Sie sind auf Seite 1von 18

8.627 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 741 8.628 Dialektische Epilegomena GS 10.

2, 742

Eigennamen die Beziehung auf jenes Allgemeine


Zu Subjekt und Objekt inne. Sie gelten einem, der so und nicht anders heißt;
und »einer« steht elliptisch für »einen Menschen«.
1 Wollte man dagegen, um Komplikationen dieses
Typus zu entgehen, die beiden Termini definieren, so
Mit Erwägungen über Subjekt und Objekt einzuset- geriete man in eine Aporie, die zu der von der neueren
zen, bereitet die Schwierigkeit anzugeben, worüber Philosophie seit Kant stets wieder gewahrten Proble-
eigentlich geredet werden soll. Offenkundig sind die matik des Definierens hinzutritt. In gewisser Weise
Termini äquivok. So kann »Subjekt« sich auf das ein- nämlich haben die Begriffe Subjekt und Objekt, viel-
zelne Individuum ebenso wie auf allgemeine Bestim- mehr das, worauf sie gehen, Priorität vor aller Defini-
mungen, nach der Sprache der Kantischen Prolegome- tion. Definieren ist soviel wie ein Objektives, gleich-
na von »Bewußtsein überhaupt« beziehen. Die Äqui- gültig, was es an sich sein mag, subjektiv, durch den
vokation ist nicht einfach durch terminologische Klä- festgesetzten Begriff einzufangen. Daher die Resi-
rung wegzuräumen. Denn beide Bedeutungen bedür- stenz von Subjekt und Objekt gegens Definieren. Ihre
fen einander reziprok; kaum ist die eine ohne die an- Bestimmung bedarf der Reflexion eben auf die Sache,
dere zu fassen. Von keinem Subjektbegriff ist das welche zugunsten von begrifflicher Handlichkeit
Moment der Einzelmenschlichkeit – bei Schelling durchs Definieren abgeschnitten wird. Deshalb emp-
Egoität genannt – wegzudenken; ohne jede Erinne- fiehlt es sich, die Worte Subjekt und Objekt zunächst
rung daran verlöre Subjekt allen Sinn. Umgekehrt ist so zu übernehmen, wie sie die eingeschliffene philo-
das einzelmenschliche Individuum, sobald überhaupt sophische Sprache als Sediment von Geschichte an
auf es in allgemeinbegrifflicher Form als auf das Indi- die Hand gibt; nur freilich nicht bei solchem Konven-
viduum reflektiert, nicht nur das Dies da irgendeines tionalismus zu verharren, sondern kritisch weiter zu
besonderen Menschen gemeint wird, bereits zu einem analysieren. Anzuheben wäre mit der angeblich nai-
Allgemeinen gemacht, ähnlich dem, was im idealisti- ven, wenngleich selber schon vermittelten Ansicht,
schen Subjektbegriff ausdrücklich wurde; sogar der daß ein wie immer auch geartetes Subjekt, ein Erken-
Ausdruck »besonderer Mensch« bedarf des Gattungs- nendes, einem gleichfalls wie immer auch gearteten
begriffs, wäre sonst sinnleer. Implizit wohnt noch den Objekt, dem Gegenstand der Erkenntnis, gegenüber-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.629 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 742 8.630 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 743

stehe. Die Reflexion dann, welche in der philosophi-


schen Terminologie unter dem Namen der intentio ob- 2
liqua geht, ist die Rückbeziehung jenes vieldeutigen
Objektbegriffs auf einen nicht minder vieldeutigen Die Trennung von Subjekt und Objekt ist real und
vom Subjekt. Zweite Reflexion reflektiert jene, be- Schein. Wahr, weil sie im Bereich der Erkenntnis der
stimmt das Vage näher um des Gehalts der Begriffe realen Trennung, der Gespaltenheit des menschlichen
Subjekt und Objekt willen. Zustands, einem zwangvoll Gewordenen Ausdruck
verleiht; unwahr, weil die gewordene Trennung nicht
hypostasiert, nicht zur Invarianten verzaubert werden
darf. Dieser Widerspruch in der Trennung von Sub-
jekt und Objekt teilt der Erkenntnistheorie sich mit.
Zwar können sie als getrennte nicht weggedacht wer-
den; das ψε~ δος der Trennung jedoch äußert sich
darin, daß sie wechselseitig durcheinander vermittelt
sind, Objekt durch Subjekt, mehr noch und anders
Subjekt durch Objekt. Zur Ideologie, geradezu ihrer
Normalform, wird die Trennung, sobald sie ohne Ver-
mittlung fixiert ist. Dann usurpiert der Geist den Ort
des absolut Selbständigen, das er nicht ist: im An-
spruch seiner Selbständigkeit meldet sich der herr-
schaftliche. Einmal radikal vom Objekt getrennt, re-
duziert Subjekt bereits das Objekt auf sich; Subjekt
verschlingt Objekt, indem es vergißt, wie sehr es sel-
ber Objekt ist. Das Bild eines zeitlich oder außerzeit-
lich ursprünglichen Zustands glücklicher Identität von
Subjekt und Objekt aber ist romantisch; zuzeiten Pro-
jektion der Sehnsucht, heute nur noch Lüge. Unge-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.631 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 743 8.632 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 743

