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Wenn man die aktuelle politische Situation betrachtet, kann einem schon
etwas bang werden: Lauschangriff auf Privatwohnungen, heimliche on-line-
Durchsuchungen, Einschränkung der Unschuldsvermutung – gehört in
diese Horrorliste auch die Absprache im Strafverfahren, zu der ich Stellung
nehmen soll?
Würde man diese Frage den in der Praxis tätigen Staatsanwälten, Rich-
tern und Verteidigern stellen, würde man bei der übergroßen Mehrheit von
ihnen auf bares Unverständnis stoßen. Was sollte daran so schlimm sein, ein
Strafverfahren einverständlich und zügig zu beenden? Und dass man eine –
dem Willen aller Beteiligten entsprechende – Absprache nach Auffassung
des Großen Senats des BGH 1 nicht mit der Vereinbarung eines Rechtsmittel-
verzichts versehen dürfe, quittieren diese Praktiker nur mit Kopfschütteln.
Was wenig beachtet worden ist: Auch der Generalbundesanwalt hatte die
gestellten Vorlegungsfragen seinerzeit sämtlich anders als der Große Senat
des BGH dahingehend beantwortet, dass Rechtsmittelverzichtsvereinbarun-
gen zulässig seien und das Gericht sogar darauf hinwirken dürfe! Immerhin
dämmert inzwischen aber allmählich doch einsichtigen Verteidigern, dass
mit einer unkontrollierten Absprache die rechtsstaatlichen Sicherungen des
Strafverfahrens, nämlich dessen den Angeklagten schützende Formen, auf-
gegeben werden. Die gestellte Frage, ob die Zulässigkeit von Absprachen
den Rechtsstaat bedroht, ist daher berechtigt, wenn damit aber gleichzeitig
der „Abschied vom Rechtsstaat“ propagiert wird, wohl doch reichlich über-
zogen.
Bevor über die „Absprache im Strafverfahren“ lamentiert wird, ist es
allerdings dringend erforderlich, erst einmal zu klären, was darunter ver-
standen wird. Insofern besteht nicht einmal in der Bezeichnung, geschweige
denn in der Definition Einigkeit. Auch die Entscheidung des Großen Senats
des BGH krankt daran, dass dort die Gefahren der Absprache beschworen
und verfassungsrechtliche Bedenken geäußert werden, ohne dass zuvor ge-
klärt wird, welche Art von Absprachen denn bedenklich seien und welche
nicht.
dungen des BGH 4 ist dargelegt, dass der Hinweis auf Strafmilderung bei
Ablegung eines Geständnisses nicht gegen § 136a StPO verstößt.
– Eine verbindliche Zusage der Strafmilderung in diesem Fall ist unabding-
bar; denn eine unverbindliche Inaussichtstellung ist für den Angeklagten
wertlos.
– Vorgespräche von Staatsanwaltschaft und Verteidiger mit dem Vorsitzen-
den vor der Hauptverhandlung kann man nicht verbieten und muss man
auch nicht verbieten, weil diese Gespräche unverbindlich sind und nur
das für das Urteil zählt, was in der Hauptverhandlung erklärt und proto-
kolliertworden ist.
Bei den gestatteten Absprachen sind nun aber wiederum zwei Varianten
deutlich zu unterscheiden:
Nach der Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH 5 macht das Gericht
diese Zusage; die Entscheidung verbleibt allein beim Gericht. Sie ist nicht
von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und schon gar nicht von der
Zustimmung des Angeklagten abhängig. Sie ist also auch wirksam, wenn die
Staatsanwaltschaft mit dieser Obergrenze nicht einverstanden ist, und es
bleibt dem Angeklagten unbenommen, ob er daraufhin ein Geständnis ab-
legt oder nicht. Demgegenüber ist in einer Entscheidung des 5. Strafsenats
des BGH 6 verlangt worden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung
erteilen müsse.
