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Wandmalerei in der Provinz -

Häuser in Noricum
Tomáš Sobihard, Proseminar Wanddekoration im Imperium Romanum,
Sommersemester 2017
1

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 2
2. Wandmalerei aus Magdalensberg – Iphigenie-Komplex 3
2.1. Fundort – Lage und Geschichte 3
2.2. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort 3
2.3. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse 3
2.3.1. Gliederung der Wand 3
2.3.2. Großfigurige Bildfelder 4
2.3.3. Isolierte Figuren 7
2.3.4. Gesamtkomposition 9
2.4. Stilanalyse und Datierung 10
2.5. Ikonologische Analyse 10
3. Deckenmalerei aus Saalfelden-Wiesersberg 11
3.1. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort 11
3.2. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse 12
3.2.1. Einzelne Bildfelder 12
3.2.2. Gesamtkomposition 15
3.3. Typologische Analyse und Datierung 15
3.4. Ikonologische Analyse 16
4. Deckenmalerei aus Enns (Lauriacum) 18
4.1. Fundort – Lage und Geschichte 18
4.2. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort 18
4.3. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse 18
4.4. Typologische Analyse und Datierung 19
4.5. Ikonologische Analyse 19
5. Zusammenfassung 20
6. Literaturverzeichnis 21
2

1. Einleitung
Das römische Reich faszinierte, fasziniert und wird noch immer faszinieren in jedem Aspekt seiner
vielfältigen Gestalt. Die Geschichte einer einst ganz kleinen unattraktiven Stadt, die zur Dominanz
über den ganzen Mittelmeerraum und große Teile Europas aufstieg, lässt einfach niemandem ohne
Interesse. In ihrer mehr als tausendjährigen Existenz schafften es die Römer, die Lebenswelt der
Bewohner des Imperiums grundlegend zu verändern. Beinahe alles in unserer heutigen Welt scheint
Wurzeln in der römischen Zeit zu haben – Recht, Verwaltung, Architektur, Kunst, Schrift und vieles
mehr. Es ist für uns fast unmöglich, sich eine Welt ohne römische Einflüsse vorzustellen. Doch wie ist
es dazu gekommen? Auf welche Weise wurde die römische Lebensart in die neuen Gebiete verbreitet?
Und vielleicht die wichtigste Frage – wie lebten die Einheimischen und Römer in den in das
Imperium integrierten Provinzen zusammen?
Die Wandmalereifunde aus den Provinzen stellen eine besonders gute Möglichkeit dar, der Frage nach
der Lebensführung zumindest der lokalen Oberschicht nachzugehen. Durch Vergleiche mit der
Wandmalerei aus den Kerngebieten römischer Kultur lässt sich nicht nur der Akkulturationsprozess
der unterworfenen Gebiete, sondern auch die Mentalität und Gedankengut der Auftraggeber
untersuchen. Wie schnell erfolgte die Übernahme der Praktik der Ausmalung der Wohnhäuser?
Wurden nur römische Vorbilder imitiert oder ein lokaler Stilgeschmack entwickelt? Diente die
Wandmalerei als bloßer Schmuck oder hatte sie einen tieferen Sinn für die Beobachter? Wurden durch
die Malerei vielleicht politische, erotische oder persönliche Botschaften transportiert? Antworten auf
diese Fragen können uns der Lebenswelt der provinzialen „Elite“ nähern.
In dieser Arbeit möchte ich die Wandmalereifunde aus der Provinz Noricum hinsichtlich ihrer
Bedeutung in ihrem zeitlichen, räumlichen und häuslichen Kontext vorstellen. Da vor allem die
figürlichen Darstellungen tiefere Überlegungen zur Bildbedeutung erlauben, wählte ich drei gut
erhaltene Wandmalereikomplexe mit figürlicher Zier aus zwei unterschiedlichen Zeitperioden aus –
die Wandmalereien des Iphigenie-Komplexes aus Magdalensberg (Kärnten), die Deckenmalerei aus
Saalfelden-Wiesersberg (Salzburg) und die Deckenmalerei aus Enns-Lauriacum (Oberösterreich).
Jeder der drei Bildprogramme weist einen anderen möglichen Grund für die Wahl der Motive und
Themen auf, wodurch die Vielfalt verschiedener in der Provinz vorkommenden Bildinhalten
verdeutlicht wird.
Die einzelnen Wandmalereikomplexe werden in chronologischer Reihenfolge geschildert. Bei jeder
Wandmalereigruppe werden zuerst die Lage und Geschichte des Fundorts behandelt, sowie die
Entdeckungsumstände der Malereireste angegeben. Darauffolgend wird das Bildprogramm anhand
formaler und ikonographischer Merkmale beschrieben. Die verschiedenen Datierungsvorschläge als
Resultate der stilistischen, bzw. typologischen Analyse werden auch vorgestellt, da die zeitliche
Eingrenzung bedeutend für die ikonologische Auswertung der Malereikomplexe ist. In der Kapitel
„Ikonologische Analyse“ soll versucht werden, die möglichen Aussagen der Bildprogramme
3

festzustellen. Abschließend werden zusammenfassend die vorgestellten Bildinhalte miteinander


verglichen um auf mögliche Gemeinsamkeiten der Mentalität norischer Oberschicht zu deuten.

2. Wandmalerei aus Magdalensberg – Iphigenie-Komplex

2.1. Fundort – Lage und Geschichte


Die heutige Gemeinde Magdalensberg befindet sich ungefähr 20 km nordöstlich der kärntnerischen
Hauptstadt Klagenfurt1. An dieser Stelle befand sich schon in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. 2
ein Handelszentrum, wo römische und keltische Händler angesiedelt waren 3. Es wurde eine
Brandzerstörungsschicht mit Kleinfunden aus frühtiberischer Zeit gefunden, die von einer
Brandkatastrophe zeugen – dieser Ereignis dürfte mit einer Revolte der in Noricum stationierten
Legionen von 14 v. Chr. zusammenhängen4. Nach einer letzten Umbauperiode um 41 n. Chr. wurde
die Stadt nach kurzer Zeit, etwa um 45 n. Chr., verlassen 5. Die Bevölkerung zog wahrscheinlich von
der Siedlung am Berg in die neugebaute Stadt Virunum in der Ebene um.

2.2. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort


Die Wandmalereien des Iphigenie-Komplexes wurden hauptsächlich im Jahre 1964 im Bereich des
sog. Bades und Terrassenhauses im Südwesten des Grabungsareals in einer Tiefe von 6 m zwischen
zwei Stützmauern im Aufschüttungsmaterial entdeckt 6. Der originelle Anbringungsort ist unsicher,
wahrscheinlich schmückten die Malereien einen großen Raum westlich des Bades.
Die meisten der Fresken des Iphigenie-Komplexes werden heute im Landesmuseum Kärnten in
Klagenfurt ausgestellt7.

2.3. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse

2.3.1. Gliederung der Wand


Die gefundenen Wandmalereireste waren möglicherweise an 3 Wänden mit einer Höhe von 3,8-4 m
und einer Breite von mehr als 6 m angebracht8. Es konnte eine dreiteilige Gliederung der Wand
festgestellt werden9 – ein schwarzer Grundstreifen unten, eine Sockelzone mit marmorierten Feldern
und die aufgehende Wand10. Die Sockelzone verläuft in der ganzen Länge der Wand und ist 0,60 m
hoch. In der Mitte der oberen Zone jeder Wand befand sich ein zentrales Mittelfeld mit großfigurigen

1
nach Bestimmung des Verfassers.
2
Thomas 1995, 182.
3
Thomas 1995, 182; multiethnische Bevölkerung auch durch Funde mit eingeritzten Namen bezeugt, dazu: Kenner 1985, 22.
4
Kenner 1985, 60.
5
Kenner 1985, 133 mit Anm. 117.
6
Kenner 1985, 22; Thomas 1995, 183.
7
Kenner 1985, 22.
8
Kenner 1985, 22.
9
siehe Abbildung bei: Kenner 1985, Taf 8.
10
Kenner 1985, 22-23.
4

Szenen11. Zu beiden Seiten des Mittelfeldes wurden vorwiegend rotgrundige Felder mit Darstellungen
isolierter Figuren positioniert. Die Szenen in den Mittelfeldern betragen in der Breite 1,52 m, die
übrigen Felder bis zu 1,62 m12. Die isolierten Figuren sind bei einer Höhe von 0,64 m bis 0,70 m
unterlebensgroß. Alle Bildfelder wurden durch schmale Säulen oder Pilaster gerahmt.

