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Werni/Winninger

Lösungsskizze – Erster Fall

1) Wie sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde? (37 P)

[Beachten Sie: Bei der FÜM 3 ist es anders als bei der FÜM 2 eher unüblich, dass ganz allgemeine
Fragen gestellt werden – Stichwort: „Wie ist die Rechtslage?“. In aller Regel gibt es konkretere Fragen.
Hier wird nach den Erfolgsaussichten der Beschwerde gefragt. Die Zulässigkeit wird im Sachverhalt
vorausgesetzt und es wird nicht nach ihr gefragt, weshalb Sie darauf nicht eingehen müssen.

Die Beschwerde wird Erfolg haben, wenn der Bescheid rechtswidrig ergangen ist. Das ist der Fall, wenn
er von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde, wenn Verfahrensfehler vorliegen oder wenn der
Bescheid inhaltlich rechtswidrig ist. Dieses Schema ist ganz eingängig und logisch, wenn Sie bedenken,
dass jeder Rechtsakt ja von jemandem, auf eine bestimmte Weise und mit einem bestimmten Inhalt
erlassen wird.]

Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit der Behörde ergibt sich aus § 16 Abs 1 VersG (1 P). In Tulln ist
weder die Landespolizeidirektion Sicherheitsbehörde erster Instanz (§ 8 SPG) noch ist Tulln
Sitz des Landeshauptmanns, daher ist die Bezirksverwaltungsbehörde (lit c) sachlich zuständig
(1 P). Es liegt auch kein Fall des §§ 16 Abs 2 iVm 6 Abs 2 VersG vor (1 ZP). Aus § 16 Abs 1
VersG (arg „an Orten“, „am Sitze“, „an allen anderen Orten“) ergibt sich, dass die Behörde am
Ort der Versammlung örtlich zuständig ist (1 P). Die BH Tulln war daher zur Untersagung der
Versammlung zuständig (1 P).

[Die örtliche Zuständigkeit im Versammlungsrecht wird in den Lehrbüchern auch anders, nämlich mit
§ 3 Z 2 AVG gelöst. Dies erscheint aber fragwürdig, weil in der Bestimmung auf eine „dauernde“
Tätigkeit abgestellt wird, eine Versammlung aber per definitionem vorübergehend ist. Es ist stimmiger
anzunehmen, dass § 16 VersG selbst die örtliche Zuständigkeit regelt, insofern die Bestimmung
durchwegs voraussetzt, dass die Behörde am Ort der Versammlung zuständig ist, und dass daher § 3 Z 2
AVG wegen Subsidiarität nicht anwendbar ist.]

Verfahren

Verfahrensfehler liegen kein vor (1 P), insbesondere wurde das rechtliche Gehör des Vereins
gewahrt (§§ 37, 45 Abs 3 AVG) (1 P).

Inhaltliche Rechtmäßigkeit

Gem § 6 Abs 1 VersG dürfen Versammlung untersagt werden. Eine Versammlung iSd § 1
VersG ist nach der Rsp eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, wenn sie in der Absicht
veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion,
Manifestation, usw) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen
entsteht (1 P). Die angezeigte Kundgebung ist eine Versammlung, weil mehrere Menschen
(etwa zehn) gemeinsam eine bestimmte Meinung kundtun möchten (1 P).

Untersagt werden dürfen Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder
deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet. § 6 Abs 1
VersG ist verfassungskonform dahingehend zu interpretieren, dass Untersagungen nur dann
zulässig sind, wenn sie gem Art 11 Abs 2 EMRK notwendig sind, also einem dort genannten
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legitimen Ziel dienen und verhältnismäßig sind. (1 P) [Sie müssen bedenken, dass § 6 Abs 1 VersG
sehr alt ist, nämlich über 150 Jahre. Der VfGH behilft sich mit dieser Konstruktion, um einen
grundrechtskonformen Umgang mit Versammlungen zu ermöglichen.]

Erwerbsfreiheit Dritter

Das öffentliche Wohl iSd § 6 Abs 1 VersG umfasst auch die Rechte anderer (1 P). Die
Erwerbsfreiheit ist ein Recht (Art 6 StGG) und ihr Schutz daher ein legitimes Ziel iSd Art 11
Abs 2 EMRK („Rechte und Freiheiten anderer“) (1 P). Das Recht wäre durch die
Nichtuntersagung und Abhaltung der Versammlung beeinträchtigt, weil ernsthaft zu befürchten
ist, dass der Betrieb von „ALF“ gestört wird (1 P). Dafür spricht insbesondere, dass es in Wien
bei solchen Kundgebungen „stets“ zu Störungen der Handelsbetriebe gekommen ist (1 ZP).

Die Untersagung ist geeignet, um die Erwerbsfreiheit von „ALF“ zu schützen (1 P).

Ein gelinderes Mittel ist nicht vorhanden (1 P). Insbesondere ist die Behörde mangels einer
Befugnis im VersG nicht ermächtigt, selbst Beschränkungen der Versammlung vorzuschreiben
(1 P). [Beachten Sie: Letzteres ist alles andere als selbstverständlich. In Deutschland zB ist die
Versammlungsbehörde in der Regel sehr wohl ermächtigt, solche Beschränkungen anzuordnen. Dort
hätte sie also vermutlich auch die entsprechende Änderung des Ortes einseitig anordnen dürfen. In
Österreich darf das aber nicht einseitig angeordnet werden, sondern es darf dem Veranstalter nur
vorgeschlagen werden, dazu sogleich.] Auch die Ermächtigung zur Festlegung eines
Schutzbereichs gem § 7a VersG ist keine geeignete Befugnis (1 ZP).

