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Phonetik & Phonologie

Dr. Philip C. Vergeiner


philip.vergeiner@sbg.ac.at
Phonetik – Grundlagen
Phonetik

 Verschiedene Teilbereiche der Phonetik:


 ArtikulatorischePhonetik:
Fokus auf die Produktion von Sprachlauten
 Akustische Phonetik:
Fokus auf die physikalischen Eigenschaften von
Sprachlauten (→ Instrumentalphonetik)
 Auditive
Phonetik:
Wahrnehmung von Sprachlauten
Grundlagen der Akustik
Erinnern Sie sich an Ihren Physikunterricht od. die
Einführungsveranstaltung: Was ist Schall? Wie produzieren
Menschen Sprechschall?
Grundlagen der Akustik

 Schall basiert auf Schwingungen in einem Medium (Luft), wobei sich diese
wellenförmig im Medium fortpflanzen, führt zu wahrnehmbaren
Luftdruckschwankungen
 Grundbegriffe:
 Amplitude (Größe der Druckschwankungen,
bestimmt Lautstärke; Einheit: Dezibel (dB))
 Frequenz (Schnelligkeit der Druckschwankungen,
bestimmt Tonhöhe; Einheit: Hertz (Hz))

Unterschiedliche Amplitude Unterschiedliche Frequenz


Grundlagen der Akustik

 Arten von Schallereignissen:


 Töne: reine sinusförmige Schwingungen
 Klänge: komplexe, regelmäßige Schwingungen (bestehend aus
mehreren Tönen, die harmonisch zusammengesetzt sind)
 Geräusch: unregelmäßige, nicht-periodische Schwingen, weiter
unterteilbar in Rauschen und Knall (Unterschied: Knall impulsartig,
Rauschen erstreckt sich über eine längere Zeitdauer)
Grundlagen der Akustik

 Den für die menschliche Sprachproduktion relevanten


Schall kann man – idealisiert – als Konfiguration aus
Klängen und Geräuschen (sowohl Rauschen als auch
Knalle) beschreiben, z.B.:
Laute wie a, e, i, o, u = Klänge
Laute wie f, s = Geräusche/Rauschen
Laute wie t, k, t = Geräusche/Knalle
Laute wie v, l, n = Geräusche/Rauschen mit Klanganteil
Akustische Phonetik
Oszillogramm,
bildet Signalverlauf (Schalldruck) ab

Sonagramm, bildet
drei akustische
Parameter ab:
1. Zeit (x-Achse)
2. Frequenz (y-Achse)
3. Intensität (‚Schwärze‘)

F4
Formanten
F3 [Erklärung: Vokale bestehen aus Grundton +
F2 (harmonischen) Obertönen, je nach Vokal werden
F1 bei der Artikulation manche Obertöne verstärkt,
F0 andere gedämpft ➔ macht Vokale unterscheidbar]

Erstellt mit Praat


https://www.fon.hum.uva.nl/praat/download_win.html
Grundlagen der Lautproduktion

 Grundlegende Unterscheidung in drei Teilbereiche:


 Initiation
 Phonotation
 Artikulation

„Die Atmung liefert den für die Rohschallgenerierung


nötigen subglottalen Luftdruck, durch den die
Stimmlippen im Kehlkopf in klangerzeugende
Schwingungen versetzt werden, während die sich
verändernde geometrische Form des Ansatzrohres
(d.h. des Rachen-, Mund- und Nasenraums) sich (als
akustisches Filter) klangmodifizierend auswirkt“
(Pompino-Marschall 2009: 18)
Grundlagen der Lautproduktion

 Initiation
 Laute im Deutschen werden (meist) durch Manipulation des
ausgeatmeten Luftstroms gebildet (= pulmonal-egressive
Laute), Ausnahme z.B. Interjektionen od. „stilles Zählen“,
wo teilweise pulmonal-ingressive Laute vorkommen
 In anderen Sprachen der Welt gibt es reguläre nicht-
pulmonische Laute, bspw. Implosive oder Klicks

