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Augmented Reality

Seminararbeit

Autor: Daniel Drognitz


Dozent: Werner Oeder

ZhdK – DKM – VTH – HS 10/11


Inhalt

1 Paradoxe Entwicklung
2 Die Konstruktion der Realitäten
2.1 Das phänomenologische Subjekt
2.2 Der sich erweiternde Leib
2.3 Die intersubjektive Wirklichkeit
2.4 Die sich erweiternde Gesellschaft
2.5 Der Ort der Kunst
3 Das ästhetische Denken
4 Quellenverzeichnis

1 Paradoxe Entwicklung

Der Umgang mit Informationen ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem übermittelnden
Medium. Jedes Medium hat seine spezifischen Sinneskanäle, über die bestimmte Informationen
vermittelt werden können. Die dafür verwendeten Geräte werden immer universeller einsetzbar,
heisst das einzelne Gerät kann mehr und mehr Kanäle bedienen. Der Zugang zum Internet ist längst
nicht mehr an einen vergleichsweise unbeweglichen Computer gebunden, sondern ist durch neue
Technologien sehr viel mobiler geworden. Diese Technologien haben die Tendenz immer
kompakter und damit auch immer schwerer nachvollziehbar für den Nutzer zu werden. Die
Technologie wird zum Mysterium und ist so nur noch für Eingeweihte und Spezialisten
verständlich. Versagt die Technologie ihren Dienst, bleibt einem nur sich an Experten zu wenden,
die einem entweder das notwendige Wissen vermitteln oder das das Problem lösen.
Gleichzeitig wird das Gerät „transparenter“, tritt also immer mehr in den Hintergrund. Information
wird so für den Endnutzer „körperlos“: Neben dem in der physischen „Auflösung“ begriffenen
Gerät muss auch nur noch ein Minimum an Daten lokal gespeichert werden. Alles andere wird über
immer schnellere und zugänglichere Leitungen von Servern abgerufen, deren Standort für den
Nutzer irrelevant wird. Die Körperlosigkeit, also dass vor Ort keine physisches Medium der
Information wie ein Buch, oder noch abstrakter, Bits und Bytes auf einer Festplatte vorhanden sind,
wird sich noch verstärken. Dieses Konzept wird Cloud Computing genannt. Diese
Organisationsform begünstigt nicht nur einen vereinfachten Datenhaushalt, sondern auch die
Möglichkeit der kollektiven Nutzung von Rechenkapazität für rechenintensive Anwendungen, wie
es von verschiedenen Organisationen bereits betrieben wird. (Meteorologie, Astronomie...)
War die mobile Nutzung des Internets bislang nur eine Art Verschiebung der Interaktion, jedoch
keine Veränderung der Art der Nutzung, so bringt doch die Mobilität ganz neue
Anwendungsgebiete. Mit jedem neuen Standort ändert sich die Relevanz bestimmter Informationen
wieder. Mal ist die Zugverbindung wichtig, mal die Adresse eines Ladens und mal historisches
Wissen über einen Platz. Zu dieser Nutzung hinzu kommt nun mehr und mehr die sehr viel
interaktivere augmented Reality (AR), die erweiterte oder angereicherte Realität. Die Technologie
der AR ermöglicht es, dass man in einer fremden Stadt sein kann und sich direkt anzeigen lassen
kann, in welcher Richtung sich interessante Orte befinden und Informationen jeglicher Art dazu
eingeblendet bekommt. Versetzt man sich in die Situation, das selbe ohne diese Hilfsmittel zu
bewerkstelligen, so müsste entweder vorab eine Leistung erbracht werden, indem man sich die für
den Besuch der Stadt notwendigen Informationen aneignet oder aber im Moment selbst versucht
sich zu informieren, indem man zum Beispiel einen Passanten befragt. In jedem Fall wäre der
Aufwand ein grösserer als auf einem technischen Gerät die Art der Information anzugeben und nur
noch auswählen zu müssen. Andererseits wird noch immer ein Hilfsmittel dazu benötigt. Wenn
dieses versagt, ist auch der Zugang zur Information versagt.
Viele der bislang verwendeten Anwendungen erscheinen mehr wie Spielereien, als wie in den
Alltag integrierbare Erweiterungen, doch loten sie die Möglichkeiten dieses Umgangs mit
Information aus und zeigen gleichzeitig dessen Potentiale.

Mit der weiten Verbreitung des Smartphones, hält diese Technologie auch Einzug in den Alltag.
Dass Wissen in der vernetzten Welt fast überall zugänglich ist, ist nichts Neues. Auch nicht, die
„Verlängerung“ des Auges oder des Ohres, durch Anreicherung visueller oder/und auditiver
Information (Audioguide, Head-Mounted-Display...).
Es entsteht eine Überlappung aus den Daten, die wir ohnehin durch unsere Sinne empfangen und
jenen, die über das Gerät abgerufen werden. Als bestens Beispiel nennt sich hierfür vielleicht die
Idee der Kontaktlinse, die aus dem Internet abgerufene Informationen direkt auf die Netzhaut
projizieren soll.

