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Juristische Rundschau; 2021(10): 487–496

Abhandlung

Von Akad. Rat a. Z. Dr. Pepe Schladitz*

Ein modernes System der subjektiven Zurechnung


https://doi.org/10.1515/juru-2021-0035 schehens eines Bezugspunktes bedarf.3 Auf dieser Basis
wird eine Revision der Struktur des Unrechtstatbestands
Die Vormachtstellung der Lehre von der objektiven Zurech- notwendig.
nung bekommt Risse. Augenscheinliches Indiz für diese Ent- Diese Zeilen indizieren, dass das hier dargestellte Sys-
wicklung ist das Erstarken derjenigen Ansicht, wonach die tem einen Gegenentwurf zur Lehre von der objektiven Zu-
individuellen Voraussetzungen der Fahrlässigkeit solche des rechnung darstellt. Die insofern maßgebliche Kritik an der
(Handlungs-)Unrechts und nicht der Schuld darstellen. Der h. L. gilt es zunächst zu skizzieren. Nicht näher begründet

vorliegende Beitrag will die Kritik an der Lehre von der werden kann in diesem Zusammenhang, dass eine wach-
objektiven Zurechnung zum Anlass nehmen, ein modernes sende Literaturströmung mit Recht der Auffassung ist,
und leistungsfähiges Zurechnungssystem zu skizzieren. wonach die subjektiven Voraussetzungen der Fahrlässig-
keit solche des (Handlungs-)Unrechts des Fahrlässigkeits-
delikts darstellen.4 In Abgrenzung zur h. L. wird sodann  

I. Einleitung ein modernes Zurechnungssystem näher vorgestellt. Das


hier illustrierte Konzept beruht normtheoretisch auf der
Nach h. M. wird der objektive Tatbestand eines Erfolgs-
  h.A., wonach die primären Verhaltensnormen eine Bestim-
delikts strukturell durch die Anforderungen der Lehre von mungsfunktion aufweisen und der Verstoß gegen norma-
der objektiven Zurechnung ausgefüllt.1 Teilt man deren tive Verhaltensanforderungen Voraussetzung strafbaren
Prämissen nicht,2 streift man dem objektiven Tatbestand Verhaltens ist.5 Die rechtswidrige Handlung als Essenz
mit anderen Worten ein anderes dogmatisches Gewand der Straftat ist den Einsichten der personalen Unrechts-
über, muss dies zwangsläufig auch für den subjektiven Tat- lehre geschuldet6 und Grundlage der Erfolgszurechnung:
bestand Auswirkungen zeitigen, weil die subjektive Zu-
rechnung in Form des objektiv tatbestandsmäßigen Ge-

3 Vgl. Kindhäuser FS Eser, 2005, S. 345, 348.  

1 S. die Nachweise bei Schönke/Schröder/Eisele StGB, 30. Aufl. 2019,   4 S. die Nachweise bei Freund/Rostalski AT, 3. Aufl. 2019, § 5 Rn. 23      

Vor § 13 Rn. 90 a.
        Fn. 34. Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen der Lehre von

2 (Fundamentale) Kritik an der Lehre von der objektiven Zurechnung der objektiven Zurechnung, 2021, S. 441 ff. Anders die h.L., s. nur    

findet sich bspw. bei Burkhardt in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, MüKo/Hardtung StGB, 3. Aufl. 2017, § 222 Rn. 56; Jescheck/Weigend
     

Strafzumessung und Strafprozess im gesamten Strafrechtssystem, AT, 5. Aufl. 1996, S. 594 ff.; Krey/Esser AT, 6. Aufl. 2016, Rn. 1340;
         

1996, S. 99 ff.; MüKo/Duttge StGB, 4. Aufl. 2020, § 15 Rn. 95 ff., 103,


            Kühl AT, 8. Aufl. 2017, § 17 Rn. 89 ff.; Rengier AT, 11. Aufl. 2019, § 52
           

105 ff., 135 f.; ders. FS Maiwald, 2010, S. 133 ff., 149 ff.; Kindhäuser
          Rn. 12 ff.; Roxin/Greco AT I, 5. Aufl. 2020, § 24 Rn. 58; Wessels/Beulke/
         

GA 2007, S. 447 ff.; H. Schumann/A. Schumann FS Küper, 2007,


            Satzger AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 1114, 1144.
   

S. 543 ff.
    5 S. die umfangreichen Nachweise bei Schladitz Normtheoretische
Grundlagen (Fn. 4), S. 234 ff.     

*Kontaktperson: Pepe Schladitz, Akademischer Rat auf Zeit am 6 Vgl. Duttge RW 2019, 153, 156 f.; Fischer StGB, 67. Aufl. 2020,    

Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht der Vor § 13 Rn. 24; Frisch GA 2015, 65, 66 f.; Hauck, GA 2009, S. 280, 282;
             

Universität Osnabrück (Prof. Dr. Roland Schmitz). SK-StGB/Jäger 9. Aufl. 2017, Vor § 1 Rn. 30; Roxin/Greco AT I, § 10
         
488 Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung

Ohne Handlungsunrecht kein korrespondierendes Erfolgs- diesen Fällen sei der objektive Dritte mit dem Sonderwis-
unrecht.7 sen des konkreten Bürgers »auszustatten«.13
Das Kriterium der Risiko- bzw. Gefahrschaffung kann
allerdings weder methodisch überzeugend gebildet, noch
ohne Friktionen in die allgemeine Straftatsystematik in-
II. Zur Kritik an der Lehre von der korporiert werden:14 Der objektive Dritte ist eine bloße
objektiven Zurechnung Bauchpuppe des Rechtsanwenders, die Rechtssicherheit
zu liefern nicht im Stande ist.15 Dieser Maßstab wird in den
Die im vorliegenden Rahmen maßgebliche Kritik an der Fällen des Täters mit Sonderwissen von der h. L. nicht  

Lehre von der objektiven Zurechnung und ihrem Unrechts- durchgehalten und systemfremd individualisiert.16
paradigma fußt im Wesentlichen auf zwei Monita. Es geht Außerdem ist das kastrierte Verständnis des Objekti-
einerseits um den Gefahrbegriff, wie er der Lehre von der ven, wie es von der objektiv-nachträglichen Prognose
objektiven Zurechnung auf deren erster Stufe der sog. zugrunde gelegt wird, richtigerweise weder maßgeblich,
Grundformel8 zugrunde liegt. Andererseits kann die Frage, noch notwendig.17 Im Bereich der Vorsatzdelikte ver-
ob diese Risikoschaffung rechtlich missbilligt ist, systema- schwindet der objektive Dritte im subjektiven Tatbestand
tisch überzeugend nicht bereits im objektiven Tatbestand aus der Rechnung, denn Vorsatzgegenstand ist keines-
beantwortet werden. wegs, dass die Maßstabsfigur des objektiven Dritten das
Verhalten als riskant qualifiziert hätte.18 Da die individuel-
len Voraussetzungen des Fahrlässigkeitsdelikts richtiger-
1. Zur Kritik am Gefahrkriterium weise solche des (Handlungs-)Unrechts darstellen, kommt
es ausschließlich auf die individuellen Erkenntnismöglich-
Mit der Deutung des Handlungsunrechts im Sinne der Leh- keiten des Handelnden an, sodass es ebenfalls eines vor-
re von der objektiven Zurechnung wird der Begriff des gelagerten verobjektivierten Filters in Form der vernünfti-
Risikos scheinbar zum Zentralbegriff der Tatbestandslehre gen Maßstabsfigur nicht bedarf.19 Der objektive Dritte ist
erhoben.9 Modus Operandi der Prüfung ist nach h. L. die  

sog. objektiv-nachträgliche Prognose.10 Im Rahmen dieses


Verfahrens ist zu erörtern, »ob ein einsichtiger Beobachter 13 So Roxin/Greco AT I, § 11 Rn. 56. S.a. Baumann/Weber/Mitsch/    

vor der Tat (ex ante) das entsprechende Verhalten für Eisele AT, 12. Aufl. 2016, § 12 Rn. 39 ff.; Kühl AT, § 17 Rn. 31; Murmann
           

riskant bzw. gefahrerhöhend gehalten hätte«11. Der maß- Grundkurs, § 23 Rn. 38 ff.; NK/Puppe StGB, 5. Aufl. 2017, Vor
       

gebliche Beurteilungsmaßstab ist also generalisiert und § 13 Rn. 161; Rengier AT, § 52 Rn. 20; Safferling Vorsatz und Schuld,
       

von der konkreten Person des Täters und seinen Erkennt- 2008, S. 195; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster StGB, § 15
   

Rn. 138 ff.