2.3.2. Großfigurige Bildfelder

„Hadesszene“13

In der Mitte des Bildes im unteren Teil befindet sich eine sitzende weibliche Figur mit braunem Haar
im gelben Gewand und violettem Mantel14. Der Körper in Dreiviertelansicht ist nach rechts gewendet,
beide Arme sind in einer Redegeste im rechten Winkel angehoben. Die Füße in Sandalen ruhen auf
einem Schemel, das rechte Bein ist leicht nach rechts gestreckt. Möglicherweise sitzt sie auf einem
Diphros.
Gegenüber der weiblichen Figur sitzt eine menschliche Gestalt mit dunkelbrauner Hautfarbe, wodurch
sie eindeutig als männlich zu interpretieren ist 15. Der Mann hat dunkelbraunes Haar, sein Oberkörper
ist nackt, Unterkörper ist in einem violetten Mantel verhüllt. Der Oberkörper ist stark gebeugt, mit
dem rechten Arm stützt sich die Figur die Stirn. Der linke Arm verschwindet in einem Mantelbausch
und hält wahrscheinlich den noch unter der rechten Achsel sichtbaren Stock. Neben dem Stock ist
noch eine Schwertscheide mit umwundenem grünem Band erkennbar.
Links der Zentralfigur sitzt eine zweite männliche Figur, wegen dem Fehlen eines Bartes
wahrscheinlich jungen Alters mit dunkelbrauner Haut 16. Der Jüngling hat braunes Haar, wie bei der
zweiten männlichen Figur ist nur der Unterkörper in einem dunkelroten Mantel gekleidet. Mit seiner
Linke stützt er den Kopf, mit der rechten hält er ein Schwert. Das Gesicht ist fast in Vorderansicht
wiedergegeben, die Augen blicken nach rechts.
Hinter der rechten männlichen Figur befinden sich im Hintergrund mehrere weibliche Figuren, von
denen nur zwei Köpfe mit braunem Haar erkennbar sind, das rechte im Profil, das linke in
Vorderansicht17. Die Frau rechts trägt ein violettes Gewand und einen gelben Mantel, die linke ein
blaugrünes Kleid.
Hedwig Kenner schlägt eine Interpretation der Szene als Verkündigung der Strafe für Theseus und
Peirithoos durch Persephone vor18. Die 2 Helden wurden zum ewigen Kleben am Felssitz für den
Versuch, die Unterweltsgöttin zu entführen, verurteilt.
Kenner begründet ihre Deutung durch den eindeutigen Ausdruck der Niederschlagenheit (Kopfstützen
der Jünglinge)19, den sie mit der Redegeste der Zentralfigur verbindet und als Resultat einer Mitteilung

11
Kenner 1985, 23.
12
Kenner 1985, 23.
13
siehe Abbildungen bei: Kenner 1985, 24 Abb. 4; Taf. 12.
14
Kenner 1985, 27.
15
Kenner 1985, 27.
16
Kenner 1985, 27-28.
17
Kenner 1985, 27.
18
Kenner 1985, 30.
19
Kenner 1985, 28.
5

von der Frau an die zwei Jungen versteht20. Die Interpretation der Zentralfigur als Persephone und
keine andere weibliche Figur bekannt von Darstellungen mit ähnlichem Schema 21 hält Kenner wegen
der (jedoch nicht sehr ausgeprägten) betonten Bedeutungsgröße der Figur, wodurch sie als göttliches
Wesen aufgefasst ist22. Von diesen Annahmen ausgehend deutet Kenner den Jüngling rechts der
Persephone als Theseus (mit Attributen Schwert und Stab), den linken als Peirithoos 23. Die weiblichen
Zuschauerinnen dürften Gefährtinnen der Persephone sein 24
Jüngst wurde aber auch eine andere Interpretation von Elisabeth Walde entworfen. Sie verbindet die
Darstellung mit dem Iphigeniefresko und sieht im Bild eine Szene aus dem „Orest-Iphigenien-
Mythos“25. In ihrer Ansicht ist die Zentralfigur Iphigenie, die aufgeregt mit den 2 der Artemis zum
Opfer bestimmten Griechen spricht, nachdem sie erfahren hat, dass sie aus ihrer Heimat Argos
stammen. Sie beschließt, einen Brief nach Argos zu schreiben und will einem der Griechen Freiheit
schenken, damit er diesen liefern kann, ohne zu wissen, es seien ihr Bruder Orest und sein Gefährte
Pylades. Die zwei Jünglinge sind nach Waldes Meinung also Orest und Pylades, die entweder von
dem unmittelbar bevorstehenden Tod, oder von der schwierigen Wahl des Pylades, mit seinem Freund
zu sterben oder sich zu retten und seinen Freund für ewig zu verlassen, verzweifelt und niederschlagen
der Iphigenie zuhören. Die weiblichen Zuschauerinnen interpretiert sie als die griechischen
Begleiterinnen der Iphigenie in Tauris.

„Hirtenszene“26

Der linke Rand und der Mittelbereich des Bildes wird von einer Darstellung eines nackten an einer
Felswand gelehnt liegenden Knaben mit heller Hautfarbe gefüllt. Entspannt spielt er eine Querflöte
(Aulos) 27, seine Beine sind übereinandergelegt und nach rechts ausgerichtet. Ein Efeukranz liegt in
seinem braunen Haar, ein violetter Mantel von seiner linken Schulter über sein Rücken unter ihn
fallend, schützt den nackten Körper vor der unbequemen Bodenunebenheit. Rechts von ihm ist ein
weißes Schaf erkennbar.
Im oberen Teil der Gemälde ist ein bärtiger langhaariger Kopf sichtbar, der wohl einen Berggott
darstellt28. Rechts von dieser Figur standen ursprünglich ein oder mehrere Bäume vor einer
Felslandschaft im Hintergrund, oberhalb welcher noch blaues Himmel dargestellt wurde.
Am rechten Rand des Bildes befindet sich eine zweite menschliche Figur. Es handelt sich um einen
jungen Mann mit dunkler Hautfarbe. Er trägt einen gelben Strohhut und einen dunkelroten, um die
Hüften und die linke Schulter gelegten Mantel29. Sein rechter Arm ist in einer Geste unter einem

20
Kenner 1985, 30.
21
z.B. Lasa und 2 sitzende Helden, vgl. Kenner 1985, 30.
22
Kenner 1985, 30.
23
Kenner 1985, 31-32.
24
Kenner 1985, 33.
25
Walde 2005, 477.
26
siehe Abbildungen bei: Kenner 1985, 34 Abb. 10; Taf. 13-15.
27
Kenner 1985, 34.
28
Kenner 1985, 34-35.
29
Kenner 1985, 35.
6

starken Winkel angehoben, in der linken Hand hält er einen Stab. Hinter dieser Figur sind Reste einer
Darstellung eines Hundes erkennbar.
Ganz im unteren Teil des Bildes liegt unter den Füßen des Knaben eine Rohrflöte (Syrinx) 30.
Kenner sieht in den beiden Jünglingen 2 Hirten, die gegeneinander in einem musischen Wetteifer
kämpfen31. Der ältere Hirt mit dunkler Haut erkennt schon, dass ihn der begabte jüngere Knabe mit
seiner Musikkunst übertrifft. Deswegen hat er seine Syrinx schon auf den Boden geworfen, er hebt
seinen rechten Arm in Bewunderung an und schaut mit einem grimmigen Gesichtsausdruck auf den
Knaben32.
Wegen der starken Betonung der Figuren vermutet Kenner, dass die Darstellung nicht mit den sakral-
idyllischen Landschaften der pompejanischen Wandmalerei zu verbinden ist 33. Ihrer Meinung nach
dürfte das Bild eine Konkrete Szene darstellen. Da aber keine völlig dem Bild entsprechende
Erzählung in der Mythologie gefunden werden kann34, vermutet Kenner einen Bezug zur
hellenistischen bukolischen Dichtung Theokrits und Vergils 35.
Das Motiv des Zu-Boden-Werfens eines Musikinstruments interpretiert Kenner nicht nur als Ausdruck
der Niederlage (in der bukolischen Dichtung kommt diese Deutung kaum vor 36), sondern auch als
Opfergabe für Dionysos, der mit der Bukolik in enger Verbindung stand 37. Diese Vermutung konnte
aber von der Annahme Kenners, dass Dionysos das Verbindungselement aller Malereien des
Iphigenie-Komplexes ist38, beeinflusst werden.
Walde, die im Orest die zentrale Figur der gesamten Raumausschmückung sieht 39, äußert sich zu
dieser Annahme nicht. Sie stimmt aber der Idee einer Verbindung mit der Bukolik zu und versucht, die
Hirtenszene mit einer konkreten in den bukolischen Gedichten vorkommenden Erzählung zu
vergesellschaften. Sie deutet die Darstellung als eine Illustration zur zweiten Ekloge Vergils 40. Der
liegende Flötenspieler ist in ihrer Ansicht der schöne Alexis, in den sich der alte Hirt Corydon
verliebte. Dieser bekannte Syrinxspieler bietet Alexis alle möglichen Reichtümer, doch der schöne
Knabe bleibt gegenüber den Vorschlägen gleichgültig und von der Liebe des alten unbeeindruckt 41. Er
lehnt sogar die Syrinx des Damoetas, die ihm Corydon als Geschenk geben will, ab.
Der verzweifelte, traurige Hirt mit dunkler Haut ist in Waldes Ansicht also Corydon, der den
gleichgültigen Alexis um Liebe anfleht. Die liegende Syrinx liegt als Symbol der Ablehnung auf dem
Boden.

