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ZBR Heft I/2/2022 Rogosch: Verfahrensanforderungenfiir die Stellenausschreibung mit Versetzungsbewerbern

Verfahrensanforderungen für die Stellenausschreibung


m it Versetzu n gsbewerbern

Prof. Dr. Josef Konrad Rogosch

Die Verfahrensanforderungen fiir Stellenausschreibungen, bei oder Kommunalbehörde, auch zu deren juristischen Personen
denen auch Vers etzungsb ewerb er angesprochen werden, s ind des öffentlichen Rechts.
durch die Rechtsprechung des BVerwG konturiert und insoweit Für Landesbeamte ist in $ 15 Abs. I BeamtStG die dienst-
präzisiert worden. Diese Prrizisierung wird in der obergericht-
herrenübergreifende Versetzung geregelt; sie können in den
lichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte uneinheitlich Bereich eines Dienstherrn eines anderen Landes oder des Bun-
bewertet. Gleichwohl sollten die Dienstherren die Verfahrens-
des versetzt werden, auch in deren juristischen Personen des
vorgaben des BVerwG /tir die Stellenausschreibungen beachten
öffentlichen Rechts. Für Landesbeamte, die im Geltungsbe-
und umsetzen. reich des jeweiligen Landesbeamtengesetzes versetzt werden,
gelten die Regelungen der jeweiligen Landesbeamtengesetze,
efwa Art. 48 BayBG, $ 26 HBG, $ 25 LBG NRW $ 28 NBG,
l. Problemstellung
$ 32 SächsBG, $ 29 LBG SH.
Gegenläufi ge obergerichtliche Entscheidungen lassen das vor-
genannte Thema, die Anforderungen an das Verfahren der Stel-
lll. Organisationsermessen des Dienstherrn bei
lenausschreibung und die Konsequenzen für das Organisa-
tionsermessen des Dienstherrn, virulent werden, wenn sich
Versetzu n gs bewe rbu n ge n

Versetzungs- und Befürderungsbewerber um ausgeschriebene


Es ist unstreitig, dass dem aufnehmenden Dienstherrn ein Er-
Stellen bemühen, die allein mit dem Ziel der Bestenauslese er-
messen zur Seite steht, über die Aufnahme eines Versetzungs-
folgt sind.
bewerbers abschließend zu befinden. Voraussetzung für die
Das OVG Münsterr und der VGH München2 erachten es für Übernahme einer Beamtin bzw eines Beamten durch einen
zulässig, dass eine Stellenausschreibung zunächst unbeschränkt Dienstherrn ist sein (teilweise: schriftliches oder elektroni-
erfolgen könne, um dann nach Fristablaufund Sichtung des Be- sches) Einverständnis in Bezug auf die Übemahme im Wege der
werberfeldes die Bewerbungen auf Landeskinder beschränkt zu Versetzung. Dies folgt einerseits aus $ 15 Abs. 3 S. 1 BeamtStG/
werden; während die Vorinstanz des VGH München, dass VG $ 28 Abs. 5 S. 1 BBG; auch in den Beamtengesetzen der Län-
Augsburg3, dahingehend erkennt, dass nicht schon in der kon- der sind die Arten der Versetzung und deren Voraussetzungen
kreten Stellenausschreibung eine Beschränkung des Auswahl- weitgehend inhaltsgleich geregelt6. Die Fortsetzung des Beam-
verfahrens erfolgen müsse sondern die Beschränkung auch tenverhältnisses mit dem neuen Dienstherrn wird durch die
nachträglich erfolgen könne, spart die Berufungsentscheidung Bundes- und die Landesregelungen ausdrücklich und klar an-
des VGH München diese Problematik im Kern aus, da der geordnet.
Senat allein feststellt, das - ,,unbeschadet des Ausschreibungs-
Das OVG MünsterT erkennt dahingehend, dass die Stellen-
textes" - aus sachlichen Gründen das Einverständnis nach $ I 5
ausschreibung lediglich ein,,Hilfsmittel zur Gewinnung geeig-
Abs. 3 S. I BeamtStG versagt werden könne. Anders wiederum
neter Bewerber" sei, das den Dienstherrn nicht zwinge, den
geht das OVG Lüneburga davon aus, dass in der Stellenaus-
Dienstposten mit einem der Auswahlbewerber zu besetzen, da
schreibung eine Beschränkung erfolgen müsse, mit der Folge,
aus Sachgründen ein Abbruch des Verfahrens und eine Neu-
dass eine nachträgliche Beschränkung des Bewerberkreises
ausschreibung erfolgen könne. Fraglich ist weiter, ob das ver-
nach Kenntnis des konkreten Bewerberfeldes unzulässig sei.
fassungsrechtlich verbürgte Organisationsermessen 8 unzuläs-
Zunächst werden die Arten der Versetzungen beschrieben und sig verkürzt würde, wenn die Organisationsgrundentscheidung
nachfolgend wird untersucht, ob das Verfahren der Stellen-
ausschreibung, in Abhängigkeit der Art. 33 Abs. 2 GG und 19
Abs. 4 GG, von Anfang an Beschränkungen des Auswahl-
verfahrens erfordert oder ob - insbesondere bei Versetzungs- 1) OVG Münster Beschluss vom 3.7.2001 - I B 670/01 - juris, LS I u.
bewerbungen - diese Beschränkungen durch das Organisa- 2,R\.24,29.
tionsermessen des Dienstherrn nachträglich erfolgen könnten.
2) VGH München, Beschluss vom 10.9.2019 - 3 CE 19.1380 juris,
Rn.22.
3) VG Augsburg Beschluss vom 19.6.2019 - Au 2 E 19.284 - juris,
Rn. 28 unter Berufung auf BayVGH, Beschluss vom 22.2.201'1
ll. Arten der Versetzungen 3 CE 17,43 juris, Rn. 9; Beschluss vom 23.12.201 6 - 3 CE I 6. I 658
- juris, Rn. 29 und OVG Bln.-Bbg, Beschluss vom 19.10.2018 -
Versetzungen, die mit einen Dienstherrnwechsel verbunden sind, OVG 4 S 16.18 - juris, Rr. 5.
sind so genannte dienstherrenübergreifenden Versetzungen; im 4) OVG Lüneburg, Beschluss vom 3.12.2018 - 5 ME l4ll18 - juris,
Gegensatz dazu die einfache Versetzung, die im Kern einen Be-
Rn. 34, 35 und nachfolgend Beschluss vom 17.3.2021 5 ME -
5.
187/20 juris, Rn.22-25.
hördenwechsel bei demselben Dienstherrn beinhaltet 5) Dazu awh Hilg/Baflsperger,ZBR20l5, S. 145 ff
Für Bundesbeamte ist in $ 28 Abs. 1 BBG die auf Dauer ange- 6) So Klingspor, in: BeckOK BeamtenR Hessen, 14. Ed. 1.1.2021,
$ 26 HBG, Rn. 30.
legte Übertragung eines anderen Amtes bei einer anderen 7) Fn. 1, Rn.24.
Dienststelle bei demselben oder einem anderen Dienstherrn 8) BVerfG, Beschluss vom 28.2.200'1 - 2 BvP. 2494106 - juris, Rr. I I
geregelt; also sowohl die einfache Versetzung innerhalb der und BVerwGE 122, 147 , 150 f., Urteil vom 28.10.2004 2 C 23/03
Bundesverwaltung als auch die Versetzung zu einer Landes- -juris, LS 3 u. Rn. 20 : ZBR 2005, 162,163 f.
2 Rogosch: Verfahrensanforderungen fir die Stellenausschreibung mit Versetzungsbewerbern ZBR Heft I/2/2022