   

nismöglichkeiten abstrahiert.12 Nur in der speziellen Kon-


14 Zusammenfassend Schladitz Normtheoretische Grundlagen
stellation, in der der Handelnde über sog. Sonderwissen (Fn. 4), S. 439 ff. Ausf. auch Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2),
       

verfügt, wird der Beurteilungsmaßstab individualisiert. In S. 99 ff.


   

15 Zur Kritik am »objektiven Dritten« s. MüKo/Duttge StGB, § 15  

Rn. 205; ders. FS Kohlmann, 2003, S. 13, 31 f.; ders., RW 2019, 153, 162;
       

Rn. 88 ff., § 24 Rn. 3 ff.; SK-StGB/Stein Vor § 13 Rn. 15; Struensee JZ


                Freund/Rostalski AT, § 5 Rn. 37; SK-StGB/Hoyer Anh. zu § 16 Rn. 20.        

1987, 53, 54. Monographisch Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), passim.  

7 S. nur Schönke/Schröder/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 58; Frisch in:     16 Krit. Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 103 ff.; MüKo/      

Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozess im Duttge StGB, § 15 Rn. 98 f.; MüKo/Freund StGB, Vor § 13 Rn. 184 ff.,
           

gesamten Strafrechtssystem, 1996, S. 135, 166.   197; Kindhäuser GA 2007, 447, 461. S.a. Otto AT, 7. Aufl. 2004, § 10    

8 Vgl. Goeckenjan Revision der Lehre von der objektiven Zurech- Rn. 16; Wolter GA 1977, 269. Ausf. Diskussion bei Börgers Gefahrurteil

nung, 2017, S. 153; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich 4. Aufl.


    (Fn. 9), S. 76 ff. Hiergegen insbesondere Greco ZStW 117 (2005), 519 ff.;
         

2019, Vor § 13 Rn. 55; Murmann Grundkurs, 5. Aufl. 2019, § 23 Rn. 31.
            Frisch GA 2003, 719, 732. Ausf. Diskussion bei Schladitz Normtheoreti-

9 Vgl. Börgers Studien zum Gefahrurteil im Strafrecht, 2008, S. 20 f.;     sche Grundlagen (Fn. 4), S. 156 ff.      

Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 17 Kindhäuser Gefährdung als Straftat, 1989, S. 61 f. S.a. Schladitz    

1988, S. 33 ff.
    Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 439 ff., 463 ff.        

10 Zur objektiv-nachträglichen Prognose s. Schönke/Schröder/Eisele 18 Stein FS Wolter, 2013, S. 521, 529.  

StGB, Vor § 13 Rn. 92 a; Frisch Vorsatz und Risiko, 1983, S. 129; Roxin/
        19 Ausf. hierzu Kindhäuser, GA 2007, 447, 451 ff., 465 ff. S.a. Burk-    

Greco AT I, § 11 Rn. 56; Sacher Sonderwissen und Sonderfähigkeiten,


    hardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 103 ff., 109 ff., 132 f.; Freund/          

2006, S. 73.
  Rostalski AT, § 5 Rn. 23 f.; SK-StGB/Hoyer Anh. zu § 16 Rn. 20; Jakobs
         

11 S. Roxin/Greco AT I, § 11 Rn. 56.     Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 89; D. Sauer Die    

12 Frisch in: Strafrechtssystem (Fn. 7), S. 135, 181. S.a. Börgers Ge-     Fahrlässigkeitsdogmatik der Strafrechtslehre und der Strafrechtspre-
fahrurteil (Fn. 9), S. 35 ff..       chung, 2003, S. 97 ff.    
Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung 489

m. a. W. unnötig. Die Strafrechtsdogmatik sollte sich von


    viduellen Fähigkeiten durch Anpassung des eigenen Ver-
ihm verabschieden.20 haltens Tatbestandsverwirklichungen zu vermeiden.28
Die systematische Prominenz, die die h. L. dem objek-   Klargestellt sei in diesem Zusammenhang, dass der
tiven Tatbestand einräumt,21 hat normtheoretische Bezüge. notwendige Bezugspunkt der individuellen Erkennbarkeit
Auch diese Prämissen sind kritikwürdig.22 Die Verhaltens- im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts richtigerweise nicht
normen werden als objektivierte Gefährdungsverbote ge- ein objektives Gefährdungsverbot ist.29 Eine solche Po-
deutet, deren Adressat die objektive Maßstabsperson, sition ist nicht in der Lage, die systematischen Friktionen
nicht der konkrete Bürger ist.23 Derlei Primärnormen be- aufzulösen. Erstens würde per Prämisse nach wie vor
anspruchen für jeden Bürger gleichermaßen Geltung und ein objektives Gefährdungsverbot vorausgesetzt werden,
verpflichten den konkreten Bürger ohne Berücksichtigung zweitens verblieben die systematische Probleme, nament-
von dessen individuellen Fähigkeiten. Die Frage, ob der lich hinsichtlich des Sonderwissens und der Vorsatzzu-
Handelnde subjektiv überhaupt in der Lage war, sich rechnung.30 In einer im eigentlichen Sinne personalen
normgemäß zu verhalten, wird grundsätzlich24 als eine Unrechtslehre kann der Verstoß gegen ein objektives Ge-
solche der Schuld betrachtet.25 fährdungsverbot nicht als Zurechnungsgrund ausreichen
Das ist mit den Prämissen der personalen Unrechts- und erfüllt daher für das Werturteil der Rechtswidrigkeit
lehre nicht zu vereinbaren.26 Adressat der Verhaltensnor- keinen Zweck.
men muss in einem solchen System der reale Mensch als
Normunterworfener sein, nicht eine gedachte Maßstabs-
figur.27 Für die Frage der Norm- und Pflichtwidrigkeit 2. Das sog. erlaubte Risiko – Normative
kommt es ausschließlich auf die individuellen Erkennt- Wertung im objektiven Tatbestand?
nismöglichkeiten des konkreten Bürgers an. Die den
Straftatbeständen zugrunde liegenden Verhaltensnormen Bei dem, was geläufig als erlaubtes Risiko bezeichnet wird,
verpflichten m. a. W. den Einzelnen, im Rahmen seiner indi-
    handelt es sich richtigerweise nicht um ein homogenes
Rechtsinstitut, das als Zurechnungsausschlussgrund stets
im objektiven Tatbestand angesiedelt ist.31
Im Ausgangspunkt liegt dem Institut des erlaubten
Risikos nach h. L. die zutreffende Überlegung zugrunde,

20 So auch die Forderung im Untertitel der Arbeit von Börgers Ge- dass das Recht nicht sämtliche Gefahrschaffungen verbie-
fahrurteil (Fn. 9).   ten kann; ein solches umfassendes Verbot würde zu stark
21 Hierzu HK-GS/M. Heinrich 4. Aufl. 2017, Vor § 13 StGB Rn. 72. Krit.
       
in die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte eingrei-
MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 105 f.      

fen.32 Der entsprechende Bereich erlaubt riskanter Verhal-


22 Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 439 ff.      

tensweisen wird von der h. L. als Ergebnis einer Abwägung


23 Klarstellend Rudolphi in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des

modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 69, 76. S.a. Schönke/Schrö-  

der/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 91; Frisch Vorsatz (Fn. 10), S. 128; Gössel
         

FS Szwarc, 2009, S. 193, 194; sowie die Darstellung bei SK-StGB/Stein


    28 Grundlegend (auch zum Verhältnis der Kriterien der Norm- und
§ 15 Rn. 14.
    Pflichtwidrigkeit) Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4),  

24 Die h. L. leistet sich (kritikwürdige) Ausnahmen von diesem Pos-


  S. 328 ff.
   

tulat, bspw. wenn sie bei den Unterlassungsdelikten die physisch-rea- 29 So aber Otto AT, § 10 Rn. 4 ff., 11; Schmoller FS Kühl, 2014, S. 433,
         

le Abwendungsmöglichkeit der konkreten Person schon auf Tat- 449 ff.; ders., ZStW 129 (2017), 1063, 1065 f.; ders. FS Kindhäuser, 2019,
       

bestandsebene analysieren will (s. nur NK/Gaede StGB § 13 Rn. 12 f.;       S. 441, 444 ff.; Stratenwerth FS Jescheck, 1985, S. 285, 295. S.a. Straten-
       

Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 1169 m. w. N.) und gerade nicht auf       werth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 13.
   

die Handlungsmöglichkeit eines objektiven Dritten fragt. Hierzu auch 30 Näher Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 460 ff.      

Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 13; Stratenwerth FS Jescheck, 1985,      31 Anders aber die h.L., s. Gropp/Sinn AT, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 89;      

S. 285, 290.
  Roxin/Greco AT I, § 11 Rn. 65 f.; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 264 f.
         

25 MüKo/Hardtung StGB, § 222 Rn. 56; Krey/Esser AT, Rn. 1340; Beck-       Krit. bspw. Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133 ff.; Kienapfel Das erlaubte    

OK/Kudlich StGB, § 15 Rn. 44; Kühl AT, § 17 Rn. 89 ff.; Rengier AT, § 52
            Risiko im Strafrecht, 1966; Kindhäuser FS Maiwald, 2010, S. 397 ff.;    

Rn. 12 ff.; Roxin/Greco AT I, § 24 Rn. 58; Schönke/Schröder/Sternberg-


        Maiwald FS Jescheck, 1985, 405 ff.; Preuß Untersuchungen zum er-

Lieben/Schuster StGB, § 15 Rn. 133, 194; Wessels/Beulke/Satzger AT,


    laubten Risiko im Strafrecht, 1974, S. 225; sowie Schladitz Normtheo-  

Rn. 1114, 1144. Zum Ganzen m. w. N. Börgers Gefahrurteil (Fn. 9),


        retische Grundlagen (Fn. 4), S. 307 ff. Krit. auch Schroeder JZ 1989,
     

S. 92 f.
    776, 780. HK-GS/M. Heinrich Vor § 13 StGB Rn. 103 spricht von einem
     

26 Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 449 f.       schillernden Begriff und benennt diverse Anwendungsfälle.
Deutlich auch MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 106.     32 MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 136; Frisch in: Strafrechtssystem
   

27 SK-StGB/Stein § 15 Rn. 14; Rostalski Der Tatbegriff (Fn. 5), S. 74;


        (Fn. 7), S. 135, 163 f.; ders. Tatbestandsmäßiges Verhalten (Fn. 9),
       

Stratenwerth/Kuhlen AT, § 15 Rn. 17.     S. 72; HK-GS/M. Heinrich Vor § 13 StGB Rn. 105.
       
490 Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung

zwischen Freiheitsgrundrechten und dem Schutz der po- stände beantwortet werden kann.42 Ob ein Verhalten ein
tentiell beeinträchtigten Sicherheitsinteressen gedeutet.33 erlaubtes Risiko (bzw. spiegelbildlich: kein rechtlich miss-
Die Teilnahme am Straßenverkehr ist der beliebteste Zeuge billigtes Risiko) schafft, hängt häufig genug von originär
für diese These.34 subjektiven Kriterien oder der Individualität des Handeln-
Wenn aber das Wesen des erlaubten Risikos in einer den ab und kann daher systematisch überzeugend nicht
solchen Abwägung widerstreitender Interessen gesehen im objektiven Tatbestand erörtert werden.43 Auch die
wird, dann ist richtigerweise die Teilnahme an einer eigen- umgekehrte Konstellation, in der der Täter durch sein
verantwortlichen Selbstgefährdung nicht deswegen straf- Sonderwissen zutreffend zu der Ansicht gelangt, dass die
los, weil die entsprechende Handlung ein erlaubtes Risiko intendierte Handlung kein Risiko schafft, belegt den Stel-
schafft,35 sondern weil mit der grundrechtlich fundierten lenwert subjektiv-individueller Kriterien: Die Vornahme
Selbstautonomie die Kompetenz einhergeht, sich selbst zu einer solchen Handlung ist nicht verboten.44
schädigen oder gar zu töten.36 Das hat das BVerfG in Der nähere Grund für diese Unstimmigkeiten ist die
seinem Urteil zum Verbot der Geschäftsmäßigen För- Position der h.L., wonach bereits die bloße Verwirklichung
derung der Selbsttötung gem. § 217 StGB a. F. klargestellt.37     des objektiven Tatbestandes eine rechtliche Wertung
Über die Rechtmäßigkeit der Teilnahme an einer eigenver- transportiert, eben eine rechtlich missbilligte Risikoschaf-
antwortlichen Selbstgefährdung entscheidet folglich keine fung bedeute. In normtheoretischer Hinsicht sei die Über-
Abwägung.38 Dieser sachliche Unterschied führt dazu, dass tretung der als objektivierte Gefährdungsverbote gedeute-
die Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbst- ten Verhaltensnormen schon dann vollendet, wenn eine
gefährdung keine Fallgruppe des erlaubten Risikos ist.39 rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wurde.45
Insbesondere Freund hat außerdem anschaulich illus- Wie bereits betont, muss in einem der personalen Un-
triert, dass die Sachverhaltsgruppen, in denen ein Kfz- rechtslehre verpflichteten Straftatsystem der konkrete Bür-
Fahrer zwar äußerlich ordnungsgemäß am Straßenverkehr ger Adressat der Verhaltensnormen sein. Das aber hat zur
teilnimmt, aber die Absicht verfolgt, Auffahrunfälle zu Konsequenz, dass ein Normübertritt im Mindestmaß vo-
provozieren40 und daher gegen das Rücksichtnahmegebot raussetzt, dass der Täter individuell fahrlässig gehandelt
gem. § 1 I, II StVO verstößt,41 belegen, dass die Frage, ob
  hat.46 In einer solchen tatsächlich personalen Unrechtsleh-
eine Handlung erlaubte Risiken für fremde Rechtsgüter re kann die bloße Verwirklichung des objektiven Tat-
schafft, ggf. nicht allein durch Ansehung objektiver Um- bestandes für das Strafrecht noch keine normative Bedeu-
tung aufweisen oder die Voraussetzung des Übertretens
einer Verhaltensnorm verbalisieren.47
Weil der objektive Tatbestand folglich keine rechtliche
33 Schönke/Schröder/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 93; MüKo/Freund    
Würdigung (also eine Missbilligung) legitimieren kann,
StGB, Vor § 13 Rn. 153 ff.; Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten
       

muss dieser anders strukturiert werden als von der h. L.  

(Fn. 9), S. 72 ff.; Frister AT, 8. Aufl. 2018, Kap 10 Rn. 6 ff.; SK-StGB/
           

Jäger Vor § 1 Rn. 108; Roxin, ZStW 116 (2004), S. 929, 930.
         
angenommen. Das Unrechtsparadigma der Lehre von der
34 S. nur Roxin/Greco AT I, § 11 Rn. 66; LK/Rönnau 3. Band, 13. Aufl.        objektiven Zurechnung wird zusammengefasst den Anfor-
2019, Vor § 32 Rn. 54; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 265.
        derungen einer personalen Unrechtslehre nicht gerecht
35 So aber Schönke/Schröder/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 92 b. Tenden-      

ziell auch HK-GS/M. Heinrich Vor § 13 StGB Rn. 106. Wohl auch MüKo/
     

Duttge StGB, § 15 Rn. 152.    