Schließlich muss die Untersagung auch adäquat/angemessen/verhältnismäßig im engeren Sinn


sein. Eine Versammlungsuntersagung ist ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit
und darf grundsätzlich nur ultima ratio sein (1 P). Hier hat sich die Behörde nachdrücklich um
eine Verlegung des Ortes bemüht, um eine Untersagung zu vermeiden (1 P). Es wäre für den
Veranstalter zumutbar gewesen, diesem Vorschlag nachzukommen, weil es seine
Versammlungsfreiheit nicht nennenswert beschränkt hätte, wenn die Versammlung ein paar
Meter entfernt stattgefunden hätte (1 P). Umgekehrt wäre die Beeinträchtigung der
Erwerbsfreiheit von „ALF“ viel größer gewesen als bei (Verkehrs-)Störungen, welche für
gewöhnlich mit Versammlungen in der Öffentlichkeit einhergehen und daher zu dulden sind
(1 P). Da Martin namens des Vereins eine Änderung des Ortes kategorisch verweigerte,
erscheint es adäquat, die Versammlung zu untersagen (1 P). Das Thema einer Versammlung
darf in die Abwägung grundsätzlich nicht miteinbezogen werden (1 ZP).

Es könnte sein, dass das Schreiben der LPD NÖ an diesem Ergebnis etwas ändert. [Über
behördliche Erklärungen wie diese gibt es leider keine allgemeinen Regeln, was eine Beurteilung nicht
ganz einfach macht. Lesen Sie dazu insbesondere Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (2017)
Rz 1283 ff.]

Das Schreiben der LPD NÖ ist nicht als Bescheid zu qualifizieren: Es ist zwar ein nach außen
gerichteter und individuell adressierter Akt einer Verwaltungsbehörde im Bereich der
Hoheitsverwaltung (1 P). Allerdings gestaltet die Behörde durch das Schreiben nicht die
Rechtslage, sondern sie bestätigt bloß den Eingang der Anzeige und äußert ihre – nicht näher
konkretisierte – Rechtsmeinung (Wissenserklärung) (1 P): Die Behörde verweist
unsubstantiiert auf die Einhaltung des VersG, wodurch sie kein Recht einräumt, sondern nur
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darüber informiert, dass die Vorschriften des VersG bei der Abhaltung von Versammlungen zu
beachten sind (1 P). Gegen die Annahme eines Bescheids spricht auch, dass das VersG solche
bescheidförmigen Zusicherungen oder Genehmigungen der Behörde nicht vorsieht (1 P). Es
kennt nur die Bescheinigung der Anzeige (§ 2 Abs 2 VersG), welche aber nicht als Bescheid
ergeht (1 P). Gegen die Annahme eines Bescheids spricht auch, dass das Schreiben nicht als
Bescheid bezeichnet wird (1 ZP). Aufgrund Z 3 BeschlussProvNV (manchmal auch Art 12
StGG) darf die Rechtmäßigkeit einer Versammlung nicht von einer behördlichen Genehmigung
abhängig gemacht werden (Verbot des Konzessionssystems) (1 ZP). Auch in
verfassungskonformer Interpretation liegt es daher nicht nahe, einen (genehmigenden)
Bescheid anzunehmen (1 ZP).

Fraglich ist, ob nichtbescheidförmige behördliche Erklärungen, welche gesetzlich nicht


vorgesehen sind, ansonsten einen „Erfüllungsanspruch“ des Adressaten begründen können
(1 P). Dies wird vom VwGH unter Hinweis auf das Legalitätsprinzip abgelehnt (1 P).

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass solche Erklärungen der Behörde grundsätzlich
in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 6 VersG iVm Art 11 EMRK zugunsten des
Adressaten miteinzubeziehen sind, ist fraglich, ob dies auch für die fragliche Erklärung gelten
würde (1 P). Denn zuständig für die Untersagung der Versammlung war die BH Tulln, die
Erklärung stammt aber von der LPD NÖ, also von einer unzuständigen Behörde (1 P). Martins
Vertrauen auf die Erklärung ist daher nicht schützenswert (1 P). Zudem war das Schreiben an
Martin selbst adressiert und nicht an den veranstaltenden Verein (1 ZP).

Das Schreiben der LPD NÖ ist daher für die Rechtmäßigkeit der Untersagung unerheblich
(1 P). [Beachten Sie: das heißt nicht zwangsläufig, dass die Erklärung nicht rechtserheblich und
womöglich rechtswidrig sein könnte. Sie könnte zB womöglich amtshaftungsrechtliche Relevanz haben.
Das ist aber eine andere Frage als die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheids der BH Tulln, und um
dies allein geht es hier.]

Fehlerhafte Anzeige

Die Kundgebung ist eine öffentliche Volksversammlung iSd § 2 Abs 1 VersG, welche daher
mindestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes
und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich anzuzeigen ist (1 P). Es liegt keine
Vereinsversammlung iSd § 10 VerG vor, weil die Versammlung in der Öffentlichkeit stattfindet
und auch keine Beschränkung auf Vereinsmitglieder vorgesehen ist („Gleichgesinnte“) (1 ZP).

