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Bakkalaureatsstudium Gesundheits- und Pflegewissenschaft

Medizinische Universität Graz

Stephanie Mayer

Matrikel Nummer: 0533952

Sturzprävention bei

älteren Menschen

Bakkalaureatsarbeit

Unter der Betreuung von

Maga . Ulrike Kainz

Hatzendorf 153

8361 Hatzendorf

Im Rahmen der Lehrveranstaltung Public-Health, SS 05/06

Graz, Winter 2008/09

1
EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und
ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht
verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich
entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Weiter erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner
anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe.

Graz, am 15.Jänner.2009

Stephanie Mayer

2
Inhaltsverzeichnis
1.) Einleitung .....................................................................................................................4
2.) Methode.......................................................................................................................4
3.) Definition......................................................................................................................5
4.) Epidemiologie und Sturzfolgen ....................................................................................5
4.1.) Kosten ........................................................................................................................7
5.) Lokomotion und Gang..................................................................................................7
5.1.) Intraindividuelle Gangunterschiede ............................................................................7
5.2.) Interindividuelle Gangunterschiede .............................................................................8
5.3.) Der physiologische Gang ............................................................................................8
5.4.) Gehgeschwindigkeit ....................................................................................................9
6.) Sturzrisikofaktoren .......................................................................................................9
6.1.) Eingeschränkte Balancefähigkeit und lokomotorische Defizite ..................................10
6.2.) Extrinsische Sturzrisikofaktoren ................................................................................10
7.) Besondere Sturzfolgerisiken ......................................................................................12
7.1.) Pathologische Veränderungen der Knochenstruktur ................................................12
7.2.) Blutgerinnungsstörungen ..........................................................................................13
8.) Praxis der Sturzprävention .........................................................................................13
8.1.) Sturzrisiken erfassen ................................................................................................13
8.2.) Ressourcen analysieren ...........................................................................................14
8.3.) Sturzrisikofaktoren durch Einzelinterventionen modifizieren......................................15
8.4.) Ziele formulieren .......................................................................................................16
8.5.) Evaluieren.................................................................................................................17
9.) Sturzprävention in den Pflegealltag integrieren ..........................................................18
9.1.) Patientenbeteiligung .................................................................................................18
9.2.) Mitarbeiterbeteiligung................................................................................................19
9.3.) Miteinbeziehen anderer Gesundheitsdienstleister .....................................................19
10.) Pflegerische sturzpräventive Maßnahmen .................................................................20
10.1.) Lokomotorische Kompetenz trainieren ....................................................................20
10.2.) Extrinsische Risikofaktoren ausschalten .................................................................22
10.3.) Geeignete Hilfsmittel verwenden.............................................................................23
11.) Spezielle Sturzvarianten ............................................................................................26
11.1.) Sturz aus dem Bett .................................................................................................27
11.2.) Sturz auf der Treppe ...............................................................................................28
12.) Diskussion – Ausblick ................................................................................................29
13.) Literaturverzeichnis ....................................................................................................31
3
1.) Einleitung

Stürze gehören zum alltäglichen Dasein. Jeder Mensch in jedem Alter erlebt Stürze.
Jedoch stürzen ältere Menschen, Kleinkinder und Kinder häufiger als Menschen in
anderen Lebensphasen. Kleinkinder und Kinder stürzen deshalb häufiger, weil sie
ihre eigenen lokomotorischen Kompetenzen überschätzen, während Sie versuchen
älteren Kindern und Erwachsenen nachzueifern. Ältere Menschen stürzen aus
anderen Gründen häufiger. Ihre lokomotorischen Fähigkeiten verringern sich mit dem
Alter. Wenn ein Kleinkind oder Kind stürzt hat das allerdings ganz andere Folgen als
wenn ein älterer Mensch stürzt. Stürze von Kindern führen nur sehr selten zu
schweren Verletzungen. Die meisten Stürze bleiben überhaupt ganz ohne Folgen
und wenn sich ein Kind tatsächlich einmal verletzt, handelt es sich meist um
Hautabschürfungen oder kleine Hämatome. Kinder stürzen außerdem meist in die
Bewegungsrichtung, d.h. nach vorne. Bei älteren Menschen schaut das anders aus,
sie stürzen häufiger zur Seite oder nach hinten, was dann nicht selten zu einer
Schenkelhalsfraktur führt. Neben diesen körperlichen Folgen nach einem Sturz,
treten bei alten Menschen dann häufig auch psychische Folgen auf. Sie haben Angst
vor einem erneuten Sturz und schränken sich daher selbst ein. 1

2.) Methode

Um mir einen ersten Überblick über mein Thema zu verschaffen, habe ich zuerst im
Internet nach passender Literatur gesucht und die Bibliothekskataloge der
Medizinischen Universität durchsucht. Nachdem ich mich in die Thematik eingelesen
hatte, habe ich meine Arbeit gegliedert und festgelegt, welche Punkte ich in meiner
Arbeit vertreten haben möchte. Schlussendlich habe ich für die Erstellung meiner
Arbeit Quellen aus dem Internet sowie Bücher verwendet.

1
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.5
4
3.) Definition

In meiner Literaturrecherche habe ich viele verschiedene Definitionen zum Thema


Sturz gefunden.

„Unbeabsichtigt auf dem Boden einer tiefer gelegenen Ebene zum Liegen oder
Sitzen kommen. Dabei werden auch Stürze mit Bewusstseinsverlust oder
fraglichen Bewusstseinsverlust berücksichtigt.“ 2

Sehr kurz und prägnant fand ich folgende Definition:

„Sturz: Ein unbeabsichtigtes Ereignis mit der Folge, dass eine Person auf dem
Boden oder einem anderen niedrigen Niveau zu liegen kommt “ 3

Am treffendsten fand ich allerdings folgende Definition, da sie meiner Meinung nach
alles Wichtige miteinschließt und keine Unklarheiten offen lässt.

„Ein Sturz ist ein plötzliches, nicht willentlich beeinflussbares Gelangen auf
den Boden oder eine andere, im Vergleich zur Ausgangslage deutlich tiefer
gelegene Ebene. Ausgeschlossen sind hierbei Stürze, die durch Kollision mit
Fahrzeugen entstehen; nicht ausgeschlossen sind Stürze infolge Herzinfarkt,
4
Schlaganfälle und jede Form plötzlichen Bewusstseinsverlust“

4.) Epidemiologie und Sturzfolgen

Wenn man sich die Zahlen ansieht, wie häufig Stürze im höheren Alter passieren,
begreift man die Bedeutung dieses Themas für die Pflege und andere Fachbereiche.
Bei etwa einem Drittel der über 65- jährigen, muss man mit mindestens einem Sturz
im Jahr rechnen. Bei den über 80- jährigen liegt die Sturzrate noch höher, hier muss
man bei über 50% der Menschen mit mindestens einem Sturz im Jahr rechnen. 5
Bei Bewohnern eines Alten- oder Pflegewohnheimes ereignen sich etwa 1400 Stürze
pro Jahr, pro tausend Bewohner. Das heißt, einzelne Bewohner stürzen öfter als
einmal. Bei Patienten die in einem Krankenhaus oder einer Rehabilitationsklinik

2
Vgl. Becker et al (2003), S.4
3
Vgl. Habermann/Wittmershaus (2005), S.303
4
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.6
5
Vgl. Runge/ Rehfeld (1995), S. 268 f.
5
untergebracht sind, ereignen sich Stürze noch häufiger. Hier liegt die Zahl bei 1600
Stürzen pro Jahr, pro tausend Bewohner.6

Zusammenfassend lässt sich zur Epidemiologie sagen, dass Stürze bei steigendem
Alter häufiger vorkommen, die Folgen für den Patienten schwerwiegender sind, dass
Frauen in etwa doppelt so häufig stürzen wie Männer und dass Menschen in
Institutionen häufiger stürzen als in den eignen vier Wänden.

