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PÜ Merli Fall +Lösung 1_SS19

Übung aus Öffentlichem Recht (FÜM III) (Universität Wien)

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Merli, Übung aus Öffentliches Recht (FÜM III) –SS 2019 – Fälle 1

I. Erstaunen in der Erstaufnahmestelle


Aischa A ist Asylwerberin und in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen
untergebracht. Sie wird vom Verein „Flüchtlinge willkommen“ betreut. Eines
Tages stellt sie fest, dass die Tafel am Eingang ihrer Unterkunft ausgetauscht
wurde. Statt „Erstaufnahmestelle“ steht dort jetzt „Ausreisezentrum“. Auch
ihre Betreuerin wundert sich. Nachforschungen ergeben, dass dies auf
Anweisung des Innenministers geschehen ist.
Was können A und der Verein gegen die Umbenennung unternehmen und wie
sind ihre Erfolgsaussichten?

BFA-VG:
§4. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, mit Verordnung
Erstaufnahmestellen einzurichten. Diese sind Teil des Bundesamtes.
BFA-G-Durchführungsverordnung Erstaufnahmestellen
§1. (1) Es sind zwei Erstaufnahmestellen gemäß § 29 Abs. 1 AsylG 2005 und eine
Erstaufnahmestelle am Flughafen gemäß § 31 Abs. 1 AsylG 2005 eingerichtet. Am
Eingang der jeweiligen Erstaufnahmestellen ist die Bezeichnung „Bundesamt für
Fremdenwesen und Asyl – Erstaufnahmestelle“ anzubringen.
(2) Die Erstaufnahmestelle „Ost“ ist in Niederösterreich in der Gemeinde Traiskirchen
(Postleitzahl 2514),Otto-Glöckelstraße 22-24 (Betreuungsstelle des Bundes),
eingerichtet.
(3) Die Erstaufnahmestelle „West“ ist in Oberösterreich in der Gemeinde St. Georgen
im Attergau (Postleitzahl 4880), Thalham 80 (Betreuungsstelle des Bundes),
eingerichtet.
(4) Die Erstaufnahmestelle„Flughafen“ ist in Niederösterreich in der Stadtgemeinde
Schwechat, am Gebietdes Flughafens Wien-Schwechat, Nordstraße, Objekt 800,
eingerichtet.

Schema:
1. Zulässigkeit
• Welcher Akt liegt vor?
• Welches Rechtsmittel gibt es dagegen?
• Legitimation?
• Frist?
• Form- und Mindestinhalt?

2. Begründetheit
• Unzulässig (Zurückweisung)
• Zulässig aber unbegründet (Abweisung)
• Zulässig und begründet (Stattgebung)

Die Umbenennung ist nicht gesetzwidrig. In der Verordnung steht aber etwas
anderes als der Innenminister tatsächlich macht. Selbstverständlich muss die
Verwaltung und auch der Innenminister sich an Verordnungen halten.

Aber nicht alles was rechtswidrig ist kann auch angefochten werden. Es ist zu prüfen,
ob es ein Rechtsmittel gibt – ob es sich um einen anfechtbaren Rechtsakt handelt.

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Anfechtbar sind:
 Gesetze
 Verordnungen
 Bescheide
 AuvBZ
 Verhaltensbeschwerde (muss extra geregelt sein)

Hier haben wir keinen anfechtbaren Rechtsakt. Daher ist die Fallprüfung hier zu
ende.

II. Robert und Ronald R rufen nach Ruhe


Ronald R ist früh aus seinem Heimatort weggegangen, blieb aber ohne rechten
Erfolg. Jetzt hofft er darauf, den kleinen Gasthof seiner Eltern bald
übernehmen und zu einem Wellnesshotel ausbauen zu können. Als er erfährt,
dass der Tischler T nebenan bei der Bezirkshauptmannschaft um
Genehmigung einer neuen Sägeanlage in seiner Werkstatt angesucht hat, fleht
er seinen Vater Robert an, dagegen etwas zu unternehmen und unzumutbare
Lärmbelästigungen und Störungen des Gasthofbetriebs durch die geplante
Säge einzuwenden. Sein Vater will aber nichts unternehmen, weil er mit T
immer ein gutes Verhältnis gehabt hat und mit Rechtsstreitigkeiten in Ruhe
gelassen werden will. Um seine künftiges Wellnesshotel zu verteidigen, geht
Ronald R daher selbst zur mündlichen Verhandlung und bringt seine Bedenken
vor. Im Bescheid werden sie aber nicht berücksichtigt.
Was kann Ronald R tun und wie sind seine Erfolgsaussichten?

