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"
Eine historische Untersuchung.

Tübinger theologische Schule hat mit Recht


darauf hingewiesen, daß in den Evangelien zwei Tendenzen
deutlich hervortreten : die Darstellungen der Judenchristen suchen
Christus und die christliche Religion mit der jüdischen Tra¬
dition und der zeitgenössischen jüdischen Bevölkerung möglichst
in Einklang zu bringen, die Darstellungen der Heidenchristen
suchen zwischen Christus und seiner Umgebung einen möglichst
schroffen Gegensatz zu erweisen.
Auf die Dauer hatten die Römer, die Heidenchristen,
das Heft in die Hände bekommen, daher den Stempel ihrer
Darstellung den Evangelien aufgedrückt. Sie sind hierbei
aber nicht litterarisch-kritisch vorgegangen, so daß von der
ursprünglich judenfreundlichen Darstellung noch mancher Rest
sich erhalten hat, genug, um sich hier und da mit einiger
Sicherheit feststellen zu können.
Der Gegensatz von heidenchristlicherund judenchristlicher
Darstellung muß mit besonderer Deutlichkeit in der Erzählung
der Verurteilung und des Todes Christi hervortreten. Seine
Lehrthätigkeit, seine Ansprachen an das Volk oder seine
Jünger konnten beide Teile gelten lassen, sie waren der
gemeinsame Boden , auf " dem sich beide Teile fanden. Da¬
gegen suchten die Judenchristen für die Verurteilung Christi
den Römern die Schuld auszubürden, während die Römer
die Juden hierfür verantwortlich zu machen strebten.
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Es handelt sich hier nicht um eine bloße Doktorfrage.


Noch jetzt ist es ein beliebtes Agitationsmittel, darauf hin-
zuweisen, daß die „Juden Christus gekreuzigt" oder noch
besser, daß die Juden ja selbst von Christus gesagt: „Sein
Blut komme über uns " . Daß ihnen sonach nicht anders
geschehe , als was sie selbst in ihrem Übermut gewollt, falls sie
Verfolgungen ausgesetzt seien. — So ungefähr hat es 1899
der Bischof Brynych von Königgrätz gesagt*) und Benedictus
Levita deckt seine Blöße mit der Phrase:
„Furchtbar erfüllt sich an uns der frevelhafte Ruf
unserer Vorfahren : Sein Blut komme über uns und unsere
Kinder."
An sich ist dieser Gedankengaug ja kindisch; er ist hübsch
in dem anmutigen Gedicht von Victor Blüthgen damit
lächerlich gemacht, daß Silbersteins nicht dabei waren . Der
Gedankengang ist auch in hohem Maße unreligiös . Aber
da diese alte Phrase dank der scholastischen , fast nur
sprachlichen Ausbildung , die wir genießen, augenscheinlich auch
in gebildeteren Kreisen wenigstens soviel Wert hat, daß man
sich nicht schämt, sie zu gebrauchen, lohnt es der Mühe, sie
etwas eingehender zu prüfen.
Die Stelle in den Evangelien, um die es sich handelt,
befindet sich Evang . Matth . 27, 24, 25 und lautet:
24 . „Da aber Pilatus sah, daß er nichts schaffte, son¬
dern daß ein viel größer Getümmel war, nahm er Wasser
und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin
unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet Ihr zu!"
25 . „Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein
Blut komme über uns und unsere Kinder."
Zu der Stelle ist Folgendes zu bemerken:
Sie kommt nur im Matthäus -Evangelium vor, sonst in
keinem der anderen Evangelien. Dies ist um so bedeutungs¬
voller, als gerade im Matthäus -Evangelium deutlich zu sehen
ist, wie eine ursprünglich judenfreundliche Redaktion eine anti¬
jüdische Überarbeitung gefunden hat. Das Matthäus -Evan¬
gelium sucht die Abstammung Jesu Christi von David zu
erweisen, es beginnt mit dem Stammbaum Christi. Es steht

*) Vergleiche Obnova Nr. 21 vom 2. Nov. 1899.