36 S.a. Matt/Renzikowski/Renzikowski StGB, 2. Aufl. 2020, Vor § 13     42 S. MüKo/Freund StGB, Vor § 13 Rn. 184 ff., 201 ff.; ders. JuS 2000,
         

Rn. 119.
  754 ff.; Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 135. S.a. Murmann FS Herz-
   

37 BVerfG NJW 2020, 905 (=NStZ 2020, 528 m. Anm. Brunhöber) berg, 2008, 123, 127, 134 f.;  

38 Versteht man als erlaubte Risiken solche Handlungen, die »für die 43 MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 103, 105 f.; ders. FS Maiwald, 2010,
     

Aufrechterhaltung des sozialen Lebens und Verkehrs unerlässlich S. 133, 134 f. Eingestehend auch HK-GS/M. Heinrich Vor § 13 StGB
       

sind« (so Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster StGB, § 15   Rn. 103; Greco ZStW 2005, S. 519, 531 ff.; Murmann FS Herzberg, 2008,
     

Rn. 146 m. w. N.), wird deutlich, dass dieser Topos bspw. für Suizide
      123, 129 ff.; Schünemann GA 1999, 207, 216 f.
   

oder den eigenverantwortlichen Konsum illegaler Betäubungsmittel 44 S. Puppe FS Otto, 2007, S. 389, 396 f.; Kindhäuser Gefährdung
     

(vgl. den wegweisenden Heroinspritzenfall BGHSt 32, 262; hierzu (Fn. 17), S. 61 f.; s. a. Lesch Der Verbrechensbegriff, 1999, S. 250;
         

Roxin NStZ 1984, 411) nicht recht passen will.


  Schönke/Schröder/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 93.      

39 Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 307 ff.       45 S. die grundlegende Darstellung bei SK-StGB/Stein § 15 Rn. 14.    

40 BGH NJW 1999, 3132. Vgl. auch Murmann FS Herzberg, 2008, S. 123.  

41 S. Goeckenjan Revision (Fn. 8), S. 218 ff., 223; Duttge FS Maiwald,       46 Vgl. S.a. Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 132; Duttge    

2010, S. 133, 146 f.; Frisch GA 2003, 719, 730 Fn. 54; Murmann FS Herz-
        FS Maiwald, 2010, S. 133, 151.  

berg, 2008, S. 123, 135 f. Seier NZV 1992, 158 f. S.a. LK/Vogel/Bülte
      47 S.a. MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 105 f.; Frister AT Kap 10 Rn. 35.
       

1. Band, 13. Aufl. 2019, § 15 Rn. 85.


        Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 441 ff.      
Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung 491

und die Vermessung des objektiven Tatbestandes durch eine Handlung gegen eine Verhaltensnorm verstößt oder
diese erfolgt nicht systematisch stringent.48 nicht. Wolters Vorschlag kann daher zumindest insofern
nicht gefolgt werden und löst die systematischen Proble-
me der h. L. nicht auf.

3. Exkurs: Objektive-Objektive Zurechnung


(Wolter)?

Wolter hat kürzlich in eingeräumt, dass die Lehre von der


III. Skizze eines modernen Systems
objektiven Zurechnung »teils zu Recht« in die Defensive der Zurechnung
geraten sei und hat auf deren Probleme mit der Skizze eines
Systems der objektiven objektiven Zurechnung geantwor- Die Absage an die h. L. macht eine Neuvermessung des

tet.49 Nach Wolter sei das schuldhafte Unrecht als Kern der Unrechtstatbestandes notwendig, die nunmehr vorgestellt
Straftat zweistufig strukturiert. Zum personalen Unrecht werden soll.55
und persönlicher Schuld träten objektive Zurechnungs-
voraussetzungen.50 Die Voraussetzungen dieser zweiten
Stufe hätten mit dem personalen Straftatelementen bzw. 1. Ausgangspunkt der Überlegungen:
»dem Verhaltensnormverstoß nichts zu tun«, sondern sei- Kindhäusers Straftatsystem und
en Ergebnis einer nachträglichen objektiven (richterlichen) Normtheorie
Wertung.51 Das sei bspw. beim Topos des rechtmäßigen
Alternativverhaltens der Fall. Wolter will i.E. also differen- Ausgangspunkt der Überlegungen ist Kindhäusers Plädoy-
zieren zwischen vorsatzrelevanten Merkmalen, die Ge- er für ein Verständnis des objektiv tatbestandsmäßigen
genstand objektiv-subjektiver Zurechnung sind und die Geschehens als Objekt der Zurechnung.56 Der objektive
Materie des Verhaltensnormverstoßes betreffen, und Um- Tatbestand beschreibt richtigerweise die Verbotsmaterie
ständen der objektiv-objektiven Zurechenbarkeit, welche i. S. d. zu Vermeidenden.57 In einem solchen Konzept ist
   

straftatsystematisch das Erfolgsunrecht betreffen.52 das »Geschehen, auf das die Beschreibung des Tat-
Eine umfassende Kritik des skizzierten Systems kann bestands zutrifft« als Zurechnungsgegenstand zu begrei-
vorliegend nicht geleistet werden. Der in Rede stehende fen.58 Der Vorsatz und die individuellen Voraussetzungen
Entwurf hat aber eine nennenswerte Schwäche. Als Be- der Fahrlässigkeit stellen demgegenüber die Gründe dar,
standteil der objektiv-objektiven Zurechnung und damit um dem Täter diesen Gegenstand zurechnen zu können.59
jenseits der Anforderungen der Verhaltensnorm qualifi-
ziert Wolter unter der Bezeichnung »Objektive Strafrechts-
ausschließungsgründe« auch das Schaffen eines sozial- a) Kindhäusers Normtheorie
adäquaten bzw. minimalen (d. h. erlaubten) Risikos.53

Diese Einordnung unterliegt Zweifeln. Richtig erscheint Das hier aufbereitete System greift auf Kindhäusers Ideen
vielmehr die Position, dass ein sozialadäquates Verhalten zurück, weicht jedoch in wichtigen Details von diesem ab.
gerade nicht gegen eine Verhaltensnorm verstößt,54 sach- Das wird vor allem bei der Behandlung des erlaubten
lich also sehr wohl das Kriterium der Verhaltensnorm (in Risikos deutlich werden (hierzu IV.). Grund für diese Un-
negativer Hinsicht) betroffen ist. Im Einzelfall können au- terschiede ist der divergierende normtheoretische Unter-
ßerdem originär subjektive Kriterien wie Sonderwissen bau beider Entwürfe.
oder ein Schädigungsvorsatz auch nach Ansicht der Lehre
von der objektiven Zurechnung darüber entscheiden, ob

48 Zusammenfassend Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 151. Ausf.


  55 S.a. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 463.
   

Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 449 f.


      56 S. Kindhäuser GA 2007, 447 ff.; ders., Gefährdung als Straftat,

49 Wolter, GA 2020, 212. 1989, S. 29 ff.; ders. GA 1994, 197, 208;


   

50 Zusammenfassend Wolter, GA 2020, 212, 214. 57 Kindhäuser GA 2007, 447, 448 ff.; ders. GA 1994, 197, 198; ders. FS

51 Wolter, GA 2020, 212, 213. Maiwald, 2010, S. 397, 403. S.a. Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 116.
     

52 Vgl. Wolter, GA 2020, 212, 215 ff.


  58 S. Kindhäuser GA 2007, 447, 450.
53 Wolter, GA 2020, 212, 220. 59 S. Kindhäuser GA 2007, 447, 449; ders. GA 1994, 197 ff., 208 ff. S.a.
   

54 So auch Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl. 2019, Vor § 13


    Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 150; Matt/Renzikowski/Renzikowski,

Rn. 93.
  Vor § 13 Rn. 102.
   
