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Wilhelm Christe
»Unsterblichkeit der Seele«
Versuch einer evangelisch-theologischen
Rehabilitierung1
Zusammenfassung: Seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde
die Vorstellung einer unsterblichen Seele in der deutschsprachigen evangeli-
schen Theologie fast einhellig abgelehnt. Durch eine unsterbliche Seelensub-
stanz – so der Verdacht – schreibe der Mensch sich Erlösung und ewiges Leben
von sich aus zu und sei dafür nicht mehr auf den rechtfertigenden Gott ange-
wiesen. Zudem werde dadurch der Tod verharmlost und der Gerichtsgedanke
nicht ernst genommen. Der Aufsatz zeigt, dass mit dieser Einschätzung die phi-
losophisch-theologische Problemgeschichte der Idee von der unsterblichen See-
le nicht vollständig erfasst ist, da es in ihr auch eine relational-theonome, von
der Beziehung auf die Wahrheit, das Gute und Gott abgeleitete Begründung da-
für gibt, die im Christentum durch den Schöpfungsgedanken vertieft wurde.
Der Essay versucht von da aus, die Anschauung von einer unsterblichen Seele
schöpfungstheologisch zu rehabilitieren: Sie ist Ausdruck dafür, dass Gott den
Menschen unwiderruflich vor sich gestellt hat und in Ewigkeit mit ihm spre-
chen will und dies auch der geschöpflichen Struktur des Menschen eingeprägt
hat. Ein solches Verständnis von Seelenunsterblichkeit ist keine Alternative
oder Konkurrenz zu Auferstehung und ewigem Leben, sondern stellt deren on-
tologische Voraussetzung dar. Abschließend wird gezeigt, dass ein solcher An-
satz durchaus biblisch „anschlussfähig“ ist.
Summary: Since the 1920’s, the idea of an immortal soul has been nearly unani-
mously rejected in German Protestant theology. Through the notion of an im-
mortal “substantial” soul, so the suspicion goes, one would ascribe salvation
and eternal life to one´s self and therefore no longer be dependent upon the
God who justifies. Moreover, death becomes treated all-too-lightly and the idea
of judgment does not receive serious attention. This essay endeavours to show
that these objections do not completely comprehend the philosophical-theologi-
cal concept of the immortal soul. For there is also a relational and theonomic
foundation underlying this idea with reference to truth, the good and God. In
Christianity, this understanding has been deepened by the concept of creation.
1 Um Anmerkungen erweiterter Habilitationsvortrag am 28.02.2012 vor der Evangelisch-theolo-
gischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Starting here, this essay attempts to rehabilitate the idea of an immortal soul,
which may be better understood as an expression of God’s irrevocable act of
setting human beings before him and desiring to speaking with them eternally,
which is imprinted upon the very nature of their being. Such an understanding
of the immortality of the soul does not present an alternative or a competing
view to the concept of resurrection and eternal life, but rather depicts their on-
tological presupposition. Finally, it will be shown that such an approach is in-
deed compatible with the Bible.
I Die Exilierung der Vorstellung
von einer unsterblichen Seele
aus der evangelischen Theologie
Wollte man die traditionelle kirchliche Eschatologie mit wenigen Strichen um-
reißen, so könnte man sie mit Paul Althaus2 wie folgt zusammenfassen: Im Tod
trennt sich die Seele des Menschen von seinem Leib und lebt nun leibfrei an
einem vorläufigen Ort der Seligkeit oder der Verlorenheit oder eines Mittelzu-
standes, wo sie schon Erquickung oder Qual oder Läuterung erfährt, je nach
Glauben oder Unglauben, Tun oder Lassen im irdischen Leben. Erst am Jüng-
sten Tag, bei der Auferstehung der Toten, erhält sie ihren verwandelten Leib
zurück, und damit wird – nach universalem Gericht – ihre Seligkeit oder Unse-
ligkeit allererst voll. Dieser – von der Fegfeuerlehre einmal abgesehen – über-
konfessionelle Konsens wurde in der deutschsprachigen evangelischen Theolo-
gie etwa zeitgleich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 mit Vehemenz
aufgekündigt – und zwar vor allem durch die Kritik an der Vorstellung von
einer unsterblichen Seele, die man nicht länger für theologisch vertretbar hielt.
Das hatte zur Folge, dass das ganze herkömmliche eschatologische Modell ins
Wanken geriet. Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass diese Ablehnung
der Idee einer den Tod überdauernden menschlichen Seele seitdem zur commu-
2 Art. »Auferstehung VI.«, in: RGG3 1, Tübingen 1957, 697.
3 So Wolfgang TRILLHAAS, Einige Bemerkungen zur Idee der Unsterblichkeit, in: NZSTh 7 (1965),
143–160, hier 146.
4 Frankfurt a.M. 2009. Siehe auch schon Kirsten HUXEL, Unsterblichkeit der Seele versus Ganz-
todthese?, in: NZSTh 48 (2006), 341–366, bes. 363ff.
5 Vgl. dazu HUXEL (s.o. Anm. 4), 344–347.
6 So Carl STANGE, Die Unsterblichkeit der Seele, Gütersloh 1925, 130.
einer sich durchhaltenden Seele der Moment des Todes gedeutet, wie das Pro-
blem des »Zwischenzustandes« nach dem individuellen Tod bis zur universalen
Auferstehung gelöst? Etwas zugespitzt, aber sachlich nicht unzutreffend, kann
man behaupten, dass anstelle der immortalitas animae in der evangelischen
Theologie die These vom »Ganztod« getreten ist, d.h. die Auffassung, dass der
Mensch mit Leib und Seele und in diesem Sinne ganz stirbt und neues Leben
allein von Gott her im Sinne einer creatio ex nihilo bei der Auferweckung eben
der Toten empfängt. So formuliert etwa Karl Barth, dass wir »einmal nur noch
gewesen sein« werden, wie wir einmal noch nicht waren, aber der Bund mit
Gott, unsere Gottesbeziehung bleibt, aus der heraus uns Gott neues Leben schen-
ken wird.7 Der Mensch selbst indessen stirbt in der »Einheit und Ganzheit« von
Leib und Seele.8 Ähnlich spricht auch Paul Althaus von der »Unsterblichkeit«,
der »Un-endlichkeit« des dem Menschen nach dem Tod neue Lebendigkeit
schenkenden Gottesverhältnisses (= Auferweckung) als der Voraussetzung für
Gericht und Heil, lässt dieses dann aber allein theologisch, von Gott her, und
nicht ontologisch auf Seiten des Menschen begründet sein. Es bleibt kein
menschlicher Beziehungsträger.9 Auch Eberhard Jüngel lehnt in der Nachfolge
Barths eine Unsterblichkeit der Seele ab und spricht vom (faktischen) Tod als
dem Ende aller Beziehungen (auch der Gottesbeziehung!) und dem »Eintritt von
totaler Verhältnislosigkeit«.10 Da Leben für Jüngel das Stehen in Verhältnissen
und Beziehungen meint, heißt das nichts anderes, als dass wir dann ganz ge-
storben sind.
