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1. Bauen, Glauben, Denken: Architektur, exemplarische Kunst und Muster Wissenschaft?

Die großen Hoffnungen von 1910 hatten sich nur wenige Jahre später zerschlagen. Der
evolutionistische Optimismus, die industrielle Zivilisation durch eine Synthese von Kunst und
Technik zur »Industriekultur« zu veredeln, zerplatzte in den Materialschlachten des ersten
»modernen«, mit industrieller Konsequenz geführten Weltkrieges. Von dem
Zusammenbruch aller humanistischen Werte in dieser »Katastrophe« der Menschheit
fühlten sich die Künstler in besonderem Maße betroffen.

● Die Idee des Zusammenhangs, die Vorstellung von einer Ordnung der Dinge, in der
sie als Teile eines größeren Ganzen aufgehoben sind, ist die Grundlage jedes
System-Gedankens.
● Gott = größter Baumeister/Architekt
● Schöpfung der Natur - gesetzmäßiges Erscheinungsbild, keine Willkür, sondern ​Teil
eines größeren Systems
● Harmonie zw. Mensch und Welt: Mikrokosmos (der menschlichen Lebenswelt)
wiederholt Gesetze des Makrokosmos -> Kosmologische Abbildungstheorie
● seit der Antike bezieht sich Baukunst auf diese ​Abbildungstheorie
● Platon:
○ Baukunst = hervorbringende, nicht nachahmende Kunst
○ höchste Kunst = Berechnungs- und Messkunst (Maß und Ebenmaß bewirken)
○ metaphysischer Rang - Baukunst, die festgelegtem Plan folgt
● moderne Wissenschaft (Prozess der Verweltlichung des Menschen, von universalia
zu realia) löst alte metaphysische Funktionen ab
● Architektur nicht mehr aus göttlicher Vernunft, aber grundsätzlich metaphysische
Funktion erhalten
● Descartes: richtiges Denken ist wie Haus bauen (fester Grund und stimmiges
Ganzes) ->Architektur-Metapher
● Kant:
○ Architektur = Kunst der Systeme
○ Wissenschaft = Systembau der Vernunft
○ Wissenschaft zur reinen Vernunft durch systematische Einheit der Erkenntnis
unter einer Idee
○ das Ganze ist gegliedert und nicht gehäuft
○ Wissenschaft selbst soll als ein für sich bestehendes Gebäude als Ganzes
und nicht ein Anbau oder Teil eines anderen Gebäudes behandelt werden.
○ Bauen und Denken
○ Kunst und Wissenschaft
○ Architektonik = methodischen Handwerk der Wissenschaft
● Wie auch K.F. Schinkel Baukunst als wissenschaftliches Handwerk sieht

● Nietzsche:
○ Kantsche Ideale-Konstruktion eines planvollen Turmbau der reinen Vernunft
sah Nietzsche als metaphysische Konstruktion
○ Verdacht: moderne Mensch will sich nur ein Glaubensgebäude schaffen aus
eigener Eitelkeit und Prahlerei
○ Frage: Warum bestimmte architektonische Anordnungen überhaupt unser
Gemüt beeinflussen?
○ ohne metaphysikalische Macht gehts aber bei ihm auch nicht
○ Architektur ermuntert den modernen Mensch, der zu sein der er ist. Sein
eigener Baumeister und Bauherr mit Maß und Gesetz
○ Moderne Baukunst = vom Individuum ausgehende Organisation und
Steigerung der Natur

● Denken und Bauen:


○ finden nicht selbstverständlich zusammen - Geschichte der
Erkenntnisphilosophie
○ beide einen festen Grund als Voraussetzung
○ kritisches Denken hinterfragt dieses Fundament
○ ohne Bauen (im Sinne von Prämissen/Ursachen als Grund setzen für
Folgerungen) kein Denken und keine Wissenschaft
○ jedem Gedankengebäude liegt ein Baugedanke zuGrunde
○ => Architektur kommt ohne Philosophie nicht aus (nicht mal wenn man
dekonstruktivistisch baut)
● Theoriegeschichte der Architektur kann nicht ohne die großen Denkbewegungen und
Geistesgeschichten verstanden werden
● erkenntnistheoretische Räumlichkeiten​ der großen Denker:
○ Platon: Gefängnis der Sinne, an dass der Mensch gekettet ist
○ Leibniz: zweistöckiges Haus, Seele ist eingesperrt in die obere, dunkle,
fenster- und türlose Etage, untere beherbergt die Materie mit den 5 Sinnen
(Fenster als Öffnung für diese Sinne)
○ Kant: Ingenieurbauwerk planvoll in die Höhe geführten »Turmbaus«
systematisch zu Werke gehenden, gliederten, wissenschaftlichen Vernunft
● Vitruv in “10 Bücher über die Baukunst” (ältesten überlieferten Schrift der
Architekturtheorie, die vor unserer Zeitrechnung verfasst worden ist):
○ Sprache und Bau gehören zusammen
○ Architektur und Philosophie gehören zusammen
○ Architektur und Sprache auf einer Stufe in der Ursprungslegende der
Baukunst Vitruvs:
■ Sturm und Blitzschlag entzündeten Feuer
■ führt die Menschen zusammen zum Wärmen
■ erkennen die Vorzüge des Feuers
■ lernen Feuer am Leben zu halten
■ werden sesshaft
■ mit Feuerstelle beginnt Verortung des Menschen
■ Gesellschaft entsteht
■ entsteht Bedürfnis nach Kommunikation und Behausung
● Gottfried Semper 1851 Vier Elemente der Baukunst
○ Feuer (Feuerstelle,Herd)
■ als Ausgangspunkt
■ Embryo der Architektur
■ erste und wichtigste moralische Element der Baukunst
■ erster Versammlungsort
■ Ort der ersten Bedürfnisse, Religionsbegriffe und Kultur-Gebräuche
■ heiliger Brennpunkt um den sich das Ganze ordnet und gestaltet
○ Dach
○ Umfriedung
○ Erdaufwurf