schiedenheit, ehe das Subjekt sich bildete, war der die ununterschiedene Einheit von Subjekt und Objekt
Schrecken des blinden Naturzusammenhangs, der noch ihre feindselige Antithetik sich vorstellen; eher
Mythos; die großen Religionen hatten ihren Wahr- die Kommunikation des Unterschiedenen. Dann erst
heitsgehalt im Einspruch dagegen. Übrigens ist Unge- käme der Begriff von Kommunikation, als objektiver,
schiedenheit nicht Einheit; diese erfordert, schon der an seine Stelle. Der gegenwärtige ist so schmählich,
Platonischen Dialektik zufolge, Verschiedenes, des- weil er das Beste, das Potential eines Einverständnis-
sen Einheit sie ist. Das neue Grauen, das der Tren- ses von Menschen und Dingen, an die Mitteilung zwi-
nung, verklärt denen, die es erleben, das alte, das schen Subjekten nach den Erfordernissen subjektiver
Chaos, und beides ist das Immergleiche. Vergessen Vernunft verrät. An seiner rechten Stelle wäre, auch
wird über der Angst vor der gähnenden Sinnlosigkeit erkenntnistheoretisch, das Verhältnis von Subjekt und
die einst nicht geringere vor den rachsüchtigen Göt- Objekt im verwirklichten Frieden sowohl zwischen
tern, welche der epikureische Materialismus und das den Menschen wie zwischen ihnen und ihrem Ande-
christliche Fürchtet euch nicht von den Menschen ren. Friede ist der Stand eines Unterschiedenen ohne
nehmen wollten. Anders nicht als durch Subjekt ist Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat anein-
das vollziehbar. Würde es liquidiert, anstatt in einer ander.
höheren Gestalt aufgehoben, so bewirkte das Regres-
sion des Bewußtseins nicht bloß sondern eine auf
reale Barbarei. Schicksal, die Naturverfallenheit der
Mythen, stammt aus totaler gesellschaftlicher Unmün-
digkeit, einem Zeitalter, darin Selbstbesinnung noch
nicht die Augen aufschlug, Subjekt noch nicht war.
Anstatt jenes Zeitalter durch kollektive Praxis zur
Wiederkehr zu beschwören, wäre der Bann des alten
Ungeschiedenen zu tilgen. Seine Verlängerung ist das
Identitätsbewußtsein des Geistes, der repressiv sein
Anderes sich gleichmacht. Wäre Spekulation über den
Stand der Versöhnung erlaubt, so ließe in ihm weder
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.633 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 744 8.634 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 745

nicht das an sich Erste und postuliere als seine Bedin-


3 gung oder seinen Ursprung das transzendentale. Noch
die Husserlsche Polemik gegen den Psychologismus
In der Erkenntnistheorie wird unter Subjekt meist so- samt der Distinktion von Genesis und Geltung fällt in
viel wie Transzendentalsubjekt verstanden. Nach die Kontinuität jener Argumentationsweise. Sie ist
idealistischer Lehre baut es entweder, kantisch, die apologetisch. Bedingtes soll als unbedingt, Abgeleite-
objektive Welt aus einem unqualifizierten Material tes als primär gerechtfertigt werden. Wiederholt wird
auf oder erzeugt sie, seit Fichte, überhaupt. Daß dies ein Topos der gesamten abendländischen Überliefe-
transzendentale, alle inhaltliche Erfahrung konstituie- rung, demzufolge allein das Erste oder, wie Nietzsche
rende Subjekt seinerseits von den lebendigen einzel- kritisch es formulierte, nur das nicht Gewordene wahr
nen Menschen abstrahiert sei, wurde nicht erst von sein könne. Die ideologische Funktion der These ist
der Kritik am Idealismus entdeckt. Evident ist, daß nicht zu verkennen. Je mehr die einzelnen Menschen
der abstrakte Begriff des transzendentalen Subjekts, real zu Funktionen der gesellschaftlichen Totalität
die Formen von Denken, deren Einheit und die ur- durch deren Verknüpfung zum System herabgesetzt
sprüngliche Produktivität von Bewußtsein, voraus- werden, desto mehr wird der Mensch schlechthin, als
setzt, was er zu stiften verspricht: tatsächliche, leben- Prinzip, mit dem Attribut des Schöpferischen, dem
dige Einzelwesen. Das war in den idealistischen Phi- absoluter Herrschaft, vom Geist tröstlich erhöht.
losophien gegenwärtig. Kant zwar hat eine grundsätz- Gleichwohl wiegt die Frage nach der Wirklichkeit
liche, konstitutions-hierarchische Verschiedenheit des des transzendentalen Subjekts schwerer, als sie in
transzendentalen vom empirischen Subjekt im Kapitel dessen Sublimierung zum reinen Geist, vollends beim
von den psychologischen Paralogismen zu entwickeln kritischen Widerruf des Idealismus, sich darstellt. In
versucht. Seine Nachfolger indessen, zumal Fichte gewissem Sinn ist, was freilich der Idealismus am
und Hegel, aber auch Schopenhauer, trachteten, mit letzten zugestünde, das transzendentale Subjekt wirk-
der unübersehbaren Schwierigkeit des Zirkels in sub- licher, nämlich für das reale Verhalten der Menschen
tilen Beweisführungen fertig zu werden. Vielfach re- und die Gesellschaft, die daraus sich bildete, bestim-
kurrierten sie auf das Aristotelische Motiv, das fürs mender als jene psychologischen Individuen, von
Bewußtsein Erste – hier: das empirische Subjekt – sei denen das transzendentale abstrahiert ward und die in
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.635 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 745 8.636 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 746

