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Deutschland

E S S AY

Das Superweib
Warum die Frauenbewegung Frieden mit Margaret Thatcher schließen sollte
Von Christiane Hoffmann

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igentlich hätten sie jubeln müssen. Es als großen Sieg fei- friedlicheren, weil von Frauen regierten Planeten zerstörte sie
ern müssen, als historischen Tag, als Meilenstein in der mit Klassenkampf und Falkland-Krieg.
Geschichte des Feminismus. Trotzdem verachtet die Frauenbewegung Thatcher zu Un-
Als Margaret Thatcher am 4. Mai 1979 in die Downing Street recht. Sie selbst sah sich immer auch als Frau, sie inszenierte
No. 10 einzog, hätte das ein großer Tag für die Frauenbewegung ihre Weiblichkeit und machte ihren Aufstieg in einer Männer-
sein können: die erste Frau, die es an die Spitze einer großen welt zum Thema. Manches, was sie vorlebte, erscheint mehr
westlichen Demokratie geschafft hatte. als zwanzig Jahre nach ihrem Auszug aus der Downing Street
Stattdessen hielt am Tag ihrer Wahl eine Gruppe von Femi- geradezu prophetisch.
nistinnen im Londoner Stadtteil Finchley ein Plakat in die Genau die Thesen, die bis heute für viele Frauen am drän-
Höhe: „Wir wollen Frauenrechte, wir wollen keine rechte Frau.“ gendsten sind, beschäftigten sie schon damals: Karriere und die
Thatcher war zwar eine Frau, aber in den Au-
gen der Frauenbewegung war sie die falsche.
„Frausein alleine genügt nicht“, schrieb Alice
Schwarzer 1979 in der „Emma“.
Thatcher war rechts, sie hielt nichts von
Gleichheit, sie setzte sich nicht für Frauen ein.
Und elf Regierungsjahre machten die „Eiserne
Lady“ zur Hassfigur des Feminismus. Der sah
Thatcher als „Mann im Kostüm“, als „Män-
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nerfrau“, die von Männern akzeptiert wurde,


„weil sie deren Welt bestätigt“.
Der Hass hält an. „Immer wenn Thatcher
als Feministin bezeichnet wird, stirbt in mir
ein Stück Feminismus“, schrieb die britische
Autorin Jenny Anderson Anfang vergangenen
Jahres, als Hollywood mit dem Film „The Iron
Lady“ Thatcher ein Denkmal setzte. Und der
Sänger Morrissey prophezeite in der vergan-
genen Woche in einem vernichtenden Nachruf,
dass es wegen Thatcher in der britischen Poli-
tik wohl nie wieder eine Frau an der Macht
geben werde. „Anstatt die Tür für Frauen aufzustoßen, hat sie Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schon Anfang der Fünf-
sie geschlossen.“ ziger forderte Thatcher gleiche Chancen für Frauen und Männer.
Die Abneigung war gegenseitig. „Ich hasse den Feminismus. Frauen sollten „sogar Kabinettsposten“ erringen können: „War-
Er ist Gift“ – diese Äußerung ist von Thatcher überliefert. Sie um nicht ein weiblicher Schatzkanzler? Oder ein weiblicher
war überzeugt, der Frauenbewegung nichts zu verdanken und Außenminister?“ Zweifellos dachte sie bei diesen Forderungen
bedachte ihre kämpferischen Geschlechtsgenossinen mit un- in erster Linie an sich selbst. Aber was ist schlecht daran?
verhohlener Überheblichkeit: „Manche von uns haben bereits

