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Deutschland

und
die Deutschen

Landeskunde und Interkulturelle Kommunikation

für Studierende der Abteilung Deutsch

Gothild Thomas

Barbara Haschke

Fachbereich Germanistik

der Universität Duisburg-Essen

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Inhalt
1. Bedürfnispyramide
Universelle Bedürfnishierarchie. Warmsatt-Problem bis Selbstverwirklichung

2. Kulturdefinitionen
Vielschichtigkeit von Kultur. Alles, was man wissen und können muss.

3. Rituale, Symbole, Vorbilder, Werte


Strukturierung des Weltbildes einer Gesellschaft

4. Alltag in Deutschland
Beruf - Freizeit, Stress - Entspannung, Feierabend, Pausen, Wochenende, Urlaub

5. Leistung, Erfolg und der Lohn dafür


Wettbewerb und Initiative. Wagnis und Risiko. Wirtschaft und Individuum

6. Das soziale Netz


Großfamilie oder Staat, öffentlich oder persönlich

7. Sicherheitsbedürfnis
Zukunftsangst und Ökologie

8. Toleranz und Freiheit


Multikulti- Gesellschaft, Vorurteile, Gewinn und Probleme

1. Höflichkeit und Rücksichtnahme


Formen des Umgangs miteinander, verbale und nonverbale Kommunikation

10. Persönlichkeitsentwicklung
Erziehung, Bildung, soziale Kontakte. Charakter und Verantwortung

11. Lebensplanung
Gestaltung des eigenen Lebens. Familienstrukturen. Formen des Zusammenlebens

12.Frauen und Mädchen


Anders als ihre Großmütter. Erziehung und Selbstverständnis

13. Partnerschaft
Männerwelt, Frauenwelt, Kinderwelt, Freunde, Kollegen

14. Religiosität
Glaube und Religion, Konfession, Kirche, Religionen der Welt

15. Altern in Deutschland


Alterspyramide, Frauen, Hierarchien

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1. Bedürfnispyramide
Universelle Hierarchie der Bedürfnisse

Vom Warm-Satt-Problem bis zur Selbstverwirklichung

Die Menschen auf der Welt unterscheiden sich deutlich voneinander. Die Umgebung,
in der sie leben, beeinflusst die Art, wie sie sich kleiden, welche Sprache sie sprechen
und wie sie miteinander umgehen.

Dennoch haben alle Menschen die gleichen grundlegenden Bedürfnisse. Als


Bedürfnisse bezeichnet man alles, was ein Mensch zum Leben braucht. Dazu gehören
unter anderem die Nahrung, Schlaf und Schutz vor Gefahren, aber auch die
Gemeinschaft mit anderen Menschen und der Wille zur Selbstverwirklichung.

Da die einzelnen Bedürfnisse unterschiedlich wichtig für das Überleben und


Wohlergehen sind, teilt man sie häufig in eine Pyramide mit verschiedenen Stufen ein,
die aufeinander aufbauen.

Jeder Mensch strebt danach, möglichst alle seine Wünsche zu erfüllen. Allerdings
müssen zuerst die wichtigsten, grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sein. Erst danach
kann man sich um andere Dinge kümmern. Je mehr Wünsche eines Menschen erfüllt
sind, desto glücklicher ist er.

• Die unterste Stufe der Bedürfnispyramide enthält alle körperlichen


Grundbedürfnisse, also die Dinge, die zum Überleben unbedingt notwendig sind.
Dazu gehören zum Beispiel ausreichend zu essen und zu trinken, Schlaf und
Wärme. Das Fehlen von Nahrung oder Schlaf führt zu Krankheit und im
schlimmsten Fall zum Tod.

• In der nächsten Stufe fasst man die Dinge zusammen, die die Sicherheit betreffen.
Ein fester Wohnort und Gesundheit sind die wichtigsten Elemente dieser Stufe.
Auch Gesetze und die Religion gehören dazu, da sie Regeln vorgeben. So hat
jeder die Sicherheit zu wissen, wie er sich verhalten soll und welches Verhalten
andere Menschen von ihm erwarten.

• Sind diese Bedürfnisse abgedeckt, folgt als dritte Stufe der Pyramide der Wunsch
nach sozialen Beziehungen. Jeder möchte zu einer menschlichen Gemeinschaft
gehören. Man ist Teil einer Familie und baut einen Freundeskreis auf. Wenn
man mit Menschen zusammen sein kann, die einem nahe stehen, fühlt man sich
wohl.

• Damit man zufrieden sein kann, müssen die untersten drei Stufen der Pyramide
erfüllt sein. Jeder Mensch ist motiviert, diese zu erfüllen. Sind alle
Gründbedürfnisse abgedeckt, gilt sein Interesse als nächstes der sozialen

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Anerkennung. Damit ist gemeint, dass jeder den Wunsch hat, von anderen
Menschen Beachtung und Anerkennung zu bekommen. Er möchte einen
bestimmten Status erreichen und ein möglichst gutes Ansehen genießen. Dies
kann zum Beispiel in Form von Auszeichnungen oder Siegen bei Wettbewerben
geschehen. Auch Macht, Geld (ein gutes Einkommen) und der Besitz von
Statussymbolen gehören oft dazu.

• Die höchste Stufe der Bedürfnispyramide ist die Selbstverwirklichung. Jeder


Mensch hat ganz eigene, individuelle Wünsche und Vorstellungen. Man möchte
seine Talente entfalten und weiterentwickeln, zum Beispiel in der Musik oder in
einem Sport und sich so von anderen Menschen absetzen. Die eigene
Persönlichkeit soll ausgelebt werden, und dies kann auf sehr unterschiedliche
Arten geschehen.

Während die Erfüllung der Grundbedürfnisse dazu führt, dass Menschen zufrieden sind,
kann die Erfüllung der vierten und fünften Stufe, also der sozialen Anerkennung und
der Selbstverwirklichung die Menschen glücklich machen. So, wie sich der Geschmack
in Bezug auf Nahrung, Kleidung oder Kunst bei einzelnen Menschen unterscheidet, so
brauchen sie auch unterschiedliche Dinge, um glücklich zu werden.

Deutschland ist ein Sozialstaat. Dies bedeutet, dass der Staat sich um diejenigen
Menschen kümmert, die selbst nicht in der Lage sind, für sich und ihre Familien zu
sorgen. Diese Menschen werden sozusagen aufgefangen wie in einem Netz. Sie
bekommen einen Platz zum Schlafen und ausreichend zum Essen und zum Trinken, bis
sie wieder für sich selber sorgen können.

Das bedeutet, dass für alle Menschen in Deutschland die unterste Stufe der
Bedürfnispyramide schon erfüllt ist. Niemand muss verhungern oder erfrieren. Die
Deutschen können sich also mehr Gedanken über die Erfüllung der weitergehenden
Bedürfnisse machen.

Vor sechzig Jahren war das nicht so. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte es vielen
Menschen im zerstörten Deutschland an Nahrung und Kleidung. In den kalten Wintern
der Nachkriegsjahre sind viele Menschen verhungert oder erfroren. Da dachte jeder
zuerst daran, wie er für den nächsten Tag ausreichend zu essen für sich und seine Familie
bekommen konnte. An Selbstverwirklichung konnten die Menschen damals kaum
denken.

Sicherheit ist für die Menschen in Deutschland extrem wichtig. Sie schließen viele
Versicherungen ab, zum Beispiel gegen Diebstahl und Einbruch. Fast alle Deutschen
haben auch eine Krankenversicherung, die die Kosten für Arztbesuche oder
Medikamente bezahlt. Es gibt alle Arten von Versicherungen, die das persönliche
Risiko verringern oder ausschalten. …

In der dritten Stufe der Pyramide hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Früher
war es üblich, dass Familien zusammenlebten. Oft wohnten drei Generationen einer
Familie im selben Haus, so dass man immer Verwandte in der Nähe hatte. Einsamkeit

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konnte so kaum aufkommen. Heutzutage leben viele Deutsche alleine. Einige müssen
ihre Familien verlassen und an einen anderen Ort umziehen, um einen geeigneten
Arbeitsplatz zu bekommen. Andere entscheiden sich, keine Familie zu gründen und
lieber unabhängig zu sein.

Da aber jeder Mensch den Wunsch hat, mit anderen zu kommunizieren, werden heute
die Freunde immer wichtiger. Es bilden sich Freundeskreise aus einer Gruppe von
Menschen, die viel gemeinsam unternehmen und sich gegenseitig unterstützen können.
Diese Freundeskreise ersetzen für viele die Familien.

Viele Deutsche müssen sich keine Gedanken über die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse
machen und können sich so auf die oberen Stufen der Bedürfnispyramide konzentrieren.
Der Wunsch nach Selbstverwirklichung ist sehr stark ausgeprägt, und es gibt sehr viele
Arten, ihn auszuleben. Die Freizeit ist für viele wichtiger als die Arbeit, und man
investiert viel Zeit und Geld in die Ausübung von Hobbys.

Oft spricht man sogar von einer Freizeitindustrie. Das heißt, es gibt immer mehr
Möglichkeiten und Angebote, wie man seine Freizeit verbringen und nutzen kann.

Nach einer Naturkatastrophe wie einem Erdbeben oder einer Überschwemmung kann
man erkennen, wie sich die Bedürfnisse der Menschen verändern. Zuerst wird sich jeder
um die elementaren Dinge wie Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf und ein
Nachtlager kümmern. Sobald diese Wünsche erfüllt sind, streben die Menschen nach
Sicherheit. Ist auch das erreicht, wird man sich darum kümmern, Kontakt zu den
Verwandten und Freunden herzustellen.

Erst wenn das alles wieder in die Normalität übergegangen ist, kann man sich auch um
seine soziale Stellung, um Macht und Ansehen kümmern. Danach wird man sich wieder
den Dingen zuwenden, die einem ganz persönlich Freude machen.

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1. Bedürfnispyramide
Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Zeichnen Sie eine Pyramide, auf der Sie die Bedürfnisse wie Stufen anordnen.

2. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Grundbedürfnisse jederzeit erfüllt werden?