der Welt wenig zu sagen haben; die ihrerseits zu An- und Invarianz, welche der Transzendentalphilosophie
hängseln der sozialen Maschinerie, am Ende zur Ideo- zufolge die Objekte erzeugt, wenigstens ihnen die
logie geworden sind. Der lebendige Einzelmensch, so Regel vorschreibt, ist die Reflexionsform der im ge-
wie er zu agieren gezwungen ist und wozu er auch in sellschaftlichen Verhältnis objektiv vollzogenen Ver-
sich geprägt wurde, ist als verkörperter homo oecono- dinglichung der Menschen. Der Fetischcharakter, ge-
micus eher das transzendentale Subjekt denn der le- sellschaftlich notwendiger Schein, ist geschichtlich
bendige Einzelne, für den er sich doch unmittelbar zum Prius dessen geworden, wovon er seinem Begriff
halten muß. Insofern war die idealistische Theorie nach das Posterius wäre. Das philosophische Konsti-
realistisch und brauchte sich vor Gegnern, welche ihr tutionsproblem hat sich spiegelbildlich verkehrt; in
Idealismus vorwarfen, nicht zu genieren. In der Lehre seiner Verkehrung jedoch drückt es die Wahrheit über
vom transzendentalen Subjekt erscheint getreu die den erreichten geschichtlichen Stand aus; eine Wahr-
Vorgängigkeit der von den einzelnen Menschen und heit freilich, die durch eine zweite Kopernikanische
ihrem Verhältnis abgelösten, abstrakt rationalen Be- Wendung theoretisch wieder zu negieren wäre. Sie hat
ziehungen, die am Tausch ihr Modell haben. Ist die allerdings auch ihr positives Moment: daß die vorgän-
maßgebende Struktur der Gesellschaft die Tausch- gige Gesellschaft sich und ihre Mitglieder am Leben
form, so konstituiert deren Rationalität die Menschen; hält. Das besondere Individuum verdankt dem Allge-
was sie für sich sind, was sie sich dünken, ist sekun- meinen die Möglichkeit seiner Existenz; dafür zeugt
där. Von dem philosophisch als transzendental ver- Denken, seinerseits ein allgemeines, insofern gesell-
klärten Mechanismus sind sie vorweg deformiert. Das schaftliches Verhältnis. Nicht nur fetischistisch ist
vorgeblich Evidenteste, das empirische Subjekt, Denken dem Einzelnen vorgeordnet. Nur wird im
müßte eigentlich als ein noch gar nicht Existentes be- Idealismus die eine Seite hypostasiert, die anders als
trachtet werden; unter diesem Aspekt ist das transzen- im Verhältnis zur anderen gar nicht begriffen werden
dentale Subjekt »konstitutiv«. Es ist, angeblich Ur- kann. Das Gegebene aber, das Skandalon des Idealis-
sprung aller Gegenstände, in seiner starren Zeitlosig- mus, das er doch nicht wegzuräumen vermag, demon-
keit vergegenständlicht, ganz nach der Kantischen striert stets wieder das Mißlingen jener Hypostase.
Lehre von den festen und unveränderlichen Formen
des transzendentalen Bewußtseins. Seine Festigkeit
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.637 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 746 8.638 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 747

Vermitteltes. Subjekt aber, Inbegriff der Vermittlung,


4 ist das Wie, niemals, als dem Objekt Kontrastiertes,
das Was, das durch jegliche faßbare Vorstellung vom
Durch die Einsicht in den Vorrang des Objekts wird Subjektbegriff postuliert wird. Von Objektivität kann
nicht die alte intentio recta restauriert, das hörige Ver- Subjekt potentiell, wenngleich nicht aktuell wegge-
trauen auf die so seiende Außenwelt, wie sie diesseits dacht werden; nicht ebenso Subjektivität von Objekt.
von Kritik erscheint, ein anthropologischer Stand bar Aus Subjekt, gleichgültig, wie es bestimmt werde,
des Selbstbewußtseins, welches erst im Kontext der läßt ein Seiendes nicht sich eskamotieren. Ist Subjekt
Rückbeziehung von Erkenntnis auf das Erkennende nicht etwas – und »etwas« bezeichnet ein irreduzibel
sich kristallisiert. Das krude Gegenüber von Subjekt objektives Moment –, so ist es gar nichts; noch als
und Objekt im naiven Realismus ist zwar geschicht- actus purus bedarf es des Bezugs auf ein Agierendes.
lich necessitiert und durch keinen Willensakt wegzu- Der Vorrang von Objekt ist die intentio obliqua der
schaffen. Es ist aber zugleich Produkt falscher Ab- intentio obliqua, nicht die aufgewärmte intentio recta;
straktion, schon ein Stück Verdinglichung. Darin ein- das Korrektiv der subjektiven Reduktion, nicht die
mal durchschaut, wäre das sich selbst vergegenständ- Verleugnung eines subjektiven Anteils. Vermittelt ist
lichte, gerade als solches nach außen gerichtete, virtu- auch Objekt, nur nicht dem eigenen Begriff nach so
ell nach außen schlagende Bewußtsein nicht ohne durchaus auf Subjekt verwiesen wie Subjekt auf Ob-
Selbstbesinnung weiterzuschleppen. Die Wendung jektivität. Solche Differenz hat der Idealismus igno-
zum Subjekt, die freilich von Anbeginn auf dessen riert und damit eine Vergeistigung vergröbert, in wel-
Primat hinauswill, verschwindet nicht einfach mit cher Abstraktion sich tarnt. Das aber veranlaßt zur
ihrer Revision; diese erfolgt nicht zuletzt im subjekti- Revision der Stellung zum Subjekt, die in der traditio-
ven Interesse von Freiheit. Vorrang des Objekts heißt nellen Theorie vorwaltet. Diese verherrlicht es in der
vielmehr, daß Subjekt in einem qualitativ anderen, ra- Ideologie und diffamiert es in der Erkenntnispraxis.
dikaleren Sinn seinerseits Objekt sei als Objekt, weil Will man indessen das Objekt erlangen, so sind seine
es nun einmal anders nicht denn durch Bewußtsein subjektiven Bestimmungen oder Qualitäten nicht zu
gewußt wird, auch Subjekt ist. Das durch Bewußtsein eliminieren; eben das wäre dem Vorrang von Objekt
Gewußte muß ein Etwas sein, Vermittlung geht auf entgegen. Hat Subjekt einen Kern von Objekt, so sind
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.639 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 748 8.640 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 748

