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PD Dr. Lübke, LL.M. (Harvard) / PD Dr.

Hong Sommersemester 2019

Recht für Wirtschaftswissenschaftler (OREC)


Lösungsvorschlag zur Hauptklausur

Teil 1: Öffentliches Recht

1. Wo regelt das Grundgesetz das Folterverbot und welche Positionen werden zu


seiner Beschränkbarkeit vertreten (Sie müssen nicht selbst zu diesem Streit
Stellung beziehen)?

(Regelungsort: 5 Punkte): Das Folterverbot ist für festgehaltene Personen im


Misshandlungsverbot des Art. 104 I 2 GG speziell geregelt.

Anmerkung für die Korrektoren: Die volle Punktzahl kann schon mit der Nennung des
Art. 104 I 2 GG erreicht werden, nicht aber ohne diese Nennung. Daneben können
Bonuspunkte auch für die Nennung weiterer Grundrechte wie die
Menschenwürdegarantie (Art. 1 I GG), das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2
II 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG, vergeben
werden. Die Höchstpunktzahl darf aber für diesen Aufgabenteil gleichwohl nicht 5
überschreiten.

(Positionen zur Beschränkbarkeit: 7 Punkte): Ob das Folterverbot beschränkbar ist, ist


umstritten. Nach der einen Auffassung kann es in Ausnahmefällen beschränkt werden;
teils wird dies aus der Schutzpflicht für das Leben oder die Menschenwürde (Art. 1 I 2
GG) von Unschuldigen abgeleitet, die durch die Folter gerettet werden könnten. Nach
der Gegenauffassung ist das Folterverbot dagegen, als Ausprägung der
Menschenwürde, wie diese selbst, unantastbar, also unbeschränkbar (absolut geschützt).
Die Achtungspflicht für die Menschenwürde des Gefolterten kann danach auch
zugunsten der Schutzpflicht für die Menschenwürde nicht beschränkt werden.

2. Was ist unter dem Streit über das subjektive oder objektive Auslegungsziel zu
verstehen und welche Auslegungsmittel („Canones der Auslegung“) gibt es?

Bei der Gesetzesauslegung kann man Auslegungsziel und Auslegungsmittel


unterscheiden. Das Auslegungsziel ist umstritten: Gilt es, den Willen des Gesetzgebers
herauszufinden, also das, was der Gesetzgeber mit dem Wortlaut zum Ausdruck bringen
wollte, wie es die sog. subjektive Theorie annimmt? Oder ist das Ziel der Auslegung
der objektive Sinn des Gesetzes, unabhängig davon was der Gesetzgeber wollte, wie
die sog. objektive Theorie es meint?
Über die Auslegungsmittel zur Erreichung des (jeweiligen) Auslegungsziels besteht
dagegen zumindest weitgehend Einigkeit: Die herkömmlichen Auslegungsmittel, die
vier so genannten Canones der Auslegung, sind jedenfalls auszuschöpfen, also die
Auslegung nach Wortlaut, Geschichte, Systematik und Sinn und Zweck der Norm.

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3. Welche Rolle hat der Bundesrat bei der Gesetzgebung?

Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung mit (vgl. Art. 50 GG).
Bundesgesetze sind entweder Zustimmungsgesetze oder Einspruchsgesetze. Bei den
Zustimmungsgesetzen kommt es auf die Zustimmung des Bundesrates an, ohne die
das Gesetz nicht in Kraft treten kann, während bei den Einspruchsgesetzen der
Einspruch des Bundesrates durch den Bundestag überstimmt werden kann (vgl. Art. 77,
Art. 78 GG).
Anmerkung für die Korrektoren: Für die Nennung jeder zutreffenden Norm können
jeweils 2 Bonuspunkte (insgesamt aber gleichwohl nur 12 Punkte) vergeben werden.

4. Was sagt die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 über die


Menschenrechte, den Zweck des Staates und das Widerstandsrecht?

Die Unabhängigkeitserklärung erklärt zu den Menschenrechten als „Wahrheiten für


selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind“ und „dass sie von ihrem
Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet wurden, darunter
Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“. Zum Zweck des Staates hält die Erklärung
fest, dass „um diese Rechte zu sichern“ Regierungen unter den Menschen eingesetzt
werden, die ihre gerechten Befugnisse aus der Zustimmung der Regierten ableiten. Zum
Widerstandsrecht sagt die Erklärung, dass immer, „wenn irgendeine Regierungsform“
sich „zerstörerisch“ auf diese Ziele auswirkt, es „das Recht des Volkes“ ist, „sie zu
ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung zu bilden“.

5. Welche grundrechtlichen Bedenken werden gegen staatliche


Überwachungsermächtigungen, etwa zur Online-Durchsuchung, schon bei einer
„drohenden Gefahr“ geltend gemacht (Sie müssen zu diesen Bedenken nicht selbst
Stellung nehmen)?