z.B. Bantusprache Xhosa in Südafrika

Lateraler alveolarer Klick


Grundlagen der Lautproduktion

 Phonotation
 Geschieht innerhalb des Kehlkopfes (Larynx), besteht aus
mehreren Knorpeln, Muskeln und Bändern
 Stimmbänder, Muskelfasern, Schleimhäute bilden die
Stimmlippe
 Dazwischen liegt die Glottis (= Stimmritze)
 Glottis kann mithilfe der Stellknorpel
ganz od. teilweise verschlossen werden
 Primärfunktion: schützt untere
Atemwege, bspw. beim Essen/Trinken
 Sekundärfunktion: kann in Schwingungen
versetzt werden, um Klänge zu erzeugen
Grundlagen der Lautproduktion
 Glottis beim Atmen geöffnet, zur Phonotation dagegen
werden die Stimmlippen gespannt und durch die
Stellknorpel zueinander geführt und in regelmäßige
Schwingung versetzt:
 Dazu wird bei geschlossener Glottis zunächst
subglottaler Druck aufgebaut
 Dieser Druck führt dazu, dass die Glottis sich öffnet
und Luft durchströmt
 Aufgrund der einhergehenden Sogwirkung verschließt
sich die Glottis wieder (Bernoulli–Effekt → Glottis als
Verengung der Durchflussöffnung führt zu einer
schnelleren Fließgeschwindigkeit und damit zu
Unterdruck)
 Der Zyklus beginnt erneut
Grundlagen der Lautproduktion

 Länge der Stimmlippe bei Frauen kleiner als bei Männern ➔ kürzere
Stimmlippen schwingen schneller, daher haben Frauen eine höhere
durchschnittliche Tonhöhe (auch Kinder haben kürzere Stimmlippen im
Vergleich zu erwachsenen Männern und Frauen)
 Durchschnittliche Stimmton-Grundfrequenz
 Frauen: 230 Hz (= 230 Schwingungen pro Sekunde)
 Männer: 120 Hz
 Säuglinge: 400 Hz
Grundlagen der Lautproduktion

 Manipulation des Stimmtons


 durch Spannung/Dehnung der Stimmlippen → führt zu geringerer
Elastizität und damit zu schnelleren Schwingungen, d.h. einem
höheren Stimmton
 durch Entspannung der Stimmlippen → führt umgekehrt zu höherer
Elastizität und damit langsameren Schwingungen, d.h. einem
tieferen Stimmton
 Stimmumfang:
 80 – 700 Hz (Männer)
 140 – 1100 Hz (Frauen)
 Allerdings nur bei ausgebildeten Sängern, sonst deutlich geringere
Obergrenzen!
Grundlagen der Lautproduktion

 Es gibt noch andere Phonotationsmodi, u.a.


 Flüsterstimme: Glottis wird stark verengt, Luft kann aber durch
eine kleine Öffnung bei den Stellknorpeln entweichen,
Stimmlippen schwingen nicht
 Breathy Voice: ähnlich wie Flüsterstimme, jedoch ohne
kompletten Verschluss der Glottis, d.h. die Stimmlippen schwingen
→ Laute klingen behaucht
(in manchen Sprachen phonologisch relevant)
 Creaky Voice: Trotz komplettem Verschluss der Glottis kann im
vorderen Bereich etwas Luft entweichen → Laute klingen knarrend
(in manchen Sprachen phonologisch relevant)
 Nicht bei jedem Laut im Deutschen schwingen die Stimmlippen, es gibt
stimmhafte und stimmlose Laute (z.B. Jammer vs. Kammer)
Grundlagen der Lautproduktion

 Sind die unterstrichenen Laute jeweils stimmhaft oder stimmlos?


 schön
 Mutter
 Wasser
 Vogel
 Tank
 Angst
 Laub
 Dank
 rollen
 Plage
Grundlagen der Lautproduktion

 Sind die unterstrichenen Laute jeweils stimmhaft oder stimmlos?


 schön stimmlos
 Mutter stimmhaft
 Wasser stimmhaft
 Vogel stimmlos
 Tank stimmlos
 Angst stimmhaft
 Laub stimmhaft
 Dank stimmlos?
 rollen stimmhaft
 Plage stimmlos
Grundlagen der Lautproduktion
 Artikulation:
 Bei der Phonotation entsteht ein gewisses
Anregungssignal (Rohschall), das auf dem Weg
durch den Vokaltrakt verändert wird
 Vokaltrakt wie ein Filter (bzw. Resonator – wird
in Analogie zu Blasinstrumenten auch
„Ansatzrohr“ genannt): Je nach Konfiguration
werden bestimmte Frequenzen des
Anregungssignals verstärkt oder gedämpft
 Resonanzräume:
 oraler Raum (bei geschlossenem Velum)
 nasaler Raum (bei offenem Velum)
 Rachenraum (im Dt. nicht relevant)
Grundlagen der Lautproduktion