2 Die Konstruktion der Realitäten

Es stellt sich die Frage, was das ist, was angereichert wird. Also wie das, was wir als „Realität“
bezeichnen zustande kommt, wie es sich zusammen setzt und inwiefern es bereits ohne künstliche
Hilfsmittel erweitert wird. Das heisst, es soll nach einer Form „minimaler Realität“ gesucht werden,
auf die aufbauend dann verschiedene Erweiterungen gefunden werden.
Da das behandelte Gebiet sehr gross ist, soll diese Arbeit dazu dienen, einen Überblick über
verschiedene Ansätze zu verschaffen. Dazu gehe ich von verschiedenen Konzeptionen von Realität
aus und beginne damit bei Thomas Metzinger, der mit seiner sehr materialistisch erklärten
Philosophie des Bewusstseins einen Ansatz für eine subjektive, evolutionär begründete Realität
bietet. Dem wird die intersubjektive Wirklichkeit von Peter Berger und Thomas Luckmann
entgegengestellt, die das Subjekt in eine gesellschaftliche Struktur aus Beziehungen einbetten.
Nachdem in beiden Theorien ein Form von „minimaler Realität“, also eine möglichst reduzierte
Form von Realität definiert wurde (sofern das überhaupt möglich ist), soll nach Erweiterungen
gesucht werden, die das hier eingangs skizzierte Modell der AR als Metapher aufgreifen.
Exemplarisch für eine übergreifende Erweiterung wird die Kunst stehen, an der das Modell eines
„erweiternden Denkens“ überprüft werden soll. Also wie der künstlerische Schöpfungsprozess aus
einer subjektiven Realität in eine intersubjektive übergeht und beide Erweitert.

2.1 Das phänomenologische Subjekt

Als ein Pionier auf dem Gebiet der Neuroethik bewegt sich Thomas Metzinger (*1958) an den
Schnittstellen zwischen Philosophie, Psychologie und der Gehirnforschung. In seinen
verschiedenen Schriften und seiner Tätigkeit als Dozent an der Universität Mainz befasst er sich mit
der Erforschung des Bewusstseins im Zusammenhang mit modernen neurowissenschaftlichen und
philosophischen Erkenntnissen. Da es für ihn besonders wichtig ist, das subjektive Erleben
möglichst auf „nüchterne, strenge und materialistische Weise“ erklären zu können, (da es einen
direkten Einfluss darauf habe, wie wir das „selbstorganisierende physikalische Universum sehen.“)
(Metzinger 2009, S. 66) bietet sich an, darin eine grundlegende Definition von Realität zu finden,
um weiter darauf aufzubauen.
Ein zentraler Aspekt des subjektiven Erlebens bildet das Phänomen des „Erscheinens einer Welt“ –
die einzige Welt, die wir als Realität bezeichnen können, da uns keine Möglichkeit gegeben ist,
diesbezüglich eine andere Perspektive einzunehmen.
Wenn wir morgens erwachen, erscheint uns diese Welt. Mit etwas Glück ist es dieselbe, in der wir
am Abend zuvor eingeschlafen sind. Die Gerüche, Klänge, das Licht, die Gesamtheit sensorischer
Eindrücke vermittelt uns eine Wirklichkeit, die wir, sofern sich nichts Einschneidendes in ihr
verändert, unhinterfragt als „wirklich“ annehmen. Befindet man sich in einer vertrauten Umgebung,
so müssen diese Eindrücke auch nicht bewusst abgeglichen werden mit dem Wissensstand vom
Vorabend. Solange die Kontinuität der Alltagswirklichkeit nicht gebrochen wird, was beispielsweise
der Fall wäre, würden man unerwartet andernorts erwachen, bietet sich kein Anlass sie in Frage zu
stellen. Die Welt erscheint uns, sobald unsere Sinnesorgane Daten ans Gehirn senden und wir bei
Bewusstsein sind. Doch „die Leistungsfähigkeit unserer Sinnesorgane ist begrenzt: Sie entstanden
im Lauf der Evolution und verbesserten die Überlebenschancen der Individuen, aber sie wurden
nicht mit dem Ziel entwickelt, die enorme Fülle und den Reichtum der Wirklichkeit in all ihren
unauslotbaren Tiefen wahrheitsgetreu abzubilden.“ (Metzinger 2009, S. 21) Der kontinuierliche
Informationsstrom unserer Sinnesorgane, der fortlaufend und unbewusst von unserem Gehirn
verarbeitet wird, erzeugt eine Repräsentation des von uns als Welt erfahrenem in unserem
Bewusstsein. Dieser kleine Ausschnitt einer wesentlich gehaltvolleren Wirklichkeit bestimmt die
Grenzen dessen, was für uns als „real“ gelten kann. (Metzinger 2009, S. 38) Die Tatsache, dass wir
uns nur einem kleinen Teil der Information bewusst sind, die die Sinne unserem Gehirn zuführen,
schränkt dieses Fenster noch weiter ein. (Nørretanders, S. 189f) Im Inhalt dieses Fensters des
bewussten Erlebens einer Realität eingeschlossen, befindet sich der eigene Standpunkt, also dass es
jemanden gibt, der erlebt. Das heisst, „die von unserem Gehirn erzeugte Weltsimulation schliesst
das Erleben eines eigenen Standpunkts mit ein.“ (Metzinger 2009, S. 22) Metzinger verwendet
dafür den Begriff des phänomenalen Selbstmodells (PSM), was für ein mentales Modell des eigenen
Körpers, resp. die Empfindung eines eigenen subjektiven Standpunkts, der im Bewusstsein
erscheine. Über das PSM erhalte das Gehirn Informationen über den Organismus als Ganzen und
sei fähig andere Gegenstände zu integrieren. (Metzinger 2009, S. 18) So liessen sich beispielsweise
auch benutzte Werkzeuge oder gelenkte Fahrzeuge darin integrieren. (Metzinger 2009, S. 118)