3. Erfüllt jeder Mensch seine Bedürfnisse auf die gleiche Art und Weise?

4. Warum werden die einzelnen Bedürfnisse wie Stufen einer Pyramide angeordnet?

5. Sie haben zu einem Festtag einen schönen neuen Anzug gekauft. Auf welcher Stufe
der Pyramide würden Sie diesen Anzug einordnen?

6. Ihre Verwandten haben zu Hause einige Schafe. Aus der Milch machen sie Käse,
und einmal im Jahr wird ein Hammel geschlachtet. Ihre Familie dagegen hat zwei
Pferde, auf denen Sie und Ihre Brüder reiten lernen. Sind diese Schafe und die Pferde
auf der gleichen Stufe der Bedürfnispyramide anzuordnen?

7. Ihr Freund möchte gerne Musik studieren. Es ist sein größter Wunsch, Pianist zu
werden. Er ist sehr begabt und sehr fleißig, und seine Lehrer meinen, er hätte Talent und
könnte sehr erfolgreich sein. Seine Eltern sind aber gegen ein Musikstudium. Sie wissen,
dass man als Pianist nicht genügend Geld verdienen kann, um eine Familie zu ernähren.
Was hat diese Auseinandersetzung mit der Bedürfnispyramide zu tun?

8. Ihre Cousine lernt nähen. Sie ist sehr geschickt, aber es gibt Dinge, die sie zwar sehr
gut kann, die sie aber sehr ungern macht, zum Beispiel die Strümpfe ihrer Brüder
stopfen. Andererseits zaubert sie aus einem Stückchen Stoff und ein paar bunten Fäden
die schönsten Stickereien. Was wird die Familie höher bewerten? Die gestopften
Strümpfe oder die Stickereien? Unter welchen Bedingungen wird die Familie die
Stickereien höher bewerten als ein Paar gestopfter Strümpfe?

9. Nach einem Erdbeben sind viele Häuser zerstört, und es sind auch Menschen ums
Leben gekommen. Sie kommen als Helfer in das Erdbebengebiet, und Sie hören die
Menschen klagen. Die meisten wissen nicht, wo sie mit ihrer Familie wohnen sollen,
andere haben ihr Vieh verloren und können ihre Familien nicht ernähren. Viele klagen
auch über den Verlust eines geliebten Menschen. Ein Mann bittet Sie, einen wertvollen
Schrank aus den Trümmern seines Hauses zu retten. Was denken Sie darüber?

10. Auf welcher Stufe der Pyramide würden Sie Ihr Studium anordnen?

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2. Kulturdefinitionen

Vielschichtigkeit von Kultur


Hochkultur oder Alltagskultur - materielle oder geistige Kultur
Alles, was man wissen und können muss

Was verstehen Sie unter Kultur? Können Sie das Wort erklären? Sicher wird es Ihnen
nicht leicht fallen, eine Definition zu finden, die alle Aspekte von Kultur umfasst. Wenn
Sie in einem Lexikon das Wort Kultur nachschlagen, werden sie sehen, dass auch die
Wörterbücher Schwierigkeiten haben zu definieren, was Kultur ist.

Das Wort Kultur stammt aus dem Lateinischen. Im alten Rom bezeichnete man damit
die Landwirtschaft, nämlich das Kultivieren von Pflanzen, damit sie eine möglichst
große Ernte einbringen.

Die frühen menschlichen Lebensgemeinschaften bezeichnet man als Jäger und


Sammler. Sie sammelten die Früchte und jagten die Tiere, die in der Natur vorkamen,
um sie zu essen, aber sie veränderten diese Pflanzen und Tiere nicht. Erst als sie
anfingen, den Boden zu bearbeiten und Haustiere zu halten, sprach man von Kultur.
Man unterscheidet also zwischen Naturvölkern und Kulturvölkern.

Wir können in diesem Sinn einen Gegensatz zwischen Natur und Kultur erkennen. Die
Natur ist alles das, was von selbst wächst, ohne dass der Mensch eingreift. Nun wählt
sich der Mensch die Pflanzen aus, die für ihn als Nahrung dienen können, und verbessert
diese Pflanzen, indem er ihnen guten Boden, Wasser und Nährstoffe gibt, damit die
Früchte größer werden und die Menschen besser ernähren können. Ähnlich wird mit den
Tieren verfahren. Tiere werden gezähmt und gezüchtet, damt sie dem Menschen als
Nahrung oder als Arbeitskraft dienen. Alles das, was der Mensch aus der Natur macht,
ist Kultur.

Wir können Kultur aber auch ganz anders verstehen. Kultur ist alles das, was eine
Gemeinschaft von Menschen im Lauf der Zeit erworben hat. Jeder Mensch dieser
Gemeinschaft hat an dem gemeinsamen kulturellen Erbe teil. Beispielsweise ist das
Schreiben und Lesen ein kultureller Besitz, den die Gemeinschaft teilt, aber auch die
praktischen Fähigkeiten, Hausbau und Gesundheitspflege, Kleidung und Wohnstil,
Nahrungszubereitung etc. gehören zur Kultur.

Sowohl die Gegenstände, die eine Gemeinschaft besitzt, als auch das Wissen über diese
Gegenstände sind gemeinsamer kultureller Besitz. Jeder von uns kennt einen Hammer
oder eine Nadel. Hammer und Nadel sind materielle Kulturgüter. Wir wissen aber auch,
wozu man einen Hammer oder eine Nadel benutzen kann und wie sie hergestellt werden.
Dieses Wissen ist unsere geistige Kultur. Wir können unsere gesamte Kultur unterteilen
in materielle und geistige Kultur.

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Wir können unsere Kultur aber auch noch auf andere Weise beschreiben. Wenn wir von
unserem kulturellen Erbe sprechen, meinen wir oft nur die besonderen Kunstwerke, die
herausragenden Gebäude, die bekanntesten Bilder, Romane oder Musikstücke unseres
Volkes. Diese besonders hochwertigen Werke der Kultur können wir mit dem Wort
Hochkultur zusammenfassen. Im Gegensatz dazu steht die Alltagskultur, das sind die
Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Löffel, Kleidung, Hacke und Pflug, Papier
und Schreibstift, Zahnbürste etc. Dazu gehören auch gutes und schlechtes Benehmen
und die Sitten und Gebräuche. Wir haben also auch hier zwei Aspekte von Kultur, die
sich ergänzen: Hochkultur und Alltagskultur.

Neben der Kultur eines Volkes können auch Gruppen innerhalb dieser Gemeinschaft
eigene Formen ausbilden, die man dann als Subkultur bezeichnen kann. Man spricht
beispielsweise von der Jugendkultur, die sich gegenüber der Kultur der Erwachsenen
abgrenzt, oder von der Unternehmenskultur, die das Verhalten innerhalb eines
Unternehmens gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Zulieferern umfasst.

Betrachten wir die Gegensatzpaare, die sich jeweils ergänzen, um die Gesamtheit der
Kultur zu umfassen, dann scheint es fast, als gäbe es nur eine gemeinsame Kultur der
Menschheit. Wenn ich aber die Deutschen und andere Völker betrachte, dann
unterscheiden sich die Kultur der anderen und die der Deutschen in einigen wesentlichen
Punkten. Deutliche Unterschiede kann ich zum Beispiel zwischen der amerikanischen
und japanischen, arabischen oder russischen Kultur erkennen. In diesem Sinn können
wir von Kulturen im Plural sprechen, auch wenn sich große Bereiche dieser Kulturen
ähnlich oder gleich sind.

Wenn ein Kind geboren wird, bringt es noch keine Kultur mit auf die Welt. Kultur wird
erst im Lauf des Lebens erworben. Das Kind lernt sprechen, es lernt laufen und Geräte
zu benutzen, und es lernt unendlich viele Dinge über das Zusammenleben von
Menschen. Alles das ist Kultur. Indem das Kind die einzelnen Fertigkeiten lernt, die es
im Leben braucht, erwirbt es Kultur. Nur so ist zu erklären, dass jedes Kind die Kultur
erwirbt, in der es aufwächst. Ein chinesisches Kind, das in einer europäischen
Umgebung aufwächst, wird die europäische Kultur erwerben. Wenn es dagegen mit
seiner Familie in Europa lebt, wird es sowohl die chinesische als auch die europäische
Kultur aufnehmen, denn die Familie prägt ein Individuum ebenso wie die Menschen,
mit denen man außerhalb der Familie zusammen trifft.

Wenn Sie ins Ausland gehen, werden Sie erkennen, dass sich sowohl die materielle als
auch die geistige Kultur anderer Völker von Ihrer eigenen unterscheiden. Auch die
Hochkultur bzw. die Alltagskultur anderer Völker unterscheidet sich von der
Hochkultur und Alltagskultur Ihres eigenen Volkes. Sie erkennen, dass es sowohl
Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede gibt.

Auch die Sitten und Gebräuche unterscheiden sich. Wenn Sie sich im Ausland so
verhalten, wie Sie das von zu Hause gewöhnt sind, werden Sie bestimmt auffallen, weil
Sie anders sind und sich anders verhalten als es die Leute dort gewöhnt sind. Wenn Sie
sich dort unauffällig verhalten wollen, müssen Sie sich anpassen. In diesem Sinn ist

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Kultur alles das, was man wissen und können muss, um sich in einer fremden Umgebung
unauffällig bewegen zu können.

In der Interkulturellen Kommunikation geht es um die Begegnung zwischen Menschen,


die in unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen und zu Hause sind. Hier kommt es oft
zu Missverständnissen, die auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen sind. Denn was
in einer Kulturgemeinschaft als gut und richtig empfunden wird, kann in einer anderen
als falsch oder schlecht angesehen werden.

Wenn sich die Bewertungen von Kultur zu Kultur unterscheiden, müssen wir uns aus
unserem gesamten Wertesystem lösen, sobald wir uns in den Bereich einer anderen
Kultur begeben. Das ist ungeheuer schwer. Solange es nur um Rituale oder Symbole
geht, kann man sich leicht an eine andere Kultur anpassen. Es ist leicht zu sagen: In
Deutschland gilt es als schlechtes Benehmen, beim Essen zu schlürfen und zu
schmatzen, aber in Japan ist das in Ordnung. Dann müssen wir das ertragen, und manche
Menschen gehen so weit, dass sie es selber auch so machen. Andererseits empfinden die
Japaner uns als ekelhaft, weil wir uns lautstark ins Taschentuch schnäuzen, was für die
Japaner äußerst ekelerregend ist.

