Sie sind auf Seite 1von 13

Fröbels Pädagogik der Kindheit – didaktische

Überlegungen zu seiner Spielpädagogik


Der 1840 entstandene und weltweit verbreitete „Kindergarten“ Fröbels ist ein Produkt der

Philosophie der Aufklärung und des Deutschen Idealismus. Der Kindergartenpraxis Fröbels

liegt eine Theorie des Spiels mit deutlich spekulativen Zügen zugrunde. Diese Auffassung

vom Spiel zeigt eindrucksvolle deduktive Beweisführung, logische Stringenz und

Begriffsschärfe. Sie ist aber oft flüchtig in der Materialisierung der Fröbel überströmenden

geistigen Einsichten und generell gering im Bereich der empirischen Belege.

© kristall

Die deutsche und internationale Fröbelbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

mit ihrem Hauptbestreben, Fröbels Kindergartenidee weltweit durchzusetzen, hat einige

dieser Defizite durch Kompendien – man nannte sie „Handbücher“ – zu beheben versucht und

so die fragmentarisch überlieferte Spielpädagogik als Theorie wie als Zusammenhang von

Spielformen und Materialien Fröbels systematisiert, dabei aber selbst wiederum in

problematischer Weise unkritisch Fröbel in spezifischer Weise interpretiert. Und dies gilt auch

noch für die Rezeption der Spielpädagogik Fröbels im 20. Jahrhundert, trotz der durch

Forschung bedingten verbesserten, breiteren Quellenlage.

Jeder Zugriff auf Fröbels Werk muss sich mit den „authentischen“ Dokumenten, also mit den

überlieferten Texten Fröbels, auseinandersetzen und diese zunächst in ihrer fragmentarischen

Form zur Kenntnis nehmen, bevor behutsame Rekonstruktionen in Form von Ergänzungen

und Zusammenfassungen mit einbezogen werden (vgl. Heiland 2001 und Heiland 2004). Bei

solchem Zugriff wird sichtbar, dass Fröbel die Unterscheidung von „Erziehungsphilosophie“,

„Allgemeiner Pädagogik“, „Schulpädagogik“ und „Spielpädagogik“ (Frühpädagogik) gar nicht

kennt und er meist von „Menschenerziehung“ (1826) und dann in seiner Spätzeit, also nach
1840, von „entwickelnd-erziehender Menschenbildung“ in Schule und Kindergarten, bei

Unterricht und Spielpflege spricht. Auch die Begriffe einer „Allgemeinen Didaktik“ oder

„Methodik des Unterrichts“ sind ihm fremd. Wenn er 1826 von „Erziehungs-, Unterrichts- und

Lehrkunst“ (Untertitel seines Hauptwerks „Die Menschenerziehung“) spricht, so meint er wohl

mit „Erziehungskunst“ das Fachgebiet der „Allgemeinen Pädagogik“, mit „Unterrichts- und

Lehrkunst“ die „Allgemeine Didaktik“ mit ihrem Teilgebiet der „Methodik“ bzw. Theorie der

Unterrichtsmethoden, allerdings in deutlichem Bezug auf die konkrete Keilhauer Erziehungs-

und Unterrichtspraxis. Eine eigens ausgewiesene Methodik des Unterrichts kennt Fröbel also

nicht – ebenso wenig eine Didaktik oder Methodik seiner Spielpflege. Wohl aber ist ihm durch

seine Affinität zu Pestalozzis Theorie der Elementarbildung der Begriff der

„Elementarmethode“ vertraut, der bei ihm allerdings meist durch „Menschenerziehung“ bzw.

„entwickelnd-erziehende Menschenbildung“ ersetzt wird.

Eine hier beabsichtigte Darstellung bzw. Analyse der didaktisch-methodischen Dimension der

Spielpädagogik Fröbels muss sich daher bewusst sein, dass sie Fröbels Werk „von außen“

betrachtet, d. h., fröbelfremde Begriffe und Perspektiven an seine Spielpädagogik heranträgt.