Sprache und Bauen


● Vitruv weiter:
○ der Mensch kommt am Feuer zur Sprache und zum Bauen
○ Mit Gebärden und unartikulierten Lauten beginnt der Dialog
○ durch tägliche Gewohnheit werden Wörter zusammengesetzt zur
Bezeichnung von Dingen
○ lernen zusammenhängend zu sprechen
○ analoger Weise: beginnt der Mensch zu bauen
○ graben Höhlen in Berge, Hütten aus leicht bearbeitbarem Stoff, ahmen die
Nester von Vögeln nach
○ Stolz auf ihre Erfindungen tauschen sich untereinander aus
○ Wetteifer um ihre Erfindungskraft und Kunstfertigkeit.
○ schließlich Nachahmung ganze Baumstämme Steine aufeinander schichten
und feste Bauten und Bautypen und eigene Formenwelt hervorbringen
○ Heideggerschen Dreisatz »Bauen, Wohnen, Denken«
○ führt bei Vitruv »der Weg von der Urhütte Schritt für Schritt vom Häuserbau
zu den übrigen Künsten und Wissenschaften« fort
○ und damit zu einer Kultivierung des Menschen »von einem tierhaften zu
einem friedfertigen, gesitteten Leben«

● Gustav Gerbers “Die Sprache als Kunst” 1871:


○ Sprachkunst und Baukunst gehen Hand in Hand
○ Bereits das Wort hat als solches »Kunstcharakter«
○ stellt es doch eine bewusst gebildete Lautfigur dar, die ebenso eine
Kunstschöpfung ist
○ wie »der erste Stein«, der »behauen wurde und regelmäßig geformt« bereits
»an sich ein Kunstwerk« darstellt
○ dieser Stein als »Gedenkstein« für sich, oder »zusammengefügt mit anderen,
zur Erbauung einer Wohnung, Brücke u. d. m. dienen sollte«,so »erbaut sich
der theoretische Geist des Menschen« aus den »Werkstücken«, welche die
Sprache liefert,»nicht nur seine Pracht-Tempel, sondern auch seine
Wohnungen«.
● Der Mensch baut mit der Sprache und spricht durch seine Bauten.
● Heidegger:
○ es lässt sich nicht sagen was älter ist Satzbau oder Dingbau
○ Denken beruht deshalb wesentlich darin, »das Wohnen im Sprechen der
Sprache zu lernen«
● Semper:
○ ein Jahrzehnt vor Gerber denkt Semper über Sprechen/Sprache in der
Baukunst nach
○ gemeinsame Wurzel der Begriffe >Wand< und >Gewand<
○ Theorie vom textilen Ursprung der Architektur
○ »Prinzip der Bekleidung«
○ Schmuck- und Schutzbedürfnis des Menschen gleichermaßen entsprungen
● Alberti rät: »Ja sogar, wenn einer nur des Schmuckes halber alles gemacht hat, so
soll er es dennoch so durchführen, daß man nicht leugnen kann, er habe es vor
allem der Nützlichkeit wegen gemacht.«

2. Vitruv und Alberti: Von der Ordnung der Säule zur Ordnung der Wand

● Loos: ein Architekt sei ein Maurermeister, der Latein gelernt hat
● drei Ziele der Architektur nach Vitruv:
○ »firmitas« (Festigkeit)
○ »utilitas« (Zweckmäßigkeit)
○ »venustas« (Anmut)
○ alle Architekturtheoretiker haben sich danach auf diese 3 Begriffe gestützt
○ bis heute ihre Gültigkeit
○ Beziehung dieser Begriffe untereinander = ges. Architekturtheorie dreht sich
darum
○ heute gebräuchlichen Begriffe (Bedeutungszusammenhang Vitruvs
verschwunden bzw. stark verflüchtigt):
■ Konstruktion,
■ Funktion
■ Form
● Ein Element gegenüber den anderen priorisiert:
○ Schlagworte wie Funktionalismus, Konstruktivismus, Formalismus
○ (18.Jhd.) Franziskanerpater Carlo Lodoli fokus auf den Zweckgedanken und
die Materialgerechtigkeit
○ (18.Jhd. zur gleichen Zeit)Jesuitenpater Marc-Antoine Laugier erklärt anhand
der Urhütte die konstruktive Grundidee des Skeletts von Säule, Gebälk und
Giebel zum generativen Prinzip aller architektonischen Schönheit
○ moderner Funktionalismus:
■ Standpunkt, konsequente Zweckerfüllung und/oder bedingungslose
Anwendung ​modernster Konstruktionsmethoden​ und Baumaterialien
■ würden von sich aus und gleichsam von selbst zur ​Lösung der Form-
Problems​ und zur richtigen Gestalt führen
■ Form nicht mehr eigenständig​, wird zu autom. oder magisch-zufälligen
Verhältnis
○ Theorie der ​Formlosigkeit:
■ zur Befreiung und Erlösung vom Zwang der architektonischen Form
■ auf die moderne Wissenschaft und ein kosmologisches Prinzip der
Emergenz, Komplexität und Selbstähnlichkeit beruft
● Um 1800 bereits Kritik an der Neutralisierung der venustas/Anmut
● Etienne-Louis Boullée Abhandlung Essai sur l´art:
○ künstlerische Aspekt der Architektur kam ihm vernachlässigt vor
○ Bildwirkung bzw. Wirkung auf menschliche Gemüt ist Gegenstand dieser
Abhandlung
○ Vermögen der arch. Form: Wirkung auf unser Gemüt und Anmutung
○ wahrnehmungs-ästhetische Interesse macht ihn zum Vorreiter einer
Psychologie der Architektur
○ Wissen um diese Gemütsveränderung, Wirkung, Stimmung unterscheidet für
Boullee einen Handwerker von einem Künstler
○ er fordert deshalb Architekten auf dies zu berücksichtigen als Experten der
Form, seine Kunst beherrschend, als Dirigent zu wirken um eine gezielte
Gefühlswelt und Vorstellung umzusetzen
● Wirkungsaspekt auf das Gemüt wurde von Vitruv noch nicht berücksichtigt
● erst in “eurythmia” (Wohlgereimtheit des Anblicks) und in optischen Täuschungen
● “symmetria” (Proportionsgesetz); »wenn den Gliedern am ganzen Bau und dem
Gesamtbau ein berechneter Teil (modulus) als gemeinsames Grundmaß zu Grunde
gelegt ist«
● wohlgeformter Mensch ist Beweis für Vitruv für das Walten eines Maßes in der Natur
● Beweis des Proportionsgesetz:
○ Vitruv miss Gesicht eines Menschen
○ Kinn, Nase, Stirn teilt Gesicht in je ein Drittel
○ Gesicht 1/10 des Körpers
○ Vorderarm ¼
○ Fuß ⅙ des Körpers
○ ect.
○ Mensch liegt mit ausgebreiteten Armen und Beinen am Boden und Nabel als
Mittelpunkt - Finger und Zehenspitzen im Kreis
○ Quadrat - Scheitel bis Sohle gleich der ausgebreiteten Arme
● Das Maß selbst ist aus Körper abgeleitet - Elle, Fuß
● Darstellung wird in der Renaissance zum humanistischen Emblem und mit Leonardo
da Vinci

