Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
2, 742
schiedenheit, ehe das Subjekt sich bildete, war der die ununterschiedene Einheit von Subjekt und Objekt
Schrecken des blinden Naturzusammenhangs, der noch ihre feindselige Antithetik sich vorstellen; eher
Mythos; die großen Religionen hatten ihren Wahr- die Kommunikation des Unterschiedenen. Dann erst
heitsgehalt im Einspruch dagegen. Übrigens ist Unge- käme der Begriff von Kommunikation, als objektiver,
schiedenheit nicht Einheit; diese erfordert, schon der an seine Stelle. Der gegenwärtige ist so schmählich,
Platonischen Dialektik zufolge, Verschiedenes, des- weil er das Beste, das Potential eines Einverständnis-
sen Einheit sie ist. Das neue Grauen, das der Tren- ses von Menschen und Dingen, an die Mitteilung zwi-
nung, verklärt denen, die es erleben, das alte, das schen Subjekten nach den Erfordernissen subjektiver
Chaos, und beides ist das Immergleiche. Vergessen Vernunft verrät. An seiner rechten Stelle wäre, auch
wird über der Angst vor der gähnenden Sinnlosigkeit erkenntnistheoretisch, das Verhältnis von Subjekt und
die einst nicht geringere vor den rachsüchtigen Göt- Objekt im verwirklichten Frieden sowohl zwischen
tern, welche der epikureische Materialismus und das den Menschen wie zwischen ihnen und ihrem Ande-
christliche Fürchtet euch nicht von den Menschen ren. Friede ist der Stand eines Unterschiedenen ohne
nehmen wollten. Anders nicht als durch Subjekt ist Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat anein-
das vollziehbar. Würde es liquidiert, anstatt in einer ander.
höheren Gestalt aufgehoben, so bewirkte das Regres-
sion des Bewußtseins nicht bloß sondern eine auf
reale Barbarei. Schicksal, die Naturverfallenheit der
Mythen, stammt aus totaler gesellschaftlicher Unmün-
digkeit, einem Zeitalter, darin Selbstbesinnung noch
nicht die Augen aufschlug, Subjekt noch nicht war.
Anstatt jenes Zeitalter durch kollektive Praxis zur
Wiederkehr zu beschwören, wäre der Bann des alten
Ungeschiedenen zu tilgen. Seine Verlängerung ist das
Identitätsbewußtsein des Geistes, der repressiv sein
Anderes sich gleichmacht. Wäre Spekulation über den
Stand der Versöhnung erlaubt, so ließe in ihm weder
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.633 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 744 8.634 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 745
der Welt wenig zu sagen haben; die ihrerseits zu An- und Invarianz, welche der Transzendentalphilosophie
hängseln der sozialen Maschinerie, am Ende zur Ideo- zufolge die Objekte erzeugt, wenigstens ihnen die
logie geworden sind. Der lebendige Einzelmensch, so Regel vorschreibt, ist die Reflexionsform der im ge-
wie er zu agieren gezwungen ist und wozu er auch in sellschaftlichen Verhältnis objektiv vollzogenen Ver-
sich geprägt wurde, ist als verkörperter homo oecono- dinglichung der Menschen. Der Fetischcharakter, ge-
micus eher das transzendentale Subjekt denn der le- sellschaftlich notwendiger Schein, ist geschichtlich
bendige Einzelne, für den er sich doch unmittelbar zum Prius dessen geworden, wovon er seinem Begriff
halten muß. Insofern war die idealistische Theorie nach das Posterius wäre. Das philosophische Konsti-
realistisch und brauchte sich vor Gegnern, welche ihr tutionsproblem hat sich spiegelbildlich verkehrt; in
Idealismus vorwarfen, nicht zu genieren. In der Lehre seiner Verkehrung jedoch drückt es die Wahrheit über
vom transzendentalen Subjekt erscheint getreu die den erreichten geschichtlichen Stand aus; eine Wahr-
Vorgängigkeit der von den einzelnen Menschen und heit freilich, die durch eine zweite Kopernikanische
ihrem Verhältnis abgelösten, abstrakt rationalen Be- Wendung theoretisch wieder zu negieren wäre. Sie hat
ziehungen, die am Tausch ihr Modell haben. Ist die allerdings auch ihr positives Moment: daß die vorgän-
maßgebende Struktur der Gesellschaft die Tausch- gige Gesellschaft sich und ihre Mitglieder am Leben
form, so konstituiert deren Rationalität die Menschen; hält. Das besondere Individuum verdankt dem Allge-
was sie für sich sind, was sie sich dünken, ist sekun- meinen die Möglichkeit seiner Existenz; dafür zeugt
där. Von dem philosophisch als transzendental ver- Denken, seinerseits ein allgemeines, insofern gesell-
klärten Mechanismus sind sie vorweg deformiert. Das schaftliches Verhältnis. Nicht nur fetischistisch ist
vorgeblich Evidenteste, das empirische Subjekt, Denken dem Einzelnen vorgeordnet. Nur wird im
müßte eigentlich als ein noch gar nicht Existentes be- Idealismus die eine Seite hypostasiert, die anders als
trachtet werden; unter diesem Aspekt ist das transzen- im Verhältnis zur anderen gar nicht begriffen werden
dentale Subjekt »konstitutiv«. Es ist, angeblich Ur- kann. Das Gegebene aber, das Skandalon des Idealis-
sprung aller Gegenstände, in seiner starren Zeitlosig- mus, das er doch nicht wegzuräumen vermag, demon-
keit vergegenständlicht, ganz nach der Kantischen striert stets wieder das Mißlingen jener Hypostase.
