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zBR Hef 12/2019 Bergmann: Gerechte Beurteilung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit 399

nommen werden und infolgedessen auch dort bleiben.2s An- 4. Vollständigkeit der Personalakten
dernfalls könnten die Personalakten ihren Zweck, ein möglichst
Der besprochene Anlassfall der Beurteilungsbeiträge gibt über-
lückenloses Bild der Entstehung und Enrwicklung des Dienst-
dies Gelegenheit zu einem Plädoyer für die Vollständigkeit der
verhältnisses als historischen Geschehensablauf zu geben, nicht
erfüllen.26
Personalakte. Aus der disziplinarrechtlichen Praxis ist die
,,Flucht in die Entlassung" bekannt. Beamte, die sich schwer-
Die Vorstellung, dass Beurteilungsbeiträge nicht in die Personal- wiegenden Disziplinarvorwürfen ausgesetzt sehen (regelmäßig
akten aufzunehmen wären, passt daher nicht in die Gesamt- geht es um Lehrer, die im Besitz kinderpornographischer Bilder
struktur des Personalaktenrechts. Sie trägt dem Gewicht, das waren), ,,bieten" ihrem Dienstherrn die Entlassung auf Ver-
Beurteilungsbeiträge in der Rechtsprechung zwischenzeitlich langen an. Dadurch wird diesem das Disziplinarverfahren er-
erhalten haben, nicht angemessen Rechnung. In der Literatur spart. Im Gegenzug soll aber nicht nur das Disziplinarverfahren
werden dementsprechend etwa Aufzeichnungen über Assess- unterbleiben, sondern auch ein entsprechender Eintrag in die
ment-Center, strukturierte Interviews oder Protokolle von Personalakte. Angesichts der Mangelsituation für Lehrkräfte ge-
Gremienentscheidungen unter den materiellen Personalakten- lingt den Betroffenen so regelmäßig eine Neueinstellung bei
begriffgefasst.2T Auch insoweit handelt es sich aber nur um vor- einem anderen Dienstherrn. Dass die geschilderten Vorwürfe
bereitende Schritte. aber das Dienswerhältnis des betroffenen Beamten betrefFen
und zur sachgerechten Information anderer Dienstherrn im
3. Alternativen? Rahmen einer Bewerbung von erheblicher Bedeutung wären,
liegt aufder Hand. Ihre Erfassung in der Personalakte darfdaher
Die Ausnahme vom Personalaktenbegriffwirft im Übrigen die - auch aus Rechtsgründen - nicht unterbleiben. In manchen
Frage auf, in welcher Form Beurteilungsbeiträge sonst auF Landesdisziplinargesetzenst ist hierfür sogar die Feststellung
bewahrt werden sollten. Denn andere Unterlagen dürfen in die vorgesehen, dass der Beamte ohne die Entlassung aus dem Be-
Personalakte nicht aufgenommen werden (S 106 Abs. I Satz 5 amtenverhältnis entfernt worden wäre.
BBG). Die in der Praxis wohl nicht selten anzutreffende Füh- In die Personalakte gehört daher nicht weniger, sondern mehr!
rung als ,,untechnische" Nebenakte ist daher unzulässig (g 106
Abs.2 Satz 3 BBG).'z8
Damit müssten die personenbezogenen Beurteilungsbeiträge
ausschließlich in einer Sachakte geführt werden - erwa für eine BVerwGE 15,3 (12).
25) BVerwG,Urteil vom 30.8.1962-2C16.60 -
Regelbeurteilungsrunde oder für einen Bewerbungsvorgang. 26) BVerwG, Urteil vom 31.1.1980 - 2 C 5.78 - BVerwGE 59,355 (356).
Hierdurch wird indes der Zusammenhang zu der Person, die 27) VEl. erwa Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis,
von den Aktenvorgängen betroffen ist, gelöst. Derartige Neben- 9. Aufl. 2017, S. 344,Rn.2t.
akten will das Personalaktenrecht mit dem Grundsatz der Voll- 23) Vgl. zum Verbot der Führung weiterer Personalakten auch BT:
Drs. 121544, S. 15.
ständigkeit der Personalakte gerade vermeiden. Im Übrigen die-
29) VCL BTDTs. 121544, S. 1 1.
nen Beurteilungsbeiträge auch nicht zu ,,besonderen, von der 30) E6enso lorse, Die dienstliche Beurteilung, 6. Aufl . 2016, Rn. 203 ff',
Person und dem Dienswerhältnis zu trennenden Zwecken'l wie mit weiteren datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten; hierzu auch
dies für die Aufnahme in eine Sachakte erforderlich wäre.2e Be- Wo ffi ZBR 2019, 5. 32s (329\.

urteilungsbeiträge gehören demnach in die Personalakte.30 3 I ) Vgl. etwa Art. 33 Abs. 2 S. 2 des Bayerischen Disziplinargesetzes.

Gerechte Beurteilung von Beamten- und insbesondere


Richterarbeit
Prof. Dr.Jan Bergmann.

Die dienstrechtliche Beurteilung ist heine mathematische Wissen' zen. Selbstin Zeiten der Asylberge darf,,schnell - aiel - billig"
schafi, sondern ein tatsachenbasierter Akt wertender Erkenntnis. nicht zum neuen BGB werden.,Langsam - wenig- teuer" kann
Verfahrensuorgaben hierzu sind meist klar. Materiell aber scheint der Dienstherr hingegen regelmriJlig rügen. Refektieren wir dieses
der ZPO bisweilen ihr BGB zufehlen. Auch im Dienstrecht sollten Spannungsuerhältnis, trffin wir auf Überlegungen zum "Good
Äpfel nicht an Birnen gemessen uerden, weshalb uielfiiltig zu Judging".
dffirenzieren ist. Gleichwohl folgen aus Grundgesetz und Recht-
sprechung bereichsübergreifende Beurteilungsuorgaben, die zuletzt
ausgeschärfi wurden. Grundstürzender Neuerungen bedarf es
nicht, weder bezüglich der Beurteilung uon Beamten noch uon
Richtern. Allerdings darf der Richter auf Grenzen pochen. Aucb *') Vortrag zum Arbeitskreis Beamtenrecht aufdem 19. Verwaltungs-
uenn ihm Art.97 GG kein Grundrecht zur Seite stellt, ist zumin- gerichtstag 2o19 in Darmstadt. Ausschließlich zur leichteren Vor-
dest dessen Kernbereich auszuleuchten und zu wahren. Venual' trag- und Lesbarkeit wird die kürzere männliche Form verwendet.
tungsrichter scheuen sich nicht, den defnierten Beurteilungsspiel- Dei Autor ist Vorsitzender des Dienstrechtssenats des VGH Mann-
raum der Vollkontrolle zu unterwerfen. Beurteilungen sollten heim sowie ständiges Mitglied des DGH für Richter beim OLG
Stuttgart. Herzlicher Dank gebührt der sw. Senatsvorsitzenden
dabei aber nicht als MaJlnahmen der Dienstaufsicbt fehlinter- Dr. Cornelia Paehlke-Gärtner sowie der wissenschaftlichen Mit-
pretiert werden. Geschieht dies dennoch, folgen aus der Spezial- arbeit von cand.iur. Zelda Bamberger LL'M., die wesentliche Denk-
kompetenz der Rich terdienstgerich te keine wesent licben Prüfgren- anstöße gaben.
400 Bergmann: Gerechte Beurtei lung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit ZBR Hefr 12/2019