492 Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung

Kindhäuser versteht die Primärnormen anders als die verletzung zugerechnet werden, »wenn die Unfähigkeit
h. L.60 als bloße Verursachungsverbote.61 Die Verhaltens-
  auf einer Obliegenheitswidrigkeit (Sorgfaltswidrigkeit) des
normen selbst träfen keine Aussage darüber, inwieweit der Täters beruht«.71
Bürger an diese gebunden ist und unter welchen Voraus-
setzungen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den
Normverstoß vorliegt.62 Die personal-individuelle Bindung b) Kritik
des Einzelnen an die Norm beschreibe die Pflicht.63 Aus-
schlaggebendes Wertungskriterium auf der Ebene des Un- Auch wenn Kindhäusers Straftatsystem sich durch bemer-
rechts sei dementsprechend die Pflichtwidrigkeit des Ver- kenswerte und zutreffende Sacheinsichten auszeichnet,
haltens:64 »Die Zurechenbarkeit eines Verhaltens als legitimiert die zugrunde gelegte Normtheorie diverse Ein-
Pflichtverletzung setzt zunächst voraus, daß die handeln- wände.72
de Person aufgrund ihrer Vorstellungen vom Tatgesche- Aus dem Vorgenannten wird deutlich, dass in Kind-
hen in der Lage ist bzw. sich in die Lage versetzen kann, häusers Normentheorie ein Verbot in nicht nachvollzieh-
die fragliche Norm zu befolgen«.65 Für die Zurechnung barer Weise sachliche Grundlage eines Gebots sein kann.
eines Normverstoßes als Pflichtverletzung genügt nach Auch wenn der Begriff der Obliegenheit diese Einsicht ein
dieser Definition auch der Verstoß gegen eine sog. Oblie- wenig verschleiert, ist es doch gerade der Verstoß gegen
genheit. Damit sind sekundäre Anforderungen gemeint, die das Gebot, sich in die Lage zu versetzen, normgemäß zu
die Fähigkeit zur primären Verpflichtung zur Normbefol- handeln,73 der die Zurechnung als fahrlässige Pflichtver-
gung sicherstellen sollen.66 Die Obliegenheitsverletzung ist letzung normativ legitimiert. So wird auf dieser Basis jede
daher ein Zurechnungsgrund für den Fall von fehlendem fahrlässige Tatbestandsverwirklichung in ein Unterlassen
Steuerungsbewusstsein mangels (positiver) Vorstellungen uminterpretiert.74 Das Verbot der Erfolgsverursachung
vom Tatgeschehen und schließt die Möglichkeit des Han- wird Grundlage der Obliegenheit und damit sachlich eines
delnden aus, sich auf die Unfähigkeit zur Normbefolgung Gebots, die Fähigkeit der Normbefolgung sicherzustellen.
berufen zu können.67 Nicht überzeugend ist schon im Grundsatz die Deu-
Diesen Zurechnungszusammenhang macht Kindhäu- tung der Verhaltensnormen als Erfolgsverursachungsver-
ser vor allem für das Subsystem der Fahrlässigkeitsdelikte bote. Weder lässt sich eine normative Verhaltenssteuerung
fruchtbar.68 Eine fahrlässige Pflichtverletzung zeichne sich so sinnvoll begründen,75 noch kann die Rechtswidrigkeit
dadurch aus, dass dem Handelnden tatbestandsrelevantes des (untauglichen) Versuchs folgerichtig normtheoretisch
Steuerungsbewusstsein fehle.69 Aus diesem Grund sei der fundiert werden.76
Täter zum Zeitpunkt des tatbestandsmäßigen Verhaltens
unfähig eine normgemäße Intention zu bilden.70 Die den
Erfolg verursachende Handlung könne jedoch als Pflicht-

60 Schönke/Schröder/Eisele StGB, Vor § 13 Rn. 91; HK-GS/M. Hein-        

rich Vor § 13 StGB Rn. 71; Kühl AT, § 4 Rn. 39; Rudolphi in: Grund-
        71 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 92. Grundlegende Darstellung    

fragen (Fn. 23), S. 76 f.; Schünemann JA 1975, 435, 438. Grundlegend


      bei Kindhäuser GA 1994, 197 ff. Ausf. Kindhäuser FS Schünemann,  

hierzu auch Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 92.     2014, S. 143 ff.    

61 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 53; ders. GA 1994, 197, 200 ff.
      72 Krit. auch Freund Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 121 ff.;    

So auch Vogel Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungs- Planas FS Kindhäuser, 2019, S. 393 ff.; Renzikowski Restriktiver Täter-
     

delikten, 1993, S. 27 ff. S.a. Dehne-Niemann GA 2012, 89, 92 ff.


        begriff und fahrlässige Beteiligung, 1992, S. 258; Hübner Die Entwick-  

62 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 29; ders. FS Schünemann,


    lung der objektiven Zurechnung, 2004, S. 116 f. Krit. auch Roxin/Greco    

2014, S. 143, 144.


  AT I, § 7 Rn. 33 o. Ausf. Schladitz Normtheoretische Grundlagen
     

63 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 18; ders. GA 1994, 197, 198.


    (Fn. 4), S. 265 ff., 427 ff. m. w. N.
           

64 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 35; ders. GA 1994, 197, 198,


    73 S. die Formulierung bei Kindhäuser FS Schünemann, 2014, S. 143,  

202. 147. S.a. Dehne-Niemann GA 2012, 89, 93.  

65 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 62.     74 Krit. zum Verständnis der Fahrlässigkeit als Unterlassen der er-
66 S. Kindhäuser FS Schünemann, 2014, S. 143, 147.   forderlichen Sorgfalt Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4),  

67 Ausf. Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 62 ff., 65 ff.         S. 405 ff.


   

68 S. Kindhäuser GA 1994, 197, 204 ff.   75 S.a. Duttge RW 2019, 153, 156 f.; Frisch Tatbestandsmäßiges Ver-  

69 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 92.     halten (Fn. 9), S. 71 f.; ders. GA 2019, 198, Schild FS Jakobs, 2007,
       

70 Eine fahrlässige Pflichtverletzung setzt folglich begrifflich die S. 601, 602 f.; Weigend FS Gössel, 2002, S. 129, 131.
       

Verneinung vorsätzlichen Handelns voraus, s. Kindhäuser Gefähr- 76 Hierzu Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 57 f. Zweifelnd Kuhlen      

dung (Fn. 17), S. 93, 102 f.


      GA 1990, 477, 480; Toepel FS Kindhäuser, 2019, 549 ff.
   
Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung 493

2. Die subjektive Zurechnung als ex ante-Perspektive unnötig. Der objektive Tatbestand ist
maßgebliches Kriterium als Zurechnungsgegenstand vielmehr objektiv ex post fest-
zustellen.83 Somit ist nur das tatsächliche Geschehen maß-
Bevor die h. L. die maßgeblichen Kriterien der subjektiven
  geblich. Diese Ansicht hat bereits diverse Unterstützer ge-
Zurechnung analysiert, schaltet sie noch einen objektiven funden.84
Dritten als Zurechnungssubjekt dazwischen und rechnet Der Zurechnungsgegenstand eines Erfolgsdelikts
das objektiv tatbestandsmäßige Geschehen zunächst die- »umfasst den gesamten [ex post festzustellenden, P.S.]
ser Maßstabsperson zu.77 Der objektive Tatbestand in der objektiven Kausalverlauf vom fraglichen Täterverhalten
Deutung der Lehre von der objektiven Zurechnung enthält bis zum Erfolgseintritt«85 – wobei ggf. je nach Tatbestand
folglich mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg nicht nur den noch weitere Voraussetzungen der Tathandlung hinzutre-
Zurechnungsgegenstand, sondern mit dem Kriterium der ten können.
rechtlich missbilligten Risikoerhöhung (und der eigentli- Der normative Zurechnungstopos des abweichenden
chen Erfolgszurechnung) auch den Zurechnungsgrund.78 Kausalverlaufs ist somit nicht im objektiven Tatbestand zu
Resultat dieser Vorgehensweise ist eine Vermengung analysieren,86 sondern betrifft die subjektive Zurechnung.
beider Kategorien.79 Es sei demgegenüber noch einmal Es ist also i. R. d. Vorsatzzurechnung zu untersuchen, ob
   