Dieses Erfordernis hat der Verein durch die Anzeige des Martin erfüllt (1 P). Dass die Anzeige
bei der falschen Behörde (LPD NÖ) eingebracht wurde, schadet nicht, weil der Anruf des
Mitarbeiters der BH Tulln beweist, dass die Anzeige der BH Tulln als zuständige Behörde
rechtzeitig weitergeleitet wurde (vgl § 6 Abs 1 AVG) (1 P).

Bereits deshalb ist die Begründung der Behörde verfehlt, wonach eine Untersagung
gerechtfertigt ist, weil die Anzeige bei der falschen Behörde eingebracht wurde (1 P). Zudem
wäre ein Verbot einer Versammlung allein wegen der nicht gesetzmäßigen Anzeige nach der
Rsp nicht iSd Art 11 Abs 2 EMRK notwendig (1 P). [Hieraus folgt aber nicht, dass der Bescheid
rechtswidrig ist, denn die Begründung der Untersagung mit der Erwerbsfreiheit haben wir ja akzeptiert.]

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Ergebnis

Die Untersagung der Versammlung war zum Schutz der Erwerbsfreiheit von „ALF“
gerechtfertigt und daher gem § 6 Abs 1 VersG iVm Art 11 Abs 2 EMRK rechtmäßig. Die
Beschwerde wird keinen Erfolg haben (1 P).

[Der Fall ist übrigens inspiriert von einer Entscheidung des VfGH, VfSlg 18.601/2008.]

2) a) Wer ist die zuständige Stelle? (9 P)

Die im Vlb BauG geregelten Angelegenheiten sind solche des eigenen Wirkungsbereichs (§ 51
Vlb BauG) (1 P). Daher könnte es einen innergemeindlichen Instanzenzug geben (Art 118
Abs 4 B-VG) (1 P). Nach § 17 Abs 2 Vlb GemG besteht in Angelegenheiten des eigenen
Wirkungsbereichs der Gemeinde, zu deren Regelung das Land zuständig ist, kein Instanzenzug
(1 P). Bauangelegenheiten sind gem Art 15 Abs 1 B-VG Landessache in Gesetzgebung und
Vollziehung und fallen daher unter diesen Ausschluss (1 P). Daher handelt es sich bei den drei
Schreiben nicht um Berufungen gem § 63 AVG (1 P), sondern um Bescheidbeschwerden gem
Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (1 P).
Zuständiges Organ für die Erledigung von Bescheidbeschwerden ist das Verwaltungsgericht
des Landes Vorarlberg (1 P) (sachlich: Art 131 Abs 1 B-VG; örtlich: § 3 Abs 1 VwGVG (1 P)).
Alfons hat die Beschwerde gem § 14 Abs 2 VwGVG an das Verwaltungsgericht vorgelegt,
woraus sich keine weiteren Probleme ergeben (1 P).
b) Verfassen Sie für die zuständige Stelle eine Erledigung der drei Schreiben! (43 P)

[Bevor Sie einen Schriftsatz zu schreiben beginnen, müssen Sie mitunter schon ziemlich viel wissen.
Hier zB müssen Sie schon das Ergebnis kennen, wenn Sie die Spruchpunkte hinschreiben. Bedenken
Sie das, wenn Sie Schriftsätze schreiben, also ordnen Sie Ihre Gedanken, bevor Sie zu schreiben
beginnen oder skizzieren Sie zB vorher die Lösung.

Auch ganz generell sollten Sie ausreichend darüber nachgedacht haben, was Sie schreiben werden,
bevor Sie tatsächlich zu schreiben beginnen. Wenn Sie später auf Fehler draufkommen, müssen Sie
diese nachträglich ausbessern, was mühsam sein kann. Außerdem laufen Sie dann Gefahr, dass Sie sich
in Widersprüche verstricken.]

Landesverwaltungsgericht Vorarlberg
Landwehrstraße 1, 6900 Bregenz [Adresse] (0,5 P)

Geschäftszahl: XX-XX (0,5 P)

Bregenz, am xx.xx.2021 (0,5 P)

Martin [Adresse] (0,5 P)


Emil [Adresse] (0,5 P)
Dorothea [Adresse] (0,5 P)

IM NAMEN DER REPUBLIK (1 P)

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Das LVwG Vorarlberg hat durch die Richterin Mag. X über die Beschwerde des Martin gegen
den Bescheid des Bürgermeisters von Silbertal vom 30.11.2020, GZ XY, betreffend die
Erteilung einer Baubewilligung

zu Recht erkannt (1 P):

I. Der Beschwerde des Martin wird gem § 28 Abs 1 VwGVG Folge gegeben und der zweite
Spruchpunkt des bekämpften Bescheids ersatzlos behoben (1 P).

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gem § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den
Verwaltungsgerichtshof gem Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig (1 P).

Über die Beschwerden des Emil und der Dorothea gegen den Bescheid des Bürgermeisters von
Silbertal vom 30.11.2020, GZ XY, betreffend die Erteilung einer Baubewilligung fasst das
LVwG Vorarlberg durch die Richterin Mag. X den

Beschluss (1 P):

I. Die Beschwerde des Emil wird gem § 28 Abs 1 VwGVG zurückgewiesen (1 P).

II. Die Beschwerde der Dorothea wird gem § 28 Abs 1 VwGVG zurückgewiesen (1 P).

III. Gegen diesen Beschluss ist gem § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den
Verwaltungsgerichtshof gem Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig (1 P).

[Beachten Sie, dass die Aufhebung des Spruchpunkts als Erkenntnis, die Zurückweisung einer
Beschwerde als Beschluss ergeht; siehe §§ 28 Abs 1, 31 Abs 1 VwGVG.]