● Proportionslehre, Perspektive und Säulenordnung beherrschendes Thema bleiben in


den folgenden Jahrhunderten
● 18.Jhd. stellt Vitruv in Frage
● Edmund Burke (engl. Philosoph 1757):
○ selten in dieser Position
○ Kreuz statt Quadrat
○ meisten Gebäude (auch von besten Architekten) rechteckig und nicht
quadratisch und ebenso gute oder bessere Wirkung
○ mathematische Ideen können daher nicht wahrer Maßstab der Kunst sein
○ Idee der Proportion nicht aus Natur abgeleitet, sondern in sie getragen
○ Absurd - Haus und Gliederung als Nachahmung des Menschen
○ Selbsttäuschung = Prinzip der Mimesis und Anthropomorphie (von Vitruv zur
herleitung der geschlechtsspezifischen Erklärung der Säulenordnung;
dorisch-männlich, ionisch-weiblich und korinthisch-jungfräulich
○ beweist für ihn nur die Verdorbenheit der Menschen und ihren »unglücklichen
Hang, sich selber, ihren Anblick, ihre Werke zum Maßstab der
Vollkommenheit aller möglichen Dinge zu machen«
● 19.Jhd. Einfühlungstheorie
○ diese Verdorbenheit als einen notwendigen psychischen Vorgang der
Übertragung innerer Anschauungsformen auf die äußere gegebene Realität
anerkennt
○ Kunsttätigkeit als Selbstobjektivierung des Menschen
○ psychologisch begründetes Produktionskonzept statt antiker Proportionslehre
● Pythagoras:
○ in den einfachen Zahlen göttliche Vernunft
○ Dreieck im Verhältnis 3:4:5; rechter Winkel, Summe der Quadrate über
kürzere Seite flächengleich mit der Summe über die längere
○ abendländisches Tonsystem mit ganzen Zahlenverhältnissen
■ Oktave 1:1
■ Quinte 2:3
■ Quarte 3:4
○ mathematischer Schönheit Beweis
○ 1800 Architektur ist eingefrorene Musik (gleiches Zahlen Prinzip)
● Vitruv:
○ wagt sich nicht an die musikalische Harmonie heran (zu philosophisch)
○ Architekt braucht ein Musikverständnis für Akustik
○ militärischer Nutzen - Geschoss folgt den Gesetzen der musikalischen
Harmonie
○ Geschoss nur gerade Bahn, wenn Spannsehenen des Bogens auf beiden
Seiten gleichen Ton von sich geben
● Frührenaissance antike Musik-Harmonie-Philosophie für Architekturtheorie
● Mittelalter: Gottes Schönheit in den harmonischen Verhältnissen von Musik und
Architektur spiegele
● Leon Battista Alberti (1404-1472):
○ humanistischer Gelehrter und entwerfender Architekt
○ Schrift: De re aedificatoria (1450, ersch. 1485) erstes Werk zur
Architekturtheorie; Fundament für moderne Architektur
○ Harmonie = in den Ohren angenehmer Zusammenklang
○ Von Musik muss man »das ganze Gesetz der Beziehung« ableiten
○ Zusammenklang = Zusammenhang für Alberti
○ Ruhm von Vitruv nur wegen einziger überlieferten lesbaren Schrift
○ Ruhm Alberti wegen intellektuellen Leistung, Antike und Neuzeit, Tradition
und Fortschritt dialektisch zu vereinen
○ Alberti erkennt Vitruv an, übt aber Kritik (unverständliche Sprache, Griechen
hielten ihn für Lateiner, Lateiner für Grieche)
○ 6 Grundelemente Albertis (von Vitruv auch abgeleitet):
■ »regio« (Gegend)
■ »area« (Baugelände)
■ »partitio« (Einteilung, Grundriß)
■ »paries« (Wand, Mauer)
■ »tectum« (Decke)
■ »apertio« (Öffnung)
○ Ort und die Verbindung dazu ist an oberster Stelle für Alberti, wird gerne
vergessen, sollte aber selbstverständlich sein
○ ersten 3 Begriffe als Anfang, geistige Operation, Raumidee
○ letzten 3 für die physische Umsetzung
○ Säule nur ein Teil der Wand für Alberti, Säulenreihe nur eine Mauer
○ Wand erschafft Gemeinschaft, ist Abschluss, verschränkt Privatheit und
Öffentlichkeit
○ Räume = kleine Stadt; Stadt = großes Haus
○ Säule als höchstes Schmuckelement (Pilaster, Halbsäulen auf der Wand als
gegliedertes Relief)
○ Haus soll zuerst nackt gedacht werden und dann bekleidet und geschmückt
werden
○ leitender Gedanke der Stadt; Schmuck soll der Straße dienen und die Straße
dem Schmuck des Hauses
○ Zinnen und Mauerspitzen nichts für friedliebenden Bürger der Stadt (Haus
spiegelt Bürger und seinen Nutzen der Gemeinschaft wieder)
○ Ordnung der Wand ist eine soziale Proportion (Stellung der Bewohner)
○ Praxis Albertis: Palazzo Rucellai - Fassade (halbes Jahrtausend seine
Gültigkeit)

