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000 Jahre
Menschheitsgeschichte
in der Mitte Europas
Begleitbuch zur Ausstellung im Museum
für die Archäologie des Eiszeitalters,
Schloss Monrepos, Neuwied
600.000 Jahre Menschheitsgeschichte in der
Mitte Europas
Römisch-Germanisches Zentralmuseum
Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte
Forschungsbereich Altsteinzeit
Römisch-Germanisches
Zentralmuseum
Forschungsinstitut für
RG Z M
Vor- und Frühgeschichte
600.000 Jahre
Menschheitsgeschichte
in der Mitte Europas
Begleitbuch zur Ausstellung im
Museum für die Archäologie des Eiszeitalters,
Schloss Monrepos, Neuwied
herausgegeben von
Sabine Gaudzinski-Windheuser und Olaf Jöris
ISBN-10 3-88467-103-0
ISBN-13 978-3-88467-103-0
Redaktion, Bearbeitung und Layout: Evelyn Bott, Regina Hecht, Reinhard Köster und Michael Ober
Herstellung: betz-druck, Darmstadt.
Printed in Germany.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte des Schlosses Monrepos und der Abteilung Altsteinzeit des RGZM . . . . . . . . 1
Unser starker Vetter: Die Zeit des Neandertalers vor 350-40.000 Jahren . . . . . . . . . . . . 11
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Anfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
V
Geschichte des Schlosses Monrepos
und der Abteilung Altsteinzeit des RGZM
Hoch über der Stadt Neuwied, eingebet- ausgedehnten Wäldern der Umgebung ver-
tet in die ersten Anhöhen des Westerwal- brachte Prinzessin Elisabeth zu Wied, die
des, liegt das Museum für die Archäologie spätere Königin Elisabeth von Rumänien,
des Eiszeitalters auf der Anhöhe von ›Mon- besser bekannt unter ihrem Künstlernamen
repos‹. ›Carmen Sylva‹, ihre schönsten Kindheits-
tage.
Das weiße Schloss Monrepos, die 1762
erbaute Sommerresidenz der Fürsten zu Doch der Name des Schlosses lebt wei-
Wied, gibt es schon lange nicht mehr; es ter: Seit 1988 das ›Waldheim‹ zum Eiszeit-
wurde 1969 abgerissen. Hier und in den Museum wurde, übertrug man ihm den
1
Wissenschaftlers Hermann Schaaffhausen
die altsteinzeitliche Fundstelle Andernach-
Martinsberg ausgegraben. 85 Jahre später,
1968, entdeckte der im Frühjahr 2004 ver-
storbene Neuwieder Architekt Bernd Richter
bei Ausschachtungsarbeiten im Neuwieder
Ortsteil Feldkirchen-Gönnersdorf einen alt-
steinzeitlichen Fundplatz, der schon bald
darauf unter dem Namen ›Gönnersdorf‹
internationales Ansehen bringen sollte.
2
Aus der Not werden bekanntlich Tugen-
den geboren – und so schlossen sich begei-
sterungsfähige Menschen zu einem Förder-
kreis zusammen; wenig später konnte eine
Stiftung gegründet werden und der Fürst
schenkte ihr das Waldheim mit Grundstück.
3
Nosce te ipsum* – erkenne Dich selbst!
* Lateinische Übersetzung Mit diesen Worten charakterisiert Carl bungen und der Analyse von Funden in
einer griechischen Inschrift
am Apollon-Tempel in von Linné in seiner »Systema Naturae« 1735 ihrem archäologischen und naturräumlichen
Delphi. den Menschen. Wir Menschen begreifen Kontext bezieht sie Erkenntnisse über unse-
uns als vernunftbegabte und kulturelle re lange jägerische Vergangenheit. Ihre
Wesen und versuchen, uns aus unserer Her- Ergebnisse führt sie mit unterschiedlichen
kunft und Vergangenheit zu erklären. Nur Nachbardisziplinen zu einem synoptischen
selten sind wir uns dabei bewusst, dass wir Bild der Menschwerdung zusammen.
Produkt einer mehr als 2,5 Millionen Jahre
langen Entwicklung sind. Doch ist ein Als einzige Disziplin führt die Altstein-
Großteil unseres heutigen Handelns durch zeitforschung die Erkenntnisse über die
Verhaltensmuster geprägt, die tief in der Ursprünge unseres heutigen menschlichen
Vorzeit verankert sind. Verhaltens zusammen und trägt so unmit-
telbar zu unserem Selbstverständnis bei.
Die Altsteinzeitforschung setzt sich mit
der langen Entwicklung der Menschwer- Die Altsteinzeit überspannt damit ohne
dung auseinander, von ihren Anfängen bis Zweifel den prägendsten Abschnitt unser
zum Beginn der produzierenden Wirt- aller Vergangenheit.
schaftsweise vor 7.500 Jahren. Aus Ausgra-
4
Der Mensch – ein Geschöpf der Natur
Der Mensch ist mit all seinen Fähigkeiten genschaften meistert er sein Leben in einer
und Leistungen das wohl interessanteste sich ständig verändernden Umwelt. Schließ-
Lebewesen auf der Welt. In Anbetracht der lich besiedelte er den gesamten Globus.
4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte der
Erde ist die Zeitspanne von seiner Entwick- Am Mittelrhein ist die Geschichte der
lung in Afrika vor 2,5 Millionen Jahren bis ersten Menschen, die Mitteleuropa vor
heute nur ein kurzer Wimpernschlag, der 600.000 Jahren erreichten, bis hin zu den
jedoch die Welt nachhaltig verändert hat. letzten Jägern und Sammlern vor 7.500
Jahren in einzigartiger Weise überliefert.
