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Systemtransformation
Eine Einführung in die Theorie und Empirie
der Transformationsforschung
Merkei, Wolfgang:
Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der
Transformationsforschung I Wolfgang Merke!. - Opladen : Leske + Budrich, 1999
(Schriftenreihe Uni-Taschenbücher; Bd. 2076)
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
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Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
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und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Vorwort ...................................................................................... 15
Einleitung ...................................................................................... 17
5
4.2.2. Das Theorem der Machtdispersion............................... 92
4.3. Kulturtheorien......................................................................... 95
4.3.1. Religiös-kulturelle Zivilisationstypen .......................... 96
4.3.2. Soziales Kapital... ......................................................... 100
4.4. Akteurstheorien ....................................................................... 102
4.4.1. Deskriptiv-empirische Akteurstheorien........................ 103
4.4.2. Rational choice-Ansätze ............................................... 105
4.5. Theoriesynthese ...................................................................... 107
5. Massen und Eliten in der Transformation............................... 111
5.1. Die Rolle der Massen und Eliten in der
Transformationsliteratur............ ............................... ............... 111
5.2. Die Rolle von Massen und Eliten in
den Transformationsphasen .................................................... 114
6. Transformationsphasen... .......... ....................... ....................... 119
6.1. Ende des autokratischen Systems...................................... ...... 123
6.1.1. Ursachenkomplexe ....................................................... 123
6.1.2. Systeminterne Ursachen ............................................... 125
6.1.3. Systemexterne Ursachen .............................................. 127
6.1.4. Verlaufsformen................ ............................. ................ 129
6.2. Demokratisierung .................................................................... 135
6.2.1. Die Institutionalisierung der Demokratie ..................... 136
6.2.2. Die Genese demokratischer Regierungssysteme .......... 138
6.3. Konsolidierung ........................................................................ 143
6.3.1. Die konstitutionelle Konsolidierung............................. 148
6.3.2. Die repräsentative Konsolidierung ............................... 155
6.3.3. Verhaltenskonsolidierung der informellen politischen
Akteure ......................................................................... 162
6.3.4. Konsolidierung der Bürgergesellschaft ........................ 164
6
2. Die zweite Demokratisierungswelle:
die Nachkriegsdemokratien in Deutschland, Italien, Japan.. 185
2.1. Die externen Einflußfaktoren.................................................. 189
2.1.1.Die Außenstützung der Demokratisierung ... ...... ........... 190
2.1.2. Wirtschaftsentwicklung und Demokratisierung ........... 194
2.2. Die internen Einflußfaktoren................................................... 198
2.2.1. Die vorautokratischen Erfahrungen mit
der Demokratie ......... ........... ............. ... .......... .......... ..... 199
2.2.2. Die Erfahrungen mit den autokratischen Regimen ...... 201
2.2.3. Das Ende der autokratischen Regime ........................... 203
2.2.4. Die Institutionalisierung der Demokratie ..................... 209
2.2.5. Die Konsolidierung der Demokratie ............................ 222
7
2. Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
(Croissant/Merkel) ................................................................. 305
2.1. Die Typen autoritärer Regime................................................. 308
2.1.1. Philippinen: das sultanistische Marcos-Regime........... 308
2.1.2 Südkorea: das bürokratisch-militärische Regime ........ 309
2.1.3. Taiwan: das Einparteienregime der Kuomintang ........ 311
2.1.4. Thailand: das bürokratisch-militärische Regime .. ....... 313
2.2. Die Regimeübergänge ............................................................ 314
2.2.1. Philippinen: Regimekollaps und Demokratisierung
"von unten" .................................................................. 314
2.2.2. Südkorea: Demokratisierung "von unten" und
ausgehandelter Regimewechsel ................................... 317
2.2.3. Taiwan: von oben gelenkter Systemwechsel ............... 321
2.2.4. Thailand: von oben eingeleiteter Regimewechsel........ 324
2.3. Die Institutionalisierung der Demokratien ............................. 326
2.3.1. Philippinen: Wiederherstellung des alten
präsidentiellen Regierungssystems .............................. 327
2.3.2. Südkorea: Semipräsidentialismus und die Logik der
Machtteilung ............................................................... 328
2.3.3. Taiwan: der langsame Institutionalisierungsprozeß
der Demokratie ............................................................ 332
2.3.4. Thailand: Wiederherstellung des parlamentarischen
Regierungssystems ...................................................... 335
2.4. Die nicht abgeschlossene Konsolidierung der Demokratien... 339
2.4.1. Philippinen: die blockierte Konsolidierung ................. 339
2.4.2. Südkorea: die schwierige Konsolidierung ................... 343
2.4.3. Taiwan: die fortgeschrittene Konsolidierung .............. 347
2.4.4. Thailand: die prekäre Konsolidierung ......................... 351
2.5. Fazit ...................................................................................... 354
2.6. Gibt es eine "asiatische Form" der Demokratie? ................... 365
8
2.1. Von oben kontrollierter Systemwechsel: der Balkan ............. 401
2.2. Der ausgehandelte Systemwechsel: Polen ............................. 410
2.3. Regimekollaps: die Tschechoslowakei .................................. 414
2.4. Regimekollaps und Staatsende: der Sonderfall DDR ............. 418
2.5. Neugründung von Staaten: die baltischen Demokratien ........ 431
3 Die Institutionalisierung der Demokratie .............................. 443
3.1. Typen demokratischer Regierungssysteme in Osteuropa.. ...... 444
3.1.1. Parlamentarische Regierungssysteme:
das Beispiel Ungarn .... ............... ......... ........... ............. 445
3.1.2. Parlamentarisch-präsidentielle Regierungssysteme:
das Beispiel Polen ........ ............ ........... ....... ................. 450
3.1.3. Präsidentiell-parlamentarische Mischsysteme:
das Beispiel Rußland ................................................... 455
3.1.4. Präsidentielle Regierungssysteme:
das Beispiel Weißrußland ............................................ 462
3.2. Die Genese der demokratischen Regierungssysteme ............. 469
3.2.1. Die historisch-konstitutionelle Erklärung..................... 470
3.2.2. Die Import-Erklärung .................................................. 473
3.2.3. Die prozeß- und akteursorientierte Erklärung .............. 474
4. Demokratische Konsolidierung. Stagnation und Scheitern:
Ungarn. Polen, Rußland und Weißrußland im Vergleich ...... 485
4.1. Konstitutionelle Konsolidierung: die Regierungssysteme ..... 486
4.2. Die repräsentative Konsolidierung: Parteiensysteme und
Verbände ................................................................................. 494
4.2.1. Parteiensysteme ........................................................... 494
4.2.2. Verbände in den industriellen Beziehungen ................. 506
4.3. Die Verhaltenskonsolidierung der Vetoakteure ..................... 522
4.4. Konsolidierung der Bürgergesellschaft .................................. 525
Ausblick 533
Literatur 539
9
Tabellen
Tabelle
1: Merkmale von demokratischen, autoritären und totalitären
Systemen................................................................................. 28
2: Prüfliste der Elemente totalitärer Systeme .............................. 53
3: Formen der Ablösung autokratischer Regime in der dritten
Demokratisierungswelle in Südeuropa, Osteuropa,
Lateinamerika und Ostasien .................................................... 135
4: Typen demokratischer Regierungssysteme der dritten
Demokratisierungswelle in Südeuropa, Osteuropa,
Lateinamerika und Ostasien .................................................... 140
5: Verfahren der Verfassungsgebung in Südeuropa,
Osteuropa, Süd- und Zentralamerika sowie Ostasien ............. 151
6: Fragmentierungsgrad der Parteiensysteme Ostmitteleuropas
auf Parlamentsebene ...... ................ .... ........ .............. ...... ........ 158
7: Demokratisierungswellen und Gegenwellen .......................... 175
8: Die Demokratien der 2. Welle (1943-1962) ........................... 188
9: Wachstum des BIP zu Marktpreisen ...................................... 195
10: Entwicklung der Preisstabilität ..... .............. ................ ........... 197
11: Entwicklung der Arbeitslosenquote (in %) .. ............... ........ ... 198
12: Politische, wirtschaftliche und zivilkulturelle Einflüsse
auf die Konsolidierung der Demokratien der zweiten
Demokratisierungswelle ....... ............. ............... ...................... 240
13: Institutioneller Charakter der autoritären Regime
in Südeuropa und ihre Ablösung ............................................. 261
14: Die Institutionalisierung der Demokratie in Südeuropa ......... 274
15: Typus und Amtsdauer der Regierungen in Griechenland
1974-1996 .............................................................................. 278
11
16: Typus und Amtsdauer der Regierungen in Portugal
1976-1996 .............................................................................. 279
17: Typus und Amtsdauer der Regierungen in Spanien
1977-1996 .............................................................................. 280
18: Legitimität und wahrgenommene Effizienz
der Demokratien in Südeuropa .............................................. 299
19: Präferenz für Demokratie gegenüber Autokratie
(diffuse Legitimität) 1992 ....................................................... 300
20: Beurteilung der eigenen autoritären Regime in Griechenland,
Spanien und Portugal (1985) ........ ....... ............. ...................... 300
21: Unterstützung für die Demokratie in Griechenland, Spanien
und Portugal (1985) ............................................................... 301
22: Durchschnittliche Sympathiewerte für politische
Institutionen und Organisationen (1985) ................................ 302
23: Demokratische und autokratische Systeme im
pazifischen Asien (1995) ....................................................... 307
24: Die Institutionalisierung der Demokratie in Ost-
und Südostasien .... ... ........ ............................. ......................... 338
25: Institutioneller Charakter der autoritären Regime und
Transitionsverlauf ................................................................... 358
26: Volatilität, Fragmentierung und effektive Zahl
der Parteien ................................... ............................ ............. 360
27: Entwicklung der Gewerkschaften .......................................... 362
28: Ökonomische Rahmenbedingungen demokratischer
Konsolidierung in Ostasien ..................................................... 373
29: Zentrale Indikatoren für die wirtschaftliche Entwicklung
in Osteuropa (1989-1996) ....................................................... 388
30: Typologie der Regierungssysteme in Osteuropa
und Zentralasien .................................. ................................... 446
31: Regierungssysteme und die Konsolidierung
der Demokratie........................................................................ 493
32: Fraktionen und Gruppen in der Staatsduma ........................... 501
33: Verbandskonfigurationen in den industriellen
Beziehungen............................................................................ 507
34: Ausländische Direktinvestionen von 1989-1995
(kumuliert) .............................................................................. 523
35: Typologie demokratischer Orientierungen ............................. 525
36: Typologie demokratischer Orientierungen (1991 - 1995) ...... 526
12
37: Antidemokraten in post-autoritären Demokratien
im Vergleich .......................................................................... 528
38: Institutionenvertrauen im Vergleich (1995) ........................... 529
39: Zahl der "elektoralen Demokratien" (1974,1990-1996) ....... 534
40: Formale und liberale Demokratien (1990-1996) .................... 535
13
Abbildungen
Abbildung
1: Typen politischer Systeme ...................................................... 55
2: Das Politische System............................................................. 59
3: Transformation mit und ohne Elitenübereinkommen
("elite settlements") ................................................................ 115
4: Systemwechsel - vom autokratischen System
zur Demokratie ........................................................................ 122
5: Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierung ........ 147
6: Der Zusammenbruch des posttotalitären Systems
der DDR .................................................................................. 430
7: Akteurskonstellationen in den baltischen Republiken
während der frühen Demokratiephase .................................... 439
8: Akteurskonstellationen in der Unabhängigkeits- und
Demokratiefrage ...................... ............................................... 440
14
Vorwort
Betrachtet man das 20. Jahrhundert unter dem Blickwinkel des Über-
gangs von autoritären zu liberaldemokratischen politischen Systemen,
lassen sich drei große Wellen erkennen. Eine erste lange Welle, die ih-
re Wurzeln in der französischen und amerikanischen Revolution hatte
und sich langsam verstärkend über das gesamte 19. Jahrhundert hin-
zog, erreichte ihren Höhepunkt unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Zu
Beginn der 20er Jahre dieses Jahrhunderts war in rund 30 Ländern mit
den allgemeinen, gleichen und freien Wahlen das prozedurale Mini-
mum (Dahl 1971) demokratischer Systeme installiert, wie Samuel
Huntington errechnet hat (Huntington 1991: 17). Mit Mussolinis
Marsch auf Rom 1922 beginnend wurde der erste lange Demokratisie-
rungstrend der europäischen und amerikanischen Geschichte durch ei-
ne "autoritäre Gegenwelle" gebrochen. Sie ließ in Europa und Latein-
amerika eine Reihe faschistischer, autoritär-korporatistischer, populi-
stischer oder militärisch-diktatorischer Regime entstehen.
Wie 1918 war es erneut das Ende eines Weltkrieges, das nun nach
1945 in einer zweiten Welle einen kurzen Demokratisierungsschub
auslöste. Unter der Aufsicht der alliierten Siegermächte wurde die
Demokratisierung der politischen Systeme in Westdeutschland, Öster-
reich, Italien und Japan dekretiert und eingeleitet. In Lateinamerika
traten sechs Länder in eine kurze Phase demokratischen Wandels ein,
bevor dieser zu Beginn der 50er und 60er Jahre - wiederum in einer
Gegenwelle - von Militärdiktaturen weggespült wurde.
Die dritte Demokratisierungswelle begann 1974 paradoxerweise
mit einem Militärputsch in Portugal, erfaßte noch im selben Jahr Grie-
chenland und kurz darauf Spanien (1975). Sie setzte sich zu Beginn
der 80er Jahre in Lateinamerika fort, als viele der Militärregime zu-
sammenbrachen oder reformbereite Militärs die Liberalisierung und
18 Einleitung
Die Demokratie ist keine Erfindung der Modeme. Dies gilt für die
Theorie der Demokratie ebenso wie für die unterschiedlichen Versu-
che ihrer Verwirklichung in mehr als zwei Jahrtausenden menschli-
cher Geschichte (vgl. Held 1987; Schmidt 1995). Theorie wie Realität
haben jedoch so viele unterschiedliche normative Grundlegungen er-
halten und konkrete Formen angenommen, daß eine begriffliche Klä-
rung des Terminus Demokratie zunächst unerläßlich ist.
Demokratische Systeme 29
Das Wort Demokratia setzt sich aus den beiden Bestandteilen Demos
(Volk) und kratein (herrschen) zusammen und ist seit der Mitte des
5. Jahrhunderts vor Christus bezeugt. Demos bedeutete damals sowohl
"alle" (d.h. das Volk, insbesondere die Volksversammlung) als auch
die "Vielen" (d.h. die breite Masse bzw. die Mehrheit der Volksver-
sammlung). Der Begriff Demos definiert das Volk politisch und nicht
ethnisch (Ethnos). Aufgrund der politischen Definition ist die Frage,
wer zum Volk zählt, bis ins 20. Jahrhundert immer wieder unter-
schiedlich beantwortet worden. In der Demokratie Athens waren es
nur die männlichen Vollbürger, im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts
in einigen fortgeschrittenen Industrieländem nur die männlichen Bür-
ger, die einen bestimmten Zensus erfüllten, und erst im Verlaufe des
20. Jahrhunderts wurden die Frauen nach und nach dem Demos zuge-
rechnet. In Deutschland 1918, in Großbritannien 1928, in Frankreich
1946 und in der Schweiz 1971.
Demokratia wurde in der griechischen Antike synonym zu Isono-
mia (etwa: die Gleichheit vor dem Gesetz) gebraucht (Meier et al.
1972: 823). Die Gleichheit des Rechts sah man in der attischen De-
mokratie am besten durch die Mehrheit gewahrt. Denn man ging da-
von aus, daß die Gleichheit vor dem Gesetz durch die politische
Gleichheit, d.h. durch die Volksherrschaft am besten gesichert werde.
Dies ist die historische und logische Verknüpfung von Isonomia und
Demokratia. Die Demokratie war also ohne eine Ordnung staatsbür-
gerlicher Gleichberechtigung nicht denkbar. Die Volksversammlung
sollte deshalb gleichermaßen die institutionelle Garantie für Isonomia
wie für Demokratia sein (ibid.).
In der griechischen Antike war die Herrschaftsordnung ,,Demokra-
tie" auf den kleinräumigen, überschaubaren "Stadtstaat" bezogen, der
zweifellos mehr Stadt als Staat war (Sartori 1992: 274). Die attische
Demokratie war zudem hochgradig "exklusiv". Sie schloß Sklaven,
Metöken und Frauen von der demokratischen Beteiligung aus. Allein
der männliche Vollbürger war zur politischen Partizipation im Ge-
meinwesen berechtigt. Weil die antike Demokratie exklusiv und nur in
kleinen Stadtdemokratien verwirklicht wurde, konnte sie die Form ei-
ner direkten Demokratie annehmen, in der die politische Partizipation
und die politischen Entscheidungen nicht durch intermediäre, reprä-
30 Typologie politischer Systeme
1.1.2. Demokratiebegriff
rung durchaus von Bedeutung sind, soll hier zunächst von einer Mi-
nimaldefinition der Demokratie ausgegangen werden. Sie konkreti-
siert unsere oben genannten sechs Kriterien, bleibt aber trennscharf
genug, um autokratische von demokratischen Systemen zu unterschei-
den. Aus dieser minimalistischen Perspektive nennt der amerikanische
Demokratieforscher Robert Dahl zwei miteinander verknüpfte ele-
mentare Definitionsmerkmale für Demokratie: Es muß ein offener
Wettbewerb um politische Ämter und Macht und gleichzeitig ausrei-
chend Raum für die politische Partizipation aller Bürger gewährleistet
sein. Dahl nennt dies bündig "public contestation and the right to par-
ticipate" (Dahl 1971: 5). Damit aber in einem demokratischen Ge-
meinwesen das notwendige Maß an Verantwortlichkeit der Regierung
gegenüber den Präferenzen gleicher Bürger geWährleistet wird, müs-
sen diesen folgende drei Möglichkeiten offen stehen (ibid.: 2):
1. die Möglichkeit, ihre Präferenzen zu formulieren,
2. die Möglichkeit, ihre Präferenzen den Mitbürgern und der Regie-
rung durch individuelles und kollektives Handeln zu verdeutlichen,
3. die Präferenzen müssen von der Regierung unabhängig ihres In-
halts und ihrer Herkunft gleichermaßen gewichtet werden.
Dies sind freilich, wie Dahl selbst betont, nur "notwendige", aber
"nicht hinreichende" Bedingungen für die Demokratie. Deshalb müs-
sen sie ihrerseits durch acht institutionelle Garantien abgesichert wer-
den:
1. Assoziations- und Koalitionsfreiheit
2. Recht auf freie Meinungsäußerung
3. Recht, zu wählen (aktives Wahlrecht)
4. Recht, in öffentliche Ämter gewählt zu werden (passives Wahl-
recht)
5. Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung zu
konkurrieren
6. Existenz alternativer, pluralistischer Informationsquellen (Informa-
tionsfreiheit)
7. Freie und faire Wahlen
8. Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen und
anderen Ausdrucksformen der Bürgerpräferenzen abhängig ma-
chen.
32 Typologie politischer Systeme
Es fällt auf, daß die von John Locke (1689: "Über die Regierung",
Kap. XII) erstmals thematisierte und von Montesquieu weiter ausdif-
ferenzierte Gewaltenteilung (1748: "Vom Geist der Gesetze", 11. Buch,
Kap. 5) nicht explizit aus Dahls Minimalkriterien deutlich wird. Sie ist
nur implizit in Punkt 8 aufgehoben. In seinem später leicht modifi-
zierten Polyarchiekonzept streicht Robert Dahl (1989) diesen achten
Punkt ersatzlos. Ich selbst habe den Punkt der Gewaltenteilung, aber
insbesondere der Gewaltenkontrolle und Gewaltenhemmung in mei-
nem 2. Kriterium der "Herrschaftsstruktur" als eine wichtige Trennli-
nie zwischen autokratisch-monistischen und demokratisch-plurali-
stischen Systemen hervorgehoben. Damit behaupte ich nicht, daß jede
Demokratie eine völlige Trennung von Exekutive und Legislative auf-
weisen muß. Diese klassische Gewaltenteilung finden wir unter den
gegenwärtigen Demokratien annäherungsweise auch nur unter den
präsidentiellen Regierungssystemen der USA (Steffani 1979) und
(teilweise) Lateinamerikas. In parlamentarischen Regierungssystemen
(von Beyme 1970), wie jenen Großbritanniens oder der Bundesrepu-
blik Deutschland oder gar in der Konkordanzdemokratie der Schweiz
(Lijphart 1984: 21ff.), sind die Grenzen zwischen Legislative und
Exekutive de facto stark verwischt. Freilich sind insbesondere in der
Schweiz mit dem Institut der Referenden und der radikalen Föderali-
sierung klare direktdemokratische (Referendum) und vertikale (Föde-
ralismus) Instanzen der wechselseitigen Gewaltenhemmung und Ge-
waltenkontrolle institutionalisiert worden. Die Judikative ist in allen
demokratischen Systemen weitgehend unabhängig von der Exekutive
und Legislative.
Wir haben es also in modernen liberaldemokratischen Systemen
mit unterschiedlichen institutionellen Arrangements hinsichtlich der
horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung sowie dem Mischungs-
verhältnis von direktdemokratischen und repräsentativen Entschei-
dungsverfahren zu tun. Die Trennlinie zu den autokratischen Syste-
men kann jedoch mit Hilfe der von mir oben genannten sechs Diffe-
renzierungskriterien und anband von Dahls acht institutionellen Mi-
nimalgarantien bis auf wenige ,,Mischsysteme" deutlich gezogen wer-
den. Denn nur wenn diese gewährleistet sind, erfüllen politische Sy-
steme ein generelles Merkmal von Demokratien: nämlich die prinzipi-
elle Unbestimmtheit der Ergebnisse politischer Entscheidungen. Kon-
sequent definiert deshalb der amerikanische Politikwissenschaftler
Demokratische Systeme 33
1. Kommunistisch-autoritäre Regime
2. Faschistisch-autoritäre Regime
3. Militärregime
4. Korporatistisch-autoritäre Regime
5. Rassistisch-autoritäre Regime
6. Autoritäre Modernisierungsregime
7. Theokratisch-autoritäre Regime
8. Dynastisch-autoritäre Regime
9. Sultanistisch-autoritäre Regime
Innerhalb dieser Grundformen lassen sich wiederum unterschiedliche
Varianten denken und finden. Um aber nicht in eine deskriptive Be-
liebigkeit bei der Typenbildung zu verfallen, ziehe ich nur ein einziges
supplementäres Kriterium zur präziseren Kategorialisierung der auto-
ritären Subtypen heran, nämlich: das Kriterium Herrschaftsträger. Da-
bei berücksichtige ich folgende fünf Herrschaftsträger bzw. Machtha-
ber: Führer, Partei, Militär, Klerus, Monarch. Es ergeben sich daraus
folgende Subtypen autoritärer Herrschaft:
J. Kommunistisch-autoritäre Regime: Kommunistische Regime sind hi-
storisch vor allem in zwei Varianten aufgetreten: als kommunistische
Parteidiktatur und der Führerdiktatur. Als autoritäre Regime kommen
nur kommunistische Parteidiktaturen in Betracht, während kommunisti-
sche Führerdiktaturen meist unter den totalitären Typus zu fassen sind.
Kommunistische Parteidiktaturen: Auf der Grundlage der leninisti-
schen Partei- und Staatstheorie fungiert die kommunistische Partei als
Avantgarde der Arbeiterklasse und einziges legitimes Machtzentrum
des Staates. Es gibt in der Regel keine anderen Parteien neben ihr.
Existieren sie doch, dann nur in Gestalt abhängiger Satellitenparteien,
wie etwa die Blockparteien in der ehemaligen DDR oder im kommu-
nistischen Polen. Typischerweise hat ein kleines Politbüro an der Par-
teispitze die Macht inne. Dieser engste Führungszirkel trifft weitge-
hend unabhängig von der zentralistisch gesteuerten Parteibasis die po-
litischen Entscheidungen. Kennzeichnend bleibt jedoch, daß ein kol-
lektives Führungsgremium die Macht innehält, ein Minimum an Plu-
ralismus akzeptiert ist und der Herrschaftsanspruch nicht alle Winkel
des Alltagslebens erfaßt. Historische Beispiele dafür waren u.a.: die
Sowjetunion von 1924-1929, 1953-56, 1985-1991 oder die kommuni-
stischen Systeme Polens und Ungarns.
Autokratische Systeme 39
2 Treffender für die Bezeichnung der Apartheid-Regime erscheint hier der von
Huntington gewählte Begriff ,,racial oligarchy" (Huntington 1991: 111).
42 Typologie politischer Systeme
orten (vgl. Abb. 1). Innerhalb dieser Zone sind die genannten neun au-
toritären Realtypen jedoch keineswegs eindeutig zu plazieren. Sie
können abhängig davon, wie sie den Herrschaftszugang, die Herr-
schaftsstruktur, den Herrschaftsanspruch und die Herrschaftsweise or-
ganisiert haben, als semiautoritäre. autoritäre oder prätotalitäre Sy-
steme bezeichnet werden. Die zwei Subtypen semiautoritäre oder prä-
totalitäre Regime befinden sich meist in einem Übergangsstadium hin
zur Demokratie oder zum Totalitarismus. Allerdings kann ein solches
Übergangsstadium auch längere Zeiträume umfassen. Dies macht die
Einteilung in die genannten Subtypen für die empirische Analyse po-
litischer Systeme zu einem heuristisch sinnvollen Instrument.
Ich habe zu Beginn argumentiert, daß sich zwar eine klare Trennlinie
zwischen autokratischen und demokratischen Systemen ziehen läßt,
diese jedoch zwischen autoritären und totalitären Herrschaftsordnun-
gen die Schärfe ihrer Konturen einbüßt. Bevor ich dies begründe, ist
es sinnvoll, einen kurzen Abriß der Entwicklung der Totalitarismus-
theorie zu geben.
Der Begriff "totalitär" kommt aus dem Italienischen. Er wurde
erstmals von dem liberalen Oppositionspolitiker Giovanni Amendola
1923 gebraucht, als er von Mussolinis Italien von einem sistema tota-
litario sprach (Petersen 1995: 104). Mussolini übernahm den Begriff
und gab ihm eine positive Wendung, wobei er, mehr den eigenen
Wunsch- und Zielvorstellungen denn der italienischen Realität zwi-
schen 1926 und 1943 entsprechend, den faschistischen Staat als stato
totalitario bezeichnete.
Das Selbstverständnis des italienischen Faschismus und des deut-
schen Nationalsozialismus wurde insbesondere durch zwei zentrale
Aspekte gekennzeichnet: erstens durch den etatistischen Aspekt: die
bewußte postdemokratische Begründung der neuen antiliberalen und
antipluralistischen Herrschaftsform; zweitens durch den aktionisti-
sehen Aspekt: den ins Irrationale tendierenden Radikalismus der un-
beschränkten militanten Herrschaftsausübung eines Führers im Rah-
men dieser etatistischen Herrschaftsform (Schlangen 1976: 19). Aus
dieser etatistischen und aktionistischen Doppelperspektive läßt sich
Autokratische Systeme 45
kerung nicht gegen das Regime opponiert und in die individuelle ,Jnne-
re Emigration" geht? Oder muß das totalitäre Regime auch das Bewußt-
sein, die Gedanken und Gehirne der Menschen beherrschen? Und wie
kann man dies alles mit sozialwissenschaftlichen Methoden erfassen?
Tatsächlich ist dieses Problem noch nicht völlig zufriedenstellend ge-
löst. So war der Terminus "Totalitarismus" im Verlauf seiner Begriffs-
geschichte auch immer wieder umstritten und nahm in seiner theoreti-
schen Entwicklung bisweilen einen unterschiedlichen Bedeutungsinhalt
und Bedeutungsumfang an. Weil aber der Begriff Totalitarismus nicht
nur in der Publizistik oder der politischen Auseinandersetzung, sondern
auch in manchen wissenschaftlichen Abhandlungen unzureichend defi-
niert, ideologisch aufgeladen und "politisch" verwendet wird, soll im
folgenden ganz knapp die Entwicklung des theoretischen Totalitaris-
muskonzeptes nachgezeichnet werden (vgl. Ballestrem 1995; Jesse
1995). In dieser Entwicklung lassen sich fünf Phasen erkennen:
1. 1922-1930: Der Ursprung des Konzepts datiert in den 20er Jahren
dieses Jahrhunderts und geht auf einige frühe italienische und deut-
sche Kritiker des Faschismus, meist Sozialisten und Sozialdemokraten
wie Giorgio Amendola (1923), Lelio Basso (1925) und Herrmann
Heller (1929) zurück. Sie sahen die eigentümliche Herrschaftsdyna-
mik des Faschismus vor allem in der Verbindung seiner auffallend
breiten sozialen Basis, dem totalen Herrschaftsanspruch und dem mili-
tanten Charakter des sich revolutionär gebärdenden ,,Anti-Demokra-
tismus". Sie versuchten, das "Typische dieser neuen und in ihren Au-
gen überaus bedrohlichen Herrschaftsform" (Ballestrem 1995: 238)
auf einen Begriff zu bringen und nannten diesen "totalitär".
2. 1930-1945: In der zweiten Phase gab es die ersten systematischen
Versuche, die strukturellen und funktionalen Gemeinsamkeiten tota-
litärer Diktaturen aus einem Vergleich des faschistischen bzw. natio-
nalsozialistischen mit dem bolschewistischen Herrschaftssystem her-
auszuarbeiten. Die beiden bekanntesten sozialwissenschaftlichen Stu-
dien sind jene von Franz Borkenau 1940 ("The Totalitarian Enemy")
und Siegmund Neumann 1942 ("Permanent Revolution. Totalitaria-
ni sm in the Age of Civil War"). Noch bekannter wurde später die lite-
rarische Verarbeitung des neuen totalitären Phänomens durch die ent-
täuschten Linkssozialisten Arthur Koestler, Ignazio Silone und vor
allem George Orwell ("Animal Farm", ,,1984").
Autokratische Systeme 47
sen sie nach Friedrich und Brzezinski (1968: 61Of.) mindestens fol-
gende sechs Kriterien erfüllen:
1. Eine das gesamte System überwölbende Ideologie: Diese umfaßt
alle lebenswichtigen Aspekte der menschlichen Existenz; die Ideo-
logie hat ein Telos, typischerweise eine Art idealen Endzustand;
die Erreichung dieses Ziels legitimiert die radikale Ablehnung ei-
ner pluralistisch differenzierten Gesellschaft einerseits und die
Wahl der Mittel für den Aufbau einer neuen homogenen Gesell-
schaft andererseits.
2. Nur eine einzige Massenpartei: Diese wird typischerweise von ei-
nem Führer gelenkt und ist in der Regel über eine zentralistisch-
hierarchische Kommandostruktur organisiert; sie steht häufig au-
ßerhalb bzw. über dem Staatsapparat, mit dem sie aber weitgehend
verflochten ist.
3. Terrorsystem: durch Partei und Geheimdienst aufgebaut und kon-
trolliert.
4. Medienmonopol: Das Regime besitzt ein vollständiges Monopol
aller Medien der Massenkommunikation.
5. Kampfwaffenmonopol: Das Regime hat das alleinige Monopol auf
Kampfwaffen.
6. Zentrale Wirtschaftslenkung: Das Regime kontrolliert und lenkt die
gesamte Wirtschaft.
Friedrich und Brzezinski betonen, daß diese sechs kennzeichnenden
Charakteristika nicht voneinander isoliert betrachtet werden dürfen.
Denn gerade erst in ihrer Verflochtenheit und wechselseitigen Stüt-
zung verstärken sie sich zum Syndrom totalitärer Herrschaft. So über-
zeugend die wechselseitige Verstärkungsthese hin zum totalitären
Syndrom zunächst klingen mag, so unpräzise sind die einzelnen "Syn-
dromkomponenten" als Differenzmerkmale zu autoritären Systemen.
Innerer Terror, Geheimdienstkontrolle und staatlich erzeugte Furcht
gibt es auch in autoritären Militärdiktaturen oder sultanistischen Re-
gimen. Das staatliche Monopol auf Kampfwaffen kennen auch die
meisten Demokratien. Unklar bleibt auch, was die beiden Autoren
unter der "zentralen Lenkung und Kontrolle der gesamten Wirtschaft"
verstehen. Nimmt man beispielsweise dieses Kriterium ernst, wird
man auch das nationalsozialistische Deutschland vor 1938 nicht als
totalitäres System bezeichnen können. Verstärkt gilt dies noch für den
Autokratische Systeme 49
3 Zwar gelangte Nicolae Ceausescu schon 1965 an die Spitze der Partei und des
kommunistischen Machtapparates. Aber es dauerte bis 1974 bis er die Reste
einer kollektiven Partei- und Staatsführung abgeschüttelt hatte und sich in
sultanistischer Manier zum alleinherrschenden Präsidenten "krönen" ließ
(LinzlStepan 1996: 349).