l. Zu den Grundsätzen des Beurteilungswesens Gesetzlich vorgesehen sind beide Beurteilungsarten für Bun-
desbeamte in g 48 Abs. 1 BLV. Für die Beamten der Länder und
These 1: Auch im Dienstrecht sollten Apfel nicht an Birnen Kommunen hingegen fehlt es an einer entsprechenden Rege-
gemessen werden, sondern es ist plausibel begründet zu diF lung. Es gibt bis heute Länder3, die für bestimmte Gruppena
ferenzieren und dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rech- keine Regelbeurteilung vorsehen. Sie begnügen sich mit An-
nung zu tragen. lassbeurteilungen. Bei Beurteilungen muss jedenfalls differen-
ziert gearbeitet werden, je nachdem, ob eine Probezeit, eine
a) \üesentlicher Grundsatz einer gerechten Beurteilung ist die
gewöhnliche Zeit im innegehabten Statusamr oder eine hö-
Differenzierung. Dies beginnt damit, dass der grundrechtsarti-
herqualifizierende Erprobungszeit zu bewerren ist. Bei Probe-
ge Art.33 Abs.2 GG wegen der Garanrie des gleichen Zugangs
zeitbeurteilungen ist Maßstab das zur Erprobung inne gehab-
zu jedem öffentlichen Amte zur gesonderten Bewerrung von
te Statusamt und es soll primär bewertet werden, ob der
Eignung, BePähigung und fachlicher Leistung zwingtl. Des-
Kandidat nicht geeignet, noch nicht geeignet oder geeignet
halb bestimmt S 21 Satz I BBG für Bundesbeamte, dass
bzw. genauer, in welchem Umfang er für dieses geeignet ist.
Eignung, BePihigung und fachliche Leistung regelmäßig zu
Bei Regelbeurteilungen ist Maßstab das ausgeübte Statusamt,
beurteilen sind. Schon bei dem eigentlich die gesamte Persön-
hinsichtlich dessen Eignung, Befähigung und fachliche Leis-
lichkeit umfassenden Qualifikationsmerkmal der,,Eignung" tung differenziert im Sinne eines Rückblickes zu bewerren
muss unterdifferenziert werden im weiten Sinne, d. h. hin- sind. Bei Anlassbeurteilungen soll hingegen der Blick nach
sichtlich der allgemeinen beamtenrechtlichen Voraussetzun- vorne gerichtet werden im Sinne einer Eignungs- und Befihi-
gen, sowie im engen Sinne, also auch prognostisch bezüglich gungsprognose hinsichtlich des angestrebten Statusamtes.
anlage- und entwicklungsbedingter Merkmale sowie physi- Dies geschieht aber nicht im luftleeren Raum, sondern hat -
scher und psychischer Kräfte hinsichtlich berechtigter Dienst- sofern vorhanden bzw. vorgesehen - aufder letzten Regelbeur-
pflichterwartungen. Hier stehen die körperliche Leistungs- teilung aufzusetzen. Die Anlassbeurteilung soll also aus der
fihigkeit, Gesundheit, Intelligenz und Villensstärke, aber auch vorangegangenen Regelbeurteilung fortentwickelt werden,
die charakterliche Zuverlässigkeit, Arbeitsfreude, physische Im Schwerpunkt zeigt sie neben der Prognose deshalb auch
und psychische Belastbarkeit, Flexibilität, Kooperationsbereit- eventuelle Veränderungen auf. Je kürzer der Beurteilungszeit-
schaft sowie gegebenenfalls die Führungskompetenz im Zen- raum zwischen Regel- und Anlassbeurteilung ist, desto be-
trum. Die ,,BeFähigung" zielt primär auf die dienstliche Ver- deutsamer bleibt die Regelbeurteilung. Im Hinblick hierauf
wendung sowie hierzu erforderliche wesenrliche Fähigkeiten, überraschende Auf- oder Abwertungen sind plausibel zu er-
Kenntnisse und Fertigkeiten. Hier geht es um lVissen, Erfah- läutern.
rung und Können, weswegen eine entsprechende Vorbildung
c) Gerechtigkeit hat immer auch mit Gleichheit und Gleich-
sowie die bisherige Berufspraxis, d. h. auch Aus- und Fortbil-
behandlung zu tun. Um gerecht zu bewerten, muss der Beur-
dungen sowie ihre Erfolge gesondert zu beleuchten sind. Die
teiler neben den skizzierten Differenzierungen penibel darauf
,,fachliche Leistung" zielt schließlich auf diejenigen Beschäfti-
achten, unparteiisch, sachlich, einfühlend, pflichtbewusst und
gungsergebnisse, die den dienstlichen Anforderungen entspre-
verantwortungsfreudig zu sein und so auch vom Beurteilten
chen. Hier geht es um den ,,Output", um die Bewertung der
wahrgenommen zu werden. Ein übertrieben großzügiger Be-
tatsächlich geleisteten Arbeit, d. h. um ein Werrurreil darüber,
urteilungsmaßstab schadet ebenso wie ein allzu strenger. Denn
mit welcher Quantität, Qualität und Konsranz der Leistung
es geht im Ergebnis darum, alle Bediensteten zutreffend zu-
den dienstlichen Anforderungen praktisch entsprochen wur-
einander ins Verhältnis zu setzen und so dem Leistungsgrund-
de.
satz sowie der Bestenauslese gerecht zu werden. Kein Dienst-
b) Bei dienstlichen Beurteilungen ist auch formal zu differen- herr hat nur gleich sehr gute oder gleich sehr schlechte
zieren, denn sie ergehen als Regel- oder Anlassbeurteilungen 2. Mitarbeiter. Zur gerechteren Ausdifferenzierung können des-
halb auch Richtwerte bzw. Quoten hilFreich sein. Dies aller-
dings nur, soweit sie tatsächlich ,;weich" sind und so gehand-
habt werden sowie im Sinne der Gaußschen Normalverteilung
1) Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2O.9.2076
- 2 BvR 2453/75 - juris eine ausreichend großer, dennoch überschaubare und homo-
m.w.N. gene Gruppe gegeben sowie zudem gewährleistet ist, dass
2) Zum Verhältnis Anlass- und Regelbeurteilung s. BVerwG, Urteil sämtliche Beurteilungen vom gleichen Begriffsinhalt der ein-
vom 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris. zelnen Notenstufen ausgehen6. Nicht hinzunehmen ist eine
3) Z.B. Hessen. Praxis, in der (oft lebensältere) Beurteilte, nur, weil sie ,,nichts
4) Z.B. Lehrer und Richter.
5) Künzler geht von 30 Richtern aus, vgl. Sächs\y'Bl 2008, 80, dort auch mehr werden wollen'i oder auch Teilzeitbeschäftigte in die un-
zum Problem der,Jubelbeurteilung'i teren Quotenbereiche einsortiert werden. Nicht hinzunehmen
6) VGH BW Urteil vom 25.9.2O06 - 4 S 2O87 / 13 - iuris. ist selbstredend weiter, wenn Frauen, auf deren Einsatz im
7) Einem
"Anfangsverdacht"
zugunsten von Männern bzw. Vollzeit- Übrigen jede Dienststelle heute mehr denn je angewiesen ist,
beschäftigten geht Kathke nach, RiA 2019,5. 56.
gerade im karriereentscheidenden Beurteilungsbereich fak-
8) Ausführlich hierzu lorse, DöV 20 t7, S. 4Ss.
9) Vgl. nur Art. 79, 57 IV AEUV und Art. 23, 25 GRCh; hierzu schon
1,
tisch bzw strukturell diskriminiert werden 7, wofür ihr schwa-
Maurer, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht un- cher Anteil an Beförderungsämtern ein Indiz sein kann 8. Dem
ter europäischem Einfluss, 2002, S. 351. ist entgegenzuwirken. Hierzu könnte insbesondere das anwen-
10) Insbesondere Art.33 Abs. 2 und 19 Abs.4 GG. dungsvorrangige Antidiskriminierungsrecht der Europäischen
1 1 ) S 21 BBG: Eignung, BeFihigung und fachliche Leistung der Beam- Union fruchtbar gemacht werden, das nach der Rechtspre-
tinnen und Beamten sind regelmäßig zu beurteilen. Ausnahmen
von_ der Beurteilungspflicht kann die Bundesregierung durch
chung des EuGH maßgeblich auf die soziale lVirklichkeit ab-
Rechtsverordnung regeln. S. auch 5 9 BeamtStG: Ernennungen zielte.
nach Eignung, BeFihigung und fachlicher Leistung ofine
sind_
d) Gleichheit und Gleichbehandlung bedeuren schließlich, dass
Rüclaicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder etfinische
Herkunft, Behinderung, Religion oder rJü'elranschauung, politische einschlägige Sonderregelungen einheitlich beachtet und ange-
Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vor- wendet werden. Und hiervon gibt es viele. Zu beachtende Vor-
zunehmen. gaben des Beurteilungswesens ergeben sich aus Grundgesetzl0,
12) Dort SS 48-50 BLV S 33 Abs. 1 BLV. Bundesgesetzenrr, der Bundeslaufuahnverordnung12, Landes-
ZBR Hefi 12/2019 Bergmann: Gerechte Beurteilung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit 401

gesetzen13, Beurteilungsverordnungen, kommunalen oder gilt erwa bezüglich der beliebter werdenden mediengestützten
körperschaftlichen Satzungen sowie Verwaltungsvorschriften, Bewerberpräsentationen, Unterrichtsanalysen oder der Bear-
insbesondere ausdifferenzierten Beurteilungsrichtlinien mit beitung einer,,schwierigen beruflichen Alltagssituation" und
zugehörigen Anwendungsvermerken. Spezialvorschriften beste- eigentlich selbst hinsichtlich eines Assessment-Centers23 oder
ra,
hen damit für die Beamten und Richter des Bundes aller Bun- dem ,strukturierten Auswahlgespräch"2a. Venn geklärt ist, ob
desländer sowie zahlreicher Kommunen bzw. Körperschaften neben dem rechtlich vorgegebenen Beurteiler überhaupt noch
des öffentlichen Rechts. Die Rechtslage darf als weitreichend andere Personen, wie etwa Personalvertretungsmitglieder oder
unübersichtlich und zersplittert und oftmals wenig klar oder, Chancengleichheitsbeaufuagte in einem Auswahlgremium mit-
positiver betrachtet, als föderal bunt bezeichnet werden' wirken dürfen25, sollten solche Hilfsmittel grundsätzlich erst
nach festgestelltem, auf der Auswertung von Beurteilungen be-
These 2: Bereichsübergreifende Vorgaben ergeben sich aus
der Ratio der Beurteilung, die überall gleich ist. ruhendem Gleichstand herangezogen werden, um ein Patt zu
entscheiden. Solche nur eine Momentaufnahme abbildenden
a) Ausgehend von Sinn und Zweck dienstlicher Beurteilungen Hilfsmittel dürfen jedenfalls regelmäßig nicht das Ergebnis
lassen sich dennoch bereichsübergreifende Vorgaben vor die eines Beurteilungsvergleichs durch einen klaren oGewinner" ins
Klammer ziehen. Denn jede dienstliche Beurteilung dient vor Gegenteil verkehren 26.

