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Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 22.

Oktober 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 01

Historische Entwicklung
Im Strafrecht genossen Kinder und Jugendliche bis in die Neuzeit hinein keine Sonderrolle. Sie unterfielen den für die Erwachsenen
geltenden Strafen. Allerdings bestand schon früh die Möglichkeit, von Strafe abzusehen oder diese zu mildern. Auch finden sich teil-
weise Regelungen der Halbierung des Strafmaßes für junge Täter. Insgesamt – wiederum in der Denkweise des Erwachsenenstrafrechts
– erblickte man in der Jugend des Täters einen Umstand geminderter Schuldfähigkeit. Epochen der Entwicklung waren:

1. Constitutio Criminalis Carolina 1532: Zwar existiert noch keine Festlegung der Strafmündigkeit, es gab jedoch eine Sonderregelun-
gen für jugendliche Straftäter in Art. 164: Junge Diebe sollten lediglich eine gemilderte Strafe erhalten. Anstelle der Todesstrafe treten
Leibesstrafen verbunden mit ewiger Landesverweisung, sofern nicht die "Bosheit" der Tat das jugendliche Alter aufwiegt.

2. Erste "Zucht"-Häuser: Die Gedanken von Resozialisierung im Strafvollzug findet sich erstmals in den Konzeptionen der Amster-
damer Zucht- und Spinnhäuser (1594) sowie der Konzeption des Schlosses Bridewell (1554). Hier wurden Täter, die geringe Jugend-
verfehlungen begangen haben, "gebessert". Allerdings beschränkte sich das Konzept nicht auf straffällige Jugendliche, sondern erstreck-
te sich auch auf verwahrloste Jugendliche sowie auf erwachsene Stadt- und Landstreicher sowie allgemein auf "Asoziale".

3. Bis Ende des 18. Jahrhundert: Im gemeinen Recht unterschied man im wesentlichen drei Altersstufen:
a) Infantes (Kinder) 0 - 7 Jahre: keine Schuldfähigkeit; in Ausnahmen konnten "Rutenschläge" als Sanktion erteilt werden.
b) Impuberes (Jugendliche) 7–14 Jahre: Im Wesentlichen sollten diese straffrei ausgehen. Es bestand jedoch die Möglichkeit der
Landesverweisung oder der körperlichen Züchtigung, im Ausnahmefall sogar der Verhängung von Todesstrafe.
c) Minores (Minderjährige) 14–25 Jahre: sie waren grundsätzlich wie Erwachsene zu bestrafen, die Strafe konnte jedoch gemildert
werden; eine Ausnahme galt teilweise bei "geringer Überschreitung" des 14. Lebensjahres.

4. Zeit der Aufklärung: Die entscheidende Wendung zur Ausbildung eines besonderen Jugendstrafrechts und seiner Ablösung vom
allgemeinen Strafrecht hat seinen Ursprung in neuen geistigen und sozialen Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Gedanke
der Aufklärung; zunehmende Industrialisierung; Auflösung sozialer Strukturen; Schul- und Berufsausbildung). Diese Entwicklungen
führten zwar noch nicht aktuell zu wesentlichen Änderungen, jedoch zumindest zu einer allgemeinen Humanisierung des Strafrechts
und zu einer Zurückdrängung der Todes- und der Leibesstrafen.

5. Partikularstrafgesetzbücher des 19. Jh.: Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine absolute Strafunmündigkeit festlegten (die
zwischen 8 und 14 Jahren schwankte) . Ferner wurde oftmals eine Strafmilderung für höhere Altersstufen vorgesehen.

6. Deutsches Reichsstrafgesetzbuch (1871): In § 55 RStGB Festlegung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre; eine "relative Strafmündig-
keit" galt für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Nach § 57 RStGB galt für "Halberwachsene" die sogenannte "Halbstrafenrege-
lung".

7. Jugendgerichtsgesetz 1923: Erstmals Schaffung eines speziellen Sonderstrafrechts für Jugendliche (geistige Grundlagen waren
sowohl das Marburger Programm 1882 von Franz v. Liszt als auch die 1909 gegründete "Jugendgerichtsbewegung"). Bereits 1922
wurde das Jugendwohlfahrtsgesetz geschaffen.
Wesentliche Änderungen im JGG: a) Die Strafmündigkeit wurde auf 14 Jahre angehoben, b) die Bestrafung von 14-17jährigen setzt
eine geistige und sittliche Reife voraus, c) neben die Freiheitsstrafe trat als Sanktion ein System von Erziehungsmaßregeln, wobei
Freiheitsstrafe erst dann verhängt werden durfte, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichten, d) Ausschluss der Öffentlichkeit vom
Strafverfahren, e) Beschränkung des Legalitätsprinzips, f) es erfolgt eine Persönlichkeitserforschung durch die (neu geschaffene) Ju-
gendgerichtshilfe, g) die Freiheitsstrafe konnte erstmals zur Bewährung ausgesetzt werden.

8. Änderung 1943: Einführung einer Dreigliederung der jugendstrafrechtlichen Reaktionsmittel (Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel,
Jugendstrafe). Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe (bis zu drei Monaten) durch Jugendarrest. Möglichkeit der Jugendstrafe auf unbe-
stimmte Dauer, Abschaffung der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung. Auflockerung der Altersgrenzen wieder abgeschafft:
in schweren Fällen Strafmündigkeit bei 12 Jahren und Möglichkeit, das Erwachsenenstrafrecht auch auf unter 18jährige anzuwenden,
wenn es sich um "charakterlich abartige Schwerverbrecher" handelte. Insoweit war sogar die Verhängung von Todesstrafe möglich

9. Änderung 1953: Aufhebung der nationalsozialistischen Elemente des Jugendstrafrechts. Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde
wiedereingeführt, gleichzeitig wurde auch Bewährungshilfe und Bewährungsaufsicht vorgesehen. Ferner sind seit 1953 die Heran-
wachsenden (18-20 Jahre) teilweise in das Jugendstrafrecht einbezogen.

10. Änderung 1990: Teilweise Reform des JGG: Änderungen des § 45 JGG (Diversion), der Erziehungsmaßregeln und der Zuchtmittel;
Abschaffung der unbestimmten Jugendstrafe; Einführung der Betreuungsweisung und des der sozialen Trainingskurses; Täter-
Opfer-Ausgleichs; Möglichkeit der Auferlegung von Arbeitsverpflichtungen durch Weisung ; Änderungen der Voraussetzungen bei der
Untersuchungshaft, §§ 72, 72a JGG.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Rössner, § 2; Schaffstein/Beulke, §§ 3-5;


Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 26. Oktober 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 02

Erscheinungsformen und Ursachen


1. Entwicklung der Jugendkriminalität:
– In Übereinstimmung mit den anderen westlichen Industriestaaten ist seit den fünfziger Jahren eine
beträchtlich Erhöhung festzustellen. In den achtziger Jahren hatte sich der Umfang der Jugendkrimi-
nalität dann auf einem hohen Niveau stabilisiert. Zuwächse lassen sich allerdings seit Anfang der
neunziger Jahre wieder beobachten.
– Derzeit liegt der Anteil der Tatverdächtigen (umgerechnet auf alle Einwohner dieser Altersgruppe)
bei den Jugendlichen (7–14 Jahre) bei etwa 7%, bei Heranwachsenden bei ca. 7,5% (dagegen bei
Erwachsenen bei unter 2%).
– Nach einer weiteren Untersuchung (Konstanzer Kohortenstudie) wurden aus den Geburtsjahrgängen
1961 und 1967 wegen einer Straftat, begangen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, als Beschuldig-
ter in einem Strafverfahren verwickelt und mit einer Eintragung im Bundeszentralregister belegt:
Geburtsjahrgang 1961: 9,1 %, Geburtsjahrgang 1967: 11,4 %; verurteilt wurden allerdings nur je-
weils 4,7%
– Aber: der Anstieg der Jugendkriminalität sollte deswegen nicht dramatisiert werden da folgende
Punkte hier wesentlich mitspielen: a) überwiegend Bagatellkriminalität (Ladendiebstahl; Beförde-
rungserschleichung; Verkehrsdelikte); b) höhere Geständnisbereitschaft bei Jugendlichen; c) verän-
dertes Anzeigeverhalten; Dunkelfeldforschung weist kaum Zuwächse auf.

2. Wesensmerkmale von Jugendkriminalität


a. Normalität: Sowohl die Jugendkriminalität an sich als auch die offizielle Registrierung als Tatver-
dächtiger gehört heutzutage schon zur "Normalität", d.h., dass es im statistischen Sinne "normal" ist,
wenn ein Jugendlicher im Verlaufe seiner Entwicklung eine oder mehrere Straftaten begeht. Dies
gilt zumindest für die weit überwiegenden Delikte im Bagatellbereich (und ist als solches von der
Gesellschaft auch hinzunehmen).
b. Episodenhaftigkeit: So „normal“ wie gewisse Verfehlungen in jugendlichem Alter sind, desto
normal ist auch die Beobachtung, dass diese bereits im jungen Erwachsenenalter wieder nachlässt.
Jugendkriminalität ist also in den meisten Fällen eine vorübergehende Erscheinung, die nicht in
einer kriminellen Karriere endet. Ursache hierfür ist die üblicherweise eintretende Festigung der so-
zialen Rolle und die Einbindung in soziale Strukturen der Gesellschaft (Schulabschluss, Arbeits-
platz, Berufsrolle und hiermit zusammenhängende Familiengründung).
c. Ubiquität: Jugendkriminalität durchzieht in weit höherem Maße als Erwachsenenkriminalität sämt-
liche soziale Schichten und Nationalitäten.
d. Geschlechtsspezifische Unterschiede: Es gibt wesentlich mehr männliche Tatverdächtige als weib-
liche Tatverdächtige (ca. 2/3 zu 1/3). Dabei liegt der Höhepunkt der Kriminalität bei männlichen
Heranwachsenden (18-21 Jahre) und bei weiblichen Jugendlichen (14-16 Jahre)
e. Unterschiedliche Verteilung: Jugendkriminalität ist im wesentlichen Einmal- oder Gelegenheits-
kriminalität und nur in extremen Fällen „Dauerkriminalität“. Allerdings entfallen auf die kleine
Gruppe der Dauer- und Intensivtäter weit über die Hälfte der begangenen Straftaten.
f. Gruppenkriminalität: Ein weiteres Merkmal von Jugendkriminalität ist schließlich ein erhöhtes
Auftreten von Kriminalität „aus der Gruppe heraus“, insbesondere beim Diebstahl, der Sachbes-
chädigung oder BtM-Delikten.

3. Verteilung von Jugendkriminalität: Jugendpezifische Delikte sind insbesondere der Diebstahl (in erster
Linie Ladendiebstahl, Automatenaufbrüche); ferner Sachbeschädigungen (Grafitti-Sprühereien) und Leis-
tungserschleichung (Schwarzfahren). Auffallend ist allerdings auch eine überproportional hohe Quote bei
den Rohheits- und Gewaltdelikten (Raub; räuberische Erpressung).

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 3; Schaffstein/Beulke, §§ 1,2 ;Streng, § 1 I, II.


Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 4. November 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 03

Strafrechtliche Verantwortlichkeit
Jugendlicher
I. Überblick über die Altersstufen im Jugendstrafrecht
1. Kleinkinder: 0 – 6 Jahre; weder zivilrechtlich, noch strafrechtlich verantwortlich
2. Kinder: 7 – 13 Jahre; zivilrechtlich beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB); zivilrechtlich bedingt de-
liktsfähig (§ 828 II BGB); keine strafrechtliche Verantwortlichkeit, § 19 StGB
3. Jugendliche: 13 – 17 Jahre; zivilrechtlich beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB); zivilrechtlich bedingt
deliktsfähig (§ 828 II BGB); strafrechtlich bedingt strafmündig, § 19 StGB, § 1 II JGG
4. Heranwachsende: 18 – 20 Jahre: zivilrechtlich voll geschäftsfähig und deliktsfähig; strafrechtlich gelten Son-
derregelungen, §§ 1 II, 105 JGG.
5. Erwachsene: ab 21 Jahre: zivilrechtlich voll geschäftsfähig und deliktsfähig; strafrechtlich voll verantwort-
lich, sofern nicht §§ 20, 21 StGB eingreift.
II. Grundsätzliches zur Bedeutung des Alters
– es gilt das Alter zum Tatzeitpunkt: nach § 187 BGB zählt der Tag der Geburt (Zeitpunkt: 0 Uhr) bei der Fris-
tenberechnung mit;
– bei Unklarheit über den Geburtszeitpunkt (insbesondere bei ausländischen Jugendlichen: Sachverständigengut-
achten (Ermächtigungsgrundlage im Prozess: § 81a StPO). Kann das Alter nicht genau festgestellt werden gilt:
in dubio pro reo.
III. Inhalt des § 3 JGG (Strafrechtliche Verantwortlichkeit Jugendlicher)
Jugendliche sind bedingt strafmündig. Eine Strafbarkeit setzt voraus:
– Besondere Reife: – Sittliche Reife (= ethisches Element)
– Geistige Reife (= intellektuelles Element)
– Besondere Fähigkeit – das Unrecht der Tat einzusehen (= Unrechtsbewusstsein)
– nach dieser Unrechtseinsicht auch zu handeln (ausgeschlossen bei trieb-
haftem Handeln)
– Bezogen auf die jeweilige Tat
IV. Prüfungsschema Schuld bei Jugendlichen:
1. Schuldfähigkeit a. Alter im Tatzeitpunkt (§ 19 StGB)
b. Verantwortlichkeit (§§ 3, 105 JGG)
− bei Jugendlichen gem. § 3 JGG nur, wenn
(1) geistige und sittliche Reife und
(2) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
− bei Heranwachsenden gem. § 105 I JGG immer (str.), es sei denn Reiferückstand oder
Jugendverfehlung
c. Schuldfähigkeit i.e.S. (§§ 20, 21 StGB): Problem: Welches Recht ist anzuwenden, wenn
die Schuldfähigkeit nach § 3 JGG und nach § 20 StGB fehlt? BGH: § 20 StGB
2. spezielle Schuldmerkmale (nur nach der Mindermeinung)
3. persönliche Vorwerfbarkeit der tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat
a. Schuldform, d.h. Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsschuld (str.); Ansatzpunkt: Erlaubnistatbestandsirrtum
b. Unrechtsbewusstsein (§ 17 StGB); dieses ist demnach nach § 3 JGG zu prüfen.
c. Entschuldigungsgründe (§§ 33, 35 StGB, übergesetzliche Entschuldigungsgründe)
V. Feststellung der Verantwortlichkeit:
Es gilt die Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 43 JGG). In der Praxis wird hierzu ein Bericht der Jugendgerichtshilfe
nach § 38 II JGG eingeholt. Bestehen daraufhin Zweifel muss ein jugendpsychologisches Gutachten nach § 43 II JGG
eingeholt werden. In der Praxis lehnen Gerichte den Antrag auf einen Sachverständigen mit dem Hinweis auf die eige-
ne Sachkunde ab, die es erlaube, in der Hauptverhandlung selbst die notwendigen Schlüsse zu ziehen.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 5; Schaffstein/Beulke, § 7 ; Streng, § 3 II, § 4.


Rechtsprechung: BGHSt 1, 47 – Schrotthandel (Diebstahl durch ein Kind als Vortat einer Hehlerei); BGHSt 5, 366
– Alter (In dubio pro reo bei Altersbestimmung); BGHSt 10, 103 – Verwahrungsbruch (Erwachse-
nenstrafrecht ausnahmsweise günstiger als Jugendstrafrecht); BGHSt 26, 67 – Debilität (Vorrang
des § 20 StGB vor § 3 JGG)
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 13. November 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 04

Strafrechtliche Behandlung
Heranwachsender, §§ 105 ff. JGG
I. Überblick: Heranwachsende sind Personen zwischen 18 und 20 Jahren; sie sind zivilrechtlich voll geschäftsfähig und deliktsfähig;
strafrechtlich gelten Sonderregelungen, §§ 1 II, 105 ff. JGG. Grundsätzlich gelten Heranwachsende als voll strafmündig. Sie werden
aber im Strafverfahren teilweise wie Jugendliche behandelt.

II. Die Regelung des § 105 JGG


1. Für Heranwachsende gelten die genannten Vorschriften des JGG, sie sind also, insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfolgen,
die sich an eine begangene Tat knüpfen, „wie Jugendliche“ zu behandeln, sofern:
– eine Reifeverzögerung vorliegt (= einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte, in der Entwicklung ste-
hende, noch prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Jugend-
liche hingegen die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, oder liegen zwar Reifeverzögerungen vor,
die aber „nicht mehr behebbar“ sind, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen).
– eine jugendtypische Verfehlung vorliegt (= hierunter versteht man Taten, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrem
Anlass oder ihrem Motiv Merkmale jugendlicher Unreife aufweisen. Darunter fallen nicht nur dumme Streiche, sondern auch
strafrechtlich relevantes Verhalten, welches typischerweise bei Jugendlichen vorkommt).
2. Wesentlich ist – wie schon bei den Jugendlichen nach § 3 JGG – die Beurteilung zum Zeitpunkt der Tat und nicht zum Zeit-
punkt der Aburteilung.
3. Nicht anwendbar sind a) § 3 JGG: es findet also keine Prüfung statt, ob der Heranwachsende für seine Tat nach seiner sit-
tlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Der Jugend-
liche ist vielmehr stets in vollem Umfange strafmündig; b) § 9 Nr. 2 und § 12 JGG: Erziehungsbeistandschaft und Erziehung-
shilfen (also insbesondere Heimunterbringung) können gegen Heranwachsende nicht angeordnet werden.
4. Sonderregelungen: a) wird ein Heranwachsender nach Jugendstrafrecht beurteilt ist das Höchstmaß der Jugendstrafe: 10 Jahre
(§ 105 III JGG); b) wird er nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, gibt es eine fakultative Strafmilderung bei lebenslanger Frei-
heitsstrafe (§ 106 I JGG); Sicherungsverwahrung darf nicht angeordnet werden (§ 106 II JGG).

III. Verfahren und Zuständigkeit, §§ 107, 108, 109 JGG. Bis auf wenige Ausnahmen gelten die Vorschriften über die Jugendge-
richtsverfassung (§ 107 JGG); die Zuständigkeit (§ 108 JGG) und das Jugendstrafverfahren (§ 109 JGG) bei Heranwachsenden ent-
sprechend. Nach § 109 I JGG gelten bestimmte Verfahrensvorschriften des JGG bei Heranwachsenden auch dann, wenn sie nach
Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden.

IV. Einordnung in der Praxis: Die Praxis zeigt, dass im Falle schwerer Kriminalität (Tötungsdelikte, Raub etc.) die Gerichte fast
ausschließlich einen „Reiferückstand“ annehmen mit der Folge, dass Jugendstrafrecht auf Heranwachsende angewendet wird. Im
Falle leichterer Delikte, die im Erwachsenenstrafrecht im summarischen Verfahren per Strafbefehl (d.h. im wesentlichen mit Geldstra-
fen) abgehandelt werden, überwiegt dagegen die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts.

V. Ahndung mehrerer Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen


1. Grundsatz bei mehreren Taten (= Realkonkurrenz): § 31 I JGG: bei Jugendlichen: Einheitsstrafe
2. Bei mehreren Taten, die teilweise nach Jugendstrafrecht, teilweise nach Erwachsenenstrafrecht zu beurteilen sind, gilt § 32
JGG: einheitlich Beurteilung danach, bei welchen Taten der Schwerpunkt liegt. Prüfungsschema: a) gleichzeitige Aburteilung
der Taten; b) mehrere Straftaten die in in Tatmehrheit stehen (nach h.M. sind hiervon aber auch Dauerdelikte erfasst);
c)Verantwortlichkeit für jede Straftat (§§ 3 JGG, 20 StGB); d) Schwergewicht liegt auf den nach JGG zu bestrafenden Taten
(sonst: § 32 S. 2 JGG: Erwachsenenstrafrecht)
3. Sonderregelung § 105 II JGG: Ist der Täter wegen einer nach Erwachsenenstrafrecht zu beurteilenden Straftat bereits verur-
teilt, das Urteil aber noch nicht vollstreckt worden, und wird er nun wegen einer Tat, die er als Jugendlicher oder als Heran-
wachsender, der nach Jugendstrafrecht zu beurteilen ist, angeklagt, so wird auch hieraus eine Einheitsstrafe gebildet – und
zwar eine solche nach dem Jugendstrafrecht.
4. Nicht geregelt ist der umgedrehte Fall: wenn ein Heranwachsender in einem früheren Verfahren rechtskräftig nach JGG
verurteilt worden ist und dann nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird, ist § 105 Abs. 2 JGG nicht analog anwendbar. Die
Bildung einer Gesamtstrafe nach Erwachsenenstrafrecht (§ 55 StGB) ist ebenfalls unzulässig. Nach h.M. muss die Härte für
den Täter durch eine Strafmilderung bei der neuen Strafe ausgeglichen werden

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 5 III, IV; Schaffstein/Beulke, §§ 8, 9; Streng, § 5.