Das grundrechtliche Problem der Absenkung von Eingriffsschwellen, etwa auf eine
bloße „drohende Gefahr“ liegt in einem möglichen Verstoß gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne). Schwer wiegende Grundrechtseingriffe (wie
z.B. Online-Durchsuchung, Telefonüberwachung, Überwachung durch V-Leute)
können unverhältnismäßig sein, wenn sie schon unter zu geringen Voraussetzungen
zugelassen werden. Die entsprechenden Eingriffsermächtigungen können deshalb
gegen die jeweils betroffenen Grundrechte verstoßen.
Anmerkung für die Korrektoren: Für die zutreffende Nennung und korrekte Erläuterung
anhand eines Beispiels können bis zu 3 Bonuspunkte (insgesamt aber gleichwohl nur 12
Punkte) vergeben werden.

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Teil 2: Privatrecht:
Hinweise für die Korrektur:

 Die Studierenden sollen die Fragen nach Möglichkeit in ganzen Sätzen beantworten.
Für eine nur stichwortartige Bearbeitung ist kein Punktabzug vorzunehmen, sofern alle
wesentlichen Gesichtspunkte genannt werden.
 Die in den folgenden Lösungshinweisen verwendeten Definitionen müssen nicht
wortgetreu wiedergegeben werden; eine sinngemäß richtige Definition reicht für die
volle Punktzahl.
 Für die volle Punktzahl sollen die in den Lösungshinweisen aufgeführten Vorschriften
präzise genannt werden. Wenn der Paragraph bzw. Absatz genannt, aber der Absatz
bzw. Satz nicht näher genannt wird, genügt das für die volle Punktzahl, soweit
erkennbar ist, dass Bearb. das Richtige meint. Sofern bei sonst richtiger Antwort die
zugrundeliegenden Vorschriften nicht genannt wurden, sollte das nur zu einem
moderaten Punktabzug führen.
 Die im Folgenden grau hinterlegten Antwortbestandteile können, wie angegeben, mit
Bonuspunkten honoriert werden, sind aber zur Erlangung der vollen Punktzahl nicht
erforderlich.
 Pro Aufgabe können höchstens 12 Punkte erlangt werden. Bonuspunkte (im Folgenden
grau hinterlegt) können daher nur vergeben werden, wenn Bearb. nicht alle regulären
Punkte bekommen hat.



6. Was ist ein Angebot (= Antrag) im Sinne des § 145 BGB? Liegt schon ein Angebot
(= Antrag) vor, wenn ein Buchhändler ein Buch mit gut lesbarem Preisschild ins
Schaufenster stellt?

- Antrag/Angebot iSd § 145 BGB


 Angebot muss wesentliche Vertragsbestandteile (oder: essentialia negotii)
enthalten, so dass Annahme durch bloßes „ja“ möglich ist [4 Punkte, einschl.
(i)-(iii)]
(i) Identität der Vertragspartner (wer)
(ii) Vertragsgegenstand (was)
(iii) bei entgeltlichen Verträgen: Gegenleistung
 Angebot muss mit Rechtsbindungswillen erfolgen = Wille, mit jedem, der mit
„ja“ antwortet, den Vertrag zu schließen [2 Punkte]
 empfangsbedürftige Willenserklärung, d.h. wirksam erst mit Zugang, § 130 I 1
BGB [bis zu 2 Bonuspunkte]
- Buch im Schaufenster: kein Rechtsbindungswille [2 Punkte] wegen Gefahr von
Mehrfachbindung [2 Punkte], daher bloße invitatio ad offerendum (oder:
Einladung, ein Angebot abzugeben) [2 Punkte]

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7. Wann hat der Schuldner eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB
„zu vertreten“?

- zu vertreten nach § 276 I 1 BGB [1 Punkt]


 Vorsatz = Wissen und Wollen [2 Punkte]
 Fahrlässigkeit = Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276
II BGB) [2 Punkte]
- zu vertreten nach § 278 BGB: Verschulden eines Erfüllungsgehilfen [1 Punkt]
 Erfüllungsgehilfe: Schuldner bedient sich des Dritten bei der Erfüllung von
Pflichten aus einem Schuldverhältnis [2 Punkte]
 Schädigung erfolgt bei Erfüllung (oder: steht im sachlichen Zusammenhang mit
der übertragenen Tätigkeit) [2 Punkte]
 Verschulden des Erfüllungsgehilfen [2 Punkte]

8. Stellen Sie sich vor, Sie haben für 12.000 Euro einen Gebrauchtwagen gekauft und
bezahlt. Nach der Übergabe und Übereignung stellt sich heraus, dass das Auto
einen bis dahin unerkennbaren Mangel aufweist, den der Verkäufer nicht zu
vertreten hat. Eine Nacherfüllung (Reparatur oder Ersatzlieferung) kommt nicht
in Betracht. Aufgrund des Mangels ist das Auto nur 7.500 Euro wert. Ohne den
Mangel wäre es 10.000 Euro wert gewesen. Welche zwei Rechte können Sie
gegenüber dem Verkäufer geltend machen? Welches davon ist für Sie bei
wirtschaftlicher Betrachtung günstiger? (Eine knapp erläuterte Antwort genügt –
es ist keine Falllösung erforderlich.)

