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Editorial 319

Buch oder E-Book?


M. Spitzer, Ulm

Gehören Sie auch noch zu der vermeintlich aber auf jeden Fall den Prozess der Rezepti- als Nachteil sieht, ist selbstredend in Wahr-
aussterbenden Spezies Mensch, die lieber on der Botschaft nicht unwesentlich. heit ein wesentlicher Vorteil: In den anglo-
mit an den Fingern klebenden Baumleichen Ganz zu stimmen scheint die Botschaft amerikanischen Ländern spricht man von
liest, anstatt von den Bildschirmen verschie- vom Verschwinden des traditionellen „deep reading“, also dem Lesen mit wirkli-
denster digitaler Endgeräte? Diese würden Buchs übrigens auch nicht: Gaben im Jahr chem Verstehen dessen, was da steht, im
von den digitalen Eingeborenen bevorzugt, 2012 „nur“ noch 60% der Sechs- bis Sieb- Gegensatz zum oberflächlichen „Skimmen“
sagen uns alle, die meinen und uns einre- zehnjährigen an, lieber ein Buch als von von Texten, das durch digitale Medien be-
den, sie würden etwas davon verstehen. Pa- Bildschirmen zu lesen, so stieg dieser An- günstigt wird. „Der Bildschirm verleitet
pier ist von vorgestern, Screen Media sind teil im Jahr 2014 wieder auf 65%. Entspre- zum Überfliegen: Wenn wir Scrollen, lesen
die Zukunft. – Das wird so laut gesagt, dass chend stagnierten in diesem Zeitraum die wir schneller (und weniger tief) als wenn
sogar Politiker in Berlin es hören und gerade Verkäufe von E-Book-Readern weitgehend wir die Seiten der Reihe nach lesen“,
einmal wieder die digitale Aufrüstung der (14). „Viele Menschen mögen E-Books schreibt die Publizistin Maria Konnikova
Klassenzimmer auf den Weg bringen möch- ganz einfach nicht: Die Batterien werden im New Yorker im Sommer 2014 (15).
ten, wie man heute so sagt, obgleich sie wis- leer, sie tun den Augen weh und man kann Beim „leichten Lesen“ („light reading“),
sen, dass sie das gar nicht können, weil Bil- mit ihnen nicht in der Badewanne lesen“, womit am ehesten das Überfliegen wenig
dung nun einmal Ländersache und nicht Sa- bemerkt die Journalistin Alice Robb hierzu gehaltvoller Texte gemeint ist, macht das
che des Bundes ist (7). augenzwinkernd (26). Medium kaum einen Unterschied, was
Aber stimmt das auch? Lesen wir bald kaum verwundert, denn man liest ohnehin
nur noch mit E-Book oder gar vom Lesen Sie auch lieber mit an den oberflächlich. Beim „ernsthaften Lesen“
Smartphone mit seinem Bildschirmchen? Fingern klebenden Baumleichen? hingegen („serious reading“) sind volle
Oder ist das im Grunde sowieso egal? 92% der von Baron befragten über 300 Stu-
Ganz egal scheint es nicht zu sein. Denn In einem kürzlich erschienenen Buch der denten der Überzeugung, dass dies mit be-
wer die Zeitung online liest, tut dies für 70 US-amerikanischen Linguistin Naomi S. drucktem Papier – im Vergleich zu
Sekunden täglich, wer sie hingegen in Pa- Baron mit dem Titel Words Onscreen: The Smartphone, E-Reader, Tablet oder Laptop
pierform liest, verbringt damit 25 Minuten Fate of Reading in a Digital World (▶Abb. – am besten geht, weil man sich dann am
(30). Das Medium ist also zwar nicht ganz 1) (1) beschreibt die Autorin ihre Lieb- besten konzentrieren könne (26).
die Botschaft, wie Marshall McLuhan in den lingsantwort von Studenten auf die Frage, Fragt man Studenten nach den Grün-
1960er-Jahren behauptet1 hatte, beeinflusst was sie am Lesen von gedrucktem Material den, warum sie lieber ein gedrucktes Buch
auf Papier nicht mögen: „Es dauert länger, lesen, so geben sie u. a. den Geruch des
Nervenheilkunde 2015; 34: 319–325 weil ich sorgfältiger lese.“2 Was der Student Buchs an, seine Schwere und haptische
Qualität, das unmittelbare Spüren (an der
Korrespondenzadresse Dicke der Seiten in den Händen), wie weit
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
2 „It takes me longer because I read more carefully.“
Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Psychiatrie
(zit. nach 25) man mit der Lektüre ist, und die leichtere
und Psychotherapie III
Leimgrubenweg 12, 89075 Ulm

1 Der Slogan „Das Medium ist die Botschaft“ (The Me-


dium is the Message) wurde durch Herber Marshall
McLuhan’s bekannteste Monografie Understanding
Media (erschienen 1964) zum ersten Mal bekannt. In
der Folge trug sein mit über einer Million Exempla-
ren meistverkauftes Buch den Titel The Medium is Abb. 1
the Massage (erschienen 1967). Der Setzer hatte ei- Zwei bemerkenswerte
nen Fehler gemacht und das „e“ mit einem „a“ ver- Bücher zu den Themen
tauscht. Dies gefiel McLuhan so gut, dass er den Feh- „Lesen“ und „Big Da-
ler nicht korrigierte. In seiner Biografie (11) kann ta“, die sich mit den
man nachlesen, dass er einerseits von seinem Slogan
Auswirkungen digita-
gelangweilt war, und zudem offen und kreativ genug,
um zu erkennen, dass der neue Titel die Wirkung der ler Informationstech-
Medien auf den Menschen im Sinne einer dauern- nik in unterschiedli-
den Massage seiner Sinne noch viel besser beschrieb chen Bereichen be-
als der ursprünglich beabsichtigte Titel. schäftigen.

