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Nur für Stammgäste

Lehrer, Mitschüler und Kollegen sagten unserem Autor, er sei


"Deutscher". Vor Clubtüren wurde ihm etwas anderes vermittelt. Die
Bitterkeit setzte sich fest.
Eine Reportage von Hasan Gökkaya
16. Juni 2018, 10:43 UhrAktualisiert am 1. August 2018, 17:12 Uhr

Unser Autor wurde oft von Türstehern abgewiesen, weil er nicht typisch deutsch
aussieht.© Alexander Popov/Unsplash

Rassismus ordnet unser Denken und Zusammenleben. Vor einigen Wochen


haben wir mit unserer Serie Alltag Rassismus versucht herauszufinden,
warum das so ist, was das für die Gesellschaft bedeutet und wie sich das
verändern ließe. Durch die Debatte um Mesut Özil und #metwo ist das Thema
aktueller denn je. Wir wollen deshalb die wichtisten Folgen der Serie hier noch
einmal zeigen.
Hier beschreibt Hasan Gökkaya, warum es keine Petitesse ist, wenn man am
Türsteher nicht vorbeikommt.
Die Warteschlange vor dem Eingang des Clubs wurde kürzer, die Blicke der
Türsteher kamen näher. Vor mir hatten sich zehn oder 15 Gäste eingereiht. Sie
redeten laut, lachten, einige tranken das Bier noch vor der Eingangstür aus und
schmissen die leere Flasche ins Gebüsch. Ich war nicht so locker. Ich war
nervös. Bloß nicht abgewiesen werden, wenn mein gesamter Schuljahrgang hier
feiern ist, dachte ich. Auf meinem Handy las ich eine SMS, um mich
abzulenken: "Alle sind hier. Musst kommen!", schrieb mir ein Mitschüler, der
schon drin war.
Es war 2004, ich stand kurz vor den Abiturprüfungen in Bremen. Das
stadtbekannte Stubu, kurz für Studentenbude, befand sich am Ende der Bremer
Diskomeile. Der Tequila in dem Club schmeckte scheußlich, die Schuhe klebten
auf dem Boden und auf der Tanzfläche traf man Bremens größte Proleten. Mir
gefiel es, ich war 19.
Wer hatte mit wem getanzt? Wer hatte mit wem geknutscht? In der ersten
großen Pause am Montag würden wir Geschichten auspacken, vielleicht auch
noch Jahre später bei Klassentreffen, stellte ich mir vor. Meinen Vater hatte ich
überredet, mir 50 Euro mitzugeben. Ich war sicher, es würde ein guter Abend
werden. Doch mein Endgegner, ein Ende 40-jähriger Mann mit kurzen Haaren,
dickem Bauch und schwarzer Jacke, stand noch zwischen mir und der
Eingangstür.
Bei der Frage, wer in den Club reindurfte und wer nicht, waren die Türsteher
streng, aber durchschaubar: Nur Frauen kamen ohne Probleme rein, selbst
minderjährige. Bei Männern wurde ausgesiebt. Deutsche hatten keine
Probleme, sie mussten schon stark torkeln, um nicht reingelassen zu werden.
Auch Polen und Russen gingen aufgrund ihrer meist hellen Haare als Deutsche
durch und kamen rein. Anders war es mit Türken, Arabern, Kurden – also
Menschen wie mir. Wir hatten nur dann eine Chance, wenn wir die Türsteher
kannten oder irre Glück hatten. Die Clubbetreiber wollten keinen Ärger und die
Lösung versprechen sie sich davon, dass sie den meisten Türken, Arabern und
Kurden den Eintritt verwehrten.
Ich kannte den Stubu-Türsteher nicht persönlich, also musste ich tricksen. Kurz
bevor ich ihm in die Augen schaute, steckte ich meine Hände in die
Jeanstaschen, das Hemd hatte ich bis oben zugeknöpft. Ich wollte besonders
freundlich aussehen. Meinen damals spärlichen Bart hatte ich abrasiert, obwohl
ich ihn gerne trug. Aber ein schwarzer Bart bedeutet Türke und Türke bedeutet
Südländer und Südländer bedeutet: Du kommst nicht rein.
Stammgäste, das waren Björns, Christophers und Maximilians, aber
keine Mehmets, Alis und Hakans.
Fünf, vier, drei, zwei eins – die Gäste vor mir gingen rein, dann war ich dran.
Der Türsteher sah mich an. Dann schüttelte er den Kopf, als hätte er einen
Betrüger entdeckt. "Raus! Raus! Raus!", rief er. "Warum?", fragte ich. "Nur für
Stammgäste", antwortete er grob.
Stammgäste, das sah ich beim Verlassen der Schlange, waren Scharen von
Erasmus-Studenten. Besucher, die Björn, Christopher und Maximilian hießen,
nicht Mehmet, Ali oder Hakan.