- nicht möglich: § 437 Nr. 3 BGB (Schadensersatz oder Aufwendungsersatz), weil


kein Vertretenmüssen [bis zu 2 Bonuspunkte]
- Möglichkeit 1: Rücktritt, § 437 Nr. 2 Fall 1 BGB [2 Punkte]
Folge: Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen nach §§ 346 ff. BGB, d.h. hier:
Rückzahlung von 12.000 Euro und Rückgabe des Wagens [3 Punkte]
- Möglichkeit 2: Minderung, § 437 Nr. 2 Fall 2 BGB [2 Punkte]
Folge: Herabsetzung des Kaufpreises im Verhältnis des Wertes der mangelfreien
Sache zum wirklichen Wert (§ 441 III BGB), d.h. hier: Herabsetzung auf ¾ = 9.000
Euro [3 Punkte]
und Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrags, 3.000 Euro [1 Bonuspunkte]
- wirtschaftlich günstiger: Rücktritt (weil für den Käufer nachteiliges Wertverhältnis
bei der Minderung erhalten bleibt; oder: weil der Käufer hier bei einer Minderung
immer noch ein schlechtes Geschäft macht) [2 Punkte]

9. Wer ist nach der gesetzlichen Definition „Kaufmann“ (Istkaufmann), wer


„Unternehmer“? Wofür ist es jeweils von Bedeutung, ob jemand Kaufmann bzw.
Unternehmer ist?

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- Kaufmann (§ 1 HGB): wer ein Handelsgewerbe betreibt, d.h. einen


Gewerbebetrieb, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten
Geschäftsbetrieb erfordert [4 Punkte]
Gewerbe = jede (i) offene, (ii) planmäßig auf gewisse Dauer gerichtete, (iii)
erlaubte, (iv) auf Gewinnerzielung gerichtete und (v) selbständige Tätigkeit (vi) mit
Ausnahme der freien Berufe [bis zu 3 Bonuspunkte]
 Kaufmannseigenschaft ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit des HGB [2
Punkte]
- Unternehmer, § 14 BGB = eine Person oder Personengesellschaft (auch richtig:
jeder), der/die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen
oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt [4 Punkte]
 Unternehmereigenschaft ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit der
Verbraucherschutzregeln [2 Punkte]

10. Fall: Käufer K kauft ein neues Bügeleisen, das Herstellerin H hergestellt hat.
Gleich beim ersten Gebrauch überheizt sich der Griff, weil ein Kabel falsch
verlötet ist. Als K das Bügeleisen nach einer kurzen Pause wieder anfasst, zieht er
sich deshalb schwere Verbrennungen an der Hand zu. An seinem Uhrenarmband
entsteht ein Brandfleck, der das Armband unbrauchbar macht. Kann K von H
Ersatz für seine Arztkosten (300 Euro) und das Uhrenarmband (Wert: 80 Euro)
nach dem Produkthaftungsgesetz verlangen? (Es ist zu unterstellen, dass K die
Arztkosten selbst getragen hat.)

Hinweis für die Korrektur: Eine umfassende Lösung wird von den Studierenden nicht verlangt.
Die Verwendung des Gutachtenstils ist nicht erforderlich. Für die volle Punktzahl ist
ausreichend, dass die richtigen Anspruchsgrundlagen und Prüfungspunkte genannt und auf den
Sachverhalt bezogen werden.

- Anspruchsgrundlage: § 1 I ProdHaftG [2 Punkte]


- Voraussetzungen:
 Fehler eines Produkts = Bügeleisen (§§ 2, 3 ProdHaftG) [2 Punkte]
 H ist Hersteller (§ 4 ProdHaftG) [2 Punkte]
 Schädigung von Leben, Körper, Gesundheit oder privat genutzter Sache: hier
Körperverletzung (Hand) und Sachbeschädigung (Uhrenarmband) [2 Punkte]
 Kausalität des Fehlers für die Schädigung [1 Punkt]
 kein Anspruchsausschluss nach § 1 II, III ProdHaftG [1 Bonuspunkt]
- Rechtsfolge: Schadensersatz:
 Uhrenarmband (80 Euro): wegen Selbstbeteiligung (bis 500 Euro), § 11
ProdHaftG) hier kein Ersatz [2 Punkte]
 Arztkosten (300 Euro): Ersatzanspruch für Heilungskosten [1 Punkt]
§ 8.1 ProdHaftHG [1 Bonuspunkt]

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