schon in das Verfahren der Stellenausschreibung einzustellen Die Regelungen in den Landeshaushaltsordnungen der Länder
wäre. Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen,
Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen sind heterogen
Im Schrifttume ist eine Bewertung vorhanden, die das Orga-
und sehen überwiegend das 45. Lebensjahr als Alterskriterium
nisationsermessen, dass insbesondere bei der Versetzung das
vor, wobei generelle Zustimmungen der zuständigen Finanz-
Einverständnis des aufnehmenden Dienstherrn voraussetzt,
ministerien fingiert werden, wenn ein Versorgungslastenaus-
nicht der vorherigen Verschriftlichung anheimstellen will, weil gleich nach dem Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrag oder
dadurch Teile dieser Entscheidung des Einverständnisses zu eine entsprechende Versorgungslastenteilung zwischen einem
Unrecht in das Verfahren der Stellenausschreibung verlagert oder mehreren Dienstherrn und dem jeweiligen Land bei Ein-
würden. Gleichwohl müsse die Entscheidung über das einzu- tritt des Versorgungsfalls stattfindet 13.
beziehende Bewerberfeld spätestens mit der Stellenausschrei-
bung oder - wenn eine solche nicht erfolgt - mit der Auswahl- Teilweise sehen die Landesbeamtengesetze bzw. die allgemei-
entscheidung erfolgen. Jedoch bei Bewerbungen von Beamten nen oder spezifi schen Laufbahnverordnungen Restriktionen im
eines anderen Dienstherrn bleibe die zu treffende Entscheidung Hinblick auf das Lebensalter vor. Die verfassungsrechtlichen
nach $ 28 Abs. 5 NBG über die Fortsetzung des Beamtenver- Anforderungen an die Einflihrung von Einstellungshöchst-
hältnisses unberührt ro. altersgrenzen im Öffentlichen Dienst hat das Bundesverfas-
sungsgericht in abstrakter Weise umschriebenla; dies dürfte
Anerkanntermaßen ist insbesondere das j eweilige Lebensalter sicherlich nicht das Ende der Problematik von (Höchst-)Alters-
eines Versetzungsbewerbers ein Kriterium, das einen Ausschlag grenzen im Bereich des öffentlichen Dienstes darstellenr5.
für die Übernahme und die Fortsetzung des Beamtenverhältnis-
Gleichwohl ist festzustellen, dass Hinweise auf Altersgrenzen
ses bei dem neuen Dienstherrn zur Folge haben kann. Das Bun-
nicht in Stellenausschreibungen einzustellen sind da sich diese
desverwaltungsgericht hat erkannt, dass die Versetzung zwar
aus den jeweiligen Gesetzen ergeben16.
nicht der Formstrenge der Ernennung unterliege, jedoch eine
ernennungsähnliche Wirkung auslöse, da der neue Dienstherr
in die Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis ein- lV. Vorwirkungen tür das Stellenausschreibungs-
trete; daher seien auf die Versetzung die Grundsätze für die
verfahren
erstmalige Begründung in ein Beamtenverhältnis aniuwenden,
ohne dass es darauf ankäme, ob es einer zusätzlichen Ernen- Unstreitig ist anerkannt, dass das Stellenausschreibungsverfahren
nung bedürfe, etwa wegen einer mit der Versetzung verbunde- Vorwirkungen unterliegt, die sich aus der Verfahrensabhängigkeit
nen Befärderungrr. des Art. 33 Abs. 2 GG ergeben. Dies gilt insbesondere für Be-
Bezüglich der Reglungen hinsichtlich des Lebensalters ist der ftirderungsbewerbungen, denn das,,dem gerichtlichen Rechts-
Befund festzustellen, dass die Regelungen in den Landeshaus- schutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren" dürfe nicht
haltsordnungen der Länder recht heterogen sind12. So sind in den so ausgestaltet sein, ,,dass es den gerichtlichen Rechtsschutz"
Haushaltsordnungen der Länder Berlin, Hamburg, Mecklenburg- vereitele oder unzumutbar erschwere; zur Sicherung des ver-
Vorpommem, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- fassungsrechtlich verbürgten Gebotes des effektiven Rechts-
Pfalz und Sachsen keine Regelungen über das Alter für die Be- schutzes folge aus tut. 33 Abs. 2 iVm. 19 Abs. 4 GG die Ver-
setzung von Planstellen durch Versetzungsbewerber enthalten.
pflichtung,,,die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich
r7.
niederzulegen"
Dieser Aspekt mag sich zeitlich auf die Auswahlerwägungen
9) Lenz, in: BeckOK BeamtenR Nds, 18. Ed. 1.10.2021, $ 28 NBG, beziehen und noch offenlassen, ob nicht schon vor der Stellen-
Rr.44. ausschreibung festgelegt werden müsse, mit welchen Beschrän-
l0) Lenz, in: BeckOK BeamtenR Nds (Fn. 9), $ 28, Rn. 52c.
kungen eine Stellenausschreibung zu veröffentlichen ist. Je-
1 1) BVerwGE 122, 58 (63), Urteil vom 23.9.2004 - 2 C 37103 - juris,
:
Rn. 25 ZBR 2005, 128 (129). doch schon vorangehend hat das Bundesverwaltungsgericht
I 2) Eine aktuelle und vollständige Übersicht, bezogen auf das allgemei- das Ermessen bei der Besetzung eines freien Dienstpostens
ne Beamtenrecht ohne Sonderbereiche, bei Eck, in: BeckOK Beam- Restriktionen unterworfen mit der Feststellung, dass vor der
tenR Bayern, 21 . Ed., 1 .10.2021, Att. 23 BayBG, Rn. l, 1 . 1 . Auswahlentscheidung festzulegen sei, ob der Dienstposten im
13) Zwar sieht die Landeshaushaltsordnung des Saarlands keine Rest- Wege einer Befärderung oder einer Versetzung besetzt werden
riktionen bei Versetzungsbewerbern vor, jedoch sind in der Verwal-
tungsvorschrift zu $ 48 LHO Altersregelungen vorgesehen; diese
solle, wobei es im pflichtgemäßen Ermessen sttinde, sowohl
müssten aber vom Gesetzgeber in die LHO eingestellt werden, um Versetzungsbewerbungen als auch Befürderungsbewerbungen
den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. mit dem Ziel der Bestenauslese einzubeziehenr8. Wenn sich der
14) BVerfGE 139, 19,55-59, Fn 74-81, Beschluss vom 21.4.2015
: - Dienstherr somit entschieden hat, bei der konkreten Stellenbe-
-
2 BvR 1322/12 2 BvR 1989/12 ZBP. 2015,304, 308, 309, setzung Versetzungsbewerbungen und Beftirderungsbewerbun-
Fn 74-81 : DÖV 2015, 842 ff.; in den Rn. 74 bis 8l gibt das Gericht gen gleich zu behandeln und die Stelle entsprechend aus-
Hinweise hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von
geschrieben wird, so ist seine Organisationsfreiheit im Znge
Einstellungshöchstaltersgrenzen.
15) Diese Option in Bezug aufdie Ermessensausübung des Dienstherrn des Besetzungsverfahrens beschränkt,mit der Folge, dass auch
wird hier nicht weiter untersucht. Siehe dazu umfassend Hartig, Al- Versetzungsbewerbungen am Leistungsgrundsatz des Art.33
tersdiskriminierung im öffentlichen Dienst, 2014, Diss. Jur. Münster. Abs. 2 GG gemessen werden müssen. An dem gewählten Mo-
16) Für alle und zutreffend VGH München (Fn. 2), Rn. 22. dell der Bestenauslese unter Einschluss aller Versetzungs-
17) So das BVerfG, Beschluss vom 25. I 1.201 5 - 2 BvR 146 l/15 -juris,
bewerber müsse sich der Dienstherr ,,festhalten lassen"re. So
Rn. 14.
efwa20, wenn im laufenden Gerichtsverfahren einer gericht-
18) BVerwG, Beschluss vom 20.8.2003 - I WB 23103 - juris, Rn. 6:
RiA 2004, 35 (37). lichen Verfligung folgend für zwei Konkurrenten aktuelle Be-
19) BVerwG (Fn. 18); unter Billigung des BVerfG, Beschluss urteilungen eingefordert und diese zur Entscheidungsgrund-
vom28.2.2007 -2BvP.2494/06 -juris, Rn. 6. lage gemacht wurden.
20) OVG Schleswig, Beschluss vom 31.7.2000 - 3 M 16/00 - juris,
Rn. 9, 10. Das OVG hat auf das Handeln der Vorinstanz Bezug ge- Die Vorwirkungen flir das Stellenausschreibungsverfahren ha-
nommen. ben Konsequenzen für den beamtenrechtlichen Konkurrenten-
ZBRHeft 1/2/2022 Rogosch:Verfahrensanforderungenf)rdieStellenausschreibungmitVersetzungsbcwerbern 3