Entscheidungsgründe

Folgender Sachverhalt steht fest: siehe Angabe (0,5 P)

Zu diesem Ergebnis kam das LVwG Vorarlberg aufgrund folgender Beweismittel und für die
Beweiswürdigung maßgeblicher Erwägungen: … (0,5 P)

Der festgestellte Sachverhalt ist wie folgt rechtlich zu beurteilen:

1. Beschwerde des Martin

Als Antragsteller im Bauverfahren hat Martin ein Recht auf nur gesetzmäßige Belastungen
(1 P). In diesem Recht kann er durch den zweiten Spruchpunkt verletzt sein, weshalb seine
Beschwerde nach Art 132 Abs 1 Z 1 B-VG zulässig ist (1 P).

Die Beschwerde ist in offener Frist, nämlich innerhalb von vier Wochen ab Zustellung (§ 7
Abs 4 VwGVG) (1 P) bei der Behörde eingebracht worden, welche den Bescheid erlassen hat
(§§ 9 Abs 2 Z 1, 12 VwGVG), nämlich beim Bürgermeister von Silbertal (1 P).

Es gibt keine Hinweise auf Formmängel der Beschwerde (1 ZP).

Die Beschwerde des Martin ist zulässig (1 P), und sie ist auch begründet:

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Der Bürgermeister von Silbertal ist gem § 50 Abs 1 Vlb BauG zur Erledigung von Bauanträgen
zuständig (1 ZP) (örtliche Zuständigkeit: § 3 Z 1 AVG (1 ZP)).
Es gibt keine Hinweise auf Verfahrensfehler (1 ZP).
Beim zweiten Spruchpunkt handelt es sich um eine Auflage (1 P). [Also eine Verpflichtung,
welche der begünstigte Bescheidadressat zu erfüllen hat, wenn er die Begünstigung in Anspruch nimmt]
Gem § 29 Abs 1 Vlb BauG dürfen Auflagen dann vorgeschrieben werden, wenn dies
erforderlich ist um sicherzustellen, dass das Bauvorhaben den Voraussetzungen des § 28 Abs 2
Vlb BauG, also insbesondere den baurechtlichen Vorschriften, entspricht (1 P). Grundsätzlich
erfassen die baurechtlichen Vorschriften auch den Schutz vor Immissionen (§ 8 Abs 1 Vlb
BauG), weshalb auch Auflagen zum Schutz vor Immissionen vorgeschrieben werden dürfen
(1 P).1

Die Auflage mag hinreichend bestimmt sein (1 P). Es gibt allerdings keine Hinweise darauf,
dass der Betrieb einer gewöhnlichen Gaststätte in geschlossenen Räumlichkeiten zu
Belästigungen der Nachbarn führen würde, die das ortsübliche Ausmaß gem § 8 Abs 1 Vlb
BauG übersteigen (1 P). Dagegen spricht insbesondere auch, dass das Bauprojekt offenbar –
mangels gegenteiliger Hinweise im Sachverhalt – raumordnungsrechtlich zulässig ist (1 P).2
Die Auflage ist daher zur Abwehr von das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Belästigungen
nicht geeignet (1 P). Zu bezweifeln ist auch, ob ein absolutes Betriebsverbot für zwei volle
Wochen erforderlich und verhältnismäßig wäre (1 ZP). [Zur Beruhigung: Sie können nicht zuletzt
daran, dass hier Rsp zitiert wird, erkennen, dass diese Frage nicht einfach zu beantworten ist. Viele von
Ihnen sind davon ausgegangen, dass nur die Gewerbebehörde zur Vorschreibung solchen Auflagen
ermächtigt ist. Das leuchtet auf den ersten Blick ein, Sie müssen aber trotzdem anhand des konkreten
Gesetzes überprüfen, ob auch das Baurecht solche Auflagen zulässt.]

Die Auflage im zweiten Spruchpunkt des Bescheids ist daher nicht gesetzeskonform und
verletzt Martin in seinem Recht auf Freiheit von nicht gesetzmäßigen Belastungen (1 P).

Da der maßgebliche Sachverhalt feststeht, war gem § 28 Abs 2 Z 1 VwGVG in der Sache selbst
zu entscheiden (1 P).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden (1 ZP).

2. Beschwerde des Emil

Emil ist gem § 2 Abs 1 lit k Vlb BauG Nachbar (1 P): Er ist Eigentümer eines Grundstücks, das
zu dem Baugrundstück in einem solchen Naheverhältnis steht, dass mit Auswirkungen der
Benützung zu rechnen ist, gegen welche das Vlb BauG Schutz gewährt (1 P). Als Nachbar
könnte er durch den Bescheid in seinem Recht auf Einhaltung des Immissionsschutzes gem § 8
Abs 1 iVm § 26 Abs 1 lit c Vlb BauG verletzt sein (1 P).
Allerdings bewirkt nach hM und Rsp3 die Präklusion der Parteistellung im vorangegangen
Verwaltungsverfahren auch den Verlust der Beschwerdelegitimation an das VwG (1 P). [Das
ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG, weil dort nichts von der Parteistellung

1
Vgl zu Beschränkungen der Öffnungszeiten von Gastgärten vgl VwGH 23.10.2007, 2007/06/0241.
2
Als ortsübliches Ausmaß ist das gemessen an der Widmung örtlich zumutbare Maß an Immissionen
ausschlaggebend; zB VwGH 07.07.2011, 2010/06/0159.
3
VwGH 28.03.2018, Ra 2015/07/0055.
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steht, wird aber allgemein angenommen. Hintergrund ist, dass nach dem Regime des AVG die Befugnis
zur Erhebung der Berufung mit der Rechtsstellung als Partei verbunden ist und dass der Untergang der
Parteistellung dort auch automatisch den Verlust der Rechtsmittellegitimation zur Folge hat.]