allem der Verwirklichung des Leistungsgrundsatzes und der


Bestenauslese, Den Umständen nach soll hierdurch - staats- These 3: Bezüglich der bereichsübergreifend hergebrachten
tragend - die optimale Verwendung des Bediensteten gewähr- Grundsätze des Beurteilungswesens bedarf es keiner grund-
leistet und die im öffentlichen Interesse liegende Erfüllung ho- stürzenden Neuerungen.
heitlicherAufgaben im Sinne von Art.33 Abs.4 GG bestmöglich a) Die bereichsübergreifende Gültigkeit beanspruchenden Be-
gesichert werden. Zugleich dient die Beurteilung - karrierewah- urteilungsvorgaben wurden in letzter Zeit zwar inhaltlich aus-
rend - dem berechtigten Interesse des Bediensteten, entspre- differenziert, können aber als bekannt und bewährt bezeichnet
chend seiner konkreten Eignung, Befihigung und fachlichen werden, sodass insoweit keine Neuausrichtung angezeigt ist.
Leistung in der Personalentwicklung berücksichtigt zu werden
Insbesondere sollte an der praxisgerechten Judikatur festgehal-
und also beruflich voranzukommen. Insoweit gibt g 33 Abs. 1
ten werden27, der Beurteilung dogmatisch mangels ,,Rege-
BLV die Richtung vor, der anordnet, dass auf der Grundlage ak-
lung"za den Verwaltungsakts-Charakter abzusprechen2e. Als
tueller dienstlicher Beurteilungen sowie früherer Beurteilungen
vor Hilfskriterien und unter Beachtung des Gleichstellungs-
rechts zu entscheiden ist. Eine Auswahlentscheidung hat also
13) Vgl.etwa S 51 LBG BIü(: (1) Eignung, BeFihigung und Fachliche
maßgeblich anhand aussagekräftiger, hinreichend differenzier- Läistung der Beamtinnen und Beamten sind in regelmäßigenZeit'
ter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhenden Beur- abständän zu beurteilen. Die Landesregierung kann durch Rechts-
teilungen zu erfolgen'5. Regelmäßig sind hierbei zunächst die verordnung bestimmen, dass Beurteilungen außerdem anlässlich
letzten Beurteilungen heranzuziehen. Der Leistungsvergleich bestimmter Personalmaßnahmen erfolgen. In der Rechsverord-
startet dann mit dem abschließenden (statusamtsbezogenen) nung können fiir Beamtinnen und Beamte des Landes auch
Grundsätze der Beurteilung und des Verfahrens, insbesondere die
Gesamturteil, das jeweils plausibel herzuleiten und grundsätz-
Zeitabstände der regelmäßigen Beurteilung, lestgelegt sowie Aus-
lich gesondert zu begründen ist. Bei im Wesentlichen gleichen nahmen für bestimmte Gruppen von Beamtinnen und Beamten
Gesamturteilen (und ggf. vorzunehmender statusamtsbezo- zugelassen werden. (2) Die Beurteilungen sind den Beamtinnen
gener Binnendifferenzierung) sind die einzelnen (hier zulässig und Beamten zu eröffnen und aufVerlangen mit ihnen zu bespre-
am konkreten Dienstposten dargestellten) Bewertungen aus- chen. Eine schriftliche Außerung der Beamtin oder des Beamten
zu der Beurteilung ist zu den Personalaktendaten zu nehmen.
geschärft zu vergleichen. Führt auch dies nicht weiter, soll auf
14\ Zu legitimen Besonderheiten der "kondominialen" Bundesrichter-
frühere Vorbeurteilungen zurückgegriffen werden. Erst hernach
wahl bzw. bei Auswahlverfahren im Raum" s'
sind bei weiter festgestelltem wesentlichem Gleichstand Bevor- "semi-politischen
BVerFG, Beschluss vom 20.9.201 6,NYwZ2ol7,313 sowie VGH BW
zugungen aufgrund von leistungsunabhängigen Kriterien wie Urteil vom 6.6.2018 - 4 S 7 56/17 - ivis.
etwä des Geschlechts t6 oder Schwerbehinderung zulässig17. 15) BVerFG,Beschlussvom 77.2.2077 -2 BvR 1558/16- juris.
16) Zur Problematik von Bestenauslese und Frauenförderung s. OVG
b) Aus dieser Ratio von Beurteilungen ergibt sich, dass Rela- NRW Beschluss vom 27.2.2017 - 6B 1109/16 - iuris, Rn. 68; Urteil
tivierungen ihrer Ergebnisse grundsätzlich skeptisch zu betrach- vom21.9.2017 -6 A916/16- juris,Rn.90, jeweils m.w.N.
ten sind 18. Mittels ,Standzeiteni Regelverweilzeiten bzw. im 17) Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.12,2002 - 2 C 3l.ol - vnd 27.2.2003
Kern dem Dienstalter kann ein geeigneter Bediensteter jeden- -2 C 16.02 -beide iuris.
18) Überzeugend:Hzg,VBlB\(i 2017,5.397 (401 ff.) m.w.N.
falls grundsätzlich nicht aus einem Auswahlverfahren ausgeson-
19) BVerwGE 151,333 m.w.N.
dert oder hintangesetzt werden. Allenfalls, wenn die (maximal 20) BVerFG, Beschluss vom 23.6.2o1 S,NYwZ 201 6, 59. Da Yettretungs-
einen Regelbeurteilungszeitraum dauernde)'lü(Iartezeit der Bes- fille lange währen können und auch in kleineren Bundesländern
tenauswahl dient, weil zunächst die praktische Bewährung im vorkommen, könnte dieser Kammerbeschluss allerdings als ,,un-
bisherigen Statusamt festgestellt werden soll, kann sie mit glücklich" problematisiert werden.
21) Diese sind allenfalls bei Spezialposten zulässig; vgl. BVerwG, Urteil
Art.33 Abs.2 GG vereinbar sein re. Die in einer Beurteilung do-
vom3.72.2074 -2 A3.13 - iuris (Cyberabwehr).
kumentierte Eignung entfillt auch nicht etwa wegen familiärer 22) Vgl. VGH B\ü, Urteil vom 9.6.2015 - 4 S 237 5/r4 - iuris.
Beziehungen des Beurteilten zu später gegebenenfalls zu beauf- 23) Hierzu Günther,ZBR2Ol9,S. 18.
sichtigenden Bediensteten, jedenfalls wenn insoweit mit Vertre- 24) Vgl. OVG B-B, Beschluss vom 29.5.2018 - lO S 66.16 - juris, Rn. 19
tungen gearbeitet werden könnte20. Die Ratio von Beurteilun- m-. w. N. $ 33 Abs. 1 S.3 BLV lässt allerdings zur Überprüfung der

gen setzt weiter gegebenenfalls auch dem Kommunalbereich Erftillung von Anforderungen, zu denen die dienstlichen Beurtei-
lungen keinen Aufschluss geben,,,eignungsdiagnostische Instru-
Grenzen für Sonderregelungen; beispielsweise die ausschließ-
mente' ausdrücklich zu.
liche Erstellung von dienstpostenbezogenen2l Anlassbeurtei- 25) Skeptisch VGH BI(i, Beschluss vom 6.12.2016,V818\N/ 2ot7,208.
lungen mit anschließender,Durchbeförderung" kann grund- 26) Vgl. VGH Briü, Beschluss vom 6.I2.2O76,YB|BW 2017' 208.
22.
sätzlich nicht hingenommen werden 27) Teilweise a. A. Kenntner,ZBR 2016, S. 182 (196).
28) Ausfi.ihrlich hierzu Hzg, VBIB\7 2017, S.397 (399 tr.) m. w. N', auch
c) Schließlich ist auch der Relativierung einer Beurteilung im Hinblick auf das anders strukturierte Soldatenrecht.
durch Heranziehung "weiterer Hilfsmittel" im Hinblick auf 29) BVerwGE 28,191i VGH Brü(/, Urteil vom 2l.7.2O16,VBlB\ü 2016,
ihre Ratio mit grundsätzlichem Argwohn zu begegnen. Dies 292.
402 Bergmann: Gerechte Beurteilung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit zBR Hefr 12/2019