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an ihrer Karriere gearbeitet, als noch niemand an die Frauen- hatcher sah sich durchaus als Vorkämpferin in der Frau-
bewegung dachte.“ Die feministischen Kampfthemen von der enfrage, auch wenn sie nichts mit feministischer Theorie
sexuellen Befreiung über häusliche Gewalt bis zum Recht auf am Hut hatte: „Ich bin momentan die einzige Frau in
Abtreibung interessierten sie nicht. Sie wollte an die Macht. führender politischer Stellung“, sagte sie als Parteiführerin
Thatcher wollte das von Männern beherrschte System nicht 1977, „wenn ich scheitern sollte, wäre das ein Rückschlag für
verändern, sondern es beherrschen. unser ganzes Geschlecht.“
Thatcher förderte keine Frauen. Als Premierministerin holte Es war nicht ihre Politik, sondern ihr Leben, das sie zur Vor-
sie nur eine einzige Frau in ihr Kabinett, und auch die bekam kämpferin machte. Was heute als Vereinbarkeit von Familie
kein wichtiges Ministeramt. „In ihrem ganzen Leben hat sie und Karriere diskutiert wird, löste sie auf ihre eigene ebenso
immer Männern den Vorzug vor Frauen gegeben“, sagte That- konservative wie progressive Weise. Heute würde man That-
cher-Biograf Charles Moore vor Jahren in einem Interview. cher ein Superweib nennen: Ehefrau, Mutter, Karrierefrau.
Die intelligentesten und mächtigsten Männer des Landes um Und auf ihre eigene, die Erotik weiblicher Macht ausspielende
sich zu scharen, ihnen jeden Tag Befehle geben zu können – Weise, war sie auch noch sexy.
das sei ihr Traum gewesen. Thatcher, die gern mit Schürze am Abwaschbecken posierte,
Und das Schlimmste: Die Eiserne Lady war der lebende Ge- drehte tatsächlich die Rollenverteilung zu Hause in feministisch
genbeweis der feministischen Verheißung, dass Frauenherr- vorbildlicher Weise um. Am Ende hatte sie alles: ihren geliebten
schaft die Welt verbessert. Die Utopie eines gerechteren und Gatten Denis, zwei Kinder und die Karriere, die sie wollte.
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Die klassische Frauenrolle, die sie als Ehefrau und Mutter kel, die sich – wie Thatcher – das Frauenthema nie zu eigen ge-
neben dem beruflichen Aufstieg spielte, war nicht nur Voraus- macht hat.
setzung für ihren Erfolg in der konservativen Partei. Sie war Thatcher, so Merkel in ihrer Würdigung, sei keine Frauen-
Teil ihrer Identität. politikerin gewesen. „Aber indem sie sich zu Zeiten, als dies
Thatcher umgab sich mit den Insignien konservativer Weib- noch nicht selbstverständlich war, als Frau im höchsten demo-
lichkeit: Röcke, Kostüme, die sorgfältig aufgetürmte Föhn- kratischen Amt behauptete, hat sie vielen nach ihr ein Beispiel
frisur. Angeblich gibt es nur drei Fotos, auf denen sie in Hosen gegeben.“
zu sehen ist. Sie interessierte sich für Mode und wählte