Das Quaderwerk der Wand wird symbolisch durch eine Pfeiler- und
Gebälkarchitektur geöffnet, deren Pilaster als eine der Mauer gewährte
»Zulage« gemäß Albertis Theorie »eine Portikus Vortäuschen« sollen. Durch
das Relief und den Linienzusammenhang der in die Fassade hineinprojizieren
Pfeilerordnung schmückt
sich das raumbegrenzende
Element >Wand< mit dem
Element >Öffnung<. Dem
Auge wird ein räumlicher
Tiefenzusammenhang
suggeriert, der die Fassade
als Repräsentation des
Privaten und zugleich als
Bühne des öffentlichen
Lebens bezeichnet und
damit in eine raumaktive
Fläche verwandelt.
3. Der Vitruvianismus: Ein Regelwerk für Konvention und Innovation

Antonio Averlino (ca. 1400-1469) = Filarete


● legt sich selbst 2. Namen zu: Filarete (Tugendfreund)
● Angeregt durch Vitruvs Mensch-Architektur-Analogie verfasst er ein Architekturtraktat
1460 (als unterhaltsamer Roman)
● Dialogform, Planung und Bau der Stadt Sforzinda, Bauherr = Vater, Architekt =
Mutter (Entwurf wie eine Schwangerschaft austragen)
● ähnlich dazu: Francesco Colonna, Roman Hypnerotomachia Poliphili, 1499 Venedig,
illustriertes Buch, Traumwanderung
● Quadratnetz als Hilfsmittel zur Übertragung menschlicher Proportion auf Grundriss
empfohlen

Francesco di Giorgio Martini (1439-1501)


● nimmt Filarete beim Wort und zeichnet Mensch, arithmetische Proportion und
geometrische Schema in baubare Entwürfe ein
● körperliche Selbst-Nachahmung
● Kannelur der ionischen Säule (Vitrus aus Gewandfalten einer Frau) aus Anzahl
menschlicher Rippen
● Profil des menschlichen Kopfes auf Gebälk und Gesims projiziert
● menschliche Körper in Grundriss und Fassaden von Kirchen und ganzen Stadt mit
der Festung als Haupt eingezeichnet

Sebastiano Serlio (1475-1554)


● Verbreiter des Vitruvianismus
● illustrierten Lehr- und Musterbuch der Architektur, seit 1537 in einzelnen Büchern
veröffentlichten “Regole generali”
● 5 Säulenordnungen in ein leicht verständliches System
● auch im privaten Wohnbau
● Übertragung der Säulenordnungen auf Architektur der Wand bis hin zu Tür- und
Fensterrahmen und Kamineinfassungen
● denkt im modernen Rastersystem und entwirft Typologien von Wohnbauten für alle
Schichten

Jacopo Barozzi, genannt Il Vignola (1507-1573)


● Regola delli cinque ordini d’architettura 1652
● erstes architektonische Lehrbuch ohne Worte auf praktischen Nutzen bedacht
● bis 19. Jhd. meist gebrauchte Regelwerk
● Messungen an antiken Bauten
● von der Gesamthöhe als Modul ausgehend, von dem aus jedes Einzelmaß durch
Multiplikation mit einem für jedes Bauteil festgelegten Koeffizienten proportional
bestimmbar
● Festlegung auf 5 Säulen-Anordnungen, Verankert und unwandelbar

Vincenzo Scamozzi (1552-1616)


● Architettura universale von 1615
● starre Festlegung führte zu rationalistischen Architektur-Dogmatismus
● Architektur nur mathematisch wissenschaftlich gedacht ohne philosophischer
Begründung

Andrea Palladio (1508-1580)


● Quattro libri dell´ architettura 1570
● reflektiert sein Lebenswerk, künstlerische Bilanz, Wegweiser in die Zukunft
● Begeisterung für antike Ordnung (Vitruv) als Grundlage für Innovationen
● eigene Praxis dieser Zeit als Normenwerk (Kodifizierung) gesehen
● sieht sich als Schüler Vitruvs
● typisch: stark symmetrische Pläne
● Hierarchie der Bauteile von Mensch abgeleitet (schöne und häßliche Stellen; auf
Schönes zuerst den Blick, Hässliches wird versteckt)
● Markenzeichen: säulen geschmückte Giebel als sichtbares Hoheitszeichen an Villen
(Tempelmotiv Vitruvs im Wohnbau)
● fügte Abbildungen hinzu und auch Pläne in einem einheitlichen System
(Wiederaufbau, Pläne mit Maßangaben, Lichteinfall vereinheitlicht)
● volumetrische Kontrolle, Gesetzen von Zahl und Maß
● Darstellung nicht gleich den gebauten Werken
● will aus eigenen Werken eine Typologie ableiten
● Anstoß zum Palladianismus gegeben mit dem Werk
● kein 2. geschafft so zu prägen (klassizistische Architektur über mehrer Jahrhunderte
über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg)

17.Jhd.
● 1671 Colbert gründet Pariser Architekturakademie
● Desgodets fährt im Auftrag der Akademie 1674 nach Rom um Altertümer genau zu
vermessen

● anti-akademische Stimmen: Theatiner-Pater Guarino Guarini (1624-1683),


Mathematiker, Philosoph, später Architekt
● unvollendetes Architekturtraktat: Architettura civile
● Architektur als Wissenschaft - Rational aber dem Sinn schmeichelnd
● nicht unbedingt bindend: Regeln von Vitrus und Vignola
● Gotik hat auch Ordnung