Die Parteistellung von Emil ist im vorangegangen Verwaltungsverfahren präkludiert (1 P):


Zwar entfaltete die Kundmachung an der Amtstafel der Gemeinde keine Präklusionswirkung,
weil keine doppelte Kundmachung iSd § 42 Abs 1 AVG vorliegt (1 P). Emil wurde aber mit
Hinweis auf die Präklusionsfolgen („entsprechendes Schreiben“) persönlich verständigt (1 P).
Da er bis zur Verhandlung keine Einwendungen erhoben hat, erstreckt sich die
Präklusionswirkung gem § 42 Abs 2 AVG auf ihn (1 P).
Das Schreiben von Emil kann auch nicht als „Quasi-Wiedereinsetzung“ iSd § 42 Abs 3 AVG
gedeutet werden (1 ZP). Es enthält keinerlei Ausführungen darüber, dass er durch ein
unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis verhindert war, rechtzeitig Einwendungen zu
erheben (1 ZP).
Die Beschwerde ist daher mangels Beschwerdelegitimation unzulässig und war
zurückzuweisen (1 P).
3. Beschwerde der Dorothea

Dorothea ist keine Nachbarin iSd § 2 Abs 1 lit k Vlb BauG, weil sie weder Eigentümerin des
Grundstücks ist noch Bauberechtigte, sondern bloße Mieterin (1 P). Als solche hat sie keine
öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte nach § 26 Abs 1 Vlb BauG oder einer anderen
Bestimmung des Vlb BauG (1 P). Dorothea macht mit dem „Recht auf Urlaubsfreude“ – wenn
überhaupt – ein bloß privatrechtliches Recht geltend (1 P).
Die Beschwerde ist daher mangels Beschwerdelegitimation unzulässig und war
zurückzuweisen (1 P).
4. Zur Nichtdurchführung einer Verhandlung (1 ZP)
Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 2 VwGVG
(1 ZP) unterbleiben, weil die Beschwerden des Emil und der Dorothea zurückzuweisen sind
(1 ZP) und weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde des Martin
bekämpfte Spruchpunkt des Bescheids aufzuheben ist (1 ZP).
5. Zur Unzulässigkeit einer Revision (1 P)
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4
B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In seiner Entscheidung ist
das Gericht weder von der bisherigen Rsp abgewichen, noch fehlt es an einer Rsp des VwGH.
Weiters ist die zu den maßgeblichen materiell- und verfahrensrechtlichen Bestimmungen
vorliegende Rsp des VwGH, soweit hier relevant, nicht uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen
auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage
vor.

Belehrung gem § 30 VwGVG (1 P)


Gegen dieses Erkenntnis bzw den Beschluss kann innerhalb von 6 Wochen nach Zustellung
Beschwerde an den VfGH und/oder außerordentliche Revision an den VwGH erhoben werden.
Diese sind durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen. Für die
Beschwerde bzw Revision ist jeweils eine Eingabegebühr von 240 € zu entrichten. Es besteht
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die Möglichkeit, auf die Beschwerde beim VfGH und die Revision beim VwGH zu verzichten.
Der Verzicht hat zur Folge, dass die Beschwerde bzw Revision nicht mehr zulässig ist.

Als Einzelrichterin
Mag. X
Mag. X (1 P)
Ergeht an: Martin, [Adresse], Emil [Adresse], Dorothea [Adresse] (0,5 P)
Bürgermeister von Silbertal [Adresse] (0,5 P)
3) Können Wiener Fiakerunternehmer gegen diese Beschränkungen vorgehen und wenn
ja, werden sie Erfolg haben? (57 P)

[Anders als bei Frage 1 wird hier nicht nur nach den Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels gefragt,
sondern zunächst danach, ob ein solches überhaupt zur Verfügung steht. Sie müssen also auch die
Zulässigkeit eines Rechtsmittels prüfen.

Wenn Sie die Vorschriften lesen, wird Ihnen auffallen, dass die im Sachverhalt genannten
Beschränkungen teilweise im Gesetz, teilweise in der Verordnung enthalten sind. Es empfiehlt sich eine
getrennte Bearbeitung, weil sonst Prüfungsgegenstand und -maßstab ständig vermischt wird.]

Die Vorschriften gehen übrigens auf tatsächlich bestehende Bestimmungen zurück, wurden aber variiert
und um eine Verordnung ergänzt.]