streit vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es stellt sich die Fra- nur Einschränkungen statuieren, die den Anforderungen des
ge, ob der Dienstherr Gründe flir eine Auswahlentscheidung tut. 33 Abs. 2 GG gerecht würden3r.
erstmals vor Gericht vortragen dürfe2r. Anwendung findet $ 114
In Bezug auf die nachträglichen Einschränkungen, die den An-
S. 2VwGO im Rahmen des Verfahrens nach $ 123 VwGO mit
forderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht würden, gehöre die
der einhergehenden Problematik, wann eine Ergänzung und
Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen; inso-
wann ein erstmaliger Vortrag des Dienstherrn vorliegt und ob
weit liege ein verfassungsrechtliches Schutzgut vor, das auch
ein Nachschieben von Gründen im Einklang mit der Rechts-
eine Beschränkung des Bewerbungsverfahrensanspruches nach
schutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG steht22.
fut. 33 Abs. 2 GG zu rechtfertigen vermöge; in diesem Zusam-
Diese vorstehenden Ausführungen beziehen sich zwar aufdie in menhang hat das Bundesverwaltungsgericht32 aber wie folgt
dem Auswahlvermerk befindliche schriftliche Dokumentation. ausgeflihrt:
Jedoch hat die Rechtsprechung, gerade der Wehrdienstsenate
des Bundesverwaltungsgerichts, diese Gedanken aufgenom- ,*4rt. 33 II GG enthrilt keine Einschrdnkungen, die den Gel-
tun gsbereich des Leistungs grunds atzes relativieren. B elange,
men und vertiefend weitergeführt . Zur Organisationsgrundent-
scheidung hat das Gericht erkannt, dass diese nicht der für die
die nicht im Leistungsgrundsatz verankert sind, können des-
Auswahlentscheidung selbst geltenden strengen Dokumenta- halb als immanente Grundrechtsschranke bei der Besetzung
tionspflicht unterliege; erforderlich sei aber ein Nachweis - öffentlicher Ämter nur Berücksichtigung finden, wenn ihnen
etwa in Form eines Vermerks -, um zu verhindern, dass die ebenfalls Verfassungsrang eingerdumt ist. Soweit es nicht um
Grundlagen der Auswahlentscheidung nachträglich zu Lasten die Abwendung einer unmittelb ar drohenden B eeintrdchtigung
einzelner Bewerber verändert würden23. Mithin könne ein ent- der Funktionsfi)higkeit der Verwaltung geht, also nur um den
sprechenderVermerk in den Akten des Auswahlverfahrens aus- op timierenden Aus gleich mit anderen verfassungs ges chützten