Wenn nun der Mensch im Tod ganz und gar vom Nichts erfasst wird und
allein durch Gottes totenerweckende Macht neues Dasein erhält, so stellt sich
das Problem des Zwischenzustandes, das bisher mittels der unsterblichen Seele
gelöst wurde, von neuem. Drei Lösungsmodelle werden hier anvisiert: Einmal
die These,11 dass die Eschata je im Tod des Einzelnen anzusetzen sind, weil der
Mensch aus der Zeit in die Zeitlosigkeit Gottes hineinstirbt und somit im Tod
sofort auch den Jüngsten Tag und die Totenauferstehung erreicht, obgleich auf
der irdischen Zeitlinie die Geschichte noch weitergeht. Zweitens wird der Zwi-
schenzustand (nicht ganz konsequent dann allerdings, da ja eigentlich kein
7 Vgl. Karl BARTH, KD III/2, 770f.
8 Vgl. Norbert M. LUYTEN/Adolf PORTMANN/Karl JASPERS/Karl BARTH, Unsterblichkeit, Basel 1957,
48.
9 Vgl. Paul ALTHAUS, Die letzten Dinge, Gütersloh 91964, 109–115, 119ff; Zitate: 110, 112f.
10 Eberhard JÜNGEL, Tod, Gütersloh 21982, 145. Vgl. ebd., 152.
11 Vgl. ALTHAUS (s.o. Anm. 9), 158f; DERS., Die christliche Wahrheit, Gütersloh 61962, 687f; Emil
BRUNNER, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, Zürich 1953, 167–170; Heinrich OTT, Eschatolo-
gie, Zollikon 1958, 56f.
menschliches Subjekt mehr vorhanden ist) als eine Art Schlaf des »inneren«,
d.h. gläubigen Menschen (oder des Menschen überhaupt) mit verändertem, ver-
kürztem Zeitbewusstsein ausgelegt beziehungsweise einfach als Persongemein-
schaft mit Christus verstanden.12 Und schließlich wird der Gedanke vertreten,
dass die Toten bis zur Auferstehung gleichsam im ewigen Gedächtnis Gottes ge-
borgen und aufgehoben sind, Gott also allein bis dahin der Sinnträger des ge-
storbenen Menschen ist.13
Die folgenden Überlegungen möchten nun erklärtermaßen zu einer Rehabili-
tierung dessen beitragen, was man traditionell »Unsterblichkeit der Seele« ge-
nannt hat – und zwar im Raum einer evangelischen Theologie, da es in der ka-
tholischen Theologie, wenngleich diese von den diesbezüglichen Entwicklungen
auf evangelischer Seite nicht unberührt geblieben ist, doch nie zu einer ver-
gleichbaren Verabschiedung dieser Vorstellung im Ganzen gekommen ist und
das römische Lehramt bis heute klar an ihr festhält. Dabei ist die versuchte Re-
habilitierung von der Überzeugung getragen, dass die theologische Kritik an der
immortalitas animae in dieser Allgemeinheit und Radikalität nicht zwingend und
überzeugend ist – und dies gerade von den Prinzipien einer sich evangelisch
und reformatorisch verstehenden Theologie her! Ich werde in drei Schritten vor-
gehen: Zunächst sollen in einem selektiven und interessengeleiteten Durchgang
durch die Problemgeschichte jene Aspekte herausgestellt werden, die der pau-
schalen Ablehnung und Negation der Unsterblichkeit der Seele durch die evan-
gelische Theologie widersprechen oder sie zumindest in Frage stellen können.
Dieser Durchgang durch die Problemgeschichte wird dabei auch erkennen las-
12 Vgl. Oscar CULLMANN, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?, Stuttgart
1962, 30f, 35, 53–62; Helmut THIELICKE, Leben mit dem Tod, Tübingen 1980, 292ff; ALTHAUS, Die
christliche Wahrheit (s.o. Anm. 11), 685ff. – Konrad STOCK, Einleitung in die systematische
Theologie, Berlin/New York 2011, 271f, deutet das postmortale Bewahrtwerden der Identität
der sich selbst präsenten Person »in der Kraft des göttlichen Gedenkens« bzw. »im Kontinuum
der Treue Gottes« als Schlaf oder »Ruhen bis zum Jüngsten Tag«, was zeigt, dass der moderne
Rekurs auf den Topos des Seelenschlafs – anders als bei Luther – eine »mildere Form« der
Ganztodthese darstellt.
13 Vgl. Werner ELERT, Der christliche Glaube, Erlangen 61988, 513, 525, 527f; Wolfhart PANNEN-
BERG, Systematische Theologie Bd. 3, Göttingen 1993, 652f. Bei Elert (sowie bei Barth und Jün-
gel [s.o. Anm. 10, 153]) liegt freilich die Tendenz vor, das »unauslöschliche Gedenken« Gottes
(vgl. BARTH, KD III/4, 681), welches bei Pannenberg den Zwischenzustand ausmacht, mit der
Auferstehung der Toten selbst zu identifizieren, so dass auch diese Theologen dann als Vertre-
ter einer Auferstehung im Tod zu gelten hätten. Ebenso Paul TILLICH, Systematische Theologie
Bd. 3, Frankfurt a.M. 41984, 452. – Jüngst wird die Ganztodthese sowie das »anamnetische«
Fortleben in Gott bis zur Auferstehung wieder von Friedrich HERMANNI, Metaphysik. Versuche
über letzte Fragen, Tübingen 2011, 167–190, vertreten.
14 So Georg SCHERER, Das Leib-Seele-Problem in seiner Relevanz für die individuelle Eschatolo-
gie, in: Ferdinand DEXINGER (Hg.), Tod – Hoffnung – Jenseits, Wien 1983, 61–88, hier 74.
15 KpV 220.
16 Johann Gottlieb FICHTE, Die Bestimmung des Menschen, in: Immanuel Hermann Fichte (Hg.),
Fichtes Werke, Bd. 2, Berlin 1971, 165–319, hier 298.