Diese sich so variabel gestaltende Simulation sei die von der Natur hervorgebrachte Form von
virtueller Realität, die im Gehirn ein Echtzeit-Weltmodell entstehen lasse „das man als eine
fortlaufende Online-Simulation sehen kann, die Organismen dabei hilft, auf elegante Weise mit der
Welt und miteinander zu interagieren.“ (Metzinger 2009, S. 155) Innerhalb dieser virtuellen Realität
nimmt das Ego einen besonderen Platz ein. „Indem es ein inneres Bild des Organismus als Ganzem
erzeugt, erlaubt es dem Organismus, sich seine eigene Hardware anzueignen. Es ist die Antwort der
Evolution auf die Notwendigkeit, sich seine eigenen inneren und äusseren Handlungen zu erklären,
das eigene Verhalten vorauszusagen und kritische Systemeigenschaften zu überwachen.“
(Metzinger 2009, S. 156)
Das bewusste Erleben als virtuelle Realität zu verstehen, erklärt jedoch noch nicht die
Handlungsmöglichkeiten eines Organismus. Ein hypothetischer künstlicher
„Wahrnehmungsapparat“ könnte sehr wohl empfangen, was die ihm zur Verfügung stehenden
Sinnesorgane (resp. Mikrofone, Kameras...) an sein Informationsverarbeitungszentrum senden, es
erschiene ihm jedoch keine als kohärent und konsistent empfundene Welt. (diese Entitäten könnten
wahrscheinlich nicht empfinden, da sie keine Form von „Meinigkeit“ hätten. (Metzinger 2009, S.
270))1
In diesen Zuständen liesse sich eine Form „minimaler“, oder im Bezug auf die eingangs Erläuterte
AR, „unerweiterter“ Realität sehen. Dieser Logik folgend, fände sich in einem selektiven und vor
allem reflexiven Bewusstsein eine Erweiterung, die es dem Organismus erlaubt mehr als ein
„Wahrnehmungsapparat“ zu sein, der sehen, hören, riechen, schmecken und sensorische Reize
empfinden kann, sondern es ihm auch erlaubt auf diese Eindrücke zu reagieren und im weiteren
Sinne auch Erkenntnis daraus ziehen. Darüber hinaus befähigt ein reflexives Bewusstsein zu einer
fortlaufenden erfahrungsbasierten Optimierung, die dazu führt, dass ein Überschuss an Kapazität
verfügbar wird. Der Überschuss bezieht sich auf die Kapazität, die nach Sicherstellung von
reproduktiven und selbsterhaltenden Funktionen noch zur Verfügung steht und so eine „virtuelle
Evolution“2 ermöglicht. Diese ist zwar durch biologische Gegebenheiten des Gehirns bestimmt, die
1 „Wenn man die Phänomenologie des Kernselbst und der puren, passiven Leiblichkeit ernst nimmt und genauer
untersucht, dann zeigt sich: Emotionen, Willensakte und Gedanken sind für das grundlegende Ichgefühl nicht
erforderlich. Jeder Meditierende kann bestätigen, dass man sich in einen stillen, emotional neutralen Zustand begeben
kann, in dem man gleichzeitig tief entspannt und vollkommen wach ist, einen Zustand reiner Beobachtung, ohne
jeden Gedanken, in dem jedoch eine bestimmte grundlegende Form des rein körperlichen Selbstbewusstseins
bestehen bleibt.“ (Metzinger, S. 151)
2 Also eine Evolution, die nicht an die Übermittlung von Information auf biologischem Weg angewiesen ist, sondern
dem Denk- und Erfahrbaren gewisse Grenzen setzen, wirkt aber auch wieder auf das biologische
Sein zurück. Anders ausgedrückt bestimmen einerseits die Art wie die Neuronen im Gehirn
verknüpft sind die Art zu denken und andererseits können die aus blosser Denktätigkeit gewonnen
Erkenntnisse, die Art wie die Neuronen verknüpft sind, verändern. „Sobald gewisse Eigenschaften
unseres Gehirns festgelegt sind, ist alles, was wir genau in diesem Moment erleben, ebenfalls
festgelegt.“ (Metzinger 2009, S. 40)

Es ist klar, dass die Vorstellungen, die wir als Menschen von Realität haben, sich nach
menschlichen Massstäben richtet. Das heisst, selbst wenn zum wahrnehmenden Bewusstsein noch
sämtliche Messgeräte (die deren Bereich letztendlich bloss erweitern resp. das Gemessene in diesen
übersetzen) hinzugenommen werden, wird es noch immer ein an den Menschen angepasstes Bild
der Wirklichkeit sein. Insofern können wir gar kein anderes Bild der Realität haben, als ein den
menschlichen Fähigkeiten und Veranlagungen entsprechendes. „Allein die Annahme, wir könnten
möglicherweise direkt mit der Wirklichkeit in Verbindung treten, ist eine Art von romantischer
Folklore: Wir kennen die Welt überhaupt nur durch den Einsatz von Repräsentationen, denn Wissen
und Erkenntnis sind nichts anderes als die (korrekte) Repräsentation eines äusseren Sachverhalts.“
(Metzinger 2009, S. 25) Umso wichtiger erscheint mir demnach die Erkenntnis, dass diese
menschliche Perspektive nicht als allgemeingültig-normierende angesehen wird, sondern nur als
eine unter vielen Möglichen.3

