilung und manchmal auch Vernichtung
von Häretikern und Juden ist bekannt und muss hier nicht weiter behandelt wer-
den.^ Die Anpassung des mendikantischen Weltbildes an die vorherrschenden So-
zialformen des 13. Jahrhunderts führte also nicht auf ganzer Linie zu neuen Formen
der Offenheit, Inklusion oder Toleranz. Wollte man diesen Wandel in einem alle-
gorischen Bild fassen, könnte man sagen: Die Bettelmönche erweiterten das Haus
der Christenheit um einige Zimmer, sie verstärkten zugleich die Außenwände und
verbarrikadierten die Türen, um die Grenzen zwischen Bewohnern und Nicht-
Bewohnern möglichst sichtbar und stabil zu machen. Bedurfte ein Mehr an innerer
Diversität und Unübersichtlichkeit auch ein Mehr an Markierung der Außengren-
zen? Damit sind wir auf einer eher abstrakten und allgemeinen Ebene angelangt, die
ich kurz in einem letzten Punkt diskutieren will.

Mendikantisierung der Weit?

Die moralische Reform der war kein Vorhaben, das Bettelmön-


che erdacht hatten, sondern ein Epiphänomen der Kirchengeschichte aller ZeitenA
Die Christianisierung selbst bildete

»geistig wie institutionell einen der dominant einheitsstiftenden Faktoren


der europäischen Geschichte. [...] Die expansive Römerin Ecclesia wirkte als
Organisatorin und Gleichmacherin. Denn mit der Christianisierung einher
ging das räumliche »Encadrement« Europas durch das Netz von Provinzen,
die oft noch antiken Circumscriptionen folgten, von Diözesen und Pfarreien.
Insofern entstand in der Differenzierung zugleich etwas elementar Gemein-
sames zwischen Schweden und Spanien, Schottland und Ungarn«A

68 Praedicatores, Inquisitores, Bd. 1: The Dominicans and the medieval inquisition. Acts of the P' Interna-
tional Seminar on the Dominicans and the Inquisition (Dissertationcs historicae 29), Rom 2004.
69 Frati minori e inquisizione. Atti del XXXIII Convegno internazionalc, Assisi, 6-8 ottobre 2005 (Atti
dei Convegni della Società Internazionale di Studi Francescani c del Centro Intcruniversitario di Studi
Francescani, Nuova Serie 16), Spoleto 2006. Zur antijüdischen Haltung der Mendikanten vgl. COHEN,
The Friars (wie Anm. 65); Michael HOHLSTEIN, Soziale Ausgrenzung im Medium der Predigt. Der fran-
ziskanische Antijudaismus im spätmittelalterlichcn Italien (Norm und Struktur 35), Köln 2012.
70 William J. DoHAR, Clerical Examination and Instruction for the Cure of Souls,
in: A Distinct Voice. Medieval Studies in Honor of Leonard E. Boyle, hg. von Jacqueline BROWN, Notre
Dame, Ind. 1997, S. 305-321.
71 Johannes HELMRATH, Partikularsynoden und Synodalstatutcn des späteren Mittelalters im europäischen
Vergleich, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale
268 I Thomas Ertl

Mit der äußeren Organisation der Christenheit war immer auch die innere Durch-
dringung des Individuums verbunden, ein Vorhaben, das im Gegensatz zur Etab-
lierung pfarrkirchlicher Strukturen niemals als gänzlich abgeschlossen betrachtet
werden kann. Gleichsam in Wellen versuchten Kleriker und Laien in allen Jahrhun-
derten des Mittelalters, die innere Verchristlichung der Gemeinschaft voranzutrei-
ben und nach zeitgemäßen Vorstellungen zu formen. Zu immer neuen Hilfsmitteln
und Methoden wurde gegriffen, ständig wurde nach neuen Wegen gesucht.^ So
erfand sich die Kirche immer wieder neu, um den jeweils aktuellen Herausforde-
rungen gerecht zu werden. Ein solcher Erneuerungsschub, eine solche Phase ver-
dichteter »Christianisation«,^ formierte sich im ausgehenden 12. Jahrhundert, um
im 13. Jahrhundert, in der Frühzeit der Bettelorden, seine Wirkung zu entfalten.^
Die Verchristlichung einer Gesellschaft ist demnach kein zeitloses Programm
festen Inhalts, sondern bedeutet von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Epoche
zu Epoche etwas anderes. Die Vielfalt christlichen Lebens im 21. Jahrhundert bei-
spielsweise ist kaum auf einen Nenner zu bringen, eine ähnliche Bandbreite von
Möglichkeiten umfasste christliches Leben in den verschiedenen Ländern und Jahr-
hunderten des Mittelalters. Prozesse der Verchristlichung gleichen einer Matrix,
in der kulturelle Vorstellungen und Praktiken, soziale und ökonomische Struktu-
ren mit politischen Absichten Zusammenwirken. Wo die aktiven Kräfte liegen, die
den Prozess vorantreiben und prägen, ist schwer zu sagen. Allerdings wird man
den Männern und Frauen der Kirche bei der kulturellen Prägung der westeuropäi-
schen Gesellschaften wohl grundsätzlich eine beträchtliche Bedeutung zusprechen
können. Anders als Norbert Elias und in direkter Auseinandersetzung mit ihm
konnten Historiker und Soziologen wie C. Stephen Jaeger und Hans Peter Duerr
überzeugend deutlich machen, dass die Kirche den Wandel der Mentalitäten und
kulturellen Praktiken der Laienwelt entscheidend mitprägte.^ Es waren die Trakta-
te der Theologen und Prediger über das rechte Verhalten zunächst der kirchlichen

Beiträge zu Praxis, Problemen und Perspektiven der historischen Komparatistik, hg. von Michael BoR-
GOLTE (Europa im Mittelalter 1), Berlin 2001, S. 135-169, hier S. 135.
72 Zur Vielfalt der mittelalterlichen Mission(smethoden) vgl. Varieties of Religious Conversion in the Mid-
dle Ages, hg. von James MuLDOON, Gainesville 1997; Christianizing Peoples and Converting Individuals,
hg. von Guyda ARMSTRONG/Ian Nicholas WOOD, Turnhout 2000.
73 Zum Begriff Kaspar ELM, Die Christianisierung des Landes im hohen und späten Mittelalter, in: La
Christianisation des campagnes. Actes du colloque du C.I.H.E.C. 25 -27 août 1994, 2 Bde., hg. von Jean-
Pierre MASSAUT/Marie-Elisabeth HENNEAu, Bruxelles 1996, Bd. 1, S. 83-93, hier S. 86.
74 Zur Religionsgeschichte des 12. Jahrhunderts vgl. Brenda BOLTON, The medieval reformation (Found-
ations of medieval history), London 1983; Giles CONSTABLE, The Reformation of the Twelfth Century
(Trevelyan lectures given at the University of Cambridge, 1985), Cambridge 1996.
75 Hans Peter DuERR, Der Mythos vom Zivilisationsprozess, 5 Bde., Frankfurt am Main 1994-2005; JAE-
GER, Die Entstehung (wie Anm. 28). Zur Rezeption des Buches aus der Sicht des Autors vgl. DERS.,
Origins of courtliness after 25 years, in: Haskins Society Journal 21, 2010, S. 187-216.
Pragmatische Visionäre? I 269

Gemeinschaften/^ dann aber auch der Christenmenschen allgemein, die seit dem
lß. Jahrhundert die Entstehung von Sittenlehren aus weltlicher Feder inspirierten
und so den Grundstock für ein säkulares und bürgerliches Wertesystem in weiten
Teilen Europas legten/''
Übertragen auf die Mendikanten und ihren Einfluss auf die westeuropäische
Christenheit im 13. Jahrhundert, könnten die Fragen lauten: Hatte das mendikan-
tische Wirken konkrete Auswirkungen auf die Welt, und wenn ja, welche? Anders
gefragt: Waren die Mendikanten Sozialrevolutionär, sozialkonservativ oder irgend-
etwas dazwischen? In der historischen Forschung finden sich Argumente sowohl
für die dauerhafte Wirksamkeit der Bettelmönche als auch dagegen/^ Mit guten
Gründen wurde beispielsweise auf die friedensstiftende Wirkung der Bettelmönche
in den spätmittelalterlichen Städten nördlich und südlich der Alpen hingewiesen/^
Allerdings entwickelte sich das westliche Europa im lß. Jahrhundert keineswegs zu
einer Region des Friedens. Im Gegenteil, gerade im letzten Jahrzehnt des »mendi-
kantischen Jahrhunderts«, nachdem die Frucht mendikantischer Pastorale genug
Zeit gehabt hatte, sich in den Herzen der Laien zu entfalten, scheint eine Periode
besonderer Kriegstätigkeit zu beginnen/" Hans Baron und andere betrachteten die
franziskanische Armutsvorstellung als ein wichtiges Fundament des intellektuellen
Lebens des 14. Jahrhunderts/^ Historiker, die einem Bettelorden angehören oder
nahestehen, tendieren in der Regel dazu, die Bedeutsamkeit mendikantischen Den-
kens und Handels sehr hoch zu veranschlagen. Aus dieser Perspektive ist die gesam-
te Sozial- und Kulturgeschichte des spätmittelalterlichen Europa stark geprägt von

76 Jonathan NiCHOLLS, The matter of courtesy. Medieval courtesy books and the Gawain-poet, Wood-
bridge 1985.
77 Dilwyn KNOW, Disciplina. The Monastic and Clerical Origins of European Civility, in: Renaissance
Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice, Jr., hg. von John MoNFASANi/Ronald G. Mus-
TO, New York 1991, S. 107-135; DERS., Erasmus' De CRVAMte and the Religious Origins of Civility in
Protestant Europa, in: Archiv für Reformationsgeschichte 86, 1995, S. 7-55.
78 Clifford Hugh LAWRENCE, The Friars. The Impact of the Early Mendicant Movement on Western Soci-
ety (The medieval world), London 1994 (verb. Taschenbuchausgabe London 2013).
79 Daniel A. BROWN, The Alleluia. A thirteenth century peace movement, in: Archivum franciscanum
historicum 81, 1988, S. 3-16; Dieter BERG, Gesellschaftspolitische Implikationen der Vita Minorum,
insbesondere des franziskanischen Friedensgedankens, im 13. Jahrhundert, in: Renovatio et reformatio.
Wider dem Bild vom »finsteren« Mittelalter. Festschrift für Ludwig Hödl zum 60. Geburtstag, hg. von
Manfred GERWiNG, Münster 1985, S. 181-194; Gudrun WiTTEK, Franziskanische Friedensvorstellungen
und Stadtfrieden. Möglichkeiten und Grenzen franziskanischen Friedewirkens in mitteldeutschen Städten
im Spätmittelalter, in: Bettelorden und Stadt. Bettclordcn und städtisches Leben im Mittelalter und in der
Neuzeit, hg. von Dieter BERG (Saxonia Franciscana 1), Werl 1992, S. 153-178.
80 John MuNRO, The »industrial crisis« of the English textile towns, c. 1290-c. 1330, in: Thirteenth Century
England. Proceedings of the Durham Conference 1997, hg. von Michael Charles PRESTwiCH, Wood-
bridge 1999, S. 103-142.
81 Hans BARON, Franciscan Poverty and Civic Wealth in the Shaping of Trecento Humanistic Thought:
The Role of Petrarch, in: DERS., In search of Florentine civic humanism. Essays on the transition from
medieval to modern thought, 2 Bde., Princeton 1988, Bd. 1, S. 158-190.
270 I Thomas Ertl

den Bettelmönchen. Ja, zahlreiche Errungenschaften des modernen Europa schei-


nen aus dieser Perspektive ihren Ehsprung in den monastischen und mendikanti-
schen Gemeinschaften gehabt zu haben, die als innovative Laboratorien sozialen
Wandels gedeutet werden.^
In einer konträren Interpretation stellen die Mendikanten nur eine Reaktion
auf die veränderten Lebensumstände des lß. Jahrhunderts dar, ohne selbst eine in-
tellektuelle oder soziale Vorreiterrolle zu übernehmen. Von ihnen seien keine in-
novativen Impulse ausgegangen, sie hätten sich vielmehr eingefügt in die sozialen
und ökonomischen Umwälzungen der Zeit, diese begleitet und ihnen ihren Segen
gegeben. Eine solche Interpretation liegt auch dann nahe, wenn die Geschichte des
Franziskanerordens als eine Geschichte des Niedergangs und des Verrats an den
ursprünglichen Idealen gedeutet wird.^
Gründe für diese widersprüchlichen Einschätzungen sind zum einen die Diver-
sität und Entwicklung der Bettelorden selbst. Uber die Frage, ob die Franziskaner
am Ende des 13. Jahrhunderts die Botschaft des Franziskus authentisch lebten und
tradierten, wird bekanntlich lebhaft gestritten. Entsprechend schwierig ist es, von
einem einheitlichen mendikantischen Vermächtnis zu sprechen. Noch bedeutsamer
scheint mir jedoch der persönliche Standpunkt des jeweiligen Historikers und sein
Geschichtsbild zu sein. Abhängig von der individuell gewichteten Bedeutung von
Religion in der Gesellschaft oder der Bedeutung von großen Reformern in der Ge-
schichte variiert die Einschätzung der Bettelmönche. Während manche Historiker
eine Mendikantisierung der Christenheit und durch diese die Verhinderung einer
frühzeitigen »Reformation« und Kirchenspaltung im späten Mittelalter erkennen
wollen, ist anderen das Mendikantentum eine weitere Erscheinungsform einer sich
ständig erneuernden Kirche, die transzendente Bedürfnisse auf immer neue und
zeitgemäße Weise zu befriedigen sucht, ohne jedoch den Lauf der Welt nachhaltig
zu gestalten.
Unabhängig von persönlichen Tendenzen könnte man sich als kleinsten gemein-
samen Nenner vielleicht darauf verständigen, dass innerhalb der Bettelorden des
13. Jahrhunderts auf zeitgemäßem Niveau und in damals moderner Terminologie
und Wissenschaftlichkeit über Gesellschaft und ihre Probleme nachgedacht wurde.
Die Bettelorden sind in dieser Epoche ein attraktives Sammelbecken für gelehrte
und neugierige Geister, die sich über Gott und die Welt den Kopf zerbrachen. Sie

82 Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg.
von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/Julia DüCKER (Vita Regularis. Abhandlungen 48), Berlin
2012.
8ß Helmut FELD, Die Totengräber des heiligen Franziskus von Assisi, in: Archiv für Kulturgeschichte 68,
1986, S. 319-350.
Pragmatische Visionäre? 271

boten vielen prominenten Intellektuellen eine Heimat und einen Rahmen, um ihrer
Arbeit nachgehen zu können. Zu dem vielstimmigen Chor, der aus den Bettelor-
denskonventen auf die Plätze des urbanen Europa schallte, gehörte auch Salimbene
de Adam, ein geschwätziger Chronist, dessen historiographische Leistung nicht als
originell gilt, der aber doch im modernen Duktus der Zeit auf seine Familie, seinen
Orden und die Gesellschaft seiner Zeit blickt. Dies als religiöse Institution zu er-
möglichen, führt zu keiner »Mendikantisierung der Gesellschaft«, scheint mir aber
auch unabhängig davon als ein nicht unbeträchtlicher Erfolg auf das Konto der
Bettelorden zu gehen.
IV
Neuordnung
(der Geseüschaft
Zwischen Ästhetik des Verzichts
und monastischen ideaien:
Die Baukunst der Betteiorden

Eine fühlbare ästhetische Distanz zu Stadtpfarrkirchen, mehr noch zu den Kirchen


der traditionellen geistlichen Gemeinschaften oder gar zu Domkirchen zeichnet
die Architektur der Bettelorden des 13. und 14. Jahrhunderts aus. Das Langhaus
der Dominikanerkirche in Colmar (Abb. 1), die 1293 immerhin unter Mitwirkung
König Rudolfs von Habsburg begonnen worden ward verzichtet auf alles, was
im späten 13. Jahrhundert von einem angemessenen Kirchenraum erwartet wur-
de: dünne, schlichte Rundpfeiler anstatt gotischer Gliederpfeiler, keine Kapitelle
anstatt filigran gestalteter Blattzier und feinteiliger Profile, die Arkaden werden
einfach mit den Rundstützen verschnitten - immerhin zeigen ihre Profile, dass der
Verzicht auf die bisher genannten Bauelemente ein bewusster Verzicht und nicht
bloß Unvermögen war. Darüber fehlen dann die üblichen Fenster zur Belichtung
des Mittelschiffs und auch ein steinernes Gewölbe. Das Langhaus erhält sein Licht
durch große Maßwerkfenster in den Außenwänden der Seitenschiffe, die darüber
hinaus aber gleichfalls schmucklos blieben und sogar in geradezu primitiv erschei-
nender Weise mit schräg aufsteigenden Holzdecken gedeckt sind.^ Der Langchor
der Brüder, ursprünglich durch einen hohen Lettner vom Laienraum getrennt,
präsentiert sich demgegenüber als richtige Sakralarchitektur, mit polygonalem Ab-
schluss, Maßwerkfenstern und Gewölbe - das freilich nicht auf Wandsäulen ruht,
sondern hoch über dem Chorgestühl auf Konsolen abgefangen wird. Dieser Raum
bleibt dem Messopfer am Hochaltar und dem Chorgebet des Konvents angemessen.

1 Matthias UNTERMANN, Nachwort, in: Richard KRAUTHEIMER, Die Kirchen der Bettelorden in
Deutschland. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Matthias Untermann, Köln 1925, Nachdruck
Berlin 2000, S. 197-208; Helma KoNOw, Die Baukunst der Bettelorden am Oberrhein (Forschungen zur
Geschichte der Kunst am Oberrhein 6), Berlin 1954, S. 16-23.
2 Vgl. Ulrich KNAPP, Die Esslinger Bettelordenskirchen im Kontext der Architektur des 13. und 14. Jahrhun-
derts, in: Zwischen Himmel und Erde. Klöster und Plleghöfe in Esslingen, hg. von Kirsten FAST/Joachim
J. HALBEKANN, Petersberg 2009, S. 187-195, hier S. 191 f.
276 I Matthias Untermann

Im Übrigen findet der Verzicht des Ordens auf alles Überflüssige nicht nur zeichen-
haft - wie früher in der ZisterzienserarchitektuK - seinen Ausdruck, sondern mit
allen Konsequenzen für die Konventionen der Architektur und die Sehgewohnhei-
ten zeitgenössischer Stadtbürger.

»Re!ative« Armut

Bettelordensarchitektur ist nicht die »einfachst mögliche Bauform«, sondern sucht,


wie die Kunstgeschichte schon lange zeigen konnte/ in jedem Kontext neu die Di-
stanz. Die Esslinger Dominikanerkirche, (Abb. 2) erbaut um 1255-1270/ ist ein

ß Matthias UNTERMANN, Forma Ordinis. Die mitteialterliche Baukunst der Zisterzienser (Kunstwissen-
schaftliche Studien 89), Berlin 2001.
4 Wolfgang ScHENKLUHN, Architektur der Bettelorden. Die Baukunst der Dominikaner und Franziska-
ner in Europa, Darmstadt 2000; Günther BiNDiNG/Matthias UNTERMANN, Kleine Kunstgeschichte der
mittelalterlichen Ordensbaukunst in Deutschland, 3. Aufl. Darmstadt 2001, S. 329-390; immer noch
anregend: KRAUTHEIMER, Die Kirchen (wie Anm. 1); vgl. besonders für Süddeutschland: KONOW, Die
Baukunst (wie Anm. 1); Johannes OBERST, Die mittelalterliche Architektur der Dominikaner und Fran-
ziskaner in der Schweiz. Ein Beitrag zur schweizerischen Ordensbauweise, Zürich/Leipzig 1927.
5 Falk JAEGER, Das Dominikanerkloster in Esslingen. Baumonographie von Kirche und Kloster (Esslinger
Studien/Schriftenreihe 13), Esslingen 1994; Markus HÖRSCH, Die Esslinger Sakralbauten, in: Stadt-Fin-
dung. Geschichte, Archäologie, Bauforschung in Esslingen, hg. von Hartmut SCHÄFER, Bamberg 2001,
S. 159-206, hier S. 172-180; KNAPP, Die Esslinger Bettelordenskirchen (wie Anm. 2), S. 187f.
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen 277

langgestreckter Kirchenbau, innen sogar - zumindest in einer zweiten Bauphase -


nicht nur im Altarraum und Chor, sondern durchgehend mit Gewölben versehen.
Maßstab in unmittelbarer Nachbarschaft ist die Pfarrkirche St. Dionys/ im Besitz
des Speyerer Domkapitels, die prachtvolle Osttürme erhielt, bald auch einen hoch-
aufragenden Langchor. Auch dort blieb der Laienraum ungewölbt, wie bei vielen
schwäbischen Pfarrkirchen des 13./14. Jahrhunderts/ nachdem eine frühe Gewöl-
beplanung wieder aufgegeben worden war. Im Innenraum übertrifft die Pfarrkir-
che freilich die Dominikanerkirche nicht nur durch ihre deutlich größere Höhe,
sondern auch durch die Achteckform und die Kapitellzier der Stützen, während
die niedrigen, profilierten Arkaden der Dominikanerkirche sich demonstrativ auf
das Gegenbild beziehen und wiederum den Vergleich herausfordern und damit den
Verzicht in der übrigen Architektur ablesbar machen.

6 HÖRSCH, Die Esslinger Sakralbauten (wie Anm. 5), S. 162-172; Peter R. ANSTETT, Die Stadtkirche St.
Dionys in Esslingen a. N. Archäologie und Baugeschichte, Bd. 2: Die Baugeschichte von der Spätromanik
zur Neuzeit (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg lß,2),
Stuttgart 1995.
7 Klaus Jan PHILIPP, Pfarrkirchen. Funktion, Motivation, Architektur. Eine Studie am Beispiel der Pfarr-
kirchen der schwäbischen Reichsstädte im Spätmittelalter (Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte 4),
Marburg 1987.
278 I Matthias Untermann

Die Franziskaner haben dem Geist der Armut mancherorts noch deutlicher Aus-
druck verliehen: St. Johannis in der Kleinstadt Barby an der Elbe (Abb. 3),^ erbaut
ab 1264, ist ein rechteckiger Kastenraum, ohne jede architektonische Strukturierung
und ohne Wandgliederung am Außenbau wie im Inneren, mit gerader Ostwand,
Racher Holzbalkendecke ist es der einfachste und schlichteste Raum, den man mit
architektonischen Mitteln gestalten kann. Weniger kann man nicht bauen, nichts
kann man hier noch wegnehmen, nichts stört die bewusste Präsentation äußerster
architektonischer Schlichtheit. Ein solcher Raum ist - für jeden erkennbar - einer
religiösen Gemeinschaft angemessen, die auf alles Weltliche, jeden Besitz und jeden
Prunk verzichten will. Dabei ist die Kirche um vieles größer als eine durchschnittli-
che Dorfkirche dieser Zeit - nicht nur in der Länge und Breite, die das Chorgestühl
des Konvents, meist auch einen davon abgetrennten Laienraum aufnehmen musste,
sondern auch in der Höhe, die diesen Dimensionen angemessen blieb.
In eigentümlicher Weise konnte auch bei solchen Kirchen der Betrachter darauf
hingewiesen werden, dass die architektonische Armut ein freiwilliger und bewuss-

8 Roland PiEPER/Jürgen Werinhard EiNHORN, Franziskaner zwischen Ostsee, Thüringer Wald und Erz-
gebirge. Bauten - Bilder - Botschaften, Paderborn/München/Wien u. a. 2005, S. 100-103; Achim To-
DENHÖFER, Kirchen der Bettelorden. Die Baukunst der Dominikaner und Franziskaner in Sachsen-Anhalt,
Berlin 2010, S. 44-51; Leonie SiLBERER, Einschiffige Franziskanerkirchen der mittelalterlichen Ordens-
provinz Saxonia. Untersuchungen zu Funktion und Bauform bis 1300, in: Wissenschaft und Weisheit 74,
2011, S. 165-233, hier 196-200.
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen 279

ter Verzicht war und nicht der Mangel an Kompetenz und Mitteln: Die (in ihrem
ersten Bauzustand) ganz vergleichbare Franziskanerkirche in Zerbst an der Elbe,^
begonnen in der ortsüblichen Granitquaderbauweise und fortgeführt als Backstein-
bau, erhielt ein auffallend reiches Laienportal, flankiert von Säulen, mit gestuften,
ordentlich verzierten Kapitellfriesen und einem genasten Spitzbogen über dem
Eingang - hier wurde nicht nur der schwer zu bearbeitende Granit, sondern auch
importierter Kalk- und Sandstein eingesetzt. Hiervon abgesehen, blieb der Kirchen-
bau genauso »architekturfrei« wie die Kirche in Barby.
Andere frühe Franziskanerkonvente und ihre Stifter zeigen ein entspannteres
Verhältnis zur Baukunst: Die einsam gelegene Kirche in Seligenthal bei Siegburg
(Abb. 4)/° wohl die älteste erhaltene Franziskanerkirche auf deutschem Boden, prä-
sentiert sich von außen mit einer lisenengeschmückten Apsis, einer zierlichen Ap-
sidiole an der Sakristei, dem konventionellen Rundbogenfries unter dem Dach. Die
attraktiven Fünfpass-Fächerfenster, die in der kölnischen Spätromanik des 13. Jahr-
hundert anspruchsvolle Bauten auszeichnen, entstammen zumindest teilweise dem

9 PiEPER/EiNHORN, Franziskaner (wie Anm. 8), S. 146.


10 Hans Erich KuBACH/Albert VERBEEK, Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorroma-
nischen und romanischen Denkmäler, 4 Bde., Berlin 1976, Bd. 2, S. 1013f.
280 I Matthias Untermann

ursprünglichen Zustand." Selbstverständlich sind Altarraum und Chor im Innen-


raum mit Gewölben versehen.
Als bewussten Verzicht auf ordenstypische Armutsfloskeln könnte man auch
die um 1250 begonnene Franziskanerkirche (»Minoritenkirche«) in Köln (Abb. 5)
verstehend- Hoch aufragend, mit Mab werkfenstern, Strebepfeilern und sogar einem
offenen Strebewerk zeigt sie außen charakteristische Elemente der modernen, hoch-
gotischen Gliederarchitektur und übertrifft damit nicht nur andere Bettelordens-
bauten, sondern viele Stadtkirchen ihrer Zeit. Freilich steht sie unweit des Kölner
Doms, der 1248 als erster, in allen Elementen an französischer Kathedralbaukunst
orientierter Großbau im deutschen Reich ins Werk gesetzt worden war. Alles ist
dort größer und reicher - in dieser Gegenüberstellung erscheint die Franziskaner-
kirche zwar nicht ärmlich, aber deutlich reduziert. Im Innenraum wird dies noch
deutlicher: Zwar sind die Stützen der Franziskanerkirche durch aufgelegte Dienste
bereichert und die Gewölbe werden von diesen Diensten und nicht von Konsolen

11 Monika BARBKNECHT, Die Fensterformen im rheinisch-spätromanischen Kirchenbau. Die Problematik


ihrer Überlieferung unter bau- und restaurierungsgeschichtlichen Aspekten (Veröffentlichung der Abtei-
lung Architektur des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 31), Köln 1986, S. 204 mit Anm.
724.

1998, S. 257-261.
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen I 281

getragen, und auch der Laienraum ist vollständig eingewölbt, allerdings bleiben
die Arkaden niedrig, die Kapitelle schmucklos, die Wandflächen über den Arkaden
demonstrativ glatt, die Fenster klein. Am Kölner Dom sind nicht nur die Kapitel-
le reich verziert und die Stützen noch viel aufwändiger gegliedert, sondern auch
die Wandfläche wird durch ein durchlichtetes Triforium über den Arkaden extrem
reduziert und die großen Fenster nehmen alle verfügbare Fläche zwischen den Ge-
wölbediensten ein. Die Franziskanerkirche ist nicht nur um eine Stufe, sondern
überdeutlich ärmer und reduziert - einzelne Elemente, wie die Stützen und die
Gewölbegestalt fordern auch hier den vergleichenden Blick bereits der zeitgenös-
sischen Betrachter heraus, um diese Ästhetik des Verzichts eindeutig ablesbar zu
machen.
In den Kreisen adliger Stifter und hochqualifizierter Bauleute ist die überregio-
nale Kenntnis neuester Formen, Techniken und Bauansprüche im hohen und späten
Mittelalter ein wichtiges Element ihrer Kompetenz. Auch die Zisterzienser haben
ihre Bauten in überregionalen Ordenskontexten gesehen. Für die Bettelorden gilt
dies auffallenderweise nicht. Nur vereinzelt, wie in der franziskanischen Provinz
Saxonia, lassen sich in bestimmten Epochen zahlreiche, gleichartig konzipierte Bau-
ten erkennenV Häufiger, wie bei den diskutierten Beispielen, ist der Bezugsrahmen
dezidiert lokal, die eigene Stadt. Adressaten sind, so wäre von der Kunstgeschichte
her zu formulieren, nicht die breit vernetzten Adligen und Prälaten, ebenso wenig
die weitgereisten Kaufleute, sondern die »bodenständige« Bevölkerung mit ihren
Seherwartungen und Ansprüchen. Angemessen erscheinen die Bettelordensbauten,
aber nicht ärmlich; sie demonstrieren bewussten Verzicht auf Weltliches - als Basis
ihrer Spiritualität - aber nur eine »relative« Armut. Damit stehen sie nicht zuletzt
in der zisterziensischen Tradition, für die in der Baukunst erkennbarer »Verzicht«
bedeutsamer war als objektive » Armut«.^

Der Vorrang des Chordienstes vor der Laienseeisorge

Die Hinwendung zur städtischen Bevölkerung, deren Seelsorgebedürfnisse zuvor


vom Pfarrklerus vernachlässigt worden waren, verbunden mit Büßpredigt und Ket-
zerbekämpfung, gehören zu den zentralen, selbst gesetzten Aufgaben der Bettelor-
den. Dies trug, nach allgemeiner Überzeugung, zu ihrem raschen Aufblühen und
auch zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg bei. Die Kunstgeschichte hat diese These
gern übernommen: Bettelordenskirchen gelten als typische Predigtkirchen - ge-

13 SiLBERER, Einschiffige Franziskanerkirchen (wie Anm. 8).


14 UNTERMANN, Forma Ordinis (wie Anm. 3), S. 624-675.
282 I Matthias Untermann

wissermaßen als Vorläufer nachreformatorischer Tendenzen. Der Blick auf die


Kirchenbauten hätte hier Zweifel hervorrufen können: Nicht die Langhäuser als
Ort der Laienpredigt, sondern die Chorräume als Ort von Hochaltar und Chor-
gestühl prägen die Außenerscheinung fast aller Bettelordenskirchen nördlich der
Alpen - überdies sind sie, wie schon in Colmar gesehen, regelhaft reicher gestaltet
und brechen viel seltener mit architektonischen Konventionen. Bei den Franziska-
nern wird ein neuer, wohl bei den Regularkanonikern des mittleren 13. Jahrhun-
derts entwickelter Bautyp aufgegriffen und zu weiter Verbreitung gebracht, der so
genannte Langchor. ^ Hier sind in einem einschiffigen Raum der Hochaltar und das
Chorgestühl vereint und zugleich deutlich vom übrigen Kirchenraum abgesetzt,
ja durch den Lettner sogar weitgehend isoliert. Ausgerechnet die Minderbrüder,
die bewusst volksnah leben und auf trennende Rituale althergebrachter Liturgie
verzichten wollten, demonstrierten in ihrer Architektur seit 1260/1270 eine elitäre
Abschließung ihres Konventsgottesdienstes gegenüber dem Laienraum der Kirche.
Benediktinische Chorräume, aber auch die Chorbereiche vieler Dom- und Stifts-
kirchen waren mit ihrer Lage in der Vierung oder sogar im Ostteil des Langhauses
räumlich in den Laienraum integriert; ihre Konvente blieben architektonisch er-
kennbar Teil des Kirchenvolks - auch wenn hohe Schranken die Chöre umschlos-
sen oder sie sogar durch Krypteneinbauten im Niveau über den sonstigen Kirchen-
raum angehoben waren. Der an den Laienraum angesetzte Langchor ist durchaus
eine Konsequenz dieser Entwicklung, aber keine generelle - er setzte sich zuerst bei
den Franziskanern, später auch bei den anderen Bettelorden durch, während viele
andere Orden bis zum Ende des Mittelalters die alten Dispositionen mit dem Chor
im Kirchenraum beibehielten.
Auffallenderweise hatten die frühen Dominikaner - als Regularkleriker nach
der Augustinusregel - die Choranordnung konventioneller Stiftskirchen übernom-
men: In der Dominikanerkirche in Zürich (Abb. 6)^ stand das Gestühl anfangs
in der Vierung zwischen zwei Querarmen. Beim Bau eines Langchors bald nach
1325 behielt es seine Position, die Querarme wurden nun aber aus der Nutzung
durch die Laien herausgenommen und zu Nebenräumen reduziert. Auch in der
Dominikanerkirche in Erfurt war das Gestühl um 1270/1280 zunächst in konven-
tioneller Weise im Ostteil des Mittelschiffs aufgestellt und dreiseitig von Schranken
umschlossen worden; die Seitenschiffe blieben für die Laien zugänglich. Erst nach

15 Andrzej GRZYBKOWSKi, Das Problem der Langchöre in Bettelordens-Kirchen im östlichen Mitteleuropa


des 13. Jahrhundert, in: Architectura 13, 1983, S. 152-168; Georges DESCŒUDRES, Choranlagen von
Bettelordenskirchen. Tradition und Innovation, in: Kunst und Liturgie. Choranlagen im Spätmittelalter -
ihre Architektur, Ausstattung und Nutzung, hg. von Anna MORAHT-FROMM, Osthldern 2003, S. 11-30.
16 Dölf WtLD, Das Prcdigcrkloster in Zürich. Ein Beitrag zur Architektur der Bettelorden im 13. Jahrhun-
dert (Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 32), Zürich/Egg 1999, S. 177-186.
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen I 283

1380 wurde ein neuer Lettner gebaut, der nun den gesamten Ostteil der Kirche
abschloss und damit faktisch die Situation eines Langchors schuf. Bei den Franzis-
kanern sind Langchöre schon bald nach 1250 fassbar: Die älteste Franziskanerkir-
che in Basel, erbaut ab 1256, wies bereits einen Langchor auf, der auch schon für
Gewölbe konzipiert war (Abb. 7) A Sie wurde schon ab 1288 durch eine weitgehend
gleichartige, etwas größere und modernere Kirche ersetzt (»Barfüsserkirche«). An
Dominikanerkirchen wurden Langchöre erst nach 1270 üblich; ein frühes Beispiel
ist der 1269-1276 erbaute Langchor der Predigerkirche in Bern.'s
Kunsthistoriker haben dieses Problem lange übersehen; Richard Krautheimer
hatte am Beispiel der Bettelorden sogar eine Ästhetik des Langhauses entwickelt.^
Aber auch moderne Ordenshistoriker konnten die offenkundige architektonische
Hervorhebung von Chorgebet und Altardienst kaum mit ihren Vorstellungen der
mittelalterlichen Bettelorden verbindend" In der Liturgiegeschichte ist allerdings
unstrittig, dass bei den Franziskanern Franziskus selbst die Bedeutung des Chor-

17 Dorothee RiPPMANN/Bruno KAUFMANN/Jörg ScHiBLER u.a., Basel, Barfüsserkirche. Grabungen 1975 -


1977. Ein Beitrag zur Archäologie und Geschichte der mittelalterlichen Stadt (Schweizer Beiträge zur
Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 13), Olten/Freiburg 1987, S. 24-32.
18 Georges DESCŒUDRES/Kathrin Urz TREMP, Bern, Französische Kirche, ehemaliges Prcdigerkloster. Ar-
chäologische und historische Untersuchungen 1988-1990 zu Kirche und ehemaligen Konventgebäuden,
Bern/Stuttgart 1993.
19 KRAUTHEiMER, Die Kirchen (wie Anna. 1), S. 14-53.
20 Isnard Wilhelm FRANK, Bettelordenskirchen als multifunktionale Kulträume. Ein Beitrag zur Bettelor-
denskirchcnforschung, in: Wissenschaft und Weisheit 59, 1996, S. 93-112.
284 I Matthias Untermann

gebets betont hat und dass dieses eine zentrale Rolle in den Regelschriften spielt*^ -
weit mehr als die Fürsorge für Laien oder gar das Betteln auf den Straßen. Leonie
Silberer hat hiervon ausgehend sogar vorgeschlagen, die frühen, auffallend kleinen,
einfachen Saalkirchen der Franziskaner in der Provinz Saxonia als Chorräume ohne
Laienbereich zu deuten,als Orte allein des franziskanischen Ronventlebens, da
sie neben einem Chorgestühl kaum Platz für Laien bieten würden und auch die
Position der Chorglocke die Existenz eines Laienraums auszuschließen scheint. In
der Tat fand die Laienpredigt in dieser Provinz, in italienischer Tradition, zunächst
auf großen Predigthöfen zu Seiten der Kirche im Freien statt. An einzelnen Orten,
wie in Zeitz, sind sogar Außenkanzeln für die Laienpredigt erhalten gebliebenA

21 Hugo DAUSEND, Der Franziskanerorden und die Entwicklung der kirchlichen Liturgie, in: Franziskani-
sche Studien 11,1924, S. 165-178, bes. S. 169; Sources of the Modern Roman Liturgy. The Ordinals from
Haymo of Laversham and Related Documents (1243-1307), Bd. 2: Texts, hg. von Stephen Joseph Peter
VAN DijK (Studia et Documenta Franciscana 2), Leiden 1963, S. 336-338, hier S. 347; Timothy J. JOHN-
SON, La preghiera corale intesa come luogo di formazione e dehnizione d'identità: l'esempio delPordine
dei Frati Minori, in: Religiosità e civiltà. Identità delle forme religiose (secoli X-XV). Atti del Convegno
Internazionale, Brescia, 9-11 settembre 2009, hg. von Elisabetta FiLiPPiNi/Giancarlo ÄNDENNA (Le
Settimane internazionali della Mendola, Nuova Serie 2007-2011), Milano 2011, S. 243-256.
22 SiLBERER, Einschiffige Lranziskanerkirchen (wie Anna. 8), S. 183-186, 206-209.
23 SiLBERER, Einschiffige Franziskanerkirchen (wie Anm. 8), S. 170-172,202-206;JürgenBÄRSCH/Roland
PiEPER, Predigtstühle und Ranzein im Mittelalter, in: Kunst. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg.
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen I 285

Nicht zuletzt die Witterung dürfte eine Abkehr von diesem frühen Ideal nahegelegt
haben. Mancherorts, wie in Rostock, wurde der erste Saalraum der Franziskaner
tatsächlich zum Langchor einer großen KircheA
Dass die Armutsideale der Bettelorden, wie dargelegt, gerade in den Laienräumen
zur Wirkung gebracht wurden und nur eingeschränkt in ihren Chorbereichen, fügt
sich vermutlich zu einer schwer auflösbaren Dichotomie zwischen würdigem Chor-
und Altardienst einerseits und der fundamentalistischen Laienpredigt andererseits.
Über das monastische Stundengebet und die Messfeier hinaus wird im Chor
der Franziskaner ausdrücklich das Selbstverständnis des Ordens reflektiert - durch
Lesung einer hierfür geschriebenen Vita des Hl. Franziskus A Anders als in Italien,-^
führte dies nördlich der Alpen nicht zu Wandmalereizyklen im Chorraum, sondern
allenfalls zu Franziskuszyklen in der Glasmalerei der Chorfenster, wie um 1240 in
ErfurtA Bemerkenswert ist allerdings, dass auf dem Chorgestühl selbst in einigen
Franziskanerkirchen die Geschichte des Konvents und der Provinz in ausführlichen
Inschriften memoriert wird (Abb. 8)A
In diesem Kontext bleibt auch noch zu klären, warum in der Provinz Saxonia ei-
genständige Kapitelsäle - von der Frühzeit abgesehen - in den Franziskanerklöstern
ganz fehlen und deren Funktion offenbar auf den Chorraum übertragen wurde A

des 21. Jahrhunderts 5), Paderborn 2012, S. 417-428, hier S. 424-428.


