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Martin ist Obmann des Vereins „Menschen für Umwelt, Nachhaltigkeit und Tiere“ mit Sitz in Wien.
Namens des Vereins schreibt Martin der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 02.03.2020, dass
er am nächsten Samstag (14.03.2020) um 15:00 mit etwa zehn Gleichgesinnten unmittelbar vor dem
Eingang der Kürschnerei1 „ALF“ in Tulln (Bezirk Tulln, Niederösterreich) gegen das tierverachtende
Geschäft mit Pelzen demonstrieren möchte. Geplant ist, Info-Tische aufzustellen und Flyer an Interes-
sierte zu verteilen. Die Botschaft soll auch mit Megaphonen verkündet werden. Da er auf Nummer sicher
gehen willen, fragt Martin bei der Behörde nach, ob seine Anmeldung denn auch rechtskonform ist.
Kurz darauf erhält er ein an ihn adressiertes, auf den 05.03.2020 datiertes Schreiben der LPD NÖ, in
dem er liest: „Der Erhalt Ihrer Mitteilung vom 02.03.2020 wird bestätigt. Sie können die angezeigte
Kundgebung nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes abhalten.“ Kurze Zeit später erhält Martin aber
einen Anruf von einem Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Tulln: Man habe erfahren, dass es bei
ähnlichen Kundgebungen vor Kleidungsgeschäften in Wien stets zu erheblichen Beeinträchtigungen der
Handelsbetriebe gekommen ist, weil Kunden aggressiv angesprochen wurden, der Zugang der Kunden
zum Geschäft blockiert und die Sicht auf die Schaufenster verstellt wurde. Dies sei bei der angezeigten
Kundgebung auch zu befürchten, weil sie unmittelbar vor dem Eingang der Kürschnerei stattfinden soll
und auch inhaltlich gegen den Betrieb gerichtet ist. Martin werde daher als Vereinsobmann ersucht,
einen anderen Ort für die Kundgebung zu wählen. Zumindest müsse ein Abstand von sieben Metern zur
Kürschnerei „ALF“ gewahrt werden, andernfalls dürfe die Kundgebung nicht stattfinden. Martin weist
darauf hin, dass ihm ja mit Schreiben vom 05.03.2020 die Abhaltung der Demonstration von der LPD
NÖ zugesagt worden war. Er verweigert kategorisch eine Änderung des Ortes, auch nachdem er darauf
hingewiesen wird, dass die Kundgebung dann verboten werden könnte. Einen Tag vor der geplanten
Kundgebung erhält er einen Bescheid des Bezirkshauptmanns Tulln, datiert auf den 12.03.2020 und
adressiert an den Verein „Menschen für Umwelt, Nachhaltigkeit und Tiere“ zuhanden seines Vertreters
Martin, mit welchem die angezeigte Versammlung untersagt wird. Begründend wird ausgeführt, dass
bei Abhaltung der geplanten Versammlung unzumutbare Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb von
„ALF“ zu erwarten seien. Außerdem habe Martin die Versammlung bei der falschen Behörde angezeigt.
Martin ist empört: Das Verhalten der Behörden sei eines Rechtsstaats unwürdig. Er erhebt eine zulässige
Bescheidbeschwerde für den Verein an das Verwaltungsgericht des Landes NÖ.
Aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit den Behörden entschließt sich Martin, vorerst auf weiteres
Engagement im Tierschutz zu verzichten. Da er vor kurzem ein älteres, aber geräumiges Haus in Silber-
tal (Bezirk Bludenz, Vorarlberg) von seinem Großvater geerbt hat, entschließt er sich, seinen Lebens-
mittelpunkt dorthin zu verlegen. Als ihm bald auffällt, dass es in Silbertal keine vegane Gastronomie
gibt, entwickelt er den Plan, eine entsprechende Gaststätte zu eröffnen und vegane vorarlbergische Köst-
lichkeiten (vegane Käsespätzle, vegane Schlachtpartie, etc) anzubieten. Zu diesem Zweck möchte er in
einem ersten Schritt einen bisher kaum genutzten Teil des Hauses um etwa 20 m2 erweitern und in eine
Gaststube umbauen. Der geräuschempfindliche Pensionist Emil, dessen Grundstück an Martins Grund
unmittelbar angrenzt, befürchtet eine enorme Lärmbelästigung wegen der zu erwartenden – oft jungen
– Gäste. Auch Dorothea aus Dornbirn, welche den Sommer in Silbertal zu verbringen pflegt und zu
diesem Zwecke dauerhaft eine Ferienwohnung in der Nähe von Martins Haus angemietet hat, ist aus
denselben Gründen gegen den Umbau. Martin richtet einen formgültigen Bauantrag an den Bürgermeis-
ter von Silbertal, Alfons, und legt die erforderlichen Dokumente vor. Dieser beraumt für den 01.10.2020
eine mündliche Verhandlung auf Martins Grundstück an. Der Termin der Verhandlung wird vier Wo-
chen zuvor mit dem Hinweis auf die Präklusionsfolgen an der Amtstafel der Gemeinde bekannt
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Ein Kürschner ist ein Handwerker, der Tierfelle zu Pelzbekleidung und -produkten verarbeitet.