Sehr viel schwieriger ist es, wenn nicht nur die Gewohnheiten, sondern auch die Werte
betroffen sind. Wir haben seit unserer Kindheit gelernt, dass es sehr schlimm ist, wenn
man lügt. Wir bemühen uns unter allen Umständen, ehrlich zu sein. Aber wenn wir in
ein anderes Land kommen, dann empfinden uns die Leute dort als rücksichtslos, weil
wir so unhöflich sind, die Wahrheit zu sagen, anstatt das zu sagen, was der andere hören
möchte, auch wenn das vielleicht nicht ganz der Wahrheit entspricht.

Das hat leider manchmal auch zur Folge, dass wir die Menschen dort verachten, weil
sie uns die Unwahrheit sagen, wir fühlen uns belogen und hintergangen, obwohl es doch
nur ein anderes System des menschlichen Zusammenlebens ist. Wer längere Zeit als nur
ein paar Urlaubswochen in einem fremden Land verbringt, der wird völlig verunsichert,
weil alles das, was er gelernt und woran er geglaubt hat, plötzlich nicht mehr zutrifft.

Natürlich gibt es noch Gemeinsamkeiten, aber man kann sich auf nichts mehr verlassen,
solange man nicht herausgefunden hat, welche Tatsachen und Annahmen noch gelten
und welche nicht. Wer andererseits diesen Kulturschock überstanden hat, der kann das
fremde Land auf eine ganz neue Art kennen lernen und wird alles, was neu und anders
ist als „zu Hause“, als Bereicherung empfinden.

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2. Kulturdefinitionen
Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Nennen Sie drei Kulturdefinitionen und erläutern Sie sie

2. In welchen Gegensatzpaaren lässt sich Kultur ausdrücken?

3. Hier sind einige Gegenstände aus dem Bereich der materiellen Kultur. Erklären Sie,
welche geistige Kultur zu jedem der Gegenstände gehört:
Kerze, Handy, Seife, Brot, Buch, Uhr, Blumenstrauß, Schiff, Fußball

4. Ein Schuster hat ein Stück Schafsleder, daraus will er ein Paar Schuhe machen.
Welche materiellen und geistigen Kulturgüter braucht er dazu? Welche sind in dem
Leder schon enthalten?

5. In einem trockenen Landstrich lebt eine gefährliche Giftschlange. Ein Arzt hat
herausgefunden, dass das Gift der Schlange eine bedrohliche Krankheit heilen könnte.
Dazu muss er die Natur in Kultur umwandeln. Wie kann er das?

6. Eine Kulturdefinition im Text heißt:


Natur ist alles, was von selber da ist (ohne das Zutun von Menschen)
Kultur ist das, was der Mensch daraus macht (zur Verbesserung des Lebens)
Was an einem Kalender ist Natur, was daran ist Kultur?

7. Nennen Sie Beispiele für Werke der Hochkultur in Deutschland und in Ihrem Land

8. Nennen Sie Beispiele für Verhaltensweisen, die in Deutschland anders sind als in
Ihrem Heimatland. Wie begrüßt man sich? Welche Regeln gelten beim Essen?

9. Würden Sie ein Auto / ein Abendkleid / ein festliches Essen eher zur Hochkultur
oder zur Alltagskultur rechnen?

10. Was bedeutet es, sich in einer fremden Umgebung unauffällig zu bewegen?

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3. Rituale, Symbole, Vorbilder, Werte

Strukturierung des Weltbildes einer Gesellschaft

Wenn Menschen zusammen leben, ist ein gewisses Maß an Ordnung und Strukturierung
des Lebens notwendig. Die Menschen brauchen eine zeitliche Ordnung. Wenn die Leute
schlafen, essen oder arbeiten, wollen sie nicht gestört werden. Auch der Ablauf eines
Tages oder eines Jahres wird strukturiert, denn der Mensch ist von der Natur so angelegt,
dass er nach einer anstrengenden Arbeit eine Ruhezeit braucht, um sich zu regenerieren.

Daher haben die Menschen sich die Zeit des Tages und des Jahres eingeteilt in
Arbeitszeit und Ruhezeit. In den meisten Kulturen wird die Nacht, d. h. die Zeit, in der
es dunkel ist, zum Schlafen genutzt, während man den Tag mit dem hellen Licht für die
Arbeit verwenden kann. Aber es gibt auch Gegenden, in denen die Zeit um Mittag zur
Ruhe genutzt wird, weil man in der Mittagshitze nicht gut arbeiten kann. Dann wird
meistens der Abend länger ausgedehnt.

Auch das Jahr wird von Ruhezeiten unterbrochen. In Gesellschaften, in denen die
meisten Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, wird der Rhythmus durch die
Jahreszeiten vorgegeben. Zur Zeit der Ernte muss intensiv gearbeitet werden. Danach
kommt für die Felder eine Ruhezeit, die die Menschen auch zur Ruhe oder für andere
Aktivitäten nutzen können. In Gesellschaften, in denen die Landwirtschaft keine große
Rolle mehr spielt, nehmen die Menschen Urlaub, um sich von der Arbeit zu erholen.
Auch dadurch wird ein Wechsel von Anstrengung und Entspannung erreicht.

Auch das Lebensalter spielt eine Rolle in der Strukturierung. In der Kindheit muss der
Mensch vor allem lernen, und er erreicht noch nicht seine volle Leistungsfähigkeit. Als
Erwachsene wenden die Menschen an, was sie in der Kindheit gelernt haben, und sie
sind auf der Höhe ihrer körperlichen und geistigen Kraft. Im Alter läßt dann die
Leistungsfähigkeit wieder nach. Auch das trägt zur Strukturierung der Zeit bei.

Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich strukturieren die Menschen ihre Umwelt.
Jeder Mensch braucht einen Ort, an den er sich ungestört zurückziehen kann. Wir
erwarten, dass andere Menschen unseren persönlichen Raum, unser Haus, unser
Zimmer, unseren Arbeitsplatz, respektieren.

Wenn wir unsere Welt zeitlich oder räumlich organisieren, tun wir das oft mit Hilfe von
Ritualen. Rituale sind immer wiederkehrende Handlungen, die zeitliche oder räumliche
Abschnitte voneinander abgrenzen. Beispielsweise der Gruß am Morgen, der
Gutenachtkuss für die Kinder, das gemeinsame Essen oder das lange Schlafen am
Wochenende.

Rituale begleiten unser Leben und geben ihm Struktur. Jahrestage, die wir jedes Jahr an
einem bestimmten Tag feiern, sind Rituale, die den gleichförmigen Alltag unterbrechen.
Dazu gehören beispielsweise Erntedankfest, Kirmes oder Schützenfest, Karneval, und
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die religiösen Festtage des Jahres. Zu den Festtagen besuchen wir jedes Jahr die
Großeltern. Auch solche Besuche sind Rituale, die dem Leben eine Struktur geben.

Vor allem Kinder brauchen solche festen Rituale. Beispielsweise wollen Kinder, dass
die Familie gemeinsam die Mahlzeiten einnimmt, dass die Mutter sie jeden Abend ins
Bett bringt, oder dass sie ihnen nachwinkt, wenn sie sich auf dem Weg zur Schule
machen. Für Kinder sind die persönlichen Feiertage wie Geburtstag, Namenstag oder
Schuleintritt besonders wichtige Einschnitte im Leben, die durch Rituale
gekennzeichnet sind.

Symbole sind Zeichen, die wir an Stelle einer längeren oder komplizierten Information
verwenden. Wenn jemand ein bestimmtes Lied singt, will er uns vielleicht an ein
gemeinsames Erlebnis erinnern. Wenn ein Junge seinem Freund einen Ball zeigt, will
er damit vielleicht fragen, ob sie zusammen spielen wollen. Wenn der Lehrer den Finger
auf die Lippen legt, will er damit vielleicht andeuten, dass die Kinder leise sein sollen.
Das Lied, der Ball und der Finger auf dem Mund sind Symbole, denn sie stehen für eine
umfassende Bedeutung.

Nationale Symbole sind die Flagge und die Hymne, die für das Vaterland stehen. Auch
Farben können symbolische Bedeutung haben. Die Religionen haben ihre eigenen
Symbole, wie z. B. der Halbmond für den Islam oder das Kreuz für das Christentum.
Zahlen haben in den verschiedenen Kulturen unterschiedliche symbolische Bedeutung.
Fast überall gibt es Glückszahlen und Unglückszahlen.

Auch Vorbilder helfen uns, unser Leben zu strukturieren. Wenn ich in einer unklaren
Situation nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, werde ich mich vielleicht an meinem
Vater oder Lehrer oder an einem anderen Menschen orientieren, den ich bewundere und
von dem ich glaube, dass er diese Situation besser meistern kann als ich. In jeder Kultur
gibt es Vorbilder oder Helden, die Außerordentliches geleistet haben und die von
anderen Menschen bewundert werden. Das kann ein Sportler sein oder ein Künstler, ein
Ingenieur oder ein Geistlicher. Wenn wir ihn oder sie bewundern, versuchen wir ihm
ähnlich zu werden, und das gibt uns ein Ziel, an dem wir uns orientieren.

Schließlich sind es die inneren Werte, die unsere Ziele und Handlungen bestimmen.
Aber welche Werte die Menschen leiten, ist sehr schwer zu erkennen. Den meisten
Menschen ist nicht bewusst, welche Werte ihrem Denken und Handeln zu Grunde
liegen.

Viele Menschen werden Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit als hohe Werte einschätzen.
Wenn jemand etwas verspricht, will man sicher sein, dass er dieses Versprechen auch
hält. Unehrliche oder unzuverlässige Menschen, die nur versprechen, aber nichts halten,
werden in allen Gesellschaften wenig geschätzt und manchmal sogar verachtet. Aber
bei den Deutschen werden diese Eigenschaften besonders wichtig genommen und gelten
als Grundlagen des Charakters.