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320 Editorial

klickt auf den Vogel und dann macht er


Krach ...), verbringen die Kinder 43% ihrer
mit dem E-Buch verbrachten Zeit mit Kli-
cken anstatt mit Lesen (28).

Wenn das E-Buch besonders viele


Abb. 2 „Gimmicks“ enthält, verbringen die
Fragt man Studenten Kinder 43% ihrer mit dem E-Buch
direkt getrennt nach verbrachten Zeit mit Klicken an-
Buch und E-Buch, was statt mit Lesen.
sie beim Lesen bevor-
zugen, ist die Antwort
ziemlich eindeutig Die New York Times Journalistin Annie
(nach 18, S. 7). Murphy Paul kommentierte diese Befunde
wie folgt: „Es scheint als würde gerade die
durch E-Books bereitgestellte ‚Fülle’ der
Übersicht darüber, was man gerade liest. zum gleichen Material im pdf-Format sig- multimedialen Umgebung – die als deren
Mancher erwähnt auch, dass er sich merkt, nifikant höher lag (31). Weil die Zuord- großer Vorteil gegenüber gedruckten Bü-
wo auf einer Seite ein bestimmter Inhalt nung zu den beiden Gruppen (Papier ver- chern gefeiert wird – die Kapazität des Ar-
stand, was bei einem Bildschirm keinen sus elektronisch) per Zufallsauswahl (ran- beitsgedächtnisses der Kinder überfordern
Sinn mehr macht Das Buch erscheint ih- domisiert) erfolgte und durch einen Prä- und dazu führen, dass sie den Faden verlie-
nen „irgendwie realer“ als der gleiche In- Test die Leseleistung erfasst wurde und ren oder die Bedeutung der Geschichte
halt auf einem Bildschirm (1). Nicht weni- beim Lesen von Papier oder Bildschirm he- oberflächlicher verarbeiten“3 (22, Überset-
ge Studien zeigen tatsächlich, dass beim rausgerechnet werden konnte, ist diese Stu- zung durch den Autor, MS).
Lesen von Büchern mehr hängen bleibt als die als methodisch vorbildlich zu bewerten. Studenten scheinen dies irgendwie zu
beim Lesen des gleichen Materials von ei- Eine ähnliche Studie aus China an Col- ahnen, lesen sie doch, wie bereits angedeu-
nem Bildschirm. lege-Studenten, in der die Behaltensleis- tet, deutlich lieber Bücher als E-Bücher
tung nach dem Lesen von Papier, Tablet- (▶Abb. 2). Eine entsprechende Befragung
Das Buch erscheint ihnen „irgend- Computer und Laptop verglichen wurde, von 390 Studenten der University of Califor-
wie realer“ als der gleiche Inhalt zeigte ebenfalls eine bessere Leistung nach nia Los Angeles (UCLA) im Durchschnitts-
auf einem Bildschirm. dem Lesen von traditionellem Druck auf alter von 21 Jahren nach deren Lese- und
Papier (32). Und auch Studien aus den Lerngewohnheiten durch die Bibliotheka-
So fand eine Studie aus dem norwegischen USA an Schulkindern bis Klasse 4 zeigten, rin Diane Mizrachi (18) ergab zudem, dass
Stavanger an 72 Schülern der 10. Klasse in dass beim Lesen eines Buches mehr ver- gedruckte Bücher in vielerlei Hinsicht von
einem Prä-post-Design heraus, dass das standen wird als beim Lesen von Bildschir- den Studenten als dem Lernen deutlich för-
Verständnis der Geschichte beim Lesen ei- men (29). Gerade dann, wenn das E-Buch derlicher eingestuft werden als E-Bücher.
nes Buches in Papierform im Vergleich besonders viele „Gimmicks“ enthält (man Mehr als 80% der Studenten gaben an, dass
sie sich auf die Inhalte besser konzentrieren
könnten und sie auch besser behalten,
wenn sie ein Buch lesen im Vergleich zum
E-Buch (▶Abb. 3).
Die Studenten hatten auch die Möglich-
keit, offene Kommentare abzugeben und
gedrucktes Buch
taten dies vor allem, wenn sie die Fragen
unentschlossen mit „das hängt davon ab“
beantworteten. In diesen Fällen schrieben

3 “It seems that the very ‘richness’ of the multimedia


environment that e-books provide — heralded as
their advantage over printed books — may overw-
helm children’s limited working memory, leading
them to lose the thread of the narrative or to pro-
cess the meaning of the story less deeply.”
Abb. 3 Antworten auf die zwei Fragen nach dem Gedächtnis („Ich erinnere mich an Inhalte meiner 5 „I remember information from my course readings
gelesenen Kursunterlagen am besten, wenn ich in einem gedruckten Buch lese“5) und der Konzentrati- best when I read them from printed pages.“
on („Ich kann mich auf das Material besser konzentrieren, wenn ich es gedruckt lese“6; 18, S. 4f) in Ab- 6 „I can focus on the material better when I read it in
hängigkeit vom Medium (Buch oder E-Buch). print.“