Dies Grundproblem unseres Fröbel-Verständnisses ist aufgrund der historischen Differenz

von über 150 Jahren unabdingbar, nicht zu eliminieren, wohl aber zu beachten. Es besteht die

Gefahr, Fröbel „passend“ zu machen, also ihn begrifflich wie systematisch „umzuschreiben“,

was der Aktualität Fröbels nützen mag, jedoch letztlich der Authentizität solcher Fröbel-

Interpretationen schadet bzw. diese gefährdet. Die nachstehende Analyse der Spielpädagogik

Fröbels versucht, einer „Quadratur des Kreises“ zu entsprechen und will Fröbels Aktualität

herausarbeiten, ohne die Authentizität dieser Interpretation in gravierender Weise zu

gefährden. Dieser geisteswissenschaftlich-hermeneutische Ansatz bestimmt daher auch den

Aufbau der folgenden Darstellung von Fröbels spielpädagogischer Konzeption. In einem

ersten Durchgang (Teil II) werden die wichtigsten Zusammenhänge von Fröbels

Erziehungsphilosophie, Schul- und Spielpädagogik zusammengestellt (vgl. Heiland 1993,


1998 und 2002). Im zweiten Durchgang (Teil III) werden didaktisch-methodische

Fragestellungen der derzeitigen Debatte im Bereich der „Pädagogik der frühen Kindheit“

aufgegriffen und auf Fröbels Spielpädagogik bzw. Spielpraxis bezogen.

Die angesprochene Debatte stützt sich auf die Ergebnisse der internationalen PISA-

Untersuchungen, die dem deutschen Sekundarschulsystem, insbesondere den Sekundar-I-

Schülern in Kl. 9, erhebliche Leistungsdefizite bescheinigen. Als Ursachen dieser Defizite

werden neben, ungenügender schulischer Förderung von Kindern aus Migrantenfamilien,

Mängel in der frühkindlichen Bildungsförderung in Kitas (Kindergärten, Hort, Krippen)

genannt. Konsequenz der mangelhaften frühkindlichen Bildungsförderung im außerfamilialen

Bereich – so die Debatte – muss vor allem die Steigerung des Förderungsniveaus in

Kindergärten sein, die wiederum eine qualifiziertere Ausbildung des Erzieherberufs (für

Kindergärten) voraussetzt. Diese Erhöhung der Berufsqualität durch

Ausbildungsverbesserung der Erzieher-Professionalisierung wiederum setzt die kritische

Überprüfung traditioneller Konzepte der Frühförderung, so auch von Fröbels Spielpädagogik,

im Kontext aktuell diskutierter didaktischmethodischer Fragestellungen zur Betreuungspraxis

in Kindergärten voraus. Diese Fragestellungen werden im zweiten Durchgang aufgegriffen.

Es dürfte wenig zweckmäßig sein, Fröbels Konzeption in ihrer Begrifflichkeit und Systematik

kritisch zu diskutieren, weil bei Fröbel ohnedies die didaktisch-methodische Komponente

kaum begrifflich-systematisch ausgewiesen ist, wie bereits gezeigt wurde. Daher wird im

zweiten Durchgang (Teil III) die didaktisch-methodische Analyse von Fröbels Spielpädagogik

als Diskussion einiger Praxisbeispiele aus Fröbels Kindergarten durchgeführt, um hier direkt

das Positive der „Führung“ im Kindergarten Fröbels, aber auch mögliche Defizite Fröbels

hinsichtlich der didaktisch-methodischen Dimension seiner Spielpädagogik,

herauszuarbeiten. Denn so falsch es wäre, Fröbels Spielpädagogik aufgrund ihrer

philosophischen Grundlage als rigide im Umgang mit der Individualität des Kindes zu

beurteilen, als ebenso falsch wird sich auch das oft behauptete Gegenteil herausstellen, dass
Fröbel die Kindergärtnerin auf die Peripherie des Kindergartenraums und auf Beobachtung

beschränke und somit das Kindergartenkind völliger Selbstregulierung überlassen habe.

Beide gängigen Bilder von Fröbels Kindergarten als kollektivistisch und aindividualistisch bzw.

als „Schonraum“ ohne Forderungen entsprechen eben gerade nicht, wie noch zu zeigen sein

wird, Fröbels Selbstverständnis von seiner Spielpflege.