17 Vgl. Matthias HEESCH, Art. »Unsterblichkeit II«, in: TRE 34, Berlin/New York 2002, 390f. –
Kann man theologisch die relational-theonome Begründung von Unsterblichkeit nur begrüßen,
so kristallisiert sich als neuralgischer Punkt im Gespräch mit der Eschatologie Platons, Kants
und Fichtes jedoch der Umstand heraus, dass hier eine letzte Vollendung des Menschen ganz
von dessen ethischer Katharsis bzw. »Glückswürdigkeit« abhängig gemacht, sie also aus-
schließlich der Leistung und Anstrengung des Menschen aufgebürdet wird. Bei Platon wird
dies an seinem Rückgriff auf die orphische Vorstellung der Seelenwanderung deutlich, bei Kant
und Fichte an ihrer Annahme eines letztlich unendlichen sittlichen Prozesses jenseits des To-
des. Insofern wird bei diesen Denkern das Evangelium der Gnade neben dem fordernden Ge-
setz nicht sichtbar.
18 Vgl. Soliloquia II, 2; II, 24–25; II, 33.
und Thomas von Aquin,19 aber auch bei Johannes Calvin20 aufgenommen – die
Seele ist unsterblich, weil sie capax veritatis (Thomas), wahrheitsfähig ist und
so am Wesen der Wahrheit und daher an deren Unvergänglichkeit partizipiert.
Zugleich wird diese Überlegung aber durch den Schöpfungsgedanken vertieft:
Die Unsterblichkeit der Seele als geistiger, auf die ewige Wahrheit ausgerichte-
ter Substanz gründet nochmals in Gott dem Schöpfer, ist mithin eine von ihm
verliehene. Dass sie ihr von Natur her zukommt, heißt, dass sie ihr »von Schöp-
fungs wegen« zukommt.21 So bestimmt etwa der patristische Theologe Tertullian
in seinem Traktat »De anima« die unsterbliche Seele unter Rekurs auf Gen 2,7
als dei flatu nata, als »aus dem Hauch Gottes geboren«,22 womit erklärtermaßen
die »Ungewordenheit« und Präexistenz der Seele (samt ihrer Reinkarnation
nach dem Tod) bei Platon zurückgewiesen wird. Und für Thomas haben die sub-
sistierenden geistigen Formen, zu welchen die menschliche Seele zu zählen ist,
»von Gott durch die Erschaffung ein immerwährendes Sein erhalten«.23 Sofern
die menschliche Seele als geschaffene gerade die Einsetzung zum kreatürlich-
personalen Gegenüber und Bundespartner Gottes meint, weitet sich die relatio-
nale Fundierung ihrer Unsterblichkeit sogar zu einer »dialogischen« aus. Dies
lässt sich besonders an der reformatorischen, speziell der lutherischen Anthro-
pologie aufzeigen.24 Luther fundiert die Unsterblichkeit der Seele – in Ableh-
nung einer Herleitung durch die Philosophie, welche darüber keine belastbare
Gewissheit zu erlangen vermag – gnoseologisch und ontologisch strikt theolo-
gisch: Die Unsterblichkeit der Seele ist letztlich auf die im Glauben erkannte Be-
ziehung Gottes zu ihr zurückzuführen, der sie als sein Bild geschaffen hat und
will, dass sie unsterblich ist.25 Und die immer wieder für Luthers Unsterblich-
19 Vgl. STh I, 61,2 ad 3.
20 Vgl. Inst. I, 15,2. – Grundsätzlich kann Calvin als Verfechter einer biblisch-schöpfungstheo-
logisch begründeten, platonisch-dualistisch eingefärbten und für die Glaubenden christolo-
gisch »verstärkten« Unsterblichkeit der substantiellen Seele gelten. Die Annahme einer Sterb-
lichkeit des ganzen Menschen und die daraus folgende Auferweckung auch der Seele ist ihm
ein »viehischer Irrtum« (belluinus error: Inst. III, 25,6). Vgl. auch Johannes CALVIN, Psychopan-
nychia (1542), hg. v. Walther ZIMMERLI, Leipzig 1932.
21 So Josef PIEPER, Tod und Unsterblichkeit, München 1968, 176f, 187.
22 Z.B. De anima XXII, 2.
23 Comp. Theol. Cap. 74.
24 Zum differenzierten Befund bei Luther vgl. Gerhard EBELING, Lutherstudien Bd. II/2, Tübin-
gen 1982, 60–183.
25 Vgl. WA 39 II, 400,34–401,1. Die Unsterblichkeit kommt der Seele deshalb »non per se,
sed per accidens« zu. Der Text ist freilich in seiner Authentizität unsicher, trifft aber gut die
Intention Luthers.
26 Vgl. WA 43, 481,32–35: „Ubi igitur et cum quocunque loquitur Deus, sive in ira, sive in
gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales
creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter.“
27 Vgl. GREGOR VON NYSSA, Die große katechetische Rede, übersetzt von Joseph BARBEL, Stutt-
gart 1971.
28 Dazu PIEPER (s.o. Anm. 21), 53f; Richard HEINZMANN, Anima unica forma corporis. Thomas
von Aquin als Überwinder des platonisch-neuplatonischen Dualismus, in: PhJ 93 (1986), 236–
259, hier 255f.
29 Vgl. z.B. ScG II, 55; II, 79; STh I, 61,2 ad 3; I, 75,6; Comp. Theol. Cap. 84.
30 Vgl. z.B. ScG IV, 82; STh I, 76,5 ad 1; I, 97,1; I, 97,4.
31 Vgl. Johann Gottlieb FICHTE, Von den Pflichten des Gelehrten. Jenaer Vorlesungen 1794/95,
hg. v. Reinhard LAUTH u.a., Hamburg 1971, 31f: »O! es ist der erhabenste Gedanke unter allen:
ich werde, wenn ich jene erhabene [sittliche] Aufgabe übernehme, nie vollendet haben; ich
kann also, so gewiss die Uebernehmung derselben meine Bestimmung ist, ich kann nie auf-
hören zu wirken und mithin nie aufhören zu seyn. Das, was man Tod nennt, kann mein Werk
nicht abbrechen; denn mein Werk soll vollendet werden, und es kann in keiner Zeit vollendet
werden, mithin ist meinem Daseyn keine Zeit bestimmt, – und ich bin ewig. Ich habe zugleich
mit der Uebernehmung jener großen Aufgabe die Ewigkeit an mich gerissen.« Es bleibt freilich
festzuhalten, dass Fichte solche Äußerungen gegen die bedrohlichen kosmischen Mächte,
nicht gegen das Absolute selbst richtet. Siehe auch DERS., Die Bestimmung des Menschen
(s.o. Anm. 16), 289.
