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Micha H. Werner
H. Lenk und M . Maring) sowohl eine empirische als auch eine normative B e
deutung haben.6
D ie empirisch-personale Verantwortung läßt sich nach dem M uster der kausa
len Quasiverantwortung als zweistellige Relation begreifen: Eine Person x ver
u rsach t- als Person, das heißt aufgrund einer bewußten Willensentscheidung
- das Ereignis y. Das schwierige Problem, inwiefern konkrete Urteile dieser
Form von impliziten normativen Annahmen frei sein können, muß hier un-
erörtert bleiben; es ist jedenfalls festzustellen, daß tatsächlich Aussagen in
diesem Sinne gemacht werden.
Ohnehin steht diese empirisch-personale (KausalhandlungsVerantwor
tung) (H. Lenk) nicht im Zentrum des normativ-ethischen Diskurses. Für
den Stellenwert, den der Verantwortungsbegriff sich dort erobert hat, ist ja
gerade seine Verknüpfung mit normativen Standards maßgeblich. Ropohl
erkennt überhaupt nur den normativen Verantwortungsbegriff an. E r meint,
daß man «von Verantwortung nicht sinnvoll reden kann, ohne einen norma
tiven Bezug anzugeben, weswegen Handlungen und Handlungsfolgen zu
verantworten sind ».7
Die normativ-personale Verantwortung läßt sich nun jedenfalls nicht mehr, wie
Bochenski noch erwogen hatte,8 als bloß arw^eistellige Beziehung begreifen.
Für Walther Zimmerli wie für viele andere ist sie eine «mindestens dreistellige
Relation: Jemand (Verantwortungssubjekt) ist Jiir etwas [. . .] (Verantwortungs
bereich) einer anderen Person oder Instanz gegenüber verantwortlich. »9
H öffe bezeichnet dagegen Verantwortung 1989 als eine «mindestens vier
stellige Relation»;10 für Lenk umschreibt sie «einen mindestens fünfstelligen
[. . .] Beziehungsbegriff»;11 und Ropohl konstruiert Verantwortung gar als
sechsstellige Relation.12
Wie dem auch sei, unbedingt fundamental für die normativ-personale Ver
antwortung scheint das Hinzutreten einer Verantwortungs/nrianz zu sein.
Wenn etwa Ropohl weitere, über die drei klassischen Relationen (Subjekt x,
Gegenstand y, Instanz z) hinausgehende Bestimmungen anbietet, dann ge
schieht dies zum Zw eck der Analyse der vielfältigen real vorfindbaren nor
mativ-personalen Verantwortungstypen. Außer danach, <wer> <was> <wovor)
zu verantworten hat, fragt Ropohl noch (etwas mißverständlich) nach dem
13 D e r Sin n dieser K ateg o rie ist m ir nicht ganz klar gew o rd en ; R o p o h l nennt als
M ö g lich k e ite n eine <aktive>, <virtuelle> und <passive> V eran tw o rtu n gsm o dalität.
14 D iese K ritik richtet sich insbesondere gegen L en k , dessen A u fzäh lu n g (von H and
lu n g sergeb n is- bzw. K au salh an d lu n gs-; R o lle n - bzw. A u fg ab en -; [u n iversal]m o ra-
lischer; rechtlicher so w ie jü n g s t noch re flex iv er M etaveran tw o rtu n g) w ed er v o ll
ständig ist, noch irgen dein e A r t v o n S y stem atik erkennen läßt.
15 Z im m erm an s U n tersch eid u n g v o n (retrospektiver) u n d <prosp ektiver) Verant
w o rtu n g (vgl. M . J . Z im m e rm a n , R espo n sibility, a. a. O . (Fn. 4), S. 1089) deckt
sich w e itgeh en d m it H ö ffes B e g riffsp a a r <A u fg ab en v eran tw o rtu n g ) vs. (L eg itim a
tions-), bzw. (R ech tfertigu n gsveran tw o rtu n g) (vgl. O . H ö ffe, Schulden die M e n
schen einander V eran tw o rtu n g? in: E .- J . L am p e, V eran tw o rtlich k eit und R echt,
a. a. O . (Fn. 3), S. 15; O . H ö ffe , M o ra l als Preis der M o d ern e, a. a. O . (Fn. 1),
S. 20). R o p o h l fü g t n o ch die gegen w artsb ezo gen e (aktuelle) V eran tw o rtu n g
hinzu; v g l. R o p o h l, D as R isik o im Prinzip V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 2).
D im ensionen der V erantw ortung 307
II. Verantwortungsethik
Eine andere Ursache könnte darin zu suchen sein, daß nicht sauber zwischen
den elementaren Verantwortungsbegriffen und den darauf gründenden kom
plexen ethischen Modellen unterschieden w ird .22 Beispielsweise w ird manch
mal so getan, als ob Jon as’ Zukunftsethik die prospektive, die <traditionelle)
Ethik dagegen die (retrospektive) Verantwortung zur Geltung brächte. Wo
gegen doch nun klar sein muß, daß alle Konzeptionen normativer Ethik
20 H . L en k , Ü b e r V eran tw o rtu n gsb egriffe u n d das V eran tw o rtu n gsp ro b lem in der
Technik, a. a. O . (Fn. 2), S. 116 .
2 1 V gl. F. A n n erl, D ie zunehm end v era n tw o rtu n gslo se R ed e v o n der V eran tw o r
tung, in: W. Leinfellner/F. M . W uketits (H rsg.), D ie A u fg ab en der P h iloso p h ie in
der G eg en w art, A k te n des zehnten Internationalen W ittgen stein -S ym p o siu m s,
K irch b e rg am W echsel (Ö sterreich), Schriften reihe der W ittgen stein-G esellschaft
B d . X I I ,1, W ien 1986, S. 2 7 2 ff.; G . N unn er-W inkler, K o llek tive, ind ivid u elle und
solidarische (fürsorgliche) V eran tw o rtu n g, in: E .- J. L am p e, V erantw o rtlichkeit
un d R echt, a. a. O . (Fn. 3), S. 16 9 ff., hier: S. 18 1.
