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Recht und Staat

Zusammenfassungen

Inhaltsverzeichnis

1. Vorgehen beim Bearbeiten von Rechtsfällen / Was ist am QV


erlaubt?.................................................................................................. 3
2. Öffentliches Recht ............................................................................. 5
Aufgaben Öffentliches Recht............................................................................ 15
3. Gesetzgebungsverfahren und Rechtsquellen .............................. 19
Aufgaben Gesetzgebungsverfahren und Rechtsquellen .............................. 24
4. Privatrecht (Zivilrecht) und Prozessrecht ....................................... 27
Aufgaben Privatrecht (Zivilrecht) und Prozessrecht ........................................ 32
5. Allgemeine Vertragslehre .............................................................. 34
Wichtige Gesetzesartikel .................................................................................... 47
Aufgaben Allgemeine Vertragslehre ................................................................ 48
6. Kaufvertrag ...................................................................................... 52
Wichtige Gesetzesartikel .................................................................................... 61
Aufgaben Kaufvertrag ....................................................................................... 62
7. Zwangsvollstreckung (SchKG) ....................................................... 67
Wichtige Gesetzesartikel .................................................................................... 76
Aufgaben Zwangsvollstreckung (SchKG) ......................................................... 77
8. Mietvertrag ...................................................................................... 81
Wichtige Gesetzesartikel .................................................................................... 88
Aufgaben Mietvertrag ....................................................................................... 90
9. Verträge auf Arbeitsleistung .......................................................... 94
Wichtige Gesetzesartikel ...................................................................................105
Aufgaben Verträge auf Arbeitsleistung...........................................................106
10. Steuerrecht .................................................................................. 111
Aufgaben Steuerrecht ......................................................................................119
11. Familienrecht............................................................................... 122
Wichtige Gesetzesartikel ...................................................................................130
Aufgaben Familienrecht ...................................................................................132

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12. Erbrecht........................................................................................ 134
Wichtige Gesetzesartikel ...................................................................................141
Aufgaben Erbrecht ............................................................................................142
13. Gesellschaftsrecht ...................................................................... 144
Wichtige Gesetzesartikel ...................................................................................158
Aufgaben Gesellschaftsrecht ...........................................................................159

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1. Vorgehen beim Bearbeiten von Rechtsfällen / Was ist am
QV erlaubt?

Wie sind Gesetzesartikel aufgebaut?

Beispiel 1:

Artikel Nummer Art. 74


1
Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrückli-
Absätze chen oder aus den Umständen zu schliessenden
Willen der Parteien bestimmt.
2
Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende
Grundsätze:
1. Geldschulden sind an dem Ort zu zahlen, wo
….
Ziffern 2. Wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist
diese …….

Beim letzten Satz: "Wird eine bestimmte Sache geschuldet ….", handelt es
sich also um: Art. 74 Abs. 2 Ziffer 2 OR

Beispiel 2:
Artikel Art. 330b
Numm 1
Absatz Wurde das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit
oder für mehr als einen Monat eingegangen, so
muss der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach
Beginn des Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer
schriftlich informieren über:
Buchstabe, man sagt a) die Namen der Vertragsparteien;
auch litera (lit.) b) das Datum des Beginns des Arbeitsver-
hältnisses

Beim fett gedruckten Gesetzesabschnitt handelt es sich also um:


Art. 330b Abs. 1 Buchstabe (oder lit.) a OR.

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Vorgehen, wenn Sie einen Rechtsfall lösen müssen

1. Sachverhalt studieren
Worum geht es (Thema)? Was ist genau die Frage, welche ich beantworten
muss?

2. Gesetzesartikel suchen
Suchen im Sachregister oder im Inhaltsverzeichnis. Arbeitet man mit dem
Sachregister, benötigt man meistens einen Fachbegriff. Dieser kann manchmal
aus dem Sachverhalt herausgelesen werden. Häufig braucht es etwas Phan-
tasie und mehrere Versuche. Wird man mit dem Sachregister nicht fündig,
bleibt der Versuch über das Inhaltsverzeichnis: Man sucht das Kapitel
(Kaufvertrag, etc.), schlägt es auf und überfliegt die Zwischentitel und die
Randnotizen.

Wichtig: Genau lesen, vor allem auch allfällige zweite oder dritte Absätze.
Gerade mit dem Sachregister findet man häufig nicht direkt den korrekten
Artikel, sondern "landet" irgendwo in der richtigen Gegend. Dann müssen Sie
auch die umliegenden Artikel durchscannen.

3. Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolge herausarbeiten


Tatbestandsmerkmale
Beschreiben im Gesetzesartikel die Punkte, die zutreffen müssen, damit
etwas geschieht („wenn das der Fall ist …..“)
Rechtsfolge
Die Rechtsfolge ist das, was geschieht, wenn alle Tatbestandsmerkmale
zutreffen. („…dann passiert folgendes…..“)

4. Urteil fällen
Treffen alle Tatbestandsmerkmale auf den vorliegenden Fall zu? Wenn ja,
kommt es zur im Artikel beschriebenen Rechtsfolge

Was ist am QV erlaubt?


► Erlaubt: Markierungen und Unterstreichungen im ZGB/OR
► Erlaubt: Randzettel ankleben
► Nicht erlaubt: Etwas ins ZGB/OR schreiben
► Nicht erlaubt: Die Randzettel beschriften

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2. Öffentliches Recht

Das öffentliche Recht


► Regelt die Beziehung zwischen Staat und Bürger.
► Es handelt sich um ein Unterordnungsverhältnis: Der Bürger ist dem Staat un-
tergeordnet.
► Vorschriften können nicht abgeändert werden (zwingende Rechtsvorschrif-
ten).

Wichtigste Rechtsgebiete des öffentlichen Rechts


Staatsrecht
► Regelt Rechte/Pflichten der Bürger; Aufbau des Staates, Aufteilung der Auf-
gaben zwischen Bund und den Kantonen, etc.

Verwaltungsrecht
► Regelt die die rechtlichen Beziehungen zwischen dem verwaltenden Staat
(Behörden) und den Bürgern.
► Regelt die Aufgaben der Behörden.
► Beispiele: Steuer-, Bau-, Strassenverkehrsrecht, Schulwesen, Militär.

Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz


Das SchKG behandelt das Verfahren beim Eintreiben von Geldforderungen.

Strafrecht
Das StGB umfasst jene Rechtsvorschriften, welche das Verfahren und das
Strafmass bei strafbaren Handlungen (z. B. Diebstahl) regelt.

Prozessrecht
Im Prozessrecht wird das Verfahren vor Gericht festgelegt (welches Gericht ist
für einen bestimmten Fall zuständig; wie läuft der Prozess ab, etc.). Das Prozess-
recht zerfällt in Bestimmungen über den Zivil-, den Straf- und den Verwal-
tungsprozess.

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Die Schweiz ist ein Rechtsstaat; was bedeutet das?
Rechtsstaat: Der Macht des Staates werden Grenzen gesetzt.

Merkmale eines Rechtsstaats


Legalitätsprinzip
Die Behörden und die staatliche Verwaltung müssen sich an die Gesetze hal-
ten. Beispielsweise darf ein Steuerbeamter einem Kollegen keinen Steuerrabatt
geben, der gemäss Steuergesetz nicht vorgesehen ist.

Gewaltentrennung
Die Macht wird auf verschiedene Behörden verteilt, damit nicht die ganze
Staatsgewalt bei einer Behörde liegt. Es gibt folgende Gewalten in einem
Rechtsstaat:
► Legislative: Sie berät über neue Gesetze und stimmt über sie ab. In der
Schweiz bilden auf Bundesebene der Nationalrat und der Ständerat die Le-
gislative. National- und Ständerat bilden zusammen die Bundesversamm-
lung.
► Exekutive: Sie führt die vom Parlament beschlossenen Gesetze aus und führt
die Verwaltung. In der Schweiz bildet auf Bundesebene der Bundesrat die
Exekutive. Sie müssen sich das so vorstellen, dass die von der Legislative
beschlossenen Bundesgesetze nun detailliert ausgearbeitet werden müssen,
damit die betroffenen Behörden und Institutionen (zum Beispiel die Ar-
beitslosenämter) damit arbeiten können. Der Bundesrat schreibt sozusagen
die Rezepte und sorgt dafür, dass sie in der täglichen Praxis umgesetzt
werden. Man sagt diesen detaillierten Anordnungen Verordnungen.
► Judikative: Sie fällt Urteile in Streitfällen (Rechtsprechung). In der Schweiz bil-
det auf Bundesebene das Bundesgericht die Judikative.

Grundrechte
Der Staat muss seinen Bürgern gewisse Grundrechte garantieren. Eine Zusam-
menstellung aller Grundrechte finden Sie in der Bundesverfassung (BV), Artikel
7 - 36. Hier folgt eine Auswahl von Grundrechten:
Rechtsgleichheit (Art. 8 BV)
Alle Menschen sind vor dem Recht gleich. Niemand darf diskriminiert werden
(zum Beispiel wegen seiner Rasse, oder seiner Religion).
Recht auf Leben und persönliche Freiheit (Art. 10 BV)
Die Todesstrafe oder Folter und unmenschliche Behandlungen sind verboten.
Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit.
Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit (BV, Art. 15)
Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Über-
zeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu beken-
nen.
Meinungsfreiheit (Art. 16 BV)
Gilt aber nicht unbeschränkt (Ehrverletzung, rassistische Äusserungen, etc.).

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Eigentumsgarantie (Art. 26 BV)
Die Eigentumsgarantie kann aber in Spezialfällen (wenn das öffentliche Interes-
se überwiegt) gegen volle Entschädigung aufgehoben werden. Beispiel: Es soll
eine Autobahn gebaut werden, die über privates Land führt. In einem solchen
Fall kann ein Grundeigentümer enteignet werden.
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV)
Ich kann den Beruf ausüben, den ich will.

Übersicht über die Gewaltentrennung:


Nochmals: Der Sinn der Gewaltentrennung liegt darin, dass die Macht im Staat
auf verschiedene Stellen verteilt wird.

Legislative Exekutive Judikative


(Berät über Gesetze und (Führt die Gesetze (Rechtspre-
stimmt über sie ab) aus) chung)
Bundesversammlung
(Parlament), bestehend
aus zwei Kammern: Bundesrat: Bundesgericht
a) Nationalrat: 7 Mitglieder
200 Mitglieder (Volksver-
tretung): Je mehr Ein- Alle Mitglieder müs-
wohner ein Kanton hat, sen getroffene Ent-
Bund desto mehr Nationalräte scheidungen mit-
hat er. tragen; man spricht
von einer Kollegial-
b) Ständerat: behörde
46 Mitglieder (Kantons-
vertretung): Pro Kanton
zwei Vertreter; pro Halb-
kanton ein Vertreter.
Kantone Kantonsrat: Regierungsrat: Obergericht;
(Beispiel Kanton 180 Mitglieder 7 Mitglieder Verwaltungsge-
Zürich) richt; Sozialver-
sicherungsgericht
Gemeinden Gemeinderat: Stadtrat: Friedensrichter
(Beispiel Stadt 125 Mitglieder 9 Mitglieder
Zürich)

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Aufgaben der Behörden auf
Bundesebene

National- und Ständerat Bundesgericht


Im Normalfall pro Jahr vier getrennte ► Rechtsprechung
Sessionen (= Sitzungen) während je
drei Wochen.
► Gesetzgebung

► Wahl Bundesrat, Bundespräsident,


Bundesrichter
► Aufsicht über Bundesrat
► Beschluss über Bundesausgaben

Bundesrat
► Bestimmung Regierungspolitik
► Vollzug der Gesetze
► Leitung der Bundesverwaltung
► Beziehung zum Ausland
► Budget aufstellen

Der Bundesrat ist eine Kollegialbehörde. Das


bedeutet, dass jeder Bundesrat einen
gefassten Beschluss auch dann nach aus-
sen vertreten muss, wenn er persönlich ge-
gen diesen Entscheid ist.
Als Bundesrat muss man also häufig über sei-
nen Schatten springen.

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Zusammensetzung des Bundesrates

Von links nach rechts haben wir:

Ignazio Cassis (FDP)


Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)
➔ Beziehung zum Ausland, Zusammenarbeit mit internationalen Organisatio-
nen.

Alain Berset (SP)


Eidgenössisches Departement des Innern (EDI)
➔ Altersvorsorge (AHV, Pensionskassen), Versicherungen, Gesundheit.

Karin Keller-Sutter (FDP)


Vorsteherin des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD)
➔ Bundesgesetze vorbereiten, Asylwesen, Polizeiwesen.

Viola Amherd (CVP )


Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport
(VBS)
➔ Armee, Zivilschutz und Sport.

Ueli Maurer (SVP)


Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD)
➔ Bundesfinanzen, Steuern, Zölle.

Guy Parmelin (SVP)


Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF)
➔ Wirtschaftspolitik, Berufsbildung, Landwirtschaft.

Simonetta Sommaruga (SP)


Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommuni-
kation (UVEK)
➔ Verkehr, Umweltschutz, Energie, Radio, Fernsehen, Telekommunikation.

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Der Bundesstaat Schweiz
Die Schweiz ist ein Bund aus diversen Kantonen, welche vor der Gründung der
Eidgenossenschaft unabhängige Staaten waren (allerdings nicht unbedingt in
den Kantonsgrenzen von heute). Damit die Schweiz als Staat geschaffen
werden konnte, musste festgelegt werden, wie die Aufgabenteilung zwischen
dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden vollzogen werden sollte.

In der Schweiz gelten folgende Prinzipien der Aufgabenteilung:


► Die 20 Kantone und 6 Halbkantone sind in hohem Mass selbstständig. Die-
sem Prinzip sagt man Föderalismus. Föderalismus ist ein Merkmal eines
Bundesstaates. Möglichst viele Kompetenzen sollen bei den einzelnen Kan-
tonen und bei den Gemeinden liegen.
► Die Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden wird nach
dem Grundprinzip der Subsidiarität vorgenommen: Was die Gemeinden
selbst bewältigen können, liegt in ihrer Kompetenz. Wenn sie mit einer Auf-
gabe überfordert sind, übernimmt der Kanton. Ist der Kanton überfordert,
übernimmt der Bund. Welche Aufgaben dem Bund zugewiesen sind, steht
in der Bundesverfassung. Natürlich gibt es durchaus Streitigkeiten, wer nun
was übernehmen soll. Aber hier geht es ja nur darum, das Grundprinzip zu
erklären.
Beispiele für diese Aufgabenteilung: Die Aussenpolitik ist Sache des Bundes,
das Schulwesen ist eine Aufgabe, die bei den Kantonen liegt. Die Kehricht-
abfuhr liegt in der Kompetenz der Gemeinden.

Trifft der Bund einmal eine gesetzliche Regelung, dann dürfen kantonale Be-
stimmungen dieser gesetzlichen Regelung des Bundes nicht widersprechen.
Dies führt zu einem weiteren Grundsatz: Bundesrecht bricht kantonales Recht.

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Regierungsformen

Demokratie
In einer Demokratie ist das Volk (= Souverän) oberster Entscheidungsträger. Es
gibt drei „Spielarten“ der Demokratie:
► Direkte Demokratie, indirekte Demokratie und halbdirekte Demokratie.

Formen der Demokratie:


Direkte Demokratie
Das Volk stimmt über alle Gesetze ab. Es gibt kein gesetzgebendes Parlament.
In einer direkten Demokratie gibt es eine Regierung, welche dem Volk
Vorschläge unterbreitet und das Volk stimmt dann darüber ab.
Beispiele für direkte Demokratie:
Gemeindeversammlungen in kleineren Gemeinden der Schweiz, Landsge-
meinden in den Kantonen Appenzell Innerrhoden und Glarus.

Indirekte Demokratie (man sagt auch repräsentative Demokratie)


Das Volk wählt nur die Politiker. Diese stimmen dann über Gesetze ab. Das Volk
wird in der Regel nicht mehr gefragt.
Beispiele für indirekte Demokratie:
Deutschland, Italien, USA, Japan.

Halbdirekte Demokratie
Die halbdirekte Demokratie ist eine Mischung zwischen der direkten und der
indirekten Demokratie. Das Volk
- wählt die Politiker, welche Gesetze beschliessen (Element der indirekten De-
mokratie.)
- kann aber Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen mit Hilfe des Initiativ- und
Referendumsrechts (Element der direkten Demokratie).
Beispiel für halbdirekte Demokratie:
Schweiz

Diktatur
► Die Macht wird durch einen Einzelnen, eine kleine Gruppe oder eine Partei
ausgeübt.
► Kaum Meinungsfreiheit, kaum Rechtssicherheit.
► Kaum Opposition zugelassen.
► Manipulierte Wahlen.
► Beispiele: Nordkorea, China (diese Länder würden das natürlich bestreiten,
und Sie würden verhaftet, wenn Sie das behaupten würden ☺).

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Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger
Politische Rechte
Wer politische Rechte hat, kann im Staat mitentscheiden und mitwirken.
Voraussetzungen: Man muss das Schweizer Bürgerrecht besitzen, mindestens
18-jährig und nicht bevormundet sein.

► Stimmrecht (Art. 136 BV)

► Wahlrecht (Art. 136 BV)


Aktives Wahlrecht: Ich wähle Politiker. Passives Wahlrecht: Ich kann mich
wählen lassen. Beim Wahlrecht gibt es zwei Wahlverfahren:
a) Majorzwahlverfahren
Majorz bedeutet "Mehrheit". Bei der Majorzwahl ist diejenige Person gewählt,
welche die absolut meisten Stimmen (= absolutes Mehr) erzielt hat. Hm, und
was bedeutet nun "absolutes Mehr"? Das heisst: 50% der Stimmen plus eine
Stimme.
Beispiel:
Ein Buttergipfeli und ein Schoggigipfeli stellen sich zur Wahl. 50 Personen
wählen. Gewonnen hat das Gipfeli, welches 26 Stimmen erzielt (50% von 50
= 25, plus 1).
Majorzwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Damit ist gemeint, dass ein Kandi-
dat bekannt sein muss, um eine realistische Wahlchance zu haben. Auf
Bundesebene werden folgende Wahlen nach dem Majorzprinzip durchge-
führt:
- Wahl des Bundesrates
- In den meisten Kantonen Wahl des Ständerates.
b) Proporzwahlverfahren
Proportional bedeutet "verhältnismässig". Auf eine Wahl bezogen heisst das,
dass die zu vergebenden Sitze im Verhältnis zum Stimmenanteil der Parteien
verteilt werden. Ein Vorteil des Proporz- gegenüber dem Majorzwahl-
verfahren ist es, dass auch kleinere Parteien Wahlchancen haben, weil es
bei der Proporzwahl kein absolutes Mehr gibt.
Beispiel: Es werden 40 Sitze verteilt. Eine Partei erhält 10% der Stimmen. Dann
erhält sie 10% der Sitze, also 4.
Auf Bundesebene findet in den meisten Kantonen die Wahl des Nationalrats
nach dem Proporzwahlverfahren statt.

► Initiativrecht (Art. 138 und 139 BV)


Mit einer Volksinitiative kann man eine Volksabstimmung über eine Ände-
rung der Bundesverfassung verlangen. Eine Volksinitiative kommt zustande,
wenn innert 18 Monaten 100'000 gültige Unterschriften gesammelt werden.
Eine Volksinitiative ist ein Instrument für etwas Neues. Im nächsten Kapitel
kommt mehr zum Thema Initiativrecht.

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► Referendumsrecht (Art. 141 BV)
Mit einem Referendum kann man eine Volksabstimmung über ein vom
National- und Ständerat beschlossenes Bundesgesetz erzwingen. Ein Refe-
rendum kommt zustande, wenn innert 100 Tagen 50'000 gültige Unter-
schriften gesammelt werden. Das Referendum ist ein Verhinderungsinstru-
ment (man will ein neues Bundesgesetz verhindern). Im nächsten Kapitel
kommt mehr zum Thema Referendumsrecht.

► Petitionsrecht (Art. 33 BV)


Eine Petition ist eine Bitte an Behörden. Die Behörden sind nicht dazu
verpflichtet, auf eine Petition einzugehen. Das Petitionsrecht steht auch
Ausländern und minderjährigen Personen zu.
Beispiel: Besorgte Eltern wünschen einen Fussgängerstreifen vor einem
Schulhaus und sammeln deshalb Unterschriften und reichen diese als Peti-
tion an die Behörde ein.

Staatsbürgerliche Rechte
Die staatsbürgerlichen Rechte sind, wie die politischen Rechte, den Schweizer
Staatsbürgern vorbehalten.
► Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV)
Recht, an irgendeinem Ort in der Schweiz zu wohnen. Dieses Recht gilt aber
beispielsweise im Rahmen des Freizügigkeitsabkommen unter bestimmten
Bedingungen auch für EU-Bürger (z.B., wenn sie einen Arbeitsvertrag haben).

► Schutz vor Ausweisung und Auslieferung (Art. 25 BV)


Schweizer Bürger dürfen nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden. Die
Auslieferung straffälliger Schweizer Bürger an ein anderes Land darf nur mit
dem Einverständnis der betroffenen Person erfolgen.

► Bürgerrechte (Art. 37 BV)


Schweizer Bürger kann nur sein, wer das Bürgerrecht einer Gemeinde und
eines Kantons besitzt.

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Die Grundrechte (Menschenrechte)
Freiheiten und Rechte, die jede Person für sich beanspruchen kann, unab-
hängig von der Nationalität, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, etc.
Hier eine Übersicht über einige Grundrechte:
BV 7: Menschenwürde BV 8: Rechtsgleichheit
(Ist zu achten und zu schützen) (Alle Menschen sind vor dem
Gesetz gleich)
BV 9: Schutz vor Willkür und Wahrung BV 10: Recht auf Leben und auf per-
von Treu und Glauben sönliche Freiheit
BV 11: Schutz der Kinder und Jugend- BV 12: Recht auf Hilfe in Notlagen
lichen
BV 13: Schutz der Privatsphäre BV 14: Recht auf Ehe und Familie
BV 15: Glaubens- und Gewissensfreiheit BV 16: Meinungs- und Informationsfrei-
heit
BV 17: Medienfreiheit (z. B. keine Zen- BV 20: Wissenschaftsfreiheit
sur) (die Freiheit der Lehre und For-
schung sind gewährleistet)
BV 19: Anspruch auf Grundschulunter- BV 22: Versammlungsfreiheit
richt (z. B. Teilnahme an Veranstaltun-
gen)
BV 23: Vereinigungsfreiheit BV 26: Eigentumsgarantie
(z. B. Beitritt zu einem Verein)
BV 27: Wirtschaftsfreiheit BV 28: Koalitionsfreiheit
(z. B. freie Wahl des Berufes) (Arbeitgeber und - nehmer dür-
fen sich zum Schutz ihrer Interes-
sen zusammenschliessen)
BV 33: Petitionsrecht BV 34: Gewährleistung der politischen
Rechte

Politische Pflichten
► Schulpflicht, Steuerpflicht, Militärdienstpflicht

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Aufgaben Öffentliches Recht

Der Drill Sergeant sagt: "Wenn Chuck Norris von einer Kugel ge-
troffen wird, blutet nicht er, son- dern die Kugel. Und nun wird
geübt!"

Öffentliches Recht
Zählen Sie zwei Merkmale des öffentlichen Rechts auf.
Regelt Beziehung zwischen Staat und Bürger. Staat ist dem Bürger übergeord-
_________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _________________________________________

net. Das öffentliche Recht ist zwingendes Recht.


_________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _________________________________________

Kreuzen Sie an, welchem Rechtsgebiet die das Steuerrecht zuzuordnen ist.
________ Obligationenrecht (OR)
________ Prozessrecht
________ Strafrecht
X Verwaltungsrecht
________

________ Vollstreckungsrecht (SchKG)

Rechtsstaat
Kreuzen Sie bei den folgenden Aussagen jeweils an, ob das Legalitätsprinzip,
die Gewaltentrennung oder ein Grundrecht angesprochen wird.

Aussage Legalitäts- Gewalten- Grundrecht


prinzip trennung
Der Bauvorstand von Seldwyla gibt ei-
nem Kollegen ausnahmsweise eine Bau- X
bewilligung in der Landwirtschaftszone.
Der Bundesrat ändert das Bundesgesetz
X
über die direkte Bundessteuer ab.
Herr Motzer findet die Politik der EDU X
Meinungs-
richtig schlecht und sagt das laut und freiheit
deutlich am Stammtisch.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 15


Gewaltentrennung
Ordnen Sie die folgenden Behörden durch ankreuzen den drei Staatsgewalten
zu.
Exekutive Legislative Judikative

Bundesversammlung X

Bundesgericht X

Bundesrat X

National- und Ständerat X

Kreuzen Sie bei den folgenden Aussagen jeweils an, ob sie richtig oder falsch
sind.

Aussage richtig falsch


Der Bundesrat ist berechtigt, Gesetze zu ändern. (Das ma-
X
chen National- und Ständerat)
Der Nationalrat vertritt das Volk. X
Eine Aufgabe des Ständerates ist es, über neue Gesetze
X
abzustimmen.
Der Nationalrat wählt den Bundesrat. (Das macht Bundes-
X
versammlung)

Begriffe
Ordnen Sie die folgenden Begriffe den passenden Aussagen zu:
Referendumsrecht, Subsidiarität, Kollegialitätsprinzip, Föderalismus, Initiativ-
recht. Die Aufgabe geht auf der nächsten Seite weiter.
Aussage Begriff
Der gesuchte Fachausdruck beschreibt
die Aufgabenteilung, welche den Kan-
tonen und Gemeinden die Aufgaben
zuweist, die sie selber übernehmen Subsidiarität
können. Nur, was Kantone und
Gemeinden nicht selber erledigen
können, übernimmt der Bund.
Der gesuchte Fachausdruck beschreibt
den Staatsaufbau in einem Bundesstaat:
Föderalismus
Die Teilglieder des Staates sind so weit
als möglich selbstständig.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 16


Aussage Begriff
Das Volk kann eine Abstimmung über
eine Änderung in der Bundesverfassung Initiativrecht
verlangen
Das Volk kann eine Abstimmung über
Referendumsrecht
ein Bundesgesetz verlangen.
Alle Behördenmitglieder müssen einen
einmal gefassten Entschluss nach
aussen vertreten (auch wenn sie Kollegialitätsprinzip
persönlich nicht damit einverstanden
sind).

Regierungsformen
Kreuzen Sie an, ob die folgenden Aussagen für die direkte, die indirekte, oder
die halbdirekte Demokratie zutreffen.
Direkte Indirekte Halbdi-
Demo- Demo- rekte De-
kratie kratie mokratie
Die Bürger können nur das Parlament
wählen, aber nicht über neue Gesetze X
abstimmen.
Die Bevölkerung stimmt über neue Ge-
X
setze ab.
Die Schweiz hat eine Demokratie in dieser
X
Form.

Politische Rechte und Pflichten


Ordnen Sie den nachfolgenden Sachverhalten den Grossbuchstaben des je-
weiligen Rechtsbereichs zu.
G = Grundrecht B = Bürgerrecht
Sachverhalt B oder G?
E. Meier nimmt an der Volksabstimmung über
B (Stimmrecht)
das neue Steuergesetz teil.
Die katholische Kirchgemeinde trifft sich jeden
G (Glaubensfreiheit)
Sonntag zur Messe.
O. Petrovic zieht von Bern nach Lausanne. B (Niederlassungsfreiheit)

Die SVP will ein Bundesgesetz bekämpfen. B (Referendumsrecht)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 17


Politische Rechte und Pflichten
a) Man unterscheidet zwischen aktivem und passivem Wahlrecht. Bei welchem
Wahlrecht ist es möglich, dass ich die Politik aktiv mitgestalten kann?
Beim passiven Wahlrecht: Ich kann mich wählen lassen und dann als
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Politiker aktiv mitarbeiten.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

b) Nach welchem Verfahren wird der Nationalrat gewählt? Kreuzen Sie an:
X Proporzwahlverfahren
___________

Majorzwahlverfahren
___________

c) Beim Majorzwahlverfahren gilt das absolute Mehr der Stimmen. Nehmen wir
an, bei einer Wahl werden 632'000 gültige Stimmen abgegeben. Wie viele
Stimmen muss eine Kandidatin erhalten, damit sie im ersten Wahlgang ge-
wählt ist?
632'000 : 2 =316'000 + 1 = 316'001 Stimmen ➔ absolutes Mehr
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 18


3. Gesetzgebungsverfahren und Rechtsquellen

Die Rechtsstufen: Verfassung, Gesetz, Verordnung

Bundesverfassung
Die Bundesverfassung ist das oberste Gesetz der Schweiz: Sie bildet die Grund-
lage für alle Bundesgesetze. Die Bundesverfassung ist noch sehr allgemein
formuliert.
Beispiel "Masseneinwanderung":
Art. 121a
1
Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
2
Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der
Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt.

Damit kann man im täglichen Leben natürlich nicht viel anfangen. Was
bedeutet zum Beispiel "jährliche Höchstzahlen"?

Bundesgesetze
► Bundesgesetze sind eine Ausführung der Bundesverfassung.
► Gesetze werden von der Bundesversammlung (also von National- und
Ständerat) erlassen.
Beispiel:
Ausgehend von Art. 121a BV wurde das Ausländergesetz angepasst. Das Aus-
ländergesetz ist ein Bundesgesetz. Da es mit der EU ein Problem gegeben hätte,
wenn die Schweiz Höchstzahlen eingeführt hätte, griff man zu einem Trickli und
führte einen Inländervorrang ein. So steht nun in Art. 21a Abs. 3 des Ausländer-
gesetzes folgendes:
3 In den Berufsgruppen, Tätigkeitsbereichen oder Wirtschaftsregionen mit einer über dem
Durchschnitt liegenden Arbeitslosigkeit sind offene Stellen durch den Arbeitgeber der
öffentlichen Arbeitsvermittlung zu melden. Der Zugriff auf die Informationen über die
gemeldeten Stellen wird für eine befristete Zeit auf Personen beschränkt, die bei der öffentlichen
Arbeitsvermittlung in der Schweiz angemeldet sind.

Sie sehen, das Bundesgesetz über Ausländer erläutert die Bestimmung in der
Bundesverfassung etwas detaillierter: In Berufsgruppen, Tätigkeitsbereichen
oder Wirtschaftsregionen, in denen die Arbeitslosigkeit über dem Durchschnitt
liegt, müssen offene Stellen zuerst den Arbeitslosenämtern gemeldet werden.
Diese veröffentlichen die offenen Stellen zuerst nur für Personen, welche in der
Schweiz bei den RAV angemeldet sind. So will man den Einheimischen einen
Vorsprung gegenüber Ausländern geben. Jetzt ist aber die Frage, was be-
deutet "über dem Durchschnitt liegende Arbeitslosigkeit in bestimmten
Berufsgruppen, Tätigkeitsbereichen oder Wirtschaftsregionen"? Dazu musste
der Bundesrat eine klare Handlungsanweisung schreiben, damit die Unterneh-
mungen und die Arbeitslosenämter konkret wissen, was gilt. Und so kommen
wir zur untersten Rechtsstufe, der Verordnung.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 19


Verordnung
► Eine Verordnung ist eine detailliertere Ausführung von Gesetzen. Sie ist eine
Art Kochrezept für die Behörden und enthält konkrete Handlungsanwei-
sungen.
► Verordnungen werden in der Regel vom Bundesrat erlassen.
Beispiel:
Wie sieht nun die Verordnung des Bundesrates aus, in der festgelegt wird, wann
offene Stellen zuerst den Arbeitslosenämtern gemeldet werden müssen?
"An seiner Sitzung vom 8. Dezember 2017 hat der Bundesrat entschieden, wie
das Gesetz zur Umsetzung des Verfassungsartikels zur Steuerung der Zuwande-
rung (Art. 121a BV) auf Verordnungsebene umgesetzt wird. Das Gesetz sieht
insbesondere die Einführung einer Stellenmeldepflicht in denjenigen Berufsar-
ten vor, in denen die Arbeitslosenquote einen bestimmten Schwellenwert er-
reicht oder überschreitet. Aufgrund der Resultate der Vernehmlassung zur Ver-
ordnung hat sich der Bundesrat heute für ein gestaffeltes Vorgehen entschie-
den: Es gilt ein Schwellenwert von 5 Prozent."

Sie sehen, in der Verordnung stehen nun eindeutige Zahlen, mit denen in den
Unternehmungen und den Ämtern gearbeitet werden kann.

Ein wichtiger Grundsatz gilt noch: "Bundesrecht bricht kantonales Recht". Das
bedeutet, dass ein kantonales Gesetz, welches dem Bundesrecht widerspricht,
ungültig ist.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 20


Das Gesetzgebungsverfahren: Initiativ- und Referendumsrecht

Änderung in der Bundesverfassung: Obligatorisches Referendum


Wer kann Vorschläge für eine Änderung der Bundesverfassung machen?
- der Bundesrat
- die Bundesversammlung (National- und Ständerat)
- die Kantone
- das Volk.
Wenn ein Änderungsvorschlag aus dem Volk kommt, nimmt das Volk das Ini-
tiativrecht wahr. Das Initiativrecht ist eines der politischen Rechte. Wie müssen
die Initianten vorgehen? Mit Hilfe einer Volksinitiative müssen sie innerhalb von
18 Monaten 100'000 Unterschriften sammeln - was nicht ganz einfach ist, wie Sie
sich denken können.

Bei Änderungen der Bundesverfassung muss es immer eine Volksabstimmung


geben - egal, wer den Vorschlag für eine Änderung gemacht hat. Der Grund
liegt darin, dass die Bundesverfassung das oberste (und damit wichtigste)
Gesetz der Schweiz ist. Änderungen sind von grosser Tragweite, deshalb muss
das Volk immer darüber abstimmen können. Der Fachausdruck für die obliga-
torische Volksabstimmung lautet "Obligatorisches Referendum". "Referendum"
ist ein anderes Wort für "Volksabstimmung".

Damit die Änderung in der Bundesverfassung angenommen wird, benötigt es


bei der Volksabstimmung das doppelte Mehr. Was bedeutet das?
- Die Mehrheit der Abstimmenden müssen "ja" sagen, und
- die Mehrheit der Kantone muss "ja" sagen. Die Kantone werden häufig als
"Stände" bezeichnet. Wenn Sie also das Wort "Ständemehr" lesen, bedeutet
das, dass die Mehrheit der Kantone gemeint ist. Wann ist das Ständemehr
erreicht? Die Schweiz hat 20 Voll- und 6 Halbkantone. Jeder Vollkanton hat
eine ganze, jeder Halbkanton eine halbe Stimme. Zusammengerechnet er-
gibt das 23 Stimmen. Um das Ständemehr zu erreichen, werden also
mindestens 12 Stimmen benötigt. Es müssten also beispielsweise mindestens
10 Vollkantone (= 10 Stimmen) und 4 Halbkantone (= 2 Stimmen) "ja" stimmen.

Ablehnung eines Bundesgesetzes: Fakultatives Referendum


Wenn die Bundesversammlung (also der National- und der Ständerat) ein neu-
es Bundesgesetz beschliessen, tritt es grundsätzlich 100 Tage nach der Ver-
öffentlichung in Kraft. Gegner des Gesetzes haben aber die Möglichkeit, mit
Hilfe des Referendumsrechts dieses Gesetz zu bekämpfen. Das Referendums-
recht ist eines der politischen Rechte. Wie müssen die Gegner vorgehen? Nach
der amtlichen Veröffentlichung haben sie 100 Tage Zeit, um 50'000 Stimmbe-
rechtigte zu finden, die das Referendum unterschreiben. Gelingt das, kommt es
zu einer Volksabstimmung über das neue Bundesgesetz.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 21


Bei Abstimmungen über Bundesgesetze spricht man vom fakultativen Referen-
dum. "Referendum" ist ein anderes Wort für "Volksabstimmung".
Warum fakultativ? Im Gegensatz zu einer Änderung in der Bundesverfassung,
wo es zwingend zu einer Volksabstimmung kommen muss, ist dies bei Änderun-
gen von Bundesgesetzen nicht der Fall - sondern eben nur dann, wenn das
fakultative Referendum erfolgreich zustande kam.
Damit das Bundesgesetz abgelehnt wird, benötigt es das einfache Mehr - man
sagt auch Volksmehr. Es reicht also, wenn mehr als die Hälfte der Stimmbe-
rechtigten "nein" sagt. Die Kantone spielen hier keine Rolle.

Man sagt, eine Volksinitiative sei ein Instrument für etwas Neues: Man verlangt
eine Abstimmung, um eine neue Bestimmung in die Bundesverfassung aufzu-
nehmen. Das Referendum gilt als Verhinderungsinstrument, weil ein Referen-
dum immer dann ergriffen wird, wenn ein neues Bundesgesetz verhindert wer-
den soll.