 Artikulation besteht im Grunde darin, dass ein


artikulierendes Organ (der sogenannte Artikulator) an
irgendeiner Stelle im Ansatzrohr (dem sogenannten
Artikulationsort) auf eine gewisse Art (Artikulationsmodus)
das Anregungssignal manipuliert
Grundlagen der Lautproduktion

Artikulatoren (= bewegliche Teile im Ansatzrohr)

Zunge (Lingua)
Lippe (Labia)
Unterkiefer (Mandibulum)
Gamensegel (Velum) mit
Zäpfchen (Uvula)
Rachen (Pharynx)
Glottis
Grundlagen der Lautproduktion

Artikulatoren (= bewegliche Teile im Ansatzrohr)

Zunge (Lingua) weiter unterteilt:


Zungenspitze (Apex) Zungenkranz
Zungenblatt (Lamina) (Korona)
Zungenrücken (Dorsum)
Zungenwurzel (Radix)
Grundlagen der Lautproduktion

 Artikulationsorte/-stellen (oder passive Artikulatoren)

(Ober-)Lippe (Labia)
(Schneide-)Zähne (Dentes)
Zahndamm (Alveolen)
Harte Gaumen (Palatum)
Weiche Gaumen (Velum)
Zäpfchen (Uvula)
Rachen (Pharynx)
Glottis
Grundlagen der Lautproduktion

 Bei der exakten Beschreibung eines Lautes gibt man


sowohl den aktiven als auch den passiven Artikulator an
(oft aber überflüssig, da aus anatomischen Gründen nicht
alle Kombinationen plausibel sind – daher oft nur passiver
Artikulator angegeben)
Grundlagen der Lautproduktion

 Bilabial: Die Unterlippe nähert sich der Oberlippe und


bildet dort eine Engstelle (z.B. Butter)
 Labio-dental: Die Unterlippe tritt mit der Unterkante und
Vorderseite der oberen Schneidezähne in Kontakt (z.B.
Vogel)
 Apiko-/Lamino-dental (oft nur ‚dental‘ genannt): Die
Zungenspitze/das Zungenblatt liegt an der Unterkante /
Innenseite der oberen Schneidezähne (z.T. in engl.
Lehnswörtern, Thriller)
Grundlagen der Lautproduktion

 Apiko-/Lamino-alveolar (oft nur ‚alveolar‘ genannt): Die


Zungenspitze/das Zungenblatt liegt am Zahndamm (z.B.
Tag)
 Lamino-postalveolar (oft nur ‚postalveolar‘ genannt): Das
Zungenblatt nähert sich der Stelle hinter dem Zahndamm
(z.B. Schwein)
 Dorso-palatal (oft nur ‚palatal‘ genannt): Der
Zungenrücken nähert sich dem harten Gaumen (z.B.
Milch)
Grundlagen der Lautproduktion

 Dorso-velar (oft nur ‚velar‘ genannt): Der Zungenrücken


nähert sich dem weichen Gaumen (z.B. Bach)
 Dorso-uvular (oft nur ‚uvular‘ genannt): Der Zungenrücken
nähert sich dem Zäpfchen (z.B. rot [häufigste Aussprache
im Dt.])
 Glottale: Neben der Phonotation auch wichtig zur Bildung
eines Verschlusslautes (abrupte Öffnung der Stimmlippen,
z.B. in ver[?]ändern) sowie eines Reibelautes (durch
starken Luftdruck, der ein Geräusch erzeugt, z.B. in Haus)
Ordnen Sie richtig zu!

a. Welle 1. Bilabial
b. Peitsche 2. Labio-dental

c. Garage 3. Alveolar
4. Postalveolar
d. Hund
5. Palatal
e. Sieg
6. Velar
f. Jause
7. Glottal
g. Wange
h. Chor
i. Degen
j. Maus
Ordnen Sie richtig zu!

a. Welle 1. Bilabial
b. Peitsche 2. Labio-dental

c. Garage 3. Alveolar
4. Postalveolar
d. Hund
5. Palatal
e. Sieg
6. Velar
f. Jause
7. Glottal
g. Wange
h. Chor
i. Degen
j. Maus
Grundlagen der Lautproduktion