reichend sein, solange die Funktion, eine nachträgliche Verän- Interessen, bedarfes zudem einer gesetzlichen Grundlage. Die-
derung der Auswahlgrundlagen zu verhindern, erfüllt werde 24. se muss ihrerseits dem Zweck des Art. 33 II GG Rechnung tra-
gen, d. h. ernsthaften Gefcihrdungen der Leistungsfdhigkeit des
Diese Argumentation ist in der Rechtsprechung einiger Ober- öfentlichen Dienstes vorbeugen (vgl. BVerfG, NJW 1997, 54;
verwaltungsgerichte rezipiert worden. Aufgenommen wurde BVet"wG, NVwZ 2005, 457)".
die Rechtsprechung zunächst durch das OVG Weimar25, dann
folgend durch das OVG Magdeburg26 mündend in die Ent Und weiter vertiefend in demselben Urteil33:
scheidung des OVG Lüneburg2?. Der Sache nach dürfte letzten
,,EntschlielSt sich der Diensthet im Rahmen seines Organisa-
Endes damit die Selbstbindung der Verwaltung, der Organisa- tionsermessens j edoch
tionsgrundentscheidung, unter dem Aspekt der Gleichbehand-
fir
ein Auswahlverfahren, an dem sowohl
Befr)rderungsbewerber als auch,,reine" Umsetzungs- oder
lung, Art. 3 GG, genüge getan werden. Versetzungsbewerber unterschiedslos teilnehmen, beschrdnh
er durch diese,,Organisationsgrundentscheidung" (vgl. Be-
schluss vom 20. 8. 2003 - BVerwG I WB 23.03 - a. a. O.) seine
V. Praktische Kon kordanz der verfassu n gsrecht-
Freiheit, die Stellen durch Versetzungen oder Umsetzungen zu
lichen Anforderungen besetzen, und ist aus Gründen der Gleichbehandlung gehalten,
die sich aus Art. 33 II GG ergebenden Auswahlkriterien nicht
Sowohl die Interessen der Dienstherren als auch die Interessen
nur auf die Befi)rderungsbewerber, sondern auf sdmtliche Be-
der jeweiligen Bewerber werden durch verfassungsrechtliche
werber anzuwenden. Ein unter den Bedingungen des Art. 33 II
Verbürgungen abgesichert. Einerseits ist für beide Sphären der
GG in Gang gesetztes Auswahlverfahren darf nachtröglichen
Art. 33 Abs. 2 GG einschlägig, andererseits sind die verfas-
sungsrechtlichen Topoi der Selbstbindung, der Gleichbehand-
lung (Art. 3 GG), der Rechtsweggarantie (tut. 19 Abs. 4 GG)
2l) Lindner,NYwZ2013, S. 547 tr
und des Rechtsstaatsprinzips in Bezug aufdas Transparenzge- 22) Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, $ 1 13, Rn. 46.
bot zu beachten. S owohl der Bewerbungsverfahrensanspruch 28 23) Klar und grundlegend BVerwGE 136,204, LS 4,210, Rr. 31, Be-
als auch das Personal- und Organisationsermessen2e fußen in schluss vom 253.20101- WB 37109 - juris, LS 3 und Rn. 31 : ,,Die
Art. 33 Abs. 2 GG. Insoweit ist eine erste Bewertung für sich Organisationsgrundentscheidung unterliegt nicht der Dokumenta-
gesehen wenig ergiebig. tionspflicht, wie sie fiirAuswahlentscheidungen über die Besetzung
höherwertiger Dienstposten gilt. Sie bedarf jedoch eines Nach-
weises, der verhindert, dass die Grundlagen der Auswahlentschei-
dung nachträglich zulasten einzelner Bewerber verändert werden".
1. lmpulse des Bewerbungsverfahrensanspruchs
24) BVerwG, Beschlussvom 27.10.2015 - l WB 56.14-juris, Rn.42.
25) OVGWeimar, Beschluss vom 14.11.2013 -2FO838/12-juris, LS
Jedoch gehen vom Bewerbungsverfahrensanspruch weitere über
2 und R-n. 27.
den Art. 33 Abs. 2 GG hinausgehende Impulse verfassungs- 26) OVG Magdeburg, Beschluss vom 1.2.2016 - I M 204115 - juris,
rechtlicherArt aus. So hat das Bundesverfassungsgericht wie- Rn.11.
derholt anerkannt, dass die verfahrensmäßige Absicherung des 27) Fn.4; kritisiert von Zenz, in: BeckOK BeamtenR Nds (Fn, 9), $ 28,
Bewerbungsverfahrensanspruchs eine angemessene Gestaltung Rn.44.
des Auswahlverfahrens erfordert3o. Insoweit hat das Bundes-
28) Für alle BVerfG, Beschluss vom23.6.2015 - 2 BvR 161/15 -juris,
Rn. 28 mit umfangreichen Nachw.
verfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwal- 29) S. Fn 8.
tungsgerichts dahingehend gebilligt, dass, wenn sich der 30) Für alle m. w N. BVerfG, Beschluss vom 24.9.2015 - 2 BvR 1686/15
Dienstherr für eine Gleichbehandlung von Versetzungs- und -juris, Rn. 13, 14.
Befürderungsbewerbern entscheidet und das Verfahren der 3 1
) BVerfG, Beschluss vom 28. 2. 2007 - 2 BvR 2494/06 - juris, Rn. I 1.
Stellenbesetzung so einleitet, auch Versetzungsbewerber am 32) BVerwGE 122, 237, 240, Urteil vom 25.1 1.2004 - 2 C 1 7/03 - juris
Rn. 14: ZBR 2005, 244 (245); wiederholt in BVerwGE 145,231,
Leistungsgrundsatz zu messen sind da der Dienstherr seine 244, Rl' 23, Urteil vom 13.12.2012 - 2 C 11.11 - juris, Rn. 23 =
Organisationsfreiheit durch Wahl und Ausgestaltung des Ver- ZBR 20 13, 252, 253, P.r. 23.
fahrens beschränkt hat; an diesem Verfahren müsse sich der 33) BVerwGE 122, 237 (240), Urteil vom 25.11 .2004 2 C l7 /03
- -
Dienstherr ,festhalten lassen" und könne dann nachträglich :
juris, Rn. 18 ZBR 2005, 244 (246) = DÖV 2005, 694 ff.
4 Rogosch: Verfohrensanforderungen.fiir die StellenausschreibungmitVersetnmgsbewerbern ZBR Heft 1/2/2022