Verordnungen: Kein Referendum möglich


Die unterste Gesetzesstufe bildet die Verordnung. Gegen eine Verordnung ist
kein Referendum möglich. Es gibt also nie eine Volksabstimmung. Das würde
auch keinen Sinn machen, weil eine Verordnung ja direkt aus einem Bundes-
gesetz abgeleitet wird und eine Handlungsanweisung für die Betroffenen Be-
hörden darstellt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 22


Die Rechtsquellen (Art. 1 ZGB)
Stellen Sie sich vor, Sie seien eine Richterin oder ein Richter und müssten in ei-
nem Rechtsfall ein Urteil fällen. Welche Hilfsmittel (Rechtsquellen) stehen Ihnen
zu Verfügung? Art. 1 ZGB sagt:
"Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung
eine Bestimmung enthält. Kann dem Gesetze nach keine Vorschrift entnommen werden, so soll
der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel
entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und
Überlieferung."

Überlieferung
Bisherige, wegweisende Gerichtsentscheide
(Fachausdruck: Präjudizien). Wichtig sind vor allem
geschriebenes Recht die Bundesgerichtsentscheide. Die Gesamtheit
Verfassung, Gesetze, Verordnungen aller Gerichtsurteile wird als Judikatur bezeichnet.

Rechtslehre
Aktuelle Entwicklungen in der Rechts-
wissenschaft. Zum Beispiel ein Fach-
artikel eines Juristen zu einem bestimm-
ten Thema.

Gericht als Gesetzgeber


Gewohnheitsrecht (Usanz) Richter entscheidet nach bestem
Wissen und Gewissen, wie wenn er
Allgemein anerkannte Regeln, die
selber Gesetzgeber wäre. Dies ist
nicht schriftlich festgehalten sind.
vor allem der Fall, wenn kein ge-
Beispiele: Kündigungstermine von
schriebenes Recht und kein Ge-
Wohnungen, Zinsusanz beim Zins-
wohnheitsrecht zu einem Problem
rechnen (jeder Monat hat 30 Ta-
existieren. Er sollte aber allfällige
ge).
Gerichtsurteile und Entwicklungen
in der Rechtslehre berücksichtigen.
Urteil

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 23


Aufgaben Gesetzgebungsverfahren und Rechtsquellen

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris kann grillen - unter Wasser.
Und nun wird geübt!"

Rechtsstufen
Welche Hierarchiestufe (= Rangordnung) gilt im Recht der Schweiz? Ordnen Sie
die folgenden Begriffe in der richtigen Reihenfolge:
Gesetz, Verfassung, Verordnung.
1. Verfassung
______________________________________________________________________

2. Gesetz
______________________________________________________________________

3. Verordnung
______________________________________________________________________

Initiativ- und Referendumsrecht


Die SP will in die Bundesverfassung einen neuen Artikel einfügen, der jedem
Einwohner der Schweiz ein Mindesteinkommen von CHF 3'000.00 pro Monat
garantiert. Wie heisst das Recht, welches der SP zur Verfügung steht, um diese
Änderung der Bundesverfassung möglicherweise zu erreichen?
Initiativrecht
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Wie heisst das Instrument, welches der SP zur Verfügung steht, um ihr Ziel zu
erreichen?
Volksinitiative (100'000 Unterschriften in 180 Tagen)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Unter welcher Bedingung würde die Bundesverfassung um diesen Artikel er-


gänzt werden?
Wenn die Mehrheit der Kantone und der Stimmenden ja sagen (Doppeltes
_________________________________________________________________________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________________________

Mehr)
________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________

Wie lautet der Fachausdruck dafür, dass es bei Änderungen der Bundesver-
fassung immer zu einer Volksabstimmung kommen muss?
Obligatorisches Referendum
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 24


Die Bundesversammlung (National- und Ständerat) beschliesst ein neues Bun-
desgesetz über die Eigenkapitalvorschriften bei Banken. Die Schweizerische
Bankiervereinigung ist mit diesem Gesetz nicht einverstanden und will es be-
kämpfen. Wie heisst das Recht, welches der Bankiervereinigung zur Verfügung
steht, um eine Volksabstimmung über dieses Bundesgesetz zu erzwingen?
Referendumsrecht
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Wann ist das Referendum zustande gekommen?


Wenn innerhalb von 100 Tagen 50'000 Unterschriften gesammelt werden.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Weil das Schweizer Volk also nicht in jedem Fall über neue Gesetzesvorlagen
abstimmt, handelt es sich um ein …… Nennen Sie den Fachausdruck:
fakultatives Referendum
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Es kommt zu einer Volksabstimmung über das Bundesgesetz zu den Eigenkapi-


talvorschriften bei Banken. Welches Mehr wird verlangt, damit das Bundesge-
setz nicht in Kraft tritt?
x Einfaches Mehr (Mehrheit des Volkes sagt ja.
________

Doppeltes Mehr
________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 25


Rechtsquellen
Welche Rechtsquelle liegt in den folgenden Beispielen vor (geschriebenes
Recht, Überlieferung, Gewohnheitsrecht, Rechtslehre, Gericht als Gesetzge-
ber)?

"Im vorliegenden Fall greifen wir auf ein Urteil des Bundesgerichtes vom 8. Mai
2015 zurück."
Überlieferung
___________________________________________________________________________________________________________________________

Im SchKG steht, dass ……..


geschriebenes Recht
___________________________________________________________________________________________________________________________

Es ist üblich, dass ………


Gewohnheitsrecht (Usanz)
___________________________________________________________________________________________________________________________

Zum ersten Mal hat ein Gericht entschieden, dass für Wohnungen, die auf
Airbnb angeboten werden, die Vorschriften der Untermiete gelten.
Gericht als Gesetzgeber
________________________________________________________________________________________________________________ ___________

Professer A. Justizli legte in seinem Fachartikel über die Haftung dar, dass……
Rechtslehre
___________________________________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 26


4. Privatrecht (Zivilrecht) und Prozessrecht

Merkmale des Privatrechts


► Das Privatrecht regelt die Beziehungen zwischen Personen (natürlichen und
juristischen).
► Das Privatrecht besteht zu einem grossen Teil aus dispositivem Recht (die
Parteien können also häufig von den gesetzlichen Vorgaben abweichen).
Diesem Prinzip sagt man Privatautonomie. Der Gesetzgeber will den Parteien
möglichst viel Freiraum geben.

Wichtigste Rechtsgebiete des Privatrechts


Zivilgesetzbuch (ZGB)
Das ZGB besteht aus vier Teilen:
Personenrecht
Was sind natürliche, was juristische Personen? Wann ist jemand handlungsfähig
und darf Verträge abschliessen? Und noch vieles mehr.
Familienrecht
Welche Schritte umfasst eine Eheschliessung? Wie wird das Vermögen bei einer
Scheidung geteilt? Müssen Eltern ihre Kinder unterstützen? Und noch vieles
mehr.
Erbrecht
Wie muss ein Testament aussehen? Wie wird ein Erbe verteilt? Wer erbt? Und
noch vieles mehr.
Sachenrecht
Wann wird man Eigentümer? Was muss beachtet werden, wenn man ein Haus
kauft? Was ist ein Faustpfand? Und noch vieles mehr.

Obligationenrecht (OR)
Das OR besteht aus fünf Teilen:
Allgemeine Bestimmungen
Wann hafte ich? Wie entsteht ein Vertrag? Wann kann ich von einem Vertrag
zurücktreten? Und noch vieles mehr.
Die einzelnen Vertragsarten
Kaufvertrag, Mietvertrag, Arbeitsvertrag, etc.
Unternehmungsformen
Kollektivgesellschaft, Aktiengesellschaft, GmbH, Genossenschaft, etc.
Handelsregister, Firma, Buchführung
Wertpapiere

Eigentlich ist das OR ein Bestandteil des ZGB, wegen seines Umfangs wird es
aber praktisch als eigenes Gesetzbuch behandelt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 27


Zwingendes, relativ zwingendes und ergänzendes (dispositives)
Recht

Zwingendes Recht
Die gesetzlichen Bestimmungen können nicht abgeändert werden.
Beispiel Art. 621 OR: "Das Aktienkapital muss mindestens 100'000 Franken betragen."

Relativ zwingendes Recht


Diese gesetzlichen Bestimmungen dürfen nur in eine Richtung abgeändert wer-
den und zwar nur zugunsten einer Partei.
Beispiel Art. 329a OR: "Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer jedes Dienstjahr wenigstens
vier Wochen …. Ferien zu gewähren." (Fünf Wochen wären also ok, drei Wochen aber
nicht).

Dispositives (ergänzendes) Recht


Diese gesetzlichen Bestimmungen können abgeändert werden (im Gegensatz
zu den relativ zwingenden Bestimmungen auch zu Ungunsten einer Partei).
Beispiel: Art. 188 OR: "Sofern nicht etwas anderes vereinbart worden ist, trägt der Verkäu-
fer die Kosten der Übergabe."

Ob ein Gesetzesartikel zwingendes, relativ zwingendes, oder ergänzendes


Recht, ist kann aus der Formulierung des Artikels abgeleitet werden.

Rechtssubjekt und Rechtsobjekt

Rechtssubjekte (Personen) Rechtsobjekte (Gegenstände, Vermö-


► Sie haben Rechte und Pflichten gen, etc.)
► Sie handeln: schliessen Verträge ► Mit ihnen wird von den Rechtssub-
ab, etc.) jekten etwas gemacht (verkauft,
besteuert, etc.)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 28


Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, beschränkte Handlungsun-
fähigkeit

Rechtsfähigkeit (Art. 11 ZGB)


Alle Menschen haben von Geburt an die Rechtsfähigkeit; sie können zum Bei-
spiel eine Erbschaft machen, sie haben Menschenrechte, etc.

Handlungsfähigkeit
Für uns am KV ist vor allem der Begriff der Handlungsfähigkeit einer Person
wichtig. Die Handlungsfähigkeit entscheidet darüber, ob jemand zum Beispiel
einen Vertrag abschliessen darf. Damit jemand handlungsfähig ist, müssen zwei
Voraussetzungen erfüllt sein: Die Person muss mündig (18 Jahre alt) und
urteilsfähig sein. Urteilsfähig bedeutet, dass die Person die Konsequenzen ihres
Handelns abschätzen kann.

Beschränkte Handlungsunfähigkeit
Unmündige, aber urteilsfähige Personen dürfen ohne Einwilligung ihrer Eltern
Verträge abschliessen, wenn sie die entsprechenden Verpflichtungen selber
finanzieren können. Man spricht hier von beschränkter Handlungsunfähigkeit.

Herleitung der Vertragsfähigkeit

Urteilsfähigkeit gegeben? (Art. 16 ZGB)


Kann die Person die Konsequenzen ihrer Handlung abschätzen?

nein ja

Mündigkeit?

nein ja

Kann die unmündige Person einen Kauf mit eige-


nem Geld finanzieren? Oder haben die Eltern
ihre Einwilligung gegeben?
Handlungsfähigkeit
nein ja (Art. 12 -14 ZGB)

Handlungsunfähigkeit Beschränkte Handlungsunfähigkeit


(Art. 17 und 18 ZGB) (Art. 19 Abs. 2 ZGB)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 29


Allgemeine Rechtsgrundsätze
Bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen handelt es sich um wichtige Bestimmungen,
die im ganzen Recht gelten.

Handeln nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB)


Jeder soll nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Man soll also ehrlich und
fair sein und niemanden "über den Tisch ziehen".

Guter Glaube (Art. 3 ZGB)


Gutgläubig ist jemand, des sich eines Unrechts nicht bewusst ist. Beispiel: Kaufe
ich in einer Galerie ein Gemälde; dann kann ich guten Glaubens davon
ausgehen, dass das Bild nicht gestohlen ist.
Wenn mir hingegen ein Strassenhändler eine (echte) Rolex für CHF 1'000.00
verkaufen will, muss ich davon ausgehen, dass diese Rolex gestohlen worden
ist. Wenn ich sie trotzdem kaufe, bin ich nicht mehr gut-, sondern bösgläubig.

Beweislast (Art. 8 ZGB)


Wer etwas behauptet, muss seine Behauptung beweisen können. Bin ich zum
Beispiel der Meinung, dass ich einen Kaufvertrag abgeschlossen habe und der
Verkäufer sagt das Gegenteil, müsste ich vor Gericht beweisen können, dass
ein Kaufvertrag existiert.

Besitz, Eigentum, Eigentumsvorbehalt

Besitz
Ich habe den Gegenstand physisch in der Hand - ich habe die „Herrschaft“
über ihn.

Eigentum
Mir gehört der Gegenstand rechtlich gesehen. Ich kann damit machen, was
ich will (zerstören, verkaufen, umbauen….).

Beispiel: Ein Dieb ist der Besitzer des gestohlenen Gegenstandes. Eigentümer
bleibt aber weiterhin der Bestohlene (auch wenn es ihm nichts mehr nützt….).

Wann wird man Eigentümer einer Sache?

Bewegliche Sache (Art. 714 Abs. 1 Unbewegliche Sache (Art. 656 Abs. 1
ZGB) ZGB)(also z. B. ein Haus oder ein
Bei Übergabe der Ware Grundstück).
(Nicht bei der Bezahlung!) Nach Eintrag ins Grundbuch

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 30


Eigentumsvorbehalt
Man kann regeln, dass das Eigentum an einer beweglichen Sache erst nach
der Bezahlung auf den Käufer übergeht. Diese Regelung muss im Eigentums-
vorbehaltsregister (ist bei den Betreibungsämtern angegliedert) eingetragen
werden (Art. 715 ZGB).

Prozessrecht: Zivil-, Straf-, Verwaltungsprozess


Das Prozessrecht (man sagt auch Verfahrensrecht) regelt die Abläufe eines Ge-
richtsprozesses.

Zivilprozess Strafprozess Verwaltungsprozess


Streitigkeiten zwischen Strafbare Handlungen: Diebstahl, Bürger ist mit einem Behör-
Personen: Vertragsbrüche, Trunkenheit am Steuer, Mord …. denentscheid nicht einver-
Ehescheidung…. ➔ Vor allem "Themen" aus dem standen;
➔ Vor allem "Themen" aus Strafgesetzbuch, oder dem z. B. Steuerbescheid, Ab-
dem ZGB/OR Strassenverkehrsgesetz lehnung einer Baubewilli-
gung.

Beteiligte: Beteiligte:
Kläger und Beklagter Staatsanwalt und Angeklagter Beteiligte:
Staatliche Verwaltung und
Bürger
Ablauf: Ablauf:
Friedensrichter Vorverfahren Ablauf:
Wenn keine Einigung erzielt Prüfung des Sachverhalts, evtl. An- Jeder Entscheid enthält
wird: klageerhebung durch Staatsan- eine
walt. Dann kommt es zum: Rechtsmittelbelehrung
1. Gerichtsinstanz; z.B.: Hauptverfahren Hier steht, wie der Bürger
Bezirksgericht Staatsanwalt muss Schuld be- vorgehen muss, wenn er
Eventuell: weisen. nicht einverstanden ist.
2. Gerichtsinstanz; z.B.: Eventuell macht der Bürger
Obergericht Wenn eine Partei mit dem Urteil einen:
Eventuell: nicht einverstanden ist, kommt es Rekurs
3. Gerichtsinstanz: eventuell zu einer: an übergeordnete Behörde.
Bundesgericht Berufung Eventuell:
(an die nächst höhere Gerichts- Weiterzug an
Merkmal instanz) 1. Verwaltungsgericht,
Zivilprozess kann jederzeit 2. Bundesverwaltungsgericht
beendet werden, wenn Wenn es zu einem Urteil kommt: (dieses Gericht kann nur
sich die Parteien einigen Strafvollzug angerufen werden, wenn
können. (Busse oder eine Gefängnisstrafe) es um einen Entscheid ei-
ner Bundesbehörde geht),
3. Bundesgericht.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 31


Aufgaben Privatrecht (Zivilrecht) und Prozessrecht

Der Drill Sergeant fragt: "Was ist schwarz und weiss gestreift und
kommt nicht vom Fleck? Ein Klebra! Und nun wird geübt!"

Ergänzendes Recht, relativ zwingendes oder zwingendes Recht?


Art. 129 OR: "Die … Verjährungsfristen können durch Verfügung der Beteiligten
nicht abgeändert werden".
Zwingendes Recht
____________________________________________________________________________________________________________________________

Art. 216 ZGB: "Durch Ehevertrag kann eine andere Beteiligung am Vorschlag
vereinbart werden."
Dispositives Recht
____________________________________________________________________________________________________________________________

Art. 266a OR: "Die Parteien können das unbefristete Mietverhältnis unter Einhal-
tung der gesetzlichen Fristen und Termine kündigen, sofern sie keine längere
Frist oder keinen anderen Termin vereinbart haben."
Relativ zwingendes Recht (längere Fristen wären ok, kürzere nicht)
___________________________________________________________________________________________________________________________

Wer oder was ist hier das Rechtssubjekt, bzw. das Rechtsobjekt?
Hans Meier schliesst mit Sandra Müller einen Kaufvertrag über ein Occasions-
auto ab.
Rechtssubjekt(e): Hans Meier und Sandra Müller
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________

Rechtsobjekt(e): Occasionsauto
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _______________________________________________

Herleitung der Vertragsfähigkeit


Eine 16- jährige Lernende möchte sich ein Tattoo stechen lassen. Sie könnte das
Tattoo mit ihrem Lehrlingslohn finanzieren. Ihre Eltern sind dagegen. Darf sich
die Lernende das Tattoo trotzdem stechen lassen?
Ja: sie ist urteilsfähig und kann das Tattoo selber bezahlen (beschränkte
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________

Handlungsunfähigkeit) (Meistens wollen sich die Studios aber absichern und


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________

bestehen auf einer Einwilligung der Eltern)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 32


Prozessarten
Zu welchen Prozessen kommt es in folgenden Rechtsstreitigkeiten?
Fredi Promillo fährt betrunken bei Rot über eine Kreuzung:
Strafprozess
__________________________________________________

Der Polizist, der Fredi Promillo angehalten hat, erhält von Fredi einen Faust-
schlag ins Gesicht und verliert drei Zähne. Der Polizist verlangt Schadenersatz:
Zivilprozess
______________________________________________

Das Gericht entzieht Fredi Promillo den Führerschein. Fredi wehrt sich dagegen,
weil er das Auto beruflich benötigt:
Verwaltungsprozess
________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 33


5. Allgemeine Vertragslehre

Entstehung von Obligationen (Obligation = Verpflichtung)


Obligationen (also Verpflichtungen) können entstehen durch:
Vertrag
Beispiel Obligationen aus einem Kaufvertrag:
- Obligation des Käufers: Er muss die Ware entgegennehmen und bezahlen.
- Obligation des Verkäufers: Er muss die Ware pünktlich und in der vereinbarten
Qualität liefern.
Obligationen entstehen natürlich auch aus anderen Verträgen. Für uns wichtig
sind vor allem der Arbeits- und der Mietvertrag.

ungerechtfertigte Bereicherung
Beispiel: Ich bezahle eine Rechnung aus Versehen zweimal.
- Obligation des Zahlungsempfängers: Er muss den irrtümlich erhaltenen Betrag
zurückzahlen.

unerlaubte Handlung
Jemandem wird ein Schaden zugefügt.
- Obligation: Der Verursacher des Schadens muss dem Geschädigten Scha-
denersatz bezahlen. Sie sehen gleich, dass manchmal auch Personen haften,
obwohl sie den Schaden nicht selber verursacht haben….
➔ Hat der Haftende den Schaden selber verursacht, spricht man von einer
Verschuldenshaftung.
➔ Hat der Haftende den Schaden nicht selber verursacht, haftet er in be-
stimmten Fällen trotzdem. Hier spricht man von Kausalhaftung.

Sie sehen hier eine Übersicht über die Fälle von Kausalhaftung: Nein, nicht
hier, sondern aus Platzgründen auf der nächsten Seite.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 34


Übersicht Kausalhaftung

Milde Kausalhaftung Scharfe Kausalhaftung (Gefähr-


"Mild" bedeutet, dass sich der Schuld- dungshaftung)
ner von der Haftung befreien kann, Die scharfe Kausalhaftung ist in spe-
wenn er beweisen kann, dass er seine ziellen Gesetzen geregelt. "Scharf"
Sorgfaltspflicht erfüllt hat. Beispiele für bedeutet, dass sich der Schuldner
milde Kausalhaftung: kaum von der Haftung befreien
Haftung des Geschäftsherrn (Art. 55 kann. Befreiung höchstens bei höhe-
OR) für Schäden, die seine Angestell- rer Gewalt, oder bei "grobem Selbst-
ten verursachen. verschulden" des Geschädigten. Da
man hier nur schon haftet, weil eine
Haftung des Tierhalters (Art. 56 OR) Gefahr vom Auto, Atomkraftwerk
etc. ausgeht, spricht man auch von
Haftung des Werkeigentümers (Art. Gefährdungshaftung. Beispiele für
58 OR) Gefährdungshaftung:
Beispiele: Strassenverkehrsgesetz:
Ein Dachziegel verletzt einen Fuss- Haftung des Motorfahrzeughalters
gänger: Der Hauseigentümer haftet. Eisenbahngesetz / Luftfahrtgesetz:
Ein Skifahrer fällt vom Sessellift: Der Ei- Haftung der Eisenbahn- und Flugge-
gentümer des Skilifts haftet. sellschaften.
Atomenergiegesetz:
Haftung der Eltern (Art. 333 ZGB) (Ur- Haftung der Betreiber von Atom-
teilsfähige Kinder sind aber gemäss kraftwerken.
ZGB 19 selber haftbar).

Praxisbeispiel Kaushalhaftung Eisenbahngesellschaft:


Das Bundesgericht hat die SBB dazu verpflichtet, einem heute 89-Jährigen eine
Genugtuung von 35'000 Franken zu zahlen. Der Mann war auf dem Bahnhof
Affoltern am Albis ZH von einem psychisch kranken Drogenabhängigen vor
eine einfahrende S-Bahn gestossen worden. Der Täter wurde später von einem
Gericht für schuldunfähig erklärt.
Das Gericht begründete seinen Entscheid mit der Gefährdungshaftung des
Eisenbahngesetzes.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 35


Entstehung eines Vertrags

Handlungsfähigkeit Art. 1 OR: Übereinstimmende, gegen-


Die Vertragspartner müssen mündig seitige Willensäusserung
und urteilsfähig sein. Wenn eine Per- Der Fachausdruck für die Übereinstim-
son handlungsfähig ist und dadurch mung lautet "Konsens".
Verträge abschliessen kann, sagt Dieser Konsens kann mündlich, schrift-
man auch, sie sei vertragsfähig. lich oder stilschweigend ausgedrückt
werden.
Art. 2 OR: Es reicht, wenn sich die Par-
teien über die wichtigsten Punkte einig
werden. Nebenpunkte (z.B. Zahlung auf
das Bankkonto statt Barzahlung) sind
kein Hinderungsgrund für die Vertrags-
entstehung.

Die Entstehung eines Vertrags


Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein:

Allfällige Formvorschriften Allfällige Grenzen beim erlaub-


müssen beachtet werden. ten Vertragsinhalt müssen be-
Mehr dazu kommt bald. achtet werden.
Mehr dazu kommt bald.

"Sonderfall" beschränkte Handlungsunfähigkeit


Wir Sie im Kapitel "Privatrecht" gesehen haben, sind unmündige aber urteilsfähi-
ge Personen beschränkt handlungsunfähig. Das bedeutet folgendes: Ist eine
Person unmündig (also noch keine 18 Jahre alt), aber urteilsfähig, kann sie über
ihren Arbeitserwerb oder das Taschengeld frei verfügen und muss für den
Abschluss eines Vertrags grundsätzlich keine Einwilligung der Eltern oder des
gesetzlichen Vertreters einholen, sofern sie den Betrag selber bezahlen kann.
Beschränkte Handlungsunfähigkeit gilt auch dann, wenn Minderjährige mit der
ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter
(Eltern oder Vormund) handeln.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 36


Vertragsentstehung: Übereinstimmende, gegenseitige Willensäusserung
Die übereinstimmende, gegenseitige Willensäusserung ist die zentrale Voraus-
setzung für die Entstehung eines Vertrags.

Willensäusserung der einen Partei: Antrag (Offerte, Angebot)


Willensäusserung der anderen Partei: Annahme des Antrags

Stimmen Antrag und Annahme überein, ist der Vertrag entstanden - sofern die
anderen Punkte (Vertragsfähigkeit der Vertragspartner, Form des Vertrags und
zulässiger Inhalt des Vertrags) in Ordnung sind.

Verbindliche und unverbindliche Angebote; Fristigkeit der Angebote


Bei der Frage, ob eine übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung zu-
stande gekommen ist, sind zwei Punkte abzuklären:
a) Ist das Angebot überhaupt verbindlich? Verbindlich bedeutet, dass sich der
Anbieter an sein Angebot halten muss.
b) Wie lange ist das Angebot gültig?
Geregelt werden diese Fragen in Art. 3, 4, 5, 6a und 7 OR.

Nur dann, wenn ein verbindliches Angebot rechtzeitig angenommen wird, ist
der Vertrag entstanden. Bei unverbindlichen Angeboten stellt eine Annahme
erst ein Gegenangebot dar; der Verkäufer kann dieses Gegenangebot anneh-
men oder nicht.

Verbindliche Anträge:

Art. 3 OR
1 Wer einem andern den Antrag zum Abschlusse eines Vertrages stellt und für die
Annahme eine Frist setzt, bleibt bis zu deren Ablauf an den Antrag gebunden.
Der Artikel 3 regelt die befristeten Anträge. Diese gelten bis zum Ablauf der
Frist.

Art. 4 OR
1 Wird der Antrag ohne Bestimmung einer Frist an einen Anwesenden gestellt und nicht
sogleich angenommen, so ist der Antragsteller nicht weiter gebunden.
Der Artikel 4 regelt die Anträge unter Anwesenden. "Anwesend" bedeutet, dass
die Parteien miteinander sprechen, das kann auch telefonisch sein. Diese
Anträge gelten bis zum Ende des Gesprächs.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 37


Art. 5 OR
1 Wird der Antrag ohne Bestimmung einer Frist an einen Abwesenden gestellt, so bleibt
der Antragsteller bis zu dem Zeitpunkte gebunden, wo er den Eingang der Antwort bei
ihrer ordnungsmässigen und rechtzeitigen Absendung erwarten darf.
Der Artikel 5 regelt die Anträge unter Abwesenden. "Abwesend" bedeutet, dass
der Antrag schritlich erfolgt. Der Anbieter ist so lange an sein Angebot ge-
bunden, bis bei normalem Postverkehr die Antwort eintreffen sollte. Der
mögliche Kunde darf nicht zu lange überlegen, ob er das Angebot annehmen
soll. Das wäre unfair dem Anbieter gegenüber. In der Praxis gilt die Faustregel,
dass die Antwort innerhalb von etwa 7 Tagen beim Anbieter eintreffen sollte.
Aber eben: Das ist nur eine Faustregel - man muss alle Umstände berück-
sichtigen.

Unverbindliche Anträge:
Nochmals: Bei unverbindlichen Anträgen ist eine Bestellung erst ein Ge-
genangebot des möglichen Käufers. Erst wenn der Verkäufer die Bestellung
bestätigt, ist der Vertrag entstanden. Welche Anträge sind unverbindlich?

Art. 6a OR
1 Die Zusendung einer unbestellten Sache ist kein Antrag.
2 Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Sache zurückzusenden oder aufzubewahren.
Was ist eine "unbestellte Sache"? Beispiel: Ein Hilfswerk sendet Ihnen einen Ku-
gelschreiber und einen Einzahlungsschein. Sie haben den Kugelschreiber nicht
bestellt (nehme ich jetzt mal an). Sie haben nun keinerlei Verpflichtung, diesen
Kugelschreiber zu bezahlen. Sie müssen ihn nicht einmal zurücksenden.

Art. 7 OR
1 Der Antragsteller wird nicht gebunden, wenn er dem Antrage eine die Behaftung ableh-
nende Erklärung beifügt, oder wenn ein solcher Vorbehalt sich aus der Natur des
Geschäftes oder aus den Umständen ergibt.
2 Die Versendung von Tarifen, Preislisten und dergleichen bedeutet an sich keinen Antrag.
3 Dagegen gilt die Auslage von Waren mit Angabe des Preises in der Regel als Antrag.
Absatz 1: "Eine die Behaftung ablehnende Erklärung" – ist die juristische Sprache
nicht toll? Das bedeutet: Wenn ein Anbieter zum Beispiel schreibt "nur solange
Vorrat" oder "unverbindlich", dann ist das Angebot eben unverbindlich.
Absatz 2: Inserate, Kataloge, Preislisten, Angebote im Internet sind unverbind-
lich. Warum? Bei einem Inserat, etc. weiss ein Verkäufer nie, wie viele Bestellun-
gen reinkommen werden. Es kann dann sein, dass es ihm nicht möglich ist, alle
Bestellungen auszuführen. Man muss ihm also eine Chance geben, Bestel-
lungen abzulehnen.
Absatz 3: Angebote in einem Schaufenster sind (im Gegensatz zu Inseraten,
etc.) verbindlich. Der Verkäufer hat hier die Kontrolle: Sobald er sein Angebot
nicht mehr aufrechterhalten will, kann er das Angebot im Schaufenster wieder
entfernen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 38


Zusammenfassung Verbindlichkeit und Fristigkeit von
Anträgen (Angeboten, Offerten)

Unverbindliche Anträge: Verbindliche Anträge:


► Preislisten, Kataloge, Inserate,
Angebote im Internet (Art. 7
Abs. 1 und 2 OR) befristet (Art. 3 OR):
unbefristet:
► Wenn steht: unverbindlich", verbindlich bis zum Ab-
"solange Vorrat", oder ähn- lauf der Frist
liches
► Die Zusendung einer unbe-
stellten Sache (Art. 6a OR). unter Anwesenden unter Abwesenden
Aber: Der Antrag ist verbindlich Der Antrag ist verbindlich
Schaufensterauslagen sind bis zum Ende des Ge- bis die rechtzeitig ge-
verbindlich! (Art. 7 Abs. 3 OR) sprächs (Art. 4 OR). sandte Antwort beim Ver-
käufer eintreffen sollte. Ist
Wichtig: Bei unverbindlichen situationsabhängig.
Anträgen ist eine Bestellung erst Faustregel: ca. 7 Tage
ein Gegenangebot: Der Verkäufer (Art. 5 OR)
kann noch überlegen, ob er die
Bestellung annimmt. Erst wenn der
Verkäufer die Bestellung bestätigt,
ist der Vertrag entstanden.

Eine beliebte Fragestellung am QV: "Am 4. Mai sehen Sie im Internet ein tolles
Angebot für einen Computer und bestellen ihn gleich. Die Bestätigung des Ver-
käufers erhalten Sie per Mail am 5. Mai. Am 10. Mai erhalten Sie den Computer,
am 5. Juni bezahlen Sie ihn. Wann ist der Vertrag entstanden?"
➔ Am 5. Mai. Warum? Das Onlineinserat ist ein unverbindlicher Antrag (Art. 7
OR). Ihre Bestellung ist deshalb erst ein Gegenangebot. Mit der Bestätigung
durch den Verkäufer am 5. Mai wurde der Vertrag dann "besiegelt".

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 39


Widerruf eines Antrags
Kann ich, nachdem ich einen Antrag angenommen habe, diesen widerrufen
(annullieren)? Hier gibt Art. 9 OR Auskunft: Trifft mein Widerruf vor meiner An-
nahme des Antrags bei der anderen Partei ein, kann ich zurücktreten. Beispiel:
Ich fülle heute einen Bestellzettel aus und schicke ihn ab. Nun möchte ich diese
Bestellung rückgängig machen: Wenn ich den Anbieter kontaktieren kann,
bevor meine Bestellung bei ihm eingetroffen ist, kann ich die Bestellung "ab-
blasen". Habe ich per Mail bestellt, wird es natürlich schwierig - da bin auf den
Goodwill des Verkäufers angewiesen.

Vertragsentstehung: Die Formvorschriften


Vertragsentstehung: Formvorschriften
Grundsatz der "Formfreiheit" (Art. 11 Abs. 1 OR):
“Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine
solche vorschreibt”.
Manchmal schreibt das Gesetz eine der folgenden Formvorschriften vor:

Einfache Schriftlichkeit Qualifizierte Schriftlichkeit


Schriftlichkeit, grundsätzlich mit ei- Neben der Schriftlichkeit müssen zusätzli-
genhändiger Unterschrift. che Vorschriften erfüllt werden.
Beispiele: Im Lehrvertrag muss der Lohn
stehen. Oder es sind bestimmte Formulare
Öffentliche Beurkundung vorgeschrieben, zum Beispiel bei der
Schriftlichkeit und Mitarbeit einer Ur- Kündigung einer Wohnung durch den
kundsperson (z. B. ein Notar). Vermieter.
➔ Die Urkundsperson überprüft, ob der
Vertrag in Ordnung ist. Beispiel: Ehe-
Eintrag in ein öffentliches Register
vertrag.
Ein öffentliches Register steht allen Inte-
ressierten zur Einsicht offen.
Beispiel: Handelsregister. Mehr dazu folgt
in einem späteren Kapitel.

Wenn Sie beispielsweise im Obligationenrecht beim Kaufvertrag nach einer Formvor-


schrift suchen, werden Sie nichts finden. Dann gilt automatisch Art. 11 OR: Beim Kauf-
vertrag gibt es keine Formvorschrift. Er kann also auch mündlich sein, oder Sie können
ihn sich auf die Stirn tätowieren lassen.

KAUF-
VERTRAG

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 40


Vertragsentstehung: Unerlaubte Vertragsinhalte

Grundsätzlich gilt "Inhaltsfreiheit" (OR 19, Abs. 1):


“Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt
werden”.

Wenn ein Vertragsinhalt nicht "innerhalb der Schranken des Gesetzes" liegt,
dann ist der Vertrag nichtig, das bedeutet, er ist ungültig. Welches sind nun "die
Schranken des Gesetzes"?
OR 20, Abs. 1definiert, wann ein Vertrag nichtig ist: Der Vertragsinhalt ist:
► unmöglich (Beispiel: "Ich verkaufe Ihnen einen Flug auf den Neptun")
► widerrechtlich (Beispiel: "Ich stelle Sie als Drogendealer an")
► unsittlich (= unmoralisch) (Beispiel: "Ich verkaufe Ihnen meine Frau").
Was als unsittlich gilt, ändert sich Laufe der Zeit, weil sich die Vorstellungen
in der Gesellschaft verändern.

➔ Nichtige Verträge sind ungültig.

Anfechtbare Verträge
Anfechtbare Verträge sind, was den Vertragsinhalt betrifft, gültige Verträge.
Unter bestimmten Bedingungen kann eine Vertragspartei den Vertrag aber
anfechten.

Wann kann ein Vertrag angefochten werden?

Übervorteilung (Art. 21 OR) Drohung "Furchterregung" (Art. 29 OR)


"Ich bin ausgenützt worden!" "Ich bin bedroht worden!"
Tatbestandsmerkmale:
- Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung
- Ausnützen einer Notlage, der Unerfah-
renheit, oder des Leichtsinns einer
Vertragspartei. absichtliche Täuschung (Art. 28 OR)
"Ich bin belogen worden!"

wesentlicher Irrtum (Art. 23 und 24 OR)


Details dazu auf der nächsten Seite.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 41


Was ist ein wesentlicher Irrtum? ➔ Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 bis 4 OR
1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1. wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine
Zustimmung erklärt hat;
Beispiel: Ich habe versehentlich einen Mietvertrag abgeschlossen, wollte
aber einen Kaufvertrag. Es handelt sich hier um einen Erklärungsirrtum.
2. wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht
auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war,
als er erklärt hat;
Ich habe mich in der Sache geirrt (z. B. bei der Bestellung eine falsche Arti-
kelnummer eingegeben), oder ich habe mich in der Person geirrt. Auch in
diesen Fällen handelt es sich um einen Erklärungsirrtum.
4. wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und
Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet
wurde.
Ich habe mich in einer entscheidenden Vertragsgrundlage geirrt. Ich kaufe
z. B. zu einem hohen Preis ein Bild eines bekannten Malers, das sich später
als Fälschung herausstellt. Dies ist ein Grundlagenirrtum.

Was ist ein unwesentlicher Irrtum? Auch hier gibt Art. 24 OR Auskunft und
zwar in den Absätzen 2 und 3:
2 Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist
er nicht wesentlich.
Ich habe mich in meinem Grund (Motiv) für den Vertragsabschluss geirrt
(zum Beispiel kaufte ich Nestléaktien, weil ich an einen Kursgewinn geglaubt
habe. Jetzt habe ich aber einen Verlust gemacht). Hier handelt es sich um
einen Motivirrtum.
3 Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu be-
richtigen.