Charles Darwin (1809-1882) stellte mit 1,8 Mio. Jahre alter früh-
menschlicher Unterkiefer
der Evolutionstheorie die grundlegenden aus dem georgischen
Prozesse heraus, denen zufolge sich Tiere Dmanisi.
5
Die ersten Menschen in Mitteleuropa
vor 600-350.000 Jahren
Die ersten sicheren Belege für die Anwe- nördlichen Mitteleuropa zurecht. Allerdings
senheit des Menschen finden sich in Mittel- scheint es, dass sie die Gebiete nordwärts
europa vor rund 600.000 Jahren. Aus dieser der Hochgebirge zunächst nur in den Warm-
Zeit sind nur wenige menschliche Fossilien zeiten bewohnt haben. In diesen Klimaab-
bekannt. Sie werden Homo heidelbergensis schnitten bedeckten Laubwälder mit größe-
zugeschrieben. Sein typisches Steinwerk- ren grasbestandenen Lichtungen weite Teile
zeug war der Faustkeil. Mitteleuropas. Waldelefanten, Nashörner,
Pferde, Hirsche und Rinder waren hier
Die Lebensweise dieses frühen Men- beheimatet.
schen ist kaum bekannt. Wohl war Homo
heidelbergensis ein bestens ausgerüsteter Aus dem Zeitabschnitt vor etwa 600-
Großwildjäger, der mit hölzernen Wurfspee- 350.000 Jahren sind in Europa nur wenige
ren dem Wild nachstellte, wie dies Funde Fundstellen bekannt. Am Mittelrhein sind
vom Ufer eines Sees bei Schöningen in Süd- jedoch mit Miesenheim I und Kärlich-
niedersachsen belegen. Seeufer gleich zwei Nachweise aus der Zeit
dieses frühen Menschen überliefert.
Offenbar kamen die Menschen mit den
jahreszeitlich wechselnden Bedingungen im
6
Die ersten Siedler
7
Der älteste Siedlungsplatz nördlich der Alpen:
Miesenheim I
Der Fundplatz Miesenheim I gehört in Es ist eine der wenigen gut erhaltenen
eine Warmzeit vor 600-500.000 Jahren. Fundstellen, die nicht durch natürliche
Miesenheim I ist damit einer der ältesten Prozesse aus ihrem ursprünglichen Zusam-
Belege für den Aufenthalt des Menschen im menhang gerissen wurden. Hier sind Stein-
nördlichen Europa. artefakte und Tierknochen noch an densel-
ben Stellen zu finden wie vor mehr als einer
halben Jahrmillion. Diese einzigartige Fund-
situation erlaubt detaillierte Einblicke in das
Leben und in die Umwelt des Homo heidel-
bergensis.
8
Kärlich-Seeufer
Grabungssituation am
Fundplatz Kärlich-Seeufer.
9
Der Waldelefant – Jagdbeute
des frühen Menschen?
10
Unser starker Vetter:
Die Zeit des Neandertalers
vor 350-40.000 Jahren
Isoliert von der Bevölkerung Afrikas ent- worden sei. Die andere Gruppe vertritt hin- Neandertaler-Rekonstruk-
tionen, die von Gerhard
stand in Europa aus dem »Heidelberger gegen die Ansicht, dass sich der Moderne Wandel (1906-1972) über
Menschen« eine ganz besondere Men- Mensch sehr wohl aus dem Neandertaler Abgüssen von Neander-
taler-Knochen modelliert
schenform: der Neandertaler. Er ist ohne entwickelt haben könnte. wurden. Da über Haut-
farbe, Behaarung und
Zweifel der bekannteste Vertreter aus der Mimik des Neandertalers
Ahnenreihe des Menschen. Uns sind bis nichts bekannt ist, kann
sein tatsächliches Aussehen
heute die Skelettreste von mehr als 300 nur annähernd rekonstru-
iert werden. Dennoch ge-
Neandertaler-Individuen bekannt. lang es Wandel, ›seinen‹
Neandertalern durch das
Modellieren von Muskeln
Der Neandertaler bevölkerte unseren und Gesichtszügen indivi-
duelle Züge zu geben, ohne
Kontinent vor 350-40.000 Jahren. Während dabei die Andersartigkeit
dieses Zeitraums passte er sich zusehends der Neandertaler zu ݟber-
decken‹.
den Bedingungen im eiszeitlichen Europa an.
11
Neandertaler ›von früh bis spät‹
Neandertaler in Europa.
12
Die frühe Neandertalerin
von Steinheim an der Murr.
13
Leben in Extremen:
die wechselhafte Umwelt des Neandertalers
Der Neandertaler lebte in der Zeit der ex- ten. Darüber hinaus waren der große Wald-
tremsten eiszeitlichen Klimaveränderungen: elefant und das Waldnashorn hier heimisch.