Einschrdnkungen nur aus Gründen unter"worfen werden, die Bewerber aus anderen Bundesländern nur bei einer ,,Freigabe-
den Anfordertmgen des Art. 33 II GG gerecht werden." bereitschaft" des abgebenden Dienstherrn berücksichtigt wür-
den. Das OVG Lüneburg 38 ergänzt, dass Haushaltszwänge bzw.
Insoweit hat das BVerwG schon im Jahre 2004 erkannt und
finanzpolitische Gründe eine Beschränkung des Bewerberkrei-
201234 wiederholt, dass das Interesse des Dienstherrn an der
ses rechtfertigen könnten, so bei einem Einstellungsstopp und
Schaffirng oder Aufrechterhaltung ausgewogener Altersstruk-
wenn Überhangpersonal einer geregelten dauerhaften Verwen-
turen kein ausreichendes verfassungsrechtliches Gewicht be-
dung zugeführt werden solle.
sitze, um eine Einschränkung des in Art. 33 Abs. 2 GG gewähr-
leisteten Zugangsrechts zu rechtfertigen. Im Einklang und in Fortflihrung der Rechtsprechung ist in dem
eben genannten Urteil des OVG Berlin-Brandenburg weiter
Mit diesen Ausführungen und unter Billigung des Bundesver-
ausgeflihrt, dass eine Organisationsgrundentscheidung allein
fassungsgerichts hat das Bundesverwaltungsgericht die Anfor-
dahin überprüfbar sei, ob ein sachlicher Grund vorliege; eine
derungen für eine nachträgliche Beschränkung im Rahmen des
Verhältnismäßigkeitsprüfung finde nicht statt, da sich die Ver-
Bewerbungsverfahrens klar und eindeutig beschrieben. Aus-
waltungsgerichtsbarkeit auf eine Willkür- und Missbrauchs-
gehend davon, dass bei einem Bewerbungsverfahren in aller re.
kontrolle zu beschränken habe
Regel keine unmittelbare Beeinträchtigung der Funktionsfühig-
keit der Verwaltung droht35, existieren zwei Möglichkeiten: Ausgehend von diesen Erkenntnissen und Wertungen dürfte
Einerseits sind gegenläufige verfassungsgeschützte Interessen eine in Vermerksform festgehaltene Organisationsgrundent-
zu beachten; andererseits normative Regelungen, die in verfas- scheidung die Dokumentationspflicht von Dienstherren wohl
sungsrechtlich konformer Weise die Anforderungen des Art. 33 nicht überspannen.
Abs. 2 GG erfüllen.
Ausgehend von diesem Befund hat das Bundesverwaltungs- 2. Selbstbindung der Verwaltung
gericht in Fortfi.ihrung dieser Vorgaben erkannt, dass nicht nur
die Auswahlentscheidung als solche einer notwendigen umfäng- Ein weiterer Aspekt ist die Rechtsfigur der Selbstbindung der
lichen Dokumentationspflicht unterliegt sondern auch die Orga- Verwaltung als Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes des
nisationsgrundentscheidung, ob und wie eine Stelle im öffent- Art. 3 Abs. I GG. Das verfassungsrechtliche Postulat ,,Alle
lichen Dienst ausgeschrieben wird, um zu verhindern, dass die Menschen sind vor dem Gesetz gleich" triffi die Verwaltung in
Grundlagen der Auswahlentscheidung nachträglich zu Lasten seiner Ausprägung als Rechtsanwendungsgleichheit, sofern sie
einzelner Bewerber verändert werden, wobei allerdings die An- nicht wie beim Erlass von Rechtsnormen rechtssetzend tätig
forderungen an diese Dokumentation nicht überspannt werden wird. Bei der Organisationsgrundentscheidung hat sich dieVer-
dürften, da es bei der Organisationsgrundentscheidung nicht um waltung fiir das Stellenbesetzungsverfahren festgelegt; hat sie
die wertende Ausflillung unbestimmter Rechtsbegriffe gehe 36. auch Versetzungsbewerber einbezogen, dann ist aufgrund ihrer
,,Selbstbindung und aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3
In diesem Kontext hat das OVG Berlin-Brandenburg3T die Abs. I GG) gehalten, den Ma/lstab des Art. 33 Abs. 2 GG und
Rechtsprechung bereichert; einerseits durch eine beispielhafte
des $ 3 Abs. I SG r.meingeschrdnkt auf alle in die Auswahl ein-
Aufzählung vonAusnahmen vom Grundsatz der Bestenauslese bezogenen Bewerber anzuwenden ", wenn es sich nicht für eine
mit Verfassungsrang ( Art. 36 Abs. I S. I u. 2 GG) bzw. in Ge- Besetzung des Dienstpostens nur durch Dienstpostenwechsel
setzesform ($ 9 Abs. 4 Soldatenversorgungsgesetz). Anderer- bzw Umsetzung entschieden hata0. Eingedenk dessen erfolgt
seits durch zahlreiche Nachweise aus der Rechtsprechung hin- die Selbstbindung ipso jure aus Art. 3 Abs. I GG, ist willens-
sichtlich der Organisationsgrundentscheidungen, ob Stellen für unabhängig und kann daher sogar eine ,,Selbstbindung wider
Beamte oder Tarifbeschäftigte ausgebracht würden oder nur flir Willen" erzeugenar.
Soldaten, oder nur auf,,Landeskinder" beschränkt würden, nur
bestinimte Dienststellen einer Behörde in Betracht kämen oder
3. Transparenzgebot und justizielle Kontrolle