Ganz schwierig und auch nicht immer klar ist der Unterschied zwischen einem
Grundlagenirrtum (= wesentlicher Irrtum) und einem Motivirrtum (= unwesentli-
cher Irrtum) zu bestimmen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 42


Grundsätzlich sind beides Motivirrtümer; beim Grundlagenirrtum betrifft der
Irrtum aber einen wesentlichen Sachverhalt, bei dem auch die Gegenpartei
des Irrenden sagen muss, dass am Vertrag nicht festgehalten werden kann.
Siehe das Beispiel von oben: Kauf eines Gemäldes, welches sich später als
Fälschung entpuppt. Da muss auch der Verkäufer einsehen, dass die Grund-
lage für den Käufer nicht mehr erfüllt ist und er von diesem Vertrag zurücktreten
kann.

Der Ort der Vertragserfüllung


Wo muss die Ware übergeben werden, wo erfolgt die Zahlung? Geregelt sind
diese Fragen in Art. 74 OR:
1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schlies-
senden Willen der Parteien bestimmt.
Wie der Ort der Vertragserfüllung geregelt wird, ist Sache der Vertragspar-
teien. Art. 74 OR ist also dispositives (ergänzendes Recht).
2 Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1. Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen
Wohnsitz hat;
Mit Gläubiger ist hier die Person gemeint, welche das Geld zu gut hat.
2. wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit
des Vertragsabschlusses befand;
"Bestimmte Sachen" sind Spezieswaren. Spezieswaren sind einmalige Sa-
chen. Zum Beispiel ein Originalgemälde, oder ein Occasionsauto. Spezies-
waren werden am Ort übergeben, wo sie sich bei Vertragsabschluss be-
fand.
Beispiel:
Anton Schlau kauft von Petra Meier ein Occasionsauto. Anton wohnt in
Bern, Petra in Zürich. Das Auto steht in einer Garage in Dietikon. Anton
müsste das Auto in Dietikon abholen.
3. andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer
Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
"Andere Verbindlichkeiten" sind Gattungswaren. Gattungswaren sind aus-
tauschbare Waren. Zum Beispiel eine Zeitung am Kiosk (da ist es Ihnen egal,
ob Sie die oberste, oder zweitoberste Zeitung erhalten), oder ein fabrikneues
Auto. Gattungswaren werden am Ort übergeben, wo der Schuldner wohnt.
Mit Schuldner ist hier der Warenschuldner, also der Verkäufer gemeint.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 43


Zusammenfassung Ort der Übergabe

Geldschulden Spezieswaren Gattungswaren


Am Ort, wo der Am Ort, wo sich der Ge- Am Ort, wo der Ver-
Verkäufer wohnt. genstand bei Vertragsab- käufer
schluss befand. wohnt.

Spezies- und Gattungswaren spielen vor allem beim Kaufvertrag eine Rolle,
beim Thema "Übergang von Nutzen und Gefahr".

Vertragsverletzungen
Bei einer Vertragsverletzung läuft auf Seiten des Leistungserbringers etwas
falsch. Es gibt folgende Varianten von Vertragsverletzungen:

Schlechterfüllung
Die erbrachte Leistung entspricht nicht dem, was abgemacht war. Zum Beispiel
wird ein Artikel schlechterer Qualität geliefert, als vereinbart wurde.

Schuldnerverzug
Die Leistung erfolgt nicht rechtzeitig, sie ist aber noch möglich.

Nachträgliche Unmöglichkeit
Hier kann die Leistung nicht mehr erbracht werden. Beispiel: Ein
Originalgemälde wird verkauft. Vor der Übergabe an den Käufer wird es aber
gestohlen.

Welche Folge hat eine Vertragsverletzung für den Schuldner?


Bei Schlechterfüllung
Schadenersatz gemäss Art. 97 Abs. 1 OR. Der Warenschuldner (also der Verkäu-
fer) kann sich aber von der Schadenersatzpflicht befreien, wenn er beweisen
kann, dass ihn kein Verschulden trifft.

Beim Schuldnerverzug
Schadenersatz gemäss Art. 103 OR. Auch hier kann sich der Warenschuldner
(also der Verkäufer) von der Schadenersatzpflicht befreien, wenn er beweisen
kann, dass ihn kein Verschulden trifft. Beim Schuldnerverzug hat der Gläubiger
ein paar Wahlrechte, die wir beim Kaufvertrag behandeln werden.

Bei nachträglicher Unmöglichkeit


Hier gilt wie bei der Schlechterfüllung Art. 97 Abs. 1 OR.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 44


Die Verjährungsfristen
Nach Ablauf der Verjährungsfrist muss die Obligation (z. B. die Zahlung) nicht
mehr erbracht werden. Im Normalfall gilt gemäss Art. 127 OR eine Verjährungs-
frist von 10 Jahren. Dann gibt es diverse Ausnahmen, die zum Teil im OR, zum
Teil in anderen Gesetzen geregelt sind. Hier eine Zusammenstellung der
wichtigsten Verjährungsfristen:
► Kaufmännischer Geschäftsverkehr: 10 Jahre
► Regelmässige Zahlungen (Löhne, Miete etc.): 5 Jahre
► Forderungen im Alltag (Rechnung Handwerker, Arzt, Forde-
rungen an Endkonsumenten, etc.): 5 Jahre
► Forderungen aus unerlaubter Handlung: (ungerechtfertigte
Bereicherung, Haftpflichtansprüche etc.) 1 Jahr
► Grundpfandforderungen: unverjährbar

Die Verjährungsfristen können nicht abgeändert werden. Sie beginnen mit der
Fälligkeit der entsprechenden Forderung zu laufen. Der Gläubiger kann den
Ablauf einer Verjährungsfrist verhindern, indem er eine Schuldbetreibung ein-
leitet. Die Verjährungsfrist wird dann unterbrochen und die Frist beginnt wieder
von vorne.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 45


Sicherungsmittel der Vertragserfüllung

Eigentumsvorbehalt Kaution
Normalerweise wird der Käufer bereits Bei diesem Sicherungsmittel wird vom
beim Erhalt der Ware Eigentümer (Art. Schuldner Geld hinterlegt.
714 ZGB). Beispiel Mietvertrag:
Will man aber, dass das Eigentum erst bei Der Vermieter verlangt vom Mieter ein
der Bezahlung auf den Käufer übergeht, Depot zur Sicherung allfälliger Scha-
muss ein Eigentumsvorbehalt vereinbart denersatzansprüche.
werden. Dieser muss im Eigentumsvorbe-
haltsregister eingetragen werden.
Grundpfand
Bei diesem Sicherungsmittel handelt
Faustpfand es sich um unbewegliche Sachen
Bei diesem Sicherungsmittel handelt es (Häuser, Boden). Erhält man von einer
sich um bewegliche Sachen (Wertschrif- Bank einen Kredit gegen Verpfän-
ten, Schmuck, etc.). Diese Gegen- dung einer unbeweglichen Sache,
stände werden im ZGB/OR als "Fahrnis" spricht man von einem Hypothekar-
bezeichnet. kredit.
Das Faustpfand muss dem Kreditgeber
übergeben werden. Eigentümer bleibt Bürgschaft
aber der Kreditnehmer. Bei diesem Sicherungsmittel verpflich-
Werden der Bank für einen Kredit Wert- tet sich eine Person zu zahlen, wenn
schriften verpfändet, spricht man von ei- dies der Schuldner nicht tut.
nem Lombardkredit.
Retention
Konventionalstrafe Dieses Sicherungsmittel entsteht auto-
Bei diesem Sicherungsmittel muss eine matisch von Gesetzes wegen, wenn sich
bestimmte Summe bezahlt werden, ein Gegenstand mit dem Willen des
wenn der Vertrag nicht richtig erfüllt Schuldners im Besitz des Gläubigers be-
wird. findet. Der Gläubiger kann den Gegen-
Beispiel: stand zurückhalten, bis der Schuldner
Eine Rockband tritt nicht zum Konzert bezahlt hat.
an. Beispiel:
Der Uhrmacher behält die reparierte Uhr
Zession zurück, wenn der Kunde den geschulde-
Eine Unternehmung kann als Sicherheit ten Betrag nicht gleich bar bezahlen will.
für einen Kredit ihre Forderungen der
Bank in einem schriftlichen Vertrag ab-
treten. Sie erhält dann von der Bank
einen Kredit, der natürlich nicht ganz so
hoch ist, wie die Geldsumme, die die
Kunden schulden. Die Kunden werden
dann ihre Rechnungen an die Bank
bezahlen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 46


Wichtige Gesetzesartikel
Wann entsteht ein Vertrag
OR 1 Bedingungen, damit ein Vertrag entsteht
Gültigkeit von Angeboten
OR 3 Wie lange gilt ein befristetes Angebot?
OR 4 Wie lange gilt ein unbefristetes Angebot unter Anwesenden?
OR 5 Wie lange gilt ein unbefristetes Angebot unter Abwesen-
den?
OR 6a Unverlangte Ansichtssendung
OR 7 Welche Angebote sind unverbindlich?
OR 9 Widerruf eines Antrags oder einer Bestellung
Formvorschriften
OR 11, Abs. 1 Grundsatz der Formfreiheit
OR 216 Formvorschrift beim Grundstückskauf
OR 320, Abs. 1 Formvorschrift beim Arbeitsvertrag
Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Verträgen
OR 20 Wann ist ein Vertrag nichtig?
OR 21,23,24,28,29 Wann kann ein Vertrag angefochten werden?
Haftung
OR 41 Verschuldenshaftung (ausservertragliche Haftung)
OR 55 Kaushalhaftung des Geschäftsherrn
OR 58 Kausalhaftung des Werkeigentümers
Vertragliche Haftung bei Unmöglichkeit und Schlecht-
OR 97, 103
erfüllung (mangelhafte Lieferung)
OR 103 Vertragliche Haftung bei Schuldnerverzug (Lieferverzug)
Ort der Vertragserfüllung
OR 74 Ort der Vertragserfüllung
Verjährungsfristen
OR 127 Verjährungsfrist 10 Jahre
OR128 Verjährungsfrist 5 Jahre
OR 60 und 67 Verjährungsfrist 1 Jahr
OR 135 Unterbrechung der Verjährungsfrist
ZGB 807 Unverjährbare Forderungen
Eigentumsübergang und Sicherung der Vertragserfüllung
ZGB 714 Übergang des Eigentums
ZGB 715 Eigentumsvorbehalt
ZGB 793ff. Grundpfandkredit
ZGB 895ff. Retentionsrecht
OR 160ff. Konventionalstrafe
OR 164ff. Zession
OR 492ff. Bürgschaft

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 47


Aufgaben Allgemeine Vertragslehre

Der Drill Sergeant sagt: "Treffen sich zwei Tanksäulen. Sagt die
eine: 'Na wie gehts?' Sagt die an- dere: 'Normal, und dir?' - 'Su-
per!' Und nun wird geübt!"

Obligationen
Das Restaurant Rössli bestellt beim Bäcker Mehlstaub 15 kg Paillassebrote. Ist
hier eine Obligation entstanden? Wenn ja, um welche Art von Obligation han-
delt es sich?
Ja, Obligation aus Vertrag.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Entstehung Vertrag; Gültigkeit eines Angebots; Widerruf


a) In einem Zeitungsinserat vom 30. April werden von der Bits'n'Bytes GmbH iPod
Classics für Fr. 299.00 angeboten.
Sie bestellen ein Stück am Abend des 2. Mai per E-Mail. Am 3. Mai erhalten
Sie die Bestätigung Ihrer Bestellung. Am 5. Mai verschickt die Bits'n'Bytes
GmbH den iPod. Wann ist der Vertrag entstanden? Begründen Sie Ihre
Antwort.
Entstehung des Vertrags am: 3. Mai (Stichwort "Angebot: unverbindliches")
____________________

Begründung:
Ein Zeitungsinserat ist ein unverbindlicher Antrag (Art. 7, Abs. 2 OR). Ihre Be-
____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _______________________________________________

stellung stellt deshalb selber erst einen Antrag dar, den die Bits'n'Bytes
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________

GmbH annehmen, oder ablehnen kann. Da sie Ihren Antrag am 3. Mai


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________

annimmt, ist der Vertrag an diesem Datum entstanden.


____________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________

___________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

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b) Sie stehen im Laden der Bits'n'Bytes GmbH. Der Verkäufer bietet Ihnen einen
iPod Classic für Fr. 299.00 an. Sie können sich nicht entschliessen und
verlassen den Laden. Zwei Stunden später kommen Sie zurück. Der Verkäufer
sagt Ihnen, dass das Angebot nicht mehr gilt, weil er inzwischen keinen dieser
iPods mehr vorrätig hat. Kann der Verkäufer das machen? Begründen Sie
Ihre Antwort.
Kann der Verkäufer das machen? Ja
________________

Begründung:
Es handelt sich um einen "Antrag unter Anwesenden" (Art. 4, Abs. 1 OR). Ein
___________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

solcher muss sofort angenommen werden.


______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________

"Antrag zum Vertragsabschluss" ➔ Art. 3 OR / "Abschluss des Vertrags" ➔ Art. 1 OR


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

c) Am 4. Juni füllen Sie ein Bestellformular für einen Artikel aus und senden das
Formular ab. Am gleichen Tag merken Sie, dass Sie den Artikel eigentlich gar
nicht wollen. Deshalb rufen Sie der Unternehmung an und sagen, dass Sie
die Bestellung widerrufen (annullieren) wollen.
Ist ein Widerruf möglich? Ja OR-Artikel und Absatz: Art. 9, Abs. 1
__________________________ _______________________________________

Stichwort "Widerruf"

Formvorschriften
a) Muss ein Kaufvertrag schriftlich sein? Mit Begründung.
Nein. Grund: Im OR steht nichts über Schriftlichkeit beim Kaufvertrag.
________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Deshalb gilt Art. 11 OR: Formfreiheit.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________________

b) Beim eigenhändigen Testament gilt die Formvorschrift der „qualifizierten


Schriftlichkeit“. Worin besteht diese "qualifizierte Schriftlichkeit"?
Es muss von Hand geschrieben sein und Jahr, Monat und Tag enthalten.
________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ________________

(Art. 505 Abs. 1 ZGB)


_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 49


Anfechtbarkeit von Verträgen
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Vertragspartei einen an und für
sich gültigen Vertrag anfechten.
Petra Meier kauft in einem Möbelgeschäft ein Sofa. Zu Hause stellt sie fest, dass
das Sofa farblich und von der Grösse her überhaupt nicht ins Wohnzimmer
passt. Sie möchte nun von diesem Kaufvertrag zurücktreten und das Sofa mit
der Begründung, dass sie sich "wesentlich" getäuscht habe, zurückgeben. Wie
sieht die rechtliche Lage aus? Kann Petra vom Vertrag zurücktreten, weil es sich
um einen wesentlichen Irrtum nach Gesetz handelt? Geben Sie auch den
entsprechenden Gesetzesartikel mit Absatz an.
Ja X Nein Artikel: 24 Absatz: 2 Gesetz: OR
____________ ____________ ____________ ____________ ____________

(Es handelt sich hier um einen "Motivirrtum)


Stichwort: "Anfechtung eines Vertrags")

Ort der Vertragserfüllung


a) Handelt es sich in den folgenden Fällen um Gattungswaren (G), oder um
Spezieswaren (S)?
- Ein fabrikneues Fahrrad G
___________

- Ein Occasionsfahrrad S
___________

b) Fritz Müller, wohnhaft in Horgen, kauft bei Peter Meier aus Winterthur ein Oc-
casionsauto. Dieses steht in einer Garage in St. Gallen. Wo ist der Ort der
Übergabe, wenn nichts abgemacht wurde?
St. Gallen (Speziesware: Ort, wo Ware sich bei Vertragsabschluss befindet)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________________

c) Könnten die Vertragspartner auch einen anderen Ort der Übergabe bestim-
men?
Ja, denn Art. 74 OR ist dispositives Recht.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________________

Stichwort: "Erfüllungsort"

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 50


Sicherungsmittel
Mit welchem Sicherungsmittel sind folgende Forderungen gesichert?

a) Axel Treasure nimmt einen Bankkredit auf und verpfändet dafür Aktien.
Faustpfand
_________________________________________________________________________________________________________________

b) Der Uhrmacher Glöggli händigt dem Kunden die reparierte Uhr nicht aus, als
dieser nicht bar bezahlen will.
Retention (Art. 895 ZGB)
_________________________________________________________________________________________________________________

Ein Handwerker verpflichtet sich, für jeden zusätzlichen Tag CHF 500.00 zu
bezahlen, wenn er am 4. Mai mit seiner Arbeit nicht fertig wird.
Konventionalstrafe
_________________________________________________________________________________________________________________

Verjährungsfristen
a) Die A-GmbH hat gegenüber der B-AG eine Forderung in der Höhe von CHF
8'000.00 aus einem Warenverkauf. Nach wie vielen Jahren verjährt diese For-
derung?
10 Jahre (Art. 127 OR: Kaufmännischer Geschäftsverkehr)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________

b) Zalando hat eine Forderung gegenüber Linda Shopper. Die Rechnung ist
zahlbar bis zum 30. April 20_4. An welchem Datum wäre die Forderung ge-
genüber Linda Shopper verjährt, wenn Shopper es versäumt hätte, die For-
derung zu begleichen, und Zalando das Ausbleiben der Zahlung nicht zur
Kenntnis genommen hätte? Notieren Sie das genaue Datum (Tag, Monat
und Jahr).
1. Mai 20_9
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________

Art. 128, Ziffer 3 OR: Fünf Jahre Verjährungsfrist gilt unter anderem für "Kleinverkauf aus
Waren". Damit sind Verkäufe an Privatpersonen gemeint.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 51


6. Kaufvertrag

Formvorschriften
Da Sie im OR beim Kaufvertrag keine Formvorschriften finden, gilt die Be-
stimmung aus der allgemeinen Vertragslehre: Art. 11 OR: Keine Formvorschrift.

Zeit der Vertragserfüllung (Warenlieferung und Bezahlung)


Grundsatz: Die Vertragsparteien können diese Fragen frei regeln. Haben sie
nichts abgemacht gilt folgendes:
Warenlieferung und Bezahlung erfolgen sofort. Der juristische Ausdruck dafür
lautet "Zug um Zug": Mehrere Artikel regeln das: Art. 75, Art. 184 Abs. 2, Art. 213
Abs. 1 OR.

Wer muss die Transportkosten übernehmen?


Gemäss Art. 74 OR (allgemeine Vertragslehre) erfolgt die Übergabe der Ware
beim Verkäufer. Es ist deshalb logisch, dass der Käufer, wenn er sich die Ware
liefern lassen will, die Transportkosten übernehmen muss. In Art. 189 Abs. 1 OR
ist diese Regelung zu finden. Da es sich um dispositives Recht handelt, können
die Parteien aber eine andere Regelung treffen. Übernimmt der Verkäufer die
Transportkosten, spricht man von einer Frankolieferung.

Wann wird man Eigentümer der Ware?


Fahrniskauf (Art. 714 ZGB)
Fahrnis = bewegliche Sache: Eigentümer wird man bei der Übergabe der Ware,
nicht erst bei der Bezahlung! Ausnahme: Es wurde ein Eigentumsvorbehalt
vereinbart - das müsste in einer Aufgabe aber stehen.

Grundstückkauf (Art. 656 ZGB)


Nach dem Eintrag ins Grundbuch

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 52


Übergang von Nutzen und Gefahr (Art. 185 OR)
Wer trägt das Risiko, wenn die Ware vor der Übergabe an den Kunden verloren
geht, zerstört, oder beschädigt wird?
Also: Immer dann, wenn eine Aufgabenstellung etwa so lautet: "A schliesst ei-
nen Kaufvertrag über einen xxxxx ab. Bevor A den Gegenstand erhält, wird der
Gegenstand zerstört. Muss A den Gegenstand trotzdem bezahlen?" müssen Sie
das Thema "Übergang von Nutzen und Gefahr" aus der Hirni-Schublade ziehen.
Analysieren wir den entscheidenden Artikel 185 OR. Sie finden ihn mit dem
Stichwort "Nutzen und Gefahr" im Sachregister:
1 "Sofern nicht besondere ..... Verabredungen eine Ausnahme begründen, …
➔ Es handelt sich um dispositives Recht; die Vertragsparteien können also sel-
ber bestimmen, wie sie das regeln wollen.

…gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber
über.
➔ Ist die Regelung für Spezieswaren

2 Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt,…


➔ Ist die Regelung für Gattungswaren

… so muss sie überdies ausgeschieden …


➔ "ausgeschieden": Ware ist für den Kunden auf die Seite gelegt, oder mit
seinem Namen versehen worden. Diese Regelung gilt
für das Platzgeschäft. "Platzgeschäft": Kunde holt die
Ware ab.

… und, wenn sie versendet werden soll, zur Versendung abgegeben sein."
➔ Regelung für Distanzgeschäft. "Distanzgeschäft": Kunde lässt sich die Ware
liefern.

Übersicht zum Übergang von Nutzen und Gefahr

Speziesware Gattungsware

Distanzgeschäft Platzgeschäft
Ab Vertragsabschluss Sobald Ware zum Versand Sobald Ware ausge-
aufgegeben wurde. schieden wurde.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 53


Lieferungsverzug
Lieferungsverzug bedeutet Lieferverspätung. Wie muss der Käufer vorgehen,
wenn die Ware nicht kommt? Das Ganze ist sehr kompliziert - tschuldigung,
aber ich habe es nicht erfunden. Bevor wir das Thema behandeln, müssen
Ihnen ein paar Begriffe klar sein:

Wichtige Begriffe zum Thema Lieferungsverzug

Kaufmännischer Geschäftsverkehr
Kaufmännischer Geschäftsverkehr bedeutet, dass eine Unternehmung Waren
einkauft, um sie weiterzuverkaufen. Kauft sie Waren für sich selbst ein (Einkauf
für Eigenbedarf) handelt es sich nicht um einen kaufmännischen Verkehr.
Beispiel:
Ein Computerhändler kauft Notebooks für den Weiterverkauf: Kaufmännischer
Geschäftsverkehr.
Ein Computerhändler kauft Notebooks für das eigene Büro: Eigenbedarf; kein
kaufmännischer Geschäftsverkehr.

Mahngeschäft
Liefertermin ist gar nicht, oder nur ungefähr vereinbart. "Liefern Sie 25 rosa Ele-
fanten", oder "liefern Sie bis Ende Mai 25 rosa Elefanten".

Verfalltagsgeschäft
Liefertermin ist vereinbart. Käufer kann zur Not aber auch eine spätere Liefe-
rung akzeptieren. "Liefern Sie bis zum 14. April 25 rosa Elefanten".

Fixgeschäft
Liefertermin ist vereinbart. Eine spätere Lieferung nützt dem Käufer nichts mehr.
"Liefern Sie bis spätestens am 14. April um 12.00 25 rosa Elefanten".
Im kaufmännischen Verkehr wird automatisch ein Fixgeschäft angenommen,
wenn ein Liefertermin vereinbart wurde. Man geht hier davon aus, dass der
Käufer selber an Liefertermine gegenüber seinen Kunden gebunden ist.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 54


Gesetzesartikel Lieferungsverzug
Wenn Sie eine Aufgabe zum Lieferungsverzug lösen müssen, sollten Sie syste-
matisch vorgehen und mit dem Gesetzbuch arbeiten.

1. Schritt: Sie müssen überprüfen, ob der Lieferant überhaupt im Verzug ist.


Stichwort, mit dem Sie den OR-Artikel finden: ""Verzug des Schuldners". Dieses
Stichwort führt Sie zu Art. 102 OR:
1 Ist eine Verbindlichkeit fällig, so wird der Schuldner durch Mahnung des Gläubigers in Ver-
zug gesetzt.
2 Wurde für die Erfüllung ein bestimmter Verfalltag verabredet, oder ergibt sich ein solcher
infolge einer vorbehaltenen und gehörig vorgenommenen Kündigung, so kommt der
Schuldner schon mit Ablauf dieses Tages in Verzug.

Absatz 1 beschreibt das Mahngeschäft: Es wurde kein klarer Liefertermin verein-


bart; die Lieferung ("Verbindlichkeit") wird fällig, wenn der Käufer das Gefühl
hat, dass die Ware jetzt aber kommen sollte. Der Käufer muss den Lieferanten
mahnen, um ihn in Verzug zu setzen.
Absatz 2 beschreibt das Verfalltags- und auch das Fixgeschäft: Sobald der
Liefertermin überschritten wird, ist der Verkäufer im Verzug.

2. Schritt: Sie müssen entscheiden, ob der Kunde eine Nachfrist setzen muss,
wenn der Lieferant im Verzug ist.
Ob eine Nachfrist gesetzt werden muss, hängt davon ab, ob es sich um ein
Mahngeschäft, ein Verfalltagsgeschäft, oder um ein Fixgeschäft handelt.

► Mahngeschäft und Verfalltagsgeschäft


Stichwort, mit dem Sie den OR-Artikel finden: "Rücktritt wegen Verzugs". Dieses
Stichwort führt Sie zu Art. 107 OR:
1 Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubi-
ger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder
durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
➔ Der Käufer muss dem Verkäufer grundsätzlich eine Nachfrist setzen. Handelt
es sich aber um ein Fixgeschäft, gilt Artikel 108 OR:

► Fixgeschäft
Stichwort, mit dem Sie den OR-Artikel 108 finden: "Fixgeschäft":
Die Ansetzung einer Frist zur nachträglichen Erfüllung ist nicht erforderlich:
2. wenn infolge Verzuges des Schuldners die Leistung für den Gläubiger nutzlos geworden
ist;
Beim Fixgeschäft ist der Liefertermin entscheidend. Eine Nachfrist muss deshalb
nicht mehr gesetzt werden.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 55


3. Schritt: Wie muss der Käufer vorgehen, wenn er die Ware nicht mehr will?
Hier gibt es zwei Varianten:

Variante 1: Mahngeschäft, Verfalltagsgeschäft, Fixgeschäft im nicht-kaufmän-


nischen Verkehr.
Wir kehren wieder zum Art. 107 OR zurück, aber zum Absatz 2:
2 Wird auch bis zum Ablaufe dieser Frist nicht erfüllt, so kann der Gläubiger immer noch auf
Erfüllung nebst Schadenersatz wegen Verspätung klagen, statt dessen aber auch, wenn er
es unverzüglich erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und entweder Ersatz
des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage
zurücktreten.
➔ Wenn beim Mahn- und Verfalltagsgeschäft die Nachfrist, bzw. beim Fixge-
schäft im nicht-kaufmännischen Verkehr der Liefertermin ohne Lieferung ver-
streicht, kann der Käufer auf die Lieferung verzichten – er muss das aber dem
Lieferanten melden.

Variante 2: Fixgeschäft im kaufmännischen Verkehr


Hier gilt der "Spezialartikel" Art. 190 OR, den Sie mit dem Stichwort "Lieferverzug",
oder mit dem Stichwort "kaufmännischer Verkehr" finden können:
1 Ist im kaufmännischen Verkehr ein bestimmter Lieferungstermin verabredet und kommt
der Verkäufer in Verzug, so wird vermutet, dass der Käufer auf die Lieferung verzichte
und Schadenersatz wegen Nichterfüllung beanspruche.
2 Zieht der Käufer vor, die Lieferung zu verlangen, so hat er es dem Verkäufer nach Ablauf
des Termines unverzüglich anzuzeigen.
➔ Unterschied kaufmännischer / nicht-kaufmännischer Geschäftsverkehr:
Beim kaufmännischen Geschäftsverkehr wird automatisch angenommen,
dass der Käufer auf die Lieferung verzichtet.

Schadenersatzberechnung im kaufmännischen Verkehr: OR 191, Abs. 2


"Der Käufer kann als seinen Schaden im kaufmännischen Verkehr die Differenz zwischen dem
Kaufpreis und dem Preis für den Ersatzkauf geltend machen."
Beispiel:
Wir bestellten 50 Stück eines Artikels zu einem Stückpreis von CHF 10.00. Weil die
Lieferung ausblieb, kauften wir den gleichen Artikel für CHF 12.00 bei einem
anderen Lieferanten.
Berechnung Schadenersatz: Pro Artikel mussten wir CHF 2.00 mehr bezahlen.
Bei 50 Stück macht das total 50 x CHF 2.00 = CHF 100.00.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 56


Übersicht Vorgehen des Käufers bei Lieferverzug

Fixgeschäft Verfalltagsgeschäft Mahngeschäft

Ablauf des Lieferdatums:


Verkäufer ist im Verzug

keine Nachfrist Käufer setzt Nachfrist Käufer mahnt und setzt Nachfrist
notwendig Art. 107 Abs. 1 OR Art. 102 Abs. 1 und 107 Abs. 1 OR
Art. 108 OR
Ab jetzt ist der Verkäufer im Ver-
Verzug.

A b l a u f d e r N a c h f r i s t :

D e r K ä u f e r k a n n w ä h l e n (A r t . 1 0 7 A b s . 2 O R)

Rücktritt vom Vertrag Auf Lieferung verzichten Beharren auf Lieferung


Evtl. Spesenersatz für die Kos- Evtl. Schadenersatz für De- Evtl. Schadenersatz für
ten, die im Zusammenhang ckungskauf (Art. 191 OR). verspätete Lieferung,
mit dem Vertragsabschluss Diese Variante wird der Käufer wenn Zusatzkosten an-
entstanden sind. wählen, wenn er die Ware an ei- gefallen sind.
Diese Variante wird der Käu- nem anderen Ort teurer ein- Diese Variante wird der
fer wählen, wenn er die Ware kaufen musste. Käufer wählen, wenn er
an einem anderen Ort billiger die Ware will und sie sonst
einkaufen kann. nirgends erhält.

Wie muss der Käufer vorgehen, wenn er die Variante "Verzicht auf Lieferung"
wählt?
Kaufmännischer Verkehr:
Nicht-kaufmännischer Verkehr:
Wurde ein Liefertermin abgemacht
Will der Käufer auf die Lieferung
und der Verkäufer kommt in Verzug,
verzichten, muss er dies sofort mit-
wird automatisch angenommen,
teilen. (Art. 107 Abs. 2 OR)
dass der Käufer die Ware nicht mehr
will. Der Käufer muss also nichts
mehr machen und der Verkäufer
darf nicht mehr liefern (Art. 190 Abs.
1 OR)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 57


Mangelhafte Lieferung

"Diese Katze flutscht nicht richtig!"

Pflichten des Käufers


1. Prüfungspflicht (Art. 201 Abs. 1 OR)
Die Ware muss bei Erhalt (oder kurz danach) geprüft werden. So kann der Käu-
fer feststellen, ob alles in Ordnung ist. In Art. 201 Abs. 1 OR wird festgehalten,
dass die Ware "nach dem üblichen Geschäftsgang" zu prüfen sei. Das be-
deutet, dass bei einer Lieferung von Früchten die Kontrolle schneller geschehen
muss, als bei einer Lieferung von Staubsaugern. Unterlässt der Käufer die
Prüfung während einer vernünftigen Zeitspanne, kann er später nicht mehr
kommen und reklamieren. Ausgenommen sind "versteckte Mängel"; das sind
Mängel, welche man erst beim Gebrauch entdeckt. Wenn ich beispielsweise
ein Zelt kaufe, überprüfe ich, ob alle Einzelteile dabei sind und der Stoff keinen
Riss aufweist. Wenn aber die Zeltstangen dann beim ersten Windstoss brechen,
ist das ein versteckter Mangel. Den kann ich auch später noch melden.
Allerdings gilt auch hier: Die Meldung muss sofort nach Entdeckung des ver-
steckten Mangels erfolgen.

2. Anzeigepflicht (Mängelrüge) (Art. 201 Abs. 1 OR)


Der Verkäufer muss sofort informiert werden, wenn etwas mit der Ware nicht in
Ordnung ist. Am besten geschieht dies schriftlich mit einer Mängelrüge.

3. Aufbewahrungspflicht (Art. 204 OR)


Die Ware darf nicht einfach zurückgeschickt werden. Der Käufer muss die
Weisungen des Verkäufers abwarten.

Welche Rechte hat der Käufer bei Mängeln? (Art. 205 und 206 OR)
► Wandelung (Rücktritt vom Kauf)
► Minderung (Rabatt verlangen)
► Ersatzlieferung (Eine Ersatzlieferung ist bei Spezieswaren natürlich nicht mög-
lich, da Spezieswaren einmalig sind).

Bei diesen Wahlrechten handelt es sich um dispositives Recht. Die Rechte kön-
nen also ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Es ist deshalb möglich,
dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur das Recht auf Reparatur
eingeräumt wird, was eine Verschlechterung gegenüber den gesetzlichen
Wahlmöglichkeiten darstellt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 58


Wie lange haftet der Verkäufer ("Garantie")?
Art. 210 OR: Zwei Jahre für neue Sachen, ein Jahr bei gebrauchten Sachen
(Occasionen).

Annahmeverzug (Käufer nimmt Ware nicht entgegen)


Welche Möglichkeiten hat der Verkäufer, wenn der Käufer die Ware nicht
entgegennimmt?
► Art. 92 OR: Verkäufer darf Ware auf Kosten des Käufers in einem Lagerhaus
deponieren.
► Art. 93 OR: Verkäufer darf gewisse Waren (vor allem verderbliche) mit Bewilli-
gung eines Richters verkaufen (allerdings muss dies dem Käufer zuerst
angedroht worden sein).
► Art. 94 OR: Der Verkäufer kann die Ware wieder zurücknehmen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 59


Zahlungsverzug
a) Barzahlung oder Vorauszahlung (Art. 214 OR)
Verkäufer kann sofort vom Vertrag zurücktreten, wenn Käufer nicht bezahlt.

b) Verkauf gegen Rechnung


Auf der Rechnung steht kein Zah- Auf der Rechnung steht ein klarer Zah-
lungstermin, oder es gibt eine Formu- lungstermin; z. B. "zahlbar bis …", "zahl-
lierung wie "zahlbar innert 30 Tagen". bar innert 30 Tagen nach Rechnungs-
Hier gelten Art. 102, Abs. 1 und Art. datum". Hier gilt Art. 102, Abs. 2 OR.
107, Abs. 1 OR. (diese Artikel kennen
Sie schon vom "Lieferungsverzug").
Verfalltagsgeschäft

Mahngeschäft
Ablauf des Zahlungstermins:

Bei ausbleibender Zahlung:

Käufer kommt automatisch in Verzug


Mahnung und Nachfrist setzen
und Verkäufer darf einen Verzugszins
Ab Datum der Mahnung ist der Käufer berechnen. Eine Mahnung ist nicht
im Verzug und der Verkäufer darf mehr notwendig.
einen Verzugszins von 5% verlangen;
gemäss Art. 104 OR.

Bei einem Zahlungsverzug kann der Verkäufer die Ware nicht zurückfordern,
weil der Käufer bei der Übergabe der Ware Eigentümer geworden ist (Art. 714
ZGB). Eine Rückforderung ist nur möglich, wenn ein Eigentumsvorbehalt verein-
bart wurde.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 60


Wichtige Gesetzesartikel
Eigentlich umfasst der Kaufvertrag die OR-Artikel 184 - 236. Sie finden aber unten noch
weitere Artikel, die halt auch noch zum Thema gehören, vor allem aus der
Allgemeinen Vertragslehre, die die Basis für alle Vertragsarten bildet.
Liefertermin, Zahlungstermin, Übernahme Transportkosten
OR 184, Abs. 2 "Zug um Zug" Warenlieferung und Bezahlung
OR 189 Regelung Übernahme der Transportkosten
OR 213, Abs. 1 Regelung, wann Kaufpreis bezahlt werden muss (siehe auch
Art. 184, Abs. 2 OR)
Eigentumsübergang
ZGB 656, Abs. 1 Übergang des Eigentums bei einem Grundstück
ZGB 714, Abs. 1 Übergang des Eigentums bei einem Fahrnis
Übergang von Nutzen und Gefahr
OR 185
Lieferungsverzug Mahngeschäft
OR 102, Abs. 1 Durch Mahnung wird Verkäufer in Verzug gesetzt.
OR 107, Abs. 1 Dem Verkäufer muss eine Nachfrist gesetzt werden.
OR 107, Abs. 2 Reaktionsmöglichkeiten des Käufers, wenn Nachfrist ungenützt
verstreicht
Lieferungsverzug Fixgeschäft
OR 102, Abs. 2 Durch Ablauf des Liefertermins kommt Verkäufer in Verzug.
OR 108 Lieferverzug beim Fixgeschäft: Keine Nachfrist nötig, da Liefer-
verzug automatisch eintritt.
OR 107, Abs. 2 Reaktionsmöglichkeiten für Käufer bei einem Fixgeschäft im
nichtkaufmännischen Verkehr.
OR 190 Reaktionsmöglichkeiten für Käufer bei einem Fixgeschäft im
kaufmännischen Verkehr.
mangelhafte Lieferung
OR 201, Abs. 1 Prüfungspflicht des Käufers bei Erhalt der Ware.
OR 204 Aufbewahrungspflicht
OR 205, Abs. 1 Wandelung und Minderung
OR 206, Abs. 1 Ersatzlieferung
OR 210, Abs. 1 Gewährleistung (Garantie)
Annahmeverzug
OR 211 Pflicht des Käufers, die Ware entgegenzunehmen
OR 92 - 94 Was kann Verkäufer machen, wenn der Käufer die Ware nicht
entgegennimmt?
Zahlungsverzug
OR 102, Abs. 1 Zahlungsverzug beim Mahngeschäft
OR 102, Abs. 2 Zahlungsverzug beim Verfalltagsgeschäft
OR 104 Verzugszinsen
OR 214 Barkauf und Vorauszahlung: Rücktrittsrecht des Verkäufers bei
Zahlungsverzug des Käufers

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 61


Aufgaben Kaufvertrag

Der Drill Sergeant sagt: "Ist ein Verdurstender in der Wüste.