Auch Höflichkeit und Rücksichtnahme sind von den meisten Gesellschaften geachtete
Werte. Im täglichen Leben machen wir uns jedoch darüber wenig Gedanken, denn die

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Eigenschaften, die unsere Gesellschaft hoch oder niedrig bewertet, werden uns mit
unserer Erziehung von Kindheit an mitgegeben. Wir beurteilen die Mitmenschen
danach, ob sie sich an die Werte halten oder nicht.

In Deutschland kommt die Diskussion über Werte und über die Vermittlung von Werten
immer wieder auf. Besonders in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts fand ein
deutlicher Wertewandel statt. Pflicht und Gehorsam, die seit der preußischen Herrschaft
sehr hoch bewertet wurden, haben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
ihre Dominanz verloren, während die Menschen sich bemühten, lockerer zu werden und
ihr Leben selbst zu bestimmen.

Vor allem im Zusammenhang mit den Zuwanderern, deren Wertesystem sich oft
grundlegend von den traditionellen Werten der Deutschen unterscheiden, kommt es
auch heute immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, die oft auch in den Medien
ausgetragen werden. Dabei darf aber nie außer Acht gelassen werden, dass immer zwei
Extreme einander gegenüber stehen. Zwischen Ehrlichkeit und Unehrlichkeit gibt es
unendlich viele Nuancen, und manchmal müssen wir Kompromisse schließen.

Immer wieder müssen wir uns entscheiden, welchen Wert wir höher bewerten als
andere, wenn beispielsweise eine ehrliche Antwort auf eine Frage den Gesprächspartner
beleidigen würde. Wenn jemand fragt: „Wie gefällt dir mein neues Kleid?“ dann sind
wir manchmal nicht ganz ehrlich und sagen lieber, es gefiele uns sehr gut, auch wenn
wir eigentlich anderer Meinung sind. In diesem Fall ist abzuwägen, ob die Ehrlichkeit
oder die Rücksichtnahme höher zu bewerten ist.

Es gibt aber viele Deutsche, die die Ehrlichkeit in jedem Fall höher bewerten als die
Rücksichtnahme. Sie zögern nicht, ihre Meinung zu äußern, auch wenn diese dem
Gesprächspartner gegenüber beleidigend sein kann. Man hört in diesem Fall oft die
Bemerkung: „Ist doch wahr!“ Damit rechtfertigen sich Deutsche oft für eine Grobheit
oder Unfreundlichkeit.

Man kann sich die Kultur vorstellen wie eine Zwiebel. Die äußere Schicht, also das, was
man sehen und beobachten kann, sind die Rituale. Symbole sind schon nicht mehr ganz
so deutlich zu erkennen und den Menschen auch weniger bewusst. Noch tiefer liegen
dann die Vorbilder. Man bewundert sie, aber man denkt darüber wenig nach.

Schließlich sind es die Werte, die nicht verhandelbar sind. Da gewährt man anderen
Menschen nicht gerne einen Einblick. Wertediskussionen werden deshalb auch oft sehr
emotional geführt. Im Umgang mit Menschen anderer Kulturzugehörigkeit sind es aber
gerade die Werte, die zu Missverständnissen und Meinungsverschiedenheiten führen.

3. Rituale, Symbole, Vorbilder, Werte

Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe


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1. Welche Rituale haben Sie heute schon ausgeführt?

2. Welche Rituale sind Ihnen in Ihrer Kindheit besonders wichtig gewesen?

3. Welche Rituale strukturieren Ihr Leben als Student(in)? Machen Sie in den
Semesterferien einen Unterschied zwischen dem Alltag und dem Wochenende?

4. Gibt es einen Raum, der nur Ihnen allein gehört? Respektieren andere diesen Raum?
Wie sichern Sie diesen Raum ab? Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihren persönlichen
Raum nicht respektiert?

5. Kennen Sie jemanden, der einen Ehering trägt? Warum tut man das?

6. Welche Farbe hat Ihre Landesfahne? Kennen Sie die Bedeutung der Farben?

7. Was bringt Ihrer Meinung nach Glück, was bringt Unglück? Gibt es bestimmte
glückbringende Daten?

8. Würden Sie eher Ihren Vater oder Ihre Mutter als Vorbild ansehen? Warum?

9. Haben Ihre Brüder / Schwestern die gleichen Vorbilder wie Sie?

10. Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Ihre Geschwister / Nichten und Neffen
Sie als Vorbild nehmen könnten? Warum tun sie das?

11. Haben Sie schon einmal eine Situation erlebt, in der Sie nicht vorbildlich gehandelt
haben? Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

12. Sie sind zu einem Familienfest eingeladen. Es wird fröhlich gefeiert. Anschließend
helfen Sie noch beim Aufräumen. Bei den Abfällen im Mülleimer finden Sie zufällig
einen wertvollen Ring. Was tun Sie?
a) Sie schenken den Ring Ihrer Freundin, denn wenn Sie ihn nicht zufällig bemerkt
hätten, wäre er sowieso weggeworfen worden.
b) Sie geben ihn der Gastgeberin, damit sie nachfragen kann, wer den Ring verloren
hat.
c) Sie verkaufen den Ring und schenken der Gastgeberin zum Dank Blumen.

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4. Alltag in Deutschland

Beruf und Freizeit, Stress und Entspannung


Feierabend, Pausen, Wochenende, Urlaub

Der Alltag in Deutschland ist ziemlich anstrengend. Die meisten Deutschen müssen
Beruf und Familie „unter einen Hut bringen“, das heißt, beide Bereiche müssen
miteinander vereinbart werden. Das gilt für Männer und Frauen. In der Mehrzahl sind
sowohl Männer als auch Frauen berufstätig. Das bedeutet, dass sie von Montag bis
Freitag acht Stunden täglich außer Haus sind. Dazu kommt noch der Anfahrweg zum
Arbeitsplatz, der je nach Entfernung und Straßenverhältnissen sehr unterschiedlich viel
Zeit beanspruchen kann.

Am Arbeitsplatz wird im allgemeinen konzentriert gearbeitet. In den Handwerksberufen


wie Maurer, Bäcker oder Schreiner sind die Arbeitsabläufe routiniert. Andere werden
durch die Wünsche der Kunden bestimmt. Eine Friseuse oder ein Arzt muss zügig
arbeiten und kann sich nur wenige Pausen gönnen. In anderen Branchen, beispielsweise
in der Architektur oder bei der Arbeit am Computer werden Fristen festgesetzt, die
eingehalten werden müssen. Das bedeutet, dass vor einem Abgabetermin sehr intensiv
gearbeitet werden muss.

Ein Arbeiter am Fließband hat gewöhnlich eine festgelegte Arbeitszeit von acht oder
auch weniger Stunden pro Tag. Danach kann er nach Hause gehen. Dafür muss er aber
manchmal in der Frühschicht, dann wieder in der Spätschicht arbeiten. In anderen
Berufen muss so lange gearbeitet werden, bis die Arbeit erledigt ist.

Je höher die Verantwortung eines Mitarbeiters ist, um so weniger läßt sich seine
Arbeitszeit begrenzen. Wer in einem Unternehmen oder als Selbständiger für eine Sache
verantwortlich ist, muss sie erledigen, ganz gleich, wie lange er dazu braucht. Wenn er
das Arbeitsziel nicht allein erreichen kann, muss er einen Teil seiner Aufgaben an seine
Mitarbeiter abgeben, aber er bleibt verantwortlich dafür, dass alles zur rechten Zeit
erledigt wird.

Die tägliche Arbeitszeit wird von Pausen unterbrochen. Gewöhnlich wird zwischen
zwölf und ein Uhr eine Mittagspause gemacht, die eine halbe Stunde bis eine Stunde
dauert. Große Unternehmen haben meist eine Kantine, in der man ein Mittagessen
bekommen kann, denn die Deutschen sind gewöhnt, mittags eine warme Mahlzeit zu
essen. Außerdem wird zwischendurch öfter mal eine kurze Kaffeepause gemacht.

Die Betreuung der Kinder und die Hausarbeit muss dann nach Feierabend erledigt
werden. In den meisten Fällen werden sich der Mann und die Frau Hausarbeit und
Kinderbetreuung teilen. Beispielsweise bringt oft der Vater die Kinder morgens zum
Kindergarten oder zur Schule und holt sie abends ab, während die Mutter zu Hause das
Essen kocht und die übrige Hausarbeit macht. Nach dem Abendessen wird in vielen

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Familien nur noch Fernsehen geschaut. Trotzdem bleibt ein großer Teil der Hausarbeit
an den Frauen hängen.

In den meisten Haushalten in Deutschland werden für die Hausarbeit Maschinen


eingesetzt, d. h. zum Wäsche waschen, trocknen und Geschirr spülen sind
Waschmaschine, Wäschetrockner und Geschirrspüler vorhanden. Das entlastet die
Frauen, und sie können die wenige Zeit, die ihnen neben der Berufstätigkeit bleibt, für
die Erziehung der Kinder und für gemeinsame Unternehmungen mit ihrem Mann
einsetzen. Wenn man Kinder zu betreuen hat, ist dieser Alltag anstrengend, und die
Freizeit ist begrenzt.

Ein solches Familienleben setzt voraus, dass die Paare selbst bestimmen können, ob sie
überhaupt Kinder haben wollen. Wenn sie sich für Kinder entscheiden, planen sie auch
meist den Zeitpunkt, zu dem sie sich den Kindern am besten widmen können. Viele
Familien meinen, mit einem oder höchstens zwei Kindern sei eine Familie komplett.

Das Wochenende dient der Erholung. Am Samstag müssen viele noch einkaufen oder
zusätzliche Arbeiten erledigen. Am Sonntag wird lange geschlafen und dann gemeinsam
gefrühstückt. Danach kann man etwas unternehmen. Viele Paare treffen sich am
Wochenende mit Freunden, und die meisten Menschen haben ein Hobby, für das sie
sich oft am Wochenende Zeit nehmen.

Drei bis vier Wochen im Jahr haben die meisten Leute Urlaub. Da wird schon lange
vorher überlegt, wohin man mit der Familie fahren will. Manche Familien trennen sich,
die Kinder fahren zu den Großeltern oder in ein Ferienlager, während die Eltern sich ein
paar Wochen ohne Kinder gönnen. Oft wird auch der Urlaub so aufgeteilt, dass man im
Sommer ans Meer fährt und im Winter noch ein paar Tage zum Skilaufen in die Berge
fahren kann.