klargestellt, dass in einer personalen Unrechtslehre richti- der tatsächliche Kausalverlauf mit dem vorgestellten hin-
gerweise allein der konkrete Bürger maßgebliches Zurech- reichend übereinstimmt bzw. ob der tatsächliche Kausal-
nungssubjekt ist. Beim Vorsatzdelikt ist der objektive Drit- verlauf individuell vorhersehbar war und so der Erfolg
te offensichtlich von mangelnder Relevanz.80 Da auch das vom Handelnden fahrlässig verwirklicht wurde.
Handlungsunrecht der Fahrlässigkeitsdelikte individuell Der objektive Tatbestand in der hiesigen Konzeption
zu vermessen ist, erfüllt der objektive Dritte bei diesen enthält also weniger Sachaussagen als derjenige der Lehre
Delikten ebenso wenig Sinn.81 Streicht man diesen aus der von der objektiven Zurechnung.87 Dennoch ist auch das
Rechnung, fragt der für die Prüfung maßgebliche Algorith- vorliegende Verständnis des objektiven Tatbestandes als
mus, ob das objektiv zu Vermeidende dem Handelnden systematischer Hort des Zurechnungsgegenstandes in der
personal zurechenbar ist, ob also das zu vermeidende Lage, eine Filterwirkung zu tätigen. Weil objektiv tat-
Geschehen tatsächlich individuell vermeidbar war.82 bestandsmäßig das objektiv zu Vermeidende ist, erfüllt
bspw. die Teilnahme an einer eigenverantwortlichen
Selbstgefährdung nicht den Tatbestand eines Körperver-
3. Die maßgeblichen Prüfungsschritte des letzungs- oder Tötungsdelikts, da eine solche Teilnahme
Unrechtstatbestands nicht objektiv verhaltensnormwidrig ist (hierzu bereits
II. 2.).88
a) Zurechnungsgrund und Zurechnungsgegenstand

Weil daher der Zurechnungsgegenstand frei von Momen- 83 Klarstellend Kindhäuser GA 2007, 447, 467.
ten der individuellen Vermeidbarkeit zu halten ist, ist eine 84 S. Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 85 ff.; Burkhardt in: Strafrechts-
     

system (Fn. 2), S. 99, 117; Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 150; Gropp/
     

Sinn AT, § 12 Rn. 122; D. Sauer Fahrlässigkeitsdogmatik (Fn. 19),


       

77 Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 107; Kindhäuser, GA


    S. 78 ff., 83 f., 101 ff.; Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4),
         

2007, 447. Vgl. auch MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 106. S.a. Schladitz
    S. 463 ff. Vgl. auch Struensee GA 1987, 97, 105.
   

Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 441 ff.       85 Kindhäuser GA 2007, 447, 450. S.a. Struensee GA 1987, 97, 105.
78 Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass 86 Vgl. Kindhäuser GA 2007, 447, 466 f. S.a. Krey/Esser AT, Rn. 328.    

die Gleichung der h.L., es ließen sich ohne Berücksichtigung sub- Ähnlich Struensee GA 1987, 97, 105. Anders die h.L., s. nur HK-GS/
jektiv-individueller Umstände objektiv ungefährliche Handlungen M. Heinrich Vor § 13 StGB Rn. 76; Roxin/Greco AT I, § 11 Rn. 69 ff.;
           

ausmachen, richtigerweise nicht aufgehen kann (näher Moeller De- Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster StGB, § 15 Rn. 127,    

finition und Grenzen der Vorverlagerung von Strafbarkeit, 2018, 144 ff.; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 296.
   

S. 296 ff. m. w. N.).


        87 Vgl. Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 150 f., der die Notwendigkeit
   

79 Renzikowski in: Alexy (Hrsg.), Juristische Grundlagenforschung, »Veränderungen in der verbrechenssystematischen Struktur« einge-
ARSP-Beiheft 104, 2005, S. 115, 130. S.a. Burkhardt in: Strafrechtssys-
    steht. S.a. Kindhäuser GA 2007, 447, 450.
tem (Fn. 2), S. 99 Fn. 10; Kindhäuser GA 2007, 447; Struensee JZ 1987,
      88 S.a. Kindhäuser/Hilgendorf LPK-StGB, 8. Aufl. 2019, Vor § 13    

58, 59 Fn. 78.  Rn. 102 f. Nicht vertieft werden kann vorliegend die Position, dass ein
   

80 S.a. Kindhäuser FS Maiwald, 2010, S. 397.   zweistufiger Deliktsaufbau einem dreistufigen richtigerweise über-
81 S. Kindhäuser GA 2007, 447 und passim, grundlegende Zusam- legen ist. Ausf. hierzu Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4),  

menfassung auf S. 450; s. a. dens. FS Maiwald, 2010, S. 397.


      S. 84 ff., 322 ff., 338, 575, 581 ff. Das hat u. a. zur Konsequenz, dass –
         

82 Kindhäuser GA 2007, 447, 450. i.E. im Einklang mit der h. L. (s. nur Wessels/Beulke/Satzger AT,

494 Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung

Auf Ebene der subjektiven Zurechnung verschiebt sich bestand sachlich die Frage, »ob die Handlung bei Heran-
im Anschluss die Perspektive.89 Nunmehr ist zu fragen, ob ziehung allen (ex post) verfügbaren Wissens riskant war
der konkrete Täter ex ante die objektive Tatbestandsver- und ob sie – bei unterstellter Kenntnis des mit ihr ver-
wirklichung individuell vermeiden konnte (und musste), bundenen Risikos als »tatbestandsmäßig-missbilligt« (un-
nämlich weil er entweder (mit Kenntnis i. S. d. § 16 I 1 StGB)
      erlaubt-riskant, verboten, sorgfaltswidrig) einzustufen wä-
eine Handlung vorgenommen hat, der er die Eignung zur re«.95
Verwirklichung der Tatumstände beigemessen hat (Vor- Genährt wird die Anreicherung des objektiven Tat-
satz) oder weil er individuell in der Lage war, die Tauglich- bestands mit derlei Pflichtwidrigkeitsmomenten vermut-
keit seiner Handlung zur Tatbestandsvollendung zu er- lich von der unterstellten Notwendigkeit, den Topos des
kennen (Fahrlässigkeit).90 Der subjektive Tatbestand ist erlaubten Risikos adäquat berücksichtigen zu können.96 Es
m. a. W. straftatsystematischer Repräsentant der Anfor-
    lässt sich ja durchaus argumentieren, dass der Tod eines
derungen der Verhaltensnorm und beantwortet somit die Menschen grundsätzlich gesellschaftsplanwidrig ist.97 Das
Frage, ob der Bürger gegen die ihm obliegende Verhaltens- scheint in dieser Strenge aber nicht gemeint zu sein.98
bestimmung verstoßen hat.91 Der Erfolg kann dem Einzel- Vielmehr soll ein Filter in Form erlaubter Risiken in die
nen dann zugerechnet werden, weil er ihn individuell ver- Sachmaterie des objektiven Tatbestandes inkorporiert wer-
meiden konnte. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang den.
mithin deutlich, dass der Begriff der Gefahr im objektiven Hierfür besteht richtigerweise keine Notwendigkeit.99
Tatbestand ein verzichtbarer Zwischenbegriff ist.92 Für ein Es wurde bereits darauf hingewiesen (s. II. 2.), dass die
Erfolgsdelikt interessiert objektiv nur die Handlung, der Berücksichtigung erlaubter Risiken im objektiven Tat-
Erfolgseintritt sowie die Kausalbeziehung zwischen bei- bestand zwangsläufig zu systematischen Friktionen füh-
den; subjektiv-individuell ist die Erkenn- und Vermeid- ren muss. Die unsystematische Verwirrung zwischen dem
barbarkeit des Erfolges ausschlaggebend. Maßgeblich im Objektiven und dem Subjektiven, wie sie der Gefahrbeur-
objektiven Tatbestand ist eine Kausalanalyse, keine Ge- teilung der Lehre von der objektiven Zurechnung zugrun-
fahrprognose.93 de liegt,100 wird so nicht bereinigt und ist daher zurück-
zuweisen. Nach hiesiger Konzeption ist es der subjektive
Tatbestand, in welchem die normtheoretischen Anfor-
b) Berücksichtigung erlaubter Risiken im derungen des Verhaltensnormverstoßes aufgehen und der
Zurechnungsgegenstand? die Anforderungen des Handlungsunrechts verbalisiert.101

Innerhalb des Lagers derjenigen Autoren, die den objekti-


ven Tatbestand ex post prüfen wollen, wird die Ansicht
vertreten, dass bloße Ursächlichkeit der Handlung für den
Erfolg nicht genügt. So fordern bspw. Gropp/Sinn, dass der
Täter eine gesellschaftsplanwidrige Gefahr geschaffen ha-
ben müsse.94 Nach Burkhardt betreffe der objektive Tat-
95 Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 117, zusammenfas-
   

send auf S. 132 f. Ähnlich Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 86.