»Querelle des anciens et des modernes«


● Fortschrittsdenken und ästhetische Normativität miteinander zu verbinden
● architekturtheoretische Diskussion wird ausgetragen von
○ Francois Blondel (1617-1686), Ingenieur und Mathematiker, 1672 von Colbert
zum Direktor der Architekturakademie berufen
○ Claude Perrault (1613-1688), Naturwissenschaftler, der sich der Architektur
zuwandte
● 1675 und 1683 veröffentlicht Blondel seinen “Cours d’architecture”
○ Proportionen auch in gotischen Bauwerken (weichen den klassischen
Prinzipien ab eigentlich)
○ Proportion Gebäude genauso unveränderbar wie von Mensch
-> Proportionslehre
● Blondel “Ordonnance des cinq espèces de colonnes selon la méthode des anciens”
1683
○ musikalische Proportionslehre als Vorbild für die Architektur grundsätzlich in
Frage stellt
○ konventionell gegliedert Säulen-Lehre
● Perrault:
○ Liste erstellen von Bauten des alten Rom und der bedeutendsten Architekten
der Renaissance
○ nachweisen, dass sich keiner an Vitruvs Proportionslehre gehalten hat
○ daher eine Proportion Regelwerk unsinn
○ in der Musik fällt dem Laien sofort ein Harmonie Bruch auf, in der Architektur
nicht einmal dem geübten Auge; fixes Regelwerk wie in der Musik also nicht
nötig
○ daher 2 Arten von Schönheit:
■ bon sense: unmittelbar überzeugend leicht wahrzunehmen, positive
Schönheit - Musik
■ bon gout: schwer wahrzunehmende, willkürliche (=arbiträre)Schönheit,
einer Sache zugesprochen, veränderbar, Innovation - Baukunst
○ Unterschied zwischen Auge und Ohr, damit Pythagoras Gleichung der
gegenseitigen Versicherung zw. Auge und Ohr (Mikro- und Makrokosmos)
brüchig
○ er lehnt Proportion-Begriff nicht ab, ist aber nicht mehr auf kosmologisches
Modell der Zahlen-Religion gestützt

4. Der Rationalismus des 18. Jahrhunderts: Ästhetische Theorie und


wissenschaftliche Vernunft

● Als Laie für Laien zu schreiben kommt in Mode -> Baukunst, Widersprüche einseitig
einfach aufzulösen
● Sébastian Le Clercs Traité d'architecture von 1714
○ Gesprächsstoff für breite Masse / Gesellschaft
○ Perraults Relativierung wird in totale Subjektivierung fortgetragen
○ für Le Clercs nur mehr arbiträre Schönheit für subjektiven Geschmack
● Abbe Jean-Louis de Cordemoy
○ Ablehnung der positiven Schönheit
○ Wegbereiter der modernen Bau-Religion der Funktionalismus
○ Nouveau traité de tonte l'architecture von 1706
○ Komfort (commodite) und Gebrauch (usage) bei positiver Schönheit nicht
vereinbar (Komfort muss gegenüber Nutzen aufgeben)
○ einzelne Räume mit ihrer Funktion stehen der Einheitlichkeit des Baukörpers
gegenüber
● Franziskanerpater Carlo Lodoli (1690-1761)
○ Mitschrift seiner Vorträge von Francesco Algarotti (1712-1764) und Andrea
Memmo (1729-1792) überliefert
○ stellte Vitruvs Prinzipien komplett in Frage
○ Architektur neues System
○ nimmt Credo der modernistischen Architektur-Avantgarden des 20. Jhd.
vorweg
○ Materialgerechtigkeit und Funktionalität bestimmen Entwurf
○ entwarf anatomisch angepassten Stuhl und will Flur Trapezförmig wie
Mensch auch nach unten verjüngen
● Jesuitenpater Marc-Antoine Laugier (1713-1769)
○ Essai sur l'architecture von 1753
○ Re-Objektivierung der Baukunst
○ Rousseauismus
○ von Cordemoy Vorliebe für freistehende, tragende Säule
○ Bestreben Architektur von Überflüssigem zu reinigen, Reduktion nur das
konstruktive Skelett
○ nur Säule, Gebälk und Giebel, am Liebsten Wand auch entfernt
○ Wesen,Notwendigkeit, Freiheit
○ Goethe in seiner “Baukunst” von 1772; verneint sein Prinzipien, Haus aus 4
Wänden an 4 Seiten, nicht 4 Säulen an 4 Ecken
■ Raumabschluss priorität vor konstruktives Gerüst, wie später Gottfried
Semper
○ Ideal Trennung von Stütze und Wand, Skelett und Füllung
○ platonisch-rousseauistischer Perspektive
○ ein Jhd. später hegelianisch-darwinistischer Warte
○ natur-technische Auffassung der Gotik
○ Laugier bewundert die zeitgenössische Kühnheit der Gotik
○ kritisiert aber die Formen in seinen “Observations” von 1765
○ Subjektivierung des Geschmacks aber rationale Formsprache
● Germain Boffrand (1667—1754) in Livre d'architecture (Paris 1745)
○ »caractère« (Wesen, Charakter)
○ Architektur “spricht” zu Betrachter, Wesen also seines Erbauers spiegeln
○ Vorlage für Revolutionsarchitektur (architecture parlante), Gebäude ein
bildhafter Ausdruck der Funktion
● Claude-Nicolas Ledoux (1736—1806)
○ L’architecture considérée sous le rapport de l’art, des moeurs et de la
législation (Paris 1804)
○ Veränderung der Ordnung und der Gesetze des gesellschaftlichen
Zusammenlebens ausgedrückt und bewerkstelligt in der Architektur
○ Architekt ein Erzieher und Führer (religiöse, moralische, politische Rolle)
○ wie später Expressionisten 1918, Bruno Taut, hohes priesterhaftes, göttliches
Amt
● Charles-Etienne Briseux (1660-1754)
○ Traité du beau essentiel (Paris 1752)
○ Wirkunger der Proportionen auf Mensch gleich
○ aber der Hintergrund (Wissen, Bezug zur Natur, physiologische Disposition)
des Menschen sei verschieden
● Jacques-François Blondel (1705-1774)
○ achtung nicht Francois Blondel, konkurrenz zu Perrault
○ Cours d’architecture
○ Paris zwischen 1771 und 1777 erschienen
○ sechs Text- und drei Tafel-Bänden
○ umfassendste und umfangreichste Architekturlehre des 18. Jahrhunderts
○ objektive Notwendigkeit der Proportionslehre verknüpft mit Charakterlehre
○ jede Bauaufgabe anderen Charakter-> Katalog mit Zuordnungen der
Charaktere zu Bautypen
○ Ornamentik an Ausdruck gebunden
○ typologischen und formalen charakterlichen Einheit ergeben wahren >Stil<
● Étienne-Louis Boullée
○ Traktat: Architecture - Essai sur l’art
○ Motto: Ed io anche son pittore (und ich bin auch Maler; von Correggio)
○ Charakterlehre der Malerei auf Baukunst übertragen
○ Modell zur Unterscheidung in Charaktertypen aus den 4 Jahreszeiten
○ Architektur ist eine 3-dimensionale Malerei mit Körper, Raum, Licht, Schatten
und bringt damit Stimmungen hervor und Bilder die auf den Betrachter wirken
○ Wirksamkeit durch klare Erfassbarkeit von einem Gegenstand
○ Idealentwurf: primären Körper, nackte Geometrie-Lehre und die
übersichtliche Anordnung der Baukörper
○ moderner Architekt schafft Bild der Schönheit
○ Vitruv: Architektur nur als Kunst zu bauen definiert; daher nur ein
beschränkter Handwerker, der Ursache und Wirkung verwechselt
● Perspektive:
○ Renaissance: konkrete Darstellungen, Zentralperspektive, viel Traktate zu
Perspektive
○ Barock: Bildwirkung der Architektur, Illusionen, Bühnenhafte
○ Ferdinando Galli Bibiena (1657-1743) führt in seiner Architettura civile (Parma
1711) perspektivische Operationen für »scena per angolo« (Über-Eck)
○ Johann Jacob Schübler führt 1720 in seiner Perspectiva pes picturac noch
schwindelerregenden Sturzflug Perspektiven im Inneren von Bauwerken
○ Piranesi düster-labyrinthische archäologische Fiktionen
○ Phantasiegebilde entstehen am Papier, weit weg von Vitruvsche Normen