24 Matthias UNTERMANN/Leonie SiLBERER, Die Kirchenbauten bis 1400, in: Kunst. Von den Anfängen
bis zur Gegenwart, hg. von Roiand PiEPER (Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz von der
Gründung bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts 5), Paderborn 2012, S. 93-143, hier S. 95, 118.
25 Timothy J. JOHNSON, Lost in sacred space. Textual hermeneutics, liturgical worship, and Celano's LcgcM-
MJM777 c/?ori, in: Franciscan Studies 59, 2001, S. 109-131; DERS., Into the light. Bonaventure's Tfitzor
Li/e o/S/tmt LLtncL, and the Franciscan production of space, in: Francis of Assisi. History, Hagiography,
and Hermeneutics in the Early Documents, hg. von Jay M. HAMMOND, Hyde Park 2004, S. 229-249,
bcs. S. 241 f.
26 Dieter BLUME, Wandmalerei als Ordenspropaganda. Bildprogramme im Chorbereich franziskanischer
Konvente Italiens bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Worms 1983; Heidrun STEiN-KECKS, Wandmalerei
in der Ordensprovinz Saxonia, in: Kunst. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von Roland PiEPER
(Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz von der Gründung bis zum Anfang des 21. Jahrhun-
derts 5), Paderborn 2012, S. 315 -330.
27 Erhard DRACHENBERG/Karl-Joachim MAERCKER/Christa SCHMIDT, Die mittelalterlichen Glasmalerei-
en in den Ordenskirchen und im Angemuseum zu Erfurt (Corpus Vitrearum Medii Aevi. Deutschland
15,1), Berlin 1976, S. 1-58; Frank MARTIN, Glasmalereien aus dem Mittelalter, in: Kunst. Von den An-
fängen bis zur Gegenwart, hg. von Roland PiEPER (Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz von
der Gründung bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts 5), Paderborn 2012, S. 331-339, hier S. 331-337.
28 Roland PiEPER, Mittelalterliche Chorgestühle und Dreisitze. Eine Übersicht zur Franziskanerprovinz
Saxonia, in: Kunst. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von Roland PiEPER (Geschichte der Säch-
sischen Franziskanerprovinz von der Gründung bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts 5), Paderborn 2012,
S. 407-416, hier S.410f.
29 Matthias UNTERMANN/Leonie SiLBERER, Die Klosterbauten, in: Kunst. Von den Anfängen bis zur Ge-
genwart, hg. von Roland PiEPER (Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz von der Gründung
bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts 5), Paderborn 2012, S. 183-219, hier S. 213 f.
286 I Matthias Untermann

Nesdo qu<d sit daustrum


Schwer auflösbar ist, wie schon andernorts dargelegtd° der Anspruch des Fran-
ziskus und der frühen Franziskaner, auf traditionelle klösterliche Lebensform zu
verzichten, und die Beobachtung, dass schon bald nach 1250 Franziskanerklöster
zu den größten Baukomplexen vieler Städte heranwuchsen und bis zur Auflösung
in Reformation oder Säkularisation blieben. Legitimationsprobleme, die bis in die
Gegenwart zu reichen scheinen, haben praktisch jede Erforschung franziskanischer
Klosterarchitektur verhindert, erstaunlicherweise bis in die Kunstgeschichte hinein.
Nesdo dt (AtMsfTwm, soll Jordan von Giano geantwortet haben, als er 1225
mit ersten Franziskanerbrüdern nach Erfurt gelangte und der Rat ihm anerbot,
ihnen ein Kloster zu errichtend^ Zur um 1240 aufwändig neugebauten Erfurter
Franziskanerkirche gehörte jedenfalls ein Kloster und auch andernorts sind frühe

30 Erste ausführlichere Darstellung des Themas: Matthias UNTERMANN, Öffentlichkeit und Klausur. Beob-
achtungen zur franziskanischen Klosterbaukunst in der Provinz Saxonia, in: Glaube, Macht und Pracht.
Geistliche Gemeinschaften des Ostseeraums im Zeitalter der Backsteingotik, hg. von Oliver AuGE/Fe-
lix BiERMANN/Christofer HERRMANN (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum 6), Rahden 2009,
S. 199-208; zur Provinz Saxonia: UNTERMANN/SiLBERER, Die Klosterbautcn (wie Anm. 29) - Eine
umfassende Darstellung der franziskanischen Klosterbaukunst durch Eeonie SiLBERER steht vor dem
Abschluss.
31 Chronica Fratris Jordani, hg. von Heinrich BoEHMER (Collection d'études et de documentes sur l'histoire
religieuse et littéraire du Moyen âge 6), Paris 1908, S. 39; Nach Deutschland und England. Die Chroniken
Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen I 287

Kreuzgänge und Klosteranlagen dieser Zeit fassbar - noch ganz ohne archäologi-
sche Forschung.
Die Schwierigkeit, faktisch klaustrale Lebensweise mit frühen Ordensidealen
vereinen zu müssen, führte in der Franziskanerbaukunst zu ungewöhnlichen ar-
chitektonischen Konzepten. Längst erkannt ist die gelegentlich sehr unregelmäßige
Anlage von Klöstern, oft auch der Kirchen, wie in MainzA Sie wird zu Recht mit
der Anpassung an den Bauplatz erklärt, in einer Epoche, als in den alten Städten
keine großen Flächen mehr zur Verfügung standen und das Straßennetz eine belie-
bige Ausdehnung verhinderte. Zugleich konnte in solchen Dispositionen wiederum
ein Verzicht ablesbar werden, nämlich der Verzicht auf ein »richtiges« Kloster.
Man sollte dies allerdings nicht überbetonen. Auffallend viele Bettelordensklös-
ter erhielten im 13. Jahrhundert sehr große Bauplätze, auf denen sie regelmäßi-
ge, rechtwinklige Kirchen und Klosterbauten errichten ließen. Solche Bauplätze
waren vielerorts am Stadtrand oder in Stadterweiterungen verfügbar, nicht nur in
den neugegründeten Städten des deutschen NordostensA Die Franziskanerklöster
übertrafen auffallenderweise viele Klöster alter Orden nicht nur an Größe, sondern
auch in der Komplexität ihrer Struktur: Obwohl die Brüder dieses Ordens keine
Klöster bewohnen wollten, ließen sie in zahlreichen Orten Klöster bauen, die nicht
nur einen, sondern zwei Kreuzgänge aufwiesenA Umfangreiche Reste von zwei
Kreuzgängen sind erhalten zum Beispiel in Lübeck (Abb. 9), Rostock und Stral-
sund, und sogar als einheitlicher spätgotischer Neubau in Zerbst. Historische Pläne
und - meist fragmentarische - Grabungsbefunde belegen diese Disposition für eine
Vielzahl weiterer Konvente, auch in anderen franziskanischen Ordensprovinzen.
Die Anordnung der Türen, Treppen und Klosterräume lässt erkennen, dass
diese beiden Kreuzgänge unterschiedliche Funktionen hatten: Der kirchen- oder
stadtnahe stand zumindest zeitweise den Laien offen, für Begräbnisse, Beichte, aber
auch - in einem »Refektorium« genannten Versammlungsraum - für die vielerorts
belegten Zusammenkünfte von Zünften, Stadträten oder anderen Gruppen. Eine
innere Klausurpforte verband den äußeren mit dem inneren Kreuzgang, an dem das
Refektorium des Konvents, die Küche und die übrigen klösterlichen Räume lagen.
Dieser »Klausurkreuzgang« war meist weniger aufwändig gestaltet, mit schmalen

der Minderbrüder Jordan von Giano und Thomas von Eccleston, hg. von Lothar HARDicn (Franziska-
nische Quellenschriften 6), Werl 1957, S. 73 f.
32 Die Kunstdenkmäler der Stadt Mainz, Bd. 1: Kirchen St. Agnes bis Hl. Kreuz, bearb. von Fritz ÄRENS
(Die Kunstdenkmälcr von Rheinland-Pfalz 4,1), München 1961, S. 267-288, Abb. 197.
33 Armand BAERiswYL, Klöster am Stadtrand? Einige Überlegungen zur Lage von Bettclordensklöstern in
der mittelalterlichen Stadt, in: Monastisches Leben im urbanen Kontext, hg. von Anne-Marie HECKER/
Susanne RÖHL (MittclalterStudicn 24), Paderborn/München 2010, S. 25-40.
34 Zum Folgenden: UNTERMANN/SiLBERER, Die Klosterbauten (wie Anm. 29), S. 188-203.
288 I Matthias Untermann

Gängen, häufig nicht vierseitig und nicht rechtwinklig angeordnet. Hier wurde
deutlich, dass der Konvent selbst kein konventionelles nutzte. Das nega-
tiv formulierte monastische Konzept der Franziskaner wurde den Ordensangehöri-
gen in diesen »reduzierten Kreuzgängen« dauerhaft bewusst gemacht und zugleich
war es möglich, im großen Kreuzgang die Bedürfnisse der Laien zu erfüllen - und
diese damit an den Konvent zu binden. Die Vielzahl doppelter Kreuzgänge macht
deutlich, dass dieses Konzept zwar keine Vorschrift war, aber im Orden doch breit
diskutiert worden ist.

Begräbnisfragen - Der Kreuzgang in der Kirche

Zu den ungewöhnlichen Konzeptionen vornehmlich franziskanischer Konvente


gehört schließlich die Einbeziehung des kirchennahen Kreuzgangflügels in den
Kirchenraum selbst, als abgeschlossener Bauteil.^ Im Kreuzgang selbst war diese
Disposition nicht unmittelbar erkennbar, im Langhaus hingegen wurde dabei ein
Seitenschiff praktisch ganz geopfert und oberhalb des (von innen ebenso wenig

35 UNTERMANN/SiLBERER, Die Kirchenbauten bis 1400 (wie Anm. 24), S. 140-142.


Zwischen Ästhetik des Verzichts und monastischen Idealen I 289

einsehbaren) Kreuzgangs entstand eine Empore. In der Regel entstand eine solche
Disposition bei vergrößerten Neubauten der Klosterkirchen. Heute sind solche ein-
bezogenen Kreuzgänge nur noch an wenigen Orten erhalten, wie an den Franzis-
kanerkirchen in Meißen, Görlitz und Thorn (Abb. 10) sowie an der Augustinerere-
mitenkirche in Erfurt.^ An vielen anderen Orten sind entsprechende Dispositionen
neuzeitlich beseitigt worden.
Es leuchtet wenig ein, dass der für die Laien verfügbare Raum im Langhaus der
Kirche so deutlich beschnitten wurde. Der Zugang zur Empore war durch Türen

36 Die Stadt Erfurt, Bd. 2: Allerheiligenkirche, Andreaskirche, Augustinerkirche, Barfüsserkirche, hg.


von Ernst HAETGE (Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen 2,1), Burg 1931, S. 63-141, bes. S. 92 mit
Abb. 69 f.
290 I Matthias Untermann

geschlossen; dort standen vermutlich Nebenaltäre, die dann nur für die Stifterfami-
lien oder -gruppen zugänglich waren. In Thorn sind die spätgotischen, beschnitz-
ten hölzernen Brüstungsplatten der Empore erhalten; dort wurde später auch eine
grobe Orgel aufgestellt.
Das Ineinanderschieben von Kreuzgang und Kirche ist eine unkonventionelle
Bauweise, an großen Stifts- und Klosterkirchen im Mittelalter kaum vorstellbar.
Insofern könnte es wiederum ein Element sein, das die Abkehr von konventionellen
Sehgewohnheiten dokumentiert.
Allerdings wurden viele Kirchen anderer Orden - und auch manche Fran-
ziskanerkirchen - traditionell nur zu einer Seite hin erweitert, um umfangreiche
Baumaßnahmen im Kloster zu vermeiden,^ und dies war in den dicht bebauten
Städten in der Regel im 14./15. Jahrhundert nicht mehr möglich - in Thorn musste
das Langhaus deshalb sogar auf Strebepfeiler verzichten. An der Augustinerkirche
in Erfurt gab es jedoch keine solche Beschränkung. Überdies lässt es die geringe
monastische Relevanz des großen Kreuzgangs kaum denkbar erscheinen, dass er
bei einem Kirchenneubau »unantastbar« war. An Franziskanerklöstern wären am
ehesten Laiengrablegen betroffen.
Zu diskutieren wäre, ob das Konzept des in die Kirche einbezogenen Kreuz-
gangs gerade dazu dienen konnte, diese Laiengrablegen in den Kirchenraum einzu-
beziehen und sie mit den Altären auf der Empore zu überbauen. Es hätte damit eine
weitere Abstufung zwischen Gräbern im Kirchenraum, in Kapellen, im Kreuzgang
und auf dem Friedhof gegeben, möglicherweise im Sinn einer nachträglichen Rang-
erhöhung. Schriftquellen zu diesem Thema sind bislang nicht identifiziert.

Bettelordensbauten - Kirchen und Klöster - sind nicht allein Zeugnisse eines spä-
ten, neue Ideale lebenden Mönchtums, nicht allein Ausdruck sichtbarer Reduktion
oder demonstrativer Einfügung in städtische Kontexte. Die unterschiedlichen In-
teressen und Interessensgruppen, denen Ansiedlung, Förderung und Nutzung der
Bettelordenskonvente verdankt werden, sind auch in den Bauten ablesbar, die ande-
re Aufgaben erfüllen mussten als die Kirchen und Klöster der traditionellen Orden.
Die bisher prägende Reduktion kunsthistorischer Fragestellungen auf Typen und
Stilformen einer Bettelordensarchitektur wird dem nicht gerecht - zu den angeris-
senen Themen ist allerdings die notwendige breite Forschung erst begonnen.*

37 UNTERMANN, Forma Ordinis (wie Anm. 3), passim.


* Der Vortragsstii wurde für diesen Beitrag weitgehend belassen und der Text nur mit den wichtigsten
Nachweisen versehen. Für vielfältige Diskussionen danke ich Leonie Silberer, für wichtige Hinweise
Timothy J. Johnson.
Franciscans at Work
ZAuTJ F/ood

In Chapter 2 of "The Idea of Natural Rights"/ Brian Tierney surveys rapidly "the
origin of natural rights language" in the work of the Decretists, the canonists who
wrote on the DeeretMW Then he asks and answers what they did with the
language under the heading "Need and Natural Right" (pp. 69-76). Tierney offers
a list of particular rights defended by canonist theologians of the thirteenth centu-
ry "in terms of natural law." He sums them up as the results of "reflection on the
right ordering of human relationships in emerging societies" (p. 70). For an example
Tierney selects the right of self-preservation in the right of the poor to the surplus
property of the rich.
By 1200 the canonists asserted in strict justice that the rich man had to share
some of his surplus with the poor. A list of strong statements in the urged
them to consider the proposition and to conclude to its validity. "A man who keeps
more for himself than he needs is guilty of theft." "The use of all things that are in
the world ought to be common to all." "The clothes that you store away belong to
the naked."2 These assertions broach the question of distributive justice from the
point of view of the rich man. Then the canonists went a step further and logically
asserted that the poor man had a right to the superfluous goods of a wealthy man
when in dire need. In theory he did, Tierney notes, and if he acted on his right to
take what he needed, he ran the danger of being hauled before a judge and con-
demned. There is little comfort in the thought of having exercised one's right while
dangling at the end of a rope. Yet the theory was anchored in the case of the rights
of the poor as the thirteenth century began unfolding. Right on time, Francis and
his brothers appeared on the scene.

1 Brian TiERNEY, The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law and Church Law,
1150-1625 (Emory University studies in law and religion 5), Grand Rapids, Michigan 1997, pp. 43-77.
2 See TiERNEY, The Idea (note 1 above), p. 70.
292 I David Flood

The men who in 1209 left the world with Francis of Assisi soon had reason to
draw on the work of the canonists for the rights of the poor. We approach that ac-
tion and register it through the excellent sources on the origin and development of
the Umbrian brotherhood, a brotherhood recognized by Pope Innocent III. Francis
of Assisi and his associates wrote down (or drew up) their commitment to life by
the gospel. They called it their What that meant concretely they explained. For
the necessary economic support as well as for their involvement with others they
simply worked. Soon they put their idea of work into writing. They understood
their labors as service in the common interest.
The men worked without formally entering and belonging to the work force,
such as it existed in central Italy, and first of all in and around Assisi. Put more
succinctly, they worked without taking pay and especially monetary compensation.
By locating themselves with work as service among the working population, they
saw to their material needs and learned well what was going on in the lives of their
colleagues. At the end of his life, Francis had one word of advice for his brothers:
Go back to work, all of you. By "all of you" he meant the clerics. Work was the
privileged context of the brothers' wAz.
In their basic document, their the brothers twice addressed the question
of the distribution of the social product, first circumstantially, secondly in princi-
pled The first time had to do with providing the old and the sick with food and
clothing. When the brothers set out, they told themselves that they were to keep
busy, at work or at prayer. Some of the brothers were journeymen and exercised
their trades. Others found work in the fields or at communal tasks. As communal
task, some brothers gave the sick and the old the attention and care they needed.
These brothers often sought alms for those they were helping. When refused, they
did not press for charity. Rather, they recalled that the needy had a right to the care
of the well supplied. They petitioned for goods from the rich as a matter of justice.
According to Early Rule 9, 3 - 9 the brothers were to point out that they were doing
the rich a service by begging, for they were awakening them to their duty. They
confronted them with the argument of the canonists, that the rich were to see to
the needs of the poor. It is clear that the brothers were drawing on the conclusions
of the Decretists. They did not pluck the idea out of the sky, for then it would lack
any force. And they insisted. The brothers made the moral principle a social reality.

3 The document referred to is the Early Rule. It came about as a program of service which the brothers called
their They elaborated it, and it was not, as a rule, a traditional list of principles and practices. - We
And the latest critical edition of the Early Rule in: Francisci Assisicnsis Scripta, ed. Carolus PAOLAZZi
(Spicilegium Bonaventurianum 36), Grottafcrrata 2009. The Early Rule, or non as it is also
called, is on pp. 234-289.1 wrote a brief piece on the edition in: Frate Francesco 74, 2008, pp. 286-289. -
The book contains the other early writings, called the writings of Francis of Assisi.
Franciscans at Work I 293

They made it an unwritten law by living it. That was the historical event of the mo-
ment. That was in Umbria the novel sequence to the Decretists' reasoning.
Francis and his associates developed their written accord to see to problems
and to spell out principles. For example, they had their own notion of work. They
understood it as service to others and concern for the common good. They also
wrote off any contact with money, one of the subinstitutions of the world they had
forsworn. At one moment they spelled out the nature of their relationship to those
among whom they lived. They were in a way driven to it by an understandable
development. As men of peace and good workers, they had begun drawing the ad-
miration of Christians who esteemed them; they were looked on as holy men and
moral exemplars. In sum, the brothers were being drawn back into the world whose
injustices and vanities they had fled. They were being treated as a confirmation of
that world. The brothers said clearly: They would not let themselves be honored
and absorbed by the spirit of the world (society). They were led by "the Spirit of
the Lord/' They claimed and believed that they were following God's will on them.
At that moment, as a sanction of sorts of their rejection of the world and its
admiration, Francis and his brothers put clearly what they were about. They were
giving God back all good things Deo revere). At that time, the expression
stood for what we today call distributive justice. The brothers intended to pursue
the inclusion of all in the enjoyment of God's good gifts, both of nature as well as
of the human hand. In its fine point, that meant using the wealth of the rich to hu-
manize the poor. They had picked up on the notion of the Decretists as regards the
things people need to survive and, as we would put it today, flourish/
Francis and his brothers supplied themselves with a set of Admonitions to help
them with living as they proposed. The two propositions of Early Rule 17 were
important enough to merit a set of six Admonitions, 7 to 12. Admonitions 9 to 11
encouraged the brothers to "give God back all good things" in spite of the opposi-
tion they were encountering/
When we read early Franciscan history in the wake of the Decretists, we have
much evidence to work on. It arises, however, in the decisions the brothers make
and not in any sort of treatise. Enough, to their minds, and how disagree?, that
they do it. For historians, however, six meagre admonitions in support of a succinct
rejection of the world are not enough. Historians want expository prose and not

4 The propositions, on the brothers' sense of themselves and on their basic purpose, we find in Early Rule
(note 3 above), cap. 17, 10-16 and 17-19, p. 270.
5 See Francisci Assisiensis Scripta (note 3 above), pp. 360 -364. For the interpretation of Admonitions 7-12,
see: David FLOOD, Social Designs and Admonitions 9-11 in: The Cord, 55, 2005, pp. 50-61. "The Cord"
is published by Franciscan Institute Publications at Saint Bonaventure University, St. Bonaventure, New
York.
294 I David Flood

directional commitment. They want the brothers to make the work of historians
easy, and not merely strengthen the brothers' wAz.
There are two other clear passages in the early Franciscan writings that put in
action what the Decretists taught about the rights of the poor. One we find in
the ComwomYoTVMT?? for short, or
more easy still, the Message (of Recall and Encouragement)Y As spokesman of the
brotherhood, Francis of Assisi wrote this long text, the Message, hrst of all for the
working population. He wrote it to those with whom he and his brothers had to do
in their daily rounds. The working population were the ones who wanted to hear
from the brothers about the dynamics of their lives. As for the Message, one line
has to do with those in the guilds who heard and judged problems in the guilds.
Francis calls his addressees his brothers, as the workers addressed one another. At
one moment he includes women among those to whom he writes. A core passage
has to do with work itself and with its results.
Francis did not write the text "to the faithful" indiscriminately, for in the second
part of the Message he assails the wealthy who waste the means they should be
sharing with those in need. He has, factually, cut the faithful in two. After roughing
them up rhetorically, Francis adds a tale about one rich man who did not do justice
with his possessions and would not change even on his death bed. He died and went
to hell, criminal that he was. A criminal he truly was, and not just a sinfully greedy
man, for he wrote off the common good. Francis censured his stewardship and not
his greed. The criticism Francis addresses the rich and the criminality he sees in the
moribund's behavior belong to a cast of mind prompted by the Decretists.
Francis of Assisi wrote a brief message to those who ruled over cities and states.
In a manner similar to the second part of the Message, he urged the rulers of the
people to see to the return of all good things to God. Otherwise they too would fall
under God's judgment as did the moribund who misused his possessions.
When we do early Franciscan history, we tell how the hrst brothers pieced to-
gether the cultural elements of their age into a relatively new way of Christian life,
which they called their The elements were: the penitential tradition; the reli-
gious movements of the twelfth century; the working religious in Milan. There was
as well the work of the Decretists on the Decree??? The evidence in the
early writings, and especially in the Early Rule and the Admonitions, is sound and
readily explicable. It made the brotherhood something historically new.

6 See Francisci Assisiensis Scripta (note 3 above), pp. 186-201. OpMSCMAw co??27?207Hto?*w??z et ex^ort<%to-
rtMW is what the earliest manuscript with the text, Assisi, Biblioteca Communale, codex 338, calls it. The
title hts the text.
Franciscans at Work I 295

In the context of the brothers' as described in the Early Rule, there arose
the questions of poverty and mendicancy. Both relate to life's temporalities. They
have to do with the social product. As we ease into the question, we recall that the
brothers had a sound economics. In their way, they provided well for themselves.
They worked at different tasks, productive and social, without claiming wages in
goods or in money. They had left the world and did not bargain with society. They
interacted with colleagues and Christians, yes, but not in communal terms.
fw tjfej SAA-/l?2efg?2e?2s. They spoke to them as people ready to
share with others. And things worked out well. Their thAt did not result in a dearth
of what they as humans needed to survive. They recommended themselves to others
as men able to cooperate. In particular they enhanced the religious practices of the
guilds. Into the sequence of events we call early Franciscan history we insert their
poverty and their mendicancy.
First the mendicancy/ Within the early writings, we come across the expression
e/eemoyyms several times. The brothers go begging. We do not encoun-
ter the term mendicancy, in part because it did not figure in the vocabulary of the
Decretists on whom the brothers drew/ VhJere pro e/eemoyymj, to go for alms,
seems to have the same meaning as mendicancy. The connotations, however, are
different.
Begging belonged to the brothers' economy when they did not have enough, and
I suppose that means food above all. They first mention turning to alms in need in
Early Rule 7, 8. In that simple line they refer to Early Rule 9, 3 -9, where the broth-
ers affirm the right of the hungry to food. When in 1223 Francis elaborates with
the help of the papal curia a more canonical form of the brothers' Rule, he sees to it
in Rule 6, 2 and 7-9 that the brothers understand the economics of their common
life. They are strangers to the society about them. They work with the workers of
that society and give people to understand that they deserve what they need. They
do that as committed laborers and workers who take care of one another. They
manifest a solidarity which the working population can understand, for it includes
them in a way, but which workers lack the liberty to follow. This is the material we
have to place in context and interpret in order to understand well the mendicancy
of Francis and his brothers. It leaves us with a good enough grasp of their story to
understand how the question of poverty arose and what it meant.
Early Rule 7, 7 tells the brothers that their work will supply them with what
they need. There follows chapter 7, 8 which explains what they do when that is not
the case. The line reads: "And when it is necessary they may seek alms as the other

7 The word has Sanskrit origins meaning bicmish or deficiency. Sec men or
8 As far as I know.
296 I David Flood

brothers do."^ The other brothers are those whom we encounter in Early Rule 9,
3-9 and chapter 8, 8-9. They work among the sick and the needy, the pilgrims and
the elderly. They get nothing for their service and turn to people able to help. As
we just saw, they explain to these people their duty to give what they do not need
to those who lack life's necessities; those in need have a right to those extras. "The
bread you hold in store belongs to the needy," as Gratian says and the Decretists
repeated.^ Whereas the brother artisans make themselves available for what the
masters and the workshops want to give them, as well as working colleagues, the
brothers at service in the poorhouses turn to what is stored for them in the homes
of the rich. When the rich, of course, refuse to bend, the brothers have to explain
the canonical argument circulated by the Decretists.
Early Rule 9 shows clearly that the brothers are drawing on the recent teaching
of the Decretists. This goes a bit further. The Decretists reasoned in their way that
"all things are common. They are to be shared with the poor in time of need."^
The brothers are not mendicants, who cast themselves on the mercy of the rich, but
honest men in need, who go for alms as ones who merit what others can easily give
away. These others own what they have, but have it in surplus to see to the needs
of others and first of all those busy at highly Christian tasks. Without spelling out
the theory, the brothers do the people of their day the honor of treating them as en-
lightened Christians. They are spreading the gospel, if we want to use that language.
Francis and his friends address in their day a problem that burdens us in our
times. We might not put the conviction in the terms of the thirteenth century broth-
ers, ^072<% Deo revere, but certainly the ability we have today to draw from the
earth the goods of life is not meant to overwhelm a very small minority with more
than they can use, simply to make sure that they can go on wasting it.^ The broth-
ers were answering the question socially and culturally in their day, turning the
teaching of the Decretists into the needed political struggle.^ The action of

9 Et CM??? e/eentosymk Most translations read: [...] sfcMt


That is how Angelo CLARENO cites the text. When I edited the Early Rule in the early 1960s,
I put in /Atret, as the manuscripts require. But historians wanted for Francis of Assisi was
supposed to be very poor and they held ontop%%peres. Then Carlo PAOLAZZi put back in, as the
manuscripts demand. Early Rule (note 3 above), p. 252.
10 See TiERNEY, The Idea (note 1 above), p. 70.
11 Hugh of Pisa (Huguccio) as cited by TiERNEY, The Idea (note 1 above), p. 72.
12 The latest voice to say it is, as far as I know: the recent book of SniDELSKY, father and son: Robert Jacob
Alexander SniDELSKY/Edward SniDELSKY, How Much Is enough? The Love of Money, and the Case for
the Good Life, London 2012. The point of view is very different from that of the Assisian brotherhood,
but the authors do raise the question about wealth and its purposes and it cannot be the freedom to gorge
oneself.
13 I have taken heavy criticism for using the word political where Francis appears. I find reassurance in such
a book as: Culture, Power, History. A Reader in Contemporary Social Theory, cd. Nicholas Bernard
DiRKs/Geoff BEY/Sherry B. ORTNER, Princeton 1994. See the introduction.
Franciscans at Work I 297

pro oAomo^yms was not mendicancy, but political action in the name of social jus-
tice. I am not sure just how clear they all were about their politics. The one verb
in Early Rule 9, wfre, tells them to let the meaning of their begging sink into their
consciousness. How far it sunk I cannot say. Yet their begging has to be read in a
political way. That was the Fo^?z Jcr Ar^cA and -SYw des They were men
who contributed to the social product and they had a right to what they needed. It
is such a problem today, and a structural one, that the Decretist knowledge among
the early Franciscans deserves airing and discussion. The clerics who joined the
brotherhood but remained clerics put an end to it, for they were unable to shake
off the hold society had on them.
About poverty we have Francis of Assisi's celebration of poverty in Rule 6 of
the early Franciscans to contend with. He cannot mean doing without and nothing
more. He was not Kafka's hunger artist A We find in the early Franciscan writings
the evidence to explain what he meant. Unfortunately it has not been used, for
historians have not given the Early Rule the close attention it deserves. They have
shown little interest in what was going on when the term poverty surfaced in the
brothers' vocabulary.
Francis of Assisi dictated Chapter Six of the Rule (Rule 6) in 1223T We do not
know the circumstances in which he did so. We do not know the incidents of the
text's composition.^ I suppose he worked with several brothers and several curial
canonists in Rome under the watchful eye of Cardinal Hugolino. He managed to
get this chapter off. I suppose further that he knew what he was saying. I suppose
as well that the pope did not, for in late summer 1230 he gave proof that he did not,
although he said he did. All of that does not matter. We simply do not have the data
of those turns and twists in the composition of Rule 6. We do have the text. Francis
declares it. It gets approval. It stands as written. And that is enough. Francis sums
up and saves what he and his brothers have achieved by November 1223. The chap-
ter supposes work as service, for there is no way to live by the chapter save through
the reality of daily labor alongside the working population. Regrettably, in 1223 the
Rule does away with the help which "spiritual friends" originally offered, for Rule 4
has changed them into agents of the Order's superiors. As the key statement of the
whole Rule, Chapter Six has its consequences for the other chapters, just as an 1-do
at the altar lasts a good while. Or used to. We can spend much time pondering the

14 Franz Kafka, Ein Hungerkünstler, first published in: "Die neue Rundschau", Berlin 1922.
15 The Rule s text in: Francisci Assisiensis Scripta (note 3 above), pp. 322-339.
16 We do not know its story the way historians seek to trace the laboratory narrative of an advance in
science, with its emergent epistemology, as proposed by Hans-Joerg RHEINBERGER and John ZAMMi-
298 I David Flood

chapter, for it puts the brotherhood at the hne point of the common journey in late
1223, as mapped out by the Early Rule. I can imagine a number of brothers reading
it and letting it sink in, as they come slowly to suspect its great achievement, given
what was afoot in the brotherhood, and their hearts begin to warm. I limit myself to
three observations, for we are merely looking for the meaning of the word poverty.
Rule 6 breaks down into two parts. One celebrates poverty. The other (Rule 6,
7-9) summarizes, with three lines from the Early Rule, the brothers' economics.
After exalting poverty, Francis sees to it that all are well housed They
belong, not only as members of an organisation, but of the family, with a sure roof
and kitchen and with the appropriate affection. They enjoy as well the assurance of
care in sickness and in old age A Each brother belongs to a Christian community
that can and will take care of him. If we look closely at Michel Mollat's conclusion
on poverty in the Middle Ages, we have a summary that boils the abundant research
down to a simple factor. The poor man lacks social inclusion A That is what has
been effectively banished from Franciscan life. The individual brother has the ma-
terial and spiritual support of a good life, of a life he can live down a long road of
seeking the face of God in service to those who do not enjoy his good fortune. The
economics of the Rule are those developed in the early years. So what is the poverty
celebrated by Francis of Assisi?
The term poverty entered the Franciscan vocabulary in circumstances that we
can lay out and which conclude to its meaning. It is the meaning Francis gives it
in the similar circumstances, although not as concrete, of Rule 6. First of all, when
seeking papal recognition, Francis and his brothers had to include the three vows
in their Rule. (In Rome in 1209, before Pope Innocent III and church dignitaries,
the brothers needed a rule and to receive recognition their rule had to include the
three vows, one of which was poverty.) They did so without hesitation, for though
perhaps not mentioned in their original text, they lived the three vows. When they
set out and some passed their days in service to the elderly and the sick in the
almshouses,^ they regularly "went for alms" for their charges as well as for them-
selves. That is where our story of poverty begins. The brothers were not received
by Christians who had gone to school under the Decretists. They encountered good

17 In his rule commentary, David of Augsburg reports on Brother Guardians who negiect care for old
brothers. He is taken aback and, in the late 1260s, serves notice. See David FLOOD, Die Regclcrklärung
des David von Augsburg, in: Franziskanische Studien 75, 1993, pp. 201-242, see p. 227f.
18 Michel MoLLAT, The Poor in the Middle Ages. An Essay in Social History, New Haven/London 1986,
p. 7: "The poor man was uprooted and alone."
19 Early Rule (note 3 above), cap. 8, which tries to keep a sure distance from handling money, mentions
almshouses in a way that suggests they played an important role in the original occupations of the broth-
ers.
Franciscans at Work I 299

people who practiced charity through them (and hoped they were not being taken
in by scoundrels who did not want to work). They encountered as well people
who rejected them, simply or harshly, some even turning them away as shirkers.
With time that wore on the young men who had joined the brotherhood with such
enthusiasm.
The brothers had an answer for those who turned them aside, simply or menac-
ingly. They did their best to instruct them about social justice. They tried to bring
the needy together with the wealthy. They succeeded to a degree. At least they im-
proved the lot of the needy, who clutched the hands of the good young men come
to their aid. The brothers might even have given the rich a few thoughts to ponder
in their own interest.
The brothers also had an answer for the disagreeable knocks to their self-es-
teem. We can take their interface with men and women of means as a serious chal-
lenge to their identity, a challenge they had to face if they were going to continue
bringing more bread to the poor and more justice to the rich. Whereas Early Rule
9, 3-9 brought the teachings of the Decretists into play, chapter 9, 1-2 identified
the brothers as the valiant companions of the Lord, who had gone down a similar
gauntlet in his day. The brothers had to learn to understand and embrace the hu-
mility and the poverty known by the Lord, for that belonged to leaving the world
and journeying at his side. And the passage saw fit to emphasize that it was not a
question of economics, for they most assuredly had the food and clothing they
needed. The poverty of Early Rule 9, 1 and the poverty of Rule 6 is the social and
material consequence of doing what is right in a society that suits a minority. Such
a society cannot bear men who spread "true peace" (Early Rule 17, 16) as did the
Son of God when he came among us. The injustice is not merely social, for such a
society has room for devils who get their hands on money.
Poverty figures in other passages of the early writings and nowhere more tell-
ingly than in The Hymn to Obedience7° Here poverty is a positive force. It is not
an individual's practice of material reduction. Rather it challenges the cares of the
world. Work as service does not latch onto social place and superfluous possessions,
and in its poverty sees to the needs of others while it brings the light of true peace
into their lives. The poverty has nothing to do with the pride of social place briefly
described in Admonition 14. (Body in the Admonition stands for social presence.^
The truly poor brother does not want to figure in the world.)

20 Usually called Francisci Assisiensis Scripta (note 3 above), pp. 46-49.


21 I have tried to explain the term body in early Franciscan writings in So What Is a Franciscan, in: Francis-
can Studies 63, 2005, pp. 35-47.
300 I David Flood

Francis of Assisi had every reason to celebrate poverty in Rule 6. It sanctioned


the brotherhood's distance to the world, it embraced the consequences of their
critical relationship to the Lord; it kept them all in his company as the journey con-
tinued. He and his brothers knew and rejected the strategies of society and held to
the role they had assumed within the working population. Those who were holding
to course with Francis had proven themselves and had proven the validity of their
commitment. When they reflected on their Rule and reviewed how it summarized
their journey to the poverty and humility of Rule 6, they understood what Francis
said when he warned against change to their He hoped he had laid it to rest
with Rule 6. He had not. Francis said the whole worked well and it did. Rule 6 was
clear to those who had passed through the struggles of the Early Rule: think John
Parenti at the 1230 chapter. It was not clear, and how could it be?, to those who
wanted a different institution.
The learned clerics got their institution after several turbulent decades. It is sum-
med up in Rubrica I, 3 of the Constitutions of 1260.^ It is summed up, no less, in a
subordinate clause, the one that begins I, 3.
In summary we can say that work compensated, going for alms, and poverty:
these three fit together into the simple service brought to others, both rich and poor.

22 Constitutiones generales narbonenses (1260), in: Constitutiones generales ordinis fratrum minorum, ed.
Cesare CENCi/Georges MAiLLEUX, vol. 1: Saeculum XIII (Analecta Franciscana 13), Grottaferrata 2007,
pp. 65-103, see p. 70.
Armut, Arbeit, Bettet?
Kommentar zur Sektion Neuordnung der Gesellschaft -
Wirkung in die Welt

Am Montag, 6. August 2012 wurde das Occupy-Camp in Frankfurt am Main ge-


räumt. In den vergangenen Monaten hatte sich hier eine regelrechte Architektur
der Armut etabliert, die sich in provokativen Gegensatz zur deutschen und euro-
päischen Hochfinanz setzte. Sie wollte zum Nachdenken über die Funktionsweisen
des Wirtschaftssystems und den Stellenwert von Arbeit und Armut anregen und -
mediävistisch ausgedrückt - zu Umkehr und Buße aufrufen. Was jedoch diesem wie
auch anderen Ablegern der Occupy-Bewegung fehlte, war eine feste Programmatik
und letztlich auch eine akzeptierte, dauerhafte, breitere Verankerung in der Ge-
sellschaft. Die »Wirkung in die Welt« verpuffte: Für Teile der Anwohner war die
Architektur der Armut nach einiger Zeit nicht mehr akzeptabel^
Einige Jahrhunderte zuvor hatte das Aufkommen der Bettelorden ganz ähnliche
Überlegungen zu einer Neuordnung der Gesellschaft in neuer Intensität angeregt:
Nicht nur die Wertigkeit der Armut, der Stellenwert der Arbeit und die Bedin-
gungen des Wirtschaftssystems wurden diskutiert, sondern auch das Problem der
Regelfindung und Regelanpassung im Laufe der Zeitd Wer sich mit Bettelorden und
ihrer Wirkung in die Welt beschäftigt, kommt nicht umhin, in einigen Streitfragen
der Forschung Stellung zu beziehen.

1 Vgl. etwa Florian HARTLEB, Die Occupy-Bewegung. Globalisierungskritik in neuer Maskerade (Zu-
kunftsforum Politik), Sankt-Augustin/Berlin 2012, online verfügbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/
kas_32747-544-l-30.pdf?121119120207 (zuletzt abgerufen am 14.1.2014).
2 Vgl. etwa Dieter BERG, Armut und Geschichte. Studien zur Geschichte der Bettelorden im Hohen und
Späten Mittelalter (Saxonia Franciscana 11), Kevelaer 2001; Giacomo ToDESCHiNi, Franciscan Wealth.
From Voluntary Poverty to Market Society, übers, von Donatella MELUcci, hg. von Michael F. CusATo/
Jean François GoDET-CALOGERAs/Daria MiTCHELL, Saint Bonaventure, NY 2009; Jacques LE GoFF,
Kaufleute und Bankiers im Mittelalter, übers, von Friedei WEiNERT, Berlin 2005; Die Bettelorden im
Aufbau, hg. von Gert MELViLLE/Jörg OBERSTE (Vita regularis 11), Münster 1999.
302 I Stefan Burkhardt

Armutsverständnis. War das Armutsverständnis der Mendikanten


wirkiichneu?