52 Typologie politischer Systeme
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Mit der Demokratie, dem autoritären und totalitären System habe ich
drei Idealtypen politischer Systeme vorgestellt. Bis auf ganz wenige
Ausnahmen lassen sich alle Varianten historischer und zeitgenössi-
scher Herrschaftsordnungen diesen drei Grundtypen zuordnen. Wann,
aus welchen Ursachen und unter welchen Umständen kommt es aber
zu einem Systemwechsel von autokratischen zu demokratischen Herr-
schaftsordnungen und vice versa? Um diese Fragen zu klären, müssen
wir uns einen Schlüsselbegriff des Systemwechsels näher ansehen,
nämlich die Stabilität politischer Systeme. Die Frage, die es hier in der
Transformationsforschung zu beantworten gilt, heißt: Wie stabil sind
eigentlich autokratische und demokratische Systeme aufgrund ihrer je
spezifischen Strukturen und Verfahrensweisen? Wann und warum
verlieren sie ihre Stabilität? Lassen sich diese Fragen überhaupt auf
einer verallgemeinerten Ebene beantworten oder kann eine präzise
Antwort jeweils nur für den konkreten Fall gegeben werden? Eine
Kapitulation der auf Verallgemeinerung bedachten Sozialwissen-
schaften vor den singulären Fallstudien der Historiographie ist hier je-
doch keineswegs notwendig. Denn es lassen sich durchaus generali-
sierbare Aussagen in Hinblick auf die Stabilität und Instabilität politi-
scher Systeme aus der Verknüpfung ihrer jeweils systemspezifischen
strukturellen (Institutionen) und prozeduralen (Verfahren) Kompo-
nenten treffen.
Abstrakt lassen sich politische Systeme als die Gesamtheit von
Strukturen (Institutionen) und Regeln (Verfahren) begreifen, die poli-
tische und gesellschaftliche Akteure (Parteien, Verbände, Organisa-
tionen, Individuen) in regelgeleitete Interaktionsbeziehungen zueinan-
der setzt. Soll ein politisches System stabil sein, muß die innere Kon-
struktion der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Strukturen
58 Die Stabilität politischer Systeme
und Akteuren so angelegt sein, daß sie in der Lage sind, jene Aufga-
ben zu lösen, die dem System aus der "Umwelt" (Wirtschaft, Gesell-
schaft, internationale Staatenwelt, etc.) gestellt werden. Da die "Um-
welt" des politischen Systems in einem ständigen Wandel begriffen
ist, werden diesem erhebliche Anpassungs-, Wandlungs- und Innova-
tionsfähigkeiten abverlangt. Denn die Leistungs- und damit die "Über-
lebensfähigkeit" eines politischen Systems hängt vor allem davon ab,
wie fünf essentielle Herausforderungen bewältigt werden (Almond
1979: 216f.; Sandschneider 1995: 121):
• die politische und gesellschaftliche Integration (Integrationskapazi-
tät);
• Ressourcenmobilisierung (Mobilisierungskapazität)
• die Aufrechterhaltung friedlich geregelter Beziehungen mit ande-
ren Staaten (internationale Anpassungskapazität);
• die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Entscheidungspro-
zeß (partizipationskapazität);
• die Verteilung des Sozialproduktes durch wirtschafts- und sozial-
politische Maßnahmen auch jenseits des Marktes (Distributions-
kapazität).
Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, muß das politi-
sche System Problemlösungskapazitäten auf einem systemerhaltenden
Niveau entwickeln. Dies läßt sich mit dem Systemmodell von David
Easton (1965) und seiner Weiterentwicklung durch AlmondIPowell
(1988) veranschaulichen.
Für sein "Überleben" benötigt das politische System einen input an
aktiver und passiver Unterstützung, d.h. ein bestanderhaltendes Maß
an Massenloyalität. Diese Unterstützungsleistungen der Bürger (sup-
ports) sind die unverzic~tbarcn Ressourcen, die das politische System
benötigt, um die aus der "Umwelt" kommenden Forderungen (de-
mands) in politische Entscheidungen umzuwandeln und zu implemen-
tieren (outputs). Der Umwandlungs- und Durchsetzungsprozeß wird in
der politikwissenschaftlichen Systemtheorie über vier zentrale "Pro-
zeßfunktionen" erfaßt: die Interessenartikulation, die Interessenaggre-
gation, die Politikformulierung (policy making) sowie die Politikim-
plementierung und die mögliche verfassungsgerichtliche Normenkon-
trolle oder verwaltungsgerichtliche Überprüfung staatlicher Maßnah-
men. Überwölbt werden diese Prozeßfunktionen von den "System-
Autokratische Systeme 59
Systemjimktioncn
ISozialisierung, Rekrulicrung, Kommunika.ion I
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Prozess/llnktionen
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Strukturen
Parteien
litische System? Die zweite Frage, die eine Antwort verlangt, lautet:
Wie, d.h. in welcher Form, Geschwindigkeit und in welchen Etappen
vollzieht sich die Transformation, welche politischen und gesell-
schaftlichen Akteure sind wie und mit welchem Einfluß an ihr betei-
ligt. Daran schließt sich die ebenfalls zu beantwortende Frage an:
Können wir von einer Reform, einem Wandel oder müssen wir von
einer Revolution oder einem Wechsel sprechen?
gimen gedient haben. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf die staatliche
Organisationsstruktur, sondern bis in die staatlichen Funktionsträger
hinein. So finden sich nach einem Regimewechsel häufig das staatli-
"he Verwaltungspersonal und mitunter auch die alten politischen Eli-
ten der "zweiten Reihe" in ihren alten Funktionsbereichen wieder.
Dies belegen so unterschiedliche historische Transformationserfah-
rungen wie die Regimewechsel in Deutschland nach 1918 (politische
Eliten, Verwaltung) oder 1945 (Verwaltung), Italien (Verwaltung) und
Japan (Verwaltung) nach 1945, Spanien nach 1975 (politische Eliten,
Verwaltung) und Osteuropa nach 1989 (politische Eliten, Verwal-
tung).
System: Das "politische System" ist der umfassendste von allen vier
Begriffen (vgl. Abb. 2). Er umfaßt Regierung, Regime und Staat. Mit
dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime gewann der Sy-
stembegriff für die politikwissenschaftliche Transformationsforschung
wieder erheblich an Bedeutung (vgl. Merkel 1994; Sandschneider
1995; Welze11996). Zwar waren auch die Transformationsprozesse in
Südeuropa und Lateinamerika wie jene Osteuropas vom gemeinsamen
Ziel der Etablierung plumlistischer Demokratien geprägt. Doch ihre
Ausgangssituation, ihre Probleme und das Ausmaß des Wandels un-
terschieden sich erheblich von den bis dahin bekannten Transformati-
onsprozessen (von Beyme 1994: 47ff.). Während in Südeuropa und
Lateinamerika die Systemwechsel im wesentlichen nur die politische
Ebene erfaßten, mußten und müssen in Osteuropa auch die wirtschaft-
lichen Strukturen und gesellschaftlichen Mentalitäten einem tiefgrei-
fenden Wandel unterzogen werden. Zur Analyse dieser gleichzeitigen
Transformationsprozesse erscheint der Systembegriff ergiebiger. Denn
er ist zum einen umfassender als Staat und Regime und kann deshalb
die vielfältigen Interdependenzen der Transformationsprozesse politi-
scher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Teilsysteme in das
analytische Blickfeld rücken. Zum anderen ist er aber auch spezifi-
scher, da er sich auf jedes einzelne funktional abgrenzbare Teilsystem
(politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur etc.) anwenden läßt.
Der Systembegriff birgt auch deshalb für die Transformationsfor-
schung das größte heuristische Potential, weil er am engsten mit der
Legitimitäts- und Stabilitätsfrage politischer Ordnungen verknüpft ist.
Über ihn lassen sich systematisch die Zusammenhänge zwischen Dys-
74 Transformationsbegriffe
chen Falle führt der Systemwandel nicht zum Systemwechsel. Die mit
militärischer Gewalt gestoppten Reformprozesse innerhalb der kom-
munistischen Systeme Ungarns (1956) und der Tschechoslowakei
(1968) sind dafür Beispiele.
Systemwechsel: Während also beim Systemwandel der Ausgang prin-
zipiell offen ist, steht der Begriff Systemwechse; für Transformations-
prozesse, die definitiv zu einem anderen Systemtypus führen (von
Beyme/Nohlen 1995). Dabei können evolutionäre oder reformindu-
zierte Wandlungstendenzen Vorboten eines Systemwechsels sein. Im
überwiegenden Teil der Transformationsliteratur werden unter Sy-
stern wechsel aber vor allem "zeitlich dramatisierte" Übergänge vom
einen zum anderen System verstanden. Entscheidend bleibt jedoch für
die Begriffsunterscheidung zum Systemwandel, daß nur dann von Sy-
stemwechsel gesprochen werden kann, wenn sich der Herrschaftszu-
gang, die Herrschaftsstruktur, der Herrschaftsanspruch und die Herr-
schaftsweise eines Systems grundsätzlich verändert haben.
Transition: Politikwissenschaftliche Bedeutung erlangte der Begriff
Transition durch ein internationales Forschungsprojekt zur "transition
to democracy" Mitte der 80er Jahre. Unter der wissenschaftlichen
Leitung von Guillermo O'Donnell, Phi lippe Schmitter und Lawrence
Whitehead (1986) wurde theoretisch und vergleichend ein Transiti-
onskonzept entwickelt, das insbesondere auf die Demokratisierungs-
prozesse in Lateinamerika und Südeuropa angewendet wurde. Transi-
tion bzw. transicion kommt aus dem Englischen bzw. Spanischen und
bedeutet wörtlich übersetzt "Übergang". Gebraucht wird der Begriff
aber fast ausschließlich, um den Übergang von autokratischen zu de-
mokratischen Systemen zu bezeichnen. Transition wird also seman-
tisch mit "Übergang zur Demokratie" gleichgesetzt (vgl. Sandschnei-
der 1995: 36). Die sogenannte Transitionsforschung ist vor allem im
Zusammenhang mit der politikwissenschaftlichen Erforschung der
Demokratisierungsprozesse in Südeuropa und Lateinamerika entstan-
den und hat die Untersuchung der Voraussetzungen, Ursachen und
Verlaufsmuster der Demokratisierung politischer Systeme zum Ge-
genstand (vgl. Nohlen 1988: 4). Ihr großes Verdienst und ihre beson-
dere Stärke besteht vor allem in zwei Sachverhalten:
76 Transformationsbegriffe
• zum einen widmet sie der Rolle von Akteuren in den Übergängen
zur Demokratie ein besonderes Augenmerk,
• zum anderen entwickelt sie erstmals eine systematische Periodisie-
rung des Transitionsprozesses.
Transformation: Aus Gründen der Vollständigkeit sei abschließend
noch der Begriff der Systemtransformation genannt. Er besitzt keine
spezifische Bedeutung, sondern wird, wie der Titel des Buches signa-
lisiert, als Oberbegriff für alle Formen, Zeitstrukturen und Aspekte
des Systemwandels und Systemwechsels benutzt (vgl. auch: Sand-
schneider 1995: 38). Er schließt also Regimewandel, Regimewechsel,
Systemwandel, Systemwechsel oder Transition mit ein.
Auf die einzelnen Phasen eines Systemwechsels soll im folgenden
genauer eingegangen werden.
4. Transfonnationstheorien
Begriffe, auch wenn sie sich differenziert auf soziale und politische
Systeme, Strukturen und Akteure beziehen, kondensieren zwar unter-
schiedliche konkrete Sachverhalte zu verallgemeinernden Konstruk-
ten, doch sie können allein empirische Untersuchungen nicht anleiten.
Vielmehr müssen die Begriffe untereinander verbunden und in Bezie-
hung gesetzt werden. Erst wenn sie in systematischer Art und Weise
untereinander vernetzt werden, können wir von Theorien sprechen.
Auch wenn gerade die dritte große Demokratisierungswelle in den
Sozialwissenschaften zu einer verstärkten Theoriedebatte geführt hat,
läßt sich die theorieorientierte Transformationsforschung schon auf
die fünfziger und sechziger Jahre zurückführen. In diesen beiden De-
kaden prägten mit Parsons (1951; 1969a), Lipset (1959), Barrington
Moore (1969) und Huntington (1968) insbesondere makrosoziolo-
gisch-funktionalistische oder makrosoziologisch-strukturalistische
Konzepte die Theoriebildung. In den achtziger Jahren und zu Beginn
der neunziger Jahre schoben sich zunehmend mikropolitologisch-
akteurstheoretische Überlegungen in den Vordergrund. Vor allem die
Arbeiten von Schmitter (1985), O'DonnelllSchmitter (1986) und Prze-
worski (1986; 1991; 1992) setzten theoretische Standards und wurden
zur dominierenden konzeptionellen Referenz der empirischen Trans-
formationsforschung. Erst im weiteren Verlauf der neunziger Jahre
kam es dann wieder zu einer gleichgewichtigeren Koexistenz des Sy-
stem-, Struktur- und Akteursparadigmas. In der Folgezeit erschienen
vor allen Dingen theoretisch vergleichende Analysen, die von einer
ausgewogeneren Berücksichtigung funktionalistischer, strukturalisti-
scher, kulturalistischer und handlungstheoretischer Überlegungen ge-
prägt waren (KarllSchmitter 1991; Huntington 1991; von Beyme
1994; Offe 1994; LinzlStepan 1996).
78 Transformationstheorien
4.1. Systemtheorien
nung" (Parsons 1969a: 70). Aus dieser Perspektive ist nicht die allge-
meine ,,Legitimierung von Macht und Herrschaft die besondere Lei-
stung demokratischer Institutionen, sondern die Vermittlung von Kon-
sensus über die Ausübung von Macht. [... ] Keine Institution, die sich
von den demokratischen Institutionen grundlegend unterscheidet, ist
zu dieser Leistung in der Lage" (ibid.).
Parsons thematisiert hier die beiden entscheidenden Aspekte der
Stabilität politischer Systeme: die funktionale Differenzierung der Ge-
sellschaft und die ausreichende Legitimationszufuhr aus der Gesell-
schaft für die politische Herrschaftsform. Die kommunistischen Herr-
schaftseliten der osteuropäischen Gesellschaften verweigerten, behin-
derten oder revidierten aber die funktionale Ausdifferenzierung der
gesellschaftlichen Teilsysteme und ersetzten die moderne "reflektierte
Anerkennung der Werte" durch den vormodernen Modus des Zwan-
ges und eine konkurrenzlos verordnete Ideologie. Wirtschaft, Kultur
und soziale Gemeinschaft wurden dem Diktat der Politik unterstellt,
da deren autonome Entwicklung zu einer Dezentralisierung der Infor"
mations- und Machtressourcen und längerfristig zu einem politischen
Kontroll- und damit Herrschaftsverlust geführt hätte. Je stärker aber
autokratische Herrschaftsformen eine "totalitäre" politische Durch-
dringung der Gesellschaft realisieren, um so stärker behindern sie die
funktionale Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Teilsysteme.
Die totalitäre Durchdringung der Gesellschaft erleichtert und perfek-
tioniert zwar für eine bestimmte Zeit die Herrschaftskontrolle, führt
dann aber bei deren partiellem Verlust nur zu einem um so funda-
mentaleren Zusammenbruch des autokratischen Systems. Dieser Zu-
sammenhang läßt sich insbesondere mit der theoretischen Begrifflich-
keit der neueren autopoietischen Systemtheorie erhellen.
Schon Parsons hat die Prognose gestellt, "daß sich die kommunisti-
sche Gesellschaftsformation als instabil erweisen wird und entweder
Anpassungen in Richtung auf die Wahlrechtsdemokratie und ein plu-
ralistisches Parteiensystem machen, oder in weniger entwickelte und
politisch weniger effektive Organisationsformen regredieren wird"
(Parsons 1969b: 70). Luhmann radikalisiert das Parsons'sche Theorem
Systemtheorien 81
eliten zugelassen oder gar gefördert, ergeben sich daraus jedoch eben-
so systemdestabilisierende Entwicklungen. Dies hat kein Konzept bes-
ser herausgearbeitet, als die Modemisierungstheorie, wie sie in den
sechziger Jahren entstanden ist.
sto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß dort eine Diktatur existiert
oder längerfristig Bestand haben kann4 • Umgekehrt bedeutet das: Je
reicher ein Land ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß das politische
System demokratisch ist und als Demokratie Bestand haben wird (vgl.
auch: Schmidt 1995: 295).
Statistische Korrelationen zwischen ökonomischer Entwicklung,
gemessen an dem aggregierten Indikator BIP/capita und der Demo-
kratiereife eines Landes, legen aber noch keine differenzierten Sach-
verhalte oder gar Kausalitäten offen. Deshalb soll die Erklärungskraft
der modemisierungstheoretischen Demokratisierungsthese über die
Beantwortung von drei Fragen näher geprüft werden:
1. Welche sozialen Sachverhalte verbergen sich hinter dem hoch ag-
gregierten ökonomischen Indikator BIP per capita?
2. Sind diese Sachverhalte "Requisiten", also notwendige Vorausset-
zungen für das Entstehen und den Bestand der Demokratie?
3. Gibt es eine kausale Beziehung zwischen ökonomischer Entwick-
lung und Demokratie?
ad 1. "Sachverhalte": Lipset selbst führt folgende soziale und politi-
sche Komponenten an, die hinter dem aggregierten ökonomischen In-
dikator BIP/capita in aller Regel stehen (1981: 64ff.):
• ein relativ hohes Niveau sozioökonomischer Entwicklung gemes-
sen an ausgewählten Indikatoren der ökonomischen Entwicklung,
wie dem allgemeinen Bildungsniveau, der Urbanisierung, der tech-
nischen Informations- und Kommunikationsmittel;
• eine hohe vertikale Mobilität, d.h. eine durchlässige Klassenstruk-
tur, die mannigfache soziale Aufstiegschancen bietet;
• eine große, zumindest aber rasch zunehmende Mittelschicht sowie
eine Arbeiter- und Unterschicht, die nicht von existentieller Unsi-
cherheit bedroht ist;
• ausreichender Ausbildungsstand (gemessen z.B. an der durch-
schnittlichen Schuldauer);
4 Es gibt nur wenige Ausnahmen, die diese allgemeine Regel nicht bestätigen:
so z.B. Deutschland 1933, Singapur oder die erdölexportierenden Länder des
Nahen Ostens. Letztere weisen zwar ein hohes BIP/capita auf, sind aber auf-
grund ihrer ,,rentenkapitalistischen Form" im Sinne von Lipset nicht als mo-
deme Gesellschaften zu bezeichnen.
Systemtheorien 85
6 Diese Ansicht wird von vielen Demokratieforschem geteilt, so auch von Larry
Diamond (1993: 486): •.Por the democratic prospect. one aspect of economic de-
velopment overrides aIl others in importance: reducing the level of absolute po-
verty and human deprivation".
88 Transformationstheorien
4.2 Strukturtheorien
4.3. Kulturtheorien
12 Lipset (1993: 137): "CuItural faetoB deriving from varying histories are extraor-
dinarily difficult to manipulate. Political institutions - including electoral sy-
stems and constitutiona1 arrangements - are more easily changed".
96 Transformationstheorien
6. Afrikanische Kulturen
7. Konfuzianische Kultur
8. Islamische Kultur
Die ersten drei religiösen Kulturtypen sind nach Huntington, mit gra-
duellen Unterschieden, durchaus kompatibel mit westlichen Demo-
kratieformen. Die slavisch-orthodoxe Kultur, die hinduistische und die
"afrikanische Kultur" werden zwar als nicht besonders demokratieför-
derlich betrachtet, aber auch nicht prinzipiell als demokratiefeind-
lich l4 • Die konfuzianischen und islamischen Kulturen werden dagegen
häufig als unvereinbar mit der liberalen Demokratie angesehen.
Konfuzianische Kulturen
Islamische Kulturen
16 Wir veIWenden hier den Begriff Is1arnismus zur Kennzeichnung einer funda-
mentalistischen Variante des Islam, die eine generelle Superiorität religiöser
Prinzipien über politische Entscheidungen einfordert.
JOO Transformationstheorien
17 Zur Rolle des "sozialen Kapitals" und der Zivilgesellschaft siehe ausführlicher
Kapitel 1.6.3.4. (CiviI Society).
102 Transfonnationstheorien
4.4. Akteurstheorien
sche Regeln (rules of the game) und Strategien verändern sich ständig.
Demokratisierung bedeutet daher die Umwandlung dieser politisch-
institutionellen "Ungewißheiten" in "Gewißheiten", indem häufig -
explizit oder implizit - konstitutive Pakte zwischen den relevanten
Akteuren geschlossen werden, in denen die Demokratisierungsinhalte
und -grenzen definiert werden (Kraus 1990: 191). Diese umfassen in
Anlehnung an Dahl (1971: 5ff.) zwei Dimensionen: die Festschrei-
bung allgemeiner bürgerlicher Rechte und Freiheiten sowie die Aus-
weitung von Partizipationsrechten in relevanten politischen Bereichen
und Institutionen. Natürlich können Demokratisierungsprozesse auch
ohne Pakte erfolgreich verlaufen. Das ist vor allem dann der Fall,
wenn, wie im Falle Argentiniens 1982 oder der Tschechoslowakei
1989190, die alten Machthaber abrupt die Machtbasis ihrer autokrati-
schen Herrschaft verlieren. Den Akteuren der Opposition kommt dann
praktisch der Kontrahent abhanden, mit dem es sich lohnen würde, ei-
ne temporäre Herrschaftsteilung durch einen Pakt zu besiegeln.
Der Abschluß politischer, sozialer und wirtschaftlicher Pakte zwi-
schen den alten Regimeeliten und der demokratischen Opposition be-
grenzt aber häufig in einer frühen Transformationsphase die Unsi-
cherheiten demokratisierungsschädlicher Konflikte. Pakte sind am
wahrscheinlichsten, wenn weder die autoritären noch die oppositio-
nellen Eliten über die Ressourcen verfügen, einseitig ihre Interessen
durchsetzen zu können. Trotz ihres häufig undemokratischen Charak-
ters werden sie in der akteurstheoretisch orientierten Transformations-
forschung als wünschenswert angesehen, da sie durch die Beschrän-
kung politischer Konflikte die Chancen der Konsolidierung erhöhen
(O'DonnelVSchmitter 1986: 38ff.). In jedem Fall beeinflußt in dieser
Phase das situationsgebundene Handeln oder Nichthandeln der rele-
vanten Akteure den weiteren Demokratisierungsverlauf stärker als
langfristig wirkende sozioökonomische Modernisierungsprozesse.
In der Argumentation dieses Strangs der Akteurstheorien ist eine
erfolgreiche Transformation nur dann möglich, wenn es entsprechend
den Kosten-Nutzen-Kalkülen der relevanten Akteure rational ist, sich
für eine demokratische Systemalternative zu entscheiden. Formuliert
man die Quintessenz dieser akteurstheoretischen Überlegungen in
Konditionalsätzen, dann ist der erfolgreiche Verlauf der ersten Libe-
ralisierungs- und Demokratisierungsphase im allgemeinen von fol-
genden Akteurs- und Interessenkonstellationen abhängig:
Akteurstheorien 105
4.5. Theoriesynthese
Es überrascht nur wenig, daß der Bedeutung von Eliten und Massen
im Verlaufe eines Systemwechsels von den funktionalistisch, struktu-
ralistisch oder akteurstheoretisch inspirierten Ansätzen der Transfor-
mationsforschung unterschiedliches Gewicht beigemessen wird. Der
Unterschied bezieht sich aber weniger auf die jeweilige Rolle der Eli-
ten und Massen als vielmehr auf die allgemeinere Frage der Bedeu-
tung von Strukturen und Akteuren in Transformationsprozessen über-
haupt. Wo aber den Akteuren in der Transformationsforschung eine
besondere Rolle zugeschrieben wird, gibt es eine klare herrschende
Meinung: Die Eliten sind die überragenden Akteure, die Massen meist
nur eine abhängige soziale Kategorie, die je nach Problemlage, Regi-
meart, Machtkontext und Transformationsphase von den Eliten mobi-
lisiert oder demobilisiert werden.
In den Modemisierungstheorien der 60er Jahren, die sich auf Sey-
mour Martin Lipsets These (1959; 1981) von den "sozialen Vorausset-
zungen der Demokratie" verpflichteten, kommt Akteuren, seien es Eli-
ten oder Massen, für die Begründung der Demokratiefähigkeit eines po-
litischen Systems nur eine geringfügige Bedeutung zu: Die Eliten sind
nur implizit die Generatoren der Modemisierung, die das demokratie-
notwendige sozioökonomische Niveau hervorbringen. Die "Massen"
finden in der Regel nur als neu entstandene Mittelschichten mit demo-
kratiefreundlichen Einstellungen Erwähnung. Ansonsten entscheidet das
ökonomische Entwicklungsniveau über die Chancen der Demokratisie-
rung.
Als eine erste Antwort auf die modemisierungstheoretische Ver-
nachlässigung der handelnden Akteure ist der auf soziale Klassen fi-
xierte neomarxistische Ansatz von Barrington Moore (1969) zu sehen.
Für ihn sind es vor allem der Zeitpunkt der Industrialisierung, die dar-
112 Massen und Eliten in der Transformation
Konsolidierte
Instirutionalisierung Demokratie
und Stabilisierung
Elitenpakl;
Demokratisierung
Forderung von Massen
und Eliten nach
Nicht-konsolidien.e
grundsä~lichem
Systemwandel; Demokratie
autokratisches System
bricht zusammen
Kein Elitenpakt ; Pseudo-Demokratie
Massenmobilisierung
hält an Polarisierung der
Eliten und Massen
Rückfall in ein
autokratisches
System
wechsel selbst, aber sie haben unter Umständen einen wichtigen Ein-
fluß auf die Chancen, Probleme und den Zeitablauf des gesamten De-
mokratisierungsprozesses. So kann es von Bedeutung sein, ob die
neuen Demokratien auf demokratische Erfahrungen im eigenen Land
zurückgreifen können oder nicht. Falls ein Land vor der autokrati-
schen Herrschaft schon einmal demokratisch regiert wurde, kann die
neue Demokratie auf die alten demokratischen Eliten, auf institutio-
nelle Erfahrungen oder gar alte zivilgesellschaftliche Kulturen zu-
rückgreifen. So standen beispielsweise in Deutschland und Italien
nach 1945 mit Adenauer und de Gasperi zwei Politiker des vorfaschi-
stischen demokratischen Systems lange an der Spitze der neuen De-
mokratie. Während aber das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch-
land in bewußter Begrenzung zu den "Schwächen" der Weimarer Ver-
fassung gestaltet wurde, haben andere Demokratien schlicht die "be-
währten" vorautoritäten demokratischen Verfassungen wieder in Kraft
gesetzt, wie etwa Argentinien 1983 und Uruguay 1985.
Ebenso muß am Anfang einer Transformationsanalyse die Bestim-
mung des Charakters des jeweiligen konkreten autokratischen Regi-
mes stehen. Denn sowohl die besonderen Merkmale des autoritären
und totalitären Regimes, wie auch seine zeitliche Dauer, können Ein-
fluß auf die Institutionalisierungs-, insbesondere aber auf die Konsoli-
dierungsphase der Demokratie haben.
So wiegt die Erblast eines totalitären kommunistischen Systems, in
dem nahezu alle pluralistischen Ansätze in Politik, Wirtschaft und Ge-
sellschaft vernichtet und verhindert wurden, schwerer als jene eines
autoritär-korporatistischen Systems, in dem semipluralistische Struk-
turen geduldet wurden. Allgemein lassen sich aus den spezifischen
Charakteristika eines autokratischen Systems auch präzisere Schlüsse
für die besondere Demokratisierungsproblematik ziehen, als wenn die
Vergangenheitsanalyse sich nur in der Etikettierung "totalitär" oder
"autoritär" erschöpft.
Abbildung 4: Systemwechsel- Vom autokratischen System zur Demokratie
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Ende des autokratischen Systems 123
In der Geschichte haben sich die Übergänge von der Autokratie zur
Demokratie auf unterschiedliche Weise vollzogen. Dies gilt auch für
den Beginn der Systemtransformationen, d.h. für die Endphase der auto-
ritären oder totalitären Systeme. Dabei ist zu unterscheiden zwischen:
a. den Ursachen, die das Ende der autokratischen Systeme bewirken,
und
b. den Verlaufsformen des Endes der autokratischen Systeme.
6.1.1. Ursachenkomplexe
6.1.3.1. Kriegsniederlage
(Republik von Sa16) beitrug (Lill 1988: 366ff.). Aus der dritten
Demokratisierungswelle sind die Niederlagen der griechischen
(1974) und argentinischen Militärjuntas (1983) Beispiele für das
Ende autoritärer Herrschaft nach militärischen Abenteuern (Zypern
und Falkland-Inseln). Allerdings wurde der in den beiden Ländern
nachfolgende Redemokratisierungsprozeß nicht von anderen de-
mokratischen Staaten beaufsichtigt.
• Im zweiten Fall sind es die Niederlagen autokratischer Besatzerre-
gime, die den Weg für eine (Re-)Demokratisierung des besetzten
Landes freimachen. Dies gilt beispielsweise für Norwegen und die
Niederlande nach 1945, wo die monarchische Staatsspitze und die
ehemalige demokratische Regierung in keinerlei Kollaboration mit
der nationalsozialistischen Besatzermacht verwickelt waren (Ste-
pan 1986: 66). Es gilt aber auch für Österreich, wo die Mehrheit
der Eliten und der Bevölkerung begeistert mit den nationalsoziali-
stischen Besatzern kollaborierte.
6.1.3.3. Dominoeffekt
6.1.4. Verlaufsformen
• Regime-Kollaps
• Zerfall und Neugründung von Staaten
Langandauemde Evolution: Kennzeichnend für diesen Typus der
Transformation ist, daß sich die Demokratie in einer evolutionären,
zeitlich langgestreckten Phase und nicht infolge einer dramatischen
historischen Zäsur durchsetzt. Über das 19. Jahrhundert hinweg verlor
das Wahlrecht in den schon teilparlamentarisierten und rechtsstaatlich
geregelten Ländern Europas, Ozeaniens und Amerikas langsam seinen
exklusiven Zensus, das Mehrstimmenwahlrecht für privilegierte Per-
sonengruppen wurde abgeschafft, die geheime Wahl eingeführt sowie
Premier und Regierung der Verantwortlichkeit gegenüber dem Parla-
ment unterworfen (Huntington 1991: 16f.; Rueschemeyer et al. 1992:
83ff.). Länder, die auf diesem evolution ären Weg die Demokratie
etablierten bzw. ihr noch vor dem 1. Weltkrieg sehr nahe kamen,
waren: Neuseeland, Australien, Finnland, Norwegen, USA (Frauen-
wahlrecht erst 1920), England (Frauenwahlrecht erst 1928) und die
Schweiz (Frauenwahlrecht erst 1971) (vgl. Schmidt 1995: 269). Die-
se Verlaufsform des Systemwechsels beschränkt sich auf die erste
Demokratisierungswelle. In der zweiten und dritten Welle gibt es
keine vergleichbaren Fälle langandauernder, evolutionärer Demo-
kratisierung.
Von alten Regimeeliten gelenkter Systemwechsel: Dieser System-
wechsel wird von den alten autokratischen Regimeeliten initiiert und
in seinem weiteren Verlauf auch weitgehend kontrolliert. Die alten
Eliten bestimmen also nicht nur, auf welche Weise das autokratische
Regime abgelöst wird, sondern in einem erheblichen Maße auch über
die Strukturen des neuen demokratischen Systems. In der Regel kön-
nen deshalb die einstigen autokratischen Regimeeliten zumindest für
einen kurzen Zeitraum ihre politische Macht teilweise von dem alten
autokratischen in das neue demokratische System "mitnehmen". Vor-
aussetzung ist allerdings, daß diese Eliten weder zu sehr durch die
autokratische Herrschaft diskreditiert sind noch über erhebliche politi-
sche Machtressourcen verfügen und die Regimeopposition vergleichs-
weise machtlos ist. Beispiele aus der dritten Demokratisierungswelle
(l974ff.) sind hier: Brasilien, Paraguay, Taiwan, Thailand, Bulgarien
und Rumänien. Wenn nicht Militärs die Machthaber des alten Regi-
mes waren, haben die ehemaligen autokratischen Eliten bei dieser
Ende des autokratischen Systems 131
Form des Systemwechsels eine große Chance, sich auch als politische
Eliten in der neuen Demokratie zu etablieren, wie die Beispiele Para-
guay, Taiwan und Rumänien zeigen.
Von unten erzwungener Systemwechsel: Von unten erzwungene Sy-
stemwechsel, die nicht in Verhandlungen zwischen Regime- und Op-
positionseliten münden, sind in der Regel durch einen raschen Ablö-
sungsprozeß der autokratischen Machthaber gekennzeichnet. "Von
unten" können Systemwechsel eingeleitet werden, wenn eine mobili-
sierte Öffentlichkeit den Antisystemprotest so machtvoll manifestiert,
daß für die autokratischen Eliten die Unterdrückung der Opposition
mit repressiver Gewalt wenig erfolgversprechend ist. In aller Regel
folgt aus dieser Form des Systemwechsels keine Machtteilung, son-
dern die alten Herrschaftsträger werden politisch völlig entmachtet.
Dies war 1974 in Portugal nach dem Militärputsch der Fall, als radi-
kalisierte Offiziere der mittleren Ränge und eine hoch mobilisierte
Bevölkerung weitgehende politische, ökonomische und soziale Re-
formen erzwangen. Die Philippinen sind ein "Mischfall", da zwar die
Mobilisierung der Bürger den Rücktritt des Diktators Marcos und sei-
nes Clans erzwang, die hinter Marcos stehenden ,,100 mächtigen Fa-
milien" (Thompson 1995) aber weiterhin die politischen und wirt-
schaftlichen Geschicke des Landes bestimmen.