Mit zunehmendem Alter nimmt nicht nur die Sturzhäufigkeit zu, sondern auch die
Sturzfolgen. Die Mehrzahl der Stürze bleibt auch bei älteren Personen ohne Folgen,
aber immerhin müssen nach einem Sturz etwa 10% bei den über 65- jährigen einen
Arzt konsultieren. Von diesen 10% müssen zirka 2,5% in ein Krankenhaus
eingewiesen werden. In Österreich stürzen mehr als 71 000 Senioren pro Jahr so
schwer, dass sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Die häufigste
Folge eines schwerwiegenden Sturzes, ist eine Schenkelhalsfraktur. In Österreich
werden jährlich rund 15 000 Oberschenkelhalsbrüche diagnostiziert. Bei den über
70- jährigen ist die Inzidenzrate nicht mehr linear, sondern exponentiell. Es gab zwar
in den letzten Jahren große Fortschritte bei der operativen Frakturversorgung, aber
trotzdem sterben in Deutschland ca. 11% der Patienten vor, während oder kurz nach
der Operation. Etwa jeder vierte Patient der operiert wurde, stirbt dann innerhalb
eines Jahres. Neben diesen schweren körperlichen Folgen, gibt es auch sehr
dramatische psychosoziale Folgen, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Nach einem
Sturz entwickeln die meisten Betroffenen große Angst vor erneuten Stürzen. Wegen
dieser Angst, oder schon fast Phobie, schränken sich die Personen selbst sehr ein.
Aufgrund dieser Einschränkungen verringern sich die lokomotorischen Fähigkeiten
und die Gefahr erneut zu stürzen nimmt zu. Der Betroffene befindet sich in einem
Teufelskries, welcher schlimmstenfalls bis zur Immobilität und totaler Bettlägerigkeit
führen kann. Außerdem verliert der Patient seine Autonomie, vereinsamt sozial und
das kann wiederum zu Depressionen und dem erlöschen des Lebenswillens führen.
Als sollte man sich merken, dass jede nicht unbedingt erforderliche
Immobilisierungsmaßnahme unbedingt zu unterlassen ist, da sich das nicht als
Sturzprävention eignet.7

6
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.7
7
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.8
6
4.1.) Kosten

Durch einen Sturz werden sehr hohe Kosten verursacht. So kostet die Operation
einer Oberschenkelhalsfraktur etwa 5000 Euro. Aber mit der Operation allein ist es
nicht getan, es folgen noch Kosten für die Rehabilitation, welche bei nochmals etwa
5000 Euro liegen, teilweise aber sogar noch mehr. In Deutschland werden pro Jahr
etwa 500 Millionen Euro im Jahr dafür verwendet Stürze von Heimbewohnern zu
behandeln. Bei anderen Frakturen sind die Operationskosten niedriger, die
Rehabilitationskosten sind allerdings vergleichbar.8

5.) Lokomotion und Gang

Die im Alltag wichtigste Art der Fortbewegung ist das Gehen. Wir können zwar auch
laufen oder springen aber im Alltag benötigen wir diese Arten der Fortbewegung
nicht. Da die meisten Stürze im Gehen passieren, muss bei der Sturzprävention
hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt werden.

5.1.) Intraindividuelle Gangunterschiede

Mit intraindividuellen Einflüssen auf unseren Gang ist sowohl die psychische als auch
die physische Verfassung der Person gemeint, wie zum Beispiel eine depressive
Stimmung oder Freude oder Entschlossenheit. All diese Stimmungen haben Einfluss
darauf, wie wir uns fortbewegen. Durch diese nonverbale Art und Weise wie wir
gehen, können andere Personen auf unsere Stimmung zurückschließen. Sogar
erotische Signale werden über unser Gangbild übermittelt, man siehe sich nur den
Hüftschwung von Elvis Presley an. Ein anderes Beispiel wäre auch die Tatsache,
dass viele Frauen Schuhe mit hohen Absätzen tragen, was sie sicher nicht wegen
der Bequemlichkeit dieser Schuhe tun.9

8
Vgl. Becker et al (2003), S.9
9
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.20
7
5.2.) Interindividuelle Gangunterschiede

Mit interindividuellen Gangunterschieden sind Einflüsse wie Lebensalter und


Geschlecht auf unser Gangbild gemeint. So gehen Frauen etwas langsamer als
Männer und die Gehgeschwindigkeit verringert sich im Alter. Ein Faktor dafür wie wir
gehen ist auch der Untergrund auf dem wir uns fortbewegen. Auf glattem, rutschigen
Untergrund gehen wir vorsichtiger, vorausschauender und langsamer als zum
Beispiel auf Asphalt.10

5.3.) Der physiologische Gang

Wenn wir gehen unterscheiden wir eine Standphase und eine Schwungphase. Die
Standphase beginnt sobald wir das schwingende Bein am Boden absetzen. Die
Schwungphase beginnt, sobald wir das andere Bein vom Boden abheben.
Ein kompletter Gangzyklus umfasst den Bewegungsablauf vom aufsetzen des eines
Fußes bis zum nochmaligen aufsetzen desselben Fußes. Während wir gehen
bewegen sich auch unsere Arme.

Während der Schwungphase des einen Beines, macht der Arm von der
gegenüberliegenden Seite eine Parallelbewegung. Das Ausmaß der Armbewegung
hängt davon ab, wie schnell wir gehen. Durch diese Punkte
ergeben sich ein paar Voraussetzungen die erfüllt sein müssen damit wir überhaupt
gehen können. So müssen beide Beine während der jeweiligen Standbeinphase das
Gesamtkörpergewicht tragen können und das Gleichgewicht muss aufrecht erhalten
werden können. Außerdem müssen die Muskelkraft und die Gelenkbeweglichkeit so
groß sein, dass die notwendigen Bewegungen ausgeführt werden können. Wenn
diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden können, ist ein eigenständiges Gehen
allenfalls mit geeigneten Gehhilfen möglich.11

10
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.21
11
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.22
8
5.4.) Gehgeschwindigkeit

Die Gehgeschwindigkeit kann sehr einfach gemessen werden, die Formel lautet
Schrittgeschwindigkeit = Schrittfrequenz × Schrittlänge.

Wenn wir unsere Schrittgeschwindigkeit selbst wählen können, gehen wir


automatisch in einem für uns angenehmen Tempo. Werden wir aus irgendwelchen
Gründen gezwungen in einer anderen Geschwindigkeit zu gehen, empfinden wir das
als unangenehm und störend (z.B. wenn man beim Stadtbummel das Tempo der
Begleitperson anpassen muss). Wenn wir unsere Gehgeschwindigkeit selbst wählen
können, zeichnet sich das durch ein Höchstmaß an Energieeffizienz aus.

Die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit liegt in deutschen Städten bei 1,44 Meter


pro Sekunde. Das entspricht 5,16 Kilometer pro Stunde. Im Alter verlangsamt sich
die Gehgeschwindigkeit, da die Schrittlänge sich verkürzt. Ab dem 63. Lebensjahr
verringert sich die Gehgeschwindigkeit um etwa 1,6% pro Jahr.12

6.) Sturzrisikofaktoren

Das Risiko zu stürzen, hängt in den seltensten Fällen von einem einzigen Faktor ab.
Im Normalfall passiert ein Sturz aufgrund mehrerer körperlicher Einzeldefizite
und/oder aufgrund lokomotorischer Defizite. Wenn solche Defizite nicht mehr
ausgeglichen werden können, kommt es zum Sturz.