Lehre von den festen und unveränderlichen Formen
des transzendentalen Bewußtseins. Seine Festigkeit
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.637 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 746 8.638 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 747
die subjektiven Qualitäten am Objekt erst recht ein tenden gesellschaftlichen Zwängen gehorcht, ohne sie
Moment des Objektiven. Denn einzig als Bestimmtes mitzudenken. Kritik an der Gesellschaft ist Erkennt-
wird Objekt zu etwas. In den Bestimmungen, die niskritik und umgekehrt.
scheinbar bloß das Subjekt ihm anheftet, setzt dessen
eigene Objektivität sich durch: sie alle sind der Ob-
jektivität der intentio recta entlehnt. Auch nach ideali-
stischer Doktrin sind die subjektiven Bestimmungen
kein bloß Angeheftetes, immer werden sie auch vom
zu Bestimmenden verlangt, und darin behauptet sich
der Vorrang des Objekts. Umgekehrt ist das vermeint-
lich reine, der Zutat von Denken und Anschauung le-
dige Objekt gerade der Reflex abstrakter Subjektivi-
tät: nur sie macht durch Abstraktion das Andere sich
gleich. Das Objekt ungeschmälerter Erfahrung, zum
Unterschied vom bestimmungslosen Substrat des Re-
duktionismus, ist objektiver als jenes Substrat. Die
von der traditionellen Erkenntniskritik am Objekt aus-
gemerzten und dem Subjekt gutgeschriebenen Quali-
täten verdanken in der subjektiven Erfahrung sich
dem Vorrang des Objekts; darüber betrog die Herr-
schaft der intentio obliqua. Ihre Erbschaft fiel einer
Kritik der Erfahrung zu, welche deren eigene ge-
schichtliche Bedingtheit, schließlich die gesellschaft-
liche erreicht. Denn Gesellschaft ist der Erfahrung im-
manent, kein ’´λλο γνος. Nur die gesellschaftliche
Selbstbesinnung der Erkenntnis erwirkt dieser die Ob-
jektivität, die sie versäumt, solange sie den in ihr wal-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.641 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 748 8.642 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 749
dann nicht länger ein subtrahierbares Addendum zur tiert wird sowohl auf das, was jeweils als Subjekt und
Objektivität. Diese wird durch die Ausscheidung Objekt sich darstellt, wie auf die Vermittlungen. Inso-
eines ihr wesentlichen Moments gefälscht, nicht gerei- fern ist Objekt tatsächlich, wie der Neukantianismus
nigt. Die Vorstellung, welche den residualen Objekti- es lehrte, »unendlich aufgegeben«. Zuweilen gelangt
vitätsbegriff leitet, hat denn auch ihr Urbild an einem Subjekt, als uneingeschränkte Erfahrung, näher ans
Gesetzten, von Menschen Gemachten; keineswegs an Objekt als das gefilterte, nach den Erfordernissen sub-
der Idee jenes An sich, für das sie das gereinigte Ob- jektiver Vernunft zurechtgestutzte Residuum. Unredu-
jekt substituiert. Vielmehr ist es das Modell des Pro- zierte Subjektivität vermag ihrem gegenwärtigen ge-
fits, der in der Bilanz nach Abzug sämtlicher Geste- schichtsphilosophischen Stellenwert nach, dem pole-
hungskosten übrigbleibt. Der aber ist das auf die mischen, objektiver zu fungieren als objektivistische
Form des Kalküls gebrachte und beschränkte subjek- Reduktionen. Verhext ist alle Erkenntnis unterm Bann
tive Interesse. Was für die nüchterne Sachlichkeit des nicht zuletzt darin, daß die überlieferten epistemologi-
Profitdenkens zählt, ist alles andere als die Sache: die schen Thesen ihren Gegenstand auf den Kopf stellen:
geht unter in dem, was sie einem abwirft. Erkenntnis fair is foul, and foul is fair. Der objektive Gehalt indi-
jedoch müßte geleitet werden von dem, was vom vidueller Erfahrung wird hergestellt nicht durch die
Tausch nicht verstümmelt ist, oder – denn es gibt Methode komparativer Verallgemeinerung, sondern
nichts Unverstümmeltes mehr – von dem, was unter durch Auflösung dessen, was jene Erfahrung, als sel-