34) BVerwGE 145,237,244, Rn. 25, Urteil vom 13.12.2012 2 C Unter dem Aspekt der gebotenen Transparenza2, die mit der
1 1/1 I - juris, Rn. 25 : ZBR 2013, 252, 253, Rn. 25. Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes einhergeht, hat das
35) BVerfG, Fn 3l . Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das Bundes-
36) BVerwGE 136,204,210, Rn.31 -
1 WB 37/09 -
ob. Fn.23 und verfassungsgericht dahingehend erkannt, dass es unzulässig
BVerwG, Beschluss vom 27.10.2015 I WB 56.14 juris, Rr. 41
(42).
sei, die Auswahlkriterien nachträglich dergestalt zu ändern,
37) OVG Bln-Bbg, Urteil vom 12.9.2019 OVG 4 B 17. I 8 -juris, Rr. 19. dass sich der Bewerberkreis erweitern würde, ohne dass mög-
38) OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.3.2021 - 5 ME 187/20 - juris, liche Interessenten hiervon Kenntnis erhielten 43. Dieser Aspekt
Rn.26. verdeutlicht die Verfahrensabhängigkeit, die aus Art. 33 Abs. 2
39) Fn.37, Rn. 19. i. V m. Art. l9 Abs. 4 GG abgeleitet wird. Es dürfe nicht ledig-
40) BVerwG, Fn.36. lich eine theoretische Möglichkeit bestehen, die Gerichte anzu-
41) BVerwGE 1 18, 379, 384, Urteil vom 21.8.2003 - 3 C 49/02 - juris,
Rn. l4: ,,Gleichwohl hat die Verwaltung auch hier - unbeschadet der rufen. Vielmehr erfordere ein effektiver Rechtsschutz, dass die
Möglichkeit einer generellen Anderung der Verwaltungspraxis - ihr behördliche Entscheidung einer tatsächlich wirksamen Kon-
Wahlrecht infolge Selbstbindung (Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, trolle unterzogen werden könne4.
Art. 3 I, Anm. 473) verloren,..".
42) Schoch, in: Schocb./Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz: VwVfG, Diese wirksame Kontrolle ist von der Rechtsprechung in einer
Stand Juli 2020, Einleitung, Rn. 357. fulminanten Grundsatzentscheidung zutreffender Weise sehr
43) BVerwGE 147,20 29, Rn. 32, Beschluss vom 20.6.2013 - 2 VR weit gezogen worden. E,in unterlegener Bewerber dürfe daran
1/13 Rn. 32: 28P.2013,376,379, Rn. 32; OVG Bautzen,
- juris, nicht gehindert werden, alle gebotenen Rechtsschutzmöglich-
Beschluss vom 6.1.2020 - 2B 336/20-.juris, Rr. 1 l.
44) Hense, in: BeckOK GG,46. Ed. 15.2.2021,Art. 33 GG, Rn. 11.
keiten zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensan-
45) BVerwGE 138, 102, LS 2; 109-l 15, Rn. 29-42, Urteil vom 4.1 1.2010 spruch vor der Ernennung auszuschöpfen, mit der Folge, dass
2 C 16109 juris, LS 2 und Rn. 29-42:28P.2011,91 tr, LS 2, insoweit der Grundsatz der Amterstabilität der Auftrebung ei-
Rn.29-42; zu dieser Entscheidung u. Roetteken,ZBR 2011, S. 73 ff- ner Ernennung nicht entgegenstehe 45.
ZBR Heft 1/2/2022 Hauck-Scholz: Europarechtliche Vorgaben nr Arbeitszeiterfassung von Beamtinnen und Beamten 5