Umweltverhältnisse in
Europa während der letzten Während der kältesten Phasen reichten die Selbst das Flusspferd, das zum Überleben
Kaltzeit (rechts) im Ver-
gleich zu den heutigen Gletscher aus dem Norden bis in die Mitte besonders milde Winter braucht, kam am
Bedingungen (links). Europas; der Meeresspiegel senkte sich bis Rhein vor.
zu 140 m; England wurde Teil des Konti-
Tundra und Wald-
tundra sowie Kälte-
nentes. Solche Kaltphasen waren durch Die wildreichsten Jagdgründe boten sich
steppe anhaltendes Trockenklima mit großen Tem- dem Neandertaler allerdings in den ausge-
Steppe sowie eiszeit- peraturunterschieden zwischen Tag und dehnten Graslandschaften der kühl-gemä-
liche Lösssteppe Nacht sowie Sommer und Winter gekenn- ßigten Phasen. Im Wechsel der Jahreszeiten
Waldsteppe zeichnet. Pflanzen, Tiere und auch die Nean- lebte er von der Jagd auf die großen Herden
Nadelwald dertaler zogen sich aus dieser lebensfeind- von Mammut, Ren, Pferd oder Wisent.
lichen Umwelt in südliche Regionen zurück.
Mischwald und
Laubwald
14
Steingeräte des Neandertalers
Der Werkzeugkasten
Die Idee
15
Das Atelier
Experimentell hergestellter
Levalloiskern mit Abschlag.
16
Neandertaler und die Jagd
17
Siedlungsplätze auf den Osteifelvulkanen:
Neandertaler auf der Höhe
vor 200-60.000 Jahren
18
Der Vulkan ›In den Wannen‹:
Neandertaler und Nashörner
Der ›Wannen‹-Vulkan.
19
Jagd auf gefährliche Tiere?
20
Leben in eisiger Höhe:
Neandertaler auf dem Schweinskopf-
Vulkan
Vor 150.000 Jahren haben sich in der Deutliche Hinweise auf das kaltzeitliche
Kratermulde des Schweinskopf-Vulkans Klima liefern auch die Jagdbeutereste: Das
zwischen Bassenheim und Ochtendung Pferd ist für eine offene Landschaft typisch,
wiederholt Gruppen von Neandertalern das wollhaarige Nashorn und das Rentier
niedergelassen. Dort ließen sie ihre Stein- deuten auf extreme Kälte hin.
werkzeuge und die Reste ihrer Jagdbeute
zurück. Geräte aus Feuerstein, die der Neander-
taler aus dem mehr als 100 km entfernten
Die Schichten, in denen die Funde lager- Maasgebiet mitgebracht hatte, zeugen von
ten, stammen aus einer Zeit extremer Kälte. seiner Mobilität. Wie an allen Neandertaler-
Der gelbe Lössstaub, der die Kratermulde Fundplätzen der Osteifel ließ er auch am
füllt, wurde in einer trocken-kalten Klima- Schweinskopf einige dieser mitgebrachten Der ›Schweinskopf‹ –
Neandertaler in eisiger
phase von den Hochflächen ausgeweht. Werkzeuge zurück. Höhe.
21
Siedlungsplatz mit Ausblick:
Neandertaler auf dem Plaidter Hummerich
22
Vor 100.000 Jahren
auf dem Tönchesberg …
Nordwestlich der Nette, zwischen den lassen sich die damaligen Lebensbedingun-
Orten Plaidt und Kruft, liegt der Tönches- gen in hervorragender Weise rekonstruie-
berg-Vulkan, der vor rund 200.000 Jahren ren: In den Ebenen lebten Rind, Hirsch,
entstand. Pferd und Steppennashorn, Luchs und Esel.
Hier jagte der Neandertaler und brachte die
Vor dem Lavaabbau war dieser etwa Beute zu seinem Lager auf den Tönches-
250 m hoch und seine Kratermulde mit bis berg. Nach dem Entfernen des wertvollen
zu 25 m mächtigen Ablagerungen gefüllt. In Fleisches wurden fast alle Knochen zerschla-
diesen Ablagerungen fanden sich auch gen, um an das nahrhafte Knochenmark zu
Steingeräte und Jagdbeutereste aus der Zeit gelangen.
des Neandertalers.
Eine Besonderheit ist der Fund von 110
Mit den Funden der etwa 100.000 Jahre Geweihstangen des Rothirsches, deren An-
alten Hauptfundschicht des Tönchesberges häufung bis heute Rätsel aufgibt. Der ›Tönchesberg‹-Vulkan.
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Wer sammelt Geweihe?
Die Funde großer Ansammlungen von resten des Menschen zu zählen sind, ist
Geweihabwurfstangen des Rothirsches am nicht bekannt, was es mit den Abwurf-
Tönchesberg und am Plaidter Hummerich stangen auf sich hat. Auch vereinzelte Biss-
geben Rätsel auf. spuren genügen nicht, um Raubtiere als
Urheber der Geweihansammlungen verant-
Allein vom Tönchesberg stammen die wortlich zu machen. Die Geweihe tragen
fossilen Reste von mindestens 110 Geweih- keinerlei Spuren menschlicher Bearbeitung
Von nordamerikanischen stangen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese oder Benutzung. Auch von anderen Fund-
Indianern aufgetürmte
Geweihstangen, die der Ansammlung zustande kam, weil die Hir- stellen gibt es keine Hinweise darauf, dass
Neuwieder Forschungs-
reisende Maximilian Prinz sche ihre Geweihe immer wieder gerade Neandertaler Geweih verwertet haben.
zu Wied in den 1830er- hier abwarfen. Während die aufgeschlage- Einige wenige Geweihstücke sind zwar
Jahren am oberen Missouri
vorfand. nen Knochen dieser Tiere zu den Beute- angebrannt, doch ist das Material als Brenn-
stoff ungeeignet. Dennoch zeigen die
Brandspuren an, dass der Neandertaler mit
einigen dieser Geweihe hantierte. Ob er
aber die Geweihe auf den Osteifelvulkanen
bewusst zusammentrug und wenn ja, aus
welchem Grund, bleibt unbekannt.