Otto Gerhard Oexle betonte, dass »Armut« im Zuge der Christianisierung einen
tiefgreifenden Bedeutungswandel erfuhr. Gehalt und Konnotation von »Armut«
blieben jedoch erstaunlich vielfältig und auch innerhalb der Christenheit war -
etwa zwischen Ost und West - keine Einigkeit zu erzielen. Insbesondere durch die
Verstädterung des Hochmittelalters rückte die Armut aber möglicherweise in den
Vordergrund, sie wurde in ganz neuer Art sichtbar/ Das damals intensivierte Lob
der Armut könnte vor diesem Hintergrund eine Art geistiger und geistlicher Verar-
beitung der potentiellen Überlastung der Wirtschafts- und Sozialsysteme gewesen
sein. Zwischen »Bildung« und »Armut« existierte jedenfalls ein enger Zusammen-
hang: Armut war nicht nur eine theologische und intellektuelle Herausforderung,
sie konnte für eine bestimmte Schicht der Elite geradezu attraktiv sein. Allerdings
gab und gibt es zwischen freiwilliger und erzwungener Armut doch Unterschiede
im Grad der Exponiertheit: Arm sein und die freiwillige Armut zu wählen ist nicht
unbedingt das Gleiche/ Schwierig ist es auch, das Verhältnis zwischen Armut und
Askese zu fassen: Die Armut wird um der sittlichen Läuterung willen gewählt,
Askese konnte hingegen auch auf die totale Verleugnung der Welt zielen/
Was verstanden vor diesem Hintergrund aber die Mendikanten unter Armut?
Sollte ihnen Armut als Königsweg der Annäherung an Christus dienen oder war
Armut für sie nur eine von mehreren Tugenden, die die Grundlage bildeten zur
eigentlich intendierten Befolgung der Evangelien?*' War Armut - wie Petrus Vene-

3 Otto Gerhard OEXLE, Armut im Mittelalter. DiepzZMperes in der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Gelobte
Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hg.
von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bcrnd ScHMiES u.a., Paderborn/Münchcn/Wien u.a.
2012, S. 3-15, hier S. 6-11.
4 Werner MALECZEK, »Nackt dem nackten Christus folgen«. Die freiwillig Armen in der religiösen Bewe-
gung der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordens-
familie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bernd
ScHMiES u.a., Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 17-34, hier S. 20f.
5 Vgl. MALECZEK, »Nackt dem nackten Christus folgen« (wie Anm. 4), S. 25 zum Beispiel der Katharer.
6 Vgl. Volker HONEMANN, Armut im franziskanischen Schrifttum des 13. Jahrhunderts: Hagiographie und
Historiographie, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter
bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bernd ScHMiES u.a., Pad-
erborn/München/Wien u.a. 2012, S. 101-127, hier S. 103 in Anlehnung an Kajetan EsSER, Anfänge und
ursprüngliche Zielsetzungen des Ordens der Minderbrüder (Studie et Documenta Franciscana 4), Leiden
1966, S. 245 f. Vgl. zu dieser Frage auch Jens RÖHRKASTEN, Theorie und Praxis der Armut im mittelalter-
lichen Franziskanerorden, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom
Mittelalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bernd ScHMiES
u.a., Padcrborn/München/Wicn u.a. 2012, S. 347-366, hier S. 348-350.
Armut, Arbeit, Bettel? I 303

rabilis meinte - eher innere Haltung statt Verzicht auf materielle Güter/ eher Syn-
onym für eine dienende, demütige Stellung ?s Die erste Franziskusvita des Thomas
von Celano formuliert noch kategorisch, Armut sei Verachtung des Geldes und
Veräußerung des Besitzes. Aber sollte Armut sollte nicht auch immer mit Freude
kombiniert sein?^ Das Streben nach Armut sollte nicht in einen Wettbewerb um den
möglichst vollständigen Besitz von Armut eskalierend" Folgte aber Franziskus nur
dem Ideal der apostolischen Armut oder ging er auch darüber hinaus?^

Soziaie Dynamiken und ihre Wertung

Freiwillige Armut konnte - wie das Beispiel der Waldenser zeigte - rasch für ge-
sellschaftliche Unruhe sorgen, man durfte sie nicht übertreiben.^ Inwieweit war es
möglich, freiwillige Armut zu institutionalisieren und so gesellschaftsverträglich
zu gestalten und zu symbolisieren, dass die eigenen Ideale im Kontakt mit der Welt
erhalten blieben? Noch Stephan von Muret suchte die Stabilität der Armut seiner
Gemeinschaft durch das Unterbinden jeglicher wirtschaftlicher Absicherung zu
gewährleisten.^ Bereits frühzeitig wurde hingegen gefordert, dass sich Armut und
Demut entsprechen müssten.^ Für die Zisterzienser waren darüber hinaus Bauten
ein Ventil, angesammeltes, »verwerfliches« Kapital zu verwerten, ohne bedrohliche
Folgen für ihr Armutsideal in Kauf nehmen zu müssen.

7 Petrus Venerabilis, ep. 20, in: The Letters of Peter the Venerable, hg. von Giles CONSTABLE, Bd. 1, Cam-
bridge 1967, S. 27-41, insbes. S. 34-37.
8 Vgl. HoNEMANN, Armut (wie Anm. 6), S. 38: »Hier [in der Nicht-bullierten Regel, 4, 5; Erg. SB] ist also
das Dienen, das Abhängigsein, Ausdruck von Armut. Der uneigennützige Dienst, der nichts für sich ha-
ben will, kennzeichnet auch die Beziehungen zwischen Oberen und Untergebenen in der Bruderschaft«.
9 Thomas de Celano, Vita prima S. Francisci, in: Legendae S. Francisci Assisiensis saeculis XIII et XIV
conscriptae (Analecta Franciscana 10), Quaracchi 1926-1941, S. 1-117, hier cap. 14, 35, S. 28.
10 Dieses Spannungsverhältnis war in den Lehren von Franziskus und Klara bereits angelegt, wenn davor
gewarnt wird, etwas zu besitzen, zugleich die Brüder und Schwestern aber doch danach trachten sollen,
die Armut zu besitzen. Vgl. hierzu Leonard LEHMANN, »Arm an Dingen, reich an Tugenden«. Die ge-
liebte und gelobte Armut bei Franzikus und Klara von Assisi, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der
franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/
Angelica HiLSEBEiN/Bernd ScHMiES u.a., Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 37-65, hier S. 55.
11 Vgl. HoNEMANN, Armut (wie Anm. 6), S. 102 in Bezug auf Karl BEYSCHLAG, Die Bergpredigt und Franz
von Assisi, Gütersloh 1955, S. 171 und 178, der schreibt, Franziskus sei mit der »Forderung der absoluten
Besitzlosigkeit bis hin zum strikten Geldverbot für alle Ordcnsmitglieder über das Evangelium bzw. die
Idee des apostolischen Lebens« hinausgegangen; der prinzipielle Bruch mit der Ordnung des Besitzens,
den Jesus gefordert hatte, sei »etwas anderes [...] als der Übertritt in eine neue, selbst geschaffene Eigen-
tumsordnung, deren Zugang über die maximale Verzichtleistung erreicht wird«.
12 MALECZEK, »Nackt dem nackten Christus folgen« (wie Anm. 4), S. 17f.
13 MALECZEK, »Nackt dem nackten Christus folgen« (wie Anm. 4), S. 23 f.
14 LEHMANN, Arm an Dingen (wie Anm. 10), S. 60.
304 I Stefan Burkhardt

Musste sich nicht die Auffassung der Mendikanten gegenüber Armut, Bettel
und Arbeit ändern, als sie neben der reinen Büßpredigt auch weitere Aufgaben -
Seelsorge, Armenfürsorge und Lehre - übernehmen sollten? Das Verbot des Um-
gangs mit Geld war dann eigentlich nicht mehr aufrecht zu erhalten.^ Bonaventura
rechtfertigte jedoch den Bettel gerade mit der Seelsorge. Mussten die Franziskaner
dann aber nicht ganz anders planen und das Vertrauen auf die Vorsehung durch
die Tugend der ersetzen?^ Nach dem Tod von Franziskus und Klara
wurde - wie Leonard Lehmann formulierte - »aus der gelebten Armut immer mehr
eine gedachte, aus der gelobten immer mehr eine diskutierte und hinterfragte«.^
Führte dieser Weg aber nicht zwangsläufig hinab zu Verwässerung und Deka-
denz? Oder sind diese oft vorgebrachten Vorwürfe nicht vielmehr eine Meisterer-
zählung protestantisch geprägter Kirchenhistoriker, denen das Gespür für die Fein-
heiten des katholischen Kirchenrechtes und der Theologie fehlte?

Wirkungen des Kirchenrechts

Ein Aspekt scheint die beiden Beiträge zu verbinden, ja geradezu im Zentrum des
Themenkomplexes Armut, Bettel und Arbeit zu stehen: Die Gretchenfrage »Nun
sag, wie hast Du's mit den Stiftungen«? Stiftungen als institutionalisierter Bettel wa-
ren für die Mendikanten mit der Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben lebensnot-
wendig (man konnte also nicht einfach auf sie verzichten), Stiftungen gefährdeten
aber zugleich die eigenen Ideale. Der Stifter wollte nämlich auch Einfluss auf die
jeweiligen Stiftungen.^ Darüber hinaus war und ist es schwierig, in einer differen-
zierten Wirtschaft arm bleiben zu können A

15 Bernd SCHMIES, Gelobte und gelebte Armut. Mittelalterliche Minderbrüder zwischen Anspruch und
Wirklichkeit, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelal-
ter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bernd SCHMIES u.a.,
Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 285-305, hier S. 291 stellt fest: Die »Abkehr vom frühesten
Wanderapostolat einer offen verfassten, überschaubaren Gruppe gleichgesinnter Laien hin zu einer stati-
onären, kontinuierlichen und umfassenderen priesterlichen Seelsorge eines grenzenlos agierenden, regu-
lierten Ordensverbandes implizierte strukturelle Veränderungen für die Gemeinschaft, die nicht mit der
ursprünglich gelebten Armut in Übereinstimmung zu bringen waren«.
16 LEHMANN, Arm an Dingen (wie Anm. 10), S. 50f. mit Anm. 40. Mitunter zerfließen die Unterschci-
dungsmöglichkeiten geradezu: Laut Thomas de Celano, Vita secunda S. Francisci, in: Legendae S. Fran-
cisci Assisiensis saeculis XIII et XIV conscriptae (Analecta Franciscana 10), Quaracchi 1926-1941, S.
127-268, hier cap. 47, 77, S. 177 sei »nach der Erbsünde [...] alles zu Almosen geworden« (MnzVerM in
e/eenzosynn? concessn
17 LEHMANN, Arm an Dingen (wie Anm. 10), S. 65.
18 RÖHRKASTEN, Theorie (wie Anm. 6), S. 363 f.
19 SCHMIES, Gelobte und gelebte Armut (wie Anm. 15), S. 298. Den Franziskanern ging es aber häufig doch
nur um existenzsichernde Versorgung auf der Grundlage des von ihnen angebotenen seelsorgerischen
Armut, Arbeit, Bettel? I 305

Gerade die Frage der architektonischen Gestaltung macht dies sehr deutlich, wie
Matthias Untermann zeigt. Forscher des 19. und 20. Jahrhundert wollten an der
Architektur franziskanischer Kirchen den Zerfall der mendikantischen Ideale able-
sen. Die Kritik geht jedoch fehl.-° Vielmehr ist eine typisch mittelalterliche Funk-
tionslogik der Architektur anzunehmen: Die Franziskaner sollten in ihren Kirchen
erkennbar sein, zugleich durften aber auch die Interessen des städtischen Publikums
nicht vernachlässigt werden. Die Frage war, ob und wie man auch in aufwändiger
Architektur den Ordensidealen treu bleiben konnte, etwa durch den Eindruck der
Reduktion und des bewussten Verzichts. Die Bescheidenheit musste an das Orts-
übliche angepasst werden.-^
Eine solche Pragmatik macht es schwer, überhaupt den Begriff »Bettelordenar-
chitektur« zu gebrauchen; eine solche Pragmantik entsprach aber auch wohl eher
nicht den Intentionen der zweiten Franziskusvita, nach der der Heilige darauf be-
standen habe, dass seinen Brüdern nur Gebäude aus Holz und nicht aus Stein er-
richtet würdenV Vielleicht mussten die Mendikanten erst jenen »guten Magen der
Kirche« entwickeln, über den Goethe seinen Mephistopheles sprechen lässt: »Die
Kirch allein, meine lieben Frauen, kann ungerechtes Gut verdauen«.^
Verdauungsfördernd wirkte das Kirchenrecht - Armut wurde juristisch deh-
niert A Hier kamen die berühmten Differenzierungen Gregors IX. und Innozenz IV
von Eigentum und Gebrauch der franziskanischen Güter ins Spiel^ - wobei man ja
auch weih, dass der Gebrauch oftmals lukrativer ist als das Eigentum. Auch Bona-
ventura von Bagnoregio hatte festgehalten, dass es eine Unterscheidung zwischen
Eigentum und Gebrauch einer Sache gebe und bei dieser Differenzierung auf das
römische Recht zurückgegriffen. So konnte er herausstellen, dass zentrales Kenn-
zeichen der Franziskaner sei, dass nicht nur - wie bei anderen Orden - persönliche
Armut herrsche, sondern auch der Orden kollektiv arm sei.^

Leistungsangebots: »Aus diesem Grund spielten die Franziskaner in der Wirtschaft der sie beherbergen-
den Städte eine allenfalls untergeordnete Rolle« (Ebd., S. 305).
20 Matthias UNTERMANN, Architektur und Armutsgebot. Zur Charakteristik franziskanischer Kirchen-
und Klosterbauten, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mit-
telalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter HEiMANN/Angelica HiLSEBEiN/Bcrnd SCHMIES u.a.,
Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 335-346, hier S. 336.
21 UNTERMANN, Architektur (wie Anm. 20), S. 336-340.
22 Thomas de Celano, Vita secunda S. Francisci (wie Anm. 16), cap. 25, 55, S. 165 und insbes. cap. 26, 56,
S. 165: Doce^tt s%os JAere, wo?? Lzpz'aGts, cztseAts erzgere.
23 Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1997, w. 2805ff., hier: w. 2839f., S. 82.
24 RÖHRKASTEN, Theorie (wie Anm. 6), S. 354.
25 Letztlich setzte Innozenz IV. 1245 in der Bulle OrJzzzcw vestrzzw fest, dass der Apostolischer Stuhl Inha-
ber aller durch die Franziskaner genutzten Güter sei (Bullarium Franciscanum Romanorum Pontihcum,
hg. von Giovanni Giacinto SBARAGLiA/Konrad EuBEL, Bd. 1: Ab Honorio III. ad Innocentium 1111.,
Rom 1759, Nr. 114, S. 400-402).
26 RÖHRKASTEN, Theorie (wie Anm. 6), S. 357 f.
306 I Stefan Burkhardt

Diese Auffassung wurde durch Hugo von Digne in seinem Regelkommentar


relativiert. Nicht durch die Ablehnung des Eigentums allein erreiche man die pcr-
/ecTio, sondern durch generelle demütige Selbstbeschränkung des Niesbrauchs: Ar-
mut dürfe nicht nur vorgespielt werden; freiwillig Arme sollten sich beim Essen
zurückhalten; alle Ordensbauten sollten unter dem Vorzeichen der Armut stehen;
Armut bedeute auch, dass man Dinge, über die man verfügen könne, nicht für alle
Zwecke gebrauchen dürfe V Die Konstitutionen des Generalkapitels von Narbonne
von 1260 wollten die Wertschöpfung in Häusern der Franziskaner - etwa durch
Nutztiere - begrenzt wissen.^ Diese Diskussionen sollten bis ins 14. Jahrhundert
weitergeführt werden: Was entsprach dem Armutsgebot am besten: die Einschrän-
kung des Gebrauchs notwendiger Dinge oder der bloEe Verzicht auf Eigentum?
Armut und Demut waren auch in ihrer juristischen Akzentuierung eng verschränkt.
Wie hinsichtlich der architektonischen Gestaltung mussten sich die Franziskaner
bei der Inszenierung ihrer Armut auf ihr jeweiliges Umfeld einlassen, weil sie - wie
kein anderer Orden - von dessen Wohlwollen abhängig waren.
Auf eine weitere mögliche, viel frühere Beeinflussung der Franziskaner durch
das Kirchenrecht hat David Flood hingewiesen: Der Bettel als Abschöpfen der auch
nach Gründen der Gerechtigkeit zustehenden Almosen. Eine Erkenntnis, die viel-
leicht nur möglich war, da sich die frühen Franziskaner nicht m zurückzo-
gen, eine soziale Innovation die der mit dem Volk gemeinsam geteilten Arbeitswelt
entsprang und die sich im Jetzt der Aufführung manifestierte: »Lohn war da und
Betteln bedeutete eine Lehre«. Diese Kontinuitätslinie blieb allerdings mit der Kle-
rikalisierung des Ordens nur höchst unterschwellig erhalten. Armut gewann im
Laufe der Zeit immer mehr an Symbolcharakter. Bereits im 13. Jahrhundert hatte
sich die demütige Haltung der Franziskaner geändert: Sie begannen ihre Rechte zu
verteidigen und auf ihren Ansprüchen zu bestehen.-^ Armut, Arbeit, Bettel - drei
Schlagworte, unter denen es sich lohnt, die »Wirkung« einer Bewegung »in die
Welt« in ihrer sozialen und juristischen Perspektivierung zu diskutieren, nicht nur
in Bezug auf die Occupy-Bewegung.

27 Hugh of Digne's Rule Commentary, hg. von David FLOOD (Spicilegium Bonaventurianum 14), Grotta-
ferrata 1979, S. 161.
28 Vgl. Constitutiones generales narbonenses (1260), in: Constitutiones generales ordinis fratrum minorum,
hg. von Cesare CENCi/Georges MAiLLEUX, Bd. 1: Saeculum XIII (Analecta Franciscana 13), Grottafer-
rata 2007, S. 65 -103, hier S. 75 f., cap. 14, 15, 18, 19.
29 RÖHRKASTEN, Theorie (wie Anm. 6), S. 363-365. Zugleich kam es zu einer Schwerpunktverlagerung der
Diskussion: »Franziskanische Armut war kein Selbstzweck; sie war Bestandteil eines größeren Proposi-
tums - der Nachfolge Jesu, des Lebens gemäß dem Evangelium. Dazu bedurfte es des Gehorsams, und
das führt [...] zum eigentlichen Problem der Franziskaner, nämlich der oAJzeMtM« (Ebd., S. 365).
Der Aufbau von Landesherrschaften
durch Ritterorden, besonders
durch den Deutschen Orden

Die Templer schon seit dem 11.h die Johanniter seit dem 127 und der Deutsche Or-
den vom Ende des 12. Jahrhunderts^ galten als die drei größeren Ritterorden. Dabei
ist der Deutsche Orden sozusagen ein Nachzügler gewesen, der dementsprechend
auch über kein so weites Verbreitungsgebiet wie die beiden älteren Ritterorden ver-
fügte. Letzterer hatte seit seiner Erhebung zum Ritterorden 1198 die Templerregel
übernommen, wie im Prolog und der N<%?*n%(To Je prüzzorJzM ausdrücklich gesagt
und den Statuten des Deutschen Ordens selbst zu entnehmen ist/
In allen drei Ritterorden waren die Ritterbrüder, die im kirchlichen Sinne als
Laien anzusehen sind, tonangebend. Priesterbrüder standen dagegen in der zweiten
Reihe und sorgten vor allem für das geistliche Wohl der Angehörigen des Ordens,
beim Johanniterorden ebenso wie beim Deutschen Orden auch für die geistliche
Betreuung der Spitalinsassen. Neben beiden Gruppen existierten die Sarjantbrüder
oder Graumäntler, die den Konversen der Zisterzienser nachempfunden waren/

1 Malcolm BARBER, The New Knighthood. A History of the Order of the Temple, Cambridge 1994; Alain
DEMURGER, Die Templer. Aufstieg und Untergang. 1118-1314, München 1991; Christian VoGEL, Das
Recht der Templer. Ausgewählte Aspekte des Templerrechts unter besonderer Berücksichtigung der Statu-
tenhandschriften aus Paris, Rom, Baltimore und Barcelona (Vita regularis. Abhandlungen 33), Berlin/Mün-
ster 2007.
2 Jonathan RiLEY-SMiTH, The Knights of St. John in Jerusalem and Cyprus c. 1050-1310 (A History of the
Order of the Hospital of St. John of Jerusalem 1), Edinburgh 1967. Zu den beiden älteren Ritterorden auch:
Jochen BuRGTORF, The Central Convent of Hospitallers and Templars. History, Organization, and Per-
sonnel (1099/1120-1310) (History and Warfare 50), Leiden/Boston 2008. Zu den Ritterorden allgemein:
Alain DEMURGER, Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden, München 2003.
3 Zu den Anfängen Klaus MiLiTZER, Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruk-
tur des Deutschen Ordens. 1190-1309 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 56/
Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens
9), Marburg 1999.
4 Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, hg. von Max PERLBACH, Halle an
der Saale 1890, S. 23, 160.
5 Vgl. auch Alan FoREY, The Military Orders: From the Twelfth to the Early Fourteenth Centuries (New
Studies in Medieval History), London 1992, S. 174ff.
308 I Klaus Militzer

Aber auch die Sarjantbrüder oder Graumäntler zählten zur kämpfenden Truppe in
den Einsatzgebieten im Heiligen Land, im Mittelmeerraum und im Osten Europas.
Die Templer waren der erste Orden, die einen ständigen Polizeidienst und
schließlich auch eine »stehende Truppe« bildeten, auf die die Christen, falls die
Templer in keine Auseinandersetzungen mit Territorialherren oder anderen Orden
verwickelt waren, zurückgreifen konnten. Ein solcher Ansatz wie bei den Temp-
lern konnte sich nur im Heiligen Land unter besonderen Bedingungen entwickelnd
Dagegen waren die Johanniter zunächst eine Organisation, die nicht auf kriegeri-
sche Aktivitäten aus gewesen ist. Allerdings wurden auch diesem Orden seit dem
zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts immer mehr militärische Aufgaben übertragen,
sodass die Johanniter seit der Mitte des 12. Jahrhunderts kaum noch von den Temp-
lern zu unterscheiden waren, wenn man von den immer noch betriebenen Spitälern
im Heiligen Land wie auch außerhalb desselben absieht/ Der Deutsche wie auch
andere Orden folgten beiden Ritterorden im Heiligen Land erst seit dem Ende des
12. Jahrhunderts oder noch später.
Grundlage für alle drei Ritterorden und alle ihnen verpflichteten Gruppen wa-
ren die sogenannten drei evangelischen Räte, nämlich die Gebote der Keuschheit,
des Gehorsams und der Armut. Die grundlegenden Verhaltensregeln waren jedoch
nicht auf die Ritterorden beschränkt, sondern Enden sich in fast allen Mönchsor-
den ebenso. Aber für die eintretenden Ritterbrüder waren sie doch von erheblicher
Bedeutung, weil auf ihnen die Verwaltungsstruktur aufgebaut werden konnte. Die
Keuschheit hatte zur Folge, dass die Ritterbrüder, die die wichtigste Gruppe stell-
ten, keine eigenen Nachkommen haben konnten und folglich auch für sie nicht
zu sorgen brauchten. Die Erblichkeit der Ämter spielte keine Rolle und hat auch
in der Zukunft kaum eine gespielt. Der Gehorsam führte dazu, dass Ritterbrüder
ohne Widerspruch versetzt werden konnten, sich also auch gar nicht in einem be-
stimmten Amt häuslich einrichten konnten, wenn man von Ausnahmen absieht.
Aus dem Gebot der Armut folgte, dass ein Ritterbruder sein Amt nicht zu seiner
persönlichen Bereicherung ausbeuten konnte, da er kein Geld für das Amt gegeben
hatte und keines fordern konntet Das änderte sich allerdings im Laufe des 15. Jahr-

6 Simonetta CERRiNi spricht sogar im Anschluss an ihre Dissertation in Paris von »La révolution des Tem-
pliers« (La révolution des Templiers. Une histoire perdue du XIH siècle (Collection tempus 283), Paris
2007 und wieder 2009). Vgl. auch VOGEL, Das Recht (wie Anm. 1), S. 42 h
7 RiLEY-SMiTH, The Knights (wie Anm. 2), S. 52ff.; Jonathan PHILLIPS, Archbishop Henry of Reims and
the Militarization of the Hospitallers, in: The Military Orders, Bd. 2: Welfare and Warfare, hg. von Helen
NiCHOLSON, Aldershot 1998, S. 83-88.
8 Vgl. dazu Ludwig HÖDL, Evangelische Räte, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, hg. von Robert AuTY/
Robert-Henri BAUTIER/Norbcrt ANGERMANN, München/Zürich 1989, Sp. 131-135. Für den Deutschen
Orden insbesondere: Klaus MiLiTZER, Die Entstehung der Dcutschordensballcien im Deutschen Reich
(Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 16), 2. Aufl. Marburg 1981; S. 1 f.
Der Aufbau von Landesherrschaften 309

hunderts vor allem beim Deutschen, aber auch im JobanniterordenP Das Armuts-
gebot galt jedoch nur für den einzelnen Ordensbruder, dagegen nie für den Orden
allgemein, auch nicht im 13. oder 14. Jahrhundert.
Ein entscheidendes Moment bei allen drei Orden war die Kontrolle der grund-
legenden Regeln. Sie wurde durch Visitationen^ und ein sogenanntes Generalka-
pitel" gewährleistet. Visitationen sorgten dafür, dass die Statuten auch eingehalten
wurden. Die Ordensleitung konnte eine solche Visitation anordnen, die die Le-
bensumstände und die Wirtschaftsführung kontrollierten. Sie waren nichts Neues
oder gar Typisches für die Ritterorden, sondern sind schon vor allem bei Zisterzien-
sern und anderen überregional ausgerichteten Orden zu beobachten. Im Deutschen
Orden wurden stets ein Ritter- und ein Priesterbruder als Visitatoren ausgesandt.
Ein Priesterbruder war erforderlich, weil auch geistliche Inhalte abgefragt worden
sindd-
Das Problem hinsichtlich des Deutschen Ordens ist, wer die Visitatoren be-
vollmächtigt habe. Es war im Allgemeinen, wenn man von besonderen Umständen
absehen will, der Hochmeister, der die Vollmachten erteilte.^ Allerdings war er
keineswegs allein dazu in der Lage, sondern an den Rat eines Kapitels gebunden.
Zudem waren Landmeister und Landkomture zu Visitationen verpflichtet. Schon
für Eberhard von Sayn, der 1251-1252 Preußen und Livland visitierte, galt die
Vollmacht durch den Hochmeister und ein Generalkapitel. Er schärfte ein, dass in
Preußen und Livland eigene Kapitel gehalten werden sollten, dass aber neue Regeln
nur vom Kapitel in Ubersee erlassen werden könnten.^ Letzteres war offenbar das

9 Jürgen SARNOWSKY, Macht und Herrschaft im Johanniterorden des 15. Jahrhunderts. Verfassung und
Verwaltung der Johanniter auf Rhodos (1421-1522) (Vita regularis 14), Münster/Hamburg/London 2001,
S. 205ff.
10 Vgl. Jörg OBERSTE, Visitation und Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und
Kommunikation bei Cisterziensern, Prämonstratensern und Cluniazensern (12.-frühes 14. Jahrhundert)
(Vita regularis 2), Münster 1996.
11 Florent CYGLER, Das Generalkapitel im hohen Mittelalter. Cisterzienser, Prämonstratenser, Kartäuser
und Cluniazenser (Vita regularis 12), Münster/Hamburg/London 2002.
12 Udo ARNOLD, Die Schriftlichkeit des Deutschen Ordens am Beispiel der Visitationen, in: Die Rolle der
Schriftlichkeit in den geistlichen Ritterorden des Mittelalters. Innere Organisation, Sozialstruktur, Politik,
hg. von Roman CzAjA/Jürgen SARNOWSKY (Ordines militares - Colloquia Torunensia Historica 15),
Torun 2009, S. 7-38; vgl. die Ausgabe der Visitationen: Visitationen im Deutschen Orden im Mittelalter, 3
Bde., hg. von Marian BiSKUP/Irena jANOSZ-BiSKUPOWA (Quellen und Studien zur Geschichte des Deut-
schen Ordens 50/Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des
Deutschen Ordens 10), Marburg 2002-2008.
13 Vgl. Visitationen im Deutschen Orden (wie Anm. 12), Bd. 1, S. XXIIf.
14 Visitationen im Deutschen Orden (wie Anm. 12), Bd. 1, Nr. 2, S. 3-5; auch Die Statuten des Deutschen
Ordens (wie Anm. 4), S. 161 f.; Preußisches Urkundenbuch. Politische Abteilung, Bd. 1: Die Bildung des
Ordensstaates. Erste Hälfte, bearb. von Rudolf PmLiPPi, Königsberg 1882, S. 182f., Nr. 251.
310 I Klaus Militzer

Generalkapitel,*5 bis 1291 Akkon endgültig bei und der Hochmeistersitz 1291-1309
vorübergehend in Venedig und seit 1309 in der preußischen Marienburg aufgeschla-
gen worden war. Wie nicht anders zu erwarten, gab es mehrere Kapitel, die auch
noch als »Generalkapitel« bezeichnet worden sind. Aber es hat nur ein Kapitel
gegeben, das die Regel ergänzen konnte, nämlich das im Haupthaus in Akkon, seit
1309 in der Marienburg. Das eigentliche Generalkapitel befand sich also bis 1291 in
Palästina.^ Analoges gilt für die Ritterorden der Templer und Johanniter, nur dass
sie 1291 ihre Haupthäuser nach Zypern verlegten.'^ Die Johanniter zogen dann 1310
und in den folgenden Jahren nach Rhodos und bauten dort einen eigenen Staat mit
einem Generalkapitel aufV
Man wird nicht davon ausgehen können, dass einem Kapitel oder gar einem Ge-
neralkapitel des Deutschen Ordens alle wichtigen Amtsträger beigewohnt haben.
Das war angesichts der Ausdehnung der Ordenstätigkeiten im Heiligen Land, in
Preußen und Livland auch gar nicht möglich. Die Entfernungen waren einfach zu
groß. Von Riga, dem Sitz des Meisters von Livland bis nach Venedig waren es etwa
1.500 km Luftlinie. Ein Reiter wäre mindestens zwei Monate unterwegs gewesen
und hätte sich dann noch in Venedig einschiffen müssen. Auch eine Fahrt mit einer
Kogge durch Ost-, Nordsee, Atlantik und Mittelmeer wäre kaum zeitsparender
gewesen. Daher hat die Regel beispielsweise eine Ausnahme für den Meister von
Livland bei der Wahl eines neuen Hochmeisters zugelassen.^
Das Mittel eines Generalkapitels und eines Haupthauses war auch nicht neu,
sondern schon von den Templern übernommen worden. Deren Vorbilder waren
wiederum die Zisterzienser. Den Templern folgten die Johanniter und schließlich
auch der Deutsche Orden. Dazu trat die schriftliche Rechenschaftspflicht, die in
den Ritterorden vorgeschrieben war und zu einer Fülle von schriftlichen Nachwei-

15 Darin ist ARNOLD, Die Schriftlichkeit (wie Anm. 12), S. 10, zuzustimmen. Der Autor geht aber davon
aus, dass ein »hochmeisterliches Kapitel« die Visitationen auch schon in der Frühzeit festgelegt habe. Je-
doch spricht die Visitationsordnung Winrichs von Kniprode aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
ausdrücklich von generVe. Darauf aber bezieht sich der Autor explizit; vgl. Visitationen im
Deutschen Orden (wie Anm. 12), Bd. 1, Nr. 15, S. 18 f.
16 Kurt FoRSTREUTER, Der Deutsche Orden am Mittelmeer (Quellen und Studien zur Geschichte des
Deutschen Ordens 2), Bonn 1967, S. 188ff.; Klaus MiLiTZER, Die Übersiedlung Siegfrieds von Feucht-
wangen in die Marienburg, in: Die Ritterorden in Umbruchs- und Krisenzeiten, hg. von Roman CzAjA
(Ordines militares - Colloquia Torunensia Historica 16), Torun 2011, S. 47-61.
17 FoREY, The Military Orders (wie Anm. 5), S. 221 f.; RiLEY-SMiTH, The Knights (wie Anm. 2), S. 198ff.;
Peter EDBURY, The Templars in Cyprus, in: The Military Orders, Bd. 1: Fighting for the Faith and Caring
for the Sick, hg. von Malcolm BARBER, Aldcrshot/Hampshire/Brookheld 1994, S. 189-195, hier S. 193.
18 DEMURGER, Die Ritter (wie Anm. 2), S. 254f.; Jürgen SARNOWSKY, Rhodes, in: Prier et Combattre. Dic-
tionnaire européen des ordres militaires au Moyen Age, hg. von Nicole BÉRiou/Philippe JosSERAND,
Paris 2009, S. 790f.
19 Die Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 4), S. 91 f., Gewohnheit 2a, als Zusatz zu den Statuten
hinzugefügt.
Der Aufbau von Landesherrschaften I 311

sen geführt hatr° Allerdings wird man sagen müssen, dass die erhaltenen Doku-
mente meist erst dem 14. Jahrhundert angehören, zumindest im Deutschen Orden.
Die institutionalisierte Rechenschaftspflicht erlaubte es den Meistern und deren
Kapiteln, eine Kontrolle über große Entfernungen auszuüben oder es zumindest
zu versuchen.
Wegen der genannten Ideale der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams
konnten die Verantwortlichen des Deutschen Ordens während des 13. Jahrhunderts
und auch noch später Brüder über größere Entfernungen versenden, von Livland
in das Heilige Land, von den Balleien in das Heilige Land, nach Preußen oder Liv-
landA Das Personal wurde zwischen den einzelnen Regionen ausgetauscht. Dabei
ging es auch um Lührungspositionen. Abgesehen von den einmal gewählten Hoch-
meistern als den Ordensoberen waren alle anderen Positionen auf eine bestimmte
Zeit vergeben. Ob man, wie die Regel bestimmte, davon ausgehen kann, dass der
Deutschmeister, oder die Meister von Preußen oder Livland ihre Posten in regel-
mäßigen Abständen oder gar jedes Jahr zur Verfügung stellten, ist nicht mehr zu
ermitteln.-2 Im Allgemeinen hatten die Meister der großen Provinzen ihre Ämter
kürzere Zeit als die Hochmeister inne. Analoges findet man auch bei Johannitern
und TemplernA
Alle Ritterorden legten Wert darauf, dass die Ritter- und Priesterbrüder wie
Sarjantbrüder oder Graumäntler in Armut lebten. Das heißt aber nicht, dass die
Ritterorden an sich arm waren. Diese Orden hatten sich einer bestimmten Auf-
gabe verschrieben. Im Heiligen Land kämpften sie für die Pilger und den christli-
chen Glauben gegen die Muslime,^ die Johanniter später gegen die Osmanen oder
Türken,der Deutsche Orden forcierte die Christianisierung der Prussen und
fühlte sich als Schild der Christenheit gegen die orthodoxen Christen im Osten

20 Vgl. dazu den Tagungsband: Die Rolle der Schriftlichkeit in den geistlichen Ritterorden des Mittelalters,
hg. von Roman CzAjA/Jürgen SARNOWSKY (Ordines militares - Colloquia Torunensia Historica 15),
Torun 2009, mit mehreren Beiträgen. Was den Deutschen Orden betrifft, so ist eine schriftliche Rechen-
schaft der Amtsträger in den Gewohnheiten des Ordens gefordert: Die Statuten des Deutschen Ordens
(wie Anm. 4), S. 107, Gewohnheit 31.
21 MiLiTZER, Von Akkon (wie Anm. 3), S. 449 ff.
22 Vgl. MiLiTZER, Von Akkon (wie Anm. 3), S. 221 ff.; ferner die Listen der Landmeister von Preußen
und Livland in: Bernhart JÄHNIG, Wykaz urzçdow. Dostojnicy zakonu krzyzackiego w Prusach, in:
Panstwo zakonu krzyzackiego w Prusach. Podzialy administracyjne i koscielne w XIII-XVI wieku, hg.
von Zenon Hubert NowAx/Roman CzAjA, Torun 2000, S. 95 -127, hier S. 101; Klaus MiLiTZER, Wykaz
urzçdôw Zakonu Kawalerow Mieczowych i zakonu krzyzackiego w Inflantach z Estoniq, in: Inflanty
w sredniowieczu. Wladztwa zakonu krzyzackiego i biskupow, hg. von Marian BisxuP, Torun 2002,
S. 107-121, hier S. 109.
23 Vgl. die prosopographischen Angaben in: Jochen BuRGTORF, The Central Convent (wie Anm. 2),
S. 462 ff.
24 VoGEL, Das Recht (wie Anm. 1), S. 42f.
25 Henry J. A. Sire, The Knights of Malta, New Haven/London 1994, S. 25ff.; auch: SARNOWSXY, Macht
(wie Anm. 9).
312 I Klaus Militzer

des Baltikums A Dazu kam ein steter Kampf gegen die heidnischen Litauer.^ Diese
Kämpfe an unterschiedlichen Grenzen hatten während des 13. Jahrhunderts zur
Folge, dass die Fronten Nachschub an Material, Pferden und vor allem Männern
brauchten. Die reichen Kommenden im Abendland dienten als Etappe, deren Auf-
gabe darin bestand, die an der Front tätigen Brüder mit Geld, Material und Män-
nern zu unterstützen.
Nach dem Fall von Akkon 1291 verlor zumindest der Deutsche Orden all-
mählich sein Interesse an Palästina, obwohl gerade die Heiligen Stätten eine lang
dauernde Faszination ausübten, auch im Deutschen Orden, bis der Gedanke des
Baltikums und des Ordens als Schild der Christenheit eine deutlich größere Re-
levanz erhielt und die Faszination Palästinas im Laufe des 14. Jahrhunderts in den
Hintergrund drängte.^
Nun haben die Ritterorden, wie nicht anders zu erwarten, Herrschaften in Pa-
lästina aufgebaut,^ die aber nicht die Dauer erreichen sollten, wie etwa der Herr-
schaft des Deutschen Ordens in Preußen oder auch in LivlandA In Preußen konnte
der Orden nach der Niederschlagung des letzten Aufstands der Prussen während
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Landesherrschaft aufbauen, die sich
von der in anderen Teilen der Welt unterschieden hatA Der eigentliche Herr war
die Ordenskorporation. Der Meister von Preußen konnte nicht ohne Rat seiner
Mitbrüder entscheiden. Allerdings war es eine Frage der Verteilung der Machtver-
hältnisse, welche Brüder er zu seinen Ratgebern herangezogen hat, welche Brüder
er in höhere Ämter gelangen ließ und welche nicht. Die Brüder in höheren Ämtern

26 MiLiTZER, Von Akkon (wie Anm. 3), S. 336ff.; MiLiTZER, Die Übersiedlung (wie Anm. 16), S. 51 ff.
27 Werner PARAViciNi, Die Preußenreisen des europäischen Adels, 2 Bde. (Beihefte der Francia 17), Sig-
maringen 1989-1995; vgl. auch Manfred HELLMANN, Das Großfürstentum Litauen, in: Handbuch der
europäischen Geschichte, Bd. 2: Europa im Hoch- und Spätmittelalter, hg. von Ferdinand SEtBT/Udo
ARNOLD, Stuttgart 1987, S. 1080-1102, hier S. 1084ff.
28 Klaus MinTZER, Der Deutsche Orden in seinen Baileien, in: Der Deutsche Orden in Europa, hg. von der
Gesellschaft für Staufische Geschichte e.V. (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 23), Göppin-
gen 2004, S. 49-65, hier S. 60 f.; Klaus MiLiTZER, Auswirkungen der Schlacht bei Tannenberg auf den
Deutschen Orden, in: Zalgirio laikq Lietuva ir jos kaimynai, hg. von Vakarp Lietuvos ir Prüsijos Istorijos
Centras (Acta historica universitatis Klaidedensis 1), Vilnius 1993, S. 94-112, hier S. 96ff.
29 FoRSTREUTER, Der Deutsche Orden (wie Anm. 16), S. 37ff.; Shlomo LoTAN, Empowering and Strugg-
ling in an Era of Uncertainty and Crisis - The Teutonic Military Order in the Latin East, 1250-1291, in:
Die Ritterorden in Umbruchs- und Krisenzeiten, hg. von Roman CzAjA (Ordines Militares - Colloquia
Torunensia Historica 16), Torun 2011, S. 19-28, mit weiterer Literatur. Vgl. auch DEMURGER, Die Ritter
(wie Anm. 2), S. 182ff.; RiLEY-SMITH, The Knights (wie Anm. 2), S. 451 ff. Für Templer und Johanniter
auch: The Atlas of the Crusades, hg. von Jonathan RiLEY-SMiTH, London 1991, S. 53, 99, 102.
30 Sylvain GouGUENHEiM, Ordensstaat, in: Prier et Combattre. Dictionnaire européen des ordres militaires
au Moyen Age, hg. von Nicole BÉRiou/Philippe JossERAND, Paris 2009, S. 662 ff.
31 Reinhard WENSKUS, Das Ordensland Preußen als Territorialstaat des 14. Jahrhunderts, in: Der Deutsche
Territorialstaat im 14. Jahrhundert, 2 Bde., hg. von Hans PATZE (Vorträge und Forschungen/ Konstanzer
Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 13), Sigmaringen 1970, Bd. 1, S. 347-382, hier S. 348 ff.; vgl.
auch MiLiTZER, Von Akkon (wie Anm. 3), S. 351 ff.
Der Aufbau von Landesherrschaften I 313

wurden häufiger als Ratgeber und damit als politisch ausschlaggebende Männer als
andere herangezogen.
Sicher haben Ritterorden nicht missioniert.^ Aber das war auch nicht deren
Aufgabe. Sie sollten die militärische Macht stellen, die den eigentlichen Missiona-
ren - in Preußen den Dominikanern und Franziskanern,^ daneben auch Ordens-
priester und weltliche Priester - den Rücken frei hielten und jenen erst deren Auf-
gabe erleichterten. Wenn man den Ritterorden, besonders dem Deutschen Orden,
den Willen zur Mission abgesprochen hat, so war der Vorwurf politisch bedingt und
hatte mit der Aufgabe dieser Orden kaum etwas zu tunA
Die drei sogenannten »evangelischen Räte«, Keuschheit, Gehorsam und Armut,
kamen dem Verwaltungsaufbau in Preußen entgegen. Die dorthin abgestellten Brü-
der bildeten disziplinierte Kampftruppen, auch wenn sie ohne den Beistand soge-
nannter Kreuzfahrer nicht ausgekommen sind. Sie waren Erfüllungsgehilfen ihrer
Oberen, die wiederum von ihren Untergebenen Gehorsam erwarten durften, wenn
ein Befehl mit Rat entsprechender Brüder erlassen worden war. Die nach Preußen
gesandten Brüder konnten keine eigenen Nachkommen in ihren Ämtern protegie-
ren. Allenfalls sind Netzwerke regionaler Art zu ermittelnd^ Dennoch haben diese
Brüder ihre Erfahrungen aus einer anderen Weh, eben der Adelsweh des Deutschen
Reichs, nach Preußen mitgebracht A Einmal waren es Städte, die sie in ihrer Heimat
als Großburgen kennen gelernt haben, die sich selbst versorgen und verteidigen
konnten. In zweiter Hinsicht ist auf Bauernsiedlungen zu verweisen, die das Ein-
kommen steigern und, angesiedelt in fremder Umgebung, die Sicherheit der Brüder
in ihren Zentren, den Ordensburgen, vermehrtend'' Schließlich ist es auch gelungen,

32 Thomas ERTL, Mission, in: Prier et Combattre. Dictionnaire européen des ordres militaires au Moyen
Âge, hg. von Nicole BÉRiou/Philippe JossERAND, Paris 2009, S. 614 f.
33 Marian BisxuP, Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den anderen Orden in Preußen, in: Ritterorden
und Kirche im Mittelalter, hg. von Zenon Hubert NowAK (Ordines militares - Colloquia Torunensia
Historica 9), Torun 1997, S. 61-79, hier S. 64ff.; auch MiLiTZER, Von Akkon (wie Anm. 3), S. 361. Das
trifft auch für die Johanniter und Templer zu.
34 Vgl. Wolfgang WiPPERMANN, Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der
deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommis-
sion zu Berlin 24/Publikationen zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 2), Berlin 1979,
S. 30ff.
35 Vgl. vor allem Helge WiTTMANN, Netzwerke und Karrieren von Thüringern im frühen Deutschen Or-
den, in: Herrschaft, Netzwerke, Brüder des Deutschen Ordens in Mittelalter und Neuzeit. Vorträge der
Tagung der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens in Mar-
burg 2010, hg. von Klaus MiLiTZER (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 72/Ver-
öffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens
12), Weimar 2012, S. 39-66.

