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DIE BRÜCKE

VON ARNHEIM NR.40


Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.

(Friedrich Schiller)

Impressum
DIE BRÜCKE. UKRAINISCH-ÖSTERREICHISCHES ZIRKUSBLATT NUMERO XL VON CLOWNS UND FÜR CLOWNS

Herausgegeben an der Universitas Nationalis Kioviensis Ševčenkiana, der Universitas Nationalis Leopoliensis nominis Ioannis Franko und
der Uni, wo der Fabio Sand arbeitet.

Redaktion Kyiv: Dr. Florian Rinesch


Kontakt: florian.rinesch@yahoo.de
Redaktion Lviv: Mag. Hildegard Kainzbauer (OeAD-Lektorin an der Nationalen Ivan Franko Universität Lviv)
Redaktion Kharkiv: Mag. Fabio Sand (OeAD-Lektor an der Nationalen Technischen Universität Kharkiv)
Kontakt: fabio.sand@oead-lektorat.at

https://www.facebook.com/brueckezeitung

Diese Zeitung entsteht als Gemeinschaftsprojekt von Studentinnen und Studenten der Nationalen Taras Shevchenko
Universität Kyiv (KNU), der Nationalen Ivan Franko Universität Lviv (LNU) und der Nationalen Technischen Universität
Kharkiv (NTU). Sie wird ehrenamtlich erstellt, erscheint zweimal im Jahr und ist kostenlos erhältlich.

Das Copyright aller in dieser Publikation veröffentlichten Texte und Bilder liegt bei den jeweilgen Urhebern.
Die Texte und Bilder dürfen nicht ohne vorherige Genehmigung durch die Rechteinhaber
weiterverwendet werden.

Wir bedanken uns beim Österreichischen Kooperationsbüro Lemberg

sowie beim Österreichischen Kulturforum Kyiv


für die Unterstützung des Projekts.

Kyiv, Lviv und Kharkiv, Herbst 2021


INHALT
EDITORAL 4

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


Runder Tisch. Sinn und Zweck der Hausaufgabe • 6
Interview mit Dominik Eisenmann • 14
Abschiedsgespräch mit Hilla Kainzbauer • 19
In memoriam I. V. Soiko • 23
Erfahrungsbericht. Die Arbeit der NAQA • 28
Umfrage. Qualität der Hochschulbildung • 31
Questionnaire de… • 33

AUSTRIAKISCHES•RUTHENISCHES• KAKANISCHES
Artikel. Die österreichische Titelwirrnis • 35
Artikel. Lemberg spricht anders• 38
Portrait. Lise Meitner • 40
Test: Wie ukrainisch bist du? • 43
DIE BRÜCKE fragt: Wer ist dieser Glatzkopf? • 45

UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR


Interview. Oleksandr Kud über die LitSlam-Szene in Kharkiv • 46
Aus dem Leben. Eine Hausärztin aus Transkarpatien erzählt • 50
Glosse. Müssen wir uns tatsächlich so beschränken? • 57
Portrait. David Bowie • 59
Die letzte Hassseite • 62
Kolumne. Der Clown Leonid Yengibarov • 64

GEDICHTETES•GESCHRIEBENES•GESELCHTES
Poesie. Prof. Dowells Schildkröte präsentiert Gedichte • 65
Fortsetzungsgeschichte. Es war einmal in Wien (Teil 2) • 67

STECKENPFERD UND STECKERLFISCH


Schach. Entscheidung am Rio de la Plata • 68
Rubinsteins Ratschläge • 70
Das Kanjii-Reservat • 71
Horoskop • 71
Rezept. Veganer Karottenkuchen • 72
Diadko Jazz • 73
Die Zitatenorgel • 74
Fellini • 75
Finales Banales. Jonathan aus St. Helena • 76

UNSERE SCHREIBERLINGE, ZEICHENFRITZE


UND
DER ENGERLING
DORIS
ZIPOS EDITORIAL

Es ist für gewöhnlich nicht unsere Art, Sinn und Unsinn unserer BRÜCKE-Ti-
telbilder zu erklären. Der hermeneutische Sinn will schließlich fortwäh-
rend geschärft und verfeinert werden. Dennoch will Zipo – das bin ich – in
dieser Jubiläumsausgabe Nr. 40 eine Ausnahme machen und Ihre Wahrnehmung,
liebe Leserinnen und Leser, ein wenig lenken, ihr ein wenig auf die Sprünge
helfen.
Beginnen wir mit einer Bildbeschreibung: Im Vordergrund des aktuellen
Titelblattes sehen wir zwei idente, wiewohl unterschiedlich große Abbil-
dungen eines geschminkten männlichen Antlitzes. Dieses gehört einem ge-
wissen Grock, alias Charles Adrien Wettach (1880-1959), einem in seiner
Zeit überaus berühmten Schweizer Clown. Nebenbei notiert: die Schweiz ist
im deutschsprachigen Raum die Brutstätte der Clownerie – der freiwilligen,
wohlgemerkt. Die beiden Grocks blicken hoffnungsvoll und leicht debil in eine
unbestimmte, sich über Augenhöhe befindliche Ferne. Im Hintergrund sehen wir
eine monochrome, surreal verfremdete Blumenwiese unter einer sepiafarbenen
Fläche, die man mit einigem Fug und etwas Phantasie als Himmel bezeichnen
könnte. Es mag sich freilich auch um die sepiafarbene Schürze meines Onkels
Herbert handeln, die dieser verspielt in den Bildkader baumeln lässt. Aber
das größere Ganze hat uns hier nicht zu interessieren! Wo kämen wir denn
da hin, wenn wir das Nicht-Abgebildete in die äußere Beschreibung des Ab-
gebildeten miteinbezögen? Zipo müsste die ganze Kunsthistoire auf den Kopf
stellen! Der sich schlängelnde Weg im linken Bildhintergrund der Mona Lisa
müsste in diesem Falle als das beschrieben werden, was er eigentlich ist,
nämlich die verlorengegangene Hundeleine eines gewissen Giovanni Battista
Piccinini… und seines vierbeinigen Freundes Sparky!
Wie ließe sich dieses Titelbild nun interpretieren? Gewiss auf mannigfal-
tige Weise, wenn in diesem Editorial nur mehr Zeilen zur Verfügung stünden!
So bleibt Zipo nichts anderes übrig, als eine Myriade hermeneutischer Zwi-
schenschritte auszulassen und das platzsparende Fazit zu ziehen: Mit 14%
Covid-19-Geimpften schreitet die Ukraine in eine hoffnungsvolle Zukunft!
Alles klar?
Ein paar Themen der aktuellen Ausgabe: Ein Runder Tisch zum Thema „Haus-
aufgaben“, ein Artikel über die Poetry-Slam-Szene in Kharkiv, ein Bericht
über den Alltag einer ukrainischen Hausärztin, Interviews mit Hilla Kainz-
bauer und Dominik Eisenmann, und – erstmals in der BRÜCKE – Jazz-Tipps von
Diadko Jazz.
Viel Konzentrationsfähigkeit bei der Lektüre unserer zauberhaft zotigen
Zirkuszeitung!

Zipo der Herausgeber


6
FAKULTATIVE HAUSAUFGABEN?
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

VERGISS ES!

Runder Tisch. In der letzten BRÜCKE-Ausgabe trat ein gewisser Lehrer Lämpel mit der Bitte an uns
heran, wir möchten doch die Möglichkeit in Betracht ziehen, uns einmal ausgiebig dem Thema „Hausauf-
gaben“ zu widmen: Was ist deren Sinn und Zweck? Was denkt sich eine Lehrkraft bei ihren Arbeitsauf-
trägen? Und was empfinden Studierende bei deren Erledigung? Um diese und andere Fragen zum Thema
zu klären, haben wir Lehrende und Studierende von KNU und LNU zu einem Gespräch gebeten.

FLORIAN RINESCH (DIE BRÜCKE): Herzlichen Lernprozesses sollen also wie bei Zahnrädern inein-
Dank, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Te- andergreifen.
tiana und ich möchten kurz erklären, weshalb wir ALINA FEOKTISTOVA: Genau. Ich habe mir heute
das Thema „Hausaufgaben“ für diesen Runden Morgen noch ein paar Gedanken zu unserem Thema
Tisch gewählt haben. gemacht, genauer gesagt, zum Zeitaufwand, den eine
LEHRER LÄMPEL: Wegen mir! Hausaufgabe beanspruchen darf. In unseren Lehr-
FLORIAN RINESCH: Schluss mit dem Unfug! Setz plänen steht, dass auf eine Stunde Präsenzunterricht,
dich unter den Tisch und iss deine gebratenen Nie- zwei Stunden selbstständige häusliche Beschäftigung
ren! folgen müssen.1 Bei drei Doppelstunden am Tag,
TETIANA SUPRUN (DIE BRÜCKE): Seit Beginn käme man auf eine tägliche Arbeitsbelastung von
der Pandemie haben unsere Redaktion immer wie- 13.5 [sic] Stunden, die mit Unterricht und Hausauf-
der Beschwerden von Studierenden erreicht, die gaben zuzubringen sind. Ich halte das für unrealis-
Menge der Hausaufgaben sei zu groß. Besonders tisch! Man muss ja auch noch irgendwann essen und
im Frühjahr 2020 sei dem so gewesen. Gleichzeitig schlafen. Außerdem belästigen wir unsere Studenten
wissen wir aus den Lehrstuhlsitzungen, dass man- immer damit, dass sie auch etwas für ihre persönli-
che Lehrerinnen mit den häuslichen Leistungen ei- che Entwicklung tun sollten – da bleibt nicht viel Zeit
niger Studierender unzufrieden sind. übrig.
OLHA KUCHMA: Und was ist das Ziel unseres FLORIAN RINESCH: Liebe Studierende, 13.5 [sic]
Gespräches? Stunden tägliche Arbeitszeit, davon neun Stunden
FLORIAN RINESCH: Wir wollten den Studieren- für die Hausaufgaben – ist das realistisch?
den und Lehrenden eine Plattform bieten, um sich ALINA BOIEVA: Ich persönlich brauche nicht so
etwas tiefergehend mit dem Thema „Hausaufga- viel Zeit für meine Hausaufgaben, aber ich erledige
ben“ auseinanderzusetzen und dabei auch mal die sie fast alle.
Perspektive zu wechseln. Den Begriff fassen wir GABRIELA DANKO: Bei mir ist es ähnlich. Ich glau-
notgedrungen sehr weit, da Hausaufgaben in den be, die Lehrer wissen, dass diese Vorgabe unrealis-
betroffenen Abteilungen von KNU und LNU in tisch ist. Dennoch: In der Schule hat man uns immer
ganz unterschiedlichen Fächern (DaF, Übersetzen, gesagt, dass das Wochenende der Entspannung die-
Dolmetschen, etc.) vergeben werden. nen sollte. In der Realität war man aber immer mit
TETIANA SUPRUN: Vielleicht beginnen wir unser Hausaufgaben beschäftigt. An der Universität ist es
Gespräch mit einer Klärungsfrage: Was verstehen auch so. Berufstätige haben am Wochenende frei,
wir eigentlich unter einer gut gestellten Hausauf- aber Studierende arbeiten die ganze Woche.
gabe? DARYNA BORYNSKA: Das hängt auch von jedem
ALINA FEOKTISTOVA: Es geht darum, dass die Einzelnen ab. Der eine benötigt zwei Stunden für
einzelnen Elemente des Lernprozesses miteinander
1 Tatsächlich ist das Verhältnis von Präsenzunterricht und Heim-
verbunden werden. Man nennt das „Verzahnung“. arbeit für die meisten Lehrveranstaltungen mit 1:1 und nicht mit
Der Lernprozess geht ununterbrochen vonstatten 1:2 veranschlagt, und zwar sowohl im BA- als auch im MA-Studium.
und die Hausaufgabe ist ein Teil dieses Prozesses. Die bürokratisch festgesetzte Arbeitsbelastung der Studierenden
ist also etwas niedriger zu beziffern als im Gespräch angegeben.
Sie sollte qualitativ auf dem gleichen Niveau ste-
Ambitioniert ist sie jedoch allemal: Die Zeit, die für Hausaufgaben
hen, wie der Unterricht selbst. vorgesehen ist, liegt nie unter 4.5 Stunden pro Tag und nicht selten
FLORIAN RINESCH: Die einzelnen Elemente des deutlich darüber. Anm. d. Red.
7

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


Daryna Borynska, Studentin der Germanistik und Translations- Gabriela Danko, Studentin der Germanistik und Translations-
wissenschaft (3. Studienjahr/LNU) wissenschaft (4. Studienjahr/KNU)

eine Aufgabe, der andere vielleicht nur eine Stunde. enormen Druck, gerade die Perfektionisten. Ich habe
Hinzu kommt, dass in einer Studierendengruppe oft aus diesem Grund begonnen, weniger Hausauf-
Leute mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen gaben zu geben. Ich finde es allerdings ungerecht,
sitzen. Manche haben Deutsch in der Schule gelernt, wenn Studierende in Fächern, die nicht zu ihrem
andere haben erst an der Universität damit begon- Kernstudium gehören, mehr Hausaufgaben erledi-
nen – wie meine Freundin zum Beispiel. Sie sitzt gen müssen als in ihrem eigentlichen Fachgebiet.3
oft den ganzen Tag an ihren Hausaufgaben. Das ist DARYNA BORYNSKA: Ich stimme Ihnen zu. Im
Wahnsinn! ersten Semester bekommt man immer gesagt, man
FLORIAN RINESCH: Ich würde gerne nochmal auf müsse lernen, wie man lernt. Tatsächlich muss man
unsere Ausgangsfrage zurückkommen: Was ist eine oft Prioritäten setzten. Die Menge der Hausaufgaben
gut gestellte Hausaufgabe, bzw. wie definieren wir ist so groß, dass man oft nicht alles erledigen kann.
eine gut gemachte Hausaufgabe. Alina Feoktistova Da muss man dann überlegen, was brauche ich un-
hat vorhin den Begriff der „Verzahnung“ ins Spiel bedingt, und was ist vielleicht weniger wichtig.
gebracht… FLORIAN RINESCH: Haben Sie das Gefühl, dass
OLHA KUCHMA: Ich glaube, eine Hausaufgabe ist den Lehrenden bewusst ist, wie viel Zeit die Studie-
dann gut gestellt, wenn die Studierenden verstehen, renden für ihre Hausaufgaben verwenden? Werden
warum sie die Aufgabe machen müssen und auch wie Sinn und Zweck der Hausaufgaben ausreichend er-
sie diese machen müssen. Die Hausaufgabe sollte klärt? Ich richte diese Fragen an Sie alle.
weder überfordern noch unterfordern. Gut gemacht GABRIELA DANKO: Ich glaube, viele Lehrer ge-
ist eine Hausaufgabe, wenn der Student versteht, hen davon aus, dass die Studierenden schon selbst
was er gemacht hat und man im nächsten Unterricht begreifen, warum eine Aufgabe wichtig ist. Es ist für
auf dem Gelernten aufbauen kann. mich eine offene Frage, ob das immer der Fall ist.
TETIANA SUPRUN: Sie beziehen sich jetzt wohl Was das Zeitpensum angeht – das hängt vom Leh-
vor allem auf den Deutschunterricht? rer ab. Einige wissen, wie viel wir arbeiten, andere
OLHA KUCHMA: Ja. Ich habe übrigens den Ein- wissen es nicht; ich denke hier konkret an unseren
druck, dass die Studenten seit der Umstellung auf Unterricht in Literaturwissenschaft. Vielleicht liegt
das Bologna-System mehr arbeiten müssen als zu- es aber auch am Lehrplan.
vor. Ich kann mich an eine Gruppe erinnern – da hat- ALINA BOIEVA: Mir ist es mitunter passiert, dass
ten alle Studenten bereits am Ende des ersten Semes- ich eine Hausaufgabe machen musste, die hinterher
ters dunkle Ringe unter den Augen. Einige hatten oft nicht überprüft wurde. Auch kamen die Inhalte spä-
nur zwei Stunden in der Nacht geschlafen… ter in der Lehrveranstaltung nicht mehr vor. Mir war
Das Punktesystem2 setzt die Studenten unter einen nicht recht klar, weshalb mir die Hausaufgabe über-
2 In der Ukraine wurde das traditionelle, aus der Sowjetzeit her- haupt erteilt worden war.
rührende Notensystem (Sehr gut (5), Gut (4), usw.) vor einigen ALINA FEOKTISTOVA: Das ist es eben, was ich
Jahren durch ein Punktesystem ersetzt. Für jede Lehrveranstal-
tung ist ein Punktemaximum von 100 Punkten veranschlagt, wo- che setzen für jede Aufgabe genaue Punktezahlen fest, andere
bei sich die Gesampunktezahl aus der Addition der vergebenen vergeben die Punkte eher überschlagsmäßig, wieder andere ver-
Punkte für diverse Einzelaufgaben ergibt. Die Semesterprüfung suchen eine Art Mittelweg zu gehen. Anm. d. Red.
wird abhängig vom Lehrveranstaltungstyp mit max. 30 bzw. max. 3 Studierende der Germanistik müssen an ukrainischen Universi-
40 Punkten bewertet. Die übrigen 70 bzw. 60 Punkte werden von täten auch Lehrveranstaltungen aus anderen Fachbereichen ab-
der Lehrkraft nach eigenem Ermessen vergeben. Das System wird solvieren, z.B.: Physik, Biologie, Soziologie, Betriebswirtschaft, etc.
in der Praxis von den Lehrkräften unterschiedlich ausgelegt: man- Anm. d. Red.
8 kehren werden – Stichwort: „Lernendenautonomie“,
wie das so schön heißt… Ich möchte aber erst noch
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

das Thema Transparenz abschließen. Im Rahmen


der Vorbereitung zu diesem Gespräch haben wir
an unserem Lehrstuhl eine Umfrage durchgeführt.
Wir haben die Kolleginnen und Kollegen unter an-
derem gefragt, wie viele Stunden pro Woche, ihrer
Meinung nach, die Studierenden mit Hausaufgaben
zubringen. Ich frage mal die Studentinnen: Was mei-
nen Sie, was Ihre Lehrer geantwortet haben?
GABRIELA DANKO: Von sechs bis zwanzig.
FLORIAN RINESCH: Von sechs bis zwanzig Stun-
Olha Kuchma, Dozentin, unterrichtet Deutsch und Translations- den?
wissenschaft (KNU), Lehrerin am Goethe-Institut Ukraine.
DARYNA BORYNSKA: Vielleicht fünfzehn Stun-
den? Ich weiß nicht…
ALINA BOIEVA: Ich glaube das auch. Fünfzehn
mit Verzahnung meinte. Die Hausaufgabe muss an oder zwanzig Stunden. Drei, vier Stunden pro Tag…
den vorhergehenden Unterricht anknüpfen und im FLORIAN RINESCH: Und wie viele Stunden pro
nächsten Unterricht ausgewertet werden. Sonst hat Woche benötigen Sie tatsächlich für Ihre Hausauf-
das Ganze keinen Sinn! Man muss auch zwischen gaben?
Aufgabe und Übung unterscheiden.4 Noch etwas: ALINA BOIEVA: In den ersten Studienjahren wa-
Wenn eine Aufgabe fakultativ zu erledigen ist – was ren es rund zwanzig Stunden pro Woche. Jetzt benö-
machen dann die Studenten? tige ich schon etwas weniger Zeit. Das Wochenende
ALINA BOIEVA: Nichts. versuche ich mir frei zu halten.
ALINA FEOKTISTOVA: Nix! Genau. Man könn- DARYNA BORYNSKA: Bei mir ist es ähnlich. Ich
te binnendifferenzieren5 und sagen: Ich habe zehn versuche drei, vier Stunden am Tag zu lernen. Ich
Übungen. Wer mehr braucht, macht mehr. Wer we- finde auch – Wochenende muss Wochenende blei-
niger braucht, macht weniger. Wenn ein Student ben. Aber manchmal habe ich so viel Arbeit, dass ich
zehn Jahre Deutsch in der Schule gehabt hat, benö- diese auf Samstag und Sonntag verschieben muss.
tigt er bestimmte Übungen tatsächlich nicht. Dann OLHA KUCHMA: Ich verrate Ihnen was: Den Leh-
ist es auch legitim, diese nicht zu machen. Das Pro- rern geht es ganz genauso! Am Wochenende wird
blem ist: Das Wort „fakultativ“ wird von Studenten normalerweise gearbeitet.
oft als Signal für „Vergiss es!“ interpretiert. TETIANA SUPRUN: In Ruhe! [Lacht]
FLORIAN RINESCH: Du hast hier einen wichtigen OLHA KUCHMA: Ja, ja. [Lacht]
Punkt angesprochen zu dem wir später noch zurück- FLORIAN RINESCH: Ich muss sagen, dass Ga-
4 Im Fremdsprachenunterricht wird zwischen „Übung“ und „Auf- briela unseren Lehrstuhl ziemlich gut kennt. Die
gabe“ unterschieden. In „Übungen“ werden Wortschatz, Ausspra- Streuung der Antworten war freilich noch wesent-
che, grammatikalische Strukturen, etc. gezielt trainiert. „Aufga-
lich größer. Eine Lehrkraft war der Ansicht, dass
ben“ zielen hingegen auf authentisches Sprachhandeln ab: was in
den Übungen gelernt worden ist, muss in den Aufgaben kreativ „fleißige Studierende“ bis zu 35 Stunden pro Woche
und autonom zur Anwendung gebracht werden. Die Übung hat mit Hausaufgaben zubringen. Es gab aber auch eine
im Verhältnis zur Aufgabe also vorbereitenden Charakter. Anm. Lehrkraft, die der Ansicht war, der Arbeitsaufwand
d. Red.
5 „Binnendifferenzierung“ bedeutet, verschiedene Aspekte des betrüge ein bis zwei Stunden pro Woche… Die übri-
Lernprozesses innerhalb einer Lernendengruppe für einzelne Ler- gen Antworten lagen irgendwo dazwischen.
nende unterschiedlich zu gestalten. Anm. d. Red.
TETIANA SUPRUN: Da stellt sich schon die Frage, 9
wie es zu so unterschiedlichen Antworten kommen

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


kann.
DARYNA BORYNSKA: Vielleicht liegt es an der
Unterschiedlichkeit der Studenten selbst. Manche
nehmen die Hausaufgaben sehr ernst, andere geben
sich sehr wenig Mühe.
ALINA BOIEVA: Es hat wohl auch mit dem jewei-
ligen Fach zu tun. In manchen Fächern bekommen
wir nur sehr wenige Hausaufgaben, in anderen da-
für sehr viele.
FLORIAN RINESCH: Sie meinen, dass die Lehr-
kraft von ihrem eigenen Fach ausgeht und dann von Alina Boieva, Studentin der Germanistik und Translations-
wissenschaft (4. Studienjahr/KNU).
sich auf andere schließt?
ALINA BOIEVA: Ja, das wäre ein möglicher Grund.
TETIANA SUPRUN: Wir haben unsere Kollegin-
nen und Kollegen auch gefragt, wie zufrieden sie zung scheinen zusammenzupassen. Offensichtlich
mit den Hausaufgaben der Studierenden sind, und sehen Lehrer wie Studierende noch Luft nach oben.
zwar auf einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 5 ALINA FEOKTISTOVA: Na ja, wer geht schon un-
(sehr zufrieden). Was glauben Sie, welche Antwor- terrichten: das sind ehemalige Streber und Perfek-
ten wir erhalten haben? tionisten! Wir neigen eben dazu zu überfordern. Wir
ALINA BOIEVA: Ich würde sagen, dass die Note sind doch immer ein bisschen unzufrieden, egal wie
4 überwiegt. In meiner Gruppe sind überwiegend gut jemand ist.
fleißige Studenten. Es gibt natürlich auch welche, OLHA KUCHMA: Ich war mit meinen Studieren-
die nicht zum Unterricht kommen und auch keine den in der letzten Zeit recht zufrieden. Problema-
Hausaufgaben abgeben. Aber diese Leute sind bei tisch ist aber der Einsatz von Copy-and-paste. Auch
uns nur eine Minderheit. die Verwendung von Übersetzungsprogrammen ist
GABRIELA DANKO: Schwer zu sagen… Ich glau- kritisch zu sehen. Wobei man als Lehrer den Einsatz
be: 3. Es gibt wohl einige Leute, die sehr gute Haus- dieser beiden Verfahren recht leicht erkennen kann.
aufgaben abgeben. Andere wiederum machen zwar ALINA BOIEVA: Ich denke, viele Studenten, die
die Aufgaben, aber eben nicht sorgfältig, und wie- diese Methoden einsetzen, halten sich für sehr
der andere liefern gar nichts ab. Unter dem Schnitt schlau.
kommt dann wohl ein Dreier heraus. ALINA FEOKTISTOVA: Da kommen wir wie-
TETIANA SUPRUN: Daryna, Sie kennen zwar un- der zu der Frage, ob die Studenten eigentlich ver-
seren Lehrstuhl nicht, aber vielleicht möchten Sie stehen, wozu sie die Hausaufgaben machen. Wenn
auch einen Tipp abgeben? wir als Lehrer Hausaufgaben geben, dann wissen
DARYNA BORYNSKA: Ich schließe mich Gabriela wir wozu. Viele Studierende fragen mich – die An-
an und sage: 3. wesenden ausgenommen –: „Was muss ich für Sie
FLORIAN RINESCH: Also, die Umfrage hat fol- tun.“ Ich antworte dann immer, dass man für mich
gendes Ergebnis gebracht: 5 Punkte: 18%, 4 Punkte: als Lehrerin überhaupt nichts tun muss. Man macht
46%, 3 Punkte: 36%. Niedrigere Punktezahlen wur- die Aufgabe für sich selbst.
den von unseren Lehrkräften nicht vergeben. TETIANA SUPRUN: Es geht darum, selbststän-
TETIANA SUPRUN: Selbst- und Fremdeinschät- dig zu arbeiten. Manche Studenten glauben, dass
10 mit einer „Schülermentalität“ an eine Hausaufgabe
herangehen; das heißt, man erledigt die Arbeit ohne
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

großartig mitzudenken, damit sie eben erledigt ist.