Der Große Senat des BGH hat die Frage der Zustimmungspflichtigkeit
der Absprache durch die Staatsanwaltschaft offen gelassen.
Schaut man sich zu dieser Frage die vorliegenden Gesetzesentwürfe an,
nämlich die der Bundesrechtsanwaltskammer und das auf einen Vorschlag
des Landes Niedersachsen zurückgehende Gesetzesvorhaben des Bundes-
rats sowie den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, so stellt
man fest, dass diese sämtlich – und in verstärktem Maße – das Erfordernis
solcher Zustimmungen herausstellen. Sie verlangen darüber hinaus zum Teil
sogar, dass die Initiative zur Vornahme einer Absprache von Staatsanwalt-
schaft und Verteidigung ausgehen und generell von deren Zustimmung ab-
hängig sein soll; sie drängen damit das Gericht an den Rand des Geschehens.
Weit über dem, was der BGH erlaubt hat, liegt es auch, wenn nach den
Entwürfen sogar prozessuale Vorgänge – also beispielsweise der Verzicht auf
4 BGHSt 1, 387.
5 BGHSt 43, 195.
6 StV 2003, 481.
Wer jetzt nicht nur den deal, sondern auch sämtliche andere Formen von
Absprachen verbieten will, so wie es z. B. die Generalbundesanwältin Harms
vor kurzem gefordert hat 10, schüttet das Kind mit dem Bade aus:
Ganz abgesehen davon, dass dies nach 30 Jahren praktizierter Verständi-
gungen unmöglich erscheint, weil es nur dazu führen würde, das heimliche
dealen zu neuer Blüte zu bringen – es ist doch durchaus vernünftig, wenn
versucht wird, dem Angeklagten bei kooperativem Verhalten eine Straf-
milderung zu gewähren und ihm dabei ein ihn regelmäßig sehr belastendes,
Nerven kostendes und zeitaufwändiges Verfahren zu erleichtern. Es ist aber
auch in Anbetracht der knappen Ressourcen der Justiz erstrebenswert,
Strafverfahren schnell und ohne großen Aufwand zu Ende zu bringen –
vorausgesetzt, die rechtsstaatlichen Grundsätze werden dabei gewahrt.
Dass sich Verteidiger nicht mehr auf den unverbindlichen Hinweis des
Gerichts, ein Geständnis werde – natürlich – erheblich strafmildernd ge-
wertet werden, verlassen wollen, ist in Anbetracht dessen, dass dabei offen
bleibt, wie hoch die Milderung ausfallen wird und hier vielfach höchst
unterschiedliche Vorstellungen zwischen dem Gericht und der Verteidigung
bestehen können, nur allzu verständlich; schließlich haben sich die heim-
lichen deals ja gerade deswegen entwickelt, weil die Verteidiger den unver-
bindlichen Zusagen der Gerichte über eine Strafmilderung bei Ablegung
eines Geständnisses nicht getraut haben bzw. ihnen diese eben zu unsicher
oder sie von dem geringen Umfang der Strafmilderung enttäuscht waren.
So hat sich demgegenüber auch Schünemann gerade nicht darauf be-
schränkt, den Stab über das Abspracheverfahren zu brechen, sondern nach
anderen Lösungen gesucht. Er hat vorgeschlagen11 – und dabei Zustimmung
gefunden12 –, dass das Gericht zunächst – etwa im Wege eines Strafbescheids –
einen Strafvorschlag macht, dazu sodann einen gerichtlicher Verhandlungs-
termin angesetzt und nach Erörterung mit dem Angeklagten eine einver-
ständliche Erledigung versucht wird; im Falle des Scheiterns einer Vereinba-
rung solle eine – streitige – Verhandlung vor einem anders besetzten Gericht
stattfinden. Ein ähnlicher Vorschlag ist auch kürzlich von Altenhain ge-
macht worden13.
Solche Vorschläge haben aber keine Chance auf Verwirklichung: Alles,
was das Verfahren verkompliziert und dazu noch einen höheren Einsatz von