Schaft - Staat - Ideologie (Klio in Polen 6), Osnabrück 2000, S. 248.


37 Klaus MiLiTZER, Unterschiede in der Herrschaftsauffassung und Herrschaft und Verwaltung in den
Zweigen des Deutschen Ordens, in: Herrschaft, Netzwerke, Brüder des Deutschen Ordens in Mittelalter
314 I Klaus Militzer

einen Teil der Prussen zu gewinnen und in den Verwaltungsapparat als Kämmerer
und Packmoren oder auch nur als einheimische Adlige einzugliedernA
Da die Brüder nach anfänglichen Schwierigkeiten darauf achteten, dass die her-
beigerufenen Adligen keine allzu großen Güter erhielten und keine dem Orden
gefährlich werdenden Burgen bauten, war der Orden im Gegensatz zum Reich
die alleinige Ordnungsmacht in Preußen. Das machte sich beispielsweise in der
Rechtsprechung bemerkbar, die die Brüder in letzter Instanz für sich beanspruch-
ten, wie anhand der Straßengerichtsbarkeit zu zeigen ist. Aber das führte auch
dazu, dass im Preußenland jedenfalls bis 1410 keine Fehden - von wenigen Aus-
nahmen abgesehen - vorgekommen sindA Es gab eben keinen Adel im Sinne des
Deutschen Reichs/" Dass die Ordensbrüder sich den sogenannten »Ehrbaren« des
Preußenlands überlegen fühlten, ist eine Erscheinung vom Ende des 14. und dann
des 15. Jahrhunderts.*" Diese »Ehrbaren« hatten keine echten Lehen, sondern soge-
nannte »Dienstlehen« oder »Dienstgüter«, von denen Abgaben oder Kriegsdienste
oder beides zu leisten waren.^ Vor allem von der Pflicht zu Kriegsdiensten waren
nur sehr wenige befreit bzw. deren Pflichten begrenzt. Dadurch blieben die »Ehr-
baren« in die Landesherrschaft des Ordens integriert. Das galt im Allgemeinen für
das Land wie für die StadtA
Hinzu trat die Tatsache, dass die deutschsprachigen Siedler auf dem Land wie
auch in der Stadt nach einem kulmischen Recht lebten. Im vom Orden beherrschten
Ordensland hat es nur die Ausnahme Elbing gegeben. Diese Stadt lebte nach einem
allerdings eingeschränkten lübischen Recht. Andere Städte nach diesem Recht la-

und Neuzeit. Vorträge der Tagung der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des
Deutschen Ordens in Marburg 2010, hg. von Klaus MiLiTZER (Quellen und Studien zur Geschichte
des Deutschen Ordens 72/ Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erfor-
schung des Deutschen Ordens 12), Weimar 2012, S. 1-24, hier S. 14 ff.
38 WENSKUS, Das Ordensland Preußen (wie Anm. 31), S. 364f.
39 WENSKUS, Das Ordensland Preußen (wie Anm. 31), S. 351. Vgl. auch Klaus MiLiTZER, Fehde und Deut-
scher Orden, vornehmlich im Deutschen Reich, in: Ordines militares - Colloquia Toruncnsia Historica
18, 2013, S. 181-192, hier S. 182ff.
40 WENSKUS, Das Ordensland Preußen (wie Anm. 31), S. 376 ff.
41 Vgl. Jürgen SARNOWSKY, Die ständische Kritik am Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts, in: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europäische Region in ihren geschichtlichen
Bezügen. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag, hg. von Bernhart JÄHNIG (Einzclschriften der
Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 20), Lüneburg 2000, S. 403-
420, hier S. 406 ff.
42 Grischa VERCAMER, Siedlungs-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte der Komturei Königsberg in Preußen
(13.-16. Jahrhundert) (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Lan-
desforschung 29), Marburg 2010, S. 319ff.; Hartmut BoocKMANN, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel
aus seiner Geschichte, München 1981, S. 123ff.; Klaus MiLiTZER, Die Geschichte des Deutschen Ordens
(Kohlhammer Urban Taschenbücher 713), 2. Aufl. Stuttgart 2012, S. 166f.
43 Vgl. nun auch Das Elbinger Kriegsbuch (1383-1409). Rechnungen für städtische Aufgebote, bearb. von
Dieter HECKMANN/Krzysztof RviATKOWSKi (Veröffentlichungen aus den Archiven Prcussischer Kul-
turbcsitz 68), Köln/Weimar/Wien 2013.
Der Aufbau von Landesherrschaften I 315

gen im Ermland, das der direkten Kontrolle des Ordens entzogen warV Da auch
prussische Siedlungen nach dem Kulmer Recht umgewandelt worden sind, gab es
ein zumindest weit verbreitetes Recht, das sowohl auf dem Land wie auch in den
meisten Städten gültig warN
Der Aufbau der Verwaltung des Ordens in Preußen, die Ordnung in den Städten
und auf dem Land ebenso wie die erhöhte Schriftlichkeit infolge einer Rechen-
schaftspflicht muten wie Vorformen eines moderneren Staates an, sind aber gleich-
wohl dem Mittelalter verhaftet.^ Die drei sogenannten »evangelischen Räte« waren
Klöstern, in diesem Pall den Zisterziensern, nachgestaltet worden. Der Deutsche
Orden hat sie von den Templern übernommen. Den obligatorischen Rat, den die
Oberen von ihren Mitbrüdern einholen sollten, war den Ritterbrüdern aus ihren
Herkunftsfamilien bekannt. Denn Lehnsträger waren ihren Herren zu Rat und Tat
verpflichtet, während der Lehnsherr Rat einzufordern hatte. Siedlungsmaßnahmen
kannten die Ritterbrüder ebenfalls aus der Umgebung, aus der sie gekommen wa-
ren. Aber die straffe Ordnung und Rechtsprechung unter Ausschluss einer Fehde
waren neu, ebenso die sogenannten Dienstlehen, die das Feudalsystem außer Kraft
gesetzt hatten.
Andererseits waren Visitationen und Generalkapitel Formen, die alle Ritter-
orden von Mönchsorden übernommen hatten. Dass die Zisterzienser vorbildlich
waren, überrascht nicht, da der Templerorden in Bernhard von Clairvaux, einem
Zisterzienser, einen Fürsprecher hatte, der zumindest zum Teil die Regel des ersten
Ritterordens inspiriert hatV Der Deutsche Orden hat das System später von den
Templern übernommen.
Insgesamt gesehen standen die Ritterorden in einer Tradition weltlicher wie
mönchischer Herkunft, haben aber auch Neuerungen hervorgebracht, jedenfalls
dort, wo es ihnen wie dem Deutschen Orden in Preußen, möglich war. In den Bal-
leien im Deutschen Reich vermag ich keine größeren Innovationen zu erkennen.
Dort erlagen die Ritterbrüder den Einflüssen ihrer Umgebung stärker als in Preu-

44 BiSKUP/LABUDA, Die Geschichte (wie Anm. 36), S. 221 f.


45 Dazu: Dietmar WiLLOWEiT, Kulmer Handfeste, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, hg. von Robert
AuTY/Robert-Henri BAUTiER/Norbert ANGERMANN, München/Zürich 1991, Sp. 1564 f. mit weiterer
Literatur. Auch: Sylvain GouGUENHEiM, Kulmer Handfeste, in: Prier et Combattre. Dictionnaire eu-
ropéen des ordres militaires au Moyen Age, hg. von Nicole BÉRiou/Philippe JosSERAND, Paris 2009,
S. 530.
46 Skeptischer gegenüber dem relativ modern erscheinenden Verwaltungshandeln des Deutschen Ordens:
Krzysztof KwiATKOWSKi, Kulturelle Bedingungen der militärischen Aktivität im Spätmittelalter: der Fall
des Preußen(landes) unter der Herrschaft des Deutschen Ordens (I), in: Ordines militares - Colloquia
Torunensia Historica 18, 2013, S. 105-180, hier S. 135ff.
47 Vgl. Brian Patrick McGuiRE, Bernard de Clairvaux, in: Prier et Combattre. Dictionnaire européen des
ordres militaires au Moyen Age, hg. von Nicole BÉRiou/Philippe JosSERAND, Paris 2009, S. 154 f., mit
weiterer Literatur.
316 I Klaus Militzer

ßen oder Livland während des 13. und 14. Jahrhunderts. Später nach der Schlacht
bei Tannenberg 1410 wurden in manchen Fällen die sogenannten »evangelischen
Räte«, vor allem der des Gehorsams und der der persönlichen Armut, nicht mehr
befolgt. Viele Ordensbrüder in Preußen wie in Livland verhielten sich wie ihre
weltlichen Verwandten im Reich. Es fällt daher schwer, eine direkte Linie von der
Verwaltung und Herrschaft des Deutschen Ordens vor allem in Preußen zu denen
eines modernen Flächenstaates zu ziehen.
Monastischer und
schotastischer Habitus
Beobachtungen zum Verhältnis zwischen zwei Lebensformen
des 12. Jahrhunderts

Wer sich mit den Interaktionsformen beschäftigt, mit denen sich Scholastiker in
Beziehung zur außer-scholastischen Weh setzten, wird bald auf Erörterungen zur
Differenz zwischen »scholastischer« und »monastischer« Geistigkeit und Lebens-
form stoßend Die Fragen, die sich hieraus für das Tagungsthema ergeben, sollen
in den folgenden Überlegungen herausgearbeitet werden. Dabei wird es weniger
um klösterliche Innovationen gehen, die in der Welt außerhalb der Konvente un-
mittelbar wirkmächtig geworden sind, sondern vielmehr um die folgenreiche Re-
zeption einer monastischen Daseinsweise durch die Vertreter einer neuen Art von
Wissenschaft, um die Übernahme eines monastischen Habitus durch vormoderne
Gelehrtenmilieus.
Um zu verdeutlichen, was hiermit gemeint ist, soll zunächst an eine recht be-
kannte Episode erinnert werden. Diese setzt sowohl die Formierung der Scholas-
tik als Wissenschaft als auch die Binnendifferenzierung des Mönchtums durch das
Auftreten der Mendikantenorden bereits voraus. Sie ist dem 44. Kapitel der Vz'A?

1 Dabei ist in jüngster Zeit die Tendenz deutlich, frühere schroffe Gegenüberstellungen zu relativieren. Hier
nur wenige aktuelle Beispiele: Ralf Max Willi STAMMBERGER, Monastische Theologie und Scholastik in
Hildesheim, in: Schätze im Himmel - Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim,
hg. von Monika E. MÜLLER, Wiesbaden 2010, S. 111-123; Constant J. MEWS, Scholastic Theology in a
Monastic Milieu in the Twelfth Century. The Case of Admont, in: Manuscripts and Monastic Culture.
Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von Alison 1. BEACH, Turnhout 2007, S. 217-239;
Christian H. SCHÄFER, »Ratio« und »Oratio«. Monastische Meditation und scholastisches Denken bei
Anselm von Canterbury, in: Mittelalterliches Denken. Debatten, Ideen und Gestalten im Kontext, hg. von
Christian ScHÄFER/Martin THURNER, Darmstadt 2007, S. 49 - 74; Ulrich KÖPF, Zentrale Gedanken der
monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux, in: Cistercienser Chronik 111,2004, S. 49-64; Thomas
Francis HEAD, .Monastic' and .Scholastic' Theology. A Change of Paradigm?, in: Paradigms in Medieval
Thought Applications in Medieval Disciplines. A Symposium, hg. von Nancy VAN DEUSEN (Medieval
studies 3), Lewiston 1990, S. 127-141. Dass die Antithese dennoch eine Entsprechung in den zeitgenössis-
chen Perzeptionen findet, wird aus den folgenden Ausführungen hervorgehen. Für seine kritische Lektüre
dieses Textes danke ich Sebastian DÜMLiNG M.A., Göttingen.
318 I Frank Rexroth

des Thomas von Aquin entnommen, die Wilhelm von Tocco urn 1320 verfasste und
die bereits stark auf die Kanonisation des horror %72ge/zc%s hin geschrieben ist. Sie
soll dessen Fähigkeit zur Konzentration und Meditation demonstrieren, die Befä-
higung, seinen Geist so sehr auf die philosophisch-theologische Reflexion zu kon-
zentrieren, dass er sich gänzlich aus seiner physischen Umgebung zu lösen vermag.
Die Episode berichtet davon, wie Thomas eines Tages gemeinsam mit seinem
Prior an den Tisch König Ludwigs des Heiligen geladen war. Thomas entschuldigte
sich zunächst demütig mit der Begründung, er sei zu sehr mit dem Diktieren der
-SM77277M T^eo/ogMC beschäftigt. Doch König und Prior drängten ihn, und so verlieh
Thomas seine Studien und setzte sich zu den anderen an die königliche Tafel. Dabei
hielt er zunächst schweigend an derjenigen hzMgm^zo fest, die er noch in seiner
Zelle gefasst hatte. Doch plötzlich platzte der Aquinate heraus, schlug auf den Tisch
und rief: »/efzt habe ich den Schluss gegen die manichäische Irrlehre!« Erst als der
Prior ihn kräftig an seiner zog und ihn ermahnte, dass er am Tisch des Königs
von Frankreich sitze, kam er zu sich reJzew), verneigte sich vor
Ludwig und bat um Verzeihung. Der König wunderte sich darüber sehr, meinte er
doch, dass der Magister angesichts seiner adligen Herkunft wissen müsse, was es
bedeute, beim König zu Gast zu sein und sich darüber zu erfreuen. Stattdessen, so
sah Ludwig, blieb die Konzentration des Gelehrten stärker. Er war besorgt darum,
dass die Betrachtung, die den Verstand des Aquinaten so sehr abgelenkt hatte, nicht
verloren gehen würde. Also rief er seinen Schreiber und bestand darauf, dass dieser
in seinem königlichen Beisein seine Gedanken niederschreiben ließ."
Dies ist nicht das einzige Beispiel der für die Befähigung des Aquinaten,
sich - modern gesprochen - zu konzentrieren und seine Gedanken völlig rein zu

2 Wilhelm von Tocco, Vita S. Thomae, hg. von Johannes BoLLAND/Godefridus HENSCHENius/Daniel VON
PAPENBROECK in: Acta Sanctorum Mardi, Bd. 1, Antwerpen 1668, Sp. 658-685, hier cap. 44, Sp. 673B1. De
ettitts zzzirzzzzdzz et izzzzzzditzz distrzzetiozze zzzezztis et cozztezzzpizztiozze dicitzzr, ^zzod ezzzzz sezzze/ V Podozziczzs Pex
Prtzzzczde ipsttzzz zzd zzzezzstzzzz szztzzzz izzzzitzzsset, et ipse se ^zzzzzziiter exezzszzsset e propter optts SPzztzzzze izz Dze-
o/ogtd, zyttod dietzzret tzzzze tezzzporis. O^ztizzezzte tzzztezzz zzztzzzdzzto Pegis et Prioris Pzzrisiezzsis, ft Ahtgistrzzzzz
Azzzzzz/ezzz zzzc/zzzztret, sttMitzteztt eozztezzzpDtzozze, %d expresszzzzz zzztzzzdzztzzzzz Pegis et Priorts, [izzzo et zzzezzstz
Pegis,] dizttisso szzo stzzdio ezzzzz iAt izzzzzgizztztiozze, ^zzttzzz zzztzzzezzs izz ceAt eozzeeperztt, zzecessit zzd Pegezzz;
zzzxtzt ^zzezzz existezzs zzz zzzezzstz, sttA'to ferz'tzzte Jzdez z'zzspz'rzztzz, zzzezzszzzzzperczzssit et dixit; Afodo eozze/zzszzzzz
est cozztrzz Aztereszttt TfztzzzcAztez. Qzzezzz Prior tetigz't, et dixit; Adzzertzztis Aizzgister, ^zzizz zzzzzze estis izz zzzezzstt
Pegis Prtzzzczde, et trzzxit ezzzzzper czzppzzzzz/ofAer, ft zz^strzzetzzzzz zz sezzszAzzs exeitzzret. Qzzi ^zzztsizzd seipszzzzz
rediezzs, izze/izzztzzs se ztd szzzzetzzzzz Pegezzz, rogzzzzit, ft eipzzrceret, ^zzz distrzzetzzs izz tzzezzstt Pegizt sie/zz Ac^- De
^zzo Pexp/zzrizzzzzzzz ztdzzzirzttzzs est, et ztedi/zeztttts zz Afztgistro, ^zzod, ezzzzz esset zzo^zYis, et posset zpszzzzz tztzzti
Pegis izzzzitzttio de/eetzzre, et zz cozztezzzpAtiozze distrzz^ere, przte^zzzit izz eo zzzezztis zzAtrzzctio, ft eiezzzztzzzzz izz
spiritzz, sezzszzs ezzzzz zzozz deprizzzeret izz cozzzzictzz. Pzzit zzzztezzz szzzzetzzs Pexprozzzdzzs, ft zzzeditzztio zdzz, <yzzzze
potzzit zzzezztezzz Doetoris distrzzizere, cozztizzgeret zzozz perire. Vzzde foezzto 5*crzptore szzo, foizzit ^zzod eorzzzzz
eo redigeret izz seripto, ^zzod Doctor cozzserztzzzzerzzt izz secreto; ^zzzzzzzztz's zzpzzd Doetoris zzzezzzorizzzzz zzdpezz-
z'tzzs deperiret, ^zzod izzJAeAtt dz'zzizzzzs Spiritzzs, ft serztzzret. Zur Geistesabwesenheit des Aquinaten auch
Otto Hermann PESCH, Thomas von Aquino (1224—1274)/Thomismus/Ncuthomismus, in: Theologische
Realenzyklopädie, Bd. 33, Berlin/New York 2002, S. 433 -474, hier S. 436.
Monastischer und scholastischer Habitus I 319

halten von den Sinneseindrücken, die von seiner physischen Umwelt auf ihn einge-
hen könnten. Seine JzVrzzcüo mezzük, seine Geistesabwesenheit, erscheint hier wie
an anderen Stellen in Wilhelms Werk als eine charismatische Gabe, nicht als ein
Mangel an Realitätssinn. Sie wird mit Worten beschrieben, die eindeutig der monas-
tischen Sphäre zuzuschreiben sind: von der eozz7ewp/zz7zo, der zz?zzzgzzzzz7zo und der
zzzeJzüzüo ist die Rede, ebenfalls von der Inspiration durch die Wahrheit des Glau-
bens, von der wezzfzj <%^v7r<%<r7zo, die ihn im Geist erhebt (v7 e/ezzzz^zzzzz zzz spzrzYzz).
Der plötzliche Höhepunkt des Geschehens aber, der Augenblick, in dem der
hartnäckige Schweiger plötzlich mit der Faust auf den Tisch haut und laut spricht,
wird durch einen Begriff auf einer gänzlich anderen geistigen Sphäre markiert:
eozze/zz^zzzzz esf cozz7rzz Azerejz'??? TLz?3Z(A<%ez! Mit ihm wird Thomas als Scholastiker
ausgewiesen, da hier auf die dialektische Technik der Wahrheitssuche im Rahmen
der ^zzzzesüo angespielt wird. Leser bzw. Hörer der VzAz sind auf diese Typisierung
des Aquinaten als Scholastiker durch frühere Passagen vorbereitet. Diese bieten die
Verständnisgrundlage für die Anekdote: Thomas habe sich bewusst auf das Schwei-
gen verlegt, um seine ungeheure Begabung auf dem Gebiet der Scholastik zu pfle-
gen. Seine frühen Erfolge im Lernen Qzzz^zzzrf <% TLzgzs^ro rzJJzsceref) hatten ihm
zwar bei seinen Mitschülern den Spitznamen »der stille Ochse« eingetragen, zeigten
aber zugleich seine vzr^zzF zzz7e//zgezz7zzze.' Er schien wie geboren zu sein für den <%c-
7zz^ se^o/zzs7zezzs, für die /ertzo und die repe7z7zo, für das Ergänzen dessen, was sein
Lehrer nicht gesagt hatte, für das Respondieren und das Disputieren über knifflige
Quaestionen. »Bruder Thomas«, habe sein Lehrer Albertus Magnus nach einer Pro-
be seiner Kunst zu ihm gesagt, »du scheinst keiner zu sein, der einfach respondiert,
sondern einer, der determiniert« - was bedeutete, dass sein Verstand reif war, über
den Ausgang der Quaestionen zu entscheidend
Es wäre reizvoll, ausgehend von dieser Anekdote zweierlei Genealogien der
Geistesabwesenheit zu verfolgen und auf diese Weise monastischen und scholas-
tischen Habitus in Verbindung miteinander zu bringen: Zur einen Seite hin die
monastischen Virtuosen der Kontemplation wie Richard von St. Viktor^ oder Bern-
hard von Clairvaux, der nach dem Bericht des Alanus von Auxerre einen Tag lang
am Genfer See entlang ritt, ohne die ihn umgebende Landschaft wahrzunehmen;^

3 Wilhelm von Tocco, Vita S. Thomae (wie Anm. 2), cap. 13, Sp. 663B. [...] pr%eJz'ct%s VMgAter ez Jzxzt.'
Anater AAozzzzz, Zzz zzozz vz'aferA Zezzere /oezzzzz respozzAzzzA, se<7 afeZerzzzzzzuzzzA.
4 Rudolf GoY, Die handschriftliche Überlieferung der Werke Richards von St. Viktor im Mittelalter (Bibli-
otheca Victorina 18), Turnhout 2005, S. 11.
5 Alanus von Auxerre, Vita secunda sancti Bernardi, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd.
185, Paris 1855, Sp. 469-522, hier Sp. 496: /zzxZzz Azczzzzz eZzfzzzz Auzzsuzzezzsezzz ZoZzAs Jzez zZzzzerepez^gezzs,
pezzzZzzs 7Z07Z zzZZezz JzZ, <%%Z se vz'Jez*e zzozz vz'AzZ. Czzzzz ezzz'zzz vespere pzcto aie eoafezzz Azc% soczz eoAo^zzerezzZzzr,
z'zzterrogzzAzZ eos, zzAz Azczzs z'Ae esseZ, eZ z?tz'r<%Zz' szzzzZ zzzzz'versz. Vgl. Peter VON Moos, ,Attcntio est quaedam
sollicitudo'. Die religiöse, ethische und politische Dimension der Aufmerksamkeit im Mittelalter, in: Auf-
320 I Frank Rexroth

auf der anderen Seite die Gelehrten, denen auf der Suche nach der philosophischen
Wahrheit der Kontakt zu ihrer Außenwelt abhandenkommt. Paradigmatisch ist hier
der Fall des stürzenden Thaies von Milet, der sich von einer thrakischen Magd
verspotten lassen muss: Er wolle den Himmel erforschen und kenne offenbar den
Boden zu seinen Füßen nicht richtig/ Auch Karneades von Kyrene gehört dieser
Tradition an. Jacobus de Cessolis erinnert in seinem Schachzabelbuch an seine Ver-
sunkenheit: Verhungert wäre er über seinen philosophischen Gedanken, wenn er
nicht ab und zu von seiner Frau mit einem Löffel gefüttert worden wäre/ Später
empfahl Petrarca die »Einsamkeit mitten unter den Menschen«/ und dieser Neben-
effekt der wissenschaftlichen Reflexion steht uns heute deutlich vor Augen, wenn
wir uns über den zerstreuten Professor lustig machen. Bekannt ist der Kalauer vom
sterbenden Kunsthistoriker, dem man das Kreuz Christi vorhält und der mit seinem
letzten Atemzug zum Pfarrer sagt: »oberrheinisch, spätes 15. Jahrhundert«/
Die Anekdote aus dem Leben des heiligen Thomas verweist also zunächst da-
rauf, dass die monastische Existenz nicht nur einen Rahmen für die intellektuelle
Kontemplation bieten kann, sondern auch für diejenige theologische Wahrheitssu-
che, die ganz unkontemplativ im Verfahren der scholastischen ihren Weg
sucht und auf der genuin sozialen, auf Intersubjektivität beruhenden Technik der
Rede und Gegenrede beruht. Diese Technik bleibt auch trotz aller Erfordernisse der
Lektüre und der Meditation über Texte stets rückgebunden an schulische Hand-
lungsformen und an die Rollen, die sich im Inneren der ausgeprägt hatten:
Magister und Schüler, Respondenten und Determinanten.
Nun ist allgemein bekannt, dass Mönche an der scholastischen Ära der okziden-
talen Wissenschaft in ganz besonderer Weise ihren Anteil hatten - allein ein Blick
in das revidierte »Repertorium edierter Texte des Mittelalters aus dem Bereich der
Philosophie und angrenzender Gebiete«, das Rolf Schönberger und seine Kollegin-
nen jüngst herausgegeben haben, verdeutlicht, wie hoch der Anteil monastischer

merksamkeiten, hg. von Aleida AsSMANN/Jan AsSMANN (Archäologie der literarischen Kommunikation
7), München 2001, S. 91-127.
6 Platon, Theaitetos, in: Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, hg. von Günther EiGLER, Bd. 6:
Theaitetos. Der Sophist. Der Staatsmann, 2. Aull. Darmstadt 1990,174a, S. 101. Zur Deutung der Geschichte
Hans BLUMENBERG, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie (Suhrkamp-Taschenbuch
Wissenschaft 652), Frankfurt am Main 1987, S. 13-22.
7 Gadi ALGAZi, ,Sich selbst vergessen' im späten Mittelalter. Denkhguren und soziale Konfigurationen, in:
Memoria als Kultur, hg. von Otto Gerhard OEXLE (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts 121),
Göttingen 1995, S. 387-427.
8 Gadi ALGAZi, Gelehrte Zerstreutheit und gelernte Vergesslichkeit, in: Der Fehltritt. Vergehen und Verse-
hen in der Vormoderne, hg. von Peter VON Moos (Norm und Struktur 15), Köln 2001, S. 235-250.
9 Heinz SCHLAFFER, Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewusstseins und der philologi-
schen Erkenntnis, Frankfurt am Main 1990, S. 219.
Monastischer und scholastischer Habitus I 321

Gelehrter an den insgesamt über 2.300 Autoren und 40.000 Werkeditionen ist.*°
Dennoch ist die Relation zwischen der Welt der Klöster und der Schulen alles an-
dere als frei von Konflikten gewesen. Auseinandersetzungen mit den Bettelorden
führen im 13. Jahrhundert zu einer der ersten Bewährungsproben der noch jungen
Universität Paris, und auch schon im Jahrhundert zuvor haben sich die privaten
die in großer Zahl in Paris entstanden, mit den polemischen Attacken vor-
nehmlich von Zisterziensern auseinandersetzen müssen." Dabei ging es um keine
geringere Frage als die nach dem rechten, gottgefälligen Leben.
Bei der Aufarbeitung dieser Auseinandersetzungen ließ sich die moderne His-
toriographie ganz massiv durch die »großen Erzählungen« steuern, mit denen auch
in anderen Zusammenhängen die Frage nach der Relation von Glaube und Wissen
beziehungsweise von religiöser und intellektueller Lebensform unter den Bedin-
gungen der Moderne verhandelt wurde. In einem nächsten Schritt wird deswegen
diejenige Meistererzählung vorgestellt, die für den Blick auf das konfliktreiche Ver-
hältnis zwischen monastischer und scholastischer Kultur am wirkmächtigsten war
(II). Im Anschluss hieran sollen einige Stimmen aus der Frühzeit der scholastischen
Wissenschaft vorgestellt werden, die das Verhältnis der Scholaren zu den Mönchen
bzw. der zu den monastischen Konventen beleuchten (III). In einem letz-
ten Schritt wird schließlich die Frage aufgeworfen, inwieweit über die zahlreichen
personellen Überschneidungen hinweg der monastische Habitus auf den Habitus
der Magister und Scholaren eingewirkt hat, inwiefern also das Mönchtum über die
Herausbildung hochgebildeter Einzelner hinaus auf der Ebene der Weltdeutungen
und der Lebensentwürfe einen Beitrag zur Genese der okzidentalen Wissenschaft
geleistet hat (IV).

Diejenige Meistererzählung, die für diese Zusammenhänge relevant gewesen ist,


wird im Anschluss an Otto Gerhard Oexle allgemein als die »aufgeklärte« Mit-
telalterimagination bezeichnet.^ Sie entstammt dem geistigen Klima der europäi-

10 Repertorium edierter Texte des Mittelalters aus dem Bereich der Philosophie und angrenzender Gebiete,
4 Bde., hg. von Roll ScHÖNBERGER/Andres Quero SÄNCHEZ/Brigitte BERGES u.a., Berlin 2011.
11 Stephen C. FERRUOLO, The Origins of the University. The Schools of Paris and their Critics, 1100-1215,
Stanford 1985.
12 Otto Gerhard OEXLE, Die Gegenwart des Mittelalters (Das mittelalterliche Jahrtausend 1), Berlin 2013.
Vgl. die zugehörigen Arbeiten in Otto Gerhard OEXLE, Die Wirklichkeit und das Wissen. Mittelalterfor-
schung - Historische Kulturwissenschaft - Geschichte und Theorie der historischen Erkenntnis, hg. von
Andrea VON HÜLSEN-EsCH/Bernhard JusSEN/Frank REXROTH, Göttingen 2011, S. 837-980. Weitere
Arbeiten OEXLES genannt bei Frank REXROTH, Das Mittelalter und die Moderne in den Mcistcrerzählun-
322 I Frank Rexroth

sehen Aufklärung und begründet eine Tradition, die die gesamte Moderne bis heute
begleiten sollte. Sie bemisst die Geschichte des Okzidents am Maßstab des Fort-
schritts, der Rationalisierung und der Säkularisierung. Mit dem Christentum, so
diese Meistererzählung, sei am Ende der Antike eine Religion dominant geworden,
die der Ausbreitung vernünftigen Denkens im Weg stand und im weiteren Verlauf
der Geschichte durch wissenschaftliche Durchbrüche und Revolutionen gebändigt
werden musste. Mönche und Mönchtum fungieren in dieser Geschichte allenfalls
als Zwischenspeicher für die vorübergehende Hortung antiken Wissens, im Großen
und Ganzen aber als retardierende Momente, als Personifikationen der geistigen
Selbstzufriedenheit und Trägheit des Christentums. Ihre Schätze hätten ihnen letzt-
lich von heroischen Wahrheitssuchern abgerungen werden müssen.
In ihrer ursprünglichen Form fassen wir diese Erzählung schon früh in dem
Eintrag zum Lemma »Universität«, der 1746 in Zedlers großem Universallexikon
erschien. Die Klöster, so kann man dort lesen, fungierten nach dem Ende der anti-
ken Kultur als Heimstätten der Ar^cy die in den Wirren der nachantiken
Zeit verlorenzugehen drohten, »indem die darinnen lebenden Moenche sich deren
Beybehaltung bestens befliessen.«

»Daher waren in selbigen Zeiten die Kloester auch rechte Werckstaette der
Weißheit, welche Weise, wenn sie so unverletzt waere beybehalten worden,
endlich nicht wuerde zu verwerffen gewesen seyn. Als aber die Geistlichkeit
von ihrer ersten Reinigkeit abzuweichen begunte, sich auf die faule Seiten
legten, und nach weltlicher Herrschaft strebte, da lernte sie auch die Studia
gar aergerlich mißbrauchen und zu einem Nutzen zu machen, mit welchen
sie die Layen, wie sie diejenigen, die ausser ihrem Stand lebten, zu nennen
pflegte, meisterlich bezwingen, und sich ihnen unterwerfen koennte.«

Die Machtbesessenheit des Papsttums habe dazu geführt, dass die Ar2es gegenüber
den herrschafts-relevanten Fertigkeiten vernachlässigt wurden.

