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030348 UE Klausurenkurs aus öffentlichem Recht

Vorbereitung auf die FÜM III


SoSe 2020
Univ.-Ass. Mag. Julia Flir

1. Klausur am 18. Mai 2020


Dauer: 4h + 30 min für die technische Durchführung
9:00-13:30
Bitte beachten Sie, dass diese Klausur nicht als Open Book Klausur konzipiert ist. Erlaubte Hilfsmittel
sind somit ausschließlich unkommentierte Gesetzesausgaben! Bitte übermitteln Sie Ihre Arbeit mit
Namen und Matrikelnummer als Word Dokument spätestens um 13:30 an julia.flir@univie.ac.at.
Verspätet abgegebene Klausuren können nicht mehr bewertet werden.

Teil I (~ 22 %)

Emma ist eine in Simmering (Wien) lebende 75-jährige Pensionistin und – genauso wie ihre Familie
seit vielen Generationen – sehr religiös. Sie ist Teil einer Minderheit, die in Österreich nicht gesetzlich
als Religionsgemeinschaft anerkannt ist. Ihr Bekenntnis gebietet es auch, dass ein verstorbenes
Familienmitglied zunächst im engsten Kreis von Familie und Freunden verabschiedet wird. Dafür
wird der Leichnam vom ältesten Familienmitglied zunächst rituell gereinigt und danach drei Tage lang
in seinem Wohnhaus aufgebahrt. Anschließend wird in der Bekenntnisgemeinschaft offiziell das
Abschiedszeremoniell bestritten, das mit der Beisetzung des Leichnams endet. Nach dem Ableben
ihres Ehemannes vor wenigen Jahren hat Emma diesbezüglich allerdings schon sehr schlechte
Erfahrungen mit den Behörden gemacht, weil weder auf ihre Wünsche noch auf die ihres verstorbenen
Ehemannes Rücksicht genommen wurde. So wurde sein Leichnam unverzüglich nach der
Totenbeschau bis zum Tag der Bestattung in der Leichenkammer einer Bestattungsanlage aufbewahrt,
weshalb die rituelle Waschung und die dreitägige Aufbahrung nicht durchgeführt werden konnten.

Aufgrund ihres Alters möchte Emma nun die notwendigen Vorkehrungen für die Zeit nach ihrem Tod
treffen und insbesondere auch den Ablauf ihrer Bestattung regeln. Emma möchte auf keinen Fall, dass
mit ihrem Leichnam dasselbe passiert, was mit jenem ihres verstorbenen Ehemannes geschehen ist. Ihr
ist es deshalb wichtig, noch zu Lebzeiten eine über den Zeitpunkt ihres Todes hinaus wirksame
Verfügung zu treffen.

Dabei stößt Emma jedoch auf eine gesetzliche Bestimmung, die sie prinzipiell für inakzeptabel hält.
Denn in § 10 des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes (WLBG) wird angeordnet, dass Leichen
unverzüglich in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterzubringen sind, wobei im Falle
einer Zuwiderhandlung Verwaltungsstrafen drohen. Da Emma nicht gewillt ist, mit der Tradition zu
brechen, möchte sie gegen diese Bestimmung vorgehen.

1. Welche Möglichkeit steht Emma zur Verfügung? Wie beurteilen Sie ihre
Erfolgsaussichten? (~ 22 %)

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Teil 2 (~ 78 %)

Schon seit Längerem ist Manuela die Garage auf dem Grundstück ihres Nachbarn Johannes in Ybbsitz
(Bezirk Amstetten, NÖ) ein Dorn im Auge, weil es aufgrund der undichten Konstruktion des
Garagendaches und des großzügigen, nicht bewilligten Vordaches zur Garage bei Niederschlag immer
wieder zu Überschwemmungen auf ihrer Liegenschaft kommt.

Auf Antrag von Manuela erlässt die Bürgermeisterin der Gemeinde Ybbsitz nach ordnungsgemäßer
Durchführung des Ermittlungsverfahrens einen Bescheid, mit dem Johannes gemäß § 35 NÖ BauO
2014 verpflichtet wird, binnen zwei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides den bewilligten Zustand
der auf seinem Grundstück errichteten Garage insoweit wiederherzustellen, als das konsenslos
angebrachte Vordach abzubrechen ist. Der Bescheid wird am 14.04.2017 rechtskräftig. Bezüglich der
undichten Dachkonstruktion wurde noch kein Bescheid erlassen.