Rechtsprechung: BGHSt 5, 366 – Unzucht (In dubio für Jugendstrafrecht); BGHSt 12, 129 – Meuterei (Schwerpunkt bei § 32 JGG);
BGHSt 36, 37 – Heranwachsender (Gleichstellung mit einem Jugendlichen); BGHSt 37, 34 – Einheitsjugendstrafe (Meh-
rere Taten in verschiedenen Stufen); BGHSt 40, 1 – BtM-Handel (Schwerpunkt bei § 32 JGG).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 20. November 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 05

Akteure im Jugendstrafverfahren
I. Der Jugendrichter (§§ 33 – 42 JGG)
– Für das Jugendstrafverfahren sind besondere Gerichte eingeführt worden: Jugendrichter, Jugendschöffengericht (beide beim Amtsge-
richt) und Jugendstrafkammer (Landgericht). Beim OLG oder BGH gibt es keine besonderen Jugendkammern.
– Nach §§ 82, 84 JGG ist der Jugendrichter zugleich Vollstreckungsleiter (im Erwachsenenstrafrecht ist dies die Staatsanwaltschaft). Er ist
nach § 90 II 2 JGG auch Arrestvollzugsleiter und nimmt auch sonst diejenigen Aufgaben wahr, die ansonsten im Erwachsenenvollzug der
Strafvollstreckungskammer beim Landgericht zufällt. Nach § 34 II JGG soll der Jugendrichter (zumindest derjenige am Amtsgericht)
gleichzeitig Familien- und Vormundschaftsrichter sein.
– Nach § 37 JGG soll der Jugendrichter erzieherisch befähigt sein und in der Jugenderziehung Erfahrungen haben. Diese Vorschrift stellt
jedoch eine reine Ordnungsvorschrift dar, auf deren Verletzung keine Revision gestützt werden kann.
– Auch eine spezielle Aus- und Fortbildung für Jugendrichter ist (leider) nicht obligatorisch.
II. Die Jugendschöffen (§ 35 JGG)
– Neben den Berufsrichtern in Jugendsachen sehen die Jugendschöffengerichte und Jugendstrafkammern die Beteiligung Laienrichter
(Jugendschöffen) auch im Jugendstrafverfahren vor.
– Anders als die Schöffen in Erwachsenengerichten werden Jugendschöffen also auf der Grundlage eines Vorschlags des Jugendwohl-
fahrtsausschusses gewählt (§ 35 Abs. 1 JGG). Es gilt hier der Grundsatz der Geschlechterparität – und zwar nicht nur im Hinblick auf die
Gesamtzahl der Schöffen, sondern darüber hinaus auch für die einzelnen Verfahren (§§ 33a I 2, 33b III JGG).
– Jugendschöffen sollen erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein (§ 35 II JGG).
III. Der Jugendstaatsanwalt (§§ 36, 37 JGG)
– Der Jugendstaatsanwalt muss nach § 36 JGG bestellt werden. Er ist jedoch in die allgemeine Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten
eingegliedert. Allerdings soll nach h.M. § 36 JGG eine reine Ordnungsvorschrift darstellen, d.h. eine Revision kann auf eine Verletzung
dieser Norm nicht gestützt werden.
– Für den Jugendstaatsanwalt gelten nach § 37 dieselben Ansprüche wie an den Jugendrichter, d.h. er soll erzieherisch befähigt und in der
Jugenderziehung erfahren sein.
– Die Bedeutung des Jugendstaatsanwalts hat insbesondere mit der wachsenden Bedeutung der Einstellung des Jugendstrafverfahrens
gemäß § 45 JGG beträchtlich zugenommen.
IV. Die Jugendgerichtshilfe (§ 38 JGG)
– Die Jugendgerichtshilfe gilt als wesentliche Stütze des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht und als wesentliches „Einfallstor" für
sozialpädagogische und fürsorgerische Elemente in das Jugendstrafverfahren. Ihr kommt bei der Verwirklichung des Erziehungsgedan-
kens im Jugendstrafverfahren eine Schlüsselrolle zu. Sie ist nach § 38 I JGG eine Aufgabe des Jugendamtes. Sie ist daher nicht Teil der
Justiz, sondern selbstständig.
– Die Jugendgerichtshilfe soll die Persönlichkeit des Jugendlichen und die sozialen Umstände der Tat erforschen. Sie soll einen Jugendge-
richtshilfebericht anfertigen und in der Verhandlung den Bericht vortragen (§ 38 II JGG). Darüber hinaus soll sie einen Vorschlag zu den
Rechtfolgen der Straftat machen. Sie ist dabei so früh wie möglich von der Einleitung eines Jugendstrafverfahrens zu unterrichten. Wird
sie nicht beteiligt, stellt dies einen Revisionsgrund (§ 337 StPO) dar.
– Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe hat in allen Verfahrensphasen ein Äußerungsrecht. Zudem hat die Jugendgerichtshilfe ein umfas-
sendes Verkehrsrecht mit dem sich in U-Haft. befindlichen Beschuldigten oder Angeklagten (diese Regelung findet sich in § 93 Abs. 3
JGG). Ferner hat sie ein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung (§ 50 Abs. 3 JGG). Auf Verlangen ist dem Vertreter der Jugendge-
richtshilfe in der Hauptverhandlung das Wort zu erteilen. Nach h.M. hat sie jedoch keine Mitwirkungspflicht, kann dem Verfahren also
fern bleiben oder den Bericht verweigern (sehr str.).
– Derzeitige Probleme bzw. Konfliktpotential: a) Organisation: organisatorische Einbindung oder organisatorische Selbstständigkeit in
Bezug auf die allgemeine Jugendhilfe der Jugendämter? b) Intra-Rollen-Konflikt: Der Jugendgerichtshelfer soll sowohl erzieherisch tätig
werden, ist aber andererseits Beteiligter im Strafverfahren ohne Zeugnisverweigerungsrecht; c) „Gerichtsgänger“-Problematik: nach § 38
II 4 JGG soll derjenige, der die Gespräche geführt und den Bericht erstellt hat, auch vor Gericht erscheinen. Hiergegen wird oft verstoßen.
VI. Der Jugendverteidiger (§ 68 JGG)
– Der Verteidiger muss keine spezifischen Qualifikationen für Jugendsachen aufweisen. Daher kann sogar ein gesetzlicher Vertreter oder
ein Erziehungsberechtigter als Verteidiger gewählt werden. Die Grundsätze der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) gelten auch hier.
VII. Der Erziehungsberechtigte bzw. gesetzliche Vertreter (§ 67 JGG)
– Diese sind Verfahrensbeteiligte (§ 67 JGG) und können im Verfahren eigenständige Rechte geltend machen, insbesondere auch
Rechtsmittel einlegen. Ein Beteiligungsrecht auch bei der polizeilichen Vernehmung ist nicht explizit geregelt, ist aber sinnvoll.
VIII. Der Beistand (§ 69 JGG)
Der Beistand soll im Verfahren gegen einen Jugendlichen eine Unterstützungsfunktion wahrnehmen. Er wird nicht vom Jugendlichen
gewählt, sondern vom Vorsitzenden bestellt. Die Bestellung steht im Ermessen des Gerichts. Die Beistandschaft ist ausgeschlossen, wenn
ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Der Beistand hat nur teilweise die Rechte eines Verteidigers
IX. Die Jugendpolizei (keine gesetzliche Regelung)
Eine spezialisierte Jugendpolizei gibt es nicht. Freilich hat sich im Rahmen der Durchsetzung des Jugendschutzes eine Spezialisierung
innerhalb der Kriminalpolizei ergeben. Bei manchen Polizeibehörden sind spezielle Jugenddezernate eingerichtet worden.
X. Die sonstigen Beteiligten
Sonstige Beteiligte sind im Verfahren nicht vorgesehen. Allerdings stehen dem Bewährungshelfer, dem Leiter eines sozialen Trainings-
kurses oder dem Betreuungshelfer, soweit sie mit dem Jugendlichen befasst sind, gewisse Rechte zu (§§ 48 II, 50 IV JGG).

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 13 I 1, II 2; Schaffstein/Beulke, §§ 28, 32-34; Streng, § 6.


Rechtsprechung: BGHSt 18, 79 – Verkehrsunfall (Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte); BGHSt 27, 250 – Jugendgerichtshilfe
(Folgen einer Nichtbeteiligung der Jugendgerichtshilfe); BGH NStZ 1984, 467 – Gerichtsgeher (Vertretung der Ju-
gendgerichtshilfe); BGH NStZ 2000, 553 –Eltern (letztes Wort der Erziehungsberechtigten); OLG Düsseldorf NStZ
1999, 211 – Verteidiger (Notwendige Verteidigung im beschleunigten Jugendverfahren); LG Bonn NStZ 1986, 40 –
Beschlagnahme (Beschlagnahme von Akten der Jugendgerichtshilfe).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 24. November 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 06

Gerichtsverfassung/Zuständigkeiten
I. Überblick: Eine gesetzliche Regelung über die Jugendgerichte findet sich in §§ 33 – 42 JGG. Diese gelten nach §§ 107, 108 JGG weitge-
hend auch für Heranwachsende.

II. Besondere Jugendgerichte


Für das Jugendstrafverfahren sind besondere Gerichte eingeführt worden, die auf der Ebene des Amtsgerichts und des Landgerichts
in Jugendsachen tätig werden (vgl. § 33 II JGG). Die Jugendgerichte sind Teil dieser Gerichte, d.h. keine „originären“ Gerichte, was
bei Revisionen wegen der Unzuständigkeit des Gerichts eine gewisse Rolle spielen kann. Beim OLG und dem BGH gibt es hingegen
keine speziellen Jugendgerichte (vgl. § 102 JGG).

III. Die einzelnen Spruchkörper


1. Der Strafrichter als Jugendrichter – Einzelrichter (§§ 34, 39 JGG)
a) sachliche Zuständigkeit (§ 39 I 1 JGG): Zwei Voraussetzungen müssen hiernach vorliegen:
– Bestimmter Erwartungshorizont bzgl. der Rechtsfolgen: nur Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, nach dem JGG zulässige Ne-
benstrafen und Nebenfolgen oder die Entziehung der Fahrerlaubnis; = Anklage darf nicht vor dem Jugendrichter erhoben werden,
wenn Jugendstrafe zu erwarten ist. Zu beachten ist jedoch (arg. § 39 II JGG), dass der Jugendrichter dennoch eine Jugendstrafe
von bis zu 1 Jahr verhängen kann, sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass doch eine Jugendstrafe verhängt werden muss.
– Staatsanwaltschaft muss Anklage beim Strafrichter erheben: der Staatsanwaltschaft steht dabei ein Ermessensspielraum zu, ob
sie wegen der Bedeutung des Falles möglicherweise Anklage beim Jugendschöffengericht erhebt.
Ausnahme: Der Jugendrichter ist nicht zuständig in Sachen, die nach § 103 JGG gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden sind,
wenn für die Erwachsenen nach allgemeinen Vorschriften der Richter beim Amtsgericht nicht zuständig wäre.
b) Funktion: Nach § 34 II JGG obliegen dem Jugendrichter alle Aufgaben, die ein Richter beim Amtsgericht im Strafverfahren hat.
Nach § 34 Abs. 2 JGG sollen dem Jugendrichter zusätzlich zu seiner Rolle als Strafrichter auch die familien- und vormundschafts-
richterlichen Erziehungsaufgaben für die Jugendlichen übertragen werden.

2. Das Jugendschöffengericht (§§ 33a, 35, 40 JGG)


a) sachliche Zuständigkeit (§ 40 I JGG): hiernach ist das Jugendschöffengericht zuständig für alle Verfehlungen, die nicht zur Zustän-
digkeit eines anderen Jugendgerichts gehören, d.h.: alle Fälle, die nicht vor den Jugendrichter kommen, weil sie dessen Kompetenzen
übersteigen würden, andererseits aber auch nicht so schwer sind, dass sie erstinstanzlich dem LG (Jugendkammer) zugeordnet sind. Im
Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht gibt es hier keine Strafobergrenze.
b) Zusammensetzung (§ 33a JGG): Das Jugendschöffengericht besteht aus dem Jugendrichter als Vorsitzenden und zwei Jugendschöf-
fen. Als Jugendschöffen sollen zu jeder Hauptverhandlung ein Mann und eine Frau herangezogen werden. Bei Entscheidungen au-
ßerhalb der Hauptverhandlung wirken die Jugendschöffen nicht mit.