Was sagt er? 'Ist voll sandig hier.' Und nun wird geübt!"

Transportkosten, Zahlung, Eigentumsübergang


Weichen die folgenden Aussagen von der gesetzlichen Regelung ab?

a) Die Versandkosten werden vom Käufer übernommen.


Abweichung von der gesetzlichen Regelung?
□ Ja □X Nein
Gesetz: OR Artikel: 189 Absatz: 1 (Stichwort "Transportkosten")
_________________ ________________ ___________

b) Die Zahlung erfolgt per Rechnung innerhalb von 30 Tagen.


Abweichung von der gesetzlichen Regelung?
□X Ja □ Nein
Gesetz: OR Artikel: 184 Absatz: 2 (auch ok: Art. 75 OR)
_________________ ________________ ___________

(Gemäss Gesetz erfolgt die Zahlung sofort "Zug um Zug", ist auch das Stichwort...)

c) Ist folgende Behauptung richtig oder falsch? "Das Eigentum eines Gegen-
stands geht mit der Bezahlung auf den Käufer über".
Falsch.
________________________________________________________________

(Das Eigentum geht bei der Übergabe auf den Käufer über Art. 714 ZGB)
(Stichwort: "Eigentum: Erwerb")

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 62


Übergang von Nutzen und Gefahr
Ausgangslage
Eine Möbelfabrik stellt für ihren Katalog Möbel her und restauriert auch antike
Möbelstücke. Eine Kundin kauft am 12. Juli eine alte, restaurierte Kommode und
ein Standard-Büchergestell aus dem Katalog. In der Nacht vom 12. auf den 13.
Juli werden beide Möbelstücke durch einen Brand zerstört.
Tipp: Beim Büchergestell handelt es sich um eine Gattungs- bei der Kommode
um eine Speziesware.

Situation 1
Die Kundin sagt, dass sie am nächsten Tag mit einem Lieferwagen vorbeikom-
men werde, um beide Möbelstücke mitzunehmen. Das Büchergestell und die
Kommode werden im Lager an die Verladerampe gestellt und mit dem Namen
der Kundin angeschrieben.
Wer trägt Nutzen und Gefahr an der Kommode, nachdem sie verbrannt ist?
Nutzen und Gefahr trägt: Die Kundin
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Begründung: Speziesware; Käuferin trägt das Risiko ab Vertragsabschluss.


________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ __________________________

_________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _

Artikel: 185 Absatz: 1 Gesetz: OR


_____________ ___________ ______________

(Stichwort "Übergang Nutzen und Gefahr")

Wer trägt Nutzen und Gefahr am Büchergestell, nachdem es verbrannt ist?


Nutzen und Gefahr trägt: Die Kundin
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Begründung: Gattungsware und Platzkauf; Käuferin trägt das Risiko, sobald


__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

die Ware ausgeschieden ist.


_________________________________________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________________

Artikel: 185 Absatz: 2 Gesetz: OR


_____________ ___________ ______________

Situation 2
Wer würde Nutzen und Gefahr am Büchergestell tragen, wenn vereinbart wor-
den wäre, dass das Büchergestell der Kundin geliefert würde? Auch in diesem
Fall wurde das Büchergestell bereits auf die Verladerampe gestellt und an-
geschrieben.
Nutzen und Gefahr trägt: Die Möbelfabrik
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Begründung: Gattungsware und Distanzkauf; Verkäufer trägt das Risiko, weil


__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

die Ware noch nicht zum Versand aufgegeben worden ist.


__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Artikel: 185 Absatz: 2 Gesetz: OR


_____________ ___________ ______________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 63


Lieferungsverzug
1. Aufgabe
a) Handelt es sich in den folgenden Fällen um ein Mahngeschäft (M), ein
Verfalltagsgeschäft (V), oder um ein Fixgeschäft (F)?
- Petra Meier bestellt auf Amazon ein Buch. Es wird kein
Liefertermin vereinbart. M
____________

- Die Rösli GmbH bestellt bei einem Grosshändler 10 Ro-


senstöcke für den Weiterverkauf. "Lieferung am 10. Juli,
spätestens um 12.00". F
____________

- Aldo Odla bestellt für seine Sommerferien, welche am


12. Juli beginnen ein Zelt. Als Liefertermin wird der 30.
Juni vereinbart. V
____________

b) Handelt es sich in den folgenden Fällen um einen kaufmännischen Ge-


schäftsverkehr (K), oder um einen nicht kaufmännischen Geschäftsverkehr
(N)?
- Die Turbo AG kauft 25 Computer für ihre Angestellten N
____________

- Die Turbo AG kauft 25 Computer, die für den Wiederver-


kauf bestimmt sind (die Turbo AG handelt mit Computern) K
____________

2. Aufgabe
Die Trading AG bestellt bei der Compi GmbH fünf Computer der Marke Super-
byte XPS; Stückpreis CHF 850.00. Diese Computer wird die Trading AG der Expo
AG weiterverkaufen, welche sie für eine Computermesse benötigt. Im Vertrag
mit der Compi GmbH steht, dass die fünf Computer bis spätestens 8. Mai 10.00
geliefert werden müssen.
Am 8. Mai um 10.00 sind die Computer nicht geliefert worden. Die Trading AG
kauft deshalb bei einem anderen Computerhändler fünf Stück ein, muss aber
pro Stück CHF 1'150.00 bezahlen.

a) Am 8. Mai um 14:00 fährt der Lieferwagen der Compi GmbH vor und der
Chauffeur will die fünf Computer ausliefern. Die Trading AG stellt sich auf den
Standpunkt, dass sie die Computer nicht mehr annehmen muss. Ist die
Trading AG im Recht? Mit Begründung. Geben Sie auch den Gesetzesartikel
mit Absatz an.
Ja, kaufmännischer Geschäftsverkehr mit einem Lieferdatum. Hier gilt
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Art. 190 Abs. 1 OR: automatischer Verzicht auf Lieferung.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 64


b) Die Trading AG verlangt von der Compi GmbH Schadenersatz. Wie hoch ist
dieser Schadenersatz und auf welchen OR-Artikel mit Absatz stützt sich die
Trading AG?
Mehrpreis pro Computer: CHF 300.00. Fünf Computer: total CHF 1'500.00
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Art. 191 Abs. 2 OR


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

3. Aufgabe
M. Twain bestellt am 4. Mai für sich bei der Buchhandlung Orell Händli die Ge-
samtwerke von Karl Juni. Die Lieferung sollte in "etwa zwei Wochen" erfolgen.
Am 26. Mai sind die Bücher noch nicht bei M. Twain eingetroffen. In diesem Fall
handelt es sich um ein
X Mahngeschäft
__________

Verfalltagsgeschäft
__________

Fixgeschäft
__________

Wie muss M. Twain nun vorgehen? Geben Sie auch die beiden Gesetzesartikel
mit Absätzen an.
M. Twain muss eine Mahnung senden (Art. 102 Abs. 1 OR) und eine Nachfrist
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

setzen (Art. 107 Abs. 1 OR).


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Mangelhafte Lieferung
1. Aufgabe
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Elektronikhändlers steht fol-
gender Absatz:
"Gemäss Gesetz steht Ihnen durch die Mängelrüge das Wahlrecht zu, Ihr Gerät gratis repa-
rieren zu lassen, durch ein neues Gerät ersetzen zu lassen oder einen Mängelrabatt zu ver-
langen."
Entspricht dieser Absatz wirklich dem Gesetz?
Ja X Nein
_________ _________

Begründung:
Reparatur ist kein gesetzliches Wahlrecht. (Art. 205 und 206 OR)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

➔ Minderung (Rabatt); Wandelung (Rücktritt vom Vertrag); bei Gattungswaren auch Ersatz-
lieferung

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 65


2. Aufgabe
Herr Kaiser kauft bei der Camping AG ein Zelt. Er stellt es sofort zu Hause auf
und prüft es. Herr Kaiser stellt fest, dass alles in Ordnung ist. Er teilt dies dem
Verkäufer bei der Camping AG mit und bedankt sich nochmals für die gute
Bedienung.
In den Ferien stellt Herr Kaiser fest, dass das Zelt nicht wasserdicht ist und dass
sich nach einem kleinen Gewitter eine Zeltstange verbogen hat.
Nach den Ferien reklamiert Herr Kaiser sofort bei der Camping AG und möchte
das Zelt zurückgeben. Der Verkäufer ist nicht einverstanden: "Sie, Herr Kaiser,
haben mir ja am Telefon erklärt, dass mit dem Zelt alles in Ordnung ist".
Wer hat Recht? Begründen Sie Ihre Wahl und nennen Sie zudem den entspre-
chenden Gesetzesartikel mit Absatz.

□ Die Camping AG □X Herr Kaiser


Begründung:
Es handelt sich hier um versteckte Mängel, die Herr Kaiser bei der Kontrolle
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________

nicht sehen konnte. Versteckte Mängel sind sofort bei Entdeckung zu mel-
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________

den, was Herr Kaiser auch gemacht hat.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________

Artikel: 201 Absatz: 2 oder 3 OR


________________ ______________________________________

Stichwort: "Mängelrüge: beim Kauf"

Zahlungsverzug
Die Countdown AG verkauft Waren an B. Lotteri. Auf der Rechnung vom 4. April
steht "zahlbar innert 30 Tagen". Das Geld ist am 4. Mai noch nicht eingetroffen.
Deshalb schickt die Countdown AG am 5. Mai eine Mahnung.
a) Handelt es sich hier um ein Mahn-, oder um ein Verfalltagsgeschäft?
Mahngeschäft.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________

b) War eine Mahnung überhaupt notwendig?


Ja, da Mahngeschäft.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________

c) Ab welchem Datum ist B. Lotteri im Verzug? (Ab diesem Datum darf die
Countdown AG von B. Lotteri Verzugszinsen verlangen).
Ab Datum der Mahnung: 5. Mai (Art. 102 OR)
_____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 66


7. Zwangsvollstreckung (SchKG)

Wichtige Begriffe im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung


Bevor wir die Betreibungsarten die ihre Abläufe anschauen hier ein paar Be-
griffe, welche unabhängig von der Betreibungsart auftauchen.

Kompetenzstücke
Unpfändbare Gegenstände, die für den Lebensunterhalt und die Berufsausü-
bung notwendig sind. Beispiele: Möbel, Kleider, Nahrungsmittel, Klavier einer
Klavierlehrerin.

Lohnpfändung und Existenzminimum


Dem Schuldner Gegenstände wegzunehmen bringt häufig nicht viel. Meistens
kommt es deshalb zu einer Lohnpfändung. Bei der Lohnpfändung muss monat-
lich ein Teil des Lohnes dem Betreibungsamt überwiesen werden. Dabei darf
aber das Existenzminimum des Schuldners nicht unterschritten werden. Es gibt
kein einheitliches Existenzminimum. Dieses wird für jeden Schuldner individuell
festgelegt.
Beispiel (ist echt – nicht von mir aus den Fingern gesogen):
Kaufmännischer Angestellter alleinstehend
mit einem Nettoeinkommen von 4860 CHF
im Monat
Fr./Mt.
Grundbetrag (Schuldner/in resp. Eheleute) 1065.00
Grundbetrag Kinder -
Mietzins (oder Liegenschaftenaufwand) 1560.00
Heizung/Nebenkosten -
Elektrizität/Gas 85.00
Krankenkasse 210.00
Auslagen für auswärtige Verpflegung 330.00
Überdurchschnittlicher Kleider- und Wäscheverbrauch -
Fahrt zum Arbeitsplatz 145.00
Autoauslagen (bei Selbstständigerwerbenden) -
Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge -
Weitere notwendige Auslagen (Gesundheitskosten etc.) -
EXISTENZMINIMUM 3395.00

Einkommenspfändung
Nettoeinkommen Schuldner 4860.00
abzüglich Existenzminimum - 3395.00
Pfändungsquote pro Monat 1465.00

Insolvenzerklärung
Eine Privatperson oder eine Unternehmung erklärt sich beim Gericht für zah-
lungsunfähig und ersucht um Eröffnung des Konkurses. Bei Privatpersonen
spricht man von einem Privatkonkurs.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 67


Einzelvollstreckung
Dieses Verfahren wird bei den Betreibungen auf Pfändung und Pfandverwer-
tung angewendet.
Merkmale:
► Es wird nur so viel vom Vermögen beschlagnahmt, dass angemeldete For-
derungen gedeckt werden können.
► Es werden nur diejenigen Gläubiger berücksichtigt, welche eine Betreibung
eingeleitet haben.

Gesamtvollstreckung
Dieses Verfahren wird bei der Betreibung auf Konkurs angewendet.
Merkmale:
► Das ganze Vermögen des Schuldners wird beschlagnahmt.
► Juristische Personen (AG, GmbH) werden nach Abschluss des Konkursver-
fahrens im Handelsregister gelöscht.
► Alle Gläubiger werden im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) aufge-
fordert, sich zu melden. Dem sagt man "Schuldenruf".

Kollokationsplan (Art. 219 SchKG)


Reihenfolge, in der Gläubiger ausbezahlt werden. Grobe Übersicht:
Pfandgesicherte Forderungen
1. Klasse:
Löhne der letzten 6 Monate
2. Klasse: privilegierte Forderungen
Forderungen von ALV, AHV/IV/EO, MWST
3. Klasse ("Kurrentgläubiger"):
Restliche Forderungen (zum Beispiel Lieferanten).

Regeln:
► Innerhalb einer Klasse werden alle Gläubiger gleichbehandelt (jeder erhält
gleich viele Prozente seiner Forderung). Der Anteil, den der Gläubiger erhält,
wird als Konkursdividende bezeichnet.
► Gläubiger der "tieferen" Klasse erhalten erst etwas, wenn die Gläubiger der
"oberen" Klasse voll ausbezahlt werden können.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 68


Keine Betreibungshandlungen (zum Beispiel Zustellung des Zahlungsbefehls)
sind erlaubt:
• an Sonn- und allgemeinen Feiertagen
• von 20 Uhr bis 07 Uhr
• Während der Betreibungsferien: 15. - 31. Juli, sowie 7 Tage vor und nach
Ostern und Weihnachten
• Während eines Rechtsstillstandes: Spezielle Schonfristen, z.B. bei schwerer Er-
krankung des Schuldners, oder wenn er im Militär ist.

Das Einleitungsverfahren einer Betreibung


Das Einleitungsverfahren sollten Sie gut lernen, weil es bei allen Betreibungs-
arten gleich abläuft und gerne am QV geprüft wird….

Der Betreibungsort
Betreibungen werden immer beim Betreibungsamt eingeleitet. Die Frage ist
einfach bei welchem Betreibungsamt: Dort, wo der Gläubiger wohnt, dort, wo
der Schuldner wohnt, oder ….?

Forderung ist nicht durch ein Pfand gesi- Forderung ist durch ein Pfand ge-
chert sichert
Betrieben wird: Sicherungsmittel ist ein Faustpfand:
Eine natürliche Person (Mensch): Betrieben wird am Wohnort des
Am Wohnort des Schuldners Schuldners, oder am Ort, an dem
sich das Faustpfand befindet.
Eine Einzelunternehmung:
Am Wohnort des Eigentümers
Sicherungsmittel ist ein Grundpfand:
Eine AG oder GmbH: Betrieben wird am Ort, an dem sich
Am Hauptsitz der Unternehmung das Grundpfand befindet.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 69


Ablauf des Einleitungsverfahrens
Stellt der Gläubiger beim Betreibungsbegehren
Betreibungsamt:

Schickt das Betreibungs-


amt dem Schuldner: Zahlungsbefehl

Möglichkeiten des Zahlung innert Rechtsvorschlag keine Reaktion


Schuldners: 20 Tagen innert 10 Tagen

Möglichkeiten des Forderung ist durch Keine schriftlichen


Gläubigers: Belege bewiesen: Beweise:
Rechtsöffnungsbegehren Zivilprozess
Wenn Gerichtsurteil
zugunsten des
Gläubigers:

Beweis- Schriftliche Schuldaner- Gerichtsurteil oder evtl.


mittel: kennung oder öffent - Behördenentscheid:
liche Urkunde (z. B. Ver-
lustschein):

Entscheid Provisorische Rechts- Definitive Rechts-


Richter: öffnung öffnung

Möglichkeit Aberkennungsklage
des Schuld- Schuldner gewinnt: Ende
Fortsetzung der Betreibung
ners: der Betreibung. Sonst:

Damit ein Rechtsöffnungsbegehren überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, benötigt der
Gläubiger einen Rechtsöffnungstitel. Ein Rechtsöffnungstitel ist eine Urkunde, welche
die Schuld resp. die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner verkörpert.
Mietverträge, Kaufverträge, Arbeitsverträge usw. können ohne Weiteres als provisori-
sche Rechtsöffnungstitel dienen, wenn darin die Parteien, der Forderungsbetrag und
die Fälligkeit genügend klar bestimmt sind und dieser Vertrag zumindest vom
Schuldner unterzeichnet worden ist. Fehlt die Unterschrift des Schuldners, liegt kein
Rechtsöffnungstitel vor und das Rechtsöffnungsbegehren würde abgewiesen. Die Un-
terschrift auf einem Lieferschein stellt noch keine Schuldanerkennung dar, auch wenn
darauf der Wert der gelieferten Ware vermerkt ist, da mit der Unterzeichnung des
Lieferscheins lediglich der Erhalt der Ware bestätigt, nicht jedoch eine Zahlungspflicht
anerkannt wird.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 70


Hat der Gläubiger das Einleitungsverfahren erfolgreich hinter sich gebracht,
geht die Betreibung weiter. Sie müssen drei Betreibungsarten kennen:
► Betreibung auf Pfändung
► Betreibung auf Pfandverwertung
► Betreibung auf Konkurs

Betreibung auf Pfändung


Wann kommt es zu einer Betreibung auf Pfändung? (Art. 42 SchKG)
► Schuldner ist nicht im Handelsregister eingetragen. Meistens handelt es sich
in diesem Fällen um eine Privatperson, die eine Rechnung nicht bezahlt
hat.
► Forderung ist nicht durch ein Pfand gesichert
► Forderung der öffentlichen Hand (= des Staates). Zum Beispiel fordert der
Staat vom Schuldner eine Parkbusse oder Steuern.

Der Ablauf der Betreibung auf Pfändung (gekürzt)


Nach dem Einleitungsverfahren stellt der Gläubiger beim Betreibungsamt das:

Fortsetzungsbegehren (Pfändungsbegehren)

Pfändung - Kompetenzstücke und Existenzminimum müssen beach-


tet werden. Heute wird meistens der Lohn gepfändet,
weil dies einfacher ist und mehr einbringt, als Gegenstän-
de zu beschlagnahmen und zu versteigern.
- Es kommt zu einer Einzelvollstreckung.
Verwertungsbegehren (wenn Gegenstände gepfändet wurden)

Verwertung Öffentliche Versteigerung (Gant)

Verteilung gemäss Kollokationsplan. Reicht das Geld nicht, gibt es:

Pfändungsverlustscheine:
- Innerhalb von sechs Monaten kann der Gläubiger eine neue Betreibung ein-
leiten und gleich das Fortsetzungsbegehren stellen (das ganze Einleitungsver-
fahren entfällt also). Wartet der Gläubiger mehr als sechs Monate, dient ihm
der Pfändungsverlustschein als provisorischer Rechtsöffnungstitel.
- Der Pfändungsverlustschein verjährt nach 20 Jahren - er kann dann also nicht
mehr für eine neue Betreibung verwendet werden.
- Der Pfändungsverlustschein ist unverzinslich (das bedeutet, dass der Schuld-
ner keine Zinsen auf seiner Schuld bezahlen muss).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 71


Betreibung auf Pfandverwertung
Zu einer Betreibung auf Pfandverwertung kommt es, wenn die Forderung durch
ein Pfand gesichert ist.

Der Ablauf der Betreibung auf Pfandverwertung

Nach dem Einleitungsverfahren:


Im Gegensatz zur Betreibung auf Pfändung fällt das Fortsetzungsbegehren
weg, weil der Gläubiger das Pfand bereits hat. Es kommt gleich zum:

Verwertungsbegehren Muss vom Gläubiger gestellt werden. Er verlangt mit


diesem Begehren den Verkauf oder die Verstei-
gerung des Pfandes.

Verwertung Öffentliche Versteigerung des Pfandes (dem sagt


man häufig "Gant" - ein ziemlich altes Wort).

Verteilung des Erlöses Reicht der Erlös nicht aus, gibt es:

Pfandausfallscheine
- Innerhalb eines Monats kann der Gläubiger direkt ein neues Fortsetzungs-
begehren stellen (je nach Schuldner auf kommt es dann zu einer Betrei-
bung auf Pfändung oder auf Konkurs).
- Wartet der Gläubiger länger als einen Monat, bis er eine neue Betreibung
einleitet, dient der Pfandausfallschein noch als provisorischer Rechtsöff-
nungstitel.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 72


Betreibung auf Konkurs

Wer wird auf Konkurs betrieben?

1. Wer im Handelsregister eingetragen ist (Art. 39 SchKG)


► Unternehmungen (Einzelunternehmung, Aktiengesellschaft, GmbH, etc.).
► Inhaber von Einzelunternehmungen und Teilhaber von Kollektivgesellschaf-
ten.
Ausnahme: Bei einer Forderung der öffentlichen Hand (Staat) kommt es auch
gegenüber im Handelsregister Eingetragenen zu einer Betreibung auf Pfän-
dung. Eine Forderung der öffentlichen Hand kann zum Beispiel eine Busse oder
die Steuerrechnung sein. Warum ist das so? Bei einer Betreibung auf Konkurs
kommt es zu einer Gesamtvollstreckung; es wird also das gesamte Vermögen
beschlagnahmt. Die Unternehmung (sofern es sich um eine juristische Person, z.
B. eine Aktiengesellschaft oder GmbH, handelt) existiert nachher nicht mehr.
Allfällige Angestellte werden dann unter Umständen arbeitslos. Daran ist der
Staat natürlich nicht interessiert. Deshalb kommt es nur zu einer Pfändung, bei
der nur so viel Vermögen beschlagnahmt wird, dass die Schulden bezahlt
werden können.

Der Ablauf des ordentlichen Konkursverfahrens (gekürzt)


Je nachdem, wie die Vermögenssituation des Schuldners aussieht, kommt es
nach dem Einleitungsverfahren zu einer Einstellung des Verfahrens mangels Ak-
tiven, zu einem ordentlichen, oder zu einem summarischen (abgekürzten)
Konkursverfahren. Wir schauen hier den Ablauf des ordentlichen Konkursver-
fahrens an.

Nach dem Einleitungsverfahren stellt der Gläubiger beim Betreibungsamt das:

Fortsetzungsbegehren

Konkursandrohung Schuldner erhält nochmals eine Frist von 20 Tagen, um


zu bezahlen.

Konkursbegehren Stellt Gläubiger beim Bezirksgericht (nicht mehr beim


Betreibungsamt).

Konkurseröffnung und - Wird im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht


Schuldenruf (Schuldenruf). Alle Gläubiger werden aufgefordert, ihre
Forderungen anzumelden.
- Das ganze Vermögen wird beschlagnahmt (ausgenom-
men die Kompetenzstücke): Der Schuldner verliert die
Kontrolle über sein Vermögen (Gesamtexekution).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 73


Verwertung der Konkurs-
masse

Verteilung gemäss Kolloka-


tionsplan

Können nicht alle Gläubiger ausbezahlt werden, gibt es:

Konkursverlustscheine
► Der Schuldner kann erst wieder betrieben werden, wenn er nachweisbar zu
neuem Vermögen gekommen ist. Eine Lohnpfändung ist nicht möglich. Das
ist ein Unterschied zum Pfändungsverlustschein.
► Der Konkursverlustschein ist nicht automatisch Rechtsöffnungstitel, sondern
nur dann, wenn der Schuldner die Schuld anerkannt hat. Das ist ein Un-
terschied zum Pfändungsverlustschein.
► Der Konkursverlustschein nützt dem Gläubiger nichts, wenn der Schuldner
eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH ist. Denn nach Abschluss des Kon-
kursverfahrens existiert die Unternehmung nicht mehr. In solchen Fällen
werden keine eigentlichen Verlustscheine, sondern nur Verlustbestätigun-
gen ausgestellt. Das ist ein Unterschied zum Pfändungsverlustschein.
► Der Konkursverlustschein verjährt nach 20 Jahren und ist unverzinslich.

2. Privatpersonen: Privatkonkurs (Art. 191 SchKG)


Eine Privatperson erklärt sich beim Gericht für zahlungsunfähig und ersucht um
Eröffnung des Konkurses. Die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit wird als Insol-
venzerklärung bezeichnet.

Ablauf des Privatkonkurses


► Die Privatperson macht beim Konkursrichter eine Insolvenzerklärung ("Ich
bin zahlungsunfähig").
► Der Konkursrichter kommt zum Schluss, dass der Schuldner so hoch verschul-
det ist, dass er sich nicht mehr "aus dem Sumpf" ziehen kann.
► Die Privatperson bezahlt einen Kostenvorschuss.
► Der Konkursrichter eröffnet den Konkurs.
► Die pfändbaren Vermögensgegenstände werden eingezogen und ver-
kauft.
► Die Gläubiger erhalten den Erlös aus dem erzielten Verkauf.
► Für ungedeckte Forderungen erhalten die Gläubiger einen Konkursverlust-
schein.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 74


Vorteile eines Privatkonkurses gegenüber einer Betreibung auf Pfändung
Normalerweise werden Privatpersonen auf Pfändung betrieben. Weshalb kann
es für eine Privatperson attraktiver sein, einen Privatkonkurs anzumelden, als auf
Pfändung betrieben zu werden?
► Eine neue Betreibung ist nur möglich, wenn der Schuldner über neues Ver-
mögen verfügt.
► Eine Lohnpfändung ist nicht möglich.

Das sind die zwei entscheidenden Vorteile gegenüber der Betreibung auf Pfän-
dung. Deshalb ist die Verlockung für eine Privatperson gross, einen
Privatkonkurs anzustreben.

Private Verschuldung

Durch die Belastung mit Zinsen und Rückzahlung von Schulden besteht die
Gefahr, dass das restliche Einkommen nicht mehr ausreicht, um den täglichen
Grundbedarf zu decken.
Budget
Vermeidung von privater Verschuldung

Verschuldungsfallen erkennen:
- Einkaufen mit Kreditkarte
- Einkaufen auf Abzahlung
- Autoleasing
- Kleinkredit aufnehmen
Erkennen Sie das Prinzip, was diese Instrumente so gefährlich macht? Sie kaufen
heute, bezahlen aber erst morgen. Deshalb müssen Sie die Kontrolle darüber
haben, dass Sie das, was Sie heute kaufen, morgen auch bezahlen können.

Budget aufstellen:
Ein Budget ist eine Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Es hilft,
das persönliche Konsumverhalten den vorhandenen finanziellen Möglichkeiten
anzupassen.
Beispiel (ohne Zahlen)
Einnahmen Monatslohn Fr. xxxxx
- Ausgaben Miete - Fr. xxxxx
Transportmittel - Fr. xxxxx
Ausgang - Fr. xxxxx
Krankenkasse - Fr. xxxxx
etc. - Fr. xxxxx
Überschuss oder Defizit Fr. xxxx

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 75


Wichtige Gesetzesartikel

Ort der Betreibung


SchKG 46 Natürliche Personen und Unternehmungen
SchKG 51 Faustpfand und Grundpfand
Einleitung der Betreibung
SchKG 67 Betreibungsbegehren
SchKG 69 - 72 Zahlungsbefehl
SchKG 74 - 78 Rechtsvorschlag
SchKG 79 Beseitigung Rechtsvorschlag: Grundsatz
SchKG 80 Definitive Rechtsöffnung
SchKG 82 Provisorische Rechtsöffnung
SchKG 83 Aberkennungsklage
Fortsetzungsbegehren: SchKG 88
Betreibung auf Pfändung: SchKG 89 - 150
SchKG 42 Wer wird auf Pfändung betrieben?
SchKG 92 unpfändbare Gegenstände (Kompetenzstücke)
SchKG 93 Existenzminimum
SchKG 112 Pfändungsurkunde
SchKG 116 Verwertungsbegehren
SchKG 144, 145 Verteilung Erlös
SchKG 219 Der Kollokationsplan
SchKG 82, 149, Pfändungsverlustschein
149a
Betreibung auf Pfandverwertung: SchKG 151 - 158
SchKG 41 Wer wird auf Pfandverwertung betrieben?
SchKG 157 Verteilung des Erlöses
SchKG 158 Pfandausfallschein
Betreibung auf Konkurs: SchKG 159 - 270
SchKG 39 Wer wird auf Konkurs betrieben?
SchKG 159, 160 Fortsetzungsbegehren und Konkursandrohung
SchKG 166, 171 Konkursbegehren und Konkurseröffnung
SchKG 197 - 199 Die Konkursmasse
SchKG 232 Der Schuldenruf
SchKG 219 Der Kollokationsplan
SchKG 265 Konkursverlustschein
SchKG 191 Privatkonkurs

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 76


Aufgaben Zwangsvollstreckung (SchKG)

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris Roundhouse-Kicks sind


schneller als das Licht. Das heisst: Wenn du auf den Licht-
schalter drückst, bist du tot be- vor es hell ist. Und nun wird
geübt!"

Einleitung der Betreibung


1. Aufgabe
Beim Betreibungsamt an welchem Ort wird in den folgenden Fällen die Betrei-
bung eingeleitet?

a) Die Trading GmbH in Horgen betreibt die Delay AG in Solothurn.


Solothurn
___________________________________________________________________________________________________________________________

b) Peter Meier aus Zollikofen nimmt einen Bankkredit bei der UBS in Bern auf. Als
Sicherheit verpfändet er seine Wertschriften, die im Depot der UBS Bern
liegen. Wo leitet die UBS eine Betreibung gegen Peter Meier ein?
Zollikofen oder Bern
___________________________________________________________________________________________________________________________

c) Anna Badrutt in Chur besitzt ein Ferienhaus in Ascona. Da Anna Badrutt die
Hypothekarzinsen nicht mehr bezahlen kann, leitet die Tessiner Kantonal-
bank mit Sitz in Lugano die Betreibung ein. An welchem Ort?
Ascona
___________________________________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 77


2. Aufgabe
Setzen Sie jeweils die korrekten Begriffe ein.

1. Schritt:
- Der Gläubiger stellt beim Betreibungsamt das Betreibungsbegehren.
________________________________________________________________________________________

- Das Betreibungsamt verlangt vom Gläubiger einen Kostenvorschuss.


__________________________________________________________________________

2. Schritt:
Das Betreibungsamt schickt dem Schuldner den Zahlungsbefehl.
____________________________________________________________________________________

3. Schritt:
Der Schuldner kann bezahlen, nicht reagieren oder Rechtsvorschlag erheben.
___________________________________________________________________________

4. Schritt:
Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag, muss der Gläubiger, je nach Beweis-
mittel, die er besitzt, wie folgt vorgehen:
► Er besitzt keine Beweismittel: Zivilprozess einleiten
________________________________________________________________________________________________

► Er besitzt eine vom Schuldner unterschriebene Schuldanerkennung: Provi-


_____________________

sorische Rechtsöffnung verlangen


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

► Er besitzt ein Gerichtsurteil, welches die Forderung bestätigt: Definitive


___________________________________________

Rechtsöffnung verlangen
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 78


Betreibungsart
Zu welcher Betreibungsart kommt es in folgenden Fällen?
a) Gegen eine Aktiengesellschaft für eine nicht bezahlte Rechnung von Fr.
150'000.00.
Konkurs
__________________________________________________________________________________________________________________

b) Gegen eine GmbH für eine offene Steuerrechnung von Fr. 38'000.00.
Pfändung
__________________________________________________________________________________________________________________

c) Gegen Brigitte Müller, Angestellte bei der Molinar AG, für eine nicht bezahlte
Bestellung aus dem Jelmolikatalog.
Pfändung
__________________________________________________________________________________________________________________

d) Gegen Peter Wiederkehr wegen nicht bezahlter Hypothekarzinsen.


Pfandverwertung
__________________________________________________________________________________________________________________

Begriffe
a) Nach Beendigung einer Betreibung ist es häufig so, dass der eingetriebene
Betrag nicht ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen. Es wird dann ein
Verteilungsplan aufgestellt. Wie lautet der Fachausdruck für diesen Vertei-
lungsplan?
Kollokationsplan
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________

b) Bei einer Betreibung werden beim Schuldner häufig Gegenstände gepfän-


det und verkauft. Lebensnotwendige Gegenstände dürfen aber nicht ge-
pfändet werden. Wie lautet der Fachausdruck für diese nicht pfändbaren
Gegenstände?
Kompetenzstücke
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________

c) Häufig bringen Pfändungen nicht viel, da der Erlös zu klein ist. Zu welchem
Mittel greifen Betreibungsämter deshalb sehr häufig anstelle einer Pfändung
von Gegenständen?
Lohnpfändung
______________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 79


Private Verschuldung
Kreuzen Sie bei den folgenden Begriffen an, ob es Verschuldungsfallen sind.

Begriff Verschuldungsfalle?

Kreditkarten X
Leasingverträge X
Eheschliessung

Stellen Sie für den Lernenden Anton (oder die Lernende Antonia ☺) ein Budget
auf. Hat er/sie eine Finanzierungslücke (ein Defizit) oder einen Überschuss? Die
Zahlen sind Monatszahlen.
- Monatslohn CHF 1'150.00
- Krankenkasse CHF 150.00
- Kleider, etc. CHF 160.00
- Handy CHF 90.00
- Steuern/Ferien/Sparen CHF 385.00
- Abgabe zu Hause für Miete etc. CHF 250.00
- Sonstiges CHF 80.00

Monatslohn CHF 1'150.00


- Krankenkasse - CHF 150.00
- Kleider, etc. - CHF 160.00
- Handy - CHF 90.00
- Steuern/Ferien/Sparen - CHF 385.00
- Abgabe zu Hause - CHF 250.00
- Sonstiges - CHF 80.00
= Überschuss CHF 35.00

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 80


8. Mietvertrag

Miete / Leasing / Pacht


Die Unterschiede zwischen diesen drei Formen sind zum Teil kaum bemerkbar.
Gewisse Eigenschaften überschneiden sich auch.
Mietvertrag Pacht Leasing
Eine Sache wird dem Mie- Ein fertig eingerichteter Be- Eine Sache wird dem Lea-
ter zum Gebrauch überlas- trieb wird dem Pächter zur singnehmer zum Ge-
sen. Der Gebrauch kann wirtschaftlichen Nutzung brauch überlassen. Man
eine wirtschaftliche Nut- überlassen. unterscheidet zwischen In-
zung beinhalten (Ziel: Er- Beispiele: vestitionsgüter- und Kon-
zielung von Einkommen), Pacht eines Bauernhofs, sumgüterleasing.
muss aber nicht. Pacht eines Restaurants. Beim Investitionsgüterlea-
sing (zum Beispiel einer
Maschine) kann der Lea-
singnehmer die Sache wirt-
schaftlich nutzen.
Nach Ende der Mietdauer Nach Ablauf der Pacht Es kann vereinbart werden,
geht die Sache an den geht die Sache an den dass die Sache nach dem
Vermieter zurück. Verpächter zurück. Ablauf der Leasingfrist ins
Eigentum des Leasing-
nehmers übergeht.
Mieter muss einen Mietzins Der Pächter muss einen Der Leasingnehmer muss
bezahlen. Pachtzins bezahlen. eine Leasingrate bezahlen.
Kleine Reparaturen muss Kleine Reparaturen muss Meistens gehen alle Unter-
der Mieter bezahlen, gros- der Pächter bezahlen, haltsarbeiten zu Lasten des
se Reparaturen der Ver- grosse Reparaturen der Leasingnehmers.
mieter. Verpächter.
Geregelt im Obligationen- Geregelt im Obligationen- Konsumgüterleasing ist im
recht: Artikel 253 bis 273c. recht: Artikel 275 bis 304. Konsumkreditgesetz gere-
gelt.
Keine Formvorschrift für Keine Formvorschrift für Konsumgüterleasing erfor-
den Abschluss eines Miet- den Abschluss eines Pacht- derte eine qualifizierte
vertrags. vertrags. Schriftlichkeit; z. B. müssen
die Höhe der Leasingraten
und des Jahreszinses ange-
geben werden.
Wird der Vertrag vorzeitig
aufgelöst, fallen in der Re-
gel hohe Austrittsgebühren
an.
Tipp um zwischen Miete und Pacht unterscheiden zu können:
Miete liegt vor, wenn der Mieter die Sache selber einrichten muss. Wenn z. B.
Büroräumlichkeiten gemietet werden, muss der Mieter das Büro weitgehend
selber einrichten.
Pacht liegt vor, wenn der Verpächter dem Pächter den voll eingerichteten
Betrieb zur Nutzung überlässt. Zum Beispiel ein voll eingerichtetes Restaurant.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 81


Wie entsteht ein Mietvertrag?
Wir betrachten beim Mietvertrag nur die Miete von Wohnungen oder Ge-
schäftsräumen. Die Miete von beweglichen Gegenständen (zum Beispiel Miete
eines Autos) interessieren uns hier nicht.