In Deutschland heißt es in vielen Familien: Wollen wir im Sommer lieber ans Meer oder
lieber in die Berge? Wenn man sich für einen Urlaub am Meer entscheidet, kann man
entweder nach Norden fahren und den Urlaub an der Nordsee oder Ostsee verbringen
oder vielleicht auch weiter nach Skandinavien oder auf die britischen Inseln fahren.
Aber noch mehr Deutsche fahren lieber in den Süden und sonnen sich am Mittelmeer
oder am Atlantik. Lange Zeit war die spanische Mittelmeerinsel Mallorca das beliebteste
Ferienland der Deutschen.

Andere Deutsche fahren aber lieber in die Berge, nach Österreich oder in die Schweiz.
Auch die Feriengebiete in Osteuropa sind sehr beliebt. Einige Deutsche bleiben auch im
Urlaub zu Hause und freuen sich, endlich einmal ein paar Tage faulenzen zu können
und Zeit zu haben für Dinge, die im Alltag neben der Arbeit zu kurz kommen.

Was machen die Leute im Urlaub am liebsten? Manche möchten sich einfach in die
Sonne legen und braun werden, schwimmen oder Strandspaziergänge machen. Andere
wollen fremde Länder kennen lernen. Viele, die bei der Arbeit gewöhnlich am
Schreibtisch sitzen, möchten im Urlaub wandern und bergsteigen oder Sport treiben.

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Auch nette Leute kennen lernen oder tanzen gehört zu den Wünschen vieler Urlauber.
In jedem Fall soll der Urlaub einen Kontrast zu dem gleichförmigen Arbeitsalltag bilden.

Wer Kinder hat, muss sich auf die Schulferien beschränken. Andere können ruhigere
Zeiten nutzen. In den Sommerferien sind die Preise in den Urlaubsgebieten am höchsten.
Außerhalb der Schulferien sind die Reisen nicht nur billiger, sondern auch ruhiger. Vor
allem Senioren können diese Zeiten nutzen.

Die Reise zu den Urlaubsorten ist meistens ziemlich anstrengend. Eine Fahrt mit dem
eigenen Auto macht die Familie unabhängig von Fahrplänen und verfügbaren Plätzen
im Bus, Zug oder Flugzeug, und wer mit einer großen Familie oder Gruppe reist, kommt
mit dem Auto billiger ans Ziel als mit der Bahn. Allerdings ist der Nachteil, dass die
Straßen und Autobahnen besonders in der Ferienzeit meist überlastet sind und man oft
in einen Stau gerät. Da verliert man dann viel Zeit, und auch wenn sich die beiden
Partner als Fahrer abwechseln, ist eine solche Reise anstrengend. Für Fernreisen
dagegen ist das Flugzeug die schnellste und bequemste Art zu reisen.

Der Urlaub soll der Erholung und Abwechslung dienen. Aber viele Leute, die mit
Kindern verreisen, meinen, dass sie nach dem Urlaub erst recht „urlaubsreif“ sind. Denn
im Alltag sind die Kinder tagsüber im Kindergarten oder in der Schule, und wer nicht
gewöhnt ist, den ganzen Tag die Kinder zu beaufsichtigen, ist froh, wenn er
anschließend wieder in Ruhe an seinem Schreibtisch sitzen kann.

Auch wer im Alltag sparsam leben muss, gönnt sich im Urlaub gerne mal einen kleinen
Luxus. Da möchte man lange schlafen, man möchte sich nicht mit der Hausarbeit plagen
müssen, sondern man lässt sich verwöhnen, setzt sich an den gedeckten Tisch und lässt
sich bedienen. Für Familien mit mehreren Kindern ist ein solcher Urlaub sehr teuer,
deswegen ziehen manche Familien es vor, eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus zu
mieten. Andere fahren mit einem Wohnwagen oder übernachten im Zelt auf einem
Campingplatz.

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4. Alltag in Deutschland

Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Gibt es in Ihrer Familie Arbeiten, die immer von den Männern gemacht werden?

2. Hätten Sie etwas dagegen, wenn Ihre Tochter Automechanikerin werden möchte?
Würden Sie ihr helfen, sich gegen die Vorurteile der Gesellschaft durchzusetzen?

3. Wie können Sie sich am besten von einem anstrengenden Tag erholen?

4. Was bedeutet für Sie Urlaub? Wollen Sie vor allem ausruhen, sich verwöhnen lassen
oder etwas Neues erleben?

5. Möchten Sie Urlaub am liebsten allein, mit Freunden oder mit Ihrer ganzen Familie
machen?

6. Sie haben im nächsten Monat Urlaub. Planen Sie im Voraus, was Sie machen wollen,
oder lassen Sie den Urlaub einfach kommen und entscheiden dann, wozu Sie gerade
Lust haben?

7. Ab welchem Alter machen in Ihrem Land die Kinder Ferien ohne die Eltern?

8. Wie unterscheiden sich bei Ihnen / Ihrer Familie Alltag und Ferien?

9. Was machen Sie nach Feierabend? Was machen Sie am Wochenende? Wie
unterscheiden sich diese beiden Freizeiten voneinander?

10. Sie sind in den Ferien bei Ihrem Onkel und Ihrer Tante zu Gast. Eines Tages müssen
Onkel und Tante in die nächste Stadt fahren, und sie können ihre drei kleinen Kinder
nicht mitnehmen. Ihre Tante fragt, ob Sie sich vielleicht an dem Tag um die Kinder
kümmern können. Sie sagen gern zu. Wie empfinden Sie diese Aufgabe?
a) Nun müssen Sie leider auch noch in den Ferien arbeiten
b) Es tut auch in den Ferien gut, eine Verantwortung zu übernehmen
c) Ich mache das für meinen Onkel und Tante, deswegen ist das keine Arbeit

11. Wer muss mehr arbeiten, Ihr Vater oder Ihre Mutter?

12. Wer muss mehr arbeiten, eine Mutter, die eine große Familie zu versorgen hat oder
eine Studentin?

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5. Leistung, Erfolg und der Lohn dafür

Wettbewerb und Initiative. Wagnis und Risiko.


Wirtschaft und Individuum

Es gibt Menschen, die scheinen nur für ihre Arbeit zu leben. Zufrieden sind sie vor
allem, wenn sie eine besondere Leistung vollbracht haben. Sie fühlen sich unter
Kollegen und Mitarbeitern am wohlsten. Ihr Selbstwertgefühl definiert sich vor allem
aus der Leistung am Arbeitsplatz. Man kann es überspitzt so ausdrücken: Sie leben, um
zu arbeiten.

Für andere ist die Arbeit nur ein notwendiges Übel, um genügend Geld zu verdienen,
damit sie sich ein angenehmes Leben machen können. Am Anfang der Woche denken
sie schon an das Wochenende. Wenn sie die acht Stunden gearbeitet haben, lassen sie
den Hammer oder den Bleistift fallen und gehen nach Hause. Das ganze Jahr über freuen
sie sich auf den Urlaub. Sie arbeiten deswegen nicht weniger oder nicht schlechter als
andere, aber ihre Lebensfreude definiert sich in erster Linie über die Freizeit.

In jedem Volk gibt es Menschen, die leben, um zu arbeiten, und auch Menschen, die
arbeiten, um zu leben. Aber die Kultur beeinflusst die Menschen, das eine Extrem
positiver zu bewerten als das andere. Den Deutschen sagt man nach, dass sie
überwiegend zu denen gehören, die für ihre Arbeit leben.

Die deutsche Gesellschaft wird oft als Leistungsgesellschaft beschrieben. Damit ist
gemeint, dass die Menschen vor allem danach beurteilt werden, was sie in ihrem Leben
leisten und geleistet haben. Wenn man jemanden kennen lernt, ist oft die erste Frage:
„Und was machen Sie so?“ Man möchte einen neuen Bekannten möglichst sofort nach
seinem Beruf oder seinem Arbeitgeber einordnen können. Manche Frauen definieren
sich über den Beruf oder die Position ihres Mannes. Allerdings hat sich auch in dieser
Hinsicht das Selbstverständnis in den letzten 60 Jahren sehr verändert.

In der Wirtschaft gilt die Leistung immer noch als das oberste Prinzip der Beurteilung.
Wer in einer Firma für einen bestimmten Arbeitsbereich eingestellt wird, von dem wird
erwartet, dass er seine ganze Arbeitskraft für das Unternehmen einsetzt. Menschliche
Faktoren spielen dabei eine geringere Rolle. Ob jemand ein netter Mensch ist, ob er mit
seinen Kollegen und Untergebenen gut auskommt, ist für das Unternehmen vor allem
deswegen wichtig, weil eine gute Zusammenarbeit im Team die Arbeitsleistung fördert.

Wenn sich junge Leute nach dem bestandenen Examen für eine Stelle in einem
Unternehmen bewerben, werden sie entsprechend ihren persönlichen Neigungen darauf
achten, ob sie am zukünftigen Arbeitsplatz genügend Möglichkeiten bekommen
aufzusteigen und ihre persönliche Karriere zu planen, ob ihre Arbeit finanziell
ausreichend entlohnt wird, ob sie selbstständig Entscheidungen treffen dürfen etc. Für
Andere sind vielleicht ein gutes Team, eine entspannte Arbeitsatmosphäre, ausreichend

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Freizeit und Urlaub oder Weiterbildungsmöglichkeiten wichtiger. Die Tendenz geht
heute eindeutig zur höheren Bewertung des Betriebsklimas.

Über Geld zu sprechen ist im deutschen Geschäftsleben nicht üblich. Es wird als
ausgesprochen unhöflich empfunden, einen Deutschen danach zu fragen, wie viel Geld
er verdient. Oft weiß der eine Freund nicht vom anderen, wie viel Geld ihm sein
Unternehmen zahlt. Wer laut und großsprecherisch damit prahlt, welches Auto er sich
leisten kann oder wie teuer sein Hausbau war, der gilt als Angeber und ist wenig beliebt.
Man darf zwar seinen Stolz auf das viele Geld oder das teure Dienstfahrzeug zeigen,
aber man sollte damit besser etwas zurückhaltend sein, vor allem, wenn es um Geld
geht.