die subjektiven Qualitäten am Objekt erst recht ein tenden gesellschaftlichen Zwängen gehorcht, ohne sie
Moment des Objektiven. Denn einzig als Bestimmtes mitzudenken. Kritik an der Gesellschaft ist Erkennt-
wird Objekt zu etwas. In den Bestimmungen, die niskritik und umgekehrt.
scheinbar bloß das Subjekt ihm anheftet, setzt dessen
eigene Objektivität sich durch: sie alle sind der Ob-
jektivität der intentio recta entlehnt. Auch nach ideali-
stischer Doktrin sind die subjektiven Bestimmungen
kein bloß Angeheftetes, immer werden sie auch vom
zu Bestimmenden verlangt, und darin behauptet sich
der Vorrang des Objekts. Umgekehrt ist das vermeint-
lich reine, der Zutat von Denken und Anschauung le-
dige Objekt gerade der Reflex abstrakter Subjektivi-
tät: nur sie macht durch Abstraktion das Andere sich
gleich. Das Objekt ungeschmälerter Erfahrung, zum
Unterschied vom bestimmungslosen Substrat des Re-
duktionismus, ist objektiver als jenes Substrat. Die
von der traditionellen Erkenntniskritik am Objekt aus-
gemerzten und dem Subjekt gutgeschriebenen Quali-
täten verdanken in der subjektiven Erfahrung sich
dem Vorrang des Objekts; darüber betrog die Herr-
schaft der intentio obliqua. Ihre Erbschaft fiel einer
Kritik der Erfahrung zu, welche deren eigene ge-
schichtliche Bedingtheit, schließlich die gesellschaft-
liche erreicht. Denn Gesellschaft ist der Erfahrung im-
manent, kein  ’´λλο γνος. Nur die gesellschaftliche
Selbstbesinnung der Erkenntnis erwirkt dieser die Ob-
jektivität, die sie versäumt, solange sie den in ihr wal-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.641 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 748 8.642 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 749

Subjektivismus. Wodurch aber das vorgängige Ob-


5 jekt, zum Unterschied von seiner subjektiven Zurü-
stung, sich bestimmt, das ist zu fassen an dem, was
Vom Vorrang des Objekts ist legitim zu reden nur, seinerseits die kategoriale Apparatur bestimmt, von
wenn jener Vorrang, gegenüber dem Subjekt im wei- der es dem subjektivistischen Schema zufolge be-
testen Verstande, irgend bestimmbar ist, mehr also stimmt werden soll, an der Bedingtheit des Bedingen-
denn das Kantische Ding an sich als unbekannte Ur- den. Die kategorialen Bestimmungen, die Kant zufol-
sache der Erscheinung. Auch es freilich trägt bereits, ge Objektivität erst zeitigen, sind als ihrerseits Ge-
trotz Kant, durch seine bloße Unterscheidung zum ka- setztes, wenn man will, wirklich »bloß subjektiv«.
tegorial Prädizierten ein Minimum von Bestimmun- Damit wird die reductio ad hominem zum Sturz des
gen an sich; eine solche, negativer Art, wäre die der Anthropozentrismus. Daß noch der Mensch als Kon-
Akausalität. Sie reicht hin, einen Gegensatz zu der stituens ein von Menschen Gemachtes ist, entzaubert
konventionellen Ansicht zu stiften, welche mit dem das Schöpfertum des Geistes. Weil aber der Vorrang
Subjektivismus konform geht. Der Vorrang des Ob- des Objekts der Reflexion aufs Subjekt und der sub-
jekts bewährt sich daran, daß er die Meinungen des jektiven Reflexion bedarf, wird Subjektivität, anders
verdinglichten Bewußtseins qualitativ verändert, die als im primitiven Materialismus, der Dialektik eigent-
mit dem Subjektivismus reibungslos sich vertragen. lich nicht zuläßt, zum festgehaltenen Moment.
Dieser tangiert den naiven Realismus nicht inhaltlich,
sondern sucht lediglich formale Kriterien seiner Gel-
tung anzugeben, so wie die Kantische Formel vom
empirischen Realismus es bestätigt. Für den Vorrang
des Objekts spricht wohl ein mit Kants Konstitutions-
lehre Unvereinbares: daß die ratio in den modernen
Naturwissenschaften über die Mauer blickt, die sie
selbst errichtet; ein Zipfelchen dessen erhascht, was
mit ihren eingeschliffenen Kategorien nicht überein-
kommt. Solche Erweiterung der ratio erschüttert den
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.643 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 749 8.644 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 750

Werk gewesen. Aber er hätte nicht mit solcher Strin-


6 genz sich durchsetzen, nicht die mächtigsten Philoso-
phien hervorbringen können, läge ihm nicht verzerrt
Was unter dem Namen Phänomenalismus geht: daß ein Wahres zugrunde. Was die Transzendentalphilo-
von nichts gewußt werde, es sei denn durchs erken- sophie an der schöpferischen Subjektivität pries, ist
nende Subjekt hindurch, das verband sich seit der Ko- die sich selbst verborgene Gefangenschaft des Sub-
pernikanischen Wendung mit dem Kultus des Geistes. jekts in sich. In allem Objektiven, das es denkt, bleibt
Beides wird von der Einsicht in den Vorrang des Ob- es eingespannt wie gepanzerte Tiere in ihren Verscha-
jekts aus den Angeln gehoben. Was Hegel innerhalb lungen, die sie vergebens abzuwerfen suchen; nur
der subjektiven Klammer intendierte, zerbricht in kri- kam jenen nicht der Einfall, ihre Gefangenschaft als
tischer Konsequenz die Klammer. Die generelle Ver- Freiheit auszuposaunen. Wohl wäre zu fragen, warum
sicherung, daß Innervationen, Einsichten, Erkenntnis- die Menschen das taten. Die Gefangenschaft ihres
se »nur subjektiv« seien, verfängt nicht länger, sobald Geistes ist überaus real. Daß sie als Erkennende ab-
Subjektivität als Gestalt von Objekt durchschaut hängen von Raum, Zeit, Denkformen, markiert ihre
wird. Schein ist die Verzauberung des Subjekts in sei- Abhängigkeit von der Gattung. Sie schlug in jenen
nen eigenen Bestimmungsgrund, seine Setzung als Konstituentien sich nieder; diese gelten darum nicht
wahres Sein. Subjekt selbst ist zu seiner Objektivität weniger. Das Apriori und die Gesellschaft sind inein-
zu bringen, nicht sind seine Regungen aus der Er- ander. Die Allgemeinheit und Notwendigkeit jener
kenntnis zu verbannen. Der Schein des Phänomenalis- Formen, ihr Kantischer Ruhm, ist keine andere als
mus jedoch ist ein notwendiger. Er bezeugt den fast die, welche die Menschen zur Einheit verbindet. Ihrer
unwiderstehlichen Verblendungszusammenhang, den bedurften sie zum survival. Gefangenschaft wurde
Subjekt als falsches Bewußtsein produziert und des- verinnerlicht: das Individuum ist nicht weniger in sich
sen Glied es zugleich ist. In solcher Unwiderstehlich- gefangen als in der Allgemeinheit, der Gesellschaft.
keit gründet die Ideologie des Subjekts. Aus dem Be- Daher das Interesse an der Umdeutung von Gefangen-
wußtsein eines Mangels, dem von der Grenze der Er- schaft in Freiheit. Die kategoriale Gefangenschaft des
kenntnis, wird, damit der Mangel sich besser ertragen individuellen Bewußtseins wiederholt die reale Ge-
lasse, ein Vorzug. Kollektiver Narzißmus ist am fangenschaft jedes Einzelnen. Noch der Blick des Be-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.645 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 750 8.646 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 751

