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3/31/2020 Mord-These: Wurde Emile Zola ermordet?

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Feuilleton Mord-These: Wurde Emile Zola ermordet?

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MORD-THESE

Wurde Emile Zola ermordet?


VON ANDREA KLINGSIECK - AKTUALISIERT AM 28.09.2002 - 11:00

Mehrere französische Neuerscheinungen versuchen zu beweisen, dass Emile Zola


vor 100 Jahren einem Mordkomplott zum Opfer fiel.

A m Morgen des 29. September 1902 zog ein Gerücht durch Paris: Der Schriftsteller Emile
Zola soll in seiner Wohnung an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben sein. Schuld sei
angeblich der Kamin gewesen, dessen Abzug nicht richtig funktioniert habe.

Zum 100. Todestages des französischen Romanciers kocht nun jene These wieder hoch, die
schon zahlreiche Zeitgenossen teilten: Zolas Tod war kein Unfall, Zola wurde ermordet.

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„Zola assassiné“
Zola ermordet, Opfer einer
ruchlosen Tat? Pünktlich zum Todestag versuchen gleich mehrere
Aufklärung im Namen der Neuerscheinungen diese These zu belegen; ob Veronika Beci
Menschheit: Eine Biografie und
in ihrer Zola-Biografie oder Alain Pagès und Owen Morgan
ein neu übersetzter Roman
zum hundertsten Todestag mit ihrem „Guide Emile Zola“.
Émile Zolas.

Doch die vielleicht fundierteste Arbeit hat der Journalist


Jean Bedel geliefert, der in seinem Buch mit dem aufschlussreichen Titel „Zola assassiné“ (Der
ermordete Zola) die Summe seiner jahrzehntelangen Recherche präsentiert.

Chronist und Ankläger seiner Zeit

Jean Bedel macht in seinem Buch deutlich, wie viel Hass Emile Zola zu Lebzeiten auf sich
gezogen hat. Als Schriftsteller wurde ihm sein 20-bändiger naturalistischer Romanzyklus

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„Rougon-Maquart“ übelgenommen, in dem er eine schonungslose Chronik der Gründerjahre


lieferte. Zola wurde vorgeworfen, er suhle sich genüsslich im Schmutz der Gesellschaft,
bewerfe sie mit Dreck und zeichne das Porträt ihrer Randfiguren.

Dem Bürger Zola verzieh man sein politisches Engagement nicht. Er hatte sich in der Dreyfus-
A äre für den zu Unrecht der Spionage beschuldigten jüdischen O zier eingesetzt. Er hatte
wiederholt in der Zeitung „Le Figaro“ die Welle des Antisemitismus denunziert, die über
Frankreich einschlug. Schließlich hatte er 1898 in der Zeitung „L'Aurore“ sein berühmtes
Pamphlet „J'accuse“ (Ich klage an) verö entlicht, darin das Komplott gegen Dreyfus mit all
seinen politischen Interessenverflechtungen entlarvt und die Drahtzieher ö entlich
bloßgestellt. Für die „Anti-Dreyfusards“ war Zola nun praktisch „zum Abschuss freigegeben“.
Er bekam Hunderte beleidigender Briefe und Morddrohungen, die er vor seiner Familie
geheimhielt.

Hass bis über den Tod hinaus

Selbst nach seinem Tod blieb Emile Zola verhasst. Noch bei der feierlichen Beisetzung des
inzwischen weltberühmten Schriftstellers, 1908, versuchten „Anti-Dreyfusards“ sich seines
Sarges zu bemächtigen, und ihn in die Seine zu werfen. Der bei der Zeremonie anwesende
Alfred Dreyfus, der 1899 begnadigt und 1906 rehabilitiert worden war, wurde bei dieser
Gelegenheit durch den Streifschuss eines Attentäters verletzt.

All dieser Hass macht die These einer Ermordung glaubwürdig. Die Geschichte, die Jean Bedel
in seinem Buch zurückverfolgt, klingt so unglaublich, als entspringe sie selbst einem Roman.