...obwohl ich Hasan heiße


Oft habe ich von Lehrern, Mitschülern und später Arbeitskollegen gehört, ich
sei Deutscher, obwohl ich Hasan heiße. Vor den Clubtüren wurde mir aber
etwas anderes eingetrichtert. Alles sei ich – aber kein Deutscher.
Ich hatte keine Vorstrafen, nie Ärger mit der Polizei, ich sah nicht aus wie ein
Schläger. Ich machte Abitur, studierte später wie viele meiner
deutschtürkischen Freunde. Aber das zählte nicht. Ob in Bremen, Düsseldorf,
München, Passau, Hannover, Hamburg, in all diesen Städten ging es nicht
immer, aber allzu oft nur darum, ob wir südländisch aussahen.
Eine Zeit lang versuchten meine deutschtürkischen Freunde und ich nicht
einmal mehr, in Clubs zu kommen. Wir wollten uns den Moment ersparen, an
dem wir uns umdrehen mussten und der Rest der Schlange uns beobachtete, als
seien wir beim Klauen erwischt worden. Also machten wir Schlenker in
alternative Kellerclubs, obwohl wir die Musik dort nicht mochten. Manchmal
resignierten wir und saßen viel zu früh in der Straßenbahn nach Hause.

Rassismus setzt sich fest

ZEIT ONLINE-Redakteur Hasan Gökkaya (33) © Kristin Bethge für ZEIT


ONLINE

Betreiber von Clubs müssen nicht jeden reinlassen. Vielleicht kommt es wirklich
häufiger zu Streit, wenn viele Araber, Türken und Kurden zusammenkommen.
Aber der Preis für diese Türpolitik ist hoch. Jahrelang an Clubtüren abgewiesen
werden und dabei zusehen, wie andere aufgrund ihres Aussehens reingelassen
werden, ist eine besonders perfide Form von Rassismus. Er ist unsichtbar und
heimtückisch. Er tut mehr weh als Beleidigungen und lässt sich schlechter
erzählen.
Wer nicht betroffen ist, kann sich meist nicht vorstellen, dass Rassismus an der
Tür System hat. Mir rief einmal eine alte Frau "Scheiß Ausländer" hinterher. Ich
wusste, ich konnte die Rentnerin in die Kategorie Ausländerfeindin schieben.
Jeder, dem ich davon erzählte, verstand. Ich nahm das mit Humor. Aber als
mich eine 50-jährige Journalistin in einer Redaktionskonferenz fragte, ob ich
mir den Rassismus an der Tür vielleicht eingebildet hätte und ob das nicht
einfach Pech gewesen sei, wurde ich wütend. Wir bewegten uns in so
unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, dass sie mir meine einfach absprach.
Die Momente, an denen mir die Türsteher indirekt zu verstehen gaben, dass ich
nicht reinkomme, weil ich Türke bin, waren nicht das Schlimmste. Manchmal
verheimlichten sie das nicht einmal. "Anweisung vom Chef", sagte mir ein
Türsteher, der selbst Deutschtürke war. Aber schlimm war, wenn ich abends im
Bett lag, während meine Freunde Nachrichten aus den Clubs schickten: "Wo
bist du?" In diesen Momenten hatten mich die Türsteher. In diesen Momenten
setzte sich die Ausgrenzung in den Hinterkopf und kam mit in den Schlaf.