Die Hierarchien in einem deutschen Unternehmen sind relativ flach. Der Chef kann zwar
dem Untergebenen sagen, was der zu tun hat, und der Untergebene muss sich diesen
Anordnungen fügen. Aber der Chef wird dabei immer möglichst den Anschein
erwecken, als gebe er dem Mitarbeiter einen freundlichen Rat. Ein guter Chef wird die
Mitarbeiter nach ihrer Meinung fragen, auch wenn er sich die letzte Entscheidung
vorbehält. Wer sich als Chef autoritär zeigt und befiehlt, statt freundlich anzuweisen,
macht sich unbeliebt. Andererseits ist die Freundlichkeit oft nur gespielt und zeigt nur
eine glatte Oberfläche, während in Wirklichkeit Widerspruch nicht geduldet wird und
Kritik nur von oben nach unten möglich ist.

Zu jedem Arbeitsplatz in Deutschland gibt es eine Arbeitsplatzbeschreibung. Darin wird


festgelegt, welche Arbeiten von dem Mitarbeiter verlangt werden können. Verlangt ein
Chef von seinem Mitarbeiter, dass er eine Arbeit machen soll, die in dieser Beschreibung
nicht enthalten ist, kann der Mitarbeiter sich weigern, diese Arbeit zu machen. Diese
Weigerung darf keine nachteiligen Folgen für ihn haben. Allerdings muss er damit
rechnen, dass er in in Zukunft weniger Chancen hat, im Unternehmen aufzusteigen.

Statussymbole am Arbeitsplatz gibt es reichlich, trotz der flachen Hierarchie. Das


können ein Dienstwagen, ein Einzelbüro oder ein Sekretariat sein. Eine höhere Position
im Unternehmen ist im Allgemeinen mit größerer Verantwortung verbunden. Je höher
die Position, um so mehr Aufgaben muss der Manager an andere delegieren, während
er selbst den Überblick über das ganze System behalten muss, damit er jederzeit
wichtige Entscheidungen treffen kann. Er sollte zwar auch das Wohl seiner Mitarbeiter
im Auge behalten, aber im Wesentlichen soll es bei allen Entscheidungen um die Sache
gehen.

Wenn ein Firmenchef oder ein Manager Freunde oder Verwandte bevorzugt, wird das
in der deutschen Wirtschaft sehr negativ gesehen. Es gibt Unternehmen, in denen
grundsätzlich Ehepartner oder Verwandte von Mitarbeitern nicht eingestellt werden.
Man will so vermeiden, dass unter den Kollegen Neid oder Streit entsteht.

Obwohl in der heutigen Zeit Frauen in vielen Unternehmen bevorzugt eingestellt


werden, sind die Führungspositionen noch immer überwiegend von Männern besetzt.
Männern traut man eher Durchsetzungsvermögen und Härte zu, Eigenschaften, die in

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der Führung eines Unternehmens eher gefragt sind als Einfühlsamkeit und
Rücksichtnahme. Auch in den Universitäten sind Professorinnen noch selten zu finden.

Wird ein Mitarbeiter von seinem Unternehmen in eine andere Gegend in Deutschland
oder ins Ausland entsendet, dann wird erwartet, dass seine Partnerin oder ihr Partner
entweder mit an die neue Arbeitsstelle geht oder die vorübergehende Trennung
akzeptiert. Für den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ist selbstverständlich, dass er eine
mögliche Auslandsentsendung mit der Familie bespricht und dass die Entscheidung
darüber gemeinsam getroffen wird.

Denn wenn der Partner vielleicht unter Druck zusagt und sich dann im Ausland nicht
wohl fühlt, kommt es oft zu Spannungen in der Ehe oder gar zur Trennung, und der
Mitarbeiter wird seine Arbeitskraft dann nicht voll für das Unternehmen einsetzen
können. Eine zufriedene Familie wird andererseits den Mitarbeiter unterstützen und in
schwierigen beruflichen Situationen für einen gesunden Ausgleich und emotionale
Stabilität sorgen.

Auch andere berufliche Entscheidungen treffen die beiden Partner gemeinsam. Wenn
jemand eine selbstständige Arbeit aufnehmen will, dann ist das meistens mit einem
erheblich größeren finanziellen Risiko verbunden als eine Position in einem
Unternehmen. In diesem Fall muss der Partner in die Entscheidung einbezogen werden,
denn das Risiko betrifft ihn gleichermaßen.

Wer selbstständig arbeitet, muss meist in den ersten Jahren erheblich längere und
unregelmäßige Arbeitszeiten akzeptieren als ein Angestellter. Er kann auch nicht zu
beliebigen Zeiten Urlaub nehmen. Außerdem wird er zu Anfang nur unregelmäßige
Einkünfte haben. Deshalb wird möglichst einer der beiden Partner eine feste
Arbeitsstelle behalten, wenn der andere sich selbstständig macht, damit er notfalls allein
für die Familie sorgen kann, falls das Unternehmen des Anderen nur langsam anläuft
oder scheitert.

Der Vorteil der Selbstständigkeit liegt vor allem in der Unabhängigkeit. Kein Chef kann
Arbeiten vorschreiben oder Fristen festsetzen. Wer selbstständig arbeitet, ist sein
eigener Herr.

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5. Leistung, Erfolg und der Lohn dafür

Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Arbeiten Sie, um zu leben, oder leben Sie, um zu arbeiten?

2. Die Deutschen werden oft als Leistungsgesellschaft bezeichnet. Was versteht man
darunter?

3. Sollten alle Mitarbeiter nach ihrer Leistung bezahlt werden oder danach, wie lange
sie schon in diesem Betrieb arbeiten? Oder sollte der Lohn für alle gleich sein? Oder
sollte jeder Mitarbeiter nach der Größe seiner Familie bezahlt werden?

4. Sollte ein Firmenchef bevorzugt seine Verwandten oder Freunde einstellen?

5. Was bewerten Sie in Ihrer zukünftigen Karriere höher: das Betriebsklima oder die
Bezahlung?

6. Was ist eine Arbeitsplatzbeschreibung?

7. Sind in Ihrem Land mehr Frauen oder mehr Männer in Führungspositionen?

8. Darf man einen Deutschen fragen, wie viel Geld er verdient?

9. Was sind die Vor- und Nachteile der selbstständigen Arbeit?

10. Welche Rolle spielt die Familie für einen Angestellten, welche für einen
Selbstständigen?

22
6. Das soziale Netz

Großfamilie oder Staat, öffentlich oder persönlich

Deutschland ist ein Schlaraffenland, denken manche Menschen, die das Land nicht so
genau kennen. Alle Menschen haben dort genug zu essen, jeder wird bestens
medizinisch versorgt, Schulen sind kostenlos, alle jungen Leute können studieren und
bekommen dazu vom Staat eine Beihilfe, die alten Menschen bekommen eine
monatliche Rente, und wenn jemand nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen
kann, bekommt er vom Staat eine monatliche Unterstützung.

Das scheint vor allem solchen Menschen paradiesisch, die in ihrem eigenen Land Not
leiden und nur mit Mühe sich und ihre Familien ernähren können. Sie denken,
Deutschland sei unermesslich reich, und woher das Geld kommt, mit dem die ärmeren
Bürger unterstützt werden, darüber denken sie nicht nach.

Deutschland ist ein Sozialstaat. Das heißt, dass jeder deutsche Bürger Anspruch auf
Hilfe der Gemeinschaft aller Deutschen hat, wenn er in Not gerät. Die Deutschen sind
solidarisch mit den Armen. In der Praxis sieht das so aus, dass der Staat mit einem Teil
der Steuern, die er von den arbeitenden Bürgern und von Unternehmen einzieht, den
Ärmeren der Bevölkerung eine staatliche Hilfe auszahlt, mit der sie überleben können.
Jeder, der nicht selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, hat Anspruch auf
staatliche Beihilfe.

In Ländern, in denen es kein staatliches soziales Netz gibt, sind die Menschen, die kein
Vermögen und keine Arbeit haben, auf die Hilfe ihrer Verwandten angewiesen. Das sind
meistens Länder, in denen es einen starken Zusammenhalt innerhalb der Großfamilien
gibt. Wer viel Geld verdient, wird einen Teil seines Einkommens dafür verwenden, in
Not geratene Verwandte zu unterstützen. Beispielsweise wird er Kindern von ärmeren
Verwandten eine Ausbildung bezahlen, einer Witwe, die nicht mehr auf dem Feld
arbeiten kann, eine kleine Unterstützung zukommen lassen etc.

Der Unterschied wird deutlich, wenn wir uns anschauen, wie das Geld den Besitzer
wechselt. Ein soziales Netz ist anonym. Der Empfänger weiß nicht, wer das Geld
bezahlt, und es interessiert ihn auch nicht. Er kann mit dem Geld machen, was er will,
und niemand kann ihm Vorschriften machen. Er muss niemanden um Hilfe bitten. In
einer Gesellschaft dagegen, in der man von einem Verwandten unterstützt wird, kann
der Geldgeber auch mit entscheiden, wofür das Geld gezahlt wird. Wenn er eine
Ausbildung für einen begabten Jungen oder – wie es öfter der Fall ist, für ein begabtes
Mädchen – nicht für sinnvoll hält, kann er sie ablehnen.

Im deutschen Sozialstaat ist die persönliche Freiheit jedes einzelnen Menschen groß.
Das setzt aber voraus, dass sich alle vernünftig und verantwortlich verhalten. Wer
arbeiten kann, sollte arbeiten und selbst für sich und seine Familie sorgen. Die
Anonymität verführt manche Menschen dazu, sich auf die Solidarität der Anderen zu
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verlassen und Geld vom Staat zu beanspruchen, obwohl sie arbeiten könnten. Wenn das
zu viele tun, werden die Steuern steigen, und die arbeitende Bevölkerung wird sich
dagegen wehren, dass sie ausgenutzt wird.