Realakt, der in aller Regel nicht mit dem rechtlich statthaften derte Begründung des Gesamrurteils, anders als die plausibili_
Viderspruch und der Leistungsklage, sondern faktisch erst über sierung von Einzelmerkmalen, nicht im gerichtlichen Verfahren
$ i23 VwGO im Konkurrentenstreit3o inzident überprüft nachholbar ist38. Mit Urteil vom 02.03.201.7 wurde bezüglich
wird3l, gelten für die Beurteilung die Fristbestimmungen der individueller Fließtext-Beurteilungen modifiziert, dass äiese
SS 70, 58 Abs. 2 VwGO nicht und es entsteht keine Bestands- keines gesondert begründeten Gesamturteils bedürfen, wenn
kraft. Der Betroffene muss deshalb auch nicht im auf gegenseiti- sich die konkret benotete Eignung, Befrhigung und fachliche
ge Rüclaichtnahme angelegten Dienstverhältnis vorbeugend Leistung hinreichend schon aus dem Text ergeben. Und selbst
förmliche und allseits belastende Rechtsmittel ergreifen. Sollte bei Ankreuz-Beurteilungen könne eine Begründung des Ge-
er sein fehlendes Einverständnis allerdings jahrelang zurück- samturteils entfallen, wenn sich sein Gewicht aus den hin-
halten, um es dann in einem Konkurrentenstreit zu instrumen- reichend deutlichen Einzelbewertungen ablesen lässt bzw. der
talisieren, kann (verwirkende) ,,Präklusion" drohen, wenn von Norm- oder Richtliniengeber hierzu schlüssige Gewichtungs-
einer zeitnahen Gegenvorstellung abgesehen wurde 32. vorgaben gemacht hat, die dem Beurteiler im Einzelfall Abwei-
chungen erlauben3e. Im weiteren Urteil vom 02.03.2017 wurde
b) Als Realakt greift für die Beurteilung nicht die Anhörungs-
die grundsätzliche Nichtnachholbarkeit der Gesamtbeurtei-
pflicht des S 28 (L)VwVfG und auch nicht der Ausschluss eines
lung bestätigt, die materielle Beweislast des Dienstherrn für ver-
Beurteilers schon bei Besorgnis der Befangenheit gemäß g zt
wertete Tätsachengrundlagen betont und ein vorgegebenes
(L)VwVfG, sondern vielmehr, wie in engeren Arbeiaverhältnis- 40.
,,Vier-Au gen-Prinzip" konkretisiert
sen sachdienlich, erst bei tatsächlicher Voreingenommenheit33.
Für Beurteilungen gelten dogmatisch auch nicht die genauen d) Mit Urteil vom 28.01.2016 wurde u. a. entschieden, dass ein
Begründungsvorgaben des g 39 (L)VwVfG. Dies bedeutet aller- Ruhestandsbeamter zwar kein Beurteiler mehr sein, wohl aber
dings nicht zugleich, dass von einer Begründung abgesehen Beurteilungsbeiträgeal erstellen kann. Bei der Begründung des
werden kann. Ganz im Gegenteil. Aus dem Rechtsstaatsprinzip Gesamturteils müsse deutlich gemacht werden, wie es sich aus
und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes folgt vielmehr sogar den Einzelbewertungen herleiteta2. Mit Urteil vom 77.03.201,6
die verfassungsrechtlich aufgeladene Pflicht zur inhaltlichen wurde klargestellt, dass ein Beurteiler begründen muss, wenn er
Aussagekraft, damit, der Ratio entsprechend, die tragFähige einem Beitrag nicht folgt. Bei Rechtswidrigkeit könne die ganze
Grundlage einer künftigen Auswahlentscheidung geschaffen Beurteilung aufgehoben werden, gegebenenfalls auf der Grund-
wird3a. lage des S 48 (L)VwVfGa3. Mit Urteil vom 01.03.2018 hat das
BVerwG deutlich gemacht, dass ein gleichrangiger oder gar rang-
c) Im Einzelnen hat das BVerwG zu diesen Problemkreisen in niedrigerer Kollege kein Beurteiler sein kann. Beurteilungs-
den letzten Jahren verschiedene Detailvorgaben gemacht3s. Mit beiträge, die hingegen auch von gleichrangigen potentiellen
Urteil vom 27.l7.2ol4wurde ausgeführt, dass der Beurteiler, hat Konkurrenten gefertigt werden können, dürfen schriftlich oder
er selbst nur rudimentäre Kenntnisse vom Beurteilten, Beurtei- auch mündlich eingeholt und reflektiert gewürdigt werden.
lungsbeiträge einholen muss, die ihm in Umfang und Tiefe die \(ie viele Beiträge, die zur efFektiven
Rechtskontrolle auftie-
notwendigen Differenzierungen ermöglichen36. Im sog. An- wahrt werden müssen, eingeholt werden, obliege der gerichtlich
kreuz-Urteil vom'1,7,09.2015 wurde entschieden, dass, wenn überprüfuaren Einschätzung des Beurteilers. Zur Plausibilisie-
kein Aufdrängen einer bestimmten Note im Sinne einer Ermes- rung von Einzelbewertungen müsse der Beurteilte gegebenen-
sensreduktion auf Null gegeben ist, das Gesamturteil im Unter- falls konkrete Punkte benennen, die er für unzutreffend hält.
schied zu Einzelbewertungen in der Regel einer gesonderten Bei der Begründung des Gesamturteils müssten auch die
Begründung bedarf, die umso umfangreicher ausfallen muss, je Gewichtung der Einzelmerkmale auf die Anforderungen des
uneinheitlicher das Leistungsbild der Einzelbewertungen ist37. Statusamts bezogen seinaa. Mit Urteil vom 09.05.2019 wurde
Mit Beschluss vom21.12.20'1.6 wurde ergänzt,dass diese geson- herausgearbeitet, dass es nicht Aufgabe dienstlicher Beurteilun-
gen ist, jedwede Veränderung im Tätigkeitsbereich kleinteilig
nachzuzeichnen, Neue Anlassbeurteilungen müssen deshalb
3O) Zw Dogmatik Bergmann/Paehlke-Gärtner, NVwZ 2018, S. 110 so- nur dann und nur für denjenigen erstellt werden, der einen
wie Spitzlei,ZTR 2018, S.5oo.
Dienstposten während eines erheblichen Zeitraumes wahrge-
31) Mit freilich der in diesen Eilverfahren nachteiligen Folge der
wegen S 152 Abs. I VwGO fehlenden Letztinstanz des BVerwG zur
nommen hat, der ausschließlich einem höherwertigen Status-
Rechtsvereinheitlichung. amt zugeordneten waras,
32) Vgl. VGH B\ü, Beschluss vom 14.12.2017 - 4 S 2099/17 ivis, - e) Zusammenfassend ist damit heute bekannt und bewährt,
Rn.10.
33) Vgl. VGH BI7, Urteil vom 21.1.2016 - 4 S 1082/14 - juris, Rn. 76 dass im Grundsatz sowohl Einzelmerkmale als auch Gesamtur-
m.wN. teil - schon in der Beurteilung selbst - tatsachenbasiert und aus-
34) BVerwGE 153,48. sagekräftig zu begründen sind. Sowohl Notensteigerungen als
35) Ausftihrlich uon der Weiden, jurisPR-BVerwG I 1/2018, Anm. 6. insbesondere auch Verschlechterungena6 sind plausibel zu be-
36) BVerwGE 150,359. gründen, wozu gegebenenfalls auf einen neuen allgemeinen
37) BVerwGE 153,48.
38) BVerwG, Beschluss vom 21.122016 - 2 VR 1.16 - luris. Maßstab abgestellt werden kann 47. Hinsichtlich die eigenen Be-
39) BVerwG, Urteil vom 2.3.2017 - 2 C 51.16 - jnris, Rn. 14 f. obachtungen ergänzender Beurteilungsbeiträge, deren Richtig-
40) BVerwGE 157,366. keit nicht ins Blaue hinein überprüft werden muss, bedarf es
41) Auch eine Anlassbeurteilung in einer Periode einer Regelbeurtei- jedenfalls dann einer gesonderten Begründung, wenn der Beur-
lung kann ggf. als Beitrag zu werten sein; vgl. OVG NRW Beschluss teiler sich diese nicht zu eigen machta8. Findet nach Beförde-
vom 12.6.2018 - 1 B 97 5/17 - iuris.
42) BVerwG, Urteil vom 28.7.2016 - 2 A 1.14 - juris.
rung in der diesbezüglich erstmaligen Beurteilung nicht die
43 ) BVerwG, Urteil vom 17.3.2016 - 2 A 4.15 - juris. regelmäßige Herabstufung statt, muss auch die hierzu erforder-
44) BVerwG, Urteil vom 1.3.2018 - 2 A 10.17 - juris. liche Leistungssteigerung plausibel gemacht werden4e. Umge-
45) BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris. kehrt ist gesondert zu begründen, wenn ein höherwertiger
46) Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.72.2016 -2VR 1.16 - juris, Rn.33. Dienstposten erfolgreich wahrgenommen wurde und dennoch
47) Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.4.2013 - 2 B 134/11 - juris, Rn. 1 1.
die geringeren Anforderungen des Statusamts nicht als besser
48) Vgl. VGH BrV, Beschluss vom29.3.2ol6 - 4 S 141/16 - iuris.
a9) Vgl. VGH B\(/, Beschluss vom29.3.2016 - 4 S 142116 - juris, Rn. 17. erfüllt angesehen werdenro. Als Conclusio auf den Punkt ge-
50) Vgl. VGH BV, Beschluss vom 26.4.2O76 - 4 S 64/16 - juris, Rn. 21. bracht bedeutet bei Beurteilungen in aller Regel mehr (Begrün-
51) So zu RechtHag,VBIBW 2017,5.397 (406). dung) auch mehr (Akzeptanz bzw. Rechtssicherheit) il.
ZBR Hefi 12/2019 Bergrnann: Gerechte Beurteilung uon Beamten- und insbesondere Ricbterarbeit 403