22 D as g ilt b edauerlicherw eise auch fü r die son st verd ien stvolle A rb e it v o n M aritta
Strasser. D iese versu cht, den transzendentalpragm atischen A n satz einer D isk u rs
ethik als V eran tw o rtu n gseth ik im Sinne K .- O . A p els u n d D . B ö h lers als theoreti
schen R ah m en fü r eine Integration v o n v ie r fundam entalen V eran tw o rtu n gsb e
g riffen (Legitim ation , F ü rso rg e /Z u k u n ftsso rg e , institutioneile E rgeb n isk o n tro lle,
E r fo lg unter nicht m o ralan alo gen B ed in gu n gen ) zu nutzen; v g l. M . Strasser, Ver
an tw o rtu n g in den N atu rw issen sch aften unter beson derer B erü ck sich tigu n g der
R isik o p ro b le m atik , M agistersch rift am Fachbereich P h iloso p h ie und S o zialw is
senschaften I, Freie U n iv ersitä t B e rlin 1993.
D im ensionen der V erantw ortung 309
«Ich bin verantwortlich mit meiner Tat als solcher (ebenso wie mit ihrer
Unterlassung), und das gleichviel, ob da jem and ist, der mich - jetzt oder
später - zur Verantwortung zieht. Verantwortung besteht also mit oder ohne
Gott, und natürlich erst recht ohne einen irdischen Gerichtshof. Dennoch ist
sie, außer fü r etwas, die Verantwortung vor etwas - einer verpflichtenden In
stanz, der Rechenschaft zu geben ist. Diese verpflichtende Instanz, so sagt
man wohl, wenn man an keine göttliche mehr glaubt, ist das Gewissen. Aber
damit verschiebt man nur die Frage auf die nächste, woher denn das Gewis
sen seine Kriterien hat, durch welche Quelle seine Entscheide autorisiert sind.
[.. .] Erkunden w ir, ob sich vielleicht nicht aus eben dem «Wofür» auch ihr
«Wovor» ableiten läßt. »40
Brisant wird Jonas’ Identifikation von Instanz und Bereich der moralischen
Verantwortung durch die weitere These, daß die Fähigkeit eines <Objekts>, die
handelnde Person mit Pflichten zu belasten, prinzipiell nicht mit einer Kom pe
tenz dieses Objekts korreliert, ebenfalls Verantwortung wahrzunehmen. Ein
facher ausgedrückt: Verantwortung stellt nach Jonas ein «nicht-reziprokes Ver
hältnis»41 dar. Daher kann sie nicht nur zwischen unterschiedlich (mächtigen)
beziehungsweise hilfsbedürftigen Personen, sondern auch zwischen nicht
personhaften Entitäten und moralischen Subjekten bestehen, wenngleich
auch für Jonas die «Verantwortung von Menschen für Menschen» «pri
m är»42 ist. <Urgegenstand> oder (Archetyp) des Verantwortungsgegenstan
des ist Jonas zufolge (das Kind) beziehungsweise (der Säugling).43
<Eigenwertes) der gesamten belebten Natur. Als Resümee seiner Argum en
tation kann der Satz gelten: «Jedes Lebendige ist sein eigener, keiner weiteren
Rechtfertigung bedürftiger Zw eck, und hierin hat der Mensch nichts vor
anderen Lebewesen voraus. »51
Z w ar lassen sich einige fundamentale Argumente aus dem (Prinzip Verant
wortung) in nichtmetaphysische Argumentationen transformieren. Das gilt
etwa für die Aussagen über das strikte Verbot eines kollektiven Selbstmordes
der Menschheit.52 Diese Begründungsansätze werden von Jonas jedoch lei
der nicht ausgeführt.
a) Intuitionismus: Wenn man nun mit Jonas annimmt, daß es so etwas wie
ethisch relevante (Werte an sich) gibt, könnte man zunächst fragen, ob diese
Werte sich nicht vielleicht (an ihnen selbst zeigen), ob sie nicht durch irgend
eine A rt sinnlicher Wahrnehmung (unmittelbar) zu erfahren sind. Wenn das
der Fall wäre, hätte Ethik nur die Funktion, auf diese Wahrnehmungsmög
lichkeiten hinzuweisen, sie eventuell freizulegen oder zu schulen und dann
die adäquate Berücksichtigung der Werte in den FJandlungen der morali
schen Subjekte einzufordern.
In diesem Sinne intuitionistisch ist das (Säuglings-Beispiel) zu verstehen.
Wenn ich ein schutzloses Neugeborenes sehe, meint Jonas, dann weiß ich
intuitiv, ohne lange zu räsonnieren, daß ich für es zu sorgen habe, daß das
Neugeborene wertvoll ist: «Sieh hin und du weißt. »53 Das Neugeborene ist
für Jonas ein Musterfall (wie er sagt ein «ontisches Paradigma»54) für die iun-
widersprechlich evidente) Koinzidenz von Sein und Wert.55
D er Wert der D inge ist laut (Prinzip Verantwortung) vor allem dann in
tuitiv erkennbar, wenn diese als bedrohte wahrgenommen werden: «Wir
wissen erst, was auf dem Spiel steht, wenn w ir wissen, daß es auf dem Spiel
steht.»56 Wegen dieses (Negativismus) ist Jonas’ Intuitionismus vor allem
au f das Gefühl der Furcht bezogen.57
Ist es allerdings sinnvoll, dem beschriebenen Intuitionismus eine kriteriolo-
5 1 E b d ., S . 184.
52 « K ein Einverständnis zu ihrem N ich tsein o d er E n tm enschtsein ist v o n der zu kün fti
gen M enschheit erhältlich noch auch sup ponierb ar» (H. Jo n a s, D as Prinzip Ver
an tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 29), S. 89; H erv o rh eb u n g M . W.); v g l. zu stim m en d K . -
O . A p el, D isk u rs u n d V eran tw o rtu n g. D as P ro b lem des Ü b e rg a n g s zur p o stko n
ventionellen M o ra l, F ran k fu rt a. M . 1990, S. 19 4 h , 2 0 3; W. K u h lm an n , in diesem
B an d .
53 H . Jo n a s , D as Prinzip V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 29), S. 235, 236.
54 E b d ., S. 235.
55 V gl. e b d ., S. 2 3 4 ff.
56 E b d ., S. 8, v g l. 63; D ieser G ed anke ist freilich seit Sokrates «so neu nicht»
(M . R a th , Intu ition u n d M o d ell, a. a. O . (Fn. 38), S. 89).