       

96 Gropp/Sinn AT, § 12 Rn. 123 ff. stellen explizit klar, dass erlaubte
     

Rn. 410) – der volle Zurechnungsgegenstand i. S. eines vollendeten


    Risiken die (objektive) Tatbestandsmäßigkeit entfallen lassen. S.a.
Erfolgsdelikts nicht gegeben ist, wenn bspw. die objektiven Voraus- Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 86.
   

setzungen des § 32 StGB die Verletzung einer Person i. S. d. § 223 StGB


        97 In diese Richtung argumentierend Kindhäuser GA 1994, 197 f.  

legitimieren. 98 Vgl. Gropp/Sinn AT, § 12 Rn. 125.


   

89 Klarstellend Börgers Gefahrurteil (Fn. 9), S. 87. S.a. Struensee GA


    99 Wie auch die hiesige Konzeption (S. 4.) vertritt Burkhardt in: Straf-
1987, 97, 105. rechtssystem (Fn. 2), S. 99, 121, dass das erlaubte Risiko »die Reich-
   

90 Zum Ganzen Kindhäuser GA 2007, 447, 467. S.a. MüKo/Duttge weite der individuellen Fahrlässigkeit begrenzt«. Warum dieses
StGB, § 15 Rn. 107.
    Rechtsinstitut dann aber zusätzlich auf Ebene des objektiven Tat-
91 S.a. Frister AT, Kap 10 Rn. 35.   bestands zu berücksichtigen sei, wird nicht dargetan. Burkhardts Vor-
92 Vgl. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten (Fn. 9), S. 75. S.a. Kind-
    schlag verstößt daher gegen das von ihm selbst postulierte Sparsam-
häuser GA 2007, 447, 464. keitsprinzip (a. a. O. S. 109).
     

93 Zu diesem Unterschied Kindhäuser/Hilgendorf LPK-StGB, Vor § 13   100 Ausf. Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99 ff.
     

Rn. 105 f. S.a. Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 132.
        101 S. Kindhäuser/Hilgendorf LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 10. Das gilt ins-
   

94 Gropp/Sinn AT, § 12 Rn. 122, die diese Terminologie wählen, um


    besondere auch beim strafbaren Versuch. Grundlegend anders die
nicht von »unerlaubter Gefahr« sprechen zu müssen, was »ein h.L., da die rechtlich missbilligte Risikoschaffung primäre Anfor-
Rechtswidrigkeitsurteil vorwegnehmen« würde. derung des Handlungsunrechts sei.
Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung 495

4. Das sog. erlaubte Risiko als teilnehmende Pkw-Fahrer gerade keine Obliegenheit ver-
Ausschlussgrund subjektiver Zurechnung letzt, sondern eine erlaubte Handlung vorgenommen, so-
dass diesem im Ergebnis die Erfolgsverursachung nicht als
Klargestellt sei im Ausgangspunkt – wiederum an Kind- Pflichtverletzung zurechenbar sei.109 Die Nicht-Ausfüh-
häuser anknüpfend –, dass die erläuterte Aufgabenvertei- rung einer Vorsorgehandlung, die Erfolgsverursachungen
lung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand vermeidet, ist m. a. W. rechtlich nicht zu beanstanden,
   

nicht nur »ästhetischer Natur« ist, sondern die »»Sachlo- wenn ein erlaubtes Risiko in Rede steht.110
gik« des am Rechtsgüterschutz durch Normbefolgung ori- Angemerkt sei allerdings, dass Kindhäuser der Auffas-
entierten Verbrechensaufbaus« betrifft.102 sung ist, dass vorsätzliches Verhalten ein Handeln im
Dem Standardfall, in dem ein ordnungsgemäß fahren- Bereich des erlaubten Risikos stets ausschließt.111 Die Er-
der Verkehrsteilnehmer einen unachtsamen Fußgänger laubnis beziehe sich bei erlaubten Risiken nur auf die
überfährt und tödlich verletzt,103 ist im Ausgangspunkt Schaffung abstrakter Risiken. Es sei dem Täter grundsätz-
richtigerweise nicht mit einem (wo auch immer dogma- lich nicht zurechenbar, wenn diese abstrakte in eine kon-
tisch zu verortenden) erlaubten Risiko beizukommen. krete Gefahr umschlage. Der Vorsatztäter schaffe jedoch
Mangels Steuerungsqualität zum Zeitpunkt kurz vor der wissentlich konkrete Risiken, sodass die vorangegangene
Kollision weist das »Verhalten« des Fahrers schon keine Überlegung nicht greife.112 Wer vorsätzlich handele, sei
Handlungsqualität auf.104 Die nachrangige Frage spezifisch nicht unfähig, den Tatbestandseintritt zu verhindern. Das
normativer Zurechnungsvoraussetzungen stellt sich zu Verbot gehe in diesen Fällen der aus dem erlaubten Risiko
diesem Zeitpunkt nicht. Die Problematik des Falls, welche fließenden Erlaubnis vor, sodass sich der Handelnde
darin besteht, dass der Fahrer ursächlich für den Tod eines pflichtwidrig verhalte.113
anderen Menschen geworden ist, bedarf daher einer an- Dieser starre Grundsatz verkürzt das Problem jedoch
ders gearteten Würdigung. unzulässig. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang deut-
Kindhäuser betont entgegen der h.L., die eine rechtlich lich der divergierende normtheoretische Unterbau von
missbilligte Risikoschaffung verneint, dass diese Tötung Kindhäusers System und der vorliegenden Konzeption.114
durch den PKW-Fahrer normwidrig ist.105 In Kindhäusers Weil der Rekurs auf Obliegenheiten normlogisch
System ist eine Normverletzung i.F. einer Erfolgsverursa- verfehlt ist, kann das Problem des erlaubten Risikos
chung jedoch nicht als Pflichtverletzung zurechenbar, konsequenterweise nicht mit der fehlenden Obliegenheits-
wenn die Unfähigkeit zur Normbefolgung durch ein erlaub- widrigkeit gelöst werden und bedarf einer anderen Fundie-
tes Risiko legitimiert ist. Gemeint ist sachlich die »erlaubte rung. Normtheoretisch ausschlaggebend ist vielmehr die
Nichtausführung einer Vorsorgehandlung«.106 Das Über- Frage, ob die Vorstellung der Möglichkeit von Rechtsguts-
schreiten des erlaubten Risikos begründet hiernach nicht verletzungen den Fahrer im Vorfeld der Kollision mit dem
die Zurechnung des deliktischen Geschehens, der Bereich Fußgänger, namentlich also bei Fahrtantritt, den recht-
des erlaubten Risikos wirkt zurechnungsausschließend.107 lichen Befehl bedingt, die Handlung zu unterlassen, scil.
Im eben zitierten Beispielsfall könne der Fahrer in der nicht am Straßenverkehr teilzunehmen. Auch der pauscha-
konkreten Situation nicht normgemäß handeln, er ist nicht le und verfehlte Hinweis der h. L. auf ein erlaubtes Risiko