Die Spielpädagogik Fröbels und ihre Voraussetzungen

Erziehungsphilosophie und Pädagogik der Schule

Kernpunkt der Pädagogik Fröbels ist eine familiennahe Elementarbildung. Mit unseren

gängigen Begriffen der Fachterminologie formuliert, heißt das: Fröbel will die Schaffung einer

Grundbildung, eines Spektrums von Basisqualifikationen beim einzelnen Kind in familiennaher

Atmosphäre in Form von individueller Förderung in der integrierten Institution von

(Tages-)Kindergarten und (Ganztags-)Grundschule.

Das gemeinsame Interesse aller betreuenden Erwachsenen am Kind, am Heranwachsenden

ist Ausgangspunkt und Basisbedingung Fröbels für erfolgreiche Erziehung und Bildung, für

Elementarbildung. Dieses gemeinsame Interesse an Erziehung ist sowohl kind- als

sachorientiert. Fröbels Pädagogik ist einerseits subjektbezogen. Erziehung soll nach Fröbel

dem heranwachsenden Menschen mit seinen Kräften, Fähigkeiten und Interessen

entsprechen, diese also anregen, unterstützen, auch leiten und weiterführen. Fröbels

Pädagogik konfrontiert daher andererseits die kindlichen Kräfte („Inneres“) mit Sachverhalten

und Inhalten, also mit „objektiven“ – Fröbel sagt: „gegenständlichen“ – Zusammenhängen, die

als „Äußeres“ selbst wieder gewissermaßen nur die andere Seite (der „Medaille“) der

subjektiven Kräfte darstellen. Als Beispiel: Dem kindlichen Sprechenkönnen entspricht eine

„objektive“ Sprachumgebung. Daher kann Fröbel dem einzelnen Menschen die Kategorie

„Geist“ zuordnen und ihm den ganzen großen Bereich der Gegenstände als „Natur“

entgegensetzen.
Zum Bereich der „Natur“ gehört neben den Dingen aber auch der eigene Körper des einzelnen

Menschen sowie die Mitmenschen in ihrem äußeren leiblichen Sein. Der Mitmensch ist

jedoch zugleich „Geist“ als Einheit von „Geist“ und Körper, integriertes Ganzes von „Natur“ und

„Geist“ und von Mensch zu Mensch durch Sprache verbunden. An diesem in der traditionellen

Philosophie bzw. Erkenntnistheorie üblichen Dualismus von Natur und Geist, der in der

Philosophie des „Deutschen Idealismus“ (so bei Kant und Fichte) zur Subjekt-Objekt-Spaltung

weiterentwickelt wurde, interessiert Fröbel vor allem folgendes Problem: Das Grundproblem

einer ursprünglichen, religiös-theologisch begründbaren Einheit von „Geist“ und „Natur“ und

deren Zerfall als Trennung und Aufspaltung in die Bereiche „Natur“ (Objekt) und „Geist“

(Subjekt) und deren erneute Einigung durch Vermittlungsstrategien. Diesen Prozess

beschreibt Fröbel mit den Begriffen des „Entgegengesetzten“ (= Geteiltes) und

„Entgegengesetztgleichen“(= Vermitteltes, Geeintes).

Bei seiner Spieltheorie, die ja eine solche Vermittlungskonzeption darstellt, geht es Fröbel also

weniger um das Verhältnis des einzelnen Kindes zu anderen Kindern und zu Erwachsenen,

also um das Verhältnis Mensch – Mensch, sondern vor allem um das Verhältnis von Mensch

(= Kind = Subjekt = „Geist“) und Ding (= Objekt = „Natur“). Fröbel kennt also den Begriff „Natur“

in seiner ganzen Breite, als das Objekt-Sein von gegenständlicher und mitmenschlicher

Wirklichkeit. Er diskutiert dann aber doch vor allem die erkenntnistheoretische Problematik

der Subjekt-Objekt-Spaltung und ihrer Lösung durch vermittelnd-integrierende Leistungen der

Erziehung individualtheoretisch, also aus der Perspektive des einzelnen Kindes. Es ist kein

Zufall, dass sich Fröbel in seinen spielpädagogischen Texten vor allem zum Bauen und zum

Spiel mit seinen Materialien, den „Gaben“ und „ Beschäftigungen“ geäußert hat – vor allem

zum Bauspiel des einzelnen Kindes mit der dritten „Gabe“, den acht Würfelchen. Für Fröbel

werden offensichtlich hier die zentralen Bildungsprozesse der der von ihm angestrebten

„Elementarbildung“ am deutlichsten sichtbar.