Ausgehandelter Systemwechsel: Wenn sich zwischen Regimeeliten
und Regimeopposition eine Pattsituation herauskristallisiert und keine
Seite die Macht besitzt, einseitig die Modalitäten der zukünftigen po-
litischen Herrschaft zu definieren, kommt es - vorausgesetzt, beide
Seiten agieren "rational" - zu Verhandlungen über eine neue politi-
sche Herrschaftsform. In einer Serie von ausgehandelten Kompromis-
sen und Pakten werden dann der Herrschaftszugang, die Herrschafts-
struktur, Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise neu definiert. Da-
bei ist keineswegs von Anfang an klar, ob die Regimeopposition
schrittweise ihr "demokratisches Projekt" verwirklichen kann. Es ist
ebenso möglich, daß sich die ,,hardliner" (O'DonneIVSchmitter 1986)
gegenüber den verhandlungsbereiten Teilen der alten Regimeeliten
("so/tliner") erneut durchsetzen und die Liberalisierung und Demo-
kratisierung des politischen Systems mittels Repression stoppen. Die-
se Möglichkeit besteht mit Ausnahme der Transformation infolge ei-
nes Kollapses auch bei anderen Formen des Systemwechsels. Aller-
132 Transformationsphasen
6.2. Demokratisierung
nen auf ein "Set" institutionalisierter Regeln, die von allen anerkannt
werden müssen und für alle, d.h. für Regierende und Regierte glei-
chermaßen gelten (vgl. auch: przeworski 1991: 14). Die Demokrati-
sierungsphase beginnt, wenn die Kontrolle der politischen Entschei-
dungen den alten autoritären Herrschaftseliten entgleitet und demo-
kratischen Verfahren überantwortet wird, deren substantielle Ergeb-
nisse sich apriori nicht mehr bestimmen lassen (Rüb 1996: 114). Die
Demokratisierungsphase endet, wenn die neue, demokratische Verfas-
sung verabschiedet ist und diese den politischen Wettbewerb wie die
politischen Entscheidungsverfahren verbindlich normiert.
So verstanden ist die Demokratisierungsphase der Abschnitt inner-
halb eines Systemwechsels, in dem die neuen demokratischen Institu-
tionen etabliert werden. Dies bedeutet, daß wir es bei der Demokrati-
sierungsperiode mit einer Etappe zu tun haben, in der alte Normen und
Institutionen nicht mehr oder nur noch zum Teil Geltung besitzen,
während neue Regeln und Institutionen noch nicht oder erst teilweise
etabliert worcten sind. Die politischen Akteure besitzen deshalb einen
Handlungsspielraum, der weit größer ist als in konsolidierten Demo-
kratien, in denen bindende Normen, etablierte Institutionen und sozial
verankerte Interessen den Manövrierraum der politischen Eliten er-
heblich einschränken. Da aber Normen, Institutionen und Interessen
noch nicht in eine akzeptierte Balance gebracht worden sind, in der sie
die politischen Entscheidungen gleichermaßen begrenzen wie legiti-
mieren würden, ist die Demokratisierungsphase noch mit einem be-
achtlichen Risiko des Scheitems konfrontiert.
Eine besondere Problematik besteht darin, daß die politischen Ak-
teure im Demokratisierungsprozeß Regeln entwerfen, unter denen sie
direkt anschließend selber spielen. Diese Regeln sollen sich aber ins-
besondere als Normen etablieren, die als allgemein akzeptierte Ver-
fahren für zukünftige politische Kräfte, Generationen und Konflikte
Bestand haben können. Die Spannung zwischen eigenen partikularen
und allgemeinen Interessen muß für eine erfolgreiche Demokratisie-
rung so aufgelöst werden, daß eine Balance zwischen mächtigen Tei-
linteressen und dem "Allgemeinwohl" gefunden wird. Denn werden
die spezifischen Interessen mächtiger politischer Akteure mißachtet,
können diese als Veto mächte die Demokratisierung in Frage stellen
und gefährden. Tragen sie aber nicht in einem ausreichenden Maße
dem Allgemeininteresse und den zu bewältigenden Problemen Rech-
138 Transformationsphasen
nung, wird ihnen keine Legitimität aus der breiten Bevölkerung zu-
wachsen. Sie werden dann instabil bleiben oder gar nur eine "defekte
Demokratie" (Merke11999) ausbilden.
Verfassungen, d.h. Institutionenordnungen, werden gerade auch in
Systemumbrüchen von politischen Akteuren geschaffen, die unter-
schiedliche Eigeninteressen verfolgen und voneinander abweichende
normative VorsteIlungen über die optimalen Institutionen eines demo-
kratischen Gemeinwesens besitzen. Deshalb sind demokratische In-
stitutionenordnungen nicht zuletzt Resultate von machtpolitischen,
ökonomischen und normativen Konflikten (Przeworski 1988: 76).
Warum aber setzen sich in bestimmten historischen Kontexten be-
stimmte politische Akteure mit ihren Verfassungsprojekten durch,
warum scheitern andere? Wie läßt sich die Konstituierung unter-
schiedlicher institutioneIler Ordnungen erklären? Warum entstehen in
einigen neuen Demokratien parlamentarische, in anderen Ländern
aber präsidentielle oder semipräsidentielle Regierungssysteme, wann
Mehrheits- und wann Konsensdemokratien?
20 Dies gilt auch für Portugal, das sich nach einer Experimentierphase mit parla-
mentarisch-präsidentiellen Strukturen (1974-1982) über einige Verfassungs-
änderungen schließlich als parlamentarisches Regierungssystem konsolidierte.
Konsolidierung 143
6.3. Konsolidierung
Ich greife dieses Konzept der positiven Konsolidierung auf und dif-
ferenziere es in vier analytische Ebenen21 , auf denen sich die Konsoli-
dierungschancen des gesamten politischen Systems entscheiden. Die
vier analytischen Ebenen geben zugleich auch eine zeitliche Stufenab-
folge der demokratischen Konsolidierung insofern wieder, als Ebene I
in aller Regel am frühesten konsolidiert ist, während die demokrati-
sche Konsolidierung der 4. Ebene am längsten dauert.
1. Ebene: die konstitutionelle Konsolidierung: Sie bezieht sich auf die
zentralen politischen Verfassungsinstitutionen, wie Staatsoberhaupt,
Regierung, Parlament, Judikative und das Wahlsystem22 (Makroebene:
Strukturen).
Die konstitutionelle Konsolidierung ist in aller Regel von den O.g.
vier Ebenen am frohesten abgeschlossen und wirkt durch normative,
strukturierende und damit handlungseingrenzende Vorgaben auf die
zweite sowie die nachfolgenden Ebenen 3 und 4 ein.
2. Ebene: die repräsentative Konsolidierung: Sie betrifft die territo-
riale und funktionale Interessenrepräsentation, d.h. vor allem Parteien
und Interessenverbände (Mesoebene: Akteure).
Die Konstellationen und Handlungen der Akteure auf Ebene 2 ent-
scheiden einerseits mit darüber, wie sich die Normen und Strukturen
auf der ersten Ebene konsolidieren und andererseits, ob die gemein-
same Konfiguration der Ebenen 1 und 2 das Verhalten der Akteure auf
Ebene 3 positiv oder negativ im Hinblick auf die demokratische Kon-
solidierung beeinflußt.
3. Ebene: Verhaltenskonsolidierung: Auf der dritten Ebene agieren
die "informellen", d.h. die potentiellen politischen Akteure wie Mili-
tär, Großgrundbesitzer, Finanzkapital, Unternehmer, radikale Bewe-
gungen und Gruppen (Mesoebene: informelle politische Akteure).
Die Konsolidierungserfolge auf den Ebenen 1 und 2 sind von er-
heblicher Bedeutung dafür, ob die sogenannten "informellen" politi-
21 Dabei baue ich auf Überlegungen auf, die Juan Linz und Manfred Stepan
(1996) entwickelt haben.
22 Wenngleich Wahlsysteme selten Verfassungsrang besitzen, sind sie infolge ih-
rer faktischen Bedeutung fiir die Zuteilung von politischen Repräsentations-
chancen von vergleichbarer Wichtigkeit fiir die Konsolidierung der Demokra-
tie wie die Verfassungsorgane.
146 Transformationsphasen
Abbildung 5: Mehrebenenmodell
der demokratischen Konsolidierung
Umwelt
~ .
ii
I
~
i•
Umwelt !
i
I
!
148 Transformationsphasen
sind: die Weimarer Republik, die IV. Französische Republik, die Italie-
nische Republik vor und nach 1994, Polen zwischen 1990-1993 sowie
die Slowakische Republik. Einer der Faktoren, die zur raschen Konsoli-
dierung der postautoritären Demokratien in Griechenland, Portugal und
Spanien in den 70er und 80er Jahren geführt hatten, war der geringe
Fragmentierungsgrad ihrer Parteiensysteme (Merkel 1990: 6; Morlino
1995: 324). Für die postkommunistischen Demokratien Ostmitteleuro-
pas gilt dies bisher noch nicht. So lag der Fragmentierungsindex einzig
in Ungarn während der ersten und zweiten Legislaturperiode im westeu-
ropäischen Durchschnitt; die anderen Länder lagen darüber.
Founding
Eleclions
I
Stimmen
2. Wahl
I
Mandate
Founding
Eleclions
12. Wahl
I
I
Ungam (1990/1994) 73.5 82,0 72,0 65,5
Polen (1991/1993) 91,9 91,2 91,4 74,4
Tschechische Republik 68,3 85,1 79,0 1
(1990/1992)
Slowakische Republik 81,8 84,5 69,0 1
(1990/1992)
Der Fragmentierungsindex nach Rae (1968) wird berechnet, indem die Summe der
quadrierten Stimmen- bzw. Mandatsanteile aller Parteien gebildet und von I sub-
trahiert wird. Zur besseren Anschaulichkeit wurden die Indizes mit 100 multipli-
ziert. Berücksichtigt wurden nur Parteien mit mindestens 3,2% Anteil an den Ge-
samtstimmenl-mandaten, da Parteien mit geringerem Anteil weniger als 0,001 bzw.
0, I zum Fragmentierungsindex beitragen.
1 Wahlen zu den tschechischen und slowakischen Nationalräten 1992.
Sind die ersten drei Ebenen, auf denen die Eliten und nicht die breite
Bevölkerung als gestaltende und einflußnehmende Akteure dominie-
ren, konsolidiert, ist eine Demokratie überlebensfahig. Es bedarf also
bis zu einem bestimmten Konsolidierungsgrad einer Demokratie para-
doxerweise nur in geringem Maße der aktiven Beteiligung des Demos,
obwohl dieser der Herrschaftsform der Demokratie ja ihren Namen
gegeben hat. Dennoch kann eine Demokratie ohne die Zustimmung
breiter Teile der Bevölkerung nicht als wirklich konsolidiert gelten. In
Kapitel 2.1 wurde im Hinblick auf die endogene Stabilität demokrati-
scher Systeme aus der systemtheoretischen Perspektive argumentiert,
daß eine demokratische Herrschaftsordnung nur dann als stabil gelten
Konsolidierung 165
Civil Society: Während sich der Begriff der civic culture vor allem auf
die Einstellungen und Werte bezieht, bezeichnet das theoretische Kon-
strukt civil society viel stärker den Aspekt des Bürgerhandelns in der
Gesellschaft und gegenüber dem Staat.
Der Gedanke, daß eine entwickelte Zivilgesellschaft zur Stärkung
der Demokratie beiträgt, hat eine lange Tradition. Er kann durch ge-
wichtige Argumente von John Locke bis Ralf Dahrendorf und Alexis
de Tocqueville bis Jürgen Habermas gestützt werden. Die vier wich-
tigsten Begründungen sollen hier kurz genannt werden:
1. Besonders in der auf John Locke zurückgehenden liberalen Traditi-
on wird die Idee einer unabhängigen gesellschaftlichen Sphäre und
Kontrolle gegenüber dem Staat ausgeführt. Die Rechte der Individuen
sollen gegenüber möglicher staatlicher Willkür geschützt werden. Als
zentrale Funktion der civil society wird die Autonomie des Individu-
ums, die Sicherung des Eigentums und eine vor dem Staat geschützte
gesellschaftliche Sphäre angesehen. Die Zivilgesellschaft hat in die-
sem Verständnis eine negative Funktion, d.h. die Freiheits- und Ei-
gentumssicherung vor staatlichen Eingriffen. Sie dient dazu, den Herr-
schaftsanspruch und den Herrschaftsumfang des Staates zu begrenzen.
Die Vermittlung zwischen der zivilen und staatlichen Sphäre wird al-
lerdings in dieser Theorietradition kaum thematisiert.
Konsolidierung 167
Nach der Definition von Robert Dahl können diese frühen demokratischen
Herrschaftsordnungen jedoch nicht als voll entwickelte Polyarchien bezeich-
net werden. Der Herrschaftszugang und das Recht der Regierten, die Regie-
renden zu wählen, war stets aufgrund fester Merkmale wie Bürgerrechte,
Zensus, Rasse und Geschlecht erheblich eingeschränkt.
174 Die drei Demokratisierungswellen des 20. Jahrhunderts
2 Huntington, dessen Buch "The Third Wave" 1991 erschien, läßt das Ende
der dritten Demokratisierungswelle noch offen, während Larry Diamond die
Anzahl der liberalen Demokratien, gemessen an allen Staaten, seit 1991 lang-
sam, aber beständig zurückgehen sieht (Diamond 1996: 28).
Die erste Demokratisierungswelle: die Entstehung der Demokratien 175
selbst (vgl. Kap. 1.1.) Dies wird insbesondere bei der ersten Welle deutlich, wo
Huntington von einer Demokratie spricht, wenn ein kaum eingeschränktes Män-
nerwahlrecht etabliert wird.
Die erste autoritäre Welle gegen die neuen Demokratien begann mit
Mussolinis Marsch auf Rom im Jahre 1922, in dessen Folge die kri-
sengeschüttelte, fragile italienische Demokratie fast reaktionslos ka-
pitulierte. Bis zur Mitte der dreißiger Jahre brachen dann viele jener
Demokratien zusammen, die erst am Ende des ersten Weltkriegs eine
demokratische Staatsform angenommen hatten. In Estland, Lettland,
Litauen, Polen, Ungarn, Portugal, Griechenland, Spanien und Japan
wurden die Demokratien durch Militärputsche oder die Einmischung
der Streitkräfte entweder schrittweise (Ungarn, Polen), sofort (Portu-
gal, Japan) oder in einem längeren Bürgerkrieg (Spanien) zerstört. Mi-
litärcoups besiegelten zu Beginn der dreißiger Jahre das vorläufige
Ende der jungen Demokratien Brasiliens, Argentiniens und Uruguays.
Im November 1932 wurde die NSDAP mit 33,1 % der Wählerstimmen
stärkste Partei in Deutschland (vgl. u.a. Falter 1991). Über ein reak-
tionär-nationalistisches Bündnis mit der Deutsch-Nationalen Volks-
partei (DNVP) und unterstützt von bedeutenden Teilen der rheini-
schen Schwerindustrie, wurde Ritler von Reichspräsident Rindenburg
am 30.1.1933 an die Spitze eines Präsidialkabinetts berufen. Ritler
und die NSDAP hatten im Rahmen der geltenden demokratischen
Verfassung legal die Macht ergriffen (vgl. u.a. Bracher 1957; Lepsius
1978). Danach dauerte es nur wenige Monate, bis die demokratischen
Institutionen und Organisationen auf illegale Weise beseitigt waren,
und der Marsch in ein totalitäres System begann (Bracher 1969; Bra-
cherlFunke/Jacobsen 1986).
1934 wurde nach kurzen Bürgerkriegswirren in Österreich das au-
toritär-korporatistische Dollfuß-Regime installiert (Maderthaner 1995),
das vier Jahre später seinerseits durch die Besetzung der deutschen
Wehrmacht an Deutschland angeschlossen und so von einem offen
nationalsozialistischen Regime abgelöst wurde. Die Nationalsoziali-
Zusammenbruch der Demokratien 177
3 Der Begriff der Irredenta, bzw. des Irredentismus, entstand ursprünglich un-
mittelbar nach der nationalstaatlichen Einigung Italiens 1861nO und be-
zeichnete "uneriöste" Gebietsansprüche. Er wurde bald über Italien hinaus
generell für ungelöste Gebietsansprüche im allgemeinen verwendet.
Zusammenbruch der Demokratien 179
haltungen der handelnden Eliten eine weit bedeutendere Rolle, als sie
sie in "normalen" Zeiten durch die normierende Beschränkung intak-
ter Institutionen besitzen können (vgl. Lepsius 1978: 173). In vielen
dieser jungen Demokratien waren aber gerade die Einstellungen und
Werte der relevanten Eliten (Militär, Aristokratie, Schwerindustrie)
häufig noch von autoritären Mustern geprägt. Abstrahiert man von
den konkret unterschiedlichen Umständen der Zusammenbrüche der
Demokratien, läßt sich doch so etwas wie ein typischer Krisen-Zu-
sammenbruchs-Zyklus für die Zwischenkriegszeit erkennen:
• Die Politik versagte bei der Lösung entscheidender wirtschaftli-
cher, sozialer und politischer Probleme;
• dies führte zu schwindender Akzeptanz der Bürger gegenüber dem
neuen demokratischen System;
• in der Folge kam es zu einem Verlust an spezifischer Legitimität
(Easton 1965), der sich rasch zu einer existenzbedrohenden Krise
der noch unkonsolidierten Demokratie ausweitete, da diese noch
kein "Polster" an diffuser Legitimität (ibid.) aufbauen konnte;
• häufig kam es in einer solchen Situation zu einer Hyperpolitisie-
rung und einer Zunahme der politisch organisierten und anomi-
sehen Gewalt;
• die antidemokratische Opposition war bereit, die krisenhafte Situa-
tion für ihre autoritären Ziele auszubeuten;
• meist wurde das Parlament geschwächt oder gar suspendiert und
die Exekutive gleichzeitig gestärkt;
• in dieser Situation kam es häufig zu einer Verlagerung wesentli-
cher politischer Entscheidungen von Institutionen auf Personen,
meist auf starke Militärs oder charismatische Führer;
• anders als bei institutionengebundenen Entscheidungen wurden
dann aber politische Beschlüsse unkalkulierbarer und der kontin-
genten Werte10yalität der handelnden Eliten überantwortet;
• diese waren aber in den meisten der zusammengebrochenen Demo-
kratien mehrheitlich nicht demokratisch eingestellt (v.a. grundbe-
sitzender Adel, Militär, Schwerindustrie) und agierten in der Krise
gegen die instabile demokratische Ordnung;
• die Folge war der Zusammenbruch der Demokratie und die Macht-
übernahme durch Militärs oder (semi-)faschistische Parteien und
ihre Führer.
180 Die drei Demokratisierungswellen des 20. Jahrhunderts
6 Allerdings gab es in Indien eine kurze Unterbrechung der Demokratie, als die
Ministerpräsidentin Indira Ghandi 1975 das Kriegsrecht verhängte und somit
die Verfassung teilweise außer Kraft setzte. Bereits zwei Jahre später kehrte
Indien zur Demokratie zurück, als Indira Ghandi und die regierende Kon-
greßpartei in demokratischen und fairen Wahlen abgewählt wurde.
7 Israel entstand nicht im Zuge der Entkolonialisierung' der fünfziger und sech-
ziger Jahre, sondern wurde nach dem Ende des britischen Mandats über Palä-
stina unter Berufung auf den Teilungsbeschluß der UNO vom Nationalrat der
Juden und dem Generalrat der zionistischen Weltbewegung als unabhängiger
Staat Israel gegründet.
Die zweite Demokratisierungswelle 187
tiert wurde: Nämlich, daß es nicht nur die Addition der sozialen, wirt-
schaftlichen und politischen Probleme sei, sondern die Gleichzeitig-
keit solch elementarer Probleme, wie der Nations- und Staatsbildung,
der wirtschaftlichen Modernisierung und des sozialen Wandels, die
die Konsolidierung der jungen Demokratien gefährde.
Nach eigenen Untersuchungen vollzogen im Zeitraum der zweiten
Demokratisierungswelle (1943-1962) 25 Länder den Übergang zur
Demokratie (vgl. Tab. 8). Davon blieben nur acht Länder bis 1997
von autokratischen Rückfällen verschont: Deutschland, Italien, Öster-
reich, Zypern (ab 1974 der griechische Teil), Israel, Japan, Costa Ri-
ca, Jamaika. Dazu kommen noch die von den deutschen Nationalso-
zialisten besetzten Vorkriegsdemokratien: Belgien, Dänemark, Frank-
reich, Niederlande und Norwegen. In allen anderen Ländern wurden
erneut, meist befristet bis zur dritten Demokratisierungswelle, autori-
täre Regime errichtet. Die häufigste Art des Systemwechsels war
staatliche Neugründung, meist im Zuge der Dekolonisierung, gefolgt
vom "Regimekollaps", der in der Regel als Folge der Kriegsniederla-
ge wie in Deutschland, Italien, Österreich und Japan eintrat. Der Weg
eines ausgehandelten Systemwechsels zwischen Teilen der alten Re-
gimeeliten und der Regimeopposition, wie er in der dritten Demokra-
tisierungswelle häufiger eingeschlagen wurde, war nur in den drei la-
teinamerikanischen Fällen Ecuador, Peru und Uruguay zu beobachten.
Zur Herausarbeitung erfolgreicher demokratischer Konsolidie-
rungsprozesse der zweiten Welle will ich mich im folgenden auf die
Demokratisierungsprozesse der drei Kriegsverlierer Italien, Deutsch-
land und Japan konzentrieren. Dies ist deshalb für die Transformati-
onsforschung besonders aufschlußreich, weil sich in diesen drei Län-
dern besonders ausgeprägte autokratische Regime institutionalisiert
hatten und diese von der Mehrheit der Bevölkerung bis weit in den
Krieg hinein akzeptiert und unterstützt wurden. Dennoch konnte man
spätestens nach zwei Jahrzehnten feststellen, daß der Demokratisie-
rungsprozeß aller drei Länder in eine ausgesprochene Erfolgsge-
schichte mündete, an deren Ende drei hochentwickelte und stabile
Demokratien unterschiedlichen Zuschnitts standens.
8 Dies gilt auch für Italien. Betrachtet man das politische System nicht vereinfa-
chend durch die verengte Stabilitätsbrille mancher bundesdeutscher Italienfor-
scher (vgl. u.a. Lill 1986), so wird man auch für Italien trotz aller politischer Krisen
eine im Kern stabile Demokratie erkennen (vgl. u.a. Merkel 1990a. 1994).
188 Die zweite Demokratisierungswelle
9 Auch bei den externen Faktoren orientiere ich mich an Philippe Schmitter,
der diese in ein heuristisches Faktorenmodell zur Erklärung demokratischer
Konsolidierungsprozesse eingebaut hat (Schmitter 1985: 64).
190 Die zweite Demokratisierungswelle
Die Demokratisierung aller drei Länder fiel in eine sehr günstige Zeit-
periode: Dies gilt hinsichtlich der herrschenden Ideologien, der domi-
nierenden politischen Normen, der internationalen Beziehungen, der
ausländischen Unterstützungen und der Wirtschaftsentwicklung in der
kapitalistisch-westlichen Welt. Als die wichtigsten positiven Kontext-
bedingungen für Deutschland, Italien und Japan können gelten:
• an deren Ende drei hochentwickelte und stabile Demokratien unter-
schiedlichen Zuschnitts standen lO •
• an deren Ende drei hochentwickelte und stabile Demokratien unter-
schiedlichen Zuschnitts standen 11.
• Diskreditierung der faschistischen und militaristischen Herrschafts-
ideologien;
• Bestrafung der Kriegsverbrecher durch die Alliierten (Deutschland,
Japan);
• die westlichen Demokratien wurden im Kontext des Kalten Krieges
und der ideologisch-politischen Systemkonkurrenz als Modell ge-
gen die kommunistische Diktatur durch die Hegemonialmacht
USA besonders unterstützt;
• die Besatzung durch die Alliierten; "Demokratisierungskampag-
nen" (Bildungswesen, Medien);
• der Marshallplan als wirkungsvolle und gezielte materielle Hilfe-
stellung zum Aufbau stabiler marktwirtschaftlich-demokratischer
Systemstrukturen nach 1947;
• Einbindung in internationale Wirtschaftskooperationen und militä-
rische Bündnisse;
10 Dies gilt auch für Italien. Betrachtet man das politische System nicht verein-
fachend durch die verengte Stabilitätsbrille mancher bundesdeutscher Italien-
forscher (vgl. u.a. Lill 1988), so wird man auch für Italien trotz aller politi-
scher Krisen eine im Kern stabile Demokratie erkennen (vgl. u.a. Merkel
1990a, 1994).
ll Dies gilt auch für Italien. Betrachtet man das politische System nicht verein-
fachend durch die verengte Stabilitätsbrille mancher bundesdeutscher Italien-
forscher (vgl. u.a. Lill 1988), so wird man auch für Italien trotz aller politi-
scher Krisen eine im Kern stabile Demokratie erkennen (vgl. u.a. Merkel
1990a, 1994).
Die externen Einflußfaktoren 191
• das Militär, das in allen drei Ländern das autokratische Regime ge-
tragen (Japan) oder mit ihm kollaboriert hatte (Deutschland, Itali-
en), spielte aufgrund der Demilitarisierungspolitik der Besatzungs-
mächte über das erste Nachkriegsjahrzehnt hinaus keine Rolle bzw.
existierte nicht mehr.
Diese Faktoren wirkten auf alle drei jungen Demokratien stabilisie-
rend. Unterschiede gab es lediglich in der konkreten Form und der
Intensität der Wirkung. Faschismus und im japanischen Falle der
chauvinistische Militarismus waren aufgrund ihres politischen, wirt-
schaftlichen und moralischen Scheiterns international diskreditiert.
Der Faschismus war nicht mehr länger, wie noch in der Zwischen-
kriegszeit, eine attraktive Herrschaftsalternative zum demokratischen
System. Die realistischen Regimeoptionen waren auf den Dualismus
von marktwirtschaftlicher Demokratie versus planwirtschaftlichem
Kommunismus reduziert. In Westdeutschland beschleunigte die tota-
litäre Entwicklung in der DDR nach 1948 die völlige Ablehnung einer
kommunistischen Systemalternative; in Japan führte die unmittelbare
Anschauung des Koreakrieges und die Nachbarschaft zur kom-
munistischen VR China und zur Sowjetunion (mit der um die Kurilen
territoriale Streitigkeiten bestanden) ebenfalls zu einer völligen gesell-
schaftlichen Ablehnung des autokratischen Realsozialismus; allein in
Italien gewannen eine sich im Laufe der Zeit reformierende kom-
munistische Ideologie und Partei eine beachtliche Attraktivität. Die
aktive Beteiligung bei der demokratischen Verfassungsausarbeitung
und die Akzeptanz der Verfassung durch die Kommunistische Partei
(PeI) ließen diese jedoch selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krie-
ges nicht zu einer Feindin der italienischen Demokratie werden (pas-
quino 1986: 57).
Der wichtigste Garant für eine erfolgreiche Hinwendung zur De-
mokratie muß während der ersten Phase in der Präsenz der westlichen
alliierten Besatzungsmächte, allen voran den USA, gesehen werden.
Dies gilt in besonderem Maße für Westdeutschland und Japan. Die
Alliierten beaufsichtigten und unterstützten die Ausarbeitung einer
demokratischen Verfassung. Während die japanische Verfassung di-
rekt von US-Behörden ausgearbeitet und den Japanern oktroyiert
wurde (Halliday 1989: 114f.; Poh11994: 72), kontrollierten die west-
lichen Alliierten nur mit wenigen substantiierten Vorgaben (z.B. Fö-
192 Die zweite Demokratisierungswelle
1945 und 1956 15,5 Mrd. DM. Davon wurden über 10 Mrd. DM als
Geschenk gewährt; der Rest sollte in langfristigen Zeiträumen zurück-
gezahlt werden (Leptin 1980: 58). Für ein Land, das wie Deutschland
über gut ausgebildete und leistungsbereite Arbeitskräfte verfügte und
in dem sich eine enorme, weitgehend ungesättigte Nachfrage ange-
staut hatte, "mußte die geschenkweise oder kreditäre Bereitstellung
dieser Investitionsmittel geradezu einen solchen Produktionsauf-
schwung mit sich bringen" (ibid.), wie er sich in den fünfziger Jahren
dann als "Wirtschaftswunder" tatsächlich einstellte.
Insgesamt hat die logistische, finanzielle, politische und reedukati-
ve Hilfestellung der USA, die rasche Einbindung in die westeuropäi-
sche Integration (1948: OEEe; 1951: EGKS; 1957: EWG), die regio-
nale Umgebung stabiler Demokratien im Westen, die legitimitätsför-
dernde modellhafte Abgrenzung zu den kommunistischen Diktaturen
in Ostdeutschland und Osteuropa sowie dann 1955 die Einbindung in
die westliche Verteidigungsallianz endgültig den deutschen Sonderweg
zwischen Ost und West versperrt und die Demokratie stabilisiert. Amold
Heidenheimer (1991: 34) sprach in einer kurzen Retrospektive zur "al-
ten Bundesrepublik" von einem idealen ideological space für die erste
dauerhafte Etablierung einer Demokratie in Deutschland. Faßt man alle
Kontextbedingungen im Hinblick auf die Etablierung der westdeutschen
Demokratie zusammen, muß man von einem fast idealen ,Jdeological,
economical and political space" sprechen, der seit Ende der vierziger
Jahre für mindestens zwei Jahrzehnte äußerst günstige externe Voraus-
setzungen für die interne Konsolidierung der Demokratie in der Bundes-
republik geschaffen hat. Dieser "Gelegenheitsraum" war in der bipola-
ren Welt des Kalten Krieges aufgrund der geostrategischen Situation für
die westdeutsche Demokratie sicherlich am günstigsten. Mit bestimm-
ten regionalspezifischen Abweichungen hat er sich aber auch den jun-
gen Demokratien Italiens und Japans geboten.
sten" noch jene der "dritten Welle" wurden von vergleichbar positiven
ökonomischen Entwicklungen begünstigt. Denn mit dem Ende der
vierziger Jahre setzte eine langanhaltende Welle ökonomischen Wachs-
tums ein, die, abgesehen von kleineren Konjunkturschwankungen,
erst mit der Erdölpreiskrise von 1974 auslief. Fast drei Jahrzehnte hi-
storisch einmaligen Wirtschaftswachstums in der kapitalistischen
Welt stützten die Konsolidierungsphase der drei jungen Demokratien
von außen. Japan, die Bundesrepublik Deutschland und Italien profi-
tierten zudem von typischen Wiederaufbau- und Aufholeffekten auch
im Inneren. Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland und Ja-
pan, aber auch in Norditalien führten diese zu einem im internationa-
len Vergleich höchst modemen Kapitalstock. Damit war eine wichtige
Grundlage geschaffen, die den drei Ländern bis weit in die sechziger
Jahre eine stärkere Wirtschaftsexpansion ermöglichte als dem Rest der
kapitalistischen Welt. Das gilt in erster Linie für Japan, dessen inter-
national beispielloses Wirtschaftswachstum von 1950-1974 zweiein-
halbfach höher lag als in den USA (Hadley 1989: 301). Doch auch
Deutschland und Italien erlebten ihr jeweiliges "Wachstumswunder".
Von 1950-1960 betrug die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Japan 14%, in der Bundesrepublik
Deutschland 10,9% und in Italien immerhin noch 8,7%.
12 Diese Dodge Line geht auf den US-Bankier Joseph M. Dodge zurück, der
vom US-Präsidenten Truman 1949 zum "Finanzkommissar" Japans ernannt
wurde und dort eine anti-inflationäre, fiskalisch-orthodoxe Finanz- und Kre-
ditpolitik - auch gegen japanische Widerstände - durchsetzte (Schonberger
1989: 198ff.).
Die externen Einflußfaktoren 197
13 Die extrem niedrigen Arbeitslosenzahlen in Japan sind zum einen durch den
in den fünfziger Jahren noch großen Agrarsektor zu erklären und zum ande-
ren der "großzügigen" Arbeitslosenstatistik geschuldet, die in diesem Zeit-
raum auch nur sehr kurzfristig Beschäftigte nicht in die Statistik aufnahm.
198 Die zweite Demokratisierungswelle
Alle drei Länder konnten im Jahre 1945 nur auf kurze Phasen demo-
kratischer Systemerfahrungen zurückgreifen. Deutschland hatte mit
den 14 Jahren der Weimarer Republik (1918-1933) noch die längste
Demokratieperiode aufzuweisen. Japan erlebte mit der "Taisho-De-
mokratie" (1918-1932 bzw. 1925-1932) 13 bzw. sieben Jahre unvoll-
kommener demokratischer Institutionen und Verfahren, während Itali-
en nur ganze vier Jahre (1918-1922) demokratisch regiert wurde. Für
Japan und Italien ist zudem der Demokratiebegriff großzügig ausge-
legt, da in bei den Ländern nur das allgemeine, gleiche und freie Män-
nerwahlrecht (Italien 1918; Japan 1925) eingeführt wurde. In Japan
war in der gültigen Verfassung von 1889 zudem die große Machtfülle
des Tenno festgeschrieben, das Wahlrecht unterlag bis 1925 einem
strengen Zensus und dem Militär wurden in der Verfassung spezielle
Prärogativen jenseits der zivilen Kontrolle eingeräumt (Hartmann
1983: 53f.). Es handelte sich also in Japan noch nicht um eine intakte
Polyarchie, sondern im wesentlichen um die konstitutionelle Absiche-
rung, Modernisierung und Regulierung eines oligarchischen Regimes
mit demokratischer Fassade.