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Werni/Winninger
gemacht. Emil wird durch ein entsprechendes Schreiben persönlich verständigt. Da er am Tag der Zu-
stellung aber schon in Gedanken an seinen Urlaub in Konstanz am Bodensee ist, beachtet er das Schrei-
ben nicht weiter und denkt auch nach seiner Rückkehr nicht mehr daran. Dorothea erfährt über ihre
Bekanntschaften von der Verhandlung. In einem Brief an den Bürgermeister führt sie aus, dass ihr das
Bauvorhaben nicht recht sei, weil es sie in ihrem „Recht auf Urlaubsfreude gem § 12 Abs 2 PRG“
verletze. Die Verhandlung findet ohne die Anwesenheit von Emil und Dorothea statt. Bürgermeister
Alfons entschließt sich sodann zu einem Kompromiss: Er erlässt am 30.11.2020 einen schriftlichen Be-
scheid, mit dem er Martins Bauantrag im ersten Spruchpunkt bewilligt. Im zweiten Spruchpunkt ver-
pflichtet er ihn, in den letzten zwei Juliwochen jedes Jahres seine Gastwirtschaft nicht zu betreiben. Er
stellt den Bescheid Martin zu und übersendet ihn auch Emil und Dorothea „zur Information“. Mitte
Dezember 2020 erhält Alfons drei Schreiben, welche sich auf den Bescheid beziehen: Martin beschwert
sich gegen den zweiten Spruchpunkt, weil ihn dieser in seinen Rechten verletze, und fordert seine Lö-
schung. Emil entschuldigt sich, dass er sich aufgrund eines Ausflugs und wegen Zeitmangels erst jetzt
meldet, und er behauptet, dass der Bau nicht hätte bewilligt werden dürfen, weil ihn der Betrieb unzu-
lässig beeinträchtige. Der Bescheid müsse daher zur Gänze aufgehoben werden. Dorothea bedankt sich
für das erteilte Betriebsverbot, meint aber, dass die Bewilligung trotzdem wegen Verletzung der Nach-
barrechte nicht rechtskonform erteilt worden sei und fordert die Aufhebung. Bürgermeister Alfons ist
verärgert, weil er es offenbar niemandem recht machen kann. Er leitet alle drei Schreiben samt den
Akten des Verfahrens an die zuständige Rechtsmittelstelle weiter.
Während Martin in Silbertal auf die Erledigung der Angelegenheit wartet, wird er von seinen Gesin-
nungsgenossen über aktuelle Entwicklungen in Wien informiert. Dort möchten die Fiakerunternehmer
einige der unlängst von der Stadt erlassenen Regelungen auf dem Gebiet des Fiakerwesens bekämpfen.
Es geht um folgende Beschränkungen: Fiakerpferde dürfen nur noch an 18 Tagen im Monat eingesetzt
werden, und das nur von 10:00-23:00. Außerdem müssen eingesetzte Pferde „unfallfrei“ sein, und sie
haben an besonders heißen Tagen „hitzefrei“. Nach Meinung der Fiakerunternehmer schränken diese
Regelungen die wirtschaftliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit auf nicht rechtmäßige Weise ein.
Die Vorschriften seien auch ungerecht, weil Fiakerunternehmen in anderen Bundesländern unter ver-
gleichbaren Einschränkungen überhaupt nicht leiden müssen. Außerdem dürfe die Stadt Wien solche
Regelungen überhaupt nicht erlassen, weil die Gesetzgebung im Tierschutz ausschließlich Sache des
Bundes sei. Martins Verein war federführend daran beteiligt gewesen, die Regelungen zum Schutz der
Rechte der ausgebeuteten Pferde und zum Schutz vor Gefahren im Straßenverkehr durchzusetzen. Er
hält die Auffassung der Fiakerunternehmen für rechtlich unhaltbar und glaubt auch nicht, dass sie die
Regelungen bekämpfen können.
3) Können Wiener Fiakerunternehmer gegen diese Beschränkungen vorgehen, und wenn ja, wer-
den sie Erfolg haben? (ca. 35 %)
Für Aufbau, Klarheit und Stringenz der Argumentation werden ca. 10% der Punkte vergeben.
Für eine positive Beurteilung ist es nicht erforderlich, dass Sie bei jeder einzelnen Frage eine be-
stimmte Punktezahl erreichen.
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Werni/Winninger
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Werni/Winninger
Gelegenheitsverkehrs-Gesetz (Gel-
verkG)
Geltungsbereich
§ 1. […]
(3) (Verfassungsbestimmung) Zu den Angele-
genheiten des Gewerbes im Sinne des Artikels 10
Abs. 1 Z 8 B-VG gehören nicht die Angelegenheiten
der Beförderung von Personen mit Fahrzeugen, die
durch die Kraft von Tieren bewegt werden.