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Editorial 321

sie beispielsweise: „Wenn der Stoff komple- Zum Durcharbeiten von Texten gehört
xer ist, lese ich das lieber gedruckt.“ „Ich oft das Hervorheben (unterstreichen oder
habe nichts dagegen, wenn es mir elektro- mit Textmarker markieren) und das Anno-
nisch geschickt wird, aber ich schaue mir tieren mittels kleiner Randnotizen. Beide
das nicht mit diesem Medium an.“ „Wenn Strategien werden deutlich häufiger beim
ich viele Seite durchgehen oder viele Noti- Lesen gedruckter Bücher eingesetzt
zen ins Buch machen muss, dann ist Ge- (▶Abb. 5).
drucktes besser.“ Am ehesten zum E-Book
motivieren kann diesen zusätzlichen Anga- „Wenn der Stoff komplexer ist, lese
ben zufolge ihr niedrigerer Preis. „Es hängt ich das lieber gedruckt.“
davon ab, was teurer ist“, schrieb ein Stu-
dent“, andere waren noch deutlicher: „Ich Das Verhalten der Studenten passt gut zu
ziehe immer des Lesen gedruckter Bücher den Befunden zum Unterschied von Hand-
Abb. 4 Reaktionen der Studenten auf die Aus-
vor, wenn aber das Downloaden von Arti- sage „Wenn die Kursunterlagen ausgedruckt vor- schrift versus dem Tippen auf einer Tasta-
keln oder ganzen Büchern nichts oder fast liegen, ist es wahrscheinlicher, dass ich nochmals tur, wie die schöne Arbeit Der Füller ist
nichts kostet, dann überwiegen die Vortei- hineinschaue.“ Nahezu 80% wiederholen den mächtiger als die Tastatur zweier Wissen-
le.“ „Von gedrucktem Material kann man Stoff eher, wenn er gedruckt vorliegt (18, S. 6). schaftler aus Princeton und der University
leichter lernen, aber elektronisch ist billi- of California zeigte: Handschriftliche Noti-
ger.“ Und natürlich sind E-Bücher auch zen sind dem Lernen förderlicher als das
leichter: „Ich stimme [E-Büchern] nur zu, Gründe: „Bücher lenken mich deutlich we- Schreiben mittels einer Tastatur (19).
weil das bedeutet, dass ich sie nicht tragen niger ab als ein Computer und bieten weni- Schließlich zeigte sich noch, dass die Stu-
muss“ (18, S. 5, 7).4 ger Möglichkeiten, abzudriften“, oder denten elektronische Texte durchaus aus-
Wiederum waren die offenen Kommen- „Wenn ich elektronisch lesen, sind einfach drucken, um sie zu lesen. Der umgekehrte
tare aufschlussreich im Hinblick auf die zu viele Ablenkungen vorhanden“7 (18, S. Fall – das Digitalisieren gedruckter Mate-
4, Übersetzungen durch den Autor, MS). rialien – kommt hingegen kaum vor
Wiederholung ist die Mutter allen Lernens. (▶Abb. 6).
4 “If the reading is complex, I prefer to read it in
print.” “I don’t mind them being sent electronically, Daher ist es von nicht geringer Bedeutung, Die Antworten der Studenten zu ihrem
but I won’t view it from that medium.” “If I need to dass die Studenten angeben, dass ihren Le- Studierverhalten und zu ihrer klaren Präfe-
flip through multiple pages or [it] requires lots of sestoff mit höherer Wahrscheinlichkeit renz für gedruckte Bücher spiegeln damit
annotations then print is better.” “Depends on nochmals durchgehen, wenn er ihnen aus- genau das, was entsprechende Studien auch
which is more and least expensive.” “I always prefer
to read print, but when the cost of downloading ar- gedruckt vorliegt (▶Abb. 4). tatsächlich gefunden haben: Von gedruck-
ticles or entire textbook pdfs is free or almost free, ten Büchern kann man besser lernen. Sie
this benefit outweighs the former.” “Print is easier to lesen sich besser, weil die Augen weniger
learn, but electronic is cheaper.” “I only agree be- 7 „Books are significantly less distracting than a com-
cause electronic textbooks means I do not have to
ermüden, die Haptik (das Blättern) besser
puter and offer less opportunity to goof off.“ „Too
carry it. For that purpose, I prefer electronic text- many distractions easily available when I read elect- ist und das Lesen einer Seite von oben nach
books.” ronically.“ unten besser geht als das Scrollen durch ei-

Abb. 5 Reaktionen der Studenten auf die Aussage „Für gewöhnlich mar- Abb. 6 Reaktionen der Studenten auf die Aussage „Ich drucke mein elek-
kiere und annotiere ich meine Kursunterlagen“ in Abhängigkeit davon (und tronisches Material aus“ und „Ich digitalisiere mein gedrucktes Material“
jeweils getrennt gefragt), ob gedruckter Text oder elektronischer Text gelesen (18, S. 8).
wird (18, S. 6).