Da ein Sturz meist aufgrund mehrer zusammenspielender Faktoren geschieht, ist es


schwierig, Risikofaktoren zu identifizieren. Die Sturzrisikofaktoren werden in
intrinsische, extrinsische und iatrogene (durch ärztliche Therapie bedingt) Faktoren
eingeteilt. Extrinsische Faktoren werden als Sturzauslöser benannt, intrinsische
Faktoren sind aber die eigentliche Sturzursache.13

12
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.23
13
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.25
9
6.1.) Eingeschränkte Balancefähigkeit und lokomotorische Defizite

Wenn ein Mensch stürzt, hat das letztendlich einen Grund: das Verlieren der
Balance. Wenn man geht, muss man den Schwerpunkt so verlagern, dass man die
Bewegung durchführen kann. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn genügend
Muskelkraft vorhanden ist und die Gelenke frei beweglich sind. Wenn das nun aber
nicht störungsfrei möglich ist, besteht ein erhöhtes Sturzrisiko. Mehr als 80% der
Stürze sind auf den Verlust dieser lokomotorischen Fähigkeiten zurückzuführen.14

Minderung der Muskelkraft: Eine verminderte Muskelkraft, speziell in den unteren


Extremitäten erhöht das Sturzrisiko sehr. Durch gezieltes Krafttraining, durch
Bewegungsaktivität und auch durch ausgewogene Ernährung lässt sich die
Muskelleistung positiv beeinflussen. Aus diesem Grund sollten
Immobilisierungsmaßnahmen unbedingt vermieden werden, weil dadurch der
Muskelabbau noch zusätzlich begünstigt wird.15

Eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit: Es gibt zahlreiche Gelenkerkrankungen


welche die Gelenkbeweglichkeit einschränken oder sogar zu einer völligen
Versteifung des Gelenks führen wie zum Beispiel Arthritis, Arthrose, chronische
Polyarthritis, rheumatische Erkrankungen und Gicht. Diese eingeschränkte
Gelenkbeweglichkeit kann die Fähigkeit, die Balance zu halten und auch
lokomotorische Fähigkeiten vermindern und somit die Gefahr einen Sturz zu erleiden
erhöhen. Wenn eine solche Erkrankung vorliegt, ist es in manchen Fällen sinnvoll
Schmerzmittel zu verabreichen und Kältekompressen anzuwenden. Bei bettlägerigen
Patienten sind diese Maßnahmen allerdings kontraproduktiv.16

6.2.) Extrinsische Sturzrisikofaktoren

Im Sturzrisikoassessment müssen die extrinsischen Sturzursachen unbedingt erfasst


werden da solche Faktoren sehr häufig zu Stürzen führen. Im Folgenden möchte ich
einige bedeutende äußere Sturzursachen kurz erklären:

14
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.28
15
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.29
16
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.30
10
Schuhwerk: Oft werden zu Hause nur Schlappen getragen, die keinen optimalen
Halt bieten und auch oft nicht die richtige Schuhgröße haben. Auch zu stark
bremsende Sohlen, hohe Absätze oder Schuhe mit schlechtem Bodenkontakt
fördern das Risiko, einen Sturz zu erleiden. Risikomindernd wirken bequeme, feste
Schuhe mit Ledersohlen und ohne hohe Absätze.17

Bodenbelag: Ein rutschender Teppich oder Läufer, ein rutschiger Fußboden (häufig
in Badezimmern) oder wenn ein Fußbodenbelag in schlechtem Zustand ist, führt
ebenfalls häufig zu Stürzen. Wenn der Boden nass ist nach der Reinigung, sollte ein
Schild aufgestellt werden, damit keine Stürze passieren. Außerdem sollten keine
Kabel frei herumliegen (zum Beispiel ein Telefonkabel, dass quer über den
Fußboden liegt).18

Visuseinschränkung/ Beleuchtung: Im Alter erleiden die meisten Menschen


Erkrankungen der Augen, wie zum Beispiel grüner Star, grauer Star oder Altersstar.
Außerdem nimmt im Alter die Anpassungsfähigkeit des Auges auf unterschiedliche
Lichtverhältnisse ab (hell- dunkel). Oft wird das Sehen unscharf und die
Kontrastwahrnehmung nimmt ab. All dem sollte entgegengewirkt werden mit
regelmäßigen Augenarztbesuchen und der Behandlung des jeweiligen Problems
bzw. wenn man das Problem kennt, sollte man sich in Situationen in denen das
Risiko einen Sturz zu erleiden erhöht ist, vorsichtiger verhalten.19

Weitere Probleme die das Sehen und die Beleuchtung betreffen sind, dass die Brille
verschmutzt oder nicht richtig angepasst ist oder sie sich an einem ungünstigen
Aufbewahrungsort befindet. Zu kleine, ungünstig positionierte Lichtschalter mit
schwieriger Mechanik stellen häufig ein Problem dar, oder dass das Licht zu dunkel
oder zu blendend ist. Risikomindernd wirkt eine saubere, optimal angepasste Brille
und Lichtschalter groß genug und an strategisch günstigen zu Orten positionieren
wie zum Beispiel beim Bett, bei der Treppe, im Bad und in der Toilette.20

Stühle, Sitzgelegenheiten und Tische: Das Sturzrisiko erhöht sich, wenn die
Sitzhöhe des Stuhles zu niedrig oder nicht rutschfest ist, wenn keine Lehne
vorhanden ist, die Positionierung des Stuhles den Weg behindert oder nicht stabil

17
Vgl. Runge/ Rehfeld (1995), S.276 f.
18
Vgl. Habermann/ Wittmershaus (2005),S. 307
19
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.39
20
Vgl. Runge/ Rehfeld (1995), S. 276, f.
11
genug ist. Man kann diesen Risikofaktoren entgegenwirken, indem man Stühle mit
festen Armlehnen und einer günstigen Sitzhöhe zum Aufstehen besorgt.

Tische sollten standfest sein und genügend Stabilität besitzen um sich daran
festzuhalten.21

Toilette und Badezimmer: Häufig liegt hier am Fußboden eine rutschige Matte, die
räumlichen Verhältnisse sind zu eng und kleine Möbelstücke werden als
Haltemöglichkeit missbraucht und der Toilettensitz ist zu niedrig angebracht.
Außerdem ist es sehr gefährlich wenn der Duschwannenrand zu hoch ist, die
Duschwanne rutschig ist und ein Abstellmöglichkeit für die Seife fehlt. Es ist überaus
wichtig all diesen Gefahrenquellen entgegenzuwirken, mit Griffen an Dusche und
Toilette, Duschhocker, niedrige oder keine Duschwanne, Toilettensitzerhöhung,
usw.22

7.) Besondere Sturzfolgerisiken

Mit geeigneten Assessmentinstrumenten lassen sich Personen herausfiltern, die


einem höheren Sturzrisiko ausgesetzt sind als andere. Aber abgesehen von der
Ausprägung dieses individuellen Sturzrisikos gibt es Personen die von vornhinein
höheren Sturzrisikofolgen unterliegen. Insbesondere betrifft das Personen die an
Osteoporose oder an anderen pathologischen Veränderungen der Knochenstruktur
leiden und auch Personen mit Blutgerinnungsstörungen haben ein erhöhtes Risiko
zu stürzen.23

7.1.) Pathologische Veränderungen der Knochenstruktur

Eine Veränderung an der Knochenstruktur kann zu einer erhöhten Frakturanfälligkeit


führen. Auch ohne die Einwirkung eines Traumas, kann eine Spontanfraktur
auftreten. Veränderungen der Knochenstruktur können durch Zysten, Tumoren oder
Tumormetastasen herbeigeführt werden, aber auch durch Osteoporose,
21
Vgl. Runge/ Rehfeld (1995), S. 277
22
Vgl. Habermann/ Wittmershaus (2003), S.307
23
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.41
12
Osteomyelitis und Osteomalazie. Durch eine solche Veränderung der
Knochenstruktur erhöht sich das Risiko eines Knochenbruchs und dadurch wiederum
erhöht sich das Risiko eines Sturzes. Es fällt natürlich nicht in den Kompetenzbereich
der Pflegenden eine diagnostische Aussage zu treffen, aber sie sollten nach
ärztlicher Diagnosestellung das erhöhte Sturzrisiko berücksichtigen.24

7.2.) Blutgerinnungsstörungen

Blutgerinnungsstörungen sind deshalb ein Sturzfolgerisiko, weil Stürze oft zu einer


Traumatisierung des Weichteilgewebes mit Hämatombildung führen. Wenn sich ein
solches Hämatom bildet, sind Fragen nach der Schwere des Traumas und nach
Blutgerinnungsstörungen ausschlaggebend. Durch ärztliche Therapien kommt es
häufig zu Veränderungen der Blutgerinnung, welche dann im Falle einer
Traumatisierung sehr riskant sein können. Wenn also ein erhöhtes Sturzrisiko
aufgrund einer Blutgerinnungsstörung besteht, sollte das auf jeden Fall erfasst
werden, da eine durch eine ärztliche Therapie bedingte Gerinnungsstörung, durch im
Notfall verabreichte Medikamente aufgehoben werden kann.25

8.) Praxis der Sturzprävention

Eine umfassende Sturzprävention soll sich nicht auf Einzelinterventionen und


Unfallverhütung beschränken, sondern soll die individuellen Sturzrisiken und
Sturzfolgerisiken erfassen, die Ressourcen analysieren, Maßnahmen beinhalten,
welche die Sturzrisiken minimalieren, Ziele formulieren und evaluieren.