wußtseins, der jene durchschaut, wird determiniert


von den Formen, die sie ihm eingepflanzt hat. An der 7
Gefangenschaft in sich könnten die Menschen der ge-
sellschaftlichen innewerden: das zu verhindern war Identitätsdenken, Deckbild der herrschenden Dichoto-
und ist ein kapitales Interesse des Fortbestands des mie, gebärdet sich im Zeitalter subjektiver Ohnmacht
Bestehenden. Ihm zuliebe mußte, mit kaum geringerer nicht länger als Verabsolutierung des Subjekts. Statt
Notwendigkeit als jener der Formen selbst, Philoso- dessen formiert sich ein Typus scheinbar antisubjekti-
phie sich versteigen. So ideologisch war der Idealis- vistischen, wissenschaftlich objektiven Identitätsden-
mus, schon ehe er sich anschickte, die Welt als abso- kens, der Reduktionismus; vom frühen Russell sprach
lute Idee zu glorifizieren. Die Urkompensation man als Neorealisten. Er ist die gegenwärtig charakte-
schließt bereits ein, daß die Realität, zum Produkt des ristische Form verdinglichten Bewußtseins, falsch
vermeintlich freien Subjekts erhöht, als ihrerseits freie wegen seines latenten und desto verhängnisvolleren
sich rechtfertige. Subjektivismus. Der Rest ist nach dem Maß der Ord-
nungsprinzipien subjektiver Vernunft gemodelt und
kommt mit deren eigener Abstraktheit überein, ab-
strakt seinerseits. Das verdinglichte Bewußtsein, das
sich verkennt, wie wenn es Natur wäre, ist naiv: sich
selbst, ein Gewordenes und in sich überaus Vermittel-
tes, nimmt es, mit Husserl zu reden, als »Seinssphäre
absoluter Ursprünge«, und sein von ihm zugerüstetes
Gegenüber als die ersehnte Sache. Das Ideal der Ent-
personalisierung von Erkenntnis um der Objektivität
willen behält von dieser nichts als ihr caput mortuum
zurück. Gesteht man den dialektischen Vorrang des
Objekts zu, bricht die Hypothese unreflektierter prak-
tischer Wissenschaft vom Objekt als Residualbestim-
mung nach Abzug von Subjekt zusammen. Subjekt ist
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.647 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 751 8.648 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 752

dann nicht länger ein subtrahierbares Addendum zur tiert wird sowohl auf das, was jeweils als Subjekt und
Objektivität. Diese wird durch die Ausscheidung Objekt sich darstellt, wie auf die Vermittlungen. Inso-
eines ihr wesentlichen Moments gefälscht, nicht gerei- fern ist Objekt tatsächlich, wie der Neukantianismus
nigt. Die Vorstellung, welche den residualen Objekti- es lehrte, »unendlich aufgegeben«. Zuweilen gelangt
vitätsbegriff leitet, hat denn auch ihr Urbild an einem Subjekt, als uneingeschränkte Erfahrung, näher ans
Gesetzten, von Menschen Gemachten; keineswegs an Objekt als das gefilterte, nach den Erfordernissen sub-
der Idee jenes An sich, für das sie das gereinigte Ob- jektiver Vernunft zurechtgestutzte Residuum. Unredu-
jekt substituiert. Vielmehr ist es das Modell des Pro- zierte Subjektivität vermag ihrem gegenwärtigen ge-
fits, der in der Bilanz nach Abzug sämtlicher Geste- schichtsphilosophischen Stellenwert nach, dem pole-
hungskosten übrigbleibt. Der aber ist das auf die mischen, objektiver zu fungieren als objektivistische
Form des Kalküls gebrachte und beschränkte subjek- Reduktionen. Verhext ist alle Erkenntnis unterm Bann
tive Interesse. Was für die nüchterne Sachlichkeit des nicht zuletzt darin, daß die überlieferten epistemologi-
Profitdenkens zählt, ist alles andere als die Sache: die schen Thesen ihren Gegenstand auf den Kopf stellen:
geht unter in dem, was sie einem abwirft. Erkenntnis fair is foul, and foul is fair. Der objektive Gehalt indi-
jedoch müßte geleitet werden von dem, was vom vidueller Erfahrung wird hergestellt nicht durch die
Tausch nicht verstümmelt ist, oder – denn es gibt Methode komparativer Verallgemeinerung, sondern
nichts Unverstümmeltes mehr – von dem, was unter durch Auflösung dessen, was jene Erfahrung, als sel-
den Tauschvorgängen sich verbirgt. Objekt ist so ber befangene, daran hindert, dem Objekt so ohne
wenig subjektloses Residuum wie das vom Subjekt Vorbehalt, nach Hegels Wort, mit der Freiheit sich zu
Gesetzte. Beide einander widerstreitenden Bestim- überlassen, die das Subjekt der Erkenntnis entspann-
mungen sind ineinander gepaßt: der Rest, mit dem die te, bis es wahrhaft in dem Objekt erlischt, dem es ver-
Wissenschaft als ihrer Wahrheit sich abspeisen läßt, wandt ist vermöge seines eigenen Objektseins. Die
ist Produkt ihres manipulativen Verfahrens, subjektiv Schlüsselposition des Subjekts in der Erkenntnis ist
veranstaltet. Zu definieren, was Objekt sei, wäre sei- Erfahrung, nicht Form; was bei Kant Formung heißt,
nerseits ein Stück solcher Veranstaltung. Objektivität wesentlich Deformation. Die Anstrengung von Er-
ist auszumachen einzig dadurch, daß auf jeder ge- kenntnis ist überwiegend die Destruktion ihrer übli-
schichtlichen Stufe und jeder der Erkenntnis reflek- chen Anstrengung, der Gewalt gegen das Objekt. Sei-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.649 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 752 8.650 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 753