So ein Verhalten kennen wir aus der Schule, wo man
viele Hausaufgaben in Fächern bekommt, die einen
vielleicht weniger interessieren. An der Universität
sollte es anders sein; schließlich hat man das Studi-
enfach selbst gewählt, man möchte ein Spezialist in
diesem Fach werden. Da verbietet sich so eine Ein-
stellung.
TETIANA SUPRUN: Ich habe den Eindruck, dass
manche Studierende glauben, nur eine fehlerfreie
Hausaufgabe sei eine gute Hausaufgabe. Das stimmt
Alina Feoktistova, Assistentin, unterrichtet Deutsch, Nieder-
ländisch und DaF-Fachdidaktik (KNU), Lehrerin am Goethe- aber nicht! Wichtig ist, dass man sich bei der Arbeit
Institut Ukraine. Gedanken gemacht hat. Ein Student, der seine Auf-
gabe reflektiert hat, kann erklären, wie er zu seiner
Lösung – sei sie fehlerhaft oder nicht – gekommen
eine fehlerhafte Aufgabe per se schlecht ist. Fehler ist. Ein Student, der nicht mitgedacht oder gar ab-
ist aber nicht gleich Fehler. Es ist ein Unterschied, geschrieben hat, kann das natürlich nicht. Man kann
ob Fehler aus Gedankenlosigkeit bzw. mangelnder im Übersetzungsunterricht übrigens durchaus Auf-
Sorgfalt passieren oder ob einem Fehler eine ge- gaben erteilen, die unter Einsatz eines Übersetzungs-
dankliche Überlegung vorangegangen ist. Aus sol- programmes erledigt werden. Die Übersetzungsvor-
chen Fehlern kann man lernen! Wenn ein Student schläge des Programmes müssen dann jedoch einer
eine Übersetzungsaufgabe unreflektiert mit Google kritischen Prüfung unterzogen werden.
Translate anfertigt, verschwendet er hingegen seine DARYNA BORYNSKA: Ich möchte etwas zu unse-
und meine Zeit… rem Punktesystem anmerken: Wenn Studierende
FLORIAN RINESCH: … und ruiniert obendrein wissen, dass jede Hausaufgabe mit einer bestimmten
seine Reputation am Lehrstuhl. Punkteanzahl belohnt wird, dann steht deren Erledi-
OLHA KUCHMA: Fehler sind menschlich und ge- gung im Vordergrund; nach dem Motto: Hauptsa-
hören zum Lernprozess. Mich ärgert aber, wenn che, die Aufgabe wurde irgendwie gemacht, damit
zwei Leute in einer kreativen Aufgabe denselben man nur ja keine Punkte verliert. Natürlich können
Fehler machen, denn dann ist klar, dass die Aufgabe die Punkte einen gewissen Anreiz darstellen, aber es
nicht selbstständig erledigt worden ist. wäre dennoch besser, Aufgaben als Trainingsmög-
ALINA FEOKTISTOVA: Daher ist die Auswertung lichkeit und nicht bloß alle Quelle von Punkten zu
der Hausaufgabe so wichtig. Die Aus– nicht die Be- betrachten. Ich wollte auch noch etwas zum Thema
wertung! Bei mir wird die Hausaufgabe prinzipiell gut gestellte/gut gemachte Hausaufgabe ergänzen:
nicht benotet. Wer die Hausaufgabe nicht gemacht Ich glaube, eine Aufgabe war dann effektiv, wenn
hat, kann sich an der Auswertung nicht beteiligen man später nicht immer wieder zum selben Thema
und damit auch nicht profitieren. zurückkehren muss.
FLORIAN RINESCH: Ich kann dem bisher Gesag- ALINA FEOKTISTOVA: Da fällt mir ein Satz mei-
ten nur beipflichten. Es geht letztlich um die Ein- ner Kommilitonin, Olha Soldationok, ein. Die hat
stellung. Mich stört es gewaltig, wenn Studierende immer gesagt: „Слова списком выучила, списком
сдала, списком забыла.“6 Wir mussten damals eine ALINA FEOKTISTOVA: Ich habe auch meine 11
Liste mit einhundert Englisch-Vokabeln auswendig Schwierigkeiten damit. Ich bewerte die Anwesen-

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


lernen – ohne Kontext! Das war natürlich ein metho- heit, die Teilnahme am Unterricht und die recht-
discher Wahnsinn, beschreibt aber ganz gut, wovon zeitige Abgabe der Hausaufgaben mit Punkten. Für
Daryna eben gesprochen hat – dieses listenweise die Studierenden hat das System den Vorteil, dass
Vergessen… es transparenter ist. Der Nachteil ist, dass sie damit
GABRIELA DANKO: Ich möchte Daryna zustim- leben müssen, für jeden ihrer Schritte benotet zu
men. Die Sache mit den Punkten ist ein Problem. Ich werden. Ich persönlich bevorzuge ein eher vages Be-
habe auch Folgendes beobachtet: Viele Leute, die notungssystem: Sehr gut, Gut, Befriedigend, usw.
an der KNU studieren, waren es von der Schule her FLORIAN RINESCH: Die Studierenden, die mich
gewohnt, immer die Besten zu sein. Wenn nun aber kennen, wissen, was ich von diesem System halte –
viele ehemalige Beste in einer Gruppe studieren, nämlich überhaupt nichts! Es schafft eine geradezu
wird es zwangsläufig immer Leute geben, die noch groteske Scheinobjektivität, produziert ein Denken,
besser sind als man selbst. Ich kenne Studierende, das die Note über alles stellt und zerstört den Raum
die stark darunter leiden nur mehr „gut“ zu sein. für geistigen Austausch. So lange wir natürlich fres-
Dieser seelische Schmerz führt dann dazu, dass die sen, was man uns vorsetzt, müssen wir uns in die-
Jagd nach Punkten eine immer größere Bedeutung sem System einrichten. Die Jagd der Studierenden
bekommt, weil man glaubt, den Selbstwert auf die- nach Punkten ist eine Realität. Als Lehrende müssen
sem Wege steigern zu können. Gleichzeitig werden wir darauf achten, dass die Bewertungskriterien klar
schwächere Studierende durch das Punktesystem sind: Bewerten wir die „Mühe“, wie Gabriela gesagt
oft demotiviert. Ich denke, die Mühe, die jemand hat? Oder bewerten wir nur das Resultat einer Ar-
aufgewendet hat, sollte bei der Bewertung stärker beit? Bewerten wir Selbstständigkeit und Kreativität
ins Gewicht fallen als das tatsächliche Ergebnis. der Gedankengänge? Oder begnügen wir uns damit,
FLORIAN RINESCH: Wie sehen die Lehrenden das echte und vermeintliche Fehler zu zählen? Ich bin
aktuelle Punktesystem? Teilen Sie die Kritik der Stu- nicht sicher, ob Studierende in allen Fällen Klarheit
dierenden? darüber haben, was den Lehrenden wichtig ist.
TETIANA SUPRUN: Alle hier anwesenden Lehrer DARYNA BORYNSKA: Das ist tatsächlich nicht
kannten ja noch das alte Notensystem mit der Skala immer klar.
von 1-5. Ich persönlich bin mit dem neuen Punkte- ALINA BOIEVA: Ja!
system – das wir allerdings bereits seit über zehn DARYNA BORYNSKA: Man kann das schön an
Jahren haben – sehr unzufrieden und ich habe auch den Chats in Telegram ablesen: Da wird oft darü-
noch nicht meinen Frieden mit ihm gemacht. Ich fin- ber diskutiert, wie ein Arbeitsauftrag zu verstehen
de es absurd, jede noch so kleine Einzelleistung von ist und wie die Arbeit bewertet wird. Es kann sehr
Studierenden mit Punkten bewerten zu müssen. Ich demotivierend sein, wenn man eine Arbeit wieder-
vermeide das auch. Gleichzeitig stelle ich fest, dass holen muss, weil vorher nicht klar war, worauf es
v.a. jüngere Studierende mit der Erwartungshal- ankommt. Der Zoom-Unterricht hat auch seine Pro-
tung an mich herantreten, für jede kleine Arbeit mit bleme mit sich gebracht. Es kam vor, dass Studieren-
Punkten benotet zu werden. de die Kameras ausgeschaltet ließen. Die Dozenten
hatten dadurch Schwierigkeiten, die Studenten am
6 Übersetzung aus dem Russischen: „Ich habe die Vokabelliste Semesterende richtig einzuschätzen. Studierende
erfolgreich gelernt, habe die Prüfung über die Vokabelliste er- müssen in solchen Situationen rechtzeitig reagieren
folgreich bestanden, habe die Vokabelliste erfolgreich vergessen.“
Anm. d. Red. und persönliche Verantwortung übernehmen.
12 Der andere Teil der Gruppe möchte aber lieber ein
leichtes Leben haben und drängt die anderen, Still-
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

schweigen zu bewahren. Solche Dinge kommen vor.


FLORIAN RINESCH: Wir kommen langsam zum
Ende unseres Gesprächs. Lassen Sie mich abschlie-
ßend fragen, welchen Wunsch Sie in puncto Haus-
aufgaben hätten.
ALINA FEOKTISTOVA: Ich wäre glücklich, wenn
Studenten auch mitmachen und mitdenken würden.
Leider muss ich aber immer wieder feststellen, dass
einige nicht mitmachen und mitdenken wollen. Ich
erwarte aber Impulse und Ideen! Stattdessen höre
ich dann Fragen wie: „Müssen wir diese Aufgabe
machen?“ oder „Müssen wir diese zwei Wörter auch
lernen?“
ALINA BOIEVA: Ich würde mir wünschen, häufi-
ger kreative Aufgaben machen zu können. Außer-
dem wünsche ich mir, dass sich die Lehrer immer
über den Zweck einer Hausaufgabe im Klaren sind.
Ein weiterer Wunsch wäre, dass nicht die ganze Un-
terrichtseinheit für die Korrektur der Hausaufgabe
verwendet wird. In unserem Englisch-Unterricht
war das leider oft der Fall. Obendrein haben wir dort
meistens nur die richtigen Lösungen, aber keine Er-
ALMA MATER BOLOGNIENSIS
klärungen erhalten.
FLORIAN RINESCH: Ja, das klingt so, als ob der
Kollege oder die Kollegin die Unterrichtsstunde
FLORIAN RINESCH: Ich möchte noch auf den nicht vorbereiten wollte…
Aspekt der Selbstverantwortlichkeit zu sprechen ALINA BOIEVA: Ja.
kommen. Alina Feoktistova hat vorhin den Begriff GABRIELA DANKO: Ich stimme Alina in allem zu.
„fakultativ“ in unser Gespräch eingeführt. Sie hat Eine volle Unterrichtseinheit Hausaufgaben zu kor-
gemeint, wenn eine Hausaufgabe fakultativ verge- rigieren hat, meiner Ansicht nach, wenig Sinn. Ich
ben wird, wenn es dem Studierenden also freigestellt würde auch gerne häufiger Hausaufgaben bekom-
wird, ob er die Hausaufgabe machen will oder nicht, men, bei denen man ein wenig kreativ sein muss.
wird meistens nichts gemacht. Anknüpfend an diese DARYNA BORYNSKA: Ich sehe es wie Alina und Ga-
Beobachtung, möchte ich die Studierenden fragen: briela. Ich wünsche mir, in manchen Nebenfächern öfter
Thematisieren Sie in Ihren Gruppen, welchen Zu- kreative Aufgaben zu bekommen.
gang Sie jeweils zu Ihrem Studium haben? Es gibt ja TETIANA SUPRUN: Mir geht es wie Alina Feoktis-
sehr unterschiedliche Typen von Studierenden: Der tova. Ich wünschte mir mehr Mit- und Zusammen-
eine übernimmt, im Sinne der Lernendenautonomie, arbeit und mehr Reflexion und Neugierde auf Seiten
selbst die Verantwortung für seinen Lernfortschritt. der Studierenden. Es wäre schön, wenn Lehrende
Der andere erfüllt mechanisch, was von ihm angeb- und Lernende gemeinsam etwas schaffen könnten,
lich verlangt wird. Wieder andere kreuzen so gut wenn sie stärker kooperieren könnten.
wie nie in den Lehrveranstaltungen auf. Sprechen FLORIAN RINESCH: Dem habe ich eigentlich nicht
Sie über diese Dinge? viel hinzuzufügen. Mir hat die alte Humboldt-Idee
DARYNA BORYNSKA: Ich meiner Gruppe ist von der „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernen-
das nicht der Fall. Eine Studierendengruppe sollte den“ immer sehr gut gefallen… Was die Hausauf-
eigentlich eine Gemeinschaft sein, aber bei uns fühlt gaben betrifft, wünsche ich mir vor allem Transpa-
sich das nicht so an. renz. Die Studierenden müssen wissen, welche Ziele
GABRIELA DANKO: Philosophisch grundsätzlich mit einer bestimmten Aufgabe oder Übung verfolgt
wird es nicht. Es werden eher Sachfragen bespro- werden; und wenn die Studierenden das Gefühl ha-
chen, die in der Gruppe geklärt werden müssen. ben, eine Hausaufgabe sei willkürlich ausgewählt
Da kann es intern schon zu Konflikten kommen. Es worden, so sollten sie dieses Gefühl auch angstfrei
kann zum Beispiel sein, dass sich ein Teil der Grup- gegenüber der Lehrkraft artikulieren können. Miss-
pe über die gestellten Arbeitsaufträge beschweren verständnisse über Sinn und Zweck einer Aufgabe
möchte, weil sie eine Unterforderung darstellen. oder einer Übung ließen sich so minimieren. In die-
sem Sinne scheint unsere Diskussion auf ein Fazit hi- wärest du ein Philosoph geblieben.“ Natürlich ist 13
nauszulaufen, das wir in der Ukraine meist am Ende dieses Nachfragen unangenehm, und gerade als

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


solcher Diskussionen ziehen: ein bisschen mehr Student traut man sich oft nicht, weil man immer
Kommunikation wäre gut! glaubt, die anderen wären weiß Gott wie schlauer
TETIANA SUPRUN: In der Tat. Als Daryna vor- als man selbst. Dabei ist es so wichtig, Fragen zu stel-
hin davon erzählte, wie im Chat darüber diskutiert len! Auch das gehört…
wird, wie eine Aufgabe eigentlich zu verstehen sei, TETIANA SUPRUN: … zum Lernprozess! Es ist
musste ich gleich an meine Dolmetscheinsätze bei aber eben auch unsere Verantwortung als Lehrer,
verschiedenen Trainings denken: Wenn ein auslän- einen Raum zu schaffen, in dem Studierende ohne
discher Trainer fragt, ob eine auszuführende Übung Angst Fragen stellen können.
verstanden worden sei, wird immer eifrig bejaht. GABRIELA DANKO: Eine Sache liegt mir noch am
Kaum sind dann die Leute in der Kleingruppe lautet Herzen: Ich würde mir wünschen, dass nicht immer
die erste Frage nahezu immer: „Was sollen wir ei- alle Aufgaben mit Punkten bewertet werden. Das
gentlich machen?“ Das sind alles erwachsene Leute, wollte ich noch gesagt haben.
die im Berufsleben stehen und für solche Trainings FLORIAN RINESCH: Diese Anregung nehmen wir
Geld bezahlen! Es scheint in uns drinnen zu sein, noch mit. Vielen herzlichen Dank an alle für dieses
dass wir unser Nichtverstehen ungern vor anderen Gespräch. ■
zugeben wollen.
DARYNA BORYNSKA: Man schämt sich wohl ein-
fach nachzufragen.
FLORIAN RINESCH: Das erinnert an den alten
Spruch von Boethius: „Hättest du geschwiegen,

Na, sind wir zufrieden,


Lehrer Lämpel?

Wie man’s nimmt…


14
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

Dominik Eisenmann

UNSER EISENMANN IN ODESSA


Interview. 2020 kam die Pandemie in die Ukraine. Es kam aber auch Dominik Eisenmann! Der Tiroler leitet
seit einem Jahr das OeAD-Büro in Odessa und betreibt unter erschwerten Bedingungen – siehe Beginn dieser
Lead-Zeile – rege wie wacker Projektarbeit. DIE BRÜCKE hat Dominik zu einem Gespräch gebeten.

DIE BRÜCKE: Herr Eisenmann, im September alles, was Teil meiner Funktion ist, unmittelbar
2020 haben Sie die Leitung des OeAD-Koopera- ausführen konnte. Als Beispiel sei hier die Ab-
tionsbüros in Odesa übernommen – mitten in der haltung von Präsenzveranstaltungen erwähnt,
COVID-19-Pandemie. Da ist es naheliegend zu aber auch das Networking bei Events. Dafür wa-
fragen: Wie war der Start? ren alle PartnerInnen, ExpertInnen und Projekt-
DOMINIK EISENMANN: Der Start war na- teilnehmerInnen sehr geduldig und flexibel was
türlich sehr fordernd und von permanenter Änderungen betraf – wir steckten ja alle in einer
Unsicherheit geprägt. Niemand wusste, wann ähnlichen Situation.
sich die Situation wieder beruhigen würde. Es DIE BRÜCKE: Was waren die bisherigen
dauerte zum Beispiel auch, bis ich den Großteil Schwerpunkte Ihrer Arbeit in der Ukraine?
unserer PartnerInnen und ProjektteilnehmerIn- DOMINIK EISENMANN: Neben der regel-
nen kennenlernen konnte und ein Gefühl für den mäßigen Beobachtung von Veränderungen und
Job bekam. Die Pandemie hat, meiner Meinung Entwicklungen im Bereich der Bildungsreformen
nach, die Einstiegs- bzw. Einarbeitungsphase in haben wir drei große thematische Schwerpunk-
die neuen Aufgaben verzögert, sodass ich nicht te gesetzt: Einerseits unterstützen wir den Auf-
bau und die Weiterentwicklung der inklusiven die Bildungssysteme osteuropäischer Länder – in 15
Schulbildung in der Oblast Odesa. Das heißt, wir meinem Fall der Ukraine – besser kennenzuler-
organisieren Fort- und Weiterbildungen im Rah- nen. Der Wissenstransfer findet beidseitig statt,

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


men von Seminaren zu inklusivem Unterricht, sodass beide Länder von dieser Kooperation pro-
inklusiver Schulkultur und neuen Ansätzen der fitieren.
Wissensvermittlung. Inklusion ist in der Ukraine DIE BRÜCKE: Hand aufs Herz: Kann man von
relativ neu, daher unterstützen wir mithilfe ös- echter Kooperation sprechen oder ist es ein ein-
terreichischer ExpertInnen unsere ukrainischen seitiger Wissenstransfer nach dem Motto: Der
PartnerInnen möglichst breit. Das zweite gro- reiche Onkel aus dem Westen erklärt, wie die
ße Projekt unterstützt Führungsteams an soge- Dinge zu laufen haben? Können Sie ein Beispiel
nannten Cluster-Schulen im Bereich von Leader- nennen, wo ukrainisches Know-how, ukraini-
ship-Kompetenzen. Hierbei werden Akademien sche Expertise von österreichischer Seite aufge-
für Lebenslanges Lernen und Schulen aus vier griffen worden wären?
verschiedenen Regionen der Ukraine mitein- DOMINIK EISENMANN: Es ist natürlich nicht
bezogen. Schlussendlich sind wir gerade dabei abzustreiten, dass die Ukraine ungleich mehr aus
ein neues Themengebiet zu erschließen: Künftig der Kooperation rausnimmt als Österreich. Es
werden wir uns mit der Digitalisierung der Lehre wird immerhin primär ukrainischen ExpertIn-
beschäftigen. nen ermöglicht, sich im Rahmen unserer Projekte
DIE BRÜCKE: Wer bestimmt eigentlich, welche an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu be-
Projekte gemacht werden und welche nicht? Auf teiligen. Die österreichische Seite profitiert inso-
welcher Grundlage werden diesbezügliche Ent- fern, als ein Blick von außen ermöglicht wird. Die
scheidungen getroffen? Schulsysteme unterscheiden sich ja doch nicht
DOMINIK EISENMANN: Zunächst werden unerheblich voneinander und wenn wir Exper-
Entwicklungen und angestrebte Bildungsrefor- tInnen aus Österreich nach Odesa schicken, um
men in der Ukraine beobachtet. Daraus können dort Seminare abzuhalten, kommt im Rahmen
sich bereits erste interessante Kooperationsberei- der Diskussion meist automatisch das Ablegen
che ergeben. Des Weiteren lote ich mit unseren der österreichischen Brille und das Betrachten
PartnerInnen vor Ort aus, welche Themen für sie eines Gegenstandes durch neue Gläser. Es gab
wichtig und notwendig sind. Das Projekt soll ja während meiner Zeit in Odesa schon einige sol-
ihnen in erster Linie einen nachhaltigen Mehr- cher Momente, zum Beispiel in der Inklusion,
wert bringen. Im Anschluss daran stimme ich wo eine Expertin dann konkret etwas für ihre
mit der OeAD-Zentrale in Wien die weitere Vor- wissenschaftliche Arbeit mitnehmen konnte.
gehensweise ab. Das sind, wie ich finde, die Momente, in denen
DIE BRÜCKE: Das klingt nach sehr viel Vorbe- man am klarsten erkennt, dass ein Mehrwert ge-
reitungsarbeit und aufwendiger Koordination. schaffen worden ist. Studienreisen sind natürlich
Da stellt sich eine Frage, die man von ukraini- noch prägender, da ukrainischen ExpertInnen
schen Studierenden öfters hört: Warum enga- die Gelegenheit geboten wird, sich an einer ös-
giert sich der OeAD eigentlich in der Ukraine? terreichischen Partnerinstitution anzusehen, wie
Direkter gefragt: Was hat Österreich davon? Bildungsprozesse organisiert sind. Durch das
DOMINIK EISENMANN: Zunächst muss man Hinterfragen tauchen plötzlich Fragestellungen
festhalten, dass jegliche Art von bilateraler Ko- auf, die vielleicht vorher auch noch nie so gestellt
operation sehr wichtig ist und das gegenseitige wurden, und mit denen man am Ende weiterar-
Verständnis fördert. Für die Ukraine trifft dies in- beiten kann. Ja, Bildungskooperationen sind ein
sofern zu, da sich das Land in den letzten Jahren sehr spannender Bereich, vor allem weil sich Er-
verstärkt an europäischen Bildungssystemen [ge- gebnisse nicht unbedingt einfach messen lassen,
meint sind Bildungssysteme in der EU, Anm. d. wie man dies aus anderen Bereichen unseres Le-
Red.] orientiert. Der OeAD (bzw. vormals Kultur- bens vielleicht gewohnt ist.
Kontakt Austria) führt seit Jahren im Auftrag des DIE BRÜCKE: Apropos Unterschiede: Projekt-
österreichischen Bildungsministeriums in Ost- management, Entscheidungsfindungen, Kom-
bzw. Südosteuropa Projekte im Bildungsbereich munikation laufen in der Ukraine oft ein wenig
durch. Mittels dieser Projekte werden Kontakte anders als in Österreich. Haben Sie diese Erfah-
geknüpft und Netzwerke aufgebaut, die auch rung in Ihrem Job gemacht oder hielten sich die
für österreichische Hochschulen wichtig sind. kulturellen Missverständnisse bisher in Grenzen?
Österreichischen ExpertInnen wird durch diese DOMINIK EISENMANN: Ja, natürlich kommt
Kooperation zum Beispiel ermöglicht, Seminare man in der Ukraine auf einem anderen Weg zum
und Vorträge in der Ukraine abzuhalten sowie Ziel. Das finde ich überaus spannend und manch-
16 mal herausfordernd zugleich. Wir sind dazu an-
gehalten, ständig unsere eigene, in Österreich er-
STECKBRIEF
lernte Denkweise zu hinterfragen, und eventuell
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

DOMINIK EISENMANN (*1991 in St. Johann


einen neuen Weg zu finden. Als Bildungsbeauf- in Tirol)
tragter steht man unweigerlich zwischen zwei
verschiedenen Zugängen zur Arbeitsorganisa- AUSBILDUNG:
tion und inhaltlichen Durchführung. Der Weg Besuch der Handelsakademie Kitz-
unterscheidet sich und vor allem wie man ihn be- bühel, Lehramtsstudium Italienisch
schreitet, aber das Ziel am Ende sollte dann doch und Russisch, Masterstudium Inter-
das gleiche sein. Bisher haben diese Unterschiede disziplinäre Osteuropastudien so-
zu keinen größeren Missverständnissen geführt. wie Masterstudium International
Das einzige, was ich persönlich feststellen muss- Relations.
te, ist, dass man in der Ukraine ungerne E-Mails
AUSLANDSERFAHRUNG: Studienaufenthalt
schreibt. Lieber greift man auf Messenger-Diens- in Rom (Italien), mehrmonatiger
te am Handy zurück, egal ob man mit Teilneh- Arbeitsaufenthalt in Sarajewo
merInnen kommuniziert oder mit MinisterIn- (Bosnien und Herzegowina), seit
nen. Ich persönlich schreibe hingegen sehr gerne September 2020 Bildungsbeauftrager
E-Mails und konnte am Anfang nicht verstehen, in Odesa.
warum ich selten eine Antwort bekam.
DIE BRÜCKE: Was waren die prägenden Erleb- HOBBYS: Reisen, Lesen, klassische
nisse in Ihrem ersten Jahr in der Ukraine? Musik, Wandern, Skifahren, Geschich-
DOMINIK EISENMANN: Na ja, leider hat die te, Internationale Politik und das
Pandemie sehr vieles überschattet und mir viele Äußerln von Promenadenmischung
Möglichkeiten genommen, prägende Erlebnisse Ollie.
zu sammeln. Persönlicher Kontakt fiel zum Bei-
spiel zu 95% aus. Die kürzlich erst stattgefundene
Feier zur Stadtgründung von Odesa war jedoch man mit Russisch als Lingua franca doch noch
sehr schön. Erstmals seit Beginn der Pandemie weit kommt. Vor allem in Odesa. Es ist jedoch
konnte ich an einem Großereignis teilnehmen. mein Wunsch, zukünftig mehr Ukrainisch zu ler-
DIE BRÜCKE: Sie sind, soweit wir wissen, sehr nen, sodass ich diese wunderbare Sprache nicht
sprachgewandt. Haben Sie sich auch mit der uk- nur passiv verstehe, wenn ich sie höre, sondern
rainischen Sprache vertraut gemacht? sie auch selbstständig anwenden kann.
DOMINIK EISENMANN: Звичайно! Ich habe DIE BRÜCKE: Können Sie unseren Leserinnen
schon einige Stunden Ukrainisch genommen und Lesern beschreiben, wie ein durchschnittli-
und lerne weiterhin fleißig. Leider kann man in cher Arbeitstag eines österreichischen Bildungs-
Odesa nur über Privatstunden Ukrainisch lernen. beauftragten in Odesa aussieht?
Kurse gibt es keine. Meine Ukrainischkenntnis- DOMINIK EISENMANN: Gerne! Seit diesem
se sind auch noch sehr rudimentär. Die tägliche Jahr starte ich sehr sportlich in den Tag. Ich gehe
Arbeit bestreite ich hauptsächlich mit Russisch, die ca. 5 km, die zwischen meiner Wohnung
da ich die Sprache einfach besser beherrsche und und dem Büro liegen regelmäßig zu Fuß. Dabei
durchquere ich die schöne Altstadt von Odesa 17
und versuche meinen Tag im Kopf vorab etwas

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


zu strukturieren. Im Büro angekommen stehen
zuerst meistens Recherchen zu aktuellen The-
men an. Einerseits beobachte ich die Regelungen
bzgl. der Pandemie, andererseits muss ich auch
darüber informiert sein, was in der Ukraine ge-
rade passiert, welche Diskussionen vor allem im
Bildungsbereich anstehen und welche Reformen
angestrebt werden. Dazu kommt der praktische
Teil: das Organisieren von Projekten und Ver-
anstaltungen, Beantworten von E-Mails (Kurz-
nachrichten am Diensthandy), Telefonieren mit Der Linguistenknödel expliziert:
PartnerInnen, manchmal gibt es auch Treffen mit „Die korrekte Umschrift von uk-
MinisterInnen in Kyiv, LeiterInnen von Bildungs- rainisch „Одеса“ lautet eigentlich
abteilungen, RektorInnen usw. An einigen Tagen „Odesa“. Da im deutschsprachigen
Raum jedoch die Schreibung „Odessa“
habe ich auch viele (Online-)Veranstaltungen,
verbreitet ist, und wir nicht wollen,
eigene Veranstaltungen, sowie jene von Partne-
dass man unsere Redaktion mangelnder
rInnen, an denen ich teilnehme, bzw. Veranstal- Orthographiekenntnisse zeiht, haben
tungen und Empfänge von offizieller Seite, zu wir zumindest in der Überschrift und
denen ich eingeladen werde. Netzwerken ist ein im Lead der konventionellen Schreib-
wichtiger Teil meiner Arbeit. An anderen Tagen weise den Vorzug gegeben. Die ukrai-
ist es hingegen ruhiger und ich kann mich mehr nischen Nationalisten bitten wir um
auf das Recherchieren und Planen konzentrieren: Nachsicht; die Schreibweise „Odessa“
Die Seminarunterlagen müssen von ExpertInnen entspricht nämlich der Translitera-
erstellt werden, dann übersetzt und bereitgestellt tion des russischen Namens der Stadt
werden, Dolmetscher gefunden und gebucht („Одесса“). Wie sagte einst der ös-
werden, sofern die Pandemie es zulässt, muss terreichische Bundeskanzler Fred Si-
nowatz (1929-2008)? – „Das alles ist
ich mich auch um die Reise und Betreuung der
sehr kompliziert…“. Wie gefällt Ih-
österreichischen ExpertInnen vor Ort kümmern.
nen übrigens mein Schottenrock? Das
Ende Juni und Ende Dezember beschäftige ich ist der Tartan des Clans der MacPher-
mich verstärkt mit der Buchhaltung, was mir sons!“]
auch sehr viel Spaß macht. Wie man sieht, kann
jeden Tag etwas Neues auf mich warten und ge-
nau diese Abwechslung macht mir Spaß. DOMINIK EISENMANN: Eine wirklich schwie-
DIE BRÜCKE: Schreiben Sie den Namen Ihres rige Frage, deren Beantwortung nie alle zufrie-
Tätigkeitsortes eigentlich politisch korrekt mit denstellen wird. Ich muss sagen, dass ich bis jetzt
einem s („Odesa“ statt „Odessa“) oder würde noch keine einheitliche Linie gefunden habe. Ich
man Sie dann in Wien mangelnder Rechtschreib- passe mich sehr oft an mein Gegenüber an. Auf
kenntnisse bezichtigen? meinem Instagram-Account schreibe ich manch-
18 mal sogar „Odes(s)a“. Wenn ich Freunden von Eine Freundin erfand die passende Beschreibung
meinem Handy aus schreibe, wird unweiger- „beauty in the breakdown”, also Schönheit im
lich aus „Odesa“ „Odessa“, da die Autokorrek- Verfall. Ich finde diese Zuschreibung sehr zutref-
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

tur hier klüger sein will als der Autor der SMS. fend für einige historische Bauten im Zentrum,
Unser Kooperationsbüro heißt offiziell auch Ko- die eine wunderschöne Substanz haben, aber lei-
operationsbüro Odessa und es scheint sich inter- der Gottes am Verfallen sind. Alles in allem, eine
national auch Odessa eingebürgert zu haben. sehr schöne Stadt in der es sich gut leben lässt.
In Wien könnte es durchaus sein, dass jemand DIE BRÜCKE: Wie lange planen Sie in der Uk-
denkt, ich könne kein Deutsch mehr, wenn ich raine zu bleiben?
Odesa schreiben würde. DOMINIK EISENMANN: Laut aktuellem Ver-
DIE BRÜCKE: Bleiben wir noch bei Odesa: Was trag kann ich bis zu fünf Jahre hier bleiben. Ein
sind Ihre Eindrücke von der Perle am Schwarzen Jahr ist bereits vorbei und teilweise der Pandemie
Meer? zum Opfer gefallen. Ich gehe also davon aus, dass
DOMINIK EISENMANN: Ich habe durchwegs ich noch länger in Odesa bleiben werde. Mir ge-
postive Eindrücke gesammelt. Es dauerte an- fallen meine aktuellen Aufgaben und vor allem,
fangs zwar, bis ich mit der Stadt „warm wurde”, dass ich im Bildungsbereich und gleichzeitig im
und der Winter in Odesa gefiel mir nicht so gut, Ausland arbeiten kann. Ich mag die Ukraine sehr
da alles trüb, feucht und dunkel war. Die Stra- und könnte mir dadurch auch vorstellen, nach
ßen waren auch recht leer. Aber von April an dem aktuellen Posten in Odesa noch im Land zu
ging es bergauf und ich empfand das Flair hier bleiben, aber dann eher in Kyiv. Diese Stadt faszi-
als ziemlich cool. Die Stadt an sich ist sehr schön, niert mich seit ich das erste Mal dort war.
das Zentrum nicht zu groß und übersichtlich. DIE BRÜCKE: Vielen Dank für das Interview. ■

Die Interview-Fragen wurden von der Redaktion der BRÜCKE kollektiv erarbeitet und von Tetiana Suprun, unserer
Frau in Havanna, per Google Docs übermittelt. Die Antworten von Herrn Eisenmann wurden von seiner Arbeitgeberin
gegendert und genehmigt, worüber wir sehr dankbar sind. Wenn Sie mehr über die Arbeit des OeAD-Kooperationsbürs
Odesa erfahren möchten, scannen Sie den QR-Code.
19

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


Hildegard Kainzbauer

„DIE STUDIERENDEN SIND SELBSTSICHERER GEWORDEN“


Gespräch. Zehn Jahre lang war Hildegard Kainzbauer als OeAD-Lektorin an der LNU in Lemberg tätig. Im
August 2021 nahm sie endgültig Abschied von ihrer Wirkungsstätte in der Ukraine, womit auch die Leitung
der Lemberger BRÜCKE-Redaktion in andere Hände überging. Ich habe Hilla, wie Frau Kainzbauer gemein-
hin genannt wird, im Sommer dieses Jahres zu einem Gespräch gebeten. Wir wollten ein wenig Bilanz ziehen
über das Leben in der Ukraine, die Arbeit an der Universität, und – natürlich – über unseren gemeinsamen
publizistischen Bastard, den Sie eben in Händen halten.

