Zusammenbruch des Kaiserreiches: Erschütterung der
traditionellen Werte Ende – Verfall der Demokratie: Machübernahme durch die NS Wirtschaft: Inflation, Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit nach 1929 1924-29: „Goldene Zwanziger“ – kurze Blütezeit Literatur – nach Gesetzen des Marktes, Literatur als Ware „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“(1936)
aus einem „freien“ Produzenten wird der Autor
zunehmlich zu einem bloßen Lieferanten für den bürgerlichen Kulturbetrieb. Die ästhetisch-inhaltliche Qualität der Literatur gerät in ein widersprüchlichen Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Wert, der seinerseits von Faktoren wie Publikumsinteresse, Geschmack, Lesegewohnheiten, Moden bestimmt wird Anpassungsdruck auf die Schriftsteller verhältnismäßig kurze Zeit Lebhaftigkeit in allen Bereichen Berlin – eine der künstlerischen und wissenschaftlichen Metropolen der Welt von politischen Gärungsprozessen überschattet: Kompromiss der „gemäßigten“ Parteien, darunter SPD, seit den 20er Jahren Erstärkung der NS- Partei die dominanten Kulturellen Merkmale: Urbaner Liberalismus Kritik an traditi0nellen Institutionen und Ideologien Hang zum „Experiment“ hastige Entwicklung der Maschinen und Überwindung des Raumes (Luftfahrt, Autoverkehr) hastige Entwicklung der Informationsmedien (Film, Radio, Zeitungen) hastige Entwicklung der sportlichen Leistung als Ideologie und Unterhaltung hastige Entwicklung der modernen funktionalen Architektur „Bauhaus“ – eine moderne gemeinschaftlich geleitete Schule bzw. Werkstätten fürbildende Künste, Architektur und angewandte Disziplinen (=Konstruktivismus) Bemühen, die Kunst aus ihrer ästhetischen Isolation herauszuführen Theaterleben: Max Reinhardt, Bertolt Brecht Politisierung der Kunst Kabaretts – Symbol der Zeit: Szenen, Chansons – künstlerische Fantasie,Popularität, kritische Tendenz Ästhetik der „Gebrauchskunst“ hat seinen Schwung eingebüßt Enttäuschung der Zeugen der Kriegs- und Nachkriegsereignisse als gekünstelte Utopie und Flucht in die Abstrakti0on wahrgenommen: Glaubwürdigkeit verloren statt „Menschheitsgebärden“ auf die Straßen hinuntersteigen, die Alltagswelt der Büros und Fabriken zeigen, die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit: Krieg, Elend und derer Ursachen Alltagswirklichkeit neu entdecken, wie hässlich und trivial sie auch sein möge (1924-1933) Georg Grosz + Otto Dix: nüchterne Wiedergabe, konkrete Gegenständlichkeit der Erfahrungswelt naive Begeisterung von den Möglichkeiten der technischen Zivilisation (der Geschwindigkeitsrekorde, der Ästhetik der Wolkenkratzer, der blitzenden Chromkonstruktionen) „Amerikanisierung“ des Gesellschaftslebens Stärkung der Position des Romans (der im Expressionismus ziemlich abgedrängt war) Medium für ein umfassendes Bild des Lebens Könnte Anstöße vom Film bekommen Dokumentation, literarische Reportage Feuilleton, Essayismus „Was Leser und Schreibende suchen, ist nicht Übertragung subjektiven Gefühls, sondern Anschauung des Objekts: anschaulich gemachtes Leben der Zeit, dargeboten in einleuchtender Form … Den Schreiber und den Leser fesselt Gestaltung des unmittelbar Greifbaren: Sitten und Gebräuche des heraufkommenden Proletariats, die Institutionen Amerikas, Fabriken, Konzerne, Autos, Sport, Petroleum, Sowjetrussland“. Lion Feuchtwanger (1927, Artikel) die traditionelle Romanform ist unangemessen, um die Wirklichkeit episch zu erfassen und die Konkurrenzz zu den neuen Medien zu bestehen Reportagehaftigkeit: Egon Erwin Kisch (1845-1948) reiste durch die Sowjetunion, die USA, China: der „rasende Reporter“ – weltbekannt, Mitglied der KPD, Feuilletonist Reportage als Kunstform: Authentizität des Erlebens, der Beobachtung aktuelle Probleme der Zeit: Krieg, Revolution, Technik, gesellschaftliche Missstände, Militarisierung, Faschisierung Döblin, Kästner, Fallada, Broch, Musil, Feuchtwanger, Seghers, Mann, Roth, Brecht, Canetti, Frank, Remarque Romane: „Berlin. Alexanderplatz“, 1929 „Fabian“, 1931 „Kleiner Mann – was nun?