eDOSSIER

NR. 112
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Gebrauchsanleitungen:
Konzept, Design
und Umsetzung
Von Technical Guide über Erklärvideo
bis Augmented Reality

Mit Cases aus analogen und

digitalen Produktwelten

Das PAGE eDossier Nr. 112 enthält einen Beitrag aus PAGE 11.2014 (EVT September 2014) im Originallayout.
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So kurz wie möglich

Für Sennheisers Speakerphone SP 10 gestaltete Tina Wahren keine ausführliche Anleitung, sondern nur einen gut
funktionierenden Quick Guide. Und natürlich einen Safety Guide mit Sicherheitshinweisen und Herstellererklärungen.

Keep it
stupid and
simple
Unverständliche Bedienungsanleitungen können einen in den Wahnsinn
treiben. Dass es auch anders geht, beweisen die hier gezeigten Beispiele
● Jeder, der schon schwitzend ver-
sucht hat, Möbel zusammenzubauen,
den neuen Fernseher zu programmie-
ren oder seiner Kamera einwandfrei be-
lichtete Fotos abzuringen, würde sich
wünschen, dass die Gestalter der Ge-
brauchsanleitung das KISS-Prinzip be-
folgt hätten: Keep it stupid and simple.
Leider sind viel zu viele Anleitun-
gen nicht nur schlecht gestaltet, son-
dern auch fehlerhaft. »Das kann daran
liegen, dass das Produkt selbst oft noch
gar nicht fertig ist, wenn die Beschrei-
bung entsteht«, sagt David Demel, der
sich mit seiner Agentur demeldesign
(www.demeldesign.com) auf visuelle
Anleitungen spezialisiert hat. »In die-
sem Fall braucht man auf Kundensei-
te jemanden, der sich wirklich mit dem
Produkt auskennt, und jemanden, der
das visuell umsetzt. Läuft in dieser Zu-
sammenarbeit etwas schief, fehlen im
Handbuch dann vielleicht zwei Schrau-
ben, weil der Prototyp sie nicht vor-
sah.« Kommt dazu noch Zeitdruck,
wird es wirklich schwierig. »In der Re-
gel haben wir vier Wochen oder weni-
ger Zeit für die Erstellung, das ist nicht
viel«, so David Demel.
Ein weiterer Grund für unverständ-
liche Anweisungen: Sie liegen den Her-
stellern nicht wirklich am Herzen. Wä-
ren sie in Deutschland nicht Pflicht,
würde mancher sicher ganz darauf ver-
zichten. Und schließlich sind es häufig
nicht eigens ausgebildete technische
Redakteure, die im Idealfall zusammen
mit einem Gestalter die Anleitungen
entwickeln, sondern die Ingenieure
selbst, die diesen Job noch mit aufs Au-
ge gedrückt bekommen.
Schlechte Gebrauchs-
anleitung = IKEA?
Das war mal so. Was haben wir uns frü-
her mit Malm, Pax und Billy abgemüht
und verzweifelt versucht, die krypti-
schen Zeichnungen zu verstehen. Nicht
umsonst heißt ein Gesetz im Volks-
mund »IKEA-Klausel«. Gemeint ist ei-
ne im Bürgerlichen Gesetzbuch veran-
kerte Regelung zum Schutze des Ver-
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brauchers, nach der bei einem Kauf ein
Sachmangel vorliegt, wenn die Mon-
tageanleitung fehlerhaft ist.
Doch hat das schwedische Möbel-
haus in die Konzeption und Gestaltung
seiner Gebrauchsanweisungen inves-
tiert, sodass sie heute überwiegend gut
funktionieren – und das ganz ohne
Text. Wer dem sympathischen Männ-
chen konzentriert folgt, wird auch die
Schubladen richtig herum einbauen.
Sehr gut finde ich, dass am Anfang
nicht nur das benötigte Werkzeug ab-
gebildet ist, sondern man durch die
Anwesenheit von einem oder zwei
Männchen zudem gesagt bekommt,
ob man es alleine schafft oder einen
Helfer braucht.
Nur Text, nur Bild oder
besser gemixt?
Tina Wahren ist die Kombination am
liebsten. Die Technikredakteurin mit
dem Schwerpunkt Illustration aus Celle
nennt ihr Büro Die AnleitungsDesigner
(www.dieanleitungsdesigner.de).
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Zu ihren Kunden gehört auch der
Audiospezialist Sennheiser. »Egal, ob
ich schreibe oder zeichne, zunächst
muss ich alles recherchieren, verste-
hen und sortieren«, erklärt sie. »Am
einfachsten ist ein Mix aus Text und
Bild, denn so kann ich die Stärken bei-
der Medien nutzen. Einige Dinge sind
schwierig zu illustrieren, aber mit we-