ner Erkenntnis nähert sich der Akt, in dem das Sub-


jekt den Schleier zerreißt, den es um das Objekt webt. 8
Fähig dazu ist es nur, wo es in angstloser Passivität
der eigenen Erfahrung sich anvertraut. An den Stellen, Auch nach der zweiten Reflexion der Kopernikani-
wo die subjektive Vernunft subjektive Zufälligkeit schen Wendung behält Kants anfechtbarstes Theorem,
wittert, schimmert der Vorrang des Objekts durch; die Distinktion von transzendentem Ding an sich und
das an diesem, was nicht subjektive Zutat ist. Subjekt konstituiertem Gegenstand, einige Wahrheit. Denn
ist das Agens, nicht das Konstituens von Objekt; das Objekt wäre einmal das Nichtidentische, befreit vom
hat auch fürs Verhältnis von Theorie und Praxis seine subjektiven Bann und zu greifen durch dessen Selbst-
Konsequenz. kritik hindurch – wenn es überhaupt schon ist und
nicht vielmehr das, was Kant mit dem Begriff der Idee
umriß. Ein solches Nichtidentisches käme dem Kanti-
schen Ding an sich recht nahe, obwohl jener an dem
Fluchtpunkt seiner Koinzidenz mit Subjekt festhielt.
Es wäre kein Relikt eines entzauberten mundus intel-
ligibilis, sondern realer als der mundus sensibilis in-
sofern, als die Kantische Kopernikanische Wendung
von jenem Nichtidentischen abstrahiert und daran ihre
Schranke findet. Dann jedoch ist kantisch das Objekt
das vom Subjekt »Gesetzte«, das subjektive Formge-
spinst über dem entqualifizierten Etwas; schließlich
das Gesetz, welches die durch ihre subjektive Rück-
beziehung desintegrierten Erscheinungen zum Gegen-
stand zusammenfaßt. Die Attribute der Notwendigkeit
und Allgemeinheit, die Kant an den emphatischen Ge-
setzesbegriff heftet, besitzen dinghafte Festigkeit und
sind undurchdringlich gleich der gesellschaftlichen
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.651 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 753 8.652 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 754

Welt, mit der die Lebendigen kollidieren. Jenes Ge- rismos wird die behauptete absolute Spontaneität, an
setz, welches Kant zufolge das Subjekt der Natur vor- sich, wenngleich nicht für Kant, stillgelegt; Form, die
schreibt, die höchste Erhebung von Objektivität in zwar die von etwas sein soll, der eigenen Beschaffen-
seiner Konzeption, ist vollkommener Ausdruck des heit nach jedoch mit keinem Etwas in Wechselwir-
Subjekts sowohl wie seiner Selbstentfremdung: das kung treten kann. Ihre schroffe Scheidung von der Tä-
Subjekt unterschiebt sich auf der Spitze seiner for- tigkeit der Einzelsubjekte, die als kontingent-psycho-
menden Prätention als Objekt. Das indessen hat wie- logisch abgewertet werden muß, zerstört die ur-
der sein paradoxes Recht: tatsächlich ist Subjekt auch sprüngliche Apperzeption, Kants innerstes Prinzip.
Objekt, vergißt nur eben in seiner Verselbständigung Sein Apriorismus beraubt das reine Tun eben der
zur Form, wie und wodurch es selbst konstituiert Zeitlichkeit, ohne welche unter Dynamik schlechter-
wird. Genau trifft die Kantische Kopernikanische dings nichts sich verstehen läßt. Tun schlägt zurück
Wendung die Objektivierung des Subjekts, die Reali- in ein Sein zweiter Ordnung; ausdrücklich, wie allbe-
tät von Verdinglichung. Ihr Wahrheitsgehalt ist der kannt, in der Wendung des späten Fichte gegenüber
keineswegs ontologische sondern geschichtlich aufge- der Wissenschaftslehre von 1794. Solche objektive
türmte Block zwischen Subjekt und Objekt. Ihn er- Doppeldeutigkeit im Begriff des Objekts kodifiziert
richtet das Subjekt dadurch, daß es die Suprematie Kant, und kein Theorem übers Objekt darf sie über-
über das Objekt beansprucht und dadurch um es sich springen. Strenggenommen hieße Vorrang des Ob-
betrügt. Als in Wahrheit Nichtidentisches wird das jekts, daß es Objekt als ein dem Subjekt abstrakt Ge-
Objekt dem Subjekt desto ferner gerückt, je mehr das genüberstehendes nicht gibt, daß es aber als solches
Subjekt das Objekt »konstituiert«. Der Block, an dem notwendig erscheint; die Notwendigkeit dieses
die Kantische Philosophie sich die Stirn eindenkt, ist Scheins wäre zu beseitigen.
zugleich Produkt jener Philosophie. Subjekt als reine
Spontaneität, ursprüngliche Apperzeption, scheinbar
das absolut dynamische Prinzip, ist aber, vermöge des
Chorismos von jeglichem Material, nicht weniger ver-
dinglicht als die nach dem Modell der Naturwissen-
schaften konstituierte Dingwelt. Denn durch den Cho-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.653 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 754 8.654 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 755