»Doch in eben dergleichen verwirrten Zustand liesse der Himmel auch wie-
der einige hellere Zeiten erscheinen, indem er verschiedene Leute erweckte,

gen der historischen Wissenschaften, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 38, 2008, S.
12-31, v.a. S. 13, Anm. 6. Zum Folgenden auch Frank R.EXROTH, Die Universität, in: Die Welt des Mit-
telalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends, hg. von Johannes FRiED/Olaf B. RADER, München 2011, S.
460-472; Frank REXROTH, Die scholastische Wissenschaft in den Meistererzählungen der europäischen
Geschichte, in: Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität,
hg. von Klaus RiDDER/Steffen PATZOLD (Europa im Mittelalter 23), Berlin 2013, S. 111-134.
Monastischer und scholastischer Habitus I 323

die die in denen finstern Kloestern bisher verborgen gelegenen Studia wiede-
rum ans Tageslicht und zu ihrem rechten Gebrauch brachten.«^

Klöster allenfalls als Zwischenspeicher, in denen die Frucht zu verkommen droht -


das ist die Rolle, die dem Mönchtum in dem aufklärerischen Panorama für die Wis-
senschaftsgeschichte Europas zugesprochen wird. Erst vor kurzer Zeit hat Stephen
Greenblatt einen Sachbuch-Bestseller veröffentlicht, der diese klischeehafte Vorstel-
lung auch an heutige und künftige Leser weiterreichtV Denn trotz aller Abschwä-
chungen, die diese Vorstellung unter dem Einfluss der historischen Forschung seit
dem 19. Jahrhundert erfahren hatte, blieb die aufklärerische Praxis weit verbreitet,
die klösterliche und die intellektuelle Kultur Europas nach einer Art Phasenschema
hintereinanderzureihen. Dies galt auch dort, wo man die neue, scholastische Wis-
senschaftskultur seit dem 12. Jahrhundert als Wegbereiterin geistiger Modernisie-
rung ansah. So war es beispielsweise für einen profunden Kenner der Scholastik wie
Joseph Koch im Jahre 1961 äußerst wichtig, in einem Lexikonbeitrag zu betonen,
dass die scholastische Theologie ursprünglich nichts mit den Klöstern zu tun hatte,
auch nicht mit Lanfrancs und Anselms Konvent in Bec. Vielmehr sei sie in städti-
schen Schulen entwickelt worden. »Die Klöster der alten Orden nahmen entweder
an der neuen Theologie keinen Anteil oder lehnten sie ab«, so KochV Er bezog sich
damit auf die folgenreiche, in den 1950er Jahren von Jean Leclercq entwickelte Un-
terscheidung einer »monastischen« von einer »scholastischen« Theologie.^ Gerade
im 12. Jahrhundert, so Koch, habe es in den Konventen der Mönche eine Art von
Beschäftigung mit theologischen Fragen gegeben, die methodisch und im Hinblick
auf ihre typischen, an das klaustrale Leben gebundenen Interessen mehr mit der
Tradition der Patristik als mit der zeitgenössischen Wissenschaft der außerklöster-

13 Universität, in: Zedler's Universal-Lexikon, Bd. 49, Leipzig/Halle 1746, Sp. 1780f.
14 Stephen GREENBLATT, Die Wende. Wie die Renaissance begann, München 2011.
15 Josef KOCH, Scholastik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und
Religionswissenschaft, Bd. 5, Tübingen 1961, Sp. 1494-1498, hier Sp. 1494f.
16 Jean LECLERCQ, L'amour des lettres et le désir de Dieu. Initiation aux auteurs monastiques du Moyen
Age, Paris 1957; KocH, Scholastik (wie Anm. 15), Sp. 1494 f. Zur Rezeption des Konzepts »monasti-
sche Theologie« Alfredo SiMÖN, Teologla monästica. La recepciön y el debate en torno a un concepto
innovador, Teil 1, in: Studia monastica 44, 2002, S. 313-371; Teil 2, in: cbd. 45, 2003, S. 189-233. Eine
zeitgemäße Definition der monastischen Theologie entwickelt diese nicht mehr aus dem Gegensatz zur
Scholastik heraus, vernachlässigt aber andererseits die Beziehung zur Scholastik nicht. Siche etwa Ulrich
KÖPF, Wurzeln reformatorischen Denkens in der monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux, in:
Reformation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus, hg. von Athina LEXUTT/
Volker MANTEY/Volkmar ORTMANN (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 43), Tübingen 2008,
S. 29-56, hier S. 35.
324 I Frank Rexroth

lichen Schulen zu tun hatte.^ Denn neben dieser »monastischen« Theologie sei an
Schulen neuer Art eine neue, »scholastische« Gotteswissenschaft herangereift. Sie
habe auf der Logik als einer Leitdisziplin beruht und sich auf die neue Technik von
Männern wie Petrus Abaelard gestützt, Sachfragen in Sprachfragen umzuformen
und dann mit dem Werkzeug der Dialektik aufzulösen.^
Als eine Abfolge präsentiert etwa auch Kurt Flasch in seiner Gesamtdarstellung
des philosophischen Denkens im Mittelalter die monastische und die scholastische
Kultur: Die vorangehende, monastisch geprägte Zeit, die auf agrarischen Grund-
lagen beruhte, sei durch eine neuere, städtisch und universitär geprägte Zeit, die
mit dem 12. Jahrhundert anbrach, abgelöst worden.^ In seinen wichtigen Beiträgen
zur Bernhard-Forschung und zum Konzept einer »monastischen Theologie« hat
Ulrich Köpf demonstriert, wie stark auch die theologiegeschichtlichen Arbeiten
zu Bernhard von Clairvaux von der Annahme gesteuert wurden, dieser Denker sei
primär als der Gegner des neuen, scholastischen Prinzips anzusehen, als Antipode
der Modernität, die mit der neuen Wissenschaft in die Welt getreten sei. Stets sei
er »im Schatten jener Theologen« stehen geblieben, »deren methodischem Ansatz
die Zukunft gehören sollte und denen er sich vergeblich widersetzt hatte.«^° Köpf
selbst deutet Bernhard in der Tradition Jean Leclercqs, bejaht entschieden dessen
Theorie einer monastischen Theologie, die im Kern mystisch inspiriert ist und aus
der Lebenswelt des heraus verstanden werden muss. Auch dieser Sicht-
weise zufolge stehen sich die Welt der Schulen und die Welt der Klöster gegenüber.
Der entscheidende Unterschied zwischen der neuesten wissenschaftlichen Per-
spektive und den fortschritts-orientierten, aufklärerischen Traditionen der Ge-
schichtsschreibung besteht allerdings darin, dass monastische und scholastische
Intellektualität weder nach einem Perlenschnurmodell in eine Vorher-Nachher-
Relation gebracht noch als Antipoden gegeneinander ausgespielt werden. Gera-
de ihre Interrelation und mithin die Tatsache, dass monastische und scholastische

17 Die größere Prägekraft der diachronen Bezugnahme auf die Patristik statt der synchronen auf die Scho-
lastik betont Ulrich KÖPF, Meister Eckhart und Bernhard von Clairvaux. Zwei Typen mittelalterlicher
Theologie, in: Meister Eckhart aus theologischer Sicht, hg. von Volker LEPPiN/Tlans-Jochen SCHIEWER
(Meister-Eckhart-Jahrbuch 1), Stuttgart 2007, S. 27-41, hier S. 32.
18 Zur Definition Rolf SCHÖNBERGER, Was ist Scholastik? (Philosophie und Religion 2), Elildesheim 1991;
Marcia L. CoLiSH, Remapping Scholasticism (The Etienne Gilson Series 21), Toronto 2000; Heinrich
M. ScHMiDiNGER, Scholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Darmstadt 1992, Sp.
1332-1342; KOCH, Scholastik (wie Anm. 15); Martin GRABMANN, Die Geschichte der scholastischen
Methode, 2 Bde., Freiburg im Breisgau 1909/1911.
19 Kurt FLASCH, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, S. 194.
20 Ulrich KÖPF, Monastische und scholastische Theologie, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der
Moderne, hg. von Dieter R. BAUER/Gotthard FucHS, Innsbruck 1996, S. 96-135, das Zitat S. 103; Ulrich
KÖPF, Bernhard von Clairvaux. Monastische Theologie, in: Theologen des Mittelalters. Eine Einführung,
hg. von Ulrich KÖPF, Darmstadt 2002, S. 79-95.
Monastischer und scholastischer Habitus I 325

Geistigkeit miteinander kommunizieren, wird auf diese Weise als die wissenschafts-
geschichtlich entscheidende Tatsache angesehen. War Leclercqs Lebenswerk im
Grunde noch dem kompensatorischen Gedanken verpflichtet gewesen, dass die
Historiker viel von der Scholastik, aber wenig von der Wissenschaftskultur der
Klöster wüssten und dass es folglich seine Aufgabe sei, das Wissen seiner Zeitgenos-
sen von der Intellektualität der Mönche zu bereichern, so konnte man mittlerweile
diesen kompensatorischen Gedanken hinter sich lassen und eine Kommunikations-
geschichte zwischen Kloster und Schule vorantreiben. Man konnte fortan danach
fragen, inwiefern Scholastik und Monastik sich als Modi des Denkens aus ihrer
Interdependenz heraus verstehen lassen. Die folgenden Ausführungen sind dieser
Frage immer noch verpflichtet.

Achtet man auf die zeitgenössische wechselseitige Wahrnehmung der jungen Pariser
Schulen, dann scheint es auf den ersten Blick durchaus zweifelhaft zu sein, dass sich
monastisches und scholastisches Denken wechselseitig befruchtet haben. Vor allem
durch Stephen Ferruolos wichtige Arbeit von 1985 ist gut aufgearbeitet, wie aggres-
siv-ablehnend gerade Angehörige des jungen Zisterzienserordens auf die neuen, von
recht ungebundenen Magistern geführten vor allem in der französischen
Metropole reagierten. Ihre Abwehrhaltung war während des gesamten 12. Jahr-
hunderts stark ausgeprägt. Ferruolo hat gezeigt, dass die Scholastik-Polemik des
Bernhard von Clairvaux wie auch seiner Ordensbrüder in schwerwiegenden Vor-
behalten gründete, die nicht etwa auf die Besserung einer prinzipiell verdienstvollen
Tätigkeit zielten, sondern die generell gegen den wachsenden Einfluss der neuen
Wissenschaft gerichtet warenA Bernhards Biograph Gottfried von Auxerre, der die
Aktivitäten der Scholastiker aus seiner eigenen Zeit bei Peter Abaelard gut kannte,
wurde nach seiner eigenen Aussage durch eine von Bernhards Pariser Predigten zu
einem neuen Menschen gemacht - er sollte dem groben Prediger <%/? JzA
<%J Mpze/ztMC folgen, nämlich zum Konvent von ClairvauxA
Wenn es sich bei dieser für Gottfried so entscheidenden Predigt tatsächlich um
die Allerheiligenpredigt von 1139 oder 1140 At/ c/erAw t/e handelte,

21 Vgl. FERRUOLO, Origins (wie Anm. 11), S. 48.


22 Bernhard von Clairvaux, Ad clericos de conversione, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg.
von Gerhard WiNKLER, 10 Bde., Innsbruck 1990-1999, hier Bd. 4, S. 127-246. Gottfried von Auxer-
re, Vita prima S. Bernardi, in: Patrologia Latina, hg. von lacques-Paul MiGNE, Bd. 185, Paris 1855, Sp.
302-416, hier Sp. 327.
326 I Frank Rexroth

dann kann man sich ein Bild davon machen, wie massiv Bernhard den Pariser Jüng-
lingen ins Gewissen redete, ihre scholastischen Ambitionen zu begraben: »Flieht
aus der Mitte Babylons, flieht und rettet eure Seelen! Eilt zu den Asylstätten [...]« A
Von den vielfältigen Formen der Kritik, denen sich die Pariser Schulen ausgesetzt
sahen, war die der Zisterzienser die massivste, denn sie beschränkte sich nicht dar-
auf, bestimmte Unzulänglichkeiten zu tadeln, die man aus der Außensicht mit den
Schulen verband: Karrierismus, Selbstgefälligkeit, Eitelkeit oder aber eine übertrie-
bene, nicht mehr kontrollierbare Selbstreferentialität, die man gerade beim Mili-
eu der Logiker vermutete. Vielmehr zielte die Kritik der Zisterzienser darauf, den
Betrieb an den samt und sonders anzugreifen und dessen verderblichen
Erscheinungsformen zu brandmarken. Schon bald wurde Peter Abaelard zu Bern-
hards Zielscheibe: Wie könne dieser Theologe neuer Machart nur den christlichen
Glauben wie eine Meinung behandeln? Damit gebe er ihn doch der Beliebigkeit
preis! Abaelard irre fundamental, wenn er annehme, der Glaube könne durch zwei-
felhafte Meinungen ins Wanken geraten. »Was für uns das Sicherste ist, darüber
schwätzt du mir wie über etwas Ungewisses? [...] Weit von uns gewiesen sei also
der Gedanke, dass der christliche Glaube diese Grenzen haben könnte! Es sind dies
Ansichten der Akademiker, deren Eigenheit es ist, an allem zu zweifeln und nichts
zu wissen«.
Die Schulen zu verlassen und sich dem Klosterleben zuzuwenden, hatte sein
paradigmatisches Vorbild in der Bekehrung des heiligen Benedikt, der nach dem
Bericht im Prolog zum zweiten Buch der »Dialoge« Gregors des Großen mit sei-
nem Besuch der römischen Schulen schon den Fuß auf die Schwelle zur Welt gesetzt
hatte, um sich dann von den Wissenschaften ab- und dem Klosterleben zuzuwen-
den.-5 Von Caesarius von Arles und letztlich auch von Bernhard selbst erzählte man
sich ähnliche Geschichten.^ Ein Bewunderer der Zisterzienser, der Benediktiner

23 Bernhard von Clairvaux, Ad clericos (wie Anm. 22), cap. 37, S. 236 f.
24 AczzJezzzzcorzzzzz szzzt zstzze ^estzzzz^tzozzes, ^zzorzzzzz est Jzz^ztzzz*e Je ozzzzzzTzzzs, sczt*e zzzA7; Bernhard von
Clairvaux, ep. 190, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. von Gerhard WiNKLER, 10 Bde.,
Innsbruck 1990-1999, hier Bd. 3, S. 74-121, hier S. 90f.
25 Gregor der Große, Dialoge, hg. von Umberto MoRiCCA (Fonti per la Storia d'Italia 57), Rom 1924, lib.
II, Prolog, S. 71 k: Qztz /zTzerzorz gezzere ex^rovzzzczTz A%z*sz7z exortzzs, Aozzzzze /zAez*zz/z7?zzs /zttez*zzz*zzzzz stzz Jzzs
frztJzYtts -SYJ Jzzzzz zzz ezt zzzzz/tos z'repet'%7'rzyztzt vz7z'oz*zzzzz cerzzerzt, ezzzzz, ^zzezzz zyzMtz zzz tztgretttzrtt
zzzzzzzJzAoszzerzzt, retztzxzYpeJezzz, zze sz <y%zJ Je scz'ezztzJ ezzzs zzJtzzzgerzt, zpse ^zzo^zzepostzzzoJzzzzz zzz zzz-
zztzzzze^zttzeczpztZMZzz totzzs z'ret. Despectzs z'tzz^zze /z7tez*zzz*zzzzz stzzJzzs, r*e/zctzt Jozzzo re^zzs^zze^trzs, so/zDeo
Aztcere JeszJerztzzt, Mzzct^e cozztzerszozzzs Tzzz^ztzzzzz ^zz^eszzzzY. AecestzY zgzYzzz*sczezztez* zzesczzzs et szz^zzezztez*
zzzJoetzts.

26 Caesarius von Arles, Opera omnia, hg. von Germain MoRiN, Bd. 2: Opera varia, Brügge 1942, S. 299f.
Die Belege zu Bernhards intellektuellen und dichterischen Aktivitäten bei Peter DiNZELBACHER, Bern-
hard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, Darmstadt 1998, S. 8-11.
Monastischer und scholastischer Habitus I 327

Peter von Celles, klagte 1164 in einem Brief an Johann von Salisbury: »Ach, Paris,
wie sehr bist du dazu angetan, die Seelen gefangen zu nehmen und zu täuschen!
Du enthältst Netze aus Lastern, Fallstricke des Bösen, in dir durchbohrt der Höl-
lenpfeil die Herzen von Toren [...] Ach, glückliche Schule, in der Christus [selbst]
unsere Herzen mit dem Wort seiner wunderbaren Kraft belehrt [...]«V Der 1172
gestorbene Gilbert Hoyland, Abt des Zisterzienserklosters Swineshead, kritisierte
in einem Brief die Selbstbezüglichkeit des neuen Ar7cs-Betriebs und behauptete,
dass die Ar^cj nur dann eine gute Sache seien, wenn sie tt J eZ:
jtwcDortt ef wttgzj praktiziert würden.^
Hinter diesen Klagen stand auch die Erfahrung, dass das aufregende freie Leben
der Scholaren auf die Mönchskonvente Einfluss auszuüben begann und in diesen zu
Verhaltensänderungen führte. So bat ein Konventuale aus Sankt Viktor in Marseille
seinen Abt in den 1120er Jahren inständig, an den Rechtsschulen Pavias studieren zu
dürfen. Ein unfreiwilliger Aufenthalt auf einer Romreise hatte ihn mit dem bunten
Treiben der Italiener und Provencalen in dieser Stadt bekannt gemacht, sein Lebens-
plan scheint sich darüber verändert zu habend Der wahrscheinlich nach 1174 gestor-
bene Zisterzienser Isaak von Stella lässt in einer seiner Predigten durchblicken, wie
sehr es mittlerweile auch den Novizen darauf ankam, ihre Lehrer im Klaustrum in
der Manier der Scholastiker geistig brillieren zu sehen. Isaak, der offenbar selbst eine
entsprechende Bildung erfahren hatte, trug die Techniken der neuen Wissenschaft
in seinen Konvent hinein - und machte sich dann Vorwürfe, dass er die
seiner Schüler so sehr gereizt habe. Schließlich verlegte er sich auf die Darstellung
des Evidenten und Einfachen, was ihm bei seinen Schülern den Ruf eines Lehrers im
Niedergang einbrachte, eines magistralen LangeweilersV Bekannt ist auch das satiri-
sche Gedicht vom Esel Brunello, der nach Paris zog, weil er einen längeren Schwanz
haben wollte - eine Persiflage auf den Religiösen, der die klaustrale Arbeitspflicht
leid war und sich deshalb nach Dingen sehnte, die nicht in seiner Natur lagenA

27 Chartularium Universitatis Parisiensis, hg. von Heinrich DENiFLE/Emile CHÂTELAIN, Bd. 1, Paris 1889,
S. 24, Nr. 22: O Pzzrzszzts, <yzM77? zJoTzez: es % J cupzezttDs et t/eczpzeTtzzs <%72 27?2%t/ /?? te retMezzD fztzoTTiTT?,
27? te 772 Vo?*%772 t/eCZpMÄz, 27? te S%gz'tt% 27?/e7*7?2 t7*%72sj?gz't Z7?SZpZe7?t22t77? COttA

28 Gilbert von Hoyland, Epistola 2, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd. 184, Paris
1854, Sp. 291-293, hier Sp. 291: TVoz? zynoJ ego zzrtzMTT? eT^ziJztzoT?? Jerogo, et /zAern/zzzTT? JoctrzTZ^rzz???
J7?*0772j72%e 77?e77?07*Me, etperspz'cMne zTzte/ZzgetztMe, zz? ^ziz/zzzs scze7?tMe coTzszstzt ZTZtegrztzzs. ßozzzz e7?277?
ZZ7T2M 772 7?0t2tM, Se J S2 <y%2S eZS /eg2tZ772e Mt%tM7*, 2 J CSt tz27?^Mz277? gfzuA ^22oJz?77? et veStZgZO, 72072 ^220 Stet227* et
ZTZ^erezztMr, set/ <y%o Mtez? JzzTT? sz't % J sMperzor?? ^Kzzez/z:??? et M72ctz'on? et Tizzzgzs ?7?tz77?z? z?rcz?7?z2 sz?j7ze7?tMe,
zz? reco7?&tos et tMzzves reeesszzs, et 27? zps?277? /zzcezT? zTzzzecessz^zVeTT?, ^zzz?77? Z7?^z?^2tz?t Dezis.
29 Jean DuFOUR/Gérard GiORDANENGO/André GouRON, L'attrait des < Leges >. Note sur la lettre d'un
moine victorin (vers 1124/1127), in: Studia et Documenta Historiae et Iuris 45, 1979, S. 504-529.
30 Isaak von Stella, Sermo 48, in: Ders., Predigten, hg. von Wolfgang Gottfried BuCHMÜLLER/Bernhard Ko-
HOUT-BERGHAMMER, Bd. 3 (Fontes Christiani 52,3), Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2013, S. 768-779.
31 Nigello di Longchamps, Speculum stultorum, hg. von Francesca ALBiNi, Genua 2003.
328 I Frank Rexroth

IV

Angesichts dieser Differenzbehauptungen geht man eher eingeschüchtert auf die


Suche nach positiven Beziehungen und Einflüssen, die die monastischen und die
scholastischen Theologien miteinander verbinden sollen, zumal dann, wenn es nicht
um inhaltliche Berührungspunkte zwischen Theologen aus solchen verschiedenen
Ambientes geht, sondern um die Monastik und die Scholastik als distinkte Lebens-
formen. Genau diese Frage aber, die Frage nach der lebensweltlichen Logik der
jeweiligen Verhaltensweisen haben Leclercq und die ihm folgenden Forscher ih-
ren Studien gewidmet und sie hätte wahrscheinlich auch den frühen Scholastikern
eingeleuchtet. Denn diese definierten ihre Tätigkeit nicht primär inhaltlich oder
methodisch, sondern sie erachteten sie explizit als einen spezifischen mo twe??-
Jz oder gar eine vzAze rc/zgzo, wie Abaelard es nannte: Die Alten, so betont Petrus,
hätten an den Weisen, das heißt den Philosophen, weniger das Wissen, sondern
eher die Lebensführung gelobt.^ Sein Schüler Johann von Salisbury meinte, die
Philosophie lehre zuallererst zu leben: Unverfälscht, »authentisch« zu leben, sei
am Philosophieren das Beste, denn was nütze die wohl gefügte Sprache für sich
genommen? Nichts!^
Auch im Hinblick auf die Lebensformen mögen aber zunächst trennende Momen-
te ins Auge stechen. Mit Heinrich Fichtenau kann man beispielsweise auf die ideal-
typisch monastischen und scholastischen Arten des Lesens verweisen, oder, damit in
enger Verbindung stehend, auf die Unterscheidung der klösterlichen Kontemplation
und derjenigen Gedankenübung, die an den Schulen praktiziert wurde und die schon
Petrus Comestor als Leitdifferenz zur Unterscheidung zweier Kulturen diente: Es
gebe Menschen, deren Kontemplation in der /ectzo bestehe, die nenne man iUzoTzrey
und andere, deren Kontemplation im Gebet bestehe, und das seien die cTzzz^nz/esA

32 Peter Abaelard, Historia calamitatum, in: Abaelards >Historia calamitaturm. Text - Übersetzung - lite-
raturwissenschaftliche Modellanalysen, hg. von Dag Nikolaus HASSE, Berlin/New York 2002, S. 1-101,
hier S. 32. Hoc z't%^%e Foco cztw Jzcz'tM?*.' moz/o zyMotüm üztAzA/t's Htzze <%/z'z't^?*<%ett<%?*e HJeHzzzfMr
etc.< [Aug. De civ. VIII, 2], zierte woMstmtztr M^z'etztet gezttz'ztw, z'J est^Moso^ot, ex A -Htzte^otztts
scz'ezztz'zte sz'c esse MowzTMtos.
33 John of Salisbury, Entheticus Maior and Minor, hg. von Jan VAN LAARHOVEN, 3 Bde. (Studien und
Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 17), Leiden/New York/Kopenhagen 1987, hier Bd. 1, S. 187,
V. 1249ff.: ^zt^wuz's /z'zzgzt^zzz com^otMt et %ct%s, / vzTere^rztecz^zte P^z7oso^/?z7t z7ocet. /
VzTere smcere^ztrs o^tz'zzz^^Az7oso^7z^tzz7z est, / ;?%<% sz'zte ^zzz'J^roJest /z'ztgzt^ z7z'sert<%? zzzTzz/.
34 Petrus Comestor, Sermo 9 (In purihcatione beatae virginis), in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul
MiGNE, Bd. 198, Paris 1855, Sp. 1743-1748, hier Sp. 1747: STzzze, sz'czzt szzzzt <7tto mwz coMtew^ü^ozzzs,
/ectz'o, scz7z'cet, et omtz'o, z'zz ^ztzTzzts tot<% T7?et7z't<%tz'o cozztew^üzztz's versetzt?*.' z't% szzzzt zyttz omtz'oMZ wzzgz's
o^entw cCtztes /ectz'owz wzTzzts zTzsz'stMtzt, et A szzzzt cÜMStrzz/es. S'zzzzt z:/z'z' zyttt' /ectz'oztz z'Mvz'gz'ÜMt, mrz'zzs
omzttes, et A sztzzt scAoüres. Vgl. Heinrich FiCHTENAu, Monastisches und scholastisches Lesen, in: Herr-
schaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Friedrich Prinz zu seinem
Monastischer und scholastischer Habitus I 329

Nicht kompatibel mit monastischen Vorstellungen von Geistigkeit war auch die
scholastische Praxis des Studienort- und Fächerwechsels. Johann von Salisbury er-
achtete es beispielsweise für ganz richtig, wenn Scholaren durch Lehrer- und Orts-
wechsel einen ganzen CMrsMJ nicht nur von Materien, sondern auch von Herange-
hensweisen, Schwerpunktsetzungen und Standpunkten kennenlerntenV
Was die scholastische und die monastische Lebensform aber doch miteinander
gemein hatten, war mit deren jeweiligen Relation zu ihrer Außenwelt verbunden.
Dies gilt etwa für das Ausschließlichkeitspostulat, das mit der Profess und dem
Philosophenleben gleichermaßen verbunden war: Der Welt sterben zu wollen oder
im Sinn der antiken Philosophen lediglich ^ zu leben, führte zu ähnli-
chen Techniken der mentalen Abschottung gegenüber der Umwelt. Auch gehörte
es gleichermaßen zum Habitus von Dialektikern und Mönchen, die Sinneserfahrun-
gen und die Meinungen der Menschen zu verachten, sie - in den Worten Peter von
Moos' - anzusehen »als die trügerischsten und vulgärsten Erkenntnisformen, die
sowohl der fromme Mönch wie der rationalistische Philosoph um jeden Preis über-
winden soll« A Wie für das Mönchtum, wurde auch für die Wissenschaft
zum Schlüsselbegriff - für die einen meinte er die Zucht, die in der
bestand, für die anderen den Wissensraum, den die Regeln, Kerngegenstände und
Referenztexte einer bildeten.^ Beide Daseinsformen wollten unter Entbehrun-

65. Geburtstag, hg. von Georg JENAL/Stephanie HAARLÄNDER, Stuttgart 1993, S. 317-337, S. 331. Von
FiCHTENAU ist auch die Übersetzung entnommen.
35 John of Salisbury, Metalogicon, hg. von John Barrie HALL (Corpus Christianorum, Continuatio Me-
diaevalis 98), Turnhout 1991, lib. II, cap. 10, S. 70-73.

Gert MELVILLE, Bd. 3: Öffentliches und Privates, Gemeinsames und Eigenes, Münster 2007, S. 395-458,
S. 411 f. Die Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie wird hieran freilich manches ändern.
37 Otto MAUCH, Der lateinische Begriff >disciplina<. Eine Wortuntersuchung, Fribourg 1941; Gabriel JÜSSEN/
Gangolf ScHRiMPF, Disciplina, doctrina, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Darmstadt
1972, Sp. 256-261; Wendelin KNOCH, Disciplina, I.: In der scholastischen und monastischen Tradition,
in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München/Zürich 1986, Sp. 1106-1108; Charles du Fresne Du CANGE,
Glossarium mediae et infimae latinitatis, Bd. 3, Neuausgabe Niort 1883-1887, Sp. 130a: *Dz'scip/z7M, J
moiMcAos, est AzgeAztzo, z'nterJzzw twgzte zpszze, ^ztz'^zts J?zzge/Lzztzzr.« Olga WEijERS, üappellation des
disciplines dans les classifications des sciences aux XIU et XIIU siècles, in: Knowledge and Science in
Medieval Philosophy. Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Philosophy, hg. von
Simo KNUUTTiLA/Reijo TyÖRiNOjA/Sten EßBESEN, Helsinki 1990, S. 113-115. Dominicus Gundissa-
linus, De divisione philosophiae, hg. von Alexander FiDORA/Dorothée WERNER (Herders Bibliothek
der Philosophie des Mittelalters 11), Freiburg/Basel/Wien 2007, S. 110: D/hczpÖM fero Jz'cz'tzzr rey?ert%
Jzscz^rJz, z?%z<% Jz'scz'tztr. Zur Unterscheidung der Disziplinen anhand ihrer jeweils geltenden Regeln Alain
von Lille, Regulae theologiae. Regeln der Theologie. Lateinische - Deutsch, hg. von Andreas NiEDER-
BERGER/Miriam PAHLSMEiER, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2009, S. 48: Ozzzzzzs sczezztz'zz tztzs zzztz'tzzr
regzJz't veAt^rcyrz'z's et, Mt Je grzzwzztz'czz tzzcezzwzzs ^zzzze totzz est z'zz ^OTTtzMztm Azze^Azcztzs et
fo/%7?t%te et Je ezzts regzJz's zyztzte szzzzt z'zz soAz Aowz'zzzzw^osz'tz'ozze, cetere sez'ezztMe^ro^rMS AAezzt regzz/zzs
zy%z'A%t MztztMtzzr et ^ztzzsz ^ztz'AztsJzzw eertz's terwz'nz's c/zzzzJzmtzzr [...]. Es folgt ein Durchgang durch die
Wissenschaften und eine Erörterung, wie in ihnen jene spezifischen regztAze bezeichnet werden.
330 I Frank Rexroth

gen erlernt werden, wobei der Rute bei den Mönchen eine reale Bedeutung zukam,
wogegen sie in der Wissenschaft immerhin noch als Symbol für die Lehrsituation
präsent war. Vollmönche, im Unterschied zu den häufig leseunkundigen Konver-
sen, wurden in den von Fruttuaria auch genannt - sie waren
auch insofern »vollständige« Mönche, als sie sich in der Vergangenheit der Disziplin
des klösterlichen Unterrichts unterworfen hatten.^ Demut und äußere Einfachheit
wurden gerade von den philosophisch-theologisch gelehrten Scholastikern ange-
sichts der Karriereträchtigkeit anderer Studiengebiete programmatisch gefordert,
äußerliche Unansehnlichkeit konnte zum Symbol der Geistigkeit werden, die sich
in Weitabgewandtheit erfüllte. Traurig und bleich kamen die zeitgenössischen Scho-
laren dem Chronisten Wilhelm von Malmesbury vorV
Ähnlichkeiten dieser Art kann man unter dem Schlagwort zusammenfassen, das
Ernst Kantorowicz mit dem Titel seiner Studie »Die Wiederkehr gelehrter Anacho-
rese im Mittelalter« prägted° Dieser Begriff leitet endgültig zum Ausgangsthema
der Tagung zurück, nämlich zu der Frage, was die Monastik der Scholastik mit auf
den Weg gegeben hat. Das Besondere am Konzept der gelehrten Anachorese, wie
Kantorowicz es vornehmlich anhand Abaelards und dann der Humanisten rekon-
struierte, ist, dass sie nicht durch die Flucht vor den Menschen in die Einsamkeit
geschaffen wird, sondern durch eine Art der Einsamkeit unter den Menschen. In-
tellektuelle und religiöse Motive der Weltflucht flössen dabei ineinander. In der Tat
teilte Abaelard ja seinem ungenannten Adressaten in der c<%A%7?7A<%fM772 sehr
deutlich mit, dass ihm angesichts seiner Misere nicht nur die antiken Philosophen,
sondern auch die großen Vorbilder des Mönchtums vor Augen standen, als er sich
mit seinen Schülern in die Einöde zum Philosophieren zurückzog. »Was heutzutage
bei uns die Mönche - jedenfalls diejenigen, die diese Bezeichnung verdienen - aus
Liebe zu Gott auf sich nehmen, das taten bei den Heiden die besten Philosophen
im Verlangen nach Philosophie.«"** In den Konvent von St.-Denis trat Abaelard nur

38 Consuetudines Fructuarienses-Sanblasianae, hg. von Luchesius G. SpÄTLiNG/Petrus DiNTER, Bd. 1


(Corpus Consuetudinum Monasticarum 12, 1-2), S. 76, Nr. 87, Z. 21. Vgl. Maria LAHAYE-GEUSEN, Das
Opfer der Kinder. Ein Beitrag zur Liturgie- und Sozialgeschichtc des Mönchtums im hohen Mittelalter
(Münsteraner theologische Abhandlungen 13), Altenberge 1991, S. !13f.
39 William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, hg. von Roger Aubrey Baskcrvillc MYNORS/Rodney
Malcolm THOMSON/Michael WiNTERBOTTOM, Bd. 1, Oxford 1998, S. 524-527: [...] m tzzMto MMMzero
Jz'sceMtzzzMZ, ZM tzzzM trz'stzyV/ore /zzczz^MMtz'zzzM, zzz'x sczeMtzüe DzzAm re/erzzt [---]-
40 Ernst Hartwig KANTOROWICZ, Die Wiederkehr gelehrter Anachorese im Mittelalter, in: DERS., Selected
Studies, New York 1965, S. 339-351.
41 Peter Abaelard, Historia calamitatum (wie Anm. 32), S. 30 f. (dort auch die deutsche Übersetzung): QzzoJ
MZZMC z'gz'tzzr MOS MMIOTC DH SZZStZMeMt, <yzzz TMOMzZcAz JzCZZMtZZr, Asz'Arz'o^AzYosO^Me, z?MZ
Mo^t'/es ZM geMtz'^zzs exstzterzzMtpAz'/osopAz.
Monastischer und scholastischer Habitus I 331

aus Scham ein,^ doch die gelehrte Form der Weltabgeschiedenheit, der Habitus des
Philosophen, wirkte bei ihm wie ein Lebensentwurf, der sich folgerichtig aus seinen
Begabungen wie Schwächen ergab. Wie man am Ende seines Wegs beide Existenz-
formen miteinander zu vereinen vermochte, ist das Thema des gesamten Briefwech-
sels mit Heloise. Über die ideale Schule nachzudenken, konnte fortan heißen, einen
quasi-klaustralen, weitabgewandten und dennoch schönen und überdies ganz auf
die Ermöglichung von wemorM hin konstruierten Raum zu imaginieren - ohne
Geschrei, Hundegebell oder FrauenbesuchT
Es ist nur folgerichtig, dass Abaelards FFA^orAz mit dem Rekurs
auf Philosophen- und Mönchsleben zugleich so entschieden die Frage nach der
Sexualität des Gelehrten, nach Ehe, Lebensgemeinschaft oder Ehelosigkeit aufwirft.
Wiederaufgenommen wurde damit eine diskursive Tradition der literarisch-rheto-
rischen von der Ehe, die der Aristoteles-Schüler Theophrast begründet
hatte - man kannte sie, da sie Eingang in die Hieronymus-Schrift Fow-
?n<%?2%7?2 gefunden hattet Von der an sollten ihre Fragen die
Wissenschaften begleiten: Sollte der Gelehrte heiraten und ein Familienleben führen
oder nicht? Die meisten Denker, die sich wie Walter Map oder Peter von Blois im
literarischen Genre damit beschäftigten, rieten davon ab, doch die Rezeption der
durchaus ehefreundlichen aristotelischen Ehelehre brachte für die Scholastik Ver-
unsicherungen mit sich, und Denker wie Siger von Brabant oder Bartholomaeus
von Brügge mussten sich Mühe geben, das zölibatäre Ideal ihrer Zeit gegen den
Stagiriten zu verteidigen.^ Der Topos vom verzweifelt um Konzentration bemüh-
ten Mann, der sich zwischen Kindergeschrei, lärmendem Hauspersonal und dem
Geruch von Windeln zurechtftnden mussü sollte auch künftig verwendet werden,

42 Peter Abaelard, Historia calamitatum (wie Anm. 32), S. 40 f.: wze COM-
Aüo, Jcuoüo ctwuerMoms %J moTMSücorMT?? cA%srrorM7?7
43 Boncompagno da Signa, Rhetorica novissima, hg. von Augusto GAUDENZi, in: Scripta anecdota antiquis-
simorum glossatorum, Bd. 2 (Bibliotheca iuridica rnedii aevi 2), Bologna 1892, S. 249-297, hier S. 279
unter dem Titel ccwstrM JomMS sFoAsüce
44 Detlef RoTH, >An uxor ducendav Zur Geschichte eines Topos von der Antike bis zur Frühen Neuzeit, in:
Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen, hg. von Rüdiger SCHNELL, Tübingen 1998, S. 171-232;
Pavel BLAZEK, Die mittelalterliche Rezeption der aristotelischen Philosophie der Ehe (Studies in Medie-
val and Reformation Traditions 117), Leiden/Boston 2007, S. 177-187.
45 Dazu die Studie von BLAZEK, Rezeption (wie Anm. 44).
46 Peter Abaelard, Historia calamitatum (wie Anm. 32), S. 26-35.
332 I Frank Rexroth

von Humanisten wie Thomas Morus^ und, über sie hinaus^ und in neuer Gestalt,
bis in die Gelehrtenhaushalte des 19. und 20. Jahrhunderts.^
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich die ehelose Lebensform vor allem der
Artisten- und der Theologenprofessoren gänzlich aus deren Zugehörigkeit zum
Klerus herleiten lasse. Einzuwenden ist gegen diese Sicht, dass die Lebensentwürfe
der Gelehrten wenig zu tun hatten mit den kultischen Reinheitsvorstellungen, die
dem Zölibat der Priester zugrunde lagenA Die gelehrte Enthaltsamkeits-Semantik
schöpfte stattdessen aus monastischen Vorbildern und formte diese zum Ideal der
freien Philosophenexistenz um, wie Alain de Libera gezeigt hatA Sie überdauerte
auch die Säkularisierungstendenzen kommender Jahrhunderte, und so wirkte sie
in der Neuzeit und der Moderne auch dann noch nach, als Professoren und andere
Gelehrte schließlich doch zumeist heirateten. Es wäre reizvoll, den modernen Kult
des gelehrten Studierzimmers, der männlichen Abgeschiedenheit inmitten der bür-
gerlichen Familienexistenz, genauer darauf zu befragen, was er dem monastischen
Vorbild schuldet.^
Deshalb sollen diese Überlegungen mit einem Blick in die Korrespondenz des
1837 geborenen britischen Historikers John Richard Green geschlossen werden.
Dieser schrieb als junger und noch unverheirateter Mann in einem Brief von 1859,
er wünsche sich für die Zukunft eine Lebensgefährtin, »who will never invade my

47 Siehe Mores Brief an seinen Freund Peter Giles, der den ersten Ausgaben der vorangestellt war;
Thomas Morus, Complete Works, Bd. 4: Utopia, hg. von Edward SuRTZ/Jack H. HEXTER, New Haven/
London 1965, S. 38-41. Vgl. aber schon viel früher die Sigers von Brabant, 7?7<%-
gis türgzTM/M co?HMgVzs; ediert bei Friedrich STEGMÜLLER, Neugefundene
Quaestionen des Siger von Brabant, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 3, 1931, S. 158-
182, dort S. 175 (= Quaestio moralis 4). Stimmen der Forschung: Gadi ALGAZi, >Habitus<, >familia< und
>forma vitae<. Die Lebensweisen mittelalterlicher Gelehrter in muslimischen, jüdischen und christlichen
Gemeinden - vergleichend betrachtet, in: Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittel-
alter, hg. von Frank REXROTH (Vorträge und Forschungen 73), Ostfildern 2010, S. 185-218; Wolfgang
Eric WAGNER, Verheiratete Magister und Scholaren an der spätmittelalterlichen Universität, in: ebd.,
S. 71-100.
48 So z.B. Gottfried BÖTTNER, Dissertatio historico-moralis De malis eruditorum uxoribus, vulgo Von
den bösen Weibern der Gelehrten, Leipzig 1705. Marian FÜSSEL, Die zwei Körper des Professors. Zur
Geschichte des akademischen Habitus in der Frühen Neuzeit, in: Universalität in der Provinz. Die vor-
moderne Landesuniversität Gießen zwischen korporativer Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und
gelehrten Lebenswelten, hg. von Horst CARL/Friedrich LENGER, Darmstadt 2009, S. 209-232, dort
weitere Literatur bis ca. 2008.
49 Lorraine DASTON, Die wissenschaftliche Persona. Arbeit und Berufung, in: Zwischen Vorderbühne und
Hinterbühne. Beiträge zum Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Wissenschaft vom 17. Jahrhun-
dert bis zur Gegenwart, hg. von Theresa WoBBE, Bielefeld 2003, S. 109-136; Heinrich KLENZ, Gelehr-
tenkuriositäten, Teil 2: Kakogamen, in: Zeitschrift für Bücherfreunde. Neue Folge 5, 1913, S. 86-93.
50 Pier Franco BEATRiCE/Jack DoMiTiAN/Peter GERLiTZ u. a., Keuschheit, in: Theologische Realenzyklo-
pädie, Bd. 18, Berlin/New York 1989, S. 113-134.