32 Vgl. GREGOR VON NYSSA, Schriften, übersetzt von Karl WEISS, München 1927 (2BKV 56),
241–334.
33 Vgl. WA 39 I, 229,18f.
34 CULLMANN (s.o. Anm. 12), 12.
35 Damit soll nicht bestritten werden, dass es innerhalb der christlichen Tradition sehr wohl
eine platonisch-neuplatonische Linie gibt, welche von einer Präexistenz der Seele ausging (Ori-
genes) und eine (Quasi-) Göttlichkeit des höheren Seelenteils bzw. des »Seelengrundes« lehrte
(Dionysius Areopagita, Johannes Eriugena, Meister Eckehart), oft verbunden mit dualistisch-
leibfeindlichen Tendenzen. Allerdings ist dies nicht der Hauptstrang christlicher Reflexion über
die Seele.
36 Peter BRUNNER, Eschata. Theologische Grundlinien und Andeutungen, in: DERS., Bemühun-
gen um die einigende Wahrheit, Göttingen 1977, 269–291, hier 272.
37 Georg Wilhelm Friedrich HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Religion Bd. II/2, hg.
von Georg LASSON, Hamburg 31974, 110. Hegel unterscheidet diese, in der freien, verantwortli-
chen Subjektivität sich ausweisende Unsterblichkeit von jener, die darin besteht, dass wir,
durch Christus vermittelt, einmal »Bürger im Reiche Gottes« sein werden (= ewiges Leben),
sieht also zwischen beiden keinen Gegensatz. Vgl. ebd., 178. Dazu Jörg BAUR, Unsterblichkeit
der Seele und Auferstehung der Toten, in: DERS., Einsicht und Glaube, Gütersloh 1978, 25–49,
hier 36f, 39.
38 Insofern könnte Gott, wenn er wollte, in seiner Allmacht die Seele auch wieder der Vernich-
tung preisgeben. Die Rede von der unzerstörbaren Seele des Menschen bezieht sich also »nur
auf die Mächte physischen Zerstörens oder Verfallens, keineswegs auf jene Macht, durch die
die Seele überhaupt erst gesetzt ist und zu der sie in einem Verhältnis steht, das für sie defini-
torisch ist«. So Gerd HAEFFNER, Vom Unzerstörbaren im Menschen, in: Wilhelm BREUNING (Hg.),
Seele. Problembegriff christlicher Eschatologie, Freiburg i.Br. 1986, 159–191, hier 175. – Ein
isoliert, d.h. abgesehen von der Gottesbeziehung vorgetragener Aufweis der Unsterblichkeit
der Seele aus ihrer Einfachheit, wie er schon bei PLATON (Phaidon 78b–80e) vorliegt, wäre also
nicht tragfähig, da auch ein geistig-einfaches, aber kontingentes Seiendes von sich aus nicht
von der Vernichtung ausgenommen werden kann. Vgl. Josef SEIFERT, Das Leib-Seele-Problem
und die gegenwärtige philosophische Diskussion, Darmstadt 21989, 267ff.
39 P. BRUNNER (s.o. Anm. 36), 272f. Vgl. ebd., 281f.
An dieser Stelle ist es wichtig, mit Wilfried Härle auf die Differenzierung
zwischen Beziehung und Bezogenheit zu achten.40 »Beziehung« meint den ak-
tuellen Vollzug einer Relation, im Fall des Menschen also zu Gott, zu seiner Um-
welt und zu sich selbst hin. »Bezogenheit« dagegen intendiert die ontologisch-
strukturelle Voraussetzung oder Möglichkeitsbedingung zu solcher Beziehung.
»Seele« wäre demzufolge jene in der vorgängigen schöpferischen und erhalten-
den Beziehung Gottes auf den Menschen gründende Bezogenheit des Menschen
auf Gott, die darauf zielt, in einer aktuellen Beziehung zu Gott gelebt zu werden.
Mittels einer solchen Unterscheidung soll eine in der evangelischen Theologie
immer wieder vorgenommene Entgegenstellung vermieden werden: Ich gehe
nämlich davon aus, dass sich die genannte schöpferische und erhaltende Rela-
tion Gottes auf den Menschen in diesem selbst auch anthropologisch-konstitutio-
nell beziehungsweise in einer ontologischen Struktur auswirkt und nieder-
schlägt. Eine relationale Sicht von Seele und ihrer Unsterblichkeit darf also
nicht – wie dies zum Beispiel Christian Herrmann tut41 – gegen eine Verortung
der Seele in der konstitutionellen Struktur des Menschen ausgespielt und rein
aktualistisch, als je neues Erwecktwerden des Menschen zum Dialog mit Gott
durch Gott selbst verstanden werden, wobei sich letzteres gleichsam neutral zu
den Konstitutionselementen des Menschen verhielte. Ebenso ist auch nicht –
wie durch Eberhard Stocks Reformulierung von Seele und Seelenunsterblichkeit
geschehen – in Absetzung von jeglicher Substanzmetaphysik alles Substantielle
in ein »Relationsgefüge« aufzulösen.42 Selbst wenn man davon ausgeht, dass
zur theologischen Erfassung des Geschehens zwischen Gott und Mensch eine
relationale Ontologie angemessener ist als eine Substanzontologie,43 so gilt
doch auch dann, dass die Relation sich ihre Relate als ihre Beziehungsträger
schafft, diese also auch einen gewissen »substantiellen« Eigenstand besitzen,
ohne dass dadurch alle Relationen ihnen nur akzidentell zukämen. Deshalb
sollte man – wie Edmund Schlink urteilt – nicht eine in der Tat untheologische
»Substanzmetaphysik« durch einen »nicht minder untheologischen Aktualis-
40 Vgl. dazu Wilfried HÄRLE/Eilert HERMS, Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des
christlichen Glaubens, Göttingen 1979, 80ff.
41 Vgl. Christian HERRMANN, Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung, Göttingen 1997.
42 Vgl. Eberhard STOCK, Die Bedeutung des Seelenbegriffs für eine christliche Eschatologie,
in: Glaube und Denken 10 (1997), 95–120, bes. 114–118.