3. Die Jugendstrafkammer beim Landgericht (§§ 33b, 35, 41 JGG)


a) sachliche Zuständigkeit (§ 41 JGG): Die Jugendkammer ist in 3 Fällen zuständig:
– Straftaten die nach den allgemeinen Vorschriften des GVG zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehören. Dies sind nach § 74
Abs. 2 GVG sämtliche Delikte mit Todesfolge.
– Straftaten, die nach Vorlage durch das Jugendschöffengericht wegen ihres besonderen Umfangs nach § 40 II JGG übernommen
werden.
– Straftaten, die nach § 103 JGG gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden sind, wenn für die Erwachsenen nach allgemeinen
Vorschriften eine große Strafkammer zuständig wäre.
– Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters und des Schöffengerichts (§ 41 II JGG)
b) Zusammensetzung (§ 33b I JGG):
– als große Jugendkammer: 3 Richter, 2 Jugendschöffen = sämtliche erstinstanzlichen Sachen, Berufungen gegen Urteile des Ju-
gendschöffengerichts.
– verkleinerte große Jugendkammer: 2 Richter, 2 Jugendschöffen = bei Zuständigkeit der großen Jugendkammer, wenn nicht die
Sache nach den allgemeinen Vorschriften zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehört oder nach dem Umfang oder der Schwie-
rigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
– als kleine Jugendkammer: 1 Richter, 2 Jugendschöffen = Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters

4. Sonderzuständigkeit in Jugendschutzsachen
Nach §§ 26 I 1, 74b S. 1 GVG sind die Jugendgerichte auch zuständig für Straftaten Erwachsener, durch die ein Kind oder Jugendli-
cher verletzt oder unmittelbar gefährdet wird, sowie für Verstöße Erwachsener gegen Vorschriften, die dem Jugendschutz oder der Ju-
genderziehung dienen. Grund ist der, dass in diesen Verfahren zumeist die Kinder oder Jugendlichen als Zeugen zu vernehmen sind
und die Jugendgerichte in dieser Hinsicht für qualifizierter gelten als die Erwachsenengerichte.

5. Die örtliche Zuständigkeit (§ 42 I JGG iVm. § 42 II JGG): Vorrangig zuständig ist a) der Richter, dem bei einem Jugendlichen, der
gerade eine Jugendstrafe verbüßt, die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegt, ansonsten b) der Richter, dem die familien- oder
vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen. Liegt keiner dieser Fälle vor ist c) der Richter zu-
ständig, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht (§ 7 ff. StPO) zuständig ist; ferner wird die Zuständigkeit erweitert auf den Rich-
ter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält. Nach der Sonder-
regelung in § 42 Abs. 3 JGG kann das Verfahren dann, wenn der Angeklagte seinen Aufenthaltsort wechselt, auch der Richter das
Verfahren (mit Zustimmung des Staatsanwalts) übernehmen an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 13 I; Schaffstein/Beulke, §§ 28, 29, 30 ;Streng, § 6 I 1-5


Rechtsprechung: BGHSt 16, 248 – Zuständigkeiten (Strafkompetenz des Jugendrichters); BGHSt 18, 79 – Strafbefehl (Revisions-
rüge bei unzuständigem Gericht); BGHSt 47, 311 – Unrichtiger Pass (Zurückverweisung an die Jugendkammer).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 2. Dezember 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 07

Diversion, §§ 45, 47 JGG


I. Allgemeines
Mit Diversion wird eine rechtspolitische Strömung bezeichnet, die danach trachtet, den jugendlichen Straftäter um
ein volles Jugendstrafverfahren "umzuleiten" und damit insbesondere die Hauptverhandlung zu vermeiden. Sie wird
ganz wesentlichen von der Erwartung getragen, man könne Stigmatisierung verhindern oder doch reduzieren, wenn
ein jugendlicher Straftäter nicht das volle Strafverfahren durchläuft, sondern möglichst früh und zwar in Form "am-
bulanter" Maßnahmen erzieherisch behandelt wird. Nach der gesetzlichen Vorstellung darf nur angeklagt werden,
wenn ein informelles Vorgehen aus erzieherischen Gründen als nicht ausreichend angesehen wird (Subsidiaritäts-
prinzip). Dies gilt nicht nur für Vergehen, sondern grundsätzlich auch für Verbrechen. Soweit nach § 105 I JGG auf
die Verfehlungen Heranwachsender Jugendstrafrecht anzuwenden ist, gelten die Diversionsvorschriften der §§ 45,
47 JGG nach § 109 II JGG auch für Heranwachsende. Die §§ 45, 47 JGG ersetzen für das Jugendstrafverfahren die
Vorschriften der §§ 153, 153a StPO. Diese sind daher – nach h.M. – nicht nebenher noch anzuwenden.

II. Einstellungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren, § 45 JGG


1. § 45 I JGG: erlaubt eine folgenlose Einstellung des Verfahrens, insoweit also einen völligen Reaktionsverzicht
des Staates. Allerdings erfolgt eine Eintragung im Erziehungsregister, § 60 I Nr. 7 BZRG. Entscheidungsträger ist
ausschließlich der Jugendstaatsanwalt.
Voraussetzung ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 153 StPO: das Verfahren muss ein Vergehen zum
Gegenstand haben, die Schuld des Täters muss gering sein und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
darf nicht bestehen.
2. § 45 II JGG: enthält die Möglichkeit einer Einstellung nach vorausgegangener sozialer oder jugendhilferechtlicher
Maßnahme bzw. nach gelungenem Täter-Opfer-Ausgleich, d.h. eine letztlich außerstrafrechtliche Reaktionsmög-
lichkeit. Entscheidungsträger ist auch hier ausschließlich der Jugendstaatsanwalt.
Bei der Maßnahme kann es sich um solche seitens der Eltern, der Schule, des Ausbildenden oder Arbeitgebers,
der Polizei (str., ob diese hierzu überhaupt ermächtigt ist) oder des Jugendamtes handeln. Im Hinblick auf den
Täter-Opfer-Ausgleich ist lediglich ein ernsthaftes Bemühen des Täters erforderlich (z.B., wenn das Opfer hieran
kein Interesse hat). Ungeschriebene Einstellungsvoraussetzung ist ein gesicherter Tatverdacht. Die Einstellung
nach § 45 II JGG soll insbesondere bei wiederholter Deliktsbegehung erfolgen, wenn zuvor nach § 45 I JGG
eingestellt wurde, ferner bei schwereren Delikten. Nicht erforderlich ist ein ausdrückliches Geständnis des Ju-
gendlichen. Die Einstellung erwächst nicht in Rechtskraft, das Verfahren kann also jederzeit wieder aufgenom-
men werden.
3. § 45 III JGG: enthält die Möglichkeit zu einem formlosen jugendrichterlichen Erziehungsverfahren ohne Hauptver-
handlung. Hier können Ermahnungen, Weisungen und Auflagen ausgesprochen werden. Man spricht insofern
auch von einer informellen strafrechtlichen Reaktion. Auch wenn nach § 45 III JGG letztlich der Richter die Ent-
scheidung trifft, erfolgt die Einstellung auch hier durch den Jugendstaatsanwalt.
Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte geständig ist, der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richter-
lichen Maßnahme für erforderlich, andererseits aber die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält.
Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung
von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. Die Einstel-
lung erwächst in begrenzte Rechtskraft.

III. Einstellungsmöglichkeiten im Zwischen- und Hauptverfahren, § 47 JGG


Einstellungen des Verfahrens können auch dann noch erfolgen, wenn Anklage erhoben wurde bzw. eine Hauptver-
handlung durchgeführt wird. § 47 JGG erlaubt es dem Jugendrichter, mit Zustimmung des Jugendstaatsanwalts,
unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei § 45 JGG, das Verfahren einzustellen.

IV. Kritik
Der Diversionsbewegung wird folgende Kritik entgegengehalten: 1. faktische Ausweitung der sozialen Kontrolle
(„widening the net“); es wird unter Auflagen eingestellt, wo sonst eine folgenlose Einstellung erfolgt wäre, 2. die Be-
seitigung rechtsstaatlicher Garantien, da vieles nicht in einem förmlichen Verfahren, sondern auf informeller Ebene
abläuft, 3. Gleichbehandlungsproblematik bei unterschiedlicher regionaler Einstellungspraxis, 4. fragliche general-
präventiven Wirkungen (Eindruck in der Bevölkerung, auf Jugenddelinquenz würde nicht reagiert).

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Meier, § 7; Schaffstein/Beulke, § 36 ;Streng, § 7 IV.


Aufsätze: Böttcher/Weber, Erstes Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes, NStZ 1990, 561;
Bohnert, Die Reichweite der staatsanwaltschaftlichen Einstellung im Jugendstrafrecht, NJW
1980, 1927.
Rechtsprechung: BGHSt 32, 357 – Prügelstrafe (Art der erzieherischen Maßnahme); LG Itzehoe StV 1993,
537 – Einstellung (Verhältnis von § 45 JGG und § 153 StPO).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 10. Dezember 2003

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 08

Das Jugendstrafverfahren
I. Allgemeines: Das Jugendstrafverfahren richtet sich im Wesentlichen nach den Vorschriften der StPO. Nach § 2 JGG ist diese auch für das
Jugendstrafverfahren anwendbar, soweit das JGG keine Sonderregelungen enthält. Nur diese Sonderregelungen werden im Folgenden dargestellt.

II. Das Ermittlungsverfahren (§§ 43 – 46 JGG): §§ 43, 44 JGG regeln den Umfang der Ermittlungen, während § 45 JGG eine besondere
Regelung über die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens im Jugendstrafrecht enthält (die so genannte Diversion).
1. Umfang der Ermittlungen (§§ 43, 44 JGG): Nach § 43 I JGG besteht eine umfangreiche Ermittlungspflicht hinsichtlich der Lebens- und
Familienverhältnisse, des Werdegangs, des bisherigen Verhaltens des Beschuldigten und alle übrigen Umstände, die für das Verfahren
von Bedeutung sein können. Nach § 43 II JGG hat dabei insbesondere eine Untersuchung des Jugendlichen (u.a. im Hinblick auf seine
strafrechtliche Verantwortlichkeit; § 3 JGG) zu erfolgen. Auch der Erziehungsberechtigte, der gesetzliche Vertreter, die Schule und der
Ausbildende sollen gehört werden (sofern dem Jugendlichen daraus kein Nachteil erwächst). Geleitet werden die Ermittlungen durch den
Jugendstaatsanwalt, § 36 JGG. Die Durchführung wird in aller Regel der Jugendgerichtshilfe (§ 38 JGG) übertragen. Ist Jugendstrafe zu
erwarten, so soll der Staatsanwalt oder der Vorsitzende des Jugendgerichts nach § 44 JGG den Beschuldigten vernehmen, ehe die Ankla-
ge erhoben wird. Nach § 71 JGG können bereits jetzt vorläufige Anordnungen über die Erziehung des Jugendlichen getroffen oder die Ge-
währung von Leistungen der Jugendhilfe angeregt werden (z.B. die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe). Diese Vor-
schrift gilt nach § 109 JGG nicht für Heranwachsende. Im Ausnahmefall ist unter den strengen Voraussetzungen des § 72 JGG auch Untersu-
chungshaft möglich.
2. Einstellung des Verfahrens; Diversion (§ 45 JGG): vgl. hierzu Arbeitsblatt JGG Nr. 7).