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322 Editorial

Bedingung 1 Bedingung 2 Tab. doch um die Reihenfolge von Ereignissen


Versuchsdesign oder um Details, also die „tiefere Struktur
Geschichte A Buch E-Buch (nach 3) der Geschichte“, d. h. „Informationen, die
Geschichte B aufwändiges E-Buch Buch nur erfasst werden, wenn das Kind dem Fa-
den der Erzählung folgt“ (S. 206), fanden
sich signifikante (p < 0,05) Unterschiede
nen Text, der sich von unten nach oben be- Sprachentwicklung des Kindes auswirkt im Hinblick auf Details und Reihenfolge
wegt. Der Text in gedruckten Büchern wird (13). Zwei Studien an 165 Paaren mit ei- der Ereignisse. Beides wurde nach dem
besser erinnert, weil die Stelle auf der Seite, nem Kind und einem Elternteil gingen da- Vorlesen traditioneller Bücher besser erin-
auf der Inhalte zu lesen waren, das Ge- her der Frage nach, wie sich das E-Book nert. „Kinder, die traditionelle Bücher la-
dächtnis unterstützen kann, weil auf Papier auf das dialogische Lesen und die Sprach- sen, waren signifikant besser beim erin-
gedruckte Bücher handschriftliche Notizen entwicklung von Kindern auswirkt (21). nern von Details sowie der Reihenfolge der
(die dem Lernen förderlicher sind) erlau- An der ersten Studie nahmen 46 Kinder Ereignisse in einer Geschichte als Kinder
ben und weniger ablenken. Dies alles wur- im Alter von dreieinhalb und sechseinhalb nach dem Lesen von E-Büchern. [...] Unser
de wohlgemerkt von Studenten aus Kalifor- Jahren (in jeder Altersgruppe 23 Jungen interessantester Befund liegt darin, dass
nien geäußert, dem „Land aus dem die und 23 Mädchen) sowie deren Mütter (in selbst dann, wenn die Eltern und Kinder
Computer kommen“ und von dort massiv 96% der Fälle) oder Väter teil. Sie ergab, mehr Zeit mit dem E-Buch verbringen als
propagiert werden.8 dass die Eltern beim Lesen gedruckter Bü- mit einem herkömmlichen Buch, die Kin-
cher mehr inhaltliche Bemerkungen ma- der mehr vom wichtigsten Typ dialogischer
Wenn ich elektronisch lese, sind chen und das Kind mehr durch Nachfra- Sprache (z. B. Nachfragen nach eigenen Er-
einfach zu viele Ablenkungen vor- gen zum Weiterdenken und dem Berichten fahrungen) von den Eltern hören. [...]
handen.“ eigener Erfahrungen ermuntern. So wun- Wenn den Eltern nur 10 Minuten am Tag
dert es nicht, dass die Kinder beim Lesen Zeit zum Vorlesen zur Verfügung steht,
Auch mit den Auswirkungen von E-Bü- traditioneller Bücher mehr von ihren eige- dann legen unsere Ergebnisse nahe, dass sie
chern für Kinder im Kindergartenalter be- nen Erfahrungen erzählen als beim Lesen durch das gemeinsame Lesen traditioneller
schäftigen sich mittlerweile einige Studien. von E-Büchern. „Es scheint damit, dass die Bücher einen reicheren und mehr dialog-
Man weiß schon lange, dass der frühe Um- Sprache der Kinder beim Lesen von E-Bü- orientierten Input für ihre Kinder liefern
gang mit Büchern, insbesondere zusam- chern weniger reich ist“,9 fassen die Auto- können“,10 diskutieren die Autoren ab-
men mit einer erwachsenen Person beim ren ihre Ergebnisse zusammen (21, S. 205). schließend ihre Ergebnisse (21, S. 207).
dialogischen Lesen, wie es Mütter und Väter Um zu untersuchen, wie sich diese Än- Hierzu passen die Ergebnisse einer New
weltweit mit ihren Kindern tun, nicht nur derungen der Lesegewohnheiten von El- Yorker Studie, bei denen Bücher mit ent-
allen Beteiligten großen Spaß macht, son- tern-Kind-Dyaden auf das Verstehen des sprechenden E-Büchern verglichen wur-
dern sich vor allem sehr positiv auf die Textes auswirken, wurde eine weitere Stu- den, bei denen es sich entweder um ein
die an 40 Kindern im Alter von drei Jahren einfaches E-Buch oder ein digital beson-
8 Dies lässt sich an der Initiative des Schuldistrikts und 33 Kindern im Alter von fünf Jahren ders aufwändiges E-Buch („enhanced
von Los Angeles unter Superintendent John Deasy durchgeführt. Nach Zufallszuteilung zu ei- e-book“) handelte (3). Die Autoren baten
vom Juni 2013 ermessen, bei der 1,3 Milliarden nen traditionellen Buch oder einem 32 Elternpaare, zusammen mit ihrem drei
Dollar für etwa 650 000 iPads der Firma Apple aus-
gegeben werden sollten. Das Projekt führte zu Pro-
E-Buch des gleichen Inhalts (es wurden bis 6 Jahre alten Kind ein Buch und ein
testen der Lehrer, denn es wurden Mittel verwen- zwei verschiedene Inhalte verwendet) und E-Buch zu lesen. Die Geschichten für jedes
det, die eigentlich zur Erhaltung der ohnehin maro- interaktivem Vorlesen wurden die Kinder der beiden Medien waren verschieden, es
den Schulgebäude eingeplant waren (12, 24). Nur (ohne Mutter oder Vater) zu den gelesenen wurden jedoch über alle Teilnehmer hin-
ein Drittel der Lehrer stimmten für das Projekt, das
sich jedoch bald nach dem Start verzögerte (gerade
Inhalten nach einer standardisierten Proze- weg die gleichen Geschichten verwendet
einmal 25 000 iPads waren verteilt worden), weil ei- dur (z. B. mit Hilfe von Bildern) befragt. (▶Tab.) und jeweils hälftig den Bedingun-
nige Schüler die eingebaute Sicherheits-Software Die Fünfjährigen zeigten dabei einen De-
zur Blockade pädagogisch unerwünschter Seiten zu ckeneffet, d. h. ihr Verständnis der Story
umgehen gelernt hatten (5). Daraufhin entschied 10 „Children who read traditional books were signifi-
der Schuldistrikt, dass die Geräte nicht mehr mit war unter beiden Bedingungen gut. Bei cantly better at remembering the content and se-
nach Hause genommen werden durften (weil deren den Dreijährigen zeigte sich Folgendes: quence of events in a story than those who read
Nutzung dort nicht kontrolliert werden konnte). Nach dem Lesen beider Buchformate books with electronic features. [...] Indeed, one of
Dies wiederum beeinträchtigte deren Funktionali- our most interesting findings is that even though
konnten sie gleich gut Protagonisten und
tät stark (keine Hausaufgaben möglich!), weswegen parents and children spent more time with the EC
einige Schulen sie doch wieder erlaubten (4). Als im Ereignisse identifizieren, was die Autoren book, children still did not hear more of the most
August 2014 herauskam, dass Deasy enge Kontakte als einfache bzw. „oberflächliche Informa- potent type of dialogic language (distancing
zum Management von Apple und der beteiligten tionen“ (21, S. 206) bezeichnen. Geht es je- prompts) than in the shorter, traditional book rea-
Softwarefirma gehabt hatte, quittierte dieser im Ok- ding session. This suggests that if parents have only
tober 2014 seinen Dienst, und es folge die Beschlag- 10 min per day to read with their child, they can
nahmung von kistenweise Dokumenten durch die 9 „Thus, it appears that children’s language is less rich provide the richest and most condensed dialogic in-
Staatsanwaltschaft (2). when reading EC storybooks.“ put by reading a traditional book together.“