24
Von nah …
Von seinen täglichen Streifzügen brachte nahm der Neandertaler mit auf seinen Weg
der Neandertaler auch Gesteinsrohstücke zum nächsten Lagerplatz. Passt man die
mit. Im Mittelrheingebiet fand er Quarzite zurückgelassenen Stücke wieder zusam-
und Quarze, aber auch Kieselschiefer und men, zeigen die fehlenden ›Puzzleteile‹,
Tonsteine. Diese nahm er mit zu seinen Sied- welche Geräte weggeführt wurden. Sicher-
lungsplätzen, wo er sie geschickt in kleinere lich waren einige dieser Werkzeuge als
Stücke aufspaltete, um aus diesen Stein- Messer in hölzerne Griffe eingesetzt oder als
werkzeuge herzustellen. Spitzen auf Speere gesteckt.
25
… und fern!
An den mittelrheinischen Siedlungsplät- Entfernungen von mehr als 100 km. Der
zen des Neandertalers fanden sich auch Neandertaler hatte sie dort hergestellt und
einige Werkzeuge aus fremden Gesteinen. als Messer in hölzernen Griffen oder als
Diese ›exotischen‹ Steinwerkzeuge wurden Spitzen auf Speeren mit an den Mittelrhein
von weither mitgebracht und geben eine gebracht. Waren diese Werkzeuge hier
Vorstellung von der Größe der Gebiete, die schließlich unbrauchbar geworden, wurden
der Neandertaler durchwanderte. sie durch identische Geräte aus hiesigen
Gesteinen ersetzt. Daher gleichen sich
Standardisierte Steingeräte
des Neandertalers aus un- Die Werkzeuge aus ortsfremdem Feuer- Messer aus ›einheimischen‹ und importier-
terschiedlichen Rohmateri- stein kommen aus der Maasregion und aus ten Materialien oft in Form und Größe.
alien. Plaidter Hummerich,
Wannen-Vulkangruppe. der norddeutschen Tiefebene – also aus
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Neue Menschen – neue Wege:
Innovationen vor 40-25.000 Jahren
Der umfassende Wandel betraf beson- Der Neue Mensch hatte sich eine bis
ders die geistige Kultur: Respektvoll dahin völlig unbekannte spirituelle Dimen-
schmückte der Neue Mensch seine Toten sion erschlossen, die das kulturelle Leben
und stattete sie mit Beigaben aus. Er malte seither beeinflussen sollte.
27
Erste Kunst vor 40-30.000 Jahren
28
Neue Menschen
im Lahntal vor 35-30.000 Jahren
Die Menschen suchten immer wieder aus der benachbarten Wildhaus-Höhle, Dokumentation der frühen
Ausgrabungen in den Lahn-
Höhlen auf. Wegen ihrer günstigen Er- waren im Alltag des Neuen Menschen von talhöhlen aus der Mitte des
haltungsbedingungen bezeugen Höhlen großer Bedeutung. 19. Jahrhunderts.
29
Kunst vor 30-25.000 Jahren
30
Steinbearbeitung
Zu den technischen Neuerungen der Zeit Ausgangsformen dieser teils sehr stan-
vor 40-25.000 Jahren zählt auch die dardisierten Werkzeuge waren zumeist
Steinbearbeitung. Erstmals treten hochspe- Klingen. Diese langschmalen, mehr oder
zialisierte Geräte auf, die zur Verrichtung minder dünnen Abschläge wurden von
ganz bestimmter Tätigkeiten angefertigt besonders präparierten Kernen in größeren
wurden. So fanden Kratzer, Bohrer, Stichel Serien gewonnen. Besonders schmale Klin-
oder als Meißel genutzte Stücke Verwen- gen, so genannte Lamellen, sind eine weite-
dung. Sie unterscheiden sich deutlich von re Innovation dieser Zeit. Sie dienten in über-
den ›Universalgeräten‹ der Neandertaler. arbeiteter Form zur Bewehrung der Speere.
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Nouvelle cuisine – Neuheiten in der Küche
Reibstein aus Wiesbaden, Die großen Tiere der eiszeitlichen Steppe Flussgeröllen zerstoßen, zerstampft und
Adlerquelle.
standen auch auf der Speisekarte des Neuen gemahlen wurde. Diese Arbeiten hinterlas-
Menschen. Bevorzugt stellte man Herden- sen auf den Steinen kleine Aussplitterungen
tieren wie Pferd und Ren nach. Zur Gewin- und Schrammen sowie Polituren.
nung des Marks wurden die Knochen dieser
Tiere in immer gleichen Mustern zerschla- Neu an dieser Küche ist das ›Kochen mit
gen. Doch finden sich auf den Siedlungs- Steinen‹. Mit erhitzten Steinen lässt sich
plätzen auch die Knochen gefährlicher Wasser zum Kochen bringen. Hierzu eignet
Tiere, wie des Höhlenbären, des wollhaari- sich besonders der Quarz, der im Feuer
gen Nashorns und des Mammuts. erhitzt wird, bis er ausreichend Wärme
gespeichert hat. In das Wasser einer Koch-
Erstmals gibt es Hinweise auf die Zube- grube gebracht, bringen die heißen Steine
reitung pflanzlicher Nahrung, die mit harten das Wasser recht schnell zum Kochen.