57 V gl. H . Jo n a s, D as Prin zip V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 29), S. 63; v g l. ders., P h i
lo sop h isch e U n tersu ch u n gen u n d m etaphysisch e V erm u tu ngen , a. a. O . (Fn. 40),
S. 140: « M isch u n g aus Fu rch t und Sch u ld ».
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gische (und nicht nur eine motivationale) ethische Rolle zuzuschreiben? Der
Ein wand liegt auf der Hand, daß (Intuitionen) der gemeinten A rt nicht unab
hängig von kulturellen Prägungen und - zumal in pluralistischen Gesell
schaften —individuellen Dispositionen bestehen und damit die Gefahr einer
unreflektierten Übernahme konventioneller Moralvorstellungen mit sich
bringen.58 Empirisch vorfindbare Intuitionen müssen durchaus nicht immer
(im normativen Sinne) (moralisch) s e in -e s gibt auch (intuitiven) Ausländer
haß. Abscheuliches Beispiel eines pervertierten (Sieh hin und du weißt) ist
etwa jene Titelseite der rassistischen Zeitschrift (A u f gut deutsch) von 1929,
w o unter dem zu einer grotesken M ongolengrimasse verzerrten Gesicht Bela
Kuns zu lesen ist: «N ur schauen, schauen! M ehr tut hier nicht not, um klar
zumachen, was auch uns bedroht.»59 Zudem ist die menschliche Fähigkeit
zur intuitiven Aufbietung (moralischen Gefühls) nicht nur individuell unter
schiedlich, sondern überdies generell begrenzt. Es ist auch aus anthropologi
schen Gründen mehr als fraglich, ob es heute, angesichts globaler Bedrohun
gen, überhaupt ein (angemessenes)60 «Verantwortungstje/tiW))61 geben kann,
ob die durch zeitliche und räumliche Ferne, Hypothetizität, quantitative
Enormität und qualitative Fremdheit abstrakt und unsinnlich gewordenen
Wirkungen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation wieder in eine
(Evidenz) ermöglichende (Unmittelbarkeit) rückholbar sind.62
A u f der Basis eines kriteriologisch verstandenen Intuitionismus ist Jon as’
Argumentation außerdem zirkulär, w o er nach der «Beschaffung der Vorstel
lung von den Fernwirkungen»63 auch die «Außietung des dem Vorgestellten ange
messenen Geßihls», primär der Furcht vor künftiger Bedrohung, zur Pflicht
machen will. Wenn «so wenig wie die Vorstellung des zu Fürchtenden [. . .]
die Furcht davor» sich von selbst einstellt, taugt der Intuitionismus offenbar
nicht mehr als Methode zur <Wertwahrnehmung>, denn um das <angemes
sene) Gefühl aufbringen zu können, müßte das moralische Subjekt ja schon
über ein Kriterium für die Angemessenheit von Gefühlen verfügen. Genau
dieser Maßstab aber sollte doch durch die Intuition selber gegeben oder er
setzt werden - <Sieh hin und du weißt). Jonas kann also nicht gänzlich au f die
Suggestion verzichten, das angemessene Gefühl stelle sich wenigstens teil
weise eben doch (von selbst ein>: So interpretiert er die (Aufbietung mora
lischen Gefühls) als die « Selbstbereitung zur Bereitschaft, [sic!] sich vom erst
gedachten Heil oder Unheil kommender Generationen affizieren zu las
sen»,64 also sozusagen als eine aktiv herbeizuführende Passivität.
Offenbar kann Jon as’ Intuitionismus nicht die entscheidende kriteriologi-
sche Rolle einer (Ethik für die technologische Zivilisation) ausfüllen. Damit
ist aber nicht ausgeschlossen, daß (unleugbar bestehende) Intuitionen der
von Jonas intendierten A rt in ethischen Konzeptionen dennoch eine Rolle
spielen können.65
b) naturphilosophisch-metaphysisches Begründungsprogramm: D er (naturphilo
sophisch-metaphysischen) Argumentationsstrategie wird allgemein mehr
Beachtung geschenkt als der intuitionistischen. Einen Ausblick auf dieses im
Vergleich zum Intuitionismus stark kognitiv geprägte Begründungsmodell
gibt Jonas bereits in (Organismus und Freiheit). D ort heißt es: «Die Philoso
phie des Geistes schließt die Ethik ein - und durch die Kontinuität des Geistes
mit dem Organischen wird die Ethik ein Teil der Philosophie der Natur. »66
Durch Naturphilosophie müsse eine objektive Wertordnung der Dinge fest
gelegt werden, an der verantwortliches Handeln sich orientieren könne.67
64 E b d ., S. 65.
65 V gl. M . Strasser, V eran tw o rtu n g in den N atu rw issen sch aften unter besonderer
B erü ck sich tig u n g der R isik o p ro b lem atik , a. a. O . (Fn. 22), S. 18 ff. U m eine diffe
renziertere intuitionistische E th ik k o n zep tio n im A n schluß an Jo n a s bem ü ht sich
M . R ath , Intuition u n d M o d ell, a. a. O . (Fn. 38); K u h lm an n k n ü p ft an Jo n a s ’ In
tuitionism us an, w e n n er vorsch lägt, die D isk u rseth ik durch ein (Prinzip W ohl
w ollen) zu ergänzen (s. u.).
66 H . Jo n a s, O rg a n ism u s und Freiheit, A n sätze zu einer p hilosop hischen B io lo g ie ,
G ö ttin g en 1973, S. 340.
