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Betriebsbedingte Kündigung

Themenschwerpunkte:

1. Zulässigkeit einer Kündigungsschutzklage


2. Absolute Sozialwidrigkeit einer Kündigung
3. Widerspruch des Betriebsrats

Sachverhalt:
4.
Lisa Lustig (L) ist 31 Jahre alt und seit 2 Jahren bei einer großen Lebensmittelfirma (S-KG),
5.
mit über 250 Angestellten und Sitz in Hamburg beschäftigt. L arbeitet bei der S-KG am Fließ-
band. Ihre Aufgabe besteht darin, Silikonschablonen für Schokolinsen so auf das Fließband
zu legen, dass Füllmaschinen die Schokolade punktgenau einfüllen können. Am 22.12.2020
verkündet der Geschäftsführer der S-KG, dass es ihm gelungen sei, zusammen mit Ingenieu-
ren einen Roboter zu entwickelt, der die Schablonen für die Schokolinsen millimetergenau auf
das Fließband legen kann. L ist empört über diese Nachricht und fürchtet um ihren Arbeits-
platz. Am 03.01.2021 wird L zum 28.02.2021 schriftlich mit der Begründung gekündigt, dass
ihr Arbeitsplatz betriebsbedingt entfallen sei.

Der Betriebsrat wurde vor Zustellung der Kündigung angehört und hat zugestimmt. Am
07.01.2021 sieht L auf Steprock eine Stellenanzeige der S-KG in der sie eine*n Anlagenme-
chaniker*in für die Wartung von Fließbändern suchen.

L hat sich während ihrer Zeit bei der S-KG weitergebildet und eine Qualifikation als Anlagen-
mechanikerin erworben. Sie könnte daher die Wartung des Fließbandes als auch die des Ro-
boters übernehmen. Sie spricht den Geschäftsführer der S-KG auf die ausgeschriebene Stelle
an, doch dieser hält an der Kündigung fest, da er bereits aussichtsreiche Gespräche mit an-
deren Bewerbern geführt hat.

Daraufhin erhebt L am 14.01.2021 Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg mit dem Antrag
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 03.01.2021 zum
28.02.2021 beendet wird.

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

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Lösungsskizze:

A. Zulässigkeit der Klage


Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Sodann muss
auch der Rechtsweg eröffnet sein.

I. Rechtsweg
Das Arbeitsgericht Hamburg ist nach § 2 I Nr. 3 b) ArbGG zuständig, da es sich bei L
um eine Arbeitnehmerin handelt.

II. Sachliche Zuständigkeit


Nach § 8 ArbGG ist das Arbeitsgericht zuständig.

III. Örtliche Zuständigkeit


Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich nach § 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtgesetz aus den
Regelungen der Zivilprozessordnung. Im Arbeitsgericht ist hier der § 29 ZPO von we-
sentlicher Bedeutung. Es ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Der Leistungs-
und Erfüllungsort ist dort, wo der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses liegt. (Ham-
burg). Ist die Arbeitnehmerin regelmäßig an seinem Betriebssitz, ist das Arbeitsge-
richt für den Ort auch zuständig. Nach § 12 ZPO ist das Gericht zuständig, in dem die
Beklagte ihren allg. Gerichtsstand hat. (Hamburg).

In diesem Fall ist es klar Hamburg. Sollten beide Gerichtsstände unterschiedlich sein,
so hat die klagende Arbeitnehmerin ein Wahlrecht nach § 35 ZPO.

IV. Partei- und Prozessfähigkeit


L ist gem. § 46 IIa ArbGG, §§ 50, 51 ZPO partei- und prozessfähig. S-KG ist es nach
§ 46 ArbGG, § 50 ZPO, §§ 124 I, 161 II HGB ebenso.

V. Statthafte Klageart
L klagt auf Feststellung hinsichtlich des Bestehens- bzw. Nichtbestehens ihres Ar-
beitsverhältnisses. Die Feststellungsklage, § 256 ZPO in Form einer Kündigungs-
schutzklage, § 4 KSchG ist daher die statthafte Klageart.