ll. Zu den Sondervorgaben für Richter- beurteiler in den allermeisten Fällen selbst Richter sind, benöti-
beurteilungen gen sie insoweit ohnehin keine besondere Schulung, beurteilen
vielmehr gemäß der goldenen Regel: ,,Iflas du nicht willst, dass
These 4: Die richterliche Unabhängigkeit, die nicht nach der man dir tu, das füg auch keinem andern zu." Bei der gericht-
Kernbereichslehre definiert werden sollte, begrenzt die Be- lichen Überprüfung sizen mithin auf allen Seiten diesbezüg-
urteilung von Richterarbeit vor allem prophylaktisch. liche Experten, die ein erfahrungsgesättigtes Rechtsgefühl besit-
zen, was ,,richtig" und was ,falsch" ist.
a) Für Richterbeurteilungen sind Sondervorgaben zu beachten.
Denn zu den Grundsätzen des Richteramtsrechts zählt insbe- These 5: Die verwaltungsgerichtliche Prüfung erweist sich
sondere derjenige der sachlichen und persönlichen Unabhän- - bis auf zentrale Notenwertungen - regelmäßig als fakti'
gigkeit52. Zwar enthält Art.97 Abs. 1 GG kein Grundrecht des sche Vollprüfung.
zu beurteilenden Richters. Art.33 Abs.5 GG umfasst aber auch a) Im Sinne eines Regeltextbausteins wird die verwaltungs-
die hergebrachte Stellung besonderer Gruppen von Angehöri- gerichtliche Prüfung fast immer mit dem Hinweis eingeleitet,
gen des öffentlichen Dienstes und räumt Richtern deshalb dass dienstliche Beurteilungen ,,allerdings nur eingeschränkt auf
grundrechtsähnliche Individualrechte ein. Richter müssen ge- ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden können'l Weiter heißt
mäß Art. 97 Abs.1 GG ,,unabhängig und nur dem Gesetze un- es meist: ,,Die maßgebliche Beuneilung darüber' wie Leistungen
terworfen" sein. Die so umschriebene sachliche Unabhängigkeit eines Beamten bzw. Richters einzuschätzen sind und ob und in
ist gewährleistet, wenn der Richter seine Entscheidungen frei welchem Grad er die für sein Amt und ftir seine Laufuahn erfor-
von \ü(i'eisungen fillen kann, wobei jede vermeidbare auch mit- derliche Eignung, BePihigung und fachliche Leistung aufireist, ist
telbare, subtile und psychologische Einflussnahme auf seine ein von der Rechsordnung dem Dienstherrn bzw. dem ftir ihn
Rechtsstellung verboten ist53.
handelnden jeweiligen Beurteiler vorbehaltener Akt wertender
b) Zom sogenannten geschützten Kernbereich dieser Unabhän- Erkenntnis. Die verwaltungsgerichdiche Nachprüfung hat sich
gigkeit gehören nach ständiger Rechtsprechung des BGH die deshalb daraufzu beschränken,ob der Dienstherr den rechtlichen
eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden Rahmen und die anzuwendenden Begriffe zutreffend gewürdigt,
Sach- und Verfahrensenscheidungen, einschließlich nicht aus- ob er richtige Sachverhaltsannahmen zugrunde gelegt und ob er
drücklich vorgeschriebener, dem Interesse der Rechtssuchen- allgemein gültige tüTertmaßstäbe beachtet und sachfremde Erwä-
den dienender richterlicher Handlungen, die in einem konkre- gungen unterlassen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die
ten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht
und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehensa. auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie
Die Abgrenzung zwischen ,,Kernbereich" und ,Bereich äußerer mit den gesetzlichen Regelungen in Einklang stehen.63
Ordnung" kann kritisiert werdenss, weil sie nicht hinreichend
trennscharf und damit rechtssicher ist, was bezüglich der höchst-
b) Und hernach wird - jedenfalls im Rahmen von Konkurren-
tenstreitigkeiten - regelmäßig minutiös vollgeprüft64. Haupt-
richterlichen Feststellung plastisch wird, feste Dienstzeiten bzw.
ursache hierfür ist der Umstand, dass dienstliche Beurteilungen
Präsenzpflichten verletzten den Kernbereich richterlicher Un-
eben in aller Regel erst in Konkurrenteneilverfahren gemäß
abhängigkeits6 oder erwa im Frankfurter RobenstreitsT deutlich
g 123 VwGO inzident überprüft werden und die hier vorzu-
wurde. Dogmatisch zielführender ist deshalb ein funktionaler
nehmende verwaltungsgerichtliche Prüfung der der Auswahl-
Ansatz, wonach Art.97 Abs. I GG sich auf sämtliche ,,spezifisch
entscheidung zugrundeliegenden Beurteilung(en) unter allen
richterlichen Tätigkeiten" erstreckt, die der Rechtsprechungs-
Gesichtspunkten zu erfolgen hat, die ihre Eignung als Auswahl-
aufgabe dienen und deshalb allesamt im Kernbereich liegen,
und allein nicht-richterliche Tätigkeiten insoweit ungeschützt
ausgeklammert sind 58. Auch dieser funktionale Ansatz schließt
52) BVerfGE 12,81 <88>; 55,372 (391 f.).
selbstredend eine umfassend angelegte Richterdienstaufsicht 53) BVerfG, Beschluss vom 22.6.20O6 - 2 BvR 957/05 - juris, Rn. 7,
nicht grundsäzlich aus, verlangt aber ihre Begrenzungse. m.w.N.
5a) Vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2013 - RiZ (R) 2h2 - jvis, Rn. 17; s'
c) Auch eine dienstliche Beurteilung, verstanden als Verfahren
sowie Akt der Bewertung richterlicher Tätigkeit, hat die Unab-
-
auch BVerfG, Beschluss vorr' 4.2.2O16 2 BvR 2223/15 iuris, -
Rn. 75 ff. Beispiele zum Kernbereich zeigr Schmidt-Räntsch auf in:
hängigkeit des Richters zu respektieren. Eine diesbezügliche DRiG,6. Aufl.2oo9, g 26, Rn.28 ff m. w. N.
Verletzung und also Rechtswidrigkeit ist vor allem anzuneh- ss) Ygl. Papier,NJ\7 2001, s. 1089.
men, wenn das vorbereitende Verfahren oder die Beurteilung 56) BVerwGE 78,211;BGHZ 113,36; BGHST 47, 105.
selbst, die zwar auch eine (die Motivation) steuernde Wirkung
57) ,Der Richter braucht keine Robe tragen, wenn dies Auswirkungen
auf seine Entscheidung hatli vgl. DGH FfM, NJ\ü 1987
haben darf, auf eine direkte oder indirekte Veisung hinausläuft, '1208.
58) Überzeugend Schmidt-Ränfscl, Dienstaufsicht übe.r Richter, Diss.
wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll60. In 1 985. Ebänso Se n d ler, NJY| 2001, S. 125 8; Le u zc, DÖD 2oo2,S. 13 4'

dieser Richtung muss die dienstliche Beurteilung eines Richters 59) Die der Gesetzgeber in g 26 Abs.2 DRiG vorgenommen hat.
sich auch jeder psychologischen Einflussnahme enthalten. Sie 60) Vgl.BGH,Urteilvom 4.3.2015 -RiZ(R) 4/14- juis.
ist unzulässig,wenn die in ihr enthaltene Kritik den Richter ver- 61 ) BGH, stRspr., vgl. Urteil vom 4.6.2009 - F.iZ (R) 5/08 - juris, Rn' 15
m.w.N.
anlassen könnte, in Zukunft eine andere Verfahrens- oder 62) Vgl. etwa BGH, Urteil vom 31.1.1984 - FiiZ (R) 1/83 - ("Die Ermitt-
Sachentscheidung als ohne diese Kritik zu treffen6r. lungen vor der mündlichen Verhandlung zur Feststellung und,Be-
urtellung des Sachverhalts sollten bisweilen in größerem Umfang
d) In der gerichtlichen Praxis zu Richterbeurteilungen spielen gepflogen werden."), oder BGH, Urteil vom 73'2.2074 - RiZ (R)
diese Sondervorgaben allerdings ersichtlich nur eine unter- +/t3 - (,ziI. nimmt Herr T. die höchstrichterliche Rechtsprechung
geordnete Rolle. Einmal abgesehen von, angesichts der tagtäg- nicht zur Kenntnis"), oder DGH für Richter beim OLG Stuttgart,
lichen Masse richterlicher Beurteilungen, ganz vereinzelt ge- Beschluss vom 26.10.2075 - DGH 2/15 - ("Seine leitende Aktivität
bliebenen sanktionierten Verstößen62, entfalten sie vor allem als Kammervorsitzender konzentriert Herr X vor allem auf die 22.
<PVS>Kammer.'); alle juris.
vorbeugende rü(/irkungen. Sie dienen dem Beurteiler gewis-
63) Hingewiesen wird sodann meist auf BVerwG stRspr, z' B' BVerwGE
sermaßen als ,schere im Kopf" und lassen ihn jedenfalls alle 724,356;150, 359.
Bemerkungen hinsichtlich konkreter Verfahrens- und Enschei- 64) Ein illustres Beispiel bietet VGH Brff, Beschluss vom 27 .1O.2O75 -
dungskritik vorsorglich auf die Goldwaage legen. Da Richter- 4 S 1733/15 - iuris, Rn. 5 ff.
r
404 Bergnann: Gerechte Beufteilung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit ZBR Hef 12/2019