2.2 Der sich erweiternde Leib

Der phänomenale Leib, der wahrnimmt und sich dessen bewusst ist, also eine mentale
Repräsentation seiner selbst in sich integriert hat, ist nicht statisch, sondern genau wie sein
„Echtzeit-Weltmodell“ dynamisch und demnach als Prozess zu verstehen. Bildhaft gesprochen: Der
Maler, der sich selbst malt, wie er das Bild malt, auf der er sich selbst malt wie er ein Bild malt
usw.. Oder etwas abstrakter, der Spiegel im Spiegel. Nur, dass der subjektive Spiegel nie gross
genug ist, alles zu reflektieren. Die Metapher sollte mehr die andauernde, synchrone
Wechselseitigkeit bewusster Prozesse illustrieren. Doch bleiben wir noch einen Moment beim
morphenden Spiegel. Stellt man sich die beiden Spiegelflächen vor, so wären diese niemals
deckungsgleich: Es gäbe neben der notwendigen Überlappung (die Entsprechung von „äusserer“
Realität und dessen „innerer“ Repräsentation) immer einen „Rand“ resp. Flächen die sich nie
überlappen werden, was im Sinne der „äusseren“ Realität dem Bereich entspreche, der für unsere
Wahrnehmung nicht zugänglich ist. Die „innere“ Entsprechung zeigt den für das Bewusstsein
zugängliche Bereich, auf den er seine Aufmerksamkeit lenken kann. Dieser Bereich entspräche auch
dem zuvor bereits erwähnten Überschuss. Auf dieser „Fläche“ kann eine „virtuelle Verdopplung“
stattfinden, also eine Simulation einer möglichen Wirklichkeit. Zu dem Echtzeit-Weltmodell kommt
das einer möglichen Welt, sei es durch Imaginations- oder Planungstätigkeit, Traum oder
Halluzination, wobei die beiden erstgenannten mehrheitlich bewusst und die anderen beiden
mehrheitlich unbewusst kontrolliert werden. Diese Verdopplung4 der kontinuierlich
wahrgenommenen Realität lässt sich als eine Erweiterung resp. ein Set von Erweiterungen
verstehen, das es vermag der „virtuellen Evolution“ Vorschub zu leisten. So stünden Planung und
Imagination beispielsweise für Möglichkeiten das Gefahrenpotential einer Situation abzuschätzen

sich fast gänzlich unabhängig davon weiterentwickeln kann.


3 „Der Name „virtual reality“ begünstigt den Irrtum, dass es trotzdem noch eine wirkliche Realität gebe, die mit der
natürlichen Ausrüstung des Menschen zu erfassen sei, während es längst schon darum geht, diese natürliche
Ausrüstung als nur einen Fall unter vielen möglichen zu erweisen.“ (Luhmann, S. 243)
4 „Das Kunstwerk etabliert demnach eine eigene Realität, die sich von der gewohnten Realität unterscheidet. Es
konstituiert, bei aller Wahrnehmbarkeit und bei aller damit unleugbaren Eigenrealität, zugleich eine dem Sinne nach
imaginäre oder fiktionale Realität. Die Welt wird, wie in anderer Weise auch durch den Symbolgebrauch der
Sprache oder durch die religiöse Sakralisierung von Gegenständen oder Ereignissen, in eine reale und eine
imaginäre Realität gespalten. Offenbar hat die Funktion der Kunst es mit dem Sinn dieser Spaltung zu tun – und
nicht einfach mit der Bereicherung des ohnehin Vorhandenen durch weitere (und seien es „schöne“) Gegenstände.“
(Luhmann, S. 229)
oder auch was für einen Nutzen aus einer bestimmten Situation gezogen werden könnte.

Aus dieser Simulationstätigkeit, sei sie bewusst oder unbewusst, heraus entstehende Handlungen
lassen die zuvor nur mentale Verdopplung der Realität manifest werden und führen eine
Möglichkeit der Wirklichkeit in die Wirklichkeit selbst ein. (Im Sinne von Dürrenmatts Die
Physiker lässt sich sagen, dass alles was denkbar ist, einmal gedacht werden wird und somit auch
das hypothetische „System der Erfindungen“ möglich macht. Der entscheidende Punkt findet sich
bei der Manifestation der partikularen Möglichkeiten: Hätte sich Marx als Künstler verstanden,
wäre der Kommunismus vielleicht bloss ein grosses Kunstprojekt geworden, nicht aber zu einer
Ideologie und später Staatsform, die tausenden das Leben kosten würde. Der einzelne Gedanke, mal
in der Annahme, dass Gedanken nichts einzigartiges sind, würde bei verschiedenen Personen zu
ganz unterschiedlichen, mitunter sogar gegensätzlichen Ergebnissen führen.)