FLORIAN RINESCH: Hilla, im Sommer endet deine enorm entwickelt und das Leben hier hat sich ganz
zweite Amtszeit als Lemberger OeAD-Lektorin. Wenn schön verändert. Die Stadt wächst unaufhörlich, es
du deinen bevorstehenden zweiten Abschied 2021 mit wird gebaut und renoviert, es kommen immer mehr
jenem von 2010 vergleichst – fühlt es sich heute anders Touristen, der Wohlstand wächst und die Menschen
an als damals? pflegen einen europäischeren Lebensstil. Ich habe des-
HILLA KAINZBAUER: Auf jeden Fall. Einmal ist halb weniger das Gefühl aus dem „Osten“ nach Hause
meine persönliche Situation eine andere. Ich habe zu kommen als einfach nur den Wohnort zu wechseln.
mittlerweile Familie und deshalb muss ich viel mehr FLORIAN RINESCH: Du erlaubst, dass ich nach-
planen. Meine erste Rückkehr nach Österreich war da- frage: Was verstehst du unter einem „europäischeren
gegen mehr eine Rückkehr ins Blaue hinein. Außer- Lebensstil“?
dem ist die Stadt, die ich jetzt verlasse, eine andere HILLA KAINZBAUER: Als ich 2005 das erste Mal
als damals. Gerade Lemberg hat sich mit den Jahren nach Lemberg gekommen bin, waren die Straßen
20 noch relativ leer. Heute gibt es im Stadtzentrum auf FLORIAN RINESCH: Wie hat sich deine Universi-
Schritt und Tritt Cafés gefüllt mit Menschen, Restau- tät, die LNU, in den letzten fünfzehn Jahren verän-
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

rants mit Spezialitäten aus aller Welt und Schani- dert?


gärten – man sitzt nicht im Lokal, sondern auf der HILLA KAINZBAUER: Universitäten sind ja grund-
Straße. Das habe ich seinerzeit vergeblich gesucht. sätzlich eher strukturkonservativ. Aber die Sprachen
Auch der Kleidungsstil der Menschen hat sich ge- — und besonders die deutsche Sprache — haben an
ändert. Man könnte jetzt natürlich sagen: Kleidung der LNU eine sehr starke Basis und sind äußerst le-
ist immer der Mode unterworfen, aber mir scheint, bendig. 2008 wurde neben dem Lehrstuhl für Ger-
dass sich der Kleidungsstil hier kaum mehr von dem manistik ein eigener für Translationswissenschaft
in anderen europäischen Großstädten unterscheidet. gegründet. Das war eine wichtige Veränderung,
Früher konnte man auf der Straße relativ schnell auf- weil das OeAD-Lektorat dort angesiedelt ist, und
grund des Aussehens erkennen, ob die Person ein weil Deutsch dadurch noch attraktiver geworden ist.
Tourist oder ein „Mistsevyi“, ein Einheimischer ist. Langsam zeichnet sich auch ein Generationenwech-
Heute erkenne ich die Touristen nur mehr an der sel ab: Jüngere Assistenten, Dozenten und Professo-
Sprache. Apropos Sprache, es gibt mittlerweile viel ren rücken nach und beginnen die Universität mit-
mehr Menschen, die Englisch sprechen und die einen zugestalten. Seit letztem Jahr haben wir einen neuen
selbstverständlich auf Englisch ansprechen, wenn sie Dekan für Fremdsprachen, Liubomyr Borakovskyi.
merken, dass man von woanders kommt. Auch vie- Er hat in Wien promoviert und gehört zur neuen
le Straßenschilder und Wegweiser sind transkribiert Generation, die international unterwegs ist. Am be-
bzw. auf Englisch angeschrieben; die Ansagen in den deutsamsten ist aber vielleicht, dass sich die Studie-
öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es auch auf Eng- renden verändert haben. Sie sind selbstsicherer ge-
lisch. worden. Sie trauen sich öfter, ihre Meinung zu sagen
FLORIAN RINESCH: Das war vor fünfzehn Jahren und lassen sich weniger gefallen.
in der Tat keine Selbstverständlichkeit, selbst in der FLORIAN RINESCH: Geht mit der wachsenden
Hauptstadt nicht. Selbstsicherheit auch wachsendes Anspruchsdenken
HILLA KAINZBAUER: Und der Autoverkehr hat einher? Nach dem Motto: Ich zahle für das Studium,
extrem zugenommen. Die schönen alten Straßen also will ich auch etwas geboten bekommen? Wie im
Lembergs sind inzwischen an die Grenzen ihrer Ka- Zirkus?
pazität gekommen. Mir scheint, dass so langsam der HILLA KAINZBAUER: Ja, durchaus. Sie sind der
Kontrast zu anderen, westeuropäischen, Städten ver- Meinung, dass ihnen ein qualitativ hochwertiger
schwindet. Vielleicht sind diese Veränderungen aber Unterricht zusteht – und das ist ja auch nicht falsch.
auch, zumindest teilweise, eine Folge der Globali- Die zahlenden Studierenden, also die, die kein staat-
sierung, die schleichend unsere Alltagskultur ver- liches Stipendium bekommen, sind sicher eine trei-
ändert. bende Kraft dabei, aber nicht die einzige. Und wie
FLORIAN RINESCH: Wachsende Austauschbarkeit gesagt, ich halte das für keine schlechte Entwicklung.
als Preis des sogenannten Fortschritts? Wir Lehrenden müssen uns halt den neuen Ansprü-
HILLA KAINZBAUER: Ja. Und aus dem roman- chen stellen und darauf reagieren. Aber das ist ja das
tisch-verklärten Blickwinkel einer Fremden bedaue- Schöne an dem Beruf – dass man immer wieder neu
re ich das, als Bewohnerin der Stadt sehe ich durch- gefordert wird und immer wieder Neues ausprobie-
aus Vorteile für den Alltag. ren kann. Abgesehen davon ist man im Lehrberuf
doch Kritik gewohnt und weiß, dass man es nie im- 21
mer allen recht machen kann.

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


FLORIAN RINESCH: Fragt sich nur, ob Student
und Lehrkraft unter „qualitativ hochwertigem Un-
terricht“ dasselbe verstehen. Ich habe das Bild mit
dem Zirkus sehr bewusst gewählt: Manche Studie-
rende erwarten von ihren Lehrern, der Unterricht
möge unter keinen Umständen langweilig sein, als
wäre die Abwesenheit von individuell empfunde-
ner Langeweile schon ein Garant für Qualität. Auch
wenn ich in meinem Unterricht damit kein Problem
habe, scheint mir das doch eine passive Konsumen-
ten-Haltung zu sein. Auf Universitätsebene muss ich
– anders als in der Schule – von jungen Menschen er-
warten können, dass sie das Feuer für ihr Fach auch
aktiv aus sich selbst generieren. Ich sehe diese Ent-
wicklung hin zu einer „Entertain-me-Attitüde“ mit
gewisser Sorge – nicht nur in der Ukraine.
HILLA KAINZBAUER: Von Zirkus verstehe ich
nichts, ich habe keinen Bezug dazu und er ist mir
nicht sonderlich sympathisch, also lassen wir das.
Aber die Metapher des Feuers nehme ich gerne auf.
Natürlich sollten die Studierenden Begeisterung für
ihr Fach verspüren, für es brennen, aber wie man in
Wien so schön sagt: Von nix kommt nix. Als Lehren-
de ist es doch auch meine Aufgabe, sie anzuzünden,
meine Begeisterung weiterzugeben, sodass sie sich
im Idealfall potenziert. Natürlich klappt das nicht
immer. Schwierig ist es oft mit jungen Menschen,
die Deutsch studieren, weil die Eltern das so gewollt
haben. Das ist eine schwache Motivation. Und man
kommt manchmal zu dem Punkt, wo man sie fragen
muss, ob sie wirklich weiter studieren oder doch bes-
ser etwas anderes machen wollen.
FLORIAN RINESCH: Anzünden hin oder her – ei-
nigen wir uns darauf, dass für einen erfolgreichen
Lehr- und Lernprozess das Engagement aller Betei-
ligten unabdinbar ist. Kommen wir zu deinen Meri-
ten als OeAD-Lektorin: Welche Projekte der letzten
Jahre liegen dir besonders am Herzen?
HILLA KAINZBAUER: Die BRÜCKE natürlich! Ich
finde, sie ist einfach ein großartiges Projekt. Sie ver-
bindet Menschen aus verschiedenen Städten, von
verschiedenen Unis und darüber hinaus und schafft
es, extrem heterogene Themen und unterschiedlichs-
te Sprachniveaus in einer Zeitschrift zu vereinen –
und das seit bald 17 Jahren. Sehr geschätzt habe ich
aber auch die Publikationsprojekte des Lehrstuhls,
wo ich mit großartigen Kollegen – großartigen Über-
setzern – zusammenarbeiten durfte. Gemeinsam an
Texten zu „schrauben“, Formulierungen zu hinter-
fragen und zu diskutieren, kann eine wunderbare
Aufgabe sein und lässt einen mehr über Sprache
und Denken erfahren, als alles andere. Besonders
eingeprägt haben sich bei mir die Texte der Antho-
logie „Schwester, leg die Flügel an!“ – weil in diesen
22 Texten so viel Dramatisches und gleichzeitig allzu die eine oder andere Szene, wie dieser Text entstan-
Menschliches steckt. den ist. Aber ich fände es unfair, einen bestimmten
FLORIAN RINESCH: Was war für dich die größ-
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

hervorzuheben, weil das immer auch als Klassifikati-


te Herausforderung als BRÜCKE-Redaktionsleite- on verstanden wird: bestes Thema, bester Text, beste
rin? Für mich waren und sind es das fortwährende Studentin oder bester Student. Das möchte ich nicht.
Team-Building und der Korrekturprozess. Du sagst ja selbst immer, die BRÜCKE soll ein Raum
HILLA KAINZBAUER: Das Korrigieren ist vermut- zum Ausprobieren sein, ein „Spielplatz“ – da hat der
lich die größte Geißel für alle, die unterrichten. Und Gedanke an Noten, auch wenn es nur ein weit ent-
je länger man unterrichtet, desto anstrengender wird fernter Gedanke ist, nichts verloren.
es. Aber in den letzten Jahren, unter der Ägide Ri- FLORIAN RINESCH: Es gibt eine Frage, die meine
nesch, ist die Letztkorrektur ausschließlich in Kyiv Studierenden mit besonderer Vorliebe an Ausländer
gemacht worden. Also du hast dir bei den Texten richten, und sie würden es mir nicht verzeihen, wenn
das letzte Wort vorbehalten und wir, Fabio und ich, ich sie an dieser Stelle ungestellt ließe: Was gefällt
mussten mit dir streiten… [Lacht] bzw. missfällt dir an der Ukraine?
FLORIAN RINESCH: Ach, so war das also! [Lacht] HILLA KAINZBAUER: Mir gefällt, dass vieles nicht
HILLA KAINZBAUER: Nein, im Ernst: Du hast so streng vorgegeben, also eher unreguliert ist. Das
uns gezwungen, genauer zu sein und insgesamt das kann zwar im Alltag manchmal nerven, aber es
Niveau der Zeitung höhergeschraubt. Mir hat deine macht das Leben lebendig.
Letztkorrektur eine Menge Druck rausgenommen FLORIAN RINESCH: Das kann ich nur aus vollem
und dir noch mehr Arbeit beschert. Schwierig für Herzen unterschreiben. Lass uns in die Zukunft bli-
mich war einerseits, Studierende zum Schreiben zu cken: Welche neuen Aufgaben warten nun auf dich?
bringen — Deutsch ist für alle eine Fremdsprache HILLA KAINZBAUER: Ich werde zurück nach
und die Mitarbeit ist komplett freiwillig, bringt — Wien gehen und dort an einer AHS unterrichten, in
anders als in Kyiv — keine ECTS-Punkte — ande- der Bernoullistraße. Natürlich ist es sehr schade für
rerseits, Leute mit extrem unterschiedlichen Sprach- mich, der Uni Lemberg den Rücken zu kehren, aber
niveaus und Schreibfähigkeiten dazu zu bringen, ich freue mich schon darauf, wieder mit jüngeren
Texte auf einem annähernd ähnlich guten Niveau zu Schülern zu arbeiten und wieder in der Heimat zu
schreiben, ohne dass sie sich dabei an fremden Tex- sein.
ten orientieren. Und trotzdem haben sich jedes Se- FLORIAN RINESCH: Dafür wünschen wir dir na-
mester wieder großartige Autoren und Autorinnen türlich alles erdenklich Gute! Darüber hinaus bleibt
gefunden. Ich bin sehr stolz darauf, was die „Lem- mir nur, dir für dein Engagement als Leiterin der
berger“ geleistet haben. Lemberger BRÜCKE-Redaktion zu danken. Ich hof-
FLORIAN RINESCH: Gibt es eine Leistung deiner fe, dass du unserem Projekt auch in Zukunft in der
Jungjournalistinnen aus den letzten Jahren, die du einen oder anderen Form verbunden bleibst.
besonders hervorheben möchtest? HILLA KAINZBAUER: Auf jeden Fall!
HILLA KAINZBAUER: Das ist schwierig. Wenn ich FLORIAN RINESCH: Vielen Dank für das Ge-
nachdenke, fallen mir sofort eine Menge Texte ein, spräch. ■
dazu die Gesichter der Autorinnen und Autoren und

Fratellino 2: „He, die Tante hat


etwas gegen den Zirkus!“

Fratellino 3: „Ja, die Tante hat et-


was gegen den Zirkus!“

Fratellino 1: „Und der Onkel ist


überhaupt irgendwie komisch.
So ein reaktionärer Depp!“
23

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


„SEIN LÄCHELN WIRD FEHLEN“
IN MEMORIAM IVAN VASYLIOVYCH SOIKO
Am 07. Februar 2021 erlag unser ehemaliger Lehrstuhlleiter, Ivan V. Soiko (73), seiner COVID-19-Erkran-
kung. Die traurige Meldung erreichte meine Redaktion und mich kurz vor Redaktionsschluss der Früh-
jahrsausgabe unserer Zeitschrift und konnte demzufolge nicht mehr im Blatt berücksichtigt werden. Mit
dem Abstand eines halben Jahres blicken wir nun zurück. DIE BRÜCKE hat in den vergangenen Monaten
Weggefährten Ivan Vasyliovychs gebeten, kurze Texte zu verfassen, mit denen des Verstorbenen an dieser
Stelle gedacht werden soll.
Zu Wort kommen: Oleksandr Shcherba (Botschafter der Ukraine in Österreich (2014-2021) und ehe-
maliger Student Ivan Vasyliovychs), Daryna Melashenko (Journalistin und ehemalige Studentin des Ver-
storbenen), Volodymyr Shelest (Dolmetscher und Übersetzer an der Deutschen Botschaft in Kyiv und
einstiger Kommilitone Ivan Vasyiliovychs), Ihor Tylyk (Dozent an der Nationalen Universität für Kultur
und Kunst Kyiv, Chorleiter und Sangesbruder des Verstorbenen).
Erlauben Sie mir noch ein paar persönliche Worte: Als ich vor knapp fünfzehn Jahren meinen Dienst an
der KNU antrat, war Herr Soiko die zweite Lehrperson unserer Universität, die ich kennenlernen durfte.
Die erste war Oleksandr F. Ivanov, in dessen Büro ich Ivan Vasyliovych zufällig begegnete. Die beiden
Männer haben mir in ihrer gütigen, zurückgenommenen Art jenen positiven ersten Eindruck vermittelt,
der so wichtig ist, wenn man eine neue Stelle antritt, zumal in einem fremden Land. Ich habe meinen Ein-
druck nie revidieren müssen. Während ich diese Zeilen schreibe, klingt mir Ivan Vasyliovychs herzliches
„Вітаю“ in den Ohren, das er mir nach jedem Österreich-Aufenthalt mit seiner unverwechselbaren Stimme
entgegenrief, stets die Hand zum Gruß ausgestreckt. Und während ich „вітаю“ schreibe, erinnere ich mich
an die siebente von mir betreute BRÜCKE-Ausgabe, auf deren Titelblatt ich bei dem Wort „скільки“ die
Buchstaben і und и verwechselte. Ivan Vasyliovych hat mich damals freundlich auf den Fehler hingewiesen.
Ich hoffe, Ivan Vasyliovych, dass ich es diesmal richtig gemacht habe.
Florian Rinesch
24 Oleksandr Shcherba (Botschafter der Ukraine in Österreich, 2014-2021)
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

Ivan Vasyliovych Soiko unterrichte bei mir und bei meiner Frau deutsche Philologie. Er brachte
uns bei, die Sprache zu sprechen und sie zu lieben. Durch ihn habe ich eine einfache Wahrheit be-
griffen: Man kann in einem Beruf nur dann eine gewisse Höhe erreichen, wenn man ihn mit Liebe
angeht. Ivan Soiko hatte diese Liebe – zur Sprache, die er unterrichtete, und zu den Studenten, die
ihm anvertraut waren. Das erste, was mir einfällt, wenn ich an ihn denke, ist sein Lächeln. Wenn
er etwas erklärte, ob beruflich oder privat, dann lächelte er. Diese positive Einstellung dem Leben
und den Menschen gegenüber war sein Markenzeichen. Ganz gewiss gab es Situationen, in denen
er verärgert oder schlicht traurig war – aber so habe ich ihn in all den Jahren an der Universität
nicht erlebt, wie wahrscheinlich die meisten seiner Studenten nicht. Für uns war er immer ein
Lehrer im umfassendsten Sinne, also jemand, der stets liebevoll, aufmerksam und geduldig war.
Nach meiner Studienzeit hatte ich leider nicht viel Kontakt mit ihm. Es gab aber eine Situation, die
mir fest in Erinnerung geblieben ist: Es war Ende der Neunziger, fünf, sechs Jahre nach meinem
Abschluss. Ich war ein junger Diplomat in Bonn, damals Bundeshauptstadt der BRD. Ivan Vasy-
liovych dolmetsche simultan bei einer politischen Konferenz. Ich wohnte seinem Tun aufmerksam
bei und konnte nur staunen, wie leicht er diese Heidenarbeit erscheinen ließ. Dann bat ich ihn,
für eine halbe Stunde einspringen zu dürfen, um meine Fähigkeiten im Simultandolmetschen zu
erproben. Nach dieser halben Stunde war ich fix und fertig. Ivan Vasiliovych war die ganze Zeit
in der Nähe. Am Ende hatte er ein paar ermunternde Worte für mich parat und, natürlich, sein
zärtliches Lächeln. Wie er als Simultandolmetscher stundenlang ausharren konnte, ohne müde
zu werden und Fehler zu machen, ist mir jetzt noch unbegreiflich. Es war ein Segen für mich und
Yaroslava, Ivan Vasyliovych Soiko zu kennen und von ihm zu lernen. Man nennt solche Menschen
„Salz der Erde“. Tausende seiner Studenten und auch wir werden ihn in wärmster Erinnerung be-
halten. Sein Lächeln wird fehlen.

Daryna Melashenko (Journalistin)

Іван Васильович Сойко знав і відчував мови і людей. Був, що називається, тихою силою,
скромним генієм. Такі люди – велика рідкість. Дружив з музикою і природою, поезій не
писав, але жив поетично і по-справжньому. Любив несподівано утнути жарт на парі. Зі
студентами спілкувався як з рівними. Розумів життя як мистецтво – в тонкощах і простоті.
Майстерно навчав і щиро окриляв. Дякуємо, Іване Васильовичу. Тепер – ми.

Volodymyr Shelest (Ehem. stellvertr. Leiter des Sprachendienstes der Deutschen Botschaft in Kyiv)

Man versteht, etwas zu schätzen, erst, wenn man es verloren hat. Diese Behauptung bestätigt sich
umso mehr, wenn man einen geschätzten Menschen verliert. So ergeht es mir mit dem Verlust von
Vania Soiko. Ich hatte die Ehre, ihn als meinen Kollegen und Freund so zu nennen.
Ich habe ihn in Leipzig im Jahr 1975 kennengelernt, als ich Student an der Karl-Marx-Universität
war und er als Forschungsstudent kam, um an seiner Doktorarbeit zu schreiben. Uns hat sofort
vieles verbunden: unsere erste Kyiver Alma mater, gemeinsame Dozenten und Professoren dort
und in Leipzig, unser reges studentisches Leben im Wohnheim in der Straße des 18. Oktober. Es
waren viele nette und unterhaltsame Gespräche am Abend, viele Studentenfeten und Faschings-
feiern, Ausflüge und Subbotniks, die damals noch so üblich waren. Das hat uns einander sehr
nahegebracht, ja verbrüdert.
Als ich 1977 nach meinem Abschluss in Leipzig Ausschau nach einer Arbeit in Kyiv hielt, war
es Vania Soiko, der mich als Lektor beim großen Belletristikverlag Dnipro empfahl. Auch da ging
unsere Zusammenarbeit weiter: Vania gehörte zu den wenigen Übersetzern ukrainischer Literatur 25
ins Deutsche, von dem unser Verlag, ich als Lektor, und die deutschen Leser profitieren konnten.

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


An den Büchern, vor allem Kinderbüchern, die aus seiner Hand stammten, amüsierten sich viele
Leser in der damaligen DDR, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich.
Auch die sozusagen „ernsthafte“ Literatur aus dem Deutschen übersetzte Ivan Soiko mit großem
Erfolg ins Ukrainische. Und all das in seiner Freizeit, denn er widmete den meisten Teil seines
Lebens dem Hochschulunterricht, wo er sich als Dozent einer besonderen Beliebtheit unter Stu-
dentinnen und Studenten erfreute. Er bildete in seinen fast fünfzig Arbeitsjahren Hunderte von
Germanisten und Dolmetschern aus. Außerdem war er für viele ein aufmerksamer, hilfsbereiter
und gestrenger Doktorvater. Auch als Konferenzdolmetscher, sowohl konsekutiv, aber vor allem
simultan, war er vielen Studenten und Kollegen ein Vorbild. Immer sehr gut organisiert, belesen
und sachkundig – es war für mich immer ein großer Spaß, mit ihm die Dolmetscherkabine zu tei-
len und ihm beim Dolmetschen zuzuhören. Als sich 1992 die Deutsche Botschaft in Kyiv etabliert
hatte, engagierte man ihn als Dolmetscher für zahlreiche Konferenzen, Delegationen und Besuche
hoher Politiker. Und der Erfolg dieser Veranstaltungen war im Wesentlichen seinem translatori-
schen Können zu verdanken.
Vania war als Fachmann sehr vielseitig. Er erwies sich als begabter Germanist und Terminologie-
kenner – ein Beweis dafür ist das Deutsch-Ukrainisch-Russische kommentierte Wörterbuch zum
Verwaltungsrecht, verfasst in Kooperation mit Dr. Bernhard Schloer.
Nicht zu vergessen ist auch die unermüdliche ehrenamtliche Tätigkeit von Ivan Soiko im Interes-
se der Zusammenarbeit zwischen der Taras-Shevchenko-Uni Kyiv und den Universitäten Leipzig
und Konstanz, woraus viele freundschaftliche Beziehungen zu deutschen Akademikern entstan-
den sind. Man schätzte ihn als bescheidenen, freundlichen und kompetenten Kollegen und Freund
in der Ukraine und im Ausland.
Auch als Privatperson war Vania begabt. Zusammen mit seiner Frau Natalia, die er übrigens im
Studentenchor der Uni Kyiv kennengelernt hatte, sang er über als 50 Jahre lang in diesem angese-
henen Ensemble. Das Singen war für ihn eine zweite Natur. Bei jeder gemeinsamen Feier stimmte
er ein ukrainisches Volkslied an. Und auch das wird mir fehlen.
Für seine großen Verdienste als Germanist und Deutsch-Hochschullehrer, Dolmetscher und
Übersetzer, Vermittler der deutschen Sprache und Kultur und vielseitiger Multiplikator wurde
Dr. Ivan Soiko mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Für mich bleibt er unvergesslich. Ehre seinem Gedenken!

Ihor V. Tylyk (Kunsthistoriker, Chorleiter der Ensembles Dnipro)

Нечасто зустрічаються в нашім житті особистості, від спілкування з якими на душі стає тепло
й затишно, неначе від них струмує якесь незриме сердечне сяйво. Таких людей сприймаєш
як рідних, знаходячи у бесідах з ними і розраду й дружню пораду і втіху. Одним із них,
безперечно, був Іван Васильович Сойко, який нещодавно, на превеликий жаль, передчасно
відійшов у вічність…
Ніби як зараз, до найменших деталей пригадую першу з ним зустріч. Журавлиним клином
відлітав у зимовий вирій далекий вже від нас 1984 рік. У великій актовій залі Київського, на
той час ще Державного, університету ім. Т. Шевченка відбувався грандіозний концерт із
нагоди урочистого святкування 150-річного ювілею. На сцені величезний об’єднаний хор,
що складався зі студентів та колишніх випускників, аспірантів, професорів, очолюваний
багаторічним керівником студентської капели «Дніпро» Іваном Якимовичем Павленком.
Звучали незабутні твори М. Лисенка, М. Леонтовича, О. Кошиця, К. Стеценка, П.
Чайковського, С. Танєєва.
Саме тоді я, ще зовсім юний 15-річний хлопчина, вперше з головою поринув у казкову
стихію хорового співу і закохався у цей чарівний світ на все життя. Тоді ж я познайомився і з
багатьма учасниками університетського хору, в якому колись у студентські роки співала моя
26 мама, і до якого згодом долучився я, а трохи пізніше й мій тато - професійний композитор.
Серед тих, хто увійшов у той знаменний день до мого життя був і Іван Васильович Сойко
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

– напрочуд інтелігентна і скромна людина зі світлосяйним тембром і чарівною усмішкою,


яка, здається, ніколи не згасала на його обличчі. Вже згодом, частіше спілкуючись з
університетським хоровим товариством, я дізнався, що Іван Васильович, якого я знав по
хору лише як прекрасного тенора, – видатний перекладач, чудовий педагог і науковець,
котрий здобув науковий ступінь у Лейпцизькому університеті, а пізніше впродовж багатьох
років очолював кафедру германської філології у рідній Alma Mater.
Мені пощастило кілька разів бути свідком перекладацької діяльності І. В. Сойка, і щораз
я був вражений його фаховою ерудицією і відповідальністю. Для мене, як людини, що,
до певної міри, володіє на побутовому рівні німецькою мовою це було напрочуд цікаво і
пізнавально. Коли Іван Васильович здійснював синхронний переклад, здавалося, що він
створював мистецький художній витвір, – натхненний і змістовно довершений. Він, ніби
поет, «смакував» кожне слово, намагаючись віднайти найбільш адекватний смисловий
контекст, інтелектуально та емоційно точний лексичний відповідник кожному терміну,
застосованому промовцем. Ця його унікальна здатність і професійна вимогливість стали
в пригоді І. В. Сойко, коли він працював перекладачем-синхроністом на численних
міжнародних форумах, наукових конференціях, симпозіумах, а також перекладав на
найвищих урядових перемовинах українським прем‘єрам і навіть президентам.
Згодом за цю вкрай відповідальну й звитяжну працю Івана Васильовича Сойка було
нагороджено однією з найвищих і найпочесніших нагород Німеччини – орденом „За
заслуги“. Втім, попри це, як і на факт особистого знайомства з багатьма видатними
науковцями, політиками дипломатами, І. В. Сойко завжди залишався напрочуд скромною,
доброзичливою, і чуйною людиною, яка вражала всіх своїм оптимізмом, добрим гумором і
якоюсь рідкісною для нашого часу душевною «світлосяйністю».
У чому ж таємниця цієї світлосяйної харизми? На моє переконання, її витоки слід шукати
у щиросердній закоханості Івана Васильовича в українську народну пісню і хоровий спів.
Припадаючи до цього духовно поживного ґрунту, він, немов міфічний Антей, відновлював
свої сили і наповнювався життєствердною енергією творчості.
Не буде перебільшенням стверджувати, що впродовж кількох десятиліть Іван Васильович
був справжньою душею університетської Народної хорової капели «Дніпро», не лише
беручи активну участь у репетиційно-концертній діяльності колективу, але й ініціюючи
масштабні міжнародні мистецькі проєкти, окремі з яких функціонували понад десятиріччя.
Одним із таких проєктів став цикл гастрольних подорожей капели «Дніпро» з нагоди
налагодження співпраці між Київським національним університетом імені Тараса Шевченка
та Університетом Констанца (ФРН). Завдячуючи наполегливості І. В. Сойка в рамках цього
проєкту Народною хоровою капелою «Дніпро» (під керівництвом І.Я. Павленка, а згодом
І. В. Душейко) впродовж 1999 – 2019 рр. було здійснено багато концертних подорожей до
різних міст Німеччини, Австрії, Швейцарії. Деякі з цих гастролей передбачали концертне
виконання масштабних вокально-хореографічних та вокально-симфонічних творів,
зокрема таких як фрагмент з фольк-опери Є. Станковича «Цвіт папороті» (Парадна зала
Штутгартського Філармонійного товариства, 2002 р.); кантата «Carmina Burana» К. Орфа
(Велика зала Берлінської філармонії: разом із хором та оркестром Берлінського технічного
університету ім. В. Гумбольдта, 2009 р.) тощо. Завдячуючи наполегливості Івана Васильовича
великі концерти відбувалися в кращих концертних залах та кафедральних храмах у таких
містах, як Аугсбургу, Ваймарі, Берліні, Бремені, Гамбурзі, Констанці тощо. Поряд із цим хор
мав можливість відвідати з екскурсіями Відень, Берн, Цюрих, Женеву.
У зв’язку із цим виринають окремі спогади, пов’язані з пішохідними екскурсіями, під час
яких І. В. Сойко розповідав усім охочим цікаву інформацію про музику, поезію, архітектуру,
середньовічне життя старовинних міст, діалектні особливості різних німецькомовних
регіонів тощо. У доповнення до цього не можу оминути увагою ще один, на перший погляд,
дещо комічний, (але як потім я сам усвідомив) досить знаковий епізод, який відбувся під час
гастролей до Німеччини у 2009 році. Після одного з концертів у м. Ільменау (що знаходиться
поблизу всесвітньовідомого Ваймара) хористи запропонували Івану Васильовичу, який
перед тим натхненно продекламував в оригіналі один із відомих гетівських віршів,
27
сфотографуватися, присівши на мідну лаву пам’ятника поряд із сидячою бронзовою фігурою
Йогана Вольфганга Гете. Ще довго хористи з дотепним і добрим гумором обговорювали

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


неймовірну схожість рис обличчя І. В. Сойка з рисами обличчя геніального письменника,
адже усвідомлення цієї схожості неабияк потішило й самого Івана Васильовича.
І ось пройшло багато років і окреслилася ще одна, містична паралель: кажуть, коли Й.
В. Гете відходив у вічність поблизу його труни з нізвідкіль звучала божественна музика.
Івана Васильовича Сойко, як колись і улюбленого ним І. В. Гете, в останню путь також
супроводжувала пісня, і як потім дізналися самі хористи, які її виконували, ця пісня („Чуєш
брате мій“, музика Кирила Стеценка на слова Богдана Лепкого) була улюбленою піснею
його батьків, які часто співали її в родинному колі:

„Чуєш брате мій, товарише мій,


відлітають сірим шнурком
журавлі у вирій…“

Ivan Soiko. Königstein in Sachsen, 1977


AGENTEN DES WANDELS
28
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

Erfahrungsbericht. Korruption, Unterfinanzierung, mangelnde technische Ausrüstung – viele Hochschulen


der Ukraine haben nach wie vor mit großen Problemen zu kämpfen, trotz mancher Besserung in den letzten
Jahren. Die Nationale Agentur für Qualitätssicherung in der Hoschulbildung (NAQA) soll es nun richten.
Ihre Aufgabe ist es, Missstände aufzeigen und zu deren Beseitigung beizutragen. Die Kharkiver Studentin
Nataliia Fomenko ist in der NAQA aktiv und berichtet uns von ihren Eindrücken und Erfahrungen.