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Editorial 323

gen zugewiesen. Eine Hälfte der Eltern- Abb. 7


Kind-Triaden las zuerst Geschichte A im Aktionen von Eltern
Buch und dann Geschichte B im E-Buch, und Kindern während
bei der anderen Hälfte war es umgekehrt. des Lesens eines Buchs
im Vergleich zu einem
Die Eltern-Kind-Triaden wurden den Be-
E-Buch (links) bzw. ei-
dingungen per Zufall zugeordnet (kombi- nes Buchs im Vergleich
niertes inter- und intra-Gruppen-Design). zu einem digital beson-
Die Studie wurde in der New York Hall ders aufwändigen
of Science durchgeführt, einem Museum in E-Buch (rechts). Beson-
dem man einfach Familien ansprach und ders auffällig ist, dass
um ihre Teilnahme bat. Bei den Kindern beim aufwändigen
handelte es sich um 11 Jungen (Durch- E-Buch viele Aktionen
schnittsalter: 4,6 ± 0,9 Jahre) und 21 Mäd- der Kinder und Eltern
nichts mit dem Inhalt
chen (Durchschnittsalter: 4,0 ± 0,8 Jahre).
des Buchs zu tun haben
Das gemeinsame Lesen wurde auf Video (nach 3, S.

aufgenommen und dann von zwei Perso- 1).
nen dahingehend beurteilt (mit 93% Über-
einstimmung), wer welche Aktionen mit Äußerungen beim Kind und fördert damit Interessant ist, was die Medien mit die-
dem Buch oder mit der anderen Person den Wortschatz und die Sprachentwick- ser Einsicht machen: Wir müssen lernen,
ausführt. Es ging dabei vor allem um lung“ (3, S. 1).11 E-Bücher besser einzusetzen, sollten die
sprachliche Äußerungen zur Geschichte E-Bücher für Kinder haben damit klare Schüler anhalten, die „Annotations-Funk-
oder zu anderen Aspekten der Situation. Nachteile gegenüber gedruckten Büchern: tion“ zu nutzen, um sie dadurch zum
Dabei wurde unterschieden zwischen Ak- Gerade wenn sie „besonders gut gemacht Nachdenken (und nicht zum Daddeln) zu
tionen, die in Zusammenhang mit dem In- sind“ und die „ Möglichkeiten digitaler Me- bewegen, und sollten ihre „Vorteile“ nut-
halt des Buchs standen und Aktionen, bei dien eher gut ausschöpfen“, wirken sie be- zen. Dazu gehört nach Meinung des Jour-
denen dies nicht der Fall war. sonders ungünstig auf die Sprachentwick- nalisten Devin Coldevey auch der „Read to
lung des Kindes. Kurz: E-Bücher lenken ab, me button“, also die Funktion, dass sich das
„Sowohl das dialogische Lesen auch und gerade wenn es sich um Kinder- Buch selber vorliest: „Solche interaktiven
durch Eltern und Kind als auch das bücher handelt. E-Bücher für Kinder för- Eigenschaften können auch gut sein, macht
Verständnis der Geschichte durch dern daher nicht das Lernen, sondern be- die Forschung (der Schugars, einem Psy-
das Kind werden von elektroni- hindern es. Insbesondere die „enhanced“ chologenpaar) klar: Ein zur rechten Zeit
schen Eigenschaften des Buchs (verbesserten) E-Bücher ähneln eher Video- auftretendes Geräusch kann einen Hinweis
negativ beeinflusst“. Spielen oder Fernsehfilmen: „E-reading may auf die Bedeutung eines schwierigen Satzes
just be screen time“, wie die New York Times geben und die Vorlese- und Wörterbuch-
Wie ▶Abbildung 7 zeigt, gab es beim Le- im Oktober 2014 titelte. „Möglicherweise Funktionen lassen das Kind auch ohne die
sen des gedruckten Buchs keinerlei nicht werden E-Bücher die Fernsehbabysitter die- Hilfe eines Erwachsenen weiterlesen“,
inhaltsbezogene Aktionen. Demgegenüber ser Generation. [...] Wir wollen nicht, dass schreibt er auf NBC-News, nicht ohne zu
hatten beim aufwändigen E-Buch viele Ak- die Eltern sagen: ,Es gibt keinen Grund, hier betonen, dass E-Books immer populärer
tionen der Kinder und Eltern nichts mit zu sitzen, die Seiten umzublättern und mei- werden und die Forschung schon Wege
dem Inhalt des Buchs zu tun. Zugleich gibt nem Kind zu zeigen wie man ein Wort liest, finden werde, wie Eltern und Lehrer diese
es beim aufwändigen E-Book weniger mit weil mein iPad das tun kann.‘“ Weil Kinder neuen „reichen Medien in die Erfahrungen
dem Inhalt des Buchs zusammenhängende leichter ablenkbar sind als Erwachsene, sind ihrer Kinder integrieren können“12 (6,
Aktionen bei Eltern und Kindern. E-Bücher gerade für Kinder das Letzte, was Übersetzung durch den Autor).
So wundert es auch nicht, dass die Kin- ihnen gut tut, d. h. ihnen hilft, ihre Auf-
der nach dem gemeinsamen Lesen des auf- merksamkeit zu fokussieren und ihre Kon-
wändigen E-Buchs signifikant weniger in- zentrationsfähigkeit zu stärken, wie dies ein 12 „Yet it’s clear from their [the Schugars’] research that
haltliche Details erinnerten als nach dem gutes Buch tut. such interactive features can be good as well: a timely
Lesen des gedruckten Buchs. Die Autoren noise might hint at the meaning of a difficult senten-
ce, and ’read to me‘ and dictionary features let a kid
fassen die Ergebnisse so zusammen: „Wenn keep reading without help from an adult. As tablets
die Erwachsenen den Kindern Fragen stel- 11 „When adults prompt children with questions per- and other touchscreen devices become more and
len, Objekte benennen lassen und die Kin- taining to the text, label objects, and encourage more common (and children become familiar with
der dazu veranlassen, die Inhalte in ihren them to discuss the book contents in terms of their them earlier and earlier) the benefits and drawbacks
own experiences and curiosities, this elicits increa- of this kind of content will grow more important. Re-
Worten zu beschreiben und mit ihren Er- searchers like the Schugars are working on finding
sed verbalization by the child and can lead to im-
fahrungen und Fragen in Verbindung zu proved vocabulary and overall language develop- the best methods for teachers and parents to integra-
bringen, führt dies zu mehr sprachlichen ment.“ te rich media into their kids’ learning experience.“