67 V gl. e b d ., S. 3 4 1: « D ie Sch eidu n g des »objektiven« und des »subjektiven« Reiches
[. . .] ist das m o dern e Schicksal. Ihre W ied erverein igu n g kan n [. . .] nu r v o n der
»objektiven« Seite her b ew erk stelligt w erd en ; [. . .] durch eine R ev isio n der Idee
der N atu r. [ . . .] A u s der inneren R ich tu n g ihrer totalen E v o lu tio n läßt sich v iel
leicht eine B e stim m u n g des M en sch en erm itteln, gem äß der die P erson im A k te
der Selb sterfü llu n g zugleich ein A n lieg en der ursprü n glich en Substanz v e rw irk
lichen w ü rde. V on daher w ü rd e sich ein Prinzip der E th ik ergeben, das letztlich w e
der in der A u ton om ie des Selbst noch in den B edürfnissen der G esellschaft b egrün-
D im ensionen der V erantw ortung 317
(Das Prinzip Verantwortung) kann nicht zuletzt auch als Versuch gelesen
werden, dieses Program m umzusetzen. Nach allgemeinen Erwägungen zum
Z w eckb egriff argumentiert Jonas für die Thesen, daß Zw ecke auch in der
außermenschlichen Natur ihren Platz haben68 und daß « Zweckhaftigkeit ein
Gut an sich»69 sei. Aus diesen beiden Grundprämissen folgert er dann, daß die
außermenschliche (belebte) Natur als <Gut an sich) ein «Eigenrecht»70 bean
spruchen, also moralische Subjekte zur Wahrnehmung von Fürsorgeverant
wortung verpflichten könne. Dieser, hier natürlich in Verkürzung darge
stellte, Argumentationsgang ist von Philosophinnen und Philosophen (unter
Zurückweisung beider Prämissen) vielfach kritisiert w orden,71 so daß eine
ausführlichere Auseinandersetzung mit den immanenten Problemen eines
teleologischen Naturverständnisses und der naturalistischen Aufhebung der
det w ä re , sondern in einer o b jek tiven Z u te ilu n g seitens der N a tu r des Ganzen
(was die T h e o lo g ie als ordo creationis zu bezeichnen pflegte) - v o n solcher A rt, daß
n o ch der Letzte einer sterbenden M enschheit ih r in seiner letzten E in sam keit die
T reue halten k ö n n te .» A n a lo g e Z ie le fo rm u liert V. H ösle, D ie K rise der G egen
w a rt u n d die V eran tw o rtu n g der Ph iloso p h ie, a. a. O . (Fn. 49), S. 2 0 $ ff.; ders.,
P h iloso p h ie der ö k o lo gisch en K rise, a. a. O . (Fn. 49), S. 69fr. A ls V ertreter eines
absoluten Idealism us glau b t er allerdings, u m die E n tsch eid u n g zw isch en der (ob
jek tiv en ) und der (subjektiven) Seite heru m zu kom m en , ind em er beide in einer
geistig -w erth aften Stru k tu r gru n d gelegt sieht; v g l. V. H ösle, ebd ., S. 226; ders.,
P h iloso p h ie der G e g e n w a rt und die V eran tw o rtu n g der P h ilosophie, S. 7 1.
68 V gl. H . Jo n a s, D as Prinzip V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 29), S . i3 o ff.
69 E b d ., S. 154.
70 E b d ., S. 175.
7 1 V gl. D . B irnb acher, B esp rech u n g v o n H ans Jo n a s: D as Prinzip V erantw o rtu ng,
a. a. O . (Fn. 48); H . G ron ke, hier S. 4 iö ff. A . G eth m an n -Siefert, E th o s und m eta
physisches E rb e. Z u den G ru n d lagen v o n H ans Jo n a s ’ E th ik der V eran tw o rtu n g,
in: H . Schn ädelbach /G . K e il (H rsg.), P h iloso p h ie der G eg en w art - G eg en w art der
Ph iloso p h ie, H am b u rg 1993, S. 17 1 ff., insbes. 1 7 6 ff.; H . H astedt, A u fk läru n g und
Technik. G ru n d p ro b lem e einer E th ik der Technik, Fran k fu rt a. M . 19 9 1, u. a.
S. iö 7 f f .; M . K ettn er, V eran tw o rtu n g als M o ralp rin zip , a. a. O . (Fn. 46); R .-P .
K o sch u t, Stru ktu ren der V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 43), S. 2 4 ff., 3 3 4 ff., v. a.
3 3 7 ff.; W. K u h lm an n , in diesem B an d ; H . L en k , Ü b e r V eran tw o rtu n gsb egriffe
un d das V eran tw o rtu n gsp ro b lem in der Technik, a. a. O . (Fn. 2), S. 139; W. E .
M ü ller, D e r B e g r i f f der V eran tw o rtu n g b ei H ans Jo n a s, a. a. O . (Fn. 39), v. a.
S. ö 7 ff.;W . O elm ü ller, H ans Jo n a s: M y th o s - G n osis - Prinzip V eran tw o rtu n g, in:
Stimmen der Z e it 206/1988, S. 343 ff.; M . R ath , Intu ition und M o d ell, a. a. O . (Fn.
38); L . Schäfer, Selb stb estim m u n g u n d N atu rverh ältn is des M enschen, in: Infor
mation Philosophie 5/1986, S. 4 ff.; d ers., D as B aco n -P ro jek t. V on der E rkenn tn is,
N u tz u n g und Sch o n u n g der N atu r, Fran k fu rt a. M . 1993, v. a. S. I 5 2 ff .; J . - C .
W olf, H ans Jo n as: E in e natu rp hilosophische B e g rü n d u n g der E th ik , in: A . H ügli/
P. L ü b ck e (H rsg.), P h ilo so p h ie im 20. Jah rh u n d ert. B a n d I: P h än o m en ologie,
H erm eneu tik, E xisten zp h ilo sop h ie und K ritisc h e T h eo rie. R ein b ek bei H am b u rg
199 2, S. 2 15 ff.
318 M ich a H . W erner
Trennung von Sein und Sollen verzichtbar scheint. Schwerer w iegt ohnehin
Jon as’ eigenes Eingeständnis, daß er das Ziel einer unbestreitbaren Beweis
führung nicht erreicht habe. E r könne mit seinem Argum ent «nicht mehr
tun, als vernünftig eine Option begründen, die es mit ihrer inneren Überzeu
gungskraft dem Nachdenklichen zur Wahl stellt. Besseres habe ich leider
nicht zu bieten. Vielleicht w ird eine zukünftige Metaphysik es können. »72
Jonas konzediert, daß in der Anerkennung der zweiten seiner Grundprä
missen (daß Zweckhaftigkeit ein (Wert an sich) sei) «ein Element einer U r-
entscheidung» liege, die ein «Anhänger des N irw ana»73 wohl nicht in glei
cher Weise treffen werde wie eine von der abendländischen Kultur geprägte
Person.74
Wenn Jonas dennoch an dem metaphysischen Begründungsprogramm
festhält, dann w ohl vor allem deshalb, weil er eine nichtmetaphysische Ethik
begründung für unmöglich zu halten scheint. Schon 1952 äußert er die A n
sicht, daß auf der Grundlage eines ateleologischen Naturverständnisses (das
letztlich mit <Akosmismus> gleichbedeutend sei) kein handlungsleitender
«nomos»75 m öglich sei und noch vierzig Jahre später hält er an der Auffas
sung fest, daß Ethik «die Metaphysik nötig»76 habe. Zum zweiten scheint
aber die von Jonas intendierte Abkehr vom (Anthropozentrismus > auf der
Legitimationsebene der Ethik allein auf der Basis eines monistisch-metaphy
sischen Seinsverständnisses durchführbar.77
Ähnlich oft wie au f die Begründungsmängel ist auf die Probleme der gesell
schaftlichen Umsetzung des (Prinzips Verantwortung) hingewiesen worden.