III. Das Zwischenverfahren richtet sich ganz normal nach §§ 199 ff. StPO. Hier gibt es keine Besonderheiten.

IV. Das Hauptverfahren (§§ 47 – 51 JGG): Besonderheiten sind:


1. Unterschiedliche Beteiligte: Das Jugendstrafverfahren kennt eine Vielzahl von Beteiligten, die im allgemeinen Strafrecht nicht, oder in
anderer Funktion tätig werden (Bsp.: Jugendgerichtshilfe; gesetzlicher Vertreter); vgl. hierzu Arbeitsblatt JGG Nr. 5.
2. Grundsatz der Nichtöffentlichkeit (§ 48 JGG): dieser betrifft sowohl die Verhandlung selbst als auch die Urteilsverkündung. Es dürfen
neben den Prozessbeteiligten nur diejenigen Personen teilnehmen, deren Anwesenheit in § 48 II JGG ausdrücklich gestattet ist. Eine Aus-
nahme gilt nach § 48 III JGG dann, wenn das Verfahren mit einem solchen gegen einen Erwachsenen oder Heranwachsenden verbunden
wurde: dann ist das Verfahren grundsätzlich öffentlich, die Öffentlichkeit kann jedoch ausgeschlossen werden.
3. Einschränkung des Eideszwangs (§ 49 JGG): Der Richter kann von der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen absehen.
4. Modifikationen der Möglichkeit, in Abwesenheit des Jugendlichen zu Verhandeln (§ 50 JGG): Neben den allgemeinen Voraussetzungen
(§§ 231 II – 233 StPO) müssen zusätzlich noch besondere Gründe vorliegen, um in Abwesenheit des Jugendlichen verhandeln zu können.
Ferner muss der Staatsanwalt zustimmen. Allerdings kann der Jugendliche nach § 51 I JGG von Teilen der Hauptverhandlung ausgeschlossen
werden, wenn zu befürchten ist, dass seine Anwesenheit bei der Erörterung bestimmter Umstände für seine weitere Entwicklung nachteilig
ist. Gleiches gilt nach § 51 II JGG für Angehörige (nach BVerfG ist diese mit Art. 6 II GG unvereinbar, soweit sie die erziehungsberechtigten
Eltern betrifft).
5. Unzulässigkeit von Privat- und Nebenklage (§ 80 JGG). Dies führt zu einer erheblichen (und umstrittenen) Einschränkung der Rechte des
Opfers im Jugendstrafverfahren.

V. Urteil, Urteilsverkündung (§ 54 JGG): Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, so muss der Richter in den Urteilsgründen auch ausfüh-
ren, welche Umstände für seine Bestrafung, für die angeordneten Maßnahmen oder für das Absehen von Zuchtmitteln und Strafe bestim-
mend waren. Nach § 54 II JGG werden die Urteilsgründe dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu
befürchten sind. Nach § 74 JGG kann entgegen § 465 I StPO selbst bei einer Verurteilung davon abgesehen werden, dem Jugendlichen die Kos-
ten des Verfahrens aufzuerlegen. Dies gilt nach § 109 II JGG auch für den Heranwachsenden. Dies bezieht sich nach der Rechtsprechung aber
lediglich auf die Gerichtskosten, nicht auf die Kosten für den eigenen Verteidiger.

VI. Rechtsmittelbeschränkungen (§§ 55, 56 JGG): Zwar stehen den Prozessbeteiligten auch im Jugendstrafverfahren die Rechtsmittel der Berufung
und Revision zu. Nach § 55 II JGG kann jedoch nur wahlweise die eine oder andere Möglichkeit gewählt werden. Dabei muss sich der Angeklag-
te das Verhalten seiner Erziehungsberechtigten zurechnen lassen. Nach § 55 I JGG darf eine Berufung nicht darauf gestützt werden, es hätte eine
andere Weisung erteilt oder Maßregel getroffen werden. Nach § 56 JGG kann schon während das Rechtsmittelverfahren noch läuft ein Teil der
Einheitsstrafe als vollstreckbar erklärt werden.

VII. Vereinfachtes Jugendverfahren (§§ 76-78 JGG): Im JGG gelten die Vereinfachungsmöglichkeiten des allgemeinen Straf-
verfahrens, insbesondere das schriftliche Strafbefehlsverfahren und das beschleunigte Verfahren nicht. Das JGG kennt aber
das sog. vereinfachte Jugendverfahren, das von verschiedenen Formvorschriften befreit. Hiermit soll nicht primär Kostenein-
sparung, sondern vor allem eine erzieherische Ausgestaltung der Hauptverhandlung (Informalität) erleichtert werden.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Rössner, § 13 II; Schaffstein/Beulke, §§ 31, 35, 37, 38, 40, 42; Streng, § 7.
Literatur / Aufsätze: Kudlich , Besonderheiten des jugendstrafrechtlichen Verfahrens, JuS 1999, 877; Wölfl, Die Einschränkung der strafpro-
zessualen Verletztenrechte durch das Jugendstrafverfahren, JURA 2000, 10.
Rechtsprechung: BVerfG NJW 1988, 477 – Arbeitsleistungen (Verfassungsmäßigkeit der Rechtsmittelbeschränkung); BGHSt 10, 198 –
Dauerarrest (Zulässigkeit des Austausches des Zuchtmittels); BGHSt 36, 27 – Verteidigerhonorar (Kosten des Verfah-
rens); LG Mainz NStZ 1984, 121 – Berufungsbeschränkung (Anwendung des § 29 V BtMG im Jugendstrafrecht)
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 13. Dezember 2012

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 09

Rechtsfolgen – Übersicht
I. Formelle Rechtsfolgen (§ 5)
a) Erziehungsmaßregeln (§ 9)
(1) Weisungen (§ 10): Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und
sichern sollen. Als Beispiele sind zu nennen : Weisungen (a) bzgl. des Aufenthaltsorts; (b) bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen;
(c) eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen; (d) Arbeitsleistungen zu erbringen; (e) sich der Betreuung und Aufsicht eines Betreu-
ungshelfers zu unterstellen; (f) an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen; (g) bzgl. der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs; (h)
den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen; (i) an einem Verkehrsunterricht
teilzunehmen.
(2) Erziehungsbeistandschaft (§ 12 Nr. 1); vgl. hierzu § 30 SGB VIII
(3) Heimerziehung (§ 12 Nr. 2): stationäre Maßnahme, die den Täter verpflichtet, in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sons-
tigen betreuten Wohnform (§ 34 SGB VIII) zu wohnen.
b) Zuchtmittel (§ 13): Sie sollen (vgl. § 13 III JGG) nicht die Rechtswirkung einer Strafe haben
(1) Verwarnung (§ 14): Hierdurch soll dem Täter das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden.
(2) Auflagen (§ 15): Hierdurch soll dem Täter eindringlich ins Bewusstsein gesetzt werden, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzu-
stehen hat. Als Auflagen sind z.B. möglich (a) nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wieder gut zu machen; (b) sich persön-
lich bei dem Verletzten zu entschuldigen; (c) Arbeitsleistungen zu erbringen; (d) einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrich-
tung zu zahlen.
(3) Jugendarrest (§ 16): Dieser ist in drei Formen möglich: (a) Freizeitarrest: wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und
auf eine oder zwei Freizeiten bemessen; (b) Kurzarrest: wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus
Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden. Dabei
stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich; (c) Dauerarrest: mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen. Er wird nach vollen
Tagen oder Wochen bemessen.
c) Jugendstrafe (§ 17)
(1) Verhängung einer Jugendstrafe = Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt
(a) mit Aussetzung zur Bewährung (§ 21); (b) ohne Aussetzung zur Bewährung
(2) Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe (§ 27)

II. Informelle Rechtsfolgen (§§ 45, 47) – Diversion (vgl. hierzu auch Arbeitsblatt JGG Nr. 07)
a) Absehen von Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft
− im Fall des § 153 StPO (§ 45 I)
− erzieherische Maßnahme (§ 45 II 1)
− (versuchter) Täter-Opfer-Ausgleich (§ 45 II 2)
− richterliche Ermahnung, befolgte Weisung oder erfüllte Auflage (§ 45 III)
b) Einstellung des Verfahrens durch Gericht
− im Fall des § 153 StPO (§ 47 I Nr. 1)
− erzieherische Maßnahme (§ 47 I Nr. 2)
− (versuchter) Täter-Opfer-Ausgleich (§ 47 I Nr. 2)
− richterliche Ermahnung, befolgte Weisung oder erfüllte Auflage bei geständigem Täter (§ 47 I Nr. 3)
− fehlende Verantwortlichkeit (§ 47 I Nr. 4)

III. Sonstiges
1. Rangfolge: Aus § 5 I, II, § 17 II JGG ergibt sich die Rangfolge: Erziehungsmaßnahmen, wenn diese nicht ausreichen: Zuchtmittel, wenn diese wegen
schädlicher Neigungen (Mehrfachtäter) oder der Schwere der Schuld (schweres Delikt) nicht ausreichen, dann Jugendstrafe als „ultima ratio“. Diese
Rangfolge ist jedoch an mehreren Stellen durchbrochen. So können z.B. Arbeitsleistungen als Weisung (§ 10 I JGG) oder als Auflage (§ 15 I Nr. 3 JGG)
angeordnet werden. Gravierender erscheint der Einwand, dass z.B. die stationäre Erziehungsmaßnahme der Heimerziehung (§ 12 Nr. 2 JGG) für den
jugendlichen Täter schwerer wiegt als das ambulante Zuchtmittel der Verwarnung (§ 13 II Nr. 1 JGG). Deshalb verfährt die Praxis oftmals abweichend
von der gesetzlichen Regelung nach dem Schema: ambulante Maßnahmen (Verwarnung, dann Weisung, dann Auflage, dann Erziehungsbeistandschaft)
vor stationärer Maßnahme (Jugendarrest, dann Heimerziehung, dann Jugendstrafe).
2. Nebenstrafen und Nebenfolgen: Hier gilt die Nebenstrafe des Fahrverbots (§ 44 StGB) und die Nebenfolgen des Verfalls (§§ 73 ff. StGB) und der
Einziehung (§§ 74 ff. StGB) auch im Jugendstrafrecht. Nach § 6 JGG darf lediglich nicht der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des
Stimmrechts (§ 45 StGB) angeordnet werden. Auch ist eine Bekanntgabe der Verurteilung (etwa nach §§ 165, 200 StGB) nicht zulässig.
3. Maßregeln der Besserung und Sicherung: Nach § 7 JGG, der auf einige Vorschriften des § 61 StGB verweist, ist (a) die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), (b) die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt (§ 64 StGB; § 93a JGG), (c) die Führungsaufsicht (§ 68 ff.
StGB)und (d) die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) möglich. Unzulässig hingegen ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 61 Nr. 3
StGB) und die eines Berufsverbotes (§ 61 Nr. 6 StGB).
4. Verbindung von Maßnahmen: Nach § 8 JGG können bestimmte Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet werden. Neben
der Jugendstrafe ist die Anordnung von Weisungen, Auflagen und Erziehungsbeistandschaft möglich. Allgemein gilt: Maßnahmen dürfen miteinander
kombiniert werden. Bei den „stationären“ Maßnahmen galt früher das Prinzip der Einspurigkeit, seit dem 1.9.2012 kann nun aber auch neben der
Jugendstrafe gem. § 8 II 2 iVm. § 16a JGG ein Jugendarrest angeordnet werden.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Rössner, § 6; Schaffstein/Beulke, §§ 10-13 ;Streng, § 8 I-V, § 9.


Literatur / Aufsätze: Kropp, JA 2001, 429; Schöler, Die Rechtsfolgen der Jugendstraftat, JuS 1999, 973.
Rechtsprechung: BGHSt 18, 207 – Stationäre Maßnahmen (Unzulässigkeit der Verhängung von Jugendarrest und Jugendstrafe „auf Bewäh-
rung“); BGHSt 37, 373 – Unterbringung (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus); BayOblG NJW 1992,
1520 – Fahrfehler (Zulässigkeit des Absehens von Strafe nach § 60 StGB analog).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 4. Januar 2004

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 10

Rechtsfolgen – Erziehungsmaßregeln
I. Allgemeines: Erziehungsmaßregeln sind in §§ 9 ff. JGG geregelt. Sie werden aus Anlass einer Straftat eines Jugendlichen angeord-
net und sollen die Lebensführung des Jugendlichen erzieherisch wirksam beeinflussen. Sie stellen damit keine „Strafe“ im ei-
gentlichen Sinne dar sollen allein eine erzieherische Funktion haben.