Keine Ausnahme zum 18. Geburtstag


Zu meinem 18. Geburtstag gab es keine Ausnahme. Ich wollte die besten Songs
von Tupac mit ultrastarkem Bass hören, tanzen, Frauen kennenlernen, mit
meinen Freunden rumalbern, ihnen die ersten Runden ausgeben. Also hatte ich
meine große Schwester überredet, mich und zwei Freunde in eine unter
Jugendlichen beliebte Diskothek in Bremen-Oyten zu fahren. Ob groß, klein,
dick, dünn, Student, Schüler oder Azubi: Das Publikum zeigte, dass die
Einlasshürden nicht hoch waren. Trotzdem sagte ich vorsichtshalber meiner
Schwester, sie solle kurz im Auto warten. Vor der Eingangstür begann meine
20-Sekunden-Show. Das war die Zeit, in der ich meinen Personalausweis
zückte, der Türsteher meinen Namen checkte und antwortete: "Heute nur für
Stammgäste."
Als meine Schwester uns zurückfuhr, war es im Auto ruhig. Niemand redete, bis
einer meiner Kumpels anmerkte, der Türsteher sei wenigstens nett gewesen.
Der Mann hatte im Nachsatz "Tut mir Leid" gesagt, als ich ihn gebeten hatte, für
meinen 18. Geburtstag eine Ausnahme zu machen. Als ob Rassismus mit einem
"Tut mir Leid" weniger verletzen würde.

Nicht so gemeint
Als ich 2017 nach Berlin zog, ich war 32, kam ich mit einem deutschtürkischen
Kumpel im Stadtteil Friedrichshain an einem Elektroclub vorbei. Wir
versuchten reinzukommen und scheiterten, wie damals. Mein Kumpel sagte
mir: "Die haben nicht einmal die Frauen reingelassen. In Berlin ist das nicht so
gemeint." Er hatte Recht: Der Türsteher hatte vorher noch eine Gruppe
Touristen samt Frauen abgewiesen. Es war eine andere Situation als die, in der
wir aus Rassismus weggeschickt wurden. Aber die Tatsache, dass wir fieberhaft
nach Erklärungen suchten, zeigt, wie sehr wir immer noch damit kämpften, uns
einzureden, wir seien nicht anders. Wir würden nicht diskriminiert. Es gebe
kein die und Wir, sondern nur uns.