8.1.) Sturzrisiken erfassen

Es wurden zahlreiche standardisierte Assessmentinstrumente entwickelt, um das


individuelle Sturzrisiko festzustellen. Hierbei wird durch einzelne festgehaltene

24
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.42
25
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.43
13
Parameter ein auf die Person zugeschnittenes Sturzrisikoprofil erstellt. Oft werden
die einzelnen Parameter mit Punktwerten versehen und die Summe die am Schluss
herauskommt, stellt den Ausprägungsgrad des Sturzrisikos fest.

Diese standardisierten Assessmentinstrumente ernten allerdings auch Kritik. Die


Qualität einer solchen Sturzrisikoerfassung hängt grundsätzlich davon ab, ob die
ermittelten Werte bestimmten Kriterien entsprechen. Das heißt, wie reliabel sind
meine Daten, wie hoch sind Sensitivität und Spezifität, wie sieht es mit der Validität
aus und wie Anwendbar sind die Ergebnisse im beruflichen Alltag.

Der dem Assessmentinstrument zugrunde liegenden Ansatz, einzelne Risikofaktoren


zu addieren und daraus einen Wert zu ermitteln der das Risiko einen Sturz zu
erleiden widergibt, stößt oftmals auf Kritik.26

Meiner Meinung nach sind standardisierte Assessmentbögen eine gute Möglichkeit


Sturzrisiken zu erfassen, insofern es sich nicht nur um Ja/Nein Antworten handelt.
Wenn die Pflicht bestünde, solche Methoden zur Sturzrisikoerfassung in
Pflegeeinrichtungen anzuwenden, würden die Pflegekräfte sich mit dem Thema mehr
auseinandersetzen müssen und vielleicht würden auch kontraproduktive
Maßnahmen wie zum Beispiel Mobilitätseinschränkung verhindert werden.

8.2.) Ressourcen analysieren

Alle gängigen Pflegekonzepte sehen vor, dass nicht nur eine Defizitanalyse
durchgeführt wird, sondern auch die Ressourcen betrachtet werden. Wenn man sich
die Praxis ansieht, stellt die Erstellung einer Defizitanalyse nur selten ein Problem für
die Pflegenden dar, da sie sich aufgrund ihrer Ausbildung mit der Erfassung von
Defiziten, Verlusten und Behinderungen auskennen. Anders sieht es mit der
Erfassung der Ressourcen aus. Im Alltag werden die Ressourcen nur unspezifisch
oder nur lückenhaft beschrieben. Das von Baltes und Baltes entwickelte SOK- Modell
(Selektion- Optimierung- Kompensation) beschreibt zielführende Strategien um
Ressourcen zu erfassen. Dem Modell liegt die Hypothese zugrunde, dass der
Mensch nach dem größtmöglichen Nutzen für sich selbst strebt und dabei möglichst

26
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.50
14
wenig Verluste oder Abstriche machen möchte. Wenn man nun älter wird, muss man
sich allerdings zunehmend mit den Verlusten auseinandersetzen und die Betroffenen
27
müssen sich anpassen und um Kompensation bemühen.

Selektion bedeutet, dass man Ziele, Funktions- und Handlungsbereiche auswählt


welche einem wichtig sind. Das heißt, man soll sich auf das Wesentliche
konzentrieren.

Optimierung bedeutet, dass man Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten


steigern und erweitern soll, um seine Ziele noch besser erreichen zu können. Zum
Beispiel um lokomotorische Trainingsleistungen zu verbessern.

Kompensation bedeutet, Maßnahmen zu ergreifen und in Anspruch zu nehmen, um


seine eigenen Ziele weiterhin erreichen zu können. Hiermit sind technische Hilfsmittel
gemeint, wie ein Hörgerät oder eine Sehhilfe aber auch Dienstleistungen wie „Essen
auf Rädern“.28

„Selektive Optimierung mit Kompensation ist eine Strategie, um erfolgreich älter zu


werden. Man nutzt die Zugewinne, die mit dem normalen Alterungsprozess
einhergehen optimal und minimiert gleichzeitig den Einfluss der eintretenden
Verluste.“ (Pierobon/Funk: Sturzprävention bei älteren Menschen, Risiken- Folgen-
Maßnahmen, S.52)

Laut diesem SOK- Modell sollten Pflegende bezüglich jedem festgestellten Defizit
untersuchen, ob eine Selektionsentscheidung, eine Optimierungsbestrebung und
eine Kompensationsmaßnahme möglich sind.

8.3.) Sturzrisikofaktoren durch Einzelinterventionen modifizieren

Interventionen sollen nicht erst dann erfolgen, wenn einige Merkmale darauf
hinweisen, dass ein erhöhtes Sturzrisiko besteht, sondern schon nach Feststellung
eines einzigen Merkmals. Pflegende sollen den lokomotorischen Status verbessern,
äußere Risikofaktoren beseitigen und Hilfsmittel einsetzen, die erforderlich sind und
27
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.51 f.
28
Vgl. www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/EHK/Brandtstaedter/Ent-B-Stichworte5.pdf
15
den Zustand verbessern können. Wenn man die Interventionen auswählt, merkt man
wie wichtig eine gute Vorarbeit bei der Ressourcenerfassung ist. Zum Beispiel
können bei lokomotorischen Defiziten, Optimierungsmaßnahmen (wie
Trainingsmaßnahmen) Selektionsentscheidungen (wie Spazierengehen nur bei
günstigen Wetterbedingungen) und kompensatorische Maßnahmen (wie Gehhilfe
verwenden) in Frage kommen.

Optimal wäre es, wenn man bei Personen die sturzgefährdet sind, das häusliche
Wohnumfeld modifizieren könnte. Leider scheitert es hier sehr oft an den finanziellen
Beschränkungen. Selbst wenn man sich die Modifikation oder zumindest einen
kleinen Teil leisten kann, wird häufig nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Wenn
zum Beispiel ein älterer Mensch schon seit Jahren in der Nacht im Badezimmer
einen kleinen, schlecht platzierten Lichtschalter bedient, wird die Person den
größeren, gut platzierten Schalter nicht gleich finden. Deshalb muss im häuslichen
Bereich immer genau analysiert werden, inwiefern eine Modifikation zum
gewünschten Ziel führt. Daher ist es in der Wohnung oder im Haus der
sturzgefährdeten Person eher sinnvoll, technische Hilfsmittel anzubringen, welche
zum Beispiel im Falle eines Sturzes einen Notruf auslösen. Solche technischen
Hilfsmittel sind vor allem für Personen interessant, die alleine wohnen. So ist eine
schnelle Hilfeleistung garantiert und Sekundärschädigungen wie Unterkühlung oder
Druckstellen werden vermieden. Auch die Verwendung von Hüftprotektoren wurde in
Studien nachgewiesen.29

8.4.) Ziele formulieren

Die wichtigsten Formalziele im Rahmen der Sturzprävention sind Potenziale zu


sichern und die Sturzfrequenz zu verringern. Sollte dennoch ein Sturz auftreten, ist
das wichtigste Ziel die Minimierung der Sturzfolge.

