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Werni/Winninger online Klausurenkurs aus öffentlichem Recht

SoSe 2020

2. Klausur
Jana Berisha ist 30 Jahre alt, albanische Staatsbürgerin und arbeitet als Altenpflegerin in Tirana. Ihre
Mutter Isolde hat vor vielen Jahren beschlossen ihre Familie, bestehend aus Ehemann und drei Kindern,
zu verlassen, um nach Österreich auszuwandern, wo sie mittlerweile die österreichische
Staatsbürgerschaft angenommen hat. Enttäuscht von ihrer Mutter, hatte Jana viele Jahre nur sporadisch
Kontakt zu Isolde. Im Sommer 2018 erfährt Jana jedoch, dass die inzwischen betagte Isolde alleine lebt
und dringend Unterstützung im Alltag benötigt. Jana kontaktiert daher kurzerhand ihre Mutter und
beschließt wenig später zu ihr nach Prinzersdorf im Bezirk St. Pölten zu ziehen. Obwohl es Jana
zunächst schwer fällt ihre Arbeit aufzugeben und von ihren Geschwistern Abschied zu nehmen, reist sie
Anfang August ohne Visum nach Österreich. Fünf Wochen nach ihrer Ankunft beantragt Jana beim Amt
der NÖ Landesregierung den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung-Angehöriger“. Da Jana
weder Versicherungsschutz noch Einkommen hat, legt ihre Mutter eine inhaltlich korrekte, notariell
beglaubigte und von ihr unterschiebene Haftungserklärung für fünf Jahre sowie einen Nachweis ihres
Pensionseinkommens in Höhe von € 2500 netto vor. Zum Nachweis der Deutschkenntnisse legt Jana
ein Niveau A2 Sprachdiplom vor, das im August 2017 vom Goethe Institut e.V. ausgestellt wurde.
1) Im Oktober 2018 wird Janas Antrag von der Landeshauptfrau negativ beschieden. Prüfen
Sie ob diese Entscheidung zu Recht erging. (~ 33%)
Nachdem Jana einen Aufenthaltstitel erlangt, mit dem sie Zugang zum Arbeitsmarkt hat, bewirbt sie
sich im privaten Pflegeheim „Lebensabend“ in St. Pölten. Obwohl sie sich mit ihren Kolleginnen und
Kollegen gut versteht, ärgert sie sich über die ständige Unterbesetzung, weil dadurch viel zu wenig Zeit
für die Senior/innen bleibt. Als sie ihren Unmut darüber gegenüber einem Kollegen äußert, offenbart er
ihr, dass die Belegschaft für den kommenden Freitag ein Protestcamp im Festsaal des Seniorenheimes,
den die Heimleitung stets verschlossen hält, geplant habe. Ziel der Aktion soll es sein gegen die
niedrigen Löhne und die chronische Unterbesetzung des Personals zu protestieren. Tatsächlich gelingt
es einer Gruppe von Pfleger/innen den Widerstand des Portiers zu überwinden und die Tür zum Festsaal
im Erdgeschoß des Seniorenheims aufzubrechen. Die Wände des Saales werden mit Protestplakaten
behängt, vor dem Saal werden Flyer verteilt und unter dem Hashtag #heimbesetzung Fotos und Beiträge
zur Protestaktion auf sozialen Medien gepostet. Auch Besucher/innen und Senior/innen beteiligen sich
spontan an Sprechchören und diskutieren in kleinen Gruppen mit dem Pflegepersonal über die
schlechten Arbeitsbedingungen. Auch das Küchenpersonal unterstützt die Protestaktion und sorgt für
die Verpflegung der Teilnehmer/innen, die solange protestieren wollen, bis die Heimleitung dem
Personal ein höheres Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen zugesteht. Da die Heimleitung zu keinerlei
Zugeständnissen bereit ist und die Aktion nach fast 24 Stunden immer noch andauert, beschließt sie dem
Treiben ein Ende zu setzen. Am Samstag um 1 Uhr früh betreten vier Polizeibeamte den Festsaal und
verkünden die zuvor von der zuständigen Behörde erlassene Verordnung mit den Worten „Die
Besetzung ist gem § 37 Abs 1 SPG aufgelöst. Der Festsaal des Pflegeheims Lebensabend ist mit
sofortiger Wirkung zu verlassen. Die Besetzung der vorgenannten Örtlichkeit stellt einen
schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers dar und von diesem wurde die Auflösung der
Besetzung verlangt. Das Betreten des Festsaales des Seniorenheims Lebensabend wird untersagt. Die
anwesenden Personen sind verpflichtet, den Ort der Besetzung sofort zu verlassen und auseinander zu
gehen. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes werden ermächtigt, die Besetzer/innen von der
genannten Örtlichkeit wegzuweisen. Gemäß §50 Sicherheitspolizeigesetz kann die Wegweisung unter