52 Frank REXROTH, Die Universität der Freiraum! Ein Blick zurück auf die Autonomie der mittelal-
terlichen Wissenschaft, in: Georgia Augusta 7, 2010, S. 15-21.
Monastischer und scholastischer Habitus I 333

study or pop in on my musings with some vapid suggestion to visit the Blinks's [...]
Some one who can decipher my horrible scrawl and copy my manuscripts for the
printer.« Green heiratete erst 40jährig. Seine Frau sollte sein Werk nach seinem Tod
weiterschreiben.53

53 John Richard Green, Letters, hg. von Leslie STEPHEN, London 1901, S. 31.
Deuten und Gestatten
innovation aus Verantwortung
Kloster und Welt im Mittelalter^

Gerf

Mittelalterliche Klöster lassen sich heute immer noch europaweit in Gestalt ihrer
imposanten Kirchen- und Konventsgebäude bewundern. Man denke nur an Mont-
Saint-Michel, an die Kartause von Pavia, an die Zisterze von Eberbach oder an die
Mahnmale einst gegen sie gerichteter Zerstörungslust, wie Cluny, Fountains oder
Hirsau. Perlen der Baukunst allesamt und Ausdruck eines den Kontinent über-
spannenden Netzwerkes, das sich durch keine regionalen Grenzen behindern ließ!
Und immer wieder nimmt man erstaunt zur Kenntnis, welch große Fertigkeiten
Klosterleute in der Medizin, in der Agrikultur und in der Technik hatten - sei es in
der Anfertigung von Büchern, sei es in der Hydraulik und der Windenergie oder sei
es sogar in einer Vision von Aeronautik, wie es uns der Franziskaner Roger Bacon
im 13. Jahrhundert vorführte.
Solche Feistungen können geschätzt und zugleich belächelt werden - geschätzt,
weil sie die Wunderkammern unserer Kultur bereichern, und belächelt deshalb, weil
sie natürlich im Vergleich zu späteren Zeiten und gar zu heute als gering und längst
überholt erscheinen. Gleichwohl bleiben solche Feststellungen an der Oberfläche,
sie erzielen allenfalls gefällige Aufmerksamkeit für eine der großen Erbschaften un-
serer Kultur. Sie übersteigen nicht die Aussagekraft von all den hübschen Bildbän-
den zur mittelalterlichen Weh der Klöster, deren Ästhetik staunen lässt, die aber
weder aufzudecken vermögen, worin der kulturelle Beitrag der Klöster tatsächlich
bestand und wie weit er reichte, noch Erklärungen liefern können für die Gründe
der einstigen klösterlichen Wirkungskraft.

1 Die Vortragsfassung wurde beibehalten. Belegt wurden nur direkte Bezugnahmen auf Quellen und Li-
teratur. Weiterführende Aufschlüsse im Einzelnen ermöglichen meine Abhandlung Im Spannungsfeld von
religiösem Eifer und methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster, in: Denk-
ströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 7, 2011, S. 72-92, auf die hier auch partiell
zurückgegriffen wurde, sowie meine Monographie Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und
Lebensformen, München 2012.
338 I Gert Melville

Was man nämlich nicht auf den ersten Blick zur Kenntnis nehmen kann, ist
die Tatsache, dass die Klöster und Orden des Mittelalters - insbesondere seit dem
11. Jahrhundert - die europäischen Vorstellungen von Gemeinschaftsbildung und
Individualisierung, den Umgang mit Rationalität, Recht und Organisationseffizienz
und die Orientierung an Letztbegründungen ganz wesentlich auf innovative Weise
geprägt haben - dass sie, wie wir meinen, hierin regelrechte »Innovationslabore«
mit Wirkung sogar bis in die moderne säkulare Welt waren.
Sie lehrten Europa die Rationalität der Planung und der geregelten Verfahrensab-
läufe, des Umgangs mit Eigentum und Besitzlosigkeit ebenso wie die Rationalität
der Arbeitsteilung, der Güterzuweisung und der ökonomischen Betriebseffizienz.
Sie erprobten erfolgreich die rationale Gestaltung von Gemeinschaftsordnungen
und eröffneten dadurch der europäischen Gesellschaft den Weg zu neuen Kon-
struktionen von moderner Staatlichkeit - und sie begannen damit lange vor den
Städten, vor den Landesfürsten und auch vor dem Klerus der Amtskirche und der
Römischen Kurie. Doch mehr noch: Sie testeten zugleich die Grenzen der rationa-
len Erkenntnis durch die Methode der scholastischen Dialektik aus und sprengten
sie auf durch die individuellen Erfahrungen der Mystik. Sie lehrten den Menschen
unter dem Leitgedanken der des Friedens und der Gerechtigkeit eine ver-
innerlichte Ethik der Lebensführung und vermittelten ihnen damit ein entschei-
dendes Orientierungswissen im Umgang mit dem eigenen individuellen Selbst und
mit dem Nächsten; sie deuteten ihnen programmatisch die Natur, das Leben sowie
das Jenseits. Sie wiesen die Grenzen des Menschen im Angesicht der unverfügbaren
Transzendenz Gottes auf und lehrten ihm Demut.
Doch in diesen Bereich vorzudringen, kann nur gelingen, wenn man vor dem
Hintergrund der mittelalterlichen Annahmen über Gott und Mensch, über Indi-
vidualität und Gemeinschaft, über Glaube und Vernunft bis zum Kern der klös-
terlichen Lebensweise vordringt. Dort wird man auf eine faszinierende Welt des
Ringens um Wahrheit, um Verstehen des Irdischen und Göttlichen stoßen - schlicht
auf die Suche nach konsequenter Bewältigung des Daseins um des Jenseits willen.
Dorthin möchte ich Sie nun kurz entführen - und Ihnen dabei ein wenig die
Leitlinien unseres Forschungsprojektes vorstellen. Der Weg wird allerdings ver-
schlungener sein als der Spaziergang durch eine Wunderkammer. Er wird zunächst
etwas tiefer in die mittelalterliche Struktur von klösterlicher Religiosität als grund-
legender Handlungsnorm hineinführen müssen, um die einstigen Motive, die Ob-
sessionen und Sehnsüchte des im Kloster handelnden Menschen besser verstehen zu
können. Denn gerade aus ihnen entwickelte sich die Fähigkeit zu jenen angespro-
chenen innovativen Leistungen.
Die Immanenz weltlichen Daseins strikt aus dem Begreifen von Transzendenz
auf Gott zu bestimmen, auf einen Gott, der über die Welt unverfügbar herrschte -
Innovation aus Verantwortung I 339

dies dürfte eine genuine Leistung des Mittelalters gewesen sein. Religiosität war im
Mittelalter also kein Phänomen, das sich innerhalb eines pluralistischen Angebots
durch Ausschluss von anderen identitätsstiftenden Merkmalen gewinnen ließ. Der
christliche Glaube war die Grundlage der Kultur, er war in allen Bereichen des Le-
bens - im Alltag, in der Politik, im Recht, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und
Kunst - als Maßstab und Letztbegründung präsent. Wer etwa konnte im Mittelal-
ter die Anerkennung der Gottesherrschaft über die Welt nicht zum wesentlichen
Bestandteil seiner Identität rechnen? Weder der Laie, noch der Kleriker, weder der
Heilige, noch der Frevler, noch der Häretiker.
Mönchen oder Nonnen wurde indes mehr abverlangt, als nur den Geboten Got-
tes zu folgen. Sie hatten im Verlangen nach Heiligung ihrer Seele den Abschied von
der äußeren Welt in Kauf genommen und sich unter Verzicht auf eigene Willkür-
lichkeit gehorsam den strikten Regeln eines gemeinschaftlichen Lebens im Kloster
unterworfen. Sinn hatte dies nur geboten, weil dort - entfernt von irdischer Un-
beständigkeit und eingebettet in den Gleichklang einer strikt organisierten Ord-
nung - besser als irgendwo anders das Entscheidende gewährleistet war: nämlich
Gottes Transzendenz nicht nur zu begreifen, sondern diese sich seiner individuellen
Seele immanent zu machen, indem man - wie es hieß - Gott durch die Tugend der
Liebe und des Gehorsams eine Wohnstätte in der eigenen Seele zu geben suchte.
Diese erstrebte Vereinigung war der Kern klösterlicher Religiosität. Aus ihm lässt
sich alles Weitere erklären. Möglich werden konnte er nur im abgegrenzten Raum
einer klösterlichen Sonderwelt, virulent jedoch wurde er für die gesamte Welt der
Christenheit.
»Eintretend in ein Kloster gibt er Haut für Haut und alles, was er hat, seiner See-
le, während er ablegt den alten Menschen und annimmt den neuen - hineinschrei-
tend in eine neue Form des Lebens.«^ Mit diesen Worten hatte im 12. Jahrhundert
Petrus, Abt von Moütier-la-Celle, deutlich die Grenze zwischen Welt und Kloster
gezogen. Sie individuell zu überschreiten, verlangte eine irreversible und »gänzliche
Konversion des Herzen zu Gott«d Wenn an die Bereitschaft zur Duldsamkeit, zum
Fasten und Fleischverzicht, zum Schweigen, das kommunikativ wurde nur durch
eine stille Zeichensprache, sowie an die Bereitschaft zur Kontemplation und zu
Nachtwachen appelliert wurde, wenn Stolz und Hochmut als höchste
Laster, Demut hingegen als diejenige Haltung, die zu vollendeter Tu-
gend führe, bezeichnet wurden, dann waren Grundforderungen jenes neuen Le-

2 Pierre de Celle, L'école du cloître, hg. von Gérard DE MARTEL (Sources chrétiennes 240/Séric des textes
monastiques d'Occident 47), Paris 1977, S. 192, 194.
3 Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae (12. Jahrhundert), in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul
MiGNE, Bd. 184, Paris 1854, Sp.1185-1190, hier Sp. 1187.
340 I Gert Melville

bensraums und neuen Lebensverhaltens Umrissen, die eben nur durch diese Kon-
version erreicht werden konnten.
Religiöse Gemeinschaften beanspruchten, die Enthobenheit von der irdischen
Wechselhaftigkeit gewährleisten zu können, indem sie dies auch symbolisch zum
Ausdruck brachten: Wenn Frauen und Männer des Mittelalters sich im Kloster ei-
nem Tagesrhythmus des immer Gleichen unterwarfen und in steter Wiederholung
tägliche Folgen von Gottesdiensten und Gebeten, von Schlafen und Wachen, von
Arbeit und Speisung praktizierten, so lebten sie in einer gemeinsamen Zirkelzeit,
die den weltlichen Zeitstrahl brach und ihn aufhob, sodass damit bereits die zeitlose
Ewigkeit zeichenhaft vergegenwärtigt werden konnte. Wenn in der Liturgie, im
Chorgebet, im Psalmodieren, bei Ritualen wie der benediktinischen Fußwaschung
der Armen, aber auch während der Alltäglichkeit der Arbeit durch Hören und Re-
zitieren religiöser Texte dasjenige, was als ewige Wahrheit göttlicher Offenbarung
galt, permanent sensitiv gegenwärtig wurde, oder wenn das regelmäßig stattfinden-
de Schuldkapitel, bei dem man seine Sünden vor der Gemeinschaft bekannte, als
Abbild des Jüngsten Gerichtes verstanden wurde, dann versinnbildlichte sich die
Intention des klösterlichen Lebens, einen Einklang der irdischen Existenz mit der
himmlischen Ordnung herbeizuführen, in tatsächlich gelebten und damit instituti-
oneil gefestigten Praktiken.
Ein solches Klosterleben bedeutete eine Lebensform des Übergangs, welcher
eine klösterliche Gemeinschaft als jeweils temporäre Durchgangsstation des Ein-
zelnen zwischen Erde und Himmel verankerte. Demgemäß spricht schon die Regel
Benedikts von einer »Schule des Herrn« (Prolog, Zeile 45) bzw. von einer »Werk-
stätte« (Kap. 4, Zeile 78), in denen die Unvollkommenen erst zur Vollkommenheit
geformt werden sollten. Der Wert einer klösterlichen Gemeinschaft lag also nicht
in ihr selbst, vielmehr stellte diese nur - wie es hieß - die »Werkzeuge« bereit, mit
denen der Einzelne sich über das Irdische erheben und sein Leben gänzlich auf die
vollkommene Vereinigung seiner Seele mit Gott ausrichten konnte. Diese Werk-
zeuge waren sowohl individuelle als auch soziale Tugenden; sie erlangte man in der
Obhut der Gemeinschaft, die hierfür die Verantwortung trug. Die Werkzeuge zu
benutzen, erforderte also, sich um der Vervollkommnung des individuellen Seelen-
heils willen der Gemeinschaft unterzuordnen und wiederum für diese Mitverant-
wortung zu tragen - wie es zum Beispiel Bernhard von Clairvaux unübertrefflich
veranschaulichte mit dem Bild der wohl geordneten Schlachtenreihe Davids, wo
jeder seinen Platz der Pflicht hatte im gemeinschaftlich geführten Kampf gegen den
Heereshaufen Nebukadnezars.
Damit aber war klösterliches Leben von zwei Spannungsfeldern mit folgender
dichotomischer Struktur geprägt: zum einen durch die Spannung der Konkurrenz
zwischen den institutionellen Anforderungen der klösterlichen Gemeinschaft ei-
Innovation aus Verantwortung I 341

nerseits und den individuellen seelischen Bedürfnissen jedes Einzelnen im Kloster


andererseits; zum anderen durch die Spannung zwischen der Transzendenz göttli-
cher Vollkommenheit einerseits und andererseits dem noch irdischen und damit als
dehzient verstandenen Status von Einzelnem und Gemeinschaft. Beide Spannungs-
felder markierten die normativen Eckpfeiler des religiösen Lebens im Kloster - In-
dividuum und Gemeinschaft, Diesseits und Jenseits - und forderten, weil sie nicht
auflösbar waren, zugleich heraus, in einer ausgeglichenen Balance gegenseitiger Ver-
antwortlichkeit gehalten zu werden.
Dies war eine gewaltige Aufgabe, um die pragmatisch fortwährend gerungen
werden musste. Denn bei allem in tiefem Glauben begründeten Idealismus, bei
besten Techniken der Umformung des zur bereiten Novizen zum ge-
schulten Mönch oder bei höchstmöglicher Abschottung des klösterlichen Innen
gegenüber den Gefährdungen von Außen - die Balance war stets störanfällig. Ein
Kloster stellte auch im Mittelalter keine gottgegebene Insel der Stabilität dar, viel-
mehr genügten oftmals geringfügige kontingente Ereignisse, um jene Spannungs-
felder implodieren zu lassen, sodass aus der klösterlichen Gemeinschaft ein - wie
es drastisch hieK - »Ort der Söhne des Teufels« werden konnte und Mönche zu
»Rebellen gegen Tugend und Wahrheit« mutierten. - In dem Zwang aber, jene Ba-
lance zwischen Individuum und Gemeinschaft, Diesseits und Jenseits zu errichten,
sie auf Dauer zu stellen, eventuell auch zu retten oder gar zu erneuern, wurden eben
jene Anstrengungen unternommen, die Leistungen von höchster innovatorischer
Qualität hervorbrachten.
Dies scheint immer schon gegolten zu haben, denn seit jeher - beginnend mit
Pachomius im 4. Jahrhundert - war klösterliche mittels einer Regel
geordnet, die das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft im oben umris-
senen Sinne festschrieb. Die bekannten Aufbrüche in der Christenheit während
des 11. und 12. Jahrhunderts bewirkten jedoch eine stärkere Verinnerlichung der
Frömmigkeit und eine Individualisierung des Religiösen bei gleichzeitiger ins-
titutioneller Verdichtung der Gemeinschaftsformen. Es kam in jener Epoche zu
einer weitgreifenden Neuorientierung dessen, wie Klosterleben sich abzuspielen
habe - und es begann eine Phase des Experiments, an dessen vorderster Front die
neuen Formationen der Zisterzienser, der Regularkanoniker, der Prämonstraten-
ser, Grandmontenser, Fontevraudenser, Gilbertiner und andere mehr standen. Im
Rückgriff auf die Urkirche verstanden sie sich jeweils als eine Gesinnungsgemein-

4 Germain MORIN, Rainaud Termite et Ives de Chartres: Un épisode de ia crise du cénobitisme au XP-XIP
siècle, in: Revue Bénédictine 40, 1928, S. 99-115, hier S. 110; Mcditationes piissimae de cognitione hu-
manae conditiones, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd. 184, Paris 1854, Sp. 485-508,
hier Sp. 506.
342 I Gert Melville

Schaft, in der man »ein Herz und eine Seele« (Apg. 4, 32) war, eine Davidsche Harfe
harmonisierender Saiten, eine eben auch, eine geschlossene Schlachtenreihe.
Dort sollte unter Aufgriff der benediktinischen Norm der also der Fä-
higkeit der Unterscheidung, eine gerechte, weil die unterschiedliche Kompetenz
beachtende Verteilung der Aufgaben und Belastungen vorgenommen werden - und
gleichzeitig das Gehorsamsgebot wesentlich stringenter gefasst werden, da es nun
mehr und mehr auch in der innerlichen Zustimmung des einzelnen Individuums
verankert wurde. Unzählige paränetische Text zeugen davon, wie der Einzelne jetzt
auch zur Selbstverantwortlichkeit aufgerufen wurde. Höchster Maßstab war nun -
seit Augustinus endlich wieder! - das individuelle Gewissen, die ver-
standen als conA'j als Wissen des Herzens. Hier begegnete man sich selbst
vor den Augen Gottes und band sich - wie es hieß - an sein eigenes Gesetz (Ax
te Die Klosterleute lernten nun, ihr Gewissen als unausweichlichen
Begleiter anzunehmen, im Gewissen sich selbst zu begegnen als Individuum vor
den Geboten ihres religiösen Lebens und als Partner nur noch Gott zu haben, der
in die Herzen blicke. Mit Schlagworten wie »Wage, Dich zu erkennen«^ wurde ein
Verhalten trainiert, das Maß im eigenen Inneren zu suchen und zugleich maßlos
zu sein in der Sehnsucht nach göttlicher Nähe. Damit war ein persönlicher Weg
der Hinwendung des Einzelnen zu Gott angesprochen und somit auch ein Terrain
des Charismas markiert, das von den gemeinschaftsbezogenen Normen unberührt
blieb. Sich Gottes Transzendenz - wie oben schon angemerkt - der Seele immanent
zu machen, bedeutete final, mit Gott unmittelbar zu kommunizieren.
Unter (teilweise sogar sehr harscher) Abhebung vom traditionellen Mönchtum
hatte zu jener Zeit die Seite des Individuellen in der klösterlichen Dichotomie von
»Individuum und Gemeinschaft« eine wesentliche Stärkung erfahren. Der Einzelne
schien der Gemeinschaft allenfalls noch als schützender und unterstützender Schale
zu bedürfen, innerhalb der er seinen religiösen Eifer im Streben nach Gottesnähe
zu leben vermochte. Die Balance hatte sich strukturell verschoben. Damit verant-
wortungsbewusst umzugehen, ohne weder das Eigene noch das Ganze zu verlie-
ren, erforderte Mut zur Erprobung von Neuem - verlangte ebenso Bereitschaft
zum Innovatorischen wie innovative Fähigkeit selbst. Die Lösung musste in der
gleichzeitigen Stärkung des gemeinschaftlichen, des institutioneilen Elementes lie-
gen und dabei etwas zur Anwendung gebracht werden, was dem individuellen, im
Kern maßlosen Seeleneifer komplementär an die Seite zu stellen war. Es war schon
Max Weber, der diesen Bedarf begrifflich fasste, als er von »rationalen Leistungen

5 De interiori domo seu De conscientia aedihcanda, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd.
184, Paris 1854, Sp. 507-552, hier Sp. 534.
6 Mcditationes piissimae (wie Anm. 4), Sp. 494.
Innovation aus Verantwortung I 343

des Mönchtums« und vom »methodischen Betrieb« sprach, dessen »Gegenstand«


der »religiöse Eifer« des Asketen sei/ Gemeint war damit, die Ratio des sozia-
len Handelns darin begründet zu sehen, dass durch differenzierendes Erfassen der
Handlungsbedingungen, -modi und -zwecke die planvolle Gestaltung einer Ge-
meinschaft möglich wird. Klöster haben ab dem 11. Jahrhundert genau eine solche
methodisch umgesetzte Rationalität pragmatisch entwickelt und damit ein institu-
tionelles Mab gegen die Maßlosigkeit religiösen Eifers gesetzt - also versucht, die
Balance wieder ins Lot zu bringen.
Klöster waren folglich die ersten Gemeinschaften des Mittelalters, die prospek-
tiv Organisationsformen schufen, welche mit dem Anspruch auftreten konnten, in
künftigen Entscheidungslagen sowohl zweckorientiertes, als auch gleichförmiges
Handeln zu ermöglichen und durchzusetzen. In einer Eingangspassage der zister-
ziensischen vom Beginn des 12. Jahrhunderts - des wohl ers-
ten mittelalterlichen Textes, der den Namen »Verfassung« verdient - wurde dieses
Prinzip programmatisch formuliert (und dann auch realisiert): »In diesem Dekret
bestimmten die genannten Brüder und legten für ihre Nachfahren fest, durch wel-
chen Vertrag, auf welche Art und Weise, ja vielmehr mit welcher Liebe ihre Mön-
che, dem Leibe nach auf Abteien in verschiedenen Weltgegenden verstreut, dem
Geiste nach unzertrennbar miteinander vereint bleiben sollten.«^ Die Zisterzienser
wurden bekanntlich zum Vorbild für die anderen Klosterverbände; ihr Modell - der
Orden als neue Organisationsform des regulären Lebens - setzte sich allgemein
durch. Sie schufen das Generalkapitel ebenso als eine symbolische Einrichtung, die
den Gesamtorden repräsentierte, wie als Organ der Gesetzgebung und der obers-
ten Kontrolle. Mit ihm erreichten sie die Perfektionierung jeglicher prospektiven
Schöpfung: die Instanz der steten Korrektur, mit der der Erhalt des Ursprünglichen
nur zu erreichen war: »Dort sollen sie [sc. die auf dem Generalkapitel versammelten
Äbte] [...] Anordnungen treffen, wenn hinsichtlich der Beobachtung der heiligen
Regel oder der Ordenssatzungen etwas zu verbessern oder zu fördern ist, sowie den
Frieden und die gegenseitige Liebe neu beleben.«^
Die Ratio der zu perfektionierenden Organisation gewährleistete aber gleicher-
maßen die bestmögliche Entfaltung von individuellen Frömmigkeitspraktiken im

7 Max WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Ausgabe,
besorgt von Johannes WiNCKELMANN, Studienausgabe, Tübingen 1980, S. 696.
8 Chrysogonus WADDELL, Narrative and legislative texts from early Cîteaux. Latin text in dual edition with
English translation and notes, Cîteaux 1999, S. 274; Übersetzung nach Einmütig in der Liebe. Die frühesten
Qucllcntexte von Cîteaux. Antiquissimi textus Cistercienses. lateinisch/deutsch, hg. von Hildegard BREM/
Alberich Martin ALTERMATT (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 1), Langwarden 1998, S. 99.
9 WADDELL, Narrative and legislative texts (wie Anm. 8), S. 278 bzw. in Übersetzung: Einmütig in der Liebe
(wie Anm. 8), S. 105.
344 I Gert Melville

Rahmen sowohl der gemeinschaftlichen Liturgie als auch der separierten Kontem-
plation. So charakterisierte z. B. Wilhelm von Saint-Thierry die für ein eremitisches
Leben im Kloster bereitgestellte Zelle als einen abgeschlossenen Ort, der für den,
der voll der Frömmigkeit sei, keinen Kerker bedeute, sondern bezeichnenderweise
»eine Wohnung des Friedens« p<%cA), deren Tür nicht etwas verste-
cke, sondern Zurückgezogenheit von den übrigen Teilen des Klosters ermögliche.
In diesem Ort sei der Mönch »völlig von der Welt ausgeschlossen« und zugleich
»mit Gott eingeschlossen«.1° Lind der Cluniazenser Petrus Venerabilis - immerhin
Haupt des klösterlichen Verbands, die vielen als Prototyp des überholten Mönch-
tums gegolten hatte - äußerte sich über das Suchen von innerer Einsamkeit mitten
in der Gemeinschaft auf analog afhrmierende Weise: »Und wie in der Abgeschlos-
senheit der Berge, so lasst uns [im Kloster] für uns selbst versteckte Plätze bauen
für die Einsamkeiten unserer Herzen, wo allein die wahre Einsiedelei durch die
gefunden wird, die aufrichtig sich der Weltlichkeit versagen, wo kein Außen erlaubt
ist, wo der Sturm und Lärm der weltlichen Tumulte sich beruhigt haben. [...] Lasst
uns immer wieder in diese Einsamkeit gehen, während wir noch [...] gestellt sind
mitten in die Menge, und lasst uns in uns selbst finden, was wir suchen bis zu den
äußersten Grenzen der Welt.«"
Für die Gefahr, die in einem dann unter Umständen ungebändigten Rückzug auf
sich selbst lag, hatte man einen Namen: Bernhard von Clairvaux hatte
in einer Parabole eindrücklich geschildert, wie ein Mönch aus vermeintlicher Stärke
heraus einen alleinigen Angriff auf Nebukadnezars Heer wagte, an dieser
rwie Bernhard es bezeichnete, scheiterte und dann aber Rettung erfuhr durch
das Instrumentarium der Gemeinschaft. Deren Führung nämlich zeigte sich sofort
fürsorglich gegenüber dem Gefallenen, führte ihn in fünf allegorische Heimstätten
wo ihm jeweils Furcht eingejagt, er unter Gehorsam gezwungen, dem
Rat der anderen geöffnet und schließlich durch Vermittlung von sozialen Tugenden
wieder zur inneren Einsicht in die klösterlichen Werte gebracht wurdeV
Wir vermögen nun wesentliche Elemente jener Struktur, die zu einem innovati-
ven Potential geführt hatten, etwas genauer zu erkennen:
Der hier vom Klosterleben geforderte Umgang mit der Unverfügbarkeit Gottes
fußte auf einer zutiefst seelischen Verinnerlichung der Absicht, Gott sich verfügbar
zu machen. Er war folglich bestimmt von gänzlicher Hingabe; er war im letzten

10 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre aux frères du Mont-Dieu (Lettre d'or), hg. von Jean DÉCHANET
(Sources chrétiennes 223/Série des textes monastiques d'Occidcnt 45), Paris 1975, S. 168.
11 Petrus Venerabilis, Ad Petrum Pictavensem, in: The Letters of Peter the Venerable, hg. von Giles CON-
STABLE, Bd. 1, Cambridge, Mass. 1967, S. 179-189, hier S. 188.
12 Bernhard von Clairvaux, Parabolae 3: De Filio Regis Scdcntc Super Equum, in: Sancti Bernardi Opera,
hg. von Jean LECLERCQ/Henri-Maric RocHAis, Bd. 6,2: Sermoncs 3, Rom 1972, S. 274 -276.
Innovation aus Verantwortung I 345

Kern total individualistisch und uneingeschränkt emotional - also zwangsläufig


radikal und antiinstitutionell. Zugleich aber war er institutionell gedrosselt, der
Disziplin und der Demut unterworfen, in die Rahmungen einer Friedensgemein-
schaft eingegossen sowie in Regeln und Ritualen gefasst, welche das Maßhaken, die
zur Grundlage hatten. Klöster waren demnach die ersten Gemeinschafts-
formen des Mittelalters, die im Alltäglichen konsequent aufzuzeigen lernten, dass
die Pragmatik des Lebens nicht zu führen war, ohne einen transzendierenden Bezug
auf sinnstiftende Werte und Normen, denen man sich innerlich verpflichtet fühlte,
bzw. dass die Pragmatik des Lebens letztlich nur gelingen konnte, wenn man sich
auch in seinem individuellen Inneren emotional, ja sogar leidenschaftlich mit ihren
Regeln identifizierte.
Aus Verantwortung für sich selbst und für ihre Gemeinschaft also haben die
Klosterleute ganz offensichtlich die innovatorische Kraft bezogen, eine Balance von
verinnerlichtem Glauben und pragmatischer Organisation des Lebens herzustellen
und sich damit die eigene, noch irdische Weh so auszugestalten, dass Hoffnung auf
eine Öffnung des Himmels bestand.
In einer Epoche wie dem Mittelalter, in der der christliche Glaube - wie eingangs
schon hervorgehoben worden ist - die Grundlage der Kultur bedeutete und er in
allen gesellschaftlichen Bereichen als Maßstab und Letztbegründung präsent war,
mussten sich folglich Klöster auch jedem, der außerhalb von ihnen in der säkularen
Weh lebte, prinzipiell als normverbürgende Modelle eines an Gott orientierten Le-
bens zeigen. Hierin lag wohl kulturell fundiert, wieso Klöster überhaupt belehrend
auf die Weh wirken konnten - oder genauer gesagt: wieso sie auf so viel Akzeptanz
für ihre innovativen Werte, Verhaltensweisen und Einrichtungen stießen. Doch tat-
sächlich hätte sich eine solche Wirkung nicht eingestellt, wenn sie allein die Folge
jener Verantwortungsbereitschaft gewesen wäre, die ja gänzlich an den internen
Verhältnissen orientiert war, und wenn man nicht seitens der Klöster auch eine Brü-
cke der Verantwortung zur Welt geschlagen hätte, die ebenfalls richtungsweisende
Innovationen hervorzubringen vermocht hatte.
Klosterleute sind über alle Epochen des Mittelalters hinweg mit den unermüd-
lichen Arbeitern im stets gefährdeten Weinberg des Herrn (Jes. 5, 1-7; Matth. 21,
33-42) verglichen worden. So wurden zum Beispiel von Honorius Augustudo-
nensis im 12. Jahrhundert die Wochentage des Klosters sogar mit den sechs Welt-
zeitaltern gleichgesetzt, während deren heilsgeschichtlichem Ablauf »bereits Abel
und andere Gerechte, Noah, Johannes der Täufer und die Apostel nach und nach
im Weinberg des Herrn gearbeitet hätten«,^ sodass im Klosterleben die Sukzession

13 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul MiGNE, Bd. 172,
Paris 1854, Sp. 541-738, hier Sp. 634.
346 I Gert Melville

dieses soteriologischen Wirkens gewissermaßen durch dessen Vergleichzeitigung


kondensiert werde. Otto von Freising sah dementsprechend in den Religiösen sei-
ner Zeit diejenigen, die durch ihre Verdienste Gott allein dazu bewegen werden, die
Sündhaftigkeit der Welt noch länger zu ertragen. Die Rlosterleute wurden damit
in die Verantwortung genommen, dass der Weinberg des Herrn nicht nur - wie es
bei Jesaja (5, 13) hieß - »saure Beeren« bringe oder gänzlich »zum Ödland« werde.
Und so lebten die Frauen und Männer in den Klöstern den in der Welt Verbliebenen
nicht nur ein Modell vor, welches allen veranschaulichte, dass Erlösung tatsächlich
möglich war, vielmehr wurde ihnen unterstellt, dass sie diejenigen seien, die auch
im ganz besonderen Maße selbst die Erlösung bewirken konnten. Diese Arbeiter im
Weinberg leisteten Gott also nicht nur Dienste um ihres eigenen Seelenheils willen,
sondern um des Heiles der gesamten Christenheit, mehr noch der ganzen Welt und
ihrer Menschen willen.
Eine solch universelle Leistungszuweisung hatte Tradition, die weit zurückreicht
in die Geschichte der Klöster. Vielleicht ist in ihrem Zusammenhang schon jene
etwas geheimnisvolle Episode in Gregors des Großen Bericht über seinen Monte-
cassiner Abt zu sehen, bei der Benedikt - wie es hieß - eines Nachts auf dem Turm
seines Klosters »die ganze Welt wie in einem einzigen Sonnenstrahl gesammelt vor
Augen geführt« wurde. Sie wird durch Gregor mit den Worten kommentiert: »Im
Licht der inneren Schau öffnet sich der Grund der Seele, weitet sich in Gott und
wird so über den Erdkreis erhoben.«^ Hier kam es nicht auf die Wahrheit des ge-
schichtlichen Ereignisses an, sondern auf die Botschaft, die von diesem berühmten
Text Gregors in das Mittelalter hineingetragen wurde - nämlich, dass die Wendung
zum Inneren der Seele (von der wir eben schon so viel gehört haben) auch die Kraft
verleihe, mit der Seele die gesamte Welt umgreifen zu können.
Uber andere, spätere Benediktiner wurde gesagt, sie selbst seien das »Licht der
Welt«. Papst Urban II. benannte auf diese Weise im Jahre 1097 die Cluniazenser
nach Worten aus der Bergpredigt und fügte hinzu, sie strahlten wie eine zweite
Sonne auf ErdenV Eine besondere Marienverehrung hatte die Cluniazenser bereits
ab der Jahrtausendwende in der Annahme einer solchen Zuweisung von Verant-
wortung für die ganze Welt bestärkt. In Maria nämlich sahen sie ihre eigene Jung-
fräulichkeit gespiegelt, und eben aus deren himmlischer Reinheit glaubten sie ihre
herausragende Stärke zu beziehen, die sie zu Wesen zwischen Mensch und Engel
erheben könne und die damit rechtfertige, dass die Christenheit von ihnen als den
Reinsten zu lenken sei, dass in ihrem Mönchtum - in ihrer eccAsM C&TZMcemM,

14 Gregor der Große, Der hl. Benedikt. Buch II der Dialoge, lateinisch/deutsch, hg. im Auftrag der Salzbur-
ger Äbtekonferenz, 2. Aufl. St. Ottilien 2008, S. 197.
15 Bullarium sacri ordinis Cluniacensis, Lyon 1680, S. 30f.
Innovation aus Verantwortung I 347

also in ihrer Mönchskirche - als Elite einer Glaubensvirtuosität, die eigentliche spi-
rituelle Führung der Kirche zu liegen habe.
War es hier noch um Mönche gegangen, die aus ihrer streng klaustralen Le-
bensform heraus diese Wirkungskraft zu entfalten vermochten, so dürfte jene Ver-
antwortungszuweisung bei den seelsorgerisch orientierten Regularkanonikern des
späten 11. und des 12. Jahrhunderts, die zudem zum wirkungsvollen Instrument der
Kirchenreform geworden waren, noch mehr auf der Hand gelegen haben. Recht
unverblümt heißt es demnach in einem anonymen Traktat jener Epoche (und dabei
durchaus deutlich analoge Ansprüche des Mönchtums zurückweisend), die Regular-
kanoniker seien es, die man das Licht der Welt und das Salz der Erde nennen müsse,
denn sie seien Gott für sich sowie für das ganze Volk Rechenschaft schuldig A Eine
weitere zeitgleiche Schrift aus dem Salzburger Reformkreis um Erzbischof Konrad I.
sprach gar von den Regularkanonikern als der von Christus gegebenen Medizin
zur Rettung der Menschheit vor ihrem Verberben. Der Text maß zudem den ersten
Rang in der klösterlichen Welt der tÜAz c<%7zo7nc<% zu, denn in dieser Lebensform
werde das einstige gemeinschaftliche Leben der Apostel auf - wie es hieß - »mo-
derne Weise« erneuert und das Überalterte der Gegenwart aufgehoben zugunsten
wiedererweckter Frische V
Etwa ein Jahrhundert später konnte man in der Kanonisationsbulle des Do-
minikus von 1234 lesen, dass von den vier Karren des Propheten Zacharias, die
ausgesandt worden seien von Christus, um dem »mangelnden Vertrauen ungläubi-
ger Menschen entgegenzuwirken«, der erste die Märtyrer darstelle, der zweite die
Söhne Benedikts als Vertreter eines neuen Israels und der dritte den Orden der Zis-
terzienser. Dann aber zur jetzigen »elften Stunde«, als die »Sonne der Gerechtigkeit
zur Neige ging« und der »Weinberg durch Dornen des Lasters verunkrautet« sei,
da sammelte der Herr eine »Schar von Streitern, die noch wirkungsvoller waren als
die früheren« - nämlich die Predigerbrüder, also die Jünger des Dominikus, und die
Minderbrüder des Franziskus. Gott selbst also war es - so wurde unterstrichen - ,
der Dominikus zum »herausragenden Führer im Volke des Herrn« beriefV

16 Biblioteca Vaticana, cod. Ottob. lat. 175, f. 65r; cf. Cosimo Damiano FoNSECA, Monaci e canonici alla
ricerca di una identità, in: Istituzioni monastiche e istituzioni canonicali in Occidente (1123-1215). Atti
della settima Scttimana internazionalc di studio (Mendola, 28 agosto-3 settembre 1977) (Miscellanea del
Centro di Studi Medioevali 9), Milano 1980, S. 203-222, hier S. 208 f.
17 Prologus et praefatio cuiusdam sapientis in regulam beati Augustini, hg. von Stefan WEiNFURTER, in:
DERS., Vita canonica und Eschatologie. Eine neue Quelle zum Selbstverständnis der Reformkanoniker
des 12. Jahrhunderts aus dem Salzburger Reformkreis, in: Secundum regulam vivere. Festschrift für P.
Norbert Backmund O. Praem., hg. von Gert MELVILLE, Windberg 1978, S. 139-168, hier S. 158.

S. 191 f.
In der Kanonisationsbulle des Franziskus aus dem Jahre 1228 hatte es sehr ähn-
lich geklungen:

»Siehe, in der >elften Stunde< hat der Herr [...] seinen Diener, den seligen Fran-
ziskus gerufen, einen Mann >wahrhaft nach seinem Herzern, eine Leuchte,
[...] die [...] bereit war, zur festgesetzten Zeit in den Weinberg geschickt
zu werden, damit er daraus die Dornen und Stacheln herausreiße und nach
Niederwerfung der angreifenden Philister das Vaterland erleuchte, mit Gott
versöhne und durch eifrige Ermahnung belehre.