Ein Sozialstaat funktioniert ähnlich wie eine Versicherung. Alle zahlen etwas ein, um
einige wenige Menschen zu unterstützen, die Hilfe brauchen. Wenn aber zu viele
Menschen von dem eingezahlten Geld etwas bekommen wollen, müssen die Beiträge
erhöht werden, in diesem Fall die Steuern, sonst wird der Staat zahlungsunfähig.

Für viele Menschen in Ländern ohne soziales Netz wirkt ein Sozialstaat sehr attraktiv.
Aber das Bild täuscht. Nur weil die Mehrzahl der Bürger arbeitet und hohe Steuern zahlt,
können die anderen unterstützt werden. Dabei ist die Vorstellung davon, was Armut ist,
in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich. In einem Land, in dem viele
Menschen nicht genug zu essen haben und viele sich keine medizinische Hilfe leisten
können, gilt jemand als reich, der sich ein Haus und ein Auto leisten kann. Arm ist in
einer solchen Gesellschaft, wer kein Dach über dem Kopf und nicht satt zu essen hat. In
Deutschland wird Armut anders definiert. Das durchschnittliche Einkommen der
Bevölkerung wird errechnet, und wer weniger als die Hälfte davon zur Verfügung hat,
gilt als arm.

Zu den Armen zu gehören ist nicht nur ein finanzielles Problem. Arm sein in
Deutschland ist vor allem ein psychologisches Problem. Man schämt sich, wenn man
sich kein Auto, keine Urlaubsreise, keine teure Kleidung leisten kann. Vor allem die
Kinder leiden darunter, wenn die Eltern ihnen nicht die Dinge kaufen können, die für
andere Kinder selbstverständlich sind. Deshalb spielt im deutschen Sozialstaat die
Menschenwürde eine große Rolle.

Auf der anderen Seite sind viele der so genannten Armen teilweise selbst Schuld an ihrer
Armut. Manche Menschen haben nicht gelernt, mit ihrem Geld zu haushalten. Sie geben
mehr aus als sie haben. Sie nehmen einen Kredit auf, um sich moderne Möbel, ein teures
Auto oder neue Kleider zu kaufen. Dann reicht das Geld, das sie verdienen, oft nicht
aus, um das geliehene Geld zurückzuzahlen. So geraten sie immer tiefer in Schulden.

Vor allem bei Jugendlichen hat das Problem in letzter Zeit sehr zugenommen.
Jugendliche bekommen im allgemeinen von ihren Eltern ein monatliches Taschengeld,
über das sie frei verfügen können. Dadurch sollen sie lernen, den Wert des Geldes
einzuschätzen. Indem sie selbstständig entscheiden dürfen, was sie sich kaufen, sollen
sie verstehen lernen, welche Wünsche man sich mit dem Taschengeld erfüllen kann und
wie lange man wofür sparen muss. Aber einige Jugendlichen geben mehr Geld aus als
sie bekommen. Vor allem durch das Telefonieren mit dem Handy machen viele
Jugendliche Schulden, die sie dann nicht mehr abzahlen können.

Anfangs bezahlen die Eltern alle Schulden, die die Kinder machen. Aber wenn die
Kinder dann selbstständig werden, haben sie nicht gelernt, ihre Wünsche so lange
zurück zu stellen, bis sie genug Geld gespart zu haben. Wenn die Eltern dann nicht mehr
für sie zahlen, werden die Schulden immer größer. In der öffentlichen Diskussion wird
dieses Problem derzeit intensiv diskutiert.

24
Für Erwachsene stellt sich das Problem vor allem dann, wenn sie relativ gut verdient
haben und dann arbeitslos werden. Zwar bekommen sie dann eine monatliche
Unterstützung, aber die ist bei weitem nicht so hoch wie das Geld, das sie vorher durch
Arbeit verdient haben. Dann sind sie einen hohen Lebensstandard gewöhnt und müssen
sich jetzt einschränken. Arbeitslosigkeit ist für viele ein Weg in die Armut.

Andererseits ist der Unterschied zwischen der staatlichen Unterstützung und dem Lohn
in manchen Berufen nur gering. Deshalb sagen sich manche Menschen: „Ich bleibe doch
lieber zu Hause und arbeite nicht, dann bekomme ich als Unterstützung fast genau so
viel Geld wie wenn ich jeden Tag acht Stunden arbeiten muss.“ Das ist natürlich
rücksichtslos gegenüber allen anderen, die mit ihren Steuern für die Unterstützung derer
aufkommen müssen, die zu faul sind.

In einer Zeit, in der die Wirtschaft gut läuft und überall Arbeitskräfte gebraucht werden,
ist auch die Zahl der Arbeitslosen gering. Wenn aber die Unternehmen Mitarbeiter
entlassen müssen, weil sie zu wenig Aufträge bekommen, ist es schwer, eine
Arbeitsstelle zu finden. Dann muss die Solidargemeinschaft für viele Arbeitslose
sorgen. Deshalb muss der Staat daran interessiert sein, die Wirtschaft zu unterstützen,
damit möglichst viele Menschen im arbeitsfähigen Alter eine Arbeitsstelle bekommen.

Denn die Unternehmen zahlen nicht nur Steuern, sondern sie tragen auch einen Teil der
Kosten für die soziale Absicherung ihrer Mitarbeiter. Krankenkasse,
Arbeitslosenversicherung und Altersvorsorge, von allem zahlt der Arbeitgeber einen
beträchtlichen Anteil. Das treibt die Arbeitskosten hoch. Daher werden die
Unternehmen lieber neue, vollautomatische Maschinen anschaffen, auch wenn diese
teuer sind, und dafür weniger Mitarbeiter einstellen. Das wiederum führt dazu, dass
mehr Menschen arbeitslos werden.

Der Sozialstaat umfasst neben der Arbeitslosigkeit auch andere Risiken. Fast alle
Deutschen sind in einer Krankenversicherung. Im Krankheitsfall zahlen die
Unternehmen das Gehalt weiter, und die Kosten für Ärzte und Medikamente zahlt die
Krankenkasse. Auch die Absicherung für das Alter ist anonym. Wer arbeitet, zahlt in
die Rentenversicherung ein, und wenn er die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht hat,
bekommt er eine monatliche Rente. Die meisten sichern sich zusätzlich weiter ab, weil
sie nicht sicher sein können, ob die Rente später ausreichen wird.

Das soziale Netz wird trotz einigen Missbrauchs von fast allen Deutschen positiv
gesehen, denn jeder kann von Krankheit oder Arbeitslosigkeit betroffen werden. Dann
muss er sich auch auf die Solidarität der anderen Deutschen verlassen können.

25
6. Das soziale Netz

Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Wie wird im deutschen Sozialstaat Armut definiert?

2. Warum sehen manche Menschen Deutschland als ein Schlaraffenland an?

3. Die meisten deutschen Eltern zahlen ihren Kindern ein monatliches Taschengeld.
a) Damit die Kinder sich ein Handy kaufen können
b) Damit die Kinder lernen, mit dem Geld zu haushalten
c) Damit die Kinder später ihre Eltern unterstützen

4. Wenn jemand in Deutschland arbeitslos wird, kann er trotzdem zufrieden sein


a) weil er sich nicht mehr um seine Familie sorgen muss
b) weil er seinen Kindern jetzt alles kaufen kann, was auch die anderen Kinder
bekommen
c) weil er eine monatliche Sozialhilfe für sich und seine Familie bekommt

5. Deutschland ist ein Sozialstaat. Das bedeutet,


a) dass alle Deutschen Geld vom Staat bekommen
b) dass alle Steuern zahlen müssen, damit der Staat den Armen helfen kann
c) dass in Deutschland niemand hungern oder Not leiden muss

6. „In Deutschland muss niemand arbeiten. Wer keine Lust hat zu arbeiten, bekommt
trotzdem genug Geld.“
a) Diese Aussage ist falsch
b) Diese Aussage ist richtig
c) Diese Aussage ist rücksichtslos gegenüber allen anderen Deutschen

7. Wenn Ihr Vater arbeitslos würde, wer würde für Ihre Familie sorgen?

8. Wenn Sie das Studium beendet haben und anfangen zu arbeiten, werden Sie Steuern
bezahlen müssen. Wofür? Wer bekommt das Geld?

9. Wer bezahlt Ihre Ausbildung?

10. Wovon leben Ihre Großeltern? Wovon leben alte Leute in Ihrem Land, die keine
Kinder haben?

26
7. Sicherheitsbedürfnis

Zukunftsangst und Ökologie

Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ein


Optimist sagt sich: „Es wird schon nichts passieren! Bisher ist es auch immer gut
gegangen!“ Ein anderer denkt vielleicht: „Ich will lieber kein Risiko eingehen. Ich
werde mich absichern, damit nichts passieren kann.“ Zwischen diesen beiden Extremen
gibt es alle Schattierungen.

Unser Sicherheitsbedürfnis hängt von unserer Zukunftsangst ab. Da wir die Zukunft
nicht voraussehen können, müssen wir immer mit einem Risiko leben. Manche
Menschen vertrauen auf ihre eigene Kraft, im Fall eines Unglücks spontan reagieren zu
können. Andere wollen das Risiko so weit wie möglich minimieren, weil sie nicht sicher
sind, ob sie im entscheidenden Moment die Gefahr beherrschen können.

Das Sicherheitsbedürfnis wird auch deutlich von der Religion beeinflusst. Gläubige
Menschen, die auf Gott vertrauen, können leichter mit einem Risiko leben als solche,
die nur auf die eigene Kraft und Verantwortung bauen.

Andererseits kann man die Zukunftsangst sowohl positiv als auch negativ sehen.
Menschen mit großem Sicherheitsbedürfnis verachten Menschen mit geringer
Zukunftsangst als leichtsinnig. „Der lässt den lieben Gott einen guten Mann sein,“ ist
eine Redensart, die ausdrücken soll, dass man das Verhalten eines anderen für riskant
oder gefährlich hält. Andererseits sehen die Menschen mit geringer Zukunftsangst und
geringem Sicherheitsbedürfnis die anderen als übervorsichtig an und meinen, ihnen
fehlte es an Mut und Gottvertrauen.