den Tauschvorgängen sich verbirgt. Objekt ist so ber befangene, daran hindert, dem Objekt so ohne
wenig subjektloses Residuum wie das vom Subjekt Vorbehalt, nach Hegels Wort, mit der Freiheit sich zu
Gesetzte. Beide einander widerstreitenden Bestim- überlassen, die das Subjekt der Erkenntnis entspann-
mungen sind ineinander gepaßt: der Rest, mit dem die te, bis es wahrhaft in dem Objekt erlischt, dem es ver-
Wissenschaft als ihrer Wahrheit sich abspeisen läßt, wandt ist vermöge seines eigenen Objektseins. Die
ist Produkt ihres manipulativen Verfahrens, subjektiv Schlüsselposition des Subjekts in der Erkenntnis ist
veranstaltet. Zu definieren, was Objekt sei, wäre sei- Erfahrung, nicht Form; was bei Kant Formung heißt,
nerseits ein Stück solcher Veranstaltung. Objektivität wesentlich Deformation. Die Anstrengung von Er-
ist auszumachen einzig dadurch, daß auf jeder ge- kenntnis ist überwiegend die Destruktion ihrer übli-
schichtlichen Stufe und jeder der Erkenntnis reflek- chen Anstrengung, der Gewalt gegen das Objekt. Sei-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.649 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 752 8.650 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 753
Welt, mit der die Lebendigen kollidieren. Jenes Ge- rismos wird die behauptete absolute Spontaneität, an
setz, welches Kant zufolge das Subjekt der Natur vor- sich, wenngleich nicht für Kant, stillgelegt; Form, die
schreibt, die höchste Erhebung von Objektivität in zwar die von etwas sein soll, der eigenen Beschaffen-
seiner Konzeption, ist vollkommener Ausdruck des heit nach jedoch mit keinem Etwas in Wechselwir-
Subjekts sowohl wie seiner Selbstentfremdung: das kung treten kann. Ihre schroffe Scheidung von der Tä-
Subjekt unterschiebt sich auf der Spitze seiner for- tigkeit der Einzelsubjekte, die als kontingent-psycho-
menden Prätention als Objekt. Das indessen hat wie- logisch abgewertet werden muß, zerstört die ur-
der sein paradoxes Recht: tatsächlich ist Subjekt auch sprüngliche Apperzeption, Kants innerstes Prinzip.
Objekt, vergißt nur eben in seiner Verselbständigung Sein Apriorismus beraubt das reine Tun eben der
zur Form, wie und wodurch es selbst konstituiert Zeitlichkeit, ohne welche unter Dynamik schlechter-
wird. Genau trifft die Kantische Kopernikanische dings nichts sich verstehen läßt. Tun schlägt zurück
Wendung die Objektivierung des Subjekts, die Reali- in ein Sein zweiter Ordnung; ausdrücklich, wie allbe-
tät von Verdinglichung. Ihr Wahrheitsgehalt ist der kannt, in der Wendung des späten Fichte gegenüber
keineswegs ontologische sondern geschichtlich aufge- der Wissenschaftslehre von 1794. Solche objektive
türmte Block zwischen Subjekt und Objekt. Ihn er- Doppeldeutigkeit im Begriff des Objekts kodifiziert
richtet das Subjekt dadurch, daß es die Suprematie Kant, und kein Theorem übers Objekt darf sie über-
über das Objekt beansprucht und dadurch um es sich springen. Strenggenommen hieße Vorrang des Ob-
betrügt. Als in Wahrheit Nichtidentisches wird das jekts, daß es Objekt als ein dem Subjekt abstrakt Ge-
Objekt dem Subjekt desto ferner gerückt, je mehr das genüberstehendes nicht gibt, daß es aber als solches
Subjekt das Objekt »konstituiert«. Der Block, an dem notwendig erscheint; die Notwendigkeit dieses
die Kantische Philosophie sich die Stirn eindenkt, ist Scheins wäre zu beseitigen.
zugleich Produkt jener Philosophie. Subjekt als reine
Spontaneität, ursprüngliche Apperzeption, scheinbar
das absolut dynamische Prinzip, ist aber, vermöge des
Chorismos von jeglichem Material, nicht weniger ver-
dinglicht als die nach dem Modell der Naturwissen-
schaften konstituierte Dingwelt. Denn durch den Cho-
Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften
8.653 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 754 8.654 Dialektische Epilegomena GS 10.2, 755