43 Innerhalb einer Relationsontologie besteht nicht zuerst ein Subjekt, eine Substanz für sich
und geht dann sekundär-akzidentell bestimmte Relationen ein, sondern das Subjekt ist bzw.
wird es selbst durch die Relationen, in denen es steht. Andererseits setzen Relationen ihre
Relate (oder eines von ihnen) in bestimmter Hinsicht schon voraus, so dass man am besten
von einer Gleichursprünglichkeit von Relation und Relaten ausgeht.
mus« ersetzen und das Ontische in reine Aktualität (und Relationalität) auflö-
sen.44 Die geistige Substantialität der Seele ist gerade durch die permanente Re-
lation Gottes auf sie fundiert!45
Konkret bedeutet dies, dass »Seele« in dem soeben explizierten theologi-
schen Verständnis durchaus, wie in der Tradition geschehen, im Geist bezie-
hungsweise in der Geistseele des Menschen verortet werden muss, ja diese Geist-
seele ist, als deren innerster Kern und tiefstes Wesen eben das Stehen coram
deo beziehungsweise die Transzendenzfähigkeit und -pflichtigkeit anzusehen
ist. Damit werden der Leib und die Leiblichkeit aus der menschlichen Gottbezo-
genheit und Gottesbeziehung nicht ausgeschlossen, da ja die Geistseele sich ir-
disch notwendig (und d.h. auch nach dem Willen des Schöpfers) nur im Leib
vollziehen kann, aber das entscheidende Moment dafür liegt eben doch in der
Geistigkeit des Menschen, in dem, was den Menschen vom Tier unterscheidet.
Der Leib für sich allein ist dazu nicht hinreichend. Auch vermag der Leib nicht
der Träger einer Unsterblichkeit zu sein, da er unübersehbar dem Verfall und
der Verwesung nach dem Tod ausgesetzt ist und der Auferstehungsleib zwar
der Leib dieses Menschen, aber dennoch ein neuer Leib ist. Ich trete also für ein
relational-konstitutionelles Verständnis der Seele und ihrer Unsterblichkeit ein
und lehne ein relational-aktualistisches ab. Dabei lässt sich die »Geist-Seele«
des Menschen mit Raphael Schulte,46 der hier sichtlich diesbezügliche Einsich-
ten des späten Fichte und Schleiermachers aufnimmt, in paradoxer Wendung
als kontingente Selbst-Ursprünglichkeit verstehen, d.h. als Ursprung ichhaften,
44 Edmund SCHLINK in: Paul ALTHAUS, Retraktationen zur Eschatologie, in: ThLZ 75 (1950), 253–
260, hier 259. Schlink hebt weiter hervor (ebd., 260), dass der christlich-anthropologische
Substanzbegriff »der creatio continuata bzw. der göttlichen Erhaltung nicht gegenübersteht,
sondern in ihr begründet ist«. Die Denkfigur, auf die es ankommt, bringt Augustinus treffend
auf den Punkt: »[…] cum voluntas tanti utique conditoris conditae rei cuiusque natura sit«. (De
civ. Dei XXI, 8) – Unsere Überlegungen wollen gerade jene Alternative vermeiden, die selbst in
der moderaten Stellungnahme Gerhard Ebelings noch aufgebaut wird: Es sei am angemessen-
sten, »nicht im substanzhaften Ansich-Sein der Seele, sondern im Angesprochensein durch
Gott den Grund einer Unsterblichkeit zu sehen, die nach beidem hin offen ist: zum ewigen Tod
und zum ewigen Leben« (Gerhard EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens Bd. 3, Tübingen
2
1982, 459; vgl. ebd., 456–459, 464f).
45 Der aristotelische Substanzbegriff, wonach Substanz dasjenige Seiende ist, das in und für
sich selbst und nicht in etwas anderem ist, dem vielmehr anderes inhäriert (vgl. ARISTOTELES,
Cat. 5, 2 a 11–14; Met. VII 3, 1028 b 36f), besitzt ein bleibendes Wahrheitsmoment: Dieses
Seiende ist nämlich nicht eine Eigenschaft und Bestimmung eines anderen, was ja keineswegs
die Aseität dieses Seienden bedeutet! Vgl. SEIFERT (s.o. Anm. 38), 112–117.
46 Vgl. Raphael SCHULTE, Leib und Seele, in: Franz BÖCKLE u.a. (Hg.), Christlicher Glaube in mo-
derner Gesellschaft 5, Freiburg i.Br. 1980, 5–61, hier 36–40.
personalen Lebens, der selbst nochmals von einem anderen Ursprung, nämlich
von Gott, gesetzt ist.
Aus dem bisher Dargelegten resultiert die Einsicht, dass das Theologumenon
von der Unsterblichkeit der Seele – wie Fritz Heidler zu Recht betont47 – in den
ersten Artikel des Credo und nicht in den zweiten oder dritten (wie die Aufer-
stehung der Toten und das ewige Leben) gehört. Die Unsterblichkeit der Seele
ist, wie soeben geschehen, schöpfungstheologisch beziehungsweise protologisch
zu fundieren, und nicht christologisch oder pneumatologisch-eschatologisch,
wie Christof Gestrich48 oder Christian Henning49 dies offenbar unternehmen. Mit
der Zuweisung der Thematik »Unsterblichkeit der Seele« zum ersten Credo-Artikel
ist diese zugleich aber soteriologisch depotenziert. Denn es geht hierbei nicht um
ein zur Auferstehung der Toten oder zum gottgeschenkten ewigen Leben für den
ganzen Menschen in Konkurrenz tretendes, auf menschlicher Eigenmächtigkeit
ruhendes Heilsmodell, sondern einfach um die von Gott selbst gesetzte ontologi-
sche Voraussetzung oder »Vor-Gabe« für seine in der Auferstehung zum Ziel
kommende Geschichte mit dem Menschen.50 Insofern hat es seinen guten Sinn,
wenn – wie schon erwähnt – Thomas von Aquin lieber von incorruptibilitas, Un-
zerstörbarkeit als von immortalitas, Unsterblichkeit der Seele spricht und letztere
als Heilsaussage über den ganzen Menschen auslegt, in welcher dann jene in der
Schöpfung grundgelegte incorruptibilitas ihre Erfüllung und Vollendung findet.
Dabei ist der Mensch ganz, d.h. auch mit seiner Seele, vom Tod getroffen, nicht
nur, weil die leib-seelische Einheit des Menschen dadurch zerstört wird, sondern
weil die »eigentliche Todesbedrohung«,51 theologisch gesehen, nicht im physi-
schen Sterben, sondern im dann folgenden Konfrontiertwerden mit dem göttli-
chen Gericht besteht, dem auch der Christ als simul peccator nicht völlig entnom-
men ist.
Die so verstandene Unsterblichkeit der Seele garantiert mithin – als ein
Kontinuum auch auf Seiten des Menschen – dessen personale Kontinuität und
Identität in seiner lebenslangen Geschichte und seinem lebenslangen Dialog mit
47 Vgl. Fritz HEIDLER, Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele (FSÖTh 45), Göttin-
gen 1983, 5f, 20f, 107f, 114f, 148f.