Abschließend ist zurückzukommen auf die Versetzungsbewer- verfahrensanspruch um die Facette einer weiteren Bindung des
ber und, wenn der Klageweg beschritten würde, die verwal- Dienstherrn zugunsten der verfahrensrechtlich eingehegten
tungsprozessualen Implikationen: Das gemäß $ 15 Abs. 3 S. I Rechte von unterlegenen Bewerbern, auch Versetzungsbewer-
BeamtStG erforderliche Einverständnis des aufnehmenden bern, erweitert. Damit wird das Ermessen des Dienstherrn
Dienstherrn kann nicht im Wege einer,,eigenständigen" Haupt- schärfer konturiert und er wird angehalten, vor der Stellenaus-
sache gerichtlich eingeklagt werden. Vielmehr ist diese als un-
schreibung die organisatorischen und personellen Rahmen-
selbstständige behördliche Mitwirkungshandlung im Rahmen
bedingungen präziser zu prüfen und erst dann eine Stelle
einer gegen den abgebenden Dienstherrn zu richtenden Be-
scheidungsklage hinsichtlich des Versetzungsbegehrens zu priJr- auszuschreiben. Nebenbei dürfte die vorherige Präzision der
fen a6. Stellen- und Personalplanung der Vermeidung der Verschwen-
dung von personellen und finanziellen Ressourcen entgegen-
wirken, so dass weniger Verfahren abzubrechen und weniger
Vl. Bilanz Neuausschreibungen die Folge sein dürften.