Der Mietvertrag kennt keine Formvorschriften; es gilt deshalb Art. 11 OR (Form-


freiheit).

Übergabe Wohnung/Geschäftsraum
Wohnung/Geschäftsraum muss in "tauglichem Zustand" übergeben und vom
Vermieter in diesem Zustand erhalten werden (Art. 256 OR).

Vorgehen des Mieters, wenn Wohnung/Geschäftsraum nicht bezugsbereit ist:


Wie muss der Mieter vorgehen, wenn die Wohnung oder der Geschäftsraum
nicht bezugsbereit ist, oder es schwere Mängel gibt?
Art. 258 OR verweist auf die Bestimmungen zum Verfalltagsgeschäft. Es geht also
um einen Lieferungsverzug (der Vermieter "liefert" nicht rechtzeitig). Wir müssen
deshalb Art. 107 OR zu Rate ziehen:
1 Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubi-
ger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder
durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
2 Wird auch bis zum Ablaufe dieser Frist nicht erfüllt, so kann der Gläubiger immer noch auf
Erfüllung nebst Schadenersatz wegen Verspätung klagen, statt dessen aber auch, wenn er
es unverzüglich erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und entweder Ersatz des
aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage zurücktreten.

Vorgehen des Mieter bei nicht-bezugsbereiten Räumlichkeiten:

Art. 107 Abs. 1 OR: Eine Nachfrist setzen.

Problem besteht auch nach Ablauf der Nachfrist?

Wahlmöglichkeiten (Art. 107 Abs. 2 OR):


- Trotz Mängeln einziehen (und ihre Behebung verlangen)
(Diese Variante entfällt natürlich, wenn die Räumlichkeit immer noch
nicht bezugsbereit ist).

- Rücktritt vom Vertrag


Plus evtl. Schadenersatz verlangen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 82


Mängel an der Mietsache (der Mieter ist hier schon eingezogen)
► Kleiner Unterhalt (kleine Reparaturen): Zu Lasten des Mieters (Art. 259 OR).
► Grosser Unterhalt (grosse Reparaturen): Zu Lasten des Vermieters (Art. 259a
OR).
Wichtig: Grössere Mängel, die vom Vermieter behoben werden müssen,
muss der Mieter melden (Art. 257g Abs. 1 OR). Macht er das nicht, kann er
schadenersatzpflichtig werden.

Der Unterschied zwischen kleinem und grossem Unterhalt ist nicht klar - es gibt
nämlich im Obligationenrecht keine Definition, was "klein" und was "gross" ist. In
der Praxis gilt die Faustregel, dass Reparaturkosten zwischen 100 und 200 CHF
vom Mieter zu übernehmen sind. Zur Klärung der schwammigen Regelung
beigetragen haben zwei Mietgerichtsentscheide aus dem Kanton Zürich:
Gemäss diesen Urteilen liegt ein kleiner Unterhalt nur dann vor, wenn die Repa-
ratur keine besonderen Fachkenntnisse von Seiten des Mieters voraussetzen,
so etwa der Ersatz eines defekten Duschschlauches. Erfordere die Beseitigung
des Mangels jedoch den Beizug einer Fachperson, sei die anfallende Rech-
nung Sache des Vermieters – unabhängig davon, wie hoch oder tief der Rech-
nungsbetrag ist.

Vorgehensmöglichkeiten des Mieters bei grossem Unterhalt


Bei Mängeln, die vom Vermieter behoben werden müssen, kann der Mieter
gemäss Art. 259a OR wie folgt vorgehen:
- Mängelbeseitigung innert einer angemessenen Frist verlangen
- Mietzinsreduktion verlangen
Der Mieter kann dem Vermieter auch gleich schriftlich androhen, den Mietzins
zu hinterlegen, sollte der Vermieter die Frist ungenutzt verstreichen lassen. Der
Mieter würde dann den Mietzins auf ein Sperrkonto einzahlen. Jeder Kanton
hat eine spezielle Regelung, wo das Geld einbezahlt werden muss.

Behebt der Vermieter den Mangel nicht, hat der Mieter folgende Möglichkei-
ten:
Art. 259b OR:
Die Wohnung, bzw. die Geschäftsräumlichkeiten sind kaum benutzbar:
- Fristlose Kündigung
Die Räumlichkeiten sind trotz des Mangels benutzbar:
- Auf Kosten des Vermieters Mangel beseitigen lassen

Art. 259a und 259g OR:


- Hinterlegung des Mietzinses.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 83


Verpflichtungen des Mieters
► Zahlen der Miete und der Nebenkosten (Art. 257 und 257a OR)
► Zahlen einer Mietkaution (Mietdepot) (Art. 257e OR)
► Sorgfaltspflicht (Art. 257f OR)
► Meldepflicht von grösseren Mängeln (Art. 257g OR)

Zahlungsrückstand des Mieters (Art. 257d OR)


1 Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Ne-
benkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen
und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt
werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen min-
destens 30 Tage.
➔Beachten Sie, dass die Zahlungsfrist für Wohnungen und Geschäftsräu-
me 30 Tage beträgt. Die 10 Tage gelten für die Miete von beweglichen
Sachen.
2 Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei
Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines
Monats kündigen.

Beispiel:
Gemäss Mietvertrag muss die Miete jeweils am 1. eines Monats im Voraus be-
zahlt sein. Am 10. Juni stellt ein Vermieter fest, dass ein Mieter die Junimiete
nicht bezahlt hat. An welchem Tag endet das Mietverhältnis, wenn der Vermie-
ter so schnell wie möglich handeln will und der Mieter nicht reagiert? Gemäss
Art. 257d OR sieht die Sache wie folgt aus:
Der Vermieter verschickt die Mahnung am 10. Juni und gibt dem Mieter eine
Zahlungsfrist von 30 Tagen. Nach Ablauf der Zahlungsfrist am 9. Juli ist die Miete
nicht eingetroffen. Deshalb schickt der Vermieter gleich am 9. Juli die
Kündigung mit einer Frist von 30 Tagen. Diese Frist läuft am 8. August ab. Da
eine Kündigung auf Ende Monat erfolgen muss, endet das Mietverhältnis am
31. August.

Missbräuchliche Mietzinsen
Was sind missbräuchliche Mietzinsen? (Art. 269 und 269a OR)
Missbräuchliche Mietzinsen liegen vor, wenn:
► Die Nettorendite des Vermieters (Gewinn in Prozenten des eingesetzten Ei-
genkapitals) deutlich über dem aktuellen Hypothekarzinssatz liegt.
► Der Mietzins höher liegt als die ortsüblichen Mietzinsen für eine vergleichbare
Wohnung oder vergleichbare Geschäftsräume.
Was im konkreten Fall ein missbräuchlicher Mietzins ist, ist schwer zu bestimmen;
deshalb liegt hier viel Potenzial für Rechtsstreitigkeiten.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 84


Anfechtung eines missbräuchlichen Mietzinses (Art. 270 und 270a OR)
Anfechtungen kann es in zwei Fällen geben:
1. Anfechtung des Anfangsmietzinses (Art. 270 OR)
Der Mieter zieht in die Wohnung ein und hat den Eindruck, er bezahle zu viel. Er
kann dann innerhalb von 30 Tagen nach Einzug den Anfangsmietzins an-
fechten.
Wie sieht der Ablauf einer Anfechtung des Anfangsmietzinses aus?
Der Mieter kann den Anfangsmietzins innert 30 Tagen nach Übernahme der
Sache bei der Schlichtungsbehörde anfechten.

2. Anfechtung nach einer Kostensenkung für den Vermieter (Art. 270a OR)
Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn der hypothekarische Referenzzins-
satz (Referenzzinssatz = Durchschnittszinssatz der Banken für Hypotheken) sinkt
und der Vermieter diese Reduktion nicht in Form einer Mietzinsreduktion an
seine Mieter weiter gibt.
Wie sieht der Ablauf einer Anfechtung aus?
► Mieter: Schriftliches Herabsetzungsbegehren an den Vermieter.
► Vermieter: Hat 30 Tage Zeit, Stellung zu nehmen.
► Ist der Mieter mit der Antwort nicht einverstanden (oder erhält er gar keine
Antwort), kann er innert 30 Tagen die Schlichtungsbehörde anrufen.

➔ Verwechseln Sie auf keinen Fall die Artikel 270 und 270a. Art. 270 OR ist für
den in der Praxis eher seltenen Fall einer Anfechtung des Anfangsmietzinses
anwendbar.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 85


Mietzinserhöhung (Art. 269d OR)
► Möglich nur auf einen Kündigungstermin.
► Mitteilung muss mindestens 10 Tage vor Beginn der Kündigungsfrist erfolgen.
Damit soll dem Mieter die Möglichkeit gegeben werden, die Wohnung noch
rechtzeitig zu kündigen.
► Begründung muss geliefert werden.
► Amtliches Formular muss verwendet werden. Dies dient dem Schutz des
Mieters, weil auf dem Formular steht, wie er (der Mieter) sich wehren kann.
➔ Es handelt sich also um die Formvorschrift der "qualifizierten Schriftlichkeit".

Anfechtung einer Mietzinserhöhung (Art. 270b OR)


Der Mieter kann eine angekündigte Mietzinserhöhung innerhalb von 30 Tagen
nach der Mitteilung bei der Schlichtungsbehörde anfechten.

Kündigung (Art. 266a ff. OR)


Bestimmungen, die für Mieter und Vermieter gelten
► Kündigung muss schriftlich erfolgen (Art. 266l OR).
► Wohnung (Art. 266c OR): 3 Monate auf ortsüblichen Termin. Die Kündigungs-
frist darf aber auch länger sein! ➔ Art. 266a OR.
► Geschäftsräume (Art. 266d OR): 6 Monate auf ortsüblichen Termin. Die Kün-
digungsfrist darf aber auch länger sein! ➔ Art. 266a OR.
► Empfangsbedürftiges Geschäft: Nicht der Poststempel zählt, sondern das
Datum des Erhalts der Kündigung.
Beispiel:
Ein Mieter will seine Wohnung auf den im Mietvertrag erwähnten Kündi-
gungstermin 31. März kündigen. Die Kündigung müsste deshalb spätestens
am 31. Dezember beim Vermieter eintreffen. Trifft die Kündigung erst im Ja-
nuar beim Vermieter ein, auch wenn der Poststempel 29. Dezember wäre,
würde der Januar nicht mehr zur Kündigungsfrist zählen, weil dieser Monat
bereits "angebrochen" ist. Die Kündigungsfrist würde also erst im Februar star-
ten. Der 31. März als Kündigungstermin wäre dann "geplatzt".

Zusätzliche Bestimmungen, die für den Mieter gelten


► Zustimmung eines allfälligen Ehegatten ist notwendig (Art. 266n OR).
► Ausserterminliche Kündigung: Mieter muss einen "zumutbaren" neuen Mieter
vorschlagen (Art. 264 OR). "Ausserterminlich" bedeutet, dass der Mieter auf
einen Termin kündigt, der im Mietvertrag nicht vorgesehen ist. "Zumutbarer"
Mieter bedeutet, dass der neue Mieter zahlungsfähig sein muss und, dass er
den Mietvertrag zu den gleichen Bedingungen übernimmt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 86


Zusätzliche Bestimmungen, die für den Vermieter gelten
► Er muss ein vom Kanton genehmigtes Formular verwenden. (Art. 266l OR).
Dies dient dem Schutz des Mieters, weil auf dem Formular steht, wie er (der
Mieter) sich wehren kann.
► Wohnt in der Wohnung ein Ehepaar, muss beiden Partnern separat eine Kün-
digung zugesandt werden (Art. 266n OR).
➔ Es handelt sich also um die Formvorschrift der "qualifizierten Schriftlichkeit".

Anfechtung einer Kündigung (Art. 273 OR)


► Innert 30 Tagen bei der Schlichtungsbehörde.

Mieterstreckung (Mieter verlangt eine Verschiebung des Kündigungstermins)


► Möglich in Härtefällen (Art. 272 OR): Bsp. Familie mit schulpflichtigen Kindern;
Einkommen ist so tief, dass Mieter nicht in nützlicher Zeit eine neue Wohnung
findet, etc.)
► Erstreckung bei Wohnräumen maximal 4 Jahre (Art. 272b OR).
► Erstreckung bei Geschäftsräumen maximal 6 Jahre (Art. 272b OR).

Untermiete (Art. 262 OR)


Untermiete bedeutet, dass der Mieter einer Wohnung seine Wohnung an eine
andere Person vermietet. Das kann zum Beispiel vorkommen, wenn jemand
eine längere Reise macht, seine Wohnung aber nicht aufgeben will. Heute
werden auch viele Wohnungen auf Plattformen wie Airbnb untervermietet.
Untermiete ist grundsätzlich erlaubt, der Vermieter muss aber informiert werden.
Wichtig: Der "eigentliche" Mieter haftet gegenüber dem Vermieter, wenn der
Untermieter Schäden anrichtet.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 87


Wichtige Gesetzesartikel
Formvorschrift
OR 11 Formvorschrift. Da beim Mietvertrag nichts steht, gilt OR
11: Formfreiheit
Hauptpflichten Vermieter
OR 256, Abs. 1 Wohnung muss pünktlich übergeben werden, in "taugli-
chem" Zustand sein und in einem solchen erhalten wer-
den
Hauptpflichten Mieter
OR 257; 257a Zahlung der Miete und der Nebenkosten
OR 257d Zahlungsrückstand des Mieters
OR 257e Mietkaution
OR 257f Sorgfaltspflicht und Rücksichtnahme
OR 257g Meldepflicht von Mängeln
Übergabe der Räumlichkeiten
OR 258 Räumlichkeiten sind nicht bezugsbereit, oder es gibt
schwere Mängel: Was kann der Mieter tun?
Mängel an der Mietsache
OR 259 Kleiner Unterhalt
OR 259a Grosser Unterhalt; Rechte des Mieters
OR 259b Was kann Mieter tun, wenn Vermieter nicht reagiert?
OR 259d Herabsetzung des Mietzinses
OR 259g Hinterlegung der Mietzinsen (Einzahlung auf ein Sperr-
konto)
Untermiete
OR 262
Vorzeitige Rückgabe der Mietsache (gilt auch für Wohnungen)
OR 264 Bedingungen für einen Nachmieter
Kündigung
OR 266a Allgemeine Regelung
OR 266c Kündigungsfrist und -termine bei Wohnungen
OR 266d Kündigungsfrist und -termine bei Geschäftsräumen
OR 266f; OR 266k Kündigungsfrist und -termine bei Gegenständen: "Miete
unter Freunden" OR 266f; Miete bei einem Geschäft OR
266k
OR 266l, Abs. 1 Formvorschrift bei Kündigung einer Wohnung oder eines
Geschäftsraums (gilt für Mieter und Vermieter)
OR 266l, Abs. 2 Zusätzliche Formvorschrift für den Vermieter bei der Kün-
digung einer Wohnung oder eines Geschäftsraums
OR 266n Zusätzliche Formvorschrift, wenn Vermieter eine Fami-
lienwohnung kündigt
OR 266m Kündigung einer Familienwohnung durch Mieter

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 88


Kündigung
OR 266o Nichtigkeit der Kündigung bei Formfehler
Missbräuchliche Mietzinsen
OR 269; OR 269a Definition missbräuchlicher Mietzinsen
OR 269a In diesen Fällen handelt es sich nicht um missbräuchliche
Mietzinsen
Mietzinserhöhung und Anfechtung des Mietzinses
OR 269d Formvorschriften Mietzinserhöhung
OR 270 Anfechtung des Anfangsmietzinses
OR 270a Anfechtung der Miete während der Mietdauer
OR 270b Anfechtung einer Mietzinserhöhung
Die Mieterstreckung
OR 272 Voraussetzungen für eine Mieterstreckung
OR 272b Maximal mögliche Mieterstreckung

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 89


Aufgaben Mietvertrag

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris kann deine Gedanken mit
einem Löffel verbiegen. Und nun wird geübt!"

Mietvertrag, Leasingvertrag, Pachtvertrag


Ordnen Sie die Aussagen den jeweiligen Verträgen zu. Pro Zeile ist nur ein Kreuz
zu setzen.

Vertragsart

Leasingvertrag

Pachtvertrag
Mietvertrag
Aussage
Dieser Vertrag ist nicht im OR geregelt. □ □X □
Häufig wird als Sicherheit ein Depot verlangt. □X □ □
Ein fertig eingerichteter Betrieb wird zur wirtschaft-
lichen Nutzung überlassen. □ □ □X

Formvorschrift Mietvertrag
Ist folgende Aussage richtig oder falsch?
"Ein Mietvertrag für Wohnungen muss auf einem standardisierten Mietvertrags-
formular ausgestellt sein."
Falsch. Für Mietverträge gelten keine Formvorschriften. (Art. 11 OR)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Mängel an der Mietsache


An der Decke eines Badezimmers hat sich ein Wasserfleck gebildet, der sich
langsam aber konstant ausdehnt. Vermutlich ist ein Wasserrohr in der oberen
Wohnung leck geworden.
a) Wer muss den Schaden reparieren lassen (und bezahlen): Der Vermieter
oder der Mieter? Begründen Sie Ihre Antwort und geben Sie den Gesetzes-
artikel an.
Der Vermieter, da grosser Unterhalt. Art. 259 OR ("Mangel: Mietgegenstand")
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 90


b) Was muss der Mieter unternehmen, sobald er den Schaden entdeckt?
Meldung an Vermieter (Art. 257g OR) ("Mängelrüge bei der Miete")
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _______________________________________________________

c) Der Mieter hat seinem Vermieter den Wasserschaden an der Decke gemel-
det. Der Wasserschaden wird aber nicht behoben. Was kann der Mieter un-
ternehmen? Wir können davon ausgehen, dass der "Gebrauch der Woh-
nung" zwar vermindert, aber nicht "erheblich beeinträchtigt" ist. Geben Sie
auch den Gesetzesartikel an.
- Schaden auf Kosten des Vermieters reparieren lassen (Art. 259b Buchstabe b OR)
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

- Mietzinsreduktion verlangen. Art. 259d OR


________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

- Hinterlegung des Mietzinses.


- Evtl. Schadenersatz verlangen.

Zahlungsrückstand
Am 7. Mai stellt der Vermieter fest, dass der Wohnungsmieter den Mietzins für
den Mai noch nicht bezahlt hat. Gemäss Mietvertrag muss der Mietzins jeweils
am 1. des Monats im Voraus bezahlt sein.
An welchem Tag endet das Mietverhältnis, wenn der Vermieter am 8. Mai den
Mieter schriftlich mahnt und im Übrigen alles unternimmt, um den Mieter so
schnell wie möglich aus der Wohnung ausweisen zu können, und der Mieter in
keiner Weise auf die Interventionen des Vermieters reagiert? Geben Sie auch
den Gesetzesartikel an.
Datum: 31. Juli. Art. 257d OR ("Zahlungsfrist – bei Miete")
____________________________________________________________________________________

Datum der Mahnung: 8. Mai + 30 Tage Zahlungsfrist = 7. Juni; + 30 Tage Kündigungsfrist


= 6. Juli; auf Ende Monat = 31. Juli

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 91


Missbräuchliche Mietzinse
1. Aufgabe
Tanja Wiederkehr liest in der Zeitung, dass der Referenzzinssatz für Hypotheken
gesunken ist. Vom Vermieter erhält sie keine Mietzinsreduktion, obwohl ihr Miet-
vertrag auf einem höheren Referenzzinssatz beruht. Tanja ist deshalb der
Meinung, der Mietzins sei jetzt missbräuchlich. Sie ruft ihren Vermieter an. Der
verspricht ihr, darüber nachzudenken und sich bei ihr wieder zu melden. Nach
10 Tagen ohne Antwort wendet sich Tanja an die Schlichtungsbehörde. Was
machte Tanja Wiederkehr falsch? Geben Sie auch den Gesetzesartikel mit
Absatz an.
1. Herabsetzungsbegehren muss schriftlich sein. 2. Anrufen der Schlichtungs-
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________________________________

behörde erst nach 30 Tagen. Art. 270a Abs. 2 OR ("Anfechtung von Mietzins")
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________

2. Aufgabe
Ein paar Tage nach seinem Einzug erfährt Albin Weiss, dass im gleichen Haus
für die gleiche 3-Zimmerwohnung die Miete CHF 300.00 tiefer liegt. Albin Weiss
will sich gegen den höheren Mietzins wehren. Beschreiben Sie mit dem Ge-
setzesartikel, wie er vorgehen muss.
Artikel: OR 270
__________________

Begründung:
Innert 30 Tagen nach Übernahme der Wohnung bei der Schlichtungsbehörde
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

als missbräuchlich anfechten. ("Anfechtung von Mietzins")


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Kündigung Wohnung
1. Aufgabe
Welche Formvorschriften müssen bei der Kündigung durch den Mieter, bzw.
durch den Vermieter eingehalten werden? Kreuzen Sie an.
Formvorschriften Kündigung Mieter Kündigung Vermieter
Schriftlichkeit X X
Amtlich genehmigtes
Formular muss verwen- X
det werden.
Ehepartner muss zu-
X
stimmen.
getrennte Zustellung an
X
beide Ehepartner

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 92


2. Aufgabe
Mieter Haubensack kündigt seine Wohnung. Ortsübliche Kündigungstermine
sind der 31. März und der 30. September. Haubensack schickt die Kündigung
am 30. Dezember ab. Der Vermieter erhält sie am 3. Januar.
Wann endet das Mietverhältnis? Es gilt die normale Kündigungsfrist für Wohnun-
gen. Geben Sie auch den Gesetzesartikel an.
Am 30. September. Art. 266c OR ("Kündigung der Miete" ➔ Art. 266a)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ __________________________

(Dreimonatige Kündigungsfrist startet erst im Februar: Feb/März/April ➔ Kündigungs-


termin 31. März verpasst; es gilt nächster Kündigungstermin: 30.9. Haubensack kann
aber einen Nachmieter suchen.)

3. Aufgabe
Ist folgende Aussage zum Mietvertrag richtig oder falsch? Begründen Sie Ihre
Antwort mit dem entsprechenden Gesetzesartikel.
"Ein Mietvertrag für eine Mietwohnung darf eine Kündigungsfrist von sechs Mo-
naten enthalten."
Die Aussage ist: richtig
______________________________________________________

Gesetzesartikel: Art. 266a (Abs. 1) OR


___________________________________________________________________________________

In Art. 266c OR steht, dass Wohnungen mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden
können. Aber: In Art. 266a OR steht folgendes: "Die Parteien können das unbefristete
Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen und Termine kündigen, sofern sie keine
längere Frist vereinbart haben."

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 93


9. Verträge auf Arbeitsleistung

Werkvertrag, Auftrag und Arbeitsvertrag (Einzelarbeits-, Lehr- und


Gesamtarbeitsvertrag)

Werkvertrag (Art. 363 ff. OR)


Worum geht es? Herstellung eines Werkes gegen Geld.
Beispiele: Anfertigung eines Schmuckstücks durch einen Gold-
schmied. Schuhreparatur. Eine Unternehmung lässt sich
einen neuen Internetauftritt gestalten. Auch Reparatu-
ren können Gegenstand eines Werkvertrags sein.
Parteien: Besteller und Unternehmer.
Stellung Unternehmer: Der Unternehmer ist kein Angestellter des Bestellers.

Auftrag (Art. 394 ff. OR)


Worum geht es? Ausführen einer Tätigkeit gegen Geld.
Durch den Auftrag verpflichtet sich der Beauftragte, die
ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertrags-
gemäss zu besorgen (Art. 394 Abs. 1 OR).
Beispiele: Wegen Grippesymptomen gehe ich zum Arzt. Ich lasse
meine Steuererklärung von einem Steuerberater ausfül-
len.
Parteien: Auftraggeber und Auftragnehmer (oder Beauftragter).
Stellung Beauftragter: Der Beauftragte ist kein Angestellter des Auftraggebers.

Unterschied Werkvertrag/Auftrag: Beim Werkvertrag wird ein bestimmter Erfolg


geschuldet: Das Werk muss so, wie im Werkvertrag vereinbart, herauskommen.
Beim Auftrag verpflichtet sich der Beauftragte, sorgfältig und im Interesse des
Auftraggebers tätig zu werden; ein Erfolg ist aber nicht geschuldet.
Beispielsweise können ein Arzt oder ein Anwalt den Erfolg ihrer Bemühungen
nicht garantieren.

Arbeitsverträge
Einzelarbeitsvertrag (EAV) (Art. 319 ff. OR)
Beim Arbeitsvertrag bin ich Angestellter einer Unternehmung und arbeite (ver-
mutlich) über längere Zeit dort. Ich muss die Anweisungen des Arbeitgebers
befolgen.

Lehrvertrag (Art. 344 ff. OR)


Der wird hier nicht weiter behandelt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 94


Gesamtarbeitsvertrag (GAV) (Art. 356 ff. OR)
Worum geht es? Einheitliche Regelungen innerhalb einer Branche (zum Bei-
spiel der Metallbranche). Geregelt werden Fragen wie Min-
destlohn, Ferien, Überstundenarbeit, etc. Alle Unternehmun-
gen, die sich dem GAV angeschlossen haben, müssen sich an
diese Regelungen halten.
Bei Branchen, die einem GAV unterstehen, dienen die Einzel-
arbeitsverträge "nur" dazu, individuelle Punkte zwischen ei-
nem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber zu regeln. Diese Re-
gelungen dürfen aber nicht schlechter ausfallen, als die
Regelungen im GAV.
Parteien: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften).

Ab hier behandeln wir nur noch den Einzelarbeitsvertrag.

Formvorschrift Einzelarbeitsvertrag
► Grundsätzlich gelten Art. 11 OR, bzw. Art. 320 OR: Keine Formvorschrift.
► Sobald man aber von den gesetzlichen Vorschriften abweichen will, muss
dies schriftlich vereinbart werden

Pflichten des Arbeitnehmers (Art. 321 ff. OR)


Arbeitspflicht (das hätten Sie nie gedacht, korrekt?)

Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 321a OR):


1 Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berech-
tigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren.
2 …..
3 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitnehmer keine Arbeit gegen
Entgelt für einen Dritten leisten, soweit er dadurch seine Treuepflicht verletzt, insbeson-
dere den Arbeitgeber konkurrenziert.
► Der Arbeitnehmer muss alles unterlassen, was den Arbeitgeber schädigen
könnte. Bei den Aufgaben finden Sie ein Beispiel zur Sorgfalts- und Treue-
pflicht.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 95


Pflicht zu Überstunden (Art. 321c OR)
1 Wird gegenüber dem zeitlichen Umfang der Arbeit, der verabredet oder üblich oder durch
Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, die Leistung von Überstun-
denarbeit notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu soweit verpflichtet, als er sie zu leis-
ten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann.
► Sie sehen hier die Tatbestandsmerkmale, die erfüllt sein müssen, damit
ein Arbeitnehmer zu Überstunden "verdonnert" werden kann.
2 Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber die Überstundenarbeit in-
nert eines angemessenen Zeitraumes durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer aus-
gleichen.
3 Wird die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts anderes
schriftlich verabredet oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag be-
stimmt, so hat der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit Lohn zu entrichten, der sich nach
dem Normallohn samt einem Zuschlag von mindestens einem Viertel bemisst.
► Absätze 2 und 3: Grundsätzlich werden Überstunden mit Freizeit oder mit
einem 25%-igen Lohnzuschlag entschädigt. Aber: Das gilt nur, "wenn
nichts anderes" vereinbart wurde. Im Arbeitsvertrag kann abgemacht
werden, dass Überstunden weder durch Geld, noch durch Freizeit ent-
schädigt werden müssen!

Befolgung von Anordnungen und Weisungen durch den Arbeitgeber (Art. 321d
OR)

Haftung für Schäden (Art. 321e OR)


1 Der Arbeitnehmer ist für den Schaden verantwortlich, den er absichtlich oder fahrlässig
dem Arbeitgeber zufügt.
2 Das Mass der Sorgfalt, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, bestimmt sich nach dem
einzelnen Arbeitsverhältnis, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades
oder der Fachkenntnisse, die zu der Arbeit verlangt werden, sowie der Fähigkeiten und
Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen
sollen.
► Grundsätzlich haftet der Arbeitgeber für Schäden. Ausnahme: Der Ar-
beitnehmer hat den Schaden absichtlich oder fahrlässig verursacht. Be-
achten Sie aber den Absatz 2: Es ist nicht gesagt, dass der Arbeitnehmer
für einen fahrlässig verursachten Schaden für den ganzen Schaden
haftet. Es muss berücksichtigt werden, wie hoch das Berufsrisiko ist, wie
die Fachkenntnisse, sowie die Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeit-
nehmers sind.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 96


Pflichten des Arbeitgebers (Art. 322 ff. OR)

Lohnzahlungspflicht bei Abwesenheit des Arbeitnehmers


a) In welchen Fällen muss der Lohn bezahlt werden? (Art. 324a Abs. 1 OR)
1 Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall,
Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein
Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine
beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen
Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei
Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist
► Ist der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, ohne sein
Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber
für eine beschränkte Zeit den Lohn auszuzahlen. Wie lange der Arbeitge-
ber den Lohn zahlen muss, hängt in erster Linie davon ab, in welchem
Dienstjahr sich der Arbeitnehmer befindet. Etwas verwirrend ist, dass im Ar-
tikel noch steht, dass es nur eine Lohnfortzahlungspflicht gibt, "sofern das
Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei
Monate eingegangen ist." Wir kommen gleich dazu, was das bedeutet.
Lohn bezahlt werden muss also dann, wenn die Gründe für die Abwesen-
heit "in der Person" des Arbeitnehmers liegen. Die wichtigsten Fälle:
► Krankheit
► Unfall
► Militärdienst

b) In welchen Fällen muss kein Lohn bezahlt werden? (Art. 324a, Abs. 1 OR)
► Das Arbeitsverhältnis hat noch "keine drei Monate gedauert". Diese Re-
gelung gilt für "normale" unbefristete Arbeitsverträge. Das sind Verträge
ohne Enddatum. Hier muss der Arbeitnehmer also schon mindestens drei
Monate gearbeitet haben, um ein Recht auf Lohnfortzahlung bei Krank-
heit, etc. zu haben.
► Das Arbeitsverhältnis wurde für "mehr als drei Monate abgeschlossen".
Hier sind Arbeitsverträge gemeint, bei denen von Anfang an ein Endda-
tum festgelegt wird. Wird ein solcher befristete Arbeitsvertrag für mehr als
drei Monate abgeschlossen, muss also bereits ab dem ersten Tag Lohn
bezahlt werden.
► In Art. 324a Abs. 1 OR sind alle Fälle aufgezählt, in denen eine Lohnfort-
zahlungspflicht besteht. Umgekehrt bedeutet das, dass es in denjenigen
Fällen, die nicht erwähnt werden, keine Lohnfortzahlungspflicht gibt. Dies
sind alle Abwesenheitsgründe, die nicht in der Person des Arbeitnehmers
liegen. Es handelt sich um Fälle "höherer Gewalt". Beispiele:
► Streik am Flughafen
► Lawine verschüttet Strasse
Gemäss Art. 324a, Abs. 3 OR dürfen aber andere Regelungen getroffen wer-
den - sie müssen aber für den Arbeitnehmer besser sein, als die gesetzlichen
Vorschriften.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 97


c) Wie lange muss der Lohn bezahlt werden? (Art. 324a Abs. 2 OR)
2 Sind durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag nicht längere
Zeitabschnitte bestimmt, so hat der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr den Lohn für drei
Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten, je nach der Dauer
des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen.
► Sind durch Abrede (= Absprache zwischen Arbeitgeber und -nehmer),
oder durch einen Gesamtarbeitsvertrag nicht längere Zeitabschnitte
bestimmt, so hat der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr den Lohn für drei
Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten,
je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umstän-
den.
1. Dienstjahr: Drei Wochen. Es handelt sich um relativ zwingendes Recht.
Das bedeutet, dass diese Regelung nicht zuungunsten des
Arbeitnehmers abgeändert werden darf. Der Arbeitgeber kann den
Lohn länger, aber nicht weniger lang als drei Wochen bezahlen.
Ab dem 2. Dienstjahr gibt es keine Regelung mehr im Obligationenrecht.
Deshalb haben verschiedene Arbeitsgerichte Skalen (Tabellen)
entwickelt, die das regeln; die Berner Skala, Basler Skala und Zürcher Ska-
la:

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 98


Ferien (Art. 329a ff. OR)
Art. 329a OR:
1 Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer jedes Dienstjahr wenigstens vier Wochen, dem
Arbeitnehmer bis zum vollendeten 20. Altersjahr wenigstens fünf Wochen Ferien zu ge-
währen.
► Aufgrund der Formulierung sehen Sie, dass der Arbeitgeber grosszügiger
sein, und mehr Ferien geben kann.

Art. 329c OR:


1 Die Ferien sind in der Regel im Verlauf des betreffenden Dienstjahres zu gewähren; wenigs-
tens zwei Ferienwochen müssen zusammenhängen.
2 Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wünsche
des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen des Betriebes oder Haus-
haltes vereinbar ist.
► Der Arbeitgeber bestimmt grundsätzlich den Zeitpunkt der Ferien, er muss
aber auch Rücksicht auf die Wünsche des Arbeitnehmers nehmen. Wenn es
aber hart auf hart geht, stehen die Interessen des Betriebs im Vordergrund.

Weitere Pflichten des Arbeitgebers


► Arbeitszeugnis (oder Arbeitsbestätigung) ausstellen (Art. 330a OR)
► Personalfürsorge (AHV, Unfallversicherung etc.)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 99


Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 334 ff. OR)

Befristeter Arbeitsvertrag (Bsp. Lehrvertrag)


Vertrag endet automatisch am "Ablaufdatum" (Art. 334 OR).

Unbefristeter Arbeitsvertrag
Allgemeine Regelung
Art. 335a OR
1 Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dürfen keine verschiedenen Kündigungsfristen fest-
gesetzt werden; bei widersprechender Abrede gilt für beide die längere Frist

Kündigungsfristen während der Probezeit


Art. 335b OR
1 Das Arbeitsverhältnis kann während der Probezeit jederzeit mit einer Kündigungsfrist
von sieben Tagen gekündigt werden; als Probezeit gilt der erste Monat eines Arbeitsver-
hältnisses.
2 Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag können ab-
weichende Vereinbarungen getroffen werden; die Probezeit darf jedoch auf höchstens
drei Monate verlängert werden.

Kündigungsfristen nach der Probezeit


Art. 335c OR
1 Das Arbeitsverhältnis kann im ersten Dienstjahr mit einer Kündigungsfrist von einem
Monat, im zweiten bis und mit dem neunten Dienstjahr mit einer Frist von zwei Monaten
und nachher mit einer Frist von drei Monaten je auf das Ende eines Monats gekündigt
werden.
2 Diese Fristen dürfen durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeits-
vertrag abgeändert werden; unter einen Monat dürfen sie jedoch nur durch Gesamt-
arbeitsvertrag und nur für das erste Dienstjahr herabgesetzt werden.