Doch nicht nur die Dauer der demokratischen Systemerfahrungen
war ausgesprochen kurz. Denn alle drei Länder hatten es darüber hin-
aus mit krisengeschtittelten und instabilen Demokratien zu tun, in de-
nen gerade die zentralen demokratischen Institutionen und Organi-
sationen (allgemeines Wahlrecht, Parlament, Parteien, Gewerkschaf-
ten) von den gesellschaftlichen und politischen Eliten nicht hinrei-
chend akzeptiert wurden. Für die sich mit zunehmender Existenz der
200 Die zweite Demokratisierungswelle
autoritäre Zugriff und die Kontrolle der Gesellschaft durch das japani-
sche Militärregime immer noch intensiver als in Italien war (Ruttkowski
1994: 64). In Italien blieben mit der Monarchie des Hauses Savoien, der
insbesondere dem König gegenüber loyalen Annee sowie der Kirche
wichtige Machtzentren bestehen, die nie völlig dem faschistischen Sy-
stem untergeordnet werden konnten (Lill 1986: 302; Pasquino 1986:
46). Selbst in der Gesellschaft konnte der Faschismus keine unbestritte-
ne ideologische Hegemonie sicherstellen. Es blieben stets Residuen ei-
nes begrenzten Pluralismus in Staat und Gesellschaft bestehen. Eine
Gleichschaltung wie im deutschen Nationalsozialismus nach 1934 ließ
sich im faschistischen Italien nicht verwirklichen. Relativ erfolglos er-
wies sich der italienische Faschismus auch in der Institutionenbildung.
Weder die faschistische Partei PNV, die korporative "Ständekammer"
noch die faschistischen Gewerkschaftssyndikate vermochten sich effek-
tiv zu institutionalisieren. Selbst der monarchisch-autoritäre Staats- und
Verwaltungsapparat konnte nie eindeutig in das faschistische System
inkorporiert werden. Mussolinis Traum vom "stato totalitario" blieb ein
Wunschtraum, dem das nationalsozialistische Deutschland nach 1934
bzw. 1938 viel näher kam. Die totalitlife Durchdringung von Wirtschaft,
Staat, Gesellschaft und Bewußtsein sowie die institutionelle Absiche-
rung der eigenen Herrschaft mißlang dem italienischen Faschismus:
"It has rightly been pointed out that the fascist attempt to integrate Italian
society into the state in a totalitarian way did not succeed. Italian fascism
can thus be characterized as a faiJed totalitarian experiment" (Pasquino
1986: 46).
In Deutschland war die totalitäre Herrschaftsdurchdringung von Staat
und Gesellschaft weit erfolgreicher. Nach der irreführend als Machter-
greifung bezeichneten "Machtauslieferung" (Tyrell 1986: 52) am 31.
Januar 1933 folgten eineinhalb Jahre der ,,Machteroberung", in deren
Verlauf politische Gegner ausgeschaltet, demokratische Institutionen
zerstört, pluralistische Organisationen zerschlagen und rechtsstaat-
liche Instanzen aufgehoben wurden. Aber der Zerstörung der demo-
kratischen Strukturen und pluralistischen kollektiven Akteure folgte
keine vergleichbar konsequente Etablierung klarer totalitärer Herr-
schaftsstrukturen. Deshalb darf auch im nationalsozialistischen Deutsch-
land die Kraft einer effektiven Institutionenbildung nicht überschätzt
werden. So charakterisierte der in die USA emigrierte Politikwissen-
Die internen Einflußfaktoren 203
15 Das Ende der faschistischen Herrschaft in Deutschland kann auf den 8. Mai
1945, der endgültigen Kapitulation des Deutschen Reiches, datiert werden.
Die internen Einflußfaktoren 205
Weder Deutschland noch Japan konnten oder wollten sich selbst von
ihren Diktaturen befreien. Das Ende der autokratischen Herrschaftssy-
steme war ausschließlich das Werk der Alliierten. Dies gilt mit leich-
ten Einschränkungen auch für die ersten Demokratisierungsschritte. Der
"Weg der extern beaufsichtigten Demokratisierung" durch eine Besat-
zungsmacht wie in Deutschland und Japan nach 1945 birgt dabei Risi-
ken und Vorteile gleichennaßen. Das gemäßigte Risiko besteht in einer
"Legitimitätslücke". Denn wenn die neue demokratische Ordnung von
der Bevölkerung als ein Oktroi fremder Mächte wahrgenommen wird,
könnte diese die demokratische Verfassung zunächst als fremd und auf-
gezwungen empfinden. Die auch affektiv besetzte "diffuse Zustim-
mung" der Bürger zur neuen Verfassung kann so nur schwerlich schon
durch den Verfassungsgebungsprozeß selbst entstehen, sondern wird
sich unter günstigen Bedingungen erst später über die utilitaristisch ori-
entierte "spezifische Zustimmung" aufgrund einer guten materiellen
Leistungsbilanz des neuen Systems einstellen können. Der Vorteil einer
Demokratisierung unter fremder Aufsicht dagegen besteht in der schnel-
len, risiko freien und längerfristig wirksamen politischen Entmachtung
der verbliebenen Herrschaftseliten des alten autokratischen Systems
durch die überlegene militärische und politische Gewalt der Besatzungs-
macht. Die Vor- und Nachteile der Demokratisierung durch Kriegs-
206 Die zweite Demokratisierungswelle
16 Sie kollidieren, wenn nicht "Völkennord" oder "Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit" geltend gemacht werden können, nicht selten mit dem rechts-staatli-
chen Rückwirkungsverbot.
208 Die zweite Demokratisierungswelle
ton (1991: 213f.) hat die Argumente des "Vergebens und Vergessens"
jenen des "Verfolgens und Bestrafens" gegenübergestellt. Die wich-
tigsten Argumente, die für eine Bestrafung sprechen, sind:
• Das demokratische Nachfolgeregime hat die moralische Pflicht, die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen; diese gilt vor
allem gegenüber den Regimeopfern.
• Die Bestrafung ist notwendig, um vor zukünftigen MenscheIi~
rechtsverletzungen abzuschrecken.
• Die Bestrafung soll zeigen, daß die Demokratie mächtig genug ist,
um sich nicht vor den Drohungen der alten Regimeeliten zu beugen
und die Überlegenheit von Rechtsstaat und Demokratie zu demon-
strieren.
• Gegen eine Bestrafung können folgende Gründe sprechen:
• Demokratie muß auf Versöhnung basieren und darf nicht erneut
Gräben in der Gesellschaft aufreißen.
• Der fragile Demokratisierungsprozeß verlangt nach der Garantie,
daß keine Vergeltung für frühere Regimeverbrechen erfolgt, um
nicht Vetopotentiale gegen die junge Demokratie aufzubauen.
• Da häufig viele Gruppen und Individuen in unterschiedlichem Ma-
ße an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, schafft ei-
ne Amnestie eine günstigere Ausgangsbasis für die Demokratie als
eine Bestrafung von Teilen oder allen "alten" Regimeträgern.
• Die Bestrafung kann die Konsolidierung der Demokratie gefähr-
den. Die Stabilisierung der gegenwärtigen Demokratie ist aber ein
höheres Gut als die Bestrafung vergangener Verbrechen.
Huntington beläßt es aber nicht bei der bloßen Aufzählung und Ge-
genüberstellung der Argumente, sondern faßt sie in "wenn, dann"-
Sätze, die auf konkrete postautokratische Situationen anwendbar sind
(1991: 231):
1. Wenn eine Transformation auf dem Verhandlungswege zwischen
den alten Regimeeliten und der Regimeopposition eingeleitet wird,
dann soll davon abgesehen werden, Teile der autokratischen Eliten
zu bestrafen, da die politischen Kosten gegenüber den moralischen
Gewinnen überwiegen werden.
2. Wenn der Systemwechsel durch Kollaps oder einen abrupten
Bruch mit dem alten Regime erfolgt und ein allgemeiner morali-
Die internen Einflußfaktoren 209
zu definieren ist. Insbesondere ihr Ende hängt in hohem Maße von der
Art des Systemwechsels ab. So kann das Ende der autokratischen
Herrschaft als De-Institutionalisierung und der Beginn der Demokratie
als Re-Institutionalisierung einer politischen Ordnung begriffen wer-
den. Allgemein läßt sich jedoch festhaIten, daß die Institutionalisie-
rung der Demokratie beginnt, wenn
• die alten autokratischen Herrschaftsregeln ganz oder teilweise sus-
pendiert sind;
• die alten Herrschaftseliten ihre Macht verloren haben oder sie mit
neuen demokratischen Eliten teilen müssen.
Das Ende der Institutionalisierung der Demokratie wird häufig mit
den founding elections (O'DonnelVSchmitter 1986) festgelegt, die zur
ersten demokratisch gewählten Regierung führen. Sinnvoller erscheint
es jedoch, das Inkrafttreten der neuen demokratischen Verfassungs-
regeln als den Abschluß der Institutionalisierung der Demokratie zu be-
greifen. Die Übertragung der politischen Macht von einer Gruppe von
Personen auf einen festen und sanktionierten Bestand von Regeln und
Institutionen ist damit abgeschlossen. Das neue demokratische System
ist auf neue Basisinstitutionen der Staatsorganisation gegründet. Dabei
ist es für die zeitliche Abgrenzung der ,,lnstitutionalisierung" von der
"Konsolidierung" der Demokratie zunächst unerheblich, ob die vorauto-
ritären demokratischen Regeln einfach wieder in Kraft gesetzt, die alten
autokratischen Verfassungen im Kern revidiert oder völlig neue Verfas-
sungen ausgearbeitet und verabschiedet werden.
Im Hinblick auf den Verlauf der Institutionalisierung der Demo-
kratie müssen insbesondere folgende drei Fragen beantwortet werden:
1. Welche Akteure haben die Institutionalisierung der Demokratie
maßgeblich beeinflußt?
2. Mit welchen Verfahren wurde die Demokratie institutionalisiert?
3. Welche institutionelle Konfiguration weist das neue demokratische
Regierungssystem auf?
ad 1: Akteure
Systematisch I 8assen sich die beteiligten Akteure in "externe" und
"interne" Akteure unterscheiden. Die externen Akteure waren in der
zweiten Demokratisierungswelle die alliierten Siegermächte; unter
internen Akteuren sind die neuen demokratischen Kräfte zu verstehen,
Die internen Einflußfaktoren 211
17 Dies schloß nicht aus, daß auch ehemalige Nazi-Parteigänger wie Globke,
Carstens, Kiesinger oder Filbinger in der Bundesrepublik bis in höchste
Ämter gelangen konnten.
Die internen Einflußfaktoren 215
24 Die Deutsche Bundesbank, die für die Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik
der Bundesrepublik wesentlich mitbestimmend ist, ist nicht im Grundgesetz
verankert, ihre Kompetenzen gehen vielmehr auf ein einfaches Gesetz (Bun-
desbankgesetz) von 1957 zurück. Dennoch erwies sie sich faktisch als eine
wirtschaftspolitische Vetoinstanz ersten Ranges.
Die internen Einflußfaktoren 223
sierte die Autorität der Regierung. Dies kam der bei vielen Bürgern
noch vorhandenen "Untertanenkultur" (AlmondNerba 1963; Sont-
heimer 1989: 133) entgegen. Die Kanzlerdemokratie war mit ihrer
Stabilität, Autorität und Handlungseffizienz zweifellos ein sehr
günstiger institutioneller Kontext, in dem eine Bevölkerung, die
mehrheitlich autoritär sozialisiert und noch vor wenigen Jahren
Hitler begeistert unterstützte, langsam Demokratie lernen, akzeptie-
ren und auch affektiv unterstützen konnte.
• Wahl- und Parteiensystem: Die Stabilität, Autorität und Effizienz
der Kanzlerdemokratie wurde von einem Wahlsystem unterstützt,
das nach einigen Modifikationen 1953 und 1956 die Konzentrati-
onstendenzen des Parteiensystems erheblich förderte. Das teilper-
sonalisierte Verhältniswahlsystem mit seiner 5%-Sperrklausel er-
möglichte die Reduzierung der anfanglich hohen Fragmentierung
der Parteienlandschaft (1949: 9 Parteien im Bundestag) zu einem
Dreiparteiensystem2S (1957: 4; 1961: 3 Parteien im Bundestag),
ohne den Proporz als entscheidendes Element des Wahlsystems
aufzuheben (Nohlen 1990: 192). Das Bundesverfassungsgericht trug
mit seinen Parteienverboten gegen die verfassungsfeindliche Deut-
sche Reichspartei (1952) und die Kommunistische Partei Deutsch-
lands (1956) zusätzlich zur Konzentration und Entideologisierung
des Parteiensystems bei. Das rasch einsetzende Wirtschaftswunder
(vgl. Tab. 12) lieferte zudem eine wichtige Grundvoraussetzung für
die Entpolarisierung der bundesdeutschen Parteienlandschaft. Es eta-
blierte sich ein moderat pluralistisches Parteiensystem, das in der La-
ge war, stabile und handlungsfabige Regierungen hervorzubringen
(Stabilität), ohne den Wählerwillen bei der Mandatsverteilung we-
sentlich zu verzerren oder die repräsentative Einbindung gesell-
schaftlicher Interessen und politischer Strömungen (Inklusion) zu be-
hindern (vgl. dazu allgemein: Merkel1997a: 354ff.).
Aber nicht nur die territoriale Interessenrepräsentation (parteien),
sondern auch die Vertretung funktionaler Interessen durch die Ver-
bände entwickelte sich in der Bundesrepublik relativ günstig. Dies be-
trifft insbesondere das zentrale Verhältnis zwischen Kapital und Ar-
beit. Schon im Grundgesetz einigten sich die Verfassungsgeber mit
25 Die CDU/CSU wird hier aufgrund ihrer gemeinsamen Fraktion aus der par-
lamentarischen Perspektive funktionalistisch als eine Partei begriffen.
Die internen Einflußfaktoren 225
26 Den Idealtyp der civic culture (Staatsbürgerkultur) halten Almond und Verba
flir die günstigste Variante für die Stabilität eines demokratischen Systems:
"The civic culture is a mixed political culture. In it many individuals are ac-
tive in politics, but there are also many who take the more passive role of
subject" (AlmondlVerba 1963: 474).
27 Laut der Civic Culture-Studie war die Stabilität des politischen Systems der
Bundesrepublik stärker von der Performanz des Systems abhängig als in den
vier Vergleichsländem USA, Großbritannien, Italien und Mexiko.
Die internen Einflußfaktoren 227
28 Dies waren: die Liberalen (PLI), die Republikaner (PRI), die Sozialdemo-
kraten (PSDI) und die Sozialisten (PSI).
232 Die zweite Demokratisierungswelle
de, wenn sie auftrat, schnell und wirksam verfolgt und unterdrückt
(Puhle 1995: 203). Die traditionale, ständische und vorindustrielle Ge-
seIlschaftsstruktur sollte erhalten werden, indem die gesellschaftlichen
Konflikte über einen Zwangskorporatismus unterdrückt und unter die
autoritäre Aufsicht des Staates gestellt wurden (Pinto 1992: 91). In der
politikwissenschaftlichen Literatur wird der salazarismo häufig als
"korporativer Autoritarismus" (Linz 1991), mitunter gar als Faschismus
oder "Faschismus ohne Partei" (Lucena 1976) bezeichnet. Präziser ist es
jedoch, vom Estado Novo als korporativem Staat ohne Korporationen zu
sprechen. Denn der Zwangskorporatismus blieb in der nur revidierten
alten republikanischen Verfassung (1933) weitgehend bloßer Verfas-
sungsbuchstabe. Nur die Minderheit der Bevölkerung war tatsächlich in
Korporationen organisiert. Wichtiger als die korporative Einbindung der
Bürger erwies sich vielmehr deren politische Demobilisierung für die
Stabilität des autoritären Systems. Vom Faschismus unterschied sich der
Autoritarismus in Portugal nicht zuletzt durch das Fehlen eines Führer-
kults und der Gewaltverherrlichung, die Demobilisierung der Gesell-
schaft und die nicht vorhandene Doppelstruktur von Parteiregime und
Staatsapparat (Bruneau/MacLeod 1986: 1; Puhle 1995: 203). Der Esta-
do Novo muß deshalb als ein personalistisch-autoritäres Regime be-
schrieben werden, das im anti liberalen, anti-modernistischen und auto-
ritär-korporatistischen Gedankengut des katholischen Integralismus sei-
ne ideologischen Wurzeln hatte (pinto 1992: 127).
Das autoritäre Regime überlebte seinen Gründer Salazar nur um
sechs Jahre (1968-1974). In diesen sechs Jahren siechte das Regime
von Marcello Caetano, nur kurz von einer halbherzigen Liberalisie-
rungsphase unterbrochen, weiter dahin. Es wurde weder wirtschaftlich
noch gesellschaftlich reformiert oder modernisiert. Der Krieg in den
afrikanischen Kolonien ruinierte zunehmend die Staatsfinanzen. Die
Bevölkerung blieb weitgehend demobilisiert. Das Regime war zwar
zu Beginn der siebziger Jahre anachronistisch und morbide geworden,
wurde aber von der politisch weitgehend apathisch-parochialen Be-
völkerung nicht herausgefordert. Deshalb ist es nicht verwunderlich,
daß das Regime "von außen" durch Offiziere gestürzt wurde, die im
Krieg in den portugiesischen Kolonien Afrikas ihre letzten Illusionen
hinsichtlich des Charakters und der Handlungseffizienz des alten Re-
gimes verloren hatten. Aufgrund der politischen Demobilisierung, der
niedrigen Ideologisierung und der anachronistisch gewordenen staat-
246 Die Demokratisierung in Südeuropa
lichen Strukturen hat das alte politische Regime keine drückenden Er-
blasten für die nachfolgende Demokratisierung hinterlassen.
In Portugal erwiesen sich die alten Regimeeliten als unfahig, den Re-
gimewandel selbst einzuleiten und damit Einfluß auf den Ablauf des
Demokratisierungsprozesses zu behalten. Der Impuls zum Wandel kam
deshalb nicht aus dem Regime heraus, sondern aus den mittleren Offi-
ziersrängen der Annee. In den afrikanischen Kolonien hatten schon im
September 1973 beruflich unzufriedene und militärisch desillusionierte
Offiziere der portugiesischen Annee die oppositionelle ,,Bewegung der
Streitkräfte" gegründet. Spätestens ab Dezember desselben Jahres hatte
sie sich gemeinsam auf den Sturz des unfahigen Caetano-Regime ver-
pflichtet (Maxwell 1986: 114). Fünf Monate später, am 25. April 1974,
wurde dann das Regime durch einen Militärputsch gestürzt. Mehrere
Faktoren ennöglichten diesen raschen Sturz des Regimes:
• Der wichtigste Grund war die eklatante Handlungsschwäche des
alten Regimes, während die konspirativen Gruppen der Annee über
eine ausgesprochen effiziente Handlungsstruktur und große Hand-
lungsentschlossenheit verfügten.
• Das Caetano-Regime konnte sich selbst im Staatsapparat nur auf
Teile der Sicherheitspolizei stützen. In der Annee dagegen waren
sich Generäle, Hauptleute und jüngere Offiziere in ihrem Putsch-
ziel einig und verfügten damit fast exklusiv über die Machtmittel
im Staatsapparat.
• Das Regime besaß keinen gesellschaftlichen Rückhalt. Seit 1973
deuteten hingegen massive Streiks, zunächst in der Industrie und
dann auch im Dienstleistungsbereich, den wachsenden aktiven
Protest gegen das Regime an.
• Im Untergrund hatten sich insbesondere die Kommunistische Partei
und ihre Gewerkschaftsorganisation (Intersindical) gut organisiert.
Sie waren bereit, einen Regimesturz durch aktive Mobilisierung
von unten zu unterstützen.
So war 1974 die paradoxe Situation entstanden, daß dem Regime alle
Machtmittel entglitten waren, während sie sich auf der Seite der Re-
gimeopposition konzentriert hatten. Diese Situation faßt Kenneth Ma-
xwell treffend zusammen: "The Portuguese Revolution, therefore, oc-
curred as much because of the collapse of the old political system as
because of the strength of the forces of change" (Maxwell 1986: 115).
254 Die Demokratisierung in Süde uropa
3 Vergleiche dazu dieselben Motive und das identische Ergebnis des Falkland
Abenteuer der argentinischen Generaisjunta 1982. das in deren Sturz münde-
te.
Die Regimeübergänge 257
pan 1996: 90), in der der Kurs einer "von oben" eingeleiteten Trans-
formation durch den "Druck von unten" mitbestimmt und beschleu-
nigt wurde.
Schon zu Lebzeiten hatte Franco Prinz Juan Carlos ausgewählt, um
als sein Nachfolger an der dann monarchischen Spitze des Staates zu
stehen. Allerdings sollte der König nicht die Machtfülle des Caudillos
besitzen, sondern durch die alten Herrschaftsinstitutionen des Regi-
mes (z.B. dem Consejo dei Reino und den Cortei) unterstützt und re-
gimetreu eingerahmt werden. Es war zu Beginn der Transition also
noch unklar, ob der neue König sich stärker der Demokratie oder einer
monarchisch-autoritären Herrschaftsform zuwenden würde. Für letzte-
res sprach zunächst die Bestellung des Alt-Frankisten Arias Navarro
zum Ministerpräsidenten und die Dominanz der regimetreuen Franki-
sten in den Cortes. Die Strategie von Arias Navarro eine regimege-
lenkte "eingeschränkte Demokratie" (MaravalV Santamarfa 1986: 82)
zu etablieren, scheiterte vor allem an zwei Akteuren: Erstens an der
Regimeopposition und zweitens am König. Die unterschiedlichen
Gruppen der Opposition hatten inzwischen die durch die Liberalisie-
rung des alten Regimes neu entstandenen Aktionsräume genutzt und
sich in der Coordinacion Democratica (CD) zusammengeschlossen.
Unter diesem organisatorischen Dach gelang es, die oppositionellen
Aktivitäten von Christdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten, So-
zialisten, Kommunisten, Maoisten und den illegalen Gewerkschaften
zu koordinieren und die restaurative Politik von Arias Navarro durch
Streiks und soziale Mobilisierung zu verhindern. Als klar wurde, daß
die Regierung Navarro keine weiterführenden Verhandlungen mit der
Opposition aufnehmen wollte, veranlaßten eine Abstimmungsnieder-
lage im Parlament durch die frankistischen Hardliner (des sog. "Bun-
entierten sich später bei den Systemwechseln in Polen und Ungarn zentrale
Transformationsakteure auch an dem erfolgreichen "spanischen Modell".
5 Die Cortes entstanden im 12. Jahrhundert als königlicher Hofrat mit beacht-
lichen Kompetenzen bei der Steuer-, Haushalts- und allgemeinen Gesetzge-
bung. Sie wurden im 16. Jahrhundert durch den Absolutismus entmachtet
und mit der Liberalisierung von 1810 erneut eingeführt. Danach fungierten
sie bis ins 20. Jahrhundert meist als parlamentarisches Organ der konstitutio-
nellen Monarchie. 1942 wurden die Cortes unter Franco als Gesetzgebungs-
organ formal verankert. Die Abgeordneten wurden entweder ernannt oder
von ständischen Gruppen der Gesellschaft "gewählt". In den Cortes von
1975/6 dominierten noch die überzeugten Anhänger des Franco-Regimes.
260 Die Demokratisierung in Südeuropa
kers sowie der Druck des Königs Arias Navarro zum Rücktritt
H
)
(ibid.). Mit der Ernennung von Adolfo Suarez6 zum neuen Minister-
präsidenten stellte der König die Weichen für die weitere Demokrati-
sierung. Nach Francos Tod war damit die zweite wichtige Etappe der
Ablösung des alten Regimes durchschritten.
Die dritte Phase von Juni 1976 bis Dezember 1978 war von Ver-
handlungen zwischen den reformorientierten postfrankistischen Eliten
einerseits und der Regimeopposition andererseits bestimmt. In den
Verhandlungen ging es nicht mehr um die Frage Demokratie oder
Autokratie, sondern um die konkreten Modi und Tempi des Über-
gangsprozesses und der demokratischen Regierungsform. Vereinbart
wurden das grundlegende "Gesetz über die politische Reform" (1976),
der Modus der ersten freien Parlamentswahlen (1977) und der Inhalt
der demokratischen Verfassung (1978). Da diese Phase stärker von
der Institutionalisierung der Demokratie als von der Ablösung des
frankistischen Regimes bestimmt war, soll diese im folgenden Kapitel
behandelt werden.
Die charakteristischen Merkmale der autoritären Regime und deren
Ablösung werden in Tabelle 13 noch einmal zusammengefaßt (siehe
Tab. 13);
Durch die Art der Ablösung des alten Regimes wird bis zu einem be-
stimmten Grad auch Dauer, Modus und Inhalt der Institutionalisierung
der Demokratie geprägt. In Griechenland vollzog sich dieser Institu-
tionalisierungsprozeß (Juli 1974 bis Dezember 1974) kürzer als in den
beiden iberischen Ländern, da er allein von Zivilisten ohne Mitwir-
kung des alten Regimes vollzogen wurde. In Spanien mußte zwischen
den reformorientierten Eliten des alten Regimes und der Regimeoppo-
sition, der prekäre Demokratisierungsprozeß Etappe für Etappe ver-
In der Kalkulation von Linz und Stepan wird die Länge des Transiti-
onsprozesses in Portugal mit über acht Jahren angegeben. Auch in un-
serer Periodisierung, die diese Etappe nicht als Transition,' sondern
präziser als die Phase der Institutionalisierung bezeichnet, ist diese
zeitliche Eingrenzung sinnvoll. Damit beginnt der Prozeß der Institu-
tionalisierung der Demokratie in Portugal mit den Wahlen zur verfas-
262 Die Demokratisierung in Südeuropa
7 Die Verfassung wurde mit den Stimmen der Sozialisten (PS), der Sozialde-
mokraten (PSD) und der Kommunisten in der verfassungsgebenden Ver-
sammlung abgestimmt. Nur die rechtsgerichtete CDS stimmte dagegen. Die
Verfassung trat am 25. April 1976 in Kraft.
Die lnstitutionalisierung der Demokratien 265
sche Parlament ohne illiberale Restriktionen, wie dies noch vor 1967 der
Fall gewesen war. Linz und Stepan sehen spätestens zu diesem Zeit-
punkt (142 Tage) die Transition als erfolgreich beendet an (ibid.: 132).
Allerdings war zu diesem Zeitpunkt weder das Problem der Bestra-
fung der Regimeverbrechen gelöst noch eine neue Verfassung ausge-
arbeitet. Mit einem demokratisch legitimierten Parlament, einer kon-
solidierten Regierung, der zivilen Kontrolle über das· Militär sowie
personellen Veränderungen in der Justiz waren 1975 beide Aufgaben
jedoch leichter zu bewältigen als noch 1974 zur Zeit der provisori-
schen Interimsregierung. Die vereitelten Putschvorbereitungen in
Teilen des Heeres lieferten dann im Februar 1975 den Anlaß, die
Putsch-Obristen von 1967, die Verantwortlichen der Junta für die Nie-
derschlagung des Studentenprotestes von 1973 und die direkt an Fol-
terung und Regimeverbrechen beteiligten Militärs und Sicherheitspo-
lizisten vor Gericht zu stellen. Die drei Putschführer - Papadopoulos,
Pattakos und Makarezos - erhielten eine lebenslängliche Freiheitsstra-
fe. In mehr als 100 Gerichtsverfahren wurden Regimeverbrechen,
Menschenrechtsverletzungen und Hochverrat angeklagt und verurteilt
(Huntington 1991: 220). Damit ist Griechenland eines der wenigen
Länder der dritten Demokratisierungswelle, die eine rechtsstaatliche
und umfangreiche Verurteilung und Bestrafung der eklatanten Regi-
meverbrechen durchführte. Mit der Bestrafung lösten die demokrati-
schen Institutionen eine zentrale Gerechtigkeitsforderung ein, die als
"legacy problem" (Herz 1982) die Legitimität und innere Sicherheit
vieler neuer Demokratien der "Dritten Welle" belastete. Am 9.6.1975
trat dann die neue demokratische Verfassung der rn.Griechischen Re-
publik in Kraf{ Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Institutio-
nalisierungprozeß der Demokratie in Griechenland erfolgreich abge-
schlossen.
Seite kam es nicht zu einem politischen Veto. Mit der Zulassung der
Kommunistischen Partei zu den anstehenden Parlamentswahlen hatte
Smirez nicht nur eine illiberale Restriktion für das demokratische Sy-
stem beseitigt, sondern auch die Voraussetzung dafür geschaffen, daß
sich die Kommunisten, die über eine beachtliche Mobilisierungsfä-
higkeit in der Industriearbeiterschaft verfügten, in eine Serie von Ab-
sprachen und Pakten in das demokratische Institutionalisierungspro-
jekt einbauen ließen (LinziStepan 1996: 98).
3. Die Gründungswahlen von 1977. Im Juni 1977 wurden die ersten
freien und unbeschränkt kompetitiven Wahlen in Spanien durchge-
führt. Die bürgerliche Zentrumsunion (UCD: 34,6%) von Adolfo
Suarez erhielt die relative Mehrheit. Die Sozialisten (pS OE: 29,4%)
wurden zweitstärkste Partei. Die rechtsgerichtete Allianza Popular
(AP: 8,4%) und die Kommunistische Partei (PCE: 9,4%) schnitten
deutlich schwächer ab (Barrios 1997: 567). Das Wahlergebnis brachte
für den weiteren Demokratisierungsprozeß zwei positive Effekte mit
sich. Erstens gewannen die bei den gemäßigten Parteien der Mitte zwei
Drittel der Wählerstimmen und aufgrund des verstärkten Verhältnis-
wahlsystems· drei Viertel der Parlamentssitze. Zweitens schälten sich
zwischen der Linken und Rechten zwei etwa gleichgroße Lager her-
aus, die einer zentripetalen Wettbewerbslogik folgten. Aus dieser
Pattsituation entwickelte sich eine parteiübergreifende Konsenspolitik,
die die Ausarbeitung der Verfassung erheblich erleichterte und ihre
Legitimität stärkte (Kraus 1996: 271).
4. Ausarbeitung und Verabschiedung der Verfassung. Der Konsens-
charakter in der zweiten Hälfte der demokratischen Institutionalisie-
rungsphase wurde bei der Verfassungsausarbeitung noch einmal ver-
stärkt. Alle vier im Parlament vertretenen gesamtspanischen Parteien
(AP, UCD, PS OE, PCE) sowie die katalanischen Nationalisten (CiD)
waren aktiv an den Arbeiten zur demokratischen Verfassung beteiligt,
wobei die Schlüsselentscheidungen nur von den Parteispitzen getrof-
fen wurden (Arias-Salgado 1988: 320). Auch hier gaben die beiden
größten Parteien UCD und PSOE den Ton an. Sowie die Verhandlun-
11 Linz und Stepan (1996: 106) weisen auf die umgekehrte Wahlfolge in Jugo-
slawien und der Sowjetunion hin. Dort habe die vorzeitige Abhaltung regio-
naler Wahlen zu einer Verstärkung der Nationalismus-Problematik geführt.
Dies führte zur Verschärfung sezessionistischer Bestrebungen, die zu natio-
Die lnstitutionalisierung der Demokratien 273
**
sungsrevision von 1982;
Die enge Periode erstreckt sich von der Absetzung des Sala-
**
zum Inkrafttreten der Verfassung 1975;
die enge Periode erstreckt sich vom Sturz der Junta bis zum
9.12.1994, als das gewählte griechische Parlament zusam-
mentrat und der Ministerpräsident dem Parlament gegenüber
verantwortlich wurde.
Spanien: * Die weite Periode erstreckt sich vom Tode Francos 1975 bis
**
zur Etablierung der autonomen Gemeinschaften 1979;
die enge Periode erstreckt sich vom Tode Francos bis zum
Inkrafttreten der Verfassung am 1.1.1979.
Die erfolgreiche Konsolidierung der Demokratien 275
Von den drei Verfassungen schrieb allein die spanische von Anfang
an ein rein parlamentarisches Regierungssystem vor. Die spanische
Regierung ist dem Parlament verantwortlich und kann von diesem
durch ein konstruktives Mißtrauensvotum abgesetzt werden (Art. 113
und Art. 175). Der Ministerpräsident kann das Parlament in Zu sam-
menwirkung mit dem Staatsoberhaupt nach präzise festgelegten Re-
geln auflösen (Art. 115)12. Die Kompetenzen zwischen Parlament und
Regierung sowie zwischen Staatsoberhaupt und Kabinett sind eindeu-
tig abgegrenzt und geben der Regierung und dem Ministerpräsidenten
eine starke Stellung. Das konstruktive Element des Mißtrauensvotums
stärkt zusätzlich die Stabilität des Kabinetts. Die Auflösung des Par-
13 Mit der Verfassungsrevision von 1986 wurden die Kompetenzen des Staats-
präsidenten erheblich eingeschränkt. Er kann nun das Parlament nur unter er-
heblich erschwerten Bedingungen auflösen (zu Details vgl. Zervakis 1997:
622). Mit der Verfassungsrevision von 1986 wandelte sich das präsidentiell-
parlamentarische zu einem rein parlamentarischen Regierungssystem.