Anwendung unmittelbarer Zwangsgewalt durchgeführt werden." Da alle Teilnehmer/innen müde und
erschöpft von den Anstrengungen der vergangenen Stunden sind, lösen sie das Protestcamp
widerstandslos auf. Da die Beamten aber befürchten, dass die Teilnehmer/innen erneut zusammentreten,
bewachen sie noch einige Stunden nach der Auflösung den Eingang zum Festsaal. Peter, ein Bewohner
des Pflegeheimes, der ebenfalls am Protest beteiligt war, jedoch im Zeitpunkt der Auflösung zum
Schlafen in sein Zimmer gegangen war, möchte um 6 Uhr am nächsten Morgen seine im Festsaal
liegengebliebene Jacke holen. Als die Polizisten für einen Augenblick unaufmerksam sind, nützt Peter
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die Gelegenheit um durch die aufgebrochene Türe in den Festsaal zu gelangen. Doch bevor er seine
Jacke findet, wird er von den Polizisten entdeckt und aufgefordert den Raum zu verlassen.
2) Peter möchte sich gegen die Vorkommnisse im Pflegeheim wehren und erhebt eine
zulässige Maßnahmenbeschwerde. Prüfen Sie seine Erfolgsaussichten. (~ 31 %)
Am darauffolgenden Tag zieht Jana die Konsequenz aus dem erfolglosen Protestcamp und kündigt. Da
sie fürchtet, dass sie in anderen Pflegeheimen ähnliche Arbeitsbedingungen vorfinden wird, beschließt
sie sich im Bezirk St. Pölten als Personenbetreuerin selbständig zu machen und wird rechtskonform im
GISA als selbständige Personenbetreuerin eingetragen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft das
Geschäft für Jana seit Beginn der „Coronakrise“ Anfang März 2020 besser als je zuvor. Tagsüber hat
Jana so viele Termine bei ihren Kundinnen und Kunden, dass sie kaum Zeit für die Büroarbeit hat, die
sie in ihrer Wohnung in Prinzersdorf erledigt. Janas beste Freundin Karin nimmt Janas beruflichen
Erfolg zum Anlass Abwechslung in ihren Homeoffice-Alltag zu bringen, und lädt ihre sechs besten
Freundinnen am 23.3. zu einer Party in ihre Wohnung in der Gemeinde Prinzersdorf ein. Aus den
Pressekonferenzen der Regierung weiß Jana, dass man abgesehen von beruflichen Gründen, der
Deckung wichtiger Grundbedürfnisse und der Unterstützung von hilfsbedürftigen Menschen öffentliche
Bereiche nur betreten darf um sich die Beine zu vertreten oder mit dem Haustier vor die Tür zu gehen.
Da sie aber auch gehört hat, dass das Betreten fremder Wohnungen in Zeiten von Corona erlaubt sei,
macht sie sich zu Fuß auf den Weg zur nahegelegenen Wohnung von Karin. Dort angekommen, feiern
die Freundinnen ausgelassen bis in die Morgenstunden. Da die Nachbarn durch die Geräusche in der
Wohnung auf die Feier aufmerksam werden, rufen sie aus Angst vor Ansteckungsgefahr durch die
rücksichtslosen Partygäste die Polizei. Als die Beamten bei der Wohnung eintreffen, zeigen sich die
Freundinnen kooperativ und willigen ein, die Party zu beenden und sich von den Beamten nach Hause
bringen zu lassen. Jana geht am nächsten Tag wie gewohnt arbeiten und macht sich keine weiteren
Gedanken über den unangenehmen Zwischenfall. Einige anstrengende Arbeitswochen später wird ihr
aber ein Straferkenntnis zugestellt, in dem eine Geldstrafe in Höhe von 2000 € gegen sie verhängt wird,
weil sie am Abend des 23.3.2020 gegen § 1 Corona VO verstoßen habe. Kurze Zeit später erhält sie ein
weiteres Schreiben, in dem ihr die Gewerbeberechtigung gem § 87 Abs 1 Z 3 GewO entzogen wird. In
der Begründung der Entziehung verweist die Behörde auf das Straferkenntnis und führt aus, dass Jana
die erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitze, weil sie durch die Verletzung der
Ausgangsbeschränkungen gegen die Schutzinteressen ihrer Kund/innen, die in die COVID-19
Risikogruppe fallen, schwerwiegend verstoßen habe.
3) Erörtern Sie die Rechtslage im Hinblick auf den Entziehungsbescheid. Lassen Sie dabei
die Frage der Gesetzes- und Verfassungskonformität der Verordnung außer Acht.
(~ 26 %)

Hinweis zur Beurteilung:


Für Aufbau, Klarheit und Stringenz der Argumentation werden ca. 10% der Punkte vergeben.
Für eine positive Beurteilung ist es nicht erforderlich, dass Sie bei jeder einzelnen Frage eine
bestimmte Punktezahl erreichen.

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