30
Kenner 1985, 35.
31
Kenner 1985, 35.
32
Kenner 1985, 36.
33
Kenner 1985, 36-37; Thomas 1995, 186.
34
Kenner 1985, 38-39.
35
Kenner 1985, 37-39.
36
Kenner 1985, 40.
37
Kenner 1985, 40-42.
38
Kenner 1985, 60-62.
39
Walde, 2005, 482.
40
Walde 2001, 416.
41
Walde 2001, 417.
7

„Sitzender mit Stab“42

Auf dem Fragmentstück ist die Mittelpartie eines sitzenden Mannes erkennbar 43. Das rechte Bein des
Mannes ist höher als das linke gestellt, im Schoß hält der Mann mit beiden Händen einen Stock. Die
Figur trägt ein weiß-graues Gewand.
Eine Interpretation wurde von Kenner wegen des schlechten Erhaltungszustands abgelehnt, doch
Walde trotzdem versucht, einen Deutungsvorschlag zu liefern. Ihrer Meinung nach dürfte es sich um
den König Thoas von Tauris handeln, die in ähnlichen Sitzposition von der Malerei aus Pompeji
bekannt ist44. Die Deutung bleibt aber unsicher.

2.3.3. Isolierte Figuren

„Dionysos“45

Von der Figur ist nur die Büste erhalten. Auf dem Bild ist ein bärtiger Mann mit blondem lockigem
Haar, in denen eine Binde (Mitra) zusammengebunden ist, dargestellt 46. Er trägt ein weißes Gewand,
in der Hand hält er einen Thyrsosstab.
Nach dem eindeutigen Attribut (Thyrsosstab) wird die Figur als Dionysos interpretiert 47. Wegen der
größeren Höhe der Dionysos-Darstellung gegenüber den anderen isolierten Figuren vermutet Kenner
eine zentrale Bedeutung dieser Figur in dem gesamten Bilderensemble.
In Kenners Ansicht ist die Dionysos-Darstellung des Iphigenie-Komplexes ungewöhnlich, da er in der
üblichen Ikonographie jung und bartlos erscheint48. In dem bärtigen Dionysos des Magdalensberges
sieht sie eine bewusste Archaisierung. Sie vermutet die Inspirationsquelle für diese Darstellungsweise
in der Tragödie, die den archaischen bärtigen Dionysostypus beibehielt, und nimmt als Quelle die
„Bakchen“ des Euripides, in denen er ein ähnliches Erscheinungsbild besitzt, an.

„Iphigenie“49

Das nächste isolierte Bild gibt eine stehende Frau im weiß-gelben Gewand mit einem violetten
Mittelstreifen wieder50. In dem Hüftenbereich verläuft das Gewand schräg in einem gewaltigen
Mantelbusch bis zum linken Arm, von dem es in vielen Falten hinabfällt. Am Saum des Mantels bei
dem linken Knie sind kleine Fransen erkennbar. In der rechten Hand trägt die Figur einen Zweig, in
dem von der linken Hand gehaltenen Mantelbausch eine Kultstatue. Die Frau hat langes braunes Haar,
auf dem Kopf trägt sie einen Lorbeerkranz, im Haar ist eine geknotete Wollbinde sichtbar.

42
siehe Abbildung bei: Kenner 1985, 43 Abb. 13.
43
zur Beschreibung: Kenner 1985, 43-44.
44
zur Interpretation: Walde 2005, 477-478.
45
siehe Abbildung bei: Kenner 1985, Taf. 16.
46
zur Beschreibung: Kenner 1985, 44.
47
zur Interpretation: Kenner 1985, 44-45.
48
Kenner 1985, 44-45.
49
siehe Abbildungen bei: Kenner 1985, Taf. 17-18.
50
zur Beschreibung: Kenner 1985, 45-46.
8

Durch die Präsenz der Kultstatue ist diese Figur mit großer Wahrscheinlichkeit als Iphigenie zu
deuten51. Diese Interpretation unterstützt auch der Zweig in der rechten Hand, mit dem die Iphigenie
die Kultstatue angeblich mit Meerwasser besprengen wollte, in der Wirklichkeit hatte sie vor, über das
Meer nach Hause von Tauris mit Orest und Pylades zu fliehen. Der farbige Mittelstreifen des
Gewandes, die Wollbinde im Haar und der Lorbeerkranz kennzeichnen Iphigenie als eine orientalische
Priesterin, was wieder die Deutung untermauert, da Iphigenie in Tauris auf der Halbinsel Krim 52 als
Priesterin lebte.

„Kassandra“53

Auf rotem Bildfeld ist eine nach rechts auf den Zehenspitzen schreitende Frau in einem langen
hellrosa Gewand mit einem Mittelstreifen gefüllt von abwechselnd goldenen und grünen Rechtecken
abgebildet54. Um die Schulter schwingend verlaufend trägt die Figur einen goldfarbigen Mantel. In den
angehobenen Händen hält die Figur eine pflanzliche Girlande. Ihr braunes Haar ist kurz geknotet, auf
dem Kopf ist ein Lorbeerkranz gesetzt. Das Gesicht wird vom Profil wiedergegeben, das Auge scheint
nach oben verdreht zu sein.
Die vorgeschlagene Deutung Kenners als Kassandra beruht auf der Kombination des verdrehten
Blicks, was als Anspielung an die Wahrsagekunst verstanden werden kann, mit den Attributen einer
orientalischen Priesterin – hier wieder durch den Lorbeerkranz und das Gewand mit farbigem
Mittelstreifen präsent55. Kassandra als die einzige bekannte orientalische Priesterin mit
Wahrsagefähigkeit scheint in diesem Hinblick eine eindeutige Wahl für die Interpretation zu sein.
Kenner versucht, diese Deutung durch Beispiele vergleichbarer Gewandgestaltung bei Kassandra-
Darstellungen von Pompeji zu untermauern, ohne weitere mehr spezifische Attribute ist die Annahme
aber mit Skepsis anzusehen.
Die durch das Schwingen des Mantels und Stehen auf den Zehenspitzen betonte Bewegung dürfte als
Tanz erklärt werden56.

„Io“57

Die nächste weibliche isolierte Figur des Iphigenie-Komplexes steht wie Kassandra auf den
Zehenspitzen58. Sie ist in einer Tanzbewegung nach links wiedergegeben, ihr Oberkörper ist jedoch
nach rechts gewendet. Sie trägt einen violett-grauen Peplos mit einem langen Überschlag. Mit dem
Daumen und Zeigefinger zieht die Frau einen Zipfel des Überschlags nach oben, in dem linken Arm
hält sie einen Thyrsosstab. Das Gesicht der Figur ist vom rechten Profil abgebildet, das Haar ist kurz
geknotet. Die Frau ist durch ein goldenes Diadem mit Spiralhaken bekrönt.