Die erfolgreiche Konsolidierung der Demokratien 277
Mehrheit stürzen, muß aber keine konstruktive Mehrheit für die Wahl
eines neuen Regierungschefs aufbringen (Zervakis 1997: 630). Die
Verfassungskonstruktion erinnert in wesentlichen Teilen an die par-
lamentarisch-präsidentiellen Regierungssysteme der V. Französischen
Republik und der Republik Polen nach 1989. Damit ist die Kompe-
tenzabgrenzung zwischen Legislative und Exekutive sowie die Macht
zwischen Staatspräsident und Regierungschef nicht präzise gezogen.
Die Kooperations- und Entscheidungsfahigkeit der Regierung ist da-
mit in hohem Maße von den partei politischen Konstellationen von
Präsident, Ministerpräsident und Parlamentsmehrheit abhängig. Damit
waren theoretisch die Voraussetzungen für institutionelle Konflikte in
der Verfassung angelegt, wie sie sich auch tatsächlich in der politi-
schen Realität Polens zwischen 1990-1995 konsolidierungshemmend
enfaltet haben. Griechenland blieben solche institutionellen Konflikte
in der Konsolidierungsphase von 1975-81 erspart. Denn real funktio-
nierte das System wie ein parlamentarisches Regierungssystem. Die
überragende Figur des Ministerpräsidenten Karamanlis dominierte die
aktuelle Politik, während der Staatspräsident (Konstantin Tsatsos) sich
weitgehend auf die zeremoniellen Pflichten beschränkte. Als Kara-
manlis dann 1980 ins Amt des Staatspräsidenten wechselte, hielt er
sich seinerseits aus der Tagespolitik heraus. Sein Nachfolger im Amt
des Ministerpräsidenten, der Sozialist Andreas Papandrou, führte seit
1981 mit dem gleichen Charisma und noch verstärkter Autorität die
Regierungsgeschäfte. De facto funktionierte Griechenlands politisches
System von Anfang an also nach den Regeln eines parlamentarischen
Regierungssystems. Mit der Verfassungsrevision von 1986 wurde es
dann auch de jure als solches in der Verfassung festgeschrieben. Es
war die "Präzidenzien schaffende Rollenentscheidung" (Steffani, zit.
nach: Zervakis 1988: 410), insbesondere des dominierenden ersten
Ministerpräsidenten Konstantin Karamanlis (1974-1980) und des zu-
rückhaltenden Staatspräsidenten Konstantin Tsatsos (1974-1980), die
Griechenland von Anfang an faktisch zu einem parlamentarischen
Regierungssystem machten. Dies wirkte sich positiv auf die Stabilität
und Handlungsfähigkeit der Regierung und damit konsolidierungsför-
demd auf die Demokratie insgesamt aus. Lähmende Verfassungskon-
flikte, wie sie in semipräsidentiellen Regierungssystemen strukturell
angelegt sind und sich später in Polen und Rußland manifestierten,
blieben der jungen griechischen Demokratie erspart.
278 Die Demokratisierung in Südeuropa
Parteiensysteme
16 = =
DS Centro Democratico Socia!; PCP Partido Comunista Portugues; PS =
Partido Socia!ista; PSD = Partido Socia! Democrata.
Die erfolgreiche Konsolidierung der Demokratien 283
Volatilität. Mit dem Konzept der volatility wird die Summe der Netto-
Wählergewinne und Netto-Verluste der relevanten Parteien von Wahl
zu Wahl gemessen. Eine niedrige Wählerfluktuation gibt Hinweise
auf den Grad der Konsolidierung des Parteiensystems. Die durch-
schnittliche Volatilitätsrate der westeuropäischen Staaten betrug in
den achtziger Jahren 9.6%17 (Morlino 1995: 319). Demgegenüber wei-
sen die drei südeuropäischen Länder von den ersten freien Wahlen
Mitte der siebziger bis zur Mitte der neunziger Jahre (1994) eine hö-
here Wählerfluktuation auf. Dies gilt insbesondere für Spanien mit
16,9%, aber auch für Portugal mit 13,3% und Griechenland mit 12,5%
(Morlino 1995: 318). Zwar ist die Stabilität der Wählerbindung insbe-
sondere in Spanien geringer als im Durchschnitt der etablierten west-
europäischen Demokratien ausgeprägt, doch die Unterschiede sind
keineswegs dramatisch und haben sich in der letzten Dekade noch
weiter verringert. In Griechenland lagen sie sogar unter dem westeu-
ropäischen Durchschnitt (ibid.). Auch die Entwicklung der Wähler-
fluktuation zeigt für Südeuropa keine destabilisierenden Anomalien
gegenüber den etablierten Demokratien Westeuropas.
Kritische Wahlen. Die über zwei Jahrzehnte gemessenen Durchschnitts-
werte der volatility verbergen mögliche Zäsuren oder dramatische
Wählerverschiebungen anläßlich einer bestimmten Parlamentswahl.
Treten solche erheblichen Verschiebungen auf, kann man von ,,kriti-
schen Wahlen" sprechen (Morlino 1995: 319). Sie sind in Hinblick
auf die demokratische Konsolidierung deshalb "kritisch", weil es zu-
nächst offen ist, ob ein solches dekonsolidierendes dealignment l8 in
ein konsolidierendes realignment einer erneuten Wähler-Partei-Bin-
dung mündet. Tritt eine erneute Anbindung der Wähler an die Partei-
en nicht ein, bleibt die Konfiguration des Parteiensystems instabil. Ein
solch instabiles Parteiensystem kann in noch nicht konsolidierten
Portugal
Griechenland
halb der Verband lange weder für Gewerkschaften noch für die Regie-
rung ein attraktiver Verhandlungspartner war. Ein bisher kaum über-
windliches Organisationshemmnis für die Arbeitgeber liegt in der
Unternehmensstruktur der griechischen Wirtschaft. Mehr als 90% al-
ler Betriebe haben nur zehn oder weniger Angestellte. Ihre heteroge-
nen Interessen sind nur schwer in einer gemeinsamen Verbandspolitik
zu bündeln (Zervakis 1997: 642).
Die organisatorische Fragmentierung der Arbeitgeber- wie Arbeit-
nehmerseite, die Reformverschlossenheit der Unternehmerverbände
bis weit in die achtziger Jahre hinein und die steten Instrumentalisie-
rungsversuche der Gewerkschaften durch die Regierung haben in
Griechenland während der Phase der demokratischen Konsolidierung
keine kooperativen Arbeitsbeziehungen entstehen lassen. Die Folge
war, daß die Gewerkschaften häufig zum Streik als Mittel der Interes-
sendurchsetzung griffen. Griechenland gehörte in den siebziger und
achtziger Jahren zu den westeuropäischen Ländern mit den höchsten
Streikraten (Axt 1994: 89).
Die auch nach der Wiedereinführung der Demokratie im Jahre
1974 anhaltende "paternalistische Fesselung der Gewerkschaften"
(Zervakis 1997: 642) durch den Staat stellte eine Achillesferse des
Modernisierungs- und Demokratisierungsprozesses in Griechenland
dar. Sie hat zwar nicht die Konsolidierung der Demokratie gefährdet,
aber aus liberaldemokratischer Sicht in der Gesellschaft Bereiche ge-
schaffen, die nicht von den gesellschaftlichen Kräften selbstverant-
wortlich organisiert wurden, sondern nach etatistisch-paternalisti-
schem Muster von den griechischen Regierungen obrigkeitsstaatlich
reguliert und kontrolliert wurden.
Spanien
deo In der Transitionsphase entstand deshalb erst 1977 mit der Fusion
von drei Einzelverbänden in der Dachorganisation CEOE (Con-
federaci6n Espaiiola de Organizaciones Empreseriales) ein zentraler
Unternehmerverband. Dieser wurde aber sehr rasch mit einem Organi-
sationsgrad von fast 80% zur quasi-monopolistischen Interessenorga-
nisation der Unternehmer (Merkel 1989: 637). Dies wären zunächst
von der Arbeitgeberseite günstige organisatorische Voraussetzungen
für eine konzertierte Wirtschaftspolitik. Allerdings besitzt die CEOE
wie die meisten Unternehmerverbände in wichtigen wirtschaftlichen
Fragen, wie etwa dem Investitionsverhalten der Unternehmen, nur
wenig Durchsetzungsfähigkeit gegenüber ihren eigenen Mitgliedern.
Gewerkschaften verfügen dagegen in der Regel über eine weit hö-
here Verpflichtungsfähigkeit gegenüber ihren Mitgliedern. Die spani-
schen Gewerkschaften waren zwar zu Beginn der Demokratisierung
auch relativ gut organisiert, da sie auf die stabilen Organisationskerne
der schon in der Endphase des Franco-Regimes geduldeten Comisio-
nes Obreras (CCOO)23 zurückgreifen konnten. Doch kam es in der
spanischen Gewerkschaftsbewegung nach 1975 nie zu einer ver-
gleichbaren Konzentration wie auf der Arbeitgeberseite. Denn die
Gewerkschaften waren und sind in Spanien wie in ganz Südeuropa
richtungspolitisch in kommunistische (CCOO), sozialistische (UGT)
und regionalistisch-autonomistische (u.a. ELA-STV) Gewerkschaften
gespalten. Ihre Repräsentativität ist bei einem Organisationsgrad von
ca. 10% (1990)24 seit über einem Jahrzehnt die niedrigste in ganz
Westeuropa. Damit muß befürchtet werden, daß die Gewerkschaften
nur bedingt für die Arbeiter sprechen und lohnpolitische Verhand-
lungsergebnisse gegenüber der Arbeiterschaft nicht durchsetzen kön-
nen. Es bestanden also seit den späten siebziger Jahren von Arbeit-
nehmerseite ungünstige organisatorische Voraussetzungen für eine
neokorporatistische Kooperation in den industriellen Beziehungen.
Aber trotz der schlechten organisatorischen Ausgangsbedingungen
und entgegen der zentralen Theoreme der Neokorporatismusforschung
25 Der Major Otelo de Cavalho war der militärische Organisator der Nelkenre-
volution in Lissabon und zählte rasch zum linksradikalen Flügel der MFA.
Die eifolgreiche Konsolidierung der Demokratien 295
27 Wir werden uns dabei maßgeblich auf die Vergleichsanalyse von Morlinol
Montero (1995) stützen, die sowohl von der Systematik ihrer Daten als auch
der Umsicht ihrer Interpretationen für Südeuropa konkurrenzlos ist.
28 Morlino und Montero sprechen deshalb von "vier" Ländern, weil sie neben
Griechenland, Portugal und Spanien auch Italien mit in ihre Analyse einbe-
zogen haben.
29 Zum westeuropäischen Vergleich siehe u.a. Gabriel 1992; zu Portugal: Bru-
neau 1983; zu Spanien: McDonoughIBameslPina 1986; zu Griechenland: Di-
mitrias 1987.
Die erfolgreiche Konsolidierung der Demokratien 299
Aber nicht nur gegenüber Italien sondern auch im Vergleich mit den
Staaten der Europäischen Gemeinschaft zeigen die drei südeuropäi-
schen Länder demokratiefreundlichere Einstellungen als der EG-
Durchschnitt. So antworteten auf die Frage, ob Demokratien autoritä-
ren Regimen vorzuziehen seien, 90% der Griechen, 83% der Portugie-
sen und 78% der Spanier mit ,)a". Der Durchschnitt aller Bürger der
Europäischen Gemeinschaft zu dieser Frage lag im selben Jahr (1992)
bei 78% (MorlinolMontero 1995: 238).
Auch hier zeigen sich wieder die besten Werte für Griechenland, das
unter allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union 1992 an zweiter
Stelle lag. Morlino und Montero geben dafür zwei plausible Gründe
an. Erstens hat Griechenland die "am stärksten politisierte Gesell-
schaft" aller drei Länder (ibid.: 251; ähnlich auch: Dimitras 1987:
64ff.; Zervakis 1997: 643). Die griechischen Bürger besitzen deutlich
mehr Interesse, Leidenschaft, Enthusiasmus und positive Einstellun-
gen gegenüber der Politik im allgemeinen als die Bevölkerung in
Spanien und Portugal. Zweitens zeigt sich in Griechenland die mit
Abstand stärkste Ablehnung der Diktaturen der eigenen unmittelbaren
Vergangenheit. Dies ist vor allem auf die kurze Herrschaftsdauer des
autoritären Regimes (1967-74), seine geringe soziale Verankerung,
die extrem schmale Herrschaftskoalition, die kaum vorhandene Insti-
tutionalisierung der Militärdiktatur, seine außenpolitischen Mißerfolge
und sein schmachvolles Ende zurückzuführen.
30 Es kann vermutet werden, daß daran vor allem die modemen Massenmedien
ursächlich beteiligt sind, die nach den Gesetzen des Nachrichtenmarktes be-
sonders mit Nachfrage und Umsätzen rechnen können, wenn sie die Kom-
plexität der politischen Probleme auf Personen, Skandale und Korruption re-
duzieren. Obwohl diese Vermutung immer wieder formuliert wird, bedarf es
noch fundierter empirischer Analysen zu ihrer Stützung.
304 Die Demokratisierung in Süde uropa
31 Das Kapitel zu Ost- und Südostasien wurde gemeinsam von mir und meinem
Mitarbeiter Aurel Croissant verfaßt.
32 Auch Papua-Neuguinea ist eine Demokratie der dritten Welle. Da es sich
hierbei aber um einen klassischen Fall der Demokratisierung durch Entkolo-
nialisierung handelt, wird der 1975 von Australien in die Unabhängigkeit
entlassene Inselstaat hier nicht behandelt.
306 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
Von den hier untersuchten Ländern können die Philippinen auf den
größten Fundus demokratischer Erfahrungen zurückgreifen. Bereits
unter der amerikanischen Kolonialverwaltung (1899-1946) entwik-
kelten sich erste Strukturen, auf die die philippinische Demokratie
nach der Unabhängigkeit des Landes zurückgreifen konnte,' so eine
unabhängige Justiz nach amerikanischem Vorbild (ab 1901), politi-
sche Parteien (ab 1907), eine semi-demokratische Verfassung (1935)
sowie eine unter der Schirmherrschaft der USA stehende, zivile Re-
gierung und Verwaltung der einheimischen Eliten (Buendia 1994: 85-
88; Tate 1997). Im Unterschied zu den meisten anderen asiatischen
Demokratien der zweiten Welle und ungeachtet gravierender sozio-
politischer Defekte (v.a. tiefgreifende soziale Ungleichheiten, ein oli-
garchischer Charakter des politischen Prozesses sowie die Abschot-
tung der politischen Strukturen gegenüber der breiten Masse der Be-
völkerung) gelang es der stark elitenzentrierten Demokratie zunächst,
die verschiedenen sozialen Gruppen und Elitenfraktionen erfolgreich
in das politische System einzubinden.
Auch Präsident Ferdinand Marcos war 1965 durch demokratische
Wahlen an die Macht gelangt. Als einzigem Präsidenten in der Ge-
schichte der Philippinen gelang ihm 1969 die Wiederwahl. Mit der
Verkündung des Kriegsrechts 1972, dem Verbot politischer Parteien
sowie der Verabschiedung einer auf seine Person zugeschnittenen
Verfassung beendete Marcos dann jedoch die Demokratie. Damit rea-
gierte er auf die zunehmende Kritik der alten herrschenden Eliten an
seiner Amtsführung, die das auf der selbstdisziplinierten Ausnutzung
der Staatsfinanzen basierende fragile Machtgleichgewicht der philip-
pinischen Eliten- und Klienteldemokratie zusehends zugunsten von
Marcos und seinen persönlichen Gefolgsleuten verschoben hatte (Pei
Die Typen autoritärer Regime 309
Das autoritäre Regime in Taiwan hat unter den Diktaturen des west-
lich-kapitalistischen Lagers eine Sonderstellung eingenommen. Mit
der Ausnahme Mexikos handelte es sich um die einzige dauerhafte
Einparteiendiktatur in der Gruppe der marktwirtschaftlieh organisier-
ten autoritären Modemisierungsregime nach dem zweiten Weltkrieg.
Träger der autoritären Herrschaft war die häufig fälschlicherweise als
leninistische Staatspartei 15 bezeichnete Kuomintang (Nationalpartei,
KMT) unter Führung der charismatischen Staatspräsidenten Chiang
Kai-shek (1949-1975) sowie seines Sohnes Chiang Ching-kuo (1975-
1987). Nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg auf die Insel
Taiwan geflohen (1949), bezog das autoritäre nationa1chinesische Re-
gime seine Legitimität im wesentlichen aus drei Quellen (Halbeisen
1992: 2f.; Wu 1995: 11f.):
• der ideologischen Legitimität, die unter Rückgriff auf die nationale
Ideologie der Drei- Volks-Prinzipien Sun Yat Sen/6 entstehen sol1-
35 Wie Lu Ya-li (1991: lllt) ausführt, glich die 1912 offiziell gegründete und
1924 aus verschiedenen Revolutionsparteien im Umfeld der Revolution von
1911 unter sowjetischer Mithilfe reorganisierte KMT zwar in ihrem organi-
satorischen Aufbau einer leninistischen Kaderpartei. Ihr fehlte aber die für
diesen Typ von Partei charakteristische strikte Entscheidungshierarchie
("demokratischer Zentralismus"), die rigide Parteidisziplin sowie eine Partei-
ideologie als geschlossenes Glaubens- und Wertesystem. Auch beanspruchte
die KMT nicht eine partikuläre Klasse, sondern das gesamte chinesische
Volk zu repräsentieren.
36 Die "Drei Grundlehren des Volkes" waren im einzelnen (I) Nationalismus,
d.h. nationale Unabhängigkeit und ein gleicher und unabhängiger Status
Chinas in der internationalen Gemeinschaft, (2) das Prinzip der Rechte des
Volkes (Verwirklichung einer chinesischen Demokratie mit Bürgerrechten
für alle Chinesen und der Beteiligung der Bevölkerung an politischen Ent-
312 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
te. Damit verbunden war der Anspruch, die einzige legitime Regie-
rung und völkerrechtliche Vertretung Gesamtchinas zu sein;
• der Bedrohung der nationalen Sicherheit Taiwans durch die VR
China, die insbesondere unter den mehr als 2.000.000 mit der Re-
gierung nach Taiwan geflohenen Gefolgsleuten der KMT Wirkung
zeigte;
• dem großen wirtschaftlichen Modernisierungserfolg insbesondere
in den ersten drei Jahrzehnten der KMT-Herrschaft.
Die Herrschaft der Staatspartei KMT gründete sich dabei auf sechs Si-
cherungsmechanismen (Tien 1992: 5ff.; Pei 1998a):
1. die Durchdringung des gesamten Staatsapparats mittels Partei-
kadern sowie der Gesellschaft durch die Massenorganisationen der
Partei;
2. die Hegemonialisierung des Parteiensystems37 durch die KMT;
3. ein inklusiver Staatskorporatismus, der die großen Kapitalverbän-
de, Gewerkschaften und andere funktionale Repräsentationsorgane
einer strikten und effektiven Kontrolle des Regimes unterstellte;
4. die Übertragung des Regierungssystems der Republik China
(1911-1949) auf das politische System der Insel Taiwan unter
Wahrung der personellen und institutionellen Kontinuität des Fest-
landregimes;
die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen und die Sicherheitskräfte zu ver-
treiben. Nur wenige Tage später ließen die Putschisten Kwangju jedoch von
Eliteeinheiten stürmen. Bis heute ist die wirkliche Zahl der Opfer nicht be-
kannt: während offizielle Angaben von 189 Toten sprachen, berichteten Dis-
sidentenkreise von über 2.000 Opfern (vgl. Curnmings 1997: 377f.).
43 Fast frei waren die Wahlen deshalb, weil die neugegründete oppositionelle
NKDP ihren Wahlkarnpfweitgehend ohne Beeinträchtigungen durch das Re-
gime führen konnte. Die Medien berichteten ausführlich über Programme
und Veranstaltungen der Opposition. Zwar waren umfangreiche "Sicherun-
gen" gegen einen oppositionellen Wahlsieg in das Wahlsystem eingebaut.
Stirnmabgabe und -auszählung waren jedoch verglichen mit vorhergehenden
Wahlen weitgehend frei und ungefälseht.
Die Regimeübergänge 319
rungen als das "kleinere Übel" auch gegen den starken Widerstand ih-
rer eigenen Gesellschaften zu stützen. Zusätzlich stand das Land auf-
grund der bevorstehenden Olympischen Spiele im folgenden Sommer
im Rampenlicht der internationalen Medien. Eine Verschiebung oder
gar Absage der Spiele, die unter den gegebenen Umständen wohl
kaum hätten abgehalten werden können,hätte das Land international
isoliert. Angesichts der hohen innen- und außenpolitischen Kosten ei-
ner repressiven Lösung konnten schließlich die Softliner um Roh Tae
Woo, dem Präsidentschaftskandidaten des Regimes, die regimeinterne
Machtfrage für sich entscheiden (Croissant 1998a). Mit seiner Erklä-
rung vom 29. Juni des Jahres (,,6/29-Declaration") ging Roh auf die
meisten Forderungen der Demokratiebewegung ein und gab somit den
Weg für die Demokratisierung frei.
Zusammenfassend läßt sich für das Ende des bürokratisch-militä-
rischen Regimes Südkoreas folgendes festhalten:
Ursachenkomplex: Auch in Südkorea läßt sich eine Verstärkungswir-
kung von ineinandergreifenden internen und externen Faktoren als ur-
sächlich für das Ende des autoritären Regimes erkennen. Wie auf den
Philippinen zwangen Strukturveränderungen und die dadurch verur-
sachte Verschärfung der Legitimitätskrise die Regimeeliten zum poli-
tischen Handeln. Und auch in Südkorea unterlagen die herrschenden
Eliten Fehleinschätzungen. Allerdings gibt es auch einige Abweichun-
gen zum Ende des Marcos-Regimes auf den Philippinen. Der heraus-
ragende Unterschied zwischen beiden Ländern war, daß in Südkorea
nicht ökonomische Ineffizienz, sondern im Gegenteil eine ausgespro-
chene wirtschaftliche Effizienz, d.h. die erfolgreiche sozioökonomi-
sche Modernisierung des Landes, zu einer verschärften Legitimitäts-
krise der autokratischen Herrschaft führte. Geradezu klassisch dem
Paradigma der Modernisierungstheorie folgend, erhoben die neu ent-
standenen Mittelschichten, die radikalisierten Studenten und Teile ei-
ner nicht mehr existentiell bedrohten Arbeiterschaft auf der Basis ihrer
materiellen Sicherung verstärkt die Forderung nach politischer Parti-
zipation und Mitentscheidung. Gleichzeitig machten die USA als le-
benswichtiger Verbündeter Südkoreas deutlich, daß sie eine erneute
Repression der gesellschaftlichen Opposition durch das Militär nicht
mehr mittragen würden. Dies engte die Handlungsoptionen der Herr-
schaftseliten soweit ein, daß die Öffnung des Regimes als rationalste
Die Regimeübergänge 321
Viel stärker als auf den Philippinen oder in Südkorea war das Ende
des autoritären Regimes in Taiwan durch das Handeln der Regimeeli-
ten geprägt. Nach ihrer Flucht vor den siegreichen Kommunisten
1949 vom Festland auf die Insel Taiwan war es der nationalchinesi-
schen Regierung unter dem bis 1974 amtierenden Staatspräsidenten
Chiang Kai-shek gelungen, ein äußerst stabiles und institutionell aus-
differenziertes autoritäres Regime zu etablieren.· Unter der Führung
der Kuomintang gelang es den autoritären Eliten, durch eine Mi-
schung aus staatskorporatistischer Kontrolle der Verbände, Einbin-
dung unterschiedlicher sozialer Gruppen in die Massenorganisationen
der Partei sowie die faktische Suspendierung der noch auf dem Fest-
land eingeführten demokratischen "Nanking"-Verfassung von 1947
durch ein Notstandsregime ihre Einparteienherrschaft abzusichern und
somit den politischen Raum gegenüber organisiertem gesellschaftlichen
Protest zu schließen (Tien 1992: 5ff.).
Erst in den 70er Jahren begann sich als Reaktion auf die extern
ausgelöste und durch interne Faktoren verschärfte Legitimitätskrise
des Regimes eine über die lokale Ebene und individuelle Dissidenz
hinausreichende nationale Oppositionsbewegung zu formieren (Schu-
bert 1994: 46ff.). Mit zunehmender Urbanisierung, Anhebung des
322 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
Wahlen auf lokaler und nationaler Ebene zu (Wu 1995: 34ff.). Aus
der Dangwai ging 1986 schließlich mit der Demokratischen Fort-
schrittspartei (DFP) die erste eigenständige Oppositionspartei Tai-
wans hervor. Deren faktischer Anerkennung durch das Regime folgte
1987 die Aufhebung des seit 1949 geltenden "Belagerungszustands"
und die Zulassung politischer Parteien. Gleichzeitig ließ die KMT ihre
Bereitschaft erkennen, über die weitere Demokratisierung der Verfas-
sung sowie der zentralen politischen Institutionen mit der DFP zu
verhandeln. Auf den Druck der politischen Opposition und verschie-
dener zivilgesellschaftlicher Akteure reagierten die Regimeeliten mit
der politischen Überlebensstrategie, die bereits in den 70er Jahren
eingeleitete lange Liberalisierungsphase in das Stadium einer von
oben gelenkten Demokratisierung überzuleiten.
Die Ursachen und Verlaufsformen des Endes der autoritären Kuo-
mintang-Herrschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ursachenkomplex: Im Unterschied zu den Philippinen und Südkorea
wurde das Ende des autoritären Regimes Taiwans wesentlich stärker
durch externe Ursachen miteingeleitet. Aufgrund der außenpolitischen
Öffnung der USA gegenüber der Volksrepublik China unter Richard
Nixon (1971) und der damit verbundenen internationalen Isolierung
der Republik Taiwan (verschärft nach 1979) begann das KMT-Regi-
me auch innenpolitisch an Legitimität zu verlieren. Verstärkt wurden
diese Legitimitätsprobleme intern durch die zunehmenden Erfolge der
taiwanesischen Modernisierungspolitik, die, wie im Falle Südkoreas,
mit den gut ausgebildeten modernen Mittelschichten zugleich auch
politische Partizipationsforderungen hervorbrachten. Unter dem dop-
pelten Druck, der außenpolitischen Isolierung einerseits und den in-
nenpolitischen Forderungen andererseits, wurde das Regime zu Libe-
ralisierungsschritten veranlaßt, um das existenznotwendige Legitima-
tionsniveau des Systems wieder zu erreichen (vgl. auch Pei 1998a: 9-
12). Doch anders als auf den Philippinen und in Südkorea basierte die
Öffnung des Regimes nicht auf einer Fehlkalkulation der herrschen-
den Eliten hinsichtlich ihrer Machterhaltungschancen. Denn aufgrund
ihrer starken gesellschaftlichen Verwurzelung und der kontrolliert-
korporatistischen Integration der Bevölkerung in die Regimestruktu-
ren konnte die Kuomintang hoffen, auch unter demokratischen Herr-
schaftsstrukturen weiter an der Macht zu bleiben. Der außenpolitische
324 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
Druck durch die latente Bedrohung von seiten der VR China wirkte
zusätzlich als Stabilisator für die erprobten außenpolitischen Sicher-
heitsstrukturen des Regimes und damit für die Überlebenschancen der
Regimepartei auch unter demokratischen Herrschaftsbedingungen.
Verlaufsform: Im Falle Taiwans handelt es sich um den klassischen
Fall eines von alten Regimeeliten gelenkten Systemwechsels. Die in-
nenpolitische Opposition und ihre Mobilisierungsmacht reichten we-
der aus, um das Regime "von unten" zur Abdankung zu zwingen,
noch um als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit den Regi-
meeliten die Bedingungen des Systemwechsels auszuhandeln. Die
Regimepartei KMT verlor in keiner Phase die Kontrolle über den po-
litischen Transformationsverlauf.
49 Südkorea erlebte seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 bis 1987 insge-
samt fünf Totalrevisionen der Verfassung sowie eine ganze Reihe kleinerer
Verfassungsänderungen. Mit Ausnahme der Verfassung der 1. und II. Repu-
blik (1948-60; 1960-61) genügte kein Grundgesetz den normativen Ansprü-
chen einer demokratischen Verfassung.
330 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
relativ konkret benennen läßt, ist dies im Falle Taiwans nicht möglich.
Die Institutionalisierung der Demokratie zog sich hier über mehr als fünf
Jahre in insgesamt vier voneinander abgrenzbaren Etappen hin. Dabei
schloß sich "einem jeden institutionellen Reformschritt [... ] eine Über-
prüfungs- und Implementierungsperiode an, die ihrerseits zu neuen und
weitergehenden Reformschritten ermutigte" (Schubertl Thompson 1996:
384). Die Verfassungsgebung als Kernelement der demokratischen In-
stitutionalisierung vollzog sich nicht wie auf den Philippinen als klarer
Bruch mit der autoritären Vergangenheit oder als ausgehandelter Neu-
beginn wie in Südkorea. Vielmehr handelte es sich bei der Institutionali-
sierung der Demokratie auf Taiwan um einen evolutionären Revisions-
prozeß (Auw 1994; Schneider 1996; Tränkmann 1997,1998; Wu 1998),
an dessen Ende nicht eine neue demokratische Verfassung, sondern ein
durch Zusatzartikel ergänztes und demokratisiertes Grundgesetz stand.
Die Demokratisierung des politischen Systems vollzog sich im
Kern als Abfolge überwiegend konsensorientierter Verhandlungen
zwischen der KMT und der DFP über die Verfassungsstrukturen. Als
durchgehendes Muster war erkennbar, daß die von der Opposition
thematisierten politischen Reformvorhaben durch die KMT aufgegrif-
fen und implementiert wurden. Allerdings waren die spezifischen in-
stitutionellen Ergebnisse der Demokratisierung, wie sie sich in den
vier Verfassungsergänzungen (1991, 1992, 1994, 1997) niederschlu-
gen, dann jedoch weniger eine Reaktion des Regimes auf die Forde-
rungen der Opposition als vielmehr das Resultat interner Auseinan-
dersetzungen zwischen verschiedenen ideologischen Flügeln inner-
halb der KMT (LenglLin 1993: 808-818; Schneider 1996: 32).
In der ersten Phase der Institutionalisierung von 1989-91 mußte
vor allem die Frage nach dem rechtlichen Status der alten demokra-
tisch nicht legitimierten Staatsorgane beantwortet werden. Mit der
Verabschiedung des 1. Verfassungszusatzes durch die alte National-
versammlung wurden die konstitutionellen Rahmenbedingungen für
die Auflösung der demokratisch nicht legitimierten verfassungsge-
benden Kammer (Nationalversammlung) sowie der gesetzgebenden
Versammlung (Legislativyuan) geschaffen (WU 1995: 12lff., Tränk-
mann 1997: 72ff.). Gleichzeitig wurden die meisten autoritären Ein-
schränkungen der bürgerlichen und politischen Rechte aus der Zeit un-
mittelbar nach dem Bürgerkrieg ("Vorläufige Regelungen während der
Periode der Mobilmachung zur Niederschlagung der Rebellion") aufge-
Die lnstitutionalisierung der Demokratien 333
rung der Direktwahl des Senats den Kernpunkt dieser zweiten, verspä-
teten Runde der Verfassungsgebung. Weitere wichtige Refonnen der
von einer beratenden Versammlung erarbeiteten institutionellen Ände-
rungen sind: (1) Einführung eines auf der Verbindung von Mehrheits-
wahl in Einmannwahlkreisen und Listenwahl basierenden Wahlsystems
mit Wahlpflicht; (2) Schaffung einer unabhängigen Wahlkommission;
(3) Inkompatibilität von Ministeramt und Parlamentsmandat und damit
verbunden die Pflicht der Parlamentarier bei Antritt eines Regierungs-
amtes von ihrem Mandat zurückzutreten; (4) Einführung eines verbes-
serten Schutzes der Bürgerrechte und strengere Kontrollen öffentlicher
Korruption sowie (5) die Direktwahl des Senats (vgl. Eng 1997: 176).
Zusammenfassung
Die Schwäche des Parlaments und der Parteien bei der Erfüllung
ihrer politischen Funktionen wird wiederum verstärkt durch die Do-
minanz einzelner Elitengruppen innerhalb des politischen Willensbil-
dungsprozesses. 51 Insbesondere das Repräsentantenhaus vermittelt den
Eindruck, daß die Ausgangsbasis seiner Funktionserfüllung immer
unter dem Vorbehalt der Interessensberücksichtigung seiner Mit-
glieder steht (Foth 1991: 124). Die Folge ist eine ausgesprochene Re-
formschwäche der Demokratie, deren Institutionen und politische Eli-
ten kaum in der Lage sind, dringende soziale, ökonomische und poli-
tische Reformvorhaben (Landreform, Liberalisierung und Entmono-
polisierung der philippinischen Wirtschaft, Durchsetzung des staatli-
chen Gewaltmonopols) in Angriff zu nehmen (Riedinger 1995a).