„Natur“ also ist bei Fröbel das „Entgegengesetzte“, auch das „Entgegengesetztgleiche“, weil

die Wirklichkeit der Gegenstände, der Dinge, auch der vom Menschen hervorgebrachten

„ Werke“ bis zu den Kunstwerken in ihrem Kern wiederum selbst „Geist“ („Inneres“), nämlich

„Allgemeines“, d. h., Gesetzmäßigkeit, Struktur ist.

Wenn also der heranwachsende Mensch, das Kind, sich wirklich mit den Gegenständen

beschäftigt, dann muss es sich – so Fröbel – mit ihnen auseinandersetzen, indem es diese

Gegenstände aus-einander-setzt, zerlegt und zusammensetzt, konstruiert. Das heißt aber

weiter, dass das Kind sich zu ihnen in Bezug setzt. Das Zerlegen der Gegenstände, der Dinge,

der Sachverhalte, ihre „Analyse“ allein genügt nicht. Zwar: Ihren Kern, ihr „Allgemeines“, ihre

„Gesetzmäßigkeit“ zeigen die Dinge bei der Analyse. Aber dieses „Allgemeine“ muss vom

analysierenden Heranwachsenden, dem Kindergartenkind dann auch wahrgenommen, als

„Allgemeines“ erfasst werden. Dies geschieht zunächst beim Spiel des Kindes und dann

später durch den Schüler im Unterricht. Dabei verweisen die Dinge auf den Spielenden und

Lernenden. Ihr Kern, ihr „Allgemeines“, ist zugleich „Allgemeines“ des Menschen, bringt bei

ihm Bildung, d. h. „Allgemein“-Bildung als Kennen des „Allgemeinen“ hervor.

„Bildung“ ist bei Fröbel ein gestuftes Wissen des einzelnen Menschen um die

Gesetzmäßigkeit von Wirklichkeit, jeder Wirklichkeit, aller Wirklichkeit. Dieses „gestufte“

Wissen reicht vom gefühlshaften „Ahnen“ im Kontext von Anschauung und Handeln bis zum

klaren Bewusstsein, begrifflicher Abstraktion und philosophisch-wissenschaftlicher

Systematik. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der vom gefühlshaften „Ahnen“ zur

bewussten Einsicht und zum Selbstbewusstsein führt und nicht auf einer Stufe dieses

Prozesses stehen bleiben soll. Das um das „Allgemeine“ aller Wirklichkeit „ahnend“, also noch

unbewusst wissende Kindergartenkind Fröbels bleibt nicht bei dieser gefühlshaften Einsicht

stehen. Sein Gestalten, sein Bauen mit Fröbels Spielmaterialien bereiten die spätere Einsicht

des Schülers im Unterricht vor und enthalten schon die Dimension der „Vergeistigung“, der

Hinweise auf das „Allgemeine“, aber eben noch immer handlungsbezogen und
anschauungsorientiert. Das „Bauen“ von Spielformen wird von Fröbel noch an den sinnlich-

konkreten Gegenstand, an das Spielmaterial, gebunden.

Und auch im schulischen Unterricht, zumindest auf der Stufe des Elementarschulunterrichts,

sind die Übergänge gleitend. Bei aller Betonung abstrakter Zusammenhänge im

Schulunterricht, der Begriffe und Begriffszusammenhänge, gilt auch hier – in der Keilhauer

Schule Fröbels – noch die Grundforderung der „Darstellung“ des einsichtig gewordenen,

erkannten „Allgemeinen“ am Konkreten. So stellen der Aufsatz, die Zeichnung, das Modell

auch Medien dar, welche den Unterrichtsinhalt auf seine spätere Abstraktheit hin zugänglich

machen. Aber für Fröbel sind es vor allem Medien der Sicherung, der Vergewisserung des

Erkannten und Verstandenen. Sie bieten im „Äußeren“, am Konkreten das „Innere“, den

erarbeiteten, den erfassten abstrakten Sachverhalt, der nun wieder materialisiert wird, aber so,

dass am Konkreten gleich das Abstrakte („Allgemeine“) sichtbar und erkennbar wird. So bietet

die Zeichnung das Grundsätzliche des Motivs, des Wirklichkeitsausschnitts. Das Modell in

heimatkundlicher Geografie zeigt das Typische des Realitätssegments und bereitet die

geografische Karte mit ihren abstrakten Strukturen (Höhenlinien, Wasserläufe etc.) vor. Und

der Aufsatz berichtet nicht nur über eine Wanderung, sondern demonstriert auch sprachliche

Ausdrucksmöglichkeiten der jeweiligen Schülersubjektivität, also dessen eigene Sprachwelt,

als allgemeinsprachlichen Ausdruck in subjektiver Variation.