Jacques de Vitry, der sorgfältige Beobachter der klösterlichen Welt jener Zeit, be-
stätigte diese Feststellungen, indem er darauf hinwies, dass in den jetzigen überaus
gefährlichen Zeiten des Antichrists Gott neue Athleten gesandt habe - eben jene
Jünger des Franziskus, die die Armut und Demut der Urkirche zu reformieren
suchten, die das pure Wasser des Evangeliums tränken und das apostolische Leben
nachahmten, sodass sie Arme wie Reiche zu bekehren verstanden.^"
Die soteriologische Grundlage dieser Bezugnahme auf die beiden großen Bettel-
orden, die hier ebenfalls in die Verantwortung für die ganze Christenheit genom-
men wurden, fand eine zusätzliche Untermauerung, als man um die Mitte des
13. Jahrhunderts das von Joachim von Fiore entworfene heilsgeschichtliche Schema
rezipierte, in welchem dem Religiosentum für eine dritte und letzte Epoche der
Weltgeschichte - die des Heiligen Geistes - sogar die absolut führende Rolle zu-
kommen sollte. Der große dominikanische Enzyklopädist Vincenz von Beauvais
legte in Anlehnung an eine der vielen Joachim imitierenden Schriften dar, dass der
Herr sich im ersten Zeitalter der Greise Moses und Josua zur Abwehr der Feinde
Gottes, dann der erwachsenen Männer Paulus und Barnabas zur Vernichtung der
Götzenanbeter und schließlich der Knaben - nämlich der Mitglieder der jungen Or-
den der Dominikaner und Franziskaner - bediente, um die Lehren des Evangeliums
vollends überall durchzusetzenA
Doch auch diese Vision einer sich verjüngenden Welt, in die die kindliche Fri-
sche von Ordensleuten neue Kraft bringen sollte, wurde überholt von einem weite-
ren Ansatz der Zuschreibung von Verantwortung. Die Offenbarungen der Heiligen
Birgitta von Schweden enthielten um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine herbe Kri-

19 Übersetzung nach Ruth WoLFF, Der heilige Franziskus in Schriften und Bildern des 13. Jahrhunderts,
Berlin 1996, S. 303.
20 The Historia Occidentals of Jacques de Vitry. A Critical Edition, hg. von John Frederick HiNNEBUSCH
(Spicilegium Friburgense 17), Fribourg 1972, S. 158-161.
21 Vincentius Bellovacensis, Speculum quadruplex sive Speculum maius, Bd. 4: Speculum historiale, Douai
1624 (Nachdruck Graz 1965), S. 1324f.
Innovation aus Verantwortung I 349

tik an den genannten Bettelorden, die des Dünkels, der Ruhm- und Herrschsucht,
der Habgier und Prachtliebe verfallen seien. Statt ihrer sei ein neues blühendes Re-
ligiosentum mit einer von Christus selbst gegebenen Regel aufzustellen. Unter Ver-
wendung wieder des Bildes vom Weinberg des Herrn hieß es im schon Prolog dieser
Regel: Die Diener des Königs hätten in allen seinen Weinbergen nur Unkraut und
wenig Reben gefunden, worauf der Herr anwies, einen neuen Weinberg anzulegen.
Er selbst werde »über ihn wachen, dass alles Schädliche, was hineingepflanzt wird,
abdorre, abfalle, ausgerottet und unschädlich, der Wein aber umso kräftiger und
süßer werde«. »Aus diesem Weinberge aber«, so war weiterzulesen, »werden viele
schon lange dürr gewesene Weinberge sich zu erneuern und je nach dem Tage ihrer
Erneuerung Frucht zu tragen beginnen.«^
Nicht von ungefähr ist in dieser (und hier keineswegs vollständig vorgetragenen)
Kette von Verantwortungszuweisungen immer wieder von völlig neu ansetzenden
Reformen, von jugendlicher Frische und modernen Lebensweisen die Rede gewe-
sen, die dem Alten, Überholten gegenübergestellt wurden. Selbst das Zurückwollen
zum Evangelium, zur Urkirche, zur Apostelgemeinschaft bedeutete ein Vorwärts,
weil es das hinter sich lassen sollte, was mittlerweile die ursprüngliche, von Gott ge-
gebene Form verdunkelt und verfälscht hatte. Die Fundamente aber in der aktuellen
Gegenwart wiederzubesetzen, verlangte Anpassung an veränderte Welten, verlangte
neue Methoden, neue Sinnstiftungen und neue »Ordnungskonfigurationen«, die
der Aktualität des jeweils jetzt Notwendigen entsprachen - verlangte innovatori-
schen Geist, der (um eine Formulierung von Hans-Joachim Schmidt aufzugreiferü)
»Legitimität« verlieh, weil man seiner bedurfte. Um im Bild des Mittelalters zu
bleiben: Die Arbeit im Weinberg des Herrn war zwar fortwährend zu leisten, und
doch hatte Gott - so legte man dar - vier unterschiedliche Karren nach und nach
zur Rettung des Christentums ausgesandt, hatte er sukzessive drei unterschiedli-
chen Generationen die Sorge um das Heil der Christenheit anvertraut, hatte er neue
Medizin gesandt, ein neues Licht der Welt geschaffen und neue Personen zur elften
Stunde in den Weinberg bestellt, ja gar einen neuen Weinberg angelegt.
Jene Verantwortungszuweisungen schufen innovatorisches Bewusstsein. Dieses
jedoch war nicht gleichzusetzen mit Innovationen. Innovationen sind der poten-

22 Sanctae Birgittae Revelaciones, hg. von Birger BERGH, Stockholm 1967-2002. Übersetzung nach Lud-
wig ÜLARUS, Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta, Bd. 1,1 (Sammlung der vorzüglichsten
mystischen Schriften aller katholischen Völker 10), 2. Aufl. Regensburg 1888, digitalisiert und bearbeitet
von Gertrud WiLLY: http://www.joerg-sieger.de/isenheim/menuc/framcl2.htm (zuletzt abgerufen am
21.4.2014), hier Regula I 2.
23 Hans-Joachim SCHMIDT, Legitimität von Innovation. Geschichte, Kirche und neue Orden im 13. Jahr-
hundert, in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hg. von Franz
Josef FELTEN/Nikolas JASPERT (Berliner historische Studien 31/Ordcnsstudicn 13), Berlin 1999, S. 371-
391.
350 I Gert Melville

tielle Vollzug dieses Bewusstseins und lassen sich dann als Konsequenzen aus der
Verantwortungsübernahme darstellen. Wir müssen sie gesondert aufdecken - und
dies dürfte nicht schwer fallen.
Die Cluniazenser schufen innovativ jenes in ihrer Zeit unübertroffene System
des Zusammenziehens von Kontemplation und Apostolat, das ermöglichte, mittels
prunkvollster Liturgie, ununterbrochener Gebete und Prozessionen, gigantischer
Kirchen und abundanter Werke der Nächstenliebe die Größe und Pracht Gottes
in ihnen selbst zu vergegenwärtigen und damit durch sie als deren symbolische
Verkörperung auf die Welt wirken zu lassen. Nie zuvor und nie mehr danach war
die Lebensform des Mönchtums derart frei und selbstbestimmt, die ihr eigenen
Potentiale zum Nutzen der Christenheit dominant zu entfalten.
Die Regularkanoniker schufen auf der Basis einer noch nicht einmal von Anfang
an vorhandenen, im Ganzen sehr vagen Regel und einer verklärenden Vorstellung
von der Urgemeinde der Apostelgeschichte ebenfalls innovativ ein System, in dem
zwei keineswegs analoge Bereiche des Religiösen strikt zusammengeführt worden
sind: monastische Klösterlichkeit und Seelsorge. Weit über die in ihrer Laschheit
von der Reformkirche geschmähten Normen der herkömmlichen Aachener Be-
schlüsse vom Beginn des 9. Jahrhunderts hinausführend, betonten sie absolute per-
sönliche Besitzlosigkeit, strikten Gehorsam und totale Integration in ein Gemein-
schaftsleben. Auf diese Weise den Mönchen gleichgeformt, waren oder schienen sie
geschützt vor den Anfechtungen der Welt, gewannen sie für die Welt den Ruf der
Reinheit und Verlässlichkeit in einer Zeit tiefer klerikaler Krise und vermochten
dadurch ihre seelsorgerischen Leistungen - um derentwillen sie als Licht der Welt
und Salz der Erde bezeichnet worden sind - optimal zu vollbringen.
Franziskus und zumindest seine frühen Jünger wollten nichts anderes als das
Evangelium in Nachfolge Christi leben und Vorleben. Gleichwohl schufen sie zur
Verwirklichung dieses Vorsatzes eine innovative Struktur in der Geschichte des Re-
ligiosentums. Christus in seiner Armut und seiner Unbehaustheit nachzuahmen
und der Welt dieses Nachahmen zu zeigen, damit es von ihr selbst wieder nachge-
ahmt werden konnte, sprengte den Einschluss in ein Kloster, ließ - wie es hieß - die
ganze Welt zum Kloster werden. In einer Theologie der Unbehaustheit und Armut
verband sich altbekanntes Wanderpredigertum mit konsequenter Christusnachfol-
ge und eröffnete dadurch in ganz neuer Weise ein verinnerlichtes Evangelium zum
modellhaften Nachvollzug jedermanns.
Die Dominikaner erwiesen sich unter den aufgeführten religiösen Vereinigungen
zweifelsohne als die Innovativsten und damit auch als die im Erfolg Nachhaltigsten.
Sie verknüpften nämlich die übernommene Verantwortung für die Christenheit mit
den bereits geschilderten Strukturen interner Verantwortlichkeit in nicht mehr zu
überbietender Stringenz. Um dies nun noch etwas näher zu beleuchten, diene zu-
Innovation aus Verantwortung I 351

nächst als Kronzeuge ihr Generalmagister Humbert de Romanis. Dieser führte in


seinem Statutenkommentar zu dem Satzteil »weil unser Orden von Anfang an spe-
ziell (specz<%/zYer) wegen der Predigt und des Seelenheils einrichtet wurde« aus, dass
dementsprechend die erste Aufgabe (proposz^w) des Ordens die Predigt sei, welche
dann konsequenterweise auch dem Seelenheil - der rzzzzwrzrzzw - aller Men-
schen dienlich sei. Sein Orden sei also ganz im Unterschied zu allen anderen nicht
nur dem Nutzen der eigenen Mitglieder, sondern dem aller Menschen verpflichtet -
und eben dies zeichne ihn auch vor den anderen aus (exce//zZ <%/zos orJzzzesjN
Um dieses vorgeblich so einzigartig herausragende proposzYzzm erfüllen zu kön-
nen, haben die Dominikaner in der Tat etwas sehr Fortschrittliches eingeführt, das
ich schon an anderer Stelle mit »Systemrationalität« bezeichnet habe. Darunter war
die funktionale Ausrichtung absolut aller Elemente, untereinander ebenso wie in
ihrer Gesamtheit, auf ein einziges Ziel hin zu verstehen - eine Ausrichtung, die sich
gleichermaßen auf lebenspraktischer wie auf ideeller Ebene widerspruchsfrei voll-
zog. Das daraus entstehende Geflecht von Beziehungen stellte ein kohärentes und
in sich geschlossenes System dar, das in dieser stringenten Weise zuvor noch von
keinem Orden errichtet worden war und das die Organisation der Dominikaner der
jedes anderen Ordens überlegen machte.
Da dieses Ziel nach ihren eigenen Worten und bekanntlich gemäß ihres offi-
ziellen Namens, nämlich »Orden der (man möchte hinzufügen: professionellen)
Prediger«, darin bestand, durch bestmögliche Predigttätigkeit Seelen zum Heil zu
führen, hatten die Dominikaner also bei der Konstruktion ihrer Organisation tat-
sächlich sämtliche Elemente des Ordens planvoll darauf abgestimmt: In erster Linie
bedurfte es vor allem ganz bestimmter personeller Ressourcen. Predigen bedeutete
in den Augen schon der frühen Dominikaner eine besonders verantwortungsvolle
Aufgabe. Verlangt waren also bestens ausgebildete und eingeübte, aber zugleich
auch selbstbewusste und mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung ausgestat-
tete, mündige Persönlichkeiten. Pastorale Verantwortlichkeit setzt Verantwortung
des Seelsorgers sich selbst gegenüber voraus. Gefordert waren also vorrangig Men-
schen und dann erst solche abstrakten Normen, die diesen Menschen dienlich sein
konnten. Deshalb bündelten sich vorrangig alle dominikanischen Bemühungen um
eine geeignete Organisation gleichsam in der systemischen Position der individu-
ellen Mitglieder.
Zwei Elemente wurden eingeführt, um diese Position jeweils zu stärken: der
Dispens sowie die Trennung von Schuld und Strafe. Der Dispens - eigentlich ein
altes Rechtsinstitut der Kirche - hat bei den Dominikanern einen ganz innovativen

24 Humbertus de Romanis, Expositio super constitutiones fratrum praedicatorum, in: Humberti de Roma-
nis Opera de vita regulari, Bd. 2, hg. von Joachim Joseph BERTHiER, Rom 1889, S. 1-178, hier S. 38 f.
352 I Gert Melville

Charakter gewonnen. Das Neuartige betraf vor allem die Funktion des Dispenses.
Diejenigen Brüder - hieß es - , die an der Vorbereitung von Predigten arbeiteten,
könnten von allem, was dieses Tun behindere, dispensiert werden - also von den
liturgischen Pflichten eines Geistlichen, vom Ruhegebot nach der Komplet und so
fort. Das Studium diente der Predigt - folglich griff das Dispensrecht auch hier und
ließ zum Beispiel vom Lektüreverbot indizierter Bücher usw. befreien.
Das zweite Element - die Trennung von Schuld und Strafe - ergänzte das Instru-
ment des Dispenses. Es handelte sich dabei um das »Prinzip des reinen Strafrechts«,
das völlig neuartig den üblichen Rahmen der kanonistischen Schuldlehre aufspreng-
te. Es besagte nämlich, dass ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Statuten
(coTZStitMtzÖTzes) generell keine Sünde sei, vielmehr ziehe er nur eine vom Orden
verhängte Strafe nach sich. Schon gemäß dem Wunsche von Dominikus selbst war -
wie überliefert wird - das Motiv der Einführung jenes Prinzips, die Brüder von
unnötigen Skrupeln des Gewissens frei zu halten. Diese cozzwzezztMrzzw, dieser
Friede der individuellen Gewissen aber - so kommentierte dann Humbert - nutze
hinwiederum dem gesamten Orden und erhielte ihn funktionsfähig. Rechtssyste-
matisch bedeutete diese Trennung indes die Schaffung eines rein positiven Rechts,
dessen Sanktionen diesem immanent waren und das keiner transzendenten, d. h. im
Göttlichen liegenden Begründung bedurfte.
Selbstverantwortliche Mitglieder mussten sich - wollten sie diesen Status auf-
recht erhalten - wiederum in besonderem Maße verantwortlich fühlen für das
Ganze. Damit dazu auch jeder in der Lage war, ist die Verfassung der Domini-
kaner dementsprechend konstruiert worden. Schon William Hinnebusch hat die-
sen Sachverhalt auf den Punkt gebracht, als er sagte: »The administrative system
functioned through a descending chain of command - master general, provincials,
priors. [...] Correspondingly, there was an ascending line of control by the com-
munity - democratic elements of election, representation, chapters [,..]«.^ Gleich-
sam sich überschneidende Richtungspfeile der Verantwortlichkeit sollten alle Mit-
glieder einbinden in ein gemeinsames Bemühen um die dauerhafte Verwirklichung
der Ordensziele. Voraussetzung dafür war zum einen, dass auf jeder Ebene der
Instanzen (Gesamtorden, Provinz, Konvent) Macht von oben allein als Ergebnis
einer Delegation von unten verstanden werden konnte, da die organisatorisch wich-
tigsten Amtsträger (Generalmagister, Provinzial- und Konventualprioren) durch-
wegs unter Mitwirkung bzw. ausschließlich von »einfachen« Mitgliedern gewählt
wurden; und zum anderen, dass aufgrund der personellen Zusammensetzung von
Konvents-, Provinz- und Generalkapitel Gremien bestanden, die sowohl höhere

25 William A. HiNNEBUSCH, The History of the Dominican Order, Bd. 1: Origins and Growth to 1500,
New York 1966, S. 170.
Innovation aus Verantwortung I 353

Amtsträger wie auch »einfache« als Entscheidungsträger und Kontrolleure


zuließen.
Dieses Grundprinzip erfuhr seine konkrete organisatorische Ausgestaltung vor
allem durch den Wechsel jeweils zweier, im Jahresabstand aufeinanderfolgender
Generalkapitel von Dehnitoren, welche immer wieder durch die Provinzialkapi-
tel aus dem Kreis der der - wie man sagte - neu gewählt wurden,
mit einem im dritten Jahr statthndenden Generalkapitel der Provinzialprioren, den
Bezeichnenderweise waren beide Versammlungstypen in ihren legislati-
ven, administrativen und judikativen Befugnissen gleichberechtigt, sodass rechts-
fortschreibende Eingriffe in den normativen Basistext (d. h. in die
zwangsläufig dreier konsekutiver, also beide Typen einbeziehender Lesungen be-
durften - unabhängig davon, wann bzw. von welcher Seite die jeweilige Initiative
gestartet worden war. Jedes heutige Parlament macht sich diese dominikanische
Erfindung zunutze.
Eine solche Struktur darf allerdings nicht zu einer Fehleinschätzung der Domi-
nikaner führen. Die Rationalität des »methodischen Betriebs« bedeutete hier eben
nicht einen Gegensatz zum religiösen Eifer. Man sollte vielmehr von einer Spiri-
tualität des Pragmatischen sprechen. Dem alles überwölbenden Leitgedanken der
Seelsorge ordneten sich sogar religiöse Grundwerte einer auf sich selbst bezogenen
Heilssuche unter, wie etwa jener der Armut, dessen Verwirklichung zum Beispiel
bei den Franziskanern als die tiefstgreifende Form der individuellen Christusnach-
folge empfunden wurde, bei den Dominikanern aber - wie Humbert ausdrücklich
hervorhob - ein wirkungsvolles Mittel des performativen Predigens war. - Ich bre-
che hier ab.
Frauen und Männer des Mittelalters, die im Streben nach Selbstheiligung sich
in den geschlossenen Kreis einer klösterlichen Gemeinschaft begaben, trugen Ver-
antwortung für sich selbst ebenso wie für diese Gemeinschaft, die wiederum ihnen
gegenüber verantwortlich war. Denn nur auf diese Weise konnte das Spannungsfeld
zwischen Individualität und Gemeinschaft sowie zwischen Vervollkommnung und
Vollkommenheit ausbalanciert werden. Je erfolgreicher aber diese Ausbalancierung
gelang oder zumindest zu gelingen versprach, desto größer wurde die Verpflichtung
und Erwartung, Verantwortung für eine zu rettende Welt zu übernehmen und mit
der ganzen inneren Kraft auch nach außen zu wirken. Dazu waren Schritte erfor-
derlich, die innovativ in ein Ordnung stiftendes und das Verhältnis von Gemein-
schaft und Individuum anders als bisher justierendes Neuland führten. Sie waren
methodisch gelenkt von Prinzipien des Rationalen, motiviert vom religiösen Eifer
der Virtuosen des Glaubens, die im Inneren ihrer Seele Gott suchten und sich dafür
in eine klösterliche Gemeinschaft einfügten, mit der sie der Welt entsagten und
durch die sie doch auf Welt wie kaum andere zu wirken vermochten. Solche Schritte
354 I Gert Melville

hatten die europäische Kultur zu einem Modell geführt, welches ihr erlaubte, sinn-
geleitete individuelle Suche nach Vollkommenheit mit der Regelhaftigkeit »metho-
dischen Betriebs« dergestalt verbunden zu sehen, dass beide Ebenen sich gerade
nicht gegenseitig neutralisierten, sondern sublimierten. - Es dürften in Gesamtheit
Schritte gewesen sein, die den analysierenden Historiker berechtigen, von mittel-
alterlichen Klöstern als tatsächlichen »Innovationslaboren« zu sprechen.
Deuten und Gestatten
in mittetattertichen Ktöstern
ats innovation
Ein Schlusswort

Klöster und Innovationen - für viele Menschen erscheint das heute als Widerspruch,
ja geradezu als Provokation. Das Forschungsprojekt »Klöster im Hochmittelalter.
Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle«, ange-
siedelt an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und an der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, macht es sich dagegen zur Aufgabe, die
zukunftsweisenden Leistungen mittelalterlicher Orden, Klöster, Mönche und Non-
nen neu zu bewerten. Die Mainzer Vorträge und Kommentare, die in diesem Band
gedruckt vorliegen, geben dem Langzeitvorhaben in einer frühen Arbeitsphase ent-
scheidende Wegweisungen. Führende Fachleute lassen sich in vier Sektionen mit
Leitideen des »Klöster-Projekts« konfrontieren. Hier geht es um die Bändigung der
Transzendenz (Transzendenz erleben, Kommentar von Thomas Rentsch - Trans-
zendenz leben, Kommentar von Tore Nyberg), um die Spannung von Individuum
und Gemeinschaft (Innen und Außen, Kommentar von Christina Lutter - Institu-
tionalität, Kommentar von Hans-Joachim Schmidt), um Weltdeutung durch Wis-
senskonhguration und um die Neuordnung der Gesellschaft (Wirkung in die Welt,
Kommentar von Stefan Burkhardt - Institutionalisierung). Auf der Mainzer Tagung
trat noch eine wissenschaftliche Exkursion zum Kloster Eberbach unter der sach-
kundigen Leitung von Matthias Untermann hinzu, die entscheidende Wege zum
Begreifen zisterziensischer Erfahrungs- und Gestaltungsräume wies.
Die Mainzer Vorträge und Diskussionen gingen insgesamt wohlwollend mit
den Vorgaben der Veranstalter um, bestätigten manches, modifizierten vieles und -
bissen sich immer wieder an der Tragfähigkeit einer mutigen Begrifflichkeit fest.
Während »Institutionalität«, »Innen und Außen« oder »Weltdeutung durch Wis-
senskonfigurationen« - Begriffe, die noch vor wenigen Jahren wenig geläufig wa-

1 Dieser Beitrag greift die am 06.10.2012 in Mainz vorgetragenen zusammenfassenden Worte auf und er-
gänzt sie um einige Voten aus der Schlussdiskussion.
356 I Bernd Schneidmüller

ren - heute offensichtlich zur selbstverständlichen Alltagssprache der Mediaevistik


gehören, wurde die »Bändigung von Transzendenz« schon kritischer bedacht. Die
Idee, dass für mittelalterliche Gemeinschaften der Innovationsbegriff nützlich sein
könnte, spaltete schließlich die Kommunität der Mediaevistinnen und Mediaevis-
ten. Handelt es sich hier um eine unzulässige Bedeutungszuschreibung, die Mittel-
alter einfach nur interessant machen möchte?
Die Vorbehalte gegen eine rasante Dynamik vergangener Zeiten erscheinen
angesichts moderner Beschleunigungserfahrungen vor allem in Technik und Wis-
senschaften so immens, dass man Mönche und Nonnen am allerwenigsten mit
Fortschritt in Verbindung bringen möchte. Gewiss fließen bei solcher Vorsicht
das prägende Bild vom Mittelalter als einer im Rückblick auf ein Jahrtausend ver-
schmirgelten Epoche und das mangelnde aktuelle Vertrauen in die Zukunftsfähig-
keit klösterlichen Lebens zusammen. Die Erfindung des Mittelalters als eines über-
wundenen Zeitalters in Humanismus und Aufklärung ist ebenso bekannt wie der
Eifer von Mediaevistinnen oder Mediaevisten, die ihrer Epoche besonderes Inter-
esse zuteil werden lassen und dunkle Schatten beständig hinwegforschen. Das Alles
gehört wie ein »basso continuo« zum Alltag der Mittelalterforschung und müsste
gar nicht mehr eigens erwähnt werden.
Der unbefangene Zugang zur Erforschung einer dynamischen re/fgfoM in
monastischen Gemeinschaften der Vergangenheit wird aber nicht minder durch
extreme Krisenerfahrungen klösterlichen Lebens in unserer Gegenwart geprägt.
Die scheinbare Statik des monastischen Lebens macht heute eine Konversion viel-
fach unattraktiv. So führt der Nachwuchsmangel zu ausgeprägter Überalterung.
Inzwischen gehören die Klöster zu den Problemfeldern kirchlicher Praxis. Manche
schätzen zwar ihre ausgeprägte Spiritualität als Gegenwelt für zeitweilige Ausstiege
aus dem Alltag. Viele besuchen sie als Schatzhäuser vergangener Kunst. Längst er-
schließt der gepflegte Kulturtourismus die ins UNESCO-Welterbe der Menschheit
aufgestiegenen Stätten für einen aufblühenden Reisemarkt. Doch die heutigen klös-
terlichen Pflegefälle lassen kaum erahnen, dass in solchen Räumen einmal zündende
Ideen über die Erkenntnis von Gott und der Welt formuliert, dass neue Ordnungs-
konzepte entwickelt und dass in rationaler Praxis umwälzende zukunftsweisende
Lebensmodelle erprobt wurden.
Historikerinnen und Historiker werden auf den Wegen zur Vergangenheit zwar
von den Prägungen ihrer Zeit geleitet und begleitet. Doch sie dürfen sich auch von
unerwarteten Entdeckungen und von Andersartigkeiten in der Geschichte verblüf-
fen lassen. Für die historische Innovationsforschung wurden die Vorschläge von
Rainer Christoph Schwinges wichtig, weil er an die Stelle subjektiver Beschleuni-
gungserfahrungen unserer Gegenwart ein ebenso klares wie plurales Kriterienbün-
Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation I 357

del für Innovationslandschaften und Innovationskulturen in der Geschichte setzter


Gert Melville präzisierte den Innovationsbegriff dann für die mediaevistische Klos-
terforschung, zuerst in einem programmatischen Beitrag von 2011, dann erneut in
seinem Beitrag für diesen Band/
Warum also Innovationen? Es gehört zu den wichtigen Aufgaben historischer
Forschung, zwischen dem beständigen Wandel und den markanten Beschleunigun-
gen qualitativ wie analytisch zu differenzieren. Solche dynamisierten Prozesse in
gelebten und gedachten Ordnungen^ des 12. und 13. Jahrhunderts werden hier aus
unterschiedlichen Perspektiven studiert. Die Klammer dafür bietet der Buchtitel,
der bereits schon eine These formuliert: »Innovationen durch Deuten und Gestal-
ten«.
Die Kritik am Innovations-Konzept gehört zu den Ursprungserfahrungen des
»Klöster-Projekts«. Am Beginn des Einrichtungsantrags hatten die Projektleiter
Gert Melville, Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter ihr Forschungsziel so de-
finiert: »Mittelalterliche Klöster entwickelten im sozialen und religiösen Wandel des
11. bis 13. Jahrhunderts eine bislang unerreichte Rationalität der Lebensgestaltung.
Damals entstanden Modelle jenes gesellschaftlichen wie kulturellen Aufbruchs, aus
denen sich die spezifischen Ordnungskonfigurationen der europäischen Moderne
ausformten. Unser Projekt >Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore euro-
päischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle< will in einer neuen Verknüpfung
von textorientierter Grundlagenforschung und kulturwissenschaftlicher Perspekti-
vierung diese Fundamente europäischer Ordnungen erforschen. Damit stellen wir
eines der Grundmodule der europäischen Kulturgeschichte in den Mittelpunkt.«
Im Begutachtungsprozess für die Aufnahme ins Akademienprogramm wurde
der Begriff der Innovationslabore kritisch diskutiert. Die drei Antragsteller griffen
diese Vorbehalte auf und präzisierten ihre Überzeugungen von der grundsätzlichen

2 Innovationsräume. Woher das Neue kommt - in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von Rainer C.
ScHWiNGEs/Pau! MESSERLi/Tamara MÜNGER (Publikationen der Akademischen Kommission der Uni-
versität Bern), Zürich 2001; Innovationskultur. Von der Wissenschaft zum Produkt, hg. von Gerd GRASS-
HOFF/Rainer C. ScHWiNGES, Zürich 2008. Darauf aufbauend: Verwandlungen des Stauferreichs. Drei
Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, hg. von Bernd ScHNEiDMÜLLER/Stefan WEINFURTER/
Alfried WiECZOREK, Darmstadt 2010. Vgl. zudem Aufbruch im Mittelalter - Innovation in Gesellschaften
der Vormoderne. Studien zu Ehren von Rainer C. ScHwiNGES, hg. von Christian HESSE/Klaus OscHEMA,
Ostfildern 2010, sowie die Einleitung von Stefan WEINFURTER in diesem Band.
3 Gert MELVILLE, Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft
der mittelalterlichen Klöster, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu
Leipzig 7, 2011, S. 72-92. Zum Umgang der hochmittelalterlichen Amtskirche mit Innovationen vgl. Ste-
fan BuRKHARDT, ÜMMAAtT?? Ttotüüttem - Das »Neue« im Mainzer Erzstift des 12. Jahrhun-
derts. Zur Anwendung von Innovationstheorien auf das Mittelalter, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte 97, 2010, S. 160-175.
4 Stefan WEINFURTER, Gelebte Ordnung - Gedachte Ordnung. Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und
Reich, hg. von Helmuth KLUGER/Hubertus SEiBERT/Werner BoMM, Ostfildern 2005.
358 I Bernd Schneidmüller

Bedeutung ihres Themas, das im Sinne der Grundlagenforschung sowohl durch


Editionen neuer Texte erschlossen als auch inhaltlich neu positioniert werden sollte.
Es ist an dieser Stelle angebracht, die Überlegungen aus dem gemeinsam formulier-
ten Antrag zu zitieren:
»Mittelalterliche Klöster verstanden sich als Einrichtungen zwischen Himmel
und Erde; doch sie vermochten den Himmel nur zu öffnen, weil sie dem irdischen
Leben diejenige Gestalt verliehen, die den Himmel erschloss. Trainiert als >Vir-
tuosen< (Max Weber) des Glaubens, bildeten Frauen und Männer, die im Streben
nach Selbstheiligung die Welt verließen und sich in eine klösterliche Gemeinschaft
begaben, eine Elite auch im Elmgang mit den pragmatischen Dingen des Lebens, da
diese die grundlegende Voraussetzung für die spirituelle Perfektionierung waren. In
Gestalt klösterlichen Lebens konnten sich somit wesentliche Bedürfnisse der mit-
telalterlichen Gesellschaft kristallisieren: Bei Investitionen ebenso der Frömmigkeit
wie des weltlichen Betriebes von Wirtschaft und Politik gewährleisteten Klöster
eine sichere Anlageform.
Klöster (im Einzelnen wie in Aggregation zu Orden) waren Systeme, die eine
radikal zwingende Kohärenz zwischen ihren jeweiligen Elementen aufwiesen, also
zwischen dem Komplex der jeweiligen spirituell verankerten Leitideen, dem Nor-
mengefüge der Verhaltensstrukturen der Mitglieder und der Ausgestaltung der Or-
ganisation.
Aus der Gestaltungskraft, die aus einem solcherart abgestimmten Leben er-
wachsen konnte, hatten die Klöster dann zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in
einem Akt höchster Rationalität gänzlich innovative Gemeinschaftsformen geschaf-
fen. Diese entsprachen den neu herausgebildeten religiösen Bedürfnissen in einer
sich wandelnden Gesellschaftsstruktur Europas, welche die Geltungsbehauptungen
herkömmlicher Institutionen hatten in Frage stellen lassen. Dabei wurden sowohl
Ordnungskonfigurationen für das klösterliche Leben selbst vorgelegt als auch Kon-
zepte aufgestellt, welche die Welt im Ganzen neu deuten und ordnen wollten.
Klösterliche Gemeinschaften jener Zeit glaubten an die Wirksamkeit von kollek-
tiver Willensbildung, schlossen sich zu Orden zusammen und schufen dabei völlig
neue Formen einer Vertretungskörperschaft; sie vertrauten auf die Geltungskraft
von gesatztem Recht und gaben sich erstmals ganz Europa überspannende Verfas-
sungen; sie setzten auf die stabilisierende Wirkung von Visitationen und richteten
ein stringentes System der institutionalisierten Kontrolle von Macht und Gehorsam
ein. Wissend jedoch um die Grenzen derartiger organisatorischer Regulative, ver-
langten sie zugleich die Verinnerlichung der normativen Verhaltensstrukturen und
suchten einen neuen Menschen zu formen, der ebenso von der individuellen Kraft
seines Gewissens wie von der bedingungslosen Anerkennung der gemeinschaftli-
chen Vorgaben geleitet war.
Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation I 359

Eine solch innovative Figurierung des klösterlichen Lebens führte zu einer


Neubestimmung der Wechselwirkungen von Individualität und Gemeinschaft, von
Transzendenz und Immanenz, von Normativität und Sinnstiftung, von (Eigen-)
Verantwortlichkeit und Führungsverpflichtungen, von Pragmatik des Lebens und
Idealen spiritueller Ziele. Die Grundsätzlichkeit, mit der hier aus klösterlicher Sicht
die konstitutiven Elemente von Mensch und Welt aufgegriffen worden waren, führ-
te rasch zur Überschreitung des Rahmens nur interner Diskurse und lieb Modelle
entwerfen, welche Geltung auch für das kirchliche und laikale Umfeld beanspruch-
ten.
Klösterliche Gemeinschaften prägten somit in der Spanne vom 11. zum 13. Jahr-
hundert die europäischen Vorstellungen von Gemeinschaftsbildung und Indivi-
dualisierung wesentlich mit. Sie lehrten Europa die Rationalität der Planung, der
Normsetzung, der formell geregelten Verfahrensabläufe, des Einsatzes pragmati-
scher Schriftlichkeit, des Umgangs mit Eigentum und Besitzlosigkeit, der Arbeits-
teilung, der Güterzuweisung, der ökonomischen Betriebseffizienz. Sie erprobten
bei sich erfolgreich die rationale Gestaltung gesellschaftlicher Systeme und eröffne-
ten dadurch der europäischen Gesellschaft den Weg zu neuen Konstruktionen von
Staatlichkeit. Sie testeten die Grenzen der rationalen Erkenntnis durch die Technik
der scholastischen Dialektik aus und sprengten sie auf durch die individuellen Er-
fahrungen der Mystik. Sie lehrten den Menschen eine verinnerlichte Ethik der Le-
bensführung und vermittelten ihnen damit ein entscheidendes Orientierungswissen
im Umgang mit sich selbst und den Anderen; sie deuteten ihnen programmatisch
die Natur, das Leben und das Jenseits.
Mittlerweile entfaltete Gert Melville solche Anfangsideen in seinem groben Buch
zur Welt der mittelalterlichen Klöster/ Die Gestaltung des Lebens, die Modelle zur
Einfügung des Individuums in die Gemeinschaft sowie die Entwürfe zur Deutung
von Welt, Natur und Heilsgeschichte - im Sinne fluider Ordnungskonfigurationen
verflochten^ - lassen die innovative Kraft der hochmittelalterlichen vzAz re/zgzoM
hervortreten. Zeitgenossen wie Joachim von Fiore (j* 1202/1205) oder Bonaventura
(J 1274) fingen die Dynamik ihrer eigenen Zeit in neuen Epochenmodellen ein. Sie
verweisen bereits auf die spätere universalhistorische Trias von Altertum - Mittel-
alter - Neuzeit. So formulierte Joachim seine Naherwartung einer Zeitenwende, in
der das dritte Zeitalter des heiligen Geistes beginnen würde. Der Franziskanerge-

5 Gert MELViLLE/Bernd ScHNEiDMÜLLER/Stefan WEiNFURTER, Einrichtungsantrag an die Heidelberger


Akademie der Wissenschaften, 28.08.2008 (hier ohne die Fußnoten zitiert).
6 Gert MELVILLE, Die Weh der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012.
7 Ordnungskonhgurationen im hohen Mittelalter, hg. von Bernd ScHNEiDMÜLLER/Stefan WEiNFURTER
(Vorträge und Forschungen 64), Ostfildern 2006.
360 I Bernd Schneidmüller

neral Bonaventura schichtete seine eigene Gegenwart als letztes Zeitalter (^Afw^w
der freiwillig Armen von einer ersten Zeit (przwMW ^empMs) der Apostel
und Apostelschüler und von einer mittleren Zeit (weJzMW ^em/ws) schriftkundiger
Männer ab.^ Der innovative Charakter des lß. Jahrhunderts wurde also schon da-
mals in epochalen Ordnungsmodellen einer völlig neuen Zeit erfasst.
Welche Gegenwelten schafft sich eine Gesellschaft? Diese Frage durchzieht die
meisten Beiträge dieses Bands. Die Antworten der Reformorden seit dem ausgehen-
den 11. Jahrhundert legten die Sehnsüchte der Menschen nach dem richtigen Weg
zu Gott offen. Die ungeheuren Erfolge der Zisterzienser und der Prämonstratenser
im 12. Jahrhundert sowie der Bettelorden im lß. Jahrhundert sind Spiegel der Prob-
lemfelder in Welt und Amtskirche. Die alternativen Lebensentwürfe, die das Indivi-
duum über den Tag wie durch das Leben leiteten und die Gemeinschaft in jeglicher
Hinsicht durch präzise Verordnungen regulierten, wiesen weit über das Bestehende
hinaus. Rationalisierung, Formalisierung, Verschriftlichung, Aktualisierung - das
waren die Leitlinien des Wechsels. Er wurde von virtuosen Charismatikern einge-
leitet und von den vielen »einfachen« Mönchen wie Nonnen gestaltet.
In einer Zeit vor der Gnadentheologie des 16. Jahrhunderts forderte die re-
/igzoM beständig höchste Anstrengung und größte Hingabe. Wenn sich Gott schon
nicht zur Welt neigte, so mussten sich Körper, Geist und Seele eben zu ihm stre-
cken. Die Sehnsucht nach Nähe zu Gott im Kloster forderte bei Zisterziensern,
Kartäusern oder Franziskanern gewaltige Leistungen des Individuums wie der Ge-
meinschaft ein (Ulrich Köpf, Tim Johnson). Deshalb galt die Fürsorge der Refor-
mer auch und gerade dem Körper (»monastic body«, Jacques Dalarun), während
die Individualisierung der Gotteserfahrung in der Gemeinschaft die Seele zum Haus
Gottes oder das Herz zur Kammer Gottes erwachsen ließ (Mirko Breitenstein).
Individuum und Gemeinschaft - dieses Spannungsverhältnis durchzieht die ge-
samte Geschichte des Coenobitentums und brachte beständig neue Formen von
Inklusion und Exklusion hervor (Hedwig Röckelein). Dieser Zwang zur Ent-Indi-
vidualisierung musste von jeder Generation neu bewältigt werden, wenn der eigene
Wille zur Zelle und die Welt zum Kloster wurde (Steven Vanderputten). Die Fül-
le der Überlieferung lässt den vermeintlichen Siegeszug von Disziplinierung und
Konformität eher erkennen, weil Individualisierung als Devianz stigmatisiert wurde

8 Belege zu solchen mittelalterlichen Epochenkonzepten bei Achim Thomas HACK, Das Mittelalter als
Epoche im Schulbuch. Periodisierung und Charakterisierung, in: Das Bild des Mittelalters in europä-
ischen Schulbüchern, hg. von Martin CLAUSs/Manfrcd SEtDENFUSS, Berlin 2007, S. 85-116; Bernd
SCHNEIDMÜLLER, Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200-1500 (C. H. Beck
Geschichte Europas), München 2011, S. 31-57.
Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation 361

(Jens Röhrkasten).^ Dass im kleinen Leben aber mehr Individualität möglich war,
als wir dem Spätmittelalter Zutrauen, zeigt sich darin, dass der einzelne Mönch ins
Bild kommen konnte. Auch Individuen, nicht nur Institutionen ließen sich in dieser
Welt historisieren (Gabriela Signori). Die Ambivalenz von Zwang und Freiheit löste
sich niemals wirklich auf, weil der Mönch sich in der völligen Freiheit des Christen
zu Gott wandte und dafür die totale Regulierung im Kloster wählte.
Weltdeutung durch Wissenskonfiguration - oder: Wie lassen sich Gott und die
Welt erfassen? Die Mendikanten des 13. Jahrhunderts starteten als Antwort auf diese
Frage ehrgeizige Versuche. Sie deuteten die Welt in ganzheitlichen Entwürfen oder
mittels einzelner Exempla (Sita Steckei) und verschränkten himmlische Visionen
mit irdischer Pragmatik (Thomas Ertl). Diese Spannungen durchzogen ihre Texte,
die bei allem Willen zur Kohärenz doch die Verwandlung von Einheit in Einzelhei-
ten erkennen lässt. Im 13. Jahrhundert löste sich die Geschichte in Geschichten auf
und ließ sich nur mühsam wieder zu einem großen Ganzen zusammensetzend" Die
Spannungen zwischen den letztendlich gescheiterten mendikantischen Projekten
einer enzyklopädischen Totalerfassung von Welt- und Heilsgeschichte und ihrer
Auflösung teleologischer Geschichtsschreibung in Exempelsammlungen verdienen
besondere Aufmerksamkeit." Neben die großen eines Vincenz von Beau-
vais, der die Fülle von Natur und Geschichte in dickleibigen Folianten zu bändigen
versuchte, traten zisterziensische oder dominikanische Exempelsammlungen eines
Caesarius von Heisterbach, eines Richalm von Schöntal oder eines Thomas von
Cantimpré. Ihr Zweck und ihre Rationalität beginnen sich in neuesten Forschun-
gen erst wieder langsam zu erschließen; dazu sind im Heidelberger Klöster-Projekt
Arbeiten von Julia Burkhardt und Verena Schenk zu Schweinsberg zu erwartend^
Die Mainzer Diskussionen über Mendikantentum, Schulen und Universitäten
machten ein wichtiges Forschungsdesiderat deutlich. Klösterliche und außerklös-
terliche Erfahrens- und Wissensräume treten in ihren Wechselwirkungen nämlich
erst langsam in den Blick. Prozesse von Transfer, Durchdringung, Verschränkung
und Amalgamierung sollten theoretisch wie inhaltlich studiert werden, etwa zwi-