Die Formen für diese eingeführten Möglichkeiten sind mannigfaltig. So lässt sich bereits die
Erkenntnis, die aus einer kontemplativen Tätigkeit heraus gewonnen wurde, bereits als solche
bezeichnen, da sie wiederum Einfluss auf den weiteren Verlauf der Kontemplation nehmen wird.
Dieser Prozess findet sich auch in jeder schöpferischen Tätigkeit. Gleich wie eine Erkenntnis, nur
dass der entscheidende Impuls auch unbewusst sein kann, tritt ein Entschluss zu Tage, einer
Manifestation genau die Form zu geben, die sie letztendlich hat und jede vorausgegangene Form
wird die nachfolgende beeinflusst haben. Aus unzähligen Möglichkeiten wird eine wirkliche. Der
Prozess der Reflexion wird sichtbar, greifbar, nachvollziehbar. All diese Manifestationen erweitern
die subjektive Wirklichkeit erst als Möglichkeit (Simulation), dann als Prozess (Manifestation) und
letztendlich als Spiegel (Reflexion).
Auf die Rolle der Kunst resp. den Schaffensprozess soll später noch eingegangen werden.

2.3 Die intersubjektive Wirklichkeit

Während Metzinger eine sehr materialistische orientierte Realität konstruiert, binden Berger,
Luckmann diese ein in ein gesellschaftliches Geflecht – eine intersubjektive Realität.
Peter Berger (*1929) und Thomas Luckmann (*1927) sind Soziologen, die in „Die gesellschaftliche
Konstruktion der Wirklichkeit“ ein Umdenken in der Wissenssoziologie fordern. Ausgehend davon,
dass zwar etwas wie Subjektivität existiert, eine Teilnahme an einer Gesellschaft jedoch nur
möglich ist, wenn diese eingebunden ist, in ein Geflecht aus Realitäten, das von anderen Subjekten
anerkannt ist. Das bedeutet, dass das Subjekt seine eigene Wirklichkeit „objektivieren“ muss.
(Berger, Luckmann distanzieren sich vom marxistischen Begriff grossteils.) (Berger, Luckmann, S.
22) Objektivierungen finden über Zeichensysteme statt. Das heisst im idealen Sinne: Die
Alltagswirklichkeit, wie sie jeder subjektiv erfährt wird in Kategorien abstrahiert, die allgemein
verständlich sind. Dass sie das nicht zwingend sein müssen zeigt allein die Existenz des Wahnsinns.
Umso wichtiger wird so, dass diese Objektivierungen immer wieder auf ihr Funktionieren hin
überprüft werden und wenn dies nicht mehr der Fall ist, revidiert werden.
Das vielleicht wichtigste Beispiel eines Zeichensystems findet sich in der Sprache, das gleichzeitig
auch eines der komplexesten Systeme ist. Ihr Ursprung sei in der Vis-à-vis-Situation zu finden, gehe
aber mittlerweile weit darüber hinaus. Dass sie darüber hinaus gehe, also ablösbar von der
ursprünglichen Situation sei, gründe tiefer „nämlich in der Fähigkeit, Sinn, Bedeutung, Meinung zu
vermitteln, die nicht direkter Ausdruck des Subjektes „hier und jetzt“ sind.“ (Berger, Luckmann
1969, S. 39) Die darin sichtbare Fähigkeit zur Abstraktion lässt sich zwar wieder als subjektive
Erweiterung sehen, jedoch gehört sie mit zum Fundament, auf dem ein gemeinschaftliches
Zusammenleben aufbaut.
In Begriffen einer intersubjektiven Wirklichkeit, fällt es schwer ein Pendant zur „minimalen
Realität“ eines subjektiven Standpunkts zu finden. Die bereits erwähnte Alltagswirklichkeit5