Was stellen Sie sich vor, wenn Sie von der „Akkre- Bevor ich auf unsere Arbeit eingehe, möchte ich
ditierung von Ausbildungsprogrammen an Hoch- jedoch erklären, welchen Zweck diese Akkreditie-
schulen“ hören? Oder von „Qualitätskontrolle in rungsprüfungen verfolgen. Es geht nicht nur da-
der Hochschulbildung“? Eine ernsthafte Inspektion rum, die Qualität des Bildungsprogramms zu be-
der Universität durch Beamte des Ministeriums werten. Es sollen auch Empfehlungen abgegeben
oder erfahrene Professoren vermutlich. Erwarten werden, wie sich ein Programm verbessern lässt.
Sie jedoch Studenten in ihren frühen Zwanzigern Dadurch soll die Qualität der Hochschulbildung
als Teil einer solchen Expertengruppe? Höchst- in der gesamten Ukraine angehoben werden. In
wahrscheinlich nicht. Meine Kommilitonen und ich Übereinstimmung mit europäischen Standards
durften uns deshalb einige Fragen anhören: „Was und Empfehlungen zu Qualitätssicherungssyste-
macht dieses Mädchen hier?“ „Warum ist dieser men der ENQA (European Association for Quality
Student nicht im Unterricht?” Im Folgenden werde Assurance in Higher Education) gehören zu den
ich erklären, weshalb wir Studierenden kein deko- Expertengruppen für die Qualitätsbewertung von
ratives Element in diesem Prozess, keine Sekretäre Hochschuleinrichtungen neben nationalen und in-
für sachkundige Professoren und keineswegs bloß ternationalen akademischen Experten und Arbeit-
pro forma dabei sind. gebern eben auch wir – die Studierenden.
Die Nationale Agentur für Qualitätssicherung in Wie läuft nun dieser Akkreditierungsprozess ab?
der Hochschulbildung (NAQA) will nach Eigende- Nachdem die Hochschule einen Antrag auf Akkre-
finition ein „Katalysator für positive Veränderun- ditierungsprüfung, einen Bericht über die Selbst-
gen in der Hochschulbildung“ sein und anregen, einschätzung der Qualität des Bildungsprogramms
dass das Thema Bildungsqualität wieder einen hö- und alle damit verbundenen Dokumente einge-
heren Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt. Die reicht hat, erstellen die Agenturmitarbeiter Richt-
Organisation als solche ist jedoch keineswegs neu. linien für Experten, die an der Vor-Ort-Expertise
Bereits 2015 wurden die ersten Mitglieder gewählt; teilnehmen. Das sind Personen, die direkt mit dem
die Arbeit kam jedoch damals aus einer Reihe von Management und den Mitarbeitern der Universität,
Gründen nicht in die Gänge. Eine Neuausschrei- den Lehrenden, den Studenten und den Alumni
bung wurde erforderlich. 2018 genehmigte das Mi- kommunizieren. Anschließend wird eine Experten-
nisterkabinett der Ukraine die neue Zusammenset- gruppe gebildet, die aus zwei Lehrenden und einem
zung der NAQA und bald darauf wurde eine neue Studen oder einer Studentin besteht, wobei alle
Leitung bestellt. Anfang 2019 konnte die Agentur Mitglieder, wenn möglich, aus unterschiedlichen
offiziell mit ihrer Arbeit beginnen. Städten stammen. In jeder dieser Expertengruppen
Die strategischen Ziele der NAQA werden in wird ein Leiter gewählt. Meistens wird die Funktion
drei Hauptbereichen umgesetzt: Qualität der Bil- von einer Lehrperson übernommen. Mir ist jedoch
dungsdienstleistungen, Anerkennung der Qualität auch ein Fall bekannt, in welchem ein Student zum
wissenschaftlicher Ergebnisse, Sicherstellung der Gruppenleiter bestimmt worden ist. Diese Person
systemischen Wirkung der NAQA. Bei Letzterem hat die Aufgabe innerhalb der Expertengruppe
geht es um die Überwachung und die Analyse der zu moderieren; darüber hinaus kümmert sie sich
Ergebnisse von Hochschuleinrichtungen, deren Ziel um die Kommunikation mit der entsprechenden
es ist, die Qualität der Ausbildung durch Akkredi- Hochschule und der NAQA. Alle Mitglieder einer
tierungsverfahren und Zertifizierung von wissen- Expertengruppe sind gleichberechtigt. Die Exper-
schaftlichem Personal sicherzustellen. Hier kom- tengruppe liest den Selbstbewertungsbericht, prüft
men die Studierenden ins Spiel. zusätzliche Dokumente und die offizielle Website
der Hochschule. Danach wird ein Besuchsplan er- 29
stellt. Vor COVID-19 sind Reisen zu den jeweiligen

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


Universitäten unternommen worden. Zwei Tage
lang sind dabei verschiedene Treffen auf dem Pro-
gramm gestanden: mit der Universitätsleitung, der
Studentenverwaltung, Lehrenden, Arbeitgebern
sowie dem Studienprogrammleiter. Seit Beginn der
Pandemie finden solche Treffen per Zoom-Konfe-
renz statt.
Nach Abschluss dieser sogenannten Feldakkredi-
tierungsprüfung erstellt die Expertengruppe einen
Bericht. Der Bericht ist ein Dokument, das die Er-
gebnisse der ersten Stufe des Akkreditierungspro-
zesses zusammenfasst. Der Bericht wird von drei
Mitgliedern der Expertengruppe auf der Grundlage
der Analyse von Informationen zur Selbsteinschät-
zung des Bildungsprogramms und der während
des Besuchs der Hochschuleinrichtung gesammel-
ten Informationen erstellt. Dieses Dokument ist
das Ergebnis der Arbeit einer Expertengruppe der
NAQA. Ein gewissenhaft verfasster Bericht ist so-
mit ein Beweis für die verantwortungsvolle und
sorgfältige Arbeit der Expertengruppe. Jedoch ist
der Bericht nicht alleine deshalb von Bedeutung: Er „Und mein Pupperl ist auch eine Agentin!“
ist Arbeitsgrundlage des Expertenrates der einzel-
nen Fachbereiche, der die zweite Stufe des Akkre-
ditierungsprozesses verkörpert und den Bericht schiedliche Dinge geachtet haben und das Sammeln
auswertet bzw. kommentiert. Schließlich wird der von unterschiedlichen Meinungen ein vollständige-
Bericht veröffentlicht. Er wird so zu einer Informa- res Bild des Bildungsprogramms und seiner Um-
tionsquelle über das Ausbildungsprogramm für ex- setzung ergab. Jedoch muss ich auch anmerken,
terne Interessengruppen wie Arbeitgeber, Studien- dass ich von der Verwaltung, den Lehrenden und
werber usw. Wenn keine gemeinsame Meinung zu den Studenten der Universitäten, an denen wir
bestimmten Kriterien und Unterkriterien erreicht die Vor-Ort-Expertise durchführten, häufig nicht
wurde, hat der Experte das Recht, seine Position ernst genommen bzw. sogar nicht einmal als Teil
mit einer abweichenden Erklärung zu begründen. der Gruppe wahrgenommen wurde. Das Problem
Sowohl die Studenten, als auch die Lehrenden sind ist, dass Studenten immer noch nicht als wichtige
für das, was gesagt und geschrieben wird, verant- Stakeholder gesehen werden. Jedoch überwogen
wortlich. Die nachfolgenden Phasen des Akkredi- bei meiner Arbeit eindeutig die positiven Eindrü-
tierungsprozesses finden ohne direkte Beteiligung cke: Die Kommunikation mit Menschen aus mei-
der Expertengruppe statt. Dies ist die Prüfung des nem zukünftigen Berufsfeld ermöglichte es mir, ein
Falls durch den Expertenrat der einzelnen Fachbe- ganzheitlicheres Bild von einem Fachgebiet wie – in
reiche und die Erteilung einer Entscheidung durch meinem Fall – der angewandten Mathematik zu ge-
die NAQA (bedingte Akkreditierung für ein Jahr, winnen. Und letztlich machte es auch einfach Spaß,
Akkreditierung für fünf Jahre, Verweigerung der neue Leute kennenzulernen.
Akkreditierung). Was hat mir dieser Job gegeben? Ich verstehe jetzt,
Da ich an vier dieser Akkreditierungsverfahren dass sehr viele Menschen ununterbrochen daran
teilgenommen habe, kann ich einige allgemeine arbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: die
Feststellungen und Schlussfolgerungen ziehen: Ers- Verbesserung der Hochschulbildung in der Ukrai-
tens wurde ich nicht herablassend behandelt, son- ne. Ich freue mich, Teil dieser Gemeinschaft zu sein
dern als gleichberechtigt wahrgenommen. In allen und auch zur Entwicklung der Bildungsqualität bei-
Diskussionen wurden, wenn ich Anmerkungen zutragen. Ich hoffe, dass die Nationale Agentur für
oder Vorschläge hatte, diese berücksichtigt und es Qualitätssicherung in der Hochschulbildung uns
war relativ einfach, einen Kompromiss innerhalb nicht umsonst als „Agenten des Wandels“ bezeich-
des Teams zu finden. Zweitens waren meine Kom- net und wir einige Verbesserungen an den Univer-
mentare als Studentin für die Expertengruppe wich- sitäten bewirken können. ■
tig, weil Lehrende und Studenten häufig auf unter- Nataliia Fomenko (Kharkiv)
30
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

ES FOLGT… EINE ÜBERFLÜSSIGE UND LANGATMIGE ERKLÄRUNG DER BRÜCKE-REDAKTION:


„AN ALLE KLUGSCHEISSERINNEN UND KLUGSCHEISSER UNTER DEN LESERBRIEFSCHREIBERIN-
NEN UND LESERBRIEFSCHREIBERN UNSERER ZEITSCHRIFT! DER BRÜCKE-REDAKTION IST DURCH-
AUS BEWUSST, DASS ES SICH BEI DEM HIER ABGEBILDETEN BERG NICHT UM DAS MOSERMANDL
HANDELT, SONDERN UM DEN 2654 METER HOHEN FAULKOGEL. DER FAULKOGEL LIEGT WIE DAS
MOSERMANDL IN DEN RADSTÄDTER TAUERN UND IST DESSEN WESTLICHER NACHBARGIPFEL.
DIES ERKLÄRT, WESHALB DER DUMME AUGUST, DER JA DAS MOSERMANDL BESTEIGEN MÖCHTE,
RECHTS AM FAULKOGEL VORBEIBLICKT. VERSTEHEN SIE DAS, JA? VERSTEHEN SIE DAS?!“
„WIE DIE ÄRGSTEN A * * * * * * * * E R ! “ – 31

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


KHARKIVER STUDIERENDE IM O-TON

Blitzumfrage. Seit 2018 bemüht sich die Nationale Agentur für Qualitätssicherung in der Hochschulbildung
(NAQA) darum, das Bildungssystem der Ukraine im Hochschulbereich zu reformieren. Wie zufrieden sind die
Studierenden jedoch selbst in ihrem Unialltag? DIE BRÜCKE hat sich auf dem Campus der Kharkiver Poly-
technischen Universität (NTU KhPI) umgehört.

Was stört euch als Studenten der NTU KhPI am meisten?


Was wollt ihr verbessert bzw. verändert sehen?

Arina, 20: „Ich würde gerne eine strengere Auswahl Maksym, 21: „Es ist ärgerlich, dass wir mit Lehr-
der Studenten an der Universität sehen und auch material aus den Jahren 1960-1980 lernen. Es gibt
Ausschlusskriterien festlegen, sodass nicht alle ir- eine Menge Themen im Programm, die überhaupt
gendwie durchgeschleust werden. Die Qualität der keinen Sinn ergeben. Die Leute haben keine Motiva-
Unterbringung in den Wohnheimen müsste man tion oder Lust, zwei Jahre lang Fächer zu studieren,
auch verbessern. Ganz zu schweigen von der Reno- die nichts mit ihrem Fachgebiet zu tun haben. Die
vierung der Gebäude, die zumindest im Winter be- Lehrenden haben auch keine Lust, die Studenten zu
heizt werden sollten, damit die Studenten nicht in unterrichten, weil sie wissen, dass sie die besagten
Daunenjacken, Mützen und Handschuhen dasitzen Informationen eigentlich nicht benötigen.“
und erfrieren müssen.“

Krystyna, 22: „Die Anzahl der Stipendienplätze ist für starke Gruppen zu gering. Es kommt vor, dass Schüler
gute Noten bekommen haben und prinzipiell für ein Stipendium in Frage kämen, es aber nicht genug Plätze
für alle gibt. In anderen Gruppen wiederum bekommen deutlich schlechtere Studierende ein Stipendium, ob-
wohl sie sich weniger angestrengt haben.“

Was an eurer Alma Mater wärmt euch die Seele?

Arina, 20: „Die Gebäude, in denen ich studiere, be- Liza, 21: „Mir gefallen das vielfältige Sportangebot
finden sich alle auf demselben Gelände. Auch ge- und die Möglichkeit, an sportlichen Aktivitäten teil-
fällt mir die enge Zusammenarbeit der Universität/ zunehmen. Auch mag ich unseren Kulturpalast, um
Institute/Fakultäten/Fachbereiche mit IT-Firmen. genau zu sein, die verschiedenen Vereine, in denen
Es bestehen gute Chancen für eine duale Ausbil- man an der Uni selbst mitmachen kann.“
dung.“

Vlad, 20: „Ich finde es super, ein Wohnheim im Vasia, 19: „Ich schätze die Möglichkeit, die Fächer
Zentrum von Kharkiv für 520 UAH (ca. 16 Euro) pro automatisch abzuschließen [Durch Unterrichtsleis-
Monat bewohnen zu können.“ tung vor der eigentlichen Abschlussprüfung („Av-
tomat“), Anm. d. Red.].“

Wie sieht es mit der Kommunikation zwischen Studierenden und


Lehrenden aus?

Arina, 20: „Im Allgemeinen sind die Dozenten und Pavlo, 19: „Es kommt immer auf den Lehrer an.
Professoren verständnisvoll und freundlich gegenüber Manche Professoren sind total lieb, andere beneh-
den Studenten. Aber es kommt vor, dass die Grenzen men sich wie die ärgsten A*********er.“
in der Studenten-Dozenten-Kommunikation verwischt
werden, so dass einige Studenten ihnen zu sehr auf die
Pelle rücken.“
32 Worin seht ihr die größten Probleme innerhalb des ukrainischen
Bildungssystems?
AKTUELLES UND HINFÄLLIGES

Ruslan, 20: „Am Anfang, also direkt nach der Schu- Krystyna, 22: „Es gibt keine Sicherheit, dass man nach
le, haben fast alle Maturanten kaum eine Vorstellung, der Ausbildung einen sicheren Job bekommt oder eine
welchen Beruf sie wählen wollen. Die Hochschulausbil- Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln und ei-
dung entspricht nicht den Anforderungen des Marktes. nen anständigen Lohn zu erhalten. Das Diplom verliert
Aus diesem Grund haben die meisten Studenten keine immer mehr an Wert.“
Motivation, an der Universität zu studieren.“

Katia, 20: „Alle konzentrieren sich auf ihre Noten, nicht auf die Qualität des Wissens. Zehn Punkte allein für schrift-
liche Notizen! Muss das sein? Alle Bewertungen sollten nach dem jeweiligen Wissensstand erfolgen.“

Happy-End? Sicher nicht. Es ist wohl noch ein weiter Weg bis zu einem Hochschulsystem, das international konkur-
renzfähig ist und den Anforderungen der Lehrenden und Studierenden gerecht wird. Der Anfang ist jedoch bereits
gemacht.

Anastasiia Zimnenko (Kharkiv)

Was ist denn das für eine


Ausdrucksweise? Wenn ich
Ihre Mutter wäre, würde ich
Ihnen den Mund mit Seife
auswaschen, junger Mann!
Die deutsche Sprache ist für mich… Beruf, 33
Berufung, Zugang zu vielen Schätzen der
Weltkultur.

AKTUELLES UND HINFÄLLIGES


Reisen würde ich gerne nach… Budapest.

An einem Menschen schätze ich… Ehrlichkeit und


Anständigkeit.

Mein größter charakterlicher Vorzug ist…


Zuverlässigkeit.

Mein größter charakterlicher Fehler ist… , dass ich


fast nie Nein sagen kann.

Meine Lieblingsfarbe ist… blau – die Farbe des


klaren Himmels.

An der Ukraine mag ich… das Gefühl der Heimat,


Natur, Sprache, Lieder, Traditionen.

An der Ukraine mag ich nicht…, dass wir keine


Lehre aus der Geschichte ziehen.

Eine Blume, die mir gefällt ist… Maiglöckchen,


Flieder, Kornblumen.

Glück ist für mich… Familie und meine Arbeit.


QUESTIONNAIRE DE…? Unglück ist für mich… Ausweglosigkeit.

Wenn ich nicht Deutschlehrer geworden wäre,


Es ist wohl keine Übertreibung, Yevhenia P. hätte ich folgenden Beruf ergriffen: Übersetzerin
Tymchenko als Doyenne des Deutschlehrerkolle- oder wissenschaftliche Mitarbeiterin.
giums der KNU zu bezeichnen. Seit vielen
Meine Lebensphilosophie lautet… Jeden Augen-
Jahrzehnten bringt sie lernwilligen Studierenden an
blick schätzen. ■
unserer Universität die deutsche Sprache bei. Auch
im Goethe-Institut Kyiv ist Yevhenia Petrivna
als Lehrerin aktiv. Sich über neue Entwicklungen
im Bereich der Fremdsprachendidaktik auf
dem Laufenden zu halten, ist für sie dabei eine Ne me quitte pas
Selbstverständlichkeit. Unser Anonymus hat Frau Il faut oublier
Tymchenko seinen Frageboden zur Beantwortung Tout peut s‘oublier...
vorgelegt.

Name: Yevhenia Tymchenko

In meiner Freizeit beschäftige ich mich am liebsten


mit… mit dem Ordnen des Familienarchivs. Leider
ist einiges nicht mehr wiederherzustellen.

Drei meiner Lieblingsbücher sind… Das große


Buch der Kunst, die Gedichte von Lina Kostenko, die
Erzählungen von Konstantyn Paustovskyi.

Am liebsten höre ich Musik von… Klassikern


(besonders Mozart) und französische Chansons.

Ein Film, den ich empfehlen kann, ist… Wunder


(Wonder) von Stephen Chbosky.
DER SCHOCKER Танго Магнолия1

В бананово-лимонном Сингапуре, в буре,


Когда поёт и плачет океан
И гонит в ослепительной лазури
Der Schocker ist eine Zwetschke mit zwergwüchsi- Птиц дальний караван...
gen Zebras in der Hose. Er stammt aus einer längst В бананово-лимонном Сингапуре, в буре,
vergangenen Epoche als Buschmannfrauen noch Когда у Вас на сердце тишина,
Braunschweigerwürste aßen, und Herren von Welt Вы, брови тёмно-синие нахмурив,
sich in Stresemänner zwängten. Kennen Sie Herrn Тоскуете одна.
Stresemann, Fräulein Obermeier? Oder ist Ihnen
der Name kein Begriff? Der Schocker ist ein land- И нежно вспоминая
auf landab bekanntes Enfant terrible mit teigigem Иное небо мая,
Gesicht, fetter Leibesmitte und Blüchermantel. Sein Слова мои, и ласки, и меня,
überbordender Stolz verbietet es ihm unter allen Вы плачете, Иветта,
Umständen, Seitenzahlen anzunehmen. Dann schon Что наша песня спета,
lieber eine Fläschchen Armagnac auf Kosten des А сердце не согрето
Hauses! Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob auch Без любви огня.
Oleksandr M. Vertynskyi (1889-1957) dem Brannt-
wein aus der Gascogne zusprach; und selbst wenn И, сладко замирая
wir es wüssten – wen kümmerte es? Oleksandr My- От криков попугая,
kolaiovych war in seiner Zeit ein gefeierter Chan- Как дикая магнолия в цвету,
sonnier, ein begabter Komponist, schillernd als Вы плачете, Иветта,
Schauspieler, zerbrechlich als Poet. Er war ein Sohn Что песня не допета,
der Stadt Kyiv, den die politischen Wirrnisse des Что лето - где-то -
zwanzigsten Jahrhunderts weit hinausgetragen ha- Унеслось в мечту!
ben in die Welt: In Paris sang er Arietten als Pierrot,
in Bessarabien stand er als Spion unter Verdacht, in В опаловом и лунном Сингапуре, в буре,
Schanghai verliebte er sich, und in Moskau wurde Когда под ветром ломится банан,
ihm der Stalinpreis zuerkannt. Der Schocker schätzt Вы грезите всю ночь на жёлтой шкуре
Schellacks von Vertinskyi außerordentlich. Beson- Под вопли обезьян.
ders hat sich ihm der „Tango Magnolia“ ins Herz В бананово-лимонном Сингапуре, в буре,
gebrannt… Запястьями и кольцами звеня,
Магнолия тропической лазури,
Вы любите меня.

1 Wer der russischen Sprache nicht mächtig ist, findet un-


ter www.lyricstranslate.com zwei relativ windige englische
Übersetzungen.
Hofrat ohne Hof – werden von höheren Bildungseinrichtungen verge-
ben (Magister, Doktor, usw.). Amtstitel werden von
Beamten geführt, die einen bestimmten Posten be-
35

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


kleiden (Oberrevident, Hofrat). Verliert ein Beamter
DIE ÖSTERREICHISCHE TITELWIRRNIS den Posten, verliert er auch den Titel – außer er geht
in den Ruhestand; dann nämlich darf man den Ti-
tel für immer behalten. Allerdings muss in diesem
Fall dem Namen ein „i. R.“ („im Ruhestand“) nach-
gestellt werden. Verliehen werden Amtstitel vom
Bundespräsidenten. Auch Berufstitel werden vom
Kultur. Krystyna Fedina berichtet uns in ihrem Bundespräsidenten verliehen. Diese sind aber nicht
Artikel über eine kulturelle Besonderheit der Alpen- an den Posten gebunden: Berufstitel sind Ehren-
republik Österreich: Die unstillbare Sucht nach Ti- auszeichnungen, die für besondere Verdienste im
teln aller Art. Laufe einer vieljährigen beruflichen Tätigkeit ver-
liehen werden. Einige Beispiele sind Kommerzialrat
(für einen Beitrag zum Wirtschaftsleben), Medizinal-

E s mag scheinen, dass eine gemeinsame Sprache


die Grenzen zwischen den Kulturen weniger
spürbar macht, doch wie die Erfahrung zeigt, wer-
rat (Leistungen in der Medizin), Bergrat (Leistungen
im Berg- und Hüttenwesen). Nicht zu verwechseln
sind Berufstitel mit Ehrenbezeichnungen, die von
den kulturelle Unterschiede durch sie auch sicht- Universitäten an Wissenschaftler für besondere
barer. So schreibt die deutsche Translationswissen- Leistungen verliehen werden.
schaftlerin Christiane Nord, dass sie ihre größten
Kulturschocks gerade während ihrer Gastprofessur … UND PROFESSOR IST NICHT GLEICH PROFESSOR
in Wien erlebte. „Schockiert“ hat sie unter anderem

I
die Wichtigkeit der Titel im österreichischen Alltag. nteressanterweise kann ein Titel gleichzeitig zu
Als Nord eine Studentin bat, auf die Anrede „Frau mehreren Gruppen von Titeln gehören. So ist ein
Professor“ zu verzichten, hörte diese auf, sie über- Professor in Österreich nicht immer jemand, der eine
haupt anzusprechen. Später erklärte die Studen- Professur an einer Universität innehält (Amtstitel),
tin, sie wusste nicht, wie sie ihre Professorin sonst sondern auch ein Wissenschaftler, der einen großen
adressieren sollte. Einfach „Frau Nord“ zu sagen, Beitrag für die Wissenschaft geleistet hat (Ehren-
fühlte sich falsch an. Dieses Beispiel zeigt beson- professor – Ehrenbezeichnung). Oder auch jemand,
ders deutlich, dass Titel in Österreich eine wesent- der sich durch besondere Verdienste im Bereich von
lich wichtigere Rolle spielen als in Deutschland und Kunst und Kultur ausgezeichnet hat (Berufstitel). So
möglicherweise vielen anderen Ländern. Doch wa- trugen etwa der Musiker Udo Jürgens, der Cartoo-
rum ist es so, und wie findet man sich in der öster- nist Manfred Deix oder auch der Schauspieler Leon
reichischen Titelwirrnis zurecht? Askin den Professorentitel. Auch Lehrer an Mittel-
schulen werden in Österreich übrigens mit „Profes-
ZUR GESCHICHTE DER TITEL IN ÖSTERREICH sor“ angesprochen, obwohl das in der Regel nicht
ihr tatsächlicher Titel ist.

H istorisch waren Titel ein wichtiges soziales


Unterscheidungsmerkmal in der österrei-
chisch-ungarischen Monarchie, besonders im Mili-
JETZT HABE ICH EINEN TITEL — ABER WAS
MACHE ICH DAMIT?
tärbereich. Damals scheinen sie zu einem so wesent-

H
lichen Teil der österreichischen Identität geworden at man einen Titel, darf man ihn auch führen.
zu sein, dass man sie nicht einmal nach der Ausru- Das heißt, man kann ihn im Privatbereich be-
fung der Ersten Republik 1918 abgeschafft hat. Viele nutzen (z. B. in der E-Mail-Signatur), im Verkehr
Titel der Habsburger Zeit werden auch heute ver- mit Behörden angeben (z. B. in Formularen) oder
liehen. So gibt es in Österreich beispielsweise immer auch in Urkunden drucken lassen. Akademische Ti-
noch den Titel Hofrat, obwohl Österreich seit über tel dürfen auch in Personalausweise und Reisepässe
hundert Jahren keinen kaiserlichen Hof mehr hat. eingetragen werden. Da die österreichischen Titel
aber nicht überall bekannt sind, verwirren Öster-
TITEL IST NICHT GLEICH TITEL… reicher seit Jahren Grenzbeamte anderer Länder mit
geheimnisvollen Abkürzungen wie „Mag. rer. soc.