Pianesi
● Francesco Milizia (1725-1798)
○ anonym veröffentlichten Principi di architettura civile von 1781 (auch auf
Deutsch 1784-1786 übersetzt)
○ »firmitas«, »utilitas«, »venustas« im Rückwärtsgang
○ Zuerst fällt Schönheit ins Augen, untersucht die Bequemlichkeit, und zuletzt
die Festigkeit
● Le Camus de Mézières
○ ein Jahr vor Milizia
○ Le génie de l'architecture on l’analogie de cet art avec nos sensations
○ funktional direkte Erscheinungsform
● Deutschsprachige Beiträge zur Architekturtheorie im 18.Jhd.
○ Baukunst als Teilgebiet der angewandten Mathematik
○ Nicolai Goldmann, Leonhard Christoph Sturm und Christian Wolff Baukunst
streng rationale Weise wissenschaftlich zu bestimmen
○ Mitte 18.Jhd. Schriften zu bürgerliche Baukunst gefragt (Johann Friedrich
Penther, Lorenz Johann Daniel Succov oder Franz Ludwig von Cancrin
○ Kritik durch junge Architekten Generation (Friedrich Gilly z.B.)
○ 1799 Eröffnung der Berliner Bauakademie
○ Goethe (1795, Baukunst); poetischer Teil hebt Bauen von Technik zu Kunst
○ Untersuchungen über den Charakter der Gebäude, 1785, anonym
■ Ausgang Kant: im menschlichen Bewußtsein Vorstellungen als
konstante Formen ausgebildet, lenken unsere Wahrnehmung, sonst
nicht auf Gemüt Auswirkungen

5. Das 19. Jahrhundert:

Die Umwertung der Architektur im Geiste wissenschaftlicher


Techniken und Prozeduren

● republikanische Gesellschaftsordnung ohne Bürgertum oder Arbeitsstände,


Industriezeitalter
● Architektur im Spannungsfeld von Kunst / Wissenschaft in Theorie / Praxis bis heute
● Suche nach eigenem modernen Stil der Zeit
● Darwins Evolutionstheorie (natürliche Selektion)
● Jahrhundert der Verwissenschaftlichung
● sogar psychophysische Wahrnehmung Gesetzmäßigkeiten auf theoretischer Ebene
erörtert
● Entwurfsprozess wird wissenschaftlich analysiert
○ Jean-Nicolas-Louis Durand (1760-1834), Schüler des Maler-Architekten
Boullée, 1794 Ingenieurausbildung am École Polytechnique Paris
○ Précis des leçons d’architecture 1802
○ Entwurf: Recueil et parallèle des édifices de tout genre, anciens et modernes
(Paris 1800), Architektur-Atlas, Umkehr des Prozesses um gültige
Vorgehensweise für Entwurf zu finden
○ Quadratraster als Ausgang
● moderne aufgeklärte nicht aus Laune heraus, sondern objektive formal logische
Regeln mit nachziehenden Konsequenzen
● Durand, Erfinder des Raster-Denkens, Verfechter des Funktionalismus, führte
Architektur theoretisch zu Standardisierung und Fertigbauweise (20.Jhd. wie
Automobilherstellung)
● Kritik an Durandsche Schachbrett-Logik durch Gottfried Semper schon 1834,
seelenlose, unlebendig wirkende Gebilde
● Karl Friedrich Schinkel (1781-1841)
○ Architektonischen Lehrbuch
○ Vereinigung von Kunst und Wissenschaft und von Poesie und Rationalität
(aus Kunstauffassung heraus, Kunstphilosophie des deutschen Idealismus)
○ Phantasie zu erregen und Vorstellungen hervorzurufen, die menschlichen
Geist ansprechen und verbessern sollen
○ Notwendige als das Schönen
○ Carl Boetticher (1806—1889), Tektonik der Hellenen von 1844, griechischen
Architektur als einem organischen Gebilde
○ die Form die Funktion sichtbar macht
○ Gottfried Semper Ausgangspunkt für Bekleidungstheorie