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daher zunächst völlig auf dem Boden der jüdischen Auffassung;


was darin gegen die Juden gehässig ist, dürfte als spätere
Überarbeitung oder Interpolation anzusehen sein. Dies gilt
insbesondere von der hier in Frage stehenden Stelle . Wie
wäre es sonst möglich, daß diejenige Stelle der Evangelien,
welche mehr als alle anderen geeignet wäre, Haß gegen die
Juden zu erregen, sich gerade nur in demjenigen Evangelium
findet, das ursprünglich besonders den Zusammenhang mit
der jüdischen Tradition , die Abstammung Christi vom davi-
dischen Stamm betont? — In der That scheint die Stelle
ursprünglich genau den entgegengesetzten Sinn zu haben.
„Sein Blut komme über uns " soll heißen: „Sein
Blut komme über uns , wenn wir am Tode dieses Mannes
schuldig sind." Die Stelle war ursprünglich ein Protest . Es
ergiebt sich dies aus folgenden Thatsachen.
In der Bibel (dem alten Testament) findet sich der Satz:
„Sein Blut komme über uns " nur an einer Stelle , wie aus
der Lonaorckanr: leicht festzustellen ist. Es handelt sich
um die Stelle Josua II, 13—20. Die jüdischen Späher
sind von der Buhlerin Rachab vor den Soldaten des Königs
von Jericho verborgen worden. Zum Dank soll sie und ihr
Haus bei der Eroberung der Stadt verschont werden. Die
Späher sagen ihr (Josuah II, 19)
„und jeder, der bei dir im Hause sein wird , deß
Blut ist auf unserem Haupte, wenn eine Hand an ihn
gelegt wird ."
Sein Blut ist auf unserem Haupte bedeutet also hier
nicht, daß der Tod gewünscht wird, sondern daß er verhindert
werden soll; der Satz ist kein Ausdruck der Feindschaft son¬
dern im Gegenteil die Erklärung einer gewissen Blutsbrüder¬
schaft. — Da dies, wie bemerkt, die einzige Stelle der Bibel
ist, an der dieser Satz vorkommt, ist er für die Auslegung
der Matthäusstelle von entscheidender Wichtigkeit. Wenn es
sich nicht um eine religiöse Frage handeln würde, bei welcher
das wissenschaftliche Verständnis durch das Gefühl gestört
wird, wäre dieser Beweis schon als entscheidend angesehen
worden. Es kommt aber hinzu, daß gerade im Matthäus-
Evangelium in demselben Kap. 27, in welchem sich Vers 25
die Stelle findet: Sein Blut komme über uns und unsere
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Kinder, Vers 5 Die Hohenpriester und Ältesten der Juden


dagegen protestieren, etwas mit dein Verfahren gegen Jesus
Christus zu thun zu haben. Als nämlich, von Gewissens¬
bissen geplagt, Judas zu den Hohenpriestern und Ältesten
spricht: 4) „Ich habe übel gethan, daß ich unschuldig
Blut verraten habe", antworteten diese: „Was gehet uns
das an ? da siehe du zu." Hierbei sei besonders daraus
hingewiesen, daß die Ältesten und Hohenpriester Judas
wörtlich ebenso zurufen: „Da sehe Du zu" wie Pilatus dem
jüdischen Volk.
Uber den Anteil der Juden an der Kreuzigung Christi*)
sind die Evangelien durchaus nicht klar.
Schon dem Verfasser des Johannes -Evangeliums sind
Bedenken gekommen, weil Christus nach der Verkündigung
am Kreuz sterben sollte, andrerseits die Kreuzigung keine
jüdische Hinrichtungsart ist. Es heißt nämlich Joh . 18,31 , 32:
31 . „Da sprach Pilatus zu ihnen: „So nehmet ihr ihn
hin und richtet ihn nach eurem Gesetz." Da sprachen die
Juden zu ihm : „Wir dürfen niemand töten."
32 . „Auf daß erfüllet würde das Wort Jesu , welches
er sagte, da er deutete, welches Todes er sterben würde."
Auch aus Joh . 19. 10 geht deutlich hervor, daß die
Römer die eigentlichen Gerichtsherrn waren. Als Christus
beim Verhör keine Antwort giebt, „da sprach Pilatus zu
„ihm : Redest du nicht mit mir ? Weißt du nicht, daß ich
„Macht habe, dich zu kreuzigen und Macht habe, dich los-
„zugeben?"
Zu demselben Ergebnis führt die Episode von der
Begnadigung des Barrabas . In allen vier Evangelien wird
erzählt, daß Pilatus die Gewohnheit hat, den Juden zum
Festtag (Ostern) einen Gefangenen freizugeben, daß er ihnen
*) Es sei bei dieser Gelegenheit auf folgende Schriften aufmerk¬
sam gemacht:
a) Haben wirklich die Juden Jesum gekreuzigt? Von Dr . Ludwig
Philippson , Leipzig. M . W. Kaufmann.
b) Den Artikel Jesus Christus in Hamburgers Realencyclopädie
(Strelitz , im Selbstverlag des Verfassers).
c) Cliisuk Emunah . des karäischen Rabbiners Rabbi Jizohak
Troki , überseht von David Deutsch, Lohrau 1873 . — Eine Über¬
setzung befindet sich auch in Wagenseil 's : Tela ignea Satanae.
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nahe legt, die Freigabe Jesu Christi zu verlangen, daß diese