51
zur Interpretation: Kenner 1985, 45-46.
52
Walde 2005, 477.
53
siehe Abbildungen bei: Kenner 1985, Taf. 19-20.
54
zur Beschreibung: Kenner 1985, 48-49.
55
zur Interpretation: Kenner 1985, 49.
56
Kenner 1985, 48.
57
siehe Abbildungen bei: Kenner 1985, Taf. 21-22.
58
zur Beschreibung: Kenner 1985, 51.
9

Der einzige mögliche Gegenstand der eine Interpretation erlauben könnte, ist gerade das besondere
Diadem59. Kenner vermutet, dass die Haken eigentlich kleine Uräusschlangen sind. Eine
Uräusschlangenkrone gilt als Attribut der ägyptisch-römischer synkretistischer Göttin Isis-Io, die in
der frühaugusteischen Zeit schon ein fester Platz unter den römischen Gottheiten genoss. Wegen der
Präsenz des Thyrsosstabs ist die Frau jedoch in Verbindung zu Dionysos dargestellt. Kenner sieht den
Zusammenhang in manchen Versionen des Dionysosmythos, in denen Io als Mutter des zweiten
Dionysos vorkommt. Die Deutung ist also wieder problematisch.

„Tänzerin“60

Eine weitere Frau, die tanzend auf Zehenspitzen dargestellt ist, trägt ein gelblicher Chiton aus feinem
durchsichtigem Stoff mit zusammengeknöpften Ärmeln 61. Wie „Io“ schreitet auch diese Figur nach
links, während sich der Oberkörper nach rechts dreht. In diesem Fall wird der Kopf in der
Vorderansicht wiedergegeben. Braunes Haar ist wieder kurz geknotet, auf dem Kopf ist noch eine
ähnliche Mitra wie beim Dionysos sichtbar. In den Händen hält sie in ähnlicher Weise wie
„Kassandra“ eine pflanzliche Girlande.
Zur stark spekulativen Interpretation dieser Figur zieht Kenner wieder ihre These einer
Inspirationsquelle in den „Bakchen“ des Euripides an62. Da die einzige dort vorkommende Frauenrolle
die Agaue ist, vermutet sie sie auch in dieser Darstellung.

„Tänzerin mit dem Edelsteinhalsband“63

Das letzte erhaltene Bild zeigt eine weitere Tänzerin im weißen Gewand mit einem violetten
Überschlag und einer Mitra im Kopf64. Sie ist in einer Schrittrichtung nach links dargestellt. In beiden
Händen hält sie mit zwei Fingern eine pflanzliche Girlande.
Nach ähnlichen Überlegungen wie bei der „Tänzerin“ dürfte die Figur nach Kenner als die Schwester
von Agaue Ino interpretiert werden65.

Alle isolierten weiblichen Figuren deutet Walde als Begleiterinnen der Iphigenie, die zusammen
wieder in die Heimat zurückkehren und vor Freude im Reigen tanzen 66.

2.3.4. Gesamtkomposition
Nach der Richtung des in jedem Bild wiedergegebenen Lichteinfalls hält Kenner folgende Anordnung
der Bilder im Raum für wahrscheinlich. An der linken Seitenwand wurden Kassandra und Dionysos 67,

59
zur Interpretation: Kenner 1985, 51-52.
60
siehe Abbildung bei: Kenner 1985, Taf. 23.
61
zur Beschreibung: Kenner 1985, 53.
62
zur Interpretation: Kenner 1985, 53-54.
63
siehe Abbildung bei: Kenner 1985, Taf. 24.
64
zur Beschreibung: Kenner 1985, 54.
65
zur Interpretation: Kenner 1985, 54-55.
66
Walde 2005, 479-480.
67
Kenner 1985, 58.
10

als zentrales Bild die Hirtenszene68 angebracht. An der rechten Seitenwand befanden sich Iphigenie,
Io, Tänzerin und Tänzerin mit Edelsteinhalsband69, als zentrales Bild Sitzender mit Stab. An der Wand
gegenüber der Tür befand sich die Hadesszene 70.

2.4. Stilanalyse und Datierung


Die Wandmalereien des Iphigenie-Komplexes weisen Merkmale mehrerer pompejanischer Stile auf 71.
Die Marmorimitationen in den Feldern der Sockelzone sind besonders für den 1. Stil charakteristisch.
Die erhaltenen Säulen, die als Rahmung der Bildfelder der aufgehenden Wand dienen, sind plastisch
ausgearbeitet, wodurch sie von dem architektonischen 2. Stil geprägt sind. In ihrer Gestaltung wirken
sie jedoch sehr zart, sie sind dünn und hochaufragend, was eine Tendenz des 3. Stils ist. Zu den
vorkommenden Elementen des 3. Stils zählen noch die verflachte Architekturtiefe, die seitliche
Umrahmung der Bilder und auch die isolierten Figuren innerhalb der einfarbigen Felder.
Die Wandmalereireste wurden mit Terra-Sigillata-Material aus frühtiberischer Zeit gefunden 72. Kenner
sieht einen terminus ante quem in der römischen Okkupation der Ostalpen um 15 v. Chr., da in ihrer
Ansicht nur im freien Noricum genug finanzielle Mittel vorhanden waren, denn die Einnahmsquellen
aus Bergbau noch nicht unter staatlicher Kontrolle standen 73.
Nach Verbindung aller dieser Daten scheint Kenners Meinung nach eine spätaugusteische Datierung
der Malerei wahrscheinlich, wobei sie in den abweichenden fortschrittlichen oder rückständigen
Merkmalen in Kombination mit der Idee der Inspiration aus hellenistischer bukolischer Dichtung eine
nicht-römische Kunsttradition aus östlichem Mittelmeer vermutet 74.
Eine Gegenmeinung hinsichtlich der Datierung äußerte Renate Thomas. In ihrer Ansicht gibt es kaum
Beweise für die Existenz einer eigenständigen Kunstentwicklung im Osten 75. Statt einer Annahme
anderer Malereitradition schlägt sie vor, die Datierung in die tiberische Zeit zu rücken. Später 3. Stil
hält Thomas für wahrscheinlich, da sich aus dieser Zeit vergleichbare Darstellungen in Pompeji finden
lassen76.

2.5. Ikonologische Analyse


Es besteht kein Zweifel daran, dass die Malereien des Iphigenie-Komplexes einst ein wichtiger Raum
schmückten. Der/Die Auftraggeber war(en) sicherlich wohlhabende Persönlichkeiten, der/die sich
solche sicher teure Meisterstücke leisten konnte(n) 77. Der Grund für die Wahl der Bildthemen bleibt
offen.

68
Kenner 1985, 34.
69
Kenner 1985, 58.
70
Kenner 1985, 22; 26.
71
zur Analyse der Stilmerkmale und Datierung: Kenner 1985, 25-26.
72
Kenner 1985, 60.
73
Kenner 1985, 25; 59.
74
Kenner 1985, 59.
75
Thomas 1995, 187.
76
Thomas 1995, 187.
77
Kenner 1985, 59.
11

Nach Kenner dürfte das Bildprogramm auf einen Mysterienkult des Gottes Dionysos hindeuten 78. Die
weiblichen Figuren tanzen in ihrer Ansicht in einem dionysischen Mädchenreigen, wobei die zwei
unbenannten Tänzerinnen bei der schon vorgestellten Interpretation mit dem Dionysos durch
Blutsverwandtschaft, Iphigenie, Kassandra und Io als Tragödienfiguren durch das Drama (Dionysos
als Dramengott) im Zusammenhang stehen.
Die Hadesszene könnte als Darstellung der Bestrafung und gleichzeitig der Hoffnung auf Erlösung
verstanden werden, da Theseus schließlich vom Herakles befreit wurde 79. Der Weingott im Mysterion
konnte als Erlöser verehrt werden, die Darstellung dürfte seine Erlösungskraft verdeutlichen.
Über die Verbindung der Hirtenszene mit Dionysos wurde schon gesprochen (siehe 2.3.2.). Die
Interpretationen einzelner Figuren als auch die vorgeschlagene Gesamtbedeutung beruhen aber auf
viel unsicherem, weswegen sie nicht als absolut korrekt angesehen werden sollten.
Nach Walde liefert die Orest-Iphigenien-Geschichte den inneren Zusammenhang aller Malereien 80.
Der gegenseitige Zusammenhang der Hadesszene, der weiblichen isolierten Figuren und des Sitzenden
mit Stab nach Interpretation von Walde wurde schon angegeben. Da Orest gerade nach der Rückkehr
von Tauris die bukolische Dichtung erfinden sollte, ist auch die Verbindung zur Hirtenszene klar 81.
Die Dionysos-Darstellung zusammen mit einem Fragment mit der Darstellung einer Hand mit
Weintraube dürften auf den Besuch des Orest in Athen, wo er Freispruch vom Muttermord erlangen
wollte, deuten82. Er kam zur Zeit eines Frühlingsfestes, doch niemand wollte mit ihm Wein trinken,
weswegen alle ein eigenes Trinkgefäß bekamen. Dies wird als Ursprung der Tradition eines
dionysischen Choenfestes, bei dem jeder aus eigenem Gefäß trinkt, gesehen.
Als ein rein spekulativer Grund für die Wahl des Orest-Iphigenien-Zyklus schlägt Walde die
Gemeinsamkeiten der Länder Noricum und Tauris vor 83. Beide sind gebirgig, in beiden wird Bergbau
betrieben und an fremde Mächte verkauft. Die Freundschaft zwischen Orest und Pylades könnte im
übertragenen Sinne auf das Freundschaftsvertrag zwischen Noricum und Rom anspielen 84. In dieser
Hinsicht würde die Malerei als Ausdruck politischer und kultureller Verhältnisse der Zeit aufgefasst 85.