grundlage beeinträchtigen könnten65. Zudem übernimmt das b) Das BVerfG jedenfalls hat hinter diese Auffassung im Hinblick
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in dieser Konstella- auf die Ratio der Beurteilung überzeugend ein dickes Fragezei-
tion aufgrund des Instituts der Amterstabilität die Funktion des chen gesetzt6e. Denn unter öffentlich-rechtlicher Dienstaufsicht
Hauptsacheverfahrens, weshalb es nach Prüfungsmaßstab, -um- ist die personenrechtliche Aufsicht über die Pflichterfüllung des
fang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurück- Amsinhabers im Innenverhältnis zu seinem Dienstherrn zu ver-
bleiben darf. Auch aus prozessualer Perspektive müssen dienst- stehen. Dieser hat den Richter als Amtswalter im Umfang der
liche Beurteilungen hiel mithin umfassend tatsächlich und dienstaufsichtsrechtlichen Befugnisse zu beobachten und zu kor-
rechtlich überprüft werden 66. rigieren, wenn dazu Veranlassung besteht. Die dienstliche Beur-
teilung hingegen hat den schon dargestellten Zweck, die eig-
c) Umfassend tatsächlich und rechtlich überprüft werden Beur- nungs- und leistungsgemäße Verwendung des Beamten oder
teilungen hier meist aber auch deshalb, weil Betroffene - pro- Richters sicher zu stellen. Sie dient vor allem auch einer den An-
zessual durchaus sachdienlich - ,,aus allen Rohren schießen"67, forderungen des Art.33 Abs.2 GG gerecht werdenden Personal-
um sich hinreichende Erfolgsaussichten zu verschaffen. Hier auswahl, d. h. der zuverlässigen Klärung einer,,'Wettbewerbssitua-
brechen mitunter jahrelang angestaute Frustrationsdämme von tion" der für die Besetzung von Dienstposten oder für
sich ungerecht zurückgesetzt Fühlenden, auch aus der Vorstel- Befdrderungen in Betracht kommenden Personen unter den Ge-
lung heraus, sonst ohnehin nichts mehr gewinnen zu können. sichtspunkten der Eignung, Befihigung und fachlichen Leistung.
Genauer zur ÜberprüFung gestellt werden häufig schon die Be- 'W'enn
zudem positiv zu wertende oder gar belobigende Ausftih-
urteilungsbeiträge, vor allem aber auch die Tatsachenangaben rungen in einer dienstlichen Beurteilung nicht als Manipulation
bzw. der zugrunde gelegte Beurteilungssachverhalt, die Plausibi- oder mittelbarer Zwang zu einem bestimmten dienstlichen Ver-
lität und Viderspruchsfreiheit der'lü'ertungen, oftmals die be- halten gebrandmarktwerden,sollten als andere Seite der gleichen
sonders angreifuare rVürdigung von Sozialverhalten oder Füh- Medaille auch sich kritisch mit der richterlichen Tätigkeit befas-
rungskompetenz sowie schließlich das Gesamtergebnis.Von der sende Bewertungen der dienstaufsichtsführenden Stelle nicht zu
,,allerdings nur eingeschränkten PrüFungskompetenz" bleibt so Maßnahmen der Dienstaufsicht hochqualifi ziert werden.
- bis aufdie im Beurteilungsspielraum verbleibende eigentliche c) In der Tät spricht also Überwiegendes dafiir, dienstliche Beur-
Notenwertung - am Ende oft wenig übrig.
teilungen nicht als ,,Maßnahmen der Dienstaußicht" im Sinne
These 6: Beurteilungen sollten keine Maßnahmen der Dienst- von g 26 Abs. 3 DRiG fehlzuinterpretieren. Hierdurch wird der
aufsicht sein; iedenfalls folgen im Konkurrenteneilverfah- Richter auch nicht rechtsschutzlos gestelltTo. Denn wird durch
ren aus dienstgerichtlichen Spezialkompetenzen keine ver- kritische Ausführungen in der dienstlichen Beurteilung in seine
waltungsgerichtlichen Prüfgrenzen. persönliche oder sachliche Unabhängigkeit eingegriffen, ist de-
ren Rechtswidrigkeit zwingende Folge. In diesem Falle besteht
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH - Dienstgericht des die Möglichkeit, den Verwaltungsrechtsweg zu beschreitenTl;
Bundes - ist ,,Maßnahme der Dienstaufsicht" im Hinblick auf (Nur72) dort wird dann umfassend geprüft, denn der Streitgegen-
den Zweck des g 26 Abs.3 DRiG, den Richtern gegenüber den
stand ist im Falle einer dienstlichen Beurteilung unteilbar. Die
Dienstaufsichtsbehörden einen möglichst umfassenden Rechts-
verschiedenen Einwendungen, die gegen sie erhoben werden,
schutz zu gewähren, weit zu fassen. Hierunter wird deshalb jede
dienen nur als rechtliche bzw tatsächliche Begründungselemente
Maßnahme verstanden, die von der DienstauFsichtsbehörde aus-
bezüglich des Anspruchs auf fehlerfreie Ausübung des dem
geht, ohne Rücksicht darauf, ob mit ihr nach Art und Inhalt Dienstherrn eingeräumten Beurteilungsspielraums. Hier ist des-
Aufsichtstätigkeit ausgeübt wird. Demnach genügt aus Rechts- halb auch immer ein einheitliches Gesamturteil über Eignung,
schutzgründen jede Maßnahme, die einen konkreten Bezug zu Befähigung und fachliche Leistung abzugeben und zu über-
der Tätigkeit des Richters hat und sich auch nur mittelbar da- prüfen. Behauptete Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit
rauf auswirkt. Nach diesen Vorgaben werden vom BGH auch können von diesem Streitgegenstand nicht abgetrennt werden.
dienstliche Beurteilungen als Maßnahmen der Dienstaufsicht
angesehen6s. Vielleicht ist Schelm, wer Arges dabei denkt und d) Jedenfalls im Konkurrenteneilverfahren gibt es keine verwal-
unterstellt, dass dies als Wollensentscheidung vor allem der Er- tungsgerichtlichen Prüfgrenzen73. Denn selbst nach der Defini-
öffnung des eigenen Rechtsweges dient. tion des BGH kann die den hier streitgegenständlichen Bewer-
bungsverfahrensanspruch betreffende Auswahlentscheidung
keinesfalls als Maßnahme der DienstauFsicht qualifiziert wer-
den. Auch kritische Formulierungen in einem Auswahlvermerk
65) S.auch S 33 Abs. I BLV
66) BVerwG, stRspr, vgl. z. B. BVerwGE 1'18,37o. sind grundsätzlich nicht dazu bestimmt und geeignet, sich auf
67) Vgl. etwa den Angriff eines Beurteilten auF seine Beurteilung nach das künftige Verhalten des Richters in bestimmter Richtung
BVerfG, Beschluss vom 4.2.2016,NYw22016,764: ,,an den Haaren auszuwirken. Der Auswahlvermerk ist auf die Entscheidung be-
herbeigezogen, willkürlich und (.. . ) den wirklichen Verhältnissen schränkt, welcher Bewerber der am besten geeignete im Sinne
nicht ansatzweise gerechtl' des Art.33 Abs.2 GG ist, und kann auch nur so gelesen werden.
6s) Vgl. BGH, Urteil vom 16.3.2005 - RiZ (R) 2/04 - BGHZ 762,333.
69) BVerfG, Beschluss vom 4.2.2076 - 2 BvP. 2223/7 5 - iuris, Rn. 98.
Insoweit besteht eine ausschließliche Zuständigkeit des Verwal-
70) Überzeugend: OVG NRW Urteil vom 15.10.2003 - | A,2338/01 - tungsgerichts. Umgekehrt kann Entsprechendes gelten, etwa bei
jufls. einer Entlassungsverfügung eines Richters aufProbe, für die das
71) Auch der BGH geht davon aus, dass die allgemeine Rechtmäßig- Dienstgericht ausschließlich zuständig ist7a. In beiden Konstel-
keitskontrolle den Verwaltungsgerichten obliegt und die Dienstge- lationen aber ist die vorzunehmende Inzidenzprüfung der
richtskontrolle aul die richterliche Unabhängigkeit begrenzt ist;
dienstlichen Beurteilung jeweils umfassend und verändert nicht
vgl. BGH, Urteil vom 10.8.2001 - RiZ (R) 5/00-ZBR2002,215.
72) Ygl.zw entgegengesetzten (aufgegebenen) Rspr. BGH, Urteil vom den jeweiligen Streitgegenstand. Aus diesem Grund muss das
i1..7.7984 - RiZ (R) 3/83 - juris, Rn. 16. Verwaltungsgericht auch nicht enva das - zudem mehrpolige -
73) Ausftihrlich VGH B.s(/, Beschluss vorn 27.1O.2O75 - 4 S 1733/75; Konkurrenteneilverfahren aussetzen, bis eine rechtskräftige
bestätigt durch BVerfG, NA-Beschluss vom 4.2.2016 - 2 BvR dienstgerichtliche Entscheidung vorliegt, sollte die Beurteilung
2223/tS - beide iuris.
unter dem Aspekt der Unabhängigkeitsverletzung parallel beim
74) Vgl. g 78 Nr.4c DRiG.
75) Das aufgrund seiner beschränkten Befugnisse keine (vorläufige)
DienstgerichtT5 angefochten worden sein. W'egen der unter-
Stellenbesetzungssperre aussprechen kann; vgl. DGH beim OLG schiedlichen Streitgegenstände kommen den Entscheidungen
Stuttgart, Beschluss vom 26.70.2075 - DGH 2/15 - juris. der beiden Gerichtsbarkeiten insoweit auch keine gegenseitigen
zBR Hef 12/2019 Bergmann: Gerechte Beurteilung uon Beamten- und insbesondere Richterarbeit 405