Es liegt ein Bescheid einer Bezirkshauptmannschaft vor. Dieser Bescheid erteilt eine
Betriebsanlagengenehmigung für ein Sägewerk. Es liegt ein anfechtbarer Rechtsakt
vor.
Das Rechtsmittel gegen einen Bescheid ist die Bescheidbeschwerde.

Wer ist rechtsmittellegitimiert?


Art. 132/1 Z 1 B-VG: Beschwerde kann erheben wer behauptet in seinen Rechten
verletzt zu sein.
Die Belästigung erfolgt durch den Lärm, dieser lässt sich auf die
Gewerbeberechtigung zurückführen. Auch in der GewO gibt es eine Bestimmung zur
Beschwerdelegitimation. Lex specialis ist natürlich die GewO. Daher ist nach § 359/4
GewO vorzugehen.

§ 359/4 GewO: Das Beschwerderecht kommt nur Nachbarn zu. Ronald ist nicht
Nachbar und daher auch nicht beschwerdelegitimiert. Eine allfällige Beschwerde ist
zurückzuweisen.

Gibt es im Materiengesetz keine Regelung, dann ist Art. 132 B-VG heranzuziehen.
Dabei muss ein einfachgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt sein
(Materiengesetz).

Für Art. 144 B-VG muss ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt
sein.

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§ 74/2 GewO: aus der Pflicht der Behörde wird ein subjektives Recht des
Beschwerdeführers abgeleitet (= Schutznormtheorie).
Dort wo steht „…die Nachbarn haben das Recht…“ ist klar die
Beschwerdelegitimation ersichtlich. Dort wo die Behörde eine Verpflichtung hat,
muss unterschieden werden:
• Pflichten zugunsten der Allgemeinheit – keine subjektiven Rechte
• Pflichten zugunsten einer bestimmten Gruppe – subjektive Rechte

§ 74/2 Z 2-5 GewO: Die Belästigung der Nachbarn ist von der Behörde auf ein
zumutbares Maß zu beschränken.

Z. 4 …die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen
mit öffentlichem Verkehr wesentlich zu beeinträchtigen… Hier handelt es sich um ein
öffentliches Recht (es gibt hier kein subjektives Recht).

Die Verletzung des Rechts muss nicht nur behauptet werden, sie muss auch möglich
sein. Nachdem Ronald kein Nachbar ist, kann die Verletzung des Schutzes der
Nachbarn ja gar nicht möglich sein (Rechte haben nur Nachbarn). Daher wäre auch
nach Art. 132/1 Z 1 B-VG keine Beschwerdelegitimation gegen.

Kann Ronald das Recht seines Vaters geltend machen?


§ 10 AVG: Vertretung im Verwaltungsverfahren. Nach Abs. 4 kann von einer
Vollmacht abgesehen werden, wenn es sich bei dem Vertreter um eine bekannte
Person handelt (zB der Beamte kennt Ronald als Sohn von Robert).
Ronald geht zur Verhandlung, bringt aber nicht die Bedenken seines Vaters, sondern
seine eigenen Bedenken vor.

Dass Ronalds Bedenken nicht berücksichtigt wurden ist irrelevant, denn Ronald ist
nicht Nachbar und auch nicht in seinen Rechten verletzt. Er ist daher nicht
beschwerdelegitimiert.

III. Baut Berta B bedenkenlos?


Berta B will in der Steiermark ein Haus bauen. Bei der mündlichen Verhandlung
über ihren Genehmigungsantrag behauptet ihr Nachbar, das geplante Haus
(Erdgeschoss, 1.Stock und Flachdach) wahre nicht den gesetzlich geforderten
Abstand zu seiner Grundgrenze, weil es nur 4,30 Meter von ihr entfernt
errichtet werden solle. B kann das nicht glauben, aber die Baubehörde weist
ihren Antrag ab. Der Bescheid wird, da sie bei einem Zustellversuch am
Donnerstag, dem 8.11., nicht angetroffen wird, am Freitag, dem 9.11., hinterlegt.
Am Montag, dem 12.11. holt sie ihn ab und gibt ihn ihrer Rechtsanwältin R, die
ihn ihrem eifrigen, aber immer wieder schlampigen Konzipienten K zur
Bearbeitung überlässt. Am Donnerstag, dem 22.11., legt K seiner Chefin einen
Entwurf für die Berufung vor und weist darauf hin, dass die Berufung
spätestens am Montag, dem 26.11., eingebracht werden muss. R ändert den
Entwurf noch ein bisschen und schickt die Berufung, wie vorgeschlagen, am
26.11. an die Baubehörde. Wie sind die Erfolgsaussichten von B?