nigen Worten zu beschreiben. Ohne
Text muss das Bild alle Informationen
vermitteln, das ist nicht immer ein-
fach, dafür braucht man dann auch
keine Übersetzung.«
Übersetzungskosten sparen
Die Ausgaben für Übersetzungen sind
es auch, die weltweit agierende Unter-
nehmen dazu bringen, ihre Anleitun-
gen ausschließlich mit Bildern zu ge-
stalten. Demeldesign arbeitet vor allem
für Kunden aus der Automobilbran-
che, bei denen Bilder ebenfalls die er-
ste Wahl sind. »Unser Spezialitgebiet
sind technische Zeichnungen. Wir ver-
suchen, wo immer es möglich ist, auf
Sprache zu verzichten«, sagt David
Demel. »So werden die Anleitungen
nicht so dick und die Übersetzungen
In Bewegung
Wem die gedruckten
Anleitungen oder
Quick Guides nicht
reichen, kann sich
auf der Sennheiser-
Website zu verschie-
denen Headsets
Erklärvideos ansehen.
fallen weg. Beides nicht zu unterschät-
zende Kostenfaktoren.« Keine gute
Idee ist es dagegen, Übersetzungsho-
norare durch den Einsatz entspre-
chender Software sparen zu wollen.
Sätze wie »Stippel A kaum abbiegen
und verklappen in Gegenstippel B für
Illumination von GWK 9091« sorgen
zwar für Heiterkeit, sind allerdings
nicht zielführend.
Die Kurzversion, reicht
das schon?
Voll im Trend sind Quick Guides, ge-
druckte Kurzanleitungen in Bildern,
die dem Produkt beiliegen, während
die ausführliche Beschreibung in Form
einer PDF-Datei im Internet zur Verfü-
gung steht. »Ich persönlich liebe diese
Quick Guides, besonders dann, wenn
sie schön gestaltet sind und nicht grau
in grau daherkommen. Im Idealfall
beschreiben sie alle wichtigen Schrit-
te, und ich brauche die Zusatzinfo im
Netz nicht«, meint Tina Wahren. Sie
weiß jedoch aus Erfahrung auch, dass
gerade ältere Leute lieber eine um-
fangreiche Printanleitung im Karton
vorfinden. Der Job des Produktmana-
gers ist es, seine Zielgruppe genau zu
kennen und die passende Lösung in
Auftrag zu geben.
Nur gedruckt, nur digital
oder beides?
Gedruckte Anleitungen werden trotz
digitaler Konkurrenz auch weiterhin
existieren. »Für mich macht das auch
Sinn«, meint David Demel. »Wir haben
einfach nicht überall Gelegenheit, an
die digitale Variante heranzukommen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben mitten
in Spanien ein Reifenpanne und fin-
den in Ihrem Reperaturset keine An-
leitung, sondern nur eine URL.« Beim
Aufbau von Möbeln ist es ebenfalls an-
genehmer, Blätter neben sich liegen zu
haben, als mit dem iPad zu hantieren.
Augmented Reality könnte künftig
häufiger zum Einsatz kommen, meint
Tina Wahren und gibt ein Beispiel. »Ich
stehe im Laden oder zu Hause vor dem
Produkt und frage mich, was ein be-
stimmter Schalter wohl tut. Also halte
ich die Kamera meines Smartphones
drauf und zack erscheinen auf dem Dis-
play Punkte über dem Produkt. Einfach
den Punkt über dem Schalter drücken
und das Smartphone zeigt eine Be-
schreibung als Text, Bild oder Video.«
Erklärvideos:
Hilfe aus dem Netz
Für nahezu alles findet man heute Er-
klärvideos im Netz. Gemacht sind sie
in der Regel nicht von den Herstellern,
sondern von freundlichen Konsumen-
ten, die anderen den selbst erlebten
Stress mit Gebrauchsanweisungen er-
sparen wollen. »Die Kombination aus
einer gedruckten Anleitung und einem
Clip, der die Schlüsselstellen erklärt,
ist hilfreich«, meint David Demel.
Sein kürzlich erworbenes Wurfzelt war
mit der Anleitung allein unmöglich
wieder zusammenzulegen, mithilfe ei-
nes passenden Erklärvideos dagegen
ohne Probleme.
»Die Hersteller könnten hier mehr
investieren und selbst mal im Netz
schauen, wie ihre Produkte kommen-
tiert werden und entsprechend han-
deln«, fordert Demel. Bisher allerdings
verlassen sich die meisten darauf, dass
ihre Kunden ihnen die Erstellung von
Erklärvideos abnehmen. Eine rühm-
liche Ausnahme ist IKEA: Die Schwe-
den bieten auf YouTube verschiedene
Filme zum Aufbau kniffliger Pro-
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Stein auf Stein