5 Alles was Teil der routinierten Alltagswelt sei, stelle kein wirkliches Problem dar. Trete dennoch ein Problem auf,
werde versucht es weitgehend in die eigene Alltagswirklichkeit zu integrieren. „Solange die Routinewirklichkeit der
Alltagswelt nicht zerstört wird, sind ihre Probleme unproblematisch.“ Die Alltagswirklichkeit wird durch
entspricht am ehesten Metzingers subjektiver Realität. Das Minimum an sozialer Interaktion findet
sich nach Berger, Luckmann in der zuvor schon erwähnten Vis-à-vis-Situation, von der hier auch
weiter ausgegangen werden soll. Sie sei der Prototyp jeder gesellschaftlichen Interaktion auf den
alle anderen Interaktionsformen zurück gehen. In ihr würden sich zwei von Angesicht zu Angesicht
real erscheinen, im Gegensatz zur „indirekten“ Begegnung während der Kommunikation über
Distanz6. In dieser wirklichen Erscheinung werde unmittelbar und wechselseitig kommuniziert, was
den Einzelnen den Zugang zueinander ermöglicht. „ ... In der Vis-à-vis-Situation erkenne ich das
Subjekt-Sein des Anderen an einer Fülle von Anzeichen.“ (Berger, Luckman, S. 31) Diese müssen
zwar wiederum gedeutet werden, doch fällt dies wesentlich leichter, als in den „entfernteren“
Formen der Wechselbeziehungen. Bildhaft gesprochen überlappen sich die Sphären zweier
Alltagswelten, wobei der Bereich der Überlappung teils den gemeinsam verwendeten
Objektivierungen, teils dem „gemeinsam Wahrgenommenen“7 entspräche.
Der zu Deutende erscheine einem sogar realer als man sich selbst, da man von dem kontinuierlichen
Strom der Wahrnehmung über den man ihn erfasst, ablassen müsse, um die eigene Aufmerksamkeit
auf sich selbst zu richten. Daran lasse sich sehen, dass diese Situationen so flexibel sind, dass man
sie kaum theoretisch fassen könne. (Berger, Luckmann, S. 32) Was bei dieser noch oberflächlichen
Betrachtung jedoch interessant ist, ist der Moment der Selbstreflexion, für den man einen Schritt
zurück von der aktuellen Situation nimmt. Genau dies ist der Moment an dem sich die subjektive
mit der intersubjektiven Wirklichkeit abgleicht. Durch ihn wird die Möglichkeit einer Erweiterung
wie Erkenntnis eingeführt, die auf die Situation zurückwirkt. So lässt sich sagen, dass die
Erweiterung der gesellschaftlichen Wirklichkeit sehr auf der der Subjektiven beruht, sofern diese
objektiviert wird. Nach Berger, Luckmann führe das Teilen von Situationen mit anderen Menschen
zu einer geteilten Erfahrung und Erinnerung, die erst intersubjektiv zugänglich und vermittelbar
werde, wenn sie objektiviert werde. (Berger, Luckmann, S. 72) Das selbe gilt für die Erweiterungen
resp. Erkenntnisse, die aus der Erfahrung gewonnen werden, wenn sie aus dem konkreten
Zusammenhang der Subjekte gelöst werden sollen und wieder zurück auf das Kollektiv wirken
sollen. So erweitern die Objektivierungen resp. die dazu verwendeten Zeichensysteme permanent
die gesellschaftliche Wirklichkeit. Neben der Sprache findet sich in der Kunst eines der wichtigsten
Zeichensysteme zur Vermittlung von Erfahrung und Erkenntnis.

2.4 Die sich erweiternde Gesellschaft

Wie auch schon bei der subjektiven Wirklichkeit führt die als Erweiterung der gesellschaftlichen
Wirklichkeit gedachte Kunst, eine Möglichkeit in die Welt ein. Berger, Luckmann sehen in Spiel
und Theater die temporäre Enthebung der alltäglichen Wirklichkeit, die für eine gewisse Dauer sehr
real sein kann, jedoch mit gewisser Distanz betrachtet, an Intensität einbüsst. (Berger, Luckmann, S.
28) Eine fingierte Wirklichkeit wird ausprobiert im experimentell zu verstehenden Rahmen der
Bühne, des Spiels, der Leinwand, aber auch jeder denkbaren Kunstform. Auch jedes Bild und jede
Skulptur repräsentiert mögliche Welten8, selbst wenn sie „nur“ aus einer dokumentarischen Absicht
heraus angefertigt wurden, denn allein der Strich des Künstlers, die Wahl des Ausschnitts und die
Tatsache, dass es einen starren Augenblick aus dem kontinuierlichen Strom an Augenblicken
wiedergibt, widersprechen dem Argument, dass es sich beim Abgebildeten trotzdem um die „einzig
wirkliche“ und „einzig mögliche“ Welt resp. Wirklichkeit handeln könnte. Es ist immer bereits
alltagsfremde Probleme bereichert, da sie die Integration des Neuen und Unbekannten erfordert. Alpträume oder
ähnliche extreme, der als „normal“ erlebten Realität enthobenen Zustände gehören einer gänzlich fremden
Wirklichkeit an und sind daher nur schwer zu integrieren. (Berger, Luckmann, S. 27)
6 Der, in den vierzig seit Veröffentlichung des Buches vergangenen Jahren, geschehene Wandel der Kommunikation,
insbesondere dessen Expansion in die Virtualität, hat daran nur wenig geändert, auch wenn der
zwischenmenschliche Austausch über grössere Distanzen dadurch doch wesentlich „direkter“ geworden ist.
7 Es fiele schwer zu sagen, dass zwei Menschen tatsächlich das selbe wahrnehmen. Hiermit sei vielmehr gemeint,
worauf sich die Objektivierungen beziehen, falls sie darauf referenzieren. Also beispielsweise die Umgebung in der
sie sich aufhalten.
8 „Das Tafelbild ist wie ein tragbares Fenster, das, einmal in die Wand gesetzt, diese mit seiner Tiefe durchdringt.“ ...
Der Rahmen des Tafelbildes dient dem Künstler ebenso als psychologischer Halt wie der Raum, in dem der
Betrachter steht.“ (O'Doherty, S. 14)
interpretiert, da ein festhaltendes Bewusstsein dazwischen steht und demnach nur eine Möglichkeit
unter unzähligen wiedergibt. Dennoch gibt es etwas wie Stile in denen die Werke einander ähneln,
Kopisten, Fälschungen, in Aufbau und Technik beinah identische Werke, was sich dadurch erklären
liesse, dass sich neue Werke immer an den vorhergegangenen orientieren, also an Traditionen von
Handwerk und Haltung. Luhmann bezieht sich einleitend auf Tacott Parsons, der den Gedanken
formuliert hatte: „dass jeder evolutionäre Differenzierungsvorgang die Einheit des differenzierten
Systems rekonstruieren müsse.“ (Luhmann, S. 8) Es geht also immer um beides: Identifizierung mit
dem Kunstsystem und innerhalb dessen um Differenzierung. Eine „evolutionäre Differenz“ wäre
nun eine, die nicht nur gewisse Aspekte des Systems reproduziert, sondern dieses hinterfragt und
somit widerspiegeln muss. So findet sich die reflexive Haltung resp. Funktion des bewussten
Subjekts, das über sich selbst nachdenkt auch in gesellschaftlichen Systemen.9 Aber das
Kunstsystem denkt nicht nur über sich selbst nach, sondern, als eines in eine Fülle an Systemen,
deren Gesamtheit die Gesellschaft bilden, ist sie fähig auch jedes andere Teilsystem zu reflektieren.
Das heisst, in der Kunst lässt sich der Ort finden, an dem die Gesellschaft über sich selbst
nachdenkt.10
„Das Bewusstsein kann nicht kommunizieren, die Kommunikation kann nicht wahrnehmen.“
(Luhmann, S. 82) Was heisse, dass psychische Systeme zwangsläufig von sozialen Systemen
getrennt seien. Da die Kunst, die Wahrnehmung jedoch für die Kommunikation verfügbar mache,
sei sie fähig eine Brücke zwischen diesen beiden Systemen zu schlagen. In die Begriffe der sich
erweiternden Konstruktion der Wirklichkeit liesse es sich folgendermassen ausdrücken: Da die
Kunst von Subjekten hervorgebracht wird, die ihre Realität damit erweitern und weiter entwickeln,
deren Produkte sich aber im Regelfall an ein Publikum richten, also dort Eingang in die
Gesellschaft finden, welche am Gegenstand der Kunst wiederum über sich selbst reflektiert,
überlappen sich hier die beiden erläuterten Konzepte von „erweiterten Realitäten“. Durch
Objektivierungen wird die „virtuelle Evolution“ kollektiv zugänglich und mit jedem damit
konfrontierten Subjekt, wächst das Potential einer Erweiterung gesellschaftlichen Wirklichkeit.