Ö sterreichische Titel können in vier Gruppen


eingeteilt werden: akademische Titel, Amtsti-
tel, Berufstitel und Ehrenbezeichnungen. Akademi-
oec.“ (Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaf-
ten) oder seit 2020 auch „Mst.“ (für Meister). Mitt-
lerweile wird daher von der Eintragung der Titel in
sche Titel entsprechen akademischen Graden und den Reisepass abgeraten.
36 BESSER VORSICHT ALS NACHSICHT

Inzwischen ist die Einstellung der Österreicher zu •


AUSTRIAKISCHES •RUTHENISCHES • KAKANISCHES

Titeln unterschiedlich. Manche fühlen sich belei- MEHR


digt, wenn sie jemand ohne ihren Titel anspricht. WISSENSWERTES
Andere bevorzugen es, ihre eigenen Titel wegzu- ÜBER
lassen. Eines ist aber klar: Man kann nicht leugnen, TITEL IN
dass Titel in Österreich einen besonderen Platz ein- ÖSTERREICH
nehmen. Und es ist dringend empfehlenswert, sich •
vorab sicherheitshalber über den Titel des künftigen
Gesprächspartners zu informieren. ■

Krystyna Fedina

In
Österreich sind momen-
tan ungefähr 1500 Titel
Ist jeman- offiziell geregelt.
dem ein bestimm- •
ter Titel zweimal oder
mehrfach verliehen (z. B.
Ingenieurtitel in mehreren Be-
reichen), darf dieser auch zwei-
mal geführt werden. So darf
man beispielsweise E-Mails
mit „Dipl.-Ing. Dipl.-Ing.
Vorname Familienname“
unterschreiben.

Früher
waren manche der
Titel der Männer inof-
fiziell auch auf ihre Frauen
übertragbar. So wurde die
Frau eines promovierten
Arztes als „Frau Doktor“ an-
gesprochen. Heute ist dies
jedoch immer weniger
üblich.

37

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


38
AUSTRIAKISCHES •RUTHENISCHES • KAKANISCHES

A ЛЬВІВ ШПРЕХАЄ ІНАКШЕ –


DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LEMBERG

Sprache. Nataliia Sheremeta erklärt in ihrem Artikel, weshalb Deutsche und vor allem Österreicher allen
Grund haben, sich in Lemberg zu Hause zu fühlen.

Es ist kein Geheimnis, dass jede Sprache einem Le- tien oder der Bukovyna für sie ziemlich schwer zu
bewesen gleicht. Sie ändert sich unter dem Einfluss verstehen sind. Kein Wunder! Viele Jahre waren
von ganz verschiedenen Faktoren und passt sich an- diese Gebiete aufgrund historischer Umstände vom
satzlos den Umständen der Welt an. Nachbarschaft, Rest der Ukraine getrennt. Zuerst gehörten sie zum
Handel, Kriege und der technische Fortschritt sind Polnischen Reich und dann wurden sie zu einem
Ursachen einer linguistischen Erscheinung, die Teil des Habsburger Imperiums. Die Sprache ent-
Sprachinterferenz genannt wird. Deshalb existieren wickelte sich hier ein bisschen anders und wurde
in jedem Land zusätzlich zur offiziellen Standard- stark von der polnischen, ungarischen und auch
sprache auch zahlreiche Dialekte und Regiolekte. deutschen Sprache beeinflusst. Bedeutet dies, dass
In der Ukraine gibt es drei Hauptgruppen von sich Deutsche und Österreicher in Galizien wie zu
Dialekten: die südwestliche, die südöstliche und Hause fühlen können?
die nördliche. Sie teilen sich gleichzeitig in mehrere In der Mundart, welche die Menschen in Galizien
kleinere Gruppen von Mundarten. sprechen, gibt es viele Wörter, die deutscher Her-
Dialekte spielen besonders im Westen des Staates kunft sind. Einige von ihnen sind über die polnische
eine große Rolle. Wenn Ukrainer aus Kyiv, Kharkiv Sprache in den Dialekt eingegangen, andere wurden
oder Odesa die westlichen Städte besuchen, sagen direkt aus dem Deutschen, vor allem dem österrei-
sie, dass die Mundarten von Galizien, Transkarpa- chischen Deutsch, entlehnt. Ein Beispiel wäre etwa
der dortige Ausdruck für „sprechen“: Lemberger be- 39
nutzen oft zum Spaß, aber durchaus auch in ernsten

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


Situationen, das dem Ukrainischen angepasste Verb
„шпрехати“ (transkribiert: „schprechaty“) anstatt
der hochsprachlichen Wörter „говорити“ („howo-
ryty“) oder „розмовляти“ („rosmowliaty“).
Um nach Lviv zu gelangen, kann man verschie-
dene Verkehrsmittel benutzen. Den Österreichern
würde wohl die Bahn besonders gut gefallen. Wa-
rum? Die Lemberger nennen die Bahn „штрека“
(„schtreka“) und die Bezeichnung stammt von dem
deutschen Wort „die Strecke“.
„Lviv ist weltoffen“ – so lautet das Motto der
Stadt. Gleich nach den ersten Schritten auf dem
Gehsteig fühlen sich viele Gäste wie zu Hause. Für
Österreicher mag dies ganz besonders gelten. Die
allgegenwärtige alte Architektur des Wiener Klassi-
zismus ist nicht der einzige Grund dafür. „Der Spa-
ziergang“ in einer Stadt ist für die Vertreter anderer
Regionen der Ukraine eine „прогулянка“ („prohu-
lianka“), aber die Einwohner von Galizien nennen
ihn „шпацер“ („schpazer“). Dieses Wort stammt
von dem deutschen „spazieren“ und hat auch eine
verbale Form – „шпацирувати“ („schpazyruwa-
ty“).
Lviv ist für seine zahlreichen Caféhäuser und Lo-
kale bekannt. Sie erinnern nicht nur an Wiener Gast-
stätten, sondern bieten auch einige Speisen an, deren
Namen gerade Österreichern sehr bekannt vorkom-
men dürften. Als Beispiel kann „морелівка“ („mo-
reliwka“) dienen. Das ist ein alkoholisches Getränk,
das aus Aprikosen gemacht wird. Dem Lemberger
gefällt wahrscheinlich das wohlklingende öster-
reichische Wort „die Marille“ viel mehr als die ge-
samtukrainische Variante „абрикос“ („abrykos“).
Deshalb nennen sie diese süßen orangen Früchte
„морелі“ („moreli“).
Österreich-Ungarn war zwar kein ukrainischer Lemberg —
Staat. Dennoch hingen viele Ukrainer am Habsbur- meine Stadt.
gerreich. Die Österreicher waren als gute Kumpel
immer willkommen. Bis heute gibt es dieses Wort in
der galizischen Mundart. „Кумпель“ („kumpel“) –
so nennen die Einwohner von Lviv und Umgebung
ihre Freunde.
Es wird immer schwieriger und schwieriger Dia-
lekte zu erforschen, weil mehr und mehr Menschen
die Standartsprache sprechen. Die Spuren der Dia-
lekte sind heute oft nur auf phonetischer Ebene
bemerkbar. Die Menschen, welche die Mundarten
noch benutzen, wissen selten, welche Herkunft di-
alektale Wörter haben. Darum ist die Erforschung
der Dialekte so wichtig. Dialekte helfen nicht nur
die Entwicklung unserer eigenen Sprache besser zu
begreifen, sondern auch die Beziehungen mit ande-
ren Völkern besser zu verstehen. ■
Nataliia Sheremeta
40
„Wenn ich versuche, zurückzu-
AUSTRIAKISCHES •RUTHENISCHES • KAKANISCHES

schauen, mein Leben zu überden-


ken, so komme ich immer wieder
zu der Auffassung, dass meine
menschliche und meine wissen-
schaftliche Entwicklung durch
eine Reihe sehr glücklicher Zu-
fälle sehr weitgehend bestimmt
worden sind.“

Lise Meitner: Ein Leben glücklicher Zufälle


Portrait. Albert Einstein nannte Sie einmal „unsere Marie Curie“. Die Rede ist von Lise Meitner, einer
der bedeutendsten Physikerinnen des 20. Jahrhunderts — die männlichen Fachkollegen freilich mitgerechnet.
Gabriela Danko zeichnet – in Wort und Bild – das Portrait einer Frau, die in ihrer Zeit viele Widerstände zu
überwinden hatte, um ihrer inneren Bestimmung folgen zu können, nämlich Wissenschaft zu betreiben.

Juli 1901, Akademisches Gymnasium am Beetho- Nur vier der oben genanannten vierzehn Frauen
venplatz – hier, mitten in Wien, finden gerade Ma- bestehen die Prüfung. Lise Meitner ist eine von ih-
turaprüfungen statt, und zwar für vierzehn Frau- nen. Der Weg an die Universität ist nun vorgezeich-
en. Eine der Teilnehmerinnen ist eine gewisse Lise net.
Meitner. Zuerst will Lise Medizin studieren, weil diese, ih-
Schon in frühester Kindheit hat Lise eine Ver- rer Meinung nach, größeren sozialen Nutzen bringt.
anlagung für Mathematik und Physik an den Tag Physik und Mathematik will sie im Selbststudium
gelegt. Ihr Talent droht jedoch unentfaltet zu blei- erlernen. Ihr Vater überredet sie aber schließlich
ben. Frauen ist es in Österreich damals noch nicht doch die Physik zu wählen. Mit 23 Jahren beginnt
gestattet, ein Gymnasium oder gar eine Universität Lise ein Studium der Physik, Mathematik und Phi-
zu besuchen. Erst im Jahre 1897 – Lise ist zu diesem losophie an der Universität Wien. Sie will zuerst die
Zeitpunkt bereits 19 Jahre alt – werden Frauen zum verlorene Zeit nachholen: jede Woche verbringt sie
Studium zugelassen, freilich nur mit bestandener bis zu 25 Stunden in Lehrveranstaltungen. Unter ih-
Matura. Um die Prüfung erfolgreich zu absolvieren, ren Kommilitonen fühlt sie sich jedoch fremd. Man
muss Lise in nur zwei Jahren das gesamte achtjäh- mag sich einen Hörsaal mit vielen Männern vorstel-
rige Schulprogramm nachholen. Unterstützung er- len und unter ihnen eine scheue dunkeläugige Frau
fährt sie von ihren bildungsbeflissenen Eltern, die von kleiner Gestalt, weit jünger wirkend als ihre 23
Lise in ihrem Wissensdrang bestärken. Jahre vermuten lassen.
Am Institut für Physik wird Lise Meitners Leben In Berlin widerfährt ihr noch ein glücklicher Zufall: 41
eine entscheidende Wendung erfahren. Der erste Lise Meitner lernt Otto Hahn kennen, Chemiker

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


Eindruck ist jedoch ernüchternd: Das Institutstor von Beruf und Lises Altersgenosse. Otto Hahn be-
gleicht dem Eingang eines Hühnerstalls, die Audi- schäftigt sich ebenfalls mit Radioaktivität. Die in-
torien sind winzige Zimmer mit verfaulten Decken- terdisziplinäre Betrachtung erweist sich gerade in
balken, die Treppen sind wackelig, und die Böden diesem Forschungsgebiet als besonders nützlich,
mit Quecksilber getränkt. In diesem herunterge- und so bilden die Physikerin und der Chemiker ein
kommenen Institut lernt Lise Meitner Physik-Leh- erfolgreiches Duo. Otto Hahns informelles Verhal-
rende und -Studierende kennen. Sie fühlt sich bald ten, sein Alter und seine größere Erfahrung findet
zugehörig. Lise tröstend im fremden und ungastlichen Berlin.
Im zweiten Studienjahr passiert, laut Lise Meit- Sie müssen zwar in der ersten Zeit im Kellerraum
ners eigener Aussage, der erste glückliche Zufall ihres des Instituts für Chemie arbeiten, da Frauen nicht
Lebens: sie lernt ihren Lehrer Ludwig Boltzmann ins Gebäude dürfen; aber auch wenn das Institut für
kennen, der für sie zu einem Vorbild wird. Dieser Chemie nicht der angenehmste Ort ist, findet Lise
große, kräftige Mann hat Lise Meitner so stark mit Meitner viele Freunde unter den Kollegen.
seinem Enthusiasmus für Physik inspiriert, dass sie Sie steht jedoch vor einem Problem: in Berlin kann
ausschließlich seine Lehrveranstaltungen besucht. Lise keine Stellung finden und so lebt sie vornehm-
1906 beendet Lise Meitner das Studium und pro- lich vom Geld ihrer Eltern. Sie spart am Essen, um
moviert mit einer Doktorarbeit über Wärmeleitung sich Zigaretten, Zeitungen und Konzertbesuche
in inhomogenen Stoffen. Ihre Zukunft ist jedoch un- leisten zu können. Sie lebt zur Miete und stets ohne
gewiss. Sie ist als Wissenschaftlerin selbstbewusster privates Bad. Um ihre Eltern weniger zu belasten,
geworden, doch kann sie sich in Österreich beruf- übersetzt sie wissenschaftliche Artikel aus dem
lich nicht entwickeln. Die akademische Physik ist Englischen ins Deutsche und schreibt unter ande-
fest in männlicher Hand. Noch in demselben Jahr rem für die Fachzeitschrift „Naturwissenschaftliche
nimmt sich Ludwig Boltzmann das Leben. Bald da- Rundschau“.
rauf beschließt Lise Meitner nach Berlin zu gehen. Im Jahre 1910 stirbt Lises Vater. Immer noch hat
„Am entscheidendsten für mein Leben — und in glückli- sie keine klare Vorstellung von ihrer Zukunft und
cher Weise entscheidend — war mein Entschluss im Jahr sie empfindet ihren Lebensstil als egoistisch und
1907 für weitere Ausbildung nach Berlin zu gehen.“ nutzlos. In dieser aussichtslosen Situation stellt sich
Lise Meitner beschäftigt sich mit Radioaktivität, das vierte Glück ein: im Jahre 1912 wird sie Assisten-
einem neuen, wenig erforschten Teilgebiet der Phy- tin von Max Planck. Sie wird die allererste wissen-
sik. In Berlin will sie ihre diesbezüglichen Studien schaftliche Assistentin in ganz Preußen. Diese erste
vertiefen. Lise ist mittlerweile 28 Jahre alt; dennoch bezahlte Position an der Universität wird für sie zu
fragt sie vor dem Umzug bei ihren Eltern um Er- einem Wendepunkt, zu einer Legitimierung ihrer
laubnis. Bis jetzt ist sie auf deren finanzielle Unter- Wünsche. Im Jahre 1916 schreibt sie einer Freundin:
stützung angewiesen. Die Eltern sind nicht dage- „Herzlich liebe ich die Physik. Ich kann mir sie schwer
gen, und so kehrt Lise Meitner Wien den Rücken. aus meinem Leben wegdenken. Es ist so eine Art persön-
Eigentlich will sie nur ein paar Semester in Berlin licher Liebe, wie gegen einen Menschen, dem man sehr
bleiben, aber aus ein paar Semestern werden dreißig viel verdankt. Und ich, die ich so sehr am schlechtem Ge-
Jahre. Sie wird ihre österreichische Staatsangehörig- wissen leide, bin Physikerin ohne jedes böse Gewissen.“
keit jedoch behalten und sogar dafür bezahlen. „Na Die zwanziger Jahre nennt man die goldene Zeit
ja, Narrheiten kosten Geld“, – kommentiert Meitner der Physik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin
später. hat damals eine hohe Reputation. An dieser welt-
Ludwig Boltzmann hat Lise Meitner von den Mög- bekannten wissenschaftlichen Einrichtung ist Lise
lichkeiten in Berlin erzählt. Ihm selbst ist dort eine Meitner einer der erfolgreichsten experimentellen
Professur angeboten worden, die er jedoch ablehnte. Physiker. Sie ist mittlerweile Professorin. Selbst Al-
Später sollte er diese Entscheidung bedauern. Statt bert Einstein bezeichnet sie als „unsere Marie Cu-
Boltzmann bekam ein jüngerer Wissenschaftler die rie“. Aus der verlegenen Studentin ist eine durch-
Stelle – Max Planck. Lise geht an die Friedrich-Wil- setzungsfähige Wissenschaftlerin geworden.
helm-Universität. Sie ersucht Max Planck um die „Wenn ich von politischen Problemen absehe, so waren
Erlaubnis, dessen Vorlesungen besuchen zu dürfen. meine in Deutschland verbrachten Jahre die schönsten
Planck ist zwar konservativ in Bezug auf das Frau- Jahre meines Lebens.“
enstudium, aber er ist auch bereit, Ausnahmen für Ihr glückliches Leben in Berlin wird aber jäh un-
außerordentliche Wissenschaftlerinnen zu machen. terbrochen. 1933 wird Adolf Hitler Reichskanzler.
Das ist das zweite Glück in Lise Meitners Leben: die Noch ist unklar, wie sich die Dinge unter den Na-
Möglichkeit, von Max Planck zu lernen. tionalsozialisten entwickeln werden. Lise Meitner
42 und ihre Kollegen haben die Hoffnung, dass sich publik gemacht. Viele Wissenschaftler sind der Mei-
die neuen Machthaber nicht lange werden halten nung, Lise Meitner hätte gemeinsam mit Otto Hahn
können. Lise ist bedroht. Obwohl sie sich im Jahre den Preis bekommen sollen. Immerhin erhält Lise
AUSTRIAKISCHES •RUTHENISCHES • KAKANISCHES

1908 in einer evangelischen Kirche hat taufen las- Meitner viele andere Auszeichnungen, etwa die
sen und obwohl ihr das Judentum fremd ist, sehen Max-Planck- und die Wilhelm-Exner-Medaille. Sie
die Nazis in ihr eine Jüdin. Trotz der politischen ist auch die erste Frau, die den Enrico-Fermi-Preis
Umstände, bleibt Lise Meitner noch lange in Ber- zuerkannt bekommt.
lin. Einstein beispielsweise ist längst emigriert. Lise Lise Meitner geht 1947 offiziell in Rente, betreibt
aber will nicht gehen: sie hat ihre Abteilung von An- jedoch weiter ihre Forschungs- und Vorlesungstä-
fang an mitaufgebaut, in Berlin ist ihre Arbeit, ihr tigkeit. Kurz nach ihrem Tod, 1968 in Cambridge,
ganzes Leben, alles, was ihr wichtig ist. Nach dem wird das chemische Element Nummer 109 nach ihr
Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, wird benannt („Meitnerium“). Im letzten Jahr ihres Le-
ihr klar, dass sie fliehen muss. Lise Meitner ist in bens bricht sie sich das Bein und erleidet mehrere
Deutschland keine Österreicherin, keine Auslän- kleine Schlaganfälle. Sie stirbt im Schlaf, ohne je zu
derin mehr. Die österreichische Staatsbürgerschaft erfahren, dass ihr lebenslanger Freund, Otto Hahn,
war das letzte legislative Schutzschild, das Meitner und dessen Frau vor ihr gestorben sind. Lises Nef-
gehabt hat. Ihre Freunde, Kollegen und Meitner fe, Otto Robert, hat ihr die traurige Nachricht vor-
selbst suchen nach Fluchtmöglichkeiten. Schließlich enthalten, um die angeschlagene Gesundheit sei-
emigriert Lise Meitner im Juli 1938 in die Niederlan- ner Tante nicht noch weiter zu belasten. Auf ihrem
de – mit zehn Mark in der Tasche und zwei kleinen Grabstein lässt Otto Robert schreiben: „Lise Meitner:
Koffern. Wäre sie länger in Deutschland geblieben, a physicist who never lost her humanity“.
hätte sie wohl nicht überlebt. Lise Meitner ist einer der einflussreichsten Kern-
Bald findet Lise Meitner eine Stelle im Nobel-In- physiker der Geschichte – und das nicht bloß we-
stitut in Stockholm. Dort hat sie zwar ihr eigenes gen einer Reihe glücklicher Zufälle. Ihre Stellung in
Labor, es mangelt jedoch an Instrumenten und tech- der Welt der Naturwissenschaft ist das Resultat
nischer Ausstattung. Lise fühlt sich in ihrer neuen von mehreren Jahren außerordentlicher Liebe und
Stelle nicht glücklich. Die Zusammenarbeit mit Otto Hingabe zur Physik und zu ihren Mitmenschen. So
Hahn geht aber dennoch weiter. Sie schreiben ein- konnte Lise Meitner viele Rückschläge überwinden
ander. Otto Hahn skizziert ihr in einem seiner Briefe und ein selbstbestimmtes Leben führen – mit Selbst-
die sogenannte „Zerplatzung des Urans”, ein Expe- bewusstsein und ohne jedes „böse Gewissen“. ■
riment, das er gemeinsam mit seinem Assistenten
Fritz Straßmann durchgeführt hat. Er fragt Lise, ob Text und graphische Gestaltung: Gabriela Danko
sie das Experiment physikalisch deuten könne. Im
Exil entwickelt Lise Meitner, gemeinsam mit ihrem
Neffen, Otto Robert Frisch, die theoretische Grund-
lage für die nunmehr so bezeichnete Kernspaltung. Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit PhD,
Meitner und Frisch publizieren die Arbeit am 1. internationaler Publikationsliste und einer Einla-
September 1939. Kurz darauf beginnt der Zweite dung seitens einer österreichischen Forschungs-
Weltkrieg. Lise wird angeboten, sich in Los Alamos institution können sich um eine Forschungsför-
(New Mexico/USA) der Entwicklung von Nuklear- derung im Rahmen des Lise-Meitner-Programms
waffen zu widmen. Sie lehnt dieses Angebot ab. bemühen.
1943 erklärt sie öffentlich, sie habe mit der Entwick-
lung der Atombombe nichts zu tun gehabt. https://www.fwf.ac.at/de/forschungsfoerderung/
6. August 1945 – Hiroshima und Nagasaki. Der fwf-programme/meitner-programm
Atomschlag, der über 100 000 Menschenleben for-
dert und weitere 94 000 Menschen verletzt, erschüt-
tert die Welt. Sechs Jahre vor dieser Katastrophe
konnte sich Lise Meitner nicht vorstellen, dass ihre
physikalische Erklärung der Kernspaltung zu so
unmenschlichen Taten benutzt würde. Zum ersten
Mal in ihrem Leben stellt sie ihre bedingungslose
Liebe zur Physik in Frage.
Im November 1945 bekommt Otto Hahn den No-
belpreis für Chemie für die Entdeckung der Kern-
spaltung. Lise Meitner wird nicht ausgezeichnet.
Ihre Mitarbeit wurde aus politischen Gründen nicht
DER GROSS- UND EINZIGARTIGE 43
„WIE-VIEL-UKRAINER-STECKT-IN-DIR-TEST“

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


Demnächst auch anerkannt von der Migrationsbehörde und der Kantine Nr.46 der Stadt Holovanivsk!
Für jede korrekte Antwort bekommt man einen Punkt.

1. Zitat von Volodymyr Zelenskyi: „Der Präsi- 8. Haben Sie zu Hause ein Plastiksackerl,
dent ist …“? gefüllt mit anderen Plastiksackerln?
a) nicht ewig a) Ja
b) kein Porträt b) Nein
c) kein Spaß
d) kein Komiker 9. Was ist besser: Kartoffelpüree mit fa-
schierten Laibchen zu Hause zu essen oder
2. Was zählt NICHT zur ukrainischen Küche? ins Restaurant zu gehen?
a) Speck mit Schokolade a) Ersteres
b) Gelee mit Fleisch b) Zweiteres
c) gefüllte Fischköpfe
d) Kuchen mit Zwiebel 10. Was bedeutet БАТЬКІВЩИНА (bat-
kivshchyna) auf Deutsch?
3. Wer stammt aus der Ukraine? a) Vater
a) Emilie Ratajkowski b) Guten Tag
b) Mila Kunis c) Heimatland
c) James Franko d) Prost
d) George Clooney
11. Wer war oder ist als Präsident der Uk-
4. In Kiew befindet sich die tiefste U-Bahnstation raine tätig?
der Welt und sie trägt den Namen „Arsenalna“. a) Ein Imker
Wie tief ist sie? b) Ein Fernsehkomiker
a) 105 Meter c) Der Besitzer eines goldenen Weißbrotlaibs
b) 87 Meter d) Alle drei
c) 70 Meter
d) 125 Meter 12. Alle in der Welt wissen von der Schön-
heit ukrainischer Frauen. Wie viele Male
5. Was bedeutet ВІТАЄМО (vitaiemo) auf ist eine Miss Ukraine Miss World gewor-
Deutsch?? den?
a) Wetter a) 0
b) Wie geht´s b) 1
c) Herzlich willkommen c) 2
d) Fest d) 3

6. Die Durchschnittsbürgerin Olena bekommt 13. In welchem Jahr hat die UEFA-Fuß-
einen Mindestlohn von 6000 Hryvnia. Wie viele ball-Europameisterschaft in der Ukraine
Tassen Kaffee kann Olena in Deutschland un- stattgefunden?
gefähr für dieses Geld kaufen? a) 2008
a) 4 b) 2012
b) 69 c) 2016
c) 20 d) noch nie
d) 123
14. Welcher Ukrainer hat in den vergange-
7. Dem Dichter und Maler Taras Shevchenko nen Jahren beim ESC gewonnen?
wurden die meisten Denkmäler auf der Welt er- a) Eine Frau mit Glitzerstern auf dem Kopf
richtet. Wie viele davon gibt es? b) Ein Mann mit einer Uhr auf der Brust
a) 1384 c) Eine Frau aus der Wildnis
b) 588 d) Niemand
c) 641
d) 316 Zur Auflösung die Seite umblättern!
44 Auflösung:
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AUSTRIAKISCHES •RUTHENISCHES • KAKANISCHES

14-12 Punkte: „Shchshchyryi ukrayinets (щирий українець), was auf


Deutsch so viel wie „echtrer Ukrainer“ bedeutet.

11-8 Punkte: „Ukrayinets“ (українець) – quasi „Durchschnittsukrainer“.

7-4 Punkte: „Troschky ne dotiahnuv“ (трошки не дотягнув), was auf


Deutsch „ein bisserl danebengelangt“ heißt.

3-0 Punkte: „Ne tvoja istoriia“ (не твоя історія) – „Nicht dein Schwerpunkt,
du hast andere Talente“.
Erstellt von: Vira Zimnenko (Kharkiv)

Impressum
DIE BRÜCKE. UKRAINISCH-ÖSTERREICHISCHES ZIRKUSBLATT NUMERO XL VON CLOWNS UND FÜR CLOWNS

Herausgegeben an der Universitas Nationalis Kioviensis Ševčenkiana, der Universitas Nationalis Leopoliensis nominis Ioannis
Franko und der Uni, wo der Fabio Sand arbeitet.

Redaktion Kyiv: Dr. Florian Rinesch


Kontakt: florian.rinesch@yahoo.de
Redaktion Lviv: Mag. Hildegard Kainzbauer (OeAD-Lektorin an der Nationalen Ivan Franko Universität Lviv)
Redaktion Kharkiv: Mag. Fabio Sand (OeAD-Lektor an der Nationalen Technischen Universität Kharkiv)
Kontakt: fabio.sand@oead-lektorat.at

https://www.facebook.com/brueckezeitung

Diese Zeitung entsteht als Gemeinschaftsprojekt von Studentinnen und Studenten der Nationalen Taras Shevchenko
Universität Kyiv (KNU), der Nationalen Ivan Franko Universität Lviv (LNU) und der Nationalen Technischen Universität
Kharkiv (NTU). Sie wird ehrenamtlich erstellt, erscheint zweimal im Jahr und ist kostenlos erhältlich.

Das Copyright aller in dieser Publikation veröffentlichten Texte und Bilder liegt bei den jeweilgen Urhebern.
Die Texte und Bilder dürfen nicht ohne vorherige Genehmigung durch die Rechteinhaber
weiterverwendet werden.

Wir bedanken uns beim Österreichischen Kooperationsbüro Lemberg

sowie beim Österreichischen Kulturforum Kyiv


für die Unterstützung des Projekts.
DIE BRÜCKE FRAGT: 45

AUSTRIAKISCHES • RUTHENISCHES • KAKANISCHES


WER IST DIESER GLATZKOPF?

Auflösung aus Heft 39: In der letzten Ausgabe fragten wir nach Elisabeth Bergner,
einer bekannten Theater- und Filmschauspielerin, die in den zwanziger Jahren des 20.
Jahrhunderts auf den Bühnen des deutschsprachigen Raumes große Erfolge feierte.
Elisabeth Bergner wurde 1897 im galizischen Drohobych (damals Österreich-Ungarn)
geboren. Nach ihrer Schauspielausbildung in Wien folgten Engagements an verschieden
Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihren Durchbruch feierte Elisabeth
Bergner 1923 in einer Inszenierung von Shakespeares’ „Wie es euch gefällt“ am Berliner
Lessing-Theater. Auch im Film war die Bergner zugange; so verkörperte sie die Titelrolle
in der Schnitzler-Verfilmung „Fräulein Else“. Ihr Engagement im britischen Streifen „Escape
me never“ (1935) trug Bergner eine Oscar-Nominierung ein. Aufgrund ihrer jüdischen
Herkunft sah sich Elisabeth Bergner 1940 gezwungen vor den Nationalsozialisten in die USA
zu fliehen. Der große Erfolg in Hollywood blieb ihr zwar versagt, doch vermochte sie mit
dem deutschsprachigen Emigranten-Ensemble PLAYERS FROM ABROAD in New York zu
reüssieren – trotz der fremden Sprache. Übrigens, in gewisser Weise hat die Bergner doch
auch der Traumfabrik ihren Stempel aufgedrückt, entsprang doch der Plot des berühmten
Hollywood-Klassikers „All about Eve“ einer Episode aus Bergners Leben. Nach dem Krieg
kehrte Elisabeth Bergner nach Europa zurück. Sie spielte weiter Theater und wirkte v.a. in
England in einer Reihe von Kinofilmen mit. Exemplarisch genannt sei der Horrorstreifen „Cry
of the Banshee“ (1970) mit Vincent Price. Elisabeth Bergner starb 1986 in London.
46
UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR

© https://www.facebook.com/litslam/
Die Organisatoren des Kharkiver LitSlams: Oleksandr Kud und Artem Elf (v.l.n.r.)