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Kleidung sorgfältig aus. Jeden zweiten Tag war in ihrem Ka- arum diese Würdigung einer Frau, die sich „im höchs-
lender ein Termin für die Lockenwickler reserviert. Dazu pass- ten demokratischen Amt behauptete“? Spricht da die
te, dass die Handtasche zu ihrem Markenzeichen wurde: Sie Kanzlerin über eine Frau, die für sie ein Vorbild ist?
war weibliches Accessoire, Zepter und notfalls auch schlag- Oder darüber, wie sie sich selbst sieht: keine Frauenpolitikerin,
kräftige Waffe. aber ein Beispiel?
Für die Frauenbewegung war Thatcher eine, die ihre eroti- Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen der Lady im Kostüm
schen Reize einsetzte, um in einer Männerwelt ihre Ziele zu und der Kanzlerin im Hosenanzug gibt es bemerkenswerte
erreichen. Das ist ungerecht. Thatcher verdankt ihren Aufstieg Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Ausgerechnet an der Spit-
weder ihren Beinen noch ihrem Augenaufschlag. Aber ihr fe- ze konservativer Parteien zogen Frauen in die mächtigsten
mininer Auftritt könnte durchaus Inspiration sein für Frauen, politischen Ämter Europas ein. Beide verstanden es, männliche
die ihr Geschlecht beim Eintritt in die Karriere nicht an der Vorurteile für sich zu nutzen: Jahrelang unterschätzt, legten
Garderobe abgeben wollen. Ihr Biograf Moore bescheinigt sie die Grundlagen für ihren Erfolg und griffen dann im ent-
Thatcher eine „enorme sexuelle Präsenz“. scheidenden Moment nach der Macht.
Der Preis war hoch: Auf ihrem Weg nach oben sah sich That- Mit der Euro-Krise ist Merkel nun auch eine ähnliche politi-
cher ständig sexistischen Sprüchen ausgesetzt. Rainer Brüderle sche Aufgabe zugefallen wie der britischen Regierungschefin.
würde da als Gentleman durchgehen. Von Frauen wie Männern Wie Thatcher den Briten ein Sparprogramm aufzwang, tritt Mer-
kel heute in Europa als eiserne Sparkanzlerin
auf. Zumindest in Südeuropa ist Merkel genau-
so verhasst wie Thatcher einst bei den Linken
Thatcher mit G-7-Staatschefs im eigenen Land. Schulden abbauen und Staats-
beim Gipfel in Versailles 1982 ausgaben beschränken – das sind die großen
Themen von Merkel und Thatcher. Wie Merkel,
die die schwäbische Hausfrau zum Ideal der
„Im Grunde ihres Staatskunst erhob, hielt auch die Krämerstoch-
ter Thatcher hauswirtschaftlichen Sachverstand
Herzens hielt sie für die Grundlage guten Regierens.
Frauen für das über- Beide – Merkel und Thatcher – waren und
sind aber eben keine Frauenpolitikerinnen.
legene Geschlecht: Thatcher erkannte früh, dass sie sich mit Frau-
tatkräftiger, enfragen in der Männerwelt keinen Respekt
verschaffen konnte. So bitter das für die Frau-
zupackender und enbewegung sein mag: Als Lobbyisten ihres
pragmatischer.“ Geschlechts wäre keine der beiden ernst ge-
nommen worden. Sie hätten es nicht ins Zen-
trum der Macht geschafft.
Sie kämpften nicht gegen das System der
Männerherrschaft, sondern um den Aufstieg
wurde sie beispiellos beschimpft und von „bitch“ (Hündin, innerhalb des Systems. Die Bedingung: Sie mussten die Spiel-
Hure) bis „witch“ (Hexe) mit allen denkbaren Schimpfwörtern regeln des Machtbetriebs anerkennen und annehmen.
bedacht. Aber das brachte sie nicht dazu, ihre Weiblichkeit zu Thatcher ist eine Einzelkämpferin geblieben, ein Leuchtturm.
verstecken. Nach ihr hat keine Frau in der britischen Politik je wieder eine
Ihr Biograf Moore sieht die Eiserne Lady als Feministin, bedeutende Rolle gespielt. Auch Merkel hat in der Frauen-
weil sie Frauen im Grunde ihres Herzens für das überlegene politik wenig bewirkt. Aber sie hat Frauen in die Politik geholt,
Geschlecht hielt. „Sie war Feministin, denn sie dachte immer: sich mit Frauen umgeben, Frauen gefördert. Das unterscheidet
Wir sind die Besten“, so Moore. Sie hielt Frauen für tatkräfti- sie von Thatcher.
ger, zupackender und pragmatischer. Und Männer oft für In Deutschland hat Alice Schwarzer die Kanzlerwahl von
Schwätzer. „Wenn du etwas gesagt haben willst, frag einen Merkel 2005 unter der Überschrift „Wir sind Kanzlerin“ be-
Mann. Wenn du etwas getan haben willst, frag eine Frau.“ geistert begrüßt. Den Vorteil einer Frau im Kanzleramt schätzte
Das war ihr Motto. sie höher als den Makel, dass es keine Feministin war. Auch
Thatchers größtes Verdienst für die Sache der Frauen war als Thatcher zur Premierministerin gewählt wurde, hatte
ihre eigene Karriere. Sie schaffte es, an die Spitze einer der Schwarzer bei aller Abneigung gewürdigt, dass der Sieg der
mächtigsten Demokratien der Welt gewählt zu werden. Damit „zielstrebigen Margaret Thatcher andere Frauen ermutigen
erbrachte sie für sich und alle Frauen den „Sie kann es“-Beweis. könnte“. Sie hatte recht. Mit jedem Aufstieg werden Frauen
Sie schaffte es nach ganz oben – sogar ohne Quote, durch ei- an der Macht zur Selbstverständlichkeit. Es ist schon ein paar
gene Leistung, Mut, Fleiß und Hartnäckigkeit. Thatcher hat Jahre her, da stellte meine Tochter, damals siebenjährig, die
auch gezeigt, dass Frauen nicht nett, freundlich, geschmeidig entscheidende Frage: Mama, kann eigentlich auch ein Mann
sein müssen, um ihre Ziele zu erreichen. Bundeskanzler werden?
In den Nachrufen der vergangenen Woche spielte die Frau-
enfrage so gut wie gar keine Rolle. Um so bemerkenswerter
ist, dass ausgerechnet Kanzlerin Angela Merkel in ihrer kurzen Lesen Sie weiter auf Seite 92:
Beileidsbekundung dieses Thema ansprach. Ausgerechnet Mer- Ihr Vorname war „Ärger“: Der Ex-Chef des „Guardian“ erinnert sich.
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