In der Nacht vom 28. zum 29. September 1902 starb Emile Zola in seiner Pariser Wohnung an
einer Rauchgasvergiftung. Die Pariser Staatsanwaltschaft erö nete sofort eine Untersuchung
mit Klage gegen Unbekannt.

Spätes Geständnis

Von einem Mord zu reden hätte damals bedeutet, Frankreich wieder in zwei Lager zu spalten.
Die französische Regierung aber war darum bemüht, die Gemüter zu beruhigen.

Die mit der Untersuchung beauftragten Polizisten schlossen äußerst schnell auf einen Unfall:
Der Abzug des Kamins sei defekt gewesen. Also hob der Staatsanwalt seine Klage wieder auf.
Die Unfall-These wurde o ziell übernommen, der Fall zu den Akten gelegt.

Nach den Gedenkfeierlichkeiten zum 50. Todestag 1952, als Zola-Experten in der Presse wieder
einmal die Mordthese aufleben ließen, erhielt der Chefredakteur der Zeitung „Libération“
einen Brief. In diesem erklärte der pensionierte Apotheker Pierre Hacquin aus der französischen
Kleinstadt Tessy-sur-Vire in der Normandie, ein befreundeter Schornsteinfegermeister habe
ihm 1928, kurz vor seinem Tod, gestanden, Zola ermordet zu haben.

Jean Bedels Nachforschungen

Jean Bedel wurde von seiner Zeitung mit der Untersuchung des Falls beauftragt. Pierre Hacquin
bestätigte ihm in einem Gespräch persönlich, der Mörder habe ihm genau erzählt, wie er den
Schornstein von Zolas Schlafzimmer mit einem Gipspfropf verschlossen, und diesen am
nächsten Morgen wieder entfernt habe. Gipsreste im Kamin, die im Polizeibericht aufgeführt
wurden, denen man aber keine weitere Beachtung schenkte, bestätigen diese Aussage. Der
Apotheker bat Jean Bedel jedoch, den Namen des Mörders bis nach seinem Tod für sich zu
behalten.

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Der Journalist sprach unterdessen mit Zolas Sohn Jacques Emile-Zola, der ihm die Briefe mit
den Morddrohungen zeigte, und mit Armand Lanoux, dem Biografen Zolas. Er forschte in den
Archiven und gelangte zu dem Schluss, dass alles die Mordthese bestätigte. Erst 1970, nach
dem Tod des Apothekers, gab er den Namen des mutmaßlichen Mörders bekannt: Es handelt
sich um Henri Buronfosse, von Beruf Schornsteinfegermeister.

War der Mörder Schornsteinfeger?

Bedels Untersuchungen, die er aus Zeitgründen erst nach seiner Pensionierung im Jahr 2000
fortsetzen konnte, bestätigen: Buronfosse war ein glühender Antisemit und Anti-Dreyfusard
und gehörte verschiedenen rechtsextremen und royalistischen Organisationen an. An seinem
Wohnsitz wurde er verdächtigt, ein Polizeispitzel zu sein. Er war eng befreundet mit
reaktionären O zieren und hatte über viele Jahre einen einträglichen Vertrag über die
regelmäßige Reinigung der Schornsteine des Kriegsministeriums.

Handfeste Beweise sind das zwar nicht, doch das überlieferte Geständnis des mutmaßlichen
Mörders, die Aussagen Pierre Hacquins, die Untersuchungen und Ermittlungen Pierre Bedels -
alles scheint darauf hinzuweisen, dass Henri Buronfosse tatsächlich die ausführende Hand eines
Komplotts von „Anti-Dreyfusards“ war, die sich nach der Begnadigung des Hauptmanns an Zola
für ihre Niederlage rächen wollten. Diese These wird heute von führenden Zola-Spezialisten
geteilt. Der französische Literaturprofessor Henri Mitterrand schrieb in seinem Vorwort zu
Bedels Buch: „Der Tod Zolas wird eines der Geheimnisse der Geschichte bleiben. Doch vieles
spricht dafür, dass es tatsächlich Mord war.“

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Quelle: @klin
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