Die inhouse gestalteten
Montageschreibungen
von LEGO kann man alle
downloaden. Sie funk-
tionieren hervorragend
und garantieren so, dass
Eltern und Kinder fleißig
weiter Bausätze kaufen.
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So nicht, sondern s0
Den Faltmechanismus des
Tischkickers Kartoni erklärt
mangodesign fast ganz ohne
Text, dafür mit einer Prise
Humor, die das Ganze deutlich
auflockert. Die per QR-
Code abrufbare Animation
gibt weitere Erklärungen.
dukte an ( http://is.gd/ikeavideos).
Wie die gedruckten Anleitungen kom-
men sie ohne Sprache aus und lassen
sich deshalb weltweit einsetzen.
»Trocknen Sie Ihren Hamster
nicht in der Mikrowelle«
LEGO, Playmobil, Überraschungsei-
er – viele gute Leitfäden kommen aus
der Spielwarenbranche, denn schließ-
lich sollen die Eltern immer wieder
neue Feuerwehrwachen und Ritterbur-
gen kaufen, und das funktioniert nur,
wenn sich diese auch leicht zusam-
menbauen lassen. Ob Produkte mit
mangelhafter Anleitung weniger abge-
setzt werden, darüber gibt es keine Un-
tersuchungen, aber immerhin beur-
teilt Stiftung Warentest die Gebrauchs-
anweisungen oft mit. Sind diese feh-
lerhaft oder unverständlich, kann das
schon einmal eine Abwertung des
Produkts bedeuten.
»Schlechte Anleitungen können
einen Hersteller richtig viel Geld kos-
ten«, sagt Tina Wahren. »Berühmt-
berüchtigt sind ja die Millionenkla-
gen in den USA – Mythen, die zu wil-
den Warnhinweisen führen: Trocknen
Sie niemals Ihren Hamster in der Mi-
krowelle. Aber auch sonst: Anwender
schicken vielleicht funktionstüchtige
Produkte zurück oder rufen völlig ver-
ärgert den Kundenservice an. Das
klingt unspektakulär, aber jeder Sup-
portfall kostet Geld.« Tatsache ist aber
auch, dass das beste Handbuch ein
überkompliziertes Produkt nicht ret-
ten kann. Im Idealfall ist es also nur
die Ergänzung eines sich selbst erklä-
renden Produkts.
Berufliche Nische
Für Kreative kann die Erstellung von
Gebrauchsanleitungen eine interes-
sante Nische darstellen – unabhängig
davon, ob sie sich darauf speziali-
sieren oder sie mehr eine Art Abfall-
produkt darstellen. Letzteres gilt für
die Firma mangodesign (www.mango-
design.de). Die 1994 von Andrea Finke-
Anlauff und Marcus Anlauff in Braun-
schweig gegründete Agentur arbeitet
im Interface-, Grafik- und Produktde-
sign und erstellt häufig die Anleitun-
gen gleich mit. »Wir entwickeln User
Interfaces und passend dazu die grafi-
sche Gestaltung«, erklärt Andrea Fin-
ke-Anlauff die Arbeitsweise. »Dadurch
kennen wir die Bedienstrukturen
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und den Funktionsumfang ganz ge-

