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Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme

Ausgangspunkt für Roland Barthes Überlegungen bildet die Frage, durch welche
sprachlichen Mittel die Musik interpretiert werden soll oder kann. Barthes kommt dabei zu
dem Schluss, dass das musikalische Werk immer nur anhand der seiner Meinung nach
ärmsten sprachlichen Kategorie übersetzt wird: dem Adjektiv. Mit Hilfe des Adjektivs als
Epitheton (also dem „Hinzugefügten“) schafft der Mensch die Prädikation und kann so sich
selbst oder andere mit Adjektiven beschreiben und (Wert)urteile konstituieren. Roland
Barthes sieht darin ein Dilemma, da ohne Prädikation Musik unsagbar wird. Um dies zu
verändern, will er nicht die Sprache über Musik verändern, sondern die Musik (als
musikalisches Objekt) selbst in ihrer Wahrnehmungs- und Erkenntnisebene.

Er postuliert deshalb das Konzept der »Rauheit«, die sich aus der Reibung aus Sprache und
Musik ergibt und seiner Meinung nach den anerkannten Werten der Vokalmusik nicht
entspricht. Am Beispiel eines russischen Basses erläutert Barthes, das diese »Rauheit«
letztlich die Materialität des Körpers ist, der in seiner Muttersprache „spricht“ und so
Signifikanz zwischen dem Gesang und der Sprache erzeugt. Er entwickelt ausgehend von
einem sprachwissenschaftlichen Konzept von Julia Kristeva die These, dass Gesang auf zwei
unterschiedlichen Erscheinungsebenen vorliegt: der Ebene des Phänogesanges und der
Ebene des Genogesanges. Der Phänogesang umfasst alle Phänomene / Strukturmerkmale
einer gesungenen Sprache (Genre, Technik, Kommunikation, Darstellung, Ausdruck). Der
Genogesang ist dagegen das Volumen der singenden / sprechenden Stimme, der Raum in
dem Bedeutungen keimen, die Diktion der Sprache. Genogesang hat nichts mit
Kommunikation zu tun, es ist der Art, wie die Melodie die Sprache bearbeitet, die „Wollust
ihrer Laut-Signifikanten“ (Buchstaben). Das durch Genogesang hervorgebrachte ist letztlich
Schrift.

Am Beispiel von Dietrich Fischer-Dieskau und Charles Panzera beurteilt er deren Gesänge
als besonders intensiven Phänogesang (Fischer-Dieskau) bzw. Genogesang (Panzera) und
begründet seine Beurteilung letztlich auch in der historischen Entwicklung derer
Nationalmusiken. So sei der historische Sinn des (deutschen?) Liedes auf Seiten der Musik
zu suchen wohingegen die historische Bedeutung der französischen Melodie in einer
gewissen Kultur der Sprache läge. S. E. gibt es einen fortschreitenden Aufstieg von der
Sprache zum Gedicht, zur Melodie und schließlich ihrer Ausführung. Die französische
Melodie unterliegt deshalb nicht der Musikgeschichte sondern eher einer Theorie des
Textes.

Was ist nun also die »Rauheit« der Stimme? Für Barthes ist die »Rauheit« der Körper
(besser: die Leiblichkeit) in der singenden Stimme, in der schreibenden Hand, im
ausführenden Körperteil. Die »Rauheit« in der Stimme legt eine Signifikanz frei. Signifikanz
bezeichnet er als Reibung zwischen Musik und Sprache, wohingegen das Signifikat die
Bedeutungsebene oder den Sinn des Gedichtes darstellt. Barthes postuliert, dass der
Genogesang diese Signifikanz erzeugen kann, während beim Phänogesang die Signifikanz
„unter dem Signifikat der Seele“ zu ersticken droht. Selbst außerhalb der Stimme, in der
Instrumentalmusik, bleibt die »Rauheit« erhalten oder fehlt. Barthes kritisiert schließlich,
dass die Musikpädagogik keineswegs die »Rauheit« der Stimme lehrt, sondern die
Modalitäten der emotionalen Hervorbringung: den Mythos (oder die Kunst?) des Atems.

Benedikt Brodbeck, Toni Sehler und Jakob Treptow

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