9 Künftig: Rules and Observance. Devising Forms of Communal Life, lig. von Mirko BREITENSTEIN/Julia
BuRKHARDT/Stefan BuRKHARDT/Jens RÖHRKASTEN (Vita Regularis) [in Druckvorbereitung].
10 Hinweise auf Quellen und Literatur bei Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Ordnung von Welt und Geschich-
te, in: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, hg. von Matthias Puhle,
Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 446-457.
11 Wegweisungen bei Markus SCHÜRER, Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispiel-
gebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts (Vita regularis. Abhandlungen
23), Berlin 2005.
12 Erste Hinweise: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines
Begriffs, hg. von Mirko BREiTENSTEiN/Stefan BuRKHARDT/Julia DÜCKER (Vita regularis. Abhandlun-
gen 48), Berlin 2012.
362 I Bernd Schneidmüller

sehen der theologischen Wehdeutung der Dominikaner und der pragmatischen Po-
litikgestaltung im 13. Jahrhundert. In ihrer Radikalität gerieten die Franziskaner
zum Stachel oder zum Arger in der Geschichte, gaben aber gleichzeitig auch prak-
tische Handlungsanleitungen für die Herren dieser Welt.
Solche Wirkungen der Klöster in die Welt werden in diesem Band auf verschie-
denen Ebenen exemplarisch präsentiert: in sichtbarer Evidenz monastischer Archi-
tektur (Matthias Untermann), in der Provokation des Betteins für Gesellschaften,
die gerade die Durchsetzung der Geldwirtschaft erlebten (David Flood), im Trans-
fer geistlicher Disziplin und Rationalität für den administrativen Herrschaftsaufbau
des Deutschen Ordens (Klaus Militzer) und in der ambivalenten Prägung der scho-
lastischen Praxis durch monastische Denkformen (Frank Rexroth). Die Diskussion
unterschied zwischen den gezielt erinnerten charismatischen Anfängen und ihrer
Verdauerung in langen Gewöhnlichkeiten. Die Abfolge solch liminaler Phasen vom
visionären Schwung zur pragmatischen Institutionalisierung wird heute nicht mehr
als Fortschrittsnarrativ im Sinne traditioneller biologistischer Deutungsschemata
von Aufstieg, Blüte und Verfall angesprochen (Frank Rexroth), wie überhaupt be-
rechtigte Skepsis gegenüber den großen kirchengeschichtlichen Meistererzählun-
gen angebracht erscheint. Noch sind allerdings die Alternativen für eine künftige
Klostergeschichtsschreibung nicht klar. Aktuelle Bekenntnisse, auf Entwicklungs-
geschichte ganz zu verzichten oder alles noch stärker zu differenzieren, erscheinen
als Schlüssel zur Bündelung von Vielfalt bisweilen etwas hilflos.
Immerhin wirkt - das stellte David Flood in der Diskussion prägnant heraus -
der franziskanische Stachel unter veränderten säkularen Umständen bis heute wei-
ter: Gerechtigkeit und Frieden müssen schon in dieser Welt realisiert und nicht in
die Transzendenz verschoben werden. Das verlangt sofortige gesellschaftliche Ge-
rechtigkeit. Folgerichtig deutete die franziskanische Tradition die Verweigerung des
Almosens als Verbrechen und ließ das Naturrecht fordernd in die mittelalterliche
Rechtsordnung einbrechen.
In der Schlussdiskussion der Mainzer Tagung wurden vor allem mittelalterliche
Verlaufsgeschichten, moderne Deutungsmuster und die Bedeutung von Paradoxien
und Alteritätserfahrungen thematisiert. Einige dieser Paradoxien sollen ans Ende
gerückt werden.
Monastisches Leben prägte die Geschichte des Christentums seit der Spätantike
in wechselnder Intensität. Der Auftrag des Alten und des Neuen Testaments hätte
auch eine Kirche und eine Mission ermöglicht, die völlig ohne Mönche und Nonnen
ausgekommen wäre. Damit ist nicht gemeint, dass klösterliches Leben keine Veran-
kerung im Evangelium fände. Jesus und seine Jünger oder die Apostelgemeinschaft
in Jerusalem boten schließlich in ihrem gegenweltlichen Zusammenleben und in ih-
rer Radikalität der Christusnachfolge entscheidende Vorbilder. Doch Jesu Auftrag
Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation I 363

an die Jünger zielte darauf, Salz der Erde zu sein, zu den Menschen zu gehen, alle
Völker bis an die Enden der Welt für den neuen Bund Gottes mit den Menschen
zu gewinnen. Dafür hätte es keiner klösterlichen Klausur und keiner Herauslösung
von geistlichen Spezialisten aus der menschlichen Gemeinschaft bedurft.
Die monastische Geschichtlichkeit entsprang der Parusieverzögerung und damit
der Frustrationserfahrung, wie sich Generationen von Christen vor der Endzeit in
dieser Welt und in ihrem Leben einrichten sollten. Im Christentum der verschie-
denen Geschwindigkeiten wollten die Klöster und vor allem die neuen Orden seit
dem 12. Jahrhundert ganz vorne sein. Aus geistlicher Ungeduld sollte ein Abbild
vom himmlischen Gottesreich schon auf Erden errichtet werden.
Im Hinblick auf die göttliche Norm blieb die erreichte Form aber bloßes Stück-
werk. Das Streben nach Vollkommenheit band zwar den ganzen Menschen ein und
machte ihm dennoch im systematischen Misserfolg seine Grenzen klar. Solche Pa-
radoxien prägten die re/zgzoM seit ihren Anfängen. Auch die heutigen Chris-
tinnen und Christen lassen sich in ihrer irdischen Gebundenheit davon begleiten.
Historisch unterschiedlich waren und sind indes die Reaktionen auf solche End-
lichkeitserfahrungen.
Individuelle Trieb- und Lebensregulierungen wie der gemeinschaftliche Weg zur
Christusnachfolge wurden in den Klöstern des 12. und 13. Jahrhunderts anders
gestaltet, als dies in der individuellen Gnadentheologie der Reformatoren seit dem
16. Jahrhundert geschah. Der reformatorische Bruch mit gegenweltlichen Lebens-
gemeinschaften zugunsten einer direkten Verbindung des Individuums mit Gott
veränderte nicht nur die Klostergeschichte des lateinischen Christentums, sondern
auch die Perspektiven der historischen Erforschung von älteren Gemeinschaftside-
alen und -praktiken, die noch ganz auf die Integration des Einzelnen in die Kom-
munität gesetzt hatten. Forschungen zu historischen Orden und Klöstern entgingen
weder den Gegenwartserfahrungen mit Orden und Klöstern noch konnten sie sich
in der Neuzeit aus konfessionellen Kontroversen vom »richtigen« Weg des Men-
schen zu Gott lösen. Der Wechsel solcher Blickwinkel und die Verschiebung von
Wertigkeiten müssen in einem Forschungsprojekt zu Klöstern im Hochmittelalter
besonders bedacht werden.
Deshalb ist der ungebrochene Optimismus Ottos von Freising aus dem 12. oder
Bonaventuras aus dem 13. Jahrhundert zu historisieren. Beide sahen ein neues und
finales Zeitalter der Klöster und Mönche heraufziehen und bewältigten mit dieser
Zukunftsvision ihre bedrängte GegenwartV Solche vergangenen Formen des Deu-
tens und Gestaltens, die wir als gescheitert ansehen möchten, erfordern von der

13 Joachim EHLERS, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter, München 2013.
364 I Bernd Schneidmüller

Geschichtswissenschaft allerdings keine Evaluation auf überzeitliche Gültigkeit.


Es genügt, solche Andersartigkeiten in ihrer eigenen Würde zu akzeptieren. Die
pragmatische Bewältigung von Paradoxien gehörte zum Programm der Reformor-
den des 12. wie der Bettelorden des 13. Jahrhunderts integral hinzu. In ihren Per-
gamenten wie in ihren Praktiken entdecken wir eine vergangene Version radikaler
Zukunftsgestaltung und ein - im Vergleich zu unseren Lösungsstrategien - gänzlich
distinktes Ausprobieren individueller wie korporativer Antworten auf elementare
Herausforderungen. In diesem Sinn sprechen wir die Klöster des 12. und 13. Jahr-
hunderts als Innovationslabore für Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle in Eu-
ropa an.
Namenregister
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Abkürzungen: Äbt. = Äbtissin, bibl. = biblisch, Bf. = Bischof, Bm. = Bistum, CSA -
Augustiner-ChorherrenZ-Kanonissen, d. = der, dt. = deutsch, Ebf. = Erzbischof, Ebm. -
Erzbistum, frz. = französisch, Gf. = Graf, Gm. = Generalminister, Hl. = Heilige/Heiliger/
Heiliges, Kard. = Kardinal, Kg. = König, Kgn. = Königin, Kl. = Kloster, Ks. = Kaiser, OCart
= Kartäuser, OCist = Zisterzienser/innen, OFM = Franziskaner, OP = Dominikaner/innen,
OPraem = Prämonstratenser, OSC = Klarissen, OT = Deutscher Orden, röm. = römisch,
s. = siehe, S. = San, St. = Sankt/Saint, u. = und, v. = von

A Alkuin, Abt v. St-Martin, Tours 227


Abbo v. Fleury, Abt v. Fleury 108,773 Allerheiligen, Kl., Schaffhausen 139
Abel, bibl. 345 Alpen 66, 140, 269, 282, 285
Adalbero, Ebf. v. Reims 109 Anselm v. Canterbury, Hl., Ebf. v.
Adalbero, Bf. v. Laon 108, 110f., 773 Canterbury, Abt v. Le Bec 217, 219,
Adam, bibl. 19 224-226,232,237,323
Admont, Kl. 140, 152, 154f., 157f. Anselm v. Laon 223, 225 -231, 233 f., 237,
- Abt, s. Irimbert v. Admont 239, 241 f., 246
Aelred v. Rievaulx (OCist), HL, Abt v. Antiochia 121
Revesby u. Rievaulx 203 Apenninen 20, 255
Agnes v. Poitiers, Hl., Äbt. v. Hl.-Kreuz Aquinat, s. Thomas v. Aquin
137 Archytas v. Tarent 83
Akkon 310, 312 Ardennen 71
- Bf., s. Jakob v. Vitry Arenakapelle, Padua 93
Alanus v. Auxerre (OCist), Abt v. Argonnen 116
Larrivour, Bf. v. Auxerre 319 Aristoteles 75, 83, 85, 245, 331
Alberti, Leon Battista 165 Arles, Stadt u. Bm. 138
Albertus Magnus (OP), Hl., Bf. v. - Bf., s. Caesarius v. Arles
Regensburg 319 - Kl. St-Jean, s. St-Jean
Alcher v. Clairvaux (OCist) 39 Arnulf, Ebf. v. Reims 108, 772
Alexander IV., Papst 185 Arras 124
366 I Verena Schenk zu Schweinsberg

-Bm.,s.Cambrai Bernhard v. Clairvaux (OCist), Hl., Abt


- Kl. St-Vaast, s. St-Vaast v. Clairvaux 10,30, 38, 61, 70, 72 f.,
Assisi 83 f., 94, 182f., 292 76-81,177, 201, 212, 243, 246, 315, 319,
- Basilika S. Francesco 93 324-326, 340, 344
Atlantik 310 Berno v. Reichenau, Abt v. Reichenau 105
Augsburg 144 Bernold v. Konstanz 217, 229, 234
- Dominikanerinnen, s. Bibaut, Willem van (OCart), Prior d.
Katbarinenkloster Grande Chartreuse 175 f.
Augustinus, Hl., Bf. v. Hippo Regius 60, Birgitta v. Schweden, Hl. 348
85 f., 135, 145, 192, 241 f., 342 Blois 124
Auxerre, Stadt u. Bm. 227 Boethius, Anicius Manlius Severinus 239
- Bf., s. Alanus v. Auxerre Böhmen 156
- Kathedrale 227 - Kg., s. Otakar Premysl
- Kathedralschule 227 Bologna 76*3, 189
Avignon 191 Bonagratia v. Bergamo (OFM) 13
Bonaventura v. Bagnoregio (OFM), Hl.,
B Gm. OFM, Kard. v. Albano 83-95,
Babylon, bibl. 326 197, 304 f., 359 f.
Bacon, Francis 263 Bonifatius, Hl., Missionsebf. 133
Baltikum 312 Bonuscompagnus v. Prato (OFM) 187
Barbara, Hl. 168 Boubais, Jeanne de (OCist), Abt. v. Flines
Barby 278 f. 177
- St. Johannis, Franziskanerkirche 278 f. Braunschweig 155
Barnabas, bibl. 348 - Kl. Hl.-Kreuz, s. Hl.-Kreuz
Bartholomaeus v. Brügge 331 Bnxen, Stadt u. Bm. 158
Bartholomaeus v. Pisa (OFM) 197 - Bf., s. Nicolaus Cusanus
Basel 283 - Klanssenkloster 158
- Barfüßerkirche, Franziskanerkirche Brügge 167, 176
283 - Kl. Gnadental, s. Gnadental
Basilius d. Große, Hl., Bf. v. Caesarea 25 Bruno v. Roucy, Bf. v. Langres 108
Beaulieu-en-Argonne, Kl. 116f. Brüssel 172
- Abt, s. Rodingus - Elisabethenspital 172
Le Bec, Kl. 217, 323 Burgund 105
- Abt, s. Anselm v. Canterbury Byzanz, s. Konstantinopel
Beda Venerabilis, Hl. 227
Benedikt v. Aniane, Hl., Abt v. Aniane 12 c
Benedikt v. Nursia, Hl., Abt v. Monte Caesarius v. Arles, Hl., Bf. v. Arles 132,
Cassino 22-25, 27, 29, 31, 33f., 57, 107, 134-138,141-143, 326
132, 138,200,326,340, 346f. Caesarius v. Heisterbach (OCist) 361
Berengar v. Tours 229 Cambrai, Stadt u. Bm. 108, 110, 120
Bern 283 - Bf., s. Gerhard I.
- Predigerkirche, Dominikanerkirche - Kastellan, s. Walter v. Lens
283 Cambridge, Kustodie OFM 186
Namenregister I 367

Canterbury, Ebm. 217 Eberwin v. Trier, Abt v. St. Martin, Trier,


- Ebb, s. Anselm v. Canterbury, Lanfranc Tholey 120-122
v.Bec Ebstorf, Kl. 155
Châlons-sur-Marne, Bm. 108 Elbe 278 f.
- Bh, s. Roger E, Wilhelm v. Champeaux Elbing 314
Chartres, Stadt u. Bm. 37, 108, 239 Elia, bibl. 72
- Bh, s. Fulbert, Johannes v. Salisbury, Elias v. Assisi (OFM), Gm. OFM 185, 187
Petrus Cellensis, Solemnis Elisabeth v. Thüringen, Hl. 168
Cicero, Marcus Tullius 91 Eisass 733
Citeaux, Kl. OCist 67 England 66*, 217, 237
Clairvaux, Kl. OCist 325 — Ordensprovmz OFM 186
- Abt, s. Bernhard v. Clairvaux, Gottfried — Ordensprovmz OP 190
v. Auxerre Erfurt 282, 285 f., 289
Clara v. Assisi (OSC), Hl., Äbt. v. S. — Predigerkirche, Domimkanerkirche
Damiano 186, 303, 304 282
Clareno, Angelo (OFM) 197 — Franziskanerkirche 285, 286
Clercq, Robrecht de, Abt v. Ten Duinen — Augustmerkirche 289 f.
174 Ermland 315
Cluny, KL, Klosterverband 68, 113, 132, Esra, bibl. 92
138,221,337 Esslingen 276
- Abt, s. Odilo v. Cluny, Odo v. Cluny, — Domimkanerkirche 276 f.
Petrus Venerabilis — Pfarrkirche St. Dionys 277
Coelestin V, Papst 197 Eugen III., Papst 78
Colmar 275, 282 Europa 61, 87, 107, 143, 146 f., 155, 184,
- Domimkanerkirche 275 200, 203, 216b, 220h, 239, 246, 264 f.,
Columban »d. Jüngere«, Hl., Abt v. 267, 269-271, 308, 323, 338, 358f., 364
Luxeuil u. Bobbio 118, 200 Eva, bibl. 19
Columbus, Christoph 95 Eyck, Jan van 767
Ezechiel, bibl. 92
D
David, bibl. 340 F
Deutschland 12, 143, 216-218, 276 Fabri, Felix (OP) 144
Deutz 233 Ferrara 188
- Kl. St. Heribert, s. St. Heribert Fingen, Abt v. St-Vanne 112
Dionysius Areopagita, Hl. 86, 88 Flandern 237
Dominikus (OP), Hl. 182, 256, 347, 352 — Gf. v. 237
Dominikus Loricatus, Hl. 20f. Fleury, Kl. 108
Douai 177 — Abt, s. Abbo v. Fleury
- Kl. Flines, s. Flines Flines, Kl. OCist, Douai 177f.
— Äbt., s. Boubais, Jeanne de
E Fountains, Kl. OCist 337
Eberbach, Kl. OCist 337 Frankreich 12, 105, 121, 231, 237, 239, 243,
Eberhard v. Sayn (OT), Großkomtur 309 255,260
368 I Verena Schenk zu Schweinsberg

- Kg., s. Hugo Capet, Lothar, Ludwig Gregor IX., Papst 187, 195, 297, 305
IX. »d. HL«, Robert II. »d. Fromme« Gregor v. Nyssa, Hl., Bf. v. Nyssa 87
Franziskus v. Assisi (OFM), Hl. 27, 84, Guigo I. (OCart), Prior d. Grande
86-88, 93L, 176, 184, 193, 196h, Chartreuse 81
233, 256, 258 L, 261, 270, 283, 285 L, Guigo II. (OCart), Prior d. Grande
291-298, 300, 303-305, 347h, 350 Chartreuse 80
Friedrich I. »Barbarossa«, röm.-dt. Kg. u. Guillaume v. Brüssel (OCist) 177f.
Ks. 158 Gunthar (CSA), Prior v. Lippoldsberg
Friedrich IL, röm.-dt. Kg. u. Ks., Kg. v. 141

Sizilien u. Jerusalem 187 Gutolf v. Heiligenkreuz (OCist) 157


Friedrich, GL v. Verdun 112, 723
Fruttuaria, Kl. 330 H
Fulbert, BL v. Chartres 108 Haggai, s. Johann v. Reading
Haimo, Bf. v. Verdun 116L, 124
G Haimo v. Auxerre 227
Gallus, Hl. 118 Halberstadt, Bm. 141
Gangolf, Hl. 111 Hamersleben, Kl. CSA 141
Genier See 319 Harz 141
Gerard L, Bf. v. Cambrai 108, 110 L, 113, Haymo v. Faversham (OFM), Gm. OFM
116, 124 184
Gerhoh v. Reichersberg (CSA), Propst v. Heihgenkreuz, Kl. OCist 156
Reichersbcrg 152 Hl.-Kreuz, Kl. OCist, Braunschweig 155
Gilbert v. Hoyland (OCist), Abt v. Hl.-Kreuz, Kl., Poitiers 137
Swineshead 327 - Abt., s. Agnes v. Poitiers, Leubovera
Gilbert v. Poitiers, Bf. v. Poitiers 229, 234, Hl. Land 118, 120, 124h, 237, 308, 310f.
239, 241, 243 Hl. Röm. Reich, s. Reich, röm.-dt.
Gilbertus Universalis, Bf. v. London 227 Heinrich IL, Hl., röm-dt. Kg., Ks. 773
Giles, Peter 332 Heinrich IV, röm-dt. Kg., Ks. 217
Giotto di Bondone 93 Heine v. Auxerre 227
Gnadental, Kl. OCart, Brügge 167L, 170 Helena v. Suntheim (OSC) 162 f.
- Prior, s. Vos, Jan Helias (Heliand) v. Köln, Abt v. St.
Goes, Hugo van der 766 Pantaleon u. St. Martin 105
Görlitz 289 Heloise, Äbt. v. Le Paraclet 733, 331
- Franziskanerkirche 289 Herluin v. Le Bec, Hl. 277
Gottfried v. Auxerre (OCist), Abt v. Igny, Herrad v. Hohenburg (CSA), Abt. v.
Clairvaux, Fossanova, Hautecombe 325 Hohenburg 733, 209h, 214-216, 242 f.
Gottfried v. Viterbo 244 Hieronymus, Hl. 140, 142, 331
Grande Chartreuse, Kl. OCart 80, 176 Hildegard v. Bingen, Hl. 733, 212
- Prior, s. Guigo L, Guigo IL, Bibaut, Hildesheim, Bm. 141, 155
Willem van Hirsau, Kl. 132, 138-141, 732, 158, 217,
Gratian 296 221, 337
Gregor I. d. Große, Hl., Papst 109-111, - Abt, s. Wilhelm v. Hirsau
774, 125 h, 149, 326,346 Hohenburg, Kl. CSA 209, 214, 243
Namenregister I 369

- Äbt., s. Herrad v. Hohenburg - Golgotha, bibl. 124f.


Hondt, Christian de (OCist), Abt v. Ten - Grabeskirche/Hl. Grab 118, 125
Duinen 173 h - Ölberg 91
Honorius III., Papst 186 - Tal Josaphat, bibl. 91
Honorius Augustodunensis 216 f., 219, Jesaja, bibl. 346
221-225, 231, 236, 240-244, 345 Jesus Christus, bibl. 9, 13, 19-27, 23, 28,
Horn 737 33, 56 L, 59, 60 f., 63 L, 72, 77, 81L,
Hrabanus Maurus, Abt v. Fulda, Ebl v. 84-88, 98,109, lllf., 115, 119, 121-127,
Mainz 227, 237 130f., 136, 150-153, 155,167 h, 170,
Hugo Capet, Kg. v. Frankreich 108 174-177, 197, 199f., 203f., 218, 220f.,
Hugo v. Digne (OFM) 306 234, 256, 265, 293, 299, 302, 303,306,
Hugo v. Flavigny, Abt v. Flavigny 111h, 320, 327, 347, 349, 350, 362
115,123,125 Joachim v. Fiore (OCist), Abt v. Corazzo
Hugo v. Honau 243 u. S. Giovanni in Fiore 201, 233, 261,
Hugo v. St-Victor (CSA) 210, 241-243 348,359
Hugolino, s. Gregor IX. Johann v. Reading (OFM) 191
Humbert v. Romas (OP), Gm. OP 185, Johannes d. Täufer, bibl. 345
196,351-353 Johannes (Evangelist), bibl. 117, 125, 176
Johannes XXII., Papst 188, 191, 196
I Johannes Cassian, Hl. 145, 151
Iberische Halbinsel 190 Johannes v. Fécamp, Abt v. Fécamp 124
Ingomen, Abt v. St-Martin, Massay u. Johannes v. Gorze, Abt v. Gorze 777
St-Germain 108 Johannes Khmakos, Hl. 72
Innozenz III., Papst 292, 298 Johannes v. Salisbury, Bf. v. Chartres
Innozenz IV., Papst 305 327-329
Irimbert v. Admont, Abt v. Admont u. Jordan 91, 121, 125
Michelsberg, Bamberg 152, 154 Jordanus v. Giano (OFM) 286
Isaak v. Stella (OCist), Abt v. Stella u. Josua, bibl. 348
Unser Lieben Frau v. Chateliers (Ré)
327 K
Isidor v. Sevilla, Hl., Bf. v. Sevilla 131, 237 Karneades v. Kyrene 320
Israel 347 Katharinenkloster, Kl. OP, Augsburg 144
Italien 12, 86, 182, 217, 255, 260, 262, 285, Koksijde 173
292 Köln 7&3, 233, 235, 247, 280
- Dom 280f.
J - Minoritenkirche, Franziskanerkirche
Jacobus de Cessolis (OP) 320 280f.
Jakob v. Vitry, Bf. v. Akkon, Kard v. Konrad I., Ebf. v. Salzburg 347
Tusculum 22, 348 Konstantin, Abt v. Micy St-Mesmin 108
Jericho 91 Konstantinopel 66, 118, 220
Jerusalem 85-94, 118, 121, 125, 127, 144, Konstanz 732
362 Kuno, Bf. v. Regensburg, Abt v. Siegburg
- Kg., s. Friedrich II. 233, 235
370 I Verena Schenk zu Schweinsberg

L Manegold v. Lautenbach (CSA), Prior v.


Lambert v. St-Omer 236-238, 244, 246 Marbach 232, 234
Lanfranc v. Bee, EM. v. Canterbury, Abt v. Marbach, Kl. CSA 217, 243
St-Étienne de Caen 217, 226, 323 - Prior, s. Manegold v. Lautenbach
Langres, Bm. 108 Margarete v. Österreich, Regentin d.
- BL, s. Bruno v. Roucy Niederlande, Herzogin v. Savoyen 164
Laon, Stadt u. Bm. 108, 225, 227, 231, 239, Maria, bibl. 117b, 125, 153, 168, 172,
247 175-177, 192, 346
- BL, s. Adalbero Maria Magdalena, bibl. 140
- Kathedrale 227 Maria Medingen, Kl. OP 144
- Kathedralschule 225, 227-231, 233 L Marienburg, Deutschordensburg 310
Latini, Brunetto 245 Marken 255
La Verna 86, 94 Marseille 327
Leotheric, Ebb v. Sens 108 - Kl. St-Victor, s. St-Victor
Leubovera, Abt. v. Hl.-Kreuz 137 Martin v. Tours, Hl., BL v. Tours 124
Liège, Stadt u. Bm. 120, 233, 247 Massay 108
- BL, s. Notker - Kl. St-Martin, s. St-Martin
- Kl. St-Laurent, s. St-Laurent Matthäus, bibl. 92
Lippoldsberg, Kl. 132, 138-143, 154 Meißen 289
- Prior, s. Gunthar - Franziskanerkirche 289
Livland 309-312, 316 Melk, Kl. 158
Llandabf, Bm. 7## Metz 156
Lombardei 7#9 Micy St-Mesmin, Kl. 108
Lothar, Kg. v. Frankreich 108 - Abt, s. Konstantin
Lothringen 105 Mittelmeer 220, 308, 310
Lübeck 287 Mont-Dieu, Kl. OCart 71
- Franziskanerkloster 287 Mont-St-Michel, Kl. 337
Ludwig IX., Hl., Kg. v. Frankreich 318 Monte Cassino, Kl. 22
Lukian v. Samosata 767 - Abt, s. Benedikt v. Nursia
Lüne, Kl., Lüneburg 155 Montefalcone, Kl. OFM 255
Luther, Martin 32, 60-62 Morus, Thomas, Hl. 332
Lüttich, s. Liège Moses, bibl. 67, 87, 348
Moütier-la-Celle, Kl. 339
M - Abt, s. Petrus Cellensis
Mabillon, Jean 106 Mouzon, Kl. 709
Madalveus, Hl., BL v. Verdun 117-119,
122 N
Magdalena v. Suntheim (OSC) 162 Narbonne 306
Magnerich, BL v. Trier 777, 118-120, 122 Nebukadnezar, bibl. 340, 344
Mailand 7^3, 294 Nehemia, bibl. 92
Mainz, Stadt u. Ebm. 287 Nellenburg, GL v. 139
- Ebb, s. Hrabanus Maurus, Ruthard Nicolaus Cusanus, Kard. u. BL v. Brixen
- Franziskanerkirche 287 158
Namenregister I 371

Nieuwlicht, Kl. OCart, Utrecht 170 Paschalis IE, Papst 67


Noah, bibl. 345 Paschasius Radbertus, Abt v. Corbie 227
Nonnberg, Kh, Salzburg 732 Paulus, bibl. 20, 49, 72 f., 87, 120, 348
Norbert v. Xanten (OPraem), Hi., Ebb v. Paulus, Bf. v. Verdun 116 f.
Magdeburg 10, 13, 233, 235 Pavia 327
Nordhessen 138 - Kartause, Kl. OCart 337
Nordsee 310 Peter v. Blois 331
Normandie 121, 217 Petershausen, Kl., Konstanz 732
Notker, Bh v. Liège 124 Petrarca, Francesco 320
Petrus Abaelardus, Abt v. St-Gildas-en-
O Rhuys 65, 212, 229, 234, 241, 246,
Odilo v. Cluny, Hl., Abt v. Cluny 105, 324-326, 328, 330 f.
206, 112 Petrus Cellensis, Bf. v. Chartres, Abt v.
Odo v. Cluny, Hl., Abt v. Cluny 114 Moütier-la-Celle 37-39, 41 f., 44, 47, 49,
Olbert v. Gembloux, Abt v. Gembloux 52, 55 f., 60, 62, 327,339
105 Petrus Christus 167, 36#, 170
Olivi, Petrus Johannis (OFM) 184 Petrus Comestor 210, 328
Origenes 87 Petrus Damiani, Hl., Kard.bf. v. Ostia 20,
Orléans 108 121 f., 124, 232
Österreich 156 Petrus Lombardus, Bf. v. Paris 209 f., 240f.,
Ostsee 310 243,245
Otakar Premysl, Kg. v. Böhmen 157 Petrus Venerabilis, Abt v. Cluny 733, 302 f.,
Otloh v. St. Emmeran 6#, 232 344
Otto v. Freising (OCist), Bf. v. Freising, Plancken, Jakob 162
Abt v. Morimond 201, 346, 363 Platon 63, 79, 83
Oxford 190 Plotin 63, 89
- Kustodie OFM 186 Poitiers, Stadt u. Bm. 137
- Bf., s. Gilbert v. Poitiers, Venantius
P Fortunatus
Pachomius d. Ältere, Hl. 28, 145, 341 - Kl. Hl.-Kreuz, s. Hl.-Kreuz
Palästina 144, 310, 312 Poppo, Ebf. v. Trier 121
Parenti, Giovanni (OFM), Gm. OFM 300 Poppo v. Stablo, Hl., Abt v. Stablo-
Paris, Stadt u. Bm. 84, 90, 108, 7#3, 189, Malmedy u. St-Maximin 105, 706
190,192, 239, 240-242, 247, 321, 325, Porphyrios 63, 89
327 Preußen 309-316
- Bf., s. Petrus Lombardus Provoost, Jean 176
- Kl. St-Germam, s. St-Germam-des-Pres Pseudo-Ambrosius 773
- Kl. St-Victor, s. St-Victor Pseudo-Cyprian 736
- Kathedrale 240
- Kathedralschule 241 R
- Universität 321 Radegundis, Hl., merowingische Kgn. 137
Parma 266 Radulf v. Laon 225 f.
Pascal, Blaise 95 Rahel, bibl. 87
372 I Verena Schenk zu Schweinsberg

Rance, Armand Jean Le Bouthillier de Ruthard, Abt v. St. Peter, Erfurt, Ebf. v.
(OCist), Abt v. la Trappe 20 Mainz 138
Regensburg, Stadt u. Bm. 216, 233, 235
- Bb, s. Albertus Magnus, Kuno s
- Kl. St. Peter, s. St. Peter Salimbene de Adam (OFM) 187, 255-263,
Reggio nelPEmilia 187 265-267,271
Reich, röm.-dt. 23, 105, 156, 232, 241, Salisbury, Kustodie OFM 186
314-316 Salomo, bibl. 152
- röm.-dt. Kg. u. Ks., s. Friedrich I. Salzburg, Stadt u. Ebm. 152, 157f.
»Barbarossa«, Friedrich II., - Ebf., s. Konrad I.
Heinrich II., Heinrich IV. - Kl. Nonnberg, s. Nonnberg
- röm.-dt. Kg., s. Rudolf I. St. Agnes, Kl., Schaffhausen 132, 138 f.
Reims, Stadt u. Ebm. 108, 111, 117, 247 St. Bernhard, Kl. OCist, Horn 737
- EbL, s. Adalbero, Arnulf St-Bertm, Kl., St-Omer 237 f.
- Domschule 108-111, 150 St. Blasien, Kl. 217
- Kathedrale 110 St-Denis, Kl. 330
Remigius v. Auxerre 227 St-Germain-des-Pres, Kl., Paris 108
Remiremont 117, 150 - Abt., s. Ingomen
Rhodos 310 St. Heribert, Kl., Deutz 233
Richalm v. Schöntal (OCist), Abt v. - Abt, s. Rupert v. Deutz
Schöntal 361 St-Jean, Kl., Arles 137
Richard v. St-Vanne, Abt v. St-Vanne 105, St-Laurent, KL, Liège 233
108, 110-126, 147, 149-151 - Abt, s. Stephan v. Liège
Richard v. St-Victor (CSA), Prior v. St. Marien, Kanonikerstift, St-Omer 236,
St-Victor 87, 319 238
Riga 310 St-Martin, Kl., Massay 108
Robert II. »d. Fromme«, Kg. v. Frankreich - Abt, s. Ingomen
108,110 St. Martin, Trier, Kl. 120
Rodingus, Hl., Abt v. Beaulieu-en- - Abt, s. Eberwin v. Trier
Argonne 116-119, 123 St. Niklas, Kl. OCist, Wien 156f.
Rodulfus Glaber 29, 30, 34 St-Omer 236, 238, 247
Roger I., Bf. v. Châlons-sur-Marne 108 - Stift St. Marien, s. St. Marien
Roger Bacon (OFM) 83f., 89-95, 337 - Kl. St-Bertin, s. St-Bertin
Rom 22, 66, 118, 144, 189, 220, 297, 298 St-Paul, Verdun, Kl. 120
Römisches Reich 66 - Abt, s. Eberwin
Roscelin v. Compiègne 232 St. Peter, Kl., Regensburg 216
Rostock 285, 287 St-Vaast, Arras, Kl. 124
- Franziskanerkloster 285, 287 St-Vanne, Verdun, Kl. 108, 111-113, 774,
Rottenbuch, Kl. CSA 217 116-118, 122 f., 125
Rudolf I. (v. Habsburg), röm.-dt. Kg. 275 - Abt, s. Fingen, Richard v. St-Vanne
Rupert v. Deutz, Abt v. St. Heribert 152, St-Victor, Kl., Marseille 327
212, 223, 232-235, 238f., 241 f., 244, St-Victor, Kl. CSA, Paris 222, 241 f.
246, 24R - Prior, s. Richard v. St-Victor
Namenregister I 373

Saxoma, Ordensprovinz OFM 281, 2841. Swineshead, Kl. OCist 327


Schaffhausen 132, 138 f. - Abt, s. Gilbert v. Hoyland
-Kl.St. Agnes, s. St. Agnes Syrakus 121
- Kl. Allerheiligen, s. Allerheiligen
Schottland 267 T
Schwaben, Ordensprovinz OFM 162 Tannenberg 316
Schwarzwald 138 Ten Dumen, Kl. OCist, Koksijde 173
Schweden 267 - Abt, s. Clercq, Robrecht de, Hondt,
Segarelli, Gerardo 266 Christian de
Seligental, Kl. OFM 279 Teutonia, Ordensproviz OP 189
- Franziskanerkirche 279 Thaies v. Milet 320
Sens, Ebm. 108 Theophrast v. Eresos 331
- Ebf., s. Leotheric Tholey, Kl. 116, 120f.
Shulamit, bibl. 152 - Abt, s. Eberwin, Rodingus
Siegburg 279 Thomas v. Aquin (OP), Hl. 318-320
- Kl. Seligental, s. Seligental Thomas v. Cantimpré (OP) 361
Siegburg, Kl. 217, 233 Thomas v. Celano (OFM) 196, 303
- Abt, s. Kuno Thomas v. Eccleston (OFM) 186
Sigebert v. Gembloux 105 Thorn 289 f.
Siger v. Brabant 331 - Franziskanerkirche 289 f.
Simeon v. Trier (v. Syrakus), Hl. 121 f. Toulouse 184,189
Simplikios 83 Tours, Stadt u. Bm. 124
Söflingen, Kl. OSC, Ulm 161, 165 - Bf., s. Martin v. Tours
Sokrates 63 La Trappe, Kl. OCist 20
Solemnis, Hl., Bf. v. Chartres 124 - Abt, s. De Rance, Armand Jean
Sonnenburg, Kl. 158 Le Bouthillier
- Äbt., s. Verena v. Stuben Trient, Bm. 158
Spanien 267 Trier, Stadt u. Ebm. 116, 118, 120 f.
Speyer 277 - Bf., s. Magnerich
Springiersbach, Kl. CSA 244 -Ebf.,s.Poppo
Stagirit, s. Aristoteles - Kl. St-Martin, s. St-Martin
Stephan v. Liège, Abt v. St-Laurent 105 - Porta Nigra 121
Stephan v. Muret, Hl. 303
Stoct, Katharina van der (Tertiarin OFM) U
172 Ubertin v. Casale (OFM) 24
Stralsund 287 Ulm 144, 161
- Franziskanerkloster 287 - Kl. Söflingen, s. Söflingen
Straßburg 76-?, 184, 190 - Barfüßerkloster, Kl. OFM 162
- Dominikanerkloster 190 - Dominikanerinnen 144
Stuben, Verena v., Äbt. v. Sonnenburg Ulrich v. Zell, Hl., Prior v. St. Ulrich
158 138
Subiaco 22 Umbrien 87, 182, 293
Südtirol 158 Ungarn 156, 267
374 I Verena Schenk zu Schweinsberg

Urban II., Papst 346 Wilhelm v. Champeaux (CSA), Bl. v.


Utrecht 170 Châlons-sur-Marne 237, 241
- Kl. Nieuwlicht, s. Nieuwlicht Wilhelm v. Dijon, Abt v. St-Benigne 105,
114,126
V Wilhelm v. Hirsau, Abt v. Hirsau 132, 138
Vanne (Vitonus), Hl., Bl. v. Verdun 116 Wilhelm v. Malmesbury 330
Vaslogium, s. Beaulieu-en-Argonne Wilhelm v. St-Thierry (OCist), Abt v.
Venantius Fortunatus, Bf. v. Poitiers 137 St-Thierry 61, 71, 74 - 76, 224, 235, 344
Venedig 310 Wilhelm v. Tocco (OP) 318 f.
Verdun, Stadt u. Bm. 116, 118, 1201. William v. Hotham (OP), Ebf. v. Dublin
- Bl., s. Haimo, Madalveus, Paulus, 2M
Vanne Wind, Jodokus (OFM) 162, 177
- Gl., s. Friedrich Winrich v. Kniprode, Hochmeister OT 320
- Kl. St-Vanne, s. St-Vanne Wolhlaic, Hl. 120
- Kl. St-Paul, s. St-Paul Worms 156
Villingen, Kl. OFM 162
Vinzenz v. Beauvais (OP) 245, 236, 348, Y
361 York, Kustodie OFM 186
Vos, Jan (OCart), Prior v. Gnadental 168,
170 Z
Zacharias, bibl. 347
W Zeitz 285
Waldebert, Abt v. Luxeuil 234 - Franziskanerkirche 285
Waleys, Thomas (OP) 191 Zerbst 2871.
Walter v. Lens, Kastellan v. Cambrai 110 - Franziskanerkloster 279, 287
Walter Map 331 Zion, bibl. 81
Walther v. d. Vogelweide 264 Zürich 282
Weser 138 - Dominikanerkirche 282
Wien 156, 158 Zwettl, Kl. OCist 237
- Kl. St. Niklas, s. St. Niklas Zypern 310
1

Klöster des Mittelalters entwickelten zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert
eine beispiellose Rationalität der Lebensgestaltung. Sie vertrauten auf die
Geltungskraft von gesatztem Recht und gaben sich erstmals ganz Europa
überspannende Verfassungen. Klösterliche Gemeinschaften verlangten aber
nicht nur die Verinnerlichung der jeweiligen Verhaltensregeln. Der Einzelne
sollte auch die individuelle Kraft seines Gewissens mit den gemeinschaft-
lichen Vorgaben in Einklang bringen und somit Transzendenz (er)leben.
Bekanntes Wissen über Jenseits und Welt wurde gezielt gesammelt und
neu geordnet. Somit entstanden sinnstiftende Weltdeutungen, die mit ihren
gesellschaftlichen und politischen Ordnungsentwürfen in die Welt wirken
wollten.

Der Band analysiert in 22 Beiträgen, wie die klösterliche Welt des Mittel-
alters zwischen Jenseits und Welt Innovationen durch Deuten und Gestalten
schuf und sich als Wegbereiterin der Moderne darstellt.

Bemdschneidmüiier Innovationen durch Deuten und Gestalten

Stefan Weinfurter (Hrsg.)

Gert tVte!vi!le

ISBN 978-3-7954-2898-3

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