aber die Freilassung des Barrabas *) fordern. Von diesem
Barybas heißt es
Matthäus 27 . 16 . . . . „einen sonderlich vor anderen,
der hieß Barabas ."
Markus 15. 7. . . „Barrabas , gefangen mit den Auf¬
rührerischen, die einen Mord begangen hatten."
Lukas 23 . 19 . „Welcher war um eines Aufruhrs , so
in der Stadt geschehen war , und um eines Mords willen
ins Gefängnis geworfen."
Johannes 18 . 40 . „Barrabas aber war ein Mörder ."
Deutlich ist die Steigerung in dem Bestreben, Barrabas
unsympathisch gewissermaßen als Folie gegen Christus er¬
scheinen zu lassen; es scheint sich jedenfalls um eine Persönlich¬
keit zu handeln, welche bei einem Aufruhr gegen die Römer
gefangen ist. Psychologisch ist es durchaus natürlich, daß
Pilatus lieber die Begnadigung Christi wünscht, welcher
eventuell nur mit Worten sich gegen das Imperium Romanum
gewendet hat, als die des Barrabas , der im Kampfe gegen
die Römer gefangen ist. Wie umgekehrt das Volk gerade
deshalb für Barrabas Sympathie haben mußte. — Aus
dem einmaligen Begnadigungsrecht der Juden geht aber her¬
vor, daß sie mit der Verurteilung Christi nichts zu thun
hatten. Das Begnadigungsrecht ruht mit begriff¬
licher Notwendigkeit in anderer Hand als die
Gerichtsherrschaft. Die Episode von Barrabas ist durch¬
aus logisch, wenn Pilatus , wie er Joh . 19 . 10 bemerkt,
Macht hat, zu kreuzigen und freizugeben. Sie ist unver¬
ständlich, wenn diese Macht bei den Juden liegt. Anderen¬
falls hätten diese nicht zu wählen nötig, sondern es läge in
*) In „Hermes , Zeitschrift für klassische Philologie " Bd . 33,
1898 , S - 175 hat Professor Wendland einen Artikel: „Jesus als
Saturnalienkönig " veröffentlicht. Er weist daraufhin, datz während
einer Judenverfolgung in Alexandria 38 n . Ehr. ein gewisser Kärabas
als König der Juden verspottet wurde. Der betreffende Bericht Philos
von Alexandrien enthalte viele der Einzelheiten , welche die Evangelien
über die Verspottung Christi als König der Juden mitteilen . Soweit
Wendland . Da zudem Bärabbas „Sohn des Vaters " heißt, liegt die
Vermutung nahe, daß Christus und Bärabbas ursprünglich identisch
waren.
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ihrer Hand , sowohl Barrabas wie Christus frei zu lassen,