● Alois Hirt (1759-1837), Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (1809), Schönheit
auf Konstruktion und zweckmäßige Anordnung, Andere sahen Vorbild in der Antike
● Heinrich Hübsch (1795-1863), In welchem Style sollen wir bauen?, zwei Stile
gebe,horizontale und die bogenförmige Raumüberdeckung
● Gotik als die universelle Alternative zum Klassizismus zu etablieren
● Gotik zur theoretischen Geburtsstätte der modernen Architektur
● John Ruskin (1819-1900)
○ The Seven Lamps of Architecture von 1849
■ »Leuchtern«
■ »Aufopferung«
■ »Wahrheit«
■ »Kraft«
■ »Schönheit«
■ »Lebens«
■ »Erinnerung«
■ »Gehorsams«
○ akzeptiert keine aus der Vergangenheit abgeleiteten Gesetze, nur aus
menschlicher Natur und Gesetzmäßigkeit des Materials
○ muss über Notwendige hinaus gehen
○ Ehrlichkeit von Konstruktion, Material und handwerklicher Fertigung
○ Todsünde für Ruskin: Bemalungen um andere Materialität darzustellen;
gegossener oder maschinengefertigter Metallform, die handwerkliche
Fertigung nachahmt, Pilaster (vom Sachverhalt abweichend)
○ Kapitel »The Nature of Gothic« aus The Stones of Venice (1851-1853),
universalen Gotik (»Gothicness«)
● Eugene-Emmanuel Viollet-le-Duc (1S14-1879)
○ Restauriert gotischer Bauwerke
○ zehn Bände umfassendes Dictionnaire raisonné de l’architecture française du
XI au XVI siècle (Paris 1854-1868)
○ Gotik als das »wahre Prinzip« , Maßstab und Norm dar
○ und erhebt damit gleichen objektiven Anspruch wie der Klassizismus
○ zweibändigen Entretiens sur l’architecture (Paris 1863-1872)
■ Gotik als vernunft gemäßen Stil in neue Materialien und
Konstruktionsmethoden zu überführen
○ begeisterung für Maschinen, Inspiration in Schiffen und Lokomotiven
● International Style
○ Synthese von Gotizismus und Klassizismus
● Positivismus Vertreter Ruskin und le-Duc

● 1887, Stuttgarter Architekt Adolf Göller die Fragen: »Was ist Wahrheit in der
Architektur?« und »Worauf beruht die Wirkung des edlen Materials in Architektur und
Kunstgewerbe?«
○ Echtheit vom Material auch als perfekte dauerhafte Täuschung zulässig, alles
nur für die sinnliche Wahrnehmung
● Goethe-Satz: »Kunst muß nicht wahr sein, sondern einen Schein des Wahren
erzeugen.«
● »als den guten Willen zum Scheine« Nietzsche
● Gottfried Semper (1803-1879)
○ “Stoffwechsel”
○ symbolische Kleid, dem statischen Kern übergezogene Raumhülle
○ zwei bände, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder
praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde
(1860 und 1863)
○ Freund Richard Wagner
○ Einheit von Kunst und Leben, das Gesamtkunstwerk
○ Die vier Kategorien der Rohstoffe sind:
■ biegsam, zäh, dem Zerreissen in hohem Grade widerstehend, von
großer absoluter Festigkeit;
■ weich, bildsam (plastisch), erhärtungsfähig, mannigfaltiger Formierung
und Gestaltung sich leicht fügend und die gegebene Form in
erhärtetem Zustande unveränderlich behalten;
■ stabförmig, elastisch, von vornehmlich relativer, d. h. der senkrecht
auf die Länge wirkenden Kraft widerstehender, Festigkeit;
■ fest, von (lichtem Aggregatzustände, dem Zerdrücken und Zerknicken
widerstehend, geeignet, sich bearbeiten und zu festen Systemen
zusammenfügen zu lassen
○ Gesetz des geringsten Widerstandes
○ Ur-Bedürfnisses nach Schutz und Schmuck
○ Sprach-Wurzel der Wörter >Wand< und >Gewand<, gemeinsame Begriffe
wie >Decke< oder >Band<, als Beweis, Architektursprache durchzogen von
Textil-Metaphern
○ Anstoß: farbigen Bemalung der antiken Tempel und Statuen, technischen
Schutz der Oberflächen (Verlängerung Haltbarkeit) und Augenlust
○ Emanzipation der Oberfläche von der tragenden Struktur
○ Emanzipation der Form vom Stoff - Stoffwechsel

6. Raumästhetik: Von der Daseinsform zur Wirkungsform

August Schmarsow (1853-1936)


● architektonische Raum als Wahrnehmungs- und Vorstellungsform
● Das Wesen der architektonischen Schöpfung (Leipzig 1894)
● gegen idealistische und materialistische Denkweise
● Camillo Sitte Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen von 1889,
Geschlossenheit ist für Sitte die wesentliche Voraussetzung des Platzraumes
● Kants Kritik der Urteilskraft, Eigenschaften von einem Gegenstande nur von uns
selbst zugesprochene
● Symmetrie, Proportionalität und Rhythmus; Formale Schönheit
● technischen Mitteln diese wahrnehmbare Gestalt erzeugt, zweitrangig
● Machtspruch der Einbildungskraft richtet Wände auf, Kinder im Sand spielend, eine
Line schon Grenze

● Londoner Glaspalastes von 1851 spricht Lucae bereits 1869 von der Auflösung des
Baukörpers zu einer »wesenlosen Schranke«, fehlende Raumabschluss keinen Halt
für Auge