II. Voraussetzungen der Verhängung von Erziehungsmaßregeln (§ 5 JGG)


1. Vorliegen einer Straftat: es muss eine schuldhaft begangene rechtswidrige Tat vorliegen
2. Anlass: Die Erziehungsmaßregel wird nicht „wegen“, sondern „aus Anlass“ der Straftat verhängt; sie soll also keine Strafe
im Sinne einer Vergeltung vergangenen Unrechts darstellen, vielmehr ist die Straftat nur der Anlass, den sich in ihr doku-
mentierenden Erziehungsmangel zu beheben.
3. Erziehungsbedürftigkeit: Aus der Straftat muss das Bedürfnis nach einer gewissen fördernden Einwirkung auf die Le-
bensführung (zur Vermeidung weiterer Straftaten) ableitbar sein. Dies ist dann der Fall, wenn eine rein informelle Erledi-
gung (§§ 45, 47 JGG, Diversion) nicht ausreicht.
4. Keine schwerere Sanktion erforderlich: Andererseits darf die Straftat nicht so schwerwiegend sein, dass Zuchtmittel oder
Jugendstrafe erforderlich ist (vgl. § 5 II JGG).
5. Erziehungsfähigkeit: Die Verhängung einer Erziehungsmaßregel ist dann ungeeignet, wenn es an der Erziehungsfähigkeit
(nicht: -willigkeit) des jugendlichen Täters fehlt.
6. Verhältnismäßigkeit: es dürfen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

II. Die einzelnen Erziehungsmaßregeln


1. Weisungen: Weisungen sind nach § 10 JGG Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch
seine Erziehung fördern und sichern sollen. Eine Weisung ist nur zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Er-
ziehungsmaßregeln erfüllt sind . Sie darf keinen Strafzweck verfolgen (unbeachtlich ist jedoch, wenn sie vom Jugendlichen als „Strafe“
empfunden wird). Sie muss klar und bestimmt sein, eine bestimmte Laufzeit haben (§ 11 JGG: sie darf zwei Jahre nicht überschreiten)
und muss überprüfbar sein. Die Weisung darf in ihrem Inhalt nicht einer anderen Rechtsfolge entsprechen, da sonst die gesetzgeber-
ischen Differenzierung zwischen den verschiedenen Sanktionsformen umgangen werden könnte und sie darf nicht in uneingeschränkt
gewährleistete Grundrechte eingreifen. Als Beispiele für einzelne Weisungen werden in § 10 I 3 JGG genannt:
a) Weisungen bzgl. des Aufenthaltsorts (§ 10 I 3 Nr. 1 JGG)
b) Weisung, bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen (§ 10 I 3 Nr. 2 JGG);
c) Weisung eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen (§ 10 I 3 Nr. 3 JGG);
d) Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen (§ 10 I 3 Nr. 4 JGG); nach Ansicht des BVerfG verstößt dies nicht gegen Art.
12 GG.
e) Weisung, sich der Betreuung und Aufsicht eines Betreuungshelfers zu unterstellen (§ 10 I 3 Nr. 5 JGG); diese ist abzu-
grenzen von der Erziehungsbeistandschaft nach § 12 I Nr. 1 JGG. Unzulässig ist die Weisung, grundsätzlich den Wei-
sungen des Betreuungshelfers Folge zu leisten, da dies eine unzulässige Delegation des dem Richter vorbehaltenen Wei-
sungsrechts wäre.
f) Weisung an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen (§ 10 I 3 Nr. 6 JGG);
g) Weisung bzgl. der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 10 I 3 Nr. 7 JGG);
h) Weisung, den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen (§
10 I 3 Nr. 8 JGG);
i) Weisung, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen (§ 10 I 3 Nr. 9 JGG).
j) Weisung, sich in heilerzieherische Behandlung oder eine Entziehungskur zu begeben (§ 10 II JGG); im Gegensatz zur
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) handelt es sich hierbei um ambulante Maßnahmen.
k) Ungeschriebene Weisungen
Nach § 11 I JGG kann der Richter Weisungen ändern, von ihnen befreien oder ihre Laufzeit vor Ablauf bis auf drei Jahre verlän-
gern, wenn dies aus Gründen der Erziehung geboten ist. Aus § 11 III JGG geht hervor, dass die Befolgung der Weisung ist nicht
erzwingbar ist, Das Gericht kann bei schuldhafter Nichtbefolgung aber Jugendarrest verhängen (insgesamt höchstens 4 Wochen,
§ 11 III 2 JGG), wenn mildere Möglichkeiten (z.B. Ermahnung) nicht ausreichen.
2. Erziehungsbeistandschaft (§ 12 Nr. 1 JGG); vgl. hierzu § 30 SGB VIII
3. Heimerziehung (§ 12 Nr. 2 JGG) : stationäre Maßnahme, die den Täter verpflichtet, in einer Einrichtung über Tag und Nacht zu
wohnen
4. Erziehung in einer betreuten Wohnform: stationäre Maßnahme, die den Täter verpflichtet, in einer sonstigen betreuten Wohnform
(§ 34 SGB VIII) zu wohnen.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Rössner, §§ 8, 9; Schaffstein/Beulke, §§ 14-18;Streng, § 10.


Literatur / Aufsätze: Schöler, Die Rechtsfolgen der Jugendstraftat, JuS 1999, 973.
Rechtsprechung: BVerfGE 74, 102 – Arbeitsweisung (Arbeitsweisung verstößt nicht gegen Art. 12 GG).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 17. Januar 2004

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 11

Rechtsfolgen – Zuchtmittel
I. Allgemeines: Zuchtmittel sind in §§ 13 ff. JGG geregelt. Sie werden gegen den Jugendlichen „zur Ahndung“ der Straftat angeordnet,
wenn zwar einerseits Jugendstrafe nicht geboten ist, andererseits aber dem Jugendlichen eindringlich zum Bewusstsein ge-
bracht werden muss, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat, insoweit also Erziehungsmaßregeln nicht
ausreichen. Die Zuchtmittel sollen sowohl repressiv wirken als auch zur Erziehung dienen (vgl. § 15 III 1, § 16 III 1 JGG). In-
sofern haben sie materiell durchaus auch strafende Funktion, obwohl sie formell nach § 15 III JGG nicht die Rechtswirkungen
einer Strafe haben sollen (insbesondere ist der Jugendliche nicht „vorbestraft“).

II. Voraussetzungen der Verhängung von Zuchtmitteln


1. Vorliegen einer Straftat: es muss eine schuldhaft begangene rechtswidrige Tat vorliegen
2. Keine Jugendstrafe erforderlich: Die Straftat darf nicht so schwerwiegend sein, dass Jugendstrafe erforderlich ist (vgl. §
13 I JGG).
3. Erziehungsmaßregeln nicht ausreichend: Dem Jugendlichen muss zum Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für
das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat.

III. Die einzelnen Zuchtmittel


1. Verwarnung (§ 9 JGG): Die Verwarnung ist eine – von ihrer Rechtswirkung her recht milde – Sanktion. Sie soll „eine förmliche
Zurechtweisung des Täters sein, durch die er auf die Schwere des Schuldvorwurfs und auf die Folgen für den Verletzten und auf die
Folgen für die Allgemeinheit hingewiesen wird. Sie entspricht der „Ermahnung“ im Sinne der § 45 III, § 47 I 3 JGG und wird regelmä-
ßig dann verhängt, wenn sich erst im Laufe der Hauptverhandlung herausstellt, dass eine förmliche Zurechtweisung des Täters zur
Ahndung der Tat genügt. Häufig wird sie jedoch in Kombination mit anderen Maßnahmen ausgesprochen.
2. Auflagen (§ 15 JGG): Die (im Gegensatz zu den Weisungen nach § 10 hier abschließend aufgezählten) Auflagen sollen nicht die
Lebensgestaltung des Täters beeinflussen (z.B. die positive Einstellung zur Arbeit fördern), sondern sie reagieren punktuell auf die
Straftat und sollen die Einsicht in deren Unrecht fördern (Arbeit als „Sühne“). Sie dienen somit (auch) der Ahndung und müssen deshalb
schuldangemessen sein. Im Einzelnen sind zu unterscheiden:
a) Schadenswiedergutmachung (§ 15 I Nr. 1 JGG): Diese ist nur zu leisten, wenn und soweit der Anspruch dem Grunde und
der Höhe nach besteht (strittig bei verjährtem Anspruch). Sie hat durch Geld oder Naturalrestitution zu erfolgen und umfasst –
nach allerdings umstrittener Ansicht – auch die Verfahrenskosten (insbesondere auch die Kosten des Anwalts des Opfers).
b) Persönliche Entschuldigung (§ 15 I Nr. 2 JGG): notwendig ist hier die Anwesenheit des Richters. Weswegen diese Auflage
in der Praxis nur bei sofort rechtskräftigen Entscheidungen sinnvoll ist.
c) Erbringung von Arbeitsleistungen (§ 15 I Nr. 3 JGG): nach Ansicht des BVerfG verstößt dies nicht gegen Art. 12 GG; aller-
dings wird man verlangen müssen, dass der Betroffene zustimmt.
d) Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung (§ 15 I Nr. 4, II JGG): diese Auflage ist jedoch
nur anzuordnen, wenn es sich um eine leichte Verfehlung handelt und der Jugendliche den Geldbetrag aus eigenen Mitteln zah-
len kann oder aber wenn es sich um eine Gewinnabschöpfung im Hinblick auf das durch die Tat Erlangte handelt.
Nach § 15 III 1 JGG kann der Richter nachträglich Auflagen ändern oder von ihrer Erfüllung ganz oder zum Teil befreien, wenn
dies aus Gründen der Erziehung geboten ist. Aus § 15 III 2, § 11 III JGG geht hervor, dass die Erfüllung der Auflage nicht er-
zwingbar ist. Das Gericht kann bei schuldhafter Nichtbefolgung aber Jugendarrest verhängen (insgesamt höchstens 4 Wochen, §
11 III 2 JGG), wenn der Jugendliche zuvor hierüber aufgeklärt wurde. Nach § 15 III 3 JGG kann nach Vollstreckung dieses Ju-
gendarrestes die Auflage als ganz oder zum Teil erledigt erklärt werden.
3. Jugendarrest (§ 11 JGG) Der Jugendarrest ist in drei verschiedenen Formen möglich (vgl. § 16 I JGG):
a) Freizeitarrest (§ 16 II JGG): er wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und auf eine oder zwei Freizeiten
bemessen (i.d.R. Wochenendfreizeitarrest von Samstag 8 Uhr bis Montag 7 Uhr [§ 25 III JAVollzO])
b) Kurzarrest (§ 16 III JGG): er wird anstelle des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug des Arrests aus
Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt wird.
Dabei stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit dar (= statt 2 Wochenendarresten also 4 Tage Kurzarrest)
c) Dauerarrest (§ 16 IV JGG): 1 bis 4 Wochen
Die Vollstreckung des Arrestes richtet sich nach §§ 86, 87 JGG, der Vollzug nach § 90 JGG. Der Jugendarrest kann nicht zur Be-
währung ausgesetzt werden (§ 87 I JGG), es besteht aber Möglichkeit, aus erzieherischen Gründen von der Vollstreckung abzusehen
(§ 87 III JGG). Ein Jahr nach Rechtskraft darf der Jugendarrest nicht mehr vollstreckt werden (Vollstreckungsverbot nach § 87 IV
JGG). Der Vollzug des Freizeit- oder Kurzarrestes regelmäßig findet regelmäßig in Freizeitarresträumen (am AG) statt, der Dauerar-
restes wird in einer Jugendarrestanstalt vollzogen (§ 1 JAVollzO). Beim Freizeit- und Kurzarrest ist der Jugendrichter Vollstre-
ckungs- und auch Vollzugsleiter (§§ 82, 90 II 2 JGG).