Sachziele, oder auch Planungsziele, dienen als Sollvorgaben. Sie geben vor, welche
Maßnahmen einzuleiten sind und diese Ziele sollen später bei der Evaluation
bestätigt werden.

29
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.52 f.
16
Im Rahmen der in einer umfassenden Sturzprävention formulierten Ziele, sollten ein
paar Kriterien erfüllt werden: die Definition der Ziele soll individuell, eindeutig und
operational sein. Außerdem soll der Zeitrahmen, in welchem das Ziel erreicht
werden soll, genau festgehalten werden.30

8.5.) Evaluieren

Im Rahmen einer umfassenden Sturzprävention sollten alle bereits formulierten Ziele


in regelmäßigen Abständen evaluiert werden, um frühzeitig feststellen zu können, ob
man gewisse Punkte korrigieren muss. Änderungen des Gesundheitszustandes
können zu Änderungen der Ressourcen führen und in diesem Fall ist es wichtig, dass
die Pflegenden rasch Interventionsmaßnahmen und Zielformulierungen anpassen.
Die Pflegenden sollen im Rahmen der Evaluation kritisch beurteilen, ob gesteckte
Ziele erreicht wurden, teilweise erreicht oder nicht erreicht wurden. Bei
Nichterreichung der Ziele, soll festgehalten werden, aus welchen Gründen sie nicht
erfüllt wurden. Oftmals bemerkt man, dass Ziele unrealistisch formuliert wurden,
ergriffene Maßnahmen ungenügend umgesetzt wurden oder sich die Ressourcen
geändert haben.

Neben dieser „routinemäßigen Evaluation“ sollen Pflegende bei signifikanten


Veränderungen des Gesundheitszustandes, bei Ortswechsel oder nach einem Sturz,
erneut anlassbezogen evaluieren. Nach einem Sturz empfiehlt es sich, ein
Sturzereignisprotokoll anzufertigen, da es Rückschlüsse auf Korrekturen der
Präventionsmaßnahmen zulässt. Ein solches standardisiertes Sturzereignisprotokoll
sollte mindestens folgende Punkte umfassen:

 Personalien der gestürzten Person


 Angaben zum Ort des Ereignisses
 Datum und Uhrzeit
 Situationsbericht
 Angaben des Gestürzten zum Sturzereignis
 Bisher bekannte Sturzrisikofaktoren
 Sturzfolgen
30
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.53 f.
17
 Durchgeführte Sofortmaßnahmen
 Weiterführende Maßnahmen31

9.) Sturzprävention in den Pflegealltag integrieren

Sturzprävention umfassend und jeden Tag in den Pflegealltag zu integrieren stellt für
die Mehrzahl der Pflegedienste eine absolute Neuerung dar. Aus diesem Grund kann
es zu Implementierungsproblemen kommen, welche häufig durch fehlende
Akzeptanz bei den Pflegenden hervorgerufen werden. Deshalb ist es wichtig,
umfassende Sturzprävention durch planmäßiges und strukturiertes Vorgehen in die
Pflege zu integrieren. Um das erforderliche Höchstmaß an Akzeptanz bei den
Pflegenden zu erzielen, ist es notwendig, dass der erforderliche Aufwand in einer
Relation zum erzielten Nutzen steht und die eingesetzten Instrumente praxisnah und
verständlich sind. Um Implementierungsprobleme zu vermeiden ist es weiter nötig,
32
Patienten, Mitarbeiter und Kooperationspartner weitgehend mit einzubeziehen.

9.1.) Patientenbeteiligung

Sturzprävention hat das Ziel, dem Patienten zu möglichst viel Autonomie zu


verhelfen. Es ist wichtig dieses Ziel nie aus den Augen zu verlieren, da die
Präventionsbemühungen sonst zum Scheitern verurteilt wären. Experten tendieren
oft dazu, aufgrund ihres Wissens zu definieren, was richtig und was falsch ist, was
vernünftig und was unvernünftig ist. Es geht hier aber um den Patienten und es
müssen die persönlichen Vorlieben respektiert und in die Planung miteinbezogen
werden, da es sonst zu Akzeptanzproblemen kommt. Um diese Akzeptanzprobleme
zu vermeiden, sollten Ziel und Handlungsmittel übereinstimmen. Die
Zielformulierungen und die Maßnahmeplanung soll mit der sturzgefährdeten Person
gemeinsam erarbeitet werden.33 Die beratenden Experten sollen mit Rat und Tat zur

31
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.54
32
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.57 f.
33
Vgl. Habermann/ Wittmershaus (2005), S. 311
18
Seite stehen und Maßnahmen vorschlagen, aber das Individuum entscheidet
schließlich selbst was das Beste ist. Die beratenden Experten sollten unbedingt
geduldig und verständlich die vorgeschlagenen Maßnahmen erklären und begründen
und sich durch gezielte Nachfrage vergewissern, dass der Patient auch alles
verstanden hat.34

9.2.) Mitarbeiterbeteiligung

Um eine umfassende Sturzprävention zu implementieren, ist es unbedingt


erforderlich, dass die Mitarbeiter motiviert und engagiert an die Sache heran gehen.
Um das zu erreichen, ist es erforderlich, dass das Präventionskonzept in einem
dafür geeigneten Rahmen präsentiert wird, dass Raum für Fragen und Erklärungen
bleibt und dass einzelne Elemente durch Schulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen
vertieft werden. Es ist außerdem sinnvoll, im Rahmen der Dienstübergabe oder
Dienstbesprechung Fallbeispiele zu besprechen. Supervisionsmaßnahmen scheinen
ebenfalls zu mehr Akzeptanz der Mitarbeiter zu führen. Zeitdruck sollte unbedingt
vermieden werden, da sich in der Praxis gezeigt hat, dass die Implementierung eines
Sturzpräventionskonzepts bis zu 2 Jahre in Anspruch nehmen kann. 35

9.3.) Miteinbeziehen anderer Gesundheitsdienstleister

Pflegende allein können nicht alles was Sturzprävention betrifft selbst modifizieren.
Deshalb ist es wichtig, auch andere Gesundheitsdienstleister mit einzubeziehen.
Mitarbeiter des ärztlichen-, physiotherapeutischen- und ergotherpeutischen Dienstes
sollten miteinbezogen werden, und auch das Know-how von Fachleuten aus dem
Sanitätsfachhandel sollte genutzt werden.36

34
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.59
35
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.60 f.
36
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.61 f.
19
10.) Pflegerische sturzpräventive Maßnahmen

Das Risiko einen Sturz zu erleiden, lässt sich durch gezielte Maßnahmen senken.
Außerdem kann durch gezielte Maßnahmen das Ausmaß der sturzbedingten
Verletzungen in eine positive Richtung beeinflusst werden.

10.1.) Lokomotorische Kompetenz trainieren

Im Rahmen ganzheitlicher Sturzprävention ist das Trainieren von lokomotorischen


Kompetenzen das zentrale Element. Es werden Kraft, Ausdauer, Balancefähigkeit
und Schnelligkeit in gleichen Maßen trainiert.