a) Wr FiakerG
Zulässigkeit
Gegen die Bestimmungen des Wr FiakerG (§ 3 Abs 2 letzter Satz) (1 P) (§ 3 Abs 3) (1 P)
kommt ein Individualantrag gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG in Frage (1 P).
Die Fiakerunternehmer sind Normadressaten aufgrund dieser Bestimmungen und von diesen
nachteilig betroffen (1 P).
Fiakerunternehmer können sich auf die Verletzung ihrer Grundrechte, insb ihrer
Erwerbsfreiheit gem Art 6 StGG, berufen, und eine Verletzung ist möglich (1 P). Vorausgesetzt
ist hier, dass die Fiakerunternehmer Staatsbürger oder Unionsbürger (Art 18 AEUV) sind
(1 ZP). [Denn Art 6 StGG ist ein Staatsbürgerrecht.]
Nicht berufen können sich die Fiakerunternehmer auf die „Bewegungsfreiheit“, weil der
Schutzbereich nicht betroffen ist (1 P): Die Freizügigkeit (Art 4 und 6 StGG, Art 2 4. ZP-
EMRK) schützt die persönliche Bewegungsfreiheit innerhalb des Staatsgebiets (1 P). Die
fraglichen Bestimmungen des Wr FiakerG beschränken nicht die Bewegung und den Aufenthalt
im Staatsgebiet, sondern sie regeln den Einsatz von Zugpferden (1 P).
Fiakerunternehmer sind unmittelbar betroffen, weil die im Gesetz statuierten Pflichten gelten,
ohne dass ein weiterer Rechtsakt erlassen werden müsste (1 P).
Sie sind auch aktuell betroffen, sofern die Bestimmungen bereits in Kraft sind (1 P). Das ist
aufgrund des Sachverhalts anzunehmen (1 P).
Den Fiakerunternehmern steht auch kein zumutbarer Rechtsweg offen, die Rechtswidrigkeit
anders als durch einen Individualantrag an den VfGH heranzutragen (1 P). Die einzig andere
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Werni/Winninger

Möglichkeit wäre, nach § 14 Abs 2 Wr FiakerG einen Strafbescheid zu provozieren und gegen
diesen in weiterer Folge mittels Bescheid- und Erkenntnisbeschwerde vorzugehen (1 P). Dieser
Umweg ist nach Rsp des VfGG unzumutbar (1 P).
Der Antrag muss schriftlich und unter Bezugnahme auf Art 140 B-VG gestellt werden (§ 15
VfGG) (1 P). Er muss von einem Anwalt abgefasst und eingebracht werden (§ 17 VfGG), und
er muss den Inhalt nach § 62 Abs 1 VfGG aufweisen (1 P).
Bei Einhaltung dieser Erfordernisse ist der Individualantrag zulässig (1 P).
In Frage kommt darüber hinaus eine amtswegige Prüfung des G durch den VfGH gem Art 140
Abs 1 Z 1 lit b B-VG (1 ZP), soweit er es anzuwenden hätte im Verfahren über eine Beschwerde
eines betroffenen Unternehmers nach Art 144 B-VG gegen ein Erkenntnis eines
Verwaltungsgerichts, mit dem eine Beschwerde gegen einen Strafbescheid aufgrund Verletzung
der im Wr FiakerG statuierten Pflichten abgewiesen wurde (1 ZP).
Die Ermächtigung in § 3 Abs 4 Wr FiakerG greift nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der
Fiakerunternehmer ein, weil noch ein weiterer Rechtsakt, nämlich eine Verordnung, erlassen
werden muss (1 ZP). Die Fiakerunternehmer können gegen diese Bestimmung daher nicht
mittels Individualantrag gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG vorgehen (1 ZP).
Begründetheit
[Beachten Sie: wenn der Individualantrag zulässig ist, muss der VfGH prüfen, ob die angefochtenen
gesetzlichen Bestimmungen verfassungswidrig sind, dh Prüfungsgegenstand ist das Gesetz,
Prüfungsmaßstab das Verfassungsrecht. Es geht nun nicht mehr um die individuelle Situation der
Antragsteller, sondern um das Gesetz selbst. Die Normenkontrolle aufgrund Individualantrags wird nur
deshalb der „konkreten“ Normenkontrolle zugeordnet, so zB Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12
(2019) Rz 1003, weil es durch einen konkret betroffenen Antragsteller eingeleitet wird.]

Der Individualantrag wird erfolgreich sein, wenn § 3 Abs 2 letzter Satz und § 3 Abs 3 Wr
FiakerG kompetenzwidrig sind, wenn sie nicht verfassungsmäßig erzeugt oder kundgemacht
wurden (1 ZP) oder wenn sie inhaltlich nicht verfassungskonform, insbesondere
grundrechtswidrig, sind (1 P). [Für Kompetenzrecht und das Gesetzgebungsverfahren gibt es
Zusatzpunkte, weil beides Teil des Staatsorganisationsrechts und daher streng genommen kein Teil der
Stoffabgrenzung ist. Beachten Sie auch: Dieses Schema ist im Wesentlichen identisch mit dem Schema
der Bescheidprüfung. Es geht um Zuständigkeit/Kompetenz, Verfahren und Kundmachung und
inhaltliche Rechtmäßigkeit.]

Gewerberecht ist gem Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung
(1 ZP). Gem § 1 Abs 3 GelverkG gehören dazu nicht die Angelegenheiten der Beförderung von
Personen mit Fahrzeugen, die durch die Kraft von Tieren bewegt werde (1 ZP). Die fraglichen
Regelungen fallen daher grundsätzlich unter die Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG und
sind Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung (1 ZP).
Nun ist zwar Tierschutz, soweit er nicht nach anderen Bestimmungen in Gesetzgebung
Bundessache ist, mit Ausnahme der Ausübung der Jagd oder Fischerei, gem Art 11 Abs 1 Z 8
B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Landessache in Vollziehung (1 ZP). Die fraglichen
Vorschriften regeln aber unmittelbar die Ausübung des Betriebs von Fiakerunternehmen und
unterfallen daher nicht dem Kompetenztatbestand „Tierschutz“ (1 ZP). Aufgrund der
Berücksichtigungsbefugnis darf das Land auch Zwecke der Bundesgesetzgebung
berücksichtigen (1 ZP).