Das Wichtigste in Kürze

Probezeit 7 Tage auf beliebigen Termin

1. Dienstjahr 1 Monat
Nach der Auf Ende eines
2. - 9. Dienstjahr 2 Monate Monats
Probezeit:
ab 10. Dienstjahr 3 Monate

► Kündigungsfristen dürfen grundsätzlich abgeändert werden. Allerdings nicht


unter einen Monat. Die seltene Ausnahme zu dieser Regel steht in Art. 335c
Abs. 2 OR.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 100


► Für Arbeitgeber und -nehmer müssen die gleichen Kündigungsfristen festge-
legt werden.
► Die Probezeit beträgt in der Regel einen Monat. Sie darf auf maximal drei
Monate verlängert werden (Art. 335b Abs. 2 OR).
► Wie beim Mietvertrag ist auch beim Arbeitsvertrag eine Kündigung ein emp-
fangsbedürftiges Geschäft: Nicht das Datum auf dem Poststempel zählt,
sondern das Datum, an welchem der Arbeitgeber (oder -nehmer) die
Kündigung erhält! Die Kündigungsfrist beginnt nie im "angebrochenen",
sondern erst im nächsten Monat zu laufen.
Beispiel:
L. Messi hat eine Kündigungsfrist von 2 Monaten. Er verschickt die Kündigung
am 15. Januar. Der Arbeitgeber erhält die Kündigung also noch im Januar.
Die zweimonatige Kündigungsfrist startet im Februar. Der letzte Arbeitstag für
L. Messi ist deshalb der 31. März. Achten Sie darauf: Es gilt der letzte Tag des
Monats.
Nehmen wir an, L. Messi schickt seine Kündigung am 30. Januar ab und der
Arbeitgeber erhält sie am 2. Februar. Da der Februar schon "angebrochen"
ist, beginnt die Kündigungsfrist erst im März zu laufen: März, April. Der letzte
Arbeitstag in diesem Fall ist also der 30. April.
Tipp: Wenn Sie nicht wissen, wie viele Tage ein Monat hat, dann schreiben
Sie "letzter Tag des Monats xxxx".

Kündigung zur Unzeit


In gewissen Situationen darf einem Arbeitnehmer während einer gewissen
Dauer nicht gekündigt werden. Diesen Situationen sagt man "Unzeiten".

Art. 336c OR
1 Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen:
a. während die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder Schutzdienst
oder schweizerischen Zivildienst leistet, sowie, sofern die Dienstleistung mehr als elf
Tage dauert, während vier Wochen vorher und nachher;
b. während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch
Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten
Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90
Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;
c. während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer
Arbeitnehmerin;
2 Die Kündigung, die während einer der in Absatz 1 festgesetzten Sperrfristen erklärt wird,
ist nichtig; ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die
Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und
erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 101


Die für uns wichtigsten Beispiele für Unzeiten sind:
- Schwangerschaft
- Krankheit
- Militärdienst
Beispiel Kündigungsschutz bei Krankheit:
Lotti Krähenbühl erkrankt im ersten Dienstjahr. Gemäss Art. 336c Abs. 1
Buchstabe b OR, hat sie jetzt einen Kündigungsschutz von 30 Tagen. In den
ersten 30 Tagen ihrer Krankheit darf der Arbeitgeber also nicht kündigen.

► Erfolgt die Kündigung während der Sperrfrist ist die Kündigung nichtig (un-
gültig). Sie muss nach Ablauf der Sperrfrist neu vorgenommen werden.

► Erfolgt die Kündigung vor Beginn der Sperrfrist ist die Kündigung gültig. Sie
wird aber unterbrochen und läuft nach Ablauf der Sperrfrist weiter.
Beispiel:
Einem Arbeitnehmer im zweiten Dienstjahr mit einer Kündigungsfrist von zwei
Monaten (60 Tage) wird am 23. Mai gekündigt. Die Kündigungsfrist beginnt
am 1. Juni. Nun erkrankt der Arbeitnehmer am 20. Juni für zehn Tage. Bei
Beginn der Krankheit sind von den 60 Tagen Kündigungsfrist also 19 Tage
"aufgebraucht" (1. - 20. Juni). Während der zehn Tage Krankheit wird die
Kündigungsfrist unterbrochen und beginnt erst nach der Rückkehr des
Arbeitnehmers am 30. Juni wieder zu laufen. Die Kündigungsfrist dauert nun
noch 40 Tage (60 Tage minus die aufgebrauchten 20 Tage). Wenn wir die
40 Tage zum 30. Juni addieren, kommen wir auf den 9. August. Da nur auf
Ende Monat gekündigt wird, ist der Kündigungstermin der 31. August. Ist
doch bubieinfach, nicht...?
restliche 40 Tage der
20 Tage der Kündigungs- Kündigungsfrist
frist sind aufgebraucht

9. 31. August
23. Mai 1. Juni 20. Juni 30. Juni Krankheit
August Kündigungs-
Kündigung Start 60 Tage Erkran- fertig
Kündigungs- kung termin
frist

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 102


Missbräuchliche Kündigung (Art. 336, 336a, 336b OR)
Eine Kündigung ist beispielsweise dann missbräuchlich, wenn sie wegen einer
bestimmten Eigenschaft des Arbeitnehmers ausgesprochen wird. Beispiele:
► Religionszugehörigkeit, sexuelle Ausrichtung, Mitarbeit in einer Gewerkschaft,
Geschlecht.
Ebenfalls missbräuchlich sind Kündigungen, weil der Arbeitnehmer "Ansprüche
aus dem Arbeitsverhältnis" geltend macht. Beispiel:
► Ein Arbeitnehmer fordert die Auszahlung einer versprochenen Überstunden-
entschädigung).

Art. 336 OR zählt die missbräuchlichen Kündigungsgründe auf.

Eine missbräuchliche Kündigung bleibt zwar gültig, der Arbeitnehmer kann


aber vom Arbeitgeber eine Entschädigung verlangen, welche maximal sechs
Monatslöhne betragen kann. Diese Regelung finden Sie in Art. 336a OR.
Wie der Arbeitnehmer genau vorgehen muss, ist in Art. 336b OR geregelt:
1 Wer gestützt auf Artikel 336 und 336a eine Entschädigung geltend machen will, muss
gegen die Kündigung längstens bis zum Ende der Kündigungsfrist beim Kündigenden
schriftlich Einsprache erheben.
➔ Der Arbeitnehmer muss bis Ende Kündigungsfrist beim Arbeitgeber schrif-
tlich Einsprache erheben.
2 Ist die Einsprache gültig erfolgt und einigen sich die Parteien nicht über die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses, so kann die Partei, der gekündigt worden ist, ihren Anspruch auf
Entschädigung geltend machen. Wird nicht innert 180 Tagen nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses eine Klage anhängig gemacht, ist der Anspruch verwirkt.
➔ Kommt es zu keiner Einigung, muss der Arbeitnehmer innerhalb von 180
Tagen nach Ende des Arbeitsverhältnisses vor Gericht gehen.

Die "Kündigung zur Unzeit" dürfen Sie nicht mit der "missbräuchlichen Kündi-
gung" verwechseln: "Kündigungen zu Unzeit" sind Kündigungen, welche in einer
Sperrfrist ausgesprochen werden und deshalb nichtig sind, während "miss-
bräuchliche Kündigungen" gültig bleiben. Wenigstens kann der Arbeitnehmer
bei einer missbräuchlichen Kündigung noch eine Entschädigung fordern.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 103


Fristlose Kündigung (Art. 337 OR)
Fristlose Kündigungen erfolgen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist - eben
"fristlos". Möglich sind fristlose Kündigungen gemäss Art. 337 OR aus wichtigen
Gründen, "bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortset-
zung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf."
Wichtige Gründe sind etwa Betrug, Diebstahl, Arbeitsverweigerung, evtl. auch
die Beschimpfung eines Kunden. Sie können sich vorstellen, dass es in der Praxis
sehr viele Gerichtsfälle zur Frage gibt, ob es sich in einem konkreten Fall um
einen "wichtigen Grund" handelt. Entscheidet ein Richter, dass eine fristlose
Kündigung ungerechtfertigt war, dann muss der Arbeitgeber den Lohn bis zum
Ende der regulären Kündigungsfrist weiterzahlen. Die Kündigung wird dann
sozusagen in eine normale Kündigung umgewandelt.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 104


Wichtige Gesetzesartikel
Formvorschrift
OR 320, Abs. 1 Formvorschrift des Einzelarbeitsvertrags
Pflichten des Arbeitnehmers
OR 321a Sorgfalts- und Treuepflicht
OR 321c Überstundenarbeit
OR 321e Haftung des Arbeitnehmers
Pflichten des Arbeitgebers
OR 324a Lohnfortzahlungspflicht bei Verhinderung des Arbeitneh-
mers
OR 329a Ferien
OR 329b Kürzung der Ferien
OR 329c Zeitpunkt der Ferien
OR 330a Arbeitszeugnis
Kündigung allgemein und Kündigungsfristen
OR 334 befristete Arbeitsverträge
OR 335 unbefristete Arbeitsverträge; allgemeine Bestimmungen
OR 335a Kündigungsfristen müssen für Arbeitgeber und -nehmer
gleich sein
OR 335b Kündigungsfrist während der Probezeit
OR 335c Kündigungsfristen nach Ablauf der Probezeit
Kündigungsschutz
OR 336; 336a; Missbräuchliche Kündigung: Wann ist eine Kündigung
336b missbräuchlich? Wie muss der Gekündigte vorgehen?
Entschädigung
OR 336c Kündigung zur Unzeit
Fristlose Kündigung
OR 337; OR 337c fristlose Kündigung

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 105


Aufgaben Verträge auf Arbeitsleistung

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris liest keine Bücher: Er starrt
sie so lange an, bis sie ihm freiwillig sagen was er wissen will.
Und nun wird geübt!"

Einzelarbeitsvertrag, Werkvertrag, Auftrag


Handelt es sich in den folgenden Fällen um einen Werkvertrag, einen Auftrag,
oder um einen Einzelarbeitsvertrag (EAV)? Bitte ankreuzen.

EAV Werkver- Auftrag


trag
Goldschmied Silberli fertigt für das Brautpaar Honey
X
und Moon Eheringe an.
Peter Monetli lässt sich für einen bevorstehenden
X
Hauskauf von einem Baujuristen beraten.
Adelheid Maloch arbeitet als angestellte Buchhal-
X
terin bei der Vollhammer AG.

Vertragsentstehung
F. Arbeitgeber von der Trulla AG empfängt O. Arbeitnehmer zu einem Vorstel-
lungsgespräch. Dieses verläuft gut. Deshalb wird gleich mündlich ein Arbeits-
vertrag abgeschlossen. Gemäss F. Arbeitgeber stellt die Trulla AG keine schrift-
lichen Arbeitsverträge aus, da sie die Bürokratie auf ein Minimum beschränken
wollen und sie sich vollständig an die Bestimmungen im Obligationenrecht
halten. Ist ein mündlicher Arbeitsvertrag gültig? Geben Sie auch den
Gesetzesartikel an.
Ja, gemäss Art. 320 OR (Art. 11 OR wäre auch ok)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Fehler im Arbeitsvertrag?
In einem Arbeitsvertrag sollen Sie die folgenden Passagen auf ihre rechtliche
Korrektheit überprüfen:

► "Die Probezeit beträgt vier Monate."


Ist diese Bestimmung korrekt? Geben Sie als Begründung den Gesetzesartikel
mit Absatz an.
Nein, Art. 335b, Abs. 2 OR (das erlaubte Maximum beträgt drei Monate)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

(Stichwort "Probezeit")

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 106


► "Die Kündigungsfrist vom 1. bis und mit 9. Dienstjahr beträgt einen Monat."
Ist diese Bestimmung korrekt? Geben Sie als Begründung den Gesetzesartikel
mit Absatz an.
Ja, Art. 335c, Abs. 2 OR (1 Monat ist die Untergrenze)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

(Stichwort "Kündigung des Arbeitsvertrags": Führt zu Art. 335)

► "Der Ferienanspruch im 1. Dienstjahr beträgt 3 Wochen."


Ist diese Bestimmung korrekt? Geben Sie als Begründung den Gesetzesartikel
mit Absatz an.
Nein, Art. 329a, Abs. 1 OR (4 Wochen sind das Minimum)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

(Stichwort "Ferien des Arbeitnehmers

Überstunden
Work Aholic hat im vergangenen Monat 20 Überstunden geleistet. Diese Stun-
den möchte er sich auszahlen lassen. Der Arbeitgeber stellt sich auf den Stand-
punkt, dass Überstunden nicht entschädigungspflichtig sind, weil dies so im Ar-
beitsvertrag vereinbart wurde. Ist eine solche Vereinbarung zulässig? Geben
Sie auch den Gesetzesartikel mit Absatz an.
Ja, das ist zulässig. Art. 321c Abs. 3 OR (Stichwort "Überstunden")
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Haftung des Arbeitnehmers


Die Serviertochter Martha Ungeschickt lässt beim Abräumen eines Tisches ei-
nen Teller fallen. Muss sie ihn bezahlen? Begründen Sie Ihre Antwort und geben
Sie den Gesetzesartikel mit Absatz an.
Eher nein. Bei fahrlässigem Verhalten haftet zwar grundsätzlich der Arbeitneh-
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

mer, man muss aber auch das Berufsrisiko beachten, was die Haftung des.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Arbeitnehmers mindern oder gar ausschliessen kann. Art. 321e Abs. 2 OR


________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ __________

(Stichwort "Haftung des Arbeitnehmers")


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Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 107


Sorgfalts- und Treuepflicht
Pjotr Zahlenbeiger arbeitet Vollzeit in einem Treuhandbüro. Regelmässig steht
er am Samstagabend noch am Tresen der Bar "Schluckt-wie-ein-Specht" und
mixt Drinks. Es handelt sich um einen willkommenen Zusatzverdienst. Als der
Arbeitgeber von dieser Nebenbeschäftigung erfährt, will er ihm diesen Job
verbieten. Wie schätzen Sie die Situation ein. Ist ein Verbot durchsetzbar?
Geben Sie auch den Gesetzesartikel mit Absatz an.
Nein, es handelt sich nicht um eine konkurrenzierende Tätigkeit. Da Pjotr nur
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

am Wochenende arbeitet, ist die Arbeitsleistung im Treuhandbüro ebenfalls


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

kaum beeinträchtigt. Art. 321a, Abs. 3 OR.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

(Stichworte "Sorgfalt des Arbeitnehmers" oder "Treupflicht")


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Lohnfortzahlungspflicht

1. Aufgabe
Reto Meier hat vor zwei Monaten seine Arbeitsstelle bei der Keller AG ange-
treten, als er erkrankt. Der Arbeitsvertrag wurde auf unbestimmte Zeit abge-
schlossen. Wie lange muss ihm sein Arbeitgeber Lohn bezahlen? Es gelten die
Bestimmungen des Obligationenrechts. Geben Sie auch den Gesetzesartikel
mit Absatz an.
Keine Lohnpflicht, da Meier noch keine 3 Monate angestellt ist.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Art. 324a Abs.1 OR


__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

2. Aufgabe
Andrea Verspätung kommt nicht rechtzeitig aus den Ferien zurück, weil der
Flughafen an der Feriendestination wegen einer Überschwemmung geschlos-
sen wurde. Muss der Arbeitgeber den Lohn für die Zeit der Verspätung bezah-
len? Geben Sie auch den Gesetzesartikel mit Absatz an.
Nein; Grund der Abwesenheit liegt "nicht in der Person" begründet (höhere
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Gewalt). Art. 324a Abs. 1 OR


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

(Stichworte "Lohn bei Verhinderung" oder "Verhinderung des Arbeitnehmers": führt zu


Art. 324).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 108


Ordentliche Kündigung
Einem Arbeitnehmer im 11. Dienstjahr wird am 29. April die Kündigung ge-
schickt. Der Arbeitnehmer erhält die Kündigung am 2. Mai. An welchem Datum
endet das Arbeitsverhältnis, wenn nicht vom OR abgewichen wird?
31. August
____________________________________

(Art. 335c Abs. 1 OR: 3 Monate Kündigungsfrist, startend im Juni, da das Datum
des Erhalts der Kündigung entscheidend ist)
(Stichwort "Kündigung des Arbeitsvertrags": Führt zu Art. 335)

Kündigung zur Unzeit

1. Aufgabe
Päuli Granatenwerfer absolviert seinen dreiwöchigen Militärdienst, der bis zum
14. Mai dauert. Der Arbeitgeber will Päuli kündigen. Wann endet das Arbeits-
verhältnis, wenn der Arbeitgeber gleich nach Ablauf der Sperrfrist die Kündi-
gung verschickt? Wir nehmen an, in Päulis Fall gelte eine zweimonatige Kündi-
gungsfrist. Geben Sie den vollständigen Gesetzesartikel an.
31. August; Art. 336c, Abs. 1 Buchstabe a OR (Stichwort "Unzeit")
________________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________

(Kündigungsschutz bis 4 Wochen nach Ende Militärdienst = 11. Juni. Versand der
Kündigung am 12. Juni: Beginn der Kündigungsfrist am 1. Juli: Juli und August).

2. Aufgabe
Ein Arbeitgeber kündigt am 16. Juni einem Angestellten im dritten Dienstjahr.
Am 20. Juli erkrankt der Angestellte. An welchem Datum endet das Arbeits-
verhältnis, wenn der Arbeitnehmer am 3. August die Arbeit wieder aufnehmen
kann? Gemäss OR beträgt die Kündigungsfrist im dritten Dienstjahr zwei Mona-
te. Ein Teil des Zeitstrahls ist schon ausgefüllt.
Am 30. September (Art. 336c Abs. 2 OR) Kündigungs-
_________________________________________________________________________________________________

restliche 40 Tage der termin ist der:


20 Tage der Kündigungs-
___________
30. Sep.
16. Juni: Kündigungsfrist laufen ____________________________________

frist sind aufgebraucht


Kündigung

1. Juli: 3. Aug.: ca. 11. Sep.


20. Juli: Krankheit fertig
Start 60 Tage
____________
Erkrankung
Kündigungsfrist

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 109


Missbräuchliche Kündigung
In welchem der folgenden Fälle liegt eine missbräuchliche Kündigung vor?

Gekündigt wird einer schwangeren Mitarbeiterin


_____________

X Gekündigt wird einem Gewerkschaftsmitglied


_____________

Ist eine missbräuchliche Kündigung gültig? Geben Sie auch den Gesetzesartikel
an.
Ja, es besteht aber eine Entschädigungspflicht, Art. 336a OR
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

(Stichwort "missbräuchliche Kündigung": Führt zu Art. 336)

Fristlose Kündigung
Päuli Langfinger wird dabei erwischt, wie er Geld aus der Kasse stiehlt. Der Ar-
beitgeber entlässt Päuli fristlos. Ist eine fristlose Kündigung in diesem Fall ge-
rechtfertigt?

Ja X Nein
_______ _______

Begründung:
Es handelt sich um einen "wichtigen Grund" und eine weitere Fortsetzung des
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Arbeitsverhältnisses ist nicht mehr zumutbar.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Gesetz: OR Artikel: 337


_______________ _______________

(Stichwort "fristlose Auflösung Arbeitsvertrag")

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 110


10. Steuerrecht
Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle eines Staates. Mit den Steuerein-
nahmen finanziert ein Staat seine Ausgaben.
Wie viele Prozente der Einnahmen des Bundes (= Schweiz ohne Kantone und
Gemeinden) machen die wichtigsten Steuern aus?
► Mehrwertsteuer: ca. 35%
► Direkte Bundessteuer (Einkommens- und Gewinnsteuer): ca. 29%
► Verrechnungssteuer: ca. 9%

Begriffe
Wer ist steuerpflichtig?
Natürliche und juristische Personen. Steuersubjekt

Wer hat das Recht, Steuern zu verlangen?


Der Bund, die Kantone und die Gemeinden. Steuerhoheit

Person, welche die erhobene Steuer tragen


muss - auf ihn wird die Steuer überwälzt.
Beispiel: Steuerträger
Bei der Einkommenssteuer ist der Steuerträger die
Person, welche diese Steuer bezahlen muss.

Was wird besteuert?


Einkommen, Zinserträge, etc. Steuerobjekt

Steuerbelastung in Prozenten.
Zum Beispiel 25% des Einkommens. Steuersatz

Zusammenstellung der verschiedenen Steuer-


sätze,
Beispiel: Steuertarif
Bis Einkommen CHF 45'000: Steuersatz 3%
Einkommen CHF 45'001 bis 60'000: Steuersatz 4%
Überproportionale Zunahme der Steuerbelas-
tung.
Beispiel:
Ein steuerbares Einkommen von 50'000.00 führt zu Steuerprogression
einer Steuer von 3'000.00 (= 6% des Einkommens). Ein
steuerbares Einkommen von 100'000.00 führt zu einer
Steuer von 7'000.00 (= 7% des Einkommens). Der
Steuersatz steigt bei der Steuerprogression also an.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 111


Direkte und indirekte Steuern

Merkmale direkter Steuern


► Der Steuerträger erhält eine Steuerrechnung; er zahlt die Steuer "direkt".
► Steuersubjekt und -träger sind identisch.
► Bei den direkten Steuern gilt eine soziale Überlegung, weil die Steuerhöhe
von der finanziellen Situation des Besteuerten abhängt.
Beispiele für direkte Steuern
Natürlich Personen: Einkommens- und Vermögenssteuer
Juristische Personen: Gewinn- und Kapitalsteuer

Merkmale indirekter Steuern (Verbrauchssteuern)


► Die Steuer ist im Preis einer Ware oder einer Dienstleistung enthalten. Der
Steuerträger zahlt sie mehr oder weniger unbemerkt mit.
► Steuersubjekt und -träger unterscheiden sich. Beispiele dazu kommen bald.
► Die indirekten Steuern sind unsozial: Alle bezahlen gleich viel; z. B. 7.7% MWST,
unabhängig von ihrem Einkommen oder Vermögen.
Beispiele für indirekte Steuern
Mehrwertsteuer, Verrechnungssteuer

Einkommens- und Vermögenssteuer

Einkommenssteuer Vermögenssteuer
Kanton, Gemeinde
Steuerhoheit Bund, Kanton, Gemeinde ➔ Der Bund kennt keine
Vermögenssteuer.

Steuersubjekt Natürliche Personen (das sind Menschen)

Identisch mit Steuersubjekt


Steuerträger Der Empfänger und Bezahler der Steuerrechnung kann
diese auf keine andere Person überwälzen.

Steuerobjekt Einkommen Vermögen

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 112


Steuererklärung für eine Privatperson
Aufbau der Steuererklärung

Einkommenssteuer Vermögenssteuer

Nettolohn (gemäss Lohnausweis) Aktiven (Bankkonten, Häuser, Auto,


etc.)
+ Diverse Erträge (z. B. Zinsen, Dividen- - Passiven (z. B. Bankschulden)
den) = Steuerbares Vermögen
= Total Einkommen

- Diverse Abzüge (Berufsauslagen,


Schuldzinsen, Prämien Krankenkas-
sen, etc.)
= Reineinkommen

- evtl. Sozialabzüge (z. B. für Kinder)


= Steuerbares Einkommen

Wie hoch die Steuern sind, die bezahlt werden müssen, hängt davon ab, wo
jemand wohnt. In der Schweiz haben die Kantone und jede Gemeinde ihre
eigenen Steuersätze und Steuertarife. Nur auf Bundesebene gibt es eine ein-
heitliche Steuerbelastung.
Deshalb aufpassen: Personen, welche das gleiche steuerbare Einkommen
haben, bezahlen die gleiche Bundessteuer - egal, wo sie wohnen. Nur bei der
Kantons- und den Gemeindesteuern gibt es dann Unterschiede.

Bei der Einkommens- und Vermögenssteuer gibt es eine Steuerprogression.

Steuerprogression: Mit steigendem Einkommen/Vermögen nimmt die Steuer-


belastung überproportional zu.

Beispiel:
Ausschnitt aus der Steuertabelle des Bundes:
Steuerbares Einkommen CHF 50'000.00:
Steuer CHF 444.90; für je weitere CHF 100.00: CHF 2.64
Steuerbares Einkommen CHF 100'000.00:
Steuer CHF 2'874.00; für je weitere CHF 100.00: CHF 6.60
Sie sehen, dass für ein doppeltes Einkommen eine rund 6x mal höhere Steuer
bezahlt werden muss.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 113


In der Schweiz werden Ehepaare gemeinsam besteuert. Das heisst, ihre Ein-
kommen werden zusammengezählt. Das Problem liegt nun darin, dass deshalb
ein Ehepaar wegen der Steuerprogression mehr Steuern bezahlen muss, als ein
Konkubinatspaar, welches über das gleiche Einkommen verfügt, aber getrennt
besteuert wird.
Um diese Ungerechtigkeit zu mildern, gibt es zwei Steuertabellen: Eine für Un-
verheiratete und eine für Verheiratete.

Beispiel Berechnung direkte Bundessteuer auf dem Einkommen


Adalbert Steuerking hat gemäss seiner Steuererklärung ein steuerbares Einkom-
men von CHF 72'400.00. Wie viele Franken Einkommenssteuern muss er an den
Bund abliefern? Sie sehen hier einen Ausschnitt aus dem Steuertarif für die
direkte Bundessteuer auf dem Einkommen für Alleinstehende (Adalbert ist
unverheiratet).

Steuerbares Steuer für Für je weitere


Einkommen 1 Jahr CHF 100
CHF CHF CHF
71'000 1'051.45 2.97
72'000 1'081.15 2.97
72'600 1'101.90 5.94
73'000 1'125.70 5.94

Steuer für CHF 72'000.00: CHF 1'081.15


Steuer für die weiteren CHF 400.00: 4 x CHF 2.97 CHF 11.90
Total der Einkommenssteuer: CHF 1'093.05

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 114


Gewinn- und Kapitalsteuer

Gewinnsteuer Kapitalsteuer

Kanton, Gemeinde
Steuerhoheit Bund, Kanton, Gemeinde ➔ Der Bund kennt keine
Kapitalsteuer.
Juristische Personen (AG, GmbH, etc.)
Wichtig: Einzelunternehmungen sind keine juristischen
Personen. Sie müssen keine Steuern bezahlen, sondern
ihre Inhaber! Diese müssen das Einkommen und das
Steuersubjekt Vermögen aus dem Geschäft in ihrer privaten Steuerer-
klärung aufführen und erhalten dann eine
Steuerrechnung. Das gilt auch für
Kollektivgesellschaften (diese Rechtsform behandeln
wir im E-Profil aber nicht).

Steuerträger Identisch mit Steuersubjekt

Steuerobjekt Gewinn Eigenkapital

Beispiel Berechnung Gewinnsteuer einer juristischen Person


Die Katapult AG in Schmerikon weist einen steuerbaren Reingewinn von CHF
480'000.00 aus. Der Gewinnsteuersatz des Bundes ist proportional und beträgt
8,5%. Der Gewinnsteuersatz von Kanton und Gemeinde beträgt insgesamt
7,8%. Wie hoch ist der Gesamtbetrag aller Gewinnsteuern?
Bund: 8,5% von CHF 480'000.00: CHF 40'800.00
Gemeinde und Kanton: 7,8% von CHF 480'000.00: CHF 37'440.00
Total Gewinnsteuern: CHF 78'240.00

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 115


Bei den juristischen Personen kommt es zu einer Doppelbesteuerung des Ge-
winns und des Kapitals. Das bedeutet, dass sowohl der Gewinn, als auch das
Kapitel zweimal besteuert werden - einmal bei der Unternehmung und dann
noch bei den Aktionären, bzw. bei den Teilhabern der GmbH:

Juristische Person Aktionär, bzw. Teilhaber an


(AG oder GmbH) der GmbH bezahlt:
bezahlt:
Doppelbesteuerung des
Einkommenssteuer auf den
Gewinns (durch Bund,
Gewinnsteuer aus dem Gewinn ausbe-
Kantone und Gemein-
zahlten Dividenden
den)
Kapitalsteuer
Besteuerung des Ei- Vermögenssteuer auf dem
Doppelbesteuerung des genkapitals (also Wert der Aktien, bzw. des
Kapitals (durch Kantone des Wertes des Stammanteils, den der Ak-
und Gemeinden) Aktienkapitals, bzw. tionäre, bzw. Teilhaber be-
des Stammanteils sitzt.
bei der GmbH.

Verrechnungssteuer
Steuerhoheit Der Bund (weder Kantone noch Gemeinden!)
- Zinserträge auf Bank-/Postkonto:
- Bei einer Zinszahlung jährlich: Ab CHF 200.00 Jah-
reszins.
- Bei Zinszahlungen auch während des Jahres fällt
die Verrechnungssteuer immer an.
Steuerobjekt
- Zinsen auf Schweizer Obligationen (unabhäng-
ig von der Höhe des Zinses).
- Dividenden auf Schweizer Aktien
- Lotteriegewinne ab 1'000.00
Steuersubjekt Wer die Erträge auszahlt, z. B. die Bank

Der Empfänger des Zinses, des Lotteriegewinnes,


Steuerträger
der Dividenden

Steuersatz 35%
Ziel Bekämpfung Steuerhinterziehung

Sie sehen, dass bei der Verrechnungssteuer Steuerobjekt und -subjekt nicht
identisch sind, deshalb zählt die Verrechnungssteuer zu den indirekten Steuern.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 116


Funktionsweise der Verrechnungssteuer

Bank
Bruttozins 100% Auszahlung:
Überweisung:
65%
35%

1. Der Bankkunde gibt in seiner


Steuererklärung den Bruttozins
(100%) als Einkommen an.
Steuerbehörde Bankkunde
2. Rückerstattung der Verrech-
nungssteuer. Bei natürlichen Per-
sonen wird die Verrechnungs-
steuer nicht zurückbezahlt, son-
dern auf der Steuerrechnung von
der Steuerschuld abgezogen.

Mehrwertsteuer
Steuerhoheit Der Bund (weder Kantone noch Gemeinden!)

Steuerobjekt Verkauf von Waren und Dienstleistungen

Unternehmen (Verkäufer der Waren und Dienst-


leistungen.)
Steuersubjekt
(Unternehmungen mit einem jährlichen Umsatz unter
CHF 100'000 sind von der Steuerpflicht befreit).

Steuerträger Konsumenten

- Normalsatz 7,7%
- reduzierter Satz 2,5% (z. B. Lebensmittel)
Steuersätze - Sondersatz 3,7% (Hotelübernachtung und Früh-
stück)
- 0% (z. B. schulische Leistungen)

Sie sehen, dass bei der Mehrwertsteuer Steuerobjekt und -subjekt nicht
identisch sind, deshalb zählt die Mehrwertsteuer zu den indirekten Steuern.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 117


Funktionsweise der Mehrwertsteuer
Die Meier AG kauft bei der Müller AG Waren ein und erhält folgende Rech-
nung:
Warenwert CHF 2'785.50
+7.7% MWST CHF 214.50
zu bezahlen CHF 3'000.00

Diese Waren verkauft die Meier AG für CHF 5'800.00 inkl. 7.7% MWST weiter. Die
Rechnung an den Kunden sie so aus:
Warenwert CHF 5'385.35
+7.7% MWST CHF 414.65
zu bezahlen CHF 5'800.00

Wie funktioniert nun die MWST-Geschichte?

Vorsteuer
Die Meier AG bezahlt der Müller AG auf dem Einkauf CHF 214.50 Mehrwert-
steuer. Dieser Mehrwertsteuer sagt man Vorsteuer. Wenn die Meier AG die
MWST-Abrechnung macht, kann sie die Vorsteuer von der Steuerbehörde
zurückfordern, sonst würde sie den Betrag nämlich zweimal bezahlen.

Geschuldete MWST
Die Meier AG erhält von ihren Kunden auf dem Warenverkauf CHF 414.65
Mehrwertsteuer. Diesen Betrag schuldet die Meier AG der Steuerbehörde, des-
halb heisst er Geschuldete Mehrwertsteuer.

MWST-Abrechnung
Wie viele Franken muss die Meier AG für diese beiden Geschäftsfälle der
Steuerbehörde abliefern?
Geschuldete MWST CHF 414.65
- Vorsteuer - CHF 214.50
= zu überweisende MWST CHF 200.15

Die CHF 200.15, welche die Meier AG der Steuerbehörde abliefern muss,
entsprechen 7.7% auf dem von der Meier AG geschaffenen Mehrwert, des-
halb heisst das Ganze ja Mehrwertsteuer ☺. Der Mehrwert, den die Meier AG
geschaffen hat, entspricht der Differenz zwischen dem Verkaufs- und dem Ein-
kaufspreis (jeweils ohne MWST): CHF 5'385.35 - CHF 2'785.50 = CHF 2'599.85.
Wenn Sie nun 7.7% von diesen CHF 2'599.85 ausrechnen, erhalten Sie wieder
den der Steuerbehörde geschuldeten Betrag von CHF 200.15.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 118


Aufgaben Steuerrecht

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris kann Zwiebeln zum Wie-
nen bringen. Und nun wird geübt!"

Direkte/indirekte Steuern. Ordnen Sie die folgenden Steuerarten richtig zu.


Steuerart Direkte Indirekte
Steuer Steuer
Mehrwertsteuer X
Vermögenssteuer X
Kapitalsteuer X
Verrechnungssteuer X
Gewinnsteuer X
Einkommenssteuer X

Steuersubjekt, -träger, -objekt und -hoheit


Astrid Frehner muss CHF 7'600.00 Einkommenssteuern bezahlen.
Steuersubjekt? Astrid Frehner
_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerobjekt? Astrid Frehners Einkommen


_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerträger? Astrid Frehner


________________________________________________________________________________________________________________ _

Steuerhoheit? Bund, Kantone, Gemeinden


_________________________________________________________________________________________________________________

Anton Zinslipicker erhält CHF 250.00 Zinsen von der ZKB ausbezahlt.
Wie hoch ist die Verrechnungssteuer in CHF? CHF 134.60 (250.00 : 65) x 35
_________________________________________________________________________________

Steuersubjekt? ZKB
_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerobjekt? Zins
_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerträger? Anton Zinslipicker


____________________________________________________________________________________________________________ _____

Steuerhoheit? Bund
_________________________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 119


Die Babalu GmbH verkauft einem Kunden ein Paar Wollsocken für CHF 24.50
inkl. 7.7% Mehrwertsteuer.
Steuersubjekt? Babalu GmbH
_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerobjekt? Verkauf Wollsocken


_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerträger? Der Kunde


_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerhoheit? Bund
_________________________________________________________________________________________________________________

Steuerprogression
Milka Honig hat ein steuerbares Einkommen von CHF 60'000.00 und bezahlt eine
direkte Bundessteuer von CHF 724.00. Nutella Snickers hat ein steuerbares
Einkommen von CHF 120'000.00. Nennen Sie eine mögliche Höhe ihrer direkten
Bundessteuer, die die Steuerprogression berücksichtigt.
Z. B. CHF 1'900.00: mehr als 2 x CHF 724.00 ➔ überproportional.
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Doppelbesteuerung:
Die Süper AG erzielte einen Jahresgewinn von CHF 800‘000.00. Den Aktionären
wird eine Dividende von CHF 500‘000.00 ausgeschüttet. Beschreiben Sie, wo
hier die Doppelbesteuerung des Gewinns liegt:

1. AG zahlt Gewinnsteuer 2. Aktionäre zahlen Einkommenssteuern auf der


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Dividende.
___________________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 120


Aussagen kreuz und quer
Welche der folgenden Aussagen sind richtig?

Ein Einwohner des Kantons Jura zahlt bei gleichem steuerbarem Ein-
kommen eine höhere direkte Bundessteuer als ein Einwohner des
Kantons Zug.
_________

Neben der Finanzierung des Staatshaushalts hat die Steuererhebung


insbesondere auch den Zweck der Umverteilung von Einkommen und
Vermögen. X
_________

Unter anderem werden folgende Positionen bei der Berechnung des


steuerbaren Einkommens einer natürlichen Person berücksichtigt: Wert
des eigenen Hauses, Nettolohn, Zinserträge, Kosten für auswärtige Ver-
pflegung, Fahrspesen zum Arbeitsort, bezahlte Schuldzinsen.
_________

Der Bund erhebt bei natürlichen Personen nur eine Einkommens-, aber
keine Vermögenssteuer. X
_________

Bei der Kapitalsteuer besteht das Steuerobjekt aus den Aktiven, den
Passiven und dem Eigenkapital.
_________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 121


11. Familienrecht
Ehe, eingetragene Partnerschaft, Konkubinat

Sie sehen auf den nächsten Seiten einen Vergleich zwischen der Ehe, der ein-
getragenen Partnerschaft (= eheähnliche Verbindung zwischen gleichge-
schlechtlichen Partnern) und dem Konkubinat. Selbstverständlich können nicht
alle möglichen Punkte aufgeführt werden. Sie müssen bei Aufgabenstellungen
mit dem Gesetzbuch arbeiten - auswendig lernen hilft hier nicht sehr viel. Die
eingetragene Partnerschaft ist in einem speziellen Gesetz, dem Bundesgesetz
über die eingetragene Partnerschaft, geregelt; dieses Gesetz steht uns nicht zur
Verfügung. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass diese Form des
Zusammenlebens nur am Rande vorkommen wird.