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324 Editorial

Hier wird also keineswegs die Tatsache mit Bezug auf Kinderbücher, sondern auf netsuchens, zeigen neun Experimente, die
festgestellt, dass E-Bücher für Kinder Lehrbücher für Studenten, zeigte (8). Die unter dem Titel „Wie das Internet die Ein-
schädlich sind! Und obwohl allgemein be- Autoren kommen nach einer Übersicht zu schätzung eigenen Wissens aufbläht“16 pu-
kannt ist, dass das Wichtigste am Kinder- den vorhandenen Studien zu dem Schluss, bliziert wurden (9). Probanden, die zu-
buch das gemeinsame Lesen ist, d. h. die dass es keine wissenschaftliche Evidenz da- nächst eine bestimmte Frage (z. B. „wie
Interaktion zwischen Mutter/Vater und für gibt, dass elektronische Lehrbücher zu funktioniert ein Reißverschluss“) durch ei-
Kind, wird die Vorlesefunktion positiv dar- einem besseren Lernerfolg führen als her- ne Suche im Internet beantworten sollten,
gestellt, und es wird sogar behauptet, dass kömmliche, auf Papier gedruckte Lehrbü- schätzten ihr Wissen zu anderen Fragen
„die Forschung“ dies gezeigt hätte! In den cher. Im Gegenteil: „Studenten, die auf zu bzw. Sachverhalten („warum ist es in wolki-
Originalarbeiten ist dies jedoch nicht der viele Hyperlinks klicken, verlieren den Fa- gen Nächten wärmer?“) im Vergleich zu
Fall: Dort wird darauf hingewiesen, dass den. [...] Die Netzwerkfähigkeit von Probanden, die zuvor nicht mit Internetsu-
die Vorlesefunktion schädlich ist und kei- E-Buch-Lesegeräten ist ebenfalls ein zwei- che beschäftigt waren, höher ein, auch
neswegs benutzt werden sollte. Und sogar schneidiges Schwert: Die Studenten kön- wenn sie die Frage nicht beantworten
die New York Times schreibt, dass die El- nen zwar leichter zusammenarbeiten, aber konnten. Der Effekt war zur Verwunde-
tern für das Vorlesen von E-Büchern mehr Facebook und andere soziale Medien sind rung der Wissenschaftler sogar dann vor-
Zeit aufwenden müssen als beim Vorlesen nur einen Mausklick weit entfernt und handen, wenn die Probanden zuvor erfolg-
von herkömmlichen Büchern, gerade weil werden daher in weitaus größerem Maße los im Internet gesucht hatten! Und er trat
die vielen Zusatzfunktionen ablenken und während des Lernens von Studenten mit nicht auf, wenn die Probanden von vorn
das Lesen behindern und daher mehr elter- elektronischen Lehrbüchern verwendet“,14 herein auf die Webseite mit den Informa-
liche Führung und Unterstützung notwen- bemerken die Autoren in ihrer zusammen- tionen hingewiesen wurden, also nicht da-
dig ist – und nicht weniger! fassenden Bewertung. nach suchen mussten.
Sofern E-Lehrbücher nicht „digital
Gerade wenn E-Bücher für Kinder hochgerüstet“ wurden, sondern einfach Mit einem Smartphone trainiert
„besonders gut gemacht sind“ und nur ganz normale Bücher sind, die nicht man sich eine Selbstüberschätzung
die „ Möglichkeiten digitaler auf Papier gedruckt gelesen werden, son- des eigenen Wissens aktiv und
Medien eher gut ausschöpfen“, dern von einem Bildschirm, wurde kein nachhaltig an.
haben sie klare Nachteile gegen- Unterschied beim Lernerfolg gefunden.
über gedruckten Büchern. Dies bestätigte eine weitere an 583 Studen- Immer wieder schätzen diejenigen Proban-
ten (undergraduates und graduates) durch- den, die zuvor im Netz nach Informationen
Was „die Forschung“ – leider – tatsächlich geführte Studie (27) aus dem Jahr 2013: In gesucht hatten, ihre Kenntnisse über ande-
zeigt, ist, dass Kinder E-Bücher oft ohne el- 59 Seminaren wurde entweder ein her- re Wissensgebiete höher ein. Die Tatsache,
terliche Beteiligung lesen (weil diese ja glau- kömmliches (gedrucktes) Lehrbuch oder dass man sich im Modus des Suchens im In-
ben, dass dies mit der Vorlesefunktion gut ein E-Buch gleichen Inhalts verwendet, ternet befindet, hatte somit kognitive Aus-
funktioniere). Damit aber werden die Kin- und die Studenten wählten vor Beginn des wirkungen dahingehend, dass man sich
der genau dessen beraubt, was ihre Sprach- Seminars selbst aus, mit welchem der bei- kompetenter fühlt, selbst wenn man zuvor
entwicklung am meisten fördert: Der von den Formate sie arbeiten wollten. Insge- auf einem anderen Gebiet suchend voll-
den Eltern begleitete Umgang mit Wörtern samt 53,2% aller Studenten der Seminare kommen erfolglos war. In einem anderen
und Dingen. „Während wir [fälschlicherwei- machten mit.15 Ein Vergleich der Noten Experiment sollten die Probanden Aktivie-
se] annehmen, dass interaktive E-Bücher für zwischen den Studenten mit E-Book und rungsbilder von Gehirnen, die ein unter-
sich allein Kinder unterhalten können, be- gedrucktem Buch zeigte keine Unterschie- schiedliches Ausmaß von Aktivierung zeig-
nötigen solche Produkte mehr Input von de. Zugleich schätzen die Studenten ihr ten, danach beurteilen, inwiefern sie der
uns [den Eltern] als dies bei Büchern aus Pa- emotionales Lernen persönlich besser ein. Aktivierung des eigenen Gehirns entspra-
pier der Fall ist“,13 zitiert die New York Times Dass dies kein Zufall ist, sondern eine chen. Hierbei zeigte sich, dass die Proban-
die beteiligten Wissenschaftler (22). Systemeigenschaft des menschlichen Inter- den nach einer Internetsuche ihr eigenes
Bereits im März 2012 wurde im Fach- Gehirn für aktiver hielten, d. h. als Quelle
blatt Science eine kurze Übersicht publi- ihrer höheren Zuversicht im Hinblick auf
ziert, die genau das Gleiche, jedoch nicht 14 „Students who click on too many hyperlinks may eigenes Wissen nicht das Internet unter-
lose the thread of what they are reading. [...] The stellten, sondern ihren eigenen Kopf.
networking capability of e-readers is another ad- Man kann davon ausgehen, dass diese
vantage that can cut both ways. Although students
13 „While we may assume that interactive e-books can can collaborate more easily, Facebook and other so- Effekte durch den Besitz eines Smartpho-
entertain children all by themselves, such products cial media distractions are just a click away and are nes noch verstärkt werden, weil man mit
require more input from us than books on paper utilized at far higher rates while studying by stu-
do.“ Dennoch schließt auch dieser Artikel mit einer dents using electronic textbooks.“
Liste emphohlener E-Bücher. Die Werbung scheint 15 Aus diesen Zahlen lässt sich eine Seminarstärke
einfach mächtiger als der Verstand – auch in der von etwa 20 Studenten berechnen, was in den USA 16 „How the internet inflates estimates of internal
New York Times! durchaus dem Normalfall entspricht. knowledge.“