Kindergarten und Schule sind bei Fröbel also eine Einheit, institutionelle Formen und

organisatorische Kontexte einer pädagogischen Konzeption. Mit unterschiedlicher

Akzentuierung wollen beide Einrichtungen dasselbe, nämlich Allgemeinbildung, also durch

Erziehung dem einzelnen Heranwachsenden zu seiner Bildung verhelfen, die im Kindergarten

und im ersten Bereich der Schule, dem Elementarunterricht (Grundschule) Elementarbildung

(Grundbildung) ist. Im Kindergarten Fröbels kommt die Elementarbildung im konstruierenden

Spiel, also durch Erfassen des „Allgemeinen“, von Strukturen am Spielgegenstand, durch

Handeln („Bauen“) und Betrachten („Anschauen“) und instruierende Hinweise („Belehrung“)


zustande. Kindliche Eigenaktivität und Spielpflege, also die Außenorientierung, das

Sichäußern, dominieren. Aber das „Bauen“ ist konstruierendes, Strukturen (also „Inneres“) am

Spielmaterial zeigendes Spiel. Die Struktur am Spielgegenstand verweist auf den Spielenden,

das „Äußere“ auf das „Innere“, der Spielgegenstand auf das Kind als Entgegengesetztes

(„Inneres“) und als Entgegengesetztgleiches, d. h. „Äußeres“ und „Inneres“ im Spiel

Vermittelndes. Spiel als Vermitteltheit von Gegenstand und Kind in und durch die

Spielhandlung ist selbst wiederum Allgemeinbildung, weil diese Vermittlung durch das Kind

als ahnendes Erfassen der Einheit von Gegenstand und Kind vollzogen wird. Dieses Sich-Eins-

Fühlen mit dem Spielmaterial aber umschreibt die hier sich zeigende Allgemeinbildung als

Elementarbildung, als Erfassen der Elemente gegenständlicher Wirklichkeit. Der

Elementarschulunterricht führt den Aufbau dieser Grundbildung auf einem deutlicher

abstrakter werdenden Niveau weiter, ohne den grundsätzlichen Ansatz der

Kindergartenpädagogik: Erfassen der Struktur („Allgemeines“) am Konkreten vollständig

aufzugeben. So ist Kindergartenspiel noch nicht schulischer Unterricht systematischer

Einsicht und Schule nicht mehr konstruktives Spiel. Dass in beiden Bereichen aber doch

Übereinstimmungen bestehen, zeigen Fröbels Konzeptionen der „Gaben“ (2.

Gabe/Baukästen/geteilter Würfel) und des „sprechenden“ (autodidaktischen) Würfels in

Kindergarten und Elementarschule sowie Fröbels Beschäftigungsmittel wie Flechten, Falten

sowie das „Stäbchenlegen“. Das Gemeinsame dieser Materialien bzw. „Beschäftigungen“ ist

ihr elementarbildender mathematischer Kern.

Die mathematische Grundbildung hat bei Fröbel ganz erhebliche Bedeutung. Dies ist kein

Zufall. Fröbel war professionell ausgebildeter Mathematiker bzw. Naturwissenschaftler

(Mineraloge). Die Feststellung neuerer Interpretationen, als „romantischer“ Pädagoge sei

Fröbel der Vertreter einer „natürlich-kindgemäßen“ , also subjektzentrierten Erziehung, er sehe

das Kind als „reine Unschuld“ (vgl. Baader 1996, S.221ff., Ullrich 1999, S.238ff.), das in

Kindergarten und Schule durch „freies“ Spiel und „Erlebnisunterricht“ seine „Natur“ entfalte,
geht an Fröbels Intentionen völlig vorbei (vgl. Heiland 2001, S.25-29). Fröbel steht im Kontext

seiner Zeit. Er vollzieht die transzendentalphilosophischen Überlegungen der

zeitgenössischen Philosophie, insbesondere Fichtes, mit. Aber er erhält durch andere

Einflüsse, insbesondere durch das christliche Moment seiner Herkunft aus einem Pfarrhaus,

durch die Orientierung an Arndts nationalpädagogischen Ideen, vor allem aber durch einen

mehrjährigen Aufenthalt bei Pestalozzi in Yverdon und durch seinen akademischen

Werdegang – vom Autodidakten zum Assistenten und Mitarbeiter des Berliner Mineralogen

Christian Samuel Weiß, dem Begründer der Kristallografie, – weitere entscheidende

Orientierungen.