3. Deckenmalerei aus Saalfelden-Wiesersberg

3.1. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort


Die Reste der Deckenmalerei wurden während Bauarbeiten durch den Grundbesitzer im Saalfeldener
Ortsteil Lenzing/Wiesersberg (ca. 70 km südöstlich von Salzburg gelegt 86) in den 1980er Jahren
aufgefunden87. Im Jahre 1989 wurde eine Notgrabung vollzogen, bei der bauliche Reste einer
78
Kenner 1985, 60.
79
Kenner 1985, 61.
80
Walde 2005, 482.
81
Walde 2005, 482.
82
Walde 2005, 480.
83
Walde 2005, 483.
84
Walde 2005, 483.
85
Walde 2005, 483.
86
nach Bestimmung des Verfassers.
87
zur Fundsituation: Tober 2015, 10-11; 89.
12

römischen Villa entdeckt wurden. Es konnte nur ein Raum vollständig ausgegraben werden, und zwar
ein rechteckiges Zimmer im Ausmaß von 5,07 m x 4,6 m mit einer Apsis. Vor allem in der
Nordwestecke des Raumes wurde eine Schicht mit Deckenmalereiresten gefunden, die zu der zweiten
Bauphase des Raumes nach der angenommenen Erneuerung um 200 n. Chr. gehören.
Die restaurierte Deckenmalerei wird heute im Museum Schloss Ritzen in Saalfelden ausgestellt 88.

3.2. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse

3.2.1. Einzelne Bildfelder

„Aktaion“89

Die zentrale Figur eines Bildfeldes mit blauem Hintergrund bildet ein nackter, rot-braunhäutiger
bartloser Jüngling in Vorderansicht mit einem um die Schulter umgehängten, den obersten
Brustbereich und Rücken bedeckenden, violetten Mantel 90. Die Figur ist in einer knienden Position
wiedergegeben, das rechte Bein ist ausgestreckt, das linke unter einem scharfen Winkel auf einem Fels
gelegt. Der linke Arm ist nicht erhalten, der rechte ist angehoben, von der Schulter zum Ellbogen
waagerecht verlaufend, vom Ellbogen zur Hand in einem Winkel von 45°. In der rechten Hand hält der
junge Mann einen Stock fest im Griff zur Abwehr der 3 angreifenden Hunde. Der Kopf blickt auf den
linken Bildrand. Aus dem kurzen braunen Haar wächst eindeutig ein Hirschgeweih.
3 Hunde, die den Jüngling von allen Seiten angreifen, vervollständigen die Szene. Ein braunfelliger
Hund befindet sich links der Zentralfigur und beißt sie in den rechten Ellbogen; der nächste Hund mit
gleichfarbigem Fell kommt von unten rechts springend; der letzte weißfellige Hund steht auf einer
Felsenhöhe oben rechts.
Die Darstellung entspricht völlig der gängigen Ikonographie einer Szene der Bestrafung Aktaions, der
von der Jagdgöttin Diana zu einem Hirsch verwandelt wird, weil er sie heimlich beim Baden
beobachtet91. Er wird von seinen eigenen Hunden nicht mehr erkannt und diese zerfleischen ihn.

„Bildfeld mit der Frauenhand“92

Von einem weiteren Bildfeld mit blauem Hintergrund sind nur wenige kleinere Fragmente erhalten.
Ein davon trägt eine Darstellung einer erhobenen, geöffneten Hand 93. Wegen dem zarten
Gesamteindruck und der im Gegensatz zu Aktaion hellen Hautfarbe gehörte die Hand wohl einer
weiblichen Figur. Zum Bild könnte noch ein Fragment mit Angabe eines gleichfarbigen Beinteiles
gehören.
Barbara Tober vermutet, dass die Darstellung wegen der gleichen Farbgebung des Hintergrunds im
Zusammenhang mit der Aktaionszene stehen könnte94. Die Frau dürfte die Göttin Diana sein, in der
88
Tober 2015, 9.
89
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 52 Abb. 8-9; 53 Abb. 10.
90
zur Beschreibung: Tober 2015, 22-24.
91
diese Interpretation bei: Tober 2015, 93.
92
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 68 Abb. 44; 69 Abb. 45-46.
93
zur Beschreibung: Tober 2015, 31.
94
zur Interpretation: Tober 2015, 31.
13

Geste der erhobenen Hand in Richtung Aktaionszene ist möglicherweise die Sendung des Fluches zu
sehen.

„Apollo und Gigant“95

Auf dem fragmentierten Bild mit rotem Hintergrund sind noch 2 Figuren erkennbar. Am linken Rand
befindet sich eine nach rechts ausschreitende nackte männliche bartlose Figur mit einem dunkelblauen
Mantel96. Der Oberkörper ist auch nach rechts gewendet, die Figur spannt mit beiden Armen einen
Bogen und zielt nach rechts unten. Am schlecht erhaltenen Kopf in Profilansicht lässt sich noch kurzes
braunes Haar, ähnlich dem des Aktion feststellen.
Am rechten Rand ist in größeren Fragmenten nur der Unterkörper einer Figur mit schlangenartigen
Beinen erhalten. Es fehlen der ganze Kopf und fast der ganze Oberkörper. Auf dem rechten
Schlangenbein sind kammartig abstehende dunkelrote Schuppen erkennbar 97, zwischen den zwei
Beinen dürfte das männliche Geschlechtsorgan durch 3 helle Punkte dargestellt. Der Oberkörper ist
stark nach rechts geneigt, wahrscheinlich stützte sich die Figur mit der linken Hand auf. Ein Fragment
mit Wiedergabe des von der ersten Figur geschossenen Pfeiles lässt sich der Darstellung zufügen,
wobei der Pfeil im Kopf oder Brust des Schlangenwesens zu stecken scheint.
In dem ausschreitenden Bogenschützen sieht Tober den Gott Apollo, der in diesem Darstellungstypus
sehr häufig wiedergegeben wird98. Der Typus des ausschreitenden Apollo wird vor allem bei
Kampfdarstellungen des Gottes gegen Giganten, Niobiden oder Python verwendet. Tober vermutet in
dem Wesen in der rechten Bildhälfte einen Giganten, da die geschuppten schlangenartigen Beine der
üblichen Ikonographie der Giganten entsprechen. Eine Deutung als Python hält sie für
unwahrscheinlich, da Python meistens nur als eine gewöhnliche Schlange mit Kopf und Schwanz,
oder als ein Mischwesen mit Schlangenfüßen, doch nie in einer Kompakten Art mit Schuppen wie auf
der Saalfeldener Darstellung.
Nach der Position des getroffenen Pfeiles könnte der Gigant als Ephialtes interpretiert werden, da
dieser in der literarischen Überlieferung vom Apollo ins Auge getroffen wird.

„Tierhetze mit Hund und Hirsch“99

Auf dem Bildfeld mit rotem Hintergrund sind zwei von rechts nach links laufende Tiere abgebildet 100.
In der rechten Bildhälfte ist ein Hund mit rosa-graufarbigem Fell mit schmalen, vom Rücken zum
Bauch vertikal verlaufenden, dunkelroten Streifen erkennbar. Der Hund ist im Sprung wiedergegeben,
mit den Hinterbeinen steht er noch auf dem Boden, mit den Vorderbeinen schnappt er nach dem
Hinterteil des Hirsches.
Der braunfellige Hirsch in der linken Bildhälfte versucht im schnellen Galopp zu fliehen, seine
Vorderbeine sind angehoben.
95
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 54 Abb. 11-13; 55 Abb. 14.
96
zur Beschreibung: Tober 2015, 24-25.
97
zu Details der Gigantenfigur: Tober 2015, 100.
98
zur Interpretation: Tober 2015, 98-102.
99
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 56 Abb. 15; 57 Abb. 16-18.
100
zur Beschreibung: Tober 2015, 25-27.
14

Links ganz am Rande des Bildes befindet sich ein dunkelgrünfärbiger Baum, sonst bleibt der
Hintergrund ohne Landschaftsangaben.