2.5 Der Ort der Kunst

Die konkrete physische Entsprechung des systemischen Orts der Kunst findet sich im modernen
musealen Raum resp. der Galerie, dem Whitespace. Hier wird das System sichtbar und in dessen
Erscheinung lässt sich treffenderweise wiederum eine Form von „minimaler Realität“ finden.
Weisse Wände, weisse Decke, diffuses Licht von oben, höchstens dem Boden sei eine texturale
Zierde gestattet in Form von Teppich oder Parkett, wobei sich diese auch eher neutral bzw.
unaufgeregt hält. O'Doherty bezeichnet diesen Raum als nahezu sakral, in den der Betrachter
eindringt, regelrecht ein Fremdkörper ist. (O'Doherty, S. 11) Diese sehr reduzierte Wirklichkeit in
der Minimierung sinnlicher Reize, lässt nicht nur das Ausgestellte, sonder auch den einzelnen
Betrachter stärker hervortreten. In dieser Metapher repräsentiert er als unpersönliches Vielgesicht
die Gesellschaft, zu der hier durch das Sprachrohr der Kunst gesprochen wird. Die Gesellschaft
betrachtet die zur Schau gestellte Differenzierung des Künstlers, die im Idealfall das gesamte
System widerspiegelt, also auch den partikularen Betrachter mit einschliesst, der sich in diesem
Sinne im Kunstwerk selbst finden kann. „Und in dem Masse, wie die Kontemplation voranschreitet,
antwortet der Raum. ... Alles was in diesem Raum erscheint, bewirkt, dass Wahrnehmung
angehalten wird und dass bei dieser Verzögerung die ästhetischen Erwartungen des Betrachters
projiziert und sichtbar werden. ... Die Verdoppelung ermöglicht es dem Sehen, sich sozusagen selbst
zu sehen. „Das Sehen sehen“ ist ein Prozess, der im Leeren stattfindet: Auge und Geist beschäftigen
sich gegenseitig.“ (O'Doherty, S. 116)
Auf der Seite der Kunst tritt der Prozess des Schaffenden zu Tage, bewusst wahrgenommen und
reflektiert zu haben, resp. dessen Entschluss, diesen Vorgang und evtl. eine daraus gewonnene
9 "Geht man dagegen von der Paradoxie des als Operation begriffenen Unterscheidens aus, wird Kunst zur
Artikulation ihrer Selbstreferenz, und entsprechend erlaubt sie sich alles, was selbstreferentiell anschlussfähig ist."
(Luhmann, S. 75)
10 „Wir halten fest, dass es auf die Erzeugung einer Differenz zweier Realitäten ankommt, oder anders gesagt: auf die
Ausstattung der Welt mit der Möglichkeit, sich selbst zu beobachten.“ (Luhmann, S. 235)
Erkenntnis sichtbar zu machen. In dem Augenblick in dem sein Werk betrachtet wird ist der, an dem
die Erweiterungen sich überlagern und greifen. Die „minimale Realität“ des Whitespace wird durch
die Kunst und den Betrachter erweitert, wobei sie jeweils für eine der geschilderten Konzeptionen
von Realität stehen.