“, 1932 „Erfolg“, 1930 „Im Westen nichts Neues“, 1928 „Radetzkymarsch“, 1932 „Der Mann ohne Eigenschaften“, 1930-33 „Die Gefährten“, 1932 (1933-1945) Exil Emigration seit der Antike, lat. lat. „emigrare“ „exilium“ Verbannung freiwilliger Akt Strafe, Ausbürgerung obwohl unter enirmem (Ovid) Druck vorübergehender Akt Dauerzustand befristet Verbüßung der Strafe jüdische politisch motiviert Massenemigration (politische Gegner des (unpolitisch) Regimes) Festhalten für die Nachgeborenen, Zeugnis abgeben, Gegenwartserfahrung dokumentieren seit 1938 ca. 500.000 Menschen wanderten aus, 250.000 jüdischer Herkunft bis 1938 – Zürich, Amsterdam, Paris, Wien, Prag bis 11. März 1938 – Wien ab 1938 – London (Kindertransporte, ca. 15.000 jüdische Kinder, von ihren Eltern nach England geschickt) – W.G. Sebald „Austerlitz“, N. Gstrein „Die englischen Jahre“ seit 1938 – Mexiko, USA, Shanghai, Indien seit 1939 – Moskau, Palästina nach 1941 totales Auswanderungsverbot (kein Jude durfte raus) NS: Antisemitismus als staatliches Prinzip (juristisch untermauert) als Staatsdoktrin (beispiellos unter modernen Staaten) Identität der Exilanten – literarisches Paradigma: „ein anderes Deutschland“ 1) Deutschland-Roman (Situation in Deutschland nach der Machtübernahme durch Hitler): Anna Gmeiner „Manja“ Irmgard Keun „Nach Mitternacht“ Klaus Mann „Mephisto“ Anna Seghers „Das siebte Kreuz“ A. Neumann „Es waren ihrer sechs“ 2) Exil-Roman (Situation im Exil): Anna Seghers „Transit“ Klaus Mann „Der Vulkan“ Lion Feuchtwanger „Exil“ Irmgard Keun „Kind aller Länder“ Veza Canetti „Die Schildkröten“, „Die gelbe Straße“ 3) der historische Roman (bestimmte Figuren, Epochen oder Ereignisse der Vergangenheit als Erklärung für die Gegenwart): Lion Feuchtwanger „Der falsche Nero“ Bertolt Brecht „Julius Cäsar“ Hermann Broch „Tod des Vergils“ Thomas Mann „Joseph und seine Brüder“ Stefan Zweig „Erasmusvon Rotterdam“ Wartesaal-Trilogie: Erfolg, 1930 Die Geschwister Oppenheim, 1933 Exil, 1938/39 Drei Kameraden, 1937 Arc de Triomphe, 1946 Der Funke Leben, 1952 Die Nacht von Lissabon, 1963 Das siebte Kreuz, 1946 (englisch 1942) Transit, 1948 (englisch 1943) Baal, 1922 Mann ist Mann, 1926 Dreigroschenoper, 1928 Dreigroschenroman, 1934 Mutter Gourage und ihre Kinder. 1939 Leben des Galilei, 1938, 1947, 1956 Der gute Mensch von Sezuan, 1938-41 Der kaukasische Kreidekreis, 1944/45 Der Lechner Edi schaut uns Paradies, 1936 Astoria, 1937 Vineta, 1937 Mephisto, 1936 1 2 Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung Als da Hunger herrschte. Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende Und ich empörte mich mit ihnen. Hat die furchtbare Nachricht So verging meine Zeit Nur noch nicht empfangen. Die auf Erden mir gegeben war. Was sind das für Zeiten, wo Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Schlafen legt ich mich unter die Mörder Weil es ein Schweigen über so viele Untaten Der Liebe pflegte ich achtlos einschließt! Und die Natur sah ich ohne Geduld. Der dort ruhig über die Straße geht So verging meine Zeit Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde Die auf Erden mir gegeben war. Die in Not sind? Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt Die Sprache verriet mich dem Schlächter Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich. zu essen. So verging meine Zeit Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt Die auf Erden mir gegeben war. Bin ich verloren.) Die Kräfte waren gering. Das Ziel Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast! Lag in großer Ferne Aber wie kann ich essen und trinken, wenn Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und Kaum zu erreichen. Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt? So verging meine Zeit Und doch esse und trinke ich. Die auf Erden mir gegeben war. Ich wäre gerne auch weise In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit Ohne Furcht verbringen Auch ohne Gewalt auskommen Böses mit Gutem vergelten Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen Gilt für weise. Alles das kann ich nicht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! 3 Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind Gedenkt Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht Auch der finsteren Zeit Der ihr entronnen seid. Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung. Dabei wissen wir ja: Auch der Haß gegen die Niedrigkeit Verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser. Ach, wir Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit Konnten selber nicht freundlich sein. Ihr aber, wenn es soweit sein wird Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unsrer Mit Nachsicht.