„Tierhetze mit Leopard und Pferd“101

Von einem zweiten Bildfeld mit einer Tierhetzendarstellung auf rotem Hintergrund sind nur wenige
Fragmente erhalten102. Zum rechten Bildrand zulaufend befand sich ein braunfelliges Pferd, von dem
nur ein Kopf erhalten ist. Es wurde von einem Prädators mit hellbraunem Fell mit geringelten Flecken
verfolgt, von dem nur vordere Teile des Oberkörpers samt Vorderbeinen erhalten sind. Wegen der
spezifischen Musterung des Fells wird das Tier als Leopard interpretiert. Am rechten Bildrand
oberhalb des Pferdekopfes ist noch ein Busch erkennbar, rechts der Vorderbeine des Leoparden ist
auch ein Baumstamm sichtbar.

Andere rotgrundige Felder103

Weitere rotgrundige Felder sind wegen dem Mangel an erhaltenen Fragmenten nicht rekonstruierbar.
Anhand der Analyse der üblichen Bruchstücke mit Resten figürlicher Darstellungen, die keinem der
schon vorgestellten Felder zuzuordnen waren, scheint es wahrscheinlich, dass die weiteren Bilder mit
rotem Hintergrund die Themen an rekonstruierten Bildfeldern – die Jagd und die Gigantomachie –
erweitern104. Auf den Fragmenten erkannte Tober weitere Tiere, möglicherweise auch einen Jäger und
eine Giganten.

„Personifikation des Windes“105

In einem kreisförmigen Medaillon wird eine Büste eines bärtigen Mannes mit wirrem, braunem
Haar106. Aus dem Kopf wachsen zwei deutlich erkennbare Flügel. Der Mann blickt nach links oben, in
die angenommene Mitte der Deckenmalerei. Er ist unbekleidet, im Medaillon wird eine muskulöse
Brust und starke Schulter wiedergegeben.
Die Darstellung eines bärtigen Mannes mit geflügeltem Kopf entspricht der Ikonographie einer
Windgottpersonifikation107. In Tobers Ansicht ist es wahrscheinlich, dass in den weiteren 3 nicht
erhaltenen Ecken der Deckenmalerei ähnliche Medaillons mit Darstellungen der übrigen
Windgottheiten aufgesetzt waren108. Da die 4 Windgötter meistens durch bartloses oder bärtiges
Gesicht unterschieden werden109, vermutet Tober eine ähnliche Darstellungsweise auch für die
Saalfeldener Decke. Als bärtiger Mann mit wirrem Haar könnte es sich bei dem Saalfeldener Windgott

101
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 70 Abb. 48-50; Gesamtkomposition des Bildes bei: Tober 2015, 137 Abb. 106.
102
zur Beschreibung: Tober 2015, 32-33.
103
siehe Gesamtkomposition des Bildes bei: Tober 2015, 137 Abb. 106.
104
Tober 2015, 107-108.
105
siehe Abbildungen bei: Tober 2015, 58 Abb. 19-20; 59 Abb. 21; 61 Abb. 26.
106
zur Beschreibung: Tober 2015, 27.
107
Tober 2015, 27.
108
Tober 2015, 27.
109
Tober 2015, 108.
15

um den Nordwind Boreas handeln, wofür auch die Positionierung der Büste in der Nordwestecke des
Raumes, entsprechend der geographischen Richtung des Windes, spricht 110.

Ornamentaler Dekor111

In roten und blauen Feldern um das Medaillon befanden sich rote Rosetten. Tober gibt Möglichkeit
einer tieferen Bedeutung der Wahl des Streublumenmusters an – es könnte sich um ein Abbild
römischer elitärer Gastmahltradition handeln, bei der Blumen aus einer Öffnung in der Decke verstreut
wurden112. In den grünen Feldern zwischen Eckmedaillons waren in ähnlicher Weise Knospen verteilt.
Blattgirlanden rahmten das gesamte Deckenmalereiensemble.
Die Eckmedaillons wurden durch halbkreisförmige Segmente 113 geschmückt, die möglicherweise als
von Windgöttern aufgeblasene Segel gedeutet werden können 114.
Die einzelnen rechteckigen Bildfelder werden von plastisch wiedergegebenen, mit Bändern
umwundenen Rundstäben gerahmt.

3.2.2. Gesamtkomposition115
Im zentralen Medaillon in der Mitte der Decke wurde ursprünglich möglicherweise eine fliegende
Gruppe dargestellt, wie bei anderen provinzialen Deckenmalereien, z.B. auf der anderen norischen
Decke von Enns-Lauriacum (Zephyros und Flora), oder auf der pannonischen Decke von Komárom-
Brigetio (schwebende Frauenfigur und Pferd)116.
Das Mittelmedaillon wurde von rot- und blaugrundigen Rechteckfeldern mit Szenen aus der
Mythologie und Jagd gerahmt, wobei sich auf jeder Rahmseite in der Mitte ein blaugrundiges Feld,
umgeben von 2 rotgrundigen Feldern befand. Dadurch wurde eine axiale Anordnung geschaffen, die
die blaugrundigen Felder, zusammen mit der kontrastierenden Farbgebung, betonte 117.
Die Ecken wurden von 4 Eckmedaillons mit Darstellungen der Windpersonifikationen, die
möglicherweise nach dem schon besprochenen geographischen Prinzip geordnet waren, gefüllt.
Die übrigen Flächen trugen ornamentaler Dekor (siehe 3.2.1.).

3.3. Typologische Analyse und Datierung


Eine stilistische oder typologische Analyse der römischen Deckenmalerei, die zu einer relativen
Datierung führen könnte, ist sehr problematisch. Als sehr fraglich erwies sich die Idee einer Übergabe
der Stils von der Wandmalerei, da die unterschiedlichen Anbringungsorte auch unterschiedlichen
Darstellungsprinzipien unterliegen118.

110
Tober 2015, 109.
111
zur Beschreibung und typologischen Analyse: Tober 2015, 110-114; siehe Abbildung der Gesamtkomposition der Decke
bei: Tober 2015, 137 Abb. 106.
112
Tober 2015, 110.
113
siehe Abbildung bei: Tober 2015, 60 Abb. 25; 61 Abb. 26.
114
Tober 2015, 111-112.
115
siehe Rekonstruktionen der gesamten Deckenmalerei bei: Tober 2015, 135 Abb. 104; 136 Abb. 105; 137 Abb. 106.
116
Tober 2015, 117.
117
Tober 2015, 114.
118
Tober 2015, 90.
16

Für die italische nachpompejanische Deckenmalerei des 2. und 3. Jahrhunderts wurde ein auf der
Typologie beruhendes Klassifikationssystem von Hetty Joyce entworfen. Sie unterteilt die
Deckenmalereien in 4 Haupttypen119, innerhalb welcher sie festdatierte Beispiele angibt, die als
Ansatzpunkte für Datierung anderer Deckenmalereien dienen sollten.
Laut Tober passt die Saalfeldener Decke zur Gruppe „Centralized: rectilinear“ (rechteckige Teile um
ein zentrales Motiv geordnet) und zur Gruppe „Converging: diagonal“ (lineare oder kurvig-lineare
Elemente von den Seiten/Ecken der Decke gegen die Mitte zusammenlaufen) 120.
Aus beiden Gruppen fand Tober die meisten vergleichbaren Beispiele aus dem 2. Jahrhundert 121.
Präsenz zweier vergleichbaren provinzialen Darstellungen aus Enns-Lauriacum und Komárom-
Brigetio, die möglicherweise im späten 2. Jahrhundert entstanden 122, verstärkt die Annahme einer
ähnlicher Datierung auch bei der Saalfeldener Decke.
Die Bildinhalte liefern weitere Indizien. Die Gigantomachie war kein geläufiges kampanisches
Bildmotiv, sie etablierte sich erst im 2. Jahrhundert 123. Großformatige Büsten und Tierhetzen wurden
häufig im 2. und im frühen 3. Jahrhundert verwendet 124.
Der Grabungsbefund ergab leider keine festen Anhaltspunkte für die Datierung 125. Nach den
Ergebnissen der kunsthistorischen Analyse könnte eine Datierung um die Wende des 2. und 3.
Jahrhunderts möglich sein.