Bindungswirkungen 2u76. Hier können sich bezüglich Arr.97 lass zu Sorge besteht, sollten bei Beurteilungen vielleicht doch
Abs. 1 GG mithin gegenläufige Bewertungen ereignen, was in vorbeugend keine Apfel mit Birnen verglichen werden, d. h. es
einer bekanntlich konstitutiv uneinheitlichen Judikatur hinzu- könnte bei der Bewertung nach Asyl und sonstigem Verwal-
nehmen ist. tungsrecht sowie hierbei jeweils zwischen einfacheren, komple-
xeren und besonders komplexen Fällen unterschieden sowie
differenziert werden hinsichtlich der Erledigung durch Urteil,
lll. Zum Problembereich einer gerechten Eilbeschluss, Gerichtsbescheid, Vergleich, übereinstimmende
Beurteilung Erledigungserklärung oder Rücknahme. Zugleich sollte die kla-
re Botschaft ausgesendet werden, dass trotz allem gerade kein
These 7: Selbst in Zeiten der Asylberge darf ,,schnell - viel - ,schnell - viel - billig" gewünscht ist und schlecht auch als
billig" nicht zur neuen Beurteilungsmaxime werden. schlecht bewertet wird. Dies heißt natürlich nicht zugleich, dass
a) Bekanntermaßen kämpfen unsere Verwaltungsgerichte schon ,,langsam - wenig - teuer" als gut bewertet werden müsste.
seit einiger Zeit und wohl noch über Jahre hinweg mit den These 8: ,Langsam - wenig - teuer" kann der Dienstherr re-
durch die frühere BAMF-Politik des ,,schnell - viel - billig" fak- gelmäßig rügen.
tisch erzeugten Asylbergen. Bundesweit sind in der Verwal-
tungsgerichtsbarkeit inzwischen über 400,000 Verfahren aufge- a) Auch weil der Freiburger OlG-Kollege die Medienöffentlich-
laufen. In zahllosen Kammern hängen über 1.500 Verfahren an keit nicht gescheut hat77, wohl auch um sein Image des ,langsa-
und einzelne Richterreferate mit bis zu 500 Verfahren sind eher men Richters",,,von dem niemand sage, er sei faul oder dumm'i
die Regel als die Ausnahme. Hinzu kommt, dass den zahlreich zu korrigieren, wurde und wird sein Gang durch den Instanzen-
neu eingestellten Assessorinnen und Assessoren notwendig Be- zug der Richterdienstgerichte in der gesamten Justiz wahrge-
rufserfahrung sowie Routine fehlen, und sie in latenter Konkur- nommen und diskutiert. Seither weiß jeder Interessierte, dass
renz selbstredend grundsätzlich alle die Lebenszeitanstellung das Referat des Kollegen sondergeprüft und ihm vorgehalten
am Verwaltungsgericht anstreben. Aber auch auf länger gedien- wurde, er habe über Jahre hinweg ,,das Durchschnittspensum
ten Kolleginnen und Kollegen lastet der Druck der Vielzahl der ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender To-
Verfahren nicht minder, und innerstaatliche Fluchtalternativen leranzbereiche unterschritten" und zll sogar weniger Verfahren
in Form von Beförderungsstellen an den im Vergleich deutlich erledigt, ,,als dies der durchschnittlichen Leistung einer Halb-
weniger belasteten Gerichten der zweiten und dritten Instanzen tagsrichterin/eines Halbtagsrichters am OLG entspricht"T8. Vei-
sind auch für sie rar. Schließlich hat auch dieJustizpolitik damit ter ist seither jedermann bewusst, dass der Dienstherr eines
zu kämpfen, den Haushältern immer neue Planstellen und Mit- Richters die ehr- und karriereschädigenden'\ü(/erkzeuge der un-
tel abzuringen und kann der asylkritischen Öffentlichkeit doch beschränkten ,,verschärften Beobachtung" sowie des durch 5 26
(noch) nicht den Erfolg melden, dass die Verfahrenszahlen deut- Abs.2 DRiG eingeschränkten Vorhalts und der Ermahnung im
lich zurückgehen. Schrank hat, die zwar nicht aufden sachlichen Inhalt, wohl aber
die Art der Ausführung von jeder spezifisch richterlichen Tätig-
b) Vor diesem Hintergrund liegt die Versuchung nahe, auch in keit sowie ihre unverzögerte ErledigungTe gerichtet sind, und
der Verwaltungsgerichtsbarkeit in einer Politik des "schnell - diese repressiven'W'erkzeuge im Konfliktfall, so ein ,,Gedanken-
viel - billig" den Befreiungsschlag zu suchen. ,,Schnell" ist im- austausch" nicht in eine Verhaltensänderung mündet, auch ein-
mer populär, weil die Vorstellung in der Bevölkerung weit ver- setzen kann.
breitet ist, nur schnelles Recht sei gutes Recht.,,Viel" ist ebenfalls
immer populär, weil das Leistungsstärke suggeriert, nur dadurch b) Denn der Dienstgerichtshof für Richter beim OLG Stuttgart
Verfahrensberge nachhaltig abgebaut werden können, Erfolgs- urteilte am 17.Q4.2015, das allgemeine Anhalten eines Richters
meldungen möglich werden und Applaus sicher scheint. ,,Bil- zu vermehrter Erledigung sei mit der richterlichen Unabhän-
lig" meint in derJustiz eine Bearbeitung der Verfahrensakten im gigkeit vereinbar. Die bewertende Erfassung von Rückständen
Sinne der erweiterten Kenntnisnahme oder gar eines Handauf- und Erledigungszahlen bedeute für sich alleine keinen Versuch,
legens bzw. die Norwehr-Rechtsprechung in Form eines Hoch- den Richter auf eine bestimmte Art der Bearbeitung festzule-
hängens der Zulässigkeitsschwellen, der großzügigen Bevorzu- gen; auch stelle der Vergleich von Erledigungszahlen keinen
gung derjenigen materiell-rechtlichen Veichenstellungen, die Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit dar. Bleibe die Ar-
weitere Aufl<lärungsmaßnahmen ersparen, oder die durchge- beitsleistung hinter dem durchschnittlichen Arbeispensum er-
hende Einzelrichterei bzw. das deutlich bequemere Fallerledi- heblich zurück, liege regelmäßig ein Fall verzögerter Erledigung
gen mittels Telefonj urisprudenz. der Amtsgeschäfte vor, der über g 26 Abs. 2 DRiG gerügt werden
80.
dürfe
c) Dass dies alles nicht gut ist, weiß jeder Beurteilte selbst, eben-
so wie jeder Beurteiler. Der Beurteiler wiederum steht vor dem c) Der BGH - Dienstgericht des Bundes - bestätigte diese Recht-
Problem, dass auch er sich gegebenenfalls öffentlich rechtferti- sprechung dem Grunde nach. Auch er geht davon aus, dass der
gen muss,warum in seinem Gericht noch immer Land unter ist. Vorhalt von Rückständen oder Arbeitsresten und eine hierauf
Dennoch ist klar, dass ein ,,schnell viel billig"-Bs6t.itttt-
- - bezogene Ermahnung, die übertragenen Aufgaben fortan ord-
schlag sowohl dem Einzelfall nicht gerecht wird als auch dauer-
haft Strukturen zerstört. Denn was Hänschen nicht lernt, lernt
Hans eben auch nicht mehr.'Wer erst einmal an eine Not- 76) Vgl. BVerwG, Urteil vom 9.6.1983 - 2 C 34.80 - iuris.
wehr-Rechtsprechung im Sinne eines vom Dienstherrn ,,ge-
77) Vgl. nur sein im Internet unter www.lto.de abrufuares Interview
vom 21.7.2O75 Fixierung auf Zahlen ist von geringem intel-
wünscht sc beliebC'gewöhnt wurde, wird voraussichtlich nie "Die
lektuellen rf(/ert".
mehr ein guter Verwaltungsrichter. Das hohe Niveau der deut- 78) Zw Seite sprang dem Kollegen mit Fundamentalkritik an dieser
schen Verwaltungsgerichtsbarkeit, das zu Recht in aller Velt Halberledigungsformel" bzw.,lemminghaften
"scheinrationalen
gerühmt wird und seit den Anängen insbesondere beim badi- Schlagzahlenfixiertheit' Wittec&, NJ\üü 2012, S. 3287.
79) Für die die ,angemessene Verfahrensdauer'i.S. der EGMR-Recht-
schen VGH im Jahre 1863 und württembergischen VGH im
sprechung zurn fair trial gemäß Art. 6 I EMRK sowie die Sechs-
Jahre 1876 nunmehr durch Generationen hinweg über 150 Jah- Monatsfrist der Verzögerungsrüge nach S 19S V GVG Anhalts-
re aufgebaut wurde, könnte geFährdet werden. Auch wenn je- punkte geben.
denfalls in Baden-\fürttemberg diesbezüglich bislang kein An- 80) DHG beim OLG Stuttgan, Urteil vom 17.4.201'5 - DC.H 2/73 - ivis.
406 Hecklinger/Hartntannshenn/Hornickel: Pfichten des Dienstherrn uor Begründung des Beamtenuerhälhisses zBR Hef 12/2019