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Die Regelungen sind daher kompetenzkonform ergangen (1 ZP).


[Zu Ihrer Beruhigung: In der Prüfungssituation werden Sie kompetenzrechtlichen Fragen oftmals nicht
eindeutig beurteilen können, weil hierfür Interpretationsleistungen erbracht werden müssten, zu der Sie
in der Prüfung in der Regel nicht in der Lage sind – Stichwort Versteinerungstheorie. Es handelt sich
auch wie gesagt um Zusatzpunkte. In der Entscheidung VfGH 26.09.2017, G 347/2016-8, von der dieser
Fall inspiriert ist, können Sie bei Interesse nachlesen, was der VfGH über die Kompetenzfrage noch
gesagt hat.]

Hinweise auf Fehler im Gesetzgebungsverfahren liegen keine vor (1 ZP).


Die fraglichen Vorschriften greifen in die Erwerbsfreiheit gem Art 6 StGG ein, weil sie den
Betrieb von Fiakerunternehmen beschränken (1 P).
Der Eingriff ist im Wr FiakerG geregelt und damit, wie von Art 6 StGG gefordert, gesetzlich
vorgesehen (1 P). Darüber hinaus muss der Eingriff verhältnismäßig sein (1 P).
Der Eingriff dient legitimen Zielen, nämlich der Aufrechterhaltung der Sicherheit beim Betrieb
von Fiakerunternehmen (1 P) und dem Tierschutz (1 P). Dass Tierschutz ein legitimes Ziel
darstellt, wird verfassungsrechtlich in § 2 BVGNachhaltigkeit klargestellt (1 ZP). Unrichtig ist
die Meinung des Martin, dass die Regelungen die Rechte der Pferde schützen, weil Pferde keine
(Grund-)Rechte haben (1 ZP).
Die Regeln sind geeignet, die Interessen zu fördern, weil sichergestellt wird, dass Pferde
ausreichend Zeit zur Regeneration haben (1 P).
Die Regelungen sind auch erforderlich, weil gelindere Mittel (zB Vorschriften über
einzuhaltende Pausen) nicht denselben Schutz der Tiere vor Überlastung garantieren (1 P). [Die
Erforderlichkeit einer Regelung ist mitunter nicht eindeutig zu beurteilen, weil der Gesetzgeber bei der
Auswahl seiner Mittel auch einen gewissen Spielraum hat. Das soll Sie aber nicht weiter verunsichern.
Verneinen Sie jedenfalls dann die Erforderlichkeit, wenn es offenbar ein gelinderes Mittel gibt, das
denselben Erfolg herbeiführt.]

Die Regelungen sind auch adäquat: Es handelt sich bei den gesetzlichen Pflichten um bloße
Ausübungsschranken und damit um keinen schwerwiegenden Eingriff in die Erwerbsfreiheit
(1 P). Die zeitlichen Beschränkungen sind nicht besonders restriktiv, und sie gelten auch nicht
für bestellte Fahrten (1 P). Überlastete Zugpferde können für sich selbst und andere Teilnehmer
am Straßenverkehr ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen (1 P). Dies hintanzuhalten wiegt
die geringfügige Einschränkung der Erwerbsfreiheit auf (1 P).
Die Fiakerunternehmer machen außerdem einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-
VG) geltend (1 P). Der Gleichheitssatz bindet grundsätzlich auch den Gesetzgeber (1 ZP). Er
ist aber nicht anwendbar auf Regelungen verschiedener Gesetzgeber, weil es wesentlich zu
einem Bundesstaat gehört, dass Länder unterschiedliche Regelungen vorsehen (1 P). Der
Gleichheitssatz kann daher durch unterschiedliche Regelungen der Länder auf dem Gebiet des
Fiakerwesens nicht betroffen sein (1 P).
Der Individualantrag gegen die gesetzlichen Bestimmungen wird nicht erfolgreich sein (1 P).
b) Wr FiakerV
Zulässigkeit

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Werni/Winninger

Gegen die Bestimmungen der Wr FiakerV (§§ 1 und 2) (1 P) kommt ein Individualantrag gem
Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG in Frage (1 P).
Die Zulässigkeitsprüfung erfolgt sinngemäß wie bei 3a) (1 P), allerdings muss sich der Antrag
auf Art 139 B-VG beziehen und den Inhalt nach § 57 Abs 1 VfGG aufweisen (1 P). Dass die
Bestimmungen in Kraft sind und daher ein aktueller Rechtseingriff vorliegt, ist auch aufgrund
§ 3 Wr FiakerV anzunehmen (1 ZP).
In Frage kommt darüber hinaus eine amtswegige Prüfung der Verordnung durch den VfGH
gem Art 139 Abs 1 Z 2 B-VG (1 ZP), soweit er sie anzuwenden hätte im Verfahren über eine
Beschwerde eines betroffenen Unternehmers nach Art 144 B-VG gegen ein Erkenntnis eines
Verwaltungsgerichts, mit dem eine Beschwerde gegen einen Strafbescheid aufgrund Verletzung
der in der FiakerV statuierten Pflichten abgewiesen wurde (1 ZP).
Begründetheit
[Hier muss der VfGH nun prüfen, ob die Verordnung gesetzwidrig ist. Es geht um die Vereinbarkeit mit
dem einfachen Gesetzesrecht, aber auch mit dem Verfassungsrecht. Prüfungsgegenstand ist die
Verordnung, Prüfungsmaßstab das Gesetzes- und Verfassungsrecht. Das FiakerG, namentlich sein § 3
Abs 4, wird also jetzt zum Maßstab, während das Gesetz vorher Prüfungsgegenstand war.]