3.4. Ikonologische Analyse


Die einzigartige Kombination der unterschiedlichen Bildinhalte innerhalb der Saalfeldener Decke
ermöglicht die Transportierung vielschichtiger Botschaften an den antiken Betrachter.
Die Wahl des Aktaion-Mythos scheint beim ersten Anblick gewöhnlich zu sein. Die erotische
Badeszene, die wahrscheinlich auch auf der Saalfeldener Decke angebracht war, war eine beliebte
Darstellung im privaten Bereich126. Ein erotisches, unterhaltsames Bild wäre aber in einem wohl zu
starken Kontrast zu den gewaltsamen Gigantomachien.
Aus diesem Grund vermutet Tober, dass die mythologischen Darstellungen des Aktaion und der
Giganten als Warnung vor Hybris (Übermut) zu verstanden sind 127. Sowohl Aktaion, als auch
Giganten stoßen in ihrer eigenen Überschätzung gegen die göttliche Ordnung, sie werden dafür aber
bestraft. Der Hausherr dürfte durch diese Darstellungen die Anhaltung der häuslichen,
gesellschaftlichen und göttlichen Normen und Regeln betonen. Er selbst inszeniert sich
möglicherweise als Verteidiger der allgemeinen Ordnung.

119
Joyce 1981, 70.
120
Tober 2015, 120.
121
Tober 2015, 120-121.
122
zum Vergleich mit der Deckenmalerei von Brigetio und zur ihren Datierung: Tober 2015, 121-122; zum Vergleich mit der
Deckenmalerei von Lauriacum und zur ihren Datierung: Tober 2015, 122-123.
123
Tober 2015, 222.
124
Tober 2015, 222.
125
Tober 2015, 221.
126
Tober 2015, 115.
127
Tober 2015, 114.
17

Die Giganten als Symbol der Ungezügeltheit, Wildheit und Unordnung stehen im starken Kontrast zu
den Windpersonifikationen, die als Sinnbild des geordneten Kosmos verstanden werden können 128. Sie
verkörpern die Macht und Kraft Natur, deren Gesetzen auch die wildesten Wesen unterliegen. Auch
deswegen wurden für die Eckmedaillons nicht die viel häufigere Jahreszeitenpersonifikationen
gewählt – sie sind lieblicher, weiblicher, passen nicht zu dem allgemeinen Programm des Bildes 129, das
die Kräfte des Kosmos betonen dürfte.
Die Tierhetzen können auch von verschiedenen Hinblicken unterschiedlich aufgefasst werden. Die
Jagd kann als Verkörperung der Virtus des Hausherren verstanden werden 130. Da Jagden als beliebte
Aktivitäten der Oberschicht galten, dürfte eine Jagddarstellung auf den hohen Status, beziehungsweise
an das Reichtum des Auftraggebers verweisen131. Falls die Tierhetzen aus Saalfelden als Abbilder der
Veranstaltungen in der Arena gemeint waren, könnte sich der Hausherr als eine hochrangige
Persönlichkeit inszenieren, die solche Unterhaltungsspiele für die Öffentlichkeit bezahlte 132.
Tober sieht in den Tierhetzen auch wieder den Ausdruck der kosmischen Ordnung, indem hier die
natürliche Überlegenheit der Prädatoren hervortritt 133.
Das Motiv der Streublumen dürfte im Zusammenhang mit besprochenen Elitentraditionen eine
Konnotation zur Luxuria bei den Beobachter hervorrufen134.
Der Raum mit der Deckenmalerei war mit einer Apsis ausgestattet, was in Tobers Ansicht eher für
einen öffentlich-repräsentativen Charakter dieses Zimmers spricht 135. Diese Annahme unterstützt auch
der ernsthafte, kaum unterhaltsame Charakter der Bildinhalte, die Verwendung reicher Polychromie
und damit zusammenhängender verschwenderischer Umgang mit teuren Pigmenten und die
aufwendige figürliche Dekoration136. Alle diese Elemente sprechen für einen Raum, der beeindrucken
sollte. Der repräsentative Zweck stand sicher im Vordergrund.
Der wohlhabende Auftraggeber dürfte also vor allem die Inszenierung seiner Macht, seines Status und
Reichtums durch die Deckenmalerei erzielen wollen. Tober glaubt, dass die für den häuslichen
Kontext ungewöhnlichen Gigantomachieszenen für eine bewusste Wahl der Themen von dem
Auftraggeber spricht137. Deswegen kann angenommen werden, dass die Bilder nicht nur als bloßer
Schmuck, sondern als echte Bedeutungsträger von dem Auftraggeber betrachtet wurden.

128
Tober 2015, 115.
129
Tober 2015, 115.
130
Tober 2015, 116.
131
Tober 2015, 116; 103.
132
Tober 2015, 103.
133
Tober 2015, 116.
134
Tober 2015, 116.
135
Tober 2015, 216.
136
Tober 2015, 218.
137
Tober 2015, 221.
18

4. Deckenmalerei aus Enns (Lauriacum)

4.1. Fundort – Lage und Geschichte


Auf dem Gebiet der heutigen oberösterreichischen Stadt Enns (ca. 20 km östlich von Linz gelegt 138)
befand sich schon im 4. Jahrhundert v. Chr. eine keltische Niederlassung, die Lauriakon (später
latinisiert Lauriacum) hieß139. Nach der Eingliederung Noricums ins Römische Reich wurde in der
spätaugusteischen Zeit ein Militärstützpunkt in Lauriacum zur Sicherung eines Donauübergangs
errichtet. Eine kleine römische Zivilsiedlung ist für das 1. Jahrhundert n. Chr. nachweißbar. Nach dem
wirtschaftlichen Aufschwung im ganzen Noricum in der Folgezeit wurde die Zivilsiedlung um die
Mitte des 2. Jahrhunderts erweitert. Südlich der heutigen Ennser Stadelgasse befand sich ein
Wohnviertel wohlhabender Einwohner mit Häusern mit Fußbodenheizung und dekorierten Wänden.
Um 180 n. Chr. wurde in Lauriacum ein Legionslager errichtet.

4.2. Entdeckungskontext und heutiger Aufbewahrungsort


Die Ennser Deckenmalerei wurde im Zuge der 1972-1978 geführten Ausgrabungen in Enns-
Stadelgasse als Planierschutt unter einem jüngeren Fußboden im sogenannten Haus „B“ entdeckt 140.
Dank dieser geschützten Lagerung ist die Deckenmalerei in einem sehr guten Zustand erhalten. Das
restaurierte Deckenfresko wird heute im Museum Lauriacum in Enns ausgestellt 141.

4.3. Beschreibung, formale und ikonographische Analyse


Das ganze Deckenmalereisystem wurde von einer breiten Frieszone gerahmt, die in mehrere
Rechtecke, gefüllt mit Blüten-, Frucht- und Blattgirlanden, unterteilt ist 142. Ähnliche Blüten- oder
Blattkränze rahmen alle weitere Haupt- und Nebenfelder der Malerei.
In den Ecken befinden sich viertelkreisförmige Flächen, in denen Büsten der
Jahreszeitenpersonifikationen dargestellt sind.
Die Mitte der Wand wird von einer zentralen figürlichen Darstellung in einem Medaillon
eingenommen. Auf dem grünen Hintergrund sind 2 Figuren erkennbar. Ein nackter,
dunkelbraunhäutiger, muskulöser Jüngling mit langem braunem Haar und weit ausgebreiteten Flügeln,
hält in seinen auseinandergestreckten Händen ein dunkles Tuch. Vor ihm wurde ein liebliches,
hellhäutiges Mädchen im ärmellosen Gewand dargestellt. Der Jüngling ist gerade dabei, mit dem Tuch
das Mädchen zu bedecken. Beide sind in einer liebevollen Haltung zueinander gewendet – das
Mädchen umfängt mit dem linken Arm den Nacken des Jünglings und streichelt sein Haar. Sie beugt
ihr Kopf nach oben, er nach unten, ihre Nasen fast berühren einander. Der Jüngling ist in einer

138
nach Bestimmung des Verfassers.
139
Geschichte Lauriacums bei: Winkler 1982, 135-137.
140
Ubl 1980, 26.
141
Ubl 1980, 25.
142
zur Beschreibung: Ubl 1997, 334-336.; siehe Abbildung einer Ecke des Deckenfreskos bei: Ubl 1997, 335 und Abbildung
des Mittelmedaillons bei: Winkler 2006, Titelbild.
19