nungsgemäß und unverzögert zu erledigen, grundsätzlich noch Engagement verlangt werden dürfen, wobei der Blick auch hier
keine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit dar- im rüy'esentlichen nur auf qualitativ hochwertige Erledigungen
stellen. Eine solche Beeinträchtigung liege erst dann vor, wenn gerichtet ist.
das diesbezügliche diensraufsichtliche Eingreifen und der mit
dem Vorhalt verbundene Erledigungsdruck dem Richter indi- b) Zur Kardinalfrage, wann ein Richter wirklich qualitativ ,,gut"
83,
rekt ein Pensum abverlange, welches sich allgemein, also auch ist kann zunächst auf Sokrates Grundanforderungsprofi I ver-
von anderen Richtern sachgerecht nicht mehr bewältigen lasse. wiesen werden: Er muss ,,höflich anhören, weise antworten, ver-
Könne festgestellt werden, dass deren Erledigungen sachgerecht nünftig erwägen und unparteiisch entscheiden". Luther hat dies
erreicht werden, dürften die tarsächlichen Erledigungszahlen nach dem Bauernkrieg weiter ausdifferenziert: Der Richter
anderer Richter als ein Anhalt für das allgemein zu bewältigen- ,,muss Sieger sein über alle Leidenschaften, Furcht, Liebe, Gunst,
de Arbeitspensum genutzt werdensr. Auf die Verfassungsbe- Mitleid, Habsucht, Hoffnung, Ruhm, Leben und Tod. Er muss
schwerde hiergegen wollte sich das BVerfG rrorz bevorstehen- die ganz schlichte Vahrheit lieben und das gerechte Urteil."sa
der Pensionierung des Kollegen inhaltlich nicht äußern, weil Ergänzendes lässt sich aus den überJahrzehnte hinweg enrwi-
aufgrund der Rückverweisung des BGH an den DGH zur weite- ckelten einschlägigen Beurteilungsrichtlinien skizzieren 85. Hier
ren Verifizierung des konkret maßgebenden Arbeitspensums wird in Variationen als ,,Apollon oder Athene des Richreramtes"
der Rechtsweg ,im Ergebnis" noch nicht erschöpft sei 82. eine mit ausgeprägter Fachkompetenz begabte, ausgewogene
und gefestigte souveräne Persönlichkeit beschrieben mit inne-
These 9: Eine gerechte Richterbeurteilung knüpft an Maß- rer Unabhängigkeit, Kommunikationsstärke und Kreativität, die
stäbe des,Good Judging" an. sowohl leistungsbereit, belastbar, fexibel und teamfihig als
a)\(er sich an Notwehr-Rechtsprechung gewöhnt hat, wird nie auch emphatisch, offen, kritik- und konfliktFähig ist und sich bei
mehr ein guter Verwaltungsrichter. \ifie aber misst und bewer- hoher Sozial- und Führungskompetenz positiv mit ihrem
tet man ,,gut"? Quantitativ ist nunmehr klar, dass wer das Dienstauft rag identifi ziert. 86

Durchschnittspensum bei durchschnittlich schweren Fällen in


c) Dies alles im Spannungsverhältnis der richterlichen Unab-
durchschnittlicher Erledigungszeit bewältigt, jedenfalls dienst-
hängigkeit des Art. 97 Abs. I GG, dem Leistungsprinzip nach
aufsichtsrechtlich nicht gerügt werden kann. Durchschnittlich
Art. 33 Abs. 2 GG und der Justizgewährleistungspflicht gemäß
kann die goldene Mitte sein und in jeder Hinsicht geschätzt
Art. 19 Abs.4,20 Abs.3 GG ,,gerechr" zu bewerten, ist natürlich
und befriedigend. Jedenfalls für Spitzenbeurtöilungen wird
ein weites Feld und eine verantwortungsvolle Aufgabe. Verwal-
quantitativ aber gegebenenfalls mehr als nur durchschnittliches
tungsgerichtspräsident Udo Schneider hat diesbezüglich beein-
druckend zielführende Grundlagenforschung betrieben8T. Mit
seinen Feldern richterethischer Bewährung formuliert er zu-
81) Vgl. BGH, Urteil vom 7.9.2077 - RiZ (R) 2/15 - juris.
82) BVerfG, NA-Beschluss vom 9.3.2018 - 2 BvR 174118 - juris. gleich Maßstäbe für,,GoodJudging'l Im Einzelnen in den Blick
83 ),,. . . und auch sonst von mäßi gem Verstand e", zt Ludwig Th om a v gl. genommen werden können hiernach: (1) Die Haltung des Rich-
Künzler,SächsYBl 2008, S. 77. ters gegenüber Prozessbeteiligten88 im Sinne der Leirtugend
84) Zitiert nach DRiZ 2003,232. Fairness. (2) Die Haltung des Richters in und gegenüber der
85) Hierzu im Einzelnen Lorse,Die dienstliche Beurteilung,6. Aufl. Öffentlichkeitse im Sinne der Leittugend der inneren Unabhän-
2016, Rn.350 ff. m. w. N.
86) Vgl. hierzt Eckertz-Höfer, DÖV 2009, S. 729, sowie Rennert,DRiZ gigkeit. (3) Seine Haltung als Richter im politischen Meinungs-
2073,5.214. kampfeo. (4) Seine Haltung gegenüber Kollegener und Mitarbei-
87) Schneider, Richterliche Ethik im Spannungsfeld zwischen richrer- tern wiederum im Sinne der Leittugenden Fairness und innere
licher Unabhängigkeit und Gesetzesbindun g, 2O77 ; zusammen- Unabhängigkeit. (5) Die Vahrung der Rechtsidee nach den
geFasst in BDVR-Rundschreiben 2/2018, S.8 ff Leittugenden der Rechtstreue und der Fairness. (6) Schließlich
88) Vgl. hierzu auch Vultejus,DPriZ 2002, S. 311, der sich gegen den
Griffzum Kommentar bei der Begegnung mit verwundeten Seelen die Haltung des Richters zu sich selbst, d. h. sein persönliches
wendet. Richterbild als ,,Mensch in Robe"e2 und entsprechend selbst-
89) S. hierzu die DRB-Grundsätze ,Außerungen von Richtern und reflektiertes Verhalten. Anknüpfend hieran dürfte es möglich
Staatsanwälten in der Öffentlichkeit"; abgödruckt in DRiZ 1984, sein, einer wirklich ,,gerechten" dienstlichen Beurteilung, zu-
716.
mindest näher zu kommen, auch wenn letztlich unabänderbar
9o) YgL Hager,NJ\f 19s8, S. 1694.
91) Hierzu instrtkriv Heydemann,BDYR-Rttndschreiben 4/2017, S. 10. bleibt, dass ein guter Richter nicht norwendig gut beurteilt wird
92) Vgl. auch die ,lerhaltensleitlinien ftir Richterinnen und Richter und ein gut beurteilter Richter nicht notwendig ein guter Rich-
des BVerfG 2077'1' EIGF'Z 20 I 8, 23 1. ter ist.

Pflichten des Diensthern vor Begründung des Beamten-


verhältnisses*
Mirko Hecklinger, Prof. Dr.Jochen Hartmannshenn und Nils Hornickel

Im Arbeitsrecht enßtebt während der Anbahnung eines Arbeits- eines Beamtenuerhähnisses Konstellationen entstehen, in denen
aerbältnisses ein gesetzliches Schulduerhäbnis nach den Grundsät- PfichtuerstöJle des Dienstberrn und deren Folgen betrachtet uer-
zen der c.i.c. Dieses Rechtsinstitut ist im Beamtenrecht nicht kodi- den müssen. Zu denken wäre beispielsweise an den Arbeitnehmer,
fziert, so dass auf den ersten Blich im Beamtenrecht keine der sein Arbeitsuerhältnis aufgrund der Zusage der Berufung ins
Regelung bereitsteht, die den Scbutz im Rahmen der Anbahnung Beamtenuerhähnis kündigt, die Ernennungjedoch nicht zustande
einer Ernennung regeh. Dabei können auch uor der Begründung kommt.

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