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Schöch, § 10; Schaffstein/Beulke, §§ 19-21; Streng, § 11.


Literatur / Aufsätze: Schöler, Die Rechtsfolgen der Jugendstraftat, JuS 1999, 973.
Rechtsprechung: BVerfGE 74, 102 – Arbeitsweisung (Arbeitsweisung verstößt nicht gegen Art. 12 GG); BVerfGE 83, 119 –
Bewährungsauflage (Verfassungmäßigkeit der Arbeitsauflage); BGHSt 18, 207 – Stationäre Maßnahmen (Vo-
raussetzung für die Verhängung von Jugendarrest).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 12. Dezember 2012

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 12

Rechtsfolgen – Jugendstrafe
I. Allgemeines: Jugendstrafe ist in §§ 17, 18 JGG geregelt. Nach § 17 I JGG ist sie ausschließlich in Form der Freiheits-
entziehung in einer Jugendstrafanstalt zu verhängen (d.h. also: im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht gibt es
keine Strafsanktion „Geldstrafe“). Dabei ist die Jugendstrafe eine echte Kriminalstrafe (im Gegensatz zu den Er-
ziehungsmaßregeln und den Zuchtmitteln; vgl. § 13 II JGG). Dies hat zur Folge dass a) damit (an sich) keine er-
zieherischen Zwecke verfolgt werden müssen und b) eine Eintragung im Zentralregister und im Führungszeugnis
erfolgt. Allerdings soll sich der Vollzug der Jugendstrafe nach § 91 I JGG an einer erzieherischen Zielsetzung ori-
entieren.

II. Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe (§ 17 II JGG)


1. Schädliche Neigungen (im Mittelpunkt steht hierbei der Täter – Erziehungsgedanke; Resozialisierung): Unter
schädlichen Neigungen versteht man erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die die Gefahr begründen,
dass der Jugendliche ohne längere Gesamterziehung (§§ 91, 92) durch weitere Straftaten die Gemeinschafts-
ordnung stören wird. Dabei müssen die Anlage- und Erziehungsmängel „in der Tat hervorgetreten sein“, d.h.
die Straftat muss im Hinblick auf die Neigung von symptomatischer Bedeutung sein (dies scheidet aus bei Kon-
flikt-, Gelegenheits- und Nottaten sowie bei Ersttaten). Dabei müssen die schädlichen Neigungen bereits zum
Zeitpunkt der Straftat vorhanden gewesen sein und müssen zudem zum Zeitpunkt der Verurteilung noch vorlie-
gen. Ein „Verschulden“ des Jugendlichen für seine Neigung ist nicht erforderlich (str.). Nach h.M. können sich
die schädlichen Neigungen bei sämtlichen Delikten zeigen (Ausnahmen nur bei Bagatellkriminalität), während
sie nach a.M. nur erhebliche Straftaten einschlägig sind.
2. Besondere Schwere der Schuld (im Mittelpunkt steht hierbei die Tat – Vergeltung steht im Vordergrund): Ei-
ne besondere Schwere der Schuld liegt dann vor, wenn die Schuld des Täters bezüglich des erheblichen mit der
Tat verwirklichten Unrechts so schwer wiegt, dass ein Absehen von der Strafe zugunsten einer Erziehungs-
maßregel oder eines Zuchtmittels in einem unerträglichen Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl
stehen würde. Dies ist regelmäßig bei vorsätzlichen Tötungsdelikten oder Delikten mit Todesfolge zu prüfen.
Fraglich ist das Verhältnis der beiden Alternativen zueinander. Der BGH betont dabei, dass die am Täter orientier-
ten „schädlichen Neigungen“ vorwiegend Erziehungszwecken dienen und daher bei der Bemessung der Höhe der
Jugendstrafe (vgl. auch § 18 II JGG) keine höhere Strafe als 5 Jahre Freiheitsentzug verhängt werden darf, da ein
längerer Freiheitsentzug nach h.M. keine erzieherische Wirkung mehr entfaltet. Soll eine längere Strafe verhängt
werden, muss diese daher (darüber hinaus oder isoliert) auf die „besondere Schwere der Schuld“ gestützt werden.

III. Bemessung der Jugendstrafe (§ 18 JGG)


1. Dauer (§ 18 I 1, 2 JGG): Die Mindeststrafe beträgt 6 Monate, die Höchststrafe 5 Jahre; diese Höchststrafe be-
trägt jedoch grundsätzlich für diejenigen Delikte 10 Jahre, wenn es sich bei der Tat um ein Verbrechen handelt,
für die nach allgemeinem Strafrecht (= Erwachsenenstrafrecht) eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren ange-
droht ist. Handelt es sich bei der jedoch Tat um Mord gem. § 211 StGB, so besteht gem. § 105 III JGG ein
Höchstmaß von 15 Jahren Freiheitsstrafe.
2. Bemessung (§ 18 I 3, II JGG): Im Jugendstrafrecht gelten die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts (= Er-
wachsenenstrafrechts) nicht. Nach § 18 II JGG ist die Jugendstrafe vielmehr so zu bemessen, dass die erforder-
liche erzieherische Einwirkung möglich ist. Nach der Rechtsprechung kann dies sogar soweit gehen, dass für
Jugendliche bei einem vergleichbaren Delikt eine höhere Strafe ausgesprochen werden kann als bei einem Er-
wachsenen und sogar der gesetzliche Strafrahmen des StGB überschritten werden darf (str.; a.M. weite Teile der
Literatur). Allerdings darf die Strafe die Schuld des Täters nicht überschreiten. Bei der Strafzumessung gelten
ferner ausschließlich spezialpräventive Überlegungen, eine Erhöhung der Strafe aus generalpräventiven Grün-
den ist unzulässig.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Schöch, § 11; Schaffstein/Beulke, §§ 22, 23; Streng, § 12 I-IV.


Literatur / Aufsätze: Kropp, Das jugendrechtliche Sanktionensystem, JA 2001, 429 (433 f.); Schöler, Die Rechtsfolgen der Jugend-
straftat, JuS 1999, 973 (976 f.).
Rechtsprechung: BGHSt 11, 169 – Verführungstat (Schädliche Neigungen); BGHSt 15, 224 – Viehdiebstahl (schädliche
Neigungen); BGHSt 16, 261 – Bergmann (Schädliche Neigungen müssen bei der Tat vorgelegen haben );
BGHSt 18, 207 – Stationäre Maßnahmen (keine schädlichen Neigungen bei Ersttaten); BGH NStZ 1996, 232
– Betäubungsmittel (erzieherischer Zwecke der Jugendstrafe); BGHSt 1996, 496 – Erziehungsgedanke (erzie-
herische Wirkung einer 10-jährigen Jugendstrafe); BGH StV 1998, 332 – Werne (Schwere der Schuld); OLG
Schleswig NStZ 1985, 475 – Neumünster (Verfassungsmäßigkeit der Jugendstrafe).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 10. Februar 2004

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 13

Strafaussetzung zur Bewährung


I. Allgemeines: Auch die Jugendstrafe kann nach §§ 20 ff. JGG zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Voraussetzungen der Strafaussetzung zur Bewährung
sind im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht im Jugendstrafrecht wesentlich somit erleichtert. So sind z.B. generalpräventive Erwägungen (anders
als im Erwachsenenstrafrecht; vgl. § 56 III JGG: „zur Verteidigung der Rechtsordnung) nicht zugelassen. Die Strafaussetzung muss, wenn sie ge-
währt wird, die ganze Strafe umfasse, sie kann nicht auf einen Teil der Jugendstrafe beschränkt werden (§ 21 III JGG). Von ihrer Rechtsnatur her
ist die Strafaussetzung keine selbständige Sanktion, sondern Modifikation der Strafvollstreckung. Sie ist regelmäßig mit Bewährungsauflagen und
Bewährungsweisungen zu verbinden. Dies hat folgende Konsequenzen: a) Die Jugendstrafe ist unabhängig von der Möglichkeit der Aussetzung zu
bemessen. b) Über die Strafaussetzung zur Bewährung wird erst nach Festsetzung der Strafhöhe entschieden.

II. Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 21 – 26 JGG)


1. Voraussetzungen (§ 21 JGG): diese richten sich nach der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe:
a. Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis einem Jahr (§ 21 I JGG): hier „setzt“ (lediglich Beurteilungsspielraum, kein Ermessen) der Richter
die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, (1) dass der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung
dienen lassen wird und (2) auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit
künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird (die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 56 I StGB bei den Erwach-
senen, mehr als ein „straffreier“ Lebenswandel darf nicht gefordert werden). Zeitpunkt der Prognose ist der Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung (nicht der der Tat).
b. Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren (§ 21 II JGG): eine Strafaussetzung wird nur gewährt, wenn (1) die
Voraussetzungen des § 21 I JGG vorliegen und (2) nicht die Verhängung von Jugendstrafe „geboten“ ist. Nach h.M. hat dieses Merkmal
der Gebotenheit allerdings keine eigenständige Bedeutung, das sie nicht über die in Abs. 1 ohnehin zu treffende positive Legalprognose
hinausgehen kann.
2. Dauer der Bewährungszeit (§ 22 JGG): Der Richter bestimmt die Bewährungszeit. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht (regelmäßig 5
Jahre) beträgt sie mindestens 2 aber höchstens 3 Jahre, kann aber nachträglich auf 1 Jahr verkürzt oder auf 4 Jahre verlängert werden.
3. Bewährungsweisungen und –auflagen (§ 23 JGG): Der Richter soll (= obligatorisch) für die Dauer der Bewährungszeit (d.h.: nicht länger)
die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen (d.h. Maßnahmen nach § 10 JGG) erzieherisch beeinflussen. Er kann (= fakultativ)
dem Jugendlichen auch Auflagen (nach § 15 I und II JGG) erteilen. Diese Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder auf-
heben. Hält der Jugendliche die Weisungen und Auflagen nicht ein, können (gestuft) neue Auflagen und Weisungen getroffen. Unge-
horsamsarrest verhängt oder die Strafaussetzung widerrufen werden.
4. Bewährungshelfer (§§ 24, 25 JGG): Dem Jugendlichen wird obligatorisch ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt. Dies ist für maximal 2
Jahre zulässig, die Zeit kann aber nachträglich verlängert werden (darf aber die Bewährungszeit an sich nicht überschreiten). Dem Bewäh-
rungshelfer hat einerseits Erziehungs-, Hilfs- und Berichtspflichten, andererseits stehen ihm aber auch Überwachungs- und Informationsrecht
zu. Er hat auch besondere Rechte im Strafverfahren.
5. Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 26, 26a JGG): Die Strafaussetzung kann aus den in § 26 I JGG genannten 3 Gründen
widerrufen werden, der Richter kann jedoch statt dessen auch die in § 26 II JGG genannten neuen Anordnungen treffen. Die Strafaussetzung
kann auch noch nach Ende der Bewährungszeit widerrufen werden, um das Verhalten in der Endphase berücksichtigen zu können. Streitig ist,
ob die neue Straftat rechtskräftig festgestellt sein muss oder ob ein Geständnis oder ein dringender tatverdacht ausreicht.