Nervenheilkunde 5/2015 © Schattauer 2015

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Editorial 325

diesem ja das gesamte Internet mit sich dafür, gerade im Bildungsbereich auf das 17. Mueller PA, Oppenheimer DM. The pen is might-
ier than the keyboard: Advantages of longhand
gleichsam herumträgt. Und zudem kann Lesen von traditionellen Büchern zu beste- over laptop note taking. Psychological Science
der Effekt bei Menschen größer sein, die hen, resultiert doch daraus das höchste 2014; 25: 1159–1168.
sich schon in jungen Jahren viel im Inter- Ausmaß an Bildung. Oder ganz kurz: Le- 18. Mizrachi D. Undergraduates’ Academic Reading
net suchend bewegen. Man trainiert sich sen bildet, Daddeln nicht. Format Preferences and Behaviors, The Journal of
Academic Librarianship http://dx.doi.org/10.1016/
die damit verbundene Selbstüberschätzung j.acalib.2015.03.009.
gleichsam aktiv und nachhaltig an. Die Au- 19. Mueller PA, Oppenheimer DM. The pen is might-
toren halten ihre Ergebnisse daher für ei- ier than the keyboard: Advantages of longhand
nen Grund zur Besorgnis, da es kaum et- Literatur over laptop note taking. Psychological Science
2014; 25: 1159–1168.
was Gefährlicheres gibt als Unwissen, über 1. Baron NS. Words Onscreen: The Fate of Reading 20. Newman MEJ. Power laws, Pareto distributions
das man nicht Bescheid weiß – wenn es in a Digital World. Oxford: University Press 2015. and Zipf ’s law. arXiv:cond-mat/0412004v3 [cond-
beispielsweise um wichtige Entscheidun- 2. Blume H. Federal grand jury subpoenaed docu- mat.stat-mech] 29 May 2006.
ments from L.A. Unified. LA Times, 3.12.2014 21. Parish-Morris J, Mahajan, N Hirsh-Pasek K, Mich-
gen geht, die aktives eigenes Wissen voraus- http://touch.latimes.com/#section/-1/article/ nick Golinkoff R, Fuller Collins M. Once upon a
setzen. p2p-82155107/. time: Parent–child dialogue and storybook read-
Ähnlich wie das Hörbuch, das vor allem 3. Chiong C et al. Print books vs E-books. Compar- ing in the electronic era. Mind, Brain, and Edu-
von Geschäftsleuten im Auto gehört wird, ing parent-child co-reading on print, basic, and cation 2013; 7: 200–211.
enhanced e-book platforms. Joan Ganz Cooney 22. Paul AM. Students reading E-Books are losing out,
um lange Fahrten besser zu überstehen, hat Center, New York 2012 www.joanganzcooneyc study suggests. The New York Times, 10.4.2014
auch das E-Buch seine Nischen: Sogenann- enter.org http://parenting.blogs.nytimes.com/
te Leseratten, die zur Tiefenentspannung 4. Clough C. District: So far, so good with students 2014/04/10/students-reading-e-books-are-losing-
taking iPads home. LA School Report, 23.1.2015 out-study-suggests/?_r=0;
im Urlaub sich täglich einen „Schinken
http://laschoolreport.com/tag/ipads/ 23. Quenqua D. E-reading may just be screen time.
reinziehen“ müssen, wie meine Kinder sa- 5. Dobuzinskis A. Los Angeles schools slow rollout of The New York Times, 17.10.2014.
gen würden, hatten früher schweres Ge- iPads amid security concerns. Reuters, 12.11.2013 24. Romero D. Photos of broken schools shame Los
päck. Heute erleichtert ihnen ein E-Book- www.reuters.com/article/2013/11/10/us-usa- Angeles Unified School District’s $1 Billion iPad
ipads-schools-idUSBRE9A908320131110. Program. LA Weekly. 10.2.2014 www.laweekly.
Reader die Reise buchstäblich. Dank des 6. Coldewey D. Are E-books better or worse than com/news/photos-of-broken-schools-shame-
kleinen Apparats ist der halbe Koffer leer print for kids? Both. NBC-News, 11.4.2014 www. lausds-1-billion-ipad-program-4424700.
oder es genügt ein kleinerer! nbcnews.com/tech/tech-news/are-e-books-better- 25. Rosenwald MS. Why digital natives prefer reading
Aber überall, wo es Wirkungen gibt, or-worse-print-kids-both-n78291. print. Yes, you read that right. The Washington