Sie lassen sich in drei Bereiche gruppieren, die allerdings eng Zusammenhän
gen: a) Wie läßt sich Jon as’ an Fürsorgeverantwortung orientierte (Ergän
zungsethik) mit Postulaten der Gerechtigkeit vereinbaren? b) Wer oder was
könnte die Rolle des Subjekts der Fern- und Zukunftsverantwortung wahr
nehmen? c) Legt Jonas genügend Wert auf die Demokratieverträglichkeit ihrer
Institutionalisierung?
ad a): Das (Prinzip Verantwortung) ist keine Gerechtigkeitsethik. So be
gründet Jonas etwa die Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen zukünf
tiger Generationen (u. U. au f Kosten der derzeit lebenden) keineswegs mit
Hilfe der Gerechtigkeitsnorm. E r beruft sich vielmehr auf das materiale
Gebot »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit
der Permanenz echten menschlichen Lebens au f Erden«,78 das er als «katego
rischen Imperativ» ausweisen will. Die Ansprüche künftiger Generationen
sind moralisch nicht deshalb legitimiert, weil oder soweit sie gerecht sind,
sondern nur sofern sie den Bedingungen der essentiellen und existentiellen
Bewahrung einer als selbstzweckhafte (ontologische Idee>79 verstandenen
Menschheit entsprechen. In diesem Rahmen können aber gerade mögliche
Gerechtigkeitsfragen ungeklärt bleiben.80 Beispielsweise: «Wie große Unge
rechtigkeiten dürfen oder müssen derzeit lebenden Menschen zugemutet
werden, um künftigen Generationen ein (echt menschliches) Leben zu
sichern?» Karl-O tto Apel gibt zu bedenken:
«Rein biologisch gesehen könnte das Überleben der Menschheit in der ge
genwärtigen Situation [ . . . ] dadurch gewährleistet werden, daß Teile der
Erdbevölkerung, z. B . in der Dritten Welt, verhungern. Eine solche, sozial-
darwinistische Lösung im Sinne des Gesundschrumpfens der Menschheit soll
ja der Ökonom ie-Nobelpreisträger Friedrich von Hayek als akzeptabel be
zeichnet haben. »81
M an muß Apel darin recht geben, daß mit der Jonasschen Konzeption eine
derartige zynische (Lösung) der globalen Probleme nicht unvereinbar ist.82
Das heißt natürlich nicht - und Apel will dies auch «nicht einen Augenblick
lang»83 unterstellen - daß Jonas für diese Option votieren wollte. Jo n as’ (Er
gänzungsethik> bleibt jedoch insofern unbefriedigend, als sie den Fall, daß
die aus ihr folgenden M axim en mit Gerechtigkeitspostulaten kollidieren,
unberücksichtigt läßt und für ihn keine Entscheidungskriterien an die Hand
gibt.
ad b) Eine weitere Frage, die sich im Anschluß an Jonas’ Forderung nach
der Wahrnehmung von Verantwortung für die Fernwirkungen kollektiven
Tuns aufdrängt, läßt sich mit Georg Büchners Danton formulieren: « Oh, es
versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen D inge ins Werk
setzen?»84 Es ist die Frage nach dem Subjekt, der Institutionalisierung der
Verantwortung. Z w ar befaßt sich Jonas im (Prinzip Verantwortung) mit der
Frage, in welchem der beiden (1979 noch) konkurrierenden Gesellschafts
systeme die Zukunftsverantwortung besser zu implementieren wäre. A u f
die Frage, an welches politisch-moralische Subjekt sich seine Ethik primär
richtet, gibt Jonas dennoch keine klare Antwort. Das findet in verschiedenen
Rezeptionsweisen seinen Ausdruck.85
- D ie <individualistisch-anarchistische> L e sa rt: Hans Sahl meint, das (Prinzip
Verantwortung) durch den Satz paraphrasieren zu können: «Jeder einzelne ist
verantwortlich für die Welt in jedem Augenblick. »86 Gegen eine solche K on
zeption des Verantwortungssubjekts und der Distribution moralischer Ver
antwortung, die übrigens manchmal auch der Diskursethik unterstellt wird,
sind vielfach Einwände erhoben worden. Abzuweisen sind diese Einwände
sicherlich, sofern sie nur der Verteidigung einer konventionellen, an <Üblich-
keiten> orientierten (Institutionen-) M oral dienen, die von den neuartigen
ethischen Problemen zweifellos hoffnungslos überfordert ist. Ähnlich un
zweifelhaft ist aber, daß eine moralische Verantwortung, die (jede und jeder)
für (alles) trägt und die nicht als M itverantwortung spezifiziert und institu
tionalisiert werden kann, keine praktikable Alternative darstellt. Sie müßte
entweder folgenlos bleiben, oder, wenn wirklich alle ihre Universalverant
wortung direkt wahrzunehmen versuchen, zu anarchistischen oder vielmehr
chaotischen Verhältnissen führen. Aber eine universale Verantwortungsethik
impliziert nicht notwendig eine unmittelbare und institutionalisierungsfreie
Verantwortungsübernahme. Und Jonas läßt denn auch keinen Zw eifel
daran, daß er Institutionen für nötig hält, um « d ie gesu chte <M acht ü ber die
M a c h t) » 87 zu organisieren.88
95 R .-P . K o sch u t, Stru k tu ren der V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 45), S. 377.
96 V gl. eb d ., S. 2 7 8 f.; P. E rb ric h , Z u k u n ft und V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 23),
S. 676; Jo n a s ’ Stellu n gn ah m e in seinem G espräch m it E . G eb h ard t, in diesem
B an d , S. 2 0 9 ff.
97 V gl. R .-P . K o sch u t, Stru ktu ren der V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 45), S. 374.
98 H . Jo n a s, D as Prin zip der V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 29), S. 178.
D im ensionen der V erantw ortung 323
wie etwa der Diskursethik) kritikwürdig wegen der mit ihr verbundenen
monologischen Begründung der Verantwortung aus «objektiven Wertem
(also, w iejon as selbst sagt, nicht aus «der Autonomie des Selbst»99 oder den
Strukturen vernünftiger Kommunikation) und der dadurch möglichen Ent
lastung der Entscheidungsträger vom D ruck der Legitimation durch diskur
sive Verfahren (idealiter: einem Diskurs der unbegrenzten Kommunikations
gemeinschaft) beziehungsweise vor durch derartige Verfahren ihrerseits zu
legitimierenden Institutionen demokratischer Partizipation.