Kraft: „Kraft bezeichnet die Fähigkeit des Nerv-Muskel-Systems, durch


Muskelkontraktion Widerstände zu überwinden (konzentrische Arbeit), ihnen
entgegenzuwirken (exzentrische Arbeit) oder sie zu halten (statische Arbeit).“37

Ausdauer: „Ausdauer ist die Fähigkeit, eine bestimmte Belastung über eine möglichst
lange Zeit aufrechterhalten zu können ohne vorzeitig körperlich bzw. geistig zu
ermüden und sich so schnell wie möglich wieder zu regenerieren.“38

Balancefähigkeit: „Balancefähigkeit ist die Fähigkeit den Körperschwerpunkt lotrecht


über der Sitz- oder Standfläche zu halten“39

Schnelligkeit: „Schnelligkeit bezeichnet die Fähigkeit, eine Bewegung mit der


höchstmöglichen Geschwindigkeit durchzuführen“40

Im Alter nimmt die Muskelkraft kontinuierlich ab. Untersuchungen zeigen, dass


Menschen zwischen dem 30. und 55. Lebensjahr, jedes Jahrzehnt zwischen 2,5 und
3,5 kg Muskelmasse verlieren. Ab dem 55. Lebensjahr beschleunigt sich das und mit
70 Jahren hat man bereits etwa 40% seiner Muskelmasse verloren. Durch den
Verlust der Muskelmasse verliert man Kraft, aber auch die Ausdauer verringert sich
und die Schnelligkeit nimmt ab. Durch das Alter vermindert sich außerdem das
37
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kraft_(Sport)
38
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ausdauer
39
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.64
40
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.64
20
Balancevermögen, Koordination und die Beweglichkeit. All diese Komponenten
bewirken, dass die Fortbewegungsfähigkeit abnimmt und sich das Risiko einen Sturz
zu erleiden erhöht. Durch gezielte Trainingsmaßnahmen lassen sich diese Faktoren
aufhalten und sogar umkehren. Gezieltes Krafttraining stimuliert nachweislich nicht
nur das Muskelgewebe, sondern auch das Knochengewebe und ist somit auch eine
aktive Osteoporoseprophylaxe. Durch das Training verbessern sich außerdem die
Stoffwechselaktivität und der Kalorienverbrauch, was wiederum das Risiko senkt, an
Krankheiten wie zum Beispiel Hypertonie, Arteriosklerose, Diabetes ΙΙ und
Hyperlipidämie zu erkranken. Durch das Ausdauertraining lässt sich die Herztätigkeit
steigern und der Herzmuskel wird trainiert. Damit verringert sich das Risiko einen
Herzinfarkt zu erleiden. Außerdem wird durch Ausdauertraining die Lungenfunktion
verbessert und die Erythropoese wird stimuliert. Durch das gezielte Training wird
auch die Skelettmuskulatur gestärkt, die Wirbelsäule wird entlastet und ein nicht zu
vernachlässigender positiver Faktor ist der günstige Einfluss auf die Psyche.

Durch gezielte Trainingsprogramme können also durchwegs positive Ergebnisse


erzielt werden. Es gibt zahlreiche Programme die sowohl in der Gruppe, als auch
alleine durchgeführt werden können. Es soll nur immer beachtet werden, dass Kraft,
Ausdauer, Schnelligkeit und Balancefähigkeit zu gleichen Teilen trainiert werden
sollen, die Übungen ohne viel Aufwand überall durchgeführt werden können und die
Übungen je nach Fortschritt auch modifiziert werden können (z .B durch
Gewichtsmanschetten).

Unabhängig davon, ob in der Gruppe oder allein trainiert wird und welches
Trainingsprogramm ausgewählt wird, sollten gewissen Punkte beachtet werden:

 Vor Trainingsbeginn soll der Hausarzt/ die Hausärztin aufgesucht werden


 Am Beginn soll das Trainingsprogramm mit fachkundiger Anleitung und
Kontrolle erlernt werden. (Physiotherapeut/In)
 Der/die Physiotherapeut/in und der/die Hausarzt/ärztin sollen über bestehende
Erkrankungen aufklärt werden, da bestimmte Übungen, bei bestimmen
Beschwerden nicht ausgeführt werden sollen.
 Die Trainingsanleitung soll unbedingt sorgfältig beachtet und eingehalten
werden.41

41
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.64 f.
21
10.2.) Extrinsische Risikofaktoren ausschalten

Statistiken belegen, dass die meisten Stürze innerhalb der eignen vier Wände
stattfinden. Daher ist es notwendig, die Wohnung den jeweiligen Bedürfnissen
anzupassen, die Gefahren zu erkennen und zu beseitigen.

In der Toilette und im Badezimmer ereignen sich besonders oft Stürze. Daher ist es
sinnvoll, hier eine Tür zu montieren die nach außen öffnet, damit Helfer ungehindert
in den Raum kommen. Der Toilettensitz soll eine bequeme Höhe haben und
Stützgriffe sollten an Toilette und in der Dusche angebracht werden.

Bei Treppen sollte ein besonderes Augenmerk auf die Beleuchtung und den
Bodenbelag gelegt werden. Ein Handläufer sollte in der richtigen Höhe und stabil
montiert sein, dass man sich gut daran festhalten kann, oft ist es hier sinnvoll, sogar
beidseits einen Handläufer zu montieren.

Schränke und Schubladen sollen bequem und gut erreichbar sein und die täglichen
Gebrauchsgegenstände sollen so angeordnet sein, dass sie ohne bücken, strecken
oder Zehenstand erreichbar sind, da es in solchen Situationen häufig zu einem Sturz
oder Schwindelanfall kommt.

Bei den Möbeln muss darauf geachtet werden, dass sie stabil sind. Das gilt sowohl
für Stühle und Tische, als auch für alle anderen Möbelstücke die dazu einladen, dass
man sich daran festhält.

Die Heizungen im Wohnbereich müssen leicht regulierbar sein und gut funktionieren,
da ältere Menschen aufgrund der schlechteren Wärmeregulation und der
verminderten körperlichen Aktivität eine höhere Raumtemperatur brauchen.

In der Küche sollten die Wärmequellen (Gasherd!) und alle elektrischen Geräte so
funktionieren, dass Vergesslichkeit nicht gleich zu einer Katastrophe führt. Brände
führen häufig zum Tod bei älteren Menschen.

Unbefestigte und freiherumliegende Kabel sollten entlang der Leiste am Zimmerrand


verlegt werden. Es ist sinnvoll sich eventuell ein schnurloses Telefon anzuschaffen.
Außerdem sollten zusätzliche Steckdosen installiert werden.

22
Schlechte Lichtverhältnisse stellen ebenfalls eine Gefahrenquelle für ältere
Menschen dar. Man sollte sich vor Augen halten, dass ältere Menschen 2-3 mal
soviel Licht benötigen als jüngere Personen. Daher sollten schwache Lichtquellen
gegen stärkere ausgetauscht werden. Die Lichtquellen sollen nicht blenden, am
Hauseingang sollte ein Bewegungsmelder angebracht werden, mit einem
langanhaltenden Intervall. Es sollten zusätzliche Lichtquellen angebracht werden
(Nachttischlampe) und es ist sehr sinnvoll, die Lichtschalter mit einer beleuchteten
Schalterabdeckplatte zu versehen, da so auch in der Nacht der Schalter problemlos
gefunden werden kann.42

10.3.) Geeignete Hilfsmittel verwenden

Es gibt eine Vielzahl von Hilfsmitteln, welche älteren Menschen helfen sollen ihren
Alltag leichter und vor allem sicherer zu meistern. Hierbei muss beachtet werden,
dass das Hilfsmittel an den Patienten angepasst werden muss und nicht umgekehrt.

Wenn ältere Menschen unsicher beim Gehen sind und Sturzgefahr besteht, ist das
sinnvollste Hilfsmittel eine Gehhilfe. Es gibt verschiedene Arten von Gehhilfen, die je
nach den Bedürfnissen des Individuums eingesetzt werden können. Die Auswahl der
geeignetsten Gehilfe sollte unter Miteinbezug eines Ergo- oder Physiotherapeuten
erfolgen und die richtige Anwendung sollte regelmäßig von Pflegepersonen überprüft
werden.