Mit insgesamt acht Putsch versuchen zwischen 1986 und 1990
(SchubertfThompson 1996: 398) erscheinen die Philippinen vorder-
gründig als die am stärksten von antidemokratischen Vetoakteuren
bedrohte Demokratie Ostasiens. Gewaltsame Versuche des System-
umsturzes durch das unter Marcos politisierte Militär sind jedoch seit
1990 nicht mehr festzustellen. Zwischen der philippinischen Regie-
rung und der muslimischen Guerilla auf Mindanao besteht seit 1994
ein Waffenstillstand. Friedensverhandlungen mit der kommunisti-
schen Aufstandsbewegung waren soweit erfolgreich, daß der Demo-
kratie auch von der extremen Linken gegenwärtig keine existentielle
Gefahr mehr droht (Gray 1997: 463f.). Die ehemaligen Anhänger von
Marcos wurden ebenfalls erfolgreich in das demokratische System
integriert, was als schrittweises "elite settlement" (BurtonlHigley 1987)
gedeutet werden kann. Gerade die Entschärfung des systemdestabili-
sierenden Potentials von Militärs und ehemaligen Marcos-Anhängem
wurde jedoch mit erheblichen demokratischen Kosten erkauft. Denn er-
stens gelang es dem Militär während der Präsidentschaft des ehemaligen
Chefs des Generalstabs, Fidel Ramos, in signifikantem Maße Positionen
in Politik und Verwaltung zu besetzen (Hemandez 1997). Im Gegenzug
für die "Hinnahme" der Demokratie durch das Militär wurden diesem in
erheblichem Umfang besondere Mitspracherechte in der zivilen Politik
eingeräumt. Zweitens ist gut ein Jahrzehnt nach dem Sturz des Marcos-
54 Ende der achtziger Jahre entsprachen die gesamten Bilanzwerte der KMT-
eigenen Unternehmungen ca. 6,2% des taiwanesischen Bruttoinlandspro-
dukts. Seit Beginn dieses Jahrzehnts hat sich das Firmenimperium der Partei
speziell in die Bereiche der Medien sowie des Finanz- und Bankensektors
ausgedehnt (Xu 1997: 400, 404f.). Mit den Gewinnen aus ihren wirtschaftli-
Die nicht abgeschlossene Konsolidierung der Demokratien 349
rade im Bereich der Entflechtung von Staat und Partei hat die KMT
bislang kaum Bereitschaft gezeigt, sich über kosmetische Korrekturen
hinaus wirklich von der Okkupation der staatlichen Strukturen zu-
rückzuziehen (Chu 1996: 76). Es wird deshalb von erheblicher Bedeu-
tung für die weitere Konsolidierung der taiwanesischen Demokratie
sein, wann, wie und mit welchen Folgen sich der erste "turnover-test"
(Huntington 1991) in der Regierungsverantwortung vollziehen wird.
Die ethnisch-linguistische Segmentierung der Gesellschaft überla-
gerte in der Vergangenheit die sozioökonomischen Konflikte. Mit
dem Abbau der politischen Diskriminierung der "taiwanesischen" Be-
völkerungsmehrheit während der letzten 20 Jahre hat dieser Konflikt
jedoch zunehmend an Bedeutung verloren (Lin/ChuJHinich 1996: 478f.;
Rigger 1996: 31Of.). Bisher wurde er allerdings nicht durch den indu-
striestaatlichen Kapital-Arbeit cleavage ersetzt. Denn aufgrund der
besonderen internationalen Stellung Taiwans und der ungelösten Fra-
ge nationaler Identität bleibt auch in den 90er Jahren die Klassifizie-
rung der Parteien auf dem Rechts-Links-Spektrum weitgehend unbe-
deutend für die Struktur des Parteiensystems. Dafür wird in den 90er
Jahren eine neue Konfliktlinie erkennbar. Sie entsteht an der kulturel-
len und nationalen Identität des Staatsvolkes Taiwans (Schneiderl
Schubert 1997: 63f.). Gegenwärtig wird diese Frage nach der kultu-
rellen und nationalen Identität von den unterschiedlichen ethnischen
und sozialen Gruppen unterschiedlich beantwortet. Dies spiegelt sich
im Wahlverhalten wie im assoziativen Leben Taiwans deutlich wider
(ibid.: 64). Es handelt sich also um einen klassischen cross-cutting-
cleavage, der die Polarisierung und Segmentierung des Parteiensystems
dämpft. Es sind deshalb nicht die klassischen Gefahren der ideologi-
schen Polarisierung, des politischen Extremismus und des zentrifugalen
Parteienwettbewerbs (vgl. allgemein: Sartori 1976), die die Demokra-
tie belasten, sondern im Gegenteil die nunmehr seit fünf Jahrzehnten
andauernde hegemoniale Position der KMT, die den Pluralismus im
politischen Leben Taiwans immer noch einschränkt.
Auf der Ebene der funktionalen Interessenrepräsentation verläuft
die Entwicklung prinzipiell förderlich für die demokratische Konsoli-
chen Unternehmungen finanziert die KMT zum Teil die immer stärker stei-
genden Wahlkampfkosten ihrer Kandidaten, was diesen angesichts des hohen
Finanzbedarfs bei taiwanesischen Wahlen einen erheblichen Vorteil gegen-
über der Opposition verschafft.
350 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
55 Zwischen Sept. 1992 und Nov. 1996 war die durchschnittliche Regierungs-
dauer 22 Monate (Merkel 1997: 369).
352 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
56 So die von den Militärs 1991 zur Unterstützung Suchindas initiierte Grün-
dung der Samakkitham, die auch prompt die Wahlen im Frühjahr 1992 als
stärkste Partei gewann.
354 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
2.5. Fazit
mokratien der dritten Welle in Ost- und Südostasien bislang als kon-
solidiert gelten kann. Ungeachtet unterschiedlicher Ausgangsbedin-
gungen, differierender Verlaufsformen des Systemwechsels sowie
teilweise erheblich voneinander abweichender Ergebnisse der demo-
kratischen Institutionalisierung ähneln sich aber die Defizite und Risi-
ken der demokratischen Konsolidierung in Taiwan, Südkorea, Thai-
land und auf den Philippinen. Konkret lassen diese sich auf den vier
Ebenen des Konsolidierungsmodells wie folgt präzisieren:
I. Institutionelle Konsolidierung: Die vier ost- und südostasiatischen
Demokratien zeigen, daß die Funktionsweisen und die Konsolidie-
rungschancen der demokratischen Institutionen ganz entscheidend
von der Beschaffenheit intermediärer Institutionen mitbestimmt wer-
den. Dies gilt insbesondere für die Parteien, den Umgang der politi-
schen und gesellschaftlichen Eliten mit den neuen demokratischen
Institutionen sowie der zivilgesellschaftlichen Einbindung von Eliten
und Parteien.
Orientiert man sich für eine Beurteilung des Konsolidierungsgrades
der Verfassungsinstitutionen an den beiden Indikatoren der "verti-
kalen" und "horizontalen Autonomie" (Rüb 1996) der Institutionen
des Regierungssystems, so kann für alle vier Transformationsfälle
zunächst festgestellt werden, daß sie auf der vertikalen Ebene einen
relativ hohen Konsolidierungsgrad erreicht haben. Seit der Demo-
kratisierung kam es in keinem der Länder zu einer Veränderung der
zentralen Institutionen, etwa in Form des Wechsels von einem prä-
sidentiellen zu einem parlamentarischen Regierungssystem. So-
wohl in Südkorea und Thailand, als auch auf den Philippinen hat
die Institution des Staatspräsidenten (Südkorea, Philippinen), als
auch die des Parlaments (Thailand, Südkorea und Philippinen) ihr
Nachfolgeproblem bislang friedlich und in Übereinstimmung mit
den Regeln der Verfassung gelöst. Dies gilt eingeschränkt auch in
Taiwan. 57 In Südkorea und auf den Philippinen kam es einmal, in
57 Begrenzt deshalb. weil hier eine endgültige Nachfolgeregelung für das Präsi-
dentenamt erst mit dem dritten Verfassungszusatz von 1994 gefunden wurde
und noch keine 2. Wahl stattgefunden hat.
358 Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
58 In Südkorea gelang es Kim Dae Jung im vierten Anlauf im Dezember 1997 die
Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Mit seinem Amtsantritt im Februar 1998
vollzog sich erstmals in der Geschichte Südkoreas ein friedlicher Machtwechsel
zwischen Opposition und bisheriger Regierung (vgl. Croissant 1998). In Thai-
land mußte die von der Demokratischen Partei getragene Regierung von Pre-
mier Chuan Leekpai 1995 dem Kabinett von Premier Barnbarn (Chart Thai
Partei) weichen. Dieser wurde wiederum in einem koalitionsinternen Wechsel
schon ein Jahr später von Premier Chavalit (New Aspiration Party) abgelöst. Im
November 1997 übernahm die Demokratische Partei mit Premier Chuan an der
Spitze erneut in einer Mehrparteienkoalition die Regierungsverantwortung. Auf
den Philippinen wiederum folgte auf den Wechsel von Corazon Aquino zu Fi-
del Rarnos (1992) der Wahlsieg von Joseph Estrada im Mai 1998.
Fazit 359
chen und Defekte der jungen ostasiatischen Demokratien ist auf die
klientelismusdurchzogene Informalisierung der intermediären In-
teressenrepräsentation zurückzuführen. Lediglich in Taiwan, jenem
"Fall" mit der geringsten demokratischen Vorerfahrung und den in
der autoritären Phase am engsten gesteckten Grenzen des politi-
schen Pluralismus, zeichnet sich eine erfolgreiche Stabilisierung
des Parteiensystems ab. Dies verdeutlicht auch ein Blick auf die in
der Parteienforschung verwendeten Kriterien der Fragmentierung
und Volatilität von Parteiensystemen:
kräfte zu beobachten. Deutlich wird hier, daß eine infolge des ho-
hen Gewaltpotentials mit erheblichen "Zivilitätsdefiziten" belastete
gesellschaftliche Mobilisierung die Konsolidierung demokratischer
Systeme eher behindert. Unverhohlen gezeigte Sympathien für das
kommunistische Regime Nordkoreas boten in der Vergangenheit
der Regierung zudem immer wieder Anläße, um gegen das linke
politische Spektrum und besonders kritische Teile der Gesellschaft
auch jenseits des Rechtsstaates vorzugehen.
In Taiwan beinhaltete die ideologische Konfrontation zwischen zi-
vilgesellschaftlichen Akteuren und dem Regime ein viel geringeres
Konfliktpotential (Chu 1993: 180). Ethnische bzw., aus Sicht d~r
Gewerkschaften, ökonomische Fragen waren von wesentlich grö-
ßerer Relevanz. Aber auch hier hat sich die Zivilgesellschaft zu ei-
nem Raum potentieller und virulenter disruptiver Konflikte zwi-
schen konkurrierenden Interessen und Verhaltenstraditionen ent-
wickelt, die teilweise gewaltsam ausgetragen werden. Dies gilt ins-
besondere für die vor allem auf lokaler Ebene aktive Umwelt-
schutzbewegung, wo sich die Unzufriedenheit der von Umweltpro-
blemen direkt Betroffenen aufgrund fehlender responsiver politi-
scher und administrativer Strukturen und Mechanismen in gewalt-
samen Protesten entlädt (Heck 1995: 73ff.).
In Thailand und auf den Philippinen läßt sich dagegen seit den 80er
Jahren eine Tendenz zur Deradikalisierung der civil society ver-
zeichnen (HewisonIRodan 1996: 48). Gleichzeitig profitiert die Zi-
vilgesellschaft vom Niedergang kommunistischer Bewegungen in
Südostasien, die von den Mittelschichten stets als Bedrohung
wahrgenommen wurden und die Diffamierung zivilgesellschaftli-
cher Organisationen als "pro-kommunistisch" effektiv ermöglich-
ten. Vom Zustand einer vitalen zivilgesellschaftlichen Unterfütte-
rung der Demokratie sind allerdings alle vier Länder noch ein er-
hebliches Stück entfernt.
61 Dies gilt etwa für den einstigen Autokraten Lee Kwan Yew und den Premier-
minister Malaysias Mohammed Mahatir. den ehemaligen Staatssekretär im sin-
gapurischen Außenministerium, Kishore Mahbubani. oder den rechtskonserva-
tiven japanischen LDP-Politiker Ishihara.
c;)
~
~
~
~.
Tabelle 28: Ökonomische Rahmenbedingungen demokratischer Konsolidierung in Ostasien
Land Inflation (in %) Arbeitslosigkeit (in %) eä"
1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996
Philippinen 5,0 8,8 11 14 19 10 k.A. 8,1 8,5 k.A. 8,3 8,4 8,1 9,0 8,6 9,3 k.A. 9,5 k.A.
Taiwan 0,4 1,3 4,4 4,1 3,6 4,0 3,5 4,1 3,7 3,1 2,0 1,7 1,6 1,7 1,5 1,5 1,5 1,6 k.A. k.A. ~
Thailand 2,7 3,8 5,4 6,0 5,7 4,1 3,3 5,1 5,8 5,8 k.A. k.A. k.A. k.A. 4,2 4,7 k.A. 3,3 k.A. k.A. ~
Südkorea 2,3 7,2 5,9 8,6 9,7 9,0 8,0 6,2 5,0 6,0 3,1 2,5 2,3 2,1 2,1 2,2 2,5 2,9 k.A. k.A.
~
!}
..,
Land Wachstum des BSP (in %) Wachstum des BIP p.c. BIP p.c. (in US$ 1987)'
lin%l
1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1960-1980 1980-1993 1980 1990 1994
Philippinen
Taiwan
4,6 6,4 6,1 2,4 -1 0,5 1,5 4,4 4,8 5,5
12 7,3 7,3 5,0 7,3 7,0 7,0 6,1 5,9 5,7
3,2
k.A.
-0,6
7,6 (1980-
680
k.A.
636
7.332
615
10.852
[
i:!
92) (1993) ~.
.",
Thailand 7,1 11 12 10 7,5 7,4 7,8 8,5 8,6 6,7 4,4 6,4 718 1.299 1.703
Südkorea 11 16 6,2 9,3 8,4 7,5 7,0 8,4 9,0 7,5 7,3 8,2 1.953 4.132 5.210
Differenzen in den Angaben aus Tabelle 23 (Demokratische und autoritäre Systeme im pazifischen Asien) ergeben sich aus
unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen. k.A. = keine Angaben
Quelle: OECD Economic Outlook 51,55,58,61; Asia Yearbook 1987; 1988,1989,1990,1991; Industry ofFree China (85) I: 134f;
Korea Statistical Yerubook 1994: 587; Weltentwicklungsbericht 1997: 189f; Der Fischer WeitaImanach '91
......
~
IV. Die dritte
Demokratisierungswelle:
Osteuropa
1. Die besondere Transformationsproblematik
in Osteuropa
dert ise, kann nur schwerlich demokratisiert und noch schwerer demo-
kratisch konsolidiert werden. John Stuart Mill, der große Theoretiker des
demokratischen Liberalismus im 19. Jahrhundert, hat dieses Problem
schon vor über hundert Jahren in seiner Schrift "Considerations on Re-
presentative Government" weitsichtig zum Ausdruck gebracht:
"Freie Institutionen sind in einem Staate, der aus verschiedenen Nationa-
litäten besteht, n.ahezu unmöglich. Unter einer Bevölkerung ohne ein ge-
meinschaftliches Gesamtgefühl, besonders wenn sie in verschiedenen
Sprachen liest und spricht, kann jene einheitliche öffentliche Meinung
nicht bestehen, welche eine wesentliche Bedingung für die Wirksamkeit
einer Repräsentativverfassung ausmacht. Die Einflüsse, welche Ansichten
bilden und politische Handlungen bestimmen, sind in diesem Falle an ver-
schiedenen Puncten des Staatsgebietes verschieden, und in dem einen
Theile des Landes genießen ganz andere Führer das öffentliche Vertrauen
als in dem anderen"(MiIII872: 222).
Rund hundert Jahre später bestätigt mit Robert Dahl einer der bedeu-
tendsten Demokratietheoretiker des 20. Jahrhunderts John Stuart Mills
Befund. Auf der Basis von empirischen Daten zeigt Dahl, daß von
114 Staaten 58% mit niedriger subkultureller Segmentierung4, 36 %
mit mittlerer und nur 15% mit ausgeprägtem "subcultural pluralism"
den Charakter von Polyarchien oder "Beinahe-Polyarchien" angenom-
men haben (Dahl 1971: 111). Ganz in der Tradition von Mill argu-
mentiert der amerikanische Demokratietheoretiker, daß multinationale
Staaten da;zu tendieren, die politische Partizipation eines Teiles ihrer
Bürger, d.h. der Minoritäten, einzuschränken und damit die Chancen
der Herausbildung einer entfalteten Polyarchie zu schmälern. Tatsäch-
lich zeigte sich vor allem auf dem Balkan und in der Slowakei, daß
gerade demokratische Institutionen, Verfahren und insbesondere Wah-
len in schwachen Zivilgesellschaften ein leicht funktionalisierbares
Instrumentarium zur Verschärfung ethnischer Konfliktlinien darstel-
len. Wenn aber ethnische Identitäten am leichtesten mobilisiert wer-
den können, ist es für rationale Stimmenmaximierer unter den "politi-
schen Unternehmern" nur naheliegend, in wettbewerbsoffenen Wah-
3 Zum Staatsbegriff und zur MonopolsteIlung des Staates in der physischen Ge-
waltanwendung sowie zur Autonomie des Staates vgl. aus soziologischer und
historischer Sicht u.a.: Weber 1972: 822ff.; Tilly 1975; Poggi 1978: 86ff.
4 Unter subkultureller Segmentierung, bzw ... subcultural pluralism" versteht Ro-
bert Dahl in erster Linie ethnische und religiöse Subkulturen (Dahl 1971: 108).
Probleme der (National-)Staatsbildung 381
samt bestreiten. Für die Existenz einer jungen Demokratie ist dies
dann besonders geflihrlich, wenn die Minderheit stark ist oder gar auf
mächtige ausländische Schutzmächte verweisen kann, wie dies bei
den diskriminierten russischen Bürgern der baltischen Republiken
(insbes. Lettland) der Fall ist. So ist es kein Zufall oder nur der fort-
geschritteneren ökonomischen Modernisierung zuzuschreiben, daß
unter den osteuropäischen Transformationsländern mit Ungarn,
Tschechien, Slowenien und Polen vier Staaten an der Reformspitze
stehen, in denen der Anteil der Bürger, der sich mit der Titularnation
identifiziert, über 92% liegt (Offe 1997: 217), es sich also um eth-
nisch weitgehend homogene politische Gemeinschaften handelt.
Fassen wir zusammen:
1. Je mehr die Bevölkerung eines Staates aus unterschiedlichen und
segmentierten nationalen, ethnischen, linguistischen, religiösen
Gruppen und Teilkulturen zusammengesetzt ist, umso schwieriger
wird ein gesamtgesellschaftlicher Konsens über die Grundstruktu-
ren des demokratischen Systems zu erreichen sein.
2. Dies bedeutet keineswegs, daß nur ethnisch und religiös homogene
Gesellschaften demokratisch verfaßt und konsolidiert werden kön-
nen. Denn ethnische Identitäten sind nicht primordial vorgegeben,
sondern vor allem historisch konstruiert und können deshalb auch
wieder "de-konstruiert" werden (przeworski 1995: 21). Allerdings
schließen multinationale und multi religiöse Gesellschaften eine
ganze Reihe von demokratischen institutionellen Lösungen aus.
Sie verlangen zudem eine hohe Kompromißbereitschaft und politi-
sche Gestaltungskraft (DiPalma 1990) gerade der politischen Eliten
(Lijphart 1984; BurtonlGuntherlHigley 1992; Merkel 1997).
3. Je fragmentierter und segmentierter multinationale Gesellschaften
sind, umso mehr Konsenselemente und VetorechteS müssen in die
institutionelle Verfassungsarchitektur eines Landes eingebaut wer-
den. Eine solche "inklusive politische Struktur" bietet aber kom-
promißverweigernden politischen Eliten mannigfache Optionen,
den Reformprozeß eines Landes zu sabotieren und zu lähmen".
Folgt man David Easton (1965; vgl. auch: Offe 1994: 60), läßt sich
ein politisches System als das Ergebnis von drei unterscheidbaren und
hierarchischen Festlegungen begreifen: Auf der untersten Ebene be-
findet sich die Herausbildung einer kollektiven Identität, also der po-
litischen Gemeinschaft. Auf dieser Basis erst entwickelt sich nach in-
nen wie außen eine souveräne Staatlichkeit. Darauf baut auf der
zweiten Ebene die politische Ordnung auf, die durch die normativen
Vorgaben der Verfassung konstituiert, definiert und - in den Grund-
zügen - auch reguliert wird. Hier werden also die Regeln des politi-
schen Prozesses festgelegt, nach denen die politischen Akteure später
zu spielen haben (vgl. u.a. Elster 1993; MerkeVSandschneiderlSegert
1996; Rüb 1996a). Auf der darüberliegenden dritten Ebene sind die
politischen Akteure (Regierung, Parlament, Parteien, etc.) angesiedelt,
die nach den in der Verfassung fixierten Regeln und Prozeduren Ent-
scheidungen fällen, Interessen verfolgen und Konflikte austragen.
Die hier skizzierten drei Ebenen sind sowohl temporal als auch
kausal hierarchisch miteinander verknüpft. Die unterste Ebene (poli-
tische Gemeinschaft) ist zeitlich wie sachlich die fundamentale Vor-
aussetzung .für das Zustandekommen einer Verfassung (politische
Ordnung) auf der zweiten Ebene. Es muß also ein Minimum an ge-
meinsamer politischer Identität vorhanden und die territoriale Integri-
tät des Landes im Inneren unbestritten sein, bevor sich die politische
Gemeinschaft eine gemeinsame und für alle Bürger gültige Verfas-
sung geben kann. Erst danach können sich normativ geregelte, legiti-
mierte und sanktionierte politische Prozesse entfalten, wie die Aggre-
gation und Artikulation von Interessen, bindende politische Entschei-
dungen und deren staatliche Implementation. Anders formuliert: die
384 Die besondere Transformationsproblematik in Osteuropa
7 Claus Offe assoziiert die drei Politikebenen von David Easton mit den drei
menschlichen "Grundqualifikationen", wie sie von den Staatsphilosophen
Probleme des Wirtschafts umbaus 385
Tabelle 29: Zentrale Indikatoren für die wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa (1989-1996)
Wachstum des BIP (in %) Arbeitslosenquote (in %)
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 19961 ,,2 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 19961 t:I
;;;.
c::r-
Ostmitteleuropa ~
Polen 0 -11,6 -9 2,6 3,8 5,2 7 6 0,5 0,3 6,1 11,8 13,6 15,7 16 15,5 15 CI
;:
Slowenien -8,1 -5,4 1,3 5,3 4,8 5 0,5 k.A. 5,3 10,1 13,3 15,4 14,3 7,4 7,3 f}
CSSRlCSFR -0,4 -16 -7,0 -5,6 0 1 6,8 8 ~
Tschechien -14,2 ·6,4 -0,9 2,6 5,2 4,4 -1,6 0,7 4,1 2,6 3,5 3,2 4 4,5
Slowakei -4,2 -7,0 -4,1 4,8 7,4 6,9 0,6 1,6 11,8 10,4 14,4 14,8 13,1 12,5 ~
~
;:
Ungarn -0,2 -3,2 -10 -3,0 -0,8 2,9 2 4,9 -1,2 0,5 1,7 7,4 12,3 12,1 10,4 12,0 11,0
~
CI
Balkan ~
I::.
Albanien 11,8 -13,1 -22,7 -9,7 10,9 7,4 8,6 k.A. -1,0 k.A. 9,8 9,4 26,7 25,0 19,0 13,1 12,1
Bulgarien -0,3 -11,5 -26,0 -7,3 -1,5 1,8 2,5 10,0 -4,0 k.A. 1,8 11,5 15,6 16,4 12,8 10,8 12,5
go
Rumänien -8,0 -9,9 -13.0 -8,8 1,5 3,9 6,9 4,1 -2,9 k.A. 1,3 3,1 8,2 10,1 10,9 8,9 8,5 i3
C3
Baltikum
c::r-
~
Estland -8,1 -10,0 -14 -8,6 -2,7 2,5 3,5 -5,3 0,1 1,9 2,6 2,2 5 6
Lettland 2,7 -10,4 -35 -15,0 0,6 -1,6 2,5 -8,0 k.A. 2,1 5,8 6,5 7 7 ~
litauen -6,9 -13,1 -39 -21,0 0,1 1,0 4,0 -10,7 0,3 1,0 3,4 4,5 7 6 ~
SU/Rußland k.A. -2,0 -12,8 -14 -8,7 -13,0 -4,0 -6,0 -8,6 k.A. 1,4 4,8 5,5 1,1 7,1 8 9 S·
C
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I::.
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Inflationsrate3 Reallohnentwicklung4 NettoverschuldunglExport (in %) SI
19891990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1989 1990 1991 199219931994 1995 1996 ,,2 1990 1991 199219931994 1995 1996 'f}"
Ostmitteleuropa '"
Polen 259 585 70,3 43 39,1 28,4 27 19,4 8,3 -27 -0,3 -2,7 -0,4 3,2 4 6,2 -1.1 361 312 267 273 186 108 79 ...1::i~
Slowenien 1285 552 118 201 207 18,3 8,6 8,8 kA -26 -15 -2,1 11,2 3,7 5,1 3,9 -2,7 25 22 13 14 9 11 16 <)
CSSR I CSFR 1,5 9,9 58 11 0,8 -5,6 k.A. k.A. -2,4 k.A. k.A. k.A.
Tschechien - 56,7 11,1 14,311,1 11,5 8,5 -10 3,7 7,7 7,7 8 3,4 57 86 62 32 31 9 20 .[
Slowakei 61,2 10,2 25 11,7 7,2 5,4 - k.A. -3,6 3 3,8 8,2 2,9 103 63 57 44 29 13 27
1::i
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-
Ungarn 18,8 28,9 35 23 15,5 19,5 24 20,9 -4,3 -3,8 -4 -4 0,5 3,1 -6,3 -6,7 -3,2 231 157 124 157 194 116 86 SI
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Bulgarien 6,2 19,3 254 79,4 64 122 33 311 2,5 -1,2 -39 -19 -8,7 -24 -9,1 -19 -14,6 328 275 218 236 177 131 157
Rumänien 0,9 5,7 165 211 295 62 28 57 3,2 3,1 11,6 -13 -13 -2 -17 -9,7 -4,6 15 35 49 57 48 55 69
Baltikum
Estland 283 969 89,8 42 29 15 6,8 -43 -31 3,8 10,5 9 0,4 -6,2 -18 -18 -8 -10 -10
lettland 172 950 109 26 23 13 5,3 -29 -23 5 11,9 -0,4 -7,2 -5,3 -6 -11 -7 -9
litauen 216 1020 410 45 36 13 6,3 -18 -14 5 11,9 -0,4 1,2 -1,1 k.A. -7 3 11
SU I Rußland 1,9 5,3 100 1648 885 226 131 22 7,3 7,3 6,6 k.A. 0,4 -7,8 -26 4,7 -1,1 70 123 194 181 181 138 114
I Schätzung; , Durchschnittliche Entwicklung im Untersuchungszeitraum in %; 'Consumer Price Index; • Veränderungen gegenüber
dem Vorjahr in %;
Quellen: OECD Economic Surveys Hungary, Poland, Czech and Slovak Federal Republic 1991-1993, The Russian Federation 1995,
The Czech Republic 1996, Hungary 1995, 1997; OECD Economic Outlook Nr. 51, 52, 53, 54, 56, 57; United Nations Secretariat of
lhe Economic Commission Cor Europe: Economic Survey of Europe in 1990-1991, 1991-1992, 1993-1994, 1994-1995, 1995-1996,
1996-1997.
......
00
\0
390 Die besondere Transformationsproblematik in Osteuropa
8 Die Demokratische Union ist eine der politischen Parteien, die aus der (Ge-
werkschafts-)Bewegung hervorgegangen ist.
9 Hier soll nicht monokausal argumentiert werden, daß die Wirtschaftspolitik
der Regierung der alleinige Grund für die Wahlniederlage war. Nach den
Wahlanalysen können jedoch keine Zweifel bestehen, daß die Enttäuschung
über die wirtschaftlichen Reformergebnisse ausschlaggebend für den Sieg
der postkommunistischen Opposition war.
392 Die besondere Transformationsproblematik in Osteuropa
dort weniger vom "Plan zum Markt" als "vom Plan zum Clan", wie
der Osteuropaforscher David Stark schon 1990 befürchtet hatte (Stark
1990). Für die Wirtschaftsreformen aber wurde in diesen Ländern
wertvolle Zeit verloren, und auch der Vertrauensverlust in Marktwirt-
schaft und Demokratie war beträchtlich.
Ist also der gradualistische Reformpfad der Königsweg, der zwi-
schen ökonomischer Effizienz, sozialpolitischen Erfordernissen und
demokratischen Zwängen die goldene Mitte findet? Die oben darge-
legten Wechselwirkungen zwischen Wirtschaftsreformen, Wählerprä-
ferenzen und den Kalkülen der politischen Eliten legen diese Vermu-
tung nahe. Acht Jahre unterschiedlicher Reformerfahrungen im post-
kommunistischen Osteuropa lO zeigen jedoch (vgl. Tabelle 29), daß es
weder einen generellen Königsweg gibt, noch daß ein solcher Weg
geradlinig verlaufen könnte. Es gibt vielmehr zwei logische und zu-
gleich empirisch bestätigte Gründe, warum der wirtschaftliche Trans-
formationspfad in der Regel im Zick-Zack-Kurs verläuft, das heißt
zwischen radikalen Reformen, Gradualismus und Status quo-Orien-
tierung oszilliert:
1. Die unmittelbaren nachkommunistischen Regierungen scheiterten
schlicht an der gewaltigen Reformlast der ersten wirtschaftlichen
Umbaumaßnahmen. Sie wurden in der Regel von der Opposition
abgelöst, die die Wahlen meist mit dem Versprechen eines gradua-
listischen Reformkurses gewonnen hat. Nur in den seltensten Fäl-
len vermochten sie jedoch, die (auch) in den Wahlen geweckten
Wohlstandserwartungen der Bürger zu erfüllen und wurden wie im
Falle Tschechiens (1996) wiedergewählt. Der wirtschaftspolitische
Ziek-Zack-Kurs wurde durch den nach einer Legislaturperiode fast
obligatorischen partei politischen Regierungswechsel besiegelt.
2. Aber auch innerhalb einer Legislaturperiode war die Wirtschafts-
politik der meisten Regierungen inkonsistent. Unmittelbar nach
den Wahlsiegen läuteten diese meist radikale Reformen ein;
schwand dann aber während der Regierungszeit die Unterstützung
der Bürger aufgrund der ökonomischen Wohlstandsverluste und
sozialen Lasten, tendierten viele Regierungen angesiehts der näher-
131 Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten können an dieser Stelle nicht mit in
die Betrachtungen einbezogen werden.
18 Da es keine offiziellen bzw. verläßlichen Zahlen der Opfer der Unruhen im
Dezember 1989 gibt, schwanken die Schätzungen zwischen "ungefähr 1000"
(Gallagher 1995: 342) bis zu ,,2000 bis 6000" (Lin:rJStepan 1996: 346).
402 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
20 Die zunächst (1990) unter dem Namen "Front der Nationalen Rettung"
(FSN) angetretene Präsidialpartei Iliescus änderte nach Parteispaltungen
1992 ihren Namen in "Demokratische Front der Nationalen Rettung" (FDSN),
um für die Parlamentswahlen 1996 schließlich unter dem Etikett "Rumäni-
sche Sozialdemokratische Partei" (PDSR) zu firmieren (vgl. Gabanyi 1997:
I 96ff.).
408 Transfonnationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
ritären Regimen Polens und Ungarns, sondern auch von den ebenfalls
noch weitgehend totalitären Regimen Albaniens und Bulgariens durch
einen bizarren Personalismus und Herrschaftsstil, den die beiden Po-
litikwissenschaftler unter Rückgriff auf Max Webers Herrschaftskate-
gorien als "sultanistisch", bzw. "sultanistic totalitarianism" bezeich-
nen:
"In Romania, there were no autonomous or even semiautonomous career
paths in the state apparatus. Even the top nomenclatura were hired, trea-
ted, mistreated, transferred, and fired as members of the household staff.
There was growing personalism, beginning with the appointment of Elena
Ceausescu to the Politburo in 1972 and ending with the well-known "so-
cialism in one family" of the 1980's. In essence, Ceausescu treated Roma-
nia as his personal domain" (LinziStepan 1996: 346f.).