Die Bitterkeit ablegen


Ich werde oft gefragt, warum so viele junge Deutschtürken sich der Türkei
stärker verbunden fühlen als Deutschland. Warum sie sich so schwer tun mit
der deutschen Identität. Ich glaube: Es macht etwas mit Menschen, wenn man
ihnen im jungen Alter zu verstehen gibt, sie seien anders. Dass sie zwar in
Deutschland leben dürfen, nicht aber sich unbeschwert mit Freunden treffen
und feiern. Das fängt an der Clubtür an und setzt sich später bei der Wohnungs-
und Jobsuche fort. Man wird wacher, vorsichtiger, wütender. Nicht wenige
brechen in der Folge mit der Gesellschaft.
Es sind Demütigungen aus der Jugend, die wir in unser
Erwachsenenleben mitgenommen haben, jeder auf seine Weise.
In Hamburg begegnete ich einmal einem Mann, der Salafisten unterstützt. Er
sei auf vielen Partys gewesen, prahlte er und schob hinterher: "Aber nur dann,
wenn die mich reinließen." Er sagte den Halbsatz beiläufig, doch ich horchte
auf. Offenbar beschäftigte ihn die Erfahrung, vielleicht bestärkte sie ihn in
seiner Entwicklung. In Bremen erzählte mir ein türkischstämmiger Student, er
setze eine Brille ohne Stärke auf, bevor er in Clubs gehe, das wirke
sympathischer vor den Türstehern. Ein kurdischstämmiger Freund lehnt es ab,
mit seinen deutschen Arbeitskollegen auszugehen. Er wolle ihnen den Abend
nicht verderben, wenn er nicht reinkomme, sagt er. Es sind Demütigungen aus
der Jugend, die wir in unser Erwachsenenleben mitgenommen haben, jeder auf
seine Weise.
Natürlich erlebte ich auch andere Momente. Oft wurde ich reingelassen und mit
zunehmenden Alter wurde es einfacher. Aber meistens achtete ich darauf,
möglichst an der Seite von Deutschen vor die Türsteher zu treten – nie mit
meinen deutschtürkischen Freunden. Meine helle Haut habe ich von meiner
Mutter, die schmalen Augen von meinem Vater geerbt. Manchmal hielten mich
die Türsteher deshalb für einen Asiaten. Und wie ein Asiate auszusehen schien
vorteilhaft zu sein. Die tränken nicht viel, pöbelten nicht und seien
ungefährlich, erzählte mir ein Türsteher. Er redete, als hätte er
wissenschaftliche Studien durchgeführt.
Aber können Tricks und Glück der Maßstab dafür sein, ob ich im Club feiern
darf? Was ist mit Fatih, mit Ali, mit Mehmet? Was ist mit meinen Freunden, die
die Türsteher nicht täuschen konnten? Was ist mit den Malen, an denen ich mit
einem Plan B ins Wochenende startete, während es für die meisten meiner
blonden Mitschüler völlig normal war, sich zu treffen und zu feiern, wann und
wo sie wollten?
Die Bitterkeit angesichts meiner negativen Erfahrungen habe ich zum großen
Teil abgelegt. Das habe ich auch meinem Beruf zu verdanken: Als
Gesellschaftsreporter begegne ich vielen unterschiedlichen Menschen,
Gewinnern wie Verlierern. Letztere sind oft Jugendliche mit
Migrationshintergrund, denen die Identitätssuche in Deutschland zu schaffen
macht. Zu den Verlierern gehören aber auch Deutsche, auch sie sind manchmal
arm, perspektivlos und ängstlich. Das Leben ist zu kompliziert, herausfordernd
und spannend, um den Blick von anderen formen zu lassen, vor allem nicht von
Clubbetreibern und Türstehern, die Rassismus auf ihre Weise fördern.

Aber was ist mit Ali?


Nur was ist mit denen, die das nicht mit sich klären konnten? Die es nicht
geschafft haben, ihren Clubtürfrust zu verarbeiten? Ich meine nicht den Ali, der
keine Lust hat auf die Kultur, die Werte und die Menschen in Deutschland.
Nicht den, der in einen Club geht, um sich zu prügeln. Sondern den Ali, der
vielleicht erst 20 Jahre ist, zum Beispiel Medizin studiert, dieses Land
voranbringen will, mitbestimmen möchte. Den Ali, der Hunderte Stunden in
der Bibliothek verbringen wird, bis er als Arzt arbeiten kann. Den Ali, der an
Wochenenden nicht wie jeder andere Student feiern konnte. Der vor seinen
Kommilitonen blamiert wurde. Der sich nie sorgenlos in eine Diskoschlange
stellen konnte. Kann ich es ihm übel nehmen, wenn er sich am Ende nicht als
Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft sieht?
Von diesen Alis gibt es unzählige, womöglich viel mehr als die kriminellen
ausländischen Jugendlichen aus den Nachrichten. In der Geschichte der
Bundesrepublik gab es nie zuvor mehr Ärzte, Anwälte, Polizisten und Lehrer,
deren Eltern oder Großeltern einst aus der Türkei kamen. Wohin kommen wir,
wenn diese Menschen das Gefühl haben, fremd im eigenen Land zu sein?
Mit mir ist eine ganze Generation von Deutschtürken aufgewachsen, die aktiv
ist. Diese Leute setzen am Band bei Mercedes Benz Autoteile zusammen,
machen sich selbstständig mit Kiosken und Dönerbuden, unterrichten
Gymnasiasten in Deutsch und beraten IT-Unternehmen. Sie zahlen Steuern,
stehen beim Bäcker an und bestellen Brötchen, wenn sie dran sind. Um es in
Worten des Psychiaters Viktor Frankl zu sagen: Sie gehören zur "Rasse" der
anständigen Menschen. Sie verdienen es, so behandelt zu werden.

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