Gute Gründe für die Benutzung einer Gehilfe: Der ältere Mensch erhält
Unterstützung um sicherer weitere Strecken gehen zu können, ein Ausgleich zu
Defiziten durch muskuläre Schwäche, verminderte Balance und Schmerzen wird
ermöglicht und das Selbstvertrauen wird gestärkt.43

Der Gehstock wird als Balancierhilfe und zum Abstützen genützt .Gehstöcke gibt es
mit den verschiedensten Griffausführungen und in den verschiedensten Designs. Es
sollte nur auf jeden Fall auf die richtige Griffhöhe geachtet werden. 44

42
Vgl. Runge/ Rehfeld (1995), S. 276 f.
43
Vgl. Becker et. al (2003), S. 31
44
Vgl. http://www.zuhausepflegen.at/166.htm
23
Bei einer ausgeprägten Gangunsicherheit sollte ein Gehbock angeschafft werden.
Im Fachhandel kann man sich beraten lassen und sich die verschiedenen Modelle
ansehen. Es gibt viele unterschiedliche Modelle, zum Teil kann man sie sogar
zusammenklappen. Die Vorteile des Gehbocks sind, dass man sich mit beiden
Händen abstützen kann und er sehr stabil ist. Ein Nachteil ist, dass kein flüssiges
gehen mit dem Gehbock möglich ist, da er während der Standphase umgesetzt
werden muss. 45

Ein Deltarad ist ebenfalls eine Gehhilfe für gangunsichere Personen. Das Deltarad
hat drei Räder, links und recht je eines, und eines an der vorderen Spitze. Über dem
rechten und dem linken Rad befinden sich je ein Griff zum Festhalten und die
Bremsen. Das Deltarad ist schmäler und wendiger als der Rollator und dadurch auch
46
gut geeignet um es in den eigenen vier Wänden einzusetzen.

Bei hoher Gangunsicherheit und bestehender Sturzgefahr empfiehlt es sich einen


Rollator zu benutzen. Beim Rollator ist es wichtig, auf die passende Griffhöhe zu
achten und zu überprüfen, ob die Bremsen einwandfrei funktionieren. Viele
Rollatoren sind zusätzlich mit einer Sitzfläche ausgestattet, sodass sich die ältere
Person zwischendurch hinsetzen und ausruhen kann.47

Wenn ein älterer Mensch sich dazu entscheidet eine Gehhilfe zu verwenden, sollten
ein paar grundsätzliche Punkte bei der Auswahl beachtet werden:

 Die natürlichen Bewegungsabläufe sollen durch die Gehhilfe unterstützt


werden.
 Dem Patienten muss das neue Gerät sachgerecht erklärt werden und
gegebenenfalls muss die Verwendung des neuen Hilfsmittels trainiert werden.
 Wie bereits oben erwähnt, muss das Hilfsmittel dem Patienten angepasst
werden, nicht umgekehrt.
 Die Bremsen und der Reifenluftdruck müssen regelmäßig überprüft werden.
 Wenn sich der Gesundheitszustand des Patienten ändert, sollte überprüft
48
werden, ob das Hilfsmittel noch angemessen ist.

45
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.70
46
Vgl. http://www.pflegewiki.de/wiki/Deltarad
47
Vgl. Habermann/ Wittmershaus (2005), S. 306
48
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.70
24
Weitere Hilfsmittel, welche sich vor allem bei Demenzkranken Patienten anbieten
sind elektronische Überwachungssysteme. Demenzkranke Patienten neigen dazu,
aus dem Haus weglaufen zu wollen. Wenn ein solcher „Ausbruchsversuch“
erfolgreich ist, kann das zu sehr gefährlichen Situationen führen, wie zum Beispiel
Gefährdung durch den Straßenverkehr, Sturzgefahr wegen Erschöpfung, aber auch
Unterkühlung oder Erfrierungen im Winter. Oft finden Demenzkranke aber auch in
ihren eigenen vier Wänden eine Bezugsperson nicht oder die Toilette ist
unauffindbar. Das führt dann zum Umherirren im Zimmer oder Haus, der Patient
bekommt Angst und ist vollkommen orientierungslos. Durch den Einsatz von
elektronischen Überwachungssystemen kann diesen Personen wieder ein Gefühl
von Sicherheit zurückgegeben werden. Es gibt verschiedene Arten von Sicherungs-
und Überwachungssystemen:

 Tür mit generalisierter Alarmfunktion: Ein Alarm wird ausgelöst, sobald eine
Person durch die Tür geht.
 Tür mit individueller Alarmfunktion: Ein Alarm wird ausgelöst, sobald eine mit
einem Chip ausgestattete Person durch die Tür geht. (z.B. in Form eines
Armbandes)

 Bettsensoren: Ein Bettsensor ist ein Chip, der unter die Matratze des
Patienten platziert wird und bei Druckentlastung einen Alarm auslöst. Dieser
Sensor ist bei Patienten sinnvoll, die die Rufanlage nicht mehr bedienen
können.
 Bewegungsmatten: So eine Matte wird meist vor dem Bett platziert und bei
betreten wird ein Alarm ausgelöst.
 Bewegungsmelder und Lichtschranke: Ein solcher Melder wird durch eine
Bewegungsaktivität, wie das Verlassen des Zimmers oder das Verlassen des
Bettes ausgelöst. Es gibt auch hochwertige Systeme, welche dann
automatisch ein Licht aktivieren. Das wiederrum verringert das Sturzrisiko
beim nächtlichen Toilettengang.
 Küchen- und Herdsicherungen: Im häuslichen Wohnumfeld kann es im
Einzelfall sinnvoll sein, eine Küchen- und Herdsicherung zu verwenden.
 Patientennotrufsysteme: Für Patienten die noch in ihrem eigenen Haus oder
ihrer eigenen Wohnung wohnen, empfiehlt es sich, ein Patientennotrufsystem

25
zu tragen. Hierbei handelt es sich um ein Gerät, das in Form einen
Armbandes oder Halsbandes am Körper getragen wird. Durch einen
Tastendruck wird ein Notruf ausgelöst. Es gibt auch Notrufsysteme die mit der
Telefonanlage gekoppelt sind, sodass Sender und Empfänger miteinander
kommunizieren können. Durch so ein Notrufsystem kann verhindert werden,
dass alte, alleinlebende Menschen Stunden, oder gar Tagelang hilflos in der
Wohnung liegen.

Ein weiteres geeignetes Hilfsmittel für sturzgefährdete Personen ist das Verwenden
von Protektoren. Durch Protektoren können zwar Stürze nicht vermieden werden,
aber nachweislich werden die Sturzfolgen gemindert und durch Hüftprotektoren wird
ein gewisser Schutz vor den sehr gefürchteten Schenkelhalsfrakturen geboten.

Der Protektor wirkt so, dass bei einem Sturz die auftretende Bewegungsenergie
absorbiert und so abgemildert wird. Die Bewegungsenergie wird umgelenkt und
möglichst großflächig auf das Gewebe verteilt.

Obwohl die Wirksamkeit der Hüftprotektoren in zahlreichen Studien nachgewiesen


wurde, ist die Akzeptanz ein sehr großes Problem. Besonders demente Personen
verstehen den Sinn des tragens nicht und empfinden den Protektor als störend. Es
sollte besonders darauf geachtet werden, dass der Protektor beim Toilettengang das
An- und Ausziehen nicht erschwert, da dieser Faktor vor allem bei Personen mit
Kontinenzproblemen entscheidend sein kann.49

11.) Spezielle Sturzvarianten

Zwei Sturzvarianten treten in der Praxis besonders häufig auf. Das ist zum einen der
Sturz aus dem Bett, und zum anderen der Sturz auf der Treppe. Sowohl Stürze auf
der Treppe als auch aus dem Bett, führen zu besonders schwerwiegenden
Verletzungen und in der Praxis passiert es sehr häufig, dass hier mit
kontraproduktiven Präventionsansätzen gearbeitet wird.

49
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.71 ff.
26
11.1.) Sturz aus dem Bett

Besonders Menschen die an motorischen Unruhezuständen leiden, einen


ausgeprägten Bewegungsdrang haben und Menschen die zeitlich, räumlich und
örtlich desorientiert sind, sind sehr gefährdet einen Sturz aus dem Bett zu erleiden.
Daher ist bei Personen, bei denen solche Symptome vorliegen, ein präventives
handeln notwendig. Außerdem sollte ein Arzt über die vorliegenden Symptome
aufgeklärt werden, damit eventuell eine Therapie eingeleitet werden kann.