Wer Unsicherheit möglichst vermeiden will, wird viele Regeln aufstellen, die zwar
einerseits Gefahren vermeiden helfen, die aber andererseits das Leben erschweren, weil
man zu viel Energie und Kraft aufwenden muss, um alle Regeln einzuhalten. Aber
sicherheitsbewusste Menschen fühlen sich in einem ungeregelten Zustand nicht wohl.

Die Deutschen gelten als extrem vorsichtige Menschen, die jedes Risiko vorauszusehen
und auszuschalten versuchen. Daher konstruieren sie die sichersten Autos und schließen
die meisten Versicherungen ab. Die meisten Deutschen haben mehr als vier
Versicherungen abgeschlossen. Wer Auto fährt, muss eine Auto-
Haftpflichtversicherung abschließen, damit im Fall eines Unfalls der Schaden, den man
verursacht hat, bezahlt wird.

Zusätzlich haben viele Deutsche eine private Haftpflichtversicherung. Die meisten


haben auch eine Hausratversicherung, die bei einem Unfall oder Einbruch alle Schäden
und Verluste im Haus ersetzt. Dazu kommt oft noch eine Rechtschutzversicherung, denn
falls man in einen Prozess verwickelt wird, kann das sehr teuer werden. Die meisten
sind außerdem in einer Rentenversicherung, auch Lebensversicherungen sind sehr
27
beliebt, und wer arbeitet, zahlt auch in eine Arbeitslosenversicherung ein, damit er, falls
er arbeitslos wird, eine Unterstützung bekommt.

Ein typisches Beispiel für das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen sind Fahrstühle.
Haben Sie Angst, wenn Sie in einen Fahrstuhl einsteigen? Sie können beruhigt sein,
denn Fahrstühle sind überall sicher. Da ein Fahrstuhl auch dann nicht abstürzen darf,
wenn einmal die Bremsen versagen, gilt in der ganzen Welt ein vielfacher
Sicherheitsstandard. Fahrstühle in Hongkong zum Beispiel müssen siebenfach gesichert
sein. Wenn eine Bremse versagt, muss ein weiteres, davon unabhängiges Haltesystem
den Fahrstuhl abbremsen, und das insgesamt sieben Mal. Den Deutschen ist dieses
System noch nicht sicher genug. Hier verlangen die Vorschriften für Fahrstühle eine
zwölffache Absicherung.

Deutsche Atomkraftwerke erfüllen sehr hohe Sicherheitsstandards. Aber das geht


einigen Deutschen noch nicht weit genug, sie wollen die Kernkraftwerke möglichst ganz
abschalten, weil ein geringes Risiko auch bei größter Vorsicht nicht auszuschließen
geht. Anderen geht diese Vorsicht zu weit. Andererseits sind die meisten Deutschen
überzeugt, dass ein Unfall mit einem Atomreaktor bei uns nicht vorkommen könnte,
weil unsere Vorschriften und Normen das verhindern. Da Störfälle in einem Kraftwerk
schlimme Folgen für die Menschen und die Umwelt haben können, wird dieses Thema
sehr intensiv diskutiert. Außerdem versucht man, den Anteil an erneuerbaren Energien
wie Wasserkraft, Windkraft und Solarenergie zu erhöhen. Deswegen sieht man in
Deutschland fast überall auf dem Land riesige Windräder, die Strom erzeugen.

Umweltbewusstsein ist für Deutsche sehr wichtig. Bei allem, was man tut, sollte man
darauf achten, dass die Umwelt möglichst wenig belastet wird. Zum Beispiel ist es
besser, wenn man kurze Wege mit dem Fahrrad oder mit dem Bus zurücklegt als mit
dem Auto, weil die Abgase die Luft verschmutzen. Wenn jemand ein neues Auto kauft,
sollte er darauf achten, dass es möglichst sparsam im Benzinverbrauch ist, und dass das
Abgas die Luft nicht mehr als nötig verschmutzt.

Auch achten die Deutschen darauf, dass sie möglichst kein Wasser verschwenden.
Beispielsweise wird es als Verschwendung angesehen, wenn man, während man sich
die Zähne putzt, das Wasser laufen lässt. Auch die Toilettenspülung kann man in vielen
Haushalten so einstellen, dass sie wenig Wasser verbraucht. Moderne Spülmaschinen
sind so konstruiert, dass sie möglichst wenig Wasser verbrauchen und dazu noch
möglichst leise sind.

Auch was den Müll angeht, nehmen es die Deutschen sehr genau. Jeder sollte so wenig
Abfall wie möglich produzieren. Der Abfall wird getrennt, bevor man ihn wegwirft.
Für jede Art von Müll gibt es einen eigenen Behälter: Altpapier wird in einer
besonderen Tonne gesammelt und später wiederverwertet. Man macht daraus neues
Papier, das dadurch zu erkennen ist, dass es nicht ganz weiß ist. Viele Zeitungen werden
heutzutage auf so genanntem Recycling-Papier gedruckt, und auch an vielen Kopierern
kann man wählen, ob man lieber weißes Papier oder Recycling-Papier möchte.

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Alte Glasflaschen werden ebenfalls in besonderen Containern gesammelt. Diese sind
noch einmal getrennt nach Farbe des Glases, so dass weißes, grünes und braunes Glas
separat wiederverwertet werden können. Das Glas wird eingeschmolzen und wieder
verarbeitet.

Zu Hause haben viele Deutsche vier verschiedene Mülleimer: Einen für Kompost, also
Reste von Gemüse, Obst oder Pflanzen. Ein zweiter ist für Papier, und in dem dritten
werden alle Abfälle aus Kunststoff gesammelt, zum Beispiel Plastiktüten oder
Joghurtbecher. Im den vierten Mülleimer wirft man den so genannten Restmüll, also all
den Abfall, der in keinen anderen Mülleimer gehört. Darüber hinaus sammeln viele
Menschen auch Korken, Batterien und Metall separat.

Die Mülltonnen werden normalerweise einmal in der Woche geleert. Jeder Haushalt
bekommt am Anfang des Jahres einen genauen Plan, wann die Müllabfuhr welche
Tonne abholt. Dazu gibt es eine Liste, welche Abfälle in welche Tonne gehören. Wenn
man den falschen Müll in die einzelnen Tonnen wirft, kann es passieren, dass die
Müllabfuhr sich weigert, die Tonne zu leeren.

An öffentlichen Plätzen, zum Beispiel an Bahnhöfen und Flughäfen, stehen oft


Mülleimer mit verschiedenen Öffnungen, die beschriftet sind. Man muß dann die
entsprechende Öffnung auswählen, um seinen Abfall hineinzuwerfen.

Um möglichst wenig Müll zu produzieren, sind in Deutschland die Pfandflaschen sehr


verbreitet. Getränke werden in Glas- oder Plastikflaschen verkauft, für die man ein
Pfand bezahlen muß. Hat man die Flasche ausgetrunken, kann man sie in ein Geschäft
zurück bringen und erhält sein Pfand zurück. Die Flaschen werden dann gereinigt und
noch einmal verwendet. So soll sichergestellt werden, dass sie nicht nach einer einzigen
Benutzung weggeworfen werden.

Darüber hinaus machen sich heutzutage viele Menschen Gedanken darüber, wie die
Nahrungsmittel hergestellt werden, die sie zu sich nehmen. In der Landwirtschaft
werden oft Chemikalien eingesetzt, die Schädlinge von den Pflanzen fernhalten oder
den Boden düngen, um eine bessere Ernte zu erzielen. Einigen Lebensmitteln werden
auch künstliche Farbstoffe zugesetzt, damit sie appetitlicher aussehen. Wer sicher gehen
will, dass in seinem Essen keine Chemikalien enthalten sind, kann sogenannte Bio-
Lebensmittel kaufen. Diese stammen von Bauern, die sich verpflichtet haben, ganz auf
Chemikalien zu verzichten. Inzwischen gibt es ganze Läden, die sich auf den Verkauf
von Bio-Produkten spezialisiert haben.

29
7. Sicherheitsbedürfnis

Verständnisfragen und Themen für Diskussionen oder als Hausaufgabe

1. Sie kommen in Deutschland am späten Abend an eine Kreuzung, die mit einer
Ampel geregelt wird. Die Fußgängerampel zeigt ein rotes Männchen. Es kommt aber
weit und breit kein Auto. Was machen Sie?
a) Sie gehen einfach über die Straße, weil ja kein Auto kommt
b) Sie bleiben stehen und warten, bis das grüne Männchen erscheint
c) Sie warten, bis ein anderer Fußgänger kommt, und machen es wie er

2. Sie haben eine Flasche Cola gekauft. Sie war sehr teuer. Sie trinken die Flasche aus.
Was machen Sie mit der leeren Glasflasche?
a) Sie werfen die Flasche in einen Glascontainer für weißes Glas
b) Sie werfen die Flasche in eine Tonne für Restmüll
c) Sie geben die Flasche an einem Kiosk ab und bekommen Geld zurück

3. Die Deutschen schließen ihr Haus immer ab, wenn sie es verlassen und keine andere
Person mehr anwesend ist, auch wenn sie nur den Mülleimer raustragen wollen. In
welcher Situation schließen Sie Ihr Haus ab?

4. Wie viele Versicherungen haben Sie?

5. Gibt es in Ihrem Wohnheim eine Hausordnung? Wissen Sie in jeder Situation, was
Sie hier dürfen und was nicht?

6. Im Deutschen gibt es sehr viele Sprichwörter, die die Sicherheit zum Thema haben.
Können Sie die unten aufgeführten Sprichwörter erläutern? Welche dieser Sprichwörter
bewerten die Sicherheit höher als den Wagemut? Gibt es bei Ihnen ähnliche
Sprichwörter?
Frisch gewagt ist halb gewonnen
Im alten Geleise geht es sich sicher
Wer langsam geht, geht sicher
Wer wagt, gewinnt
Wo Vorsicht fehlt, nützt alle Weisheit nicht
An sicheren Dingen ist der Zweifel gut
Auf eigenem Sattel reitet man sicher
Leichtsinn und Torheit sind Nachbarn
Je mehr Gefahr je mehr Vorsicht
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um
Leichtfertigkeit und Ehr stimmen miteinander schwer

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