M öglicherweise besteht, nebenbei bemerkt, ein Zusammenhang zwischen
der Dualität der Begründungsansätze und der Polarität der politischen O p
tionen. Denn eine naturphilosophisch fundierte Ethik schließt die Vorausset
zung eines Erkenntnisprivilegs von Fachleuten, eben den Naturphilosophen,
(in bezug auf <Wertwissen>) in sich, was für den Intuitionismus nicht not
wendig der Fall ist.100
U m Mißverständnisse zu vermeiden, sei abschließend betont, daß die bei
den «Optionen) der «Anwendung) des «Prinzips Verantwortung) von Jonas
niemals als konkrete politische Handlungsempfehlungen ausgearbeitet w or
den sind; sie sind nur als Spekulationen darüber zu verstehen, welche Arten
politischer Umsetzung mit dem theoretischen Kern der Jonasschen Ethik
vereinbar wären. Teilweise können sie sich au f gewisse Äußerungen von
Jonas stützen, deren theoretischer Status schwach, meist nur der von «Erwä
gungen) ist.
99 Son dern etw a gar gem äß «objektiver Z u teilu n g seitens der Natur>? - v g l. Fn. 67.
10 0 D ie V erm u tu ng, daß der D ualität der B egrü n d u n gsstrateg ien die A m b iv alen z der
politischen O p tio n en ko rrespo n d iert, erhärtet sich, w e n n m an die beiden para
digm atischen Jo n as-A d ap tio n en betrachtet. So läßt sich bei H ösle verschiedent
lich eine g ew isse (vornehm e?) D istanz zu den Prinzipien der D em o k ratie nach-
w eisen. Siehe hierzu sein P läd o yer zum Schutz der Institutionen v o r kritischer
Ü b e rp rü fu n g (V. H ösle, D ie K rise der G eg e n w a rt und die V eran tw o rtu n g der
P h iloso ph ie, a. a. O . (Fn. 49), S . 263; v g l. aber dagegen u. v. a.: D . B ö h ler, R e -
k o n stru k tive P ragm atik . V on der B ew u ß tsein sp h iloso p h ie zur K o m m u n k atio n s
reflexio n : N eu b eg rü n d u n g der praktischen W issenschaften, Fran k fu rt a. M .
1985, S. 32 8 ff.) u n d seine aus einem M iß verstän dn is der veran tw o rtun gseth isch
exp lizierten D isk u rseth ik resultierende A n g s t v o r dem «unbeschränkten D isku rs)
(V. H ö sle, D ie K rise der G eg e n w a rt u n d die V eran tw o rtu n g der Ph iloso ph ie,
a. a. O . (Fn. 49), S. 253). N o c h aufschlußreicher sein instrum entales, d en intrinsi
schen W ert politischer Freiheit und prozeduraler G erech tigk eit vernachlässigendes
D em o k ratieverstän d n is; v g l. V. H ösle, P h iloso p h ie der ö k ologisch en K rise,
a. a. O . (Fn. 49), S. 132, 144. R ath w ill h in geg en die G ew issen sau to n o m ie der
m oralischen Su b jekte m it einer intuitionistischen K o n zep tio n verb ind en. Seine
Ü b erle g u n g e n kreisen u m das P ro b lem der L egitim ierb ark eit des U nterlassens
v o n Forschu ngstätigkeit. D e r In d ivid u alism u s bietet hier kau m A nschluß stellen
fü r K o nzepte einer Institutionalisierung k o llek tiv er V eran tw o rtu n g; v g l.
M . R ath , Intuition und M o d ell, a . a. O . (Fn. 38).
324 M ich a H . W erner
A ls Fazit der vorigen Überlegungen zu Jon as’ ethischem Konzept ergibt sich,
daß
1. Sein E n tw u rf moralischer Verantwortung eine Verkürzung enthält, inso
fern in ihm Verantwortungsinstanz und Verantwortungsbereich zusam
menfallen;
2. diese Verkürzung zu einer objektivistischen A xiologie nötigt, die Jonas
auf die Pfeiler einer intuitionistischen und einer naturphilosophisch-meta
physischen Begründungsstrategie zu stützen sucht;
3. diese Begründungsversuche nicht als strikte, allgemeinverbindliche A r
gumentationen gelten können, wenngleich sie Anhaltspunkte für eine
teilweise Transformation in solche Argumentationen bieten;
4. das (Prinzip Verantwortung>für die bei der Wahrnehmung der prospekti
ven Verantwortung möglichen Konflikte zwischen dem Prinzip der
Menschheitsbewahrung einerseits und den Prinzipien der Gerechtigkeit
und der Demokratie andererseits keine Entscheidungskriterien an die
Hand geben kann;
5. Jon as’ Konzept die wichtigen Fragen der Organisation beziehungsweise
Institutionalisierung kollektiver M itverantwortung nicht hinreichend
klärt.
Im folgenden w ill ich untersuchen, ob die Diskursethik die genannten Pro
bleme überwinden kann und ob sie nicht ihrerseits gegenüber dem (Prinzip
Verantwortung) Schwächen hat und daher der Ergänzung bedarf.
10 4 V gl. K .- O . A p e l, T ran sfo rm atio n der Ph iloso p h ie, B d . II, D as A p rio ri der K o m
m u nikatio nsgem ein schaft, Fran k fu rt a. M . 1976, S. 4 2 7 ; D . B ö h le r, R ek o n stru k -
tive P rag m atik , a. a. O . (Fn. 100), S. 59 u. a.
10 5 V gl. K o sch u ts A usein an dersetzu ng m it M artin B u b e r; R .-P . K o sch u t, Stru ktu ren
der V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 45), S. 9 4 ff.
10 6 J . H ab erm as, M o ralb ew u ß tsein und ko m m u n ik atives H andeln, Fran k fu rt a. M .
1983, S. 98; v g l. ebd. ff. seine a u f A le x y gestützte A u fstellu n g solcher « D isk u rs
regeln ».
D im ensionen der V erantw ortung 327
in K .- O . A p e l, D isk u rseth ik als V eran tw o rtu n gseth ik. E in e postm etaph ysische
T ran sfo rm atio n der E th ik K an ts, in: R . Fo rn et-B etan co u rt, E th ik und B efreiu n g ,
A ach en 1990, S. 1 0 f f . , hier: S. 34.
1 1 2 K .- O . A p e l, D isk u rs und V eran tw o rtu n g, a. a. O . (Fn. 52), S. 142.