3 Das ästhetische Denken

Im Moment der Betrachtung findet sich auch Welsch's Theorie des „ästhetischen Denkens“ wieder.
Er geht davon aus, dass der Inhalt eines Denkvorgangs sich bereits an einem Sinnesreiz orientiert,
ein ästhetisches Denken aber darüber hinaus gehen müsse. „Das Denken muss als solches eine
ästhetische Signatur aufweisen, muss ästhetischen Zuschnitts sein. Das heisst vor allem: Es muss in
besonderer Weise mit Wahrnehmung – aisthesis – im Bunde sein.“ (Welsch, S. 46) Es geht also um
eine besondere Form und Verknüpfung des Denkens und des Wahrnehmens. Er sagt, ästhetische
Denker würden geradezu „ihre Sinne im Denken mobilisieren, dass sie ein Denken praktizieren, das
über Sinne verfügt und mit ihnen Sinn macht.“ (Welsch, S. 47) Wahrnehmen und Sinn finden, also
Bedeutung im Empfundenen lesen, ohne zu weit ins Abstrakte abzudriften und sich damit zu weit
vom Wahrgenommenen zu entfernen. So zieht er auch eine Parallele zwischen „Wahrnehmung“ und
„Gewahrwerden“. (Welsch, S. 48) Das suchen und finden resp. das „sich bewusst machen“ einer
durch die Sinne vermittelten Wahrheit, welche immer auch eine Doppelbödige ist. Sie hat die
präreflexive Ebene einer phänomenologischen Bedeutung, die auch das ist, was sie repräsentiert
und sie hat eine abstraktere, interpretierte und damit subjektive Ebene, die einer „nur
wahrgenommenen“ roten Frucht nicht nur die Bedeutung eines reifen Apfels verleiht, sondern sie
auch zu einem viel zitierten Symbol der menschlichen Schwäche gegenüber der Neugierde und dem
Wissen macht. Oder aus einem weissen gefiederten Tier eine Taube und letztendlich zum
Friedenssymbol.
Es scheint eine grundlegende Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins zu sein: Die Tendenz
allem eine Bedeutung zuschreiben zu wollen, es zu Etikettieren und Kategorisieren.
Dieser Bedeutungshunger lässt sich nicht direkt von der überkomplexen Welt befriedigen. Dazu
sind Informationen notwendig, die eine Orientierung auf bekanntem, aber auch unbekanntem
Terrain ermöglichen. Dieses initiierende Grundmass an Information bildet eine Struktur, die durch
Erfahrung immer weiter angepasst und verfeinert wird. Was man kennt wird in Form einer mentaler
Entsprechung gespeichert, also abstrahiert vom eigentlichen Ursprung. Das bestehende Wissen wird
in jeder neuen Situation überprüft und angepasst an die neu gewonnenen Erfahrungen. Die Welt
wird so in Kategorien eingeteilt, es werden Etiketten vergeben, eine mentale Karte aus
Bedeutungen, die in ähnlichen Situationen angewandt werden kann. (geografisch, sozial...)
Mittels solchen Informationen reichern wir das direkt Wahrgenommene an und verleihen ihm eine
Bedeutung. Dinge ohne Bedeutung, die erst nicht kategorisierbar sind, fallen durch den Filter
unseres Bewusstseins: Wir empfinden deren Sinnesreiz zwar, sind aber nicht in der Lage ihn aus der
Masse an sinnlichen Eindrücken herauszulösen. Erst eine Erfahrung oder das bewusste Wissen um
eine entsprechende Erfahrung ermöglicht uns, das selbst Wahrgenommene differenzierter zu
betrachten.
Folgen wir Welsch so ist der „ästhetische Denker“ jemand, der sich den Bedeutungsebenen bewusst
ist und sich dessen gewahr wird, sowie er wahrnimmt. Er nimmt die Sinnesreize als
Interpretationsangebote für abstraktere Sinnebenen wahr.
Dieser Ansatz lässt uns wieder zum Ausgangspunkt zurück kehren: Zur Augmented Reality resp.
dem Konzept der Erweiterung. Im Bezug auf Welsch kann vielleicht von einem sich selbst
erweiternden Denken gesprochen werden, einem Bewusstsein also, das stetig danach strebt, sich das
Wissen anzueignen, das es ihm erlaubt, aus jeder denkbaren Erfahrung Erkenntnis zu generieren
und sich somit zu erweitern.
Dieses Konzept soll aber hier nicht weiter verfolgt werden, sondern Grundlage für eventuell
fortführende Arbeiten sein.
Quellenverzeichnis

Berger, Peter; Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt
am Main, 1969.

Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main, 1995

Metzinger, Thomas: Being No One, Massachusetts, 2003.

Metzinger, Thomas: Der Ego Tunnel – Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung
zur Bewusstseinsethik. Berlin, 2009.

Nørretanders, Tor: Spüre die Welt – Die Wissenschaft des Bewusstseins. Reinbeck bei Hamburg,
2000 (1991).

O'Doherty, Brian: Inside the White Cube. Berlin, 1996 (1976).

Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken. Stuttgart, 1990.

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