Die formale Summe aller dieser Beeinflussungen und Anregungen ist Fröbels Philosophie des

„sphärischen“ Lebens. Fröbel sagt: „Jedes Ding entwickelt seine sphärische Natur nur

dadurch vollkommen, daß es sein Wesen in sich und durch sich in seiner Einheit, in einer

Einzelnheit und in einer Mannigfaltigkeit darzustellen strebt und wirklich darstellt“ (Boldt,

Knechtel & König 1982, I, S.183).

Fröbels Sphärephilosophie stellt eine Einheitsphilosophie, eine liberalchristlich fundierte

Kosmologie und Anthropologie dar, die „Natur“ und „Geist“ (Mensch) als Bereiche der

göttlichen Schöpfung interpretiert, deren Kern göttlich („sphärisch“) ist, die auf Gott verweist

und auf diesen Ursprung zurückgeführt (re-ligio) werden muss. Alles Seiende entspricht

diesem Drang durch sein natürliches Sein (Entwicklung). Der Mensch entspricht dieser

Forderung durch sein Denken und Handeln, durch Wissenschaft. Wissenschaft ist damit

identisch mit Sphärephilosophie und mit Religion. Die Sphärephilosophie Fröbels beschreibt

die grundsätzliche Bezüglichkeit (Vernetzheit) alles Seienden als Ausdruck göttlicher

Schöpfung und die Notwendigkeit der erneuten, bewussten Vermittlung alles Seienden mit

sich und mit Gott. Diese wiederholende dritte Vermittlung und Vermitteltheit des Kosmos:

zunächst als (göttliche) Schöpfung, dann als (christliche) Erlösung, nun anthropologisch

durch Erziehung verweist auf Erziehung und Bildung als Grundkonstanten der
Sphärephilosophie Fröbels. Diese Philosophie lässt sich in allen pädagogischen Äußerungen

Fröbels nachweisen.

Fröbel sagt in einem Brief, die Menschheit habe drei Aufgaben zu lösen:

„a) die Natur mit Gott zu vermitteln […] Die Menschheit löste diese Aufgabe dadurch, daß sie

die Welt (die Schöpfung) aus Gott (als ihrem Schöpfer) hervorgehen ließ.

Schöpfungsgeschichte.

b) die Menschheit, den Menschen mit Gott zu vermitteln (z. B. die Einheit in der Einzelnheit

nachzuweisen und umgekehrt). Diese Aufgabe löste die Menschheit dadurch, daß sie das

Göttliche im Menschen, in einem Menschensohn erscheinen ließ, d. h. erkannte:

Erlösungsgeschichte.

c) die Menschheit, den Menschen mit der Natur zu vermitteln, z. B. Die Einzelheit in der Allheit,

die Allheit (das All) im Einzelnen nachzuweisen. Einigungsgeschichte.

[…] An der Lösung der dritten Aufgabe arbeitet jetzt die Menschheit. Wir auch arbeiten von

Seite der Erziehung daran […] Jeder einzelne Mensch muß als die Menschheit in sich

verstehender, die Menschheit in sich vollendender Mensch die drei großen

Entwickelungsstufen der Menschheit gleichsam micrometrisch oder symbolisch durchlaufen.

Dies geschieht in freier Bethätigung, spielender Beschäftigung, geschieht im Spiel. Dem

Kindergarten ist die Lösung dieser Aufgabe Zweck, sein Ziel ist – allseitige Lebenseinigung.“

(Fröbel an Bertha von Marenholtz-Bülow v. Nov. 1851/BlM/Abschr./Kasten 2/F 1058/70, Bl

730R)

Fröbels sphärephilosophisch begründete Erziehungsphilosophie strebt Elementarbildung an.