Knieschrittstellung von links nach rechts wiedergegeben, das Mädchen hat seine Beine nach links
weggestreckt. Das Paar ist also beim Fliegen abgebildet.
Die durch die Rahmung und Viertelkreise in den Ecken entstandene Fläche rund um das
Zentralmedaillon wird noch diagonal und kreuzweise durch schmale Streifenfelder geteilt. Innerhalb
der einzigen Teile dieser polygonalen Felder sind kleine figürliche Szenen gesetzt. Es ist eine
Tierhetze, mehrere Fabeltiere (Greifen, Seepferde), zwei Tauben, ein Eros und ein fliegender Schwan
als Darstellungen dieser Felder erhalten.
Hannsjörg Ubl interpretiert die zentrale Darstellung als die Apotheose der Psyche 143. In dem
geflügelten Jüngling sieht er Amor, der seine Geliebte unter die Götter bringt.
Die Jahreszeitenbüsten symbolisieren in seiner Ansicht zusammen mit den Tierhetzen das Werden und
Vergehen der Natur.
Andere Deutung schlägt Elisabeth Walde vor144. Ihrer Meinung nach entspricht der muskulöse junge
Mann mit wirrem Haar keineswegs der üblichen Ikonographie Amors, der in der Dichtung von
Apuleius als ein zarter, kaum dem Kindesalter erwachsener Knabe beschrieben wurde. Walde hält eine
Interpretation des geflügelten Wesens als Windgott für viel logischer. Die Darstellung interpretiert sie
deswegen als den Raub der Chloris. Bei Ovid wurde Chloris/Flora vom Windgott Zephyros geraubt,
sie vermählte sich mit ihm und schließlich machte er sie zur Herrin der Blumen.
Walde sieht in dem fliegenden Liebespaar ein Symbol der Frühling, der blühenden Natur und
gleichzeitig der Sexualität. Zusammen mit den Jahreszeitenbüsten und tierischen/pflanzlichen
Darstellungen in anderen Feldern vermittelt die Deckenmalerei eine freudvolle, frühlingshafte, sogar
aphrodisische Stimmung (Tauben, Schwäne, Eroten sind typische Attribute der Aphrodite) und
verkörpert die belebte, blühende Natur.

4.4. Typologische Analyse und Datierung


Wegen dem ähnlichen Schema der Deckenmalerei aus Saalfelden-Wiesersberg lassen sich ähnliche
Vergleichsbeispiele zu einem typologischen Vergleich heranziehen (siehe 3.3.).
Bei der Ennser Decke dürfte auch der Grabungsbefund die Datierung unterstützen – die
Deckenmalerei sollte noch vor der Anlage des Legionslagers in Lauriacum hergestellt werden,
weswegen ihre Entstehung in den 180er Jahren angenommen wird145.

4.5. Ikonologische Analyse


Beide Interpretationsvorschläge der Darstellungen vermuten eine zentrale Rolle der Natur und
Sexualität in dem Bedeutungsinhalt der Deckenmalerei aus Lauriacum. Da die erotischen Motive und
nicht-gewaltsame Naturszenen in der römischen Malerei besonders im privaten Kontext beliebt
waren146, könnte auch der Raum mit dem Zephyros-Flora-Fresko eher in einem privaten Teil des

143
zur Interpretation: Ubl 1997, 336.
144
zur alternativen Interpretation: Walde 2000.
145
Tober 2015, 122-123.
146
Tober 2015, 115.
20

Häusers angenommen werden. Der Auftraggeber wollte vielleicht eine idyllische Natur- und
Liebeswelt, die in der Realität an der Nordgrenze des Reiches sicher nicht leicht zu finden war, in sein
Zuhause übertragen.
Die hohe Qualität der Ausführung und die damit verbundenen Kosten sollten aber auch nicht
vergessen werden. Obwohl die Darstellung keinen offiziellen Charakter besitzt, diente die
Deckenmalerei mit Sicherheit auch der Repräsentation des Hausherren und der Zurschaustellung
seines Reichtums.

5. Zusammenfassung
Nach dem kleinen Exkurs in die römische Wand- und Deckenmalerei Noricums können wir ohne
Zweifel behaupten, dass die Anhänger der lokalen Oberschicht ihre Häuser mit (bezüglich der Qualität
und des Bildreichtums) gleichwertigen Malereien wie die Eliten aus dem Kernland der römischen
Kultur ausschmücken ließen.
An den vorgestellten Beispielen konnte kein spezifisch norischer Lokalstil festgestellt werden, im
Allgemeinen gilt diese These als sehr unwahrscheinlich 147.
Wegen der Verwendung spezifischer Themen (Iphigenie, Zephyros und Flora) mit vielschichtiger
Bedeutung, die oft nicht den Konventionen der Zeit entsprachen (Gigantomachie der Saalfeldener
Decke) lässt sich eine bewusste Wahl der Bilder durch die Auftraggeber vermuten. Die
Wandmalereien waren also auch für die norische Elite keine einfachen Schmuckbilder, es wurden
durch die Malerei geschickt kodierte Aussagen übertragen.
Als die zentrale Funktion bei allen vorgestellten Malereien wurde die Repräsentation eigenen
Wohlstands und Status festgestellt. Neben dieser Aufgabe konnten die norischen Malereien auch der
politisch motivierten Propagation (Iphigenie-Komplex nach Walde), der Betonung der Wichtigkeit der
häuslichen und weltlichen Ordnung (Saalfeldener Decke) oder der Inszenierung einer idealisierten,
vielleicht erotischen Welt im privaten Kontext dienen.
Wie wir sehen, die römische Art des Wohnens verbreitete sich innerhalb der elitären Kreise sehr rasch
und in einer gleich komplexen und hochwertigen Form. Diese Tatsache dürfte mit dem Bedürfnis der
norischen Oberschicht, sich mit den Römern gleichzusetzen, zusammenhängen 148.

147
Tober 2015, 222.
148
ein gesteigertes Selbstbewusstsein der Provinzbewohner zumindest im 2. und 3. Jahrhundert gibt auch Tober an: Tober
2015, 221.
21

6. Literaturverzeichnis
Joyce 1981
H. Joyce, The Decoration of Walls, Ceilings and Floors in Italy in the Second and Third Centuries
A.D., Archeologica 17, Roma 1981.

Kenner 1985
H. Kenner, Die römischen Wandmalereien des Magdalensberges, Kärntner Museumsschriften 70,
Klagenfurt 1985.

Thomas 1995
R. Thomas, Die Dekorationssysteme der römischen Wandmalerei von augusteischer bis in trajanische
Zeit, Mainz 1995.

Tober 2015
B. Tober, Die römischen Wand- und Deckenmalereien aus Saalfelden-Wiesersberg, Archäologie in
Salzburg 10, Salzburg 2015.

Ubl 1980
H. Ubl, Eröffnung des Freskensaales im Museum der Stadt Enns, AustrRom 30, 1980, 25-26.

Ubl 1997
H. Ubl, Deckenfresko Kat. Nr. XII/1, in: H. Ubl (Hrsg.), Katalog zur Schausammlung „Römerzeit“
des Museums Lauriacum-Enns, Forschungen in Lauriacum Sonderband I/2, Enns-Wien 1997, 334-
337.

Walde 2000
E. Walde, Bemerkungen zum Deckenfresko im Museum Lauriacum von Enns, in: Altmodische
Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).

Walde 2001
E. Walde, Darf man doch an Vergil denken? Bemerkungen zum Hirtenfresko vom Magdalensberg, in:
Carinthia Romana und die römische Welt, Festschrift für Gernot Piccottini zum 60. Geburtstag, Aus
Forschung und Kunst 34, Klagenfurt 2001, 415-420.

Walde 2005
E. Walde, Bemerkungen zum sogenannten Iphigenie-Komplex vom Magdalensberg, in: B. Brandt, V.
Gassner, S. Ladstätter (Hrsg.), Synergia. Festschrift für Friedrich Krinzinger II, Wien 2005, 475-483.

Winkler 1982
G. Winkler, Lorch zur Römerzeit, in: Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, Linz 1982,
135-137.

Winkler 2006
G. Winkler (Hrsg.), Schausammlung „Römerzeit“ im Museum Lauriacum Enns, Forschungen in
Lauriacum Sonderband I/1, Enns 2006.

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