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Schmuck vor 40-25.000 Jahren
33
Vor 25.000 Jahren:
Siedlungsleere am Höhepunkt der letzten Kaltzeit
34
Nach dem Höhepunkt der letzten Kaltzeit:
Die Wiederbesiedlung Mitteleuropas vor
25-15.000 Jahren Wiederbesiedlung Mittel-
und Nordeuropas nach dem
Kältemaximum der letzten
Kaltzeit
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Eine durchschlagende Idee:
Die Speerschleuder vor 20.000 Jahren
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Dörfer auf Zeit vor 15.000 Jahren in
Gönnersdorf und Andernach
Treffpunkte von Pferdejägern ren Gruppen legten die Menschen oft weite
Strecken in der eiszeitlichen Grassteppe zu-
Die beiden Siedlungen von Gönnersdorf rück. An bestimmten Plätzen trafen sie mit
und Andernach gehören zu den besterhal- anderen Gruppen zusammen. Dort ver-
tenen Fundplätzen des späten Eiszeitalters. brachten sie gemeinsam einen größeren Teil
Sie geben einzigartige Einblicke in die Kultur des Jahres.
und Lebensweise der Jäger- und Sammler-
gemeinschaften vor etwa 15.000 Jahren. Gönnersdorf und Andernach sind zwei
solcher Treffpunkte, an denen sich jeweils
Das Leben dieser Gemeinschaften wurde aus unterschiedlichen Gebieten stammende
wesentlich von ihrer Umwelt und durch den Menschengruppen begegneten. Diese Sied-
Wechsel der Jahreszeiten geprägt. In kleine- lungen liegen beiderseits der Engstelle,
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durch die der Rhein das Neuwieder Becken Abdeckung der Konstruktion dienten, ver-
nach Norden verlässt. Vorbeiziehende Pfer- spannte man und beschwerte sie mit gro-
deherden hatten diese Engstelle zu passie- ßen Steinen. Der Wohnraum war durch
ren, und möglicherweise war dies der Steinsetzungen aufgeteilt, der Hüttenboden
Grund, gerade hier ›Dörfer auf Zeit‹ anzule- mit Schieferplatten ausgelegt. Schiefer-
gen. platten dienten als Arbeitsunterlagen und
Zeichenbretter. Mit Gravuren hielt man
Das Pferdejägerlager von Andernach lag Bilder und Begebenheiten aus der Natur,
auf der linken Rheinseite, das der Gönners- aber auch aus der Vorstellungswelt fest.
dorfer Jäger in Sichtweite unmittelbar ge-
genüber auf der rechten Flussseite. Mög- Die täglichen Arbeiten folgten immer
licherweise haben beide Siedlungen sogar gleichen Regeln und Ordnungen: An einem
gleichzeitig bestanden. Arbeitsplatz neben einer Feuerstelle wurden
Steinwerkzeuge hergestellt, an einem ande-
ren Jagdwaffen ausgebessert. Nahrung
Das Alltagsleben wurde in kleinen Gruben nahe einer
Feuerstelle zubereitet und in wiederum
Die großen Gönnersdorfer Behausungen anderen Gruben aufbewahrt. Die Schlaf-
hatten eine Grundfläche von ungefähr plätze lagen im hinteren Teil der Behausung,
37 m2 und boten genügend Platz für 6-8 der durch eine kleinere Feuerstelle beleuch-
Personen – etwa für eine größere Familie. tet wurde.
Das Gerüst dieser Hütte wurde aus Tätigkeiten, bei denen viel Abfall ent-
schlanken Holzstämmen errichtet, die man stand und die mehr Platz oder Tageslicht
Rekonstruktion eines gro-
ßen Zeltes aus Gönnersdorf. aus dem Rheintal holte. Die Häute, die der erforderten, wie das Reinigen von Tierfellen,
verrichtete man ›draußen‹.
Versorgungslager
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ten Beute. Auch bei Vorkommen von zen waren Teil eines komplexen, weiträumi-
Feuerstein lagerte man regelmäßig, um dort gen Siedlungssystems. Überregionale Kon-
größere Vorräte an Klingen und Werkzeu- takte lassen sich anhand von Schmuck-
gen anzulegen, die in den weiter entfernten schnecken aus dem Mittelmeerraum rekon-
größeren Siedlungen benötigt wurden. struieren, die man in Gönnersdorf und
Andernach fand.
Austausch und Kommunikation zwi-
schen diesen unterschiedlichen Lagerplät-
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Bauelemente
40
Pferdemetzger
an der Andernacher Pforte
Die Hauptbeute der Jäger von Ander- dass die Jagdbeute vollständig verwertet Przewalski-Pferde in der
mongolischen Steppe.
nach und Gönnersdorf war das Pferd. In wurde. Außer Fleisch und Fett wurde auch
und zwischen den Behausungen wurden das Knochenmark verspeist. Um dieses zu
allein in Gönnersdorf die Reste von fast 60 gewinnen, wurden die Röhrenknochen in
Tieren gefunden. Von der viel kleineren immer gleichen Mustern aufgeschlagen.
Grabungsfläche am Martinsberg in Ander- Diese Arbeiten erfolgten an festgelegten
nach stammen die Knochen weiterer 13 Stellen des Wohnplatzes.
Tiere.
41
Wildbret vor 15.000 Jahren
42
Felle, Fisch und Federn
Eisfuchs und Schneehase wurden beson- Schneeeule wurden auch große Wasser- Schwanenknochen aus
Gönnersdorf.
ders ihrer begehrten Felle wegen erlegt; die vögel wie Schwan und Gans erlegt.