 Artikulationsmodi:
 Vokalisch: Luft kann den Vokaltrakt ungehindert verlassen,
globale Veränderungen des Ansatzrohres führen zu einer
Veränderung des Anregungssignals, durch Manipulation der
Länge (z.B. Vorstülpen der Lippen) oder des Querschnitts
(vertikale Bewegung des Kiefers/der Zunge od. horizontale
Bewegung der Zunge)
 Konsonantisch: Luftstrom wird durch Enge oder
Verschlussbildung blockiert
Grundlagen der Lautproduktion

 Konsonantische Artikulationsmodi (im Deutschen):


 Plosiv (auch ‚Verschlusslaut‘): Kompletter Verschluss, bei
dessen Lösung entsteht ein „explosionsartiges“ Geräusch,
(z.B. Baum)
 Frikativ (auch ‚Reibelaut‘): Starke Engebildung führt zu
einer Geräuschbildung in Folge von Turbulenzen, (z.B. Fisch)
 Nasal: Kompletter oraler Verschluss, Luft entweicht durch
die Nase (z.B. Mutter)
Grundlagen der Lautproduktion

 Konsonantische Artikulationsmodi (im Deutschen):


 Vibrant/Trills: Verschluss öffnet und schließt sich in
schneller Abfolge (z.B. oft in rot)
 Tap/Flap: extrem kurzer oraler Verschluss (z.B. gelegentlich
in rot)
 Lateral: Luftstrom in der Mitte blockiert, strömt aber an den
Seiten vorbei (z.B. Licht)
 Halbvokale/Approximant/Glide: stärkere Verengung als bei
Vokal im Mund, aber weniger stark als bei Frikativ (z.B.
Jahr)
Grundlagen der Lautproduktion

 Konsonantische Artikulationsmodi (im Deutschen):


 Plosive und Frikative häufig unter dem Begriff Obstruent
zusammengefasst
 Alle Laute außer Plosive und Frikative häufig unter dem
Begriff Sonorant zusammengefasst
 Vibranten und Laterale häufig als Liquide zusammengefasst
 Kombinationen aus homorganen (d.h. am selben Ort
gebildeten) Plosiven und Frikativen nennt man auch
Affrikaten (Tschechien)
Ordnen Sie richtig zu!

a. Nebel 1. Vokal
b. Chlor 2. Plosiv
c. beladen 3. Frikativ
d. Welle 4. Nasal
e. Hölle 5. Vibrant/Trills
f. Brot 6. Lateral
g. Zahl 7. Glide
h. Jubel 8. Affrikate
i. Bach
j. Turm
Ordnen Sie richtig zu!

a. Nebel 1. Vokal
b. Chlor 2. Plosiv
c. beladen 3. Frikativ
d. Welle 4. Nasal
e. Hölle 5. Vibrant/Trills
f. Brot 6. Lateral
g. Zahl 7. Glide
h. Jubel 8. Affrikate
i. Bach
j. Turm
Übung

 Nennen Sie jeweils ein Wort, das mit den folgenden Lauten beginnt:
(stimmhafter) bilabialer Nasal
stimmloser velarer Plosiv
stimmhafter (Labio-)dentaler Frikativ
(stimmhafter) alveolarer Lateral
(stimmloser) glottaler Frikativ
(stimmhafter) uvularer Vibrant
Übung

 Nennen Sie jeweils ein Wort, das mit den folgenden Lauten beginnt:
(stimmhafter) bilabialer Nasal Mann, Mai, Maus…
stimmloser velarer Plosiv Klamm, Kind, Kurs…
stimmhafter (Labio-)dentaler Frikativ Wasser, Wand, Wolle…
(stimmhafter) alveolarer Lateral Luft, Liebe, Lied…
(stimmloser) glottaler Frikativ Haus, Hand, Held…
(stimmhafter) uvularer Vibrant Rind, Rille, Rand…
Begriffe zum Einprägen…

 Bilabial  Vokal
 Labio-dental  Plosiv
 Alveolar  Frikativ
 Postalveolar  Nasal
 Palatal  Vibrant/Trills
 Velar  Lateral
 Uvular  Halbvokale/Approximant/Glide
 Glottal
 Obstruent
 Sonorant
 Liquide
 Affrikate

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