48 Vgl. GESTRICH (s.o. Anm. 4), bes. 100–104, 148ff, 178, 185f, 240.
49 Vgl. Christian HENNING, Wirklich ganz tot?, in: NZSTh 43 (2001), 236–252, hier 248–252;
DERS., Was ist, wenn ich sterbe?, in: Friedrich HERMANNI/Thomas BUCHHEIM (Hg.), Das Leib-Seele-
Problem, München 2006, 239–262, hier 252–262.
50 Vgl. HEIDLER (s.o. Anm. 47), 146, 190f. Die Auferstehung in personaler Identität muss dann
umgekehrt als Finalgrund der Unsterblichkeit der Seele bestimmt werden.
51 Peter BRUNNER, Jesus Christus und der Tod, in: DERS., Bemühungen um die einigende Wahr-
heit (s.o. Anm. 36), hier 252. Vgl. ebd., 252ff, 258f.
Gott, auch über sein Sterben, seinen Tod hinaus.52 Denn nur so, wenn das
Selbstbewusstsein des Menschen beziehungsweise die »Binnenperspektive auf
sich selbst«53 (und zwar unterschieden vom Wissen anderer!54) postmortal er-
halten bleibt, ist echte Kontinuität und Identität des Menschen denkbar, weil
sie dann nicht nur das jeweils gegenwärtige Stehen vor Gott, sondern auch die
Erinnerung an das frühere Leben ermöglicht. Allein auf diese Weise wird die aus
dem irreversiblen Stehen des Menschen vor Gott folgende Antwortfähigkeit und
Antwortpflichtigkeit des Menschen ihm gegenüber im Sinne eines letzten Ge-
richts denkbar: Der Mensch vermag sich diesem durch nichts, auch durch den
Tod nicht, zu entziehen, weil er als »Seele« im Tode nicht vernichtet wird und
sich an sein vergangenes Leben zu erinnern vermag. Aber auch der Empfang
des eschatischen Heils, der endzeitlichen Erlösung und Befreiung, setzt eine sol-
che Kontinuität als Unversehrtheit des Ichbewusstseins voraus, denn nur unter
dieser Voraussetzung, d.h. im erinnernden Rückbezug auf seine Vergangenheit
und der darin auf sich geladenen Schuld sowie des darin erfahrenen Leids,
52 Damit soll nicht behauptet werden, dass die Identität des Menschen von seinem Lebens-
beginn an wie ein statischer Block bereits vollständig gegeben und über den Tod hinaus nur
zu bewahren und gleichsam »in Sicherheit zu bringen« wäre. Vielmehr entwickelt sich die Iden-
tität des Menschen während des Lebens permanent in der Relation zu Gott, Welt und Selbst,
und dies oft nicht ohne schmerzhafte Brüche, und gelangt durch Tod und Auferstehung aller-
erst zu ihrer wahren Fülle, insofern dadurch die volle Hineinnahme in das Leben des dreieinen
Gottes erreicht wird. Was sich dabei als unzerstörbare Seele durchhält (so dass ich in allem
die identifizierbar selbe Person bleibe), ist im Vergleich zu dieser nicht nur protologisch, son-
dern auch soteriologisch und eschatologisch (also trinitarisch) begründeten Identität eher ein
Identitätsträger, nicht aber die volle Identität. In diesem Sinn ist Gestrich (s.o. Anm. 4), 212,
zuzustimmen: In seiner neuen, »erweiterten Gestalt« bleibt der Verstorbene nicht identisch,
sondern wird identischer! Vgl. auch Stephan SCHAEDE, Bin denn ich es, der lebte und starb?, in:
Ruth HEß/Martin LEINER (Hg.), Alles in allem. Eschatologische Anstöße, Neukirchen-Vluyn 2005,
265–290, bes. 267f, der zwischen »identifizierender« und »lebensgeschichtlicher Identität« un-
terscheidet.
53 HENNING, Wirklich ganz tot? (s.o. Anm. 49), 243ff; DERS., Was ist, wenn ich sterbe? (s.o.
Anm. 49), 247–251 (jeweils mit Bezug auf Theodor MAHLMANN, Auferstehung der Toten und ewi-
ges Leben, in: Konrad STOCK [Hg.], Die Zukunft der Erlösung. Zur neueren Diskussion um die
Eschatologie (VWGTh 7), Gütersloh 1994, 108–131, hier 117–122).
54 »Unterschieden von« heißt nicht in jedem Fall »unabhängig von«. Denn unsere Existenz
und unser Selbstbewusstsein bestehen natürlich niemals unabhängig vom Wissen Gottes um
uns (vgl. Ps 139; 1.Kor 13,12b). Aber deshalb besitzen wir gleichwohl ein eigenes Selbstbe-
wusstsein und existieren nicht nur im Wissen Gottes! So ist im Anschluss an und in Abhebung
von Joachim RINGLEBEN, Gott und das ewige Leben, in: STOCK (s.o. Anm. 53), 49–87, hier 74ff, zu
sagen. Bei Ringleben droht unser Wissen um uns selbst zu einem (Werde)Moment des ewigen
Selbstwissens Gottes zu geraten. Die Frage nach der Möglichkeit eines Sich-Erinnerns an das
frühere eigene Leben als Bedingung oder Kriterium unserer Identität im ewigen Leben wird ihm
deshalb auch zu einer »Scheinfrage« (75).
kann der Mensch seine Rettung als solche verstehen und entgegennehmen.
Nicht erforderlich ist es allerdings, dass das Wissen des Menschen um sich
selbst immer aktuell (also auch im Moment des Todes) vorhanden ist (was ja
schon für das irdische Leben, zum Beispiel im Schlaf oder bei Zuständen der
Bewusstlosigkeit, nicht zutrifft), sondern nur, dass solches Wissen um sich
selbst wieder erweckbar, also jederzeit dispositionell gegeben ist.