Jäger von Gönnersdorf und Andernach stell-
ten ihnen vermutlich mit Fallen nach. In Die großen und ertragreichen Fischarten
einer wohl im Winter bewohnten Gönners- Lachs und Meerforelle dominierten den
dorfer Behausung fanden sich die Reste von Fischfang in Andernach. Die bis zu 1 m lan-
mehr als 30 Eisfüchsen sowie 7 Schnee- gen Fische wurden vermutlich auf ihren
hasen. Wanderungen zu den Laichplätzen abge-
passt.
Der Vogelfang zielte, außer auf das
Fleisch der Vögel, auch auf ihre Federn und
Krallen ab, die sich als Schmuck verwenden
ließen. Neben Schneehuhn, Kolkrabe und
43
Vom Kochen ohne Topf
44
Haushaltshilfen –
vom Mahlen, Reiben und Klopfen
45
Nicht vom Fleisch allein...
Abgesehen von einigen Holzkohlen sind Auch der Körperhygiene dienten pflanz-
in Gönnersdorf und Andernach keine Pflan- liche Materialien, die als Windeln, Menstru-
zenreste erhalten. Doch gab es in den eis- ationsschutz, Wundauflagen, Seifen, Sham-
zeitlichen Grassteppen eine große Zahl poos oder Zahnputzmittel dienten.
nutzbarer Pflanzen – benutzte Gesteine tra-
gen Spuren ihrer Verarbeitung. Da sich kaum pflanzliche Materialien aus
dieser Zeit erhalten haben, sind keine präzi-
Pflanzen sind vielseitig verwertbar und sen Aussagen zu Umfang und Art der
fanden nicht nur als Nahrungs-, Würz- oder Pflanzennutzung möglich. Analogien aus
Heilmittel Verwendung, sondern auch als der Volks- und Völkerkunde (Ethnologie)
Rauschmittel, zur Insektenvertreibung, als berechtigen jedoch zur Rekonstruktion der
Brennstoff, Zunder oder zum Transport von zahlreichen genannten Möglichkeiten. Fra-
Glut, zur Gewinnung von Farbstoffen und gen nach der quantitativen Bedeutung der
Gerbmitteln, als Polstermaterial und Roh- Pflanzennutzung, etwa zur Vorratshaltung,
stoff für Matten, Körbe, Seile und Gewebe lassen sich aber nicht beantworten.
sowie als Schleif- und Poliermittel.
46
wiss. Name deutsche Bezeichnung mögliche Verwendung
Familie / Gattung
Sträucher
Helianthemum Sonnenröschen
Astragalus-Typ Bärenschoten-Art Saft aus Wurzeln zur Herstellung von Lakritz, süßholz-
ähnlich
47
wiss. Name deutsche Bezeichnung mögliche Verwendung
Familie / Gattung
Polygonum bistorta Wiesen-Knöterich, auch als Nahrungsmittel, Heilmittel (Blätter, Wurzeln, Stengel,
-Typ »Eskimo potato« bezeichnet Samen)
Potamogeton Laichkraut
Littorella Strandling
Myriophyllum Tausendblatt
Batrachium-Typ Wasser-Hahnenfuß
Cyperaceae Sauergräser, u.a. Binsen, Ried Flechten von Matten u. Ä. (Blätter, Stengel)
48
wiss. Name deutsche Bezeichnung mögliche Verwendung
Familie / Gattung
Ranunculaceae Hahnenfußgewächse, z. B. viele Arten giftig, nur teilweise essbar (z. B. junge
Scharbockskraut, Sumpf- Blätter, Blütenknospen, Stengelspitzen, Wurzeln,
dotterblume, kriechender Triebe)
Hahnenfuß
49
wiss. Name deutsche Bezeichnung mögliche Verwendung
Familie / Gattung
Sporen
Bäume
Betula; Betula nana Birke, Zwergbirke Heilpflanze, Seifenpflanze (Blätter, Knospen); Roh-
material für Behälter, Birkenpech (Rinde); Nahrungs-
mittel (innere Rinde [Kambium])
Verändert nach: Gisela Schulte-Dornberg, Genutzte Felsgesteine und Gerölle im Magdalénien von Andernach-
Martinsberg und ihre mögliche Funktion (Magisterarbeit Universität Köln 2000) S. 155-167.
50
Steine erzählen: das Werkzeug-Set.
Steinerne Souvenirs von den
Wanderungen durch die Grassteppe
Im Bereich der Behausungen wurden licherweise dienten sie auch als ›Griffel‹ zum
zahlreiche Steingeräte gefunden. Oft wur- Gravieren. Mit groben und feinen Bohrern
den diese an bestimmten Plätzen herge- konnte man Nadeln, Schmuckanhänger und
stellt, aber an gänzlich anderer Stelle ver- Rondelle oder Häute durchstechen. Aus-
wendet oder nachgeschärft. Kleinste Ab- gesplitterte Stücke zeugen von einer Ver-
splisse, die bei der Herstellung und Nach- wendung als Meißel.
schärfung der Geräte anfielen, erlauben die
Lokalisierung dieser Arbeitsprozesse. Die Jäger- und Sammlergruppen, die in
Gönnersdorf und Andernach zusammentra-
Langschmale steinerne Messer, so ge- fen und hier ihre Behausungen bauten, hat-
nannte Klingen, wurden von sorgfältig prä- ten unterwegs große Mengen von Feuer-
parierten Kernen abgeschlagen. Die Kan- steinen aufgesammelt. Solche Rohstoffvor-
tenpartien vieler solcher Klingen wurden räte wurden über eine Entfernung von mehr
wie genormte Werkzeugformen für jeweils als 100 km transportiert und am Siedlungs-
spezielle Aufgaben zugerichtet. platz nach und nach bei der Herstellung von
Steinwerkzeugen aufgebraucht.