113 « So fern [. . .] die k o llek tiv en A n w en d u n gsb ed in gu n gen fü r die p o stko n ven tio
nelle D isk u rseth ik n och nicht realisiert sind, in sofern sind diejenigen, die a u f der
p h ilosop hischen D isk u rseb en e die E in sich t in die u niversale G ü ltig k eit des ethi
schen D isk u rsp rin zip s gew on n en haben, in zweifacher W eise verpflichtet, zu
gleich dem deontischen D iskursprinzip und in einer geschichtsbezogenen Verantwor
tung R ech n u n g zu tragen: 1. Einerseits m üssen sie - aus V eran tw o rtu n g fü r die
ihnen anvertrauten [. . . ] M itglieder der realen Kom m u n ikation sgem ein schaft - die
B ereitsch aft zur disk u rsiv-ko n sen su alen L ö su n g v o n Interessenkonflikten nach
Maßgabe der Situationseinschätzung mit der Bereitschaft zum strategischen Handeln ver
mitteln [ . . . ] - derart, daß die M a x im e ihres H andelns, w en n nicht schon in einem
realen, so do ch in einem fik tiv en idealen D isk u rs aller g u tw illig e n B etro ffen en als
k o n sen sfäh ige N o rm angesehen w erd en könnte. [ . . . ] 2. M it der E in sich t [ .. .] in
die D ifferenz zw isch en der geschichtlichen Situ ation der realen K o m m u n ik atio n s
gem ein schaft und der im m er schon ko n trafaktisch antizipierten idealen Situation,
in der die A n w e n d u n g sb ed in g u n g en der D isk u rseth ik gegeb en w ä ren , - m it die
ser a u f der p hilosop hischen D isk u rseben e u n verm eidlich en E in sich t hat m an m .
E . auch zugleich anerkannt, daß m an zur Mitarbeit an der langfristigen, approximati-
D im ensio nen der Verantw ortung 329
ven Beseitigung der D ifferenz verp flichtet ist.» K .- O . A p e l, D isk u rseth ik als Ver
an tw ortu n gseth ik, a. a. O . (Fn. i n ) , S. 34 h
1 1 4 J . H ab erm as, E rläu teru n g en zur D isk u rseth ik , a. a. O . (Fn. 108), S. 198.
1 1 5 E b d ., S. 199.
1 1 6 E b d ., S. 198.
1 1 7 V g l. eb d ., S. i9 8 ff., ders, Faktizität u n d G eltu n g, B e iträ g e zur D isk u rsth eo rie
des R echts u n d des dem okratisch en Rechtsstaats, F ran k fu rt a. M . 199 2, S. 148.
1 1 8 J . H ab erm as, E rläu teru n g en zur D isk u rseth ik , a. a. O . (Fn. 108), S. 199.
1 1 9 V gl. D . B ö h le r, D isk u rseth ik und M en sch en w ü rd egru n d satz zw isch en Idealisie
ru n g und E rfo lg sv e ra n tw o rtu n g , in: K .- O . A p e l/M . K ettn er (H rsg.), Z u r A n -
330 M ich a H . W erner
Gemeinschaft» aber «begrenzt» ist, und daher die (unbeschränkte) <iKg> nur
als regulative Idee verstanden werden kann.123
Jonas begründet die universale Verantwortung gegenüber allem lebendi
gen Sein (monologisch) aus dessen werthafter Struktur selbst. Sozialität
kom m t im Begründungsteil des (Prinzips Verantwortung) nur in der Form
des einseitigen elterlichen Fürsorgeverhältnisses gegenüber Unmündigen
vor. Das führt dazu, daß das Problem der kollektiven Organisation von (Mit-)
Verantwortung als etwas der Ethikbegründung äußerliches, als ein bloßes
Problem der (möglichst effizienten) Verwirklichung des zuvor als richtig
Erkannten konzipiert werden muß. Demgegenüber haben die ((kommunika
tionstheoretische Deutung der M oral und die diskursethische Fassung des
Moralprinzips den Vorzug, einen Individualismus zu vermeiden, der sich un
ter subjektphilosophischen Prämissen einschleicht.»124 Insofern schon die
Begründung dessen, was als richtig zu gelten hat, diskursethisch (idealiter)
unter Berücksichtigung aller Betroffenen geleistet werden soll, erfordert sie
von vornherein (kollektive Mit-Verantwortung) (für die gemeinschaftliche
Suche nach der richtigen N orm ) und enthält zugleich (Gerechtigkeits-)
Maßstäbe ihrer Organisation beziehungsweise Institutionalisierung. Auch
durch die mehrstufige Konzeption w ird die Diskursethik nicht wieder in den
Stand des Solipsismus zurückgeworfen.125 Die durch (U rcg-td> beziehungs
weise (E> begründete Pflicht zur Herstellung oder Bewahrung von Struktu
ren kollektiver M itverantwortung kann freilich nur zunehmend mit dem
Maß ihrer Erfüllung kollektiv wahrgenommen werden - eine Tautologie, aus
der sich schwerlich ein V orw urf gegen die Ethik gewinnen läßt.
Höchstwahrscheinlich lassen sich mit dieser Konstruktion auch einige
theoretische Fragen klären, die sich im Zusammenhang mit der Distribution
der Verantwortung für kollektives Tun stellen,126 so etwa die Spannung zw i
schen Lenks (Strukturmodell) der Verantwortung, nach welchem, grob ge
sagt, jedes M itglied in einer Institution Verantwortung gemäß seinem fakti
schen Einfluß übernehmen muß, und dem, was Lenk (universalmoralische
Verantwortlichkeit) nennt.127 Die diskursethisch zuschreibbare M itverant
wortung aller M itglieder der Kommunikationsgemeinschaft für deren E r
haltung und für die Entwicklung in Richtung au f eine (iKg> verpflichtet näm
lich sowohl zur Übernahme von Verantwortung innerhalb bestehender Insti
tutionen beziehungsweise Strukturen kollektiven Handelns (insofern diese
12 8 W. K u h lm an n , in diesem B an d , S. 299.
334 M ich a H . W erner
«Eigenrecht der N atur»131 oder die Natur als «Objekt sittlicher Pflichten»132
postulieren wollen. Weist man aber andererseits nach, daß die Rede von
einem <Eigenrecht> der N atur ein leeres Behaupten bleiben muß, weil sie ihre
Sinnbedingungen nicht reflektiert, dann hat das unmittelbar zur Folge, daß
die gesamte für den Fortbestand der Kommunikationsgemeinschaft irre
levante außermenschliche Natur nur einen «Preis»133 hat, daß ihr Wert «ins
gesamt nur relativ»134 ist. Und folgt demnach nicht auch, daß Tiere nur als
«Sachen» anzusehen sind, «mit denen man nach Belieben schalten und w al
ten kann>?135 Jedenfalls ist dann das Prinzip der Güterabwägung nicht mehr
zu verstehen als A bw ägung zwischen dem Schutz einer als <Wert an sich> an
gesehenen Natur und menschlichem Nutzinteresse, sondern nur als Aus
gleich zwischen konkurrierenden menschlichen Nutzinteressen. Und hat
dann nicht Spaemann recht, wenn er meint: «Solange der Mensch die Natur
ausschließlich auf seine Bedürfnisse hin interpretiert und seinen Schutz der
N atur an diesem Gesichtspunkt ausrichtet, wird er sukzessive in der Zerstö
rung fortfahren. E r wird das Problem ständig als ein Problem der Güterab
w ägung behandeln und jeweils von der N atur nur das übrig lassen, was bei
einer solchen A bw ägung im Augenblick noch ungeschoren davonkommt.