III. Vorbehalt der Verhängung von Jugendstrafe (§ 27 JGG)


Kann der Jugendrichter nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit feststellen werden, ob in der Straftat eines Jugend-
lichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter (1) zwar die Schuld
des Jugendlichen feststellen, (2) die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit
aussetzen. Dies bedeutet: der Richter verhängt noch nicht unmittelbar eine Jugendstrafe, die er dann zur Bewährung aussetzt, sondern er setzt die
Entscheidung, ob er eine Jugendstrafe verhängt aus und gibt dem Jugendlichen Zeit, sich zu bewähren. Bewährt sich dieser, so deutet das darauf
hin, dass sich bei ihm keine schädlichen Neigungen entwickelt haben – dann entfällt die Jugendstrafe vollständig (taucht also nicht im Straf-
ausspruch auf) und der Jugendliche gilt nicht als vorbestraft.

IV. Sog. „Vorbewährung“ (gesetzlich nicht geregelt)


Hier wird eine Jugendstrafe verhängt und (zumindest vorläufig) keine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt. Es wird jedoch mit der Anordnung
der Vollstreckung der Jugendstrafe eine Zeitlang zugewartet wird (bis zu 4-5 Monate). Diese Zeit wird wie eine Strafaussetzung zur Bewährung
ausgestaltet. Verhält sich der Verurteilte entsprechend den Weisungen des Jugendrichters, dann hat sich der Jugendliche „bewährt“ und der Richter
ordnet nach § 57 JGG nun nachträglich durch Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung an (die tatsächliche Bewährung wird hier als „neuer
Umstand“ i.S. des § 57 II JGG angesehen, der eine nachträgliche Aussetzung zur Bewährung zulässt). Dieses Verfahren wird dem Jugendlichen aber
bereits von vorne herein in Aussicht gestellt.

V. Strafrestaussetzung zur Bewährung (§§ 88, 89 JGG)


Wenn der Jugendliche einen Teil der Jugendstrafe bereits verbüßt hat ist auch bei ihm die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach den
Vorschriften der §§ 88, 89 JGG möglich. Es müssen jedoch mindestens 6 Monate, bei einer Strafe von über einem Jahr zudem mindestens ein Drit-
tel der Jugendstrafe verbüßt sein.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Rössner, § 12; Schaffstein/Beulke, §§ 24-27; Streng, § 12 V, VII-IX.


Rechtsprechung: BGHSt 18, 207 – Stationäre Maßnahmen (Unzulässigkeit der Verhängung von Jugendarrest und Jugendstrafe „auf Bewährung);
BGH StV 1991, 423 – Bewährung (Kein Ermessensspielraum des Richters bei der Strafaussetzung); KG NStZ 1988, 182 –
Vollstreckung (Vorbewährung); OLG Stuttgart NStZ 1986, 219 – Strafmaßberufung (Vorbewährung).
Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 17. Februar 2004

Vorlesung Jugendstrafrecht - Arbeitsblatt Nr. 14

Strafvollzug / Untersuchungshaft
I. Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO, 72 ff. JGG)
1. Voraussetzungen: Diese ergeben sich im Wesentlichen aus den Vorschriften der Strafprozessordnung, hier geregelt in §§ 112 ff. StPO. Für Jugend-
liche werden diese Regelungen lediglich teilweise durch § 72 ff. JGG modifiziert. Die Voraussetzungen im Einzelnen sind:
a) Dringender Tatverdacht, § 112 StPO: dieser liegt vor, wenn nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen die hohe Wahrscheinlichkeit
besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung ist. Der dringende Tatverdacht muss auch im Hinblick auf die
Verantwortungsreife des Jugendlichen bestehen, § 3 JGG.
b) Haftgrund nach § 112 I 1, II StPO, ergänzt durch § 72 II JGG
– Flucht oder Fluchtgefahr, § 112 II Nr. 1, 2 StPO, näher konkretisiert in § 72 II JGG.
– Verdunkelungsgefahr, § 112 II Nr. 3 StPO
– Verdacht eines Kapitaldelikts, § 112 III StPO
– Wiederholungsgefahr, § 112a StPO (subsidiär zu § 112 StPO)
– Flucht oder Fluchtgefahr, § 112 II Nr. 1, 2 StPO, näher konkretisiert in § 72 II JGG.
c) Verhältnismäßigkeit, § 112 I 2, 113, 116 StPO, ergänzt durch § 72 I 2 JGG: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet sich in § 112 I
2 StPO. Dieser wird konkretisiert durch § 113 StPO (Einschränkung bei Bagatelldelikten) und § 116 StPO (Haftverschonung ist zu gewähren,
wenn die Anordnung von Haftsurrogaten ausreicht, also z.B. Meldepflichten oder Aufenthaltsbeschränkungen). Eine Sonderregelung für Ju-
gendliche findet sich in § 72 JGG: Untersuchungshaft darf nur verhängt und vollstreckt werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorläufige
Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 112 I 2
StPO) sind auch die besonderen Belastungen des Vollzuges für Jugendliche zu berücksichtigen. Für diese Fälle enthält § 72 I 3 JGG eine be-
sondere Begründungspflicht: Wird Untersuchungshaft verhängt, so sind im Haftbefehl die Gründe anzuführen, aus denen sich ergibt, dass an-
dere Maßnahmen, insbesondere die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe, nicht ausreichen und die Untersuchungshaft
nicht unverhältnismäßig ist.
2. Vollzug der U-Haft (§ 93 JGG): „Trennungsgrundsatz“ = bei Jugendlichen soll die Untersuchungshaft „nach Möglichkeit“ in einer besonderen
Anstalt oder wenigstens in einer besonderen Abteilung der Haftanstalt oder in einer Jugendarrestanstalt vollzogen werden soll. Nach § 93 II JGG soll
der Vollzug der Untersuchungshaft erzieherisch gestaltet werden.
3. Anrechnung: Nach §§ 52, 52a JGG ist eine U-Haft bei der späteren Verhängung von Jugendarrest oder Jugendstrafe zu berücksichtigen.
4. Subsidiarität: § 72 IV JGG bestimmt, dass unter denselben Voraussetzungen, unter denen ein Haftbefehl erlassen werden kann, auch die einstweilige
Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (nach § 71 Abs. 2) angeordnet werden kann. Ist eine Heimunterbringung möglich, so geht diese der U-
Haft vor.
5. Kritik: Die derzeitige Praxis der U-Haft ist unter vielerlei Hinsicht in die Kritik geraten.
a) In der Praxis oft U-Haft als Krisenintervention oder "Schnupper"-haft, die nicht deswegen verhängt wird, um die ordnungsgemäße Durchführung
des Verfahrens zu sichern (eigentlicher Zweck), sondern um einem noch weiteren Abgleiten des Jugendlichen in die Kriminalität zu begegnen.
b) Oft wird U-Haft auch nur deswegen verhängt, um später eine Strafaussetzung zur Bewährung besser legitimieren zu können.
c) Bei Drogenabhängigen: U-Haft wird oft deswegen verhängt, um Bereitschaft zu steigern, in eine stationäre Therapie einzuwilligen.
d) Vollzug der Untersuchungshaft ist nicht gesetzlich geregelt. Dies begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
e) Die Untersuchungshaftvollzugsordnung sieht – aus erzieherischen Gründen – eine Arbeitspflicht des jugendlichen U-Häftlings vor. Dies begeg-
net erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (Unschuldsvermutung; U-Haft darf nur der Verfahrenssicherung dienen).
f) U-Haft teilweise schärfer als die Strafhaft (Isolierung des Gefangenen etc.).
g) Zahl der Untersuchungshäftlinge zu groß, es sitzen mehr Jugendliche in Untersuchungshaft als in Strafhaft, teilweise wird nur bei 30% später Jugend-
strafe (ohne Bewährung) verhängt.

II. Strafvollzug
1. Zuständigkeit: Die Strafvollstreckung in Jugendsachen obliegt dem Jugendrichter. Er ist Vollstreckungsleiter und hat damit eine Doppelfunktion als
Richter und Verwaltungsbeamter.
2. Rechtsgrundlagen des Jugendstrafvollzugs: Der Jugendstrafvollzug ist grundsätzlich vom Erwachsenenstrafvollzug getrennt. Ein spezielles Ju-
gendstrafvollzugsgesetz existiert noch nicht. Andererseits ist das Strafvollzugsgesetz nicht auf den Vollzug von Jugendstrafe anzuwenden. Diese
Lage ist verfassungsrechtlich bedenklich.
3. Regelungen im JGG: Nur wenige Vorschriften des JGG regeln Teilbereiche der Strafvollstreckung:
a) 91 JGG (allgemeinen Grundsätze): Durch den Vollzug der Jugendstrafe soll der Verurteilte dazu erzogen werden, künftig einen rechtschaffenen
und verantwortungsbewussten Lebenswandel zu führen. Der Vollzug soll „erzieherisch“ gestaltet werden. § 91 III JGG enthält die Regelung, dass
– um das angestrebte Erziehungsziel zu erreichen – der Vollzug aufgelockert und in geeigneten Fällen weitgehend in freien Formen durchgeführt
werden kann. Ferner bestimmt § 91 IV JGG, dass die Beamten für die Erziehungsaufgabe des Vollzugs geeignet und ausgebildet sein müssen.
b) § 92 JGG (Ort des Vollzugs): Die Jugendstrafe soll grundsätzlich in Jugendstrafanstalten vollzogen werden. Bei über 18-jährigen, die sich nicht
für den Jugendstrafvollzug eignen, kann die Jugendstrafe nach den Vorschriften des Erwachsenenstrafvollzugs vollzogen werden. Bei über 24-
jährigen soll Jugendstrafe immer nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen werden.
c) § 85 II JGG (Kompetenzregel): Die Entscheidungen über die Vollstreckung geht auf den Jugendrichter des Amtsgerichts übergeht, in dessen
Bezirk die Jugendstrafanstalt liegt.
d) § 88 JGG (vorzeitige Entlassung): flexiblere Regelung als bei § 57 StGB: bei Jugendstrafe von mehr als einem Jahr ist die Strafrestaussetzung
bereits nach Vollstreckung eines Drittels möglich, soweit die Prognose des künftigen Verhaltens dies erlaubt.

Literatur / Lehrbücher: Meier/Rössner/Schöch-Schöch, § 14 I-IV; Schaffstein/Beulke, §§ 39, 44; Streng, § 7 III 2; § 12 VI.
Rechtsprechung: BGHSt 29, 33 – Erwachsenenvollzug (Verbüßung von Jugendstrafe im Erwachsenenvollzug); BGH NStZ 1996, 233 –
.Nichtanrechnung (Anrechnung von U-Haft); OLG Frankfurt NStZ 1984, 382 – Vollzugslockerung (Entscheidung über Voll-
zugsmaßnahmen); OLG Stuttgart NStZ 1987, 430 – Freigang (Berücksichtigung der Schwere der Schuld bei Vollzugslocke-
rungen); OLG Zweibrücken NStZ-RR 2001, 55 – Verhältnismäßigkeit (Voraussetzungen der Untersuchungshaft); AG Bad
Hersfeld NStZ 1991, 255 – Haftentlassung (Verfassungswidrigkeit des Fehlens eines Jugendstrafvollzugsgesetzes).

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