Das eingangs skizzierte Alternativmodell zur Anschauung von der unsterbli-
chen Seele, wonach der Mensch ganz, d.h. auch mit seiner Seele im Tode unter-
geht und vernichtet wird und ausschließlich im Gedächtnis oder im Urteil Got-
tes weiterlebt, bereitet demgegenüber gerade an dieser Stelle die größten
Schwierigkeiten: Denn ist derjenige noch derselbe Mensch und nicht nur der
gleiche, nicht nur ein perfektes Double, ein »eschatologischer Doppelgänger«,
den Gott bei der Auferstehung der Toten aus seiner Erinnerung heraus aus dem
Nichts neu erschafft? Die Kontinuität im Sinne der der Erinnerung fähigen »Bin-
nenperspektive auf sich selbst« wird ja hier mit dem Tod völlig ausgelöscht be-
ziehungsweise allein in Gott hinein verlegt. Erst bei der Auferweckung der Toten
wird – so Wolfhart Pannenberg – »die Form des Fürsichseins«55 dem Menschen
zurückgegeben. Es dürfte aber kaum tragfähig sein, Identität ohne Kontinuität
begründen zu wollen beziehungsweise erstere allein in die radikale Neuschöp-
fung Gottes und letztere ausschließlich in das Gedenken Gottes hinein zu verle-
gen.56 Von unserem Ansatz her ist die Totenauferstehung dagegen nicht als er-
neute creatio ex nihilo, sondern als creatio ex creatione57 auszulegen.
Im Weiterdenken der vorgetragenen Überlegungen zu einer evangelisch-
theologischen Rehabilitierung des Theorems »Unsterblichkeit der Seele« müsste
nun die sich mit innerer Notwendigkeit einstellende Frage nach dem sog. »Zwi-
schenzustand« zwischen individuellem Tod und Auferstehung der Toten bezie-
hungsweise die Frage nach der anima separata geklärt werden. Meines Erach-
tens sollte dies im Aufgreifen der Denkform einer »Auferstehung im Tod«
erfolgen, wie sie von dem katholischen Systematiker Gisbert Greshake entwik-
kelt worden ist.58 Denn diese Konzeption, der zufolge der Mensch den Aufer-
stehungsleib schon im Tod empfängt, vermeidet die Annahme eines leibfreien
55 PANNENBERG (s.o. Anm. 13), 652.
56 So mit MAHLMANN (s.o. Anm. 53), 11827.
57 Vgl. Horst Geog PÖHLMANN, Abriss der Dogmatik, Gütersloh 62002, 374.
58 Vgl. nur die Beiträge Greshakes in: Gisbert GRESHAKE/Gerhard LOHFINK, Naherwartung – Auf-
erstehung – Unsterblichkeit (QD71), Freiburg i.Br. 41982; Gisbert GRESHAKE/Jacob KREMER, Resur-
rectio mortuorum, Darmstadt 21992. Ferner Gisbert GRESHAKE, Tod und Auferstehung, in: BÖCKLE
(s.o. Anm. 46), 63–130; Gisbert GRESHAKE, »Seele« in der Geschichte der christlichen Eschatolo-
gie, in: BREUNING (s.o. Anm. 38), 107–158; Gisbert GRESHAKE, Auferstehung im Tod, in: ThPh 73
(1998), 538–557.
59 Mit SEIFERT (s.o. Anm. 38), 173f; HAEFFNER (s.o. Anm. 38), bes. 164ff, gehen wir allerdings
davon aus, dass die irdisch erfahrbare Bindung geistig-seelischen Lebens an den Leib bzw.
das Gehirn bloß empirisch-faktisch notwendig, nicht absolut bzw. metaphysisch notwendig ist.
60 Insofern ist diese Position mit der zu Beginn erwähnten Theorie, welche die Eschata insge-
samt mit dem individuellen Tod koinzidieren lässt, nicht völlig identisch. – Man könnte präzise
vom »Anbruch der Auferstehung im Tod« sprechen. Vgl. Werner THIEDE, Luthers individuelle
Eschatologie, in: LuJ 49 (1982), 7–49, hier 37f, der diese Wendung allerdings nicht ganz
deckungsgleich zu unserem Verständnis prägt.
61 Es liegt auf der Hand, dass aus unserem Plädoyer für eine unsterbliche Seele diese »klassi-
sche« Bestimmung des Todes resultiert, die wir aber klar gegenüber der Alternative (Tod als
Vernichtung der ganzen Person, sei es im materialistischen Sinn oder im Verständnis der
Ganztod-Theologie) präferieren.
62 Vgl. HEIDLER (s.o. Anm. 47).
che die Unsterblichkeit der Seele bezeugen« »unendlich« sind.63 Gleichwohl ist
es dadurch nicht ausgeschlossen, unseren Ansatz mit der Heiligen Schrift zu
vermitteln.
Zunächst eine hermeneutische Bemerkung: Es ist heute exegetisch evident,
dass der alttestamentliche Begriff für Seele (nefesch) nicht mit dem gleichge-
setzt werden kann, was die christliche Tradition später unter der unsterblichen,
wenngleich geschaffenen Geistseele des Menschen verstanden hat, und schon
gar nicht mit der unsterblichen, präexistenten, nach mehreren Einkörperungen
leibfrei in die Welt der Götter und Ideen eingehenden Seele Platons identifiziert
werden darf. Das Alte Testament denkt nicht dualistisch oder auch nur dicho-
oder trichotomisch, d.h. es unterteilt den Menschen nicht in die ontologischen
Schichten von Leib und Seele oder von Leib, Seele und Geist, wie Heidler dies
durchgängig aufzuweisen suchte. Vielmehr sieht das Alte Testament, jeweils
von bestimmten körperlich-sinnlichen Gegebenheiten ausgehend, den Men-
schen ganzheitlich nach verschiedenen personalen Aspekten und ist insofern
»monistisch« orientiert. Die »griechische« und uns heute geläufige Gegenüber-
stellung von Leib und Seele ist hier im strengen Sinne noch nicht vollzogen.
Nun stellt sich allerdings die Frage, welche Verbindlichkeit die Anthropolo-
gie des Alten Testaments für eine heutige theologisch-systematische Anthropo-
logie besitzt, zumal sie ja gar nicht spezifisch biblisch, sondern allgemein orien-