Als die Ybbsitzer Bürgermeisterin am 24.11.2017 davon erfährt, dass der von ihr angeordnete
Abbruch des Vordaches immer noch nicht durchgeführt wurde, möchte sie den Bescheid so rasch wie
möglich durchsetzen. Daraufhin wird unverzüglich von Amts wegen ein Vollstreckungsverfahren
eingeleitet.

Als das Vordach nach über einem Jahr immer noch nicht abgebrochen wurde und Johannes auch
keinen Anlass sieht, auch nur die geringste Veränderung daran vorzunehmen, überlegt sich Manuela,
wie sie selbst die Initiative ergreifen kann, damit der von ihr erwirkte Bescheid zum Abbruch des
Vordaches endlich in die Tat umgesetzt wird. Außerdem wäre es aus Manuelas Sicht sinnvoll, auch
gleich die Abdichtung der schadhaften Dachkonstruktion in das Vollstreckungsverfahren
einzubeziehen.

Während der Amtsstunden stellt sie bei der zuständigen Vollstreckungsbehörde die Anträge, „dem
Vollstreckungsverfahren formell als Partei beizutreten und in eventu ein eigenes
Vollstreckungsverfahren einzuleiten“, ihr „die im anhängigen Vollstreckungsverfahren ergangenen
Erledigungen zuzustellen“ und „jedenfalls auch die Abdichtung der Dachkonstruktion in das
Vollstreckungsverfahren einzubeziehen“ und begründet diese damit, dass der Sachverhalt eindeutig sei
und längst sämtliche Voraussetzungen für eine Vollstreckung vorliegen würden.

2. Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit die Behörde den Bescheid


vollstrecken kann und welche Behörde ist dafür zuständig? Wie hat die zuständige
Behörde über Manuelas Anträge zu entscheiden? (~ 39 %)

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Am 19.04.2019 erhält Johannes ein Schreiben der Vollstreckungsbehörde, mit dem eine Frist von
zwei weiteren Monaten für den Abbruch gesetzt wird. Um Johannes zur Erfüllung dieser Leistung
anzuhalten, wird gleichzeitig auch die Verhängung einer Zwangsstrafe in Höhe von EUR 400,00 für
den Fall angekündigt, dass auch diese Frist ergebnislos verstreicht.

Aufgrund des Ratschlages einer befreundeten Juristin erwirkt Johannes zur Vermeidung weiterer
Auseinandersetzungen mit der Behörde für das Garagenvordach eine am 26.07.2019 rechtskräftig
gewordene Baubewilligung.

Johannes ist erleichtert, dass er diese Angelegenheit endlich klären konnte. Unbeschwert reist er daher
Anfang August für vier Wochen nach Burkina Faso (Westafrika), um dort ein
Entwicklungshilfeprojekt zu unterstützen. Während seiner Abwesenheit erlässt die
Vollstreckungsbehörde eine Vollstreckungsverfügung, mit der die zuvor angedrohte Zwangsstrafe von
EUR 400,00 über Johannes verhängt wird. Da das Zustellorgan Johannes beim Zustellversuch am
15.08.2019 nicht antrifft, hinterlegt es die Vollstreckungsverfügung in der zuständigen Geschäftsstelle.
Da Johannes über keinen Briefkasten verfügt, bringt der Zusteller an der Haustür gut sichtbar eine
Verständigung über die Hinterlegung des Dokuments an. Auf dieser ist als Beginn der zweiwöchigen
Abholfrist der 16.08.2019 vermerkt. Schon wenige Tage danach wird die Verständigung aber „vom
Winde verweht“. Am 27.08.2019 kehrt Johannes von seiner Reise zurück.

Als sich Johannes am 03.10.2019 in einer anderen Angelegenheit an die Behörde wendet, teilt ihm die
Referentin mit, dass die erlassene Vollstreckungsverfügung bereits in Rechtskraft erwachsen ist.
Johannes versteht zunächst die Welt nicht mehr, hat er doch nie eine Vollstreckungsverfügung
erhalten. Als ihm der Sachverhalt von der Referentin geschildert wird, ist er über das Vorgehen der
Behörde empört und möchte sämtliche rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen, um diese „ungeheure
Vorgangsweise“ zu bekämpfen.

3. Welche(s) Rechtsmittel kann Johannes erheben? Wie beurteilen Sie seine


Erfolgsaussichten? (~ 39 %)

Viel Erfolg!

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