nau und es ist sinnvoll, auch die An-
weisungen zu gestalten. Zumal wir den
direkten Zugang zu dem Grafikpool
haben und schnell Beispieldisplayan-
sichten bauen oder mit den Original-
Icons illustrieren können.«
Für Nokia beispielsweise entwickel-
te mangodesign in Flash programmier-
te Anleitungen für Mobiltelefone, die
sich unmittelbar im Telefon abrufen
ließen. Es standen lediglich maximal
1,5 Megabyte Speicher zur Verfügung
und trotz der zahlreichen rechtlichen
Aspekte, die genannt werden muss-
ten und einiges an Platz fraßen, ge-
lang es den Kreativen dennoch, kurze
Filme zu integrieren, die die neuen
Features vorstellten.

Geduld und gute Nerven

Auch bei Produkten, die mangodesign
selbst entwirft, bietet es sich an, die
Aufbauanleitung selbst zu gestalten.
Schließlich hat man die Konstrukteu-
re mit im Team und kann die CAD-Da-
ten dafür verwenden. So zum Beispiel
beim Tischkicker Kartoni. »Zunächst
haben wir Testpersonen ohne Hilfe ei-
nen Versuch starten lassen und das ge-
filmt, um die natürliche Vorgehenswei-
se herzufinden«, erzählt Andrea Finke-
Anlauff. »Dann hat eine Testperson
Selbst erprobt den Tisch mit Hilfestellung aufgebaut,
Designer David Demel baute bei und der Entwickler des Produkts hat
Babyblume das Kinderbett eigen- gleich auf die kniffeligen Stellen hin-
händig mit auf, damit er als Ent- gewiesen. Dabei haben wir gefilmt und
wickler der Anleitung weiß, wie fotografiert und auf dieser Grundlage
es funktioniert. Mit vielen Fotos die Anleitung erstellt.« Beim Kartoni
im Gepäck ging es zurück in die
gibt es zusätzlich dazu noch eine Ani-
Agentur, wo er die technischen
Immer dabei mation, die man per QR-Code abru-
Zeichnungen in Illustrator erstellte.
Im Nokia 6303 lässt sich die von fen und so die Faltungen animiert an-
mangodesign in Flash programmierte schauen kann.
Anleitung direkt im Telefon abrufen.
Für gute Gebrauchsanweisungen
braucht man nicht nur eine kreative
Ader, sondern darüber hinaus Abstrak-
tionsvermögen, technisches Verständ-
nis, sprachliche Gewandtheit, Geduld
und die Bereitschaft, sein Werk im-
mer wieder testen zu lassen. Da Anlei-
tungen mit hohem Bildanteil zuneh-
men, werden immer mehr Gestalter
gebraucht, die komplizierte Sachver-
halte verständlich visualisieren kön-
nen – ähnlich wie bei Infografiken.
Wer also keine Lust hat, ständig nur
Corporate Designs oder Kampagnen
zu entwickeln, könnte vielleicht An-
leitungsdesigner werden. Brauchen
könnten wir sie. ant
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