Unter Elementarbildung versteht Fröbel das wechselseitige Sicherschließen der

gegenständlichen Wirklichkeit durch den einzelnen Menschen (Subjekt) und dessen Einsicht

in die gegenseitige Verwiesenheit von Welt und Subjekt – das Erfassen des „Allgemeinen“

(Strukturen, Gesetze) von Welt und Subjekt. Der Einzelne baut in sich Perspektiven der

Wirklichkeitserfahrung und damit Wirklichkeit selbst auf. Diesen Prozess bezeichnet Fröbel
als „Bildung“. Der Heranwachsende ist dann „Bildner“ seiner selbst – allerdings im

pädagogischen Kontext. Ohne „Erziehung“ keine „Bildung“! Das spielende Kind im

Kindergarten wie der lernende Schüler im Unterricht gelangen zur Selbstkonstituierung ihres

„Inneren“ („Geist“-Sein) nur im Kontext indirekt oder direkt einwirkender Erziehung von

„außen“, durch Spielpflege im Kindergarten und hinweisend-systematisierende „Belehrung“ im

„Lehrgang“ des schulischen Unterrichts. Nochmals: Die Interpretation des Kindergartens als

ausschließlicher Ort „freien Spiels“ und des schulischen Unterrichts Fröbels als einer Kette

von Erlebnissen geht an Fröbels pädagogischem Selbstverständnis vorbei, das dem

kindlichen Spiel stets die Dialektik von „Freiheit und Gesetz“ (Fröbel 1844, vgl. Heiland 1998,

S.71) und dem schulischen Unterricht die Verpflichtetheit gegenüber dem „unsichtbaren

Dritten“ (Fröbel 1826, § 13, Hoffmann 1951 II, S.15), also der Sache als „Allgemeinem“

zuordnet.

Aufgrund der lebenslangen Orientierung Fröbels an Pestalozzis Theorie der Elementarbildung

(vgl. Heiland 1993, S.15ff.) werden bestimmte Verstehensperspektiven (Kategorien) als

„elementar“ bestimmt. Insofern geht es Fröbel wie Pestalozzi um „Menschenerziehung“ als

„kategoriale Bildung“ – im Keilhauer Unterricht wie im Kindergarten.

Ausgangspunkt dieser „Elementarbildung“ bei Pestalozzi ist einerseits die „Individuallage“ des

einzelnen Heranwachsenden, andererseits dessen umgebende Wirklichkeit („Lebenskreise“),

deren dialektische Vermittlung zugleich Aufbau und Einsicht in elementare Zusammenhänge

(„Kategorien“) hervorbringt. Pestalozzi kennt dabei drei „Kräfte“, die „intellektuelle“, die

„physische“ (körperliche) und die „sittlich-religiöse“ emotionale „Selbstkraft“. Vor allem die

intellektuelle Kraft soll im Rahmen des schulischen Unterrichts methodisch gefördert, ihre

Elemente „Form“, „Zahl“ und „Name“ gebildet werden. Diese Elemente der Intellektualkraft

erfasst Pestalozzi bei der Analyse des Erkennens als Prozess von der unbestimmten

Anschauung über bestimmte Vorstellungen zum klaren, deutlichen Begriff. Dabei wird das

Angeschaute als ein Ding (Form), als ein Ding (Zahl) und als dieses Ding (Name) erfasst. So
werden anschauend die Dinge in ihrer Form, ferner als Einheit in Zusammenhängen erfasst

und schließlich bezeichnet. Dieser Erkenntnisprozess ist für Pestalozzi noch „natürlich“,

obwohl er sich gleichwohl deutlich vom pragmatisch-lebensweltlichen Umgang mit den

Dingen abhebt. Noch schärfer abstrahierend geht der Elementarunterricht Pestalozzis vor. Die

Intellektualkraft soll durch das „ABC der Anschauung“, das Element der „Form“ durch die

„Formkunst“ als Anschauungs-, Mess-, Zeichen-(Zeichnen-) und Schreibkunst gefördert

werden, das Element der „Zahl“ durch das Elementarmittel der „Rechenkunst“ und das

Element der Sprache durch die „Sprachkunst“ als Tonlehre, Wort- und Sprachlehre. Dabei

werden innerhalb der Elementarmittel die genannten Elemente des Erkenntnisprozesses

Form, Zahl und Sprache nochmals in weitere Teile zerlegt. Die „Formkunst“ legt Linie, Winkel,

Bogen und Quadrat als Elemente zugrunde, die „Rechenkunst“ ebenfalls das Quadrat bzw.