1. Voraussetzungen des § 4 KSchG


L wendet sich gegen die ordentliche Kündigung und macht geltend, dass kein Kün-
digungsgrund i.S.d. § 1 II KSchG vorlag.

2. Vorliegen eines punktuellen Kündigungsschutzantrags gem. § 4 KSchG


L hat mit ihrem Antrag deutlich gemacht, dass kein Kündigungsgrund i.S.d. § 1II
KSchG vorliegt.

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3. Besonderes Feststellungsinteresse
Nach § 46 II 1 ArbGG, 256 I ZPO muss ein besonderes Feststellungsinteresse
vorliegen. Dieses ergibt sich bereits aus § 7 KSchG, da die Wirksamkeitsfiktion
des § 7 KSchG allein durch die fristgerechte Klageerhebung nach § 4 KSchG ver-
hindert werden kann.

VI. Zwischenergebnis
Die Klage ist somit zulässig.

B. Begründetheit der Klage


Die Klage ist begründet, wenn zwischen den Parteien ein wirksames Arbeitsverhältnis
beststeht, welches nicht durch die ordentliche Kündigung vom 03.01.2021 beendet wor-
den ist.

I. Bestehen eines wirksamen Arbeitsverhältnisses (+)


II. Ordnungsgemäße Kündigungserklärung (+)
Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung die nach §
623 BGB schriftlich erklärt werden muss. Die Angabe eines Kündigungsgrundes ist
nur bei der Kündigung von Auszubildenden eine Wirksamkeitsvoraussetzung.

III. Materielle Ausschlussfrist nach § 4 KSchG


Einhaltung der Klagefrist Zugang gem. § 4 KSchG (+)

(Wird die Klagefrist nicht eingehalten, dann ist die Kündigung trotz Sozialwidrigkeit
und sonstiger Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme der Einhaltung der Schriftform
wirksam.)

IV. Besonderer Kündigungsschutz (-)


Keine Unwirksamkeitsgründe nach § 9 I 1 MuSchG, 15 KSchG, § 164 SGB IX
(Schwerbehinderung) ersichtlich.

V. Anhörung des Betriebsrats nach § 102 I BetrVG (+)


VI. Allgemeiner Kündigungsschutz nach dem KSchG
1. Anwendbarkeit des KSchG
• L ist seit mehr als 6 Monate im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt +

• In dem Betrieb arbeiten mehr als 10 Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, vgl. §


23 KSchG (Kleinbetriebsklausel) +

2. Sozialwidrigkeit der Kündigung


Die Kündigung ist nach § 1 II KSchG rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerecht-
fertigt ist.

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(1) Kündigungsgründe des § 1 II 1 KSchG
Hier gilt das „ultima-ratio Prinzip“. Das heißt, eine Kündigung ist nur dann wirk-
sam, wenn sie das mildeste und letzte Mittel darstellt, wobei eine umfassende
Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu be-
achten ist.

Vorliegend handelt es sich um eine betriebsbedingte Kündigung i.S.d. § 1 II 1,


3. Fall KSchG. Eine solche kommt dann in Betracht, wenn aufgrund einer un-
ternehmerischen Entscheidung des AG der Arbeitsplatz der AN entfallen ist.
Ursache dafür kann eine Umstrukturierung, Outsourcing, Auftragsrückgang o-
der das Anschaffen von neueren Maschinen sein.

Die unternehmerische Entscheidung als solche ist gerichtlich nur bedingt auf
Willkür überprüfbar. Das heißt, der Überprüfungsumfang ist sehr eingeschränkt.
Der Sinn bzw.- die Zweckhaftigkeit der Entscheidung ist durch Art. 12, 14 GG
(unternehmerische Gestaltungsfreiheit) geschützt.

Der gerichtlichen Kontrolle unterziehbar sind hingegen die vom AG vorgetrage-


nen innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründe und wie diese sich im
betrieblichen Bereich auswirken.