LitSlam
Poesie. Nicht selten ist zu hören, dass die Dichtkunst überholt und vom Aussterben bedroht sei. Allen Un-
kenrufen zum Trotz, überzeugt die Ukraine jedoch seit einigen Jahren mit einer aktiven Szene junger Dich-
terinnen und Dichter, die ihre Gedichte nicht nur für sich im stillen Kämmerlein verfassen, sondern diese
auch auf Bühnen einem breiten Publikum präsentieren. „LitSlams“ nennt man diese Veranstaltungen, die im
deutschsprachigen Raum vor allem unter dem Begriff „Poetry-Slam“ firmieren. Oleksander Kud zählt in der
Stadt Kharkiv zu den Hauptorganisatoren solcher Veranstaltungen. Der BRÜCKE hat er exklusiv ein Inter-
view gegeben.

DIE BRÜCKE: Woher kommt der LitSlam und wel- Gedichte vorgetragen. Später entwickelte sich da-
che Entwicklungen hat er durchlaufen? raus ein richtiger Poesiewettbewerb. Mark Smith
OLEKSANDR KUD: Generell hat der Litera- war der erste, der ein Slam-Turnier organisiert hat.
tur-Slam eine lange Geschichte, die auf die Auf- Das war im November 1984. In den neunziger Jah-
tritte von Programmansagern bei Jazzkonzerten ren des letzten Jahrhunderts schwappte der Trend
in den USA zurückzuführen sind: Wenn ein sol- nach Europa über und gewann in Deutschland und
cher Conférencier eine neue Nummer ankündigen Großbritannien schnell an Popularität. In der Ukrai-
musste, konnte er diese Gelegenheit nutzen, um ne traten LitSlams in den späten neunziger Jahren
Witze oder Anekdoten zu erzählen; ähnlich wie zunächst nur vereinzelt auf, meist im Rahmen von
ein Stand-up-Comedian. Manche haben aber auch Festivals, wobei die ersten Teilnehmer bereits etab-
lierte ukrainische Schriftsteller waren, wie beispiels- nen visuellen Stil zugelegt, wobei uns die Designe- 47
weise Serhii Zhadan. Erst Mitte der 2000er Jahre be- rin Anna Pomazan geholfen hat und dies auch heu-

UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR


gann der LitSlam in der Ukraine richtig populär zu te noch tut. Anschließend haben wir Informationen
werden und Anatolii Ulianov wurde zum Organi- über die Veranstaltung in sozialen Netzwerken und
sator der ersten großen Slam-Battles und der soge- an Universitäten verbreitet. Ehrlich gesagt waren
nannten zweiten Welle dieser Bewegung, die 2010 wir uns nicht sicher, ob diese Idee ein Erfolg wer-
begann und mehr als fünf Jahre andauerte. Multfilm den würde, aber als ca. 120 Leute zum ersten Event
Gagarin, einer der bekanntesten Slamer jener Jahre, kamen, war uns klar, dass der LitSlam seine Popu-
wurde zum führenden Slam-Master [Turniermode- larität nicht verloren hatte und dass auch weiterhin
rator, Anm. d. Red.] jener Zeit. eine große Nachfrage besteht, weshalb es Sinn hatte,
DIE BRÜCKE: Wann hast du den LitSlam für dich diese Bewegung weiterzuentwickeln.
entdeckt und wie wurdest du zu einem der maß- DIE BRÜCKE: In welchen Städten der Ukraine seid
geblichen Organisatoren von Slams in Kharkiv? ihr noch aufgetreten?
OLEKSANDR KUD: Das war vor etwas mehr als OLEKSANDR KUD: Neben Kharkiv hatten wir
zehn Jahren. Damals war ich selbst noch Student Veranstaltungen in Kyiv und waren an der Orga-
und hatte den Wunsch mit meinen selbstverfass- nisation eines Slams in Kryvyi Rih beteiligt. Wir
ten Texten aufzutreten und Freunde mit ähnlichen haben entschieden, dass es jetzt nicht unbedingt
Interessen zu finden. Über soziale Netzwerke und ratsam wäre, mit dem LitSlam durch das Land zu
Plakate an der Universität habe ich zufällig von reisen, da es immer noch nicht allzu viele Anhän-
einer LitSlam-Veranstaltung erfahren. Ich habe ger dieses Formats gibt und es unser Ziel ist, den
mich sofort für das ungewöhnliche Format dieses Slam als festes kulturelles Phänomen zunächst in
Poesiewettbewerbs zu interessieren begonnen, das Kharkiv zu verankern. Wir teilen diesen Ansatz mit
sich deutlich von dem eher bescheidenen Literatur- befreundeten Organisatoren aus anderen Städten,
klub alten Formats unterschied, den ich an meiner die daran interessiert sind, ein ähnliches Veranstal-
Fakultät bis dato besucht hatte. Ich bin hingegan- tungsformat aufzuziehen und wir laden Teilnehmer
gen und habe sofort meinen ersten Slam gewonnen. aus verschiedenen Städten der Ukraine ein, uns zu
Inspiriert von der Atmosphäre und dem Under- besuchen. In Zukunft planen wir, eine gesamtukrai-
ground-Format wurde ich für viele Jahre zu einem nische Slam-Liga mit gemeinsamen Regeln, Cham-
aktiven Teilnehmer an Slam-Turnieren in der gan- pions und einem „Battle of Cities“ zu organisieren.
zen Ukraine. Nachdem circa um das Jahr 2016 her- DIE BRÜCKE: Wie läuft ein Slam nach den von
um die zweite Welle des LitSlam abgeklungen war euch verwendeten Regeln ab?
und sich die ursprünglichen Organisatoren anderen OLEKSANDR KUD: Für die Premier League und
Aufgaben zu widmen begonnen hatten, folgte eine die Major League folgen wir den von Multfilm
Phase des Verstummens. Erst im Jahr 2019 haben Gagarin bzw. den von seiner Organisation „H4O“
mein langjähriger Freund Artem Elf und ich ent- aufgestellten Regeln, die dem olympischen Schieds-
schieden, das Literatur-Slam-Format wieder aufzu- richtersystem ähneln. Zum Beispiel besteht die Ma-
nehmen, da diese Veranstaltungen beim Publikum jor League aus drei Runden: der ersten Runde, der
und auch bei den Dichtern immer noch sehr gefragt zweiten Runde und dem Finale. Nach jeder Runde
waren. Artem war damals übrigens auch schon zehn scheiden die Teilnehmer mit der niedrigsten Punkt-
Jahre in der Szene mit dabei. Wir sind an diese Auf- zahl aus. Von zufällig ausgewählten Zuschauern
gabe sehr ernsthaft herangegangen und haben die werden Bewertungen auf einer Skala von 1 bis 5
Slam-Regeln aus den Zeiten von Multfilm Gagarin vergeben. Den einzelnen Teilnehmern auf der Büh-
übernommen, nachdem wir mit ihm dieses Format ne werden sogenannte „drei Minuten des Ruhms“
vereinbart hatten. Wir haben uns auch einen eige- eingeräumt: In dieser Zeit können sie so viele ihrer
48 Werke lesen, wie sie es vermögen. Voraussetzung an dem jeder teilnehmen kann. Wir haben auch ge-
ist allerdings, dass alles, was auf der Bühne vor- wisse Vorbilder, allen voran das Slam-Format, das
getragen wird, auch aus der Feder des jeweiligen im deutschsprachigen Raum vorherrscht. Wir hof-
UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR

Autors bzw. der jeweiligen Autorin stammt. Ziel fen sehr, dass wir eines Tages eine Kooperation zwi-
ist es, das Publikum durch die Darbietung so stark schen unseren Ländern etablieren können, um die-
wie möglich zu beeindrucken. Neben der Premier sen Trend der breiten Masse vorzustellen und somit
League und der Major League gibt es auch den All- ein internationales Slam-Format zu schaffen.
Stars-Slam, bei dem die „Besten der Besten“ – also DIE BRÜCKE: Lieber Oleksandr, vielen Dank für
diejenigen, welche die meisten Erfolge der jeweili- das Gespräch. ■
gen Saison hatten – gegeneinander antreten.
DIE BRÜCKE: Welche Bedeutung hat der Slam für Das Interview führten Maryna Bykova und Fabio Sand
die Dichter, welche für die Zuhörer? (Kharkiv)
OLEKSANDR KUD: Einmal wurde mir gesagt,
dass ein Slam keinen Sinn hätte, solange keine be-
rühmten Dichter zu unseren Veranstaltungen kä-
men und dass unsere Veranstaltungen nicht seriös
seien. Tatsächlich ist dies nicht der Fall, denn gera-
de für Neulinge und Literaturliebhaber haben sie
durchaus Sinn. Unser oberstes Ziel ist es, gerade
junge und noch wenig bekannte Dichter zu finden,
ihnen zu helfen, sich zu öffnen und ein breites Pub-
likum anzusprechen, sie zum Schreiben zu motivie-
ren. Slam ist eine Art Plattform, auf der sich jeder
ausdrücken kann. Für die Zuschauer ist dies eine
wunderbare Gelegenheit, einen interessanten und
unterhaltsamen Abend zu erleben.
DIE BRÜCKE: Wie könnten, deiner Meinung
nach, junge Leute dazu ermutigt werden, sich der
Slam-Bewegung anzuschließen?
OLEKSANDR KUD: Vor einiger Zeit hielt ich als
Absolvent eine Vorlesung an meiner Fakultät und
habe irgendwann darum gebeten, dass diejenigen
im Saal, die Gedichte schreiben, die Hand heben
sollen, woraufhin circa 30-40% des Publikums dies
taten. In meiner Studienzeit war das nicht anders.
Viele junge Talente schreiben mittlerweile Gedichte
oder Prosa, haben aber Angst, sie öffentlich zu prä-
sentieren. Viele wissen auch nicht, dass es eine krea-
tive Community von Schriftstellern gibt, in der sie
gehört werden können. Ich habe diesen Leuten vom
LitSlam erzählt und von meinem eigenen Werde-
gang innerhalb dieser Bewegung. Ich habe ihnen er-
klärt, dass LitSlams eine großartige Gelegenheit sei-
en, ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren
und die Werke anderer Dichter kennenzulernen.
DIE BRÜCKE: Was sind deine Pläne für die
Slam-Bewegung in naher Zukunft?
OLEKSANDR KUD: Eine unserer Hauptaufga-
ben ist es, neue Talente aufzustöbern, dieses Pro-
jekt nicht nur in Kharkiv, sondern auch über die
Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen und den
ukrainischen LitSlam nicht nur in unserem Land,
sondern auch im Ausland als eigenständiges kultu-
relles Phänomen zu verankern. Momentan planen
wir, eine Dokumentation über den Slam zu drehen
und ein großes Open-Air-Festival zu veranstalten,
49
Афтепаті Briefliches Intermezzo

UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR


Зустріч зайва була на барі з бокалом,
Ось там лярва співа набридлим вокалом,
Бармен в спокої сумном льє свій заказ,
Нам би в покої знову, буде як раз.

Вийшли з бару під димом курева тихо.


З вишні варта наливка, курва пробігла.
Ми вже через розмови ближче до цілі,
Тема бесід: мистецтво в текстах у Біггі.

Пішки йшли по нічному місту з аптеки.


Кішка йшла та мурчала – мізки запекло.
Сквер та лавка пуста, з сусідньої – плач.
Двері, мавку впускав – пасивненький грач.

Сигу взяв під вино, а ти вже у ванній.


Циган грав під вікном з ножем. Ненор-
мальний...
Я курю на балконі. Тиша навколо.
Не доїв макарони. Ніч вже безсонна.

Кінчик пальця торкнувся тіла дівахи.


Кінчик тільки почався – руки на ляхах,
«Ляг ти нижче, будь ласка» – далі кіно.
Лях на трубці ту «казку» слухав давно.

Сон наснився тривожний, спав дві години.


Знов не виспався... Можна бути спокійним?
Ліжко – поле баталій, секс – лише битва. *
Книжка повна деталей: сенс, немов бритва.

Ти пішла рано вранці, після світанку,


Замішав у сметанці голий сніданок.
За***аний вдома думаю після,
З Айови я знову слухаю пісню.

Галас мови лунав не тихо, не гучно.


Зараз знову заграв мобільник беззвучно.
Ми роз’їхались по інакшим містах.
Навіть краще, що я тебе не кохав.

Friedrich Schwalbe alias Andrij Lastovka (2021)


50
UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR

Die Ärztin Ivanna K. mit BRÜCKE-Journalistin Gabriela Danko (v.l.n.r.)

„Kommen Sie schnell, mein Mann hat sich ein


Messer in den Hals gestochen!“
Aus dem Leben. Kein Tag gleicht dem anderen, wenn man Arzt in einem gottverlassenen Dorf in Transkar-
patien ist. Ivanna K. (35) macht diesen Job bereits seit elf Jahren. Es ist eine harte Arbeit, die ganzen Einsatz
erfordert. DIE BRÜCKE hat die routinierte Ärztin gebeten, ein paar Geschichten aus ihrem Berufsleben zu
erzählen.

„Ich dachte, das wären Kartoffeln…” „Helft ihm, er wird sonst verbluten!“

In unserem Dorf gibt es eine Menge Drogensüchti- Es werden auch andere Drogen im Dorf verkauft
ge. Viele von ihnen bauen verbotene Pflanzen in ih- und konsumiert. Ich kann mich an eine unheimli-
rem Garten an – als Naturprodukt, sozusagen. Die che Episode mit einem Drogensüchtigen erinnern.
Polizei ist einmal zu einem dieser Gärten gefahren Er war aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine
und hat die verantwortlichen Jugendlichen verhaf- heimgekehrt. Das war ein Mann – zwei Meter groß!
tet. Ich war damals auch vor Ort. Die Mutter sagte Wir wussten alle, dass er drogensüchtig war. Ein-
den Polizisten: „Ich habe davon nichts gewusst. Ich mal rief mich seine Frau in der Praxis an: „Kommen
dachte, das wären Kartoffelpflanzen... Ich habe nur Sie schnell, mein Mann hat sich ein Messer in den
Kartoffeln angebaut!” Tatsächlich verhielt es sich Hals gestochen!“. Die Frau schrie ins Handy und
so: Im Beet waren abwechselnd eine Reihe Kartof- sagte, dass Blut aus der Wunde hervorsprudele. Ich
feln und eine Reihe Hanf gepflanzt; und die Frau bin also hin, gemeinsam mit einer Krankenschwes-
hat das Beet gegossen, gejätet… Ob sie die „Kartof- ter. Ein Rettungswagen war natürlich nicht vor Ort,
feln“ wirklich unwissentlich gepflanzt hat, weiß ich obwohl ein Notruf gesendet worden war. Der Hüne
nicht genau. saß auf der Schwelle zum Schlafzimmer. In der rech-
ten Hand hielt er ein Messer. Er hatte es sich nicht Auch im nahegelegenen Roma-Lager sterben jedes 51
in den Hals gestochen, sich aber immerhin einige Jahr zwei bis drei Kinder wegen der unhygienischen

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Schnitte zugefügt. Seine Brust war blutverschmiert. Verhältnisse dort. Die Kinder ersticken einfach. In
Er blickte mich an und sagte provozierend: „Na, den kleinen Häuschen gibt es nicht ausreichend
kommen Sie doch“. Die Krankenschwester und ich Platz, deshalb legen die Eltern ihre Babys in soge-
taten einen Schritt auf den Mann zu – da erhob er nannte Hängekrippen. Manchmal dreht sich das
sich. „Keinen Schritt weiter…“ schrie er. Wir wi- Baby unglücklich und erstickt in seiner Krippe. Die
chen zurück. Die Frau versuchte ihn zu beruhigen: Mutter steht dann am Morgen auf und muss fest-
„Sie werden dir einen Verband anlegen und dei- stellen, dass ihr Kind schon blau und steif geworden
ne Wunde versorgen“. Wir machten erneut einen ist. Mich schauderte als ich zum ersten Mal wegen
Schritt auf ihn zu, er aber erhob sich wieder und eines solchen Unfalls in das Roma-Lager gerufen
brüllte: „Wenn Sie es wagen, noch einen Schritt wurde. Alle 350 Roma hatten sich draußen versam-
näher zu kommen, dann steche ich hier alle ab!“ melt, einige schrien, andere weinten, die Frauen
Wir riefen die Polizei, die dann auch bald kam. Der fielen in Ohnmacht, standen auf und fielen wieder
eine Polizist war kaum einen Meter vierzig groß, hin... Die nächsten Male ging ich nur mit Polizei-
und seine Kollegin war noch sehr jung, vielleicht begleitung dorthin. Es wird oft vom Arzt erwartet,
zwanzig Jahre alt. Ich sagte zu ihnen: „Na, gehen dass er das Kind mit irgendeiner Wunderinjektion
Sie doch zu ihm!“ Der Polizist antwortete: „Na, ge- wiederbelebt; wenn dies dann nicht gelingt, besteht
hen Sie doch!“ Währenddessen rief die Frau: „Helft die Gefahr, dass die Leute gewalttätig werden.
ihm, er wird sonst verbluten!“ Die Polizisten riefen Alles kann man ertragen, aber wenn Kinder ster-
nach Verstärkung. Schließlich kamen vier kräftige ben...
Polizisten und nahmen den Mann gewaltsam mit
ins Krankenhaus. Nach diesem Erlebnis brachten „Ich bin im Himmel!”
meine Krankenschwester und ich für zwei Stunden
kein einziges Wort über die Lippen. An die folgende Geschichte erinnere ich mich sehr
oft: Nicht weit von unserem Ambulatorium wohnt
Das Schlimmste an meiner Arbeit ist... ein netter Mann. Er ist Alkoholiker und hat eine
Tochter. Sie ist noch Schülerin. Eines Tages rief
...wenn Kinder sterben. Das ist das Schlimmste. Wir uns die Tochter weinend an: „Vati liegt am Boden!
hatten einmal drei Jahre hintereinander jeden Som- Er stirbt! Ich habe ihn angestupst, aber er reagiert
mer ein ertrunkens Kind; immer im Juli, immer in nicht”. Ich rief erst einen Rettungswagen und lief
demselben Dorf. Der erste Fall ist mir noch beson- dann mit meiner Krankenschwester und der Feld-
ders lebhaft in Erinnerung… scherin1 hinüber zum Haus des Mannes. Ich muss
Die Kinder hatten sich im Wasser eines Naturba- vorausschicken: wir hatten alle drei blonde Haa-
des vergnügt, während die Erzieher ein Dampfbad re und sahen recht ähnlich aus – aber dazu später
genommen hatten. Erst nach einiger Zeit bemerkten mehr.
die Jungs, dass einer von ihnen fehlte. Das Wasser Wir gelangten schließlich an das Haus und tra-
des Bades war so schmutzig, dass man nicht auf den ten ein. Wie berichtet, lag der Mann reglos am Bo-
Grund sehen konnte. Als wir ankamen, lag der Jun- den. Wir liefen alle zu ihm und begannen, seinen
ge bereits reglos auf dem Strand. Es war schon zu Puls und Blutdruck zu messen. Nachdem ich den
spät. Vor uns lag ein eben noch gesundes Kind – tot. Mann genauer betrachtet hatte, dachte ich bei mir:
Wir mussten trotzdem etwas unternehmen – Herz- „Der schläft doch einfach“. Ich bat meine Kranken-
massage, Beatmung... Rund vierzig Leute standen schwester und die Feldscherin, mir das Riechsalz zu
herum, schrien und weinten. Nach dreißig Minuten geben. Die beiden hatten eigentlich schon damit be-
Reanimation blieb uns nichts anderes übrig, als den gonnen, eine Adrenalininjektion vorzubereiten, ta-
Tod des Jungen zu konstatieren. Keiner von den Er- ten aber, was ich ihnen geheißen hatte. Ich hielt also
ziehern war bereit, die Mutter zu informieren. Jeder dem Mann Ammoniak unter die Nase.
sagte nur, dass er das nicht tun werde. Am Ende rief
1 Der Begriff Feldscher bzw. Feldscherin (ukr. фельдшер/
die Leiterin der Ambulanz die Mutter an. Ich konn- фельдшерка) hat unterschiedliche Bedeutungsdimensionen: Im
te und kann so etwas nicht… deutschsprachigen Raum ist der Begriff bereits historisch und
Bei dem zweiten Kind im darauffolgenden Jahr meint einen Laien- bzw. Wundarzt, der v.a. im Kriege für die me-
dizinische Versorgung der Soldaten zuständig gewesen ist. Im
hatten wir es mit betrunkenen Eltern zu tun, die Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Feldschere zunehmend
ebenfalls ein Dampfbad genommen hatten. Der be- von professionellen, akademischen Ärzten verdrängt. In der Uk-
raine ist der Feldscher – wie in anderen Ländern Osteuropas –
soffene Vater schrie uns an: „Wenn sie mein Kind eine anerkannte Berufsausbildung. Der Feldscher steht in puncto
nicht wiederbeleben, werde ich hier alle umbrin- Ausbildungsniveau zwischen Arzt und Krankenschwester und ist
vorwiegend in Landambulatorien beschäftigt. In Westeuropa ist
gen!“ der Beruf des Feldschers nicht anerkannt. Anm. d. Red.
52 Da öffnete er plötzlich die Augen, guckte uns an
und sagte: „Drei Blondinen... ich bin im Himmel!“
Nachdem er diesen Satz gesagt hatte, dachten wir
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nur: Gott sei Dank – alles nicht so schlimm! Erleich-


tert saßen wir neben ihm und lachten. Bis heute ha-
ben wir den Mann und seinen lustigen Spruch nicht
vergessen.■
Aufgezeichnet von Gabriela Danko
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53
Glosse solche hinaus. Nehmen wir an, Ihre Mutter ärgert 57
sich über etwas, das Sie tun, aber Sie wollen nicht

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zurückstecken. Die Wut der Mutter mündet schließ-
MÜSSEN WIR UNS SO lich in ein Beleidigtsein: „Du bist so rücksichtslos!
Wie kannst du deine Mutter so behandeln?“ Und
BESCHRÄNKEN? was ist dieses Beleidigtsein anderes, als die Verur-
teilung eines bestimmten Verhaltens? Die schönen,
von der Beleidigung getrübten Augen der Mutter
So lange ich mich erinnern kann, spuken verschie- übersehen dabei natürlich eine Kleinigkeit, die so
dene Volksweisheiten in meinem Kopf herum. Auch einfach und gleichzeitig so schwer wahrzunehmen
heute noch, wenn ich aus dem Bett aufstehe, tue ich ist: Ein Mensch kann und soll seine eigene Meinung
das immer erst mit dem rechten Bein. Wenn ich haben. Es ist der innere Kern eines Menschen, der
Salz verschütte, werde ich nervös. Und wenn eine sich jahraus jahrein heranbildet und der uns nicht
schwarze Katze meinen Weg kreuzt, bete ich pa- erlaubt, vor den Grillen anderer Leuten zu kuschen.
nisch, dass sich keine Misserfolge einstellen mögen. Für mich, wie für viele Teenager, sind die Themen
Diese Volksweisheiten können etwas Schreckliches Kritik und Anerkennung sehr wichtig. Unterbe-
an sich haben, mehr sein, als harmlose Folklore. wusst denken wir über jeden unserer Schritte nach,
Auffallend oft lassen wir uns von weithergeholten, um nicht öffentlichen Unmut zu erregen. Diese Ab-
mitunter hanebüchenen „Argumenten“ beschrän- hängigkeit von der Meinung anderer grenzt mitun-
ken. ter ans Absurde; etwa, wenn wir fragen: „Welches
Als Beispiel möchte ich Ihnen die kuriose Ge- Gericht soll ich in einem Café bestellen, damit ich
schichte von Donald Unger erzählen, einem Arzt nicht als Abnormität angesehen werde?“ Eben da-
aus Kalifornien. Sechzig Jahre lang knackte dieser her ist es sowohl in alltäglichen als auch in globalen
hartnäckige Mann – er ist jetzt 83 – jeden Tag mit Fragen so schwierig, eine Wahl zu treffen.
den Fingerknöcheln seiner linken Hand. Seine rech- Wenn man sich beispielsweise entscheidet, nicht
te Hand ließ er zur Kontrolle des Experiments unan- an die Uni zu gehen, wird man von vielen Menschen
getastet. Er wollte herausfinden, ob das Fingerkna- verurteilt, die selbst nicht wissen, wo sie mit ihrem
cken tatsächlich – wie die Volksweisheit besagt – zu Universitätsdiplom eine Arbeit finden sollen. Wenn
Arthritis führt. Das zeitlebens durchgeführte Expe- man hingegen noch mindestens vier Jahre studie-
riment hat gezeigt, dass dem nicht so ist! Die rechte ren möchte, klopfen Gäste mit anderen Ansichten
und die linke Hand des Arztes waren am Ende des an Ihre Tür, welche die Hochschulen als Ausbund
Experiments in gleichem Zustand, trotz des stän- blöder Uniformität erachten. Entsprechend würden
digen Knackens der linken. Die Motivation für die wir Studierende, in deren Augen, zu Normalbür-
Durchführung der Studie lag, nach Auskunft Herrn gern ohne eigenen Standpunkt erzogen.
Ungers, in der Auffassung seiner verstorbenen Es sollte nicht so sein, aber oft versuche ich auf
Mutter, die von der vermeintlichen Schädlichkeit zwei Stühlen gleichzeitig zu sitzen und jedem zu ge-
des Fingerknackens überzeugt war. Heute weiß Do- fallen, um eine weitere Portion von sozialer Verur-
nald Unger, dass seine Mutter unrecht gehabt hatte. teilung zu vermeiden. Ich denke gleichzeitig – egal
Vielleicht hatte die Mutter, so wie viele Menschen, wie schwierig es ist, man sollte keine Angst davor
den Klang des Knackens einfach nicht gemocht... haben, frei zu sein und aus dem Rudel vertrieben
Warum erzähle ich Ihnen das überhaupt? Donalds zu werden. Man muss sich selbst kennenlernen, sei-
Fingerknacken ist Inbegriff von allem, wonach wir ne eigenen Wünsche verstehen, sich nicht die Mei-
uns von Herzen sehnen, was wir uns aber aus ir- nungen anderer aufzwingen lassen. Natürlich muss
gendeinem Grund verwehren – ein verbotener Ap- dieser Prozess durch die eigene Selbstverbesserung
fel in modernem Sinne. Die Beschränkung kann unterstützt werden.
einem Aberglauben entspringen, einer unter den Am Ende können wir, wenn wir genug Geisteskraft
Menschen weitverbreiteten (falschen) Ansicht oder haben, mutig in die Augen der „wütenden Mütter“
der öffentlichen Meinung im Allgemeinen. „Finger- schauen, nach deren Vorstellung ein Mensch stets
knacken“, „wütende Mutter“ und Donald selbst Gefahr läuft, von einem Rudel Wölfe gerissen zu
– das sind die Variablen unserer Gleichung. Sie werden, wenn er auch nur ein wenig vom gesell-
können diese Variablen durch andere, Ihrer Lebens- schaftlich Gewünschten abweicht. Schauen wir in
situation entsprechendere ersetzten. Das Ergebnis ihre Augen und rufen löwenkühn: „Ja! Ich bin so!
wird jedoch immer das gleiche bleiben: Verurtei- Ich knacke mit den Fingern! Wenn Sie wollen, dann
lung durch die Gesellschaft. los! Nennen Sie mich, wie Sie wollen! Dann bin ich
Natürlich kann der Begriff „Verurteilung“ zu ri- eben ein „Cracker Man“. Das ist mir wurscht! Viel-
goros erscheinen, aber im Ergebnis läuft es auf eine leicht bin ich ein Cracker, aber ich werde genüsslich
58 gegessen, weil ich ein selbstzufrieden schmackhaf-
ter Cracker bin!“
Das bedeutet aber nicht, dass ich Sie auffordere,
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jeden Hinz und Kunz anzuschreien, der Sie schräg


anblickt. Ihre Stimmbänder würden am Abend sehr
wund sein. Und wir wollen unseren Beleidigern
schließlich nicht den Genuss der Aphonie bereiten!
Natürlich können Sie zu Hause schreien, wenn Sie
niemand sieht, aber im Grunde sind es die Feinde
unserer Nervenzellen nicht wert. Nachdem Sie dann
alle überflüssigen Gedanken aus Ihrem wunderba-
ren Kopf entfernt haben, werden Sie beginnen, das
Leben zu genießen und echte Freude zu empfinden.
Sie werden in der Lage sein, sozusagen, den Regen-
bogen nach Ihrem Geschmack zu spüren.
Doch die Sache hat ein Aber! Überschießende
Selbstsicherheit kann gefährlich sein. Ich würde
mir wünschen, dass jeder, der diesen Text ernsthaft
liest, sich selbst adäquat bewertet. Blinder Glaube
führt niemals zum Glück. Das Problem ist nicht,
dass es fast unmöglich ist, echte Sicherheit zu errei-
chen, sondern dass die Suche nach Sicherheit neue
Unsicherheit schafft. Viele Leute sind von ihrer un-
bedingten Professionalität allzu überzeugt und dass
sie Anspruch auf einen besseren Lohn hätten. Wenn
jedoch jemand an ihrer statt befördert wird, fühlen
sie sich unterbewertet und verkannt.
Unsicherheit ist eine Bremse für jeden persönlichen
Fortschritt. Eine Person, die glaubt, alles zu wissen,
lernt jedoch nichts. Wir werden nichts lernen kön-
nen, bis wir unsere Fehler anerkennen. Für mich
persönlich bedeutet das: einen offenen Geist zu be-
wahren ohne sich ständig von anderen verbiegen
zu lassen. Auch wenn es akzeptabel scheint, ist es
doch unbequem, auf so vielen Stühlen gleichzeitig
zu sitzen.■

Ivanna Soiko
59

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© Reinhard Kleist www.reinhard-kleist.de

DAVID BOWIE:
DER MANN, DER AUF DIE ERDE FIEL

Portrait. Anna Lysenko widmet sich in Ihrem Artikel der wohl bedeutendsten Rock-Ikone der siebziger und
achtziger Jahre des 20. Jahrhundert und räumt dabei auch mit einigen Mythen auf.