beziehentlich frei zu sprechen.
Andererseits lag es in der Hand des Pilatus außer
Barrabas auch Christus frei zu lassen; daß er dies nicht
gethan, sucht die romanisierende Überarbeitung der Evangelien
durch Pilatus vermeintliche Furcht vor den Juden zu ent¬
schuldigen.
Wie in der citierten Schrift Philippson 's nachgewiesen,
widerspricht diese Darstellung dem energischen Charakter
des historischen Pilatus . Aber nehmen wir selbst an, Pilatus
habe aus Furcht so gehandelt, so läßt sich damit die Notiz
über Pilatus an der hier in Frage stehenden Stelle nicht
in Einklang bringen.
Wie oben angegeben, giebt das Volk die Antwort
„Sein Blut komme über uns " nach folgender Handlung des
Pilatus
„ . . . nahm er Wasser, und wusch die Hände vor
„dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut
„dieses Gerechten; sehet Ihr zu."
Die Händewaschung findet ihre Erklärung durch
V . Moses 21 . 6. Wird ein Ermordeter gesunden, so sollen
die Ältesten des nächstgelegenen Orts die Hände in dem
Blut einer Ziege waschen und erklären, wir sind unschuldig
an dem Tode dieses Mannes . Die Bedeutung dieses Aktes
ist klar, es soll verhindert werden, daß durch den zufälligen
Fund einer Leiche die Blutrache gegen die Bewohner der
betreffenden Ortschaft entfesselt wird. — Abgesehen davon,
daß man von Pilatus doch nicht die Vollziehung eines
hebräischen Ritualakts erwarten dürfte, ist in seiner Person der
Akt auch widersinnig. Wer ein Urteil fällt oder bestätigt,
kann nicht sagen, daß ihn die Sache nichts angeht. Wer
aus Furcht ein Urteil gegen Jemand bestätigt, ^ von dessen
Unschuld er überzeugt ist, der kann nicht sagen, daß er an
dem Tode dieses Gerechten unschuldig ist. Dagegen wäre
der Akt ganz sachgemäß von Seiten der jüdischen Ältesten,
im Sinne einer Darstellung , welche betonen will, daß die
Juden mit der Sache nichts zu thun hatten. Der Gedanken¬
gang, daß Jesus Christus zwar im Gebiet von Palästina
hingerichtet, dies aber lediglich Sache der Römer sei, aus-
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gedrückt in der symbolischen Ceremonie von V. Moses 21 . 6


wäre logisch und von einer gewissen dichterischen Kraft. Die
Ceremonie wäre dagegen, wie bemerkt, sinnlos und unwahr
von Seiten des Pilatus . Was mir nun an der Stelle
geändert erscheint, ist Folgendes:
Ursprünglich waren Matth . 27 . 24 und 25 zusammen¬
hängend. Es war darin etwa zu lesen: „Die Aeltesten
„wuschen die Hände vor dem Volk und sagten: Wir sind
„unschuldig an dem Tod dieses Gerechten. Sein Blut komme
„über uns und unsere Kinder."
Der spätere Bearbeiter , welcher die Schuld auf die
Juden wälzen wollte, oder vielleicht ein Bearbeiter, der einen
Irrtum im Text annahm, trennte den Text, ließ die Hände¬
waschung von Pilatus vornehmen und dann die Juden er¬
klären: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder."
Dadurch haben, wie bemerkt, diese Worte einen entgegen¬
gesetzten Sinn erhalten, den sie nicht haben können.
Es wird andererseits von Pilatus die Vornahme
einer jüdischen Ceremonie erzählt, die er als Römer, als
Gerichtsherr schlechterdings nicht vorgenommen haben kann,
während sie als von den Juden erzählt natürlich wäre.
Zum Schluß sei bemerkt, daß die Stelle Matth . 27 . 25
in der üblichen Auffassung psychologisch nicht denkbar ist.
Hierauf hat schon David Friedrich Strauß in seinem „Leben
Jesu " hingewiesen, wie von Philippson (S . 28/29 ) hervor¬
gehoben ist. Er sagt:
„Es ist nach ihm (Strauß ) undenkbar, daß Pilatus immer
wieder Versuche, Jesum zu retten, macht und dann mittelst
der improvisierten Scene der Händewaschung die Unschuld
Jesu feierlich bezeugt, und noch undenkbarer, daß das ver¬
sammelte Volk die Schuld sich und seinen Kindern aufladet.
Das Letztere sei offenbar erfunden, um den furchtbaren
Ausgang des jüdischen Staates als die an den Kindern voll¬
zogene Strafe für das von den Vätern vergossene Blut Jesu
hinzustellen."
Ob nun die Auffassung richtig ist, daß dieser Satz später
erfunden ist, oder die hier dargelegte, daß er aus einem Aus¬
spruch entstellt ist, der ursprünglich das Gegenteil bedeutete,
psychologisch enthält die Stelle in ihrer jetzigen Fassung eine
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Unmöglichkeit. Der von Strauß geführte psychologische