Das Werkzeug-Set beinhaltete scharf-
kantige Rückenmesser, die in Schäften aus Anhand solcher ortsfremden Materialien
Holz oder Geweih eingesetzt waren. Kratzer lassen sich die Herkunftsgebiete und
mit halbrunden Arbeitsenden verwendete Wanderrouten des Menschen rekonstruie-
man zum Reinigen der Felle. Mit so genann- ren. Ein Teil der Gruppen aus Gönnersdorf
ten Sticheln, deren Funktionsenden spitz und Andernach kam demnach aus dem
und stabil waren, ließen sich Geweih, Maasgebiet, ein anderer aus der norddeut-
Knochen oder Elfenbein bearbeiten. Mög- schen Tiefebene.
51
Alltägliche Meisterwerke
52
Verziertes Elfenbeinprojektil
(›baguette-demironde‹) aus
Gönnersdorf.
53
Rondelle: runde Rätsel
Graviertes Schieferrondell
aus Gönnersdorf.
Schieferrondelle – runde
Rätsel aus Gönnersdorf.
54
Aus dem Schmuckkästchen: von
Zähnen, Muscheln und Schnecken
55
Bohrer aus Feuerstein und
Schmuck aus fossilem Holz
(Gönnersdorf).
56
Eiszeitliche Kunst
57
Pferdegravuren und Darstel-
lung eines Phantasietiers
(Hase?) aus Andernach.
58
Mammutdarstellungen aus
Gönnersdorf.
59
Darstellung eines Raben
(Gönnersdorf).
60
Rendarstellung aus
Andernach.
61
Die letzten Jäger und Sammler
im Rheinland vor 14.500-7.500 Jahren
Mit der Erwärmung am Ende der Eiszeit Diese Prozesse führten zu tiefgreifenden
kam es zu einer explosionsartigen Zunahme Veränderungen in der Lebensweise der
der Bevölkerung. Der Mensch erschloss sich Menschen. Mit Pfeil und Bogen stellten die
auch die nun eisfrei gewordenen Gebiete im Jäger den standorttreuen Tieren der Wälder
Norden Europas. Die Ausbreitung von nach, die die großen Herdentiere der eis-
Wäldern in Mitteleuropa verlangte ihm die zeitlichen Steppen nach und nach ablösten.
Entwicklung neuer Überlebensstrategien ab. Diese Veränderungen beeinflussten auch
das Siedlungsverhalten der Menschen. In
kleinen, sehr mobilen Gruppen wechselten
sie in rascher Folge ihre Lagerplätze.
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Mit Pfeil und Bogen – die letzten
Jäger und Sammler im Rheinland
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Vor 13.000 Jahren:
der Ausbruch des Laacher-See-Vulkans
64
Vor 14.500-12.800 Jahren:
Lager in lichten Wäldern
65
Vor 14.500-12.800 Jahren:
Jagd in lichten Wäldern
Wann und wo die Idee von Pfeil und Letzte Überlebende der verschwunde-
Bogen zuerst aufkam, ist ungeklärt. Erste nen eiszeitlichen Herdentiere waren die
Pfeilbewehrungen in Form kleiner, ›Feder- Pferde, die aber nur noch eine bescheidene
messer‹ genannter Spitzen treten europa- Rolle als Jagdbeute spielten.
weit vor etwa 14.500 Jahren auf. Doch nur
ein exakt gearbeiteter Pfeil trifft. So sind aus Die Bogenschützen dieser Zeit setzten
dieser Zeit auch ›Pfeilschaftglätter‹ bekannt, hauptsächlich auf Rotwild und Elche an.
mit denen – paarweise verwendet – die höl- Auch jagten sie große Wildrinder. Am Rhein
zernen Pfeilschäfte in eine kerzengerade und seinen Zuflüssen wurden Biber erlegt.
Form ›geschmirgelt‹ wurden.
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Lauern auf Rentiere –
der Kartstein vor 12.000 Jahren.
Die Lebensweise der letzten Jäger und Wieder kalt – eine Ren-
herde durchzieht die
Sammler überdauerte auch die kältere Kli- Tundra.
maphase vor 12.800-11.600 Jahren.
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Vor 11.000 Jahren: Leben am Fluss –
ein Tag wie jeder andere?
Während der Sommermonate vor Fische sorgten für Abwechslung auf dem
11.000 Jahren hatte sich eine Gruppe von Speiseplan. Zahlreiche Bissspuren auf den
Jägern direkt am Ufer eines Altarmes der Erft Knochen zeigen, dass auch hier Hunde zum
niedergelassen. Im seichten Wasser des alltäglichen Leben dazugehörten.