Steiermärkisches Baugesetz
§4 Begriffsbestimmungen

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Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende Bedeutung:


...34. Geschoß: Gebäudeabschnitt zwischen den Oberkanten der Fußböden
übereinanderliegender Räume oder lichter Abschnitt zwischen der Oberkante des
Fußbodens und der Unterfläche des Daches, wenn die jeweils geforderte Raumhöhe
erreicht wird. Gebäudeabschnitte, die zueinander bis einschließlich der halben
Geschoßhöhe versetzt sind, gelten als ein Geschoß;

§13 Abstände
(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen
voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht
unmittelbar aneinandergebaut, muß ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen,
wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt
(Gebäudeabstand).
(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird,
muß von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der
Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand)

Es liegt ein Bescheid vor. Es liegt ein anfechtbarer Rechtsakt vor. Gegen diesen
Bescheid besteht das Rechtsmittel der Berufung.

Art. 118/4 B-VG: In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises besteht ein
zweistufiger Instanzenzug. In Abs. 2 und 3 wird aufgelistet, was in den eigenen
Wirkungskreis fällt: die örtliche Baupolizei gehört jedenfalls zum eigenen
Wirkungskreis.
Im zweistufigen Instanzenzug ist das Rechtsmittel gegen den Bescheid die Berufung.
Nach Art. 132/5 B-VG kann man Beschwerde nach Erschöpfung des Instanzenzuges
einbringen.

Wer ist berufungslegitimiert?


§ 63 AVG: Abs 5 – Berufung ist von der Partei einzubringen.

Wer ist Partei?


Das ergibt sich häufig aus dem Materiengesetz. Steht dort nichts, dann ist § 8 AVG
heranzuziehen. Partei ist man in einem Verfahren. Beteiligt ist man, wenn man in
subjektiven Rechten betroffen ist. Parteistellung heißt Betroffenheit in subjektiven
Rechten.

Berta hat ein subjektives Recht zu bauen. Der Bau hängt mit dem Recht auf
Eigentum zusammen. Wenn ich nicht bauen darf, dann bin ich in meinem Eigentum
betroffen/eingeschränkt. Es geht um die Nutzungsfreiheit des Eigentums.

Es besteht ein einfachgesetzliches Recht auf Erteilung einer Baubewilligung bei


Vorliegen der Voraussetzungen.

Berta ist sohin berufungslegitimiert.

§ 63/5 AVG: Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen (ab Zustellung) bei
der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Der
Bescheid wurde hinterlegt, da Berta nicht angetroffen wurde. § 17/3 ZustellG: Die

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Bereitstellung zur Abholung bedeutet, dass das Schriftstück zugestellt wurde.


Zugestellt wurde sohin am Freitag 09.11.

Die Frist beträgt zwei Wochen. Nach § 32/2 AVG bedeutet dies: Nach Wochen
bestimmte Fristen enden mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, der
durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen
hat.

Das Ende der Frist ist daher Freitag 23.11.


Eingebracht wurde das Rechtsmittel am Montag 26.11. – also zu spät.
Somit ist die Berufungsfrist nicht gewahrt.
Wäre die Berufung rechtzeitig eingebracht worden, so hätte Berta eine
Baubewilligung bekommen. Die Entscheidung (obwohl rechtswidrig) ist rechtskräftig.

Wurde die Frist versäumt, dann kann man die Wiedereinsetzung in den vorherigen
Stand vornehmen.

§ 71 AVG: Voraussetzungen:
• Versäumte Frist
• Antrag muss gestellt werden
• Rechtsnachteil (hier unzulässige Berufung)
• Parteistellung

Wiedereinsetzungsgrund: Die Partei muss glaubhaft machen, dass die Frist aufgrund
eines unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisses nicht eingehalten wurde.
Es handelt sich um ein unvorhergesehenes Ereignis, da Berta die Schlampigkeit des
Rechtsanwaltes nicht vorhersehen konnte. Zweite Voraussetzung ist, dass kein
Verschulden (oder nur ein minderer Grad an Verschulden) vorliegt.
Hier liegt grobe Fahrlässigkeit vor, denn es ist bekannt, dass es sich um einen
schlampigen Mitarbeiter handelt. Der Wiedereinsetzungsantrag würde abgewiesen
werden, da kein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt.

Damit Berta trotzdem noch ihre Baubewilligung erhält, könnte man einen neuen
Antrag einreichen, mit geringfügigen Änderungen.

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