schließlich freie Tathandlung, verschlüsselt jene Tä-


9 tigkeit, in der real das Leben der Menschen sich re-
produziert, und antezipiert in ihr, mit Grund, die Frei-
Ebensowenig allerdings »gibt« es eigentlich Subjekt. heit. Darum verschwindet so wenig Subjekt einfach in
Dessen Hypostasis im Idealismus führt auf Unge- Objekt, oder irgendeinem vorgeblich Höheren, dem
reimtheiten. Sie mögen dahin zusammengefaßt wer- Sein, wie es hypostasiert werden darf. Subjekt ist in
den, daß die Bestimmung von Subjekt in sich invol- seiner Selbstsetzung Schein und zugleich ein ge-
viert, wogegen es gesetzt ist. Und zwar keineswegs schichtlich überaus Wirkliches. Es enthält das Poten-
bloß erst, weil es als Konstituens das Konstitutum tial der Aufhebung seiner eigenen Herrschaft.
voraussetzt. Es ist selber Objekt insofern, als das
»gibt«, das die idealistische Konstitutionslehre impli-
ziert – es muß Subjekt geben, damit es irgend etwas
konstituieren kann –, seinerseits der Sphäre von Fak-
tizität entlehnt ward. Der Begriff dessen, was es gibt,
meint nichts anderes als der des Daseienden, und als
Daseiendes fällt Subjekt vorweg unter Objekt. Als
reine Apperzeption aber möchte Subjekt das schlecht-
hin Andere alles Daseienden sein. Auch darin er-
scheint negativ ein Stück Wahrheit: daß die Verding-
lichung, die das souveräne Subjekt allem, es inbegrif-
fen, angetan hat, Schein ist. In den Abgrund seiner
selbst verlegt es, was der Verdinglichung entrückt
wäre; freilich mit der widersinnigen Konsequenz, daß
es damit einer jeden anderen Verdinglichung den Frei-
brief ausstellt. Der Idealismus projiziert die Idee rich-
tigen Lebens falsch nach innen. Das Subjekt als pro-
duktive Einbildungskraft, reine Apperzeption,
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.655 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 755 8.656 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 756

wenig vorzustellen. Noch vom subjektiven Apriori ist


10 die Objektivität seiner Geltung einzig so weit zu be-
haupten, wie es eine objektive Seite hat; ohne diese
Die Differenz von Subjekt und Objekt schneidet so- wäre das vom Apriori konstituierte Objekt eine pure
wohl durch Subjekt wie durch Objekt hindurch. Sie Tautologie für Subjekt. Dessen Inhalt endlich, bei
ist so wenig zu verabsolutieren wie vom Gedanken Kant die Materie der Erkenntnis, ist vermöge seiner
fortzuschaffen. An Subjekt läßt eigentlich alles dem Unauflöslichkeit, Gegebenheit, seiner Äußerlichkeit
Objekt sich zurechnen; was daran nicht Objekt ist, zum Subjekt, ebenfalls Objektives in diesem. Danach
sprengt semantisch das »Ist«. Die reine subjektive dünkt leicht Subjekt seinerseits, wie es Hegel nicht
Form der traditionellen Erkenntnistheorie ist dem ei- gar so fern lag, ein Nichts und Objekt absolut. Doch
genen Begriff nach jeweils nur als Form von Objekti- das ist abermals transzendentaler Schein. Zum Nichts
vem, nicht ohne es und ohne es nicht einmal zu den- wird Subjekt durch seine Hypostasis, die Verdingli-
ken. Das Feste des erkenntnistheoretischen Ichs, die chung des Undinglichen. Sie geht zu Protest, weil sie
Identität des Selbstbewußtseins ist ersichtlich der un- dem zuinnerst naiv-realistischen Kriterium von Da-
reflektierten Erfahrung des beharrenden, identischen sein nicht genügen kann. Die idealistische Konstrukti-
Objekts nachgebildet; wird auch von Kant wesentlich on des Subjekts scheitert an seiner Verwechslung mit
darauf bezogen. Dieser hätte nicht die subjektiven einem Objektiven als einem Ansichseienden, das es
Formen als Bedingungen von Objektivität reklamie- gerade nicht ist: nach dem Maß des Seienden ist Sub-
ren können, hätte er nicht stillschweigend ihnen eine jekt zur Nichtigkeit verurteilt. Subjekt ist um so mehr,
Objektivität zugebilligt, die er von der erborgt, wel- je weniger es ist, und um so weniger, je mehr es zu
cher er das Subjekt entgegensetzt. Am Extrem jedoch, sein, ein für sich Objektives zu sein wähnt. Als Mo-
in das Subjektivität sich zusammenzieht, vom Punkt ment indessen ist es untilgbar. Nach Eliminierung des
seiner synthetischen Einheit her, wird immer nur das subjektiven Moments ginge Objekt diffus auseinander
zusammengenommen, was auch an sich zusammenge- gleich den flüchtigen Regungen und Augenblicken
hört. Sonst wäre Synthesis bloße klassifikatorische subjektiven Lebens.
Willkür. Freilich ist solche Zusammengehörigkeit
ohne den subjektiven Vollzug der Synthesis ebenso-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.657 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 756 8.658 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 757