Es war aber gerade dieser bizarre Sultanismus, der es dann den Regi-
meeliten hinter dem großen Führer erlaubte, alle unter dem alten Re-
gime erlittene Unterdrückung, Gewalt und Freiheitsberaubung der
Person Ceausescus zuzuschreiben. Indem die parteiinternen Putschi-
sten das Ehepaar Ceausescu in einem absurden, nicht-rechtsstaatlichen
Schauprozeß zum Tode verurteilten und dann telegen exekutieren lie-
ßen, gewannen sie als "Tyrannenmörder" eine neue politische Identi-
tät und "revolutionäre Legitimität". Die rasche Rücknahme der härte-
sten Repressionsmaßnahmen des alten Regimes, die Einführung völlig
ungekannter Freiheiten und die Vorbereitung freier Wahlen verlieh
den alten-neuen Machthabern weitere demokratische Legitimität und
Popularität. Die sultanistische Ausschaltung aller kollektiver Parteig-
remien erlaubte auch nicht die friedliche Ablösung der alten Partei-
spitze durch reformbereite softliners des alten Regimes, wie dies in
Bulgarien der Fall war. Auch eine von oppositionellen Organisationen
geplante oder sozialen zivilgesellschaftlichen Bewegungen getragene
revolutionäre Erhebung war sehr unwahrscheinlich, weil das sultani-
stische System jede oppositionelle und zivilgesellschaftliche Regung
mit wirkungsvoller Repression zu unterbinden wußte. Der Weg zu ei-
nem vorsichtigen Regimewandel konnte deshalb nur durch die Aus-
schaltung des Ceausescu-Clans über einen gewaltsamen Putsch pas-
sieren, der von dem Exilrumänen Codrescu unter Hinweis auf die
Rolle der kommunistischen Eliten treffend als eine "scripted revoluti-
on" (zit. nach ibid.: 346) bezeichnet wurde.
410 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
21 1977 hatten Intellektuelle um Jacek Kuron und Adam Michnik das KOR, das
"Komitee zur Verteidigung der Arbeiter" gegründet.
22 Linz und Stepan argumentieren überzeugend, daß Polen selbst in der stalini-
stischen Hochphase bis 1953 kein totalitäres Regime gewesen sei. Dies gilt
insbesondere für die Periode nach 1956, als der Kirche die Wiedereinführung
des Religionsunterrichts in den Schulen zugestanden wurde und sich die
Der ausgehandelte Systemwechsel: Polen 411
23 Sowohl Adam Przeworski (1991: 87) als auch Linz/Stepan (1996: 266) be-
ziehen sich auf die Denkfigur des ..veil of ignorance" von John Rawls, um
die positiven Verhandlungseffekte zu erklären, wenn strategisch handelnde
Akteure sich nicht über ihre eigenen Stärke und die zukünftigen Folgen der
Entscheidungen im klaren sind. Solche Unsicherheitsbedingungen erweisen
sich als günstig flir vorsichtige Kompromisse als "zweitbeste Lösungen", da
mögliche negative Konsequenzen nicht einen einzigen Partner, wie in einem
Nullsummenspiel, treffen. Rawls selbst hatte die Denkfigur in seiner "Theo-
rie der Gerechtigkeit" (1971) eingeführt, um über faire Verfahren die parti-
kulare Interessenverfolgung rationaler Akteure zu minimieren.
Der ausgehandelte Systemwechsel: Polen 413
"In critical stages of a regime crisis vital parts of the state coercive staff
equivocate, rebel, or melt away. Seeing this sudden absence of effective
force, demonstrators swell in numbers and are emboldened in spirit. At a
certain moment there can be so many antiregime demonstrators and so
few regime defenders that the leaders of the regime lose all capacity to
negotiate. At this moment, the regime is not so much overthrown as it
collapses".
Dieses hier allgemein beschriebene Muster des Kollapses läßt sich in
Osteuropa am besten in der Tschechoslowakei von 1989 erkennen2s •
Der tschechoslowakische Transformationspfad soll deshalb im fol-
genden etwas näher nachgezeichnet werden.
In der Tschechoslowakei war es eine Kettenreaktion von Ereignis-
sen, die das kommunistische Regime in drei Wochen - vom 17. No-
vember bis zum 10. Dezember - kollabieren ließen. Im Verlaufe die-
ser Ereignisse wurde der kommunistischen Partei jeglicher Einfluß auf
die weitere Transformationsentwicklung entzogen und eine Gruppe
der führenden Dissidenten an die Spitze des Staates befördert (Smutny
1992: 26). Die Ereignisse überstürzten sich: Acht Tage nach der Öff-
nung der Berliner Mauer am 9. November 1989 wurde eine Demon-
stration von Prager Studenten durch die Polizei niedergeknüppelt. Die
Studenten beschlossen einen Streik, der unmittelbar in eine breite
Diskussion über einen Generalstreik mündete. Gleichzeitig verstärk-
ten sich die Demonstrationen, auf denen nun der führende Dissident
des Landes, Vaclav Havel, als die wichtigste Proteststimme auftrat.
Am 27. November traten die tschechoslowakischen Arbeiter für zwei
Stunden in den Generalstreik. Schon zu diesem Zeitpunkt kooperierte
die Spitze der kommunistischen Parteijugend mit den Demonstranten.
Eine massive "Fahnenflucht" von Mitgliedern und Mitläufern der
Partei sowie vieler Funktionäre wichtiger staatlicher Institutionen
hatte eingesetzt. Die Polizei mißachtete Befehle und weigerte sich öf-
fentlich, dem Aufruf kommunistischer hardliners aus der Prager KP-
Führung Folge zu leisten, die Proteste mit Gewalt niederzuschlagen.
Der Oberkommandierende der tschechoslowakischen Armee, General
Vaclavfk, erklärte, daß die Streitkräfte sich nicht gegen das Volk
25 Auch der Zusammenbruch des SED-Regimes läßt sich weitgehend über den
Transformationspfad "Kollaps" beschreiben. Da aber mit dem Kollaps des
kommunistischen Regimes auch das Ende des DDR-Staats verbunden war,
soll er im nachfolgenden Kapitel als "Sonderfall" analysiert werden.
416 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
26 Der wichtige Einfluß des autokratischen Regimetyps auf den Verlauf der
weiteren Transformation wurde schon vor den Systemwechseln in Osteuropa
immer wieder von Philippe Schmitter betont (u.a.: Schmitter 1985; O'Oon-
nell/Schmitter 1986; KarllSchmitter 1991).
418 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
27 Der Abschnitt zur DDR stützt sich in wichtigen Teilen auf meinen Aufsatz:
"Warum brach das DDR-Regime zusammen?" (MerkeI1991: 19ff.).
Regimekollaps und Staatsende: der Sonderfall DDR 419
Wirtschaftliche Legitimationsebene
28 Bis zum September 1989 ließen sich im Politbüro der SED keine sojiliners
erkennen. Als die Mehrheit des Politbüros unter dem Druck der Proteste den
kranken Erich Honecker zum Rücktritt zwang und Egon Krenz einstimmig
zu seinem Nachfolger bestimmte, wurden zum ersten Mal Differenzen hin-
sichtlich der Situationseinschätzung innerhalb der SED-Führung sichtbar.
Dennoch läßt sich die Gruppe um Krenz und Schabowski nicht als reform-
kommunistische softliners definieren, die einen Regimewandel einleiten
wollten.
420 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
Politische Legitimationsebene
Rechtsstaatliche Legitimationsebene
andeuten können, daß man sich tatsächlich auf dem richtigen Weg be-
findet. Genau dies vermochte jedoch das realsozialistische System der
DDR, wie alle kommunistischen Systeme des Ostblocks, nicht.
Das Gegenteil war der Fall: Denn nicht nur die materiellen Erfolge
blieben aus, sondern auch die Doppelbödigkeit der Regimemoral
wurde zunehmend offensichtlicher. Offiziell verkündete die Propa-
ganda des SED-Regimes in ritualisierten Diskursen Fortschritt, Frie-
den, soziale Gerechtigkeit und die Herstellung egalitärer Lebensver-
hältnisse. Real aber etablierten sich seperate Konsummärkte, in denen
die Nomenklatura Zugang zu der ganzen Produktpalette des westli-
chen Klassenfeindes hatte, während die "führende Klasse" der Werk-
tätigen für minderwertige Waren aus der sozialistischen Produktion
anstehen mußte.
Auch wenn bezweifelt werden kann, daß die höhere Moral einer
altruistischen Ethik den Verlockungen des augenscheinlich erfolgrei-
cheren Utilitarismus der Marktgesellschaften stand gehalten hätte,
sind aufgrund der doppelbödigen Regimemoral mit den ideologischen
Ressourcen auch Legitimationspotentiale preisgegeben worden, die
die Regimeeliten in der Zusammenbruchsphase als Verhandlungs-
masse gegenüber den protestierenden Bürgern hätten einbringen kön-
nen. Selbst die spät gewendeten Reformkommunisten um Modrow
hatten aber aufgrund ihrer bis zum Schluß durchgehaltenen Regime-
treue dann in der Zusammenbruchsphase jede Glaubwürdigkeit verlo-
ren.
Die bisher angeführten Legitimationsprobleme bedrängten in un-
terschiedlichem Maße alle kommunistischen Regime in Osteuropa.
Ein spezifisches Problem hatten diese im Vergleich zur DDR jedoch
nicht: Ihre staatliche Existenz war nicht unmittelbar an die Überle-
bensfahigkeit der realsozialistischen Gesellschaftsordnung gebunden.
Aber gerade hier war der ostdeutsche Teilstaat mit einem besonderen
Existenzproblem konfrontiert.
nes zur Verfügung (Lepsius 1982: 21f.). Der Versuch, das national-
staatliche Problem zu lösen, führte in den fünfziger Jahren zu der
Doktrin der "Zwei Staaten in einer Nation". In dem Bestreben, sich
gegenüber der Bundesrepublik dann jedoch weiter abzugrenzen und
ein ostdeutsches Nationalbewußtsein jenseits der Identitätsangebote
Volk, Kultur und Staatsbürger zu wecken, versuchte die SED-
Führung über den Begriff der "Klasse" eine genuine DDR-Identitäts-
bildung zu ermöglichen. Die Klassennation, in der die Legitima-
tionsfigur Sozialismus die kollektive, mit Westdeutschland geteilte,
Volks- und Kulturnation überlagerte, sollte "sowohl ein Kriterium zur
Rechtfertigung der Außengrenzen wie der Binnenordnung der DDR
sein" (ibid.: 22). Allerdings wurde dieses Identifikationsangebot von
den Bürgern aufgrund der oben genannten wirtschaftlichen, politischen
und ideologischen Legitimationsprobleme kaum akzeptiert. Die Kon-
struktion eines sozialistischen Nationalgefühls mißlang in der DDR.
Mit den hier dargestellten Legitimitätsproblemen war das SED-
Regime aber schon seit seinem Bestehen konfrontiert. Auch die Ver-
schärfung der ideologisch-moralischen Krise und die wachsende
Wohlstandsdiskrepanz zur Bundesrepublik in den achtziger Jahren kann
nicht den Zeitpunkt seines Zusammenbruchs erklären. Zusätzlich zu klä-
ren ist vielmehr, warum sich die latenten Legitimitätsprobleme des
DDR-Regimes zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine akute Existenz-
krise von Regime und Staat verwandelten. Die Ursachen dafür sind zu-
nächst im Wandel der außenpolitischen Kontextfaktoren zu finden.
Außenpolitischer Druck
seine Formen, nicht seinen Erfolg. Dazu bedarf es zusätzlich der Ein-
sicht in die Mikrologik kollektiven Handeins. Beides soll hier ab-
schließend über die Verknüpfung einer Überlegung des Handlungs-
theoretikers Przeworski (1986) und einer Argumentationsfigur des
Ökonomen Albert 0. Hirschman (1970) geschehen.
In einer theoretischen Studie zu Problemen der demokratischen
Transformation schrieb Przeworski 1986: "What matters for the stabi-
lity of any regime is not the legitimacy of this particular system of
domination but the presence or absence of preferable alternatives"
(1986: 5lf.). Auch wenn, wie wir gezeigt haben, der völlige Verfall
von Legitimität "vorziehbare Systemalternativen" für die Bürger ge-
radezu zwangsläufig provoziert, ist damit noch nicht hinreichend er-
klärt, warum und in welcher Weise sich Menschen in einer bestimm-
ten historischen Situation gegen das bis dahin geduldete Regime aufleh-
nen. Es muß also erläutert werden, warum die DDR-Bürger im Herbst
1989 massenhaft das Risiko regimeoppositionellen Protestverhaltens auf
sich nahmen, das bis dahin allenfalls nur wenige überzeugte Dissidenten
nicht scheuten. Auch dafür gibt przeworski eine Erklärung: "Only when
collective alternatives are available does political choice become availa-
ble for isolated individuals" (ibid. 55). Das heißt:
• individuelles politisches Handeln wird in aller Regel von der Ra-
tionalität des Kosten-Nutzen-Kalküls gesteuert;
• auch kollektives Handeln ist nur über die Mikrologik des utilitari-
stischen Kalküls handlungsbereiter Individuen zu erklären;
• von den Akteuren wird jene Handlungsalternative gewählt, die den
größten Nutzen erwarten läßt;
• es müssen sich realisierbare Systemalternativen herausgebildet ha-
ben.
Der Protest in autokratischen Herrschaftssystemen ist deshalb umso
wahrscheinlicher, je realistischer sich Veränderungen oder gar Syste-
malternativen ohne zu große individuelle Risiken abzeichnen. So wa-
ren die Bürger der DDR nach dieser rationalen Handlungstheorie im
Herbst 1989 vor folgenden Kalkül gestellt: Überwiegt bei der Teil-
nahme am Protest der zu erwartende Nutzen, wie die Ausdehnung in-
dividueller Freiheitsrechte, die Erweiterung politischer Partizipation,
die Einführung größerer Freizügigkeit oder die Erhöhung der berufli-
chen Lebenschancen die erwarteten Kosten des Protestes, wie weitere
428 Transformationspfade: vom kommunistischen Regime zur Demokratie
\ I
Reaktion der - Unfilhlgl<eit zur Politikenpassung
Regrnse"en • FQhrungsachwiche
fflf
(Anpassung'krise)
~p
'"/
Massenprotest
/ 'votCeO
j
Reaktion der "8111"
Burger (Ungarn. Prag. (Opposnionsgruppen.
'" ,
(Regmekrise) Maue~all) Massendemonstrationen)
Aufkündogung von
(aktiver/passiver) ·'oyaHy·
o -=
· Runder Tisch
Demokratlslerungspro,eß · Demokratische Wahlen
(MatZ 1990)
31 Sowohl in Estland als auch in Lettland lehnten radikale Beflirworter der Un-
abhängigkeit die Legitimität der amtierenden Obersten Sowjets als Repu-
bliksparlamente ab, da es sich bei diesen ihrer Meinung nach um Organe der
sowjetischen Besatzungsmacht handelte. In Konkurrenz hierzu wurden
1989/90 Wahlen zu einem "estnischen" bzw. "lettischen Bürgerkongreß" or-
ganisiert, in deren Vorfeld Bürger, die bereits 1940 die lettische bzw. estni-
sche Staatsangehörigkeit besaßen bzw. deren Nachkommen, sich in "Wäh-
lerlisten" eintragen konnten (Lieven 1994: 274f.).
Neugründung von Staaten: die baltischen Demokratien 433
gen Umgangs mit der starken russischen Minderheit und dem Ver-
hältnis zur Russischen Republik bestanden, kam es schon bald nach
der Unabhängigkeit im Sommer 1991 zum Auseinanderfallen der op-
positionellen Front und mit den Wahlen von 1993 zu einer ausge-
prägten Ausdifferenzierung beider Parteiensysteme (ibid.: 256). Beide
Volksfronten wurden damit Opfer ihres eigenen Erfolgs, ein typisches
Transformationsmuster vieler breiter Anti-Regimekoalitionen (nicht
nur) in Osteuropa. Die dramatischen Kosten der wirtschaftlichen
Transformation, die Unerfahrenheit der neuen politischen Eliten mit
demokratischen Verfahren und staatlichen Institutionen sowie die
Blockierung des politschen Entscheidungsprozesses durch das partei-
politisch fragmentierte Parlament können als ursächlich für die Wahl-
niederlagen der Volksfronten bei den demokratischen Gründungs-
wahlen der jungen Staaten im Sommer 1992 betrachtet werden34 •
Während in Estland eine national-konservative Parteienkoalition die
Regierung übernahm und sich inbesondere bei den Parlamentswahlen
1995 ein Rechtsruck im politischen System erkennen läßt (Reetz
1995; Raun 1997), ging die Regierungsmacht in Lettland 1993 von der
Volksfront auf die gemäßigten konservativen Parteien über. Kommuni-
stischen oder postkommunistischen Parteien ist es bisher nicht gelungen,
im demokratischen System erneut Fuß zu fassen. Zu groß sind noch die
Ressentiments der estnischen und lettischen Titulamationen gegenüber
der russischen Minderheit, zu stark noch die Identifizierung der balti-
schen KP-Nachfolgeorganisationen mit einer pro-sowjetischen Haltung.
Zu stark war der personelle Aderlaß und zu tief die Diskreditierung der
kommunistischen Rumpfparteien aufgrund ihrer indifferenten oder gar
feindlichen Haltung in der Unabhängigkeitsfrage, als daß es ihnen bis-
her möglich gewesen wäre, an die politische Macht zurückzukehren. Die
kongruente Überlagerung des Systemkonflikts ,,Regime versus Oppo-
sition" durch die "Rußland versus EstlandlLettland"-Konfliktlinie
führte - durch ihre kumulative Wirkung - die nationalen KPdSU-
Nachfolgeparteien in die politische Bedeutungslosigkeit.
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 fiel nicht nur in
Estland und Lettland, sondern auch in Litauen den Volksfrontregie-
rungen die Unabhängigkeit "plötzlich und viel schneller als erwartet
34 Zur Wahlniederlage der lettischen Volksfront hat auch die öffentlich gewor-
dene Klientelwirtschaft der Regierung Godmanis beigetragen.
Neugründung von Staaten: die baltischen Demokratien 437
in die Hände" (Reetz 1995: 320). Auch hier entstand nach estnischem
Vorbild schon 1988 die Volksfrontbewegung Sajudis, die im Gegen-
satz zur estnischen Oppositionsbewegung weniger eine Ansammlung
politischer Führungspersönlichkeiten und ihrer Gefolgschaft, sondern
vielmehr ein Sammelbecken verschiedener politischer Institutionen
und Organisationen darstellte. 3s Obwohl auch ihr eine große Zahl
hochrangiger Vertreter des kommunistischen Establishments ange-
hörten, dominierten schon flÜh radikale nationalistische Oppositions-
strömungen die litauische Volksfront. Unter der Führung von Vyautas
Landsbergis verstand es Sajudis, seine organisatorische Integrität auch
über die Transition hinaus zu erhalten und sich erfolgreich und ohne
Abspaltung größerer politischer Gruppierungen als Partei zu konsti-
tuieren (Ruutsoo/Siisiäinen 1996: 426f.).
Während die kommunistischen Nachfolgeparteien in Estland und
Lettland in der politischen Bedeutungslosigkeit versanken, gelang es
den litauischen Reformkommunisten unter Algirdas Brazauskas, sich
während des gesamten Transformationsverlaufs als wichtiger politi-
scher Akteur zu behaupten. Bereits im Dezember 1989 spaltete sich
der nationalkommunistische Mehrheitsflügel von der KPLi ab und
konstituierte sich unter der Bezeichnung "Litauische demokratische
Partei der Arbeit" neu. FlÜher noch als in den beiden übrigen balti-
schen Republiken wurde hier ein liberalisiertes Mehrparteiensystem
legalisiert. Die erfolgreiche Etablierung der Postkommunisten im po-
litischen System Litauens hatte zunächst den paradoxen Effekt, daß -
anders als in Estland und Lettland - die nationalistische Volksfront
nach ihrem Triumph bei den Wahlen zum Obersten Sowjet der Sozia-
listischen Sowjetrepublik Litauen exklusiv alle politischen Spitzen-
ämter besetzte und die Postkommunisten in die politische Opposition
drängte. Damit fehlte jedoch innerhalb der Regierungselite jenes mä-
ßigende Element im Umgang mit der Führung der Sowjetunion, das in
Estland und Lettland die kooperations- und kompromißbereite Stra-
tegie der nationalen Regierungen kennzeichnete. Die litauische Füh-
rung mit dem Parlamentspräsidenten und de facto Staatsoberhaupt
Landsbergis an der Spitze setzte von Beginn an auf einen Konfronta-
tionskurs gegenüber der Sowjetführung um Gorbatschow. Konsequent
erklärte Litauens Regierung als erste unter den baltischen Republiken
Opposition
~oderate Nationalisten
/ relormbereite Softliner relormbereite Softliner ~
Regime~ Regime
37 In Lettland betrug die ethnische Zusammensetzung der KPLe seit den 60er
Jahren etwa 60% Russen bzw. Nicht-Letten zu 40% Letten. In der estnischen
KP war das ethnische Mischverhältnis ausgeglichen.
3. Die Institutionalisierung der Demokratie
38 Auch wenn dies nicht schlicht als eine monokausale Beziehung zu deuten ist,
soll später an einigen Beispielen gezeigt werden, welche besonderen Konso-
lidierungsrisiken (semi)-präsidentielJe Regierungssysteme bergen und weIche
Konsolidierungsprobleme parlamentarische vermeiden können.
446 Die Institutionalisierung der Demokratie
Parlament
Das Parlament besteht aus einer Kammer, deren 386 Abgeordnete für
die Dauer von vier Jahren gewählt werden. Ihm obliegen vor allem die
klassischen Aufgaben parlamentarischer Demokratien: die Gesetzge-
bung, das Haushaltsrecht, die Bestellung einiger hoher Staatsämter,
Typen demokratischer Regierungssysteme in Osteuropa 447
die Kontrolle der Regierung und die Beratung der großen Richtungs-
entscheidungen der Innen- wie Außenpolitik.
Staatspräsident
Regierung
Verfassungsgericht
Wahlsystem
über eine Liste auf der nationalen Ebene verteilt und zwar nach Maß-
gabe der Gesamtzahl aller in den regionalen Wahlkreisen für die
Mandatsvergabe noch nicht berücksichtigten Wählerstimmen. Für die
regionalen Wahlkreislisten wie flir die nationale Ausgleichsliste gilt
die 4%-Klausel.
Das Wahlssystem produziert zwei Effekte: zum einen kommt es zu
starken Disproportionalitätseffekten zwischen Wählerstimmen und
Parlamentsmandaten (ibid.: 130), die vor allem die stärkste(n) Par-
tei(en) begünstigen. Zum anderen haben das Mehrheitswahlsystem
und die 4%- Klausel einen Konzentrationseffekt, der die Zahl der
Parteien im Parlament verringert und mit dem faktischen Dispropor-
tionalitätsbonus meist der stärksten Partei hilft, regierungsfahige
Mehrheiten zu finden. Also auch durch das Wahlsystem werden beim
demokratischen Repräsentativitätsgebot Abstriche zugunsten von Re-
gierungsstabilität und parlamentarischer Entscheidungs- und Mehr-
heitsfähigkeit gemacht.
Insgesamt soll zunächst festgehalten werden, daß die Kompetenz-
verteilung zwischen Exekutive und Legislative, wie auch innerhalb
der Exekutive zwischen Ministerpräsident und Staatspräsident, klar
geregelt ist. Deutlich wird aus den konstitutionellen Kompetenzzu-
schreibungen, daß die ungarische Verfassung eine starke Exekutive
fördert. Das Parlament wird deshalb zugunsten der Regierungsstabili-
tät und Entscheidungsfahigkeit bestimmten Einschränkungen unter-
worfen. Die Position des Parlaments, allerdings auch der Regierung,
wird zusätzlich noch durch ein einflußreiches Verfassungsgericht ju-
dikativ begrenzt. Zugespitzt läßt sich formulieren: das ungarische
Verfassungsgericht stärkt die exekutive Entscheidungsfahigkeit auf
Kosten des im Parlament institutionalisierten demokratischen Reprä-
sentationsgedankens. Ob dies für die Konsolidierung der jungen unga-
rischen Demokratie förderlich ist, soll erst im nächsten Kapitel N.4.
im Vergleich mit den anderen osteuropäischen Regierungssystemen
herausgearbeitet werden.
450 Die Institutionalisierung der Demokratie
Das Parlament
Der Staatspräsident
Der Staatspräsident wird auf fünf Jahre direkt vom Volk gewählt und
kann nur einmal wiedergewählt werden. Ihm obliegt nicht nur die Rati-
fizierung der internationalen Verträge, sondern auch die "allgemeine
Leitung" der Außen- und Sicherheitspolitik. Er wird dabei von dem von
ihm bestellten Nationalen Sicherheitsrat beraten und kann die Außen-
und Sicherheitspolitik maßgeblich bestimmen (Furtak 1996: 132). So-
fern es ihm wichtig erscheint, kann das Staatsoberhaupt Kabinettssit-
zungen einberufen, die Agenda bestimmen und den Vorsitz führen.
Rechtsakte des Präsidenten bedürfen der Gegenzeichnung durch den
Ministerpräsidenten oder den sachlich zuständigen Minister. Davon
ausgenommen sind 13 enumerierte Fälle, wie die Einberufung der ersten
Sitzung des neugewählten Sejms, die Auflösung des Parlaments oder die
präsidentielle Gesetzesinitiative (Ziemer 1993: 116). Gegenüber den
vom Parlament verabschiedeten Gesetzen besitzt der Staatspräsident ein
Vetorecht, das nur mit Drei-Fünftel-Mehrheit des Sejms überstimmt
werden kann (Bast European Constitutional Re-view 1/1997: 21).
Generell besitzen die Staatspräsidenten in den semipräsidentiellen
Regierungssystemen Osteuropas durch ihre Vorschlags-, Designie-
452 Die Institutionalisierung der Demokratie
Die Regierung
recht des Sejms gegenüber der Regierung nicht völlig eindeutig gere-
gelt. Das Parlament besitzt nämlich zwei Optionen. Zum einen kann
es die Regierung mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum, also der
gleichzeitigen Wahl eines neuen Regierungschefs, stürzen. Zum Sturz
genügte bis 1997 unter Umständen auch ein destruktives Mißtrauens-
votum mit absoluter Parlamentsmehrheit. In diesem Falle oblag es
aber dem Staatspräsidenten, ob er die Regierung entläßt oder Neu-
wahlen ausschreibt. Nach wie vor kann der Sejm aber auch ein Miß-
trauensvotum gegen einzelne Minister aussprechen, die in einem sol-
chen Falle zwingend zurücktreten müssen (Ziemer 1993: 117).
In der Frage des Abberufungsrechts der Regierung durch das Par-
lament haben sich die Verfassungsgeber 1997 zu einer Reform ent-
schlossen, die die Stabilität der Regierungskabinette fördern soll! Das
einfache (destruktive) Mißtrauens-Votum wurde abgeschafft. Mit Art.
158 der neuen Verfassung wurde nun das konstruktive Mißtrauens-
votum als alleinige Option des parlamentarischen Mißtrauens mit der
Folge des Regierungsrücktritts verankert.
Das Verfassungsgericht
Polen war das erste Land Osteuropas, das noch zu Zeiten des kommu-
nistischen Regimes (1986) ein Verfassungsgericht etablierte. Zwar
war es in der Normenkontrolle weitgehend auf die Regierungstätigkeit
konzentriert und konnte auch hier durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit
des Sejms überstimmt werden, dennoch bedeutete die frühe Einrich-
tung des Verfassungsgerichts einen ersten Schritt zur rechtsstaatlichen
Kontrolle der Exekutive (Garlicki 1996: 281). Mit der Verabschie-
dung der neuen Verfassung 1997 wurde das Verfassungsgericht zur
letzten Instanz der abstrakten Normenkontrolle erhoben. Dem Sejm
wird dann nach zwei weiteren Übergangsjahren erst nach insgesamt
einem Jahrzehnt demokratischer Rechtsstaatlichkeit die Überstim-
mungsmöglichkeit entzogen.
Die Richter des Verfassungsgerichts werden vom Sejm auf acht
Jahre gewählt. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. Die Hauptaufga-
be des Verfassungsgerichts besteht in der abstrakten und konkreten
Normenkontrolle. Es kann hierfür sowohl von staatlichen Institutio-
nen (Präsident, Ministerpräsident, 50 Sejm-Abgeordnete bzw. 30 Se-
natoren, Ombudsmann) als auch von den höheren Gerichten in anhän-
454 Die Institutionalisierung der Demokratie
Das Wahlsystem
bestätigt wird. Der Präsident besitzt das Recht, einzelne Minister oder
das gesamte Kabinett auch gegen den Mehrheitswillen des Parlaments
abzuberufen. Das Parlament seinerseits hat zwar die Prärogative des
Mißtrauensvotums gegenüber dem Regierungskabinett, doch der Prä-
sident hält gegenüber dem parlamentarischen Mißtrauensvotum Veto-
rechte bzw. in letzter Instanz die Möglichkeit, das Parlament aufzulö-
sen". Die russische Verfassung gibt dem Regierungssystem der Ruß-
ländischen Föderation geradezu idealtypisch die Konturen eines sol-
chen präsidentiell-parlamentarischen Regierungssystems.
Zugespitzter als bei den meisten anderen Verfassungsgebungen in
Osteuropa verschärfte sich in Rußland der Konflikt zwischen den Be-
fürwortem des parlamentarischen Regierungssystems auf der einen
und des Präsidentialismus auf der anderen Seite (vgl. u.a.: von Beyme
1994: 238; Schneider 1995: 42ff.; Bos 1996a: 180ff.; Brie 1996:
155ff.). Dabei vollzog sich die konstitutionelle Ausformung des poli-
tischen Institutionensystems Rußlands seit 1990 einerseits durch um-
fangreiche Revisionen der alten sowjetischen Verfassung aus dem
Jahre 1978 und der parallel verlaufenden Ausarbeitung einer neuen
Verfassung (Bos 1996: 181). Nach einer blutigen Auseinandersetzung
zwischen dem semidemokratischen Volksdeputiertenkongreß (Legis-
lative) und dem Staatspräsidenten Jelzin (Exekutive) wurde am 12.
Dezember 1993 mit einem Referendum (58,4% Zustimmung) die nach
Jelzins Wunschvorstellungen ausgearbeitete Verfassung angenom-
men. Die am 25. Dezember des gleichen Jahres in Kraft getretene
Verfassung stattet den Präsidenten mit umfangreichen Befugnissen
aus, die ihn "zum dominierenden Machtfaktor" (Furtak 1996: 116)
bzw. "beherrschenden Verfassungsorgan" (Luchterhandt 1996: 253)
der russischen Politik machen41 •
Der Staatspräsident
Die russische Verfassung erhebt noch stärker als die französische Ver-
fassung der V. Republik den Staatspräsidenten zur ersten Macht und
zum überragenden Verfassungsorgan. Der Präsident ist zugleich
"Staatsoberhaupt", "Garant der Verfassung", Hüter der "Souveränität"
41 Zum Text der russischen Verfassung wie der meisten anderen demokrati-
schen Verfassungen Osteuropas siehe Brunner (1995).
Typen demokratischer Regierungssysteme in Osteuropa 457
Das Parlament
Die Regierung
Die ausführende Gewalt besteht,. wie oben ausgeführt, aus einer doppel-
köpfigen Exekutive mit dem Staatspräsidenten einerseits und dem vom
Ministerpräsidenten geleiteten Regierungskabinett andererseits. Das Ka-
binett ist sowohl vom Vertrauen des Parlaments wie des Staatspräsiden-
ten abhängig. In der Politikformulierung ist das Regierungskabinett
ebenfalls zwischen Präsident und Parlament erheblich eingeengt. Die
Korridore des Handlungsspielraums werden dann besonders eng, wenn,
wie nach den Dumawahlen 1993 und 1995, die Opposition über die
Mehrheit im Parlament verfügt. Da auf der anderen Seite der Präsident
die Organisationsgewalt in der Regierung, den Vorsitz im Kabinett, die
eigentliche Richtlinienkompetenz, das Recht auf Suspendierung aller
Regierungsakte sowie ein Entlassungsrecht gegenüber dem Ministerprä-
sidenten besitzt, erscheint die Regierung nach dem Verfassungsbuchsta-
ben ohne den Präsidenten eher als ein Teil der exekutiven Verwaltung
denn als eine aktive Gestalterin der russischen Politik.
Verjassungsgericht
Das Wahlsystem
Der Staatspräsident
"Der Staatspräsident der Republik ist das Oberhaupt des Staates und
der ausführenden Gewalt" (Art. 95). Er wird auf fünf Jahre direkt vom
Volke gewählt und kann nur einmal wiedergewählt werden. Traditio-
nell ist der Präsident Garant der Souveränität und Sicherheit des Lan-
des. Er besitzt alle wesentlichen diesbezüglichen Kompetenzen: Er ist
Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann den Ausnahmezustand
verhängen41 • Dem Präsidenten werden die Organisations-, Geschäfts-
43 Der Ausnahmezustand muß allerdings nach drei Tagen durch das Parlament
bestätigt werden. Die Verfassung läßt offen, was bei einer Nichtbestätigung
geschieht (Luchterhandt 1996: 265).