Leider werden heutzutage noch immer sehr häufig, sowohl im Intra-, als auch im
Extramuralen Bereich, freiheitsbeschränkende Maßnahmen getroffen um Stürze zu
vorzubeugen. Hierzu zählen Maßnahmen wie die Anbringung eines Bettgitters und
sogar die Fixierung des Betroffenen mit einem Gurtsystem. Diese Maßnahmen sind
schon lange überholt und man weiß heute, dass diese freiheitsbeschränkenden
Methoden sogar einen gegenteiligen, negativen Effekt erzielen.

 Diese Maßnahmen lösen bei Menschen die desorientiert und agitiert sind
einen Fluchtimpuls aus. Alle Kräfte werden aktiviert, um das Bettgitter zu
übersteigen oder die Gurte zu lösen.
 Wenn es dem Patienten gelingt das Bettgitter zu übersteigen, kommt es durch
die viel größere Fallhöhe zu weitaus folgenreicheren Stürzen. Außerdem wird
das Bettgitter meistens zuerst mit dem Oberkörper überstiegen, was bei einem
Sturz zu schwersten Verletzungen im Bereich des Kopfes und der
Halswirbelsäule führen kann.
 Beim Versuch sich aus der Fixierung des Gurtsystems zu befreien, kann es zu
ähnlichen typischen Verletzungen kommen, bis hin zu
Strangulationsverletzungen.
 Wie bereits in einem früheren Kapitel genauer beschrieben, führen dauerhafte
Immobilisierungsmaßnahmen zu negativen Folgen für den Patienten und sind
daher unbedingt zu unterlassen!50

50
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.81 f.
27
11.2.) Sturz auf der Treppe

Normalerweise kommt es bei einem Sturz zu einem einmaligen Aufprall des Körpers.
Wenn man auf einer Treppe stürzt, schlägt der Körper mehrmals auf der Treppe auf,
man „rollt“ unkontrolliert die Stiegen hinab. Daher führen Stürze über die Treppe sehr
oft zu schweren, bis hin zu tödlichen Verletzungen. Aus diesem Grund ist es äußerst
wichtig, bei der Analyse des Wohnumfeldes den Treppenbereich vorrangig zu
betrachten. Bei baulichen Veränderungen im Treppenbereich sollte die Kostenfrage
in den Hintergrund treten, da dieses extrem hohe Risikopotential unbedingt minimiert
werden soll. Es empfiehlt sich, eine geeignete Checkliste für Gefährdungen und
Maßnahmen an Treppen zu verwenden.

Eine solche Checkliste könnte zum Beispiel folgende Punkte beinhalten:

Gefährdungen Maßnahmen

Glatter Belag an den Stufen; Belag erneuern; rutschfeste


herausgebrochene Stufenkanten Gleitschutzstreifen anbringen;
Stufenkanten instandsetzen

Stolperfallen Teppichläufer oder Fußabtreter, die


schlecht verlegt sind, beseitigen

Mangelnde Beleuchtung Für sehr gute Ausleuchtung sorgen!


Beleuchtung darf nicht blenden; keine
Schatten durch eigenen Körper erzeugen;
mit Nachtlicht versehener Lichtschalter
oder Bewegungsmelder; erste und letzte
Stufe mit Leuchtstreifen kennzeichnen
Abgestellte Gegenstände Gegenstände wegräumen! Treppenhaus
soll frei gehalten werden
Fehlende Handläufe Auf beiden Seiten robuste Handläufe
montieren; auf die richtige Höhe achten!
51

51
Vgl. Pierobon/ Funk (2007), S.82 f.
28
12.) Diskussion – Ausblick

Das Thema Sturzprävention ist ein sehr häufig diskutiertes Thema im Pflegebereich.
Leider wird diesem wichtigen Thema, sowohl in den eigenen vier Wänden, als auch
im öffentlichen Bereich, noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Daher bin
ich der Meinung, dass ein sehr wichtiger Schritt die Aufklärungsarbeit ist. Ältere
Menschen die noch in ihrem zu Hause wohnen, wollen sehr oft keine
Veränderungen. Dabei kann schon durch kleine Veränderungen viel zur eigenen
Sicherheit beigetragen werden. Aufklärungen darüber, wie wichtig diese präventiven
Maßnahmen sind, könnten sehr zur Akzeptanz beitragen. Es ist äußerst wichtig, dass
die betroffenen Menschen und die Angehörigen die Gefahrenquellen kennen und
darauf aufmerksam gemacht werden, da ja im eigenen Wohnbereich oft eine gewisse
„Betriebsblindheit“ herrscht, und die Gefahrenquelle vielleicht erst beim genaueren
hinsehen als solche identifiziert werden kann.

Nun habe ich überlegt, wie man solche Menschen am besten über Sturzprävention,
Gefahren und Maßnahmen informieren könnte. Eine sehr gute Möglichkeit wären
meiner Meinung nach Informationsbroschüren, die dann vielleicht vom
Hausarzt/Hausärztin, vom physio- oder ergotherapeutischen Dienst bei Konsultation
überreicht werden. Das Informationsmaterial müsste natürlich gut und leicht
verständlich sein und eventuell mit Bildern von den Gefahrenquellen versehen sein.
Dadurch kann zwar professionelle Hilfe nicht ersetzt werden, aber man hat einen
Denkanstoß und ändert vielleicht zumindest kleine Dinge wie zum Beispiel, dass man
sich passendes Schuhwerk zulegt, oder Leuchtstreifen an der ersten und der letzten
Treppenstufe anbringt.

Als ich mich jetzt mit diesem Thema befasst habe, musste ich auch unwillkürlich an
meine Großeltern denken und mir sind in Ihrem Haus sofort zahlreiche kleine Details
aufgefallen, die „versteckte Fallen“ sind, und kostengünstig und einfach zu beheben
wären. Auch wenn sie wie erwartet nur teilweise für meine Ratschläge empfänglich
waren, haben sie sich den einen oder anderen Tipp zu Herzen genommen und sich
vorgenommen etwas zu ändern. Meiner Meinung nach ist es genau das, was zählt.
Die Menschen auf dieses Problem aufmerksam zu machen und so zum Handeln zu
animieren.

29
Wie bekannt ist, werden Stürze noch wahrscheinlicher, wenn ältere Patienten in ein
Heim oder ins Krankenhaus müssen. In diesem Umfeld geschehen vermehrt Stürze,
deshalb ist es sehr wichtig, die Pflegekräfte auf diese Problematik ganz gezielt
hinzuweisen und Schulungen und Fortbildungen anzubieten. Wie schon in meiner
Arbeit erwähnt, ist in zahlreichen Heimen und Krankenhäuser noch immer
Immobilisierung ein häufig genutztes Instrument zur Sturzprävention. Es muss hier
wirklich viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um diese Praktiken zu ändern und
aufzuzeigen, dass das nicht die richtige Lösung ist. Denn auch wer zum „alten Eisen“
gehört, verdient es, eine möglichst hohe Lebensqualität zu haben.

30
13.) Literaturverzeichnis

Pierobon Adriano / Funk Manfred (2007): Sturzprävention bei älteren Menschen,


Risiken- Folgen- Maßnahmen

Habermann Carola/ Wittmershaus Caren (2005): Ergotherapie im Arbeitsfeld


Geriatrie

Runge Martin/ Rehfeld Gisela (1995) : Geriatrische Rehabilitation im


Therapeutischen Team. 2. unveränderte Auflage

www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/EHK/Brandtstaedter/Ent-B-Stichworte5.pdf -
Stand: 17.12.2008

http://de.wikipedia.org/wiki/Kraft_(Sport) - Stand: 18.12.2008

http://de.wikipedia.org/wiki/Ausdauer - Stand: 18.12.2008

http://www.zuhausepflegen.at/166.htm - Stand: 20.12.2008

http://www.pflegewiki.de/wiki/Deltarad - Stand: 20.12.2008

Becker Clemens, Rißmann Ulrich, Lindemann Ulrich, Warkne Andrea (2003):


Sturzprophylaxe Sturzgefährdung und Sturzverhütung in Heimen:

31

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