Ehe Eingetragene Konkubinat


Das Eherecht ist im Zi- Partnerschaft Das Konkubinat ist
vilgesetzbuch (ZGB) Die eingetragene im Gesetz nicht
geregelt. Partnerschaft ist speziell geregelt;
vor allem im Bun- es gelten weitge-
desgesetz über hend die Bestim-
die eingetragene mungen der einfa-
Partnerschaft chen Gesellschaft
(PartG) geregelt). (Art. 530 ff. OR)
Keine speziellen
Die Eheleute müssen Voraussetzungen;
mündig und urteils- auch Unmündige
fähig sein (Art. 94 können in einem
ZGB) Konkubinat leben.
Merkmale eines
Ehehindernisse (Art. Konkubinats sind
95 ZGB): die Merkmale ei-
Nicht erlaubt sind Gleiche Rege- ner einfachen Ge-
Voraussetzungen Eheschliessungen lung wie bei der sellschaft:
der Ehe zwischen Verwand- Ehe. - Verbindung von
ten in gerader Linie zwei Personen
(z. B. Eltern und Kin- - Erreichen eines
der), zwischen Ge- gemeinsamen
schwistern und Halb- Ziels (das Leben
geschwistern (auch miteinander ver-
zwischen Adoptivge- bringen)
schwistern). - Mit gemeinsa-
men Kräften und
Mitteln.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 122


Ehe Eingetragene Konkubinat
Partnerschaft

1. Verlobung (Art. 90 -
93 ZGB)
Geschieht automatisch 1. Persönliches Er-
und verpflichtet zu scheinen beim Zi-
nichts. vilstandsamt und
2. Vorlage der erfor-
Vorbereitungsverfahren derlichen Doku-
(Art. 98 - 100 ZGB) mente.
- Persönliches Erschei- 2. Zivilstandsamt
nen beim Zivilstands- überprüft, ob alle
amt. Voraussetzungen Formlos
- Vorlage von Doku- erfüllt sind. (geschieht
Entstehung
menten, die die Per- 3. Öffentliche Beur- automatisch)
sonalien bestätigen kundung; Ausstel-
(Pass, ID). lung eines
3. Zivile Trauung (Art. Partner-
101 und 102 ZGB) schaftsausweises.
Es müssen zwei volljähri- Ein Unterschied zur
ge und urteilsfähige Ehe: Bei der einge-
Trauzeugen anwesend tragenen Part-
sein. nerschaft braucht es
keine Trauzeugen.
4. Evtl. kirchliche Trau-
ung

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 123


Ehe Eingetragene Konkubinat
Partnerschaft

Name Beiträge für die


Jeder Ehepartner be- Gemeinschaft
hält seinen ledigen Na- Keine klare Rege-
men (Art. 160 ZGB). lung (Art. 531 OR).
Möchte das Ehepaar Vertretung und
einen gemeinsamen Haftung für
Namen (den der Frau Schulden
oder des Mannes), Grundsätzlich ver-
muss es das mitteilen. tritt jeder Partner
Unterhalt der Familie nach aussen nur
Erfolgt gemeinsam (Art. sich (z.B. wenn er
163 ZGB). für sich etwas
kauft). Er braucht
Vertretung und Haftung keine Einwilligung
für Schulden des anderen Part-
Jeder Ehegatte kann ners.
für die Befriedigung Die Gemeinschaft
von laufenden (= all-
betreffende Ent-
täglichen) Bedürfnissen scheidungen (z.B.
Gleiche Regelung wie
(z. B. Kauf von Lebens-
Wirkungen bei der Ehe. Die Re- Kauf einer Woh-
mitteln) ohne Abspra- nungseinrichtung),
(Eine gelungen stehen ein-
che mit dem Partner sollte aber mitei-
Auswahl) fach nicht im ZGB,
selber handeln. Für die- nander abgespro-
sondern im PartG.
se Schulden haften die chen werden. Den
Ehepartner gemeinsam Kaufvertrag müssen
(solidarisch). (Art. 166 dann aber nicht
ZGB). beide Partner ab-
Für grössere Verpflich- schliessen.
tungen (z. B. Aufnahme Für gemeinsame
eines Hypothekarkredi- Schulden haften
tes) besteht die solida- die Partner solida-
rische Haftung nur risch. Für individuel-
dann, wenn die Ehe- le Schulden haftet
partner die Verpflich- jeder Partner per-
tung gemeinsam ein- sönlich. (Art. 544
gegangen sind. Ist dies Abs. 3 OR).
nicht der Fall, haftet
der entsprechende
Ehegatte allein (Art.
166 ZGB).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 124


Ehe Eingetragene Konkubinat
Partnerschaft

Wohnung Wohnung/Auskunfts-
Wird gemeinsam pflicht/Gegenseitige
bestimmt (Art. 162 Beistandspflicht
ZGB). Bei diesen Punkten
Die Auflösung eines gibt es keine gesetzli-
Mietvertrags erfor- chen Regelungen.
dert die Zustim- Gemeinsames Sorge-
mung des Ehepart- Gleiche Regelung recht für Kinder
ners (Art. 169 ZGB). wie bei der Ehe. Die Den Eltern wird das
Auskunftspflicht Regelungen stehen gemeinsame Sorge-
Jeder Ehegatte einfach nicht im recht für gemeinsame
kann vom anderen ZGB, sondern im Kinder zugeteilt, wenn
Auskunft über Ein- PartG. sie einen gemeinsa-
kommen, Vermö- men Antrag stellen
gen und Schulden Unterschiede beste- und sich über Betreu-
verlangen (Art. 170 hen bei Kindern: ung und Unterhalt ei-
Wirkungen
ZGB). Adoptionen von nig sind. Bis eine ge-
(Eine Auswahl)
Gegenseitige fremden Kindern meinsame Erklärung
Beistandspflicht sind nicht erlaubt. vorliegt, steht die elter-
Ehegatten müssen Bringt ein Partner liche Sorge bei unver-
sich gegenseitig hingegen ein Kind heirateten Eltern der
beistehen (Art. 159 mit, ist die Adoption Mutter zu.
ZGB). dieses Stiefkindes
durch den Partner /
Gemeinsame Sorge die Partnerin er-
für Kinder laubt.
Die Eltern sind ver-
pflichtet, gemein-
sam für ihre Kinder
zu sorgen. Dies gilt
vor allem auch
nach einer Schei-
dung.
(Art. 159 ZGB).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 125


Ehe Eingetragene Konkubinat
Partnerschaft

Gegenseitige, Nein. Mit einem


gesetzliche Testament kann
Erbberechti- Ja Ja diese Lücke teil-
gung weise geschlos-
sen werden.

Wird von Eltern bestimmt Gleiche Rege-


(Art. 160 ZGB) lung wie bei der
Im Normalfall behalten Ehe, sofern die
Regelung erübrigt unverheirateten
Name der beide Eltern nach der Hei-
sich, da gemein- Eltern die elterli-
Kinder rat ihren Ledignamen.
same Kinder nicht che Sorge ge-
Deshalb müssen sie ent-
möglich sind. meinsam wahr-
scheiden, welchen der
beiden Namen ihre Kinder nehmen.
tragen sollen.

Güterstand, Es gibt keinen


Errungenschaftsbeteiligung gesetzlichen
wenn nichts
(Art. 181 ZGB) Gütertrennung Güterstand. Es
anderes
gilt: Jeder für
vereinbart sich.
wird

► Scheidung auf "Ge-


meinsames Begehren"
Gleiche Regelung Formlos
Auflösung (Art. 111 ZGB), oder:
wie bei der Ehe.
► Klage auf Scheidung
(Art. 114 ZGB).

Da viele Punkte
im Konkubinat
nicht gesetzlich
geregelt sind,
empfiehlt es
sich, für
wichtige Sa-
chen (z. B. wem
gehört was, wie
wird das Ver-
mögen nach
einer Trennung
geteilt) einen
Konkubinats-
vertrag abzu-
schliessen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 126


Die Güterstände
Wem gehört was während der Ehe? Wie wird das Vermögen bei einer Schei-
dung, oder beim Tod eines Ehepartners geteilt? Die Beantwortung dieser Frau-
gen hängt vom Güterstand ab, den die Eheleute gewählt haben. Es gibt drei
Güterstände:
Errungenschaftsbeteiligung, ab Art. 196 ZGB,
Die Errungenschaftsbeteiligung ist der Normalfall. Deshalb sagt man ihm auch
ordentlicher Güterstand. Er gilt immer dann, wenn die Eheleute keinen Ehever-
trag abschliessen, um bewusst eine andere Regelung zu wählen.
Gütergemeinschaft, ab Art. 221ZGB und Gütertrennung, ab Art. 247 ZGB
Entscheidet sich ein Ehepaar für einen dieser Güterstände, muss es einen ent-
sprechenden Ehevertrag abschliessen.

Schauen wir die wesentlichen Merkmale dieser Güterstände an.

Errungenschaftsbe- Gütergemein- Gütertrennung


teiligung (ordentli- schaft
cher Güterstand)

Eigengut (Art. 198 ZGB) Eigengut (Art. 225


- Persönliche Gegenstän- ZGB)
de. - umfasst grundsätz-
- Vermögen vor der Ehe. lich nur die persön-
- Erbschaften während lichen Gegenstän-
der Ehe (die Erträge, de.
zum Beispiel die Zinsen - Im Ehevertrag kön-
daraus, gehören aber nen weitere Vermö-
nicht mehr zum Eigen- gensgegenstände
gut). dem Eigengut zu-
gewiesen werden.
Zusam- Errungenschaft (Art. 197 Vermögen bleiben
menset- ZGB) Gesamtgut (Art. 222 vollständig getrennt
zung des - Ersparnisse während ZGB) (Art. 247 ZGB)
Vermö- der Ehe. - Gehört den Ehe-
gens - Leistungen von Pen- partnern gemein-
sionskasse, AHV. sam.
- Vermögenserträge des
Eigengutes (z. B. Zinsen Die Unterscheidung
auf dem Bankkonto). zwischen Eigengut
und Gesamtgut spielt
Die Unterscheidung zwi- bei der Auflösung der
schen Eigengut und Er- Ehe eine Rolle. Mehr
rungenschaft spielt bei dazu gleich.
der Auflösung der Ehe
eine Rolle. Mehr dazu
gleich.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 127


Errungenschaftsbe- Gütergemein- Gütertrennung
teiligung (ordentli- schaft
cher Güterstand)

Gemeinsame Nut-
zung und Verwal-
Jeder Ehegatte verwal- tung des Gesamtgu-
tet und nutzt sein Eigen- tes (Art. 227 und 228
gut und seine Errungen- ZGB).
Nutzung schaft allein (Art. 201 Jeder Ehegatte ver-
Da es in der Realität
und Ver- ZGB). waltet und nutzt sein
nicht möglich ist, al-
waltung Einzige Bedingung: Die Vermögen allein (Art.
les mit dem Partner
des Ver- Bedürfnisse der eheli- 247 ZGB)
abzusprechen, ist es
mögens chen Gemeinschaft (Le- üblich, dass jeder
benskosten, Ferien, etc.) Partner für alltägli-
müssen gedeckt blei- che Geschäfte
ben. selbstständig auf
das Gesamtgut zu-
greifen kann.
Eigene Schulden: Eigene Schulden: Eigene Schulden:
Jeder Ehegatte haftet Jeder Ehegatte haf- Jeder Ehegatte
mit seinem Eigengut tet mit seinem Ei- haftet mit seinem
und seiner Errungen- gengut und mit der eigenen Vermögen
schaft (Art. 202 ZGB). Hälfte des Gesamt- (Art. 249 ZGB). Der
Der Partner haftet nicht. guts (Art. 234 ZGB). Partner haftet nicht.
Der Partner haftet
nicht.
Gemeinsame Schulden: Gemeinsame Schul-
Haftung für Eine solidarische Haf- Gemeinsame Schul- den:
Schulden tung gibt es aber bei den: Eine solidarische
gemeinsam eingegan- Eine solidarische Haftung gibt es aber
gen Schulden (zum Bei- Haftung gibt es aber bei gemeinsam ein-
spiel für einen Kredit) bei gemeinsam ein- gegangen Schulden
und bei Schulden aus gegangen Schul- und bei Schulden aus
laufenden Bedürfnis- den und bei Schul- laufenden Bedürfnis-
sen(z.B. Lebensmittel- den aus laufenden se(z.B. Lebensmittel-
kauf). Bedürfnisse (z.B. Le- kauf).
bensmittelkauf).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 128


Errungenschaftsbe- Gütergemein- Gütertrennung
teiligung (ordentli- schaft
cher Güterstand)

Bei Tod:
Jeder Ehegatte er-
hält sein Eigengut
und die Hälfte des
Gesamtgutes (Art.
241 ZGB).
Bei Scheidung:
Wir wird Jeder Ehegatte er-
das Ver- Jeder Ehegatte erhält sein hält sein Eigengut
Eigengut und die Hälfte und aus dem Ge- Jeder Ehegatte er-
mögen bei
der Errungenschaft (Art. samtgut das, was hält sein eigenes
Auflösung 215 ZGB). Vermögen.
der Ehe bei einer Errungen-
aufgeteilt? schaftsbeteiligung
sein Eigengut wäre;
dabei handelt es
sich vor allem um er-
haltene Erbschaften
und dem Vermögen
vor der Ehe. (Art. 242
ZGB).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 129


Wichtige Gesetzesartikel
Konkubinat (wird in vielen Situationen als "Einfache Gesellschaft" behandelt)
OR 530 Definition einfache Gesellschaft
OR 531 Beiträge der Partner an die Gemeinschaft
OR 533 Aufteilung des Vermögens bei Trennung (wird tendenziell nur
bei länger bestehenden Konkubinaten angewandt)
OR 534 Fällen von Entscheidungen
OR 535 Wer darf ein Geschäft ausführen (z. B. einen Vertrag abschlies-
sen)?
OR 544, Abs. 3 Haftung des Konkubinatspaares
Eheschliessung
ZGB 90 Das Verlöbnis
ZGB 94 Voraussetzung, damit man heiraten kann (Ehefähigkeit)
ZGB 95 Ehehindernisse: Verwandtschaft
ZGB 97 - 100 Das Vorbereitungsverfahren
ZGB 101 und 102 Die Trauung
Wirkungen der Ehe (eine Auswahl)
ZGB 159 Rechte und Pflichten
ZGB 160 Name
ZGB 161 Bürgerrecht
ZGB 162 Bestimmung der Wohnung
ZGB 163 Unterhalt der Familie
ZGB 166 - Vertretung nach aussen (z. B. um einen Vertrag abzuschlies-
sen)
- Haftung für gemeinsame Schulden
ZGB 169 Kündigung der Wohnung
ZGB 170 gegenseitige Auskunftspflicht
ZGB 171 Pflicht für die Kantone, Ehe- oder Familienberatungsstellen ein-
zurichten.
Auflösung der Ehe
ZGB 111 Scheidung auf gemeinsames Begehren.
ZGB 114 Scheidung auf Klage eines Ehegatten.
Errungenschaftsbeteiligung
ZGB 181 Errungenschaftsbeteiligung (ordentlicher Güterstand)
ZGB 182 - ZGB 184 Ehevertrag
ZGB 197; ZGB 198 Was gehört in die Errungenschaft, was ins Eigengut?
ZGB 201 Verwaltung und Nutzung des Vermögens
ZGB 202 Haftung für eigene Schulden
ZGB 215 Grundregel Vermögensaufteilung bei Errungenschaftsbeteili-
gung

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 130


Gütergemeinschaft
ZGB 222 Das Gesamtgut
ZGB 225 Das Eigengut
ZGB 227 und 228 Verwaltung des Gesamtgutes
ZGB 234 Haftung für eigene Schulden
ZGB 241 Verteilung des Vermögens bei Tod eines Ehepartners
ZGB 242 Verteilung des Vermögens bei Scheidung

Gütertrennung
ZGB 247 Verwaltung des Vermögens
ZGB 249 Haftung für eigene Schulden

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 131


Aufgaben Familienrecht

Der Drill Sergeant sagt: "Einige Leute tragen Superman Schlaf-


anzüge. Superman trägt Chuck Norris Schlafanzüge. Und nun
wird geübt!"

Konkubinat
Kreuzen Sie die richtigen(n) Aussage(n) zum Konkubinat an.
Unter einem Konkubinat wird das Zusammenleben ohne verheira-
X
tet zu sein verstanden.
Ein Konkubinat muss durch eine Scheidung aufgelöst werden.
Das Konkubinat ist im Gesetz geregelt.
Die Entstehung eines Konkubinats verlangt einen schriftlichen
Konkubinatsvertrag.

Voraussetzungen Ehe
Kreuzen Sie alle Sachverhalte an, bei denen eine Eheschliessung nicht möglich
ist.
Der Bräutigam ist 18 Jahre alt. (Art. 94 ZGB) □
Tommaso möchte seine Adoptivschwester Caroline heiraten
□X
(Art. 95 Abs. 2 ZGB)
Es hat keine offizielle Verlobung gegeben. (Art. 90, Abs. 3 ZGB) □
Der Bräutigam kann die Folgen der Eheschliessung nicht beurteilen.
□X
(fehlende Urteilsfähigkeit, Art. 94 ZGB)

Wirkungen der Ehe


Sind die folgenden Aussagen richtig oder falsch? Kreuzen Sie an.

Aussage Richtig Falsch


Für laufende Bedürfnisse haften die Ehepartner solida-
X
risch. (Art. 166, Abs. 1 und 3 ZGB)
Wenn ein Ehepartner ohne Einwilligung des anderen
ein Auto kauft, haftet er alleine für den Kaufpreis. X
(ausserordentliches Bedürfnis, (Art. 166, Abs. 2 und 3 ZGB)
Nach der Heirat nimmt die Frau automatisch den Fa- X
miliennamen des Ehemannes an. (Art. 160, Abs. 1 ZGB)

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 132


Aussage Richtig Falsch
Lorena verlangt von ihrem Mann Auskunft über sein
Vermögen. Sie ist der Meinung, dass er dies tun muss. X
(Art. 170, Abs. 1 ZGB)
Ein Ehepaar kündigt die Wohnung. Nur der Ehemann
unterschreibt die Kündigung. Er ist der Meinung, dass X
das ausreicht. (Art. 169, Abs. 1 ZGB)

Güterstand
Welchem Güterstand unterstehen Eheleute, wenn sie keinen Ehevertrag abge-
schlossen haben?
Errungenschaftsbeteiligung
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ____________________________

Handelt es sich bei den folgenden Vermögenswerten um Eigengut, oder um


Errungenschaft?
Eigengut Errungenschaft

Ersparnisse vor der Ehe X

Erbschaft X

Erträge aus der Erbschaft X

persönliche Gegenstände X

Ersparnisse während der Ehe X


(Art. 197 und 198 ZGB)

Wie wird bei der Errungenschaftsbeteiligung das Vermögen bei Auflösung der
Ehe (Scheidung oder Tod) aufgeteilt?
Jeder Ehepartner behält sein Eigengut. Die Errungenschaft wird geteilt.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Welche Güterstände gibt es noch neben der Errungenschaftsbeteiligung? Wel-


ches ist die Voraussetzung, wenn ein Ehepaar einen dieser Güterstände wählt?
Gütergemeinschaft und Gütertrennung. Voraussetzung: Ehevertrag. Dieser.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

muss öffentlich beurkundet werden.


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 133


12. Erbrecht
Wenn der Verstorbene (der "Erblasser") kein Testament hinterlassen hat, dann
kommt es zu einer Erbteilung nach Gesetz.

Erbteilung nach Gesetz

Gesetzliche Erben (Art. 457 - 466 ZGB)


► Die Nachkommen.
► Ehepartner und eingetragene Partner.
► Blutsverwandte.
Ohne Testament und sonstige gesetzliche Erben geht der Nachlass an den
Staat.

Die Stämme der Blutverwandtschaft


(Vom Erblasser aus gesehen)

Stamm der Grosseltern

Stamm der Eltern Grosseltern

Eltern Onkel/Tanten

Erblasser/in Geschwister Cousins/Cousinen

Stamm der Nachkommen Neffen/Nichten

Kinder

Enkel

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 134


Regeln der Erbverteilung
Wer erbt in welcher Reihenfolge?

1. Stamm der Nachkommen (Art. 457 Abs. 1 ZGB).


2. Keine Nachkommen: Stamm der Eltern (Art. 458 Abs. 1 ZGB)
3. Lebt dort auch niemand mehr: Stamm der Grosseltern (Art. 459 Abs. 1 ZGB)
4. Mit dem Stamm der Grosseltern hört die Erbberechtigung der Verwandten
auf (Art. 460 Abs. 1 ZGB)

Ehepartner und eingetragene Partner erben immer. Wie viel, hängt von der Si-
tuation ab:
Es gibt Nachkommen
► Ehepartner/eingetragener Partner erhält die Hälfte der Erbschaft (Art. 462,
Abs. 1 ZGB)
Es gibt keine Nachkommen. Es muss aber mit dem Stamm der Eltern des Erblas-
sers geteilt werden
► Ehepartner/eingetragener Partner erhält ¾ der Erbschaft (Art. 462, Abs. 2
ZGB)
Es gibt keine Nachkommen und es lebt auch niemand mehr vom Stamm der
Eltern des Erblassers
► Ehepartner/eingetragener Partner erhält die ganze Erbschaft (Art. 462, Abs.
3 ZGB)

Ergänzung zu den Kindern


Adoptierte Kinder sind den leiblichen Kindern absolut gleich gestellt, während
Stiefkinder (Kinder, welche ein Ehegatte in eine neue Ehe mitbringt) nur gegen-
über dem leiblichen Elternteil erbberechtigt sind. Aussereheliche Kinder sind
der Mutter gegenüber immer voll erbberechtigt, dem ausserehelichen Vater
gegenüber aber nur, wenn dieser das Kind anerkannt hat.

Weitere "Grundregeln"
- Wer auf der gleichen "Ebene" ist, erbt gleich viel.
Beispiel: Drei Kinder, denen eine Erbschaft von CHF 30'000.00 zusteht: Jedes
Kind erbt CHF 10'000.00.

- Ist eine erbberechtigte Person vorverstorben, erben seine Nachkommen.


Beispiel: Der Erblasser hat zwei Kinder (Jean und Janine). Jean (er ist bereits
früher gestorben) hat zwei Töchter. In diesem Fall erben Jeans Töchter den
Anteil, den Jean erhalten hätte.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 135


Beispiel
Der Erblasser hinterlässt folgende gesetzlichen Erben:
- Vater
- Mutter (ist vorverstorben)
- Bruder (ist vorverstorben)
- Der vorverstorbene Bruder hat einen Sohn (Neffe des Erblassers)
- Ehefrau

Mutter Vater

Bruder Erblasser Ehefrau

Der Erblasser hinterlässt ein Vermögen von CHF 200'000.00 und Schulden von
CHF 20'000.00.

a) Wie hoch ist der Nachlass?


CHF 200'000 - CHF 20'000 = CHF 180'000

b) Wie viel erhält jeder Erbe (in Bruchteilen und in Franken)?


Ehefrau: ¾ CHF 135'000 (¾, da keine Nachkommen)
Vater: 1/8 CHF 22'500
Bruder: 1/8 CHF 22'500 (er erhält den Anteil, den die vorverstorbe-
ne Mutter erhalten hätte)

Wie rechnet man mit Brüchen?


Wie rechnet man zum Beispiel den Achtel aus, den der Vater und der Sohn
bekommen? Nachdem die Ehefrau ¾ erhalten hat, bleibt noch ¼ übrig. Dieser
Viertel muss nun durch 2 geteilt werden: ¼ : 2
➔ Ausrechnung: Sie multiplizieren das, was unter dem Bruchstrich steht (also
die Vier) mit der Zwei. Das müssen Sie so akzeptieren, weil es die mathema-
tische Regel für das Dividieren von Brüchen ist....: ¼ : 2 = 1/8.

Machen wir noch ein Beispiel: Es sind noch ¾ eines Nachlasses auf fünf Erben
zu verteilen: ¾ : 5.
➔ Ausrechnung: Die Vier unter dem Bruchstrich mit der Fünf multiplizieren:
¾ : 5 = 3/20.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 136


Vielleicht möchte ein Erblasser einer Person oder einer Institution, die gemäss
Gesetz nicht erbberechtigt sind, Geld hinterlassen. In diesem Fall gibt es zwei
Möglichkeiten: Er schreibt ein Testament, oder er setzt einen Erbvertrag auf.
Einem Testament sagt man auch "letztwillige Verfügung", oder "Verfügung von
Todes wegen":

Die letztwillige Verfügung (Testament)

Es gibt drei Arten von Testamenten:

Öffentlich beurkundetes Testament Eigenhändiges Testament


(Art. 499 - 504 ZGB) (Art. 505 ZGB)
► Zwei Zeugen ► Vollständig handschriftlich
► Mitwirkung eines Notars ► Jahr, Monat und Tag müssen stehen
► Unterschriften von Erblasser, Urkunds- ► Unterschrift des Erblassers
person und Zeugen ➔ Formvorschrift „qualifizierte Schrift-
➔ Formvorschrift „öffentliche Beurkun- lichkeit". Warum? Wenn das Testa-
dung“ ment nur schriftlich sein müsste, wür-
de man von "einfacher Schrift-
lichkeit" sprechen. Da aber noch zu-
sätzliche Punkte beachtet werden
müssen (handschriftliich, Jahr, Mo-
nat, Tag) handelt es sich um eine
qualifizierte Schriftlichkeit.

Mündliche Erklärung (Nottestament)


(Art. 506 - 508 ZGB)
► Nur in ausserordentlichen Fällen möglich
(Bsp. bei Todesgefahr).
► Zwei Zeugen müssen den letzten Willen notie-
ren, unterschreiben und bei einer Gerichtsbe-
hörde deponieren.

Testamente sind einseitige Rechtsgeschäfte: Der Wille einer Person genügt.


Der Erblasser muss also mit keiner anderen Person etwas aushandeln; er kann
sein Testament auch jederzeit abändern, ohne das Einverständnis von anderen
Personen einzuholen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 137


Der Pflichtteil (Art. 470 und 471 ZGB)
Ist ein Erblasser völlig frei, was er mit seinem Nachlass machen kann, wenn er
ein Testament schreibt? Nein; er muss den Pflichtteil beachten:
Art. 470 ZGB:
1 Wer Nachkommen, Eltern, den Ehegatten, eine eingetragene Partnerin oder einen einge-

tragenen Partner hinterlässt, kann bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes
wegen verfügen.
2 Wer keine der genannten Erben hinterlässt, kann über sein ganzes Vermögen von Todes

wegen verfügen.
Der Pflichtteil ist der Teil eines Erbes, den bestimmte Erbberechtigte (Nachkom-
men, Eltern, Ehegatte, eingetragene Partner) auf jeden Fall erhalten. Folgende
Bestimmung in einem Testament: "Mein Sohn bekommt gar nichts", könnte also
erfolgreich angefochten werden. Beachten Sie, dass Geschwister nicht
pflichtteilsgeschützt sind.

Wie hoch ist der Pflichtteil?


Art. 471 ZGB:
Der Pflichtteil beträgt:
1. für einen Nachkommen drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruches;
2. für jedes der Eltern die Hälfte;
3. für den überlebenden Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen
Partner die Hälfte.
Der Teil des Nachlasses, über den der Erblasser frei verfügen kann, wird als freie
Quote bezeichnet. Diesen Geldbetrag kann der Erblasser also jemandem
geben, der nicht erbberechtigt wäre: Der Schwiegertochter, dem WWF, wem
auch immer.
Wenn Sie den Artikel genau lesen, sehen Sie, dass Sie bei der Berechnung des
Pflichtteils zwei Rechnungen machen müssen:
1. Berechnung des gesetzlichen Erbanspruchs
2. Vom gesetzlichen Erbanspruch jetzt den Pflichtteil ausrechnen.

Beispiel
Der Nachlass von Erika Ruhsanft beträgt CHF 50'000.00. Sie setzt ihren Sohn Max
auf den Pflichtteil. Wie viele Franken erbt er und wie hoch ist die freie Quote?
Max ist der einzige gesetzliche Erbe. Die freie Quote will Erika dem Kak-
teenverein Stacheli vermachen.
► Gesetzlicher Erbanspruch von Max 100% (einziger gesetzlicher Erbe):
CHF 50'000.00
► Pflichtteil von Max: ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs: CHF 37'500.00 (diesen
Betrag bekommt Max).
► Freie Quote: CHF 50'000.00 - CHF 37'500.00 = CHF 12'500.00 (diesen Betrag
erhält der Kakteenverein).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 138


Ungültigkeits- und Herabsetzungsklage

a) Ungültigkeitsklage (Art. 519 - 521 ZGB)


Unter gewissen Bedingungen kann eine letztwillige Verfügung (ein Testament)
mit einer Ungültigkeitsklage angefochten werden. Das kann zum Beispiel ein
Erbe in Betracht ziehen, der auf den Pflichtteil gesetzt wurde und damit nicht
einverstanden ist.
Zwei Voraussetzungen für eine Ungültigkeitsklage (es gäbe noch mehr):
- Der Erblasser war nicht mehr urteilsfähig als er das Testament schrieb.
- Das Testament weist einen Formmangel auf. Es ist vielleicht nicht von A bis Z
von Hand geschrieben worden.

b) Herabsetzungsklage (Art. 522 - 533 ZGB)


Wenn ein Pflichtteilsberechtigter (Ehegatte, eingetragener Partner, Nachkom-
me oder Eltern) feststellt, dass er einen Anteil am Nachlass erhält, der kleiner ist
als sein Pflichtteil, kann er mit einer Herabsetzungsklage verlangen, dass der
Anteil der anderen Erben so weit herabgesetzt wird, dass er doch noch auf
seinen Pflichtteil kommt. Wenn ein Erblasser ein eigenhändiges Testament,
ohne Mithilfe einer Fachperson aufstellt, kann es leicht passieren, dass er einen
Berechnungsfehler macht.

Der Erbvertrag (Art. 512 - 516 ZGB)


Im Gegensatz zum Testament, welches ein einseitiges Rechtsgeschäft ist, ist der
Erbvertrag eine Vereinbarung zwischen dem Erblasser und einem oder
mehreren Vertragsparteien unter Mitwirkung von zwei unabhängigen Zeugen.
Beim Erbvertrag handelt es sich also um ein mehrseitiges Rechtsgeschäft. Der
Erbvertrag muss öffentlich beurkundet, d. h., vor dem Notar und in Gegenwart
von zwei Zeugen unterzeichnet werden. Der Erbvertrag gibt die Möglichkeit,
den Nachlass unter Mitwirkung aller Betroffenen, nach den individuellen Be-
dürfnissen der Vertragsparteien, das heisst unabhängig von den gesetzlichen
Vorschriften (zum Beispiel den Pflichtteilen) zu regeln. Man kann mit einem
Erbvertrag also das "Gesetz aushebeln". Ein Erbvertrag kann aber nur abge-
schlossen werden, wenn alle Beteiligten einverstanden sind!

Beispiele für Erbverträge


► Die Eltern wollen sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Die Nachkom-
men verzichten im Erbvertrag auf ihre Pflichtteilsansprüche.
► Ein Kind, welches sich stark um der Erblasser gekümmert hat, soll den ganzen
Nachlass erhalten. Das zweite Kind, welches finanziell sehr gut dasteht,
verzichtet auf seinen Pflichtteil.

Im Gegensatz zum Testament kann ein Erbvertrag ohne Einverständnis aller


Vertragsschliessenden nicht abgeändert oder annulliert werden - es handelt
sich beim Erbvertrag eben um ein mehrseitiges Rechtsgeschäft.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 139


Ein Erbvertrag gilt nicht als letztwillige Verfügung; dieser Ausdruck bezeichnet
nur die Testamente. Warum ich dieses Detail erwähne? Weil mir gerade in den
Sinn gekommen ist, dass dies mal eine Frage am QV war...

Verbindung Ehe- und Erbrecht


Wenn ein Partner stirbt, gibt es zwei Vermögensaufteilungen:
1. Aufteilung des ehelichen Vermögens gemäss Güterstand
2. Anteil des Verstorbenen (= Nachlass), wird verteilt auf die Erben
Der überlebende Partner erhält also zweimal etwas.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 140


Wichtige Gesetzesartikel
Verteilung der Erbschaft nach Gesetz
ZGB 457 - ZGB 460 und ZGB 462
Das Testament
ZGB 498 Aufzählung der Arten von letztwilligen Verfügungen
ZGB 499 - 504 Öffentliches Testament
ZGB 505 Eigenhändiges Testament
ZGB 506 - 508 Mündliches Testament (Nottestament)
Der Pflichtteil
ZGB 470 und ZGB 471
Der Erbvertrag
ZGB 512 - 516
Ungültigkeitsklage
ZGB 519 - 521
Herabsetzungsklage
ZGB 522 - 533

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 141


Aufgaben Erbrecht

Der Drill Sergeant sagt: "Chuck Norris schläft nie im Dunkeln.


Nicht weil Chuck Norris Angst im Dunkeln hat, sondern weil das
Dunkle Angst vor Chuck Norris hat. Und nun wird geübt!"

Erbverteilung
Die Abbildung unten zeigt einen Erblasser, der eine Ehefrau, eine Tochter, eine
Schwiegertochter, zwei Enkel, einen Bruder und seine Mutter hinterlässt. Sein
Vater und sein Sohn sind bereits verstorben. Wer ist mit welchem Anteil erbbe-
rechtigt?

Mutter Vater
0 0
_________________________________ ____________________________________

Bruder Erblasser Ehefrau


0 ½ (Art. 462 Ziff. 1 ZGB)
_____________________________________________________
___________________________________

Schwiegertochter Sohn Tochter


0
_______________________________
(¼) geht an die Enkel
___________________________________________________________________
¼ (Art. 457 Ziff. 2 ZGB)
____________________________________________________________

Enkelin Enkel
1/8 (Art. 457 Ziff. 2 ZGB) 1/8 (Art. 457 Ziff. 2 ZGB)
______________________________________________________ _________________________________________________________________

Wie hoch wäre der Anteil der Ehefrau und der Enkel, wenn die Tochter auch
schon verstorben wäre?
Ehefrau: ½
_______________

Enkel und Enkelin: Je ¼


_______________

Wie würde die Erbverteilung aussehen, wenn der Erblasser keine Nachkommen
hätte?
Ehefrau ¾; Mutter 1/8; der Achtel des Vaters ginge an den Bruder
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 142


Letztwillige Verfügung und Erbvertrag
Anton Friedruh schreibt von Hand das folgende eigenhändige Testament:
Zürich,4. Mai
Ich, Anton Freidruh, setze meinen einzigen Sohn und gesetzlichen Erben Alfred auf den Pflichtteil.
Die freie Quote soll dem WWF zukommen.
a) Welche(n) Formfehler weist das Testament auf? Damit es kein Missverständ-
nis gibt - das Testament wurde von Hand geschrieben.
Das Jahr und die Unterschrift fehlen.
___________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

b)Alfred der Sohn von Anton ist nicht damit einverstanden, dass er auf den
Pflichtteil gesetzt wurde. Was kann er in diesem Fall machen?
Ungültigkeitsklage einreichen, wegen der Formfehler.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________

Stefan Wiederkehr hat zwei Töchter - Ruth und Claudia. Er möchte Ruth seine
Ferienwohnung in Flims vererben, ohne dass Ruth ihre Schwester Claudia ent-
schädigen muss, weil sie nicht genügend Geld hat. Das ist gemäss Gesetz nicht
möglich. Gibt es für Stefan Wiederkehr trotzdem eine Möglichkeit, diese Idee
zu realisieren?
Er kann mit seinen Töchtern einen Erbvertrag abschliessen.
__________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________

Pflichtteil
Roman Erbli ist geschieden und hat einen Sohn als einzigen gesetzlichen Erben.
Roman Erbli hinterlässt CHF 300'000.00. Da Roman so viel Geld als möglich sei-
nem Kegelclub hinterlassen möchte, schreibt er ein Testament: "… meinen
lieben Sohn setze ich auf den Pflichtteil".

a) Wie viel Geld erhalten der Sohn und der Kegelclub?


► Gesetzlicher Erbanspruch des Sohns: Ganzes Erbe: CHF 300'000.00
____________________________________________________________________________________________________ ______

► Pflichtteil des Sohns: ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs: CHF 225'000.00


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________

► Freie Quote: CHF 300'000.00 - CHF 225'000.00 = CHF 75'000.00


_____________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________

► Kegelclub erhält: CHF 75'000.00


_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________

b) Sind die folgenden gesetzlichen Erben pflichtteilsgeschützt?