B ei einer solchen Güterabwägung im Detail w ird der Anteil der N atur stän
dig verkürzt.»136
Beide Ansichten scheinen zunächst anmaßend zu sein: Spricht man z. B.
einer Tier- oder Pflanzenwelt eine «Eigen w ü rd e»137 zu, macht man sich,
hegelsch gesprochen, des <Hochmuts der Demut) schuldig: In Wahrheit maßt
man sich dabei selbst das Am t der Zuteilung von <Eigen->Würde an - was
prinzipiell einen Selbstwiderspruch impliziert, wenn man <Würde> im Sinne
der kantischen Traditon versteht. Leugnet man aber eine Art <Eigenrecht>
der Natur, dann gibt man scheinbar die gesamte Natur der - nur durch den
menschlichen Gattungsegoismus auch wieder zu beschränkenden - Vernut-
zung für menschliche Zw ecke preis.
Wie weitgehend könnte sich aber dieser Egoism us als wohlverstandenes, kom
munikativer Vernunft verpflichtetes Interesse der Menschengattung, selbst be
schränken? In bezug auf das Beispiel des Schutzes von Tier- und Pflanzen
arten würde in einem praktischen Diskurs w ohl zu bedenken sein, daß jede
hier getroffene Entscheidung irreversible Folgen haben m uß.138 Deshalb gilt
es zunächst, alle indirekten Risiken unter Berücksichtigung der Unvollkom
menheit aller Folgenabschätzung in der angemessenen Weise abzuwägen.
Zweitens folgt daraus, daß die Ausrottung einer Tier- oder Pflanzenart durch
übermäßige <Nutzung> (Beispiel Walfischfang) ebenfalls leicht als unmora
lisch zu qualifizieren wäre: Denn sie widerspricht offensichtlich dem Prinzip
der Gerechtigkeit gegen künftige Generationen.
Wie verhält es sich aber, wenn gar kein gegenwärtiges <Interesse> an der
Nutzung der entsprechenden Art seitens eines Mitglieds der Kom m unika
tionsgemeinschaft besteht und gleichwohl ihre Ausrottung als Nebenfolge
anderer menschlicher Handlungen zu gewärtigen ist? M öglicherweise kön
nen auch hier Argumente gefunden werden, die eine solche Ausrottung zu
nächst einmal in den Verdacht der Unmoralität bringen könnten, ohne daß
dabei au f das Prinzip (Wohlwollen) als Grundprinzip einer Ethik rekurriert
werden müßte. So kann aus gegenwärtig nicht vorhandenem Interesse kei
neswegs darauf geschlossen werden, daß auch in Zukunft kein Interesse am
Bestehen einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart entstehen könnte; ein B ei
spiel für die praktische Bedeutsamkeit solcher Erwägungen ist die Spekula
tion auf eine Unzahl noch unentdeckter Heilpflanzen im Gebiet der tropi
schen Regenwälder. Die Vorläufigkeit aller Einschätzungen kann auch hier
ein gewichtiges Argum ent für einen fürsorglichen Um gang mit der Fülle der
N atur sein, die dem Menschen ausgeliefert ist. Weiter ist zu berücksichtigen,
daß die <Interessen>, von denen in der Diskursethik die Rede ist, nicht bloß
als handgreiflich-materielle beziehungsweise ökonomische Nutzinteressen
verstanden werden dürfen. Schon Kant unterscheidet in der <Grundlegung
zur M etaphysik der Sitten> einen «Marktpreis» und einen «Affektations-
preis»,139 welch letzterer sich auf das paradoxe <Interesse> am ästhetischen
Genuß bezieht.140 D ie kommunikative Rationalität schließt erst recht keine
Form von Rationalität aus; ihre <Utopie> ist die zwanglose Vermittlung der
verschiedenen Rationalitätstypen. D am it ist klar, daß die Beurteilung eines
Eingriffs in die außermenschliche N atur jedenfalls auch Argumente zu be
rücksichtigen haben wird, die dessen Rückw irkungen auf den kulturellen
Zustand der Gesellschaft, ihr kulturelles Selbstverständnis, zum Gegenstand
haben.
Eine große Vielfalt möglicher Ansprüche ist hier denkbar, die vollständig
zu typisieren oder gar aufzuzählen nicht nur unmöglich, sondern widersin
nig wäre, denn das Entscheidende liegt gerade darin, daß jede Präjudikation
derartiger Argumente zu vermeiden ist. Daher nur weniges zur Illustration:
M an kann argumentieren, daß die kulturelle Tradition durch stark verän
dernde Eingriffe in die außermenschliche Natur entwertet werden könnte.
Es bedeutet eine Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten, wenn nicht
nur kulturell tradiertes durch Anderes abgelöst, sondern (was etwas ganz
anderes ist), das «Bezugssystem »141 einer ganzen Traditionslinie destruiert
w ird, so daß man von dieser Tradition nicht einmal mehr negativ sich abset
zen kann. M an kann weiterhin auf die Berücksichtigung des (Affektations-
preises> der Natur drängen, ihres Wertes als (unersetzbare?) M öglichkeit
<guten Lebens>.142 Allerdings ist das keine harmlose Forderung. Die Ein
schätzung der Bedeutsamkeit einer Naturästhetik für eine Ethik der Natur
muß deshalb Probleme bereiten, weil die ästhetische Naturerfahrung Resi
duum dessen sein kann (und, wie sich in künstlerischen Zeugnissen belegen
läßt, stets gewesen ist), was als (metaphysisches Naturverständnis> bezeich
net werden kann. Die Anerkennung der ethischen Relevanz ästhetischer N a
turerfahrung verleiht der Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaft
lichem und ästhetischem Naturverständnis zusätzliche Brisanz. Keine Lösung
ist es, bestimmte (ästhetische) Naturerfahrungen einfach zu ignorieren.143