in der Lage rechtzeitig zu bremsen.108 Nach den allgemei- als Tatbestandsausschlussgrund löst das Problem wie ge-
nen Regeln von Kindhäusers Zurechnungssystem kann zeigt nicht, weil grundsätzlich nur der Zeitpunkt gewürdigt
sich der Handelnde auf diese Unfähigkeit aber dann nicht wird, zu dem ohnehin keine Steuerungsmöglichkeit mehr
berufen, wenn er sich im Vorfeld obliegenheitswidrig ver- bestand.
halten hat. Das nun ist der springende Punkt: Im Vorfeld Hier offenbart sich richtigerweise die eigentliche
der Kollision habe der ordnungsgemäß am Straßenverkehr Funktion erlaubter Risikoschaffungen. Vielen Pkw-Fahrern
wird tagtäglich positiv bewusst sein, dass ihre Teilnahme
am Straßenverkehr Rechtsgutsverletzungen zur Folge ha-
102 Vgl. Kindhäuser GA 2007, 447, 457.
103 S. nur Kühl AT, § 4 Rn. 88; Seher Jura 2001, 814, 818; LK/Walter
   
ben kann. Es liegt also per se die Vorstellung von der
Vor § 13 Rn. 92.
     

104 Näher Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 307 ff.


     

105 Kindhäuser GA 1994, 197 f.   109 Kindhäuser GA 1994, 197, 199, 216 ff.  

106 Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17), S. 71.


    110 S. Kindhäuser Gefährdung (Fn. 17) S. 71.
   

107 Deutlich Kindhäuser GA 1994, 197, 216; ders. GA 2007, 447 ff. S.a.   111 Kindhäuser GA 1994, 197, 221.
Burkhardt in: Strafrechtssystem (Fn. 2), S. 99, 121; MüKo/Duttge StGB,
    112 Kindhäuser GA 1994, 197, 219, 221 f.  

§ 15 Rn. 107, 135 ff.


      113 Kindhäuser GA 1994, 197, 217.
108 Kindhäuser GA 1994, 197, 199 ff.   114 S.a. Schladitz Normtheoretische Grundlagen (Fn. 4), S. 463 ff.
     
496 Abhandlung – Pepe Schladitz, Ein modernes System der subjektiven Zurechnung

Möglichkeit tatbestandsmäßiger Erfolge (bspw. im Sinne ten eingehalten werden.120 Diese Überlegungen greifen
der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte) vor. Auch dem auch für das Fahrlässigkeitsdelikt.121
Bauherrn eines riskanten Bauvorhabens ist die Möglich- Während hiernach das positive Erkennen der Möglich-
keit bewusst, dass seine Arbeiter zu Schaden kommen keit der Tatbestandsvollendung (Vorsatz) bzw. die indivi-
können. Weil grundsätzlich (in intellektueller Hinsicht) duelle Erkennbarkeit der Möglichkeit der Tatbestandsvoll-
die Vorstellung der Möglichkeit von Rechtsgutsverletzun- endung (Fahrlässigkeit) auf einen psychologischen Kern
gen für die Vorsatzbegründung genügt,115 fragt sich in verweisen, liegt dem erlaubten Risiko eine normative Be-
normtheoretischer Hinsicht, ob eine solchermaßen als ris- wertung entsprechender Handlungen zugrunde, die einer
kant erkannte Handlung zu unterlassen ist. Dem Leit- subjektiven Zurechnung des objektiv tatbestandsmäßigen
gedanken des erlaubten Risikos entsprechend gestattet die Geschehens entgegensteht und dem Erkennen bzw. dem
Rechtsordnungen jedoch die Vornahme erlaubt riskanter Erkennen-Können die »strafrechtliche Relevanz« nimmt.122
Verhaltensweisen – trotz individuell vorhersehbarer (und In Fällen erlaubter Risikoschaffung verstößt der Han-
folglich auch individuell vermeidbarer) Rechtsgutsver- delnde nicht gegen eine ihm obliegende Pflicht,123 weswe-
letzungen.116 Sie schreibt regelmäßig nur vor, die ent- gen der ggf. dennoch realisierte Erfolg nicht vorsätzlich
sprechenden mit der Handlung einhergehenden Gefahren oder durch Fahrlässigkeit verwirklicht wurde. Die Voraus-
einzuhegen. Der Verkehrsteilnehmer muss sich also ent- setzungen der subjektiven Zurechenbarkeit, welche als
sprechend der StVO verhalten, der Bauherr muss die an- straftatsystematische Kategorie die Anforderungen des
erkannten Regeln der Technik wahren (s. § 319 I StGB) etc.   Verstoßes gegen Verhaltensnormen beinhaltet, liegen im
Unter diesen Bedingungen dürfen entsprechende Hand- Falle erlaubter Risiken also nicht vor.124
lungen vorgenommen werden.117
Bei Tätigkeiten, die trotz ihrer statistisch messbaren
Gefährlichkeit von der Rechtsordnung gebilligt werden, IV. Zusammenfassung
existiert also kein Normbefehl, diese Handlungen zu un-
terlassen. Eine Person, die ordnungsgemäß (!) am Stra- Die Kritik an der Lehre von der objektiven Zurechnung und
ßenverkehr teilnimmt, lehnt sich also nicht gegen die ihrem Unrechtsparadigma wird mit Recht größer, führt
Rechtsordnung auf und realisiert keinen (den Vorsatz ent- jedoch zu der Frage, wie der Unrechtstatbestand richtiger-
sprechenden) Intentionsunwert.118 Kommt es dennoch zu weise strukturiert ist. Wie die Auseinandersetzung mit der
Verletzungen Dritter, sind diese dem Handelnden nicht h. L. gezeigt hat, besteht ein Bedürfnis für ein Gefahrurteil

zurechenbar, weil sie nicht auf einer rechtswidrigen Hand- als objektives Tatbestandsmerkmal und Grundlage der ob-
lung beruhen.119 In einem solchen Deutungsschema bietet jektiven Erfolgszurechnung nicht. Stattdessen kann ohne
das erlaubte Risiko dem Einzelnen die Sicherheit, frei von dogmatischen Verlust der objektive Tatbestand ex post
der Gefahr, sich strafbar zu machen, (abstrakt gefährliche) geprüft und i.W. auf die Erfolgsverursachung reduziert
Handlungen vornehmen und somit »rational-unbesorgt« werden. Die Erfolgszurechnung ist dann vor allem ein Pro-
mit den Rechtsgütern anderer umgehen zu können – so- blem des subjektiven Tatbestandes und wird sachlich
lange die entsprechenden Gefahrminimierungsvorschrif- durch den Vorsatz bzw. die subjektiven Voraussetzungen
der Fahrlässigkeit ausgefüllt. Diese Voraussetzungen des
Normverstoßes sind nicht gegeben, wenn eine erlaubt ris-
kante Handlung in Rede steht.
115 Vgl. Frisch NStZ 1991, 23, 24; Frister ZIS 2019, 381, 382; Ruppen-
thal, Der bedingte Tötungsvorsatz, 2017, S. 140; Schmidhäuser JuS

1980, 241, 249; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 30; Schönke/Schröder/Stern-


   

berg-Lieben/Schuster StGB, § 15 Rn. 84.


   

116 Vgl. Frister AT, 8. Aufl. 2018, Kap 9 Rn. 3 f.


      120 Kindhäuser GA 1994, 194, 197, 215; Duttge FS Maiwald, 2010,
117 Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 142. S.a. Frisch Tatbestands-
  S. 133, 142.

mäßiges Verhalten (Fn. 9), S. 92 ff.


      121 Grundlegend MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 135 ff.
     

118 S.a. Prittwitz FS Puppe, 2011, S. 819, 825.


  122 Vgl. MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 135.
   

119 Duttge FS Maiwald, 2010, S. 133, 142 f.; Kindhäuser GA 1994, 197,
    123 S.a. Kindhäuser GA 1994, 194, 198 f.

216 f.
  124 S.a. MüKo/Duttge StGB, § 15 Rn. 140.
   

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