von Besonderem und insofern besonders. Beide sind


11 und sind nicht. Das ist eines der stärksten Motive
nicht-idealistischer Dialektik.
Objekt ist, wenngleich abgeschwächt, auch nicht ohne
Subjekt. Fehlte Subjekt als Moment an Objekt selber,
so würde dessen Objektivität zum Nonsens. An der
Schwäche von Humes Erkenntnistheorie wird das fla-
grant. Sie war subjektiv gerichtet, während sie des
Subjekts entraten zu können wähnte. Danach ist über
das Verhältnis von individuellem und transzendenta-
lem Subjekt zu urteilen. Das individuelle ist, wie seit
Kant ungezählte Male variiert ward, Bestandteil der
empirischen Welt. Seine Funktion jedoch: seine Fä-
higkeit zur Erfahrung – die dem transzendentalen
Subjekt abgeht, denn kein rein Logisches könnte ir-
gend erfahren – ist in Wahrheit weit konstitutiver als
die vom Idealismus dem transzendentalen Subjekt zu-
gesprochene, seinerseits einer Abstraktion vom indi-
viduellen Bewußtsein, die zutiefst vorkritisch hypo-
stasiert ward. Gleichwohl erinnert der Begriff des
Transzendentalen daran, daß Denken vermöge der
ihm immanenten Allgemeinheitsmomente die eigene
unabdingbare Individuation übersteigt. Auch die An-
tithese von Allgemeinem und Besonderem ist notwen-
dig sowohl wie trügend. Keines von beiden ist ohne
das andere, das Besondere nur als Bestimmtes und in-
sofern allgemein, das Allgemeine nur als Bestimmung
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.659 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 757 8.660 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 758

nach seinem Bild. Aber die These von der Vorgängig-


12 keit ist widersinnig nur, solange das Individuum oder
dessen biologische Vorform hypostasiert wird. Ent-
Die Reflexion des Subjekts auf seinen eigenen Forma- wicklungsgeschichtlich ist eher das zeitliche Prius,
lismus ist die auf die Gesellschaft, mit der Paradoxie, wenigstens die Gleichzeitigkeit der Gattung zu ver-
daß, gemäß der Intention des späten Durkheim, die muten. Daß »der« Mensch vor jener soll gewesen
konstitutiven Formanten gesellschaftlich entsprungen sein, ist entweder biblische Reminiszenz oder schierer
sind, andererseits jedoch, worauf die gängige Erkennt- Platonismus. Die Natur ist auf ihren niedrigen Stufen
nistheorie pochen kann, objektiv gültig; von Durk- voll von nicht-individuierten Organismen. Werden
heims Argumentationen werden sie bereits vorausge- nach der These neuerer Biologen tatsächlich die Men-
setzt in jedem Satz, der ihre Bedingtheit demonstriert. schen soviel unausgerüsteter geboren als andere Lebe-
Die Paradoxie dürfte eins sein mit der objektiven Ge- wesen, so haben sie wohl überhaupt nur assoziiert,
fangenschaft des Subjekts in sich. Die Erkenntnis- durch rudimentäre gesellschaftliche Arbeit am Leben
funktion, ohne die Differenz so wenig wie Einheit des sich erhalten können; das principium individuationis
Subjekts wäre, entsprang ihrerseits. Sie besteht we- ist deren Sekundäres, hypothetischerweise eine Art
sentlich in jenen Formanten; soweit es Erkenntnis biologischer Arbeitsteilung. Daß irgendein einzelner
gibt, muß sie nach ihnen sich vollziehen, auch wo sie Mensch zuerst, urbildlich hervortrat, ist unwahr-
darüber hinausblickt. Sie definieren den Erkenntnis- scheinlich. Der Glaube daran projiziert mythisch das
begriff. Dennoch sind sie nicht absolut sondern ge- bereits historisch voll ausgebildete principium indivi-
worden wie die Erkenntnisfunktion überhaupt. Daß duationis nach rückwärts oder auf den ewigen Ideen-
sie vergehen könnten, ist nicht jenseits aller Möglich- himmel. Die Gattung mochte durch Mutation sich in-
keit. Ihre Absolutheit zu prädizieren setzte die Er- dividuieren, um dann durch Individuation, in Indivi-
kenntnisfunktion, das Subjekt absolut; sie zu relati- duen unter Anlehnung ans biologisch Singuläre sich
vieren widerriefe die Erkenntnisfunktion dogmatisch. zu reproduzieren. Der Mensch ist Resultat, kein
Dagegen wird vorgebracht, das Argument involviere ε˜’δος; die Erkenntnis von Hegel und Marx reicht bis
den törichten Soziologismus: Gott habe die Gesell- ins Innerste der sogenannten Konstitutionsfragen hin-
schaft geschaffen und diese den Menschen und Gott ein. Die Ontologie »des« Menschen – Modell der
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.661 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 758

Konstruktion des transzendentalen Subjekts – ist am


entfalteten Einzelnen orientiert, so wie es sprachlich
die Äquivokation in dem Ausdruck »der« anzeigt,
welcher ebenso das Gattungswesen wie das Individu-
um benennt. Insofern enthält der Nominalismus,
wider die Ontologie, viel eher als diese den Primat der
Gattung, der Gesellschaft. Diese freilich ist mit dem
Nominalismus darin sich einig, daß sie die Gattung
sogleich verleugnet, vielleicht weil sie an die Tiere
mahnt: Ontologie, indem sie den Einzelnen zur Form
von Einheit und gegenüber dem Vielen zum Ansich-
seienden erhebt; Nominalismus, indem er unreflektiert
den Einzelnen, nach dem Modell des Einzelmenschen,
zum wahrhaft Seienden erklärt. Er verleugnet die Ge-
sellschaft in den Begriffen dadurch, daß er sie zur Ab-
breviatur für Einzelnes herabsetzt.

Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften

Das könnte Ihnen auch gefallen