Flusses bei Bedburg-Königshoven am Nie-
derrhein waren die Abfälle leicht zu entsor- Unbrauchbar gewordene Jagd- und
gen. Unter Wasser hat sich der alltägliche Arbeitsgeräte aus Stein und Knochen wur-
›Hausmüll‹ der letzten Jäger und Sammler den ebenfalls ins Wasser geworfen. Kleine
Schnittspuren auf dem
Schulterblatt eines Auer- bis in die heutige Zeit hervorragend erhalten. steinerne Bewehrungen, so genannte Mi-
ochsen (Bedburg-Königs-
hoven). Lediglich die Farbe der Funde hat sich durch krolithen, zeugen von der Reparatur der
den sie umgebenden Torf, der sich im Laufe Jagdpfeile. Für die Bearbeitung von Fellen
der Jahrtausende gebildet hat, verändert. wurden Kratzer benötigt. Sicher gerieten
manche Fundstücke auch nur versehentlich
Die Knochen von Rothirsch, Reh, Pferd, ins Wasser, wie etwa Anhänger aus durch-
Wildschein und vor allem Auerochsen bele- bohrten Tierzähnen.
gen eine vielfältige und intensive Nutzung
der Jagdbeute. Alles wurde verwertet: nicht
nur Fleisch und Knochenmark, sondern
auch das Fell und die Sehnen. Vögel und
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Vor 11.000 Jahren: Leben am Fluss –
auf den Hund gekommen
69
Vor 11.000 Jahren: Leben am Fluss –
Schamanen, Mittler zwischen den Welten
In Bedburg-Königshoven am Niederrhein
ist das alltägliche Leben vor 11.000 Jahren
durch den ›Hausmüll‹ der Jäger und Samm-
ler in einzigartiger Weise überliefert. Um so
erstaunlicher ist der Fund zweier seitlich
durchlochter ›Hirschgeweihmasken‹ inmit-
ten dieses Abfalls.
Frühe ethnographische
Darstellung eines sibirischen
Schamanen.
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Bislang sind nur einige wenige vergleich- Hirschgeweihmaske vom
niederrheinischen Fundplatz
bare Masken aus England und Mecklenburg Bedburg-Königshoven.
bekannt. Den Vergleichsfunden wurden die
Geweihstangen abgeschlagen; auch sind sie
in anderer Weise durchlocht.
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Das museumspädagogische Angebot
im Museum für die Archäologie des Eiszeitalters
Eine wichtige Zielgruppe der museums- ren Erlebnissen wie die adventliche Vorlese-
pädagogischen Arbeit sind Kinder und stunde auf kuscheligen Fellen in der ›Ku-
Jugendliche. Ausgebildete Fachkräfte füh- schelhöhle‹. Experimentelles Arbeiten wie
ren jedes Jahr unzählige Kindergarten- das Anfertigen von Steingeräten, eiszeitli-
gruppen sowie Schulklassen aller Jahr- chem Schmuck oder Gravieren von Schiefer-
gangsstufen und Schultypen durch die Aus- platten ist stets sehr gefragt.
stellung und lassen Geschichtsunterricht
›begreifbar‹ werden. Ständig wird das Angebot an Aktivitäten
erweitert und auf die jeweiligen Personen-
Ein ungewöhnlicher Kindergeburtstag gruppen abgestimmt. Themenbezogene
mit Ausgrabungsaktionen in der hauseige- Spezialführungen und Sonderausstellungen
nen Höhle gehört ebenso zu den besonde- bereichern das Spektrum des Angebots.
Museumspädagogik im
Museum für die Archäo-
logie des Eiszeitalters.
72
Abbildungsnachweis
Einband, S. 11, 14, 44 unten: Michael pert; S. 36 oben, 44 unten, 63: Martina
Ober; S. 1-3, 9 oben, 9 unten rechts, 17 Sensburg; S. 37: Landesdenkmalamt Kob-
oben, 19 unten, 21, 23-24, 29, 42, 52 lenz-Ehrenbreitstein / Bildarchiv des For-
oben, 53-54, 55 unten, 58 oben, 60, 61 schungsbereiches Altsteinzeit des RGZM; S.
unten, 64 unten, 66 rechts, 66 unten, 67 38: Gerhard Bosinski; S. 41 oben: Elaine
oben, 70: Bildarchiv des Forschungsbe- Turner; S. 57 unten rechts, 58 unten links
reiches Altsteinzeit des RGZM / Gerhard und unten rechts, 59, 61 oben: Alan
Bosinski / Petra Schiller; S. 5, 7, 9 unten links, Schmitt und Regina Hecht / Bildarchiv des
12-13, 15-16, 25-26, 28 unten, 35, 36 Forschungsbereiches Altsteinzeit des RGZM;
unten rechts, 39, 65, 66 links, 67 unten, 68, S. 64 oben: Michael Baales.
74: Olaf Jöris; S. 8, 19 oben, 20, 30-32, 33
oben, 36 unten links, 40, 41 unten, 43, 44 Gestaltung der Ikonen: Regina Hecht,
oben, 45, 52 unten, 55 oben, 56, 57 oben, Petra Schiller und Martina Sensburg.
57 unten links, 69, 71-72: Claudia Helle-
brand-Kosche; S. 10 oben: Regina Hecht; S.
10 unten: Sabine Gaudzinski-Windheuser; Verlag und Autoren danken allen Leih-
S. 17 unten: Naturhistorisches Museum gebern für die Bereitschaft, Bildmaterial für
Mainz; S. 22: Landesbildstelle Koblenz; S. diese Publikation zur Verfügung zu stellen.
28 oben: französisches Ministerium für Kul- Leider war es nicht in allen Fällen möglich,
tur und Kommunikation, archäologische die Inhaber der Urheberrechte zu ermitteln.
Abteilung der Regionaldirektion für Kultur- Etwaige Ansprüche kann der Verlag bei
angelegenheiten; S. 33 unten: Johanna Hil- Nachweis regeln.
73
Anfahrt
74
Römisch-Germanisches
Zentralmuseum
Forschungsinstitut für
RG Z M
Vor- und Frühgeschichte