Zusammenfassend ist als Gesamtabwägung festzuhalten, dass


eine praktische Konkordanz nicht herstellbar ist. Es bleibt der 46) VG München, Urteil vom 17.12.2019 - M 5 K 18.593 juris,
Vorrang der Bindung an die dokumentierte Organisationsgrun- Rn. l7; VGH Kassel, Beschluss vom 24.5.2017 - 1 B 98/17 -juris,
dentscheidung des Dienstherrn; insoweit wird der Bewerbungs- Rn.14.

Europarechtliche Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung von


Beamtinnen und Beamten
Zu den Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen
Union - C-55/18 (CCOO) - vom 14. Mai 2019
Dr. Peter Hauck-Scholz

Mit seiner Entscheidung vom 14.05.2019 zur Arbeitszeiter- von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit
fassung hat der EuGH in der inleressierten Öffentlichkeit, ins- gemessen werden kann."
besondere in der Arbeitswelt, grotSe Unruhe und Diskussionen Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und
ausgelöst, woftir mehr als ein halbes Dutzend arbeitsrecht- des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Ar-
licher Fachaufsätze spricht. Dagegen scheint die Entscheidung beitszeitgestaltung3 (künftig: RL) dient der Sicherheit und den
im Beamtenrecht keine Rolle zu spielen. Nach einer Weder- Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit. Sie wurde
gabe der wesentlichen Aussagen des EuGH einschlieflich der in Deutschland durch das Arbeitszeitgesetz und die Arbeitszeit-
Kldrung der Frage, ob die Richtlinie 2003/88/EG vom 04. I I .2003 regelungen für Beamte des Bundes und der Länder umgesetzt.
auchfür Beamte gilt, wird im Folgenden das geltende Beamten- Da die Umsetzungsfrist schon seit langer Zeit abgelaufen ist,
recht darau/hin untersucht, ob und inwieweit es Rechtsnormen unterliegen Umsetzungsmängel wegen Fehlerhaftigkeit oder
enthcilt, die den Anforderungen des EuGH entsprechen brw. Unvollständigkeit den vom EuGH aufgestellten Regelungen
welche Ändenmgen erforderlich sind, um dieses Ziel zu etei- z:ur Frage der Direktanwendung der Richtlinie im einzelnen
chen. Ein Schwerpunkt dieses Beitrags gilt der Arbeitszeiterfas- Mitgliedstaata.
t.
sung beamteter Lehrlo'äfte
Mehr als 14 Jahre nach lnkrafttreten der Richtlinie am 02.08.2004
(Art. 28 RL) hat sich der EuGH anlässlich eines Vorabentschei-
dungsverfahrens aus Spanien nunmehr mit der Frage befasst,
l. Das Urteil des EuGH vom 14.05.2019
ob zur Gewährleistung der Einhalfung der Richtlinie Maßnah-
men zur Arbeitszeiterfassung auf nationaler Ebene erforderlich
In seiner Entscheidung2 hat der EuGH folgenden Leitsatz auf-
gestellt: sind. Diese Frage wurde bejaht. Dabei spielte das Grundrecht
aus Art. 3l Abs. 2 GRCh eine wesentliche Rolle, weil der
,,Die Art. 3, 5 und 6 der RL 2003/88/EG des Europäischen Par- EuGH insbesondere die Art. 3, 5 und 6 RL als Konkretisierung
laments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte des Grundrechts ansieht. Nach Art. 31 Abs. 2 GRCh hat jede
der Arbeitszeitgestaltung sind im Licht von Art. 3l II GRCh Arbeitnehmerin und jederArbeitnehmer das Recht auf eine Be-
der Grundrechte der Europäischen Union sowie von Art. 4 grenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche
Abs. 1,Art. ll Abs.3 undArt. 16Abs.3 derRL 89/39I/EWG
des Rates vom 12.6.1989 über die Durchführung von Maß-
nahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheits- 1) Die spezifischen Arbeitszeiterfassungsprobleme an Hochschulen
müssen einer separaten Abhandlung vorbehalten bleiben.
schutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen,
2) EuGH, Urteil vom 14.5.2019 -C-55l18 (CCOO) - EU:C:2019:402.
dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die 3) EU, ABl. L 299/9 vom 18.1 1.2003.
nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeit- 4) :
BVerwGE 143, 381 Rn. 13 28R2013,42; Rieger, ZBR 2013,
geber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die S. 237 ; v Roetteken, jurisPR-ArbR 23120 19 Anm. 1, C.

l-

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