Ziggy Stardust, der dünne weiße Herzog oder David Jones – jeder kannte seinen Bowie anders.
Der Mann, der auf die Erde fiel, wurde der Mann, der die Welt verkaufte. Und nach all dem nennen wir
diesen unter einem schwarzen Stern geborenen Mann einen Helden. Bowies Leben war alles andere
als langweilig und manchmal scheint es, dass alle Legenden seiner Alter Egos tatsächlich wahr sein
könnten. Hier sind die Fakten, die noch weniger wahrscheinlich aussehen als die meisten Gerüchte.
60 HINTER DEM SCHWARZEN AUGE QUINTESSENZ
Wenn wir Bowies Namen hören, fallen uns als erstes Ab Mitte der sechziger Jahre versuchte Dave Jones,
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der berühmte Blitz auf seiner rechten Gesichtshälfte der eben für sich das Pseudonym „Bowie“ erfun-
und seine mystischen, verschiedenfarbigen Augen den hatte, in den britischen Charts Fuß zu fassen.
ein. Es ist allgemein bekannt, dass Bowie keine Kon- Es brach ihm das Herz, als seine ersten Singles und
taktlinsen trug, weshalb viele Leute dachten, dass sein Debütalbum scheiterten. Die Exzentrizität des
es sich bei dem Phänomen um Heterochromie han- jungen Künstlers verlängerte den Weg zum Erfolg
delte – gleichsam ein natürliches Zeichen von Bo- erheblich, aber auf seiner langen Reise erlebte er
wies bizarrer Einzigartigkeit. Die wahre Geschichte so einiges: er lernte Pantomime, arbeitete mit ver-
hinter dem schwarzen Auge ist jedoch nicht so po- schiedenen Popbands zusammen, interessierte sich
etisch. In seiner rebellischen Jugend hat David öf- für deutsches Kabarett, französische Chansons und
ters Faustkämpfe geführt. Im Frühjahr 1962 geriet japanisches Kabuki-Theater. All diese Eindrücke
er mit seinem Schulkameraden George Underwood flossen in das Bild des Mars-Rockstars Ziggy Star-
in einen Streit. Der Zankapfel war natürlich das dust ein. Nicht alle ließen sich davon beeindrucken:
hübscheste Mädchen der Klasse. In der Hitze des Als John Lennon einmal gefragt wurde, was er von
Gefechts schlug George David auf das linke Auge. Bowies Musik halte, antwortete er, dass er sehr
Underwoods Fingernagel zerkratzte die Oberfläche stolz auf David sei, aber dessen Musik sei lediglich
von Bowies Augapfel und lähmte damit die Mus- Rock‘n‘Roll mit etwas Lippenstift.
keln, welche die Iris zusammenziehen. Wenn eine
Person mit unverletzten Augen ins Licht tritt, ziehen SO WIRD EIN SCHUH DARAUS
sich deren Pupillen zusammen und werden kleiner,
London 1969: Der junge Bowie schlendert den Ken-
was einen größeren Teil der Iris freilegt. In der Dun-
sington-Markt entlang auf der Suche nach einem
kelheit dehnen sich die Pupillen aus und tun das
schönen und ungewöhnlichen Paar Schuhe. Schließ-
Gegenteil, um so viel Licht wie möglich hereinzu-
lich wird er fündig. Obwohl David seine Hit-Single
lassen, damit Sie zu Bett gehen können, ohne über
Space Oddity schon veröffentlicht hat, ist er immer
irgendwelche Gegenstände zu stolpern. In Bowies
noch knapp bei Kasse. Daher bittet er den Verkäu-
Fall blieb die linke Pupille permanent erweitert, was
fer um die Möglichkeit einer Ratenzahlung. Nach
zu seinem berühmten verschiedenfarbigen Augen-
einem kurzen Gespräch stellt sich heraus, dass der
paar führte. Man könnte annehmen, dass dieser Un-
Verkäufer auch die ersten Schritte im Musikge-
fall zu einer lebenslangen Fehde zwischen Bowie
schäft versucht. Schließlich handelt David die Ra-
und Underwood hätte führen müssen, tatsächlich
tenzahlung aus, nimmt die begehrten Schuhe und
aber wurden die beiden Freunde fürs Leben und
wünscht dem Verkäufer viel Erfolg. Der Name des
sogar künstlerische Partner. Underwood war derje-
Verkäufers war Freddie Mercury. Zehn Jahre später
nige, der die berühmtesten Covers für Davids Mu-
sollten die beiden Musiker wieder aufeinandertref-
sikalben entwarf, etwa für The Rise and Fall of Ziggy
fen. Freddie Mercury und die anderen Mitglieder
Stardust and the Spiders from Mars.
von Queen weilten gerade in Montreux, um eine
neue Platte aufzunehmen. Bowie, der gerade Berlin
LONG HAIR, DON’T CARE
verlassen hatte, hielt sich in einer Nachbarstadt auf.
Bowies Haare waren schon immer ein wesentlicher Als er herausfand, dass Freddie und dessen Team
Bestandteil seines Images gewesen. Frisurenverän- in der Nähe waren, entschied er sich, sie im Studio
derungen markierten immer Veränderungen in sei- zu besuchen und mit ihnen zu jammen. So entstand
ner Kunst, da jedes von Davids Alter Egos einzig- der legendäre Song Under Pressure, der nie von allen
artig aussehen sollte. Kein Wunder, dass Bowie in Teilnehmern der Kollaboration live aufgeführt wur-
seinen Teenagerjahren eine Gesellschaft zur Verhin- de. 1991 verstarb Mercury, und Bowie sang den Hit
derung von Grausamkeit gegenüber langhaarigen zum ersten Mal in einem Konzert zum Gedenken
Männern gründete. „Wer den Mut hat, die Haare bis an Freddie.
zu den Schultern zu tragen, muss durch die Hölle.
Es ist Zeit, dass wir vereint stehen und uns für unse- PEPPER AND MILK
re Locken einsetzen“, meinte er. Die amüsante Kam-
Wie viele Rockstars experimentierte Bowie mit Dro-
pagne fand 1964 in England großen Anklang. David
gen. Während dieser Zeit lebte der Sänger in New
beschwerte sich: „Wir mussten uns Kommentare an-
York und Los Angeles, wo er zunehmend von Wut
hören wie […] „Kann ich deine Handtasche tragen?“
und Paranoia heimgesucht wurde. 1976 entwickelte
[…] Ich denke, das muss jetzt einfach aufhören. Ich
er eine Kokainpsychose und war besessen von sei-
würde mir nicht die Haare schneiden lassen für den
nen eigenen Wahnvorstellungen. So beschloss er,
Premierminister, geschweige denn für die BBC!“
seinen Urin im Kühlschrank aufzubewahren, um zu 61
verhindern, dass Hexen ihn stehlen. Er erfand sogar

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eine spezielle Diät, die nur aus rotem Pfeffer und
Milch bestand. Sein Körpergewicht sank auf unter
50 Kilo. Irgendwann verlor David das Zeitgefühl,
schlief den ganzen Tag und arbeitete die Nacht über
im Studio. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass
sich Bowie seiner gefährlichen Sucht bewusst war
und sie loswerden wollte. Er konnte sich keinen
besseren Ort dafür vorstellen, als ... Berlin.

WER SIND DIE HELDEN?


Das Berlin der siebziger Jahre war ein sehr unge-
wöhnlicher Ort. Nach dem Zweiten Weltkrieg wur-
de die Stadt durch eine 155 Kilometer lange Mauer
geteilt, die wie eine widerliche Narbe auf dem Ant-
litz der Stadt klaffte. Bowie, der Konflikte benötig-
te, um etwas zu schaffen, fand im damaligen Berlin
eine große Inspirationsquelle. Während seiner Zeit
an der Spree hat Bowie drei Alben aufgenommen, © Gabriela Danko

die als Berliner Trilogie bekannt geworden sind.


Ein charakteristisches Merkmal dieser Alben ist der es: „Every man has a black star over his shoulder,
elektronische Sound, der bei lokalen Bands damals and when a man sees his black star, he knows, his
sehr beliebt gewesen ist. Das Hauptlied der Berliner time has come.” In dem Musikvideo zu Lazarus hat
Zeit ist zweifellos Heroes. Das Lied wurde von Lie- David Bowie seinen Tod auf bizarrste Art und Wei-
bespaaren inspiriert, die romantische Verabredun- se nachgebildet: ein Mann mit Knopfaugen betritt
gen in der Nähe der Mauer arrangierten. einen Schrank, um niemals zurückzukehren. ■
Die seltsame Atmosphäre, die damals in Berlin
herrschte, beschreibt folgende Episode: An einem Anna Lysenko
der Jahrestage der Errichtung der Mauer ging Bowie
zusammen mit Iggy Pop in eine Bar, in der sich ein-
heimische Jugendliche aufhielten. In der Mitte der
Bar stand ein riesiger mauerförmiger Kuchen, und
genau um Mitternacht begannen die Punks, diesen
zu verschlingen. Die Mauer aus Creme fiel, aber die
wirkliche Mauer, welche die Stadt bereits seit vie- Hallo!
len Jahren trennte, blieb unverrückbar an Ort und
Stelle. Als den Punks dies bewusst wurde, kippte
die Stimmung. Ihr Lachen wich bitteren Tränen. Sie
weinten, auf dem Boden sitzend, die Gesichter mit
Sahne verschmiert. Das war vierzehn Jahre vor dem
Fall der echten Mauer…

DAS EPITAPH
Bowies Tod war in sich selbst eine Art Kunst-
werk, und genau das, was er wollte. „Ain’t that
just like me?“, singt er am Ende von Lazarus. Zwei
Tage nach der Präsentation seines letzten Albums
Blackstar starb David Bowie mit 69 Jahren. Die Ge-
schichte hinter Blackstar ist mehr als mysteriös. Es
war eine Abschiedsbotschaft an seine Fans, voller
Überlegungen zu Tod, Schmerz und Wiedergeburt
sowie mythologischen und biblischen Referenzen.
Der Name des Albums ist symbolisch. Elvis Presley
hatte ein Lied mit dem Titel Black Star. Dort heißt
62
DER HASSSOMMER KOMMT ZU SEINEM ENDE
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oder
WAS WIR AN DER BRÜCKE… HASSEN?

Nun, verehrte Damen und Herren, so wie der Sommer zu seinem Ende kommt, gelangen auch unser Studium
und unsere Affaire mit der BRÜCKE zu ihrem Ende. Diese Affaire war recht heiß und heftig: schlaflose Nächte,
Selbstaufopferung, Brennen in den Augen – unser Verhältnis mit der BRÜCKE glich einer wahren Hassliebe!
Leider (oder zum Glück) ist es jetzt aber an der Zeit, alle Brücken hinter sich abzureißen und aufs offene Meer
hinauszusegeln…

Man sagt, der Hass sei nicht weit von der Liebe entfernt. So haben wir in dieser letzten Kolumne einige heiße
„Hasssagungen“ an die BRÜCKE vorbereitet, die ohne Weiteres auch als Liebessagungen gelten können. Wie
dem auch sein – zur Sache!

● Auf der Suche nach der verlorenen Doris. Vieles kann man aushalten und Vieles kann man der BRÜCKE
verzeihen, aber wenn man über Stunden im endlosen BRÜCKE-Dschungel nach dem Engerling Doris sucht
und schon alle Hoffnung aufgegeben hat, dann könnten wir… Sehen wir etwa wie mental völlig gesunde Men-
schen aus? Mit Nerven aus Stahl?! Ha ha!! Bei der Suche nach diesem Vieh kann man alle von den Seelenärzten
beschriebenen psychischen Phasen durchleben – vom Leugnen bis zur Akzeptanz…

● Florian trägt Prada. Hattet Ihr mal das Gefühl, dass alle rundherum happier, erfolgreicher und schöner sind
als Ihr? Sicherlich schon. In der Regel ist dieses Syndrom durch soziale Netzwerke bedingt, wo man sich mit
diversen Personen wie Bloggern, Models oder Geschäftsleuten, aber auch bloß mit den eigenen Freunden ver-
gleicht und darunter leidet. In unserem Fall ist diese Person… Herr Rinesch, unser BRÜCKE-Chefredakteur!
Wir sind der Meinung, dass es völlig gewissenlos ist, so fesche Accessoires zu tragen... Sie, Herr Rinesch, er-
wecken in den Studierenden das Gefühl, keine Chance zu haben, sich auch einmal Schicki-Micki zu fühlen, da
deren Outfits keinem Vergleich mit den Schals und Socken ihres Lektors standhalten. Arme Kinder…
[Anmerkung des Chefredakteurs: So ist es! Wäre ja noch schöner, wenn Sie mit mir konkurrieren könnten!
Meine Socken stammen im Übrigen nicht von Prada, sondern aus einem weißrussischen Staatsbetrieb. Mehr
Haute couture geht nicht…]

● Dirty Deadlines. Es geht genauso dramatisch zu, wie im legendären, beinahe gleichnamigen Film; doch
anstatt obszöner Bewegungen, fabrizieren unsere Protagonistinnen primär krumme Sätze, die vom Druck der
Deadline sowie einer permanenten, wohl schon chronischen Schreibblockade herrühren. Ein wohl letztes Mal
müssen wir den Termin einhalten, in diesem immer heißer gewordenen Tanz mit der BRÜCKE, der uns von
Kyiv nach Marrakesch und weiter nach Wien und Moskau geführt hat.

Die Arbeit an der HASSSEITE hat ihre Spuren in uns hinterlassen und uns zu echten Expertinnen im Bereich
des Hasses gemacht. Rückblickend ließe sich Einiges resümieren. Auf jeden Fall war es sehr vergnüglich, die
Flamme des Hasses gemeinsam mit euch zu betrachten. Falls Ihr noch keine Hassoase für Notsituationen in
eurem Leben gefunden habt, scheut euch nicht, uns per E-Mail anzuschreiben und dabei euer Herz auszu-
schütten! Wir hoffen, dass unsere Kolumne zeigen konnte, dass Hass ein Gefühl wie alle anderen Gefühle ist.
Man kann es schön finden und aus ihm lernen. Auch wenn es einem nicht immer gelingt! :-)

In diesem Sinne wünschen wir euch viel Geduld sowie alles „Hässliche“ für eure künftigen Unternehmungen,

Eure Sabrina und Lera


[Anmerkung des Chefredakteurs: Soll ich Ihre privaten E-Mailadressen, Social Media-Accounts und Bankdaten 63
hier offenlegen? Ernsthaft – liebe Sabrina, liebe Lera, vielen Dank für Ihre jahrelange, unermüdliche Mitarbeit an
der BRÜCKE! Es war mir eine Ehre und Freude, Ihre „krummen Sätze“ mit der mir eigenen Rücksichtslosigkeit

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zu behauen und Ihren Hass damit weiter am Köcheln zu halten. Ich wünsche Ihnen beiden… euch beiden, auch
im Namen der Redaktion, alles erdenklich Liebe und Gute. Vergesst uns nicht ganz, und mögen sich unsere
Wege wieder einmal kreuzen!]

So schwer bin ich nun wirk-


lich nicht zu finden.
64 Kolumne
UNSER LEBEN IM KREISVERKEHR

WARUM ANRUFE VON CLOWNS AUS


ÖSTERREICH NICHT LUSTIG SIND
Moritz Lenglachner (Wien)

Man trifft ja im Laufe des Lebens auf allerlei sich Yengibarov während einer Auftrittsrei-
Personen, die man landläufig als Clowns be- se in der Tschechoslowakei einen besonderen
zeichnen würde. Aus naheliegenden Gründen Scherz und besuchte ein Café an der öster-
ist es jedoch für professionelle Ausübende die- reichisch-tschechoslowakischen Grenze. Das
ses Berufsstandes wenig schmeichelhaft, mit Besondere daran war, dass man sich je nach
gewöhnlichen Deppen in einen Topf geschmis- Sitzplatz entweder in Österreich oder der so-
sen zu werden. Leider trifft man Erstere immer zialistischen Tschechoslowakei befand. Yengi-
seltener, Letztere jedoch ungleich öfter an. Im barov rief daraufhin „aus Österreich“ die „Zen-
nunmehrigen Österreichischen Familienfunk trale sowjetische Zirkusorganisation“ an, deren
wäre vermutlich selbst unser alpenländischer Bürokraten dessen Amüsement jedoch keines-
Clown par excellence, der Habakuk, – Gott hab’ wegs goutierten.
ihn selig – zu kritisch und vor allem anständig.
Der zu Beginn seiner Karriere von der sowjeti-
Ein weiterer Standesvertreter und nachweis- schen Presse und konservativen Apparatschiks
lich einer der weltbesten seines Faches war der noch für seinen innovativen Stil gescholtene
1935 in Moskau geborene Leonid Yengibarov. Clown, sorgte allerdings beim Publikum un-
Der Sohn einer russischen Mutter und eines gebrochen für Begeisterungsstürme. Insbeson-
armenischen Vaters hatte eigentlich den Beruf dere in Moskau, Odesa, Kyiv, Leningrad und
des Kochs gelernt. Seine Leidenschaft galt je- selbstverständlich Yerevan erfreute sich Yengi-
doch seit Kindheitstagen den Gedichten Push- barov enormer Beliebtheit. Weil er aber das So-
kins und dem Puppentheater. Zu jenen Zeiten, wjetregime nicht hofierte, blieben ihm offizielle
in denen ich noch selbst in der armenischen Ehrungen vorenthalten. Einzig das sozialisti-
Hauptstadt Yerevan lebte, gab ich bei Taxifahr- sche Armenien ehrte Yengibarov 1972 – gleich-
ten regelmäßig das dortige Puppentheater als zeitig sein frühes Todesjahr – mit dem Titel
Zielort an. Die Bühne sollte auch Yengibarovs eines Nationalkünstlers der Republik. Im ar-
Bestimmung werden. menischen Urlaubsort Tsaghkadzor, in dessen
Skihütten ich mich unzählige Male mit Chart-
Obwohl Yengibarov während seines Studiums scho oder Borschtsch aufwärmte, befindet sich
der Leibeserziehung als Boxer überaus erfolg- seit 2012 eine Statue des legendären und viel-
reich war, trat er mit zwanzig Jahren in die seitig begabten Clowns.
Staatliche Schule für Zirkuskunst in die Abtei-
lung für Clownerie ein. Nach seinem Abschluss Anders als andere Künstler hatte sich Yengi-
1959 arbeitete er im Armenischen Zirkuskol- barov der politischen Führung aber nicht zu
lektiv und performte am berühmtesten Zirkus seinem eigenen Vorteil angebiedert. Womit
Moskaus, dem „Zirkus am Tsvetnoy Bulvar“, wir wieder beim Unterschied zu den vielen
und tourte mit seinen ungewöhnlichen Panto- „Clowns“ der heutigen Zeit wären. ■
mimendarstellungen unter großem Jubel durch
die Sowjetrepubliken.

Leserinnen und Lesern empfehle ich, sich auf


Youtube Darbietungen Yengibarovs anzuse-
hen. Diese vermitteln eindrücklich, weshalb
der Clown 1964 beim Internationalen Clown-
festival in Prag zum weltweit Besten seines
Faches gekürt wurde. Ein Jahr später erlaubte
Blütenlese 65

GEDICHTETES • GESCHRIEBENES • GESELCHTES


PROFESSOR DOWELLS SCHILDKRÖTENKOPF
PRÄSENTIERT:

Früher einmal war es in der Ukraine gang und gäbe, Gedichte auswendig zu lernen. Auch in den deutschspra-
chigen Ländern war diese Art der literarischen Aneignung verbreitet. Damit ist es vorbei. Unser praktisches
Jahrhundert vergeudet die Geistessäfte für andere Dinge. Für welche, vermag ich als vereinzelter Schildkröten-
kopf1 freilich nicht zu sagen. Schließlich weiß ich, ob meines eingeschränkten Bewegungsradius, nur von jenen
Dingen, die man mir zuträgt.

Ich bedauere besagten Umstand jedenfalls. Neben dem Genuss der gebundenen Sprache, hält gute Lyrik aller-
lei Einsichten für uns bereit. Sie ermöglicht uns, Anteil zu nehmen an den Empfindungen, an den Gedanken,
am Erfahrungsschatz anderer. Grund genug, liebe Leserinnen und Leser, Ihnen an dieser Stelle Gedichte zu
präsentieren – heute und auch in Zukunft. Diesmal stehen Werke von Adelbert von Chamisso und Else Las-
ker-Schüler auf dem Programm.

Außerdem freue ich mich, Ihnen den zweiten Teil unserer BRÜCKE-Fortsetzungsgeschichte präsentieren zu
dürfen. Насолоджуйтеся!

1 Prof. Dowells Schildkrötenkopf wurde 1942 von Prof. Dowell abgeschnitten und in ein Goldfischglas gepfercht. Seither schwimmt der
dort – unbeweint und unbesungen.
66
GEDICHTETES • GESCHRIEBENES • GESELCHTES

Adelbert von Chamisso (1781-1838) Else Lasker-Schüler (1869-1945)

Der Invalid im Irrenhaus Weltende

Leipzig, Leipzig! arger Boden, Es ist ein Weinen in der Welt,


Schmach für Unbill schafftest du. als ob der liebe Gott gestorben wär,
Freiheit! hieß es, vorwärts, vorwärts!1 und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Trankst mein rotes Blut, wozu? lastet grabesschwer.

Freiheit! rief ich, vorwärts, vorwärts! Komm, wir wollen uns näher verbergen…
Was ein Tor nicht alles glaubt! Das Leben liegt in aller Herzen
Und von schwerem Säbelstreiche wie in Särgen.
Ward gespalten mir das Haupt. Du, wir wollen uns tief küssen…
Und ich lag, und abwärts wälzte Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
Unheilschwanger sich die Schlacht, an der wir sterben müssen.
Über mich und über Leichen (1905)
Sank die kalte, finstre Nacht.
Ein alter Tibetteppich
Aufgewacht zu grausen Schmerzen,
Brennt die Wunde mehr und mehr;
Deine Seele, die die meine liebet
Und ich liege hier gebunden,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet
Grimmige Wächter um mich her.
Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Schrei ich wütend noch nach Freiheit,
Sterne, die sich himmellang umwarben.
Nach dem bluterkauften Glück,
Peitscht der Wächter mit der Peitsche
Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit
Mich in schnöde Ruh zurück.
Maschentausendabertausendweit.
(1827)
Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzenthron
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.
(1910)

1 Adelbert von Chamisso bezieht sich auf die Völker-


schlacht bei Leipzig (1813). Freiheit!... vorwärts! war der
Kampfruf des preußischen Feldmarschalls Blücher.
Fortsetzungsgeschichte
67

ES WAR EINMAL IN WIEN…

GEDICHTETES • GESCHRIEBENES • GESELCHTES


FOLGE II: WER IST SVITLANA HONCHAR?

Was bisher geschah: Die bisher namenlose Protagonistin begibt sich auf ihre erste Auslandsreise. Mit dem
Flugzeug reist sie von Kyiv in die österreichische Bundeshauptstadt Wien. Im Zentrum der Donaumetropole
angekommen, findet sie an einer Straßenbahnhaltestelle eine herrenlose Brieftasche…

… Ich warf einen Blick in die Brieftasche. Geld war keines drin. Auch Bankomat- oder Kundenkarten fehlten.
Dafür aber fand ich in einer der Seitentaschen einen zerknitterten Zettel. Eher gleichgültig faltete ich das Blatt
auseinander. „Das wird wohl eine Einkaufsliste sein“, dachte ich bei mir. Ich hatte kaum angefangen zu lesen,
da entdeckte ich etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ: Auf dem Zettel stand mein Name ge-
schrieben! Aber es sollte noch schlimmer kommen. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass es sich bei dem
Zettel um eine Todesanzeige handelte. Ich spürte wie die Hitze in meinem Körper aufstieg. Meine Wangen
brannten und Schweiß stand auf meiner Stirn. Verwirrt fiel mein Blick auf die Lebensdaten der Verstorbenen.
Mit zitternder Stimme las ich: „Geboren am 23. November 2001“. Kein Zweifel – das war mein Geburtstag…
Ich schloss die Augen. So viele Zufälle auf einmal konnten doch nicht sein! Mich befiel panische Angst. Die
Gedanken schwirrten nur so in meinem Kopf herum: Ich wollte nicht weiterlesen! Ich wollte das Sterbedatum
nicht erfahren! Das Sterbedatum… Wessen Sterbedatum?! Ich zwang mich zu rationaler Überlegung: Mein
Name ist nun nicht der ausgefallenste der Welt; in der Ukraine wenigstens nicht. Und in Wien leben doch viele
Ukrainer. Auch Ukrainerinnen. Und warum sollte ein Mensch nicht am selben Tag wie ich geboren sein? Ich
beruhigte mich. Für einen kurzen Moment lachte ich sogar auf: „Du bist doch ein Kindskopf, Svita. Nun bist du
schon fast zwanzig und lässt dich immer noch so leicht erschrecken.“ Ich hielt den Zettel immer noch in meiner
Hand. Unwillkürlich hatte ich ihn mit Daumen und Zeigefinger in zwei Hälften gefaltet. „Na, dann wollen
wir uns das ominöse Sterbedatum einmal ansehen“, machte ich mir mit etwas zu entschlossener Stimme Mut.
Mit gespielter Gelassenheit führte ich den Zettel an meine Augen. Ich las: „Sterbedatum: 23. September 2021.“
Der 23. September? Verwirrt begann ich in der Handtasche nach meinem Mobiltelephon zu kramen. Was war
heute bloß für ein Tag? Endlich hatte ich das Ding gefunden. Nervös tippte ich auf den Touchscreen, jedoch
– keine Reaktion. Der Akku hatte seinen Geist aufgegeben… „Das ist wieder einmal typisch!“ entfuhr es mir.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als Passanten um Auskunft zu fragen, was ich denn auch versuchte. Die
meisten Leute beschleunigten den Schritt, wenn ich auf sie zutrat. Das ist wohl das
„goldene Wienerherz“ von dem ich im Deutschunterricht einmal gehört hatte. Ich
hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, da fiel mein Blick zufällig auf eine
digitale Anzeigentafel der Wiener Verkehrsbetriebe. Neben der aktuellen Uhrzeit
war dort auch das heutige Datum vermerkt: 21. September 2021. „Das darf doch
nicht wahr sein!“ rief ich ungläubig. „Da erlaubt sich doch jemand einen schlechten
Scherz mit mir!“ Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte. In zwei
Tagen also wird alles vorüber sein. In zwei Tagen wird Svitlana Honchar, geboren
am 23. November 2001, ihr Leben aushauchen. Aber – wer ist Svitlana Honchar…?