7. Deutscher Bundestag. Drucksache 18/4312 vom Post, 22.3.2015 www.washingtonpost.com/local/
gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen! 12.3.2015. why-digital-natives-preferr…ight2015/02/22/8596
Und diese sind bei E-Books durchaus ernst 8. Daniel DB, Willingham DT. Electronic Textbooks: ca86-b871–11e4–9423-f3d0a1ec335c_story.html;
zu nehmen. Oberflächliches Denken soll- Why the rush? Science 2012; 335: 1570–1571. 26. Robb A. 92 Percent of College Students Prefer
ten wir weder uns selbst noch unsren Kin- 9. Fisher M, Goddu MK, Keil FC. Searching for ex- Reading Print Books to E-Readers. The New Re-
planations: How the internet inflates estimates of public 14.1.2015 www.newrepublic.com/ar
dern antrainieren. Unwissenheit ist auch internal knowledge. Journal Experimental Psy- ticle/120765/naomi-barons-words-onscreen-fate-
und gerade im Internetzeitalter gefährlich, chology 2015; http://dx.doi.org/10.1037/xge reading-digital-world.
denn wer nichts weiß, dem nützt auch des 0000070. 27. Rockinson-Szapkiw AJ et al. Electronic versus
Internet nichts: Es unser Vorwissen, dass es 10. General. Advance online publication traditional print textbooks: A comparison study
http://dx.doi.org/10.1037/xge0000070. on the influence of university students’ learning.
uns ermöglicht, beim Suchen die Spreu 11. Gordon WT. Marshall McLuhan: Escape into Computers & Education 2013; 63: 259–266.
vom Weizen zu trennen. „Wir brauchen Understanding: A Biography. New York: Basic 28. Schugar HR, Smith CA, Schugar JT. Teaching with
doch nichts mehr zu wissen, wir können Books 1997. interactive picture E-books in grades K–6. The
doch alles Wissen im Internet finden“ ist 12. Hein B. LA teachers are angry district spent $1 Bil- Reading Teacher 2013; 66: 615–624.
lion on iPads instead of repairs. Cult of Mac, 29. Schugar JT, Schugar HR. Reading in the Post-PC
damit erstens gefährlich und zweitens 19.3.2014 www.cultofmac.com/270727/las-par Era: Students’ Comprehension of Interactive
schlicht falsch! ents-creaming-repairs-ipads-blowing-1-billion. E-Books. Paper presented at the 2014 AERA 2014 ,
Studien, die sich mit der ganz einfachen 13. Hood M, Conlon E, Andrews G. Preschool home Philadelphia, Pennsylvania.
literacy practices and children’s literacy develop- 30. Varian H. Newspaper economics: online and off-
Frage beschäftigen, wie vor allem jungen ment: A longitudinal analysis. Journal of Edu- line 2010. http://googlepublicpolicy.blog-
Menschen lesen, stimmen optimistisch: Sie cational Psychology 2008; 100: 252–271. spot.ca/2010/03/newspaper-economics-online-
scheinen ganz von allein zu wissen, wie 14. Kids & Family Reading Report 2015 Key Findings. and-offline.html.
man sich Wissen am besten aneignet! Las- www.scholastic.com/readingreport/key-findings. 31. Mangen A, Walgermo BR, Brønnick K. Reading
htm. linear texts on paper versus computer screen: Ef-
sen wir sie getrost Bücher lesen, gedruckt 15. Konnikowa M. Being a better online reader. The fects on reading comprehension. International
und auf Papier. Es ist das Beste, was sie tun New Yorker, 16. Juli 2014 www.newyorker.com/ Journal of Educational Research 2013; 58: 61–68.
können, um sich zu bilden. Bedenkt man science/maria-konnikova/being-a-better-online- 32. Chen G et al. A comparison of reading compre-
zudem, dass das Suchen Internet ein unge- reader. hension across paper, computer screens, and tab-
16. Korbey H. Can Students ‘Go Deep’ With Digital lets: does tablet familiarity matter? Journal of
rechtfertigtes Vertrauen in die eigene Reading? ww2.kques.org. http://ww2.kqed.org/ Computer Education 2014; 1: 213–225.
Kenntnis bewirkt, das den Tatsachen nicht mindshift/2014/09/09/can-students-go-deep-
entspricht, ergibt sich ein weiterer Grund with-digital-reading.

© Schattauer 2015 Nervenheilkunde 5/2015

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