464 Die Institutionalisierung der Demokratie
Das Parlament
Die Verfassung von 1994 hat sich für ein Ein-Kammer-Parlament ent-
schieden: "Der Oberste Sowjet der Republik Belarus ist das höchste,
repräsentative, ständig amtierende und einzige Gesetzgebungsorgan
der Staatsgewalt der Republik Belarus" (Art. 79)45. Er setzt sich aus
260 Abgeordneten zusammen, die für fünf Jahre gewählt werden. Das
Parlament kann nur mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mit-
glieder vorzeitig aufgelöst werden. Neben den traditionellen Präroga-
tiven in der Gesetzgebung, bei der Ratifikation internationaler Verträ-
ge und der Erklärung von Krieg und Frieden besitzt der Oberste So-
wjet u.a. das Wahlrecht für das Verfassungsgericht, für mehrere Ober-
ste Gerichtshöfe, den Generalstaatsanwalt sowie die Mitglieder des
Vorstands der Zentralbank (Art. 83). Damit hatte die Verfassung von
1994 dem starken Präsidenten auch ein starkes Parlament entgegenge-
stellt.
Durch die Verfassungsänderungen von 1996 wurden dem Parlament
jedoch in erheblichem Umfange Kompetenzen genommen46 • Der Ober-
ste Sowjet wurde durch ein Zwei-Kammer-Parlament ersetzt: der Reprä-
sentantenkammer (Unterhaus) mit 110 Abgeordneten und dem Rat der
Republik (Oberhaus) mit 66 Mitgliedern. Der Präsident ernennt ein
Drittel der Mitglieder des Rates der Republik; die restlichen Mitglieder
werden von den örtlichen Exekutiven bestimmt, die wiederum vom
Staatspräsidenten ernannt werden (Schuschkewitsch 1997).
Durch die präsidentielle Umwandlung der Dekrete in Gesetze wur-
de die wichtigste Prärogative des Parlaments, nämlich das alleinige
Vorrecht, Gesetze zu erlassen, durchlöchert. Der Präsident beruft or-
dentliche wie außerordentliche Sitzungen des Parlaments ein. Das
Auflösungsrecht des Präsidenten gegenüber dem Parlament, ohne daß
diesem ein komplementäres konstitutionelles Instrument gegeben
worden wäre (Mißtrauensvotum)47, macht das Parlament durch die
Exekutive erpreßbar. Konsequent wurden dem Parlament auch wich-
tige Wahl- und Ernennungsrechte für Gerichte und die zentrale Wahl-
kommission genommen oder beschnitten und dem Präsidenten zuge-
ordnet. Das Parlament wurde de facto zu einem sekundären Verfas-
sungsorgan degradiert.
Die Regierung
Das Verjassungsgericht
Das Verfassungsgericht besteht aus elf Richtern, die für elf Jahre
durch den Obersten Sowjet gewählt werden. Durch die Verfassung
von 1994 wurden dem Verfassungsgericht umfassende Normenkon-
trollzuständigkeiten eingeräumt, die es auch aus eigener Initiative
Das Wahlsystem
nung des gegenwärtigen Unterhauses als Duma eher als rein termino-
logischer denn als ein systematisch-institutioneller Rückgriff auf die
Verfassungstraditon der nationalen Geschichte.
51 Der Begriff der cohabitation kommt aus der politischen Terminologie des
semipräsidentiellen Regierungssystems Frankreichs. Er bezeichnet das ge-
meinsame Regieren von einem Kabinett mit anderer parteipolitischer Fär-
474 Die Institutionalisierung der Demokratie
52 Die alte MSZMP löste sich auf ihrem Parteitag vom Oktober 1989 auf und
benannte sich in Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) um. Die neue
MSZP trat die Rechtsnachfolge der alten MSZMP an.
476 Die Institutionalisierung der Demokratie
53 Das waren vor allem der klare Wahlsieger, das "Ungarische Demokratische
Forum" (MDF), und die Vereinigung Freier Demokraten (SZDSZ), die ge-
meinsam rund 67% der Parlamentsmandate auf sich vereinigen konnten
(Stöss/Segert 1997: 410).
478 Die Institutionalisierung der Demokratie
rer hielt. Schließlich setzte sich die Warschauer Gruppe durch, hatte
jedoch die Wählerpräferenzen der Bürger völlig falsch eingeschätzt.
Mazowiecki konnte sich als Drittplazierter nicht einmal für die Stich-
wahlen qualifizieren, die Walesa gegen den wirren Populisten Tymin-
ski für sich entscheiden konnte (Ziemer 1993: 104).
Die dritte Runde der Verfassungsstreitigkeiten wurde von dem
Staatspräsidenten Walesa auf der einen und dem Sejm auf der anderen
Seite ausgetragen. Der dritte Spieler war die von beiden Institutionen
abhängige Regierung. Die offenen konstitutionellen Expansionsbe-
strebungen Walesas trieben die Regierung nicht selten in eine Interes-
senkoalition mit dem Parlament. Infolge dieser Koalition und auf-
grund des sich abnutzenden Charismas Walesas verschoben sich die
Machtgewichte leicht zuungunsten des Staatspräsidenten. Alle drei
Seiten fanden dann 1992 einen Kompromiß in der "Kleinen Verfas-
sung". Die de facto-Kompetenzen des Präsidenten wurden dort vor-
sichtig begrenzt, blieben aber insbesondere bei der Regierungsbildung
noch erheblich. Der Sejm erhielt ein neues "rationalisiertes" Verhält-
niswahlrechtS4 und die Regierung wurde durch das neu eingeführte
konstruktive Mißtrauensvotum gegenüber dem Parlament etwas ge-
stärkt. Es hatte sich damit eine prekäre Balance zwischen Präsident,
Regierung und Parlament herausgebildet, die zwar einige Konflikte
durch die Präzisierung der Gewaltenteilung und Gewaltenverschrän-
kung entschärfte, die grundsätzliche Strukturproblematik des parla-
mentarisch-präsidentiellen Regierungssystems jedoch nicht lösen
konnte. Auch die nächsten Verhandlungsrunden, die sich bis zur Ver-
abschiedung der Verfassung im Mai 1997 hinzogen, änderten, sieht
man von der Stärkung des Verfassungsgerichts einmal ab, nichts We-
sentliches mehr am Modus der Gewaltenteilung und am innerexekuti-
ven Verhältnis von Regierung und Staatspräsident (East European
Constitutional Review 1/1997: 21f.). Wie in Ungarn zeigte sich auch
in Polen, daß größere Veränderungen der einmal eingeschlagenen
konstitutionellen Ausstattung eines Regierungssystems nur am Rande,
kaum aber im Kern vorgenommen werden (Rüb 1994: 276).
Dies gilt auch für Rußland nach der Verabschiedung der Verfas-
sung im Dezember 1993. Allerdings verlief hier der Streit um die Ver-
fassung und das Regierungssystem im allgemeinen und das Verhältnis
von Exekutive und Parlament im besonderen noch konfliktreicher als
in den anderen osteuropäischen Ländern. Die Auseinandersetzungen
um die Verfassung von der Unabhängigkeitserklärung vom 12. Juni
1990 bis zum Inkrafttreten der Verfassung im Dezember 1993 sind ein
Musterbeispiel interessengeleiteter und machtbestimmter Verfassungs-
gebung im Zuge eines Systemwechsels. Allerdings führten die ratio-
nalen Strategien der maßgeblichen Akteure nicht zu Verhandlungslö-
sungen, sondern folgten der Logik eines Nullsummenspiels und führ-
ten damit zu einem unilateral durchgesetzten Verfassungsdiktat.
In der langgestreckten Institutionalisierungsphase der Demokratie
lassen sich drei Konfliktrunden erkennen (vgl. u.a.: von Beyme 1994:
238ff.; Brie 1996: 155ff.; Bos 1996: 181ff.; LinzlStepan 1996: 368ff.):
1. Juni 1990 - Dezember 1991: Souveränisierung Rußlands
2. Januar 1992 bis August 1993: Doppelherrschaft und Verfassungs-
krieg
3. September 1993 bis Dezember 1993: Staatsstreich als Verfas-
sungsgebung
I. Runde: Die Souveränisierung Rußlands. Die Phase von der Souve-
ränitätserklärung Rußlands (Juni 1990) bis zur Auflösung der Sowjet-
union war durch eine doppelte Frontstellung geprägt: zum einen zwi-
schen den Protagonisten der russischen Unabhängigkeit und der
Staats- und Partei spitze der Sowjetunion und zum anderen innerhalb
Rußlands zwischen Exekutive und Legislative. Eine klare Frontlinie
zwischen der wenig bedeutsamen Regimeopposition und der großen
Mehrheit der alten Regimeeliten gab es nicht. Die einstigen Eliten des
Sowjetregimes hatten sich auf alle Lager verteilt. Dennoch lassen sich
auf russischer Seite die reforrnbereiten Kräfte um Jelzin und die in
politischen Regimefragen stärker Status quo orientierten Regimeeliten
um den Vorsitzenden des Volksdeputiertenkongresses, Chasbulatow,
unterscheiden. Auf sowjetischer Seite führte der Präsident der Sowjet-
union, Gorbatschow, die Softliner an, während die Putschisten vom
August 1991 den Kern der sowjetischen Hardliner ausmachten. Unter
diesen vier Gruppen bildeten sich keine Koalitionen heraus. Weder
fanden die sowjetischen Hard- und Softliner zu einem Bündnis gegen
Die Genese der demokratischen Regierungssysteme 481
247). lelzin versuchte, aus der für ihn ungünstigen Situation mit ei-
nem Referendum über die Grundprinzipien der neuen Verfassung her-
auszukommen. Nach Konflikten mit dem Parlament und einer Ent-
scheidung des Verfassungsgerichts gegen die plebiszitäre Strategie
Jelzins wurde die Referendumsfrage auf eine Volksbefragung zum
Vertrauen in den Präsidenten, zu seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik
sowie zu vorgezogenen Neuwahlen reduziert. Bei einer Wahlbeteili-
gung von 64,5% sprachen 58,8% dem Präsidenten ihr Vertrauen aus,
52,7% stimmten der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu, aber nur 42,9%
bzw. 32,8% votierten für vorgezogene Parlaments- und Präsident-
schaftswahlen. Dies war ein bescheidener Sieg für lelzin, löste aber
nicht die umstrittene Verfassungsfrage zwischen den Befürwortem ei-
nes starken Parlaments und der Gruppe um lelzin, die für einen "Su-
perpräsidentialismus" (Holmes 1993/94) und die Einschränkung der
Parlamentskompetenzen eintraten.
Beide Seiten hatten den Verfassungsgebungsprozeß in eine Sack-
gasse manövriert, in der "die Annahme einer neuen Verfassung erst
durch ein neu gewähltes Parlament zu erwarten war, vorgezogene Par-
lamentswahlen aber erst nach der Verabschiedung einer neuen Verfas-
sung möglich erschienen" (Bos 1996: 186). Diese dilemmatische Si-
tuation nützte zweifellos mehr den reformfeindlichen Kräften des Par-
laments als den stärker reformorientierten Kräften um lelzin, zumal
erstere in dieser Runde leichte Kompetenzgewinne gegenüber der prä-
sidentiellen Exekutive verbuchen konnten. Beide Kontrahenten berie-
fen sich auf unterschiedliche Legitimitätsquellen. lelzin setzte auf die
demokratische Legitimität seiner direkten Wahl durch das Volk, und
Chasbulatow auf die konstitutionelle Legitimität der geltenden Ver-
fassung, die den Obersten Sowjet als das "höchste Organ des Staates"
ausweist. Beide Legitimitätsquellen sind schwer miteinander zu "ver-
rechnen"s6. Klar war jedoch, daß der Staatspräsident innerhalb der
geltenden Verfassung seine politischen Vorstellungen nicht durchset-
zen konnte.
3. Runde: Staatsstreich als Verjassungsgebung. Auf dem Boden der
geltenden Verfassungsbestimmungen gab es für lelzin kaum Chancen,
seine konstitutionellen Vorstellungen durchzusetzen. lelzin entschied
sich deshalb für den Bruch der Verfassung und löste am 21. Septem-
ber in einem kalten Staatsstreich das Parlament mit einem präsidenti-
ellen Dekret auf und kündigte Neuwahlen an. Eine große Gruppe von
Abgeordneten um Chasbulatow und den Vizepräsidenten Ruzkoj ver-
schanzten sich im Parlament. lelzin ließ das Parlament beschießen
und mit Waffengewalt erstürmen, wobei es zahlreiche Tote gab
(Schneider 1995: 40). Danach setzte er erneut eine Verfassungskom-
mission ein, die leizins Systemvorstellungen eines starken Präsiden-
ten umsetzte. Am 10. November wurde der Entwurf veröffentlicht und
für den 12. Dezember das Verfassungsreferendum angesetzt. Eine
Diskussion des Entwurfs fand weder in den demokratischen Gremien
noch in der Öffentlichkeit statt. Über 70% der Bevölkerung gab in
Umfragen an, mit dem Verfassungsentwurf nicht vertraut zu sein (Bos
1996: 193). Nur 55% der Bürger beteiligten sich an dem Referendum
und von ihnen stimmten nur 56% dem Entwurf zu. Auch wenn man
die häufig unterstellten Manipulationen an diesem Ergebnis nicht be-
rücksichtigt (Brie 1996: 157), kann eine Zustimmungsrate von knapp
30% der Wahlbevölkerung nicht als ein legitimes Votum für das
Grundgesetz einer neuen Demokratie angesehen werden. Die russi-
sche Verfassung ist deshalb weder Ausdruck eines konsensuellen
Volks- und Elitenwillens, noch genügte ihre Einsetzung den Minimal-
standards demokratischer Verfahrensweisen. Die neue demokratische
Verfassung Rußlands muß deshalb als das paradoxe Ergebnis eines
unilateral und gewaltsam oktroyierten Willens des Staatspräsidenten
gelten (ibid.: 156).
In Rußland setzten beide Hauptkontrahenten im Verfassungskon-
flikt auf eine Nullsummenlogik und waren deshalb nicht zu wechsel-
seitigen Zugeständnissen oder Kompromissen bereit. Die rationale
Strategie der first best solution ging nur für den Präsidenten auf.
Schwer wiegt der Geburtsfehler der russischen Demokratie, daß es im
Zuge der Verfassungsgebung nicht zu einem elite settlement oder
auch nur zu einer Elitenkonvergenz gekommen ist. Die Verfassung
einte das Land nicht auf einen Basiskonsens, sondern spaltete es und
trug erheblich zur Polarisierung der politischen Eliten bei. Berück-
sichtigt man Genese und Inhalt der drei Verfassungen, nahm zweifel-
los Rußland die größte Hypothek mit in die Phase der demokratischen
Konsolidierung.
4. Demokratische Konsolidierung, Stagnation
und Scheitern: Ungarn, Polen, Rußland und
Weißrußland im Vergleich
Ungarn
Polen
Rußland
60 Die Verfassung konnte nicht zuletzt deshalb verabschiedet werden, weil die
relativ große und kompakte Regierungsmehrheit der Sozialistischen Partei
und der Bauernpartei gegenüber der Solidarnosc-Opposition, der politischen
Rechten und dem Episkopat eine erstaunliche Kompromißorientierung zeigte
(Osiatynski 1997: 68).
61 Nach den Parlamentswahlen von 1997 wurde mit dem Wahlsieg der "Wahl-
aktion Solidarnosc" (AWS) und der Freiheitsunion (UV) eine erneute coha-
bitation, dieses Mal zwischen einer konservativen Regierung und dem post-
kommunistisch-sozialdemokratischen Staatspräsidenten Kwasniewski notwen-
dig. Anders als in der V. Französischen Republik, deren Regierungssystem
sich von 1958-1986 ohne frühzeitige cohabitation konsolidieren konnte,
wurde eine solche konsolidierungsfreundliche Schonfrist der neuen demo-
kratischen Republik Polen nur knapp drei Jahre eingeräumt.
490 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Weißrußland
Fazit
Ungarn
64 So kam es bei den Parlamentswahlen 1998 zu dem paradoxen Effekt, daß das
liberalkonservative Parteienbündnis FiDESZ-MPP zwar nur die zweitmeisten
Stimmen, aber in der Mandatsverrechnung die meisten Parlamentssitze er-
hielt und die Regierung stellen konnte (Grotz 1998: 642).
Die repräsentative Konsolidierung: Parteiensysteme und Verbände 495
Polen
der Parteien bzw. der nun unter dem Druck des geänderten Wahlsystems
neu formierten Wahlkoalitionen sind intern außerordentlich heterogen
und abspaltungsgefährdet. So gewann 1997 bei den Parlaments wahlen
mit der "Wahlaktion der Gewerkschaft Solidarnosc" (AWS) eine Par-
teienallianz, die erst kurz vor der Wahl aus ehemaligen Parteien und
Organisationen der Solidarnosc gegründet worden war und sich auch
in der ersten Regierungsphase nicht zu einer homogenen, entschei-
dungsstarken Regierungspartei formen konnte.
Allerdings wird die noch keineswegs überwundene Zersplitterung
des Parteien spektrums nicht durch eine ideologische Polarisierung
verschärft. Denn die extreme Linke ist nicht besetzt, und die nationali-
stisch-reaktionären Parteien auf der Rechten sind zersplittert und fast
bedeutungslos (Ziemer 1997: 76ff.). Ein zentrifugaler Parteien wett-
bewerb a la Weimar ist nicht zu erkennen. Längerfristig könnten sich
auch zwei regierungsfähige Mitte-Rechts und Mitte-Links-Koalitions-
lager herausbilden (Solidarnosc-Nachfolgeparteien und Freiheitsunion
(UW) versus sozialistisch-sozialdemokratische Parteien (SDL) und
die Bauernpartei (PSL)), die zunehmend um die Wähler in der Mitte
und nicht jene auf den extremen Polen konkurrieren. Noch ist die
Volatilität zwischen den Partei lagern sowie den einzelnen Parteien
relativ hoch, was auf eine bisher geringe Parteien-Wähler-Bindung
und damit eine niedrige Konsolidierung des Parteiensystems hin-
weist. Insbesondere unter den zahlreichen Organisationen des kon-
servativen und rechten Parteienspektrums ist auch fast zehn Jahre
nach dem Systemwechsel weder eine programmatische noch organi-
satorische Konsolidierung zu erkennen (Ziemer 1997: 81). Es wird
viel von der Kooperationsfähigkeit der im November 1997 ins Amt
gewählten liberal-konservativen Regierungskoalition abhängen, ob
sich in Polen ein kompakteres bürgerliches Lager herausbilden
kann. Längerfristig könnten dann die liberale Freiheitsunion (A W)
oder die sozial-konservative Bauernpartei (PSL) in der Mitte des
Parteienspektrums - der bundesdeutschen FDP nicht unähnlich -
die Funktion der Mehrheitsbeschaffer für Mitte-Rechts- und Mitte-
Links-Regierungen übernehmen. Dies wäre, zumindest aus der Per-
spektive einer stabilen Regierungsbildung, ein positives Konsolidie-
rungsszenario für die Zukunft.
Die gesellschaftliche Verankerung und Akzeptanz der politischen
Parteien ist in Polen noch schwächer als in Ungarn ausgeprägt. Dies
498 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Rußland
der anderen Seite scheint sich zwar zu verfestigen, aber die meisten
Parteien verändern ihre Position auf der Achse von Reform und Re-
aktion ständig68 •
Traditionslinien der Interessenrepräsentation: Die Interessenartikula-
tion und Interessenvermittlung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft
sowie dem Staat wird bisher nur sekundär von den Parteien und Ver-
bänden besorgt. Einer noch verwurzelten sowjetischen Tradition fol-
gend, werden wirtschaftliche und politische Entscheidungen in erster
Linie von Staatslobbies um die großen industriellen Komplexe69 her-
um direkt ausgehandelt (Stykow 1998). ,,Folgerichtig haben auch der
Staatspräsident und die Regierung ihre wichtigste Machtbasis nicht in
den Parteien, sondern in den Staatslobbies" (BoslSteinsdorff 1997:
135)70. Neben dieser staatslobbyistischen Variante der funktionalen
Interessenrepräsentation vermag sich die territoriale Interessenreprä-
sentation durch die Parteien kaum durchzusetzen. Soweit diese den-
noch funktioniert, ist sie weniger von klaren programmatischen Posi-
tionen bestimmt, sondern mehr durch den Klientelismus und Persona-
lismus regional verankerter Abgeordneter und Regierungsmitglieder
geprägt.
Diese hier aufgeführten Gründe verhinderten bisher die Strukturie-
rung und erst recht die Konsolidierung des Parteiensystems. Die Frag-
mentierung, Volatilität und Polarisierung des russischen Parteien-
spektrums ist auch in Osteuropa konkurrenzlos hoch. Bei den ersten
freien Wahlen zur Staatsduma zogen 1993 elf Parteien und 155 "Un-
abhängige" in das Parlament ein. Diese Zahl der Parteien erhöhte sich
bei der folgenden Parlamentswahl 1995 noch auf 18. Nur die Zahl der
Der hohe Volatilitätsgrad von 40% der Wähler von den Parlaments-
wahlen 1993 zu den Wahlen von 1995 (Merkel 1997a: 369) zeigt an,
daß sich mit der partiellen Ausnahme der KPRF noch kaum stabile
Parteien-Wählerbindungen herausgebildet haben. Auch dies deutet
darauf hin, daß ein konsolidierungsfördernder Konzentrationsprozeß
des russischen Parteiensystems noch nicht in Sicht ist. Die Dekonsoli-
dierungswirkung des fragmentierten und volatilen Parteiensystems
wird noch durch seine ausgeprägte ideologische Polarisierung ver-
stärkt. Mit der Liberaldemokratischen Partei (LDPR) des antisemiti-
schen Nationalisten Schirinowski und der orthodox gebliebenen
Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) unter
Sjuganow sind die äußeren Pole auf der Rechten wie der Linken des
Parteienspektrums durch relevante Parteien besetzt. Dies gilt auch,
obwohl sich im tatsächlichen Abstimmungsverhalten die LDPR in der
Duma zu einer treuen Gefolgspartei des Staatspräsidenten Ielzin ent-
502 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Weißrußland
Ungarn
Polen
Rußland
77 Damit werden hier wie im folgenden die Spitzenmanager der großen staatli-
chen Konzerne bezeichnet (vgl. auch: Stykow 1998).
514 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Die Gewerkschaften
Unternehmerverbände
Weißrußland
Die Gewerkschaften
Die Unternehmerverbände
Fazit
78 Dies gilt für Griechenland bis 1974, für Portugal und Spanien bis Anfang der
achtziger Jahre.
Die Verhaltenskonsolidierung der Vetoakteure 523
Auch in Rußland und Weißrußland ist das Militär bisher noch nicht
als offener Vetoakteur in Erscheinung getreten. Dennoch treten insbe-
sondere in der russischen Politik immer wieder Generäle mit zweifel-
hafter demokratischer Reputation in die Politik ein. Verteidigungsmi-
nister kommen stets direkt aus dem Militär und werden vom Präsi-
denten meist in Abstimmung mit Teilen der Streitkräfte ernannt. Die
Reduzierung der Truppenstärke, der gesellschaftliche Statusverlust der
524 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Auffallend ist, daß der Typus des überzeugten Demokraten in allen fünf
ostmitteleuropäischen Ländern dominiert. In keinem der Länder machen
die drei demokratieproblematischen Typen (Resigniert Entfremdete,
Latent Autoritäre, Antidemokraten) zusammengenommen mehr als ein
Drittel der Bürger aus. Unsere heiden Untersuchungsländer Polen und
Ungarn weisen innerhalb üstmitteleuropas allerdings die ungünstigsten
Werte aut9 • Unter den Polen wurden in den Umfragen die wenigsten
überzeugten Demokraten und die meisten Antidemokraten ermittelt.
Gefolgt wird Polen von Ungarn, das zwar sowohl bei den Demo-
kraten als auch Antidemokraten in Hinblick auf die demokratische
Konsolidierung günstigere Werte aufweist, aber - wie Tschechien -
von 1991 bis 1995 eine rückläufige Zahl der überzeugten Demokraten
hinzunehmen hatte. Im Falle Rußlands haben Plasser et al. (1997:
171) nur Zahlen für den Typus des Antidemokraten vorgelegt. Mit
27% (1994) der Befragten liegen sie dreimal so hoch wie in der
Tschechischen Republik und übertreffen den ungünstigsten ostmittel-
europäischen Fall Polen noch fast um das doppelte. Für Weißrußland
liegen keine vergleichbaren Zahlen vor. Doch alle deskriptiv-quanti-
tativen Analysen zur politischen Entwicklung in Belams und die hohe
Wählerzustimmung für den Autokraten Lukaschenko lassen vermu-
ten, daß antidemokratische Einstellungen in der Bevölkerung noch
verbreiteter sind als in Rußland (Sahm 1995a; Lindner 1997; Tim-
mermann 1997; Lorenz 1998).
Während Rußland mit über einem Viertel Antidemokraten ein be-
achtliches demokratiefeindliches Potential in der Bevölkerung aufweist,
nähern sich die ostmitteleuropäischen Länder langsam den Durch-
schnittswerten der jüngeren südeuropäischen Demokratien (Griechen-
land, Portugal, Spanien) an. Zwar sind sie von den guten Demokratie-
werten der meisten westlichen Demokratien noch sichtbar entfernt, lie-
gen aber schon günstiger als der Durchschnitt der südamerikanischen
Staaten (Plasser et al. 1997: 171), obwohl deren Redemokratisierung -
mit Ausnahme Chiles und Paraguays - schon länger zurückliegt.
Allerdings gibt die - für üstmitteleuropa relativ demokratiefreund-
lich beantwortete - Frage nach der besseren Herrschaftsform zunächst
nur Aufschluß über den Systemaspekt der politischen Kultur, also der
sog. Systemkultur.
79 Ähnliches gilt für Slowenien, wofür allerdings keine Zahlen für 1991 existieren.
528 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
Von dieser Systemkultur lassen sich aber noch zwei andere politische
Dimensionen der politischen Kultur trennen: die Prozeßkultur und die
Politikfeldkultur (vgl.: AlmondlVerba 1963; PlasserlUlram/Waldrauch
1997). Die Prozeßkultur erfaßt insbesondere die intermediäre Vermitt-
lungsebene zwischen Staat und Gesellschaft, die vor allem von politi-
schen Parteien und Verbänden besetzt wird. Mit der partiellen Ausnah-
me der Tschechischen Republik ist die "bewußtseinsmäßige Konsolidie-
rung der Meso-Ebene" (plasser et al. 1997: 173) in Ost(mittel)europa
weit schwächer als in den etablierten Demokratien Westeuropas. So er-
halten politische Parteien bei der Frage nach dem Institutionenvertrauen
in allen osteuropäischen Ländern durchgängig die niedrigsten Werte.
Das geringste Vertrauen genießen wiederum Parteien in Ungarn und
Polen. Ebenso bewegen sich Parlamente (Konfliktaustragung der Partei-
en) und Gewerkschaften am unteren Ende des Institutionenvertrauens8o •
80 Diese Werte spiegeln nicht im Niveau, aber wohl in der Tendenz die Ergeb-
nisse von Umfragen in den etablierten Demokratien Westeuropas der letzten
zehn Jahre wider (GabrieI1992: lI4ff.).
Konsolidierung der Bürgergesellschaft 529
81 Insofern lassen sich die ennittelten Werte auch als die spezifischen Unter-
stützungsleistungen für ein bestimmtes politisches System im Sinne von Da-
vid Easton (1965) interpretieren.
530 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
die Polen, die Erfolge in der Wirtschaftspolitik mit einer verhalten po-
sitiven Einschätzung der Zukunft verbinden, überwiegen in Ungarn
die düsteren Zukunftserwartungen, die zudem noch mit einer negati-
ven Wahrnehmung der sozialen Gerechtigkeit in der ungarischen Ge-
sellschaft einhergehen (ibid.: 172).
Allerdings schlagen die negativen Perzeptionen gegenüber den
demokratischen Institutionen und repräsentativen Organisationen wie
dem Parlament, den Parteien und Gewerkschaften sowie der Lei-
stungsperformanz der Exekutive nicht unmittelbar auf die Legitimität
der Demokratie82 insgesamt durch. Es hat in Osteuropa ganz offen-
sichtlich eine temporäre Entkopplung zwischen der Zustimmung der
Bürger zum demokratischen politischen System auf der einen und der
spezifischen, also output-orientierten Legitimität auf der anderen Seite
stattgefunden. So haben Juan Linz und Alfred Stepan in empirischen
Untersuchungen für Ostmitteleuropa und die baltischen Staaten her-
ausgefunden, daß die negative Einschätzung der eigenen wirtschaftli-
chen Lage im Kapitalismus gegenüber der früheren ökonomischen
Lebenssituation im kommunistischen Wirtschaftssystem nicht auf die
Bewertung des demokratischen politischen Systems übergegriffen hat.
Hier lagen die mehrheitlichen Präferenzen für die Demokratie auch
nach dem wirtschaftlichen Niedergang der ersten vier Jahre noch 1994
unverändert weit vor der Sympathie für die Wiedereinführung der
kommunistischen Autokratie (LinzlStepan 1996: 449).
Mit der Ausnahme Ungarns sieht die Bevölkerung Ostmitteleuro-
pas zudem die wirtschaftliche Entwicklung schon mittelfristig optimi-
stisch. Linz und Stepan nennen diese Fähigkeit, trotz der bisherigen
Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Lage weder die Markt-
wirtschaft noch die Demokratie abzulehnen, die Fähigkeit zur .. de-
ferred gratification" (ibid.: 439). In dem ,,New Democracies Baro-
meter" von Richard Rose und Christi an Haerpfer finden sich für die-
sen Sachverhalt folgende aufschlußreiche Zahlen: 1989 betrug die
durchschnittliche Wertschätzung der Bürger von sechs ostmitteleuro-
päischen Staaten auf einer Skala von minus 100 bis plus 100 gegen-
über der Marktwirtschaft noch 60 Punkte plus. 1994 war das Polster
auf 35 plus abgesunken. Für die Performanz der Regierung lag der
82 Legitimität wird hier synonym zu Eastons Begriff des diffuse support ver-
wendet.
Konsolidierung der Bürgergesellschaft 531
Durchschnittswert dagegen bei 46 plus und stieg bis 1994 trotz des
wirtschaftlichen Niedergangs auf plus 62 (zit. nach: Linz/Stepan
1996: 442). Die Fähigkeit, "Gratifikationen" aufzuschieben, liegt auch
in der sich langsam entwickelnden demokratischen Staatsbürgerkultur
begründet.
Ungünstiger für die Konsolidierung der Demokratie stellt sich die
zivile "Ökonomie der Geduld" in den meisten Nachfolgestaaten der
Sowjetunion dar. Sie ist dort weit weniger ausgeprägt als in Ostmittel-
europa, und dementsprechend enger ist auch die Koppelung in der
Beurteilung der wirtschaftlichen und politischen Ordnungssysteme.
Linz und Stepan (1996: 449) fassen diese Situation folgendermaßen
zusammen:
"We must also note that, in contrast to the six East Central European
countries, economic and political judgements are more tightly coupled in
the CIS countries. There is thus a much lower propensity for deferred gra-
tification in the non-Baltic parts of the former Sovjet Union than in East
Central Europe,,81.
Die Gründe für die engere Koppelung von Ökonomie und Politik und
die daraus resultierende lebendigere Nostalgie für die kommunistische
Vergangenheit in Rußland, Weißrußland und der GUS insgesamt sind
vor allem auf folgende Faktoren zurückzuführen:
• kaum demokratische Traditionen in der Vergangenheit;
• "positivere" Einstellungen zum Sowjetsystem aufgrund dessen par-
tieller Modernisierungserfolge gerade der zuvor wenig industriali-
sierten Teile der UdSSR;
• längere autokratische Regimephase (1917-1991), die sich zudem
bis 1985 in zeitweise totalitären, immer aber geschlosseneren auto-
kratischen Herrschaftsstrukturen manifestiert hat, als dies in Polen,
Ungarn und Slowenien der Fall war;
• Resignation über den Zerfall des Sowjet-Imperiums und den Ver-
lust des Supermacht-Status;
• stärkerer wirtschaftlicher Niedergang in den ersten vier postsowje-
tischen Jahren als in Ostmitteleuropa.
83 "CIS states" ist die Abkürzung ftir "Community of Independent States", also für
die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten "OUS".
532 Demokratische Konsolidierung, Stagnation und Scheitern
prozentuale Anteil der Demokratien 1996 immer noch bei 57% (Dia-
mond 1997: 21).
Allerdings müssen an der Interpretation der Daten als beispiello-
sem Siegeszug der Demokratie zwei wichtige Einschränkungen ge-
macht werden. Erstens gehen die Zuwachsraten der neuen Demokrati-
en seit 1991 deutlich zurück und tendieren seit 1995 gegen Null.
Zweitens, und dieser Einwand wiegt noch schwerer, müssen wir die
"electoral democracies" differenzierter betrachten. Zu ihnen zählt
Larry Diamond alle politischen Systeme, die mit den allgemeinen,
freien, geheimen und gleichen Wahlen auf nationaler Ebene die verti-
kale demokratische Legitimität der regierenden politischen Eliten
verwirklicht haben (Diamond 1996: 28f.). Diese Minimaldefinition
liegt noch unterhalb des Schumperterianischen oder auch Dahlschen
demokratischen Minimums (DahI1971; vgl. auch: Kap. 1.1.1.2.).
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