Kateryna Naumenko

Wer den dritten Teil unserer BRÜCKE-Fortsetzungsgeschichte verfassen möchte, kann unsere Redaktion via FB-Seite
kontaktieren. Es gilt das Prinzip: Wer sich als erste bzw. erster meldet, bekommt den Job! Teilnahmeberechtigt sind Men-
schen, die aktuell an einer Universität im In- oder Ausland studieren.
68
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH

Erich Eliskases (1913-1997)

Miguel Najdorf (1910-1997)


Vera Menchik (1906-1944)
Schachkolumne Die Rätsel der Caissa

ENTSCHEIDUNG AM RIO DE LA PLATA

Im August 1939 waren die Augen der Schachwelt auf Buenos Aires gerichtet: Die 8. Schacholympiade der
Geschichte sollte in der argentinischen Hauptstadt über die Bühne gehen. Zeit- und ortsgleich war auch die
Schachweltmeisterschaft der Frauen anberaumt worden. Schachspielerinnen und Schachspieler aus rund drei-
ßig Nationen hatten sich in der Metropole am Rio de la Plata eingefunden; unter ihnen so illustre Figuren wie
Weltmeister Aleksandr Alekhin und Ex-Weltmeister José Raúl Capablanca. Das Gros der europäischen Parti-
zipienten war von dem belgischen Frachtschiff „Piriapolis“ über den Atlantik gebracht worden. Drei Wochen
hatte die Überfahrt gedauert – kaum vorstellbar in unserer heutigen, allzu schnellfließenden Zeit.
Die sportlichen Ereignisse sollen hier nicht im Mittelpunkt stehen. Wir wollen sie gleichwohl nicht gänz-
lich unerwähnt lassen: Einigermaßen überraschend errang das Deutsche Reich unter der Führung des Öster-
reichers Erich Eliskases die olympische Goldmedaille. Auf dem zweiten Platz folgte Polen, das Altmeister
Savielly Tartakower und einen gewissen Mieczysław Najdorf in seinen Reihen wusste. Estland erreichte mit
dem aufstrebenden Jungspund Paul Keres am ersten Brett einen respektablen dritten Platz. Die Schachkrone
der Frauen setzte sich zum wiederholten Male die tschechisch-britische Meisterin Vera Menchik aufs Haupt.
Soweit so gewöhnlich: Schachspieler spielen Schach, gewinnen, verlieren, werden mit Ehrungen bedacht –
und doch ist jenen beiden Turnieren eine Bedeutung eigen, die über das rein Schachliche hinausgeht und die
Trivialität von Sieg und Niederlage transzendiert.
Die Wettkämpfe waren noch im vollen Gange, als sich auf dem alten Kontinent die politischen Ereignis-
se überschlugen: Am 1. September 1939 hatte Nazideutschland in verbrecherischer Absicht Polen überfallen;
zwei Tage später erklärten Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg. Lange hatten sie sich an-
gekündigt, die Schatten der Gewalt, die sich nun über Europa senkten.
Am anderen Ende der Welt sahen sich die europäischen Schachspielerinnen und Schachspieler vor eine
schwerwiegende Entscheidung gestellt: Sollten sie in Argentinien bleiben oder nach Europa zurückkehren?
Welcher Zug war in dieser Situation der richtige? Niemand wusste, wie sich der Krieg entwickeln würde, ob
man sich auf ein paar Wochen des Kampfes, einige Monate der Entbehrung oder gar Jahre größter Not einzu-
stellen hatte. Wer hätte die Ausmaße jenes Infernos vorhersehen können, das in den kommenden Jahren über
die Menschheit hereinbrechen sollte, die Millionen und Abermillionen Toten? Die argentinische Regierung
hatte den Schachspielern ein Bleiberecht zugesagt, wenn diese sich im Gegenzug bereiterklärten, die Entwick-
lung des königlichen Spiels in Argentinien zu fördern. Sollten die Schachspieler das Angebot annehmen? Oder
einfach mal abwarten? Sehen wie sich die Stellung entwickelt? Aber was war mit der Familie in der alten Hei-
mat? Den Freunden? Dem alten Leben? Was war das Geld noch wert, das man in der Tasche hatte? Und was
sollte man andererseits in Argentinien? Was sollte man anfangen in einem Land, dessen Sprache man nicht
beherrschte und zu dessen Kultur man keinen Bezug hatte? Wie sollte man als Schachspieler einen Lebens-
unterhalt verdienen in einer Weltgegend, die mit den schwarzen und weißen Steinen vergleichsweise wenig
am Hut hatte?
Der nachgeborene Mensch neigt dazu, die Vergangenheit mit dem wissenden Auge der Gegenwart zu be-
trachten. Die Fehlungen und Irrungen der Altvorderen werden von ihm belächelt – nicht selten mit allzu gro-
ßer Leichtigkeit, nicht selten mit allzu großem Hochmut. Das Glück der späten Geburt lässt sich auch schach- 69
metaphorisch ausdrücken: Nach einer Partie weiß man in der Regel, wo der Fehler gelegen hat; wenn man aber
noch am Brett sitzt, verhält sich die Sache anders.

STECKENPFERD UND STECKERLFISCH


Über dreißig Personen entschieden sich, das Angebot der argentinischen Regierung anzunehmen. Einige
blieben für ein paar Jahre, andere für immer. Zum Entsetzen der nationalsozialistischen Schachfunktionäre
kehrte die gesamte siegreiche Olympiamannschaft des Deutschen Reiches nicht aus Argentinien zurück. Der
angestrebte Weltmeisterschaftskampf zwischen Erich Eliskases und Aleksandr Alekhin fiel damit ins Wasser.
Auch knapp die Hälfte der polnischen Mannschaft verblieb in Südamerika: Moshe Czerniak blieb bis 1950 und
übersiedelte schließlich in den neugegründeten Staat Israel. Mieczysław (Mendel) Najdorf hingegen wurde
in Argentinien heimisch. Er nannte sich fortan „Miguel“ und avancierte in der Folgezeit zu einem der besten
Schachspieler der fünziger und sechziger Jahre: Sieben Mal gewann er die argentinische Landesmeisterschaft,
mehrfach war er Weltmeisterschaftskandiadat, und das nach ihm benannte Abspiel in der Sizilianischen Ver-
teidigung, kennt heute jeder, der sich nur einigermaßen ernsthaft mit dem königlichen Spiel beschäftigt. Don
Miguel war ein jovialer Lebemann und blieb bis ins hohe Alter ein gern gesehener Gast bei großen Turnier-
veranstaltungen. Reich geworden im venezolanischen Ölgeschäft mag man Miguel Najdorfs Emigration als
Erfolgsgeschichte beschreiben; darüber darf man jedoch nicht die Schattenseite seiner Vita übersehen: den
Verlust seiner Eltern, seiner vier Geschwister, seiner Frau und seiner dreijährigen Tochter – sie alle kamen in
den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ums Leben.
Am 28. September 1939 traten die Rückkehrwilligen an Bord der „Copacabana“ die Heimreise nach Europa
an. Man mag von einer glücklichen Fügung sprechen, denn nur wenige mussten ihre Entscheidung mit dem
Leben bezahlen; und doch gab es sie – jene, für welche die Rückkehr in die Heimat den Tod bedeutete: Vladi-
mirs Petrovs, der das damals noch unabhängige Lettland am ersten Brett vertreten hatte, landete in einem so-
wjetischen Arbeitslager, nachdem er das Besatzungsregime öffentlich kritisiert hatte. Er starb 1943 in der Haft
an einer Lungenentzündung. Vera Menchik, die unbestritten beste Schachspielerin der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, kam in London während eines Bombenangriffs der deutschen Luftwaffe ums Leben. Sie wurde
nur 38 Jahre alt. Der Este Gunnar Friedemann, in Buenos Aires die Nummer vier hinter Paul Keres, kämpfte
auf Seite der Deutschen an der Ostfront. Er fiel 1944.
Die in Argentinien verbliebenen Emigranten aber bescherten dem Land einen beispiellosen Schachboom. Bis
in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war Argentinien die Schachnation Nummer zwei hinter der all-
mächtigen Sowjetunion; und selbst als die Generation der 39er langsam abtrat, blieb Argentinien Schachland,
mit Eigenbauspielern wie Óscar Panno oder Miguel Quinteros.
Die Entscheidungen am Rio de la Plata hatten weitreichende Folgen für das Leben einer ganzen Reihe von
Menschen und für den Stellenwert des Schachspiels in Südamerika. In einem Fall waren sie gar von welt-
geschichtlicher Bedeutung: drei Spieler der englischen Olympiamannschaft von Buenos Aires – Conel Hugh
O’Donel Alexander, Harry Golombek und Philip Stuart Milner-Barry – waren nach deren Rückkehr aus Ar-
gentinien maßgeblich an der Entzifferung der deutschen Rotor-Schlüsselmaschine „Enigma“ beteiligt, womit
wir eine Geschichte berühren, die weit über das hinausreicht, was ich Ihnen heute hier erzählen wollte.

Florian Rinesch

Philip Stuart Milner-Barry (England) – Jan


Foltys (Tschechoslowakei)
Buenos Aires, 1939
Eröffnung: Sizilianische Verteidigung (Dra-
chenvariante)

Aufgabe: Die schwarze Stellung ist nicht


mehr zu retten. Mit welchem energischen
Zug gewinnt Weiß die Dame und in der
Folge die Partie?

Lösung aus Heft 39: Dd8xg5! Die Dame kann nicht


genommen werden, wegen der Springergabel auf
auf f3.
70
RUBINSTEINS RATSCHLÄGE
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH

H allo, meine Lieben. Ich mache es diesmal kurz: Ich habe wieder keine Buchkritik geschrieben. Ich hatte
keine Zeit, keine Lust, und wenn ich ehrlich bin – ich kann auch gar nicht schreiben. Dafür habe ich
wieder ein paar Tipps für euch akkumuliert. „Akkumulieren“ und „schreiben“ sind schließlich unterschied-
liche Dinge…

● Das Album По волне моей памяти (1976) von David Tukhmanov (geb. 1940), weil Poesie und Rock zu-
sammengehören. Manchmal.
● Die Photographien von Brassaï (1899-1984), weil Paris bei Nacht einen besonderen Reiz hat. Meistens.
● Die Musik von Baden Powell (1937-2000). Gemeint ist der Gitarrist – nicht der Pfadfinder!
● Die Aquarelle von Franziska Schultze (1805-1864), weil auch Blumen ein würdiges Motiv darstellen.
● Die Werke von Federico Fellini (1920-1993), weil es dem heutigen Kino an grotesken Leibern mangelt.
● Das Buch Высокое искусство von Kornei Chukovskyi (1882-1969), weil auch das Anekdotische in der
Übersetzungswissenschaft einen Platz hat.
● Die Filmliste des Vatikan, weil die katholische Kirche eine Meisterin im Kanonisieren ist.
● Die Novelle Fräulein Else von Arthur Schnitzler (1862-1931), weil man nicht alle Tage einen inneren Mono-
log findet, der von einem Mann aus der Sicht einer Frau geschrieben ist.
● Die Filmmusik von Vladimir Cosma (geb. 1940), weil die siebziger Jahre nicht tot sind, sondern lediglich
ein bisschen riechen.

Gehabt euch wohl,


Konrad Rubinstein (Grubenarbeiter a. D.)
DAS KANJI-RESERVAT NR. II 71

STECKENPFERD UND STECKERLFISCH


Anastasija Stulen ist flexibel. Während sie uns letztes Mal ein chinesisches Schriftzeichen präsentiert hat,
kommt sie diesmal mit einem ganzen Haufen japanischer Wörter um die Ecke – und die haben es in sich!

„Wie viel Sprachen du spricht, sooft mal bist du Mensch“, sagte Goethe. Klar ist es viel Arbeit, eine Fremdspra-
che zu erlernen, aber einen kleinen Schritt kann man jeden Tag tun. Und selbst wenn man nicht die Absicht hat,
eine bestimmte Sprache zu erlernen, so kann es dennoch spannend sein, sich mit fremd anmutenden Begriffen
dieser Sprache vertraut zu machen. Nehmen wir zum Beispiel: das Japanische. Im Japanischen existieren Wör-
ter, die man als Beschreibung oder Erklärung von Sachen bzw. Handlungen benutzt. Hier ein paar Beispiele:

積読 – tsundoku – „Bücher, die du nicht lesen wirst, kaufen“


木漏れ日 – komorebi – „die Sonnenstrahlen, die durch das Laub der Bäume fallen“
Übrigens wenn man das Symbol für „Baum“ (木) verdreifacht, bekommt man einen „Wald“ (森).

居留守 – irusu – „vorgeben, nicht zu Hause zu sein“


上げ劣り – ageotori – „nach einem Haarschnitt schlechter aussehen“
真面目 – majime – „ein seriöser und zuverlässiger Mensch“
Jeder braucht einen „Majime“ in seinem Leben...

STEINBOCK: Ich wage kaum zu fragen, aber hat die Zentrale irgendwelche…
H SKORPION: …Prophezeiungen geschickt? Nein. Nix.

O LÖWE: Ich habe diesmal versucht, selbst etwas zu schreiben!

R STIER: Dann lass mal hören, Tiger.

O LÖWE: „Hüten Sie sich vor einem Mann, der Ihnen Pralinen schenkt.“
STIER: Ist das alles?
S LÖWE: Ja. Gut, was? Habe ich selbst geschrieben.
K STIER: Ein bisschen dürftig, wenn du mich fragst.

O SKORPION: Da fehlt es an Einfallskraft, an Würze, an…

P LÖWE: Schon gut! Dann macht doch euren Dreck alleine!


WAAGE: Reg dich doch nicht auf. Du weißt doch, wie es ist…
Kolumne Mach mit!
72
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH

VEGANER
KAROTTEN-
KUCHEN

So leicht zu machen und lecker zu essen – diesen Karottenkuchen muss jeder probieren! Sicher hast du alle
Zutaten in deinem Kühlschrank. Also los in die Küche!

1. Schritt:
ZUTATEN: Die Walnüsse klein schneiden und sie in einer Pfanne 3-5 Minuten
lang braten. Keine Butter oder Öl zugeben.
o 300 g Karotten
o 130 g Mehl 2. Schritt:
Mehl, Backpulver, Zucker, Zimt und Muskatnuss in einer Schüssel mi-
o 100 g Walnüsse
schen.
o 1,5 TL Backpulver
o 1/4 TL Zimt 3. Schritt:
Die Karotten reiben und mit der Teigmasse und den Nüssen mischen.
o 1/4 TL Muskatnuss Den Saft und das Öl hinzugeben.
o 1 El. Zucker
4. Schritt:
o 60 ml Orangensaft Den Teig in eine Backform geben und im vorgeheizten Ofen bei 190°C
o 80 ml Pflanzenöl 40-50 Minuten backen.

Je nach Wunsch kannst du den Kuchen auch mit Zuckerguss verfeinern. Dafür in einer Schüssel 100
Gramm Puderzucker und 2 EL Zitronensaft vermischen. Den Kuchen mit der Zucker-Zitronenmischung
bestreichen.

Genieß deinen leckeren veganen Karottenkuchen. Guten Appetit!

Anastasiia Stulen
73

DKO

STECKENPFERD UND STECKERLFISCH


IA

J
A
D Z
Z

Mein Name ist Diadko Jazz und mein Thema ist sowjetischer
Jazz… guter sowjetischer Jazz. In der BRÜCKE präsentiert Di-
adko Jazz sowjetische Jazz-Platten aus über einhundert Jahren
Jazz-Geschichte, von Aleksandr Cfasman bis Doktor-Dzhaz. Wa-
rum sowjetischer Jazz? Weil Diadko Jazz die Formulierung „Ost-
europäisch-baltisch-kaukasisch-zentralasiatisch-sibirischer Jazz
von den Anfängen bis 1991“ zu sperrig erschien. Diadko Jazz ist
pragmatisch…

ALBUM I: LIRICHESKOE NASTROENIE (Ukrainische SSR, 1977)


Künstler: Valeryi Kolesnikov, Viacheslav Novikov, Vladimir Molotkov,
Aleksandr Christidis
Genre: Cool Jazz, Jazz-Funk

ALBUM II: VAGIF MUSTAFA ZADEH: DZHAZOVYE KOMPOZICII


(Aserbaidschanische SSR, 1975)
Künstler: Vagif Mustafa Zadeh
Genre: Jazz Fusion, Mugham, Psychedelic

ALBUM III: COLLAGE (Estnische SSR, 1971)


Künstler: Gruppe „Collage“ (Anne Erm, Maire Eliste, u.a.)
Genre: Jazz, Post-Bop, Folk
Vaqif Mustafazadə
DIADKO JAZZENS STANDARDS
All the Things You Are
Komposition: Jerome Kern
Text: Oscar Hammerstein II
Im Jahr 1939 erfuhr das Musical Very Warm for May auf dem New Yorker
Broadway seine Uraufführung – und floppte. Die Kritiken waren desaströs,
und das Publikum blieb fern. Nach nur sieben Wochen wurde das Stück vom
Spielplan genommen. Ein Song aus Very Warm for May sollte jedoch Karrie-
re machen, nämlich der Titel: All the Things You Are. Der Song wurde v.a.
von Jazz-Musikern aufgegriffen, ironischerweise sehr zum Missfallen seines
Komponisten Jerome Kern. Heute ist All the Things You Are ein allgemein an-
erkannter Jazz-Standard, der selbst von Größen wie Frank Sinatra und Ella
Fitzgerald gecovert wurde. Das Stück bietet viel Spielraum für Interpretation.
Diadko Jazz empfiehlt deren drei:

● Artie Shaw mit Helen Forrest (1939)


● Dizzy Gillespie mit Charlie Parker (1945)
● Art Tatum (1953)
74
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH

DIE ZITATENORGEL
In der Zitatenorgel präsentiert Ihnen Frau Schremmelmayer auch diesmal vollkommen willkürlich ausge-
wählte Weisheiten von Vertretern bestimmter Berufsgruppen. Frau Schremmelmayer sieht in diesem Konzept
immer noch eine „Spitzenidee“, während es der Herausgeber nach wie vor für plemplem erachtet. Wurscht – à
chacun sont goût! Diesmal sind, glaube ich, die Apotheker dran. Oder doch die Heinzungstechniker?

Jeder Mensch ist ein Clown, aber nur wenige Leben ist die Entwicklung vom jugendlichen
haben den Mut, es zu zeigen. Helden zum komischen Alten.
(Charlie Rivel) (Charlie Rivel)

Будьте самоучками, не ждите, пока вас Nichts ist schlimmer, als ein Editorial schreiben
научит жизнь. zu müssen.
(Jurii Nikulin) (Zipo)

Hui, das ist feun, so soll es seun, das tut den Ich möchte vor möglichst vielen Leuten ster-
Kasperl immer freuen. ben.1
(Clown Habakuk) (Pio Nock)

-----.
(Bip)
I am grim all day, but I make you laugh at night.
(Joseph Grimaldi)
1 Ist ihm gelungen. Pio Nock starb in der Manege, noch dazu in Dortmund!
Anm. d. Red.
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH
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76
STECKENPFERD UND STECKERLFISCH
FINALES BANALES 77

STECKENPFERD UND STECKERLFISCH


Jonathan im Jahr 1886

Im Jahre 1832 verstarb Johann Wolfgang von Goethe, hochbetagt und auf einem Stuhl sitzend, in seinem Haus
am Weimarer Frauenplan. Während der deutsche Dichterfürst sein Leben aushauchte, entschlüpfte just am
anderen Ende der Erde eine Schildkröte ihrem Ei. Wohlmeinende Menschen bedachten sie mit dem Namen
Jonathan – und auf diesen hört sie heute noch. Jonathan ist mit seinen 189 Lenzen das älteste noch am Leben
befindliche Reptil unseres Planeten. Er lebt mit vier seiner Artgenossen auf der Insel St. Helena, genauer ge-
sagt im Garten des Plantation House, der Residenz des Gouverneurs von St. Helena, Ascension und Tristan da
Cunha. Jonathan hat die Revolution von 1848, den Untergang des Britischen Empire, die Oktoberrevolution,
zwei Weltkriege und die Eröffnung des St. Helena Airport von 2016 überlebt – und dabei, soweit wir wissen,
nichts von alledem mitbekommen! Möge Jonathan noch lange bei guter Gesundheit bleiben, und mögen wir
uns an der Tatsache erfreuen, noch einen Zeitgenossen Goethes unter uns zu wissen.

Peregrin
UNSERE SCHREIBERLINGE, ZEICHENFRITZE
UND DER ENGERLING DORIS

Alina Boieva Christian Höllmüller


wurde 2001 in Kyiv geboren. Aktuell studiert sie Germanistik an wurde 1979 in Wien geboren. Seit 1999 arbeitet er freiberuflich als
der KNU (4. Studienjahr). In ihrer Freizeit unterrichtet sie Englisch Regisseur, Kameramann und Animationsfilmer. DIE BRÜCKE be-
am Sprachklub der KNU, malt, zeichnet, liest oder spielt Brett- reichert er mit seinen spektakulären Graphiken.
spiele mit ihren Freunden.
Hildegard Kainzbauer
Daryna Borynska wurde 1980 in Wien geboren. Sie studierte Germanistik und Sla-
wurde am 27. Jänner 1996 in Transkarpatien geboren. Sie studiert wistik an der Universität Wien. Von Herbst 2016 bis Sommer 2021
Translationswissenschaft an der Ivan-Franko Universität in Lviv. war sie OeAD-Lektorin an der Ivan-Franko-Universität in Lviv.
In ihrer Freizeit spielt Daryna gerne Klavier und wandert in den
Bergen. Reinhard Kleist
wurde 1970 in Hürth (NRW) geboren. Reinhard Kleist ist Gra-
Maryna Bykova phikdesigner und Comiczeichner. Zu seinen Werken zählen u.a.
wurde im Jahr 1998 in Kupiansk (Gebiet Kharkiv) geboren. 2016- das Comic-Album Lovecraft, die Berlinnoir-Reihe oder der Car-
2020 studierte sie germanische Sprachen und Literaturen an der toon-Band Havanna. In jüngster Zeit veröffentlichte Reinhard
Nationalen W.N. Karazin-Universität Kharkiv. Im Sommer 2019 Kleist zwei Bücher über den australischen Musiker Nick Cave.
nahm sie an einem DAAD-Hochschulsommerkurs an der IIK-Uni-
versität Düsseldorf teil. Heute studiert Maryna Pädagogik an der Lehrer Lämpel
NTU „KhPI“. Ihre Stärke ist es, komplizierte Dinge in einfachen ist ein gestrenger Schulmeister, ein behänder Organist und ein un-
Worten zu erklären und andere mit positiver Energie aufzuladen. verbesserlicher Meerschaumpfeifen-Aficionado. Lehrer Lämpel
besucht die BRÜCKE-Redaktion immer wieder gerne, weil wir ihn
Gabriela Danko regelmäßig mit gebratenen Nieren füttern. Wer mehr über Lehrer
wurde 2001 in Uzhhorod geboren. Sie studiert Germanistik an der Lämpel erfahren möchte, der lese Wilhelm Buschens „Max und
KNU (4. Studienjahr) und nimmt an der Uni-Initiative „Sprach- Moritz. Eine Bubengeschichte in sieben Streichen“.
klub“ als Deutschlehrerin teil. In ihrem Namen stehen die Buchsta-
ben G, B, L und D für Grafik, Bass, Layout und Deutsch. Manche Moritz Lenglachner
behaupten, ihr Lieblingsgedicht wäre „lichtung“ von Ernst Jandl, wurde 1988 geboren. Moritz studierte Geschichte und Germanistik
aber das ist nur ein Gerücht. in Graz, Fribourg und Bern. Von 2014-2015 war er wissenschaft-
licher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsch an der LNU. Von 2016
Diadko Jazz bis 2020 war Moritz als OeAD-Lektor in Yerevan aktiv, wo er die
wurde 1954 in Zaporizhzhia geboren. Neben Seiner Leidenschaft armenisch-österreichische Studierendenzeitung „Alpen-Kauka-
für (sowjetischen) Jazz liebt es Diadko-Jazz in Kosaken-Montur sus-Kurier“ herausbrachte. Moritz Lenglachner lebt in Wien.
durch den Kyiver Shevchenko-Park zu laufen, um dort Walnüsse
zu vergraben. „Für den Winter“, wie er immer sagt. Anna Lysenko
wurde 1999 in Horodyshche (Gebiet Cherkasy) geboren. Sie stu-
Der Engerling Doris diert am Lehrstuhl für Germanische Philologie und Translation
Doris wurde 2018 in Kyiv geboren. Derzeit lebt sie unter Tage. In (KNU). Annas Hobbys: Gedichte schreiben, singen, Geige spielen,
der BRÜCKE fungiert sie als unverzichtbare Platzhalterin. Biographien lesen.

Der Linguistenknödel Valeriia Mashchenko


erklärt in der BRÜCKE linguistische Gegebenheiten und Zusam- wurde 1998 in Donetsk geboren. Valeriya war Studentin der
menhänge. Zumindest versucht er es. Translationswissenschaft (Deutsch/Ukrainisch) an der KNU. Der-
zeit studiert sie an der Universität Wien.
Krystyna Fedina
wurde im Jahr 2000 in Donetsk geboren. 2014 übersiedelte sie Mojo
nach Dnipro, 2017 nach Kyiv. 2017-2021 studierte sie Germanistik ist irgendwann mit seiner Axt in unserer Redaktion aufgetaucht.
an der KNU. Seither bekommt er bei uns Obdach; allerdings nicht ganz frei-
willig…
Sabrina Fesenko
wurde 1998 in Donetsk geboren. An der KNU hat sie ein Master- Manfred Mauskopf
studium in Translationswissenschaft (Deutsch/Ukrainisch) absol- kommt in der BRÜCKE eine überaus verantwortungsvolle Auf-
viert. 2021 war für Sabrina ein ereignisreiches Jahr: Sie hat ihr Stu- gabe zu: Er verhindert durch seine bloße Anwesenheit die Geburt
dium abgeschlossen, hat geheiratet und ist nach Moskau gezogen. typographischer Hurenkinder. So auch hier. So auch jetzt.
Sabrina ist Jazzfan und laut eigener Aussage „schlafbegeistert“.
Kateryna Naumenko
Nataliia Fomenko wurde 2002 in Berdychiv (Gebiet Zhytomyr) geboren. Aktuell
wurde im Jahr 1999 in Kharkiv geboren. Seit 2016 studiert sie An- studiert sie Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Kyiv.
gewandte Mathematik an der NTU „KhPI“. In der Schule mochte Privat liebt es Kateryna intellektuell. Zu Ihren Hobbys gehören:
sie Literatur, hasste es jedoch, Aufsätze zu schreiben. die Beschäftigung mit Literatur und Philosophie, Museumsbesu-
che und Schreiben. Kateryna tanzt auch gerne, am liebsten Sam-
Die Fratellini-Brüder ba und Tango Argentino.
sind eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten tot, aber für die
BRÜCKE haben sich Paul, François und Albert noch einmal ihre Peregrin
Clowns-Kostüme übergestreift. Herzlichen Dank dafür! Nach ihm ist ein Kipferl benannt!
Florian Rinesch Ivanna Soiko
wurde 1980 in Wien geboren. Nach einem Studium der Ge- ist Studentin des 3. Studienjahres am Lehrstuhl für germanische
schichte, Slawistik und Theaterwissenschaft in Wien und Moskau, Philologie und Übersetzung der Taras Shevchenko-Universität
unterrichtete er an verschiedenen Universitäten in der Ukraine, Kyiv. Ihre Hobbys sind Handarbeiten und Musik.
Aserbaidschan und Belarus. Seit 2018 ist Florian OeAD-Lektor an
der KNU. Er ist Herausgeber der Zeitschrift DIE BRÜCKE und ver- Stovpchyk
schandelt diese mit albernen Kritzeleien. ist ein lokalpatriotischer Lemberger Pfosten; aber lieb und rüh-
rend in seiner Art.
Konrad Rubinstein
wurde 1898 in Teplitz-Schönau, dem heutigen Teplice, geboren. Er Anastasiya Stulen
ist unserer Kenntnis nach der letzte lebende Mensch, der noch im wurde 2000 in Chernihiv geboren. Sie studiert Germanistik an der
19. Jahrhundert geboren worden ist. Vor seiner Pensionierung war KNU (4. Studienjahr) und interessiert sich für Reisen, Schießen und
Konrad Rubinstein Grubenarbeiter und autodidaktischer Thea- Handarbeit.
terkritiker. Seine Lebensphilosophie: Se non è vero, è ben trovato.
Tetiana Suprun
Fabio Sand unterrichtet Dolmetschen (Deutsch/Ukrainisch) an der KNU und
wurde 1991 in München geboren und fungiert seit 2019 als Oe- leitet das dort ansässige Zentrum für deutsche Sprache und Kul-
AD-Lektor in Kharkiv. Seit 2020 leitet er die Redaktion der BRÜ- tur. Nebenbei arbeitet sie als freiberufliche Dolmetscherin und
CKE in Kharkiv. Übersetzerin. In der BRÜCKE zeichnet Tetiana maßgeblich für das
Layout verantwortlich.
Friedrich Schwalbe
wurde im Jahr 2002 in Kharkiv geboren. Seit 2020 studiert er Anastasiia Zimnenko
Elektroenergiewirtschaft an der NTU „KhPI“. In der Schule inte- wurde im Jahr 2000 in Kharkiv geboren. Anastasiia studiert Pro-
ressierte er sich für Literatur, Geschichte, Geographie und natur- jekt Management im IT-Bereich an der NTU „KhPI“. Sie war als
wissenschaftliche Fächer. Seine Leidenschaft gilt neben seinen bei- HR-Managerin tätig. Anastasiia ist Mitglied der Studentenselbst-
den Muttersprachen Russisch und Ukrainisch auch der englischen verwaltung „StudHeads“. Seit 2020 schreibt sie für die Brücke.
sowie der deutschen Sprache. „Keine Grenzen in der Kunst“ stellt Was für sie am wichtigsten ist: Sie kann und will sich ein Leben
das Motto seines literarischen Schaffens dar. ohne Orangen und Avocados nicht vorstellen.

Professor Dowells Schildkrötenkopf Vira Zimnenko


wurde bereits vor Jahrzehnten von Professor Dowell in Formalde- ist eine Durchschnittssterbliche aus Kharkiv, die schon 18 Jahre alt
hyd eingelegt. Seither frönt er seiner Leidenschaft für Poesie. Dass ist, aber trotzdem noch bei ihren Eltern wohnt. Sie studiert seit
man aber auch immer erst Zeit zum Lesen hat, wenn einem der 2019 Angewandte Mathematik an der NTU „KhPI“. Da ihr Eng-
Kopf abgeschnitten worden ist! lisch zu schwer fällt, versucht sie stattdessen ihr Deutsch weiter zu
perfektionieren.
Frau Chriszenzia Semmelmayer
wurde 1954 in Altötting (Bayern) geboren. Frau Semmelmeyer Zipo
kann zupacken, hat immer gute Einfälle und macht nach Eigen- Ho ho ho ho ho! Ihr bekommt keine Biographie von mir! Ich bin
aussage „die besten Fleischpflanzerl im ganzen Landkreis“. Wer Zipo!!!
wollte ihr da widersprechen?
Zwei Ameisen
Nataliia Sheremeta In Hamburg lebten zwei Ameisen, die wollten nach Australien rei-
wurde am 2. September 2000 in Chervonohrad geboren. Sie ist sen. Bei Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh.
Studentin des 4. Studienjahres an der KNU. Nataliia interessiert Und da verzichteten sie weise denn auf den letzten Teil der Reise.
sich für Geschichte und Literatur. Sie möchte Schriftstellerin und So will man oft und kann doch nicht und leistet dann recht gern
Übersetzerin werden. Verzicht. (Joachim Ringelnatz)
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Bildungseinrichtungen
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Niveaustufen & Prüfungen des ÖSD

A1 A1 A2 A2 B1 B1 B2 C1 C2
ZA1 KID A1 ZA2 KID A2 ZDÖ B1 ZB1 ZB2 ZC1 ZC2

Österreichisches Sprachdiplom Deutsch


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