talisch ist. Die noch grundsätzlichere Frage lautet, ob und inwiefern wir als
spätere Theologen überhaupt auf eine bestimmte biblische Anthropologie, zu-
mindest was die Konstitutionsmomente des Menschen betrifft, verpflichtet sind,
wie wir das – wie heute allgemein zugestanden wird – auch nicht auf eine spe-
zifisch biblische Kosmologie beziehungsweise Kosmogenese sind. Es handelt
sich hierbei doch um Themen, die zunächst der naturwissenschaftlichen und
philosophischen Klärung zugänglich und bedürftig sind und nicht direkt das
heilsrelevante Kerygma oder Evangelium selbst betreffen, ohne dass dadurch
ausgeschlossen werden soll, dass dieses Kerygma ein bestimmtes Menschenbild
und Weltverständnis voraussetzt und impliziert. Von daher muss damit gerech-
net werden, dass – ganz ähnlich wie in der Kosmologie – über die Bibel hinaus
neue anthropologische Erkenntnisse, wie eben die Leib-Seele-Dualität samt der
mit ihr verbundenen Entdeckung der Innenwelt der Subjektivität, gewonnen
werden, und es ist durchaus naheliegend und nicht a priori illegitim, dass die
Theologie selbst in späteren Zeiten über die alt- und neutestamentliche Anthro-
pologie hinausfragt, außertheologische Einsichten oder Differenzierungen mit-
trägt und sich aneignet, weil diese der Artikulation des Kerygmas in einer ver-
63 ScG II, 79 (Ende). Verwiesen wird auf Pred 12,7.
64 Vgl. ALTHAUS (s.o. Anm. 44), 255ff. – Einzuräumen ist, dass dieses Argument heute eher mit
umgekehrtem Interesse verwandt wird, nämlich zur theologischen Rezeption einer physikalisti-
schen Ontologie, wonach das Mentale vom Leib bzw. vom Gehirn derart abhängt, dass es mit
diesen im Tod zugrunde geht. Die Frage ist aber, ob diese Position überzeugend ist.
65 Dieser Beitrag kann (z.B. vermittelt über die Bedeutung von »nefesch« als Kehle, Schlund
und von daher als Begehren, Verlangen, Leben) im eindringlichen Verweis auf die Externität,
Relationalität, ja Bedürftigkeit der menschlichen Existenz liegen, sowie im Insistieren darauf,
dass das Heil auch den Leib einbezieht, eine Aussage, die sehr wohl ins Kerygma bzw. Evange-
lium hineingehört.
66 Vgl. Ulrich KELLERMANN, Überwindung des Todesgeschicks in der alttestamentlichen Fröm-
migkeit vor und neben dem Auferstehungsglauben, in: ZThK 73 (1976), 259–282, hier 275–281.
übernehmen, das damit seit Platon verbunden war: »Die Seelen der Gerechten
sind in Gottes Hand, und keine Qual rührt sie an. […] Denn wenn sie auch nach
Meinung der Menschen viel zu leiden haben, so sind sie doch erfüllt von Hoff-
nung auf Unsterblichkeit.« (Weish 3,1.4)
Nun verhält es sich nach Kellermann so, dass diese Synthese zwischen dem
Glauben an die Unverbrüchlichkeit der Jahwegemeinschaft und der Anschauung
von der unsterblichen Seele in Weisheitskreisen offenbar schon vor der Entdek-
kung der endzeitlichen Auferstehung der Toten durch die apokalyptische Theo-
logie (vgl. Dan 12,2–3) erfolgte.67 Die letztere Hoffnungskonzeption, ebenfalls
durch die Frage nach dem Geschick der Jahwetreuen und Gerechten, die oft den
Märtyrertod erlitten, vorangetrieben, nahm in der Folge die Auffassung von der
sich im Tod durchhaltenden Seele auf, um das Problem des Zwischenzustandes
zwischen individuellem Tod und allgemeiner Totenerweckung am Ende zu klä-
ren. Hierbei wurde auch auf die altisraelitische Annahme einer schattenartigen
Scheolexistenz der Verstorbenen, die ja mitnichten eine vollständige Vernich-
tung des Menschen bedeutet und nach Otto Kaiser sogar die in der Antike weit
verbreitete Vorstellung von einer »Totenseele« nahelegt,68 zurückgegriffen. Man
stellte sich die (nicht strikt leibfrei gedachten) Seelen der Verstorbenen als in
verschiedenen Kammern unter der Erde sich aufhaltend vor, mitunter schon ent-
sprechend ihrem irdischen Lebenswandel Erquickung oder Pein erfahrend und
dem Empfang des Auferstehungsleibes und dem Endgericht entgegenharrend.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es im Frühjuden-
tum zu einer Kombination der beiden ursprünglich unabhängigen und integra-
len Hoffnungsmodelle der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung der
Toten gekommen ist. Möglich, ja erforderlich war dies, weil ein Identitätsträger
für die innerhalb des apokalyptischen Denkrahmens sich ergebende Zeit zwi-
schen dem Tod des Einzelnen und der endzeitlichen Totenauferstehung benannt
werden musste. Letztlich geht es auch in dieser Synthese der Hoffnungsmodelle
darum, das zu veranschaulichen und zu reflektieren, was soteriologisch das ei-
gentliche Evangelium darstellt: »dass der Getreue bei seinem Gott über seinen
Tod hinaus eine Bleibe hat«.69
67 Vgl. Kellermann (s.o. Anm. 66), 281.
68 Vgl. Otto KAISER/Eduard LOHSE, Tod und Leben, Stuttgart 1977, 29, 32–36. Ebd., 36, heißt
es sogar: Es gilt festzuhalten, »dass die Vorstellung von einem auf den Tod folgenden Zwi-
schenzustand sich organisch auf dem Fundament alttestamentlichen Toten- und Seelenglau-
bens entwickeln konnte, welche von außen kommenden Einflüsse auch immer zu dieser Entfal-
tung beigetragen haben« (Hervorhebung W.C).
69 Kellermann (s.o. Anm. 66), 282.
70 Vgl. dazu Hans-Joachim ECKSTEIN, Leben nach Geist und Leib. Christologische und anthropo-
logische Aspekte der Auferstehung bei Lukas, in: Ders., Der aus Glauben Gerechte wird leben.
Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, Münster 2003, 175f, 180–186.
71 Vgl. Hans WINDISCH, Der zweite Korintherbrief (KEK 6), Göttingen 91970 (1924), 157–175, bes.
160ff, 168, 172ff.
72 ALTHAUS (s.o. Anm. 44), 253. Ähnlich HEESCH (s.o. Anm. 17), 387. – Für Althaus selbst folgt
aus diesem Befund allerdings nicht, dass wir heute die Vorstellung einer unsterblichen Seele
anthropologisch oder sogar theologisch zu vertreten hätten (insofern bleibt der späte Althaus
dem früheren treu und hält die Ganztod-These weiter aufrecht), sondern nur, dass wir diese in
der Vergangenheit vertretene Anschauung nicht aus theologischen Gründen zu verwerfen ha-
ben. Dass eine solch differenzierte Position vom reformatorisch verstandenen sola scriptura
her möglich ist, muss konzediert werden, ist dieses doch nicht primär im allgemein histori-
schen, sondern vor allem im sachlichen Sinn einer Normativität der Schrift als Evangelium
bzw. Christuszeugnis zu verstehen. Darum kann die theologische Option für oder gegen die
Annahme einer unsterblichen Seele nicht allein biblisch entschieden werden, und uns ging es
im Voranstehenden auch nur um ihre biblische »Anschlussfähigkeit«.