Erbe ja nein
Mutter X
Enkel X
Bruder X

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 143


13. Gesellschaftsrecht
Folgende drei Rechtsformen gehören zum Lehrplan: Einzelunternehmung, Ge-
sellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und Aktiengesellschaft (AG). Ak-
tiengesellschaften und die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zählen zu
den Kapitalgesellschaften.

Definition Kapitalgesellschaft
► Im Zentrum steht das eingebrachte Kapital und weniger die Kapitalgeberin
bzw. der Kapitalgeber als Person. Es wird also beispielsweise nicht erwartet,
dass die Kapitalgeber aktiv in der Unternehmung mitarbeiten.
► Sie sind juristische Personen, die erst durch Eintragung in das Handelsregister
ihre Rechtsfähigkeit erlangen (dem sagt man konstitutive Wirkung des
Handelsregistereintrags). Der HR-Eintrag ist sozusagen der Geburtsschein der
Unternehmung. Eine juristische Person wird im Recht wie ein Mensch be-
handelt: Sie kann beispielsweise angeklagt werden und muss Steuern be-
zahlen.

Vergleich der einzelnen Rechtsformen


Wie viele Personen werden für die Gründung benötigt?
Einzelunternehmung
Eine natürliche Person. Angestellte darf eine Einzelunternehmung aber haben,
so viele wie sie will.

Aktiengesellschaft
Im Minimum eine Person; Art. 625 OR. Bei der Person kann es sich um eine na-
türliche Person (also ein Mensch), oder um eine juristische Person handeln. Eine
Aktiengesellschaft darf also eine Aktiengesellschaft gründen ☺.

GmbH
Gleiche Regelung wie bei der Aktiengesellschaft; Art. 772 OR.

Der Gründungsablauf
Einzelunternehmung
Es gibt keine Vorschriften. Die Einzelunternehmung startet mit der Aufnahme
der Geschäftstätigkeit. Ab einem Jahresumsatz von CHF 100'000 muss sie sich
aber ins Handelsregister eingetragen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 144


Aktiengesellschaft
1. Statuten erstellen
Was in den Statuten steht, sehen Sie vor allem in Art. 626 OR.
2. Organe bestimmen
Wer soll Verwaltungsrat und Revisionsstelle sein?
3. Aktien zeichnen und einzahlen ("liberieren")
"Aktien zeichnen": Die Gründer bestätigen, dass sie die Aktien kaufen wer-
den. Wenn die Aktionäre dann den Wert der Aktien einzahlen, spricht man
von "Liberierung".
4. Öffentliche Beurkundung
Ein Notar bestätigt, dass alles in Ordnung ist.
5. Eintrag ins HR
Erst mit dem Eintrag ins HR beginnt juristisch gesehen die Existenz der Unter-
nehmung. Fachausdruck dafür: konstitutive Wirkung des HR-Eintrags. Man
kann also sagen, dass der HR-Eintrag die Geburtsurkunde der AG ist.

GmbH
Der Gründungsablauf ist im Prinzip der Gleiche wie bei der Aktiengesellschaft.
Einige Begriffe lauten einfach anders:
Bei der GmbH lautet das geschäftsführende Organ Geschäftsführung und nicht
Verwaltungsrat. Bei der GmbH gibt es kein Aktienkapital und keine Aktien, dafür
ein Stammkapital, welches sich aus den einzelnen Stammanteilen der Teilhaber
zusammensetzt.

Wie hoch ist das Mindestkapital? Wie heissen die Anteile der Inhaber?

Einzelunternehmung
Es gibt keine Vorschriften über das Mindestkapital.

Aktiengesellschaft
Das Aktienkapital muss im Minimum CHF 100'000.00 betragen. Es müssen aber
nicht zwingend die ganzen CHF 100'000.00 einbezahlt werden! Es gilt nämlich
Art. 632 OR über die Minimaleinzahlung:
Im Minimum müssen 20% des Aktienkapitals einbezahlt werden, wobei der
einbezahlte Betrag aber nicht unter CHF 50'000.00 liegen darf.
Beispiel
Aktienkapital CHF 100‘000.00; Einzahlung 20% = CHF 20‘000.00 ➔ ist nicht ok. In
diesem Fall müssen CHF 50'000.00 einbezahlt werden.

Das Aktienkapital wird in einzelne Aktien aufgeteilt, deren Nennwert minimal


ein Rappen betragen muss. Der Nennwert hat aber nichts mit dem Wert der
Aktie zu tun! Der Nennwert wird gebraucht, um das Aktienkapital zu berech-
nen: Anzahl Aktien x Nennwert = Aktienkapital.
Ebenfalls wird der Nennwert verwendet, um die Dividende, die den Aktionären
ausbezahlt wird, zu berechnen. Mehr dazu im Rechnungswesen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 145


Es gibt zwei Aktienarten:

Inhaberaktien
Die Unternehmung kennt ihre Aktionäre nicht. Inhaberaktien werden ohne Wis-
sen der Aktiengesellschaft gekauft und verkauft.

Namenaktien
Die Aktionäre werden in das Aktienbuch, man sagt auch Aktienregister, der
Unternehmung eingetragen. Bei jedem Verkauf gibt es eine Meldung an die
Aktiengesellschaft. Diese kennt deshalb ihre Aktionäre. In die Statuten können
Verkaufsbeschränkungen eingetragen werden (Bsp. "Niemand darf mehr als
5% des Aktienkapitals besitzen"). Man spricht dann von vinkulierten Namenak-
tien. Bei vinkulierten Namenaktien kann der Verwaltungsrat die Übertragung
von Namenaktien verweigern. Der Käufer wird dann nicht ins Aktienregister
eingetragen werden. Dies hat zur Folge, dass der Käufer mit diesen Aktien an
der Generalversammlung nicht abstimmen kann. Sie sehen also, den Kauf der
Aktien kann niemand verhindern, der entscheidende Punkt bei vinkulierten
Namenaktien ist der verweigerte Eintrag ins Aktienregister. Weshalb kann es für
eine Aktiengesellschaft attraktiv sein, eine Vinkulierung einzuführen? Die Un-
ternehmung will sich zum Beispiel vor einer "unfreundlichen Übernahme"
schützen. Denn es ist ja so, je mehr Aktien ein Aktionär hat, desto höher ist seine
Stimmkraft an der Generalversammlung. Besitzt ein Aktionär mehr als die Hälfte
des Aktienkapitals, gehört die Aktiengesellschaft faktisch ihm.

GmbH
Das Stammkapital muss im Minimum CHF 20'000.00 betragen. Es wird aufgeteilt
in einzelne Stammanteile, deren Nennwert minimal CHF 100.00 betragen muss.

Wer übernimmt die Geschäftsführung und die Vertretung?


Was bedeuten Geschäftsführung und Vertretung?
► Geschäftsführung: Interne Leitung der Gesellschaft.
► Vertretung: Handeln für die Gesellschaft nach aussen, z. B. das Recht ha-
ben, mit einem Lieferanten einen Vertrag abzuschliessen.

Einzelunternehmung
Der Eigentümer hat die Geschäftsführung und die Vertretung. Er kann aber
beides an Angestellte delegieren, indem er ihnen die Prokura, oder die Hand-
lungsbevollmächtigung erteilt (mehr dazu gleich).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 146


Aktiengesellschaft
Der Verwaltungsrat hat die Geschäftsführung und die Vertretung. Er kann aber
beides an Angestellte delegieren, indem er ihnen die Prokura, oder die Hand-
lungsbevollmächtigung erteilt (mehr dazu gleich).

GmbH
Die Gesellschafter haben die Geschäftsführung und die Vertretung. Sie können
aber beides an Angestellte delegieren, indem sie ihnen die Prokura, oder die
Handlungsbevollmächtigung erteilen.

Was bedeuten nun "Prokura" und "Handlungsvollmacht"?


Prokura: Art. 458f ff. OR
Ein Prokurist kann alle Handlungen vornehmen, die das Geschäft mit sich bringt.
Das umfasst auch nicht alltägliche Geschäfte, wie das Führen eines Ge-
richtsprozesses. Der Prokurist unterschreibt mit dem Zusatz "p.p" oder "ppa": "per
Procura". Ausnahme: Für den Verkauf von Grundstücken oder die Aufnahme
eines Hypothekarkredites braucht es eine ausdrückliche Erlaubnis. Die
Prokuristen werden ins Handelsregister eingetragen.

Handlungsvollmacht: Art. 462 OR


Der Handlungsbevollmächtigte ist nur dazu berechtigt Geschäfte abzuschlies-
sen, die das Geschäft gewöhnlich mit sich bringt. Er kann nur alltägliche Hand-
lungen vornehmen. Der Umfang der Vollmacht ist also kleiner als bei der
Prokura. Der Handlungsbevollmächtigte unterschreibt im dem Zusatz “i.V.” ("in
Vertretung") und wird nicht im Handelsregister eingetragen.

Es ist möglich, die Vertretungsbefugnisse einzuschränken: Zum Beispiel durch


eine Kollektivunterschrift (es darf nicht allein unterschrieben werden), oder
durch eine Beschränkung der Vollmacht auf eine bestimmte Geldsumme (zum
Beispiel bis CHF 10'000.00).

Wie wird die Firma (der Name) gebildet?


Einzelunternehmung
Der Familienname muss in der Firma enthalten sein: Blumenhaus Meier …..

Aktiengesellschaft
Zusatz "AG" muss stehen: Blumenhaus Meier AG, Blumenhaus AG …..

GmbH
Zusatz "GmbH" muss stehen: Blumenhaus Meier GmbH, Blumenhaus GmbH …..

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 147


Firmenschutz: Können Unternehmung den gleichen Namen haben?

Einzelunternehmung
Firmenschutz gilt nur am Ort der Eintragung ins Handelsregister.

Aktiengesellschaft und GmbH


Firmenschutz gilt in der ganzen Schweiz.

Wenn Sie nun Müller heissen, eine AG gründen und Ihren Namen in der Firma
haben wollen, hängen Sie einfach noch etwas an. Hier zwei Beispiele aus dem
Handelsregister: Müller AG Immo und Müller AG Verpackungen.

Wie ist die Haftung geregelt?


Nehmen wir an, das ganze Vermögen einer Unternehmung beträgt CHF
80'000.00, das Fremdkapital CHF 100'000.00. Sie sehen das Problem? Das Ver-
mögen reicht nicht mehr aus, um alle Schulden zurückzubezahlen. Was ist nun
mit den fehlenden CHF 20'000.00? Je nach Rechtsform sieht das nun anders
aus.

Einzelunternehmung
Zuerst haftet das Geschäftsvermögen. Reicht dieses nicht aus, können die
Gläubiger den Inhaber auf sein Privatvermögen betreiben. Diese unbeschränk-
te Haftung ist der grosse Nachteil der Rechtsform Einzelunternehmung.

Aktiengesellschaft und GmbH


Nur das Geschäftsvermögen haftet. Reicht dieses nicht aus, gehen die Gläu-
biger für den Restbetrag leer aus.
Achtung beliebte Frage am QV: "Kreuzen Sie an, was bei einer Aktiengesell-
schaft haftet: a) Das Aktienkapital, oder b) das Geschäftsvermögen?"
Antwort: Das Geschäftsvermögen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 148


Steuern
Einzelunternehmung
Der Inhaber muss den Gewinn und das Geschäftsvermögen seiner Unterneh-
mung in seiner privaten Steuererklärung deklarieren.
➔ Die Einzelunternehmung zahlt also keine Steuern.

Aktiengesellschaft und GmbH


AG/GmbH sind juristische Personen und damit steuerpflichtig. Es kommt zu
einer Doppelbesteuerung:
Doppelbesteuerung des Gewinns
1. Die Unternehmung versteuert den Reingewinn (Gewinnsteuer).
2. Die Eigentümer versteuern den Gewinnanteil, den sie erhalten, als Einkom-
menssteuer.
➔ Der Reingewinn ist zweimal besteuert worden.

Doppelbesteuerung des Eigenkapitals


1. Die Unternehmung versteuert das Aktien-, bzw. das Stammkapital (Kapital-
steuer).
2. Die Eigentümer versteuern den Wert ihrer Aktien bzw. ihrer Stammanteile
(Vermögenssteuer).
➔ Das Eigenkapital ist zweimal besteuert worden.

Vorgeschriebene Organe und ihre Hauptaufgaben


Einzelunternehmung
Es gibt keine Organe.

Die Aktiengesellschaft und die GmbH sind juristische Personen. Wie ein
Mensch, braucht auch eine juristische Person Organe, welche bestimmte
Funktionen übernehmen. Nur heissen die halt anders als Herz, Lunge, Augen,
etc. Wie heissen die nun bei der AG und bei der GmbH?

Aktiengesellschaft
Generalversammlung
Sie ist das oberste Organ einer Aktiengesellschaft und wird von den Aktionären
gebildet. Ihre Hauptaufgaben sind (Art. 698 OR):
- Wahl von Verwaltungsrat und Revisionsstelle.
- Genehmigung von Jahresbericht und Jahresrechnung (Bilanz und Erfolgs-
rechnung).
- Entscheid über Statutenänderungen (z.B. Erhöhung Aktienkapital, Einführung
von vinkulierten Namenaktien, Änderung des Gesellschaftszwecks).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 149


Verwaltungsrat
Der Verwaltungsrat übernimmt die Geschäftsführung und die Vertretung. Er
bildet also das Management. Gerade in grösseren Aktiengesellschaften wer-
den die Geschäftsführung und die Vertretung aber häufig an Prokuristen und
Handlungsbevollmächtigte delegiert. Der Verwaltungsrat übt dann nur noch
die Oberaufsicht aus.

Revisionsstelle
Eine Revisionsstelle ist vorgeschrieben, wenn die Unternehmung im Jahres-
durchschnitt mehr als 10 Vollzeitstellen hat. Die Hauptaufgabe der Revisions-
stelle ist die Überprüfung der Jahresrechnung (Art. 728a OR).
Je nach Grösse der Unternehmung gibt es eine ordentliche, oder eine einge-
schränkte Revision. Diese unterscheiden sich im Umfang und Detaillierungs-
grad. Wenn Sie an Details interessiert sind: Art. 727 und 727a OR.
Mitglieder der Revisionsstelle dürfen keine Angestellten der Aktiengesellschaft
sein. Ist ja logisch, sonst würde sich die Unternehmung selber kontrollieren.

GmbH
Gesellschafterversammlung
Sie ist das oberste Organ der GmbH und besteht aus den Teilhabern der Unter-
nehmung. Sie entspricht der Generalversammlung bei der AG. Es gelten die
weitgehend gleichen Regelungen wie bei der AG (nur bei den Ge-
setzesartikeln müssen Sie natürlich bei der GmbH schauen).

Geschäftsführung
Die Geschäftsführung entspricht dem Verwaltungsrat bei der AG. Grundsätz-
lich stehen allen Teilhabern der GmbH die Geschäftsführung und Vertretung
gemeinsam zu. Es gelten weitgehend die gleichen Regelungen wie bei der AG
(nur bei den Gesetzesartikeln müssen Sie natürlich bei der GmbH schauen).

Revisionsstelle
Es gelten die gleichen Regelungen wie bei der AG.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 150


Nachfolgeregelung
Einzelunternehmung
Bei der Einzelunternehmung bilden der Eigentümer und die Unternehmung eine
Einheit. Übergibt ein Inhaber seine Unternehmung einem Nachfolger (das
bedeutet der Übertrag aller Aktiven und Passiven) wird die alte Unternehmung
im Handelsregister gelöscht und der neue Inhaber muss die Einzel-
unternehmung wieder gründen und sie im Handelsregister eintragen lassen.

Aktiengesellschaft und GmbH


Da sowohl die Aktiengesellschaft als auch die GmbH juristische Personen sind,
endet ihre Existenz bei einem Eigentümerwechsel nicht. Grundsätzlich findet ein
Eigentümerwechsel problemlos statt, indem die Aktien (bei der AG), bzw. die
Stammanteile (bei der GmbH) verkauft werden. Bei börsenkotierten Aktienge-
sellschaften ist ein Verkauf problemlos möglich.
Da die GmbH stärker personenbezogen ist als die Aktiengesellschaft, muss der
Verkauf von Stammanteilen an eine andere Person aber grundsätzlich von der
Mehrheit der anderen Gesellschafter bewilligt werden (Art. 786 OR).

Stimmrecht und Beschlussfassung


Einzelunternehmung
Der Einzelunternehmer entscheidet allein, weil es bei dieser Rechtsform nur
einen Inhaber gibt.

Aktiengesellschaft
Art. 692 OR
Das Stimmrecht der Aktionäre bemisst sich nach dem Nennwert ihrer Aktien.
Beispiel
Das Aktienkapital der Beschluss AG besteht aus 100'000 Aktien mit einem
Nennwert von je CHF 1.00. Aktionär A besitzt 40 dieser Aktien (totaler Nennwert
also CHF 40.00). Aktionär B besitzt 80 dieser Aktien (totaler Nennwert also CHF
80.00). ➔ B hat ein doppelt so grosses Stimmrecht wie A.

Art. 693 OR
Die Statuten können das Stimmrecht aber so regeln, dass, unabhängig vom
Nennwert, auf jede Aktie eine Stimme entfällt. In diesen Fällen gibt es neben
den "normalen" Aktien noch solche mit einem tieferen Nennwert (Stimm-
rechtsaktien). Diese sind meistens im Besitz einer Gruppe von Aktionären; z.B.
den ursprünglichen Gründern der Aktiengesellschaft, welche die Kontrolle be-
halten wollen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 151


Beispiel:
Das Aktienkapital der Lollipop AG setzt sich wie folgt zusammen:
50'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von je CHF 10.00
➔ Total CHF 500'000.00
60'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 1.00
➔ Total CHF 60'000.00
Wenn nun gilt: "Pro Aktie eine Stimme, unabhängig vom Nennwert", können die
Namenaktionäre die Inhaberaktionäre überstimmen, obwohl sie finanziell
weniger stark engagiert sind.

Art. 703 OR
Die Generalversammlung fasst ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen mit der
absoluten Mehrheit der vertretenen (= anwesenden) Aktienstimmen, soweit
das Gesetz oder die Statuten es nicht anders bestimmen.
Beispiel:
Die Pingpong AG hat ein Aktienkapital, welches sich aus 80'000 Inhaberaktien
mit einem Nennwert von je CHF 100.00 zusammensetzt. An der Generalver-
sammlung nehmen Aktionäre teil, die total 45'000 Inhaberaktien besitzen (dies
sind die anwesenden Aktienstimmen). Beim Traktandum "Wahl der Verwal-
tungsrätin Petra Meier" ergibt sich folgendes Resultat:
22'400 "Ja"; 22'100 "Nein" und 500 "Enthaltungen" (diese Aktionäre haben nicht
abgestimmt). Wurde Petra Meier gewählt? Nein. Das absolute Mehr an
Stimmen wäre 45'000 : 2 + 1 = 22'501. Die "Enthaltungen" werden gemäss Gesetz
als "Nein-Stimmen" gezählt.

Bei ganz wichtigen Beschlüssen, reicht das absolute Mehr der anwesenden
Aktienstimmen aber nicht aus. Geregelt sind diese Ausnahmen in Art. 704 OR.
Beispiele: Änderung des Gesellschaftszweckes, Einführung von vinkulierten
Namenaktien. Hier müssten zwei Drittel der vertretenen Stimmen und die abso-
lute Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte zustimmen.
Beispiel:
Die Plemplem AG will keine Maschinenfabrik mehr sein, sondern auf die Ver-
waltung von Immobilien umsteigen. Da es sich hier um eine Änderung des Ge-
sellschaftszweckes handelt, gilt Art. 704 OR. Nehmen wir an, die Plemplem AG
hat
- 85'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 1.00.
- 25'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von je CHF 10.00

An der Generalversammlung sind folgende Aktien vertreten:


► 40'000 Namen- und 10'000 Inhaberaktien: Anwesende Aktienstimmen also
50'000.
► Diese an der Generalversammlung vertretenen Aktien entsprechen einem
anwesenden Aktiennennwert von CHF 140'000.00 (40'000 Namenaktien à je
CHF 1.00 plus 10'000 Inhaberaktien à je CHF 10.00).

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 152


Die Abstimmung über die Änderung des Gesellschaftszwecks ergibt folgendes
Resultat:
- 35'000 Namenaktien und 2'000 Inhaberaktien sagen "ja"
- 5'000 Namenaktien und 8'000 Inhaberaktien sagen "nein".

Werten wir das Resultat aus:


► "Ja" gesagt haben total 47'000 der anwesenden Aktien; das sind mehr als
zwei Drittel der anwesenden Aktien (total Aktien = 50'000; zwei Drittel sind
also 33'334).
► "Ja" gesagt haben total CHF 55'000.00 Aktiennennwerte (35'000 Namenak-
tien à CHF 1.00 plus 2'000 Inhaberaktien à CHF 10.00). Da das Total aller
anwesenden Aktiennennwerte CHF 140'000.00 beträgt, ist die absolute
Mehrheit der Aktiennennwerte nicht erreicht worden.

Fazit: Die Änderung des Gesellschaftszwecks wurde abgelehnt. Ich glaube,


jetzt lassen wir es aber gut sein, nicht?

GmbH
Art. 806 OR
Das Stimmrecht der Gesellschafter bemisst sich nach dem Nennwert ihrer Stammanteile. Die
Statuten können das Stimmrecht aber unabhängig vom Nennwert so regeln, dass auf jeden
Stammanteil eine Stimme entfällt.
Art. 808 OR
Die Gesellschafterversammlung fasst ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen mit der abso-
luten Mehrheit der vertretenen (anwesenden) Stimmen, soweit das Gesetz oder die Statuten
es nicht anders bestimmen.
Die gesetzlichen Ausnahmebestimmungen sind geregelt in Art. 808b OR. Das Ganze
entspricht weitgehend der Regelung bei der Aktiengesellschaft.

Rechte und Pflichten der Eigentümer


Einzelunternehmung
Keine speziellen gesetzlichen Vorschriften.

Aktiengesellschaft
Die Aktionäre haben Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte.
Wichtigstes Vermögensrecht
- Recht auf Gewinnanteil (Dividende)
Wichtigste Mitgliedschaftsrechte
- Recht auf Teilnahme an der Generalversammlung
- Stimm- und Wahlrecht an der Generalversammlung
Aktionäre haben aber auch eine Pflicht: Sie müssen die Aktien einzahlen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 153


GmbH
Die Gesellschafter haben Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte.
Wichtigstes Vermögensrecht
- Recht auf Gewinnanteil (Dividende)
Wichtigste Mitgliedschaftsrechte
- Recht auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung
- Stimm- und Wahlrecht an der Gesellschafterversammlung
Die Gesellschafter haben aber auch eine Pflicht: Sie müssen ihre Stammanteile
einzahlen.

Vorteile, Nachteile und Eignung der Rechtsformen

Vorteile:
Einfache Gründung (wenige Vorschriften und tiefe Kosten).
Einfache Steuerbelastung des Inhabers (keine Doppelbe-
steuerung). Kein Mindestkapital vorgeschrieben.
Nachteile:
Einzelunter- Haftung mit dem Privatvermögen. Neues Eigenkapital kann
nehmung nur vom Einzelunternehmer kommen. Firmenschutz ist auf
den Ort begrenzt. Nachfolgeregelung ist schwierig.
Eignung:
Kleine Unternehmungen, die nicht stark wachsen und kein
grosses Risiko eingehen wollen (wegen der persönlichen
Haftung).
Vorteile:
Firmenschutz gilt schweizweit. Neues Eigenkapital kann
durch die Ausgabe neuer Stammanteile beschafft werden,
evtl. auch durch Aufnahme neuer Gesellschafter. Haftung
beschränkt sich auf das Geschäftsvermögen. Relativ einfa-
che Nachfolgeregelung. Tiefes Mindestkapital (Vorteil ge-
Gesellschaft genüber der Aktiengesellschaft).
mit beschränk- Nachteile:
ter Haftung Aufwändiges Gründungsverfahren. Mindestkapital (Nachteil
(GmbH) gegenüber der Einzelunternehmung). Doppelbesteuerung.
Mehr gesetzliche Vorschriften als bei der Einzelunterneh-
mung.
Eignung:
Vor allem für kleinere und mittlere Unternehmungen (KMU),
deren Teilhaber Wert auf "Persönliches" legen. Dank der
Beschränkung der Haftung und des tiefen Mindestkapitals ist
diese Rechtsform besonders attraktiv.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 154


Vorteile:
Firmenschutz gilt schweizweit. Einfache Nachfolgeregelung
(einfacher als bei der GmbH). Die Aktionäre werden (im Ge-
gensatz zu den Gesellschaftern bei der GmbH) nicht ins
Handelsregister eingetragen - sie können also anonym blei-
ben. Neues Eigenkapital kann durch die Ausgabe neuer Ak-
tien beschafft werden (dies ist bei der AG tendenziell einfa-
cher als bei der GmbH, weil bei der AG mehr Teilhaber vor-
Aktiengesell- gesehen sind). Haftung beschränkt sich auf das Geschäfts-
schaft (AG) vermögen.
Nachteile:
Aufwändiges Gründungsverfahren. Mindestkapital (viel hö-
her als bei der GmbH). Doppelbesteuerung. Viele gesetzli-
che Vorschriften.
Eignung:
Vor allem für grosse Unternehmungen, die einen hohen Ka-
pitalbedarf haben, bzw. für Unternehmungen, die planen, in
Zukunft stark zu wachsen und entsprechend viele Gesell-
schafter (Aktionäre) haben.

Selbstverständlich ist es keinem Unternehmer verboten, alleine eine Aktienge-


sellschaft zu gründen, auch wenn er nicht stark wachsen will. Der Gesetzgeber
hat einfach ein paar Vorstellungen darüber gehabt, für wen sich welche
Rechtsform am besten eignet.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 155


Das Handelsregister

Worüber gibt der Handelsregistereintrag Auskunft?

► Firma Anna Kuoni, klassische Massagenpraxis


► Rechtsform Einzelunternehmung
► Sitz Schmiedegasse 3, 8752 Näfels
► Zweck Führung und Betrieb einer Massagepraxis
► Geschäftsführung Anna Kuoni
► Bei Aktiengesellschaften und GmbHs kommen noch Angaben über das Ka-
pital hinzu.

Wer muss sich eintragen lassen?


Unternehmungen:
► Einzelunternehmungen ab Jahresumsatz von CHF 100‘000.00. Alle GmbHs
und Aktiengesellschaften.
Einzutragende Personen:
► Einzelunternehmung: Eigentümer, allfällige Direktoren (was Direktoren sind,
gehört nicht zum Stoffplan) und Prokuristen.
► GmbH: Die Gesellschafter, allfällige Direktoren (was Direktoren sind, gehört
nicht zum Stoffplan) und Prokuristen.
► Aktiengesellschaft: Verwaltungsräte, Direktoren (was Direktoren sind gehört
nicht zum Stoffplan), Prokuristen. Nicht aber die Aktionäre - die eigentlichen
Eigentümer bleiben also anonym. Arbeitet ein Aktionär in der Unternehmung
in der Funktion als Verwaltungsrat, Direktor oder Prokurist mit, dann muss er
sich selbstverständlich eintragen lassen.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 156


Welche Wirkungen hat der Eintrag ins Handelsregister?
► Firmenschutz
Je nach Rechtsform nur am Ort oder schweizweit.

► Betreibung auf Konkurs


Inhaber von Einzelunternehmungen werden sogar für ihre privaten Schulden
auf Konkurs betrieben.
Wichtige Ausnahme:
Unternehmungen, die dem Staat Geld schulden (Steuern, AHV, Bussen…)
werden aber auf Pfändung betrieben, weil GmbHs und AGs nach einer
Konkursbetreibung nicht mehr existieren - und das will der Staat nicht.

► Konstitutive Wirkung
Eine juristische Person (AG und GmbH) entsteht rechtlich gesehen erst mit
dem Eintrag ins HR; dieser Eintrag ist also sozusagen die Geburtsurkunde.

► Publizitätswirkung
Was im HR steht gilt als bekannt; es kann also niemand behaupten, er habe
etwas nicht gewusst.

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 157


Wichtige Gesetzesartikel
Aktiengesellschaft; OR 620 - 751
OR 620 Haftung
OR 621; OR 632 Minimalkapital (OR 621) und Mindesteinzahlung (OR 632)
OR 622 Aktienarten und Mindestnennwert einer Aktie
OR 625 Minimalzahl Gründungsmitglieder
OR 626 Zwingender Inhalt der Statuten
OR 629 - OR 635a Gründungsablauf
OR 640 Eintrag ins Handelsregister
OR 692 und 693 Stimmrecht an der Generalversammlung
OR 698 Befugnisse der Generalversammlung
OR 703 und 704 Beschlussfassung bei Abstimmungen
OR 707ff. Der Verwaltungsrat
OR 716; OR 718 Geschäftsführung und Vertretung
OR 727ff. Die Revisionsstelle
OR 950 Bildung der Firma (Vorschriften für den Namen)
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); OR 772 - 827
OR 772, Abs. 1 Minimalzahl Gründungsmitglieder und Haftung
OR 773 Minimalkapital
OR 776 Zwingender Inhalt der Statuten
OR 777; 777a, b, c Gründungsablauf
OR 778 Eintrag ins Handelsregister
OR 786 Nachfolgeregelung

OR 804; 806; 808; Gesellschafterversammlung (Aufgaben, Stimmrecht, Be-


808b. schlussfassung)
OR 809 ff; OR 814 Geschäftsführung und Vertretung
OR 818 Revisionsstelle
OR 950 Bildung der Firma (Vorschriften für den Namen)
Wirkungen eines Eintrags ins Handelsregister
OR 946 Firmenschutz bei der Einzelunternehmung
OR 951 Firmenschutz bei der GmbH und bei der AG
OR 957ff. Buchführungspflicht
Prokura und Handlungsvollmacht
OR 458 - 461 Prokura
OR 462 Handlungsvollmacht

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 158


Aufgaben Gesellschaftsrecht

Der Drill Sergeant fragt: "Was macht ein Wikinger auf dem Eis-
berg? Frieren. Und nun wird geübt!"

Firma und Firmenschutz


Money P. Müller will eine Vermögensberatungsunternehmung als Einzelunter-
nehmung gründen. Sie nennt ihre Unternehmung "Fidelius". Ist das erlaubt?
Begründen Sie Ihre Antwort.
Nein, Familienname muss in der Firma enthalten sein. (Art. 945 OR)
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Adalbert Berthold, Teilhaber der Olé GmbH in Zürich findet per Zufall heraus,
dass es in Solothurn ebenfalls eine Olé GmbH gibt, die zwei Jahre später
gegründet wurde. Berthold will, dass die Doppelgängerin in Solothurn ihre Firma
abändert. Wie sehen Sie Bertholds Chancen? Begründen Sie Ihre Antwort.
Gut, denn der Firmenschutz für AGs und GmbHs gilt schweizweit. (Art. 951 OR)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Organe
Nadine Hofstetter arbeitet als Gruppenleiterin in der Finanzabteilung der Merkur
AG. Die Geschäftsleitung der Merkur AG beschliesst, die Revisionsstelle aus-
zuwechseln und schlägt vor, Nadine Hofstetter zur Revisorin zu machen. Sie
kennt nämlich die Finanzen sehr gut und ist allgemein anerkannt und beliebt.
Ist die Wahl von Nadine Hofstetter gesetzlich in Ordnung?
Nein, die Revisionsstelle muss unabhängig sein (Art. 728 Abs. 1 und 2 OR)
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Welches ist das oberste Organ einer Aktiengesellschaft: Die Generalversam-


mlung oder der Verwaltungsrat?
Die Generalversammlung
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Der Verwaltungsrat entscheidet über die Höhe der auszuschüttenden Dividen-


den. Stimmt diese Aussage? Wenn nein, begründen Sie Ihre Antwort.
Die Aussage ist falsch. Die Generalversammlung entscheidet darüber.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

(Art. 698 OR)


___________________________________________________________________________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 159


Einzahlung Mindestkapital
Fünf Kollegen wollen eine Aktiengesellschaft gründen mit einem Aktienkapital
von CHF 100'000.00. Sie beschliessen, nur CHF 20'000.00 einzuzahlen. Sie sind der
Meinung, dass dies gemäss Artikel 632 OR erlaubt ist. Sind Sie einverstanden?
Bei den Aktien handelt es sich um Namenaktien.
Nein, gemäss Art. 632 OR dürfen zwar nur 20% des Nennwertes einbezahlt
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

werden, der Minimumbetrag liegt aber bei CHF 50'000.00.


_____________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Haftung
Sie lesen folgenden Ausschnitt in einer Zeitung: "Die Aktiengesellschaft hat
gegenüber der Einzelunternehmung den entscheidenden Vorteil, dass nur das
Aktienkapital haftet. Die Aktionäre müssen privat nicht für die Schulden der
Unternehmung einstehen." Finden Sie den (oder die) Fehler.
Nicht das Aktienkapital haftet, sondern das Geschäftsvermögen (Aktiven).
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Beschlussfassung bei der Aktiengesellschaft


An der Generalversammlung der Nepomuk AG steht eine Abstimmung über
die Wahl des Verwaltungsrates A. Siebart an. Das Aktienkapital der Nepomuk
AG besteht aus 45'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von CHF 10.00.
An der Generalversammlung sind total 28'480 Aktienstimmen vertreten. Wie
viele Aktienstimmen müssen im Minimum "ja" stimmen, damit A. Siebart gewählt
ist?
Art. 703 OR; absolute Mehrheit: 28'480 : 2 + 1 = 14'241 Aktienstimmen
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 160


Vor- und Nachteile einzelner Rechtsformen
Pipi Langstrumpf will eine Unternehmung gründen. Sie überlegt sich, ob sie eine
Einzelunternehmung, oder eine Aktiengesellschaft gründen soll. Nennen Sie je
zwei Vor- und Nachteile einer Aktiengesellschaft gegenüber einer Einzel-
unternehmung.
Vorteile:
Haftung, stärkeres Wachstum möglich, Firmenschutz schweizweit, einfachere.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Nachfolgeregelung.
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

Nachteile:
Höheres Mindestkapital, aufwendigeres Gründungsverfahren, Doppelbesteue-
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

rung.
____________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________

Vergleiche der Rechtsformen


Kreuzen Sie Rechtsform (oder die Rechtsformen) an, auf die die folgenden Aus-
sagen zutreffen. Es ist möglich, dass pro Zeile keine, eine, zwei, oder alle Aussa-
gen zutreffen.

Einzelunternehmung
Aktiengesellschaft
Bei dieser Rechtsform handelt es sich um eine juristische Person. X GmbH
X

Bei dieser Rechtsform ist nie eine Revisionsstelle vorgeschrieben. X

Bei dieser Rechtsform handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft. X X


Bei dieser Rechtsform hat der Handelsregistereintrag konstitutive
X X
Wirkung.
Die Haftung für Geschäftsschulden beschränkt sich auf das Ge-
X X
schäftsvermögen.
Anteile an der Gesellschaft sind an der Börse handelbar und kön-
X
nen deshalb einfach verkauft werden.
Bei dieser Rechtsform kommt es zu einer Doppelbesteuerung des
X X
Gewinns und des Kapitals.
Bei dieser Rechtsform sind Organe gesetzlich vorgeschrieben. X X

Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 161


Handelsregisterauszüge
Sie sehen einige Auszüge aus Handelsregistereinträgen. Beantworten Sie dazu
die Fragen.
a)
Aktienkapital (CHF) Liberierung (CHF) Aktien-Stückelung
100'000.00 50'000.00 100 Namenaktien zu CHF 1'000.00

a1) Das ganze Aktienkapital ist einbezahlt - stimmt das?


Nein, einbezahlt sind nur CHF 50'000.00 (Fachausdruck "liberiert")
_____________________________________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________________

a2) Die Aktiengesellschaft hat vinkulierte Namenaktien herausgegeben. Rich-


tig?
Nein, es steht nur "Namenaktien". Das heisst, sie sind nicht vinkuliert.
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__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

b)
Personalangaben Funktion Zeichnungsart
Favetto, Theo, von Lütisburg, in Solothurn Präsident des Ver- Einzelunterschrift
waltungsrates
Villani, Antonio, von Wald AR, in Neuen- Mitglied des Ver- Einzelunterschrift
kirch waltungsrates

Theo Favetto und Antonio Villani können für die AG nur Verträge abschliessen,
wenn sie gemeinsam unterschreiben. Korrekt?
Nein, sie haben die Einzelunterschrift.
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c)
Rechtsnatur Eintragung Statutendatum
Gesellschaft mit beschränkter Haftung 27.09.2000 19.09.2000

Die Statuten wurden am 27.09.2000 erstellt und am gleichen Tag ins Handels-
register eingetragen. Richtig?
Nein, die Statuten wurden bereits am 19.09.2000 erstellt.
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Recht und Staat Daniel Wunderlin Seite 162

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