Einheit und Mehrheit (mehrfache Einheit), die „Sprachkunst“ schließlich Schall/Ton,

Buchstabe, Wort, Name. Für Pestalozzi sind alle diese „Elementarmittel“, also Form-, Rechen-

und Sprachkunst, präzisierte Naturmittel. Sie dienen der schnelleren und regelmäßigeren

Entfaltung der Erkenntniskraft, der „intellektuellen Natur“ des Heranwachsenden.

Das Problem dieser Theorie der intellektuellen Elementarbildung Pestalozzis ist ihr Bezug zur

Lebenswelt, zur Praxis. Sie ebnet das Zufällige des Natürlichen zugunsten des Präzisen, des

Erarbeitens von Allgemeinem ein und opfert so das Konkrete dem Abstrakt-Allgemeinen.

Faktisch war in der Schulpraxis Pestalozzis in Yverdon aus der Lebenswelt etwas Künstliches,

aus der Wohnstube das Schulzimmer als Ort der Belehrung geworden. Das Anwenden des

Erkannten entfiel nahezu ganz. Diese Verengungen hat Fröbel schon früh, zuerst 1805,

ausführlicher nach 1808, durchaus schon wahrgenommen. Trotzdem stand er zunächst noch

ganz unter dem Eindruck der Bedeutung dieser Pädagogik der Stärkung der „Selbstkraft“ des

Menschen, jedes Menschen. Und bei allen Nuancen seiner Pestalozzi-Rezeption, die hier nicht

dargestellt werden können, gilt, dass Fröbel bis hin zu seinen „Mutter- und Koseliedern“ (1844)

und seinen letzten systematischen Texten, etwa zum „Stäbchenlegen“ bzw. zur
„Vermittelungsschule“ (1852) an Pestalozzis Konzeption einer Elementarbildung prinzipiell

festgehalten hat. Das bedeutet aber auch, dass die mathematische Grundbildung bei ihm eine

ganz erhebliche Rolle innerhalb seiner Pädagogik der Schule wie auch des Kindergartens

spielt.

Die mathematische Grundbildung bei Fröbel hat aber, neben ihrer Begründetheit in Pestalozzis

Theorie der Elementarbildung, eine weitere Wurzel in seinem eigenen akademischen

Werdegang als Mathematiker und Naturwissenschaftler. Vor allem die Kristallografie ist hier

Fröbel zur Matrix, zum „Organon“ des Gesetzmäßigen geworden. Entsprechende

naturwissenschaftliche Grundlagen eignete er sich während seiner Zeit als Assistent von

Weiß am Mineralogischen Institut der Berliner Universität an, die er spekulativ zu einer

Konzeption elementarer Formen mit der Kugel (Sphaira) als Ausgangs- und Endpunkt

weiterentwickelt (vgl. Weise 1917). Den ersten Niederschlag dieser Reflexionen stellen zwei

Aufsätze Fröbels in seiner Wochenschrift „Die erziehenden Familien“ von 1826 dar: „Der

Spaziergang in der Mitte des Jenner“ – eine Betrachtung der kristallinen Strukturen von

Schneeflocken bzw. des Rauhreifs – und „Die Kunde der Formen und Gestalten und diese in

ihrer höheren Bedeutung und Beziehung“ – eine elementare Formenkunde. Diese

Zusammenhänge finden sich auch in der „Menschenerziehung“ wieder. Die Kristallografie ist

ferner Grundlage beim Entwurf des schulunterrichtlichen Mediums des „sprechenden“ oder

„selbstlehrenden“, also autodidaktischen Würfels (Sprach- und Mathematikwürfel) und der

Spielgaben für den Bereich des Kindes im Vorschulalter. Auch der sog. „Körperkasten“ von

1844 als Zusammenhang von Kugel, Würfel und Walze mit weiteren kristallinen Grundformen

als Anschauungsmittel für den Gebrauch im Kindergarten sowie die „Erbsenformen“ stehen in

diesem Deutungshorizont.

Das könnte Ihnen auch gefallen