Die Anschaffung des Roboters und der dadurch bedingte Wegfall des Arbeits-
platzes der L stellen einen betrieblichen Grund i.S.d. § 1 II 1 KSchG dar.

(2) Absolute Gründe für die Sozialwidrigkeit, § 1 II S. 2, 3 KSchG


Die Kündigung könnte unter die sog. absolute Sozialwidrigkeit fallen, bei deren
Vorliegen es keiner Interessenabwägung es mehr bedarf. Voraussetzung ist
aber, dass der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat.

Als Widerspruchsgrund käme zwar § 102 III Nr.3 und Nr.4 BetrVG in Betracht,
jedoch hat der der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt.

Fraglich ist, ob es sich bei § 1 II S. 2, 3 KSchG um eine besondere Regelung


handelt, die die Anwendung des § 1 II 1 KSchG ausschließt.

a) 1. Ansicht
Nach Ansicht der Literatur wird ausgehend vom Wortlaut des § 1 II S.2, 3
KSchG darin eine besondere Regelung gesehen. Das heißt, die Weiterbe-
schäftigungsmöglichkeit ist gerichtlich nur zu prüfen, wenn der Betriebsrat
der Kündigung widersprochen hat. Die Kündigung wäre wirksam

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b) 2. Ansicht
Nach der Rechtsprechung sowie der überwiegenden Ansicht der Literatur
wäre es sachfremd und willkürlich wenn der Umfang des Kündigungsschut-
zes von der Entscheidung des Betriebsrates abhänge, ob er zustimmt oder
widerspricht. Der AN wäre dem Betriebsrat ausgesetzt, ob dieser seiner Ar-
beit ordnungsgemäß nachgeht oder nicht. Diese Ansicht wird auch vom „ul-
tima-ratio Grundsatz“ gestützt, da § 1 II 1 KSchG auch geprüft wird, wenn
kein Betriebsrat besteht oder dieser der Kündigung nicht widersprochen hat,
die Voraussetzungen des § 1 II S.1, 3 KSchG aber vorliegen. Nach neuerer
Rechtsprechung dehnt das BAG § 1 II 2 Nr.1 lit. b) KSchG auch auf perso-
nenbedingte- und verhaltensbedingte Kündigungen aus. D.h. auch diese Ar-
ten der Kündigung sind nur wirksam, wenn eine Umsetzung bzw. Versetzung
auf einen anderen Arbeitsplatz nicht möglich ist. Vorliegend wurde anstelle
des alten Arbeitsplatzes der L ein neuer Arbeitsplatz geschaffen. (Wartung
der Fließbänder / des Roboters). L besitzt für diesen Arbeitsplatz die notwen-
dige Qualifikation. Da der Arbeitsplatz auch die wesentlich gleichen Arbeits-
bedingungen aufgreift (selber Einsatzort etc.), greift der § 1 II 2, Nr.1 lit. b
KSchG entsprechend. L hat sogar den Geschäftsführer auf die neue Anstel-
lung angesprochen und wäre bereit gewesen, diese Arbeit auszuführen, so-
dass sich die Sozialwidrigkeit der Kündigung zusätzlich aus § 1 II 3 KSchG
ergibt. Weiterhin trifft den Arbeitgeber die Pflicht, in solchen Fällen von sich
aus dem betroffenen Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung zu geänderten
Bedingungen anzubieten, d.h. eine Änderungskündigung anzubieten. Erst
bei Ablehnung des neuen Angebots durch den AN kann eine Beendigungs-
kündigung ausgesprochen werden. Dass der Arbeitgeber bereits in Verhand-
lungen mit neuen Bewerbern steht, ist hier unbeachtlich und fällt in seinen
Risikobereich. Die Kündigung ist nach dieser Ansicht sozialwidrig.

c) Stellungnahme
Gegen die 1. Ansicht spricht, dass sie das Arbeitnehmerschutzprinzip außer
Acht lässt. Die Kündigung ist daher sozialwidrig.

C. Ergebnis
Die Klage der L ist begründet. Sie hat Erfolg.

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