7. Die Schönheit der Wahrheit: Das Kunstversprechen der Konstruktion

verbindet unterschiedliche Baukünstler wie Hendrik P. Berlage, Otto Wagner, Auguste


Perret, Henry van de Velde und Peter Behrens, die als Väter der Moderne

»Ein logisches Denken muß uns daher zur Überzeugung führen, dass der Satz:
“Jede Bauform ist aus der Konstruktion entstanden und sukzessive zur Kunstform
geworden.” unerschütterlich ist. Dieser Grundsatz hält allen Analysen Stand und erklärt uns
jede Kunstform.« Otto Wagner

Kunst von der Übermacht der Geschichte zu befreien, nicht aber die Geschichte aus der
Kunst zu vertreiben, Perret und Behrens

Peter Behrens (1868-1940)


● Kunst und Technik 1910
● »Erfüllung psychischer, das heißt ins Geistige übersetzter Zwecke« = Kunst
● Technik als Kunst aufzufassen, bedeutet, sie als Selbstzweck aufzufassen.
● Bedeutung und Wert gewinnt Technik erst, wenn sie »als vornehmstes Mittel zu einer
Kultur« anerkannt wird
● Behrenssche moderne Industrieklassizismus

Geoffrey Scott (1884-1929),


● The Architecture of Humanism, 1914
● 4 Trugschlüsse der Vergangen Architekturtheorie:
○ »romantische« Trugschluss (Kunst durch Natur ersetzt
○ »mechanische« Trugschluss, materialistische Auffassung, Architektur als
Ergebnis mechanischer Gesetze und Form als sichtbare Konstruktion
○ »ethische« Trugschluss, politische Moralvorstellungen auf Architekturstile
projizieren
○ »biologische« Trugschluss, biologische Entwicklung auf Architektur
übertragen
● Architektur nicht für sich studiert worden, andere Gebiete der Kunst eigentlich
● vier Elementen
○ Masse
○ Raum
○ Linie (den Elementen, die den körperlichen Genuss betreffen)
○ Zusammenhang (dem Element, das den geistigen Genuß betrifft)
● Wahrnehmungsrealität, Architektur aus Kombi der 4

8. Architektur-Theophanie:
Architekturtheorie als frohe Botschaft vom Fortschritt

Expressionismus
Kristalline, Biomorphe und Organische soll das Neue Bauen bestimmen
Bruno Taut:
● Sturm auf die alten Baustile wurde zum städtebaulichen Programm
● grüne Satelliten mit offener Zeilenbebauung übers Land
● Paradiesgarten auf Erden

avantgardistische Unternehmung in Theorie und Praxis, Gesellschaft mit möglichst guten


Nachrichten zu heilen

Mies van der Rohe


● 1924, Industrialisierung des Bauwesens als Segen
● Manifest Bauen von 1923
○ Gestaltet die Form aus dem Wesen der Aufgabe mit den Mitteln unserer Zeit
● Kunsttheorie spricht abschätzig als »ästhetischem Spekulantentum«

Rudolf Arnheim
● Dynamik der architektonischen Form 1977
● Furcht des modernen Architekten vor der Architektur
● macht bewusst einen Bogen um die Theorie der Architektur und formuliert
stattdessen lieber Manifeste als Glaubensbekenntnis zur neuen Zeit
1919 Schere zw. Theorie und Praxis weit offen

Le Corbusier: neue Vorstellung von der Organisation des Körpers und des Raumes und der
Bedeutung der Zwecke und Materialien einher, die in Theorie und Praxis nicht zwangsläufig
auf funktionale, technische oder soziale Aspekte eindimensional reduziert werden muss

Mies van der Rohe Ende der 20er auch überzeugt, Barcelona Pavillon

Maschinenästhetik und Lichthygiene zur verbindlichen Norm geworden

9. Nach der modernistischen Moderne:


Auf der Suche nach der verlorenen Sprache und
Theorie der Architektur
Bauwirtschaftsfunktionalismus der Nachkriegszeit

geschichtlicher Kunstform und dem Ornament gereinigte, freistehende Box im


Grünen zum Inbegriff des westlich geprägten modernistischen Bauens, das sich
als »International Style« oder >Bauhaus-Stil<

Kritiker:
● Philip Johnson, Die sieben Krücken der modernen Architektur, 1954
● Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, 1959
● Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte von 1948

Zusammenbruch des 1928 gegründeten CIAM (Congres Internationaux d’Architecture


Moderne) im Jahr 1959
arbeitsteiligen Stadtplanung-Mentalität der Charta von Athen (1933)

Aldo Rossis (1931-1997)


● L’architettura della città,1966
● Wiederbelebung Theorie der Permanenz der architektonischen Form und der Begriff
der Typologie
● Wiederbelebung alter Architekturtheoretiker (wie etwa Durand, Milizia oder
Quatremere de Quincy) und Namen von Psychologen, Soziologen und
Anthropologen
● Wesen der Architektur: Beziehung zw. Einmaligkeit einer Gestalt und Vielfalt ihrer
Funktionen
● Form aus Eigenschaft des Bauwerks
● Stadt als einen kontinuierlichen Bauvorgang
● Rückkehr zur »Stadt in der Stadt«
Robert Venturi
● zeitgleich zu Rossi
● Traktat Complexity and Contradiction
● Schüler von Louis Kahn
● Mehrdeutigkeit und Mehrschichtigkeit als Kontrastprogramm zum orthodoxen
Funktionalismus
● Vorwurf an moderne Architekten, würden ständig versuchen, Architektur mit anderen
Disziplinen zu verknüpfen, und dabei um die Architektur herumreden
● Learning from Las Vegas 1972
○ grundsätzliche Trennung von Zeichen und Behältnis, von Form und Funktion
○ »decorated shed«
○ intelligenter Medien wie Leuchtreklamen oder elektronischer Bildträger

Dekonstruktivismus, 1986 unter Chamäleons Philip Johnson

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