Beweis - erhält durch die obenstehenden Ausführungen eine
Ergänzung in Bezug auf die Kritik des Textes. Würde es
sich nicht, wie hier, um ein Gebiet handeln, bei welchem Vor¬
urteile in so hohem Maße mitsprechcn, so würde es so aus¬
führlicher Erörterung kaum bedurft haben.
Schon die erwähnte, Ende des 16. Jahrhunderts er¬
schienene Schrift LbiZub Emunah zeigt in Capitel 47 . die
logisch ungünstige Lage der Christen, die aus dem Opfertod
Christi den Juden einen Vorwurf machen wollen. Hierzu
bemerkt die Schrift:
„Einwurf gegen die Christen. Es läßt sich an sie
„die Frage stellen: Ihr behauptet, die Juden haben an
„Jesum, dem Nazaräer , Strafgerichte geübt, nämlich
„allerlei Martern und Kreuzigung; wie? Haben sie
„Alles, was sie an ihm verübt haben, mit seinem Willen
„gethan oder wider seinen Willen ? Wird nun der
„Christ antworten : sie haben ihm dies mit seinem Willen
„gethan; so erwidern wir : wer nach dem Willen Gottes
„thut, gewiß der findet Gunst in dessen Augen . . .
„Wird aber der Christ antworten : sie haben, was
„sie an ihm verübt, ihm wider seinen Willen mit Gewalt
„gethan ; dann -erwidern wir : ist dies der Fall , wie
„kannst du ihn Gott nennen, da er Qualen wider
„seinen Willen erdulden muß rc."
Ist der Opfertod Christi von Gott gewollt, so ist es
gewiß nicht billig, daß die Juden , welche als blinde Werk¬
zeuge der Vorsehung den Tod herbeiführen, dafür von Gott
bestraft werden sollen. Und nicht blos sie, sondern ihre
Nachkommen nach 2000 Jahren ! Und das soll gewisser¬
maßen ein Kennzeichen dafür sein, daß nach diesem Opfertod
der „Gott der Rache" sich in einen „Gott der Liebe" ver¬
wandelt habe.
Überhaupt ist es schon blasphemisch, eine solche
Gegenüberstellung vorzunehmen, sich einen Gott vorzustellen,
der im Laufe einiger Jahrhunderte zwei diametral entgegen¬
gesetzte Sittenlehren gegeben hätte. Und die Sache läßt
sich nicht dadurch einleuchtender machen, daß man an-
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nimmt, auch der Gott des alten Testamentes sei ein Gott
der Liebe, die Juden hätten ihn nur falsch verstanden. Denn
wir befänden uns dem Phänomen eines allmächtigen Gottes
gegenüber, der nicht einmal von denen verstanden worden
wäre, an die er sich mit seiner Offenbarung in erster Linie
bewußt gewendet hatte. Unsere einzige Quelle ist das
alte Testament. Ist der Gott des alten Testaments ein
Gott der Liebe, so können ihn die Juden nicht .falsch ver¬
standen haben; im „Buch der Bücher" zeigt sich ja ihre
Auffassung von der Gottheit. Ist der Gott des alten Testa¬
ments ein Gott der Rache, der des neuen ein Gott der
Liebe, so ist dann thatsächlich nicht darum herumzukommen,
daß der liebe Gott nach dieser in christlichen KrZisen leider
noch immer verbreiteten, aber, wie man sieht, unhaltbaren
Auffassung seine Dispositionen geändert und zwei verschiedene
Sittenlehren geoffenbart haben soll.

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