Der Antrag wird Erfolg haben, wenn §§ 1 und 2 Wr FiakerV von einer unzuständigen Behörde
erlassen wurden, wenn sie nicht rechtskonform erzeugt oder kundgemacht wurden oder wenn
sie inhaltlich rechtswidrig sind (1 P). [Dieses Schema ist Ihnen ja nun bekannt.]
Die Wiener Landesregierung ist gem Art 18 Abs 2 B-VG und § 3 Abs 4 WrFiakerG zuständig,
eine solche Verordnung zu erlassen (1 P).
Verfahrens- oder Kundmachungsprobleme sind nicht erkennbar (1 P). Das Wr FiakerG sieht
keine Verfahrens- oder Kundmachungsvorschriften vor (1 ZP). Eine Pflicht, die gesetzliche
Bestimmung anzuführen, auf welche die Verordnung gestützt ist, besteht nicht (1 ZP).
Inhaltlich könnte die Verordnung rechtswidrig sein, wenn sie keine gesetzliche Grundlage hat
oder dieser widerspricht (1 P).
Gesetzliche Grundlage ist § 3 Abs 4 Wr FiakerG (1 P). Diese Bestimmung ermächtigt zu
zeitlichen Beschränkungen des Betriebs von Fiakerunternehmen/mit Pferden betriebenen
Mietwagenunternehmen (1 P).
Die Einschränkung des § 1 Wr FiakerV ist keine zeitliche Beschränkung, sondern sie knüpft
allein an eine Eigenschaft der Zugpferde an (1 P). Da solche Beschränkungen nicht durch § 3
Abs 4 Wr FiakerG gedeckt sind, ist § 1 Wr FiakerV gesetzwidrig (1 P).
§ 2 Wr FiakerV sieht eine zeitliche Beschränkung vor (1 P). Die Bestimmung verbietet nämlich
den Betrieb von Fiakern für die Dauer bestimmter Tage (1 P). § 2 Wr FiakerV dient auch den
gesetzlichen Zwecken (Reduktion der Stressbelastung der Tiere, Sicherheit des
Straßenverkehrs) (1 P). Dem Verordnungsgeber ist auch nicht entgegenzutreten, wenn er davon
ausgeht, dass solche Beschränkungen zur Erreichung dieser Zwecke erforderlich sind (1 P).
[Unser Ergebnis ist, dass die Verordnung dem FiakerG teilweise entspricht (§ 2), teilweise nicht (§ 1).
Abschließend müssen Sie sich nun fragen, ob vielleicht die gesetzliche Grundlage selbst
verfassungswidrig ist, weil dies im Ergebnis auch § 2 FiakerV rechtswidrig machen würde. Hier
wechselt die Perspektive nun wieder. Prüfungsgegenstand ist die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage,
Prüfungsmaßstab das Verfassungsrecht. Beachten Sie aber: Im Rahmen des
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Werni/Winninger

Verordnungsprüfungsverfahrens nach Art 139 B-VG kann der VfGH nicht über die
Verfassungskonformität von Gesetzen entscheiden. Kontrollfrage: Was müsste der VfGH also tun, wenn
er – entgegen dem folgenden Ergebnis – meint, dass die Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig
ist?]

Möglich wäre auch, dass die gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist (1 P). Hierfür gibt es
aber keine Anhaltspunkte (1 P): Die Verordnungsermächtigung ist hinreichend determiniert
gem Art 18 Abs 2 B-VG (1 P): Sie legt fest, dass nur bestimmte Einschränkungen des Betriebs
(nämlich zeitliche) zu bestimmten Zwecken (Reduktion der Stressbelastung der Pferde,
Sicherheit des Straßenverkehrs) zulässig sind (1 P). Auch aus grundrechtlicher Sicht begegnet
die Ermächtigung keinen Bedenken (siehe dazu oben) (1 P).
Der Antrag wird hinsichtlich § 1 Wr FiakerV Erfolg haben (1 P). Der VfGH wird die
Bestimmung gem § 59 Abs 1 VfGG als gesetzwidrig aufheben (1 P). Keinen Erfolg wird der
Antrag hinsichtlich § 2 Wr FiakerV haben (1 P).

Bewertung
[Es ist üblich, dass 10% der Punkte für Aufbau, Klarheit und Stringenz der Punkte vergeben werden.
Achten Sie daher auf einen nachvollziehbaren Aufbau, dh prüfen Sie in einer nachvollziehbaren
Reihenfolge und nicht durcheinander. Drücken Sie sich klar aus, dh machen Sie deutlich, was Sie
meinen und vermeiden Sie unklare Sprache. Achten Sie auf die Stringenz Ihrer Argumentation, dh
vermeiden Sie Widersprüche und Inkonsistenzen.
Die Ästhetik Ihrer Schrift geht nicht in die Bewertung ein. Trotzdem ist mit Nachdruck zu empfehlen,
gut leserlich zu schreiben und auf ein übersichtliches und ansprechendes Schriftbild zu achten. Gar nicht
Lesbares kann nicht gewertet werden.]

37 + 9 + 42 + 58 + 15 (Aufbau, Klarheit, Stringenz) = 161 Punkte (und 43 ZP)


Notenschritte: 4 (ab ca. 40%); 3 (ab